Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung: Ein Verteilungsproblem: Eine Darstellung unter besonderer Berücksichtigung der immissionsschutzrechtlichen Anlagenzulassung [1 ed.] 9783428580583, 9783428180585

Die Kumulationsprüfung in der FFH-Verträglichkeitsprüfung bereitet Vorhabenträgern, Behörden und Gerichten mangels konkr

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German Pages 208 [209] Year 2020

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Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung: Ein Verteilungsproblem: Eine Darstellung unter besonderer Berücksichtigung der immissionsschutzrechtlichen Anlagenzulassung [1 ed.]
 9783428580583, 9783428180585

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Schriften zum Umweltrecht Band 194

Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung: Ein Verteilungsproblem Eine Darstellung unter besonderer Berücksichtigung der immissionsschutzrechtlichen Anlagenzulassung

Von

Jens Weuthen

Duncker & Humblot · Berlin

JENS WEUTHEN

Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung: Ein Verteilungsproblem

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlin

Band 194

Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung: Ein Verteilungsproblem Eine Darstellung unter besonderer Berücksichtigung der immissionsschutzrechtlichen Anlagenzulassung

Von

Jens Weuthen

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahre 2019 als Dissertation angenommen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 978-3-428-18058-5 (Print) ISBN 978-3-428-58058-3 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2019 von der Juristischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster als Dissertation angenommen. Ihr liegt der Stand der Rechtsprechung und Literatur bis Mai 2019 zugrunde. Mein erster Dank gilt meiner verehrten Doktormutter, Frau Prof. Dr. Sabine Schlacke, für ihre hervorragende Unterstützung. Sie hat die Erstellung dieser Arbeit trotz ihrer vielgestaltigen Aufgaben in Forschung und Lehre in allen Phasen konstruktiv begleitet und über das zu erwartende Maß hinaus durchweg wohlwollend gefördert. Herrn Prof. Dr. Hans D. Jarass LL.M. (Harvard) danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dank für erkenntnisreiche Gespräche und seine Hilfsbereitschaft gebührt ferner Herrn Dr. Marcus Lau. Danken möchte ich zudem meinen ehemaligen Lehrstuhlkolleginnen und -kollegen am Institut für Umwelt- und Planungsrecht der Westfälischen WilhelmsUniversität zu Münster. Ich habe dort eine durchweg angenehme und freundschaftliche Arbeitsatmosphäre erleben dürfen und werde immer gerne an die gemeinsame Zeit zurückdenken. Die Konrad-Adenauer-Stiftung, der ich mich stets verbunden fühle, förderte sowohl mein Studium als auch die Erstellung dieser Arbeit in ideeller wie finanzieller Hinsicht. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken. In Dankbarkeit blicke ich auf die gemeinsamen Studienjahre mit meiner Frau Dr. Bettina Gausing, die mir bei der Erstellung dieser Arbeit nicht nur fachlich, sondern vor allem durch ihren immerwährenden Zuspruch ein großer Rückhalt war. Ich freue mich auf unsere gemeinsame Zukunft. Schließlich danke ich meiner Familie. Insbesondere danke ich meinen Eltern Elke und Hans Weuthen für ihr Vorbild und all die Erfahrungen, die mir auf Grund ihrer bedingungslosen Unterstützung zuteilwurden. Ihnen widme ich diese Arbeit. Mönchengladbach, im April 2020

Jens Weuthen

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

1. Kapitel Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte A. Fachliche Hintergründe zur Stickstoffbelastung in der Bundesrepublik Deutschland

23 23

B. Grundzüge und Grundlagen der FFH-Verträglichkeitsprüfung stickstoffemittierender Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Stickstoffemittierende Anlagen als Projekt i. S. d. § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG: Der Untersuchungsgegenstand der FFH-Verträglichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Die wesentlichen Verfahrensschritte der FFH-Verträglichkeitsprüfung . . . . . . . . . 28 III. Die Kumulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 IV. Die Erheblichkeitsbewertung stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Schutzgutbezogene Reaktions- und Belastungsschwellen: Critical Loads als Belastungsgrenze für Stickstoffeinträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 a) Empirische Critical Loads . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Modellierte Critical Loads . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Eingriffsbezogene Bagatellschwellen und Abschneidekriterien . . . . . . . . . . . . . 35 a) Bagatellschwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Abschneidekriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 C. Konkurrenz in der Kumulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Das sog. Kumulationsdilemma: Die Frage nach den in das Bagatellkontingent einzustellenden kumulierenden Projekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Oberverwaltungsgericht Münster und TA Luft-Entwurf/2018: Das Jahr 2004 als Sockeljahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Die Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Rechtssache Trianel als grundsätzliche Absage an das Sockeljahr 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3. Der TA Luft-Entwurf/2016: Der UBA-Datensatz als zeitliche Zäsur zur Ermittlung der Vorbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

8

Inhaltsverzeichnis II. Die Behandlung von Änderungsvorhaben in der Kumulation . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Die Bestimmung der prüfgegenständlichen Projekte bei Änderungsvorhaben nach Maßgabe des jeweiligen Fachrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Ansatz des TA Luft-Entwurfs/2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 III. Zwischenergebnis: Das FFH-Rechtsregime als Konkurrenzfrage . . . . . . . . . . . . . 53

2. Kapitel Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung als unzureichender Entscheidungsmaßstab bei parallelen Genehmigungsanträgen

57

A. Das Prioritätsprinzip als geeigneter Entscheidungsmaßstab bei zumindest genehmigten Projekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen – Rechtliche Grenzen und Vorgaben am Beispiel zusammentreffender immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Die Vereinbarkeit des Prioritätsprinzips mit den Verfahrensvorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Die Unvereinbarkeit des Prioritätsprinzips mit dem Gebot der zügigen Verfahrensführung und dem Koordinierungsgebot im Anlagenzulassungsrecht . . . . . . 63 2. Keine materiell-rechtliche Vorrangwirkung der diskutierten Anknüpfungspunkte: Die Sach- und Rechtslage des Genehmigungszeitpunkts als entscheidender Zeitpunkt der Rechtmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 II. Die Vereinbarkeit des Prioritätsprinzips mit nationalen und unionalen Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Die Kumulation im grundrechtlichen Mehrebenensystem: Das Verhältnis nationalen und unionalen Grundrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Der mitgliedstaatliche Gestaltungsspielraum bei der Transformation der FFHRichtlinie ins nationale Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Beschränkte formelle Determinierung des nationalen Rechts durch die FFHRichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Die materielle Determinierung nationalen Rechts durch das FFH-Recht: Weiter Gestaltungsspielraum in Bezug auf die nationale Schutzgebietsausweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 c) Zwischenergebnis: Nebeneinander nationaler und unionaler Grundrechte bei der mitgliedstaatlichen Umsetzung und Durchführung des FFH-Rechts . . . . 75 3. Die Vereinbarkeit des Prioritätsprinzips mit nationalen und unionalen Freiheitsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 a) Die Eingriffsqualität der Versagung bodenverunreinigender Nutzungen: Das sog. Recht auf Umweltverschmutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Betroffene Freiheitsrechte in der Kumulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 aa) Das Recht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

Inhaltsverzeichnis

9

bb) Das Eigentumsrecht aus Art. 17 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 cc) Die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 dd) Das Recht auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit gem. Art. 15, 16 GRC 85 ee) Die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . 88 c) Rechtfertigung des Prioritätsprinzips vor dem Hintergrund betroffener Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4. Die Vereinbarkeit des Prioritätsprinzips mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und dem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz aus Art. 20 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 III. Das Prioritätsprinzip: Kein allgemeiner Verwaltungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Keine Ableitbarkeit der Grundsatzqualität des Prioritätsprinzips aus einfachem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Die Verfassung als Maßstab: Keine verallgemeinerungsfähige sachgerechte Mängelverwaltung anhand des Prioritätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 C. Zwischenergebnis: Ausschließliche Anwendung des Prioritätsprinzips bei parallelen Genehmigungsanträgen nicht rechtmäßig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

3. Kapitel Eine Einordnung der Kumulation stickstoffemittierender Projekte in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung

99

A. Die Rechtsordnung als Verteilungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 I. Der Verfahrenstypus des „Verteilungsverfahrens“ und Verwaltungsentscheidungen mit Verteilungswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 II. Die hoheitliche Erstverteilung und potentielle Umverteilung knapper Güter . . . . 102 III. Die Unterscheidung zwischen Zu- und Verteilung: Die Bewältigung von Verteilungsproblemen anhand von Planungsinstrumenten oder Verteilungsprogrammen 105 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 B. Umwelt als Verteilungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 I. Die „Umwelt“ als knappes Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Der Begriff der „Umweltknappheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Nutzungsformen von Umweltgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Verwendungskonkurrenzen bei Umweltgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4. Die Relativität der Umweltknappheit: Die ökologische, ökonomische und rechtliche Bestimmung von Kapazitätsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Ökologische bzw. „natürliche“ Umweltknappheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Ökonomische Bewertung der Umweltknappheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Rechtliche Umweltknappheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Grenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) Kapazitätsorientierte Umweltrechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

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Inhaltsverzeichnis d) Zwischenergebnis: Verzerrte Knappheitsbewertungen als Gefahrquelle unverhältnismäßiger Verteilungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 II. Die Verteilbarkeit von Umweltgütern: Umweltmedien als Verteilungsgut . . . . . . 123 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

C. Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte in der öffentlichen Verteilungsordnung: Eine Standortbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 I. Das „knappe“ Gut in der Kumulation stickstoffemittierender Anlagen: Nutzungsrechte an umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazitäten . . . . . 126 II. Rechtliche Verknappung durch das Verschlechterungsverbot in seiner Eigenschaft als kapazitätsorientiertes Umweltrechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 III. Die Kumulation als Fall der Erst- und verdeckten Umverteilung in Abhängigkeit zur Ausschöpfung bestehender Belastungskontingente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 IV. Die Zuweisung von Nutzungsrechten an umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazitäten in der Kumulation als Verteilungssituation in Abgrenzung zu Zuteilungskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

4. Kapitel Rechtliche Maßstabbildung für die Kumulationsentscheidung bei parallel beantragten Projekten

132

A. Die verfassungsrechtlichen und unionsgrundrechtlichen Vorgaben an die staatliche Verteilungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 I. Die verfassungsrechtlichen Verteilungsdirektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG als wesentliche verfassungsrechtliche Verteilungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Materielle Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG an die Verteilungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Die prozeduralen Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes an die Ausgestaltung staatlicher Verteilungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Die Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 a) Die freiheitsrechtsrechtlichen Verteilungsdeterminanten unter besonderer Berücksichtigung ihrer Funktionenpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Die materiellen und formellen Anforderungen der Freiheitsrechte an die Ausgestaltung von Verteilungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Parlamentsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 II. Der unionsgrundrechtliche Maßstab staatlicher Verteilungstätigkeit . . . . . . . . . . . 145 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

Inhaltsverzeichnis

11

B. Übertragung der verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Verteilungsdirektiven auf die Kumulation stickstoffemittierender Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 I. Die geeigneten Verteilungskriterien in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 II. Geeignete Verfahrensvorgaben für die Kumulation stickstoffemittierender Projekte: Übertragung des Konzeptpflichtgedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 III. Der Parlamentsvorbehalt in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte – Das Erfordernis einer Regelung in Grundzügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Konkretisierungsgrad einer gesetzgeberischen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Kein Ausschluss des gesetzgeberischen Regelungserfordernisses durch die Ausnahmeregelungen nach § 34 Abs. 3 – 5 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Zwischenergebnis: Das Erfordernis einer gesetzgeberischen Regelung der Auswahlkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

5. Kapitel Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte – Mögliche Lösungsansätze

158

A. Ansätze in der Literatur und sachverwandten Rechtsmaterien zur Auflösung des der Kumulation stickstoffemittierender Projekte innewohnenden Verteilungsproblems . . 158 I. Das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Die Mittelwertrechtsprechung der Verwaltungsgerichte als Konkretisierung der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Übertragung der Mittelwertrechtsprechung auf die Kumulation in der FFHVerträglichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 II. Die „nachträgliche Kumulation“ gem. § 12 Abs. 2 UVPG: Vorrangregelung nach Maßgabe zeitlicher Priorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Der mit der Kumulation im FFH-Recht vergleichbare Regelungsgehalt des § 12 Abs. 2 UVPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Keine Übertragbarkeit des Regelungsgehalts des § 12 Abs. 2 UVPG auf die Kumulation stickstoffemittierender Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 III. Die Kombination materieller und formeller Kriterien in Landeswassergesetzen als Lösungsansatz für vielschichtige Verteilungssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Die Entscheidungsregel des Art. 68 BayWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Übertragung der Entscheidungsregel des Art. 68 BayWG auf die Kumulation stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung . . . . . . . . 167 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

12

Inhaltsverzeichnis

B. Regelungsvorschläge für die Kumulation stickstoffemittierender Anlagen im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren: Die Auflösung des Verteilungsproblems umweltrezeptorabhängiger Schadstoffaufnahmekapazitäten . . . . . . . . . . . . . 169 I. Die Ergänzung des § 34 BNatSchG um eine wirkfaktor- und verfahrensunabhängige Entscheidungsregel als Kombination materieller und formeller Verteilungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 II. Wirkfaktor- und verfahrensspezifische Regelungen für immissionsschutzrechtliche Anlagen durch Ergänzung der TA Luft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Räumlicher Anwendungsbereich der Kumulation stickstoffemittierender Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Flächenbezogene Bagatellschwellen: Großzügigere Bagatellschwellen anhand der Ermittlung gradueller Funktionsbeeinträchtigungen von Lebensraumtypflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3. Der Einsatzzeitpunkt der Kumulation im immissionsschutzrechtlichen Trägerverfahren: Das Erfordernis einer zeitlichen Begrenzung des Kumulationszeitraums in Anlehnung an den TA Luft-Entwurf/2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 4. Die Definition hinreichend verfestigter stickstoffemittierender Projekte gemäß der vorgeschlagenen Entscheidungsregel in der TA Luft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

6. Kapitel Zusammenfassung der Ergebnisse

187

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

Abkürzungsverzeichnis a-1 a. A. ABlEG ABlEU Abs. AbwAG AEG AEUV a. F. AgrarR Anm. AöR Art. AtG Aufl. BASt BauGB BauR BayVBl. BayWG BBodSchG Bd. Beschl. BfN BGB BGBl. BImSchG BImSchV BMU BNatSchG BNotO Bsp. bspw. BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BW

je/pro Jahr andere Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Gesetz über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Abwasserabgabengesetz) Allgemeines Eisenbahngesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Agrarrecht (Zeitschrift) Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Artikel Atomgesetz Auflage Bundesanstalt für Straßenwesen Baugesetzbuch Baurecht (Zeitschrift) Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Bayerisches Wassergesetz Bundesbodenschutzgesetz Band Beschluss Bundesamt für Naturschutz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundes-Immissionsschutzgesetz Verordnung(en) zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Bundesnaturschutzgesetz Bundesnotarordnung Beispiel/e beispielsweise Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württemberg, baden-württembergisch

14 BWaldG

Abkürzungsverzeichnis

Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft (Bundeswaldgesetz) bzw. beziehungsweise CL Critical Loads CLRTAP Convention on Long-range Transboundary Air Pollution CO2 Kohlenstoffdioxid ders. derselbe d. h. das heißt dies. dieselbe DÖV Die öffentliche Verwaltung DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt ebda. ebenda EG Europäische Gemeinschaft/Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EMRK Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) etc. et cetera EU Europäische Union/Vertrag über die Europäische Union EuG Gericht der Europäischen Union EuGH Gerichtshof der Europäischen Union EuR Europarecht (Zeitschrift) EurUP Europäisches Umwelt- und Planungsrecht (EurUP) EUV Vertrag über die Europäische Union EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft f., ff. folgende(r, s), fortfolgende FFH Fauna-Flora-Habitat FFH-VP-Info Fachinformationssystem des Bundesamtes für Naturschutz zur FFH-Verträglichkeitsprüfung Fn. Fußnote FStrG Bundesfernstraßengesetz FuE Forschung und Entwicklung GA Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof GAin Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof gem. gemäß GewArch Gewerbearchiv (Zeitschrift) GewO Gewerbeordnung GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GK Gemeinschaftskommentar GRC/GRCh Charta der Grundrechte der Europäischen Union ha-1 je/pro Hektar Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz I+E Zeitschrift für Immissionsschutzrecht und Emissionshandel ICP M&M International Cooperative Programme on Modelling and Mapping insb. insbesondere IPCC Intergovernmental Panel on Climate Change

Abkürzungsverzeichnis i. S. d. i. S. e. i. S. v. i. V. m. IVU JA JuS JZ Kap. kg KIfL KrWG LANUV lit. LKV LuftVG m. m. Anm. v. m. w. N. N NABEG NAP NJW NOx Nr. NuL NuR NVwZ NVwZ-RR NWG NZBau OVG PBefG PINETI RL Rn. ROG S. s. SächsWG SAEFL SHWG sog. Sp. Spstr. st. Rspr. TA

15

im Sinne der/s im Sinne einer/s im Sinne von in Verbindung mit integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung Kapitel Kilogramm Kieler Institut für Landschaftsökologie Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz) Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen Buchstabe(n) Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Luftverkehrsgesetz mit mit Anmerkung von mit weiteren Nachweisen Stickstoff (Nitrogen) Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz Nationaler Allokationsplan Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Stickoxide Nummer Natur und Landschaft (Zeitschrift) Natur und Recht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungs-Report Niedersächsisches Wassergesetz Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Oberverwaltungsgericht Personenbeförderungsgesetz Pollutant Input and Ecosystem Impact Richtlinie Randnummer Raumordnungsgesetz Seite(n)/Satz (Sätze) siehe Sächsisches Wassergesetz Swiss Agency for the Environment, Forests and Landscape Wassergesetz des Landes Schleswig-Holstein so genannte(r/s) Spalte Spiegelstrich ständige Rechtsprechung Technische Anleitung

16 Tab. TKG u. a. UAbs. UBA UPR Urt. UVP UVPG v. Var. VDI VerwArch VG VGH vgl. VO Vorb. VR VRL VVDStRl VwGO VwVfG WBGU WHG z. B. Ziff. ZUR

Abkürzungsverzeichnis Tabelle Telekommunikationsgesetz unter anderem/und andere(r/s) Unterabsatz Umweltbundesamt Umwelt- und Planungsrecht (Zeitschrift) Urteil Umweltverträglichkeitsprüfung Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung von/m Variante Verein Deutscher Ingenieure Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Vorbemerkung/en Verwaltungsrundschau (Zeitschrift) Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.11.2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (Vogelschutzrichtlinie) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen Wasserhaushaltsgesetz zum Beispiel Ziffer Zeitschrift für Umweltrecht

Einleitung „Die Aufgabe des Umweltstaates ist es, die Umweltnutzungen gerecht und freiheitserhaltend zu verteilen und auch im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft zu erhalten“1.

Dieser Befund zu Beginn der von Gethman, Kloepfer und Reinert verfassten Aufsatzsammlung „Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat“ aus dem Jahre 1995 ist angesichts der zu beobachtenden Erwärmung des Klimasystems2, des weltweiten Verlustes an Biodiversität3 und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Risiken4 aktueller denn je. So werden sich Knappheitsphänomene, die wir heute vor allem in Bereichen wie der Bereitstellung von Wohnraum oder der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum wahrnehmen, künftig verstärkt auch auf die Nutzungsmöglichkeit von Umweltmedien erstrecken. Diese Verknappungen resultieren zum einen aus dem schlichten Verbrauch nicht endlos vorhandener Umweltgüter und zum anderen aus drängenden umweltpolitischen Maßnahmen, die Umweltgüter im Sinne der Nachhaltigkeit der persönlichen Freiheitssphäre entziehen und so künstlich verknappen. Als Beispiel sei hier der europäische Emissionszertifikatehandel genannt. Aus den beschriebenen Knappheitsphänomenen folgen zwangsläufig Verteilungskonkurrenzen. Zurückkommend auf das anfängliche Zitat müssen Umweltschutzfragen daher vermehrt als Umweltverteilungsfragen begriffen werden. In der Bundesrepublik Deutschland „erfolgt die Bewältigung des Mangels vorrangig privatautonom über knappheitsgerechte Preisbildung durch Angebot und Nachfrage“5. Dort allerdings, wo der Staat verteilend tätig wird, gelten andere Maßstäbe. So hängt die Akzeptanz derartiger Verteilungsentscheidungen in hohem Maße davon ab, ob 1 C. F. Gethmann/M. Kloepfer, Vorwort, in: dies./S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. V. 2 Siehe hierzu Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Kernbotschaften des Fünften Sachstandsberichts des IPCC. Klimaänderung 2014: Synthesebericht, 2014, abrufbar unter https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Kli maschutz/ipcc_sachstandsbericht_5_synthese_bf.pdf (Stand: 3.4.2019). 3 Siehe nur Secretariat of the Convention on Biological Diversity, Global Biodiversity Outlook 4 – Summary and Conclusions, 2014, S. 3: „Extrapolations for a range of indicators suggest that based on current trends, pressures on biodiversity will continue to increase at least until 2020, and that the status of biodiversity will continue to decline.“ Der Bericht ist abrufbar unter https://www.cbd.int/gbo/gbo4/gbo4-summary-en.pdf (Stand: 3.4.2019). 4 Siehe allgemein zu den bereits zu beobachtenden und künftig zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels und Biodiversitätsverlustes an Stelle vieler die umfassenden Ausführungen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Sondergutachten Klimaschutz als Weltbürgerbewegung, 2014, S. 22 ff. 5 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (23).

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Einleitung

diese umsichtig und unter Berücksichtigung aller relevanten Belange getroffen werden. Mit Akzeptanzproblemen ist dann zu rechnen, wenn von staatlichen Entscheidungsträgern verkannt wird, dass ihre Entscheidungen Verteilungswirkungen verursachen. So verhält es sich auch mit der nationalen Umsetzung der Vorgaben der 1992 verabschiedeten „Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie“6 in den §§ 31 – 36 BNatSchG. Die FFH-Richtlinie stellt einen wesentlichen Eckpfeiler des Europäischen Arten- und Habitatschutzes dar und zielt gem. Art. 3 Abs. 1 FFH-Richtlinie mit der Ausweisung von Schutzgebieten auf die Errichtung des europäischen Schutzgebietsnetzes „Natura 2000“7. Dieses Schutzgebietsnetz sowie sämtliche auf der FFH-Richtlinie beruhenden Maßnahmen bezwecken die Erhaltung und Wiederherstellung von günstigen Erhaltungszuständen der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, Art. 2 Abs. 2 FFH-Richtlinie. Welche Lebensräume sowie Tier- und Pflanzenarten diesem Kriterium unterfallen, zählen die Anhänge I und II der FFH-Richtlinie auf. Ebenso gehören zu diesem Schutzgebietsnetz nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 FFH-Richtlinie die besonderen europäischen Vogelschutzgebiete nach Anhang I der Vogelschutzrichtlinie8. Demnach genießen auch die in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie aufgeführten Vogelarten und die Zugvogelarten sowie ihre notwendigen Lebensräume den Schutz des FFHRechtsregimes. Den Angaben des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) zufolge umfasst das kohärente Netz „Natura 2000“ in der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile ca. 5.200 Schutzgebiete (Stand der Angaben: 2017). Daraus folgt, dass ca. 15,5 % der terrestrischen Fläche und ca. 45 % der marinen Fläche FFH-Schutz genießen9. Möchte ein Vorhabenträger ein Vorhaben verwirklichen, welches sich auf die Erhaltungsziele eines FFH-Schutzgebietes auswirken könnte, ist dieses vorab gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG einer FFH-Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Die in diesem Zusammenhang relevante Vorschrift des § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG, welche auf Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie beruht, bestimmt hierzu, dass Projekte vor ihrer Zulassung oder ihrer Durchführung auf ihre Verträglichkeit 6 Richtlinie 92/43/EWG des Rates v. 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABlEG L 206 v. 22.7.1992, S. 7, zuletzt geändert durch Richtlinie 2013/17/EU des Rates v. 13.5.2013 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Umwelt aufgrund des Beitritts der Republik Kroatien, ABlEU L 158 v. 10.6.2013, S. 193, im Folgenden bezeichnet als „FFH-Richtlinie“. 7 Siehe instruktiv zu diesem Anliegen der FFH-Richtlinie M. Gellermann, Natura 2000. Europäischer Habitatschutz und seine Durchführung in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 2001, S. 13 ff. 8 Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.11.2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABlEU L 20 v. 26.1.2010, S. 7, zuletzt geändert durch Richtlinie 2013/17/EU des Rates v. 13.5.2013 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Umwelt aufgrund des Beitritts der Republik Kroatien, ABlEU L 158 v. 10.6.2013, S. 193; im Folgenden: VRL. 9 Siehe hierzu die Angaben des BfN unter https://www.bfn.de/themen/natura-2000/natura-2 000-gebiete.html (Stand: 27.3.2019).

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mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebietes hin zu überprüfen sind, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebietes dienen. Damit richtet § 34 Abs. 1 S. 1 FFH-Richtlinie den Fokus der FFH-Verträglichkeitsprüfung zunächst auf das einzelne, prüfgegenständliche Projekt10. Darüber hinaus sind die zu ermittelnden Auswirkungen des prüfgegenständlichen Vorhabens aber auch „im Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten“ zu bewerten11. Die in diesem Tatbestandsmerkmal angelegte sog. Kumulationsprüfung verlangt eine Bewertung der Gesamtwirkungen, denen ein Schutzgebiet ausgesetzt ist, unter Einbeziehung der Auswirkungen des prüfgegenständlichen Projekts und anderer hinreichend verfestigter Projekte12. Ab wann von hinreichend verfestigten Projekten ausgegangen werden kann, wurde in der Vergangenheit in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt13 und ist daher auch Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Insgesamt soll durch die Kumulationsprüfung verhindert werden, dass die Erhaltungsziele schrittweise durch nacheinander genehmigte Projekte, von denen jedes für sich genommen FFH-verträglich ist, erheblich beeinträchtigt werden14. Aus der Kumulationsprüfung resultieren die vorstehend bereits angesprochenen Verteilungswirkungen innerhalb des FFH-Rechts. Diese treten insbesondere dann auf, wenn Belastungskontingente von Natura 2000-Schutzgebieten fast ausgeschöpft oder gar überschritten sind15. In diesen Konstellationen können – vorbehaltlich einer Ausnahme nach § 34 Abs. 3 – 5 BNatSchG – von mehreren parallelen Genehmigungsanträgen nicht alle zugelassen werden16. Entscheidend ist dann, welchem Projekt nach welchen Kriterien in der Kumulation Vorrang gebührt. Die Gerichte behelfen sich zur Bestimmung der Rangfolge paralleler Pläne und Projekte mit dem Kriterium zeitlicher Priorität17. Danach steht dasjenige Projekt im Rang vor, dessen 10

F. Fellenberg, NVwZ 2019, S. 177 (177). F. Fellenberg, NVwZ 2019, S. 177 (177). 12 BVerwG, Urt. v. 5.9.2012 – 7 B 24/12, NVwZ-RR 2012, S. 922 Rn. 12; S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 98. 13 In der Rechtsprechung wird hier zwischen dem Vorliegen prüffähiger Antragsunterlagen und dem Zulassungszeitpunkt unterschieden: Für den Zeitpunkt des Vorliegens vollständiger prüffähiger Unterlagen siehe OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 632; für den Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 19; Urt. v. 21.5.2008 – 9 A 68.07, juris – Rn. 21; Urt. v. 24.11.2011 – 9 A 23.10, BVerwGE 141, 171 Rn. 40. 14 BVerwG, Urt. v. 5.9.2012 – 7 B 24/12, NVwZ-RR 2012, S. 922 Rn. 12. 15 Siehe ausführlich zu Konkurrenzen im Anlagenzulassungsrecht, die insbesondere durch den FFH-Gebietsschutz zugespitzt werden, O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 ff. 16 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 621; Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 460. 17 OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 622 ff.; Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 461 ff. 11

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Einleitung

Auswirkungen zuerst hinreichend konkret vorhersehbar sind18. Gegenüber einem solchen Vorgehen bestehen aus gleich mehreren Gründen Bedenken: So ist zunächst fraglich, ob eine Lösung nach dem Prioritätsprinzip mit den einfachrechtlichen Vorgaben der jeweiligen Trägerverfahren vereinbar ist; zugleich stellen Konkurrenzsituationen stets Konstellationen dar, in denen unterschiedliche Grundrechtsinteressen aufeinander treffen. Die Zulassungsentscheidung für den einen Projektträger kann dazu führen, dass dieser in den Genuss verbliebener Belastungskontingente und damit seiner grundrechtlichen Freiheiten kommt, während einem zeitlich nachrangigen Projektträger die Freiheitsausübungsmöglichkeit in Gänze versagt wird19. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht daher die Frage, wie mit den in der Kumulation auftretenden Konkurrenzsituationen umzugehen ist. Als Direktive dient dabei die übergeordnete These, dass die Kumulation in der FFH-Verträglichkeitsprüfung Verteilungswirkungen verursacht, die nicht allein anhand zeitlicher Priorität auflösbar sind. Vielmehr lassen sich die allgemeinen Grundsätze der öffentlich-rechtlichen Verteilungslenkung auf die Kumulation übertragen. Daraus folgt, dass es zur Auflösung der Konkurrenzsituationen in der Kumulation eines umfassenderen gesetzgeberischen Ansatzes bedarf. Die Untersuchung legt dabei einen besonderen Fokus auf den Wirkfaktor „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag“20. Dieser Zuschnitt bietet sich aus mehreren Gründen an: Zum einen erlangte dieser Wirkfaktor in jüngster Vergangenheit – insbesondere auch in Bezug auf Verteilungswirkungen in der Kumulation – eine gewisse Relevanz21, welche angesichts der hohen Hintergrundbelastung absehbar nicht nachlassen wird, wie die mittlerweile rege Diskussion in der Fachliteratur um die Erheblichkeitsbewertung stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung dokumentiert22; zum anderen erleichtert die bereits erfolgte fach18 OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 632; Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 470; auch die jüngste Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Rechtssache Trianel dürfte an der grundsätzlichen Geltung des Prioritätsprinzips nichts geändert haben. Die Priorität wird hier über den Zeitpunkt der Zulassung vermittelt, siehe BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 19. 19 Vgl. O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (278). 20 Das online unter http://ffh-vp-info.de/FFHVP/Page.jsp (Stand: 27.3.2019) abrufbare „Fachinformationssystem des Bundesamtes für Naturschutz zur FFH-Verträglichkeitsprüfung“ (kurz: FFH-VP-Info) führt in seiner Aufzählung von Wirkfaktoren unter Nr. 6. 1 den Wirkfaktor „Stickstoff- u. Phosphatverbindungen/Nährstoffeintrag“. Für den hiesigen Untersuchungszweck wird dieser Wirkfaktor im Folgenden verkürzt als Wirkfaktor „Stickstoffverbindungen/ Nährstoffeintrag“ bezeichnet. 21 Siehe beispielhaft BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 ff.; Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17.11, BVerwGE 145, 40; Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5.08, BVerwGE 136, 291; OVG Magdeburg, Urt. v. 8.6.2018 – 2 L 11/16; OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK; Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK. 22 Siehe beispielhaft für die fachwissenschaftliche Diskussion die Ausarbeitungen bei S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013; Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissions-

Einleitung

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wissenschaftliche Fundamentbildung hinsichtlich des Wirkfaktors „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag“ eine Darstellung des der Kumulation innewohnenden Verteilungsproblems. So lässt sich beispielsweise anhand der für Stickstoffeinträge entwickelten schutzgut- und eingriffsbezogenen Erheblichkeitsschwellen (Critical Loads, Bagatellschwellen, Abschneidekriterien)23 veranschaulichen, inwiefern Belastungskontingente in der Kumulation verfügbar bzw. Belastungsbeiträge tolerierbar oder gar unerheblich sind. Ein weiterer Schwerpunkt soll ferner auf das immissionsschutzrechtliche Zulassungsverfahren gelegt werden, da nach dem BImSchG genehmigungspflichtige Verbrennungs- und Tierhaltungsanlagen maßgeblich zur Stickstoffbelastung beitragen24. Vor diesem Hintergrund führt ein erster Teil zunächst unter Darstellung der fachlichen Hintergründe zur Stickstoffbelastung in Deutschland und der Grundzüge der FFH-Verträglichkeitsprüfung in die Konkurrenzen stickstoffemittierender Projekte in der Kumulation ein (1. Kap.). Sodann wird aufgezeigt, dass der von der Rechtsprechung präferierte Entscheidungsmaßstab für diese Konkurrenzen in Form des Prioritätsprinzip angesichts seiner Unvereinbarkeit mit unions-, verfassungs- und einfachrechtlichen Vorgaben einen unzureichenden Verteilungsmaßstab bei parallelen Genehmigungsanträgen darstellt (2. Kap.). Es ist daher zu fragen, inwiefern die Kumulation stickstoffemittierender Projekte einem rechtmäßigen Lösungsansatz zugeführt werden kann. Als maßgebliche Direktive für eine sachgerechte Auflösung der Konkurrenzen in der Kumulation dient dabei die Hauptthese dieser Arbeit, welche im dritten Teil entwickelt wird: Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte verursacht Verteilungswirkungen, auf die die rechtlichen Vorgaben der öffentlich-rechtlichen Verteilungsordnung übertragbar sind (3. Kap.). Anhand dieser Vorgaben ist schließlich ein rechtlicher Maßstab für die Verteilungsentscheidung in der Kumulation zu entwickeln (4. Kap.), auf dessen Grundlage im fünften Teil ein eigener Lösungsansatz für die Kumulation stickstoffemittierender Projekte formuliert wird (5. Kap.). Dieser Lösungsansatz – das sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen – setzt sich zusammen aus ergänzenden Regelungsvorschlägen für schutz, Leitfaden zur Ermittlung und Bewertung von Stickstoffeinträgen, 2012, abrufbar unter http://stickstoff.naturschutzinformationen-nrw.de/site/files/stickstoff/einleitung/LAI_N-Leitfa den_Langfassung_März_2012.pdf (Stand: 27.3.2019); R. Uhl u. a., Assessing impacts of nitrogen emissions on Natura 2000 sites in Germany, in: W. K. Hicks u. a. (Hrsg.), Nitrogen Deposition and Natura 2000 – Science and Practice in Determining Environmental Impacts, 2011, S. 44 ff.; Kieler Institut für Landschaftsökologie (KIfL), Bewertung von Stickstoffeinträgen im Kontext der FFH-Verträglichkeitsstudie, 2008; S. Balla u. a., Waldökologie, Landschaftsforschung und Naturschutz 2014, S. 43 ff.; P. Kersandt, I+E 2014, S. 117 ff.; M. Kohls/ U. Mierwald/A. Zirwitz, ZUR 2014, S. 150 ff.; R. Uhl/S. Balla, Methodik zur Bewertung der Erheblichkeit von Stickstoffeinträgen in FFH-Lebensraumtypen, in: D. Bernotat/V. Dierschke/ R. Grunewald (Hrsg.), Bestimmung der Erheblichkeit und Beachtung von Kumulationswirkungen in der FFH-Verträglichkeitsprüfung, 2017, S. 273 ff. 23 Siehe hierzu ausführlich § 1 B. IV. 24 M. Gellermann, NuR 2016, S. 225 (226); daneben resultiert ein Großteil der Stickstoffeinträge aus dem Verkehrssektor (diesem entstammen ca. 15 % des gesamten emittierten Stickstoffs in Deutschland), siehe hierzu S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 47.

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das BNatSchG und die TA Luft. Diese lassen sich unter Umständen perspektivisch auch für andere, sich dynamisch entwickelnde Umweltprüfungen [wie z. B. die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) gemäß den Regelungen des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes (UVPG)] fruchtbar machen.

1. Kapitel

Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte verursacht Konkurrenzprobleme. Diese für die hiesige Untersuchung wesentliche Feststellung und deren rechtliche Brisanz bedarf im Folgenden einer theoretischen Unterfütterung. Hierzu erfolgt zunächst eine Einführung in die allgemeinen fachlichen Hintergründe zur Stickstoffbelastung in Deutschland (A.). Anschließend werden die einzelnen Verfahrensschritte der FFH-Verträglichkeitsprüfung sowie die Grundzüge der Erheblichkeitsbewertung unter besonderer Bezugnahme auf den Wirkfaktor „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag“ vorgestellt (B.). Sodann soll auf die der Kumulation inhärenten Konkurrenzsituationen eingegangen werden (C.).

A. Fachliche Hintergründe zur Stickstoffbelastung in der Bundesrepublik Deutschland Eutrophierende und versauernde Stickstoffeinträge in terrestrischen Ökosystemen entstammen in erster Linie diffusen atmosphärischen Stickstoffdepositionen1. „Mit dem Begriff Deposition ist [grundsätzlich] die direkte Aufnahme von stickstoffhaltigen Gasen durch Pflanzen aus der Atmosphäre über die Spaltöffnungen gemeint.“2 Stickstoff ist ein wichtiger Makronährstoff für Pflanzen und in seinem natürlichen Vorkommen eigentlich ein limitierender Faktor3. Dennoch zeichnen sich Stickstoffeinträge heutzutage für gravierende Umweltprobleme verantwortlich, denn Stickstoff ist mittlerweile in Mitteleuropa im Überschuss vorhanden4. Die Gründe hierfür sind vor allem in der Industrialisierung mitsamt der Verbrennung fossiler Brennstoffe sowie der intensivierten Landwirtschaft zu suchen5. Relevant ist insbesondere der sich im Boden ablagernde Stickstoff, da die meisten höheren Pflanzen den Stickstoff vor allem über ihre Wurzeln und nicht etwa über ihre Blätter auf-

1 2 3 4 5

S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 47. S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 47. S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 45 f., 49. K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (121). K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121; S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 46 f.

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

nehmen6. Neben der Eutrophierung führt ein erhöhtes Stickstoffangebot auch zu einer fortschreitenden Versauerung der Böden7. Hieraus resultieren vielfältige Veränderungen in der Flora und auch Fauna8: Ein erhöhtes Stickstoffangebot führt zunächst dazu, dass sich der Anteil anderer Elemente an der Zellmasse relativ reduziert9. Derartige Nährstoffungleichgewichte in den pflanzlichen Zellen führen zu einer verringerten Resistenz der betroffenen Pflanzen gegenüber Krankheiten und Schädlingsbefall10. Auch das Wachstum der Pflanzenorgane verändert sich11. Regelmäßig tritt eine erhöhte Blattmassbildung auf, die solange anhält, „bis andere Nährelemente, z. B. Phosphor oder Kalium, in eine Minimumsituation geraten, ein Nährstoffungleichgewicht auftritt oder die parallel einhergehende Bodenversauerung wachstumsbestimmend wird.“12 Diese Faktoren können sich dann sogar wachstumshemmend auswirken13. Ferner erhöht sich die Anfälligkeit von Pflanzen gegenüber Klimaextremen wie etwa Frost und Trockenheit14. Hierfür ursächlich ist zum einen die erhöhte Blattmasse und zum anderen eine abnehmende Feinwurzelbildung15. Ein erhöhtes Stickstoffaufkommen schränkt die Neubildung und Funktion der Feinwurzeln sowie der mit den Feinwurzeln zusammenlebenden Wurzelpilze ein16. Auch die Regulierung des Nährstoff- und Wasserhaushalts wird dadurch beeinträchtigt17. Die beschleunigte Bodenversauerung wiederum vermag indirekt auch schwach gepufferte Gewässer zu beeinträchtigen18. Für den Naturschutz spielt der gesteigerte Prozess der Eutrophierung durch Stickstoff eine große Rolle19. Dabei handelt es sich um die Zunahme der Biomasseproduktion aufgrund eines erhöhten Nährstoffaufkommens20. Aus der Eutrophierung folgt, dass Pflanzen, die einen nährstoffarmen Boden bevorzugen, aufgrund ihres im Vergleich langsameren Wachstums zunehmend durch stickstoffliebende und

6

S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 50 f.; K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (121). K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (121). 8 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (121). 9 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 52. 10 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 52. 11 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 52. 12 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 52. 13 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 52 f. 14 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 53 f. 15 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 53 f. 16 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 53. 17 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 53. 18 S. Balla u. a., Waldökologie, Landschaftsforschung und Naturschutz 2014, S. 43 (44). 19 S. Balla u. a., Waldökologie, Landschaftsforschung und Naturschutz 2014, S. 43 (44). 20 S. Balla u. a., Waldökologie, Landschaftsforschung und Naturschutz 2014, S. 43 (44). 7

A. Fachliche Hintergründe zur Stickstoffbelastung in der BRD

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daher schneller wachsende Pflanzen verdrängt werden21. Das Resultat der Eutrophierung ist daher grundsätzlich ein Verlust an Biodiversität. Während der Flächenanteil mit Überschreitungen der Belastungsgrenzen für Versauerung in Deutschland zwischen 1980 und 2010 aufgrund von Luftreinhaltemaßnahmen von 95 % auf 18 % abnahm22, ist die Belastung mit eutrophierenden Stickstoffeinträgen nach wie vor hoch. So sind die ökologischen Belastungsgrenzen für eutrophierende Stickstoffeinträge gemäß den letzten belastbaren Daten aus dem Jahr 2009 in etwa der Hälfte aller Flächen empfindlicher Ökosysteme überschritten23. Verantwortlich hierfür sind vornehmlich die durch Tierhaltung und Düngemittelausbringung hohen Ammoniak-Emissionen24. Insgesamt stammen gemäß veröffentlichter Daten des Umweltbundesamtes aus dem Jahre 2015 63 % des emittierten reaktiven Stickstoffs in Deutschland aus dem Landwirtschaftssektor und 13 % aus dem Verkehrssektor25. Eine weitere bedeutende Emissionsquelle sind Industrieanlagen26. Eine konkrete Zuordnung der entsprechenden Wirkungen lässt sich allerdings kaum bewerkstelligen27. So lagern sich die Depositionen teilweise weit entfernt von der jeweiligen Emissionsquelle ein28 und auch die Wirkungen schlagen sich mit erheblicher Verzögerung, zum Teil erst nach ca. 50 Jahren, nieder29. Fachwissenschaftlich wird in diesen Situationen die Anwendung sog. Critical Loads (kritische Eintragsraten) befürwortet30. „Unter dem Begriff critical loads sind ganz allgemein naturwissenschaftlich begründete Belastungsgrenzen in Bezug auf Stoffeinträge für verschiedene empfindliche Rezeptoren (von Ökosystemen, Teilökosystemen und Organismen bis hin zu Materialien) zu verstehen.“31

21 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (121); S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 52; R. Bobbinck u. a., Ecological Applications 20 (2010), S. 30 (43). 22 Umweltbundesamt, Umwelt und Landwirtschaft. Daten zur Umwelt 2018, 2018, S. 77, abrufbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/ uba_dzu2018_umwelt_und_landwirtschaft_web_bf_v7.pdf (Stand: 27.3.2019). 23 Umweltbundesamt, Umwelt und Landwirtschaft. Daten zur Umwelt 2018, 2018, S. 75. 24 Umweltbundesamt, Umwelt und Landwirtschaft. Daten zur Umwelt 2018, 2018, S. 77. 25 Umweltbundesamt, Reaktiver Stickstoff in Deutschland. Ursachen, Wirkungen, Maßnahmen, 2015, S. 23 (Tab. 2); siehe hierzu auch Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Stickstoffeintrag in die Biosphäre. Erster Stickstoff-Bericht der Bundesregierung, 2017, S. 18 (Tab. 1). 26 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (121 f.). 27 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (122). 28 K.-U. Battefeld, NuL 2010, S. 372 (373); K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (122). 29 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (122); S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 116, 211. 30 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (122). 31 S. Balla, NuL 2005, S. 169 (172) (Hervorhebung im Original).

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

Sie markieren Eintragsraten von Luftschadstoffen, bis zu deren Erreichen über einen langfristigen Zeitraum von 10 bis 100 Jahren mit keinen signifikanten schädlichen Effekten an Ökosystemen und Teilen davon zu rechnen ist32.

B. Grundzüge und Grundlagen der FFH-Verträglichkeitsprüfung stickstoffemittierender Projekte Die Bewertung stickstoffemittierender Projekte in der Kumulation setzt eine überblicksartige Einführung in in die FFH-Verträglichkeitsprüfung voraus. Hierzu soll im Folgenden in gebotener Kürze auf den Begriff des „Projekts“ als Untersuchungsgegenstand (I.) und die wesentlichen Verfahrensschritte der FFH-Verträglichkeitsprüfung (II.) eingegangen werden. Im Anschluss werden die Kumulation selbst (III.) sowie die Erheblichkeitsbewertung stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung (IV.) dargestellt.

I. Stickstoffemittierende Anlagen als Projekt i. S. d. § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG: Der Untersuchungsgegenstand der FFH-Verträglichkeitsprüfung Gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung oder ihrer Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000Gebietes hin zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebietes dienen. Diese Vorschrift geht unionsrechtlich auf Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie zurück. Zentraler Prüfgegenstand einer FFH-Verträglichkeitsprüfung ist mithin das „Projekt“. Der Projektbegriff wird allerdings weder in der FFH-Richtlinie noch in § 7 BNatSchG definiert und ist daher auslegungsbedürftig. Versuche des deutschen Gesetzgebers, den Begriff zu konkretisieren, hat der Europäische Gerichtshof als nicht ordnungsgemäße Umsetzung des Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie verworfen33. 32 S. Balla, NuL 2005, S. 169 (172); siehe instruktiv zu Critical Loads auch H.-D. Nagel/H.D. Gregor (Hrsg.), Ökologische Belastungsgrenzen – Critical Loads & Levels, 1999; zur hier vertretenen Zeitspanne von 10 – 100 Jahren siehe C. Streffer u. a., Umweltstandards, 2000, S. 265 Tab. 2.5 – 4; „[d]er Stickstoffeintrag wird üblicherweise angegeben als Massenfluss in der Einheit Kilogramm Stickstoff je Hektar und Jahr (kg N ha-1 a-1)“, S. Balla u. a., I+E 2013, S. 203 (204 Fn. 5); siehe zu Critical Loads und der Unterscheidung zwischen empirischen und modellierten Critical Loads ausführlich auch 1. Kap. B. IV. 1. 33 EuGH, Urt. v. 10.1.2006 – C-98/03, ECLI:EU:C:2006:3, Rn. 40 ff.; S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 14.

B. Grundzüge und Grundlagen der FFH-Verträglichkeitsprüfung

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Nach der Literatur34 und Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs35 bietet sich für die Bestimmung des Projektbegriffs ein Rückgriff auf die in Art. 1 Abs. 2 a) UVP-Richtlinie36 enthaltene Definition des „Projekts“ an. Danach handelt es sich bei einem Projekt um - die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen sowie - sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen. Im Wege unionsrechtskonformer Auslegung gilt dieser Projektbegriff daher auch im Rahmen des § 34 Abs. 1 BNatSchG. Freilich erschöpft sich der Definitionsversuch des Projektbegriffs nicht im Rekurs auf die UVP-Richtlinie. So hilft die Orientierung an Art. 1 Abs. 2 a) UVP-Richtlinie zur Auslegung des Projektbegriffs nicht darüber hinweg, dass auch „die sonstigen Eingriffe in Natur und Landschaft“ der Auslegung bedürfen. Da die für den hiesigen Untersuchungsgegenstand wesentlichen stickstoffemittierenden Anlagen regelmäßig bauliche oder sonstige Anlagen darstellen, sind diese allerdings zweifellos vom Projektbegriff umfasst. Auf weitere Ausführungen zum Projektbegriff kann an dieser Stelle daher verzichtet werden37. 34 So auch die ganz herrschende Lehre: J. Schumacher/A. Schumacher, in: J. Schumacher/ P. Fischer-Hüftle (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2011, § 34 Rn. 16; A. Epiney, Zu den spezifischen Vorgaben für Pläne und Projekte (Art. 6 Ab. 3, 4 RL 92/43), in: dies./ N. Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, 2. Teil 6. Kap., S. 91 (94); M. Gellermann, Natura 2000. Europäischer Habitatschutz und seine Durchführung in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 2001, S. 76; H. D. Jarass, ZUR 2000, S. 183 (185); C. Freytag/K. Iven, NuR 1995, S. 109 (113). 35 EuGH, Urt. v. 7.9.2004 – C-127/02, ECLI:EU:C:2004:482, Rn. 23 ff.; Urt. v. 14.1.2010 – C-226/08, ECLI:EU:C:2010:10, Rn. 38. 36 Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABlEU L 26 v. 28.1.2012, S. 1, zuletzt geändert durch Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.4.2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABlEU L 124 v. 25.4.2014, S. 1. 37 Grundsätzlich ist mit dem Bundesverwaltungsgericht ein wirkungsbezogenes Verständnis des Projektbegriffs zu präferieren, siehe BVerwG, Urt. v. 10.4.2013 – 4 C 3.12, BVerwGE 146, 176 Rn. 29; BVerwG, Urt. v. 19.12.2013 – 4 C 14.12, BVerwGE 149, 17 Rn. 28. Ein Projekt liegt danach vor, wenn eine Tätigkeit geeignet ist, die Erhaltungsziele eines Schutzgebietes „erheblich zu beeinträchtigen“ (Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie, § 34 Abs. 1 S. 1 BNatschG). Der Projektbegriff umfasst danach nicht nur klassische Eingriffsvorhaben (z. B. Verkehrswegebau, Hochspannungsfreileitungen), sondern ebenso sämtliche, habitatbeeinträchtigende Tätigkeiten, wie etwa die Unterhaltung von Fließgewässern oder Tiefflüge mit Flugzeugen, siehe hierzu instruktiv M. Gellermann, in: R. v. Landmann/G. Rohmer u. a. (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. II, Umweltrecht Besonderer Teil, 11. Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), § 34 (2014) Rn. 7; dieses rein wirkungsbezogene Verständnis wird teilweise als zu weitgehend aufgefasst. Insbesondere Meßerschmidt nimmt Anstoß an einer befürchteten Konturlosigkeit des „Projekts“. Die abstrakte Gefährdung als einziger Maßstab zur Bestimmung eines Projektes spreche der Begriffswahl „Projekt“ durch den Richtliniengeber jede Bedeutung ab und sei insofern unzulässig, siehe hierzu K. Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, § 13

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

II. Die wesentlichen Verfahrensschritte der FFH-Verträglichkeitsprüfung Aus Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie und der nationalen Umsetzungsvorschrift des § 34 Abs. 1 BNatSchG folgt des Weiteren, dass die FFH-Verträglichkeitsprüfung – die Ausnahmeprüfung gem. § 34 Abs. 3 – 5 BNatSchG, die auf Art. 6 Abs. 4 FFHRichtlinie beruht, einmal ausgenommen – in zwei Schritten abläuft38 : Zunächst ist durch eine Vorprüfung bzw. Erheblichkeitseinschätzung (dem sog. Screening)39 zu ermitteln, ob eine FFH-Verträglichkeitsprüfung überhaupt erforderlich ist. Das Bundesverwaltungsgericht sieht diese Prüfung als obligatorisch an40. Maßstab der Vorprüfung ist, dass erhebliche Beeinträchtigungen anhand objektiver Umstände unter Berücksichtigung besonderer Merkmale und Umweltbedingungen des betroffenen Natura 2000-Gebiets nicht ohne vernünftige Zweifel auszuschließen sind41. „,Erheblichkeit‘ meint mithin ,erhaltungszielrelevant‘“42. Die Schwelle der Erheblichkeit soll dabei dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung tragen43. Nicht jedes Vorhaben soll „FFH-pflichtig“ sein, um einer Überregulierung vorzubeugen44. „Kann nicht anhand leicht ermittelbarer Umstände offensichtlich ausgeschlossen werden, dass es zu solchen Beeinträchtigungen kommt, ist in einem zweiten Schritt dieser eventuellen Erhaltungszielrelevanz im Wege der FFH-Verträglichkeitsprüfung vertieft nachzugehen.“45 Wie sich aus § 34 Abs. 6 BNatSchG ergibt, ist die

Rn. 77; zustimmend F.-J. Peine, Projekt und Saldierung in der habitatrechtlichen Verträglichkeitsprüfung, in: M. Kment (Hrsg.), Das Zusammenwirken von deutschem und europäischem Öffentlichen Recht. Festschrift für Hans D. Jarass zum 70. Geburtstag, S. 349 (352); ergänzend sei noch angemerkt, dass das Bundesverwaltungsgericht darüber hinaus die Frage aufgeworfen hat, ob der wirkungsbezogene Projektbegriff mit Blick auf das in § 33 BNatSchG geregelte allgemeine Veränderungs- und Störungsverbot aus systematischen Gründen einer weitergehenden Ergänzung um das Merkmal eines „planmäßigen Einwirkens auf Schutzgebiete“ bedarf, siehe BVerwG, Urt. v. 10.4.2013 – 4 C 3.12, BVerwGE 146, 176 Rn. 30, siehe hierzu instruktiv S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 19 ff. 38 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (123). 39 BVerwG, Urt. v. 29.9.2011 – 7 C 21.09, NVwZ 2012, S. 176 Rn. 40. 40 BVerwG, Urt. v. 18.12.2014 – 4 C 35.13, NVwZ 2015, S. 656 Rn. 33; Urt. v. 10.4.2013 – 4 C 3.12, BVerwGE 146, 176 Rn. 10. 41 EuGH, Urt. v. 7.9.2004 – C-127/02, ECLI:EU:C:2004:482, Rn. 44, 49; Urt. v. 26.5.2011 – C-538/09, ECLI:EU:C:2011:349, Rn. 39; BVerwG, Urt. v. 18.12.2014 – 4 C 35.13, NVwZ 2015, S. 656 Rn. 33; Urt. v. 29.9.2011 – 7 C 21.09, NVwZ 2012, S. 176 Rn. 40; Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20.05, BVerwGE 128, 1 Rn. 60. 42 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (123); vgl. BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20.05, BVerwGE 128, 1 Rn. 41. 43 BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25.12, BVerwGE 149, 289 Rn. 48. 44 GAin E. Sharpston, Schlussanträge v. 22.11.2012 – C-258/11, ECLI:EU:C:2012:743, Rn. 48. 45 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (123).

B. Grundzüge und Grundlagen der FFH-Verträglichkeitsprüfung

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FFH-Verträglichkeitsprüfung grundsätzlich ein unselbstständiger Teil des fachrechtlichen Genehmigungsverfahrens46. Die FFH-Verträglichkeitsprüfung verlangt, dass auf Grundlage der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse ermittelt wird, ob die Verwirklichung eines Projekts zu erheblichen Beeinträchtigungen der für ein Natura 2000-Gebiet festgelegten Erhaltungsziele führt47. Zur Bewertungsmethodik der Verträglichkeitsprüfung finden sich in Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie keine Vorgaben48. Aufgrund des Subsidiaritätsprinzips aus Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 EUV verbleibt die Bewertungsmethodik daher bei den Mitgliedstaaten49. Allerdings macht auch § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG als nationale Umsetzungsvorschrift des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie diesbezüglich keine Vorgaben. In der Praxis sind daher Leitfäden50, Fachkonventionen und Arbeitshilfen51 oder Fachinformationssysteme52 von Bedeutung. Sie fördern die Standardisierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung und dienen den Behörden als Orientierungshilfe53. Mittlerweile hat das Bundesverwaltungsgericht mehrere Fachkonventionen und Arbeitshilfen ausdrücklich in seiner Rechtsprechung anerkannt54. 46 BVerwG, Urt. v. 10.4.2013 – 4 C 3.12, BVerwGE 146, 176 Rn. 11; S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 50. 47 EuGH, Urt. v. 21.7.2016 – C-387/15, C-388/15 (verbundene Rechtssachen), ECLI:EU:C:2016:583, Rn. 51; Urt. v. 11.4.2013 – C-258/11, ECLI:EU:C:2013:220, Rn. 40; Urt. v. 7.9.2004 – C-127/02, ECLI:EU:C:2004:482, Rn. 54, 61. 48 EuGH, Urt. v. 7.9.2004 – C-127/02, ECLI:EU:C:2004:482, Rn. 52; unter besonderer Bezugnahme auf die Kumulationsprüfung so auch U. Hösch, UPR Sonderheft 2016, S. 421 (424). 49 U. Hösch, UPR Sonderheft 2016, S. 421 (424). 50 Siehe hier insbesondere die Leitfäden der Europäischen Kommission zur besseren und einheitlicheren Umsetzung der FFH-Richtlinie und Vogelschutzrichtlinie (Guidance Documents), abrufbar unter http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/guidan ce_en.htm (Stand: 27.3.2019); siehe auch den jüngst Europäische Kommission, Vermerk der Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement: Die Vorgaben des Artikels 6 der HabitatRichtlinie 92/43/EWG, 2018, abrufbar unter http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2 000/management/docs/art6/Provisions_Art_6_nov_2018_de.pdf (Stand: 27.3.2019). 51 Beispielhaft seien genannt H. Lambrecht/J. Trautner, BfN-Leitfaden, 2007; S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013; Landesumweltamt Brandenburg, Vollzugshilfe zur Ermittlung erheblicher und irrelevanter Stoffeinträge in Natura 2000-Gebiete, 2008; siehe für eine umfassende Übersicht der Standards zur gebiets- und artenschutzrechtlichen Prüfung K. Wulfert u. a., Standardisierungspotenzial im Bereich der arten- und gebietsschutzrechtlichen Prüfung, FuEVorhaben FKZ 3512 82 2100 im Auftrag des BfN, 2015, S. 196 ff. 52 Hier ist das bereits in Fn. 20 der Einleitung genannte Online-Fachinformationssystem des BfN zur FFH-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP-Info) von Bedeutung. 53 Vgl. S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 65. 54 Siehe hierzu die Aufzählung bei S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 67.

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

Ergibt die Prüfung, dass das Projekt ein Natura 2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen würde, so ist es zunächst unzulässig gem. § 34 Abs. 2 BNatSchG. Die Verwirklichung des jeweiligen Projekts ist dann als letzter Schritt nur noch über den Umweg einer Ausnahmeprüfung gem. § 34 Abs. 3 – 5 BNatSchG möglich55. Zu einer solchen Ausnahme bedarf es kumulativ zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses, keiner zumutbaren Alternativen bzw. Alternativstandorte und ausreichender Kohärenzsicherungsmaßnahmen. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind Art. 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie und damit auch § 34 Abs. 3 – 5 BNatSchG als Ausnahmevorschriften eng auszulegen56.

III. Die Kumulation Gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG sind die Auswirkungen des prüfgegenständlichen Projekts auf Schutzgebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nicht nur gesondert, sondern „in Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten“ zu ermitteln. Auch die Einbeziehung kumulativer Effekte orientiert sich wie die „herkömmliche“ FFH-Verträglichkeitsprüfung am Schutzmaßstab der festgelegten Erhaltungsziele eines potentiell betroffenen Natura 2000-Gebietes. Vor deren Hintergrund erfolgt die Bestandsermittlung sowie die Feststellung der Wirkpfade des prüfgegenständlichen Vorhabens. Darüber hinaus sind in der Kumulation die Pläne und Projekte zu ermitteln, die aufgrund ihrer Wirkpfade im Zusammenwirken mit dem prüfgegenständlichen Vorhaben Erhaltungsziele eines Natura 2000-Gebiets beeinträchtigen können. Stellt sich nach Abschluss der Kumulation heraus, dass eine solch erhebliche Beeinträchtigung droht, ist das prüfgegenständliche Vorhaben – auch hier vorbehaltlich einer Abweichungsprüfung gem. § 34 Abs. 3 – 5 BnatSchG – nicht zulassungsfähig gem. § 34 Abs. 2 BNatSchG. Dies gilt unabhängig davon, ob das Vorhaben für sich genommen FFH-verträglich wäre. Im Ansatz weicht die Kumulationsmethodik daher nicht von der grundsätzlichen Methodik der FFH-Verträglichkeitsprüfung ab. Allgemein orientiert sich die Kumulation an den Kategorien - der bestehenden Vorbelastung und - der Zusatzbelastung, bestehend aus dem prüfgegenständlichen Projekt und den kumulierenden Plänen und Projekten.57 55 Instruktiv zur abweichenden Zulassung trotz Unverträglichkeit siehe S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 134 ff. 56 EuGH, Urt. v. 14.1.2016 – C-399/14, ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 73; Urt. v. 16.2.2012 – C182/10, ECLI:EU:C:2012:82, Rn. 73; Urt. v. 20.9.2007 – C-304/05, ECLI:EU:C:2007:532, Rn. 82. 57 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (150); U. Hösch, UPR Sonderheft 2016, S. 421 (427); vgl. S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundes-

B. Grundzüge und Grundlagen der FFH-Verträglichkeitsprüfung

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Wie die kumulierenden Projekte und Pläne, also die „anderen Pläne und Projekte“ im Sinne des § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG, zu bestimmen und damit von der ansonsten auf die Schutzgebiete einwirkenden Vorbelastung abzugrenzen sind, ist fraglich. Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie schweigt hierzu und auch der deutsche Gesetzgeber sah sich nicht veranlasst, eine konkrete Bewertungsmethodik in den §§ 31 ff. BNatSchG vorzugeben. Folglich bleibt deren Entwicklung den verfahrensführenden Behörden überlassen.

IV. Die Erheblichkeitsbewertung stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung Das abstrakte Tatbestandsmerkmal „erheblich“ in § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG erfährt durch sog. Erheblichkeitsschwellen eine gewisse Konturierung. Allgemein markieren Erheblichkeitsschwellen Maßstäbe für Belastungsgrenzen und die Beurteilung projektbedingter Auswirkungen. Hierbei ist mit dem Bundesverwaltungsgericht zum einen zwischen schutzgutbezogenen Reaktions- und Belastungsschwellen (1.) und zum anderen eingriffsbezogenen Bagatellschwellen und Abschneidekriterien (2.) zu unterscheiden58. Möckel ist darin zuzustimmen, dass „die Abgrenzungen fließend sind, da die Bagatellschwellen regelmäßig auf verallgemeinerten, gebietsunspezifischen Belastungsschwellen aufbauen“59. In jüngster Vergangenheit sind insbesondere Bagatellschwellen und Abschneidekriterien vermehrt Gegenstand von Gerichtsentscheidungen60, Fachkonventionen und Arbeitshilfen61 gewesen, was ihre Bedeutung für die Praxis unterstreicht62.

naturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 98; vgl. BVerwG, Urt. v. 9.2.2017 – 7 A 2.15, BVerwGE 158, 1 Rn. 220. 58 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20.05, BVerwGE 128, 1 Rn. 44 – 51; vgl. S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 108. 59 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 108. 60 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 ff.; Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25.12, BVerwGE 149, 289; Beschl. v. 5.9.2012 – 7 B 24.12, NVwZ-RR 2012, S. 922 ff.; Urt. v. 29.9.2011 – 7 C 21.09, NVwZ 2012, S. 176 ff.; Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5.08, BVerwGE 136, 291; OVG Magdeburg, Urt. v. 8.6.2018 – 2 L 11/16; OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK; Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK. 61 Siehe beispielhaft für Bagatellschwellen bei projektbedingten direkten Flächenverlusten H. Lambrecht/J. Trautner, BfN-Leitfaden, 2007, S. 33 ff.; hinsichtlich straßenverkehrsbedingter Nährstoffeinträge siehe S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 216 ff. 62 Diese Bedeutung ebenfalls unterstreichend S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GKBNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 108.

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

1. Schutzgutbezogene Reaktions- und Belastungsschwellen: Critical Loads als Belastungsgrenze für Stickstoffeinträge Für die Bestimmung der Erheblichkeit von Belastungen eines Natura 2000-Gebietes sind zunächst schutzgutbezogene Reaktions- und Belastungsschwellen von Bedeutung63. Sie legen die für die jeweilige Art oder den jeweiligen Lebensraumtyp maximale Toleranzgrenze für Einwirkungen fest64. Die Toleranzgrenzen bemessen sich allerdings nicht nur in Abhängigkeit zur jeweiligen Art und zum jeweiligen Lebensraumtyp, sondern auch nach den konkreten Umständen im jeweils betroffenen Natura 2000-Gebiet65. „Reaktions- und Belastungsschwellen sind daher mit der erforderlichen Gewissheit nur gebietsbezogen bestimmbar“66. Dabei gilt: Je größer die vorhandene Belastung eines Natura 2000-Gebiets durch natürliche oder anthropogene Einflüsse ist, desto niedriger ist die Toleranzschwelle67. Jede Überschreitung der Toleranzgrenzen stellt vorbehaltlich eines etwaigen Bagatellvorbehalts68 eine erhebliche Beeinträchtigung dar69. Für den Wirkfaktor „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag“ gelten die bereits erwähnten sog. Critical Loads70 (kritische Eintragsraten) mittlerweile als anerkannte Belastungsschwellen in der Rechtsprechung71. Critical Loads markieren ganz allgemein naturwissenschaftlich hergeleitete Eintragsraten von Luftschadstoffen für verschiedene Umweltrezeptoren wie beispielsweise Ökosysteme oder Organismen, bis zu deren Erreichen über einen langfristigen Zeitraum von 10 bis 100 Jahren keine signifikanten schädlichen Effekte für die jeweiligen Umweltrezeptoren zu erwarten sind72. Üblicherweise werden die Stickstoffeinträge als Massenfluss in der Einheit Kilogramm Stickstoff je Hektar und Jahr (kg N ha-1 a-1) angegeben73. 63

Siehe hierzu umfassend S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 109 ff. 64 Vgl. S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 109. 65 BVerwG, Beschl. v. 26.2.2008 – 7 B 67.07, BauR 2008, S. 1128 Rn. 10; S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 109. 66 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 109; siehe auch BVerwG, Beschl. v. 26.2.2008 – 7 B 67.07, BauR 2008, S. 1128 Rn. 10. 67 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.11.2009 – 9 B 28.09, NVwZ 2010, S. 319 Rn. 3. 68 Dazu unten näher 1. Kap. B. IV. 2. a). 69 BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5.08, BVerwGE 136, 291 Rn. 91; Beschl. v. 10.11.2009 – 9 B 28/09, NVwZ 2010, S. 319 Rn. 6. 70 Siehe hierzu bereits 1. Kap. A.; siehe instruktiv zu Critical Loads ferner K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 ff.; S. Balla u. a., I+E 2013, S. 203 ff. 71 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 32; Beschl. v. 5.9.2012 – 7 B 24.12, NVwZ-RR 2012, S. 922 Rn. 7; Urt. v. 29.9.2011 – 7 C 21/09, NVwZ 2012, S. 176 Rn. 41; OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 506 ff.; OVG Magdeburg, Urt. 8.6.2018 – 2 L 11/16, juris – Rn. 141. 72 S. Balla, NuL 2005, S. 169 (172).

B. Grundzüge und Grundlagen der FFH-Verträglichkeitsprüfung

33

In der FFH-Verträglichkeitsprüfung tragen Critical Loads erheblich zur Konkretisierung und Operationalisierung von schutzgutbezogenen Reaktions- und Belastungsschwellen bei. Methodisch wird grundsätzlich zwischen empirischen (a) und modellierten (b) Critical Loads unterschieden74. a) Empirische Critical Loads Die Entwicklung der Critical Loads hat ihren Ursprung in der Konvention über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung (CLRTAP)75.76 Dieses völkerrechtliche Abkommen bildet die Basis für das International Cooperative Programme on Modelling and Mapping (ICP M&M)77. Anhand mehrjähriger Beobachtungen aus wissenschaftlichen Feldstudien und Experimenten werden im Rahmen des ICP M&M empirische Critical Loads, also Belastungsgrenzen, für repräsentative europäische Vegetationstypen definiert78. Die Ergebnisse werden dann in Form einer Überblicksliste in einem Handbuch im Internet veröffentlicht (ICP Modelling and Mapping Manual)79. Danach weisen beispielsweise mediterrane Pinienwälder und Trockenheiden Critical Loads zwischen 3 – 15 kg N ha-1 a-1 respektive 10 – 20 kg N ha-1 a-1 auf80. Überschreiten die tatsächlichen Stoffeinträge die angegebenen Werte, drohen Veränderungen des jeweiligen Ökosystems. Im Falle von Trockenheiden steht etwa zu befürchten, dass sich die Heide- fortan zu einer Graslandschaft entwickelt81. Die auch als „Berner Liste“82 bezeichneten Ergebnisse des ICP Modelling and Mapping Manual gelten „als europaweit anerkannte Referenz“83. Sie fassen den 73

S. Balla u. a., I+E 2013, S. 203 (204 Fn. 5). Siehe zu dieser Unterscheidung instruktiv K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (122); S. Balla u. a., NuR 2010, S. 616 (621 f.). 75 Convention on Long-range Transboundary Air Pollution (CLRTAP), abrufbar unter: https://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/lrtap/full%20text/1979.CLRTAP.e.pdf (Stand: 27.3.2019). 76 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (122); siehe umfassend zur Historie der Critical Loads die Darstellung bei S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 114 ff. 77 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (122). 78 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (122); BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22.11, NuR 2013, S. 565 Rn. 61; Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25.12, BVerwGE 149, 289 Rn. 35. 79 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 115; das Handbuch ist abrufbar unter https:// www.umweltbundesamt.de/en/cce-manual (Stand: 27.3.2019). 80 Convention on Long-range Transboundary Air Pollution (CLRTAP), ICP Modelling and Mapping Manual, Chapter V – Mapping Critical Loads for Ecosystems, 2017, S. 14 f. 81 Convention on Long-range Transboundary Air Pollution (CLRTAP), ICP Modelling and Mapping Manual, Chapter V – Mapping Critical Loads for Ecosystems, 2017, S. 14. 82 Die Bezeichnung dieser Liste als „Berner Liste“ geht auf einen im Jahre 2002 in Bern abgehaltenen Workshop zu empirischen Critical Loads zurück. In dessen Rahmen wurde von einer Expertengruppe eine aktualisierte Liste empirischer Critical Loads erstellt. Siehe hierzu Swiss Agency for the Environment, Forests and Landscape (SAEFL), Empirical Critical Loads 74

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

aktuellen, in Europa bestehenden Wissensstand auf Grundlage der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammen84. „Die Vorteile der empirischen Critical Loads liegen in der einfachen Anwendbarkeit und der europaweit breiten wissenschaftlichen Akzeptanz der Werte“85. Nachteilig wirkt sich aus, dass standortspezifische Faktoren nicht berücksichtigt werden und grobe Wertespannen (5 – 10 kg N ha-1 a-1) bestehen86. b) Modellierte Critical Loads Des Weiteren besteht die Möglichkeit, Critical Loads standortspezifisch anhand konkreter Detaildaten über die jeweiligen Verhältnisse zu modellieren bzw. zu bestimmen87. Diese sog. modellierten Critical Loads sind im Gegensatz zu den empirischen Critical Loads in Bezug auf die Standortverhältnisse differenzierter ausgestaltet88. Zu unterscheiden ist dabei zwischen dynamischen und sog. steady-state-Modellen89. Dynamische Modelle simulieren anhand mathematischer Gleichungen die auf Stickstoffeinträgen beruhenden ökologischen Veränderungen90. Dabei werden insbesondere „zeitliche[…] Abfolgen der wichtigsten Prozesse im Ökosystem in Reaktion auf eine retrospektive oder/und prognostizierte Zeitreihe von Stoffeintragsraten sowie wahlweise anderer sich ändernder Umweltfaktoren [simuliert]“91. Entgegen der dynamischen Modelle geht der steady-state-Ansatz davon aus, dass das in einem Ökosystem bestehende natürliche (Fließ-)Gleichgewicht des Stoffkreislaufs in Zusammenwirken mit einem ungestörten Wasser- und Energiehaushalt langfristig stabil bleiben soll92. Es handelt sich bei diesen Ansätzen in der Regel um Massenbilanzmodelle unter Missachtung standortdynamischer Tendenzen93. Die Stoffein- und -austräge werden einander mit der Grundannahme gegenübergestellt,

for Nitrogen, Expert Workshop Berne, 11 – 13 November 2002, Proceedings, ENVIRONMENTAL DOCUMENTATION No. 164, Air, 2003. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse dieses Workshops ist abrufbar https://www.bafu.admin.ch/bafu/en/home/topics/air/publicationsstudies/publications/empirical-critical-loads-for-nitrogen.html (Stand: 27.3.2019). 83 S. Balla u. a., NuR 2010, S. 616 (621). 84 S. Balla u. a., NuR 2010, S. 616 (621). 85 S. Balla u. a., I+E 2013, S. 203 (208). 86 S. Balla u. a., I+E 2013, S. 203 (208). 87 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (122); siehe hierzu auch umfassend S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 123 ff. 88 S. Balla u. a., NuR 2010, S. 616 (621). 89 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 123. 90 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (122). 91 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 123. 92 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 124. 93 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (122).

B. Grundzüge und Grundlagen der FFH-Verträglichkeitsprüfung

35

dass die langfristigen Einträge das ökosysteminterne Potential, diese zu puffern, zu speichern, aufzunehmen oder aus dem System herauszutragen, nicht übersteigen94. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt die empirischen Critical Loads als naturwissenschaftlich begründete Belastungsgrenzen bereits seit längerer Zeit an95. Dem Ansatz der modellierten Critical Loads allerdings sprach es – trotz zugestandener Schlüssig- und Nachvollziehbarkeit – zunächst noch die Eigenschaft einer Standardmethode ab96. Mittlerweile hat das Bundesverwaltungsgericht das Modell der modellierten Critical Loads indes nicht nur akzeptiert, sondern lässt sogar eine Präferenz zugunsten dieses Modells erkennen97. So ließen sich durch modellierte Critical Loads „genauere standortspezifische Erkenntnisse zu den Stickstoffbelastungen von geschützten Lebensraumtypen erzielen als bei Anwendung empirischer CL“98. Das Gericht stützt sich dabei auf den den durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in Auftrag gegeben Forschungs- und Entwicklungsbericht „Untersuchung und Bewertung von straßenverkehrsbedingten Nährstoffeinträgen in empfindliche Biotope“ (BASt-Endbericht)99, bei dem es sich um die „besten wissenschaftlichen Erkenntnisse“ zur Bestimmung von Stickstoffeinträgen in geschützten Lebensräumen handele100. Ob das Bundesverwaltungsgericht den empirischen Critical Loads damit insgesamt eine Absage erteilt, bleibt abzuwarten. 2. Eingriffsbezogene Bagatellschwellen und Abschneidekriterien Neben den vorgestellten schutzgutbezogenen Reaktions- und Belastungsschwellen rücken im Zusammenhang mit der Erheblichkeitsermittlung von Auswirkungen in der FFH-Verträglichkeitsprüfung vermehrt eingriffsbezogene Erheblichkeitsschwellen in den Vordergrund. Diese Erheblichkeitsschwellen setzen konkret an dem vom prüfgegenständlichen Vorhaben verursachten Belastungsbeitrag an. Dabei ist zwischen Bagatellschwellen auf der einen (a) und sog. unteren Abschneidekriterien auf der anderen Seite (b) zu unterscheiden.

94

(122).

S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 124 f.; K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121

95 BVerwG, Urt v. 12.3.2008 – 9 A 3.06, BVerwGE 130, 299 Rn. 108; BVerwG, Beschl. v. 10.11.2009 – 9 B 28.09, NVwZ 2010, S. 319 Rn. 6; Urt. v. 29.9.2011 – 7 C 21.09, NVwZ 2012, S. 176 Rn. 41; Beschl. v. 5.9.2012 – 7 B 24.12, NVwZ-RR 2012, S. 922 Rn. 7. 96 BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22.11, NuR 2013, S. 565 Rn. 61 ff. (und insb. Rn. 64). 97 BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25.12, BVerwGE 149, 289 Rn. 34 ff; S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 113. 98 BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25.12, BVerwGE 149, 289 Rn. 38. 99 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013. 100 BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25.12, BVerwGE 149, 289 Rn. 37 ff.

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

a) Bagatellschwellen Pläne und Projekte, deren Auswirkungen auf ein FFH-Schutzgebiet dessen Reaktions- und Belastungsschwellen überschreiten, können dennoch zugelassen werden, wenn die Auswirkungen unterhalb einer sog. Bagatellschwelle verbleiben. Die Bagatellschwelle liegt danach denknotwendig oberhalb der schutzgutbezogenen Reaktions- und Belastungsschwelle und eröffnet zwischen dieser und ihr selbst gewissermaßen einen für die Zulassung unbeachtlichen „Bagatellbereich“101. Mittlerweile erfreuen sich Bagatellschwellen – jedenfalls hinsichtlich der Wirkfaktoren „direkter Flächenverlust“102 (z. B. durch Überbauung oder Versiegelung) und „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag“ – überwiegender Anerkennung in Rechtsprechung103 und Fachwissenschaft104.105 Bereits frühzeitig nahm das Bundesverwaltungsgericht für den Wirkfaktor „direkter Flächenverlust“ einen Bagatellvorbehalt für die Zielunverträglichkeit von Projekten an106. Dieser gehe auf den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zurück107. Als „Orientierungshilfe für die Beurteilung, ob ein Flächenverlust noch Bagatellcharakter hat“, verwies das Gericht auf den von Lambrecht/ Trautner erarbeiteten BfN-Leitfaden108.109

101

M. Lau, NuR 2016, S. 149 (152). Siehe weiterführend zu diesem Wirkfaktor die Erläuterungen unter http://ffh-vp-info.de/ FFHVP/Wirkfaktor.jsp?m=1,2,0,0 (Stand: 27.3.2019). 103 Siehe BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 43 ff.; Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3.06, BVerwGE 130, 299 Rn. 124 f.; Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5.08 – BVerwGE 136, 291 Rn. 93; Urt. v. 29.9.2011 – 7 C 21.09, juris – Rn. 42; OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 548; OVG Magdeburg, Urt. v. 8.6.2018 – 2 L 11/16, juris – Rn. 143. 104 Siehe etwa H. Lambrecht/J. Trautner, BfN-Leitfaden, 2007, S. 33, für einen Fachkonventionsvorschlag zur Beurteilung der Erheblichkeit bei direktem Flächenentzug in Lebensraumtypen nach Anhang I FFH-Richtlinie in FFH-Gebieten; ferner S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 216 ff.; R. Uhl u. a., Assessing impacts of nitrogen emissions on Natura 2000 sites in Germany, in: W. K. Hicks u. a. (Hrsg.), Nitrogen Deposition and Natura 2000 – Science and Practice in Determining Environmental Impacts, 2011, S. 44 (46 ff.); Kieler Institut für Landschaftsökologie (KIfL), Bewertung von Stickstoffeinträgen im Kontext der FFH-Verträglichkeitsstudie, 2008, S. 35 ff.; a. A. S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 114 – 121, der die Anerkennung eingriffsbezogener Bagatellschwellen ablehnt und eine Lösung über die Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 – 5 BNatSchG bevorzugt (dazu insbesondere Fn. 121); ebenfalls kritisch: J. Schumacher/A. Schumacher, in: J. Schumacher/P. Fischer-Hüftle (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2011, § 34 Rn. 77. 105 J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (220). 106 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3.06, BVerwGE 130, 299 Rn. 124 f.; J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (220). 107 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3.06, BVerwGE 130, 299 Rn. 124. 108 H. Lambrecht/J. Trautner, BfN-Leitfaden, 2007. 109 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3.06, BVerwGE 130, 299 Rn. 125. 102

B. Grundzüge und Grundlagen der FFH-Verträglichkeitsprüfung

37

Dieser Leitfaden geht zunächst von der Grundannahme aus, dass „[d]ie direkte und dauerhafte Inanspruchnahme eines Lebensraums nach Anhang I FFH-RL, der in einem FFH-Gebiet nach den gebietsspezifischen Erhaltungszielen zu bewahren oder zu entwickeln ist, […] im Regelfall eine erhebliche Beeinträchtigung [darstellt]“110. Von dieser Grundannahme lässt er jedoch unter sehr engen Voraussetzungen Ausnahmen zu. So formuliert er neben anderen zu erfüllenden Voraussetzungen Orientierungswerte „quantitativ-absoluter“ (je nach Lebensraumtyp zwischen 0 und 2500 m2) und „quantitativ-relativer“ Flächenverluste (relatives 1 %-Kriterium), unterhalb derer die Größe des Flächenverlustes liegen sollte111. Unterschreiten die prognostizierten Auswirkungen eines Vorhabens beide Flächenwerte und liegt auch keine „qualitativ-funktionale“ Besonderheit des Lebensraumtyps vor, kann gemäß dem Leitfaden von einer Bagatelle ausgegangen werden112. Das Bundesverwaltungsgericht gab in der Folge zu erkennen, dass es im Bagatellvorbehalt für den Wirkfaktor „direkter Flächenentzug“ einen allgemeinen Rechtsgedanken verkörpert sah113 und übertrug diesen in seiner Entscheidung zur Bundesautobahn 44114 auf „Stickstoffdepositionen“: So erkannte das Gericht unter Bezugnahme auf einen „konstatierte[n] fachwissenschaftliche[n] Konsens“ eine intensitätsbezogene Bagatellschwelle für Stickstoffeinträge „in Höhe von nicht mehr als 3 Prozent des CL“ an115. „Dies [treffe] jedenfalls dann zu, wenn schon die Vorbelastung den CL um mehr als das Doppelte übersteigt“116. Dass die Annahme einer Bagatellschwelle nicht nur Fällen vorbehalten ist, in denen der Critical Load um mehr als das Doppelte überschritten ist, stellte das Bundesverwaltungsgericht in einer nachfolgenden Entscheidung insofern klar, als mit dem „jedenfalls“ kein „nur“ gemeint gewesen sei117. Folglich handelt es sich bei jedem unterhalb der 3 ProzentSchwelle liegenden Belastungsbeitrag eines prüfgegenständlichen Projekts regelmäßig um eine Bagatellbelastung – unabhängig davon, in welchem Maße der jeweilige Critical Load des betroffenen Lebensraumtyps überschritten ist118. Auch das Bundesumweltministerium (BMU) sieht diesbezüglich Handlungsbedarf und hat eine derartige Bagatellschwelle in jeweils zwei verschiedenen Referentenentwürfen zur TA Luft vorgesehen: Gemäß Anhang 8 Abs. 2 S. 1 eines Referentenentwurfs zur TA Luft vom 9. September 2016 (im Folgenden: TA Luft110

H. Lambrecht/J. Trautner, BfN-Leitfaden, 2007, S. 33 (Hervorhebung im Original). H. Lambrecht/J. Trautner, BfN-Leitfaden, 2007, S. 33. 112 H. Lambrecht/J. Trautner, BfN-Leitfaden, 2007, S. 33. 113 BVerwG, Urt. v. 10.11.2009 – 9 B 28.09, NVwZ 2010, S. 319 Rn. 8; J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (220). 114 BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5.08 – BVerwGE 136, 291. 115 BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5.08 – BVerwGE 136, 291 Rn. 94. 116 BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5.08 – BVerwGE 136, 291 Rn. 94; siehe zu dieser Rechtsprechungsentwicklung auch S. Balla u. a., I+E 2013, S. 203 (212); J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (220). 117 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17.11, NuR 2014, S. 344 Rn. 93. 118 J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (220). 111

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

Entwurf/2016) „darf die Genehmigung […] nicht versagt werden, wenn der Jahresmittelwert des Immissionsbeitrags aller für die Kumulation maßgeblichen Vorhaben an den entsprechenden Beurteilungspunkten 3 Prozent des relevanten Depositionswerts nicht überschreitet.“119 Verabschiedet wurde dieser Referentenentwurf in der zurückliegenden 18. Legislaturperiode allerdings nicht mehr. Eine identische Regelung findet sich indes in Anhang 8 Abs. 2 eines weiteren Referentenentwurfs zur Novellierung der TA Luft vom 16. Juli 2018 (im Folgenden: TA Luft-Entwurf/2018), dessen Verabschiedung noch aussteht120. b) Abschneidekriterien Insbesondere im Hinblick auf eutrophierende und versauernde Stickstoffeinträge erfreuen sich sog. untere Abschneidekriterien121 in jüngster Zeit einiger Beliebtheit122. Abschneidekriterien markieren Schwellenwerte, bis zu deren Erreichen prognostizierte Auswirkungen des prüfgegenständlichen Vorhabens in der FFHVorprüfung als unerheblich gelten123. Folglich erübrigt sich in diesen Fällen die Durchführung einer umfassenden FFH-Verträglichkeitsprüfung und das Projekt ist unter FFH-Gesichtspunkten zulässig124. In der vorhabenbezogenen Beurteilung liegt ein grundsätzlicher Unterschied zu den vorstehend vorgestellten schutzgutbezogenen Bagatellschwellen. Für die Rechtfertigung unterer Abschneidekriterien für Stickstoffeinträge in der FFH-Verträglichkeitsprüfung werden gemeinhin Gründe der Zurechenbarkeit und 119 Der Referentenentwurf vom 9.9.2016 ist abrufbar unter https://www.ihk-koeln.de/up load/2016_09_09_RefEntwurf_TA_Luft_57038.pdf (Stand: 27.3.2019). 120 Der Referentenentwurf vom 16.7.2018 ist abrufbar unter https://www.bmu.de/gesetz/ent wurf-zur-neufassung-der-ersten-allgemeinen-verwaltungsvorschrift-zum-bundes-immissions schutzgesetz/ (Stand: 27.3.2019). 121 Die Begrifflichkeiten für Bagatell- und Irrelevanzschwellen sowie Abschneidekriterien werden zum Teil uneinheitlich verwandt. So weisen J. Friedrich/I. Heesen, UPR 2013, S. 415 (416) in Fn. 8 darauf hin, dass „die Bagatellschwelle [häufig] auch als Irrelevanzschwelle bezeichnet [wird] und umgekehrt. Auch der Abschneidewert wird zum Teil als Irrelevanzschwelle bezeichnet.“ 122 Siehe beispielhaft BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601; Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25.12, BVerwGE 149, 289 Rn. 45; OVG Magdeburg, Urt. v. 8.6.2018 – 2 L 11/ 16, juris – Rn. 149; OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 560, 581; OVG Lüneburg, Urt. v. 22.4.2016 – 7 KS 35/12, juris – Rn. 169; S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 216 ff.; M. Kohls/U. Mierwald/A. Zirwitz, ZUR 2014, S. 150 ff.; kritisch M. Gellermann, in: R. v. Landmann/G. Rohmer u. a. (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. II, Umweltrecht Besonderer Teil, 11. Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), § 34 (2014) Rn. 12. 123 M. Kohls/U. Mierwald/A. Zirwitz, ZUR 2014, S. 150 (150 f.). 124 S. Balla u. a., Waldökologie, Landschaftsforschung und Naturschutz 2014, S. 43 (48 f.): „Das Abschneidekriterium für Stickstoff hat einen Wert von 0,3 kg N ha-1 a-1. Bei Depositionsraten kleiner oder gleich diesem Wert lassen sich keine kausalen Zusammenhänge zwischen Emission und Deposition nachweisen, so dass die Voraussetzungen für die Prüfung der Verträglichkeit eines Vorhabens nicht mehr erfüllt sind.“

B. Grundzüge und Grundlagen der FFH-Verträglichkeitsprüfung

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Verhältnismäßigkeit angeführt125 : So darf einem Projekt zum einen die Beeinträchtigung eines FFH-Gebiets nicht mehr zugerechnet werden, wenn Emissionsbeiträge nicht mehr genau bestimmbar und von der Hintergrundbelastung nicht mehr abgrenzbar sind126. Zum anderen ergibt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip für die FFH-Verträglichkeitsprüfung zweierlei: Erstens sind die Auswirkungen eines jeden Vorhabens stets ins Verhältnis zu den Auswirkungen auf das jeweilige Schutzgut zu setzen127 und zweitens ist der Untersuchungsraum der Kumulation im Sinne eines angemessenen Ermittlungsaufwands zu begrenzen128. Beide Anliegen lassen sich durch untere Abschneidekriterien erreichen. Allerdings ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit von Abschneidekriterien, dass diese nicht mit dem umweltrechtlichen Vorsorgeprinzip konfligieren, wofür die konkrete Höhe der gewählten Abschneidekriterien entscheidend ist129. Das Bundesverwaltungsgericht und weitere Oberverwaltungsgerichte nehmen für sämtliche projektbedingten Stickstoffeinträge einen Abschneidewert in Höhe von 0,3 kg N ha-1 a-1 an130. Dieser Wert geht auf den BASt-Endbericht zurück131. Gemäß diesem Bericht liegt die messtechnische Nachweisgrenze summierter Stickoxid125

J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (217 f.). S. Balla u. a., Waldökologie, Landschaftsforschung und Naturschutz 2014, S. 43 (49); J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (217). 127 J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (218). 128 J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (218); vgl. hierzu auch OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 582: „Weder unter dem Gesichtspunkt der Wirkungsbezogenheit noch dem der Verhältnismäßigkeit kann der Untersuchungsraum räumlich unbegrenzt sein.“; vgl. BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 33: „Das Abschneidekriterium dient der Bestimmung des Einwirkungsbereichs einer geplanten Anlage und damit des Untersuchungsraums und -umfangs der FFH-Verträglichkeitsprüfung.“ 129 J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (218). 130 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 34; Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25.12, BVerwGE 149, 289 Rn. 45; OVG Lüneburg, Urt. v. 22.4.2016 – 7 KS 35/ 12, juris – Rn. 169; VGH Kassel, Urt. v. 25.2.2016 – 9 A 245/14, juris – Rn. 95 f., 106; das OVG Magdeburg lässt jedenfalls die Tendenz zur Anerkennung eines Abschneidekriteriums in dieser Höhe erkennen, siehe OVG Magdeburg, Urt. v. 8.6.2018 – 2 L 11/16, juris – Ls. 2 a); allerdings hatte das Gericht über die konkrete Höhe letztlich nicht zu befinden, da die vorhabenbedingte Zusatzbelastung in der betreffenden Entscheidung über 0,3 kg N ha-1 a-1 lag, siehe ebda., juris – Rn. 149: „Die Frage, in welcher Höhe ein vorhabenbezogenes Abschneidekriterium anzusetzen ist, kann im Einzelfall offenbleiben, wenn die vorhabenbedingte Zusatzbelastung – wie hier – oberhalb von 0,3 kg N/ha/a liegt.“ 131 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 216 ff.; siehe auch die Bezugnahme auf den BASt-Endbericht bei BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25.12, BVerwGE 149, 289 Rn. 45; sich diesem Wert ebenfalls anschließend B. Hanisch/R. Jordan, Vorschlag für eine Fachkonvention zur Beurteilung von Stoffeinträgen in Natura 2000-Gebiete, in: D. Bernotat/V. Dierschke/ R. Grunewald (Hrsg.): Bestimmung der Erheblichkeit und Beachtung von Kumulationswirkungen in der FFH-Verträglichkeitsprüfung, 2017, S. 259 (265); R. Uhl/S. Balla, Methodik zur Bewertung der Erheblichkeit von Stickstoffeinträgen in FFH-Lebensraumtypen, in: D. Bernotat/V. Dierschke/R. Grunewald (Hrsg.), Bestimmung der Erheblichkeit und Beachtung von Kumulationswirkungen in der FFH-Verträglichkeitsprüfung, 2017, S. 273 (276 f.). 126

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

und Ammoniakdepositionen bei 0,5 kg N ha-1 a-1 132. Im Sinne einer weiteren Risikoverringerung wurde die messtechnische Nachweisbarkeitsgrenze zusätzlich von 0,5 kg N ha-1 a-1 auf 0,3 kg N ha-1 a-1 herabgesetzt133. Neben diesem Abschneidewert von 0,3 kg N ha-1 a-1 finden sich indes weitere Werte in der Rechtsprechung und Fachliteratur134. So vertrat das Oberverwaltungsgericht Münster in seiner mittlerweile aufgehobenen Trianel-Entscheidung vom 16. Juni 2016 ein Abschneidekriterium für eutrophierende Stickstoffeinträge in Höhe von nicht mehr als 0,5 % des jeweiligen Critical Load und nicht weniger als 0,05 kg N ha-1 a-1 135. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster sei der Ansatz des im BASt-Endbericht vertretenen Abschneidewerts in Höhe von 0,3 kg N ha-1 a-1 zwar durchaus plausibel für die Betrachtung von Einzelvorhaben, führe jedoch mit Blick auf die Kumulationsbetrachtung von mehreren Projekten zu Schwierigkeiten136. So würden im Falle eines Critical Load von 10 kg N ha-1 a-1 für einen Lebensraumtyp zwei knapp unter der im BASt-Endbericht vorgeschlagenen Abschneideschwelle von 0,3 kg N ha-1 a-1 liegende Projekte zusammengenommen bereits 6 % des gesamten Critical Load und fast das Doppelte der für Stickstoffeinträge angelegten Bagatellschwelle in Höhe von 3 % des Critical Load ausmachen137. Der Abschneidewert müsse daher so weit unterhalb der 3 % Bagatellschwelle angesiedelt werden, „dass diese nicht durch das im Prüfungsaufbau vorangehende Abschneiden von Einträgen umgangen oder ausgehöhlt wird“138. Dieses Erfordernis erfülle ein Abschneidewert von 0,05 kg N ha-1 a-1 grundsätzlich139. In der Literatur wird ferner auf empfindliche Lebensraumtypen verwiesen, die einen niedrigen empirischen Critical Load von 3 kg N ha-1 a-1 aufweisen140. Für diese Lebensraumtypen hätte die Anerkennung eines Abschneidewertes in Höhe von 0,3 kg N ha-1 a-1 zur Folge, „dass 10 % ihres Critical Load kurzerhand für irrelevant 132

S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 219. S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 219. 134 Siehe hierzu J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (218 f.); OVG Magdeburg, Urt. v. 8.6.2018 – 2 L 11/16, juris – Rn. 149. 135 OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 590 ff., aufgehoben durch BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 ff.; J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (218). 136 OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 592 ff.; J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (218). 137 OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 600; J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (218); siehe zur 3 % Bagatellschwelle bei Stickstoffeinträgen bereits oben 1. Kap. B. IV. 2. a). 138 OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 589; J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (218). 139 OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 602 ff.; J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (218). 140 M. Gellermann, NuR 2016, S. 225 (227 f.), der daher einen Abschneidewert in Höhe von 1/10 der Bagatellschwelle vorschlägt, siehe ebda.; siehe hierzu auch J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (218 f.). 133

B. Grundzüge und Grundlagen der FFH-Verträglichkeitsprüfung

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erklärt werden“141. Ähnlich argumentiert das Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV): Dessen bevorzugtes Abschneidekriterium in Höhe von 0,1 kg N ha-1 a-1 wird mit Verweis auf die stickstoffempfindlichsten Gebiete in Nordrhein-Westfalen mit einem Critical Load von 4 kg N ha-1 a-1 (Schwermetallrasen), deren drei prozentige Bagatellschwelle demnach bei 0,12 kg N ha-1 a-1 liegt, begründet 142. Des Weiteren sehen die bereits erwähnten Referentenentwürfe zur TA Luft eine Ermittlung des Einwirkbereichs anhand eines Abschneidekriteriums vor143 : Gemäß Anhang 8 Abs. 1 Satz 2 TA Luft-Entwurf/2016 bzw. Anhang 8 Abs. 1 S. 2 TA LuftEntwurf/2018 sollte „[d]er Einwirkbereich […] die Fläche um den Emissionsschwerpunkt, in der die Zusatzbelastung mehr als 0,3 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr beziehungsweise mehr als 0,3 kg Schwefel pro Hektar und Jahr beträgt“, ausmachen144. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seiner Revisionsentscheidung in der Sache Trianel vom 15. Mai 2019 mittlerweile eindeutig für einen Abschneidewert in Höhe von 0,3 kg N ha-1 a-1 ausgesprochen145. Ein Abschneidewert von 0,3 kg N ha-1 a-1 entspreche den besten wissenschaftlichen Erkenntnissen146. Damit trat das Bundesverwaltungsgericht insbesondere der vorgenannten Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster entgegen, wonach der Abschneidewert bei Kumulationsbetrachtungen von 0,3 auf 0, 05 kg N ha-1 a-1 abzusenken sei147. So verlange das unionsrechtliche Vorsorgeprinzip nicht den Nachweis eines Nullrisikos durch die Verträglichkeitsprüfung, sondern vielmehr sei ausreichend, wenn „aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel verbleibt, dass erhebliche Beeinträchtigungen vermieden werden.“148 Die wissenschaftliche Nachweisgrenze von 0,5 kg N ha-1 a-1 sei bereits zur Sicherheit auf 0,3 kg N ha-1 a-1 reduziert149 und dadurch 141 M. Gellermann, NuR 2016, S. 225 (228); vgl. auch in Bezug auf Lebensraumtypen mit einem Critical Load von 4 kg N ha-1 a-1 ders., UPR 2015, S. 417 (419); ferner hierzu J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (219). 142 Siehe den Vermerk des LANUV „Abschneidekriterien zur Festlegung des Untersuchungsgebiets“ vom 18.6.2012; ebenso den Entwurf des LANUV „Leitfaden zur Prüfung der FFH-Verträglichkeit von Stickstoff-Depositionen in empfindlichen Lebensräumen in FFHGebieten“ vom 29.9.2014, S. 12 f.; siehe hierzu auch J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (219). 143 Siehe zu diesen Referentenentwürfen bereits oben 1. Kap. B. IV. 2. a); ein weiterer, zeitlich zwischen diesen beiden Entwürfen veröffentlichter Referentenentwurf vom 7.4.2017 hielt keine gesonderten Vorschriften für Stickstoffdepositionen in Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung bereit. Siehe für diesen Entwurf https://www.luther-lawfirm.com/filead min/user_upload/images/Blog/EPR/Referentenentwurf_TA_Luft.pdf (Stand: 27.3.2019). 144 Der Referentenentwurf vom 9.9.2016 ist abrufbar unter https://www.ihk-koeln.de/up load/2016_09_09_RefEntwurf_TA_Luft_57038.pdf (Stand: 27.3.2019). 145 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 30 ff. 146 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 32. 147 OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 602 ff. 148 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 36. 149 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 35, 37.

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

in den „hypothetischen Bereich vorverlagert“150. Es könne „für die Festlegung des Untersuchungsgebietes einer FFH-Verträglichkeitsprüfung und damit der in der Summationsprüfung zu berücksichtigenden Projekte nicht auf einen messtechnisch nicht erfassbaren Stickstoffeintrag ankommen.“151 Der Wirknachweis sei für unterhalb der Nachweisgrenze liegende, lediglich rechnerisch ermittelbare Einträge nicht zu führen152. Auch könne dem Oberverwaltungsgericht Münster nicht darin gefolgt werden, dass ein unterhalb der Abschneideschwelle von 0,3 kg N ha-1 a-1 liegender Wert dadurch gerechtfertigt sei, dass der Abschneidewert andernfalls bereits der Bagatellschwelle entspreche oder sogar darüber liege153. Auch in diesen Sonderfällen könnten „rein theoretische Besorgnisse“ einer Vorhabenzulassung nicht entgegengehalten werden154. 3. Zwischenergebnis Die Erheblichkeitsbewertung stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung ist in den vergangenen Jahren reger Diskussionsgegenstand in der Fachliteratur und Rechtsprechung gewesen und hat infolgedessen einen gewissen Konkretisierungsgrad erfahren. So erleichtern Critical Loads als schutzgutbezogene Reaktions- und Belastungsschwellen Projektträgern und verfahrensführenden Behörden die Einschätzung, ob von einem prüfgegenständlichen Projekt erhebliche Auswirkungen auf die schutzgebietsspezifischen Erhaltungsziele ausgehen. Des Weiteren wird dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angesichts der nach wie vor hohen stofflichen Hintergrundbelastung durch eine in Rechtsprechung und Literatur anerkannte Bagatellschwelle in Höhe von 3 % des jeweiligen Critical Load genüge getan. Ebenso anerkannt ist das rechtliche Gebot unterer Abschneidekriterien für Sticksetoffeinträge aus Gründen der Zurechenbarkeit und Verhältnismäßigkeit. Stickstoffeinträge, die sich kaum von der Hintergrundbelastung abheben, können einzelnen Projektträgern nicht zugerechnet werden. Darüber hinaus ist der Ermittlungsaufwand der Projektträger durch einen begrenzten Untersuchungsraum der FFH-Verträglichkeitsprüfung auf ein verhältnismäßiges Maß zu reduzieren. Hinsichtlich der Höhe der Abschneidekriterien hat sich das Bundesverwaltungsgericht in

150 151 152 153 154

BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 38. BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 36. BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 37. BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 39. BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 39.

C. Konkurrenz in der Kumulation

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seiner Trianel-Entscheidung vom 15. Mai 2019 nunmehr auf einen Wert von 0,3 kg N ha-1 a-1 für eutrophierende Stickstoffeinträge festgelegt155.

C. Konkurrenz in der Kumulation Nicht nur die Einführung von Bagatellschwellen beweist, dass sich die hohe Stickstoffbelastung in der Bundesrepublik Deutschland auch auf die Zulassungschancen stickstoffemittierender Projekte auswirkt. Auch gerichtliche Entscheidungen jüngster Vergangenheit, in denen sich die Gerichte mit kumulierenden, stickstoffemittierenden Projekten befassten, lassen hierauf schließen156. Sind die Belastungskontingente in Höhe von 3 % des jeweiligen Critical Load fast ausgeschöpft oder gar überschritten, können – vorbehaltlich einer Ausnahme nach § 34 Abs. 3 – 5 BNatSchG – von mehreren parallelen Genehmigungsanträgen nur so viele Projekte zugelassen werden, dass die Belastungsgrenze nicht überschritten wird157. Kumulationsprüfungen verursachen somit Konkurrenzsituationen. Wie gravierend sich diese Konkurrenzsituationen darstellen, hängt auch davon ab, wie grundsätzliche Rechtsfragen der Kumulationsprüfung aufgelöst werden: So ist nach wie vor unklar, welche Projekte als kumulierende Projekte gelten und dementsprechend in das durch die Bagatellschwellen eröffnete Bagatellkontingent einzustellen sind. Diese Problemstellung ist eng verknüpft mit der Wahl des konkreten Einsatzzeitpunktes der Kumulation (I). Unter dem Brennglas der Bagatellschwellen ist zudem entscheidend, wie Änderungsvorhaben zu behandeln sind (II.). Sind hier die Gesamtauswirkungen oder nur die Auswirkungen des Änderungsvorhabens relevant? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt letztlich ab, welche Belastungskontingente einem prüfgegenständlichen Projekt noch zugestanden werden können und damit auch, wie groß dessen Zulassungschancen sind. Für ein tieferes Verständnis der der Kumulation innewohnenden Konkurrenzsituationen ist eine Auseinandersetzung mit diesen Problemkreisen daher unerlässlich.

155

BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 30 ff. Siehe hierzu exemplarisch insbesondere die Trianel-Entscheidungen des BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 ff. und des OVG Münster Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 693 ff.; Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 733 ff. sowie zuletzt OVG Magdeburg, Urt. v. 8.6.2018 – 2 L 11/16, juris – Rn. 221 ff. 157 Dies als eine Variante der Auflösung dieser Konkurrenzen erkennend auch OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 621. 156

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

I. Das sog. Kumulationsdilemma: Die Frage nach den in das Bagatellkontingent einzustellenden kumulierenden Projekten Bagatellschwellen räumen ein Bagatellkontingent in Höhe von 3 % des jeweiligen Critical Load ein, welches bei mehreren auf die Erhaltungsziele einwirkenden Plänen und Projekten nicht ausschließlich durch das prüfgegenständliche Projekt ausgenutzt werden darf. Vielmehr sind im Rahmen der Kumulation auch „andere Projekte und Pläne“ i. S. d. § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG in dieses Kontingent einzustellen. Dabei gilt: Je größer die Zahl der einzustellenden Projekte ist, desto schneller füllt sich das Bagatellkontingent und desto geringer wird die Genehmigungswahrscheinlichkeit des prüfgegenständlichen Projekts. Die Bestimmung der kumulierenden Projekte hängt dabei wesentlich von der Wahl des Einsatzzeitpunktes der Kumulationsbetrachtung bzw. des damit einhergehenden Kumulationszeitraums ab158 : Denn je weiter der Kumulationszeitraum reicht, desto größer wird regelmäßig die Zahl der einzustellenden Projekte sein. Hinsichtlich des Einsatzzeitpunktes für die Kumulation wurden in der Vergangenheit verschiedene Ansätze vertreten: 1. Oberverwaltungsgericht Münster und TA Luft-Entwurf/2018: Das Jahr 2004 als Sockeljahr Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster galt bis zur TrianelEntscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Mai 2019159 insbesondere die innerstaatliche Unterschutzstellung von FFH-Gebieten als maßgeblicher Zeitpunkt160. Die kumulierenden Vorhaben setzten sich danach aus all jenen Plänen und Projekten zusammen, „für die nach Unterschutzstellung der Gebiete […] und vor der Einreichung der vollständigen prüffähigen Antragsunterlagen [durch den Projektträger des prüfgegenständlichen Verfahrens] ebenfalls vollständige, prüffähige Unterlagen eingereicht worden waren, so dass deren Auswirkungen hinreichend konkret absehbar waren“161. Ohne Zweifel sollten somit auch sämtliche in diesem Zeitraum realisierte und genehmigte Projekte und Pläne in das Bagatellkontingent in Höhe von 3 % des jeweiligen Critical Load eingestellt werden162. Alle bis zum Zeitpunkt der Unterschutzstellung bestehenden Einwirkungen auf die Erhaltungsziele eines Natura 2000-Gebietes sollten folglich der Vorbelastung zugerechnet

158

Vgl. K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (128). BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 ff. 160 OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 621, 735; Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 460, 694. 161 OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 735; Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 694; siehe auch J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (221). 162 J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (221); vgl. M. Lau, NuR 2016, S. 149 (152) m. w. N. 159

C. Konkurrenz in der Kumulation

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werden163. Daraus folgte, dass der Kumulationszeitraum bis ins Jahr 2004 hätte zurückreichen können, denn in jenem Jahr veröffentlichte die Europäische Kommission erstmalig biogeografische Gebietslisten gem. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 3 i. V. m. Art. 21 FFH-Richtlinie164. An diese Veröffentlichung bzw. Gebietsauswahl schließt sich gem. Art. 4 Abs. 4 FFH-Richtlinie die mitgliedstaatliche Ausweisung der Schutzgebiete an. Nach Art. 4 Abs. 5 FFH-Richtlinie gilt zudem mit Veröffentlichung der Gebietsliste das Rechtsregime des Art. 6 Abs. 2 – 4 FFH-Richtlinie165. Das Oberverwaltungsgericht unternahm durch die Wahl eines frühen Einsatzzeitpunktes den Versuch, möglichst viele kumulierende Vorhaben in das Bagatellkontingent einzustellen166. Eine ähnliche Lösung sieht nunmehr auch der TA Luft-Entwurf/2018 in Anhang 8 Abs. 3 S. 1 vor, der auf die Gebietslistung durch die Kommission gem. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 3 i. V. m. Art. 21 FFH-Richtlinie als maßgeblichen Zeitpunkt abstellt, sofern die für das jeweils relevante Schutzgebiet geltenden Critical Loads in diesem Zeitpunkt bereits überschritten waren. Andernfalls soll der Zeitpunkt maßgeblich sein, in dem erstmalig die Schwelle des Critical Load überschritten wird. Alle nach den genannten Zeitpunkten genehmigten oder realisierten bzw. hinreichend konkretisierten Vorhaben sind danach in das Bagatellkontingent als kumulierende Vorhaben einzustellen. Auch der Ansatz des TA Luft-Entwurfs/2018 wählt das Jahr 2004 folglich als Sockeljahr für die Gebiete, deren Stickstoffeinträge bereits ab Gebietslistung erhöht waren. 2. Die Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Rechtssache Trianel als grundsätzliche Absage an das Sockeljahr 2004 Dem vorstehenden Ansatz des Oberverwaltungsgerichts Münster erteilte das Bundesverwaltungsgericht in seiner Revisionsentscheidung in der Sache Trianel eine Absage167. Es hält eine Rückbeziehung der Summationsprüfung auf den Zeitpunkt der Unterschutzstellung der FFH-Gebiete im Jahr 2004 in der Regel für nicht geboten168. Der Ansatz des Oberverwaltungsgerichts Münster berücksichtige zwar das unionsrechtliche Vorsorgeprinzip, schenke aber dem ebenfalls unionsrechtlich herleitbaren Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wenig Beachtung169. So liege dem Ansatz des Oberverwaltungsgerichts Münster „der Gedanke einer ,Kontingentierung‘ zugrunde, wonach die Bagatellschwelle – unabhängig vom je163

M. Lau, NuR 2016, S. 149 (152). S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 12. 165 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 12. 166 J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (221). 167 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 ff. 168 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Ls. 3. 169 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 46. 164

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

weiligen Erhaltungszustand und der Entwicklung der Stickstoffeinträge – ab der Unterschutzstellung des FFH-Gebiets nur einmal ausgeschöpft werden kann.“170 Es verbiete sich aber aus Verhältnismäßigkeitsgründen, von einem lediglich einmal nutzbaren „starren“ Bagatellkontingent auszugehen171. Die Vorhabenzulassung würde auf diese Weise in unverhältnismäßiger Weise beschränkt172. Zudem widerspräche eine solche Sichtweise „dem Grundsatz, dass realisierte Projekte in die Vorbelastung (Hintergrundbelastung) eingehen und hierdurch bei der Verträglichkeitsprüfung hinreichend abgebildet werden“173. Hohe Hintergrundbelastungen ließen sich nur durch eine effektive Luftreinhaltepolitik, nicht aber durch das Habitatschutzrecht reduzieren174. Zeige die Stickstoffbelastung aufgrund global oder regional wirkender Maßnahmen eine eindeutig positive Entwicklung, so sei „es mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar, wenn ein nach besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht ins Gewicht fallender erneuter Eintrag bis zu 3 % des Critical Loads von vornherein als unzulässig anzusehen wäre.“175 Die Gebietsentwicklung lasse sich im Übrigen anhand der Hintergrundbelastungsdatensätze Stickstoffdeposition des Umweltbundesamtes (UBA-Datensatz)176 ablesen177. Ein Rückgriff auf den UBA-Datensatz erlaube, eine wiederholte Anwendung der 3 %-Bagatellschwelle tatsächlich nur dann in Betracht zu ziehen, wenn die Belastungsentwicklung eindeutig positiv sei178. Das Bundesverwaltungsgericht verweist ferner darauf, dass eine bis 2004 zurückreichende Prüfung „mit zunehmendem zeitlichen Abstand mit wachsenden Schwierigkeiten verbunden sein wird.“179 Insbesondere die in älteren Genehmigungsunterlagen enthaltenen Bestandsaufnahmen und Emissions- und Immissionsprognosen dürften eine immer weniger seriöse Grundlage für eine Rückbetrachtung der Verhältnisse sein180. Die im Rahmen zurückliegender Genehmigungsverfahren vorgenommenen Untersuchungen beruhten vielmehr auf Gebietszuständen, die nur noch eingeschränkt mit aktuellen Zuständen vergleichbar seien181. Auch werde die Vergleichbarkeit älterer Bestandsaufnahmen mit aktuellen Er170

BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 47. BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 48. 172 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 48. 173 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 48. 174 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 48. 175 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 48. 176 Siehe zum Hintergrundbelastungsdatensatz Stickstoffdeposition des Umweltbundesamtes (UBA-Datensatz): https://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/wirkungen-von-luft schadstoffen/wirkungen-auf-oekosysteme/kartendienst-stickstoffdeposition-in-deutschland (Stand: 27.3.2019). 177 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 51. 178 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 51. 179 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 50. 180 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 50. 181 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 50. 171

C. Konkurrenz in der Kumulation

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kenntnissen angesichts wissenschaftlichen und naturschutzfachlichen Erkenntnissfortschritts erschwert182. 3. Der TA Luft-Entwurf/2016: Der UBA-Datensatz als zeitliche Zäsur zur Ermittlung der Vorbelastung Eine im Vergleich zu den vorangestellten Ansätzen abweichende Herangehensweise sah der Referentenentwurf zur TA Luft vom 9. September 2016183 vor. Dieser Referentenentwurf sollte zunächst im Jahre 2017 verabschiedet werden, ist nunmehr aber aufgrund des Referentenentwurfs vom 25. Juli 2018 als hinfällig anzusehen. Er ist aber dennoch aus zwei Gründen darstellungswürdig: Zum einen verfolgt er einen pragmatischen Ansatz hinsichtlich der Bestimmung der „anderen Projekte und Pläne“ i. S. d. § 34 Abs. 1 BNatSchG und zum anderen fand dieser Ansatz bereits durch Bezugnahme des Bundesverwaltungsgerichts in der Trianel-Revisionsentscheidung vom 15. Mai 2019 auf den UBA-Datensatz Anklang in der höchstrichterlichen Rechtsprechung184. Gemäß Anhang 8 Abs. 2 S. 2 dieses Referentenentwurfs handelt es sich bei kumulierenden Projekten um all jene Vorhaben, deren Einwirkbereich nach Anlegung eines Abschneidekriteriums einen relevanten Beurteilungspunkt umfasst und die nicht bereits in der Vorbelastung berücksichtig wurden. „Die Vorbelastung wird [gem. Anhang 8 Abs. 2 S. 3] dargestellt durch den letzten gültigen Hintergrundbelastungsdatensatz Stickstoffdeposition des Umweltbundesamtes“. Dem Kumulationszeitraum unterfallen danach all jene Projekte, die nach Veröffentlichung des UBA-Datensatzes 185 entweder „realisiert oder genehmigt wurden bzw. deren Planung als verfestigt anzusehen ist“ (Anhang 8 Abs. 2 S. 4). Eine Definition dessen, was als „verfestigt anzusehen ist“, bleibt der Entwurf allerdings schuldig. Dieser Ansatz ist praxisorientiert, würde den Ermittlungsaufwand durch Bezugnahme auf den UBA-Datensatz reduzieren und den Verfahrensbeteiligten die FFH-Verträglichkeitsprüfung daher deutlich erleichtern; er liefert aber dennoch Anlass für Kritik: So besteht die Gefahr, dass mit jeder Aktualisierung des UBADatensatzes das Bagatellkontingent gewissermaßen entleert und wieder vollum-

182

BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 50. Siehe zu diesem Referentenentwurf bereits Fn. 144. 184 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 51; siehe hierzu und im Folgenden auch die Bewertung des UBA-Datensatzes als zeitliche Zäsur zur Ermittlung der Vorbelastung bei J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (220 f.), an der sich die hiesige Darstellung orientiert. 185 Siehe zum Hintergrundbelastungsdatensatz Stickstoffdeposition des Umweltbundesamtes (UBA-Datensatz): https://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/wirkungen-von-luft schadstoffen/wirkungen-auf-oekosysteme/kartendienst-stickstoffdeposition-in-deutschland (Stand: 27.3.2019). 183

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

fänglich verfügbar wäre186. Beantragt ein Vorhabenträger sein Projekt unmittelbar nach Aktualisierung und Veröffentlichung des UBA-Datensatzes, stünde ihm somit das gesamte Beeinträchtigungskontingent zu.187 Dieser Ansatz führt perspektivisch zu einer stetigen Verfestigung bzw. Vergrößerung der Stickstoffbelastung und setzt sich in Widerspruch zum Vorsorgeprinzip und Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts188. Er verursacht eine stückweise Beeinträchtigung der Erhaltungsziele189. Hierin dürfte auch der Grund liegen, weshalb der Verordnungsgeber im überarbeiteten Referentenentwurf/2018 nunmehr auf die Bezugnahme auf den UBA-Datensatz verzichtet und eine bis zum Sockeljahr 2004 zurückreichende FFH-Verträglichkeitsprüfung ermöglicht.

II. Die Behandlung von Änderungsvorhaben in der Kumulation Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit Konkurrenzen in der Kumulation stellt die rechtliche Behandlung von Änderungsvorhaben dar. So ist fraglich, ob diese innerhalb der FFH-Verträglichkeitsprüfung wie eigenständige Projekte zu behandeln oder vielmehr die Auswirkungen des Gesamtvorhabens einzustellen sind190. So stellt sich bei Ausbauprojekten von Straßen beispielsweise die Frage, ob die in die FFHVerträglichkeitsprüfung einzustellende Zusatzbelastung nur auf den Immissionsbeitrag des reinen Ausbaus beschränkt ist oder aber die Auswirkungen des gesamten Verkehrs der ausgebauten Straße zu berücksichtigen sind191. Von der Beantwortung dieser Frage hängt nicht zuletzt ab, welche stickstoffemittierenden Vorhaben in das durch die Bagatellschwelle vermittelte Bagatellkontingent eingestellt werden bzw. dieses füllen192. Sie wirkt sich damit unmittelbar auf die Genehmigungsfähigkeit der Projekte aus.

186 J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (221); M. Kohls/U. Mierwald/A. Zirwitz, ZUR 2014, S. 150 (158). 187 J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (221); vgl. M. Kohls/U. Mierwald/A. Zirwick, ZUR 2014, S. 150 (158). 188 J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (221). 189 J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (221). 190 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (152); siehe zur Virulenz dieser Frage in der Rechtsprechung beispielhaft OVG Greifswald, Beschl. v. 5.11.2012 – 3 M 143/12, NuR 2013, S. 419 ff. 191 Siehe für dieses Beispiel S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 36. 192 Vgl. M. Lau, NuR 2016, S. 149 (152), der zusätzlich darauf verweist, dass auch die abstandsbezogene Risikoeinschätzung innerhalb der FFH-Verträglichkeitsprüfung, z. B. im Hinblick auf Windkraftanlagen oder Freileitungen, im Zusammenhang mit der rechtlichen Behandlung von Änderungsvorhaben Probleme aufwirft.

C. Konkurrenz in der Kumulation

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1. Die Bestimmung der prüfgegenständlichen Projekte bei Änderungsvorhaben nach Maßgabe des jeweiligen Fachrechts Nach Lau ist „[d]ie Antwort auf diese Frage […] im Begriff des Plans bzw. Projekts zu suchen“193. Dem ist zuzustimmen. In ihrer Eigenschaft als Rahmenrecht (Art. 288 Abs. 3 AEUV) überlasst die FFH-Richtlinie den Mitgliedstaaten die Konkretisierung des Projektbegriffs194. Nichtdestotrotz „ist von einem europäischen Projektbegriff auszugehen“195. Insofern hat die Konkretisierung – jedenfalls „im Sinne der Definition eines Mindestandards“ 196 – unionsrechtlich zu erfolgen. Aus § 34 Abs. 6 BNatSchG ergibt sich, dass der deutsche Gesetzgeber die FFHVerträglichkeitsprüfung als unselbständigen Teil verwaltungsrechtlicher Genehmigungs- und Planungsverfahren versteht (vgl. § 34 Abs. 6 BNatSchG)197. Zur Bestimmung des prüfgegenständlichen Projektes in der FFH-Verträglichkeitsprüfung bietet sich daher zunächst ein Rekurs auf die Behandlung von Änderungsvorhaben im jeweiligen Fachrecht an198 . Hierzu bedarf es der Differenzierung: Für Planfeststellungen gilt, dass sie den Bestand, an den sie anknüpfen, regelmäßig unberührt lassen. Vielmehr zielt die Planfeststellung auf Schaffung eines neuen Dauerzustands, weshalb grundsätzlich das Änderungsvorhaben als solches und nicht die Gesamtauswirkungen alleiniger Prüfgegenstand ist199. Im Wasserrecht hingegen stellt die konkrete Gewässerbenutzung den Anknüpfungspunkt für jede benutzungsbezogene Zulassungsentscheidung dar200. „[J]ede Änderung stellt [grundsätzlich] eine neue Gewässerbenutzung [dar], die insgesamt wieder einer Erlaubnis oder Bewilligung bedarf.“201 In der Regel wird somit eine Gesamtprüfung durchzuführen sein202. Für die in Bezug auf Stickstoffemissionen besonders relevanten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen ist diesbezüglich zwischen drei verschiedenen Konstellationen zu differenzieren203 : - Werden die nach § 4 BImSchG i. V. m. der 4. BImSchV vorgeschriebenen Schwellenwerte zur Genehmigungspflichtigkeit aufgrund der Änderungen erst193

Hierzu und insgesamt zum Folgenden M. Lau, NuR 2016, S. 149 (152). M. Lau, NuR 2016, S. 149 (152). 195 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 14 (Hervorhebung im Original). 196 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (152). 197 Vgl. M. Lau, NuR 2016, S. 149 (152 f.). 198 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (153). 199 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (153 m. w. N.). 200 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (153). 201 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (153); siehe hierzu auch G.-M. Knopp, in: F. Sieder u. a. (Hrsg.), Kommentar zum WHG/AbwAG, Bd. 1, § 8 WHG (2011) Rn. 42. 202 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (153). 203 Diese Differenzierung ist M. Lau, NuR 2016, S. 149 (153) entnommen. 194

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

malig überschritten, liegt immissionsschutzrechtlich eine Neugenehmigung vor204. - Bezüglich solcher Bestandsanlagen, die bereits einer Genehmigung unterlagen, muss hinsichtlich des Umfangs und des Gegenstands der Änderungsgenehmigung zwischen quantitativen und qualitativen Änderungen differenziert werden205. Qualitative Änderungen stellen Änderungen innerhalb der bestehenden Anlage dar, während es sich bei quantitativen Änderungen um bloße Erweiterungen der Bestandsanlage handelt206. Im Falle qualitativer Änderungen der Anlage umfasst der Prüfgegenstand auch die unveränderten Teile der Anlage, soweit die Änderungen sich auf diese auswirken können207. Mithin sind in dieser Konstellation sämtliche von der Anlage ausgehenden Emissionen Gegenstand des Prüfverfahrens208. - Anders sieht dies indes bei quantitativen Änderungen, also bloßen Erweiterungen der Bestandsanlage aus. Der Prüfgegenstand umfasst in diesem Falle lediglich die Änderungen und die damit verbundenen Emissionen209. Die einzige Konstellation, in der ausschließlich die Änderung als solche und die Bestimmung ihrer Auswirkungen den Prüfgegenstand bilden, ist daher die der quantitativen Änderung eines bereits vorher schon immissionsschutzrechtlich genehmigten Vorhabens210. Die Bestandsanlage und deren Auswirkungen sind in diesem Falle somit Teil der Vorbelastung, während die Änderungsauswirkungen der Zusatzbelastung zugeschlagen werden211. In allen anderen Konstellationen ist jeweils das gesamte Vorhaben in die FFH-Verträglichkeitsprüfung einzustellen. Dieser Ansatz stimmt auch mit unionsrechtlichen Wertungen überein. Insbesondere ergibt sich aus der FFH-Richtlinie keine generelle Plicht zur Berücksichtigung der Auswirkungen des Gesamtvorhabens212. So bezieht sich die aus Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie folgende Prüfpflicht nur auf solche Vorhaben, die nach dem Geltungseintritt des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie zugelassen wurden213. Dies gilt nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs auch für gestufte Maßnahmen, die 204

M. Lau, NuR 2016, S. 149 (153). H. D. Jarass, in: ders. (Hrsg.), BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 16 Rn. 32 f. 206 H. D. Jarass, in: ders. (Hrsg.), BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 16 Rn. 6 m. w. N. 207 BVerwG, Urt. v. 21.8.1996 – 11 C 9.95, BVerwGE 101, 347 (355); Urt. v. 24.10.2013 – 7 C 36.11, BVerwGE 148, 155 Rn. 38; diese und weitere Nachweise bei H. D. Jarass, in: ders. (Hrsg.), BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 16 Rn. 32. 208 BVerwG, Urt. v. 21.8.1996 – 11 C 9.95, BVerwGE 101, 347 (356). 209 H. D. Jarass, in: ders. (Hrsg.), BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 16 Rn. 33. 210 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (153). 211 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (153). 212 Siehe hierzu und grundsätzlich zur Vereinbarkeit des vorgestellten nationalrechtlichen Bestimmungsversuchs mit dem Unionsrecht M. Lau, NuR 2016, S. 149 (153). 213 EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010 – C-226/08, ECLI:EU:C:2010:10, Rn. 48; Urt. v. 14.1.2016 – C-399/14, ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 33. 205

C. Konkurrenz in der Kumulation

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als ein einheitliches Projekt im Sinne des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie eingeordnet werden können, und bereits vor Ende der Umsetzungsfrist der FFH-Richtlinie verwirklicht wurden214. Derartige Vorhaben sind folglich keiner FFH-Verträglichkeitsprüfung zuzuführen. Auf derartige Bestandsvorhaben findet allerdings das auf dasselbe Schutzniveau abzielende Verschlechterungs- und Störungsverbot aus Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie Anwendung215. „Demnach ist bei Änderungsvorhaben, die nicht ohnehin bereits aus nationalrechtlichen Gründen insgesamt als neuer Plan bzw. neues Projekt zu bewerten sind und somit einer Vollprüfungspflicht unterliegen, vor der eigentlichen FFH-Verträglichkeitsprüfung zunächst zu überprüfen, ob auf den die Grundlage des Änderungsvorhabens bildenden Bestand aufgesetzt werden darf oder dieser Bestand gem. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL der Korrektur bedarf.“216 Zusammenfassend besteht daher bei Änderungsvorhaben keine pauschale Gesamtprüfpflicht für Projekte. Entscheidend sind vielmehr die Vorgaben des jeweiligen Fachrechts. Bezüglich stickstoffemittierender Anlagen, die nach dem immissionsschutzrechtlichen Zulassungsverfahren zugelassen werden, muss unterschieden werden: Wächst ein Vorhaben erstmalig in die Prüfpflicht gem. § 4 BImSchG i. V. m. der 4. BImSchV hinein, sind die Gesamtauswirkungen in die FFH-Verträglichkeitsprüfung einzustellen. Immissionsschutzrechtlich liegt eine Neugenehmigung vor. Für alle weiteren Fälle ist zwischen qualitativen und quantitativen Änderungen zu differenzieren. Lediglich für letztere gilt, dass ausschließlich die isolierten Änderungsauswirkungen in den Blick zu nehmen sind. 2. Ansatz des TA Luft-Entwurfs/2018 Die Behandlung von immissionsschutzrechtlichen Änderungsvorhaben könnte sich in absehbarer Zeit durch die im TA Luft-Entwurf/2018 vorgesehenen Regelungen ändern. So ergibt sich aus der Kombination von Nr. 2.2 und Anhang 8 dieses Entwurfs gewissermaßen ein „änderungsbezogener Abschneidewert“, der eine große Zahl an Änderungsvorhaben von der FFH-Verträglichkeitsprüfung ausschließen könnte217. Nr. 2.2. des TA Luft-Entwurfs/2018 lautet wie folgt:

214

EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010 – C-226/08, ECLI:EU:C:2010:10, Rn. 47 f.; M. Lau, NuR 2016, S. 149 (153). 215 EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010 – C-226/08, ECLI:EU:C:2010:10, Rn. 48 f.; Urt. v. 24.11.2011 – C-404/09, EU:C:2011:768, Rn. 124 f.; M. Lau, NuR 2016, S. 149 (153). 216 Siehe hierzu sowie zum möglichen Umfang einer solchen Korrektur über Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie M. Lau, NuR 2016, S. 149 (153 f.); für eine sich zur nachträglichen Verträglichkeitsprüfung hin konkretisierenden Schutzpflicht aus Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie siehe BVerwG, Urt. v. 15.7.2016 – 9 C 3.16, NVwZ 2016, S. 1631 ff. (m. Anm. v. J. Weuthen). 217 M. Gellermann, NuR 2016, S. 225 (230) spricht bereits in Bezug auf eine vergleichbare Regelung in einem Entwurf zur TA Luft aus dem Jahre 2015 (29.5.2015) von einem solchen „änderungsbezogene[n] Abschneidewert“.

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte 1

Immissionskenngrößen kennzeichnen die Höhe der Belastung durch einen luftverunreinigenden Stoff. 2Bei der Belastung sind Vorbelastung, Gesamtzusatzbelastung, Zusatzbelastung und Gesamtbelastung zu unterscheiden. 3Die Vorbelastung ist die vorhandene Belastung durch einen Schadstoff. 4Die Zusatzbelastung ist der Immissionsbeitrag des Vorhabens. 5Im Fall einer Änderungsgenehmigung kann der Immissionsbeitrag des Vorhabens negativ sein. 6Die Gesamtbelastung ergibt sich aus der Vorbelastung und der Zusatzbelastung. 7Die Gesamtzusatzbelastung ist der Immissionsbeitrag, der durch die gesamte Anlage hervorgerufen wird. 8Bei Neugenehmigungen entspricht die Zusatzbelastung der Gesamtzusatzbelastung. […]

Wesentlich ist, dass sich der Einwirkbereich und damit der räumliche Untersuchungsbereich der FFH-Verträglichkeitsprüfung gem. Anhang 8 S. 2 des TA LuftEntwurfs/2018 nach der Zusatzbelastung bestimmt. Die Zusatzbelastung wiederum ist gem. Nr. 2.2 S. 4 TA Luft-Entwurf/2018 der Immissionsbeitrag des prüfgegenständlichen Vorhabens. Im Falle einer Neuzulassung entspricht die Zusatzbelastung des Vorhabens der Gesamtzusatzbelastung, also dem gesamten Immissionsbeitrag einer Anlage (Nr. 2.2 S. 8 TA Luft-Entwurf/2018). Handelt es sich um eine Änderungsgenehmigung, so kann der Immissionsbeitrag und damit die Zusatzbelastung nach Nr. 2.2 S. 5 TA Luft-Entwurf/2018 sogar negativ ausfallen, wenn die Gesamtzusatzbelastung durch die Änderung verringert wird. In Nr. 2.2 des TA LuftEntwurfs/2018 ist folglich eine Differenzberechnung zur Ermittlung der Zusatzbelastung angelegt, bei der von dem Wert der Gesamtzusatzbelastung nach Änderung der Wert der Gesamtzusatzbelastung vor der Änderung abzuziehen ist218. Angesichts dessen, dass sich der Einwirkbereich gem. Anhang 8 S. 2 nach der Zusatzbelastung richtet, werden auf Grundlage dieser Differenzrechnung viele stickstoffemittierende Änderungsvorhaben ganz von der FFH-Pflicht ausgenommen. Schließlich bemisst sich die Pflicht zur Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung für ein Vorhaben gem. Anhang 8 S. 3 danach, ob Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung innerhalb des Einwirkbereichs des Vorhabens liegen. Je geringer allerdings die berechnete Zusatzbelastung ist, desto kleiner ist auch der Einwirkbereich, weshalb auch die Wahrscheinlichkeit betroffener Schutzgebiete sinkt. Teilweise wird die berechnete Zusatzbelastung gar unterhalb des für untere Abschneidekriterien gewählten Wertes von 0,3 kg N ha-1 a-1 liegen oder negativ sein. Auch in das durch die Bagatellschwelle eröffnete Bagatellkontingent sind die nach dieser Rechenregel nicht FFH-pflichtigen Änderungsvorhaben nicht einzustellen. Es ist fraglich, inwiefern diese Regelungstechnik mit dem in § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG bzw. Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie verankerten Vorsorgeprinzip vereinbar ist219. Selbst wenn mit Verwirklichung des Änderungsvorhabens eine Emissionsre218

Der TA Luft-Entwurf aus dem Jahre 2015 (siehe vorstehende Fn.) sah eine derartige Rechenregel in Nr. 2.2. S. 5 noch explizit vor: „Die Zusatzbelastung ist die Gesamtzusatzbelastung nach einer wesentlichen Änderung abzüglich der Gesamtzusatzbelastung vor einer wesentlichen Änderung.“ 219 EuGH, Urt. v. 14.1.2016 – C-399/14, ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 48; S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzge-

C. Konkurrenz in der Kumulation

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duzierung einherginge, ließe sich daraus nicht ableiten, dass sich das Änderungsvorhaben für sich genommen nicht erheblich nachteilig auf Schutzgebiete und deren Erhaltungsziele auswirkt220. Vielmehr ist eine fortschreitende Verfestigung von Belastungssituationen weiterhin möglich. So ist durchaus vorstellbar, dass es trotz der verringerten Emissionen immer noch oder erstmals zu Einträgen in benachbarten nährstoffempfindlichen FFH-Schutzgebieten kommt, die über die für diese Lebensraumtypen verträglichen Critical Loads hinausgehen221. In diesen Fällen stellen sich die Auswirkungen weiterhin als erhebliche Beeinträchtigung dar. Vor diesem Hintergrund ist die beschriebene, im TA Luft-Entwurf/2018 angelegte weitreichende Ausnahme für Änderungsvorhaben von der FFH-Verträglichkeitsprüfung abzulehnen.

III. Zwischenergebnis: Das FFH-Rechtsregime als Konkurrenzfrage Die vorstehenden Darstellungen verdeutlichen, dass das Ausmaß der durch die Kumulation verursachten Konkurrenzen auch davon abhängt, wie die aufgeworfenen Rechtsfragen letztlich entschieden werden. Insbesondere der Wahl des Einsatzzeitpunktes der Kumulation kommt vor dem Hintergrund der durch die Bagatellschwellen eröffneten Bagatellkontingente eine besondere Bedeutung zu. Ein zeitlich weit zurückreichender Kumulationszeitraum ist gleichbedeutend mit einer größeren Anzahl in das Bagatellkontingent einzustellender Projekte und damit einer verschärften Konkurrenzlage. Der Kumulationszeitraum ist daher zeitlich nach unten zu begrenzen. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Revisionsentscheidung Trianel verdient daher insofern Beifall, als sie einen bis ins Jahr 2004 zurückreichenden Kumulationszeitraum grundsätzlich ausschließt. Auch die in dieser Entscheidung angestellten Verhältnismäßigkeitserwägungen sind ebenso zu begrüßen wie die Überlegungen zu einem vereinfachten Verwaltungsvollzug und der fachwissenschaftlichen Seriosität der FFH-Verträglichkeitsprüfung. Nicht zuletzt ist die Aktualisierung des UBA-Datensatzes als zeitliche Zäsur für die einzustellenden Projekte – wie es der TA Luft-Entwurf/2016 vorschlug – ein lohnenswerter Gedanke. Ein solcher Ansatz klang ebenfalls in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Mai 2019 an222. An dieser Stelle sei allerdings auch darauf hingewiesen, dass dem sog. Kumulationsdilemma223 nicht allein durch die zeitliche Begrenzung der Kumulation beisetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 8; vgl. hierzu in Bezug auf den Entwurf der TA Luft vom August 2015 M. Gellermann, NuR 2016, S. 225 (230 f.). 220 Vgl. hierzu auch M. Gellermann, NuR 2016, S. 225 (230). 221 Vgl. hierzu M. Gellermann, NuR 2016, S. 225 (230). 222 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 51. 223 Siehe zum Begriff des „Kumulationsdilemmas“ A. Garniel, Rahmenbedingungen der FFH-Verträglichkeitsprüfung – Neue Aspekte im Anhang 8 der TA Luft „Gebiete von ge-

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

zukommen ist. Vielmehr bedarf es eines umfassenderen Ansatzes auf Grundlage des FFH-Schutzregimes224. So ließe sich eine zeitliche Begrenzung des Kumulationszeitraums um ein konsequentes Management von Natura 2000-Gebieten ergänzen225. Ein solches umfasst in regelmäßigen Zeitabständen umgesetzte kompensierende Maßnahmen226. Durch ein derartiges Vorgehen ließe sich verhindern, dass kumulierende nicht-erhebliche Stoffe ein prüfrelevantes Niveau erreichen227. Als möglicher Zeitabstand für die Abfolge kompensierender Maßnahmen könnten zwischen sechs und zehn Jahre veranschlagt werden228. Auf diese Weise ließen sich „kleine Altlasten“ regelmäßig neutralisieren, was künftigen Vorhaben neue Belastungspotentiale zusichert229. Vor dem Hintergrund strenger Prüfstandards der FFH-Verträglichkeitsprüfung ist der Umfang der nicht-erheblichen Beeinträchtigungen grundsätzlich als geringfügig einzuschätzen, weshalb eine Neutralisierung keinen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde230. Die regelmäßige Evaluierung der

meinschaftlicher Bedeutung“, Vortragsentwurf für die „Konferenz Anpassung der TA Luft“ des VDI Wissensforums vom 14.–15.2.2017 in Köln, Folie 48. 224 Siehe hierzu A. Garniel, Rahmenbedingungen der FFH-Verträglichkeitsprüfung – Neue Aspekte im Anhang 8 der TA Luft „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“, Vortragsentwurf für die „Konferenz Anpassung der TA Luft“ des VDI Wissensforums vom 14.–15.2.2017 in Köln, Folie 46 ff.; siehe hierzu und im Folgenden auch J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (221 f.), dessen Ausführungen sich an den Vorschlag Garniels anlehnen. 225 A. Garniel, Rahmenbedingungen der FFH-Verträglichkeitsprüfung – Neue Aspekte im Anhang 8 der TA Luft „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“, Vortragsentwurf für die „Konferenz Anpassung der TA Luft“ des VDI Wissensforums vom 14.–15.2.2017 in Köln, vgl. Folie 48. 226 A. Garniel, Rahmenbedingungen der FFH-Verträglichkeitsprüfung – Neue Aspekte im Anhang 8 der TA Luft „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“, Vortragsentwurf für die „Konferenz Anpassung der TA Luft“ des VDI Wissensforums vom 14.–15.2.2017 in Köln, Folie 46. 227 A. Garniel, Rahmenbedingungen der FFH-Verträglichkeitsprüfung – Neue Aspekte im Anhang 8 der TA Luft „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“, Vortragsentwurf für die „Konferenz Anpassung der TA Luft“ des VDI Wissensforums vom 14.–15.2.2017 in Köln, Folie 46. 228 A. Garniel, Rahmenbedingungen der FFH-Verträglichkeitsprüfung – Neue Aspekte im Anhang 8 der TA Luft „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“, Vortragsentwurf für die „Konferenz Anpassung der TA Luft“ des VDI Wissensforums vom 14.–15.2.2017 in Köln, Folie 46. 229 A. Garniel, Rahmenbedingungen der FFH-Verträglichkeitsprüfung – Neue Aspekte im Anhang 8 der TA Luft „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“, Vortragsentwurf für die „Konferenz Anpassung der TA Luft“ des VDI Wissensforums vom 14.–15.2.2017 in Köln, Folie 47. 230 A. Garniel, Rahmenbedingungen der FFH-Verträglichkeitsprüfung – Neue Aspekte im Anhang 8 der TA Luft „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“, Vortragsentwurf für die „Konferenz Anpassung der TA Luft“ des VDI Wissensforums vom 14.–15.2.2017 in Köln, Folie 47 f.

C. Konkurrenz in der Kumulation

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Gebietszustände und daran anknüpfende Managementmaßnahmen brächten zudem den Vorteil mit sich, dass stets vergleichbare Prüfunterlagen vorlägen231. Ein solcher Ansatz effektiven Gebietsmanagements könnte zusätzlich um Maßnahmen auf Grundlage des allgemeinen Verschlechterungsverbots aus § 33 Abs. 1 BNatSchG ergänzt werden.232 Selbst für Projekte, die in Folge einer FFH-Verträglichkeitsprüfung bereits als unbedenklich eingeordnet wurden, eröffnet die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs über das Verschlechterungsverbot die Möglichkeit eines vorhabenbezogenen Minderungspotentials233. Beeinträchtigt ein Vorhaben demnach trotz positiver FFH-Verträglichkeitsprognose die Erhaltungsziele, könnte Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie (respektive § 33 Abs. 1 BNatSchG) in Anschlag gebracht werden234. Ebenso entschied der Europäische Gerichtshof, „dass die Ausführung eines Projekts, das genehmigt wurde, bevor die Schutzregelung der Habitatrichtlinie für das fragliche Gebiet anwendbar wurde, und daher nicht den Vorgaben der Habitatrichtlinie über eine Ex-ante-Prüfung gemäß Art. 6 Abs. 3 dieser Richtlinie unterliegt, gleichwohl unter Art. 6 Abs. 2 dieser Richtlinie fällt“235. Jeder der vorgeschlagenen Ansätze würde das Ausmaß der Konkurrenzprobleme reduzieren. Ganz auszuschließen sind die geschilderten Konkurrenzlagen trotz aufwendiger Maßnahmen allerdings vorerst wohl nicht, wenn man bedenkt, dass die Critical Loads für Eutrophierung im Jahr 2004 in 74,7 % aller Ökosysteme überschritten waren236. „Die CL der empfindlichsten Lebensraumtypausprägungen sind 231

A. Garniel, Rahmenbedingungen der FFH-Verträglichkeitsprüfung – Neue Aspekte im Anhang 8 der TA Luft „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“, Vortragsentwurf für die „Konferenz Anpassung der TA Luft“ des VDI Wissensforums vom 14.–15.2.2017 in Köln, vgl. Folie 47; im Falle einer Bagatellschwellenbetrachtung ist schließlich darauf zu achten, dass die Belastungsbeiträge kumulierender Projekte nicht ohne Berücksichtigung von Entlastungswirkungen, die z. B. auf Kohärenzsicherungsmaßnahmen beruhen, eingestellt werden, so auch M. Lau, NuR 2016, S. 149 (152); U. Hösch, UPR Sonderheft 2016, S. 421 (427). Kritisch hingegen in Bezug auf die Einbeziehung von Entlastungswirkungen in die Bagatellbetrachtung der Kumulation wegen einer dadurch drohenden Gefährdung bereits erreichter Entlastungen R. Uhl/H. Runge/M. Lau, NuL 2018, S. 371 (377). 232 J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (222); dies ebenfalls andeutend A. Garniel, Rahmenbedingungen der FFH-Verträglichkeitsprüfung – Neue Aspekte im Anhang 8 der TA Luft „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“, Vortragsentwurf für die „Konferenz Anpassung der TA Luft“ des VDI Wissensforums vom 14.–15.2.2017 in Köln, Folie 48; siehe auch F. Fellenberg, NVwZ 2019, S. 177 (180): „Das an die Mitgliedstaaten adressierte allgemeine Verschlechterungsverbot des Art. 6 II FFH-RL (§ 33 I BNatSchG) ist das richtige Instrument zur Neutralisierung der Folgen bereits durchgeführter Pläne und Projekte.“ 233 Ein solches Potential des Verschlechterungsverbots besteht nach C. Sobotta, EurUP 2015, S. 341 (346 ff.) insbesondere mit Blick auf Ermittlungsmängel und Prüfungslücken in der FFH-Verträglichkeitsprüfung. 234 Vgl. EuGH, Urt. v. 7.9.2004 – C-127/02, ECLI:EU:C:2004:482, Rn. 36 f. 235 EuGH, Urt. v. 14.1.2016 – C-399/14, ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 33 (Hervorhebung im Original); siehe auch Urt. v. 24.11.2011 – C-404/09, EU:C:2011:768, Rn. 124 f.; Urt. v. 14.1.2010 – C-226/08, EU:C:2010:10, Rn. 48 f. 236 M. Schaap u. a., PINETI-3: Modellierung atmosphärischer Stoffeinträge von 2000 bis 2015 zur Bewertung der ökosystem-spezifischen Gefährdung von Biodiversität durch Luft-

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1. Kap.: Die Konkurrenz in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte

in den meisten Regionen Deutschlands aller Wahrscheinlichkeit nach seit mindestens 100 Jahren überschritten.“237 Die entscheidende Frage im Hinblick auf Konkurrenzen in der Kumulation und damit auch dieser Arbeit ist daher, welchem Projekt nach welchen Kriterien in der Kumulation Vorrang gebührt.

schadstoffe in Deutschland. Abschlussbericht 2018 (im Auftrag des Bundesumweltamtes), S. 122 Tab. 16, abrufbar unter https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/pineti-3-model lierung-atmosphaerischer (Stand: 27.3.2019). 237 S. Balla u. a., Waldökologie, Landschaftsforschung und Naturschutz 2014, S. 43 (51).

2. Kapitel

Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung als unzureichender Entscheidungsmaßstab bei parallelen Genehmigungsanträgen Die Rechtsprechung behilft sich zur Ermittlung der Vorrangstellung bei Konkurrenzen in der Kumulation mangels gesetzlicher Vorgaben mit dem sog. Prioritätsprinzip1, pejorativ auch Windhundverfahren2 oder -prinzip3 sowie Warteschlangen-Verfahren4 genannt. Ganz grundsätzlich knüpft die Verteilung nach dem Prioritätsprinzip an die zeitliche Reihenfolge der Bewerber an5 : Derjenige, der zuerst sein Zuteilungsbegehren äußert, wird bedient6. Bei dem Prioritätsprinzip handelt es sich um ein rein formales Kriterium; materielle Gesichtspunkte werden bei der Verteilungsentscheidung nicht berücksichtigt7. Bereits in seiner Trianel-Entscheidung vom 1. Dezember 20118 stellte das Oberverwaltungsgericht Münster fest: „In derartigen Konkurrenzfällen entspricht es, wenn und solange der Gesetzgeber nichts anderes geregelt hat, […] anerkannter Auffassung, dass regelmäßig eine Entscheidung nach Maßgabe des sog. ,Prioritätsprinzips‘ sachgerecht ist.“9 […] „Das Prioritätsprinzip bewirkt also, dass (erst) das nachfolgende Projekt, das im Zusammenwirken mit den anderen Projekten zu erheblichen Beeinträchtigungen führen würde, nicht genehmigungsfähig ist.“10 1

OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 622 ff., 735; Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 461 ff., 694; P. Sittig, Das Prioritätsprinzip im deutschen Verwaltungsrecht bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für Windenergieanlagen, 2013; F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 560 f.; M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 101 ff.; M. Rolshoven, NVwZ 2006, S. 516 ff.; A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 ff.; C. Koenig, Die öffentlich-rechtliche Verteilungslenkung, 1994, S. 143 f.; A. Wacke, JA 1981, S. 94 ff.; W. Berg, Der Staat 15 (1976), S. 1 (S. 24 f.); C. Tomuschat, Der Staat 12 (1973), S. 434 (444 f.); 2 H. Rummer, NJW 1988, S. 225 (229 f.): „Windhund-Verfahren“. 3 M. Maslaton, NVwZ 2013, S. 542 (542); O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (274; G. Püttner/ S. Lingemann, JA 1984, S. 121 (129). 4 W. Berg, Der Staat 15 (1976), S. 1 (3). 5 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 101. 6 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 101. 7 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (22). 8 OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris. 9 OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 622 ff. 10 OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 637.

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

Für die Priorität sei wiederum „der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Genehmigungsbehörde ein prüffähiger Antrag vorliegt. Denn ab diesem Zeitpunkt sind die Auswirkungen des Vorhabens hinreichend konkret vorhersehbar. Findet eine Öffentlichkeitsbeteiligung statt, kann spätestens mit Auslegung der Unterlagen davon ausgegangen werden, dass der Antrag prüffähig ist“11.

Das Bundesverwaltungsgericht hingegen sieht den Zeitpunkt der verlässlichen Absehbarkeit der Auswirkungen grundsätzlich erst im Moment der Zulassungsentscheidung als gegeben an12. Gemäß dieser Rechtsprechung werden prioritär zu berücksichtigende Projekte dem zur Genehmigung stehenden Projekt somit „aufgesattelt“. Vor dem Hintergrund der langen Tradition des Prioritätsprinzips im deutschen Rechtskreis ist eine solche Lösung mangels eines sonstigen einfachgesetzlich vorgegebenen Entscheidungsmaßstabs auf den ersten Blick nicht fernliegend. Bereits im Sachsenspiegel findet sich das altdeutsche Rechtssprichwort „Wer ouch erst zu der mulen kumt, der sal erst malen“ 13 (oder: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!“) und auch in unsere heutige Rechtsordnung hat das Prioritätsprinzip auf vielgestaltige einfachgesetzliche Weise Einzug gehalten: Zu den klassischen Anwendungsbereichen des Prioritätsprinzips zählt etwa die Verteilung von begrenzten Gütern14 : So erfolgt beispielsweise die Vergabe von Taxikonzessionen (§ 13 Abs. 5 S. 2 PBefG) anhand der zeitlichen Abfolge der Antragsstellungen. Ebenso sind die Vergabe von Subventionen15 oder die Zulassung zu öffentlichen Einrichtungen, wie z. B. Stadthallen16, Bereiche, in denen das Prioritätsprinzip die behördlichen Entscheidungen wesentlich bestimmt. Neben seiner besonderen Bedeutung für die öffentliche Verteilungslenkung im Verwaltungsrecht findet das Prioritätsprinzip aber auch im Zi-

11

OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 632. BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 19; Urt. v. 21.5.2008 – 9 A 68.07, juris – Rn. 21; Urt. v. 24.11.2011 – 9 A 23.10, BVerwGE 141, 171 Rn. 40. 13 Eike von Repgow, Sachsenspiegel (hrsg. v. F. Ebel, 1999), Zweites Buch (Landrecht), § 59 Abs. 4 (1220 – 1230). 14 Siehe ausführlich zu der Rolle des Prioritätsprinzips als Verteilungskriterium in der deutschen Rechtsordnung und zu den nachfolgenden einfachgesetzlichen Beispielen A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 ff.; zu letzteren siehe auch P. Sittig, Das Prioritätsprinzip im deutschen Verwaltungsrecht bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für Windenergieanlagen, 2013, S. 165 ff. 15 Siehe exemplarisch VG Magdeburg, Urt. v. 18.11.2013 – 3 A 323/11, juris – Rn. 40: „Denn bis zur Erschöpfung der Haushaltsmittel gilt regelmäßig im Subventionsrecht das ,Windhundprinzip‘“; siehe auch VG Saarlouis, Urt. v. 21.12.2011 – 1 K 200/10, juris – Rn. 43; A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (25). 16 So z. B. zuletzt VG Gießen, Beschl. v. 20.12.2017 – 8 L 9187/17.GI, juris – Rn. 44 oder VGH Mannheim, Beschl. v. 16.10.2014 – 1 S 1855/14, NVwZ-RR 2015, S. 148 (149); insgesamt zur aktuellen Rechtsprechungsentwicklung bezüglich des Zugangs zu öffentlichen Einrichtungen F. Schoch, NVwZ 2016, S. 257 ff. 12

2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

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vilrecht und dort insbesondere im Sachenrecht Anwendung17. Die Rangverhältnisse mehrerer Pfandrechte an einem Gegenstand bemessen sich gem. §§ 879, 1209 BGB nach dem Zeitpunkt der Bestellung bzw. Eintragung, indem das zeitlich früher entstandene Pfandrecht dem späteren im Rang vorsteht18. Ob es sich bei dem Prioritätsprinzip um einen für die Kumulation stickstoffemittierender Projekte geeigneten Entscheidungsmaßstab handelt, ist dennoch fragwürdig. So wird dem Prioritätsprinzip trotz seiner Verbreitung im deutschen Rechtskreis aus mehreren Gründen kritisch begegnet. Neben allgemeiner Kritik am Prioritätsprinzip, nach dem dieses beispielsweise lediglich „einen Schein der Ordnung“ schaffe, letztlich aber bloß „kaschierte Willkür“ sei19, bestehen auch sachbezogene Zweifel an dessen Anwendung in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte. Bereits der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die zeitliche Priorität, ab dem dann gewissermaßen eine Sperrwirkung einträte, wurde – jedenfalls bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Mai 201920 – nicht einmütig bestimmt. Liegt dieser bereits bei Antragstellung vor oder doch erst im Genehmigungszeitpunkt?21 Vornehmlich sind die Zweifel an der Sachangemessenheit des Prioritätsprinzips allerdings einfachgesetzlicher und verfassungsrechtlicher Natur22. Es stellt sich zum einen die Frage, inwieweit das Prioritätsprinzip mit den prozeduralen Vorgaben der jeweiligen Trägerverfahren kompatibel ist; zum anderen ist fraglich, ob etwaige in der Kumulation bestehende Grundrechtsinteressen durch Anwendung eines rein formellen Kriteriums wie dem der zeitlichen Priorität ausreichend tariert werden können. Angesichts dieser weitreichenden Bedenken bezüglich einer rein prioritären Lösung ist daher nachfolgend zu untersuchen, ob das Prinzip der Priorität den vorzugswürdigen Lösungsansatz in der Kumulation darstellt. Dieser Untersuchung vorweggenommen sei dabei, dass die Legitimität des Prioritätsprinzips als Entscheidungsmaßstab in der Kumulation insbesondere vom Realisierungsgrad der einzustellenden Projekte abhängt. Im Rahmen der folgenden Darstellung wird daher zwischen bereits realisierten oder jedenfalls genehmigten 17

M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 102. M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 102 m. w. N.; zum Prioritätsprinzip als materielle Rangdeterminante siehe auch J. Kohler, in: F. J. Säcker/R. Rixecker/H. Oetker/B. Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 7, 7. Aufl. 2017, § 879 Rn. 14 ff.; J. F. Baur/R. Stürner, Sachenrecht, 18. Aufl. 2009, § 17 Rn. 7. 19 C. Tomuschat, Der Staat 12 (1973), S. 433 (455). 20 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 ff. 21 Allgemein dazu O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (276); siehe beispielhaft für den Zeitpukt der Zulassungsentscheidung bei gebundenen Entscheidungen M. Lau, NuR 2016, S. 149 (151); beispielhaft für die Vollständigkeit der Prüfunterlagen als Anknüpfungspunkt im Anlagenzulassungsrecht P. Schütte, NuR 2008, S. 142 (146). 22 Siehe hierzu beispielhaft in Bezug auf das Anlagenzulassungsrecht O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (276 ff.); siehe auch M. Lau, NuR 2016, S. 149 (151), der – ebenso wie Reidt (ebda.) – jedenfalls für gebundene Entscheidungen eine Rechtsgrundlage fordert, wenn der für die Priorität maßgebliche Zeipunkt im Vorfeld der Genehmigungserteilung liegen soll. 18

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

Projekten auf der einen (A.) und zur Genehmigung anstehenden und noch nicht realisierten (parallelen) Projekten (B.) auf der anderen Seite unterschieden.

A. Das Prioritätsprinzip als geeigneter Entscheidungsmaßstab bei zumindest genehmigten Projekten Die FFH-Verträglichkeitsprüfung ist ein „unselbstständiger Teil des fachrechtlichen Hauptsacheverfahrens“23. Wie sich aus § 34 Abs. 6 BNatSchG ergibt, wird sie von der für das Genehmigungs- oder Anzeigeverfahren zuständigen Behörde durchgeführt24. Die Rechtmäßigkeit einer nach Abschluss eines Verfahrens ergehenden Genehmigung bemisst sich regelmäßig nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der abschließenden Verwaltungsentscheidung25. Der von der Behörde zu berücksichtigenden Sach- und Rechtslage gehören auch bereits verwirklichte Projekte an26. Dies folgt aus dem Bestandsschutz der Projekte27. Danach gilt für ein zeitlich nachfolgendes Projekt, dass bereits realisierte genehmigungspflichtige Projekte in die Kumulation einzustellen sind. Das Prioritätsprinzip wirkt hier somit mittels Bestandsschutz28. Auch in Bezug auf zumindest genehmigte Projekte verfängt das Prioritätsprinzip als Entscheidungsmaßstab. So zählen zu der von der Behörde zu berücksichtigenden Sach- und Rechtslage neben den realisierten ebenso die bereits genehmigten Pro-

23 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 50 (Hervorhebung im Original); siehe hierzu auch BVerwG, Urt. v. 10.4.2013 – 4 C 3.12, BVerwGE 146, 176 Rn. 11; W. Frenz, in: ders./ Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 34 Rn. 79; M. Gellermann, in: R. v. Landmann/G. Rohmer u. a. (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. II, Umweltrecht Besonderer Teil, 11. Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), § 34 (2014) Rn. 16. 24 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 50; BVerwG, Urt. v. 10.4.2013 – 4 C 3.12, BVerwGE 146, 176 Rn. 11. 25 BVerwG, Urt. v. 30.8.1961 – 4 C 86.58, BVerwGE 13, 28, 31; Urt. v. 03.11.1986 – 9 C 254.86, BVerwGE 78, 243, 244 f.; Urt. v. 28.7.1989 – 7 C 39.87, BVerwGE 82, 260, 261. 26 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (275 f.); siehe zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage auch D. Sellner/O. Reidt/M. J. Ohms, Immissionsschutzrecht und Industrieanlagen, 3. Aufl. 2006, 3. Teil, Rn. 84 f. m. w. N. 27 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (275 f.); siehe zum eingeschränkten Bestandsschutz aufgrund der dynamischen Betreiberpflichten im Immissionsschutzrecht D. Sellner/O. Reidt/ M. J. Ohms, Immissionsschutzrecht und Industrieanlagen, 3. Aufl. 2006, 1. Teil, Rn. 64; allgemein zum Bestandsschutz im Immissionsschutzrecht T. Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007; K. Hansmann, Der Bestandsschutz im Immissionsschutzrecht, in: E. Schmidt-Aßmann u. a. (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 935 ff. 28 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (275 f.).

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 61

jekte29. Auch Projekte, die zwar noch nicht realisiert, aber bereits genehmigt wurden, sind somit aufgrund ihrer zeitlichen Priorität in die Kumulation einzustellen. Diese Vorgehensweise entspricht auch der vorgestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach bei noch nicht realisierten Vorhaben jedenfalls im Zeitpunkt der Projektzulassung die verlässliche Absehbarkeit der Auswirkungen anzunehmen ist30.

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen – Rechtliche Grenzen und Vorgaben am Beispiel zusammentreffender immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsanträge Bei parallel zur Genehmigung stehenden Projekten stellt sich die rechtliche Situation anders dar als bei realisierten oder bereits genehmigten Vorhaben: Weder kann sich das Prioritätsprinzip hier seinen Weg über den Bestandsschutz bahnen, noch gehen ungenehmigte Projekte im Zeitpunkt der Kumulationsprüfung als Teil der zu berücksichtigenden Sach- und Rechtslage in die Genehmigungsentscheidung ein. In der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bestand jedenfalls bis zur Trianel-Entscheidung31 des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Mai 2019 die Auffassung, das Prioritätsprinzip eigne sich als sachgerechtes Entscheidungskriterium bei parallelen Genehmigungsanträgen: „Bei konkurrierenden, sich gegenseitig ausschließenden oder einschränkenden Vorhaben ist nach dem Prioritätsprinzip zu verfahren und für die zeitliche Reihenfolge auf den Zeitpunkt der Einreichung eines prüffähigen Genehmigungsantrages abzustellen“32.

Gemäß dieser Rechtsprechung ist also gerade das Prioritätsprinzip der wesentliche Entscheidungsmaßstab bei Konkurrenzen paralleler Projekte im immissionsschutzrechtlichen Verfahren. Die Eindeutigkeit der Oberverwaltungsgerichte zu29

O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (275 f.). BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 19; Urt. v. 21.5.2008 – 9 A 68.07, juris – Rn. 21; BVerwG, Urt. v. 24.11.2011 – 9 A 23.10, BVerwGE 141, 171 Rn. 40. 31 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 ff. 32 OVG Münster, Urt. v. 18.9.2018 – 8 A 1886/16, ZUR 2019, S. 102 (103); siehe ferner die vom OVG Münster neben anderen Entscheidungen selbst angeführte weitere Rechtsprechung zum Beleg der Anerkennung des Prioritätsprinzips in dieser Frage OVG Münster, Beschluss vom 23.10.2017 – 8 B 565/17, juris – Rn. 21 ff.; Beschl. v. 13.9.2017 – 8 B 1373/16, juris – Rn. 6 ff.; Beschl. v. 20.7.2017 – 8 B 396/17, juris – Rn. 11 ff.; Urt.v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 459 ff.; Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 622 ff.; OVG Koblenz, Beschl. v. 18.6.2018 – 8 B 10260/18, juris – Rn. 19; OVG Lüneburg, Urt. v. 16.2.2017 – 12 LC 54/15, juris – Rn. 100; VGH München, Beschl. v. 13.5.2014 – 22 CS 14.851, juris – Rn. 13. 30

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

gunsten des Prioritätsprinzips überrascht angesichts fehlender entsprechender Rechtsgrundlagen. Diesen Umstand gesteht das Oberverwaltungsgericht Münster denn auch selbst zu, wenn es feststellt: „Angesichts des Fehlens genereller Regelungen im Immissionsschutzrecht zur Frage, welchem immissionsschutzrechtlichen Vorhaben bei mehreren konkurrierenden Anträgen der Vorrang zukommt, ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Auswahl oder Rangfolgebestimmung nach dem Prioritätsprinzip einen verlässlichen Maßstab für die Verteilungsentscheidung darstellt, der dem Willkürverbot und dem Gleichbehandlungsgrundsatz Rechnung trägt.“33

Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls die Einreichung eines prüffähigen Genehmigungsantrags als maßgeblichen Zeitpunkt in seiner Trianel-Entscheidung abgelehnt, da ein solches Vorgehen im Ergebnis zu einer lückenhaften Kumulationsprüfung führe34. Hinreichend sicher voraussehbare Auswirkungen nachrangiger Projekte würden bewusst ausgeblendet35. Die Belastungssituation werde dadurch insbesondere dann unzutreffend erfasst, wenn ein zeitlich später beantragtes Vorhaben früher zugelassen würde, das früher beantragte Vorhaben dessen Auswirkungen seinerseits aber nicht einzustellen habe36. Ob es sich bei dem Prioritätsprinzip tatsächlich um ein sachgerechtes Entscheidungskriterium für parallele Genehmigungsverfahren handelt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es sich im Kontext kumulierender stickstoffemittierender Projekte mit geltendem Recht vereinbaren lässt. Als hier relevantes Referenzfeld für die Vereinbarkeit des Prioritätsprinzips mit dem einfachen Recht soll nachfolgend das Anlagenzulassungsrecht nach dem BImSchG dienen (I.). Darüber hinaus wird das Prioritätsprinzip vor dem Hintergrund nationaler und unionaler Grundrechte bewertet (II.). Zum Abschluss dieses Kapitels soll zudem in gebotener Kürze der teilweise auffindbaren Annahme entgegengetreten werden, bei dem Prioritätsprinzip handele es sich um einen allgemeinen Verwaltungsgrundsatz, der unabhängig von

33

OVG Münster, Urt. v. 18.9.2018 – 8 A 1886/16, ZUR 2019, S. 102 (103) (Hervorhebung durch den Verfasser); siehe beispielhaft auch OVG Koblenz, Beschl. v. 18.6.2018 – 8 B 10260/18, juris – Rn. 19: „Wie im Beschluss des Verwaltungsgerichts zutreffend dargestellt, besteht in der obergerichtlichen Rechtsprechung angesichts des Fehlens von Regelungen im Bundesimmissionsschutzgesetz und in den zu seiner Durchführung ergangenen Verordnungen zur Behandlung paralleler Genehmigungsanträge weitgehend Einigkeit, dass bei Vorliegen einer ,echten‘ Konkurrenzsituation paralleler Genehmigungsanträge die Behörde eine fehlerfreie Ermessensentscheidung über die Reihenfolge der Verbescheidung der Anträge treffen muss und dabei nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, namentlich dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gleichheitsgrundsatz zu verfahren hat, die eine sachgerechte und willkürfreie Behandlung der konkurrierenden Genehmigungsanträge verlangen; dabei stellt der Gesichtspunkt der Priorität konkurrierender Anträge grundsätzlich ein sachgerechtes Kriterium dar, sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalls eine Abweichung hiervon rechtfertigen.“ (Hervorhebung durch den Verfasser). 34 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 22. 35 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 22. 36 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 22.

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 63

einer einfachgesetzlichen Geltungsanordnung in Konkurrenzsituationen Geltung beanspruche (III.).

I. Die Vereinbarkeit des Prioritätsprinzips mit den Verfahrensvorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes Das Prioritätsprinzip bei parallelen Genehmigungsanträgen ist nicht mit den Verfahrensvorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes vereinbar. Gegen seine Anwendung bei parallelen Genehmigungsverfahren ohne gesetzliche Grundlage lassen sich gleich mehrere, nachfolgend zu erörternde Argumente anführen: So widerspricht die Anwendung des Prioritätsprinzips den im immissionsschutzrechtlichen Zulassungsverfahren geltenden Verfahrensgeboten der zügigen Verfahrensführung und Kooperation (1.); zum anderen folgt sowohl aus dem oberverwaltungsgerichtlich für die Priorität vertretenen Anknüpfungspunkt der vollständigen Prüfunterlagen als auch anderen diskutierten Anknüpfungspunkten (Antragstellung, Öffentlichkeitsbeteiligung) keine selbständige materielle Vorrangwirkung, die über den Mangel einer fehlenden einfachgesetzlichen Normierung eines Anknüpfungspunktes hinweghilft (2.). 1. Die Unvereinbarkeit des Prioritätsprinzips mit dem Gebot der zügigen Verfahrensführung und dem Koordinierungsgebot im Anlagenzulassungsrecht Allgemeingültige Aussagen zur Rangfolge der Projekte bei parallelen Genehmigungsverfahren sind immer auch in Abhängigkeit zu den in Frage kommenden Trägerverfahren der FFH-Verträglichkeitsprüfung zu bewerten. Sieht das Trägerverfahren beispielsweise eine ermessensgebundene Entscheidung vor, kann einem entscheidungsreifen Vorhaben unter Verweis auf ein anderes, vorrangig zu genehmigendes Vorhaben durchaus die Genehmigung versagt werden37. Gleiches gilt bei Planfeststellungsbeschlüssen oder anderen Entscheidungen mit planerischem Einschlag38. Natürlich muss eine Entscheidung auch in diesen Situationen auf sachangemessenen Erwägungen beruhen39. Ist die FFH-Verträglichkeitsprüfung beispielsweise in ein wasserrechtliches Bewirtschaftungskonzept eingebunden, greifen insbesondere die in den Landeswassergesetzen enthaltenen Entscheidungsregeln für das Zusammentreffen mehrerer Erlaubnisanträge40. Danach steht regelmäßig dasjenige Vorhaben im Rang vor, welches den größten Allge37 38 39 40

(277).

O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (277). O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (277). O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (277). Hierauf hinweisend auch M. Lau, NuR 2016, S. 149 (151); O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

meinnutzen verspricht41. Das Prioritätsprinzip findet hier meist nicht, und wenn doch, dann nur als subsidiäres Kriterium Anwendung42. Bedenken hinsichtlich einer Lösung anhand zeitlicher Priorität sind aber insbesondere bei Trägerverfahren, an deren Ende ein gebundener Anspruch steht, anzumelden43. Hierzu zählt nicht zuletzt das im Zusammenhang mit dem Wirkfaktor „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag“ relevante immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren. So spricht gegen das Prioritätsprinzip als Vorrangmaßstab bei kumulierenden stickstoffemittierenden Anlagen zunächst die Prämisse des Anlagenzulassungsrechts, dass entscheidungsreife Anträge auch zu bescheiden sind44. Ein entscheidungsreifes Vorhaben darf demnach nicht unter Hinweis darauf zurückgestellt werden, ein anderes noch nicht entscheidungsreifes Projekt sei aufgrund prioritärer Erwägungen vorrangig zu bescheiden. Hierfür streiten gleich mehrere rechtliche Anknüpfungspunkte45: Ganz allgemein schreibt zunächst § 10 S. 2 VwVfG vor, dass jedes Genehmigungsverfahren zügig durchzuführen ist46. Speziell für immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren bestimmt § 10 Abs. 6a S. 1 BImSchG, dass über Anträge im förmlichen Verfahren innerhalb von sieben und im vereinfachten Verfahren innerhalb von drei Monaten zu entscheiden ist47. Daraus ergibt sich die Pflicht, ein jedes Genehmigungsverfahren im dafür vorgesehenen zeitlichen Rahmen durchzuführen48. Noch deutlicher wird § 20 Abs. 1 S. 1 der 9. BImSchV, nach dem über Anträge unverzüglich zu entscheiden ist, sobald diese entscheidungsreif sind49. Auch das Koordinierungsgebot aus § 10 Abs. 5 S. 2 BImSchG lässt sich gegen das Prioritätsprinzip als Vorrangmaßstab bei noch nicht genehmigten Vorhaben ins Feld führen50. So bedarf es bei unterschiedlichen, aber in einem räumlichen Zusammenhang stehenden Vorhaben, die sich zusammen auf die Umwelt auswirken können, einer vollständigen Koordinierung der jeweiligen Zulassungsvorhaben 41 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (151); siehe beispielhaft für diese Entscheidungsregelungen § 9 SächsWG; § 4 NWG; § 122 SHWG; § 94 Wassergesetz BW; Art. 68 BayWG. 42 Siehe z. B. Art. 68 S. 2, 2. Hs. BayWG; § 9 SächsWG S. 2, 1. Hs.; § 122 S. 2, 2. Hs. SHWG. 43 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (151); speziell für Verfahren des Anlagenzulassungsrechts, an deren Ende ein gebundener Anspruch steht O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (277). 44 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (277). 45 Siehe hierzu und im Folgenden O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (277). 46 Siehe hierzu instruktiv H. Schmitz, in: P. Stelkens/H. J. Bonk/M. Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 9. Aufl. 2018, § 10 Rn. 20 ff. 47 H. D. Jarass, in: ders. (Hrsg.), BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 10 Rn. 122; O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (277). 48 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (277). 49 H. D. Jarass, in: ders. (Hrsg.), BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 10 Rn. 125; A. Roßnagel/ A. Hentschel, in: M. Führ (Hrsg.), GK-BImSchG. Gemeinschaftskommentar zum BundesImmissionsschutzgesetz, 2. Aufl. 2019, § 10 Rn. 437; O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (277). 50 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (277).

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 65

sowie der Inhalts- und Nebenbestimmungen. Bleibt diese Regelung auch die Festlegung schuldig, welche materiellen Vorgaben bei der Koordinierung zu berücksichtigen sind, so ist mit ihr dennoch die Aussage verbunden, dass es im Falle mehrerer prüfgegenständlicher Vorhaben jedenfalls nicht ausschließlich auf die zeitliche Priorität ankommen kann51. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang auch der durch die jüngste UVPGNovelle eingeführte § 12 UVPG, der die UVP-Pflicht bei hinzutretenden kumulierenden Vorhaben, bei denen sich ein früheres Vorhaben noch im Zulassungsverfahren befindet, regelt (sog. nachträgliche Kumulation). Insbesondere § 12 Abs. 2 UVPG erfasst dabei einen mit der Kumulation paralleler Projekte im FFH-Recht vergleichbaren Fall: Ist für ein früher beantragtes Vorhaben, welches für sich genommen nicht UVP-pflichtig ist, zum Zeitpunkt der Antragstellung des zeitlich nachrangigen kumulierenden Vorhabens noch keine Zulassungsentscheidung getroffen worden, liegen aber bereits die Antragsunterlagen des früheren Vorhabens vollständig vor, so besteht für dieses frühere Projekt keine UVP-Pflicht und keine Pflicht zur Durchführung einer UVP-Vorprüfung (siehe Abs. 2 S. 3). Dies gilt unabhängig davon, ob die kumulierenden Vorhaben (also das frühere und zeitlich nachrangigere Vorhaben) zusammengenommen die für die Durchführung einer UVP, einer allgemeinen Vorprüfung oder einer standortbezogenen Vorprüfung relevanten Schwellenwerte erstmals oder erneut erreichen oder überschreiten (vgl. § 12 Abs. 2 S. 1 UVPG)52. Die Vorschrift des § 12 Abs. 2 UVPG dokumentiert, dass der Gesetzgeber sich veranlasst sah, dass Rangverhältnis kumulierender UVP-Vorhaben einfachgesetzlich zu regeln53. Die Vorrangstellung des zeitlich früheren, vollständig beantragten Vorhabens folgt nun unmittelbar aus § 12 Abs. 2 UVPG. Dies stützt die These, dass das Prioritätsprinzip angesichts des Gebots der zügigen Verfahrensführung einer einfachgesetzlichen Geltungsanordnung bedarf54. So verbirgt sich hinter 51

So auch O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (277). Siehe dazu, dass das OVG Münster im Regelungsinhalt des § 12 Abs. 2 UVPG seine Rechtsprechung zur Kumulation im FFH-Recht niedergelegt sieht OVG Münster, Beschluss vom 23.10.2017 – 8 B 565/17, juris – Rn. 21 ff. 53 Mit den §§ 10 – 13 UVPG unternahm der Gesetzgeber einen weiteren Versuch, Art. 4 der UVP-Richtlinie unter Berücksichtigung des sog. Irland-Urteils des Europäischen Gerichtshofs ordnungsgemäß und praxistauglich umzusetzen. Nach diesem Urteil müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, „daß das Regelungsziel nicht durch Aufsplitterung von Projekten umgangen [wird].“ Insofern sind bei der Bestimmung der UVP-Pflicht auch kumulative Vorhaben derselben Art zu berücksichtigen sind, die in einem räumlichen Zusammenhang stehen, siehe EuGH, Urt. v. 21.9.1999 – C-392/96, ECLI:EU:C:1999:431, Rn. 76 ff. Des Weiteren reagierte der Gesetzgeber mit den novellierten Regelungen auf die Rechtsprechung des BVerwG, welches § 3b Abs. 2, Abs. 3 UVPG a. F. analog auf die Situation der „nachträglichen Kumulation“ anwendete, siehe BVerwG, Urt. v. 18.6.2015 – 4 C 4.14, BVerwGE 152, 219 Rn. 16 ff.; siehe hierzu allgemein die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/11499 v. 13.3.2017, S. 81 ff. sowie ferner zum europarechtlichen Hintergrund H.-J. Peters/S. Balla/T. Hesselbarth, in: dies. (Hrsg.), Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, 4. Aufl. 2019, § 10 Rn. 3. 54 Siehe hierzu oben 2. Kap. B. I. 1. 52

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

§ 12 Abs. 2 UVPG nichts anderes als das an die Vollständigkeit der Prüfunterlagen anknüpfende Prioritätsprinzip. Aus den einfachrechtlichen Vorgaben für das immissionsschutzrechtliche Zulassungsverfahren sowie der Neuregelung des § 12 Abs. 2 UVPG lässt sich daher folgern, dass der Erwerb einer Vorrangstellung aufgrund zeitlicher Priorität vor Genehmigungserteilung – wie ihn das Oberverwaltungsgericht Münster ab Vorliegen prüffähiger Unterlagen für möglich hielt55 – ohne gesetzliche Grundlage mit der jetzigen Rechtslage nur schwer vereinbar ist56. 2. Keine materiell-rechtliche Vorrangwirkung der diskutierten Anknüpfungspunkte: Die Sach- und Rechtslage des Genehmigungszeitpunkts als entscheidender Zeitpunkt der Rechtmäßigkeit Gegen die Geltung des Prioritätsprinzips ohne einfachgesetzliche Grundlage spricht des Weiteren, dass die diskutierten Anknüpfungspunkte, welche der Genehmigungserteilung zeitlich vorausgehen, keine materiell-rechtliche Vorrangwirkung zu determinieren vermögen. Der entscheidende Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Genehmigung ist grundsätzlich der Genehmigungszeitpunkt57. Die verfahrensführende Behörde hat ihrer Entscheidung daher die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung zugrunde zu legen58. Ist ein Antrag entscheidungsreif, muss – wie bereits ausgeführt – über diesen auf Grundlage der dann geltenden Sach- und Rechtslage entschieden werden (siehe § 20 Abs. 1 S. 1 der 9. BImSchV)59. „Dies gilt selbst dann, wenn die Bearbeitung eines anderen, ggf. auch früher gestellten, Antrags sich verzögert hat, aus welchem Grund auch immer“60. Damit kommt weder dem Zeitpunkt der Antragsstellung noch dem der Einreichung vollständiger Prüfunterlagen (vgl. bspw. § 7 der 9. BImSchV) eine materiellrechtliche Vorrangwirkung zu61. Die Wirkung eines gestellten Genehmigungsantrags erschöpft sich darin, das Zulassungsverfahren einzuleiten. Aus der Vollständigkeitsprüfung folgt „lediglich, dass auf der Grundlage der vorliegenden Unterlagen

55

OVG Münster, Urt. v. 18.9.2018 – 8 A 1886/16, ZUR 2019, S. 102 (103). A.A.: P. Schütte, NuR 2008, S. 142 (146). 57 BVerwG, Urt. v. 30.8.1961 – 4 C 86.58, BVerwGE 13, 28, 31; Urt. v. 03.11.1986 – 9 C 254.86, BVerwGE 78, 243, 244 f.; Urt. v. 28.7.1989 – 7 C 39.87, BVerwGE 82, 260, 261. 58 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (277). 59 H. D. Jarass, in: ders. (Hrsg.), BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 10 Rn. 125; A. Roßnagel/ A. Hentschel, in: M. Führ (Hrsg.), GK-BImSchG. Gemeinschaftskommentar zum BundesImmissionsschutzgesetz, 2. Aufl. 2019, § 10 Rn. 437. 60 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (277). 61 Anders in Bezug auf das Vorliegen eines „prüffähigen Antrags“ OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 632 ff. 56

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 67

das Genehmigungsverfahren durchgeführt werden kann“62. Dies schließt indes nicht aus, dass die verfahrensführende Behörde bis zum Entscheidungszeitpunkt noch weitere Unterlagen nachfordert.63 Aus diesem Grunde scheidet in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht64 auch die oberverwaltungsgerichtliche Auffassung aus, wonach die Rangfolge konkurrierender Anträge durch den Zeitpunkt der Einreichung eines prüffähigen Genehmigungsantrages bestimmt werde65. Überhaupt ist fraglich, wann von prüffähigen Unterlagen im Sinne der Rechtsprechung auszugehen ist. Gemeinhin soll dies dann der Fall sein, wenn sich die Unterlagen „zu allen rechtlich relevanten Aspekten des Vorhabens verhalten und die Behörde in die Lage versetzen, den Antrag unter Berücksichtigung dieser Vorgaben näher zu prüfen“66. Nicht selten sind Art und Umfang der einzureichenden Planunterlagen allerdings umstritten, weshalb einem solchen Anknüpfungspunkt auch aus Gründen der Rechtssicherheit Bedenken begegnen67. Im Übrigen erscheint dieser Ansatz auch nicht praktikabel, da für Vorhabenträger im Einzelnen kaum einzuschätzen sein wird, ob auch andere Genehmigungs- bzw. Planverfahren durch Einreichung prüffähiger Unterlagen eingeleitet wurden68. Auch die öffentliche Auslegung – soweit vorgeschrieben69 – führt materiell nicht zu einer Vorrangstellung des betreffenden Vorhabens gegenüber später öffentlich ausgelegten Vorhaben70. Insbesondere angesichts der in fachplanungsrechtlichen Teilgebieten ausdrücklich normierten Veränderungssperren (z. B. in § 8a LuftVG oder § 9a FStrG) ist eine Veränderungssperre qua öffentlicher Auslegung ohne 62

O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (277 f.) m. w. N. H. D. Jarass, in: ders. (Hrsg.), BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 10 Rn. 51. 64 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 23. 65 OVG Münster, Urt. v. 18.9.2018 – 8 A 1886/16, ZUR 2019, S. 102 (103); Beschluss vom 23.10.2017 – 8 B 565/17, juris – Rn. 21 ff.; Beschl. v. 13.9.2017 – 8 B 1373/16, juris – Rn. 6 ff.; Beschl. v. 20.7.2017 – 8 B 396/17, juris – Rn. 11 ff.; Urt.v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 459 ff.; Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 622 ff.; OVG Koblenz, Beschl. v. 18.6.2018 – 8 B 10260/18, juris – Rn. 19; OVG Lüneburg, Urt. v. 16.2.2017 – 12 LC 54/15, juris – Rn. 100; VGH München, Beschl. v. 13.5.2014 – 22 CS 14.851, juris – Rn. 13; so auch P. Schütte, NuR 2008, S. 142 (146): „Können verbleibende Konflikte nicht über eine verfahrensrechtliche bzw. materiellrechtliche Koordination gelöst werden (wären z. B. verschiedene Vorhaben einzeln, aber nicht gemeinsam zulassungsfähig), müssen diese Konflikte nach dem Prioritätsprinzip entschieden werden. Dabei ist derjenige Antrag, der als erster vollständig eingereicht wurde, grundsätzlich vorrangig zu behandeln.“ 66 OVG Münster, Beschl. v. 13.9.2017 – 8 B 1373/16, juris – Rn. 16; Urt. v. 18.9.2018 – 8 A 1886/16, ZUR 2019, S. 102 (103); OVG Magdeburg, Urt. v. 8.6.2018 – 2 L 11/16, juris – Rn. 317; VGH München, Beschl. v. 31.7.2017 – 22 ZB 17.1033, juris – Rn. 14 f. 67 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (151). 68 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (151). 69 Die Regeln der Öffentlichkeitsbeteiligung und damit auch die Vorgabe der öffentlichen Auslegung der Antragsunterlagen gem. § 10 Abs. 3 S. 2 BImSchG finden im vereinfachten Verfahren grundsätzlich gem. § 19 Abs. 2 BImSchG keine Anwendung. 70 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (278). 63

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

einfachgesetzliche Anordnung zweifelhaft71. Dieser Vorschriften bedürfte es schließlich nicht, wenn die öffentliche Auslegung der Unterlagen ohnehin zu einer Vorrangstellung des betreffenden Vorhabens gegenüber gegenläufigen Nutzungen führen würde72. Sucht man derartige Regelungen – wie beispielsweise im Anlagenzulassungsrecht nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz – vergebens, deutet dies auf einen bewussten Verzicht auf solche Regelungswirkungen hin. Diese Gesamtschau verdeutlicht, dass aus keinem der diskutierten Verfahrensschritte eine materiell-rechtliche Vorrangstellung ohne gesetzliche Anordnung folgt. Dort, wo eine solche Wirkung beabsichtigt ist, hat der Gesetzgeber eine solche auch normiert. 3. Zwischenergebnis Die Anlagenzulassung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz lässt sich nur schwer mit der Einbeziehung noch nicht genehmigter Projekte unter Anwendung des Prioritätsprinzips als Vorrangmaßstab – wie von den Oberverwaltungsgerichten angenommen – vereinbaren. Es bietet insgesamt keine Anhaltspunkte für einen im Vorfeld der Genehmigungserteilung liegenden Anknüpfungspunkt. Insbesondere vor dem Hintergrund des Gebots der zügigen Verfahrensführung erscheint es schwierig, ein bereits entscheidungsreifes Vorhaben zugunsten eines noch nicht entscheidungsreifen, aber prioritär zu berücksichtigenden Vorhabens zurückzustellen. Hierzu bedarf es einer Ermächtigungsgrundlage, die im geltenden Anlagenzulassungsrecht so nicht vorhanden ist. Über den Mangel einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage kann im Übrigen auch keine materielle Vorrangwirkung der diskutierten Anknüpfungspunkte für die Priorität hinweghelfen. Vor diesem Hintergrund ist der in der Revisionsentscheidung in der Rechtssache Trianel geäußerten Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls insoweit zu folgen, als die Begründung einer Vorrangstellung nicht auf den Zeitpunkt der Einreichung prüffähiger Genehmigungsunterlagen gestützt werden könne73.

II. Die Vereinbarkeit des Prioritätsprinzips mit nationalen und unionalen Grundrechten Konkurrenzsituationen wie die der Kumulation sind immer auch Situationen konfligierender Rechtsinteressen. Dabei geht es stets um die Frage, inwieweit einem Antragsteller zugestanden wird, seine grundrechtlich verbürgten Freiheiten auf Kosten eines unterlegenen Mitbewerbers ausleben zu können. Der von der Rechtsprechung gewählte Entscheidungsmaßstab zeitlicher Priorität muss die in Rede 71 72 73

Vgl. O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (278). O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (278). Vgl. BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 22 f.

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 69

stehenden Rechtspositionen folglich ausreichend tarieren. Vergewisserungsbedürftig ist dabei, dass die §§ 31 ff. BNatSchG im Wesentlichen auf der Umsetzung der FFH-Richtlinie und damit auf sekundärem Unionsrecht beruhen. Insofern kann eine Darstellung des zugrundeliegenden Rechtsrahmens nicht losgelöst von der grundsätzlichen Frage des Verhältnisses zwischen Unionsrecht sowie nationalem Verfassungsrecht erfolgen (1.). Diese Verhältnisbestimmung konzentriert sich dabei vornehmlich auf das Verhältnis nationaler Grundrechtsgehalte zu solchen nach der Europäischen Grundrechtecharta (GRC). Unter der Annahme, dass ein Nebeneinander unionsrechtlicher und nationaler Grundrechtsgehalte im Falle eines mitgliedstaatlichen Umsetzungsspielraums möglich ist, ist nachfolgend zu untersuchen, inwieweit die FFH-Richtlinie den Mitgliedstaaten einen solchen Gestaltungsspielraum zugesteht (2.). Sodann sind die in der FFH-Kumulation betroffenen nationalen und unionalen Grundrechtsinteressen sowie deren Vereinbarkeit mit dem Prioritätsprinzip zu ermitteln. Hierbei wird zwischen freiheitsrechtlichen (3.) und gleichheitsrechtlichen (4.) Gewährleistungsgehalten differenziert. Auf die so gewonnen Ergebnisse lässt sich die These stützen, dass das Prioritätsprinzip den in der Kumulation betroffenen Grundrechtsgehalten als alleiniger Entscheidungsmaßstab nicht ausreichend Rechnung tragen kann. 1. Die Kumulation im grundrechtlichen Mehrebenensystem: Das Verhältnis nationalen und unionalen Grundrechtsschutzes Die §§ 31 ff. BNatSchG setzen die Vorgaben der FFH-Richtlinie um und beruhen somit auf sekundärem Unionsrecht. Folglich kommen als in der Kumulation betroffene Grundrechte grundsätzlich sowohl nationale als auch unionale Grundrechte in Betracht. Bevor diese jedoch konkret ermittelt werden können, bedarf es der Verhältnisbestimmung zwischen nationalen und unionalen Grundrechtsgehalten. Hierbei gilt, dass sich die EU-Grundrechte und die nationalen Grundrechte in der Regel nicht überschneiden74. So sind gem. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC „die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union“75 bei der Durchführung von Unionsrecht zwar an die EU-Grundrechte gebunden, nicht jedoch an die nationalen Grundrechte – jedenfalls aus unionsrechtlicher Perspektive76. Dieser Befund resultiert hinsichtlich des Erlasses von Rechtsakten bereits aus dem einfachen Vorrang des 74 H. D. Jarass, EuR 2013, S. 29 (37); vgl. auch M. Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Aufl. 2014, Art. 53 Rn. 14a: „Mithin gibt es bei Handlungen der Union wie im Autonomiebereich der Mitgliedstaaten grundsätzlich keine ,Schnittmenge‘“. 75 Zu den „Organen“ zählen die in Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 EUV genannten Institutionen wie das Europäische Parlament, der Europäische Rat, der Rat oder die Europäische Kommission. Die „Einrichtungen und sonstigen Stellen“ sind eine Auffangkategorie und umfassen alle Stellen der Union, die keine Organe darstellen, wie beispielsweise der Ausschuss der Regionen oder die Europäische Zentralbank; siehe hierzu A. Hatje, in: Schwarze u. a. (Hrsg.), EUKommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 51 Rn. 9 ff. 76 H. D. Jarass, EuR 2013, S. 29 (37) m. w. N.

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

Unionsrechts vor den nationalen Grundrechten77. Auch beim tatsächlichen Handeln der Union unterliegen die Unionsorgane keinen nationalen Grundrechtsbindungen, als andernfalls ein einheitliches, unionsweites Vorgehen erschwert werden würde78. Soweit die Mitgliedstaaten und deren Stellen EU-Recht durchführen, sind sie nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC an die Unionsgrundrechte gebunden79. Dabei werden die nationalen Grundrechte bei Vorliegen zwingenden Unionsrechts „vielfach entweder von vornherein nicht anwendbar sein oder im Konfliktfall zurücktreten”80. Auch hier wirkt im Ergebnis der Vorrang des Unionsrechts81. Damit verbleiben als einzig vorstellbare Konstellationen, in denen die nationalen Grundrechte neben den EUGrundrechten Anwendung finden können, diejenigen, in denen der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Unionsrechts einen eigenen Gestaltungsspielraum zugesteht82. In diesen Fällen sind die Mitgliedstaaten noch nicht vollständig bzw. abschließend an zwingendes Unionsrecht gebunden83. Das konkrete Verhältnis unionaler und nationaler Grundrechte bei Bestehen nationalstaatlichen Umsetzungsspielraums bleibt indes klärungsbedürftig. So lässt insbesondere die Solange II84- Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vermuten, das Gericht präferiere einen strikten Trennungsansatz, demzufolge „im Bereich der zwingenden Richtlinienvorgaben allein die EU-Grundrechte einschlägig sind, während im Spielraum nur die nationalen Grundrechte gelten.“85 Danach würde es sich bei Vorliegen mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraums auch nicht um die Durchführung von Unionsrecht i. S. d. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC handeln86. Eine 77 EuGH, Urt. v. 15.7.1964 – C-6/64, ECLI:EU:C:1964:66, S. 1259, 1269 ff.; H. D. Jarass, EuR 2013, S. 29 (37). 78 H. D. Jarass, EuR 2013, S. 29 (37). 79 Ausführlich zu dieser Bindung H. D. Jarass, NVwZ 2012, S. 457 (457 ff.). 80 H. D. Jarass, EuR 2013, S. 29 (37) (Hervorhebung im Original); so auch D. Ehlers, Allgemeine Lehren der Unionsgrundrechte, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 4. Aufl. 2014, § 14 Rn. 39. 81 D. Ehlers, Allgemeine Lehren der Unionsgrundrechte, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 4. Aufl. 2014, § 14 Rn. 39; H. D. Jarass, EuR 2013, S. 29 (37). 82 H. D. Jarass, EuR 2013, S. 29 (38); M. Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Aufl. 2014, Art. 53 Rn. 14a; D. Ehlers, Allgemeine Lehren der Unionsgrundrechte, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 4. Aufl. 2014, § 14 Rn. 74. 83 H. D. Jarass, EuR 2013, S. 29 (38). 84 BVerfG, Beschl. v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (375 f., 387); D. Thym, NVwZ 2013, S. 889 (892) sieht in der Solange-Rechtsprechung den Ursprung der „Trennungsthese“. 85 M. Ludwigs/P. Sikora, JuS 2017, S. 385 (390) (Hervorhebungen im Original); zur „Trennungsthese“ siehe auch C. D. Classen, EuR 2017, S. 347 (356 ff.); D. Ehlers, Allgemeine Lehren der Unionsgrundrechte, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 4. Aufl. 2014, § 14 Rn. 74; D. Thym, NVwZ 2013, S. 889 (892). 86 D. Ehlers, Allgemeine Lehren der Unionsgrundrechte, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 4. Aufl. 2014, § 14 Rn. 74.

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 71

derartige Auffassung widerspricht allerdings der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach durch das Unionsrecht eröffnete Gestaltungsspielräume unionsrechtskonform auszufüllen sind87. So entschied der Europäische Gerichtshof denn auch grundlegend in seiner Åkerberg Fransson-Entscheidung88 : „Hat das Gericht eines Mitgliedstaats zu prüfen, ob mit den Grundrechten eine nationale Vorschrift oder Maßnahme vereinbar ist, die in einer Situation, in der das Handeln eines Mitgliedstaats nicht vollständig durch das Unionsrecht bestimmt wird, das Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführt, steht es somit den nationalen Behörden und Gerichten weiterhin frei, nationale Schutzstandards für die Grundrechte anzuwenden, sofern durch diese Anwendung weder das Schutzniveau der Charta, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wird, noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden“.

Hieraus folgt, dass im Falle eines Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten unionale und nationale Grundrechte nebeneinander Anwendung finden können89. Finden unionale und nationale Grundrechte nebeneinander Anwendung, gilt dann wiederum grundsätzlich die Meistbegünstigungsklausel des Art. 53 GRC, welche

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EuGH, Urt. v. 27.6.2006 – C-540/03, ECLI:EU:C:2006:429, Rn. 104 f.; Urt. v. 13.7.1989 – C-5/88, ECLI:EU:C:1989:321, Rn. 22; so auch D. Ehlers, Allgemeine Lehren der Unionsgrundrechte, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 4. Aufl. 2014, § 14 Rn. 74 m. w. N. 88 EuGH, Urt. v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:4EU:C:2013:105, Rn. 29; der Europäische Gerichtshof äußerte in dieser Entscheidung unter Bezugnahme auf Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC, dass „wenn eine nationale Vorschrift in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, […] keine Fallgestaltungen denkbar [sind], die vom Unionsrecht erfasst würden, ohne dass [die Charta-] Grundrechte anwendbar wären“ (Rn. 21). Die Brisanz dieser Entscheidung rührt daher, dass der Europäische Gerichtshof einen losen Zusammenhang zwischen der nationalen strafrechtlichen Sanktion für (Mehrwert-)Steuerhinterziehung und der aus unionsrechtlichen primär- und sekundärrechtlichen Vorschriften resultierenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Erlass von „Rechts- und Verwaltungsvorschriften […], die geeignet sind, die Erhebung der gesamten in seinem Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer zu gewährleisten und den Betrug zu bekämpfen“, für die Annahme durchgeführten Unionsrechts genügen ließ (Rn. 24 ff.); siehe hierzu auch M. Ludwigs/P. Sikora, JuS 2017, S. 385 (390 f.); siehe als Reaktion auf die Åkerberg Fransson – Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs die Antiterrordatei-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die den Eindruck eines präferierten Trennungsansatzes des Gerichts weiter verfestigte, Urt. v. 24.4.2013 – 1 BvR 1215/07, BVerfGE 133, 277. 89 M. Ludwigs/P. Sikora, JuS 2017, S. 385 (391); H. D. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Kommentar, 3. Aufl. 2016, Art. 53 Rn. 28; C. Ladenburger, in: P. J. Tettinger/K. Stern (Hrsg.), Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen GrundrechteCharta, 2006, Art. 51 Rn. 30; tatsächlich dürfte sich dieser Konflikt durch die Rechtssache Sigarusa mittlerweile deutlich entschärft haben. In dieser stellte der Gerichtshof klar, „dass der Begriff der ,Durchführung des Rechts der Union‘ im Sinne von Art. 51 der Charta einen hinreichenden Zusammenhang von einem gewissen Grad verlangt, der darüber hinausgeht, dass die fraglichen Sachbereiche benachbart sind oder der eine von ihnen mittelbare Auswirkungen auf den anderen haben kann“, siehe EuGH, Urt. v. 6.3.2014 – C-206/13, ECLI:EU:C:2014:126, Rn. 24; siehe in diesem Zusammenhang auch EuGH, Urt. v. 10.7.2014 – C-198/13, ECLI:EU:C:2014:2055, Rn. 34; M. Ludwigs/P. Sikora, JuS 2017, S. 385 (390 f.).

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

den Bürgern die Möglichkeit einräumt, sich im Einzelfall auf diejenige Grundrechtsnorm zu berufen, die das höhere Schutzniveau garantiert90. 2. Der mitgliedstaatliche Gestaltungsspielraum bei der Transformation der FFH-Richtlinie ins nationale Recht Eine parallele Geltung unionaler und nationaler Grundrechte setzt einen mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraum bei der Richtlinienumsetzung voraus. Die Untersuchung, ob ein solcher Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung der FFHRichtlinie besteht, muss der eigentlichen Grundrechtsanalyse daher vorausgehen. Hierbei lässt sich grob zwischen einer formellen (a) und materiellen (b) Determinierung des nationalen Rechts durch die FFH-Richtlinie unterscheiden. a) Beschränkte formelle Determinierung des nationalen Rechts durch die FFH-Richtlinie Die Vorschrift des Art. 4 FFH-Richtlinie gibt das mehrstufige Verfahren zur Erschaffung des Biotopnetzes Natura 2000 vor, an dessen Ende die nationale Schutzgebietsausweisung steht. Danach wählen die Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit den materiellen Auswahlkriterien der Anhänge I, II und III (Phase 1) schützenswerte Gebiete aus und übermitteln diese an die Kommission. Aus den an sie übermittelten Vorschlägen erstellt die Kommission im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten eine Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gemäß des in Art. 21 FFH-Richtlinie vorgesehenen Verfahrens. Ab Gebietslistung trifft die Mitgliedstaaten die Pflicht, die gelisteten Gebiete als Schutzgebiete auszuweisen und die Erhaltungsziele für diese festzulegen. Über diese groben Vorgaben hinaus finden sich in der FFH-Richtlinie in formeller Hinsicht keine weiteren Regelungen für die einzelnen Verfahrensschritte der Gebietsauswahl und Gebietsausweisung. Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung bestimmt sich daher nach nationalem Verfahrensrecht91. Zudem wird allgemein davon ausgegangen, dass die FFH-Richtlinie bezüglich der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der Verträglichkeitsprüfung – und somit

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M. Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Aufl. 2014, Art. 53 Rn. 22; H. D. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Kommentar, 3. Aufl. 2016, Art. 53 Rn. 28; R. Streinz/W. Michl, EuZW 2011, S. 384 (386); siehe stellvertretend für die Auffassung, die Art. 53 GRC lediglich als Geltungserhaltungsklausel versteht, T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 53 GRC Rn. 6 f.; F. Wollenschläger, Grundrechtsschutz und Unionsbürgerschaft, in: A. Hatje/P.C. Müller-Graff (Hrsg.), Enzyklopädie Europarecht, Bd. 1, 2014, § 8 Rn. 91; J. F. Lindner, EuR 2007, S. 160 (168 f.). 91 K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 197 f.

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 73

auch der Kumulation – keine Regelungen treffe und den Mitgliedstaaten insoweit nach Art. 288 Abs. 3 AEUV ein weiter Umsetzungsspielraum eingeräumt sei92. Den Mitgliedstaaten kommt somit insgesamt ein weiter formeller Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie zu. b) Die materielle Determinierung nationalen Rechts durch das FFH-Recht: Weiter Gestaltungsspielraum in Bezug auf die nationale Schutzgebietsausweisung Geht man auch im Hinblick auf die materielle Determinierung nationalen Rechts durch die FFH-Richtlinie chronologisch anhand der einzelnen, oben aufgeführten Verfahrensstufen vor, ist zunächst festzustellen, dass die FFH-Richtlinie den ersten Schritt der Gebietsauswahl durch die Mitgliedstaaten weitgehend inhaltlich vorgibt93. Zwar kommt den Mitgliedstaaten grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum bei der Gebietsauswahl zu94 ; dieser ist allerdings durch die vorgegebenen naturschutzfachlichen Auswahlkriterien der FFH-Richtlinie so weit eingeschränkt, dass von einem solchen de-facto kaum gesprochen werden kann95. Darüberhinausgehende Kriterien z. B. wirtschaftlicher oder sozialer Art können nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs nicht in den Auswahlprozess eingestellt werden96. Auch für die sich anschließende Gebietslistung durch die Kommission im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten gem. Art. 4 Abs. 2 FFH-Richtlinie sind allein die fachlichen Kriterien nach Anhang III Phase 1 FFH-Richtlinie maßgeblich97. Insofern darf das in Art. 4 Abs. 2 FFH-Richtlinie vorgesehene „Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten“ auch nicht so verstanden werden, dass die Mitgliedstaaten mit der Kommission frei über die Aufnahme in die Gebietsliste verhandeln könnten98. Vielmehr schränken die naturschutzfachlichen Vorgaben den Beurteilungsspielraum hier erheblich ein99. So handelt es sich insbesondere bei Gebieten mit prioritären 92 V. Wirths, Naturschutz durch Europäisches Gemeinschaftsrecht, 2001, S. 187; G. Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, 2002, S. 121; A. Epiney, UPR 1997, S. 303 (308). 93 K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 48 ff.; 198. 94 M. Gellermann, Natura 2000. Europäischer Habitatschutz und seine Durchführung in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 2001, S. 50 m. w. N. 95 Vgl. K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 49 f. m. w. N. 96 EuGH, Urt. v. 7.11.2000 – C-371/98, ECLI:EU:C:2000:600, Rn. 13 – 16, 22 – 25; Urt. v. 14.1.2010 – C-226/08, ECLI:EU:C:2010:10, Rn. 31 f.; siehe auch BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22.11, NuR 2013, S. 565 Rn. 36; Urt. v. 27.10.2000 – 4 A 18.99, BVerwGE 112, 140 (156); ausführlich zu einer möglichen Einstellung wirtschaftlicher Belange J. Kerkmann, Natura 2000: Verfahren und Rechtsschutz im Rahmen der FFH-Richtlinie, 2004, S. 61 ff.; diese und weitere Nachweise bei S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 31. 97 EuGH, Urt. v. 14.1.2010 – C-226/08, ECLI:EU:C:2010:10, Rn. 31 f. 98 K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 71. 99 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 12.

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

Lebensraumtypen und Arten gem. Anhang III Phase 2 Nr. 1 FFH-Richtlinie stets um Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung100. Aus der Gebietslistung erwächst gem. Art. 4 Abs. 4 FFH-Richtlinie die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die gelisteten Schutzgebiete auch auszuweisen101. Aus dem verpflichtenden Charakter der Gebietslistung lässt sich indes nicht ableiten, den Mitgliedstaaten fehle es hinsichtlich der Schutzgebietsausweisung an Gestaltungsspielraum. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade im Bereich der „Art und Weise der Ausweisung“ der Schutzgebiete gesteht die FFH-Richtlinie „den Mitgliedstaaten den größten Gestaltungsspielraum“ zu102. Die verwaltungspraktische Umsetzung der Gebietsliste beschränkt sich nicht auf einen bloßen „Vollzugsautomatismus“103. So bestimmt die FFH-Richtlinie lediglich ein Mindestschutzniveau für die gelisteten Gebiete104 ; über dieses können die Mitgliedstaaten indes hinausgehen105. Das konkrete Schutzniveau eines Schutzgebietes steht damit im Zeitpunkt der Gebietslistung noch nicht fest. Fest steht nur das „Ob“ der Unterschutzstellung, nicht hingegen das „Wie“, also die konkrete Ausgestaltung106. Die Variationsbreite möglicher Maßnahmen ist groß107. Sie reicht über die Wahl der Gebietsschutzart bis hin zur Festlegung von Ge- und Verboten oder erlaubten bzw. verbotenen Nutzungsarten in den jeweiligen Schutzgebietsausweisungen108.

100 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 12. 101 C. Freytag/K. Iven, NuR 1995, S. 109 (111). 102 C. Freytag/K. Iven, NuR 1995, S. 109 (111). 103 W. Kahl/F. Gärditz, NuR 2005, S. 555 (562). 104 W. Kahl/K. F. Gärditz, NuR 2005, S. 555 (562). 105 So auch W. Kahl/K. F. Gärditz, NuR 2005, S. 555 (562): „Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass über das Konzept der Erhaltung des Status quo hinaus durchaus auch überschießende Maßnahmen proaktiven Habitatschutzes auf der Basis staatlichen Rechts denkbar sind.“; siehe in diesem Zusammenhang auch die Vorrangregel für strengere nationale Schutzvorschriften in § 34 Abs. 7 S. 1 BNatSchG, deren Verweis auf § 30 BNatSchG allerdings mitunter als verfehlt bewertet wird, siehe hierzu S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 195; in diese Richtung auch M. Gellermann, in: R. v. Landmann/G. Rohmer u. a. (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. II, Umweltrecht Besonderer Teil, 11. Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), § 34 (2014) Rn. 57. 106 W. Kahl/K. F. Gärditz, NuR 2005, S. 555 (562); C. Freytag/K. Iven, NuR 1995, S. 109 (111); a. A. K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 126 f., 199; V. Nies/ B. Schröder, AgrarR 2002, S. 172 (180). 107 W. Kahl/K. F. Gärditz, NuR 2005, S. 555 (562). 108 Vgl. W. Kahl/K. F. Gärditz, NuR 2005, S. 555 (562).

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 75

c) Zwischenergebnis: Nebeneinander nationaler und unionaler Grundrechte bei der mitgliedstaatlichen Umsetzung und Durchführung des FFH-Rechts Formell kommt den Mitgliedstaaten ein großer Umsetzungsspielraum im Rahmen der FFH-Richtlinie zu. Insofern finden hinsichtlich der Verfahrensdurchführung sowohl die unionalen als auch nationalen Grundrechte gleichermaßen Anwendung. Neben den Verfahren der Gebietsauswahl und Gebietslistung muss damit auch das Verfahren der FFH-Verträglichkeitsprüfung – und damit auch die Kumulation – vor diesem Maßstab bestehen. Für die materielle Determinierung des nationalen Rechts gilt zusammengefasst, dass der mitgliedstaatliche Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Gebietsauswahl und Gebietsmeldung zwar beschränkt, im Bereich der Schutzgebietsausweisung dafür umso größer ist. Die Mitgliedstaaten verfügen hier über eine große Variationsbreite hinsichtlich der konkreten Schutzgebietsart und der festzulegenden Geund Verbote, also hinsichtlich des „Wie“ der Schutzgebietsausweisung. Daraus folgt, dass in Bezug auf die Schutzgebietsausweisung unionale und nationale Grundrechte parallel wirken, während im Zusammenhang mit der Gebietsauswahl und Gebietsmeldung ausschließlich gemeinschaftsrechtliche Grundrechte erheblich sind. 3. Die Vereinbarkeit des Prioritätsprinzips mit nationalen und unionalen Freiheitsrechten Konkurrenzsituationen in der Kumulation führen dann zu Genehmigungsversagungen, wenn von mehreren kumulierenden Projekten nicht jedes verwirklicht werden kann, ohne dass die in der Schutzgebietsausweisung vorgesehenen Erhaltungsziele eines Schutzgebietes beeinträchtigt würden. Mit einer solchen Genehmigungsversagung ist ein Eingriff in freiheitsrechtlich garantierte Gewährleistungen verbunden. Dabei stehen im Falle des FFH-Rechts vornehmlich die mit wirtschaftlicher Tätigkeit im Zusammenhang stehenden Freiheitsrechte des Eigentums und der Berufs- bzw. wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit in Rede. Dies gilt insbesondere für stickstoffemittierende Projekte, also etwa genehmigungspflichtige Industrie- und Tierhaltungsanlagen. Aus dem weiten Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Ausgestaltung der FFH-Verträglichkeitsprüfung folgt, dass derartige Eingriffe in Form einer Genehmigungsversagung sowohl an unionalen als auch an nationalen Grundrechten zu messen sind109. Bevor allerdings auf die durch die Genehmigungsversagung potentiell betroffenen Freiheitsrechte eingegangen wird (b) und vor diesem Hintergrund eine Bewertung des Prioritätsprinzips als Entscheidungsmaßstab in der Kumulation vorgenommen werden kann (c), wird dem Einwand begegnet, die Nutzung von Umweltmedien als öffentliche Güter unterfalle als überindividueller Rechtsbereich von 109

Siehe 2. Kap. B. II. 2.

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

vornherein gar nicht dem grundrechtlich verbürgten Schutzbereich der Freiheitsrechte (a). a) Die Eingriffsqualität der Versagung bodenverunreinigender Nutzungen: Das sog. Recht auf Umweltverschmutzung Die Annahme eines Eingriffs in Freiheitsrechte qua Genehmigungsversagung nach erfolgter FFH-Verträglichkeitsprüfung könnte sich dem Einwand ausgesetzt sehen, dass die Nutzung von Umweltmedien als öffentliche Güter unter Verweis darauf, ein solches „Grundrecht auf Umweltverschmutzung“ könne es nicht geben, nach teilweise vertretener Auffassung vom Schutzbereich spezieller Freiheitsgrundrechte ausgenommen sein soll110. Die Nutzung von Umweltgütern der Allgemeinheit stehe zwar jedem einzelnen mangels Ausschlussmöglichkeit faktisch, nicht aber rechtlich zu111. Demnach erweitere der Einzelne durch die Inanspruchnahme von öffentlichen Umweltgütern seinen verfassungsrechtlich durch die Grundrechte zugestandenen individuellen Freiheitsbereich112. Grundrechtstheoretisch113 sei die Nutzung öffentlicher Umweltgüter daher als Teilhabe an überindividuellen Gütern und nicht als Ausübung individueller, grundrechtlich gewährter Freiheit einzuordnen114. Hinter dieser Ansicht steht die Überlegung, dass eine Freiheit zum sozialschädlichen bzw. umweltschädigenden Handeln ausgeschlossen sein soll115. Im Falle der hier in Rede stehenden Kumulation stickstoffemittierender Projekte müsste sich die stoffgetragene Bodenverunreinigung zunächst überhaupt als Inanspruchnahme öffentlicher Güter darstellen, um vom Schutzbereich der Freiheitsrechte ausgenommen werden zu können. Der Definition öffentlicher Güter ist gemein, dass sie den „privaten“ Gütern gegenübergestellt werden116. Im Übrigen sind die Merkmale der Konsumrivalität und Konsumausschlussmöglichkeit wiederkehrend117. So soll ein öffentliches Gut dann gegeben sein, „wenn es gemeinschaftlich 110 D. Murswiek, DVBl. 1994, S. 77 (79 ff.); A. Scherzberg, DVBl. 1994, S. 733 (742 f.); N. Malaviya, Verteilungsentscheidungen und Verteilungsverfahren, 2009, S. 244; D. Murswiek/S. Rixen, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 120. 111 N. Malaviya, Verteilungsentscheidungen und Verteilungsverfahren, 2009, S. 244. 112 N. Malaviya, Verteilungsentscheidungen und Verteilungsverfahren, 2009, S. 244. 113 Zur Unterscheidung zwischen Grundrechtstheorie und -dogmatik G. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 63 f. 114 D. Murswiek, DVBl. 1994, S. 77 (81 ff.). 115 K. L. Mehrbrey, Verfassungsrechtliche Grenzen eines Marktes handelbarer Emissionsrechte, 2003, S. 48. 116 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (41 f.); siehe für einen Überblick verschiedener Definitionsansätze K. N. Münch, Kollektive Güter und Gebührenelemente einer Gebührentheorie für Kollektivgüter, 1976, S. 20 ff. m. w. N. 117 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (42); siehe zu den Merkmalen der Konsumrivalität und -ausschlussmöglichkeit auch F. Kupfer-

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 77

nutzbar ist (sogenannte Nichtrivalitätsbedingung) und keine Möglichkeit besteht, nutzwillige (aber zahlungsunwillige) Personen von der Nutzung auszuschließen (sog. Nichtausschließungsbedingung)“118. Im Falle eines privaten Gutes hingegen besteht die Ausschlussmöglichkeit des Nutzers119. Die Ausschlussmöglichkeit und damit der Öffentlichkeitsgrad von Gütern richtet sich zum großen Teil nach deren technischer Teilbarkeit oder Unteilbarkeit120. So lässt sich grundsätzlich von einer weitgehenden Unteilbarkeit eines Gutes auf dessen hohen Öffentlichkeitsgrad schließen121. „Ein Gut ist hiernach im strengen Sinne unteilbar, wenn es technisch oder wegen unverhältnismäßig hoher privater Ausschlußkosten nicht in separate physische Einheiten teilbar ist, die einzelnen Individuen zugerechnet und vorbehalten werden können.“122 In diesem Fall greift der Preismechanismus als marktwirtschaftliches Ausschlussprinzip nicht und das Gut ist allen potentiellen Nutzern gleichermaßen zugänglich123. Ob diese allgemeinen Überlegungen zur Teilbarkeit von Gütern auf Umweltgüter übertragbar sind, ist individuell für jedes Umweltgut zu bestimmen124 : Für die Umweltgüter Luft und Wasser gilt daher vorbehaltlich etwaiger Nutzungsbeschränkungen, dass diese „frei“ nutzbar, mithin öffentliche Güter sind125. Dies betrifft vornehmlich die Atmosphäre und große Gewässer, die im strengen

schmidt, Marktversagen, in: H. Drewello/F. Kupferschmidt/O. Sievering (Hrsg.), Markt und Staat. Eine anwendungsorientierte Einführung in die allgemeine Volkswirtschaftslehre, 2018, S. 221 (222 ff.); B. Hewel/R. Neubäumer, Systemunabhängige Grundbegriffe und Grundfragen, in: dies./T. Lenk (Hrsg.), Volkswirtschaftslehre, 6. Aufl. 2017, S. 3 (6 f. und Fn. 2); P. Engelkamp/F. L. Sell, Theorie der Wirtschaftspolitik, in: dies. (Hrsg.), Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2017, S. 437 (495 f.); H. Siebert, Ökonomische Theorie der Umwelt, 1978, S. 8 f. 118 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (42); siehe auch F. Kupferschmidt, Marktversagen, in: H. Drewello/F. Kupferschmidt/O. Sievering (Hrsg.), Markt und Staat. Eine anwendungsorientierte Einführung in die allgemeine Volkswirtschaftslehre, 2018, S. 221 (223). 119 M. Erlei, Art. Güter, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 2, 8. Aufl. 2018, Sp. 1517 (1520). 120 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (43). 121 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (43). 122 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (43); siehe auch D. Cansier, Ökonomische Grundprobleme der Umweltpolitik, 1975, S. 17. 123 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (43). 124 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (43). 125 D. Cansier, Ökonomische Grundprobleme der Umweltpolitik, 1975, S. 17.

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

Sinne unteilbar sind.126 Der Boden als Umweltmedium ist hinsichtlich seiner Hauptnutzungsarten ohne weiteres teilbar und erlaubt daher grundsätzlich eine individuelle Zuteilung.127 Folglich bestehen für Böden auch Marktpreise128. Schwierig stellen sich Teilbarkeitsüberlegungen allerdings im Hinblick auf bodenverunreinigende Nutzungen – insbesondere durch Luftverschmutzungen – dar. Die Aufnahmeund Entsorgungsfunktion des Bodens entspricht daher grundsätzlich der Eigenschaft eines öffentlichen Gutes129. Hieraus würde gemäß der vorgestellten Ansicht folgen, dass der Versagung stofflicher Bodenverunreinigungen durch stickstoffemittierende Anlagen keine Eingriffsqualität zukäme. Die Abwehrfunktion der Grundrechte könnte nicht aktiviert werden. Unabhängig davon, ob man die Aufnahme- und Entsorgungsfunktion des Bodens nun überhaupt als öffentliches Gut klassifiziert, ist die Auffassung einer individuellen Rechtskreiserweiterung durch Inanspruchnahme von Umweltmedien indes abzulehnen. So negiert ein teilhaberechtliches Verständnis den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit130, welcher nach der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit eines staatlichen Eingriffs fragt131. Grundrechtsdogmatisch findet das Korrektiv der Verhältnismäßigkeit auf der Prüfungsebene der Grundrechtsschranken Anwendung132. Eine a limine-Begrenzung des Schutzbereichs – wie die Gegenansicht eines Teilhabeverständnisses an überindividuellen Gütern vorsieht – setzt sich dem Vorwurf aus, diese Schrankendogmatik auszuhöhlen133. Im Übrigen kann eine Verhaltensweise sowohl sozialnützig als auch sozialschädlich sein, indem sie dem einen Umweltgut dienlich und einem anderen abkömmlich ist134. Um die Ent126

D. Cansier, Ökonomische Grundprobleme der Umweltpolitik, 1975, S. 17. D. Cansier, Ökonomische Grundprobleme der Umweltpolitik, 1975, S. 17. 128 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (43). 129 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (43). 130 Überwiegend wird das Rechtsstaatsprinzip als Rechtsgrundlage des Verhältnismäßigkeitsprinzips begriffen, siehe hierzu BVerfG, Beschl. v. 15.12.1965 – 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342 (348 f.); Beschl. v. 19.11.2014 – 2 BvL 2/13, BVerfGE 138, 1 Rn. 55; M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 146; E. Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 (584 ff.); einer solchen Herleitung gegenüber kritisch D. Merten, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, in: ders./H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 68 Rn. 30 ff. 131 M. Kloepfer/H.-P. Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, 1995, S. 29 (41); K. L. Mehrbrey, Verfassungsrechtliche Grenzen eines Marktes handelbarer Emissionsrechte, 2003, S. 48. 132 K. L. Mehrbrey, Verfassungsrechtliche Grenzen eines Marktes handelbarer Emissionsrechte, 2003, S. 48 m. w. N. 133 M. Kloepfer/H.-P. Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, 1995, S. 29 (41); K. L. Mehrbrey, Verfassungsrechtliche Grenzen eines Marktes handelbarer Emissionsrechte, 2003, S. 48. 134 K. L. Mehrbrey, Verfassungsrechtliche Grenzen eines Marktes handelbarer Emissionsrechte, 2003, S. 48. 127

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scheidung über Sozialnutzen bzw. -schädlichkeit nicht der Beliebigkeit preiszugeben, sollte die Abwägung aus rechtsstaatlicher Sicht dem Gesetzgeber vorbehalten sein135. Angesichts dieser verfassungsrechtlichen Bedenken sollte auch umweltschädigenden Tätigkeiten ein spezieller grundrechtlicher Schutz zukommen. Insgesamt kann daher auch eine Nutzungsbeschränkung von Umweltmedien einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff darstellen, der die Abwehrfunktion der Freiheitsrechte zu aktivieren vermag136. Daraus folgt, dass Beschränkungen stofflicher Bodenverunreinigungen durch Versagung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen grundsätzlich Eingriffe in grundrechtlich zugestandene Freiheitsbereiche darstellen137. b) Betroffene Freiheitsrechte in der Kumulation aa) Das Recht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG Die Versagung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach erfolgter Kumulationsentscheidung könnte zunächst in die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG eingreifen, wenn Eigentümer ihre Grundstücke aufgrund dessen nicht wie gewünscht nutzen können. Nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG wird die Eigentumsgewährleistung durch die Gesetze bestimmt. So ergibt sich erst aus der Zusammenschau aller in einem bestimmten Zeitpunkt geltenden verfassungsgemäßen Vorschriften, welche Rechtspositionen überhaupt eigentumsfähig sind138. Zu diesen Vorschriften zählen nicht zuletzt jene des bürgerlichen Rechts, die einem privaten Rechtsträger Eigentumspositionen zuschreiben139. Nach § 903 BGB umfasst der Eigentumsbegriff zunächst

135 M. Kloepfer/H.-P. Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, 1995, S. 29 (37 ff.); K. L. Mehrbrey, Verfassungsrechtliche Grenzen eines Marktes handelbarer Emissionsrechte, 2003, S. 48. 136 So auch M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 27 ff.; K. L. Mehrbrey, Verfassungsrechtliche Grenzen eines Marktes handelbarer Emissionsrechte, 2003, S. 48 f.; so grds. ebenfalls M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 3 Rn. 91 ff., der allerdings für eine mögliche a-limine-Begrenzung grundrechtlicher Schutzbereiche einen Rückgriff auf Art. 20a GG andenkt (siehe hierzu insbesondere die Rn. 95 ff.); vgl. ferner J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 246 f. 137 Teilweise wird darüber nachgedacht, Art. 20a GG im Verhältnis zu den Grundrechten als verfassungsimmanente Grundrechtsbegrenzung anzulegen. Die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG könnte sich danach schutzbereichsverkürzend auf die Grundrechte auswirken. Siehe zu diesem Ansatz insbesondere D. Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, 2012, S. 110 f.; ferner M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 3 Rn. 95; zum Begriff der verfassungsimmanenten Grundrechtsbegrenzung siehe B. Gausing, Das Abgeordnetenmandat zwischen Staat und Gesellschaft, 2018, S. 98. 138 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.7.1981 – 1 BvL 77/78, BVerfGE 58, 300 (336). 139 Vgl. T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 34. Aufl. 2018, § 23 Rn. 1036.

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das Grundstücks- und Fahrniseigentum140. Grundstücke als Sacheigentum unterfallen damit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Der Umfang des Eigentumsschutzes garantiert des Weiteren – anders als beim Fahrniseigentum – auch die Nutzungsmöglichkeit der Grundstücke141. Aus Art. 14 GG gehen zudem mit der Enteignung gem. Abs. 3 und den Inhaltsund Schrankenbestimmungen gem. Abs. 1 S. 2 die Möglichkeit zweier Eingriffstypen hervor142. Während bei Enteignungen „das durch Art. 14 I 1 GG gewährleistete Eigentum ganz oder teilweise im Interesse der Allgemeinheit entzogen wird“143, stellen Inhalts- und Schrankenbestimmungen streng genommen keine Eigentumsbeeinträchtigungen dar144. Vielmehr legen sie für die Zukunft abstrakt Rechte und Pflichten für Rechtsgüter fest, die verfassungsrechtlich als Eigentum gelten145. Hierzu zählen in der Regel auch Vorschriften, die die Nutzung eines Grundstücks aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes beschränken146. Sie bestimmen den jeweiligen Eigentumsbestand des Eigentümers. Im FFH-Recht dienen als Anknüpfungspunkte für Inhalts- und Schrankenbestimmungen vornehmlich die Schutzge140

J. Wieland, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 14 Rn. 49 ff., 55 f. 141 T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 34. Aufl. 2018, § 23 Rn. 1044; in diesem Zusammenhang kann noch an das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gedacht werden, welches ggf. ebenfalls durch die Genehmigungsversagung betroffen sein könnte; ob es sich bei diesem Recht indes um eine selbstständige Eigentumsposition handelt, ist umstritten und soll an dieser Stelle in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht offen bleiben („Das Bundesverfassungsgericht hat bisher offen gelassen, ob und inwieweit der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb als tatsächliche Zusammenfassung der zum Vermögen eines Unternehmens gehörenden Sachen und Rechte in eigenständiger Weise von der Gewährleistung der Eigentumsgarantie erfasst wird“, BVerfG, Beschl. v. 26.6.2002 – 1 BvR 558/91, BVerfGE 105, 252 (278) mit Verweis auf seine weitere diesbezügliche Rechtsprechung); siehe zum diesbezüglichen Streitstand in der Literatur instruktiv J. Wieland, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 14 Rn. 61 ff. 142 T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 34. Aufl. 2018, § 23 Rn. 1049; siehe zu dieser Unterscheidung eigentumsrelevanter Maßnahmen R. Wendt, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 14 Rn. 54 ff. 143 J. Wieland, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 14 Rn. 93 (Hervorhebungen im Original); st. Rspr. des BVerfG, Urt. v. 18.12.1968 – 1 BvR 638/64, BVerfGE 24, 367 (394); Beschl. v. 16.2.2000 – 1 BvR 242/91, BVerfGE 102, 1 (15); Beschl. v. 22.5.2001 – 1 BvR 1512/97, BVerfGE 104, 1 (9 f.); Urt. v. 17.12.2013 – 1 BvR 3139/08, BVerfGE 134, 242 Rn. 161; BVerfG, Urt. v. 6.12.2016 – 1 BvR 2821/11, BVerfGE 143, 246 Rn. 244 f. 144 J. Wieland, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 14 Rn. 90. 145 J. Wieland, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 14 Rn. 90. 146 BVerwG, Urt. v. 5.2.2009 – 7 CN 1.08, NVwZ 2009, S. 719 Rn. 36; Urt. v. 15.2.1990 – 4 C 47.89, BVerwGE 84, 361 (370 f.); Urt. v. 21.6.1956 – I C 202.54, BVerwGE 3, 335 (337 f.); P. Badura, Eigentum, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 10 Rn. 85.

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bietsanordnungen147. In ihnen sind die Erhaltungsziele für ein Gebiet148 und die Regelungen zum Gebietsmanagement enthalten149. Des Weiteren buchstabieren sie das in Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie und § 33 Abs. 1 BNatSchG enthaltene Verschlechterungsverbot weiter durch konkrete Ge- und Verbote aus150. Hierzu gehören beispielhaft Bau-, Abgrabungs- oder Aufforstungsverbote, die das Nutzungsrecht am Umweltmedium Boden einschränken. Eine weitere Belastung erfährt der Grundstückseigentümer durch die Pflicht zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung151. „Denn obgleich die Verweigerung der Zulassung ihre Grundlage nicht unmittelbar in der Schutzgebietsanordnung findet, sondern entweder aus § 34 Abs. 2 BNatSchG selbst, der landesrechtlichen Norm, die in Umsetzung von § 34 Abs. 2 BNatSchG ergangen ist, aus dem entsprechenden Fachrecht, nach dem die verfahrensführende Behörde die Verträglichkeitsprüfung vornimmt, oder auch aus Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL folgt, bilden die in der Schutzgebietsanordnung festgesetzten Erhaltungsziele und Schutzzwecke jedoch den ausschlaggebenden Maßstab für die Genehmigungsverweigerung.“152 Im Übrigen ist grundsätzlich unerheblich, ob das Grundstück im Geltungsbereich einer Schutzgebietsverordnung liegt oder nicht153. Auch die Nutzungsmöglichkeiten der Eigentümer außerhalb des Schutzgebiets liegender Grundstücke können durch die Schutzgebietsausweisung eingeschränkt sein. So sind gem. § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG auch all jene Projekte, die zwar nicht auf einem als Schutzgebiet ausgewiesenen Grundstück liegen, aber auf ein solches einwirken, einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen154. Hier wirkt sich der schutzgutbezogene Ansatz des 147 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 65. 148 Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Ausweisung besonderer Schutzgebiete, 2012, S. 5, abrufbar unter https://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/ management/docs/commission_note/commission_note2_DE.pdf (Stand: 9.8.2020); BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20.05, BVerwGE 128, 1 Rn. 75; F. Niederstadt, NVwZ 2008, S. 126 (127); Nachweise so bei S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 32 Fn. 197. 149 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 80, 98 ff.; vgl. K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 306. 150 Vgl. S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 101; M. Gellermann, in: R. v. Landmann/ G. Rohmer u. a. (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. II, Umweltrecht Besonderer Teil, 11. Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), § 32 (2010) Rn. 12. 151 K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 307 f. 152 K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 307 f. m. w. N. 153 Siehe hierzu S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 15; vgl. K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 311 f. 154 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 15; vgl. K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 311.

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie aus. Auch das Verschlechterungsverbot macht an der Schutzgebietsgrenze nicht halt. So umfasst die Schutzpflicht aus § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG nicht nur Handlungen im Schutzgebiet selbst, sondern bezieht sich auch auf außerhalb des Schutzgebiets liegende Tätigkeiten, sofern sich diese erheblich negativ auf die Schutzgebietsbestandteile auswirken können155. Das Verschlechterungsverbot können die zuständigen Behörden dann verwaltungsrechtlich gegenüber den Verursachern durchsetzen156. Vorbehaltlich der Verfassungsmäßigkeit der vorgestellten Inhalts- und Schrankenbestimmungen besteht das Eigentum somit im Rahmen dieser naturschutz- und mithin FFH-rechtlichen Einschränkungen. Die genannten Inhalts- und Schrankenbestimmungen verursachen eine eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit von Umweltmedien. Auf stickstoffemittierende Projekte bezogen kann daraus folgen, dass Grundstückseigentümer von emissionsintensiven Tätigkeiten auf ihrem Grundstück Abstand nehmen müssen, was sich in einer versagten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach erfolgter FFH-Verträglichkeitsprüfung ausdrücken kann. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, besteht diese Einschränkung bei entsprechender Fernwirkung der Emissionen auch dann, wenn das Grundstück des Eigentümers außerhalb des Schutzgebietes liegt. Für die konkrete Konkurrenzsituation der Kumulation stickstoffemittierender Projekte ergibt sich daraus eine mögliche Betroffenheit des negativ beschiedenen Projektträgers in Art. 14 Abs. 1 GG. bb) Das Eigentumsrecht aus Art. 17 GRC Neben dem Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG könnte auch das unionale Eigentumsrecht aus Art. 17 GRC betroffen sein. Der Schutzbereich des Art. 17 GRC umfasst alle „vermögenswerte[n] Rechte, aus denen sich im Hinblick auf die Rechtsordnung eine gesicherte Rechtsposition ergibt, die eine selbständige Ausübung dieser Rechte durch und zugunsten ihres Inhabers ermöglicht“157. Art. 17 155 Siehe EuGH, Urt. v. 24.11.2011 – C-404/09, ECLI:EU:C:2011:768, Rn. 137 ff., 197: Der Europäische Gerichtshof sah es in dieser Entscheidung als erwiesen an, dass das Königreich Spanien nicht die erforderlichen Maßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie ergriffen hatte, um eine Verschlechterung der Lebensräume und erhebliche Störungen einer kantabrischen Unterart des Auerhuhns im Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung „Alto Sil“, u. a. durch die Tagebaugruben „Salguero-Prégame-Valdesegadas“ und „Nueva Julia“, zu verhindern. Diese Tagebaugruben grenzten südlich an das Schutzgebiet „Alto Sil“, lagen mithin außerhalb dessen (siehe hierzu insbesondere die Rn. 38 ff. sowie Rn. 151 f.); siehe ferner M. Gellermann, Natura 2000. Europäischer Habitatschutz und seine Durchführung in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 2001, S. 71 f.; diese und weitere Nachweise bei S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GKBNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 33 Rn. 12. 156 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, 33 Rn. 32; vgl. EuGH, Urt. v. 24.11.2011 – C-404/09, ECLI:EU:C:2011:768, Rn. 151 f. 157 EuGH, Urt. v. 22.1.2013 – C-283/11, ECLI:EU:C:2013:28, Rn. 34.

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GRC ist damit ebenso wie Art. 14 Abs. 1 GG normgeprägt158. „Existenz und Reichweite der Rechtsposition hängen damit von den einschlägigen Vorschriften des nationalen bzw. des Unionsrechts ab.“159 Gemäß Art. 17 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GRC ist neben der Möglichkeit, Eigentum zu besitzen (Var. 1), über dieses zu verfügen (Var. 3) oder zu vererben, (Var. 4) auch geschützt, das Eigentum zu nutzen160. Mit Blick auf Eingriffe in Art. 17 GRC wird – ähnlich der Enteignung und den Inhalts- und Schrankenbestimmungen – zwischen Eigentumsentziehungen (Abs. 1 S. 2) und Nutzungsregelungen (Abs. 1 S. 3) unterschieden161. Danach sind Nutzungsregelungen hoheitliche Maßnahmen, die einen bestimmten Gebrauch des Eigentums durch Ge- oder Verbote regeln, ohne eine Eigentumsentziehung darzustellen162. Der weitgehende Gleichlauf des Art. 17 GRC mit der Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG in der hiesigen Frage ist evident. Das Grundstückseigentum als Sacheigentum und seine Nutzung unterfallen dem Schutzbereich des Art. 17 GRC163. Schutzgebietsverordnungen und die Pflicht zur Verträglichkeitsprüfung stellen ferner Nutzungsregelungen gem. Art. 17 Abs. 1 S. 3 GRC dar. Die Versagung bodenverunreinigender Nutzungen durch stickstoffemittierende Projekte wegen FFHUnverträglichkeit ist somit auch eine gemeinschaftsrechtlich eigentumsrelevante Maßnahme. 158 C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 17 GRC Rn. 4; H. D. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Kommentar, 3. Aufl. 2016, Art. 17 Rn. 6. 159 H. D. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Kommentar, 3. Aufl. 2016, Art. 17 Rn. 6; siehe ferner C. Calliess, Determinanten des Eigentumseingriffs in der Europäischen Union: Zur Abgrenzung von Inhaltsbestimmung, Beschränkung und Enteignung, in: M. Kment (Hrsg.), Das Zusammenwirken von deutschem und europäischem Öffentlichen Recht. Festschrift für Hans. D. Jarass zum 70. Geburtstag, 2015, S. 3 (7); N. Bernsdorff, in: J. Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Aufl. 2014, Art. 17 Rn. 15; anders wohl S. Heselhaus, in: ders./C. Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, 2006, § 32 Rn 36 m. w. N., nach dem „im Wesentlichen die nationalen Ausgestaltungen der betreffenden Eigentumspositionen entscheidend sind“; ob Art. 17 GRC als geschützte Rechtsposition auch ein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb anerkennt, ist angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu dieser Frage zweifelhaft und soll daher an dieser Stelle offen bleiben. Für eine Übersicht zur diesbezüglichen EuGHRechtsprechung siehe H. D. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Kommentar, 3. Aufl. 2016, Art. 17 Rn. 13; zum Streitstand im Schrifttum siehe überblicksartig und m. w. N C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 17 GRC Rn. 10. 160 H. D. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Kommentar, 3. Aufl. 2016, Art. 17 Rn. 15. 161 H.-P. Folz, in: C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 2. Aufl. 2018, Art. 17 GRC Rn. 5 ff. 162 N. Bernsdorff, in: J. Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Aufl. 2014, Art. 17 Rn. 21. 163 H. D. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Kommentar, 3. Aufl. 2016, Art. 17 Rn. 9, 15.

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

cc) Die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG Das einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet tatbestandlich den Schutz sämtlicher Ausprägungen beruflicher Betätigung: „Angefangen von der freien Wahl der Ausbildungsstätte und der damit verbundenen Wahl einer bestimmten Berufsausbildung garantiert Art. 12 Abs. 1 dem Einzelnen die freie Entscheidung darüber, welchen Beruf er ergreifen will, wie, wann und wo er ihn ausüben will sowie welchen Arbeitsplatz er zu seiner Ausübung wählen will.“164 In Bezug auf die verschiedenen Gewährleistungsgehalte der Berufsfreiheit ist allerdings bedeutsam, dass „an die Einschränkung der Berufswahl höhere Anforderungen gestellt werden als an die Einschränkung der Berufsausübung.“165 Der hier möglicherweise in Rede stehende Teilaspekt der Berufsausübungsfreiheit erfasst die umfassende berufliche Tätigkeit: „Form, Mittel und Umfang sowie gegenständliche Ausgestaltung der Betätigung.“166 In Bezug auf die für diesen Untersuchungsgegenstand relevanten stickstoffemittierenden Projekte kommt eine Verletzung der Berufsfreiheit insbesondere für Anlagenbetreiber von Industrieanlagen oder Tierhaltungsanlagen in Betracht, denen nach festgestellter FFH-Unverträglichkeit i. S. d. § 34 Abs. 2 BNatSchG die beantragte immissionsschutzrechtliche Genehmigung versagt wird. Der Genehmigung dieser Projekte steht dann § 34 BNatSchG als „andere öffentlich-rechtliche Vorschrift“ i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 BImSchG entgegen167. Insofern bleibt die Versagung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zwar der primäre rechtliche Anknüpfungspunkt für den Eingriff, allerdings basiert eine solche Behördenentscheidung materiell zuvörderst auf der gem. § 34 Abs. 2 BNatSchG festgestellten Unzulässigkeit des Projektes. Die FFH-rechtlichen Vorgaben des § 34 BNatSchG mitsamt der in der Schutzgebietsverordnung festgelegten Erhaltungsziele sind folglich auch für die im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG hinsichtlich des Eingriffs vorzunehmende Differenzierung zwischen unmittelbar berufsbezogenen Regelungen und sonstigen Beeinträchtigungen mit berufsregelnder Tendenz maßgeblich168. 164 R. Scholz, in: T. Maunz/G. Dürig u. a. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 12 (2006) Rn. 25; BVerfG, Urt. v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377 (401 f.); Beschl. v. 20.3.2001 – 1 BvR 491/96, BVerfGE 103, 172 (183). 165 BVerfG, Beschl. v. 20.3.2001 – 1 BvR 491/96, BVerfGE 103, 172 (183). 166 H. D. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Kommentar, 15. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 10 m. w. N. 167 H. D. Jarass, in: ders. (Hrsg.), BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 6 Rn. 29. 168 Siehe zur Unterscheidung zwischen unmittelbar berufsbezogenen und sonstigen Regelungen mit berufsregelnder Tendenz T. Mann, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 93 ff.; H. D. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Kommentar, 15. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 14 ff.; a. A. und allesamt das Erfordernis einer berufsregelnden Tendenz verneinend R. Breuer, Staatliche Berufsregelung und Wirtschaftslenkung, in: J. Isensee/P. Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 3. Aufl. 2010, § 171 Rn. 44; G. Manssen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck,

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Berufsbezogene Regelungen sind solche normativen Charakters, die sich unmittelbar auf eine oder mehrere berufliche Tätigkeiten beziehen und deren „Ob“ und „Wie“ verpflichtend vorgeben169. Selbst wenn man einen solchen unmittelbaren Bezug zu bestimmten beruflichen Tätigkeiten mangels berufsspezifischer Reglementierungen hinsichtlich § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG verneint, so weist die Vorschrift jedenfalls eine sog. objektiv berufsregelnde Tendenz auf170. Eine solche ist dann anzunehmen, wenn Regelungen „nach Entstehungsgeschichte und Inhalt im Schwerpunkt Tätigkeiten betreffen, die typischerweise beruflich ausgeübt werden.“171 Die Verträglichkeitsprüfung gem. § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG ermöglicht es, zum Zwecke des Arten- und Habitatschutzes im Geltungsbereich der Europäischen Union Handlungen privater oder beruflicher Art ausschließen können172. So kann insbesondere die wirtschaftliche Bodennutzung eingeschränkt werden, auf die nicht zuletzt berufliche Tätigkeiten wie die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft angewiesen sind; aber auch der Betrieb emittierender Industrieanlagen kann in Ansehung der Erhaltungsziele in den Schutzgebietsverordnungen nachhaltig und ausreichend intensiv betroffen sein173. Daraus folgt, dass die FFH-Verträglichkeitsprüfung zwar vornehmlich auf den Arten- und Habitatschutz abzielt, ihre beschränkende Stoßrichtung aber dennoch eine große Nähe zu beruflichen Tätigkeitsfeldern aufweist174. Diese Nähe ist der FFH-Richtlinie und dem Schutzzweck des Arten- und Habitatschutzes gewissermaßen immanent, als Projekte im Sinne des FFH-Rechts regelmäßig aus wirtschaftlicher bzw. beruflicher Absicht verwirklicht werden175. Das FFH-Recht und speziell die in § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG normierte FFH-Verträglichkeitsprüfung wirken sich somit objektiv berufsregelnd auf bestimmte Berufsfelder aus, zu denen übergeordnet auch der Betrieb stickstoffemittierender (Industrie-)Anlagen zu zählen ist. Etwaige in Folge einer FFH-Verträglichkeitsprüfung versagte immissionsschutzrechtliche Genehmigungen können folglich Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG darstellen. dd) Das Recht auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit gem. Art. 15, 16 GRC Als mit Art. 12 Abs. 1 GG vergleichbare unionale Gewährleistungsgehalte kommen das Recht auf „Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten“ aus Art. 15 GRC und die „Unternehmerische Freiheit“ aus Art. 16 GRC in Betracht. Die Vorschrift des Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 75 ff.; D. Winkler, in: K.H. Friauf/W. Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 12 (2015) Rn. 57; W. Cremer, DÖV 2003, S. 921 (928). 169 BVerfG, Beschl. v. 30.10.1961 – 1 BvR 833/59, BVerfGE 13, 181 (185). 170 Vgl. K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 314 ff. 171 BVerfG, Urt. v. 17.2.1998 – 1 BvF 1/91, BVerfGE 97, 228 (254). 172 Vgl. K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 315. 173 Vgl. K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 315. 174 Vgl. K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 315. 175 Vgl. K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 315.

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

Art. 15 GRC umfasst dabei die allgemeine Berufsfreiheit mitsamt den persönlichkeitsgebundenen Teilaspekten, während Art. 16 GRC mit der unternehmerischen Freiheit eine spezielle Ausprägung der Berufsfreiheit normiert176. Wendete der Europäische Gerichtshof Art. 15 GRC und Art. 16 GRC in der Vergangenheit stets parallel an, differenzierte er erstmalig in seiner Lidl-Entscheidung und sah – wenn auch ohne eingehende Begründung – ausschließlich die unternehmerische Freiheit nach Art. 16 GRC als betroffen an177. Ob hierin – wie von Generalanwalt M. Bobek angedeutet178 – eine Unterscheidung derart zu sehen ist, dass Art. 15 GRC die Berufswahl und Art. 16 GRC die Berufsausübung erfasst, bleibt abzuwarten. Für den Zweck der hiesigen Arbeit soll von einem einheitlichen Grundrecht der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit gem. Art. 15, 16 GRC ausgegangen werden, welches sowohl die Berufswahl als auch die Berufsausübung umfasst179. Übertragen auf das FFH-Recht ist zunächst festzuhalten, dass eine Vielzahl von Projektträgern in Verwirklichung selbständiger unternehmerischer Tätigkeitsabsicht handeln. Hierzu zählen private Vorhabenträger wie Land-, Forst- und Fischereiwirte sowie Betreiber von Industrieanlagen. Die rechtstechnisch in Art. 16 GRC zum Ausdruck kommende unternehmerische Freiheit180 ist daher der hier relevante Teilgehalt der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit. 176 So auch R. Streinz/W. Michl, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 15 GRC Rn. 7; die Verhältnisbestimmung zwischen Art. 15 und Art. 16 GRC erfolgt allerdings mitnichten einheitlich: So erkennt M. Ruffert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 15 GRC Rn. 4 trotz Bedenken angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine strikte Zuordnung der unselbstständigen Tätigkeit zu Art. 15 GRC und der selbstständigen Tätigkeit zu Art. 16 GRC; hingegen sieht beispielsweise J. Schwarze/ P. Voet van Vormizeele, in: J. Schwarze u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 15 GRC Rn. 4 m. w. N.in Art. 15 GRC sowohl die unselbstständige als auch die selbstständige Tätigkeit geschützt; so grundsätzlich auch H. D. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Kommentar, 3. Aufl. 2016, Art. 15 Rn. 4, der die selbständige Tätigkeit zwar auch von der Vorschrift des Art. 15 GRC umfasst sieht, ihr im Ergebnis aber nur Wirkung für Arbeitnehmer zuschreibt; F. Wollenschläger, in: H. von der Groeben/J. Schwarze/A. Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Bd. 1, 7. Aufl. 2015, Vor. Art. 15 und 16 GRC Rn. 6 und Art. 15 GRC Rn. 10 sieht zwar rechtstechnisch in Art. 16 GRC eine Spezialitätvorschrift für die selbstständige unternehmerische Betätigung, nimmt gleichwohl aber materiellrechtlich eine einheitliche Gewährleistung von Berufsfreiheit und unternehmerischer Freiheit an. 177 EuGH, Urt. v. 30.6.2016 – C-134/15, ECLI:EU:C:2016:498, Rn. 26; in der Entscheidung stand in Rede, ob Lidl nach geltendem EU-Recht eine Verpflichtung traf, den Preis von Geflügelfleisch in Fertigpackungen unmittelbar auf der Verpackung selbst zu etikettieren. Der Europäische Gerichtshof stellte klar, dass eine derartige Etikettierungspflicht lediglich geeignet sei, die unternehmerische Freiheit gem. Art. 16 GRC einzuschränken, nicht aber die nach Art. 15 GRC garantierte Möglichkeit, einen frei gewählten Beruf auszuüben; siehe hierzu ferner R. Streinz/W. Michl, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 15 GRC Rn. 7. 178 GA M. Bobek, Schlussanträge v. 16.3.2016 – C-134/15, ECLI:EU:C:2016:169, Rn. 20 ff.; siehe hierzu die Kritik von S. Drechsler, EuR 2016, S. 691 (693 ff.). 179 Dieses Verständnis des Verhältnisses von Art. 15 und Art. 16 GRC entspricht im Wesentlichen dem Wollenschlägers (siehe hierzu Fn. 176). 180 F. Wollenschläger, in: H. von der Groeben/J. Schwarze/A. Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Bd. 1, 7. Aufl. 2015, Vor. Art. 15 und 16 GRC Rn. 6.

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 87

„Das Recht auf unternehmerische Freiheit umfasst insbesondere das Recht [des Grundrechtsträgers], in den Grenzen seiner Verantwortlichkeit für seine eigenen Handlungen frei über seine wirtschaftlichen, technischen und finanziellen Ressourcen verfügen zu können.“181 Des Weiteren umfasst der „Schutz die Freiheit zur Ausübung einer Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit, die Vertragsfreiheit und den freien Wettbewerb.“182 Die unternehmerische Tätigkeit muss „auf gewisse Dauer angelegt und von einer Erwerbsabsicht getragen sein, wobei die Erlaubtheit unerheblich ist“183. Auf „Art, Umfang und Rechtsform der wirtschaftlichen Betätigung“ kommt es nicht an184. Rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigungen sind grundsätzlich in jedem Handeln zu sehen, welches „sich wahrnehmbar nachteilig auf die Berufswahl oder -ausübung auswirkt.“185 Dabei wird auch im Rahmen der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit zwischen unmittelbaren und mittelbaren Beeinträchtigungen zu unterschieden sein186. Da nicht jede den Schutzbereich der Art. 15 GRC und Art. 16 GRC berührende Maßnahme einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff darstellen kann, ist hinsichtlich mittelbarer Beeinträchtigungen – ähnlich einer berufsregelnden Tendenz – zusätzlich ein hinreichend berufsspezifischer Zusammenhang zu fordern187. Hierzu wird etwa vertreten, dass sich ein solcher „durch einen wesentlichen staatlichen Kausalbeitrag, durch ein auf eine Grundrechtseinschränkung zielendes staatliches Verhalten oder durch das Gewicht der Beeinträchtigung [ergeben könne]“188. In Bezug auf stickstoffemittierende Projekte kommt auch hier nur eine mittelbare Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit in Betracht. Dabei lassen sich nun die bereits im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG entwickelten Gedanken zur objektiv berufsregelnden Tendenz auf den im Rahmen der Art. 15, 16 GRC geforderten 181 EuGH, Urt. v. 30.6.2016 – C-134/15, ECLI:EU:C:2016:498, Rn. 27 unter Bezugnahme auf Urt. v. 27.3.2014 – C-314/12, ECLI:EU:C:2014:192, Rn. 49. 182 EuGH, Urt. v. 30.6.2016 – C-134/15, ECLI:EU:C:2016:498, Rn. 28. 183 F. Wollenschläger, in: H. von der Groeben/J. Schwarze/A. Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Bd. 1, 7. Aufl. 2015, Art. 16 GRC Rn. 7 m. w. N. 184 F. Wollenschläger, in: H. von der Groeben/J. Schwarze/A. Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Bd. 1, 7. Aufl. 2015, Art. 16 GRC Rn. 7; siehe hierzu auch H.-J. Blanke, in: K. Stern/M. Sachs (Hrsg.), Europäische Grundrechte-Charta, 2016, Art. 16 Rn. 6. 185 H.-J. Blanke, in: K. Stern/M. Sachs (Hrsg.), Europäische Grundrechte-Charta, 2016, Art. 15 Rn. 43; aufgrund des hier vertretenen einheitlichen Grundrechts der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit betreffen die für einen Eingriff in Art. 15 GRC aufgestellten Voraussetzungen Art. 16 GRC gleichermaßen. 186 J. Schwarze/P. Voet van Vormizeele, in: J. Schwarze u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 15 GRC Rn. 6; J. Schwarze, Europäisches Wirtschaftsrecht, 2007, Rn. 427. 187 F. Wollenschläger, in: H. von der Groeben/J. Schwarze/A. Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Bd. 1, 7. Aufl. 2015, Art. 15 GRC Rn. 29 m. w. N; vgl. EuGH, Urt. v. 28.4.1998 – C-200/96, ECLI:EU:C:1998:172, Rn. 28. 188 Hierzu sowie allgemein zu mittelbaren Eingriffen unter Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs F. Wollenschläger, in: H. von der Groeben/J. Schwarze/ A. Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Bd. 1, 7. Aufl. 2015, Art. 15 GRC Rn. 29 ff.

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

hinreichend berufsspezifischen Zusammenhang übertragen. So wurde im Rahmen der Prüfung des Art. 12 Abs. 1 GG bereits festgestellt, dass sich aus § 34 BNatSchG und dem in den Schutzgebietsverordnungen festgelegten Schutzmaßstab mittelbar auch berufsbezogene Beschränkungen ergeben189. Derartige Beschränkungen betreffen nicht zuletzt den Betrieb stickstoffemittierender Anlagen. Die auf § 34 BNatSchG beruhenden Versagungen immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen stellen folglich auch Eingriffe in die gemeinschaftsrechtliche wirtschaftliche Betätigungsfreiheit gem. Art. 15, 16 GRC dar. Zwischen der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und dem Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG wird in Bezug auf Maßnahmen, die auf der Umsetzung der FFHRichtlinie bestehen, regelmäßig Idealkonkurrenz anzunehmen sein190. Ein Schwerpunkt der Betroffenheit lässt sich abstrakt weder in Bezug auf den einen noch auf den anderen Freiheitsgehalt ermitteln191. Vergleichbares dürfte für das Verhältnis zwischen der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit aus Art. 15, 16 GRC und dem Eigentumsrecht aus Art. 17 GRC gelten. Auch dort ist eine parallele Betroffenheit beider Grundrechtsgehalte möglich und angesichts deren weitestgehenden Gleichlaufs mit den nationalen Freiheitsgewährleistungen auch anzunehmen192. ee) Die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG Art. 2 Abs. 1 GG schützt „die Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne“193, ist gegenüber anderen Freiheitsrechten allerdings subsidiär, sofern ihm kein eigenständiger Schutzgehalt gegenüber den ebenfalls betroffenen Freiheitsrechten verbleibt194. Ein solcher wird der allgemeinen Handlungsfreiheit im Falle des Betriebes 189

Siehe hierzu bereits 2. Kap. B. II. 3. b) cc). Siehe zum Konkurrenzverhältnis der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und dem Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG einführend T. Mann, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 196 f.; H. D. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Kommentar, 15. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 3; J. Wieland, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 12 Rn. 176. 191 Zur Relevanz des Schwerpunkts zur Bestimmung des Konkurrenzverhältnisses zwischen Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG siehe beispielhaft BVerfG, Urt. v. 30.7.2008 – 1 BvR 3262/07, BVerfGE 121, 317 (344 f.). 192 Siehe zur Verhältnisbestimmung von Art. 15, 16 GRC und Art. 17 GRC; F. Wollenschläger, in: H. von der Groeben/J. Schwarze/A. Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Bd. 1, 7. Aufl. 2015, Art. 15 GRC Rn. 11 m. w. N. 193 BVerfG, Urt. v. 16.1.1957 – 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32 (36); Beschl. v. 10.3.1998 – 1 BvR 178/97, BVerfGE 97, 332 (340); Beschl. v. 26.10.2005 – 1 BvR 396/98, BVerfGE 114, 371 (383 f.); Beschl. v. 9.1.2013 – 2 BvR 2805/12, NJW 2013, S. 990 Rn. 11; H. D. Jarass, in: ders./ B. Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Kommentar, 15. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 5 m. w. N. 194 BVerfG, Beschl. v. 8.12.1976 – 1 BvR 810/70, BVerfGE 44, 1 (18 f.); Beschl. v. 20.6.1984 – 1 BvR 1494/78, BVerfGE 67, 157 (171); Beschl. v. 26.5.1993 – 1 BvR 208/93, BVerfGE 89, 1 (13); Beschl. v. 11.7.2006 – 1 BvL 4/00, BVerfGE 116, 202 (221). 190

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 89

stickstoffemittierender Anlagen in der Regel nicht zugeordnet werden können, weshalb eine Betroffenheit in Art. 2 Abs 1 GG vorliegend als subsidiär hinter die speziellen Freiheitsrechte der Berufsfreiheit und des Rechts auf Eigentum zurücktritt195. Mangels eines Äquivalents zur allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG im Unionsrecht entfällt im Übrigen die Möglichkeit einer unionalen Ergänzung196. c) Rechtfertigung des Prioritätsprinzips vor dem Hintergrund betroffener Freiheitsrechte Durch die Versagung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen nach erfolgter FFH-Verträglichkeitsprüfung werden regelmäßig die Freiheitsgehalte der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG, der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit aus Art. 15, 16 GRC und der Eigentumsrechte aus Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 17 GRC verkürzt. Vor diesem Hintergrund muss auch die Rechtfertigung des von der Rechtsprechung präferierten Differenzierungsmerkmals der zeitlichen Priorität in der Kumulation mehrerer Vorhabenträger bewertet werden, denn die Kumulationsentscheidung wirkt sich unmittelbar auf die abschließende Behördenentscheidung in Form der Genehmigungsversagung aus. Die Rechtfertigung des Prioritätsprinzips als Entscheidungskriterium in der Kumulationsprüfung setzt einen sachangemessenen Zusammenhang zwischen dem gewählten Entscheidungskriterium und den berührten Freiheitsrechten voraus197. Für die Sachgerechtigkeit des Prioritätsprinzips in der Kumulation lässt sich zunächst die Gewährleistung eines gewissen Maßes an Rechtssicherheit und Berechenbarkeit ins Felde führen198. Das rein formale Kriterium der Priorität ist für die Projektträger 195 Als ein Beispiel, in dem Art. 2 Abs. 1 GG neben dem Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG und der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG im Zusammenhang mit dem FFH-Recht Anwendung findet, lässt sich der Fall anführen, in denen ein Bauwilliger selbst nicht Eigentümer ist, aber im Einverständnis mit dem Grundstückseigentümer eine Baugenehmigung für dessen Grundstück ohne berufliche Intention beantragt. Ist die bauliche Nutzung nun durch eine auf FFH-Recht beruhende Schutzgebietsverordnung eingeschränkt, ist der Bauwillige mangels Grundstückseigentums und beruflicher Absichten weder in seinem Eigentumsrecht aus Art. 14 GG noch in seiner Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG betroffen. Eine subjektivrechtliche Betroffenheit des Bauwilligen ist dann einzig aus Art. 2 Abs. 1 GG ableitbar; siehe hierzu K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 317; siehe ferner W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 15. Aufl. 2017, Rn. 892; BVerwG, Beschl. v. 18.5.1994 – 4 NB 27.93, NVwZ 1995, S. 264 (265). 196 T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 7 GRC Rn. 3; S. Magiera, DÖV 2000, S. 1017 (1025). 197 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 87. 198 M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (69) m. w. N.

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

vorhersehbar und nachvollziehbar. Ebenso kommt dem Prioritätsprinzip im Interesse der verfahrensführenden Behörden der Vorteil der Praktikabilität zu199. So ist die verfahrensführende Behörde nicht verpflichtet, die Rangfolge der kumulierenden Projekte anhand wertender Kriterien, wie beispielsweise Gemeinwohlinteressen, vorzunehmen. Dadurch erspart sie sich einen Abwägungsprozess, der selbst bei einer geringen Anzahl kumulierender Projekte den Bearbeitungsaufwand einer an der zeitlichen Priorität orientierten Prüfung überstiege. Ferner könnte im Prioritätsprinzip ein begrüßenswertes Gegengewicht zur Komplexität der FFH-Verträglichkeitsprüfung liegen, welche sich insbesondere im Falle zeitlich weit zurückreichender Kumulationsräume ergeben kann. Die Ermittlung der Auswirkungen, denen ein Schutzgebiet neben den prognostizierten Auswirkungen des prüfgegenständlichen Projekts sonst noch ausgesetzt ist, kann angesichts teilweise unzureichend dokumentierter FFH-Verträglichkeitsprüfungen bereits realisierter Projekte und veralteter Bewertungsgrundlagen hinsichtlich des tatsächlichen ökologischen Gebietszustands umfangreich ausfallen200. Zweifelhaft ist indes, ob sich eine Differenzierung nach Priorität vor dem Hintergrund der in Rede stehenden materiellen Schutzgehalte und deren Anforderungen einzig auf das Argument der Praktikabilität und Berechenbarkeit stützen kann. Kollidieren subjektive Ansprüche bzw. materielle Individualinteressen wie im Falle der Kumulation, bedarf es ziel- und zweckoptimaler Entscheidungskriterien201. Freilich sind auch die Praktikabilität des Verwaltungsverfahrens und damit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung hohe Güter, die es zu berücksichtigen gilt. Gerade der Gedanke der Berechenbarkeit sollte allerdings nicht überbewertet werden, mag die Berechenbarkeit von Verwaltungsentscheidungen auch rechtsstaatlich relevant sein. Schließlich werden Abwägungsentscheidungen niemals den Grad an Berechenbarkeit erreichen, der solchen Verfahren innewohnt, die sich an rein formalen Kriterien orientieren202. Gerade vielschichtige Interessenkonflikte lassen sich mit rein formalen Kriterien nicht sachgerecht lösen203. Hierzu zählt nicht zuletzt die Kumulation mitsamt den materiellen Interessen der betroffenen Projektträger sowie dem öffentlichen Interesse an einem effektiven Umwelt- bzw. Biodiversitätsschutz.

199 M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (69). 200 Vgl. hierzu bereits 1. Kap. C. I. 2. 201 Vgl. M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (69). 202 M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (69). 203 Vgl. M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (69).

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 91

Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte verlangt aber noch aus einem weiteren Grunde eine über eine rein prioritäre Entscheidung hinausgehende Abwägung: Die zulässigen Belastungsgrenzen (Critical Loads) für Lebensraumtypen in vielen Natura 2000-Gebieten sind fast erreicht oder bereits überschritten204. Folglich führt die Neuzulassung stickstoffemittierender Anlagen im räumlichen Geltungsbereich vieler Gebiete zu einer Erschöpfung der Belastungskontingente und damit zu einem weitgehenden Zulassungstopp für zeitlich nachfolgende Projekte. Dies erhöht den Rechtfertigungsdruck für Entscheidungskriterien in der Kumulation. Zuletzt wohnt gerade dem Entscheidungsmaßstab zeitlicher Priorität ein Element des Zufalls inne. Je nachdem, welcher Anknüpfungspunkt für die Priorität in der Kumulation relevant ist, kann die Zulassung nicht zuletzt auch von inneren Verwaltungsabläufen abhängen, auf die die Antragsteller keinen Einfluss haben205. Ein grundrechtsschonenderer Entscheidungsmaßstab wäre hingegen dann gegeben, wenn die miteinander konkurrierenden Projektträger auf den Ausgang der Kumulationsentscheidung Einfluss nehmen könnten. Angesichts dessen ist eine alleinige Anwendung des Prioritätsprinzips als Entscheidungsmaßstab in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte nicht zu rechtfertigen. Vor dem Hintergrund betroffener Freiheitsrechte bedarf es eines grundrechtsschonenderen Ansatzes zur Auflösung der in der Kumulation auftretenden Konkurrenzsituationen.

4. Die Vereinbarkeit des Prioritätsprinzips mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und dem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz aus Art. 20 GRC Ganz allgemein unterteilen Differenzierungskriterien die Gruppe der Bewerber in Begünstigte und Nicht-Begünstigte206. Wird ein Antragsteller im Gegensatz zu einem anderen Antragsteller negativ beschieden, stellt dies eine Ungleichbehandlung dar, die – sofern nicht speziellere Diskriminierungsverbote einschlägig sind207 – auch an den allgemeinen Gleichheitssätzen aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20 GRC zu messen ist208. Auch in der Kumulation legt die Rechtsprechung mit der zeitlichen Priorität ein Differenzierungskriterium an, welches zu derartigen Ungleichbehandlungen führt: Kommen danach in einer FFH-Verträglichkeitsprüfung mehrere stickstoffemittierende kumulierende Projekte zusammen und kann angesichts einer weitgehend erschöpften Belastungskapazität des betreffenden Schutzgebiets nicht jedes dieser 204

Siehe zur Stickstoffbelastung in Deutschland bereits oben 1. Kap. A. Vgl. J. Friedrich/I. Heesen, UPR 2013, S. 415 (419). 206 Vgl. F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 36. 207 Siehe hierzu M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 50. 208 Vgl. – jedenfalls für die Bedeutung des Art. 3 Abs. 1 GG in Verteilungssituationen – F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 35 ff. 205

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

Projekte zugelassen werden, wird einigen Projektträgern aufgrund ihrer zeitlich vermittelten Vorrangstellung in der Kumulation die Projektverwirklichung bzw. die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zugestanden, während die Anträge anderer Projektträger gemäß ihrer Nachrangigkeit negativ beschieden werden. Die dadurch zwischen den Projektträgern hervorgerufene Ungleichbehandlung muss gleichheitsrechtlich gerechtfertigt sein209. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen spricht das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG mittlerweile von einem „stufenlose[n] am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte[n] verfassungsrechtliche[n] Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen“210. Diese Rechtsprechung stellt eine Abkehr von der bis dahin bestehenden gestuften Rechtfertigungsprüfung dar, die den Eindruck erweckte, entweder in einer bloßen Willkürkontrolle oder einer vertieften Verhältnismäßigkeitsprüfung (sog. „Neue Formel“) bestehen zu müssen211. Aus der stufenlosen Prüfung folgt nunmehr, dass das „binäre Maßstabsbildungssystem“ zwischen Willkürkontrolle und strenger Verhältnismäßigkeitsprüfung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung weicht, deren Prüfungsumfang sich an dem jeweiligen Regelungsgegenstand und den jeweiligen Differenzierungskriterien orientiert.212 Der Prüfungsmaßstab wird danach strenger, je weniger der Einzelne das differenzierende Persönlichkeitsmerkmal beeinflussen kann, je mehr freiheitsrechtliche Gewährleistungsgehalte betroffen sind und je mehr die gewählten Differenzierungsmerkmale den nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotenen Kriterien nahekommen213. Für das unionsrechtliche Pendant aus Art. 20 GRC rekurriert der Europäische Gerichtshof als Rechtfertigungsvoraussetzung für eine Ungleichbehandlung auf die Notwendigkeit eines „objektiven Kriteriums“ 214 oder „objektiver Unterschiede von einigem Gewicht“215.216 Aus der geforderten „Objektivität“ ist zu schlussfolgern, 209

Vgl. F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 36. BVerfG, Beschl. v. 21.6.2011 – 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49 (69); siehe auch BVerfG, Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 Rn. 121; BVerfG, Beschl. v. 23.6.2015 – 1 BvL 13/11, BVerfGE 139, 285 Rn. 70. 211 Siehe zu dieser Rechtsprechungsentwicklung G. Britz, NJW 2014, S. 346 (347). 212 BVerfG, Beschl. v. 21.6.2011 – 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49 (69); G. Britz, NJW 2014, S. 346 (347). 213 BVerfG, Beschl. v. 21.6.2011 – 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49 (69); Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 Rn. 122; Beschl. v. 23.6.2015 – 1 BvL 13/11, BVerfGE 139, 285 Rn. 71. 214 EuGH, Urt. v. 22.5.2014 – C-356/12, ECLI:EU:C:2014:350, Rn. 43 („objektiven und angemessenen Kriterium“); Urt. v. 16.12.2008 – C-127/07, ECLI:EU:C:2008:728, Rn. 47; siehe auch H. D. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Kommentar, 3. Aufl. 2016, Art. 20 Rn. 12; M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 20 GRC Rn. 25. 215 EuGH, Urt. v. 15.1.1985 – C-250/83, ECLI:EU:C:1985:7, Rn. 8; Urt. v. 22.5.2003 – C462/99, ECLI:EU:C:2003:297, Rn. 115. 210

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 93

dass es jedenfalls eines sachlichen Grundes zur Differenzierung bedarf217. Ob im Rahmen des Art. 20 GRC auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung Anwendung findet bzw. deren explizite Prüfung überhaupt notwendig ist, kann dahinstehen218. Jedenfalls erlaubt die durch den Europäischen Gerichtshof vorgenommene Berücksichtigung von „objektiven Unterschieden von einigem Gewicht“ zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen durchaus eine Variation der Kontrolldichte, die der im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG vorgenommenen vergleichbar ist219. Bestehen somit zwischen Art. 20 GRC und Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls prüfungsmethodisch Unterschiede, dürften sich diese in Bezug auf die an die Differenzierungskriterien zu stellenden Anforderungen nur schwerlich auswirken. Überträgt man diese aus den Gleichheitssätzen abgeleiteten Vorgaben zur Maßstabsbildung einer Rechtfertigungsprüfung auf die Kumulation, so sind zunächst die ebenfalls in der Kumulation betroffenen freiheitsrechtlichen Schutzgehalte (Art. 12, 14 GG; Art. 15, 16, 17 GRC) zu berücksichtigen220. Diese erhöhen den Rechtfertigungsdruck für das Differenzierungskriterium zeitlicher Priorität. Ebenso steigen die Rechtfertigungsanforderungen, „je weniger der Einzelne nachteilige Folgen durch eigenes Verhalten vermeiden kann“221. Hier wirkt sich erneut aus, dass das Kriterium der Priorität ein rein formelles Kriterium darstellt, welchem ein Element des Zufalls innewohnt. Dies gilt umso mehr, wenn man im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für den entscheidenden Zeitpunkt der Vorrangstellung auf den Genehmigungszeitpunkt abstellt222, dessen Eintritt in hohem Maße von verwaltungsinternen Abläufen abhängt; die Vollständigkeitsprüfung als Anknüpfungspunkt der Oberverwaltungsgerichte223 ist hingegen in gewissem Umfang durch 216 M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 20 GRC Rn. 25. 217 So auch M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 20 GRC Rn. 25. 218 Siehe zur Diskussion, ob das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Rahmen des Art. 20 GRC Anwendung findet, M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 20 GRC Rn. 26 f. m. w. N. 219 Vgl. M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 20 GRC Rn. 27. 220 Siehe hierzu oben 2. Kap. B. II. 3. b). 221 BVerfG, Beschl. v. 21.7.2010 – 1 BvR 611/07, BVerfGE 126, 400 (418); siehe auch Beschl. v. 18.7.2012 – 1 BvL 16/11, BVerfGE 132, 179 Rn. 31; Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/ 12, BVerfGE 138, 136 Rn. 122. 222 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 19; Urt. v. 21.5.2008 – 9 A 68.07, juris – Rn. 21; Urt. v. 24.11.2011 – 9 A 23.10, BVerwGE 141, 171 Rn. 40. 223 OVG Münster, Urt. v. 18.9.2018 – 8 A 1886/16, ZUR 2019, S. 102 (103); OVG Münster, Beschluss vom 23.10.2017 – 8 B 565/17, juris – Rn. 21 ff.; Beschl. v. 13.9.2017 – 8 B 1373/16, juris – Rn. 6 ff.; Beschl. v. 20.7.2017 – 8 B 396/17, juris – Rn. 11 ff.; Urt.v. 16.6.2016 – 8 D 99/ 13.AK, juris – Rn. 459 ff.; Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 622 ff.; OVG Koblenz, Beschl. v. 18.6.2018 – 8 B 10260/18, juris – Rn. 19; OVG Lüneburg, Urt. v. 16.2.2017 – 12 LC 54/15, juris – Rn. 100; VGH München, Beschl. v. 13.5.2014 – 22 CS 14.851, juris – Rn. 13.

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

die Antragsteller steuerbar, wenn auch hinsichtlich der Einschätzung dessen, was als „vollständig“ anzusehen ist, teilweise Unsicherheit besteht224. Da in Ermangelung einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage nach jetziger Rechtslage und entgegen der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht ohne weiteres auf die Vollständigkeit der Prüfunterlagen als maßgeblicher Zeitpunkt für die Vorrangstellung abgestellt werden kann, bleibt indes der von verwaltungsinternen Abläufen abhängige Genehmigungszeitpunkt entscheidend225. Die Anforderungen an die Rechtfertigung des Kriteriums zeitlicher Priorität sind insofern auch mangels Beeinflussbarkeit erhöht. Der Rechtfertigungsmaßstab im Rahmen der Gleichheitssätze (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 20 GRC) gleicht sich daher weitgehend demjenigen an, welcher bereits bezüglich der in der Kumulation tangierten Freiheitsrechte angelegt wurde226. Aus dieser weitgehenden Maßstabsangleichung kann nur folgen, dass die mit dem Kriterium der zeitlichen Priorität verfolgten Zwecke der Verfahrenspraktikabilität und der Funktionsfähigkeit der Verwaltung auch im Rahmen der Gleichheitssätze zu keiner Rechtfertigung desselben führen können227. Der im Rahmen der Kumulation virulente Interessenkonflikt kann angesichts der durch eine Genehmigungsversagung betroffenen Freiheitsrechte nicht exklusiv durch eine Differenzierung anhand zeitlicher Priorität interessenschonend aufgelöst werden. Folglich kann eine Rechtmäßigkeitsbeurteilung vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20 GRC nur zu dem Ergebnis führen, dass das Prioritätsprinzip als alleiniges Entscheidungskriterium nicht mit den allgemeinen Gleichheitssätzen aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20 GRC vereinbar ist.

III. Das Prioritätsprinzip: Kein allgemeiner Verwaltungsgrundsatz Bliebe noch die teilweise vertretene Annahme, das Prioritätsprinzip sei aufgrund seiner Eigenschaft als allgemeiner Verwaltungsgrundsatz immer dann anwendbar, wenn das einfache Recht keine explizite Entscheidungsregel vorsehe228. Hier sieht 224

Siehe hierzu bereits oben 2. Kap. B. I. 2. Siehe hierzu bereits oben 2. Kap. B. I. 226 Siehe hierzu 2. Kap. B. II. 3. c). 227 Siehe hierzu bereits im Rahmen der Prüfung der Vereinbarkeit mit Freiheitsrechten 2. Kap. B. II. 3. c). 228 Zur Grundsatzqualtität des Prioritätsprinzips umfassend P. Sittig, Das Prioritätsprinzip im deutschen Verwaltungsrecht bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für Windenergieanlagen, 2013, S. 135 ff., der die Grundsatzqualität des Prioritätsprinzips auf der Grundlage von Gewohnheitsrecht bejaht und sie auf Grundlage einfachen Rechts jedenfalls für möglich hält (siehe hierzu insbesondere das Fazit der diesbezüglichen Untersuchung Sittigs ab S. 208 ff.); zur Wirkung eines im Immissionsschutzrecht geltenden „Grundsatz[es] der Priorität“ siehe D. Buckel, „Priorität“ und „Vorbelastung“ im öffentlichen und zivilen Immissionsschutzrecht, 2009, S. 79 ff.; siehe ferner P. Schütte, NuR 2008, S. 142 (146), der mit Blick auf das Prioritätsprinzip von einem „allgemeine[n] Ordnungsprinzip“ spricht, welches immer 225

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 95

man sich bereits vor die Herausforderung gestellt, dass „[d]er Begriff der allgemeinen Rechtsgrundsätze […] zwar vielfältig verwendet, aber selten näher erläutert [wird].“229 Konsens besteht jedenfalls darüber, dass allgemeine Rechtsgrundsätze in ihrer Wirkung nicht auf ein Rechtsgebiet beschränkt sind, sondern gebietsübergreifend unabhängig von ihrer Positivierung gelten230. In Bezug auf das Prioritätsprinzip sind es aber vor allem einfachrechtliche (1.) und verfassungsrechtliche Bedenken (2.), die dessen Rechtsqualität als allgemeiner Rechtsgrundsatz ausschließen. 1. Keine Ableitbarkeit der Grundsatzqualität des Prioritätsprinzips aus einfachem Recht Das einfache Recht ist für die Einordnung des Prioritätsprinzips als allgemeiner Verwaltungsgrundsatz wenig ergiebig231. Zwar gibt es durchaus einfachgesetzliche Regelungen im Verwaltungsrecht, nach denen das Prioritätsprinzip ein Entscheidungskriterium darstellt, wie beispielsweise in § 13 Abs. 5 S. 2 PBefG. Auch das mit dem FFH-Recht eng verwandte UVP-Recht weist seit kurzem in § 12 Abs. 2 UVGP eine prioritäre Regelung für die UVP-Pflicht hinzutretender kumulativer Vorhaben auf232. In den überwiegenden Fällen der Normierung einfachgesetzlicher Entscheidungsprogramme hat der Gesetzgeber das Prioritätsprinzip allerdings entweder unberücksichtigt gelassen, auf dieses explizit oder jedenfalls mittelbar verzichtet oder es nachgeordnet in gestufte Verteilungsverfahren eingebettet233. Beispiele für eine nachrangige Berücksichtigung sind insbesondere Landeswassergesetze234. Bei diesen wird vielfach wertenden Kriterien wie dem größtmöglichen Nutzen für die Allgemeinheit Vorrang eingeräumt, wenn den sich grundsätzlich gegenseitig ausschließenden Vorhaben nicht durch Auflagen zur Verwirklichung verholfen werden kann235. Erst nachgeordnet soll es nach einigen Regelungen bei Gleichstellung der Bewerber auf die zeitlich vorausgehende Andann zur Anwendung komme, wenn keine gegenteiligen Regelungen gegeben seien; auch das OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 622 ff. und insbesondere Rn. 625 spricht – wenn auch ohne nähere Begründung – in Bezug auf das Prioritätsprinzip von einem „Grundsatz“; ebenso OVG Münster, Urt.v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 459 ff. und insbesondere Rn. 464 („Grundsatz“). 229 D. Ehlers, Rechtsquellen und Rechtsnormen der Verwaltung, in: ders./H. Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 2 Rn. 9 m. w. N. 230 D. Ehlers, Rechtsquellen und Rechtsnormen der Verwaltung, in: ders./H. Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 2 Rn. 9; F. Ossenbühl, Allgemeine Rechts- und Verwaltungsgrundsätze – eine verschüttete Rechtsfigur?, in: E. Schmidt-Aßmann u. a. (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 289 (291). 231 Siehe hierzu insbesondere O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (279 f.) 232 Siehe zu dieser Regelung bereits oben 2. Kap. B. I. 1. 233 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (279). 234 Beispielsweise § 9 SächsWG; § 122 SHWG; Art. 68 BayWG. 235 Siehe dazu auch O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (279).

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

tragstellung oder Benutzung ankommen236. Das Fachplanungsrecht wiederum enthält fast durchgängig Abwägungslösungen237, die eine Einstellung aller betroffenen Belange erforderlich machen238. Ist spezialgesetzlich nichts anderes vorgesehen, trifft dies auch auf ermessensgebundene Genehmigungsverfahren und die dort einzustellenden ermessensrelevanten Belange zu239. Für gebundene Zulassungsentscheidungen ohne explizite Entscheidungsregel gilt grundsätzlich, dass das Prioritätsprinzip nicht ohne Ermächtigungsregel Anwendung finden kann240. Insgesamt bieten die einfachgesetzlichen Regelungen somit kein verallgemeinerungsfähiges Bild, welches die These eines allgemeinen Verwaltungsgrundsatzes „Prioritätsprinzip“ zu stützen vermag. 2. Die Verfassung als Maßstab: Keine verallgemeinerungsfähige sachgerechte Mängelverwaltung anhand des Prioritätsprinzips Im Übrigen wäre eine Einordnung des Prioritätsprinzips als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch verfassungsrechtlich nicht haltbar. Voraussetzung hierfür wäre nämlich, dass das Prioritätsprinzip in Konkurrenzsituationen ohne staatlich festgelegtes Prüfprogramm stets dem Verfassungsanspruch einer sachgerechten Mängelverwaltung genügte. Dabei kann es nicht auf singuläre verfassungsmäßige Anwendungsfälle in Konkurrenzsituationen ankommen. Vielmehr muss die sachgerechte Mängelverwaltung durch das Prioritätsprinzip in Konkurrenzsituationen ohne Prüfprogramm verallgemeinerungsfähig sein. Eine solch verallgemeinerungsfähige, weitreichende Annahme ist allerdings nicht vertretbar. So spricht gegen die verallgemeinerungsfähige Möglichkeit einer sachgerechten Mängelverwaltung anhand des Prioritätsprinzips aus grundrechtlicher Perspektive zuvörderst, dass es bestehende Interessenkonflikte regelmäßig nicht hinreichend auszugleichen vermag241. Gerade Interessenkonflikte sind Konkurrenzsituationen jedoch inhärent. Sie gebieten eine verhältnismäßige Abwägung grundrechtlicher Gewährleistungsgehalte. Rein formelle Entscheidungsmaßstäbe wie das Prioritätsprinzip stehen einem solchen Anspruch grundsätzlich diametral entgegen. Allenfalls ließe sich die Anwendung des Prioritätsprinzips dann rechtfertigen, wenn entweder aus der zeitlichen Rangfolge Rückschlüsse auf sachliche Kriterien gezogen werden könnten oder die 236

§ 9 S. 2, 1. Hs. SächsWG; § 122 S. 2, 2. Hs. SHWG; Art. 68 S. 2, 2. Hs. BayWG. Positivrechtliche Ausprägungen des Abwägungsgebots finden sich im Fachplanungsrecht etwa in § 17 Abs. 1 S. 2 FStrG, § 8 Abs. 1 S. 2 LuftVG, § 28 Abs. 1 S. 2 PBefG, § 18 Abs. 3 S. 1 NABEG, § 18 Abs. 1 S. 2 AEG. 238 B. Stüer, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 5. Aufl. 2015, Rn. 4930; O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (279 f.). 239 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280); K. Redeker, in: ders./H.-J. von Oertzen (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2014, § 114 Rn. 15. 240 M. Lau, NuR 2016, S. 149 (151); O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (276 f.); siehe hierzu bereits oben 2. Kap. B. I. 1. 241 Siehe hierzu bereits oben 2. Kap. B. II. 3. c). 237

B. Das Prioritätsprinzip als Entscheidungsregel bei parallelen Genehmigungsanträgen 97

Eignung der Konkurrenten prinzipiell gleich ist, sodass eine Auswahl anhand inhaltlicher Kriterien nicht getroffen werden kann242. Diese Umstände dürften angesichts der regelmäßigen Vielfalt der Bewerber nur in seltenen Fällen erfüllt sein243. Bewerbergleichheit nach Anlegung persönlicher, sozialer oder sonstiger Kriterien wird daher grundsätzlich nicht vorliegen. Für die Grundsatzqualität ließe sich zuletzt noch anführen, dass die genannten normativen Kriterien in bestimmen Konkurrenzsituationen schlicht nicht praktikabel seien. Doch auch aus diesem Argument ergibt sich kein verallgemeinerungsfähiger Ansatz, schließlich variiert die Komplexität und somit die Praktikabilität von Verwaltungsverfahren. Ohnehin darf sich der Staat im Bereich der grundrechtssichernden Mängelverwaltung nicht ohne Weiteres aus Effizienzgründen auf das Kriterium der Priorität zurückziehen, selbst wenn die zu treffende Entscheidung komplex ist244. „Erst wenn die Funktionsfähigkeit der Verwaltung bei Anwendung jedes anderen sinnvollen Auswahlkriteriums ernsthaft gefährdet ist, ist der Rückgriff auf den ,Verlegenheitsmaßstab‘ der Priorität zulässig.“245 Das Prioritätsprinzip vermag eine sachgerechte Mängelverwaltung in Konkurrenzsituationen ohne staatlich festgelegtes Entscheidungsprogramm somit nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise zu gewährleisten246. Die geltende Rechtslage spricht somit insgesamt gegen die Qualität des Prioritätsprinzips als allgemeinem Verwaltungsgrundsatz. Weder können aus dem einfachen Recht Rückschlüsse für die Grundsatzqualität des Prioritätsprinzips gezogen werden, noch ist eine solche Annahme ohne Weiteres mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch der sachgerechten Mängelverwaltung vereinbar. Es handelt sich bei dem Prioritätsprinzip vielmehr um ein bloßes Ordnungsprinzip247. In Ansehung dessen kann in der Kumulation – insbesondere ohne einfachgesetzliche Entscheidungsregel – nicht auf das Prinzip der Priorität abgestellt werden.

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A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (37 f.). A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (38). 244 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (38). 245 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (38) m. w. N. 246 Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Wertungen setzt sich der hier vertretene Ansatz auch in Widerspruch zur Auffassung Sittigs, welcher die Grundsatzqualität des Prioritätsprinzips gewohnheitsrechtlich herleitet und keine verfassungsrechtlichen Bedenken diesbezüglich ausmacht, siehe P. Sittig, Das Prioritätsprinzip im deutschen Verwaltungsrecht bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für Windenergieanlagen, 2013, S. 187 ff. sowie S. 208 ff. 247 Die Begrifflichkeit des „Ordnungsprinzips“ findet sich so unter anderem bei P. Schütte, NuR 2008, S. 142 (146); M. Rolshoven, NVwZ 2006, S. 516 (521 f.). 243

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2. Kap.: Das Prioritätsprinzip in der Rechtsprechung

C. Zwischenergebnis: Ausschließliche Anwendung des Prioritätsprinzips bei parallelen Genehmigungsanträgen nicht rechtmäßig Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die Legitimität des Prioritätsprinzips in der Kumulation stickstoffemittierender Anlagen vornehmlich vom Realisierungsgrad der Projekte abhängt. So wirkt das Prioritätsprinzip hinsichtlich bereits verwirklichter Projekte mittels Bestandsschutz. Zumindest genehmigte Projekte sind als Teil der zu berücksichtigenden Sach- und Rechtslage ebenfalls vorrangig einzustellen. Die Vorrangstellung dieser Projekte aufgrund zeitlicher Priorität ist verfassungsgemäß. Bezüglich noch nicht genehmigter, paralleler Genehmigungsverfahren stellt sich die Situation anders dar, da insbesondere der Bestandsschutzgedanke hier nicht mehr greift. Vor allem für Verfahren, die nach jetziger Lage keine Abwägungs- bzw. Ermessensentscheidungen zulassen und an deren Ende ein gebundener Zulassungsanspruch steht, kann das Prioritätsprinzip als alleiniges Kriterium bereits wegen einfachgesetzlicher Wertungen ausgeschlossen sein. So gilt etwa für das immissionsschutzrechtliche Zulassungsverfahren, dass das Prioritätsprinzip weder mit dem Gebot der zügigen Verfahrensführung, noch mit dem Koordinierungsgebot aus § 10 Abs. 5 S. 2 BImSchG vereinbar ist. Auch lässt sich nicht zufriedenstellend beantworten, an welchen Verfahrenszeitpunkt hinsichtlich einer Vorrangstellung aufgrund zeitlicher Priorität anzuknüpfen ist. Den diskutierten Anknüpfungspunkten – von der Antragstellung bis zur Vollständigkeit der Prüfungsunterlagen – kommt ohne einfachgesetzliche Geltungsanordnung keine materiell-rechtliche Vorrangwirkung zu. Eine Rückstellung konkurrierender, bereits genehmigungsreifer Projekte lässt sich so nicht rechtfertigen. Neben diesen einfachgesetzlichen Bedenken sind es aber in erster Linie grundrechtliche Wertungen, die eine rein an einem formalen Kriterium wie der zeitlichen Priorität ausgerichtete Rangfolge bei parallelen Genehmigungsanträgen ausschließen. Die durch eine Genehmigungsversagung betroffenen Grundrechte (Art. 14 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG; Art. 15, 16, 17, 20 GRC) verlangen eine irgendwie geartete Abwägung. Eine solche lässt sich durch eine formale Festlegung der Projektrangfolge in der Kumulation nicht bewerkstelligen. Vor allem grundrechtliche Wertungen sind es im Übrigen auch, die eine Eigenschaft des Prioritätsprinzips als allgemeiner Verwaltungsgrundsatz ausschließen. Damit gilt: Die rechtliche Bewältigung paralleler Genehmigungsanträge stellt – insbesondere bei gebundenen Ansprüchen – die Kernfrage der Kumulation dar. Der momentane status-quo rechtlicher Bewältigungsansätze, namentlich die Zugrundelegung des Prioritätsprinzips zur Bestimmung der Rangfolge paralleler Projekte in der Rechtsprechung, ist verfassungswidrig. Nachstehend soll daher der Versuch einer sachgemäßen Auflösung dieser Problematik unternommen werden.

3. Kapitel

Eine Einordnung der Kumulation stickstoffemittierender Projekte in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung Einer sachgemäßen Auflösung der hinter der Kumulation stickstoffemittierender Projekte stehenden Konkurrenzproblematik muss eine grundlegende Einordnung derselben in die verwaltungsrechtliche Dogmatik vorausgehen. Dem sei die These vorangestellt, dass die in der Kumulation auftretenden Konkurrenzsituationen paralleler Genehmigungsanträge als öffentliche Verteilungsprobleme begreifbar und die in der öffentlich-rechlichen Verteilungsordnung geltenden Grundsätze daher weitgehend auf die Kumulation stickstoffemittierender Projekte übertragbar sind. Mit einem „öffentlichen Verteilungsproblem“ ist dabei eine auf Mangel, das heißt Güterknappheit beruhende Konkurrenzsituation gemeint, die der hoheitlichen Mangelverwaltung bedarf. Um diese These zu stützen, soll zunächst in die Rechtsordnung als Verteilungsordnung eingeführt werden (A). Sodann ist zu fragen, inwieweit die Umwelt als solche überhaupt einen Verteilungsgegenstand in dieser Verteilungsordnung darstellen kann (B). Als zentraler Aspekt dieses Kapitels soll im Anschluss aufgezeigt werden, dass das FFH-Recht Verteilungswirkungen verursacht, die sich in den übergeordneten Zusammenhang öffentlich-rechtlicher Verteilungslenkung einpassen lassen (C).

A. Die Rechtsordnung als Verteilungsordnung „Jede Gesellschaft und gerade eine anspruchsorientierte Wohlstandsgesellschaft wie die Bundesrepublik Deutschland ist, wie uns vor allem die Ökonomie lehrt, permanenten Verteilungskonflikten ausgesetzt“1. Dabei ist der Ursprung eines jeden Verteilungskonflikts die Knappheit von Gütern2. Knappheit ist immer dann gegeben, 1 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (23); siehe zum ökonomischen Verständnis der Knappheit auch M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (25 f.). 2 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (25); siehe überblicksartig zum ökonomischen Güterbegriff U. Baßeler/J. Heinrich/B. Utecht, Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaft, 19. Aufl. 2010, S. 16 f.; in dieser Arbeit ist dem Güterbegriff ein weites Verständnis zugrunde gelegt, wonach Güter als „Mittel zur Bedürfnisbefriedigung“ nicht nur Sachgüter, sondern ebenso Dienstleistungen und Nutzungen (Bsp.: Nutzung des

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3. Kap.: Eine Einordnung in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung

wenn „die nachgefragten Nutzungen durch die vorhandene Menge oder Qualität eines Gutes nicht hinreichend befriedigt werden können, also insofern Verwendungskonkurrenzen auftreten“3. Auch die sog. öffentlichen Güter, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie im Gegensatz zu privaten Gütern gemeinschaftlich von vielen parallel genutzt werden können und niemand von ihrer Nutzung ausgeschlossen ist, sind nicht unbegrenzt verfügbar4. So ist etwa insbesondere die Knappheit des öffentlichen Gutes „Umwelt“ (Luft, Wasser, etc.) lange nicht als solche registriert worden5. Der allgegenwärtige Mangel ist gewissermaßen eine Konstante unseres Zusammenlebens geworden6. Die Verwaltung des Mangels erfolgt im Rahmen des in Deutschland gültigen Wirtschaftssystem der sozialen Marktwirtschaft gemeinhin über die Preisbildung durch Angebot und Nachfrage – mithin grundsätzlich privatautonom7. Das Recht ist funktionell vornehmlich „auf die Sicherung der Wirksamkeit und Sozialverträglichkeit des Wettbewerbs [beschränkt].“8 Allerdings wirkt der Staat aufgrund der Komplexität der Verteilungsaufgaben in zunehmendem Maße im Sinne der Gemeinwohlverwirklichung auf die Marktergebnisse ein, um einen angemessenen sozialen Lebensstandard für die Bürger zu gewährleisten9. So „kann [er] bestimmte Güter künstlich verknappen, etwa durch Verbote (Beispiel: Drogen) oder die Festlegung von Kapazitätsgrenzen (Beispiel: Umweltverschmutzungsstandards […]), er kann Güter in gewissem Umfang selbst bereitstellen, wie Straßen, Schulen, Universitäten oder Krankenhäuser, und er kann die Kriterien bestimmen, nach denen knappe Güter verteilt werden.“10 Auch kann er sich aus Gründen der Funktionsfähigkeit bestimmter Lebensbereiche veranlasst sehen, einzelne Verteilungskonflikte „aus der gesellschaftlichen Sphäre herauszunehmen und einem öffentlich-rechtlichen Regime zu überantworten“11. So geschehen bei der Frequenznutzung von Rundfunkanstalten durch die Einführung einer Internets) umfassen, siehe B. Hewel/R. Neubäumer, Systemunabhängige Grundbegriffe und Grundfragen, in: dies./T. Lenk (Hrsg.), Volkswirtschaftslehre, 6. Aufl. 2017, S. 6. 3 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (25). 4 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (23). 5 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (23), der unter Verweis auf L. Wicke, Umweltökonomie, 4. Aufl. 1993, S. 41 ff. und E. Gawel, Umweltallokation durch Ordnungsrecht, 1994, S. 41 ff. m. w. N. in Fn. 16 herausstellt, dass es insbesondere der Umweltökonomie zu verdanken ist, dass dieser Umstand wahrgenommen wurde. 6 Laut A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (23) leben wir in „einer Welt des Mangels“; siehe hierzu auch die Einleitung, S. 1 ff. (Einleitung). 7 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (23); M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 5. 8 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (23). 9 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 5 f.; A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (23 f.). 10 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (24). 11 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 1.

A. Die Rechtsordnung als Verteilungsordnung

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Frequenzordnung (§§ 52 ff. TKG) oder im Taxigewerbe durch die Vergabe einer begrenzten Anzahl von Konzessionen (vgl. § 13 Abs. 4 PBefG).12 Dabei legt er regelmäßig Kriterien fest, anhand derer die Verteilung dieser Güter zu erfolgen hat. Diese bilden meist den Anstoß für Diskussionen um die Rechtmäßigkeit des jeweiligen Verteilungsregimes.

I. Der Verfahrenstypus des „Verteilungsverfahrens“ und Verwaltungsentscheidungen mit Verteilungswirkungen Großer Beliebtheit hat sich das Thema der „Verteilung“ in der Literatur insbesondere in jüngster Vergangenheit erfreut13. Dabei lässt sich die Tendenz ausmachen, „Verteilungsverfahren“ zunehmend als formalisierten verwaltungsverfahrensrechtlichen Typus zu begreifen14. Diesem Typus sollen all jene Verfahren unterfallen, „mittels derer die Verwaltung aus einer Mehrzahl von Personen anhand bestimmter Kriterien eine oder mehrere Personen zu einem bestimmten Zweck auswählt, wobei die Berücksichtigung aller Bewerber aufgrund der aus welchem Grund auch immer bestehenden Knappheit des zu verteilenden Objekts ausgeschlossen ist.“15 Zu diesem Typus des „Verteilungsverfahrens“ zählen beispielsweise Verfahren zur Zulassung zu öffentlichen Einrichtungen, die Hochschulzulassung anhand des numerus-clausus bei einer begrenzten Anzahl von Studienplätzen, die Konzessionsvergabe im Personenbeförderungsrecht oder die Frequenzvergabe im Telekommunikationsrecht. Ist die fortschreitende Systematisierung von Verteilungssituationen auch begrüßenswert, darf dabei nicht außer Acht bleiben, dass es auch unabhängig vom speziellen Verfahrenstyp des Verteilungsverfahrens Verwaltungsentscheidungen gibt,

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F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 1. Siehe hierzu exemplarisch die jüngsten Monographien von F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010; N. Malaviya, Verteilungsentscheidungen und Verteilungsverfahren, 2009; M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008; D. Kupfer, Die Verteilung knapper Ressourcen im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2005. 14 Siehe hierzu grundlegend F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010; ferner H. C. Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/ A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II: Informationsformen, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012, § 30 Rn. 10 ff.; N. Malaviya, Verteilungsentscheidungen und Verteilungsverfahren, 2009, S. 250 ff.; A. Voßkuhle, Strukturen und Bauformen neuer Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 277 (290 ff.). 15 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 2. Für A. Voßkuhle, Strukturen und Bauformen neuer Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 277 (290 f.), ist für die Eigenschaft eines Verwaltungsverfahrens als Verteilungsverfahren dessen „Funktion […] der (sach)gerechten Verteilung knapper Güter bei einer Überzahl von Bewerbern, also in Konkurrenzsituationen“ maßgeblich. Für weitere Definitionsansätze in der Literatur siehe F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 2 Fn. 4. 13

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3. Kap.: Eine Einordnung in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung

die „Verteilungswirkungen“ hervorrufen16. Diese sind unter Umständen verfahrensrechtlich noch abzustützen17. Zu diesen Verwaltungsentscheidungen zählt beispielsweise die Subventionsvergabe nach zeitlicher Abfolge der Anträge bis zur Erschöpfung des Subventionskontingents18. Ebenso unterfallen dieser Gruppe Genehmigungen für die Inanspruchnahme von Umwelt- oder Raumressourcen nach bloßer Reihenfolge der Eingänge19. Beiden Fällen ist gemein, dass bewusst oder unbewusst auf eine Verteilung auf Grundlage festgelegter Programme verzichtet wird. Angesichts dessen, dass die Kumulation als Bestandteil der FFH-Verträglichkeitsprüfung bislang nicht als Verteilungsproblem wahrgenommen wird, verengt diese Arbeit ihren Blick daher nicht auf den Typus eines „Verteilungsverfahrens“. Vielmehr soll zunächst jede grundsätzlich durch den Staat hervorgerufene Verteilungswirkung erfasst und kategorisiert werden, bevor in einem zweiten Schritt eine Einordnung der Kumulation in diese Kategorien vorgenommen wird.

II. Die hoheitliche Erstverteilung und potentielle Umverteilung knapper Güter Orientiert man sich also ganz allgemein an den Verteilungswirkungen staatlichen Handelns, lassen sich öffentlich-rechtliche Verteilungskonstellationen zunächst in die Kategorien hoheitlicher Erst- und potentieller Umverteilung unterteilen20. Die hoheitliche Erstverteilung von begrenzten Gütern ist dabei die klassische Verteilungskonstellation21. Ein vormals noch nicht zugewiesenes Kontingent wird im Zuge von Verteilungsentscheidungen zum ersten Mal unter mehreren Bewerbern/ Interessenten verteilt. Als Beispiel für eine derartige Erstverteilung dient die erstmalige Zuteilung der CO2-Emissionsberechtigungen in der ersten Emissionshan-

16 H. C. Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. SchmidtAßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II: Informationsformen, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012, § 30 Rn. 11 (Hervorhebung im Original). 17 H. C. Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. SchmidtAßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II: Informationsformen, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012, § 30 Rn. 11. 18 H. C. Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. SchmidtAßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II: Informationsformen, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012, § 30 Rn. 11. 19 H. C. Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. SchmidtAßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II: Informationsformen, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012, § 30 Rn. 11 m. w. N. 20 Siehe hierzu ausführlich A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (24 ff.). 21 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (25).

A. Die Rechtsordnung als Verteilungsordnung

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delsperiode des Europäischen Emissionszertifikatehandels anhand sog. Nationaler Allokationspläne (NAP)22. Unter potentiellen Umverteilungskonstellationen wiederum versteht man die mögliche Umverteilung von bereits im Rahmen der Erstverteilung zugewiesenen Gütern23. Etwaige notwendige Umverteilungen resultieren aus der Erkenntnis, dass der Staat seine durch Erstverteilung getroffenen Zuteilungsentscheidungen fortwährend dahingehend überprüfen muss, ob sie eine gleichmäßige Grundrechtsverwirklichung gewährleisten24. Die staatliche Umverteilung steht insofern in einem Spannungsverhältnis. Ihr kommt die Aufgabe zu, das Bestandsschutzinteresse der im Rahmen der Erstverteilung Begünstigten mit dem Zugangsinteresse von Neubewerbern in Ausgleich zu bringen25. Hierbei lassen sich nach Voßkuhle zwei Konstellationen unterscheiden: Verdeckte Umverteilungskonstellationen und offene Umverteilungskonstellationen26 : Von einer verdeckten Umverteilungskonstellation ist auszugehen, wenn „im Zeitpunkt der Erstvergabe gar nicht realisiert [wurde], daß knappe Güter zur Verteilung anstanden, und […] die Zuweisung eines Gutes nach Eingang des Antrags an jeden Bewerber, der bestimmte materielle Voraussetzungen erfüllte, [erfolgte].“27 Ist die Ressource erschöpft, „verhindert der mit dem Prioritätsprinzip einhergehende Bestandsschutz hier schon im Ansatz weitere Überlegungen zu einer potentiellen Umverteilung.“28 Konsequenzen ergeben sich daraus zum Beispiel für das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsregime. So wird etwaigen Newcomern trotz im Vergleich zu bestehenden Altanlagen emissionsärmerer Technologie eine Genehmigung gem. §§ 4, 6 BImSchG verwehrt bleiben, wenn die Gesamtbelastung im Sinne der TA-Lärm oder TA-Luft29 zu hoch und damit die Belastungskapazitäten (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) bereits erschöpft sind.30 Ähnlich liegt der Fall bereits realisierter Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung. Auch dort wirkt das Prioritätsprinzip mittels Bestandsschutzes und kann eine Zulassung zeitlich nachfolgender Projekte ausschließen31. 22 Siehe hierzu instruktiv S. Kobes, NVwZ 2004, S. 513 ff.; ders., NVwZ 2004, S. 1153; L. O. Michaelis/C. Holtwisch, NJW 2004, S. 2127 ff. 23 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (26). 24 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 121. 25 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 122. 26 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (27 f.). 27 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (26) (Hervorhebung im Original). 28 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (26). 29 Nach Nr. 4.2.1 der TA-Luft ist beispielsweise für die Ermittlung etwaiger Gefahren für die menschliche Gesundheit auf die nach Nr. 4.7 der TA-Luft zu ermittelnde Gesamtbelastung abzustellen. Eine vergleichbare Regelung mit Bezugnahme auf die Gesamtbelastung findet sich in Nr. 3.2.1 der TA-Lärm. 30 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (26). 31 Siehe hierzu bereits 2. Kap. A.

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3. Kap.: Eine Einordnung in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung

Offene Umverteilungskonstellationen sind gegeben, wenn die Vakanz der Umverteilung offen zu Tage tritt32. Dies ist beispielsweise bei auf eine gewisse Geltungsdauer begrenzten Konzessionen der Fall33. Regelmäßig wird der Vorrang des Altbewerbers und bisherigen Inhabers des betreffenden Gutes jedoch über sog. Sekundärverteilungsregeln, die in ihrer Rechtswirkung Besitzstandsklauseln darstellen, gesichert.34 Diese bevorzugen den Altbewerber und bisherigen Inhaber des Gutes gegenüber Neubewerbern35. So ist bei der Neuvergabe von Taxikonzessionen gem. § 13 Abs. 3 S. 1 PBefG durch die zuständige Behörde zu berücksichtigen, dass ein Verkehr von einem Unternehmer jahrelang in einer dem öffentlichen Verkehrsinteresse entsprechenden Weise betrieben worden ist36. Ebenso genießen Luftfahrtunternehmen grundsätzlich ein Vorrecht bei der Vergabe von sog. Slots, also Start- und Landerechten in einem bestimmten Zeitfenster, wenn diese ihnen bereits in der vergangenen Flugplanperiode zustanden [Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 95/93 des Rates vom 18.1.1993 über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft37 i. V. m. § 27a Abs. 1 LuftVG]38. Hinter diesen Regelungen steht die Erwägung, dass dem bisherigen Besitzer eine schutzwürdige Rechtsposition zukommt, die ihm die vorrangige Berücksichtigung bei der Neuvergabe zusichert39. In dieser zum Teil als „Grandfathering“40 oder auch „Besitzstandsmethode“41 bezeichneten historischen Verteilungsmethode42 erkennt 32

A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (26). A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (26). 34 Siehe hierzu M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (52); ebenso A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (26 f.). 35 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (26 f.). 36 In Bezug auf § 13 Abs. 3 PBefG von einer „Art ,überwirkenden Bestandsschutz‘“ sprechend C. Heinze, in: ders./M. Fehling/L. H. Fiedler (Hrsg.), Kommentar zum Personenbeförderungsgesetz, 2. Aufl. 2014, § 13 Rn. 107. 37 ABlEG L 14 v. 22.1.1993, S. 1, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 545/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.6.2009 zur Änderung der VO (EWG) Nr. 95/93 des Rates über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft, ABlEU L 167 v. 29.6.2009, S. 24. 38 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 123; vgl. auch A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 27. 39 M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (52); M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 123. 40 Siehe hierzu R. H. Weber, Wirtschaftsregulierung in wettbewerbspolitischen Ausnahmebereichen, 1986, S. 254; diese und weitere Nachweise bei M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 122 Fn. 450. 41 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 122 f. m. w. N. 33

A. Die Rechtsordnung als Verteilungsordnung

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Martini „eine sekundärverteilungsrechtliche Anwendungsvariante des Prioritätsprinzips“43.

III. Die Unterscheidung zwischen Zu- und Verteilung: Die Bewältigung von Verteilungsproblemen anhand von Planungsinstrumenten oder Verteilungsprogrammen Eine letzte Unterscheidung kann zwischen Zuteilung und Verteilung getroffen werden44. Hinter diesem Begriffspaar verbergen sich unterschiedliche Verteilungsschritte45: Unter Zuteilung ist danach grundsätzlich eine „(abstrakt-generelle) Nutzenverteilung“46 zu verstehen, die insofern bereits einen Verteilungsschritt darstellt, als sie eine Auswahl unter divergierenden Nutzungsarten bzw. -interessen an einem knappen Gut trifft47. Verteilung hingegen meint auf einer zweiten Stufe die individuelle Nutzenzuteilung von Gütern, z. B. in Form der Konzessionsvergabe im Personenbeförderungsrecht48. Dabei erfolgt die Zuteilung eines Gutes, an dem unterschiedliche Nutzungsinteressen bestehen, vornehmlich über Planungsinstrumente wie etwa Raumordnungsplänen49. Dies folgt daraus, dass Verteilungsprogramme nur hinsichtlich 42 Einführend zu „Historischer Verteilung“ siehe R. H. Weber, Wirtschaftsregulierung in wettbewerbspolitischen Ausnahmebereichen, 1986, S. 254 ff. 43 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 122. 44 Siehe hierzu insbesondere H. C. Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II: Informationsformen, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012, § 30 Rn. 11, sowie M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (73 ff.), die diesbezüglich auch von vertikaler und horizontaler Verteilung sprechen (S. 47 Fn. 2). 45 M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47. 46 M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (74). 47 Vgl. H. C. Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/ E. Schmidt-Aßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II: Informationsformen, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012, Rn. 11. 48 Vgl. M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (74). 49 H. C. Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. SchmidtAßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II: Informationsformen, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012, § 30 Rn. 11.

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3. Kap.: Eine Einordnung in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung

gleichlaufender Nutzungsinteressen entwickelt werden können50. „Verteilung setzt – anders als Zuteilung – Vergleichbares voraus.“51 Nichtsdestotrotz können auch Zuteilungsentscheidungen in Form von Planungsentscheidungen individuellen Verteilungscharakter haben52. So zeigt sich insbesondere am Beispiel eines Bauleitplans, dass „planungsrechtliche Festlegungen wie z. B. Baugebietsausweisungen immer auch materielle Zuteilungen von (individuellen) Nutzungsmöglichkeiten an den jeweiligen [Grundstückseigentümer darstellen]“53. Inwiefern ein Verteilungsproblem lösbar ist, hängt daher wesentlich von den bestehenden Nutzungsinteressen ab. Laufen diese parallel, kann die Verteilung auf Grundlage eines konkreten Verteilungsprogramms unter Anlegung entsprechender Verteilungskriterien erfolgen. Sind die Nutzungsinteressen hingegen divergierend, ist ein Interessenausgleich lediglich über Planungsinstrumente möglich.

IV. Zwischenergebnis Zusammenfassend wird die deutsche Rechtsordnung zunehmend auch als Verteilungsordnung begriffen. Hierfür zeigt sich nicht zuletzt die verstärkte Auseinandersetzung mit dem Verwaltungsverfahrenstypus eines „Verteilungsverfahrens“ in der Literatur verantwortlich. In dieser Auseinandersetzung hat dieser Verfahrenstyp eine deutliche Konkretisierung seiner Strukturprinzipien erfahren54. Der verstärkte fachwissenschaftliche Zuschnitt auf den Verfahrenstypus eines „Verteilungsverfahrens“ darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass es abseits formalisierter Verteilungsverfahren auch Verwaltungsentscheidungen gibt, denen ebenso Verteilungswirkungen zukommen, für die allerdings bewusst oder unbewusst auf formalisierte Verteilungsprogramme verzichtet wurde. Als Beispiel wurde etwa die Subventionsvergabe nach zeitlicher Abfolge der Anträge bis zur Erschöpfung des Subventionskontingents genannt. Für diese Fälle wird jeweils zu prüfen sein, inwiefern Verwaltungsentscheidungen mit Verteilungswirkungen insbesondere aus verfassungsrechtlicher Sicht einer verfahrensrechtlichen Abstützung bedürfen. 50 H. C. Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. SchmidtAßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II: Informationsformen, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012, § 30 Rn. 11. 51 H. C. Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. SchmidtAßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II: Informationsformen, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012, § 30 Rn. 11. 52 M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (74 f.). 53 M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (74 f.) m. w. N. 54 Siehe hierzu insbesondere die grundlegende Darstellung bei F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 531 ff.

B. Umwelt als Verteilungsgegenstand

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Die vorstehend anklingende Notwendigkeit, Verteilungswirkungen (frühzeitig) zu identifizieren, wird am Beispiel verdeckter Umverteilungskonstellationen, verursacht durch eine unbewusste Auskehr knapper Güter, verdeutlicht. Hierdurch können bestehende Verhältnisse manifestiert werden und etwaige Neubewerber auf Dauer von der Inanspruchnahme knapper Güter ausgeschlossen sein. Diese Gedanken lassen sich auch auf die Kumulation stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung übertragen. Auch in Bezug auf die Kumulation droht angesichts weitgehend erschöpfter Belastungskontingente und fehlenden diesbezüglichen Bewusstseins eine Manifestierung bestehender Verhältnisse, die die Zulassungschancen neu gestellter Projektanträge verringert55.

B. Umwelt als Verteilungsgegenstand Angesichts der These, bei der Kumulation stickstoffemittierender Projekte handele es sich um ein auf Umweltknappheit beruhendes Verteilungsproblem, ist weiterführend zu fragen, inwieweit die „Umwelt“ überhaupt einen Verteilungsgegenstand in der beschriebenen, staatlichen Verteilungsordnung darstellen kann56. Für diese Annahme bedarf es zweier grundlegender Voraussetzungen: Zum einen müssen „Umweltmedien“ (Boden, Luft, Wasser) knappe Güter darstellen (I.). Zum anderen müssen diese dann auch teil- bzw. verteilbar sein (II.).

I. Die „Umwelt“ als knappes Gut Die ökonomische Theorie versteht die Umwelt seit langem als knappes Gut, das zu Allokationsproblemen führt57. Auch die Rechtswissenschaft thematisiert das Problem knapper natürlicher Ressourcen zunehmend unter dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit58. Darauf aufbauend soll sich dem Phänomen der Umweltknappheit nachfolgend unter Erläuterung des Begriffs der „Umweltknappheit“ (1.), der diskutierten Nutzungsformen (2.) und Verwendungskonkurrenzen (3.) von 55

Siehe zur Stickstoffbelastung in Deutschland bereits 1. Kap. A. Siehe weiterführend zur Umwelt als Verteilungsgut im Umweltvölkerrecht R. Czarnecki, Verteilungsgerechtigkeit im Umweltvölkerrecht, 2007, S. 82 ff. 57 Siehe exemplarisch H. Siebert, Ökonomische Theorie der Umwelt, 1978, S. 2 ff.; R. Marggraf/S. Streb, Ökonomische Bewertung der natürlichen Umwelt, 1997, S. 27 ff. 58 Siehe exemplarisch C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995; D. Murswiek, Die Nutzung öffentlicher Umweltgüter: Knappheit, Freiheit, Verteilungsgerechtigkeit, in: R. Gröschner/M. Morlok (Hrsg.), Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik in Zeiten des Umbruchs (ARSP Beiheft Nr. 71), 1997, S. 207 ff.; J. Caspar, Ökologische Verteilungsgerechtigkeit und moderner Rechtsstaat am Beispiel des Klimaschutzes, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 83 (1997), S. 338 ff.; R. Czarnecki, Verteilungsgerechtigkeit im Umweltvölkerrecht, 2007. 56

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3. Kap.: Eine Einordnung in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung

Umweltmedien sowie relativen Bestimmungsansätzen von Umweltknappheit (4.) genähert werden. 1. Der Begriff der „Umweltknappheit“ Der Begriff der Umweltknappheit meint ganz grundsätzlich, „daß die Gesamtheit unterschiedlicher Nutzungsansprüche durch die gegebene Umweltausstattung nicht gleichzeitig befriedigt werden kann und alternative Verwendungen und Nutzer deshalb um das begrenzte Angebot konkurrieren.“ 59 Dabei lässt sich Umweltknappheit auf zweifache Weise erfassen: Als Umweltknappheit im absoluten und im relativen Sinne60: Bei Umweltknappheit im absoluten Sinne „handelt es sich um eine übergreifende und globale Mangelerscheinung, die lediglich abgeschwächt und zeitlich gestreckt werden kann, als solche aber nicht überwindbar ist“61. Umweltmedien wie „Luft und Wasser sind zwar (in Grenzen) erneuerbar, im Grundsatz jedoch, wie auch der Boden und die sogenannten erschöpfbaren Ressourcen, nicht vermehrbar oder produzierbar und als solche auch nicht substituierbar“62. Relative Umweltknappheit hingegen drückt aus, dass der Grad der Knappheit von Umweltgütern von mehreren Faktoren abhängig sein kann: Dem nachgefragten Umweltgut, der konkreten Verwendungsform, den bestehenden Umweltkapazitäten (Belastungskapazitäten) sowie regionalen und zeitlichen Faktoren63. Wesentlich ist insofern die grundsätzliche Differenzierung zwischen Umweltgütern und den an diesen möglichen Nutzungen.

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W. Buck, Lenkungsstrategien für die optimale Allokation von Umweltgütern, 1983, S. 81; hinsichtlich der Erscheinungsformen der Umweltknappheit wird sich im Folgenden an den grundlegenden Ausführungen bei M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (27 ff.) orientiert. 60 Siehe hierzu M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (27 f.). 61 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (27). 62 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (27 f.) m. w. N. 63 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (28).

B. Umwelt als Verteilungsgegenstand

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2. Nutzungsformen von Umweltgütern Umweltgüter können grob kategorisiert als Konsum- und Produktionsgüter eingesetzt werden64 : So stellt die Umwelt zunächst überlebensnotwendige Konsumgüter wie die Atemluft oder das Trinkwasser zur Verfügung65. Aber auch die Schönheit der Landschaft bzw. die Erholungsfunktion der Natur lassen sich als solche klassifizieren66. Ressourcen oder Rohstoffe wiederum werden vor allem in Produktionsaktivitäten verwandt (z. B. Energieträger oder Metalle)67. Ferner dient die Umwelt als Aufnahme- und Entsorgungsmedium für Emissionen68. Insbesondere durch Produktionsprozesse hervorgerufene Emissionen „werden von den verschiedenen Medien der Umwelt – Atmosphäre, Boden, Wasser – aufgenommen, teilweise abgebaut, akkumuliert, an andere Orte transportiert oder in ihrer Struktur geändert.“69 Zuletzt dient die Umwelt als Standortboden (z. B. für die Industrie, Landwirtschaft oder als Infrastrukturboden)70. 3. Verwendungskonkurrenzen bei Umweltgütern Mehrere Verwendungszwecke für ein konkretes Gut können sich von vornherein ausschließen71. Dies betrifft vornehmlich gewisse Bodennutzungskonflikte72. Verwendungskonkurrenzen, die die Umweltmedien Luft, Wasser oder Atmosphäre betreffen, treten größtenteils erst ab einem bestimmten Beanspruchungsgrad auf73. Im Vorfeld dessen sind parallel unternommene konkurrierende Umweltnutzungen grundsätzlich ohne weiteres möglich74. Der entsprechende Nutzungsgrad bemisst sich dabei nicht zwangsläufig nach der natürlichen Kapazitätsgrenze75. 64 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (28 f.). 65 R. Marggraf/S. Streb, Ökonomische Bewertung der natürlichen Umwelt, 1997, S. 27. 66 H. Siebert, Ökonomische Theorie der Umwelt, 1978, S. 8 f. 67 H. Siebert, Ökonomische Theorie der Umwelt, 1978, S. 11; R. Marggraf/S. Streb, Ökonomische Bewertung der natürlichen Umwelt, 1997, S. 27. 68 H. Siebert, Ökonomische Theorie der Umwelt, 1978, S. 11 f. 69 H. Siebert, Ökonomische Theorie der Umwelt, 1978, S. 11 f. 70 Siehe hierzu H. Siebert, Ökonomische Theorie der Umwelt, 1978, S. 12. 71 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (29); vgl. R. Marggraf/S. Streb, Ökonomische Bewertung der natürlichen Umwelt, 1997, S. 28. 72 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (29). 73 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (29). 74 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (29). 75 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (29).

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3. Kap.: Eine Einordnung in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung

Ein Zielkonflikt besteht zwischen emissionsintensiven und immissionsempfindlichen Nutzungsformen der Umwelt76. Die Konsumtion reinen Wassers und sauberer Luft läuft der Inanspruchnahme dieser Umweltmedien zum Zwecke der Schadstoffaufnahme und -entsorgung zuwider77. Verwendungskonkurrenzen können aber auch innerhalb einer bestimmten Nutzungsform selbst auftreten78. Bestehen beispielsweise im Hinblick auf schadstoffaufnehmende Umweltmedien Kapazitätsgrenzen, kann es zu Konkurrenzen zwischen emittierenden Nutzungsformen um unter der Kapazitätsgrenze verbleibende Aufnahmekontingente kommen79. Auch immissionsempfindliche Nutzungen kennen Belastungsgrenzen80. So kann etwa ein Naturpark keine unbegrenzte Zahl an Besuchern verkraften, ohne dass die Umweltqualität leidet bzw. ökologische Schäden eintreten81. Die Erscheiungsformen von Verwendungskonkurrenzen sind somit mannigfaltig. Treten sie auf, kann die Nachfrage nach der jeweils gewünschten Umweltfunktion regelmäßig nicht oder nur teilweise befriedigt werden82. 4. Die Relativität der Umweltknappheit: Die ökologische, ökonomische und rechtliche Bestimmung von Kapazitätsgrenzen Trotz der bisherigen Ausführungen bleibt weiterhin klärungsbedürftig, inwiefern Umweltknappheit „politisch, rechtlich, ökonomisch, gesellschaftlich in Erscheinung tritt und wonach sich die jeweiligen Kapazitätsgrenzen eigentlich bemessen“83. Schließlich stellt bereits die „Feststellung von Kapazitätsgrenzen […] eine quantitative Verteilungsentscheidung zwischen konkurrierenden Nutzungen [dar]“84. Tatsächlich nehmen wir Umweltknappheit allerdings meist erst anhand konkreter

76 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (29). 77 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (29). 78 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (30). 79 Vgl. M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (30). 80 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (30). 81 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (30). 82 Vgl. H. Siebert, Ökonomische Theorie der Umwelt, 1978, S. 12. 83 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (30). 84 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (30).

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Auswirkungen wahr85. Hierzu zählen etwa steigende Preise, versagte Genehmigungen oder eine sinkende Umweltqualität, z. B. durch zunehmende Immissionsschäden86. „Den tatsächlichen Eigenschaften von Gütern nicht angepaßte Verteilungsmechanismen können dann auch zu falschen oder verzerrten Knappheitsbewertungen führen.“87 a) Ökologische bzw. „natürliche“ Umweltknappheit Ökologische Knappheit bemisst sich nach der „ökologischen Belastbarkeit“88. Die ökologische Belastbarkeit markiert die Obergrenze, bis zu welcher die Regenerationsfähigkeit einzelner Ökosysteme (und in Gänze des globalen Ökosystems Erde) angesichts von Belastungen durch Konsum- und Produktionsprozesse gewährleistet ist. Wird der Schwellenwert der ökologischen Belastbarkeit überschritten, verliert das Ökosystem seine Regenerationsfähigkeit.89 Die ökologische Belastbarkeit von Ökosystemen bestimmt sich bezüglich emissionsintensiver Nutzungen maßgeblich anhand der Absorptionsfähigkeit der Umweltmedien90. Entscheidend für den Grad der Absorptionsfähigkeit der Umwelt ist wiederum deren Assimilations- und Lagerkapazität91. Die Assimilationskapazität bezeichnet die Fähigkeit der Umweltmedien, die zugeführten Schadstoffe durch biochemische Reaktionsprozesse zu unschädlichen oder gegebenenfalls sogar nützlichen Stoffen umzubauen92. Ist das Assimilationspotential lokal oder überregional überschritten, werden die Reststoffe dauerhaft in die Umweltmedien eingelagert93. Es kommt zur Beanspruchung der Lagerkapazität eines Umweltmediums94. Bis zu einer gewissen Grenze haben diese Einlagerungen 85 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (30). 86 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (30 f.). 87 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (31). 88 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (32 ff.). 89 U. E. Simonis, Ökologische Orientierung der Ökonomie, in: M. Jänicke/U. E. Simonis/ G. Weigmann (Hrsg.), Wissen für die Umwelt, 1985, S. 215 (217). 90 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (33); vgl. L. Wicke, Umweltökonomie, 4. Aufl. 1993, S. 57 ff. 91 Siehe hierzu W. Buck, Lenkungsstrategien für die optimale Allokation von Umweltgütern, 1983, S. 41. 92 W. Buck, Lenkungsstrategien für die optimale Allokation von Umweltgütern, 1983, S. 41. 93 W. Buck, Lenkungsstrategien für die optimale Allokation von Umweltgütern, 1983, S. 41; M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (34). 94 W. Buck, Lenkungsstrategien für die optimale Allokation von Umweltgütern, 1983, S. 41.

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keine Auswirkungen auf das ökologische Gleichgewicht. Ist diese Grenze jedoch überschritten, sind nachhaltige Störungen bzw. Zerstörungen von Ökosystemen die Folge.95 b) Ökonomische Bewertung der Umweltknappheit Nach ökonomischem Verständnis ist insbesondere der Marktpreis eines Gutes der Indikator für dessen Knappheit96. Im Kontext knapper Umweltgüter ist er jedenfalls historisch nicht unproblematisch, denn diese wurden in der Ökonomie ursprünglich als freie Güter verstanden97. Weder die Angebots- noch die Nachfrageseite erfuhren Engpässe und so wurden Umweltgüter als unbegrenzt verfügbar behandelt98. Aufgrund dessen bildete sich auch kein Preis für Umweltgüter heraus99. Tatsächlich aber setzte sich ein solches Knappheitsverständnis angesichts steigender Verschmutzungserscheinungen und eines erhöhten Ressourcenverbrauchs zunehmend in Widerspruch zu den vorherrschenden ökologischen Verhältnissen100. Es kam „zu einer Diskrepanz zwischen einzelwirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Kosten der Umweltgüternutzung und zu einer überhöhten Inanspruchnahme von Umweltgütern“101. 95 W. Buck, Lenkungsstrategien für die optimale Allokation von Umweltgütern, 1983, S. 42; M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (34). 96 H. Bartling/F. Luzius, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 17. Aufl. 2014, S. 106; R. Marggraf/S. Streb, Ökonomische Bewertung der natürlichen Umwelt, 1997, S. 31 f. 97 M. Kemper, Das Umweltproblem in der Marktwirtschaft, 2. Aufl. 1993, S. 7; M. Kloepfer/ S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/ dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (31.); H. Wiesmeth, Umweltökonomie, 2003, S. V. 98 H. Wiesmeth, Umweltökonomie, 2003, S. V; vgl. H.-D. Haas/D. M. Schlesinger, Umweltökonomie und Ressourcenmanagement, 2007, S. 16. 99 Vgl. K.-H. Hansmeyer, Ökonomische Anforderungen an die staatliche Datensetzung für die Umweltpolitik und ihre Realisierung, in: L. Wegehenkel (Hrsg.), Marktwirtschaft und Umwelt, 1981, S. 6 (7): „Umweltgüter wie Luft und Wasser galten bekanntlich lange Zeit nicht als knappe Güter, da sie so reichlich vorhanden waren, daß sie zwar einen Gebrauchs-, nicht aber einen Tauschwert besaßen. […] Die Tatsache, daß ein Gut keinen Tauschwert, also keinen Preis hat, obwohl es durchaus einen Gebrauchswert besitzt, stellt bekanntlich für potentielle Nutzer einen Anreiz dar, sorglos mit dem betreffenden Gut umzugehen.“ (Hervorhebung durch den Verfasser); ähnlich auch M. Kemper, Das Umweltproblem in der Marktwirtschaft, 2. Aufl. 1993, S. 6: „Tragen üblicherweise die Verwender eines knappen Gutes dessen Knappheitskosten durch Entrichtung des Knappheitspreises, signalisiert der Markt im Falle der Umweltqualität keinen solchen Knappheitspreis.“ 100 Vgl. M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (31). 101 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (31); so auch H. Siebert, Ökonomische Theorie der Umwelt, 1978, S. 20: „Die Nichtausweisung der Opportunitätskosten der Umweltnutzung beim Nulltarif kann auch als Diskrepanz von ein-

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Die Herausbildung von Marktmechanismen zur Bestimmung eines Marktpreises der Umweltgüternutzung, der die Knappheit von Umweltgütern ökonomisch ausdrückt, ist vor diesem Hintergrund vor allem auf Vorgaben angewiesen, die von außen kommen102. Eine wichtige Rolle kommt in diesem Zusammenhang der Rechtsordnung zu103 : So ermöglicht die Eigentumsrechtsordnung, exklusive Verfügungsrechte an kontingentierten Umweltgütern – z. B. in Form von Umweltzertifikaten – zu etablieren104. Ferner können sog. Umweltabgaben105 (z. B. die Abwasserabgabe106) im Interesse des Umweltschutzes auf Güter erhoben werden, deren Konsum oder Produktion externe Effekte107 hervorrufen108. Beide Instrumente, sowohl die Abgaben- als auch die Zertifikatslösung, orientieren sich bereits an marktwirtschaftlichen Mechanismen109. Des Weiteren fördern die Implementierung von Umweltqualitätsstandards (z. B. Bewirtschaftungsziele für oberirdische Gewässer gem. § 27 WHG) und die Festlegung von Grenzwerten (z. B. Emissionszelwirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen (sozialen, gesellschaftlichen) Kosten interpretiert werden.“ 102 Vgl. M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (32). 103 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (32); siehe ferner zur Interdependenz von Rechts- und Marktsystem L. Wegehenkel, Marktsystem und exklusive Verfügungsrechte an Umwelt, in: ders. (Hrsg.), Marktwirtschaft und Umwelt, 1981, S. 236 (238 ff.). 104 Als Beispiele dienen hier Bodenrechte und das Europäische System des Treibhausgasemissionshandels, eingeführt durch die Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.10.2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates, ABlEU L 275 v. 25.10.2003, S. 32, zuletzt geändert durch Richtlinie 2018/410/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.3.2018 zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Unterstützung kosteneffizienter Emissionsreduktionen und zur Förderung von Investitionen mit geringem CO2-Ausstoß und des Beschlusses (EU) 2015/1814, ABlEU L 76 v. 19.3.2018, S. 3. 105 Zum Instrument der Umweltabgaben siehe ausführlich M. Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, 1995; K. Meßerschmidt, Umweltabgaben als Rechtsproblem, 1986; zu den verschiedenen Unterarten von umweltbezogenen Abgaben siehe ferner S. Schlacke, Umweltrecht, 7. Aufl. 2019, § 5 Rn. 88 ff. 106 Siehe die Legaldefinition der Abwasserabgabe in § 1 S. 1 Abwasserabgabengesetz (AbwAG). 107 Siehe für eine Definition externer Effekte M. Kemper, Das Umweltproblem in der Marktwirtschaft, 2. Aufl. 1993, S. 5: „Externe Effekte treten auf, wenn sich Aktivitäten eines Wirtschaftssubjekts in den Konsum- bzw. Produktionsfunktionen von Dritten auswirken, ohne daß diese das wünschen bzw. ohne daß auf dem Markt über diese Auswirkungen Übereinkunft erzielt worden ist.“ 108 R. Marggraf/S. Streb, Ökonomische Bewertung der natürlichen Umwelt, 1997, S. 36. 109 R. Marggraf/S. Streb, Ökonomische Bewertung der natürlichen Umwelt, 1997, S. 36; vgl. hinsichtlich des Systems des Emissionsrechtehandels von einem Marktmechanismus sprechend K. Meßerschmidt, Instrumente des Umweltrechts, in: D. Ehlers/M. Fehling/ H. Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2013, § 45 Rn. 44.

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grenzwerte für Großfeuerungs-, Gasturbinen- und Verbrennungsmotoranlangen gem. §§ 4 ff. der 13. BImSchV) die Herausbildung von Preisen110. So können etwa zur Einhaltung rechtsverbindlich festgelegter Grenzwerte und Umweltqualitätsstandards, die z. B. durch Auflagen oder Genehmigungsvorbehalte durchgesetzt werden, Verschmutzungsvermeidungskosten anfallen111. Diese schlagen sich in den Preisen nieder und dienen so als Maßstab für die ökonomische Knappheit von Umweltgütern112. Zu berücksichtigen ist, dass „[d]ie so ermittelten Preise […] dem ökologischen Knappheitsgrad jedoch auch nur so nahe wie die vorgegebenen SollQualitäten bzw. Kapazitätsfestsetzungen [kommen]“113. c) Rechtliche Umweltknappheit Eine Verwandtschaft zwischen ökonomischer Knappheit und rechtlichen Knappheitsvorgaben für Umweltgüter ist naheliegend, wenn – wie aufgezeigt – erstere rechtlicher Maßstäbe zur Herausbildung eines Marktpreises als Knappheitsindikator bedarf. Der Maßstab für die rechtliche Knappheit ergibt sich aus den rechtlichen Vorgaben selbst. Dabei lassen sich zwei Obergruppen bilden: Grenzwerte und kapazitätsorientierte Prinzipien114. aa) Grenzwerte Grenzwerte im hier verstandenen Sinne sind „meßbare quantitative Daten […], an deren Erreichen oder Nichterreichen rechtliche Konsequenzen geknüpft sind“115. Zu unterscheiden ist hier zwischen Immissions-116 und Emissionswerten117.118 Im Zu110 Vgl. M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (32). 111 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (32). 112 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (32). 113 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (32). 114 Siehe ausführlich zu diesen Formen rechtlicher Knappheitsvorgaben M. Kloepfer/ S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/ dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (35 ff.). 115 H. v. Lersner, NuR 1990, S. 193; M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (36); 116 Gem. § 3 Abs. 2 BImSchG sind „Immissionen […] auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen.“ Der Begriff der Immissionswerte war lange strittig. Siehe hierzu ausführlich K. Hansmann, in: R. v. Landmann/G. Rohmer u. a. (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. III, Umweltrecht Besonderer Teil, Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG). § 48 (2017)

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sammenhang mit Knappheitsbewertungen sind dabei vornehmlich Immissionswerte relevant. Sie stellen einen Versuch dar, die ökologische Belastbarkeit von Umweltmedien abzubilden, während Emissionswerte regelmäßig „lediglich mittelbar Belastungsgrenzen ausdrücken, wenn sie mit Immissionsregelungen und -werten gekoppelt oder aus ihnen (z. B. aufgrund von Ausbreitungsberechnungen usw.) abgeleitet sind“119. Einzig in Form eines Emissionspools, der der Zuteilung von Gesamtemissionen auf einzelne Nutzer dient120, besitzen Emissionswerte die Eigenschaft rechtlicher Knappheitsvorgaben121. bb) Kapazitätsorientierte Umweltrechtsprinzipien Neben konkreten Grenzwerten sind ebenso kapazitätsorientierte Umweltrechtsprinzipien als rechtliche Knappheitsvorgaben zu nennen122 – namentlich das Vorsorgeprinzip und das Verschlechterungsverbot123. Zwar formulieren diese als abRn. 30 ff.; als konsentiert kann mittlerweile jedenfalls gelten, „dass es sich bei den Immissionswerten um quantifizierte Werte zur Beurteilung einer Immissionssituation handelt“, siehe ders., in: R. v. Landmann/G. Rohmer u. a. (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. IV, Umweltrecht Besonderer Teil, Verwaltungsvorschriften zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (TA Luft, TA Lärm). Nr. 3.2 Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft), Nr. 4.1 (2003), Rn. 4. 117 Gem. § 3 Abs. 3 BImSchG sind „Emissionen […] die von einer Anlage ausgehenden Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Erscheinungen.“ Der Gesetzgeber definiert den Begriff des „Emissionswertes“ nicht. Gleichwohl werden im BImSchG die Begriffe „Emissionsgrenzwert“, vornehmlich im Zusammenhang mit Rechtsverordnungen, und „Emissionswert“, vor allem in Bezug auf Verwaltungsvorschriften, verwendet. Hieraus wird teilweise geschlossen, Emissionswerte dienten der Verwaltungsbehörde dazu, den Stand der Technik bei der Begrenzung der Emissionen anzugeben, während Emissionsgrenzwerte unmittelbar verbindliche Grenzen der zulässigen Emission definieren. Ob der Gesetzgeber eine derartige Differenzierung anhand der verwandten Begriffe bezweckte, darf angesichts der Verordnungsermächtigung des § 32 BImSchG, in der von „Emissionswerten“ die Rede ist, bezweifelt werden. Siehe hierzu auch J. Dietlein, in: R. v. Landmann/G Rohmer u. a. (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. III, Umweltrecht Besonderer Teil, Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG). § 7 (2015) Rn. 38; M. Beckmann, in: R. v. Landmann/G. Rohmer u. a. (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. II, Umweltrecht Besonderer Teil, 6. Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG), § 43 (2012) Rn. 32. 118 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (36). 119 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (36). 120 Als Beispiel für einen solchen „Emissionspool“ sei auch hier das Europäische System des Treibhausgasemissionshandels genannt. 121 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (36). 122 Siehe hierzu ausführlich M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (37 ff.). 123 Ob es sich bei dem Verschlechterungsverbot sowie dem Nachhaltigkeitsprinzip um unselbstständige Teilausprägungen bzw. -konkretisierungen des Vorsorgeprinzips handelt, wird

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strakte Rechtsprinzipien keine konkreten Belastungsgrenzen und ihnen kommt auch nur im Falle einfachgesetzlicher Normierung unmittelbare Rechtsverbindlichkeit zu124 ; allerdings dienen sie bei der Festlegung umweltpolitischer Knappheitsfestsetzungen als Orientierung und „setzen zu ihrer Wirksamkeit in gewissem Maße jedenfalls auch Belastungsvorgaben voraus“ 125. Der materielle Gehalt dieser Prinzipien drängt gewissermaßen auf eine einfachgesetzliche Ausbuchstabierung. Ähnliches gilt für den Nachhaltigkeitsgrundsatz, welcher zwar einen wichtigen „Leitgrundsatz“126 des Umweltrechts darstellt, jedenfalls in seiner mehrdimensionalen Auslegungsvariante127 aber weit über das Umwelt- und Planungsrecht hinausreicht und insofern nicht als spezifisches Umweltrechtsprinzip einzuordnen ist128. Im Sinne eines „Minimalkonsenses“ umfasst das Vorsorgeprinzip129, „dass Umweltgefahren und -schäden so weit wie möglich vermieden werden und gar nicht erst zum Entstehen kommen sollen.“130 Einfachgesetzlich ist das Vorsorgeprinzip beispielsweise in § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG oder § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG oder § 1 BBodSchG niedergelegt. Darüber hinaus ist der Inhalt des Vorsorgeprinzips nach nicht einheitlich beantwortet. In diesem Sinne jedenfalls E. Rehbinder, Ziele, Grundsätze, Strategien und Instrumente, in: ders./A. Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 5. Aufl. 2018, S. 145 Rn. 54; R. Schmidt/W. Kahl/K. F. Gärditz, Umweltrecht, 10. Aufl. 2017, § 4 Rn. 24; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2 Rn. 22; M. Kloepfer, Allgemeine Grundlagen des Umweltrechts, in: D. Ehlers/M. Fehling/H. Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2013, § 44 Rn. 46. Die Stoßrichtung dieser Prinzipien im Sinne eines präventiven und nicht mehr nur repressiven Umweltschutzes ist jedenfalls identisch, weshalb materielle Überschneidungen durchaus gegeben sind; das Verschlechterungsverbot als selbstständiges Rechtsprinzip verstehend F. Niederstadt, Ökosystemschutz durch Regelungen des öffentlichen Umweltrechts, 1998, S. 109; M. Kloepfer/ S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/ dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (40). 124 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (37 f.). 125 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (37 f.). 126 R. Schmidt/W. Kahl/K. F. Gärditz, Umweltrecht, 10. Aufl. 2017, § 4 Rn. 36. (Hervorhebung im Original) 127 Siehe dazu unten S. 120. 128 So auch S. Schlacke, Umweltrecht, 7. Aufl. 2019, § 3 Rn. 2, die in Bezug auf die mehrdimensionale Variante des Nachhaltigkeitsgrundsatzes von einem „sachgerechten Problemlösungsmodus […] i. S. e. allgemeinen gesamthaften Abwägungsstrategie spricht“. 129 Siehe allgemein zum umweltrechtlichen Vorsorgeprinzip W. Kahl, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 191 AEUV Rn. 77; W. Durner, in: R. v. Landmann/G. Rohmer u. a. (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. I, Umweltverfassungsrecht, 1. Umweltvölkerrecht (2015), Rn. 60 ff.; S. Schlacke, Umweltrecht, 7. Aufl. 2019, § 3 Rn. 3 ff.; M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rn. 22 ff.; J. Monien, Prinzipien als Wegbereiter eines globalen Umweltrechts?, 2014, S. 250 ff.; B. Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, 2009; S. Werner, UPR 2001, S. 335 ff. 130 M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rn. 28 m. w. N.; vgl. R. Schmidt/W. Kahl/ K. F. Gärditz, Umweltrecht, 10. Aufl. 2017, § 4 Rn. 22; S. Schlacke, Umweltrecht, 7. Aufl. 2019, § 3 Rn. 3.

B. Umwelt als Verteilungsgegenstand

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wie vor wenig konkret131. Er bedarf der Ausgestaltung in Abhängigkeit der Umstände eines jeden Umweltschutzbereichs132. Abseits des genannten Minimalkonsenses bestehen zwei weitere inhaltliche Auslegungsansätze des Vorsorgeprinzips133 : Ersterer begreift das Vorsorgeprinzip als Risiko- bzw. Gefahrenvorsorge134. Der Bedeutungsgehalt dieser Ausprägung des Vorsorgeprinzips erschließt sich in Abgrenzung zum abwehrrechtlichen Gefahrenbegriff135. Während nämlich die abwehrrechtlich relevante Gefahr einen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintretenden Schadenseintritt verlangt, erfasst die durch das Vorsorgeprinzip geforderte Prävention auch Sachlagen „noch nicht hinreichend erforschte[r] Kausalzusammenhänge zwischen anthropogenem Verhalten und Schaden sowie bei dem Zusammenwirken von für sich allein unbedenklicher Umweltbeeinträchtigungen.“136 Vorsorge meint danach „Risikominimierung“137. Gemäß dem zweiten Auslegungsansatz, der insbesondere im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG entwickelt wurde138, „sollen im Interesse künftiger Nutzungen und zur Sicherung von Belastbarkeitsreserven Freiräume geschaffen oder erhalten werden (Freiraumtheorie)“139. Hierbei handelt es sich um eine bewirtschaftungsrechtliche Auslegung140. Entscheidend ist, dass die beiden Ansätze – soweit ersichtlich – nach allgemeiner Auffassung im Schrifttum in keinem Ausschließlichkeitsverhältnis stehen: Vorsorge wird vielmehr „als mehrfunktionales Gebot angesehen, das sowohl der Risikosteuerung unterhalb der Gefahrenschwelle als auch der Schaffung und Erhaltung von Freiräumen diene.“141 131 E. Rehbinder, Ziele, Grundsätze, Strategien und Instrumente, in: ders./A. Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 5. Aufl. 2018, S. 145 Rn. 33. 132 E. Rehbinder, Ziele, Grundsätze, Strategien und Instrumente, in: ders./A. Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 5. Aufl. 2018, S. 145 Rn. 33; vgl. S. Schlacke, Umweltrecht, 7. Aufl. 2019, § 3 Rn. 3. 133 Siehe ausführlich zu diesen Ansätzen M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rn. 28 ff.; M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, S. 23 (38 f.); dem Vorsorgeprinzip „zwei Systemvarianten“ zuschreibend R. Schmidt/W. Kahl/K. F. Gärditz, Umweltrecht, 10. Aufl. 2017, § 4 Rn. 23. 134 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (38 f.). 135 M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rn. 33. 136 S. Schlacke, Umweltrecht, 7. Aufl. 2019, § 3 Rn. 6. 137 M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rn. 35. 138 M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rn. 54 m. w. N. 139 R. Schmidt/W. Kahl/K. F. Gärditz, Umweltrecht, 10. Aufl. 2017, § 4 Rn. 23; siehe zur „Freiraumtheorie“ und dem vermeintlichen Gegenansatz der „Ignoranztheorie“ insbesondere S. Schlacke, Umweltrecht, 7. Aufl. 2019, § 3 Rn. 4. 140 M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rn. 54. 141 P. Marburger, Ausbau des Individualschutzes gegen Umweltbelastungen als Aufgabe des bürgerlichen und des öffentlichen Rechts. Gutachten C für den 56. Deutschen Juristentag, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des sechsund-

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3. Kap.: Eine Einordnung in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung

Als Teilausprägung142 des Vorsorgegrundsatzes oder als jedenfalls mit diesem verwandtes Umweltrechtsprinzip gilt das Verschlechterungsverbot143 bzw. „Bestandsschutzprinzip“144. Im Recht der Europäischen Union lässt sich das Verschlechterungsverbot primärrechtlich insbesondere aus der politischen Zielsetzung des Art. 191 Abs. 1, 1. Spstr. AEUVableiten: „Die Umweltpolitik der Union trägt zur Verfolgung der nachstehenden Ziele bei: – Erhaltung […] der Umwelt“145. Ob sich ein allgemeines Verschlechterungsverbot auch aus dem deutschen Verfassungsrecht – in Rede steht hier konkret Art. 20a GG – ableiten lässt, ist umstritten. Teilweise wird eine solche Ableitung unter Hinweis darauf, die Staatszielbestimmung bilde lediglich eine normative Richtlinie zur Ausgestaltung umweltrechtlicher Regelungen, angezweifelt146. Das Verschlechterungsverbot „soll ein weiteres Anwachsen von Umweltbelastungen ausschließen und will zumindest die vorhandene Umweltqualität in ihrem „Bestand“ (status-quo) garantieren“147. Aus dieser Sicherungsfunktion des Verschlechterungsverbots für den status-quo der Umweltqualität folgt dessen Eigenschaft als kapazitätsorientiertes Umweltrechtsprinzip. Vordergründig markiert es gewissermaßen eine Untergrenze für die zulässige Gesamtbelastung von Umwelt-

fünfzigsten Deutschen Juristentages. Bd. I (Gutachten) Teil C, 1986, C 59 m. w. N.; A. Scheidler, VR 2010, S. 401 (402); M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rn. 58; R. Schmidt/ W. Kahl/K. F. Gärditz, Umweltrecht, 10. Aufl. 2017, § 4 Rn. 23; E. Rehbinder, Ziele, Grundsätze, Strategien und Instrumente, in: ders./A. Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 5. Aufl. 2018, S. 145 Rn. 39. 142 Zur Eigenschaft des Verschlechterungsverobts als Teilausprägung des Vorsorgegrundsatzes siehe bereits oben Fn. 123. 143 Siehe allgemein zum umweltrechtlichen Verschlechterungsverbot M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rn. 72 ff.; ebenso E. Rehbinder, Ziele, Grundsätze, Strategien und Instrumente, in: ders./A. Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 5. Aufl. 2018, S. 145 Rn. 54 ff.; F. Niederstadt, Ökosystemschutz durch Regelungen des öffentlichen Umweltrechts, 1998, S. 109. 144 R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2 Rn. 22. 145 Siehe hierzu C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 191 AEUV, Rn. 10; W. Kahl, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 191 AEUV Rn. 52; K. Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, § 3 Rn. 12 146 So S. Schlacke, Umweltrecht, 7. Aufl. 2019, § 4 Rn. 7; siehe ferner K. F. Gärditz, in: R. v. Landmann/G. Rohmer u. a. (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. I, Umweltverfassungsrecht, 1. Umweltvölkerrecht (2015), Art. 20a GG (2013), Rn. 53, der zwar ein absolutes ökologisches Verschlechterungsverbot ablehnt, darüber hinaus aber einen gewissen – wenn auch veränderbaren – Mindestschutz bzw. Kernbereich staatlichen Umweltschutzes von Art. 20a GG anerkennt. Siehe für die Annahme eines in Art. 20a GG enthaltenen Verschlechterungsverbots H. D. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Kommentar, 15. Aufl. 2018, Art. 20a Rn. 11; D. Murswiek, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20a Rn. 44; A. Epiney, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 20a Rn. 65. 147 M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rn. 72.

B. Umwelt als Verteilungsgegenstand

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medien, mithin eine Kapazitätsgrenze148. Diese Untergrenze darf allerdings nicht im Sinne eines absoluten Veränderungs- oder Störungsverbotes verstanden werden149. Ein solches wäre vorbehaltlich einer derartigen einfachgesetzlichen Anordnung mit geltendem Recht unvereinbar150. Ohne weitergehende einfachgesetzliche Konkretisierung kann „[d]as Verschlechterungsverbot […] daher Geltung nur in dem allgemeinen Sinn beanspruchen, dass der Fustand der Umwelt insgesamt nicht gemindert werden darf.“151 Allerdings hat das Verschlechterungsverbot beispielsweise in Vorschriften wie § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG und § 27 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 WHG152 eine Positivierung erfahren. Wird das Verschlechterungsverbot in diesen Vorschriften durch untere Belastungsgrenzen spezifiziert, sind sie im jeweils betreffenden Regelungsbereich anzuwenden. So sind im Falle des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG lediglich solche Auswirkungen unzulässig, die erheblich auf die „für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen [Bestandteile]“ einwirken. Für § 27 WHG sind die Maßstäbe größtenteils gerichtlich entwickelt worden153. Zu148 Vgl. einschränkend M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (40): „Eine Untergrenze des Umweltschutzes gegenüber dem auch auf Umweltverbesserungen gerichteten Vorsorgeprinzip markiert das Verschlechterungsverbot nur vordergründig, da seine Reichweite jedenfalls theoretisch vom jeweils vorhandenen Umweltbestand abhängt und bei entsprechendem Potential sehr weitgehend sein kann.“ 149 Vgl. M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rn. 73; M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (40). 150 M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rn. 73; M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (40). 151 M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rn. 73 (Hervorhebung im Original). 152 § 27 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 WHG normiert ein Verschlechterungsverbot für oberirdische Gewässer. Zusätzlich finden sich im Wasserhaushaltsgesetz weitere Verschlechterungsverbote wie etwa für die Bewirtschaftung der Küstengewässer (§ 44 WHG, der auf die §§ 27 ff. WHG verweist), der Meeresgewässer (§ 45a Abs. 1 Nr. 1 WHG) und des Grundwassers (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 WHG). 153 Die Reichweite des für oberirdische Gewässer in § 27 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 WHG niedergelegten Verschlechterungsverbots war lange umstritten. Die Meinungen reichten von einem Verständnis des Verschlechterungsverbots im Sinne eines absoluten Verschlechterungsverbots (Status-Quo-Theorie) bis zu der Annahme einer Vorgabe oder Bemühensnorm (sog. Zustandsklassentheorie), nach der eine Verschlechterung erst bei einer Verschiebung eines Gewässers von einer Zustands- bzw. Güteklasse in eine niedrigere Kategorie anzunehmen sei. Siehe für einen Überblick zum damaligen Streitstand G.-M. Knopp, in: F. Sieder u. a. (Hrsg.), Kommentar zum WHG/AbwAG, Bd. 1, § 27 WHG (2013), Rn. 25 ff. m. w. N. Der Europäische Gerichtshof konturierte das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot in seinem sog. Weservertiefungsurteil (EuGH, Urt. v. 1.7.2015 – C-461/13, ECLI:EU:C:2015:433). Darin wählte der Europäische Gerichtshof eine vermittelnde Ansicht: Demnach läge eine Verschlechterung dann vor, „sobald sich der Zustand mindestens einer Qualitätskomponente im Sinne des Anhangs V der Richtlinie um eine Klasse verschlechtert, auch wenn diese Verschlechterung nicht zu einer Verschlechterung der Einstufung des Oberflächenwasserkörpers insgesamt führt. Ist jedoch die betreffende Qualitätskomponente im Sinne von Anhang V bereits in der niedrigsten Klasse eingeordnet, stellt jede Verschlechterung dieser Komponente eine ,Verschlechterung des Zu-

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3. Kap.: Eine Einordnung in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung

sammenfassend ist die untere Belastungsgrenze des Verschlechterungsverbots daher individuell für den jeweiligen Regelungsbereich zu bestimmen, sofern der Regelungsbestand dies zulässt154 ; andernfalls dürfte das Verschlechterungsverbot „in seiner praktischen Wirksamkeit nicht wesentlich über das Verständnis einer konsequenten Ressourcenvorsorge hinausgehen“155. Als teilweise „wichtigster Leitgrundsatz des modernen Umweltrechts“156 gilt der sog. Nachhaltigkeitsgrundsatz157. Dieser zielt dem wohl überwiegenden Nachhaltigkeitsverständnis zufolge in Bezug auf die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung auf einen Ausgleich zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Interessen („Drei-Säulen-Modell“) ab158. Seinen Ursprung hat der Nachhaltigkeitsgrundsatz im Forstrecht (s. § 1 Nr. 1 BWaldG)159. Mittlerweile ist er einfachgesetzlich beispielsweise explizit auch in § 1 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG, § 1 Abs. 2 S. 1 ROG oder in Bezug auf die städtebauliche Entwicklung in §§ 1 Abs. 5, 1a Abs. 3 S. 3 BauGB positiviert. In Bezug auf die Umweltmedien Luft, Boden, Wasser fällt der einfachgesetzliche Ausgestaltungsumfang des Nachhaltigkeitsgrundsatzes je nach Umweltmedium stands‘ eines Oberflächenwasserkörpers im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i dar.“ (Rn. 70). Siehe zur Bewertung dieses Urteils ferner K. Faßbender, ZUR 2016, S. 195 ff.; E. Rehbinder, NVwZ 2015, S. 1506 ff. 154 Ebenfass in diese Richtung argumentierend M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rn. 73: „Soll dieses Verschlechterungsverbot nicht lediglich eine Leerformel darstellen, muss es allerdings nach Problemfeldern und Regionen aufgeschlüsselt werden, um überprüfbare ,Kontrollbereiche‘ zu erhalten.“ 155 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (40). 156 R. Schmidt/W. Kahl/K. F. Gärditz, Umweltrecht, 10. Aufl. 2017, § 4 Rn. 36 (Hervorhebung im Original); dahingehend auch M. Reese, ZUR 2010, S. 339 (340 f.; 345). 157 Siehe allgemein zum Nachhaltigkeitsgrundsatz E. Rehbinder, Ziele, Grundsätze, Strategien und Instrumente, in: ders./A. Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 5. Aufl. 2018, S. 145 Rn. 78 ff.; ders., NVwZ 2002, S. 657 ff.; R. Schmidt/W. Kahl/K. F. Gärditz, Umweltrecht, 10. Aufl. 2017, § 4 Rn. 36 ff.; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2 Rn. 23 ff.; J. Monien, Prinzipien als Wegbereiter eines globalen Umweltrechts?, 2014; S. 150 ff.; W. Kahl, Der Nachhaltigkeitsgrundsatz im System der Prinzipien des Umweltrechts, in: H. Bauer u. a. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 111 ff.; NVwZ 2002, S. 657 ff. 158 Statt vieler m. w. N.K. Gehne, Nachhaltige Entwicklung als Rechtsprinzip, 2011, S. 73 ff.; K. Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, § 3 Rn. 39; A. Glaser, Nachhaltige Entwicklung und Demokratie, 2006, S. 44 ff.; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2 Rn. 23; W. Erbguth, DVBl. 1999, S. 1082 (1083 f.); an Stelle vieler dem Drei-Säulen-Modell kritisch begegnend m. w. N.M. W. Schröter/K. Bosselmann, ZUR 2018, S. 195 (202 ff.); R. Schmidt/W. Kahl/K. F. Gärditz, Umweltrecht, 10. Aufl. 2017, § 4 Rn. 36 f.; F. Ekardt, NVwZ 2013, S. 1105 (1105 f.); G. Winter, ZUR Sonderheft 2003, S. 137 (144). 159 Siehe dazu und allgemein zur Begriffsgeschichte der Nachhaltigkeit W. Kahl, Der Nachhaltigkeitsgrundsatz im System der Prinzipien des Umweltrechts, in: H. Bauer u. a. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 111 (116 ff.).

B. Umwelt als Verteilungsgegenstand

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unterschiedlich aus160: So fehlt eine Nachhaltigkeitsklausel im Bundes-Immissionsschutzgesetz gänzlich161; § 1 BBodSchG gebietet zwar, nachhaltig die Funktionen des Bodens zu sichern oder wiederherzustellen; allerdings besteht lediglich bezüglich der Gefahrenabwehr (§ 4 Abs. 2 BBodSchG), nicht hingegen bezüglich der Vorsorge eine relevante Vollzugspflicht (§ 7 BBodSchG)162. Auch die Bodenschutzklauseln des § 2 Abs. 2 Nr. 6 S. 3 ROG und der § 1a Abs. 2, § 35 Abs. 5 BauGB vermögen nur einen abwägungsfähigen Belang und keinen Vorrang vor der Flächeninanspruchnahme zu begründen163. Indes sind nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 BBodSchG immerhin „Böden so zu erhalten, dass sie ihre Funktion im Naturhaushalt erfüllen können“. Im Wasserrecht legt § 6 Abs. 1 WHG die „nachhaltige […] Gewässerbewirtschaftung als oberstes Leitprinzip“ fest164. Zudem sieht § 47 Abs. 1 Nr. 3 WHG vor, dass das Grundwasser unter Gewährleistung eines Gleichgewichts zwischen Entnahme und Neubildung bewirtschaftet wird165. Insgesamt jedoch fehlt es an einer konsequenten Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips durch konkret vorgegebene Maßnahmen. Die Regelungen verbleiben im Abstrakten. Dies ist insofern bedauerlich, als die auf dem Nachhaltigkeitsgrundsatz beruhenden Bewirtschaftungsvorgaben die Nutzung von Umweltgütern potentiell auf ein Maß verknappen könnten, welches die ökologische Knappheit zumindest annähernd korrekt abbildet. Schließlich ist das Nachhaltigkeitsprinzip „[von] seiner spezifischen Zielsetzung her […] der konkreteste Anknüpfungspunkt für an den Assimilationsund Regenerationspotentialen der Umweltmedien orientierte Maßnahmen und Regelungen.“166

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Siehe zu verschiedenen rechtlichen Ausprägungen des Nachhaltigkeitsgrundsatzes die überblicksartige Darstellung bei E. Rehbinder, Ziele, Grundsätze, Strategien und Instrumente, in: ders./A. Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 5. Aufl. 2018, S. 145 Rn. 81 ff. 161 E. Rehbinder, Ziele, Grundsätze, Strategien und Instrumente, in: ders./A. Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 5. Aufl. 2018, S. 145 Rn. 86. 162 E. Rehbinder, Ziele, Grundsätze, Strategien und Instrumente, in: ders./A. Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 5. Aufl. 2018, S. 145 Rn. 87. 163 E. Rehbinder, Ziele, Grundsätze, Strategien und Instrumente, in: ders./A. Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 5. Aufl. 2018, S. 145 Rn. 87. 164 K. A. Pape, in: R. v. Landmann/G. Rohmer u. a. (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. I, Umweltverfassungsrecht, 1. Umweltvölkerrecht (2015),§ 6 WHG (2010), Rn. 2 165 Siehe hierzu auch E. Rehbinder, Ziele, Grundsätze, Strategien und Instrumente, in: ders./ A. Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 5. Aufl. 2018, S. 145 Rn. 85. 166 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (41).

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3. Kap.: Eine Einordnung in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung

d) Zwischenergebnis: Verzerrte Knappheitsbewertungen als Gefahrquelle unverhältnismäßiger Verteilungsentscheidungen Die vorstehenden Ausführungen belegen, dass sich künstliche (ökonomische und rechtliche) und natürliche (ökologische) Knappheitsbewertungen nicht zwangsläufig decken müssen167. Offensichtlich wird dieser Befund bei der ökonomischen Knappheitsbewertung von Umweltmedien168. Der Preis als Knappheitsindikator spiegelt insbesondere in Bezug auf öffentliche Güter169 nur insoweit die tatsächlich bestehende ökologische Knappheit wider, als sich die von außen vorgegebenen rechtlichen Knappheitsvorgaben (z. B. Grenzwerte, Umweltqualitätsstandards) an dieser orientieren. Je weiter entfernt die vorgegebenen Soll-Qualitäten bzw. Kapazitätsfestsetzungen von den tatsächlichen ökologischen Verhältnissen sind, desto weniger aussagekräftig ist der Preis im Hinblick auf die ökologische Knappheit.170 Im Kontext öffentlich-rechtlicher Verteilungslenkung ist dies insofern problematisch, als sich an verzerrten Knappheitsbewertungen orientierte Verteilungsentscheidungen als unverhältnismäßig herausstellen können. So kann es sich bei „der Feststellung von Kapazitätsgrenzen auch schon [um eine] quantitative Verteilungsentscheidung zwischen konkurrierenden Nutzungen [handeln].“171 Insbesondere dann, wenn Belastungssituationen überschätzt werden, könnte sich die Bestimmung von Kapazitätsgrenzen als Eingriff herausstellen, der freiheitsrechtlich zugestandene Nutzungen unverhältnismäßig einschränkt172. Vor diesem Hintergrund ist daher grundsätzlich begrüßenswert, wenn sich insbesondere die rechtlichen Knappheitsvorgaben, die ja auch die ökonomische Knappheitsbewertung beeinflussen, an ökologischen Verhältnissen orientieren bzw. verstetigt an diese anpassen.

167 Dieses Begriffspaar („natürliche“ und „künstliche“ Knappheit) findet sich so bei M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (30). 168 So auch M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (31 f.). 169 Siehe zur Theorie der öffentlichen Güter bereits oben 2. Kap. B. II. 3. a). 170 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (32). 171 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (30). 172 Siehe allgemein zur Eingriffsqualität staatlicher Verknappungsakte F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 54 ff.

B. Umwelt als Verteilungsgegenstand

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II. Die Verteilbarkeit von Umweltgütern: Umweltmedien als Verteilungsgut Damit Umweltmedien überhaupt Gegenstand von Verteilungsverfahren sein können, müssen sie verteilbar sein173. Entscheidend für die „Teilbarkeit und Verteilbarkeit von Gütern ist vor allem die Frage nach den Zusammenhängen zwischen technischem, ökonomischem und rechtlichem Charakter von Gütern.“174. So hängt die rechtliche Eigenart eines Umweltgutes eng mit dessen ökonomisch-technischer Eigenart zusammen175. Aus der technischen Unteilbarkeit eines Umweltgutes wie Luft und Wasser folgt grundsätzlich auch dessen rechtliche Nicht-Zuordnungsbarkeit176. Eine Abgrenzung individueller Rechtssphären an Einheiten dieser Güter bzw. deren eigentumsrechtliche Zuordnung ist daher kaum möglich177. „Dagegen bestehen an teilbaren Umweltgütern durchweg auch Eigentumsrechte oder eigentumsähnliche dingliche Rechte.“178 Es ist allerdings klar zwischen Eigentumsrechten bzw. Verfügungsrechten in Form von Besitzrechten an Ressourcen auf der einen und Nutzungen an diesen auf der anderen Seite zu trennen179. So mag die Einräumung exklusiver Verfügungsrechte an Umweltgütern wie z. B. Luft und Wasser mangels Teilbarkeit zwar ausgeschlossen sein, exklusive Nutzungsrechte an diesen sind aber dennoch vorstellbar. Die daraus folgende Möglichkeit der „Verteilbarkeit“ der Nutzungsrechte an unteilbaren, aber knappen Umweltgütern ist dann davon abhängig, inwiefern sich Umweltnutzungen (auch gesetzlich) ausschließen und individuell zuordnen lassen180. Im Vorfeld der Etablierung einer solchen Nutzenordnung ist allerdings zu 173 Vgl. etwa zur tatsächlichen Möglichkeit der Verteilung globaler Umweltgüter R. Czarnecki, Verteilungsgerechtigkeit im Umweltvölkerrecht, 2007, S. 90 f. 174 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (41); siehe auch R. Czarnecki, Verteilungsgerechtigkeit im Umweltvölkerrecht, 2007, S. 90, aus dessen Sicht die Verteilbarkeit von Umweltgütern „ein hohes Maß an technischer Teil- und Messbarkeit der zu verteilenden Umweltgüter [voraussetzt].“ 175 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (44). 176 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (44). 177 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (44). 178 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (44); siehe zur Teilbarkeit von Umweltmedien/-gütern bereits oben 2. Kap. B. II. 3. a). 179 Vgl. M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (44 f.) unter Bezugnahme auf historische Entwicklungen zur Herrschaftsbeziehung zu Umweltgütern. 180 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (45).

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3. Kap.: Eine Einordnung in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung

klären, ob der Staat bestimmte Nutzungen überhaupt einem Rechtsregime mit solch einer Ausschlusswirkung unterstellen und im Rahmen dessen monopolartig über die Umweltnutzungen entscheiden darf181. Vornehmlich aus Gründen des Marktversagens herrscht in der ökonomischen Theorie schon seit längerem die Überzeugung vor, der Öffentlichkeitscharakter eines Gutes indiziere regelmäßig die Notwendigkeit, dass der Staat dieses bereitstellt, es verteilt oder jedenfalls einen Verteilungsrahmen schafft182. Auch die juristische Literatur spricht von einer grundsätzlichen staatlichen Verantwortung zur Verteilung von knappen Gemeinschaftsgütern183. Wie die Verteilung dann konkret auszugestalten ist, wird damit indes noch nicht beantwortet. Im Falle des Emissionszertifikatehandels in der Europäischen Union beispielsweise wurde eine marktbasierte Verteilung von Umweltnutzungen gewählt. Im Rahmen dieses rechtlich geschaffenen Marktes regeln nunmehr Emissionszertifikate, inwiefern Anlagenbetreibern das Recht zusteht, die Luft als Aufnahmemedium für Schadstoffe zu nutzen184. Dies verdeutlicht, dass „[s]taatliche Verteilungsverantwortung und die vor allem von Ökonomen geforderte sogenannte Privatisierung von Umweltgütern bzw. sogenannten marktwirtschaftlichen Konzepte […] sich jedenfalls nicht grundsätzlich“ ausschließen.185 Die Verteilung von Nutzungsrechten an Umweltgütern in Form von Zertifikaten darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Nutzenverteilung auch weniger offensichtlich durch schlichte Genehmigungsvergabe erfolgen kann. Insbesondere im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen geht es letztlich auch um die Bestimmung von Belastungspotentialen bzw. -kontingenten, die durch ein prüfgegenständliches Vorhaben ausgereizt werden könnten. Insofern kann die jeweilige Genehmigungserteilung immer auch die Verteilung eines Nutzungsrechts an Umweltmedien bzw. bestehenden Belastungskontingenten darstellen.

181 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (45). 182 M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (45). 183 Siehe hierzu etwa W. Berg, Der Staat 15 (1976), S. 1 (11 ff. m. w. N.) und dessen allgemeine Ausführungen zur staatlichen Verteilungsverantwortung bei Gemeinschaftsgütern; dies ferner feststellend M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (45). 184 C. Enders, LVK 2007, S. 193 (194): „Denn die Luft wird nun als knappes Gut definiert, das nur auf Grund von insgesamt begrenzten individuellen Nutzungsrechten privatnützig geund verbraucht werden darf. Können diese Nutzungsrechte gehandelt werden, bildet sich ein Marktpreis der (bislang kostenlosen) Umweltnutzung.“ 185 So M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (45) m. w. N.

C. Eine Standortbestimmung

125

III. Zwischenergebnis Zusammenfassend kann Umwelt somit einen Verteilungsgegenstand darstellen. Hierzu ist Voraussetzung, dass Umwelt „knapp“ und verteilbar ist. Umweltknappheit meint dabei ganz grundsätzlich, dass unterschiedliche Nutzungsansprüche an der Umwelt nicht gleichzeitig befriedigt werden können. Es kommt zu Konkurrenzen zwischen alternativen Verwendungen. Dabei lassen sich Umweltgüter grob in Konsum- und Produktionsgüter unterteilen. Die auftretenden Knappheitsphänomene sind dabei stets relativ. Künstliche (ökonomische und rechtliche) und natürliche (ökologische) Knappheitsbewertungen müssen sich nicht zwangsläufig decken. Hieraus können verzerrte Knappheitsbewertungen resultieren, weshalb sich die an diese Bewertungsmaßstäbe anknüpfenden Verteilungsentscheidungen gegebenenfalls als unverhältnismäßig herausstellen. Die Verteilbarkeit von Umweltgütern bemisst sich wiederum nach deren technischer Teilbarkeit. Sind Umweltgüter teilbar, lassen sie sich individuell zuordnen. Dabei ist zwischen Eigentumsrechten bzw. Verfügungsrechten in Form von Besitzrechten an Ressourcen auf der einen und Nutzungen an diesen auf der anderen Seite zu differenzieren. Exklusive Verfügungsrechte an Umweltgütern wie z. B. Luft und Wasser mögen insofern mangels Teilbarkeit zwar nicht bestehen, allerdings sind exklusive Nutzungsrechte an solchen Umweltgütern durchaus denkbar.

C. Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte in der öffentlichen Verteilungsordnung: Eine Standortbestimmung Die vorstehenden Aussagen zur nationalen Verteilungsordnung (A.) und dem Verteilungsgut „Umwelt“ (B.) gilt es auf die Kumulation stickstoffemittierender Projekte zu übertragen. Hier ist zunächst evident, dass hinsichtlich der Kumulationsentscheidung, von der im Wesentlichen die Erteilung der jeweiligen Genehmigung abhängt, nicht von einem formalisierten Verteilungsverfahren im Sinne eines etwaigen Typus „Verteilungsverfahren“ gesprochen werden kann186. So weist die Kumulation keine der für Verteilungsverfahren typischen Strukturelemente wie konkret formalisierte Verfahrensschritte (Konzept-, Ausschreibungs-, Bewerbungs- und Entscheidungsfindungsphase) oder verbindlich festgelegte Entscheidungskriterien auf187. Vielmehr stellt die Kumulation einen unselbständigen Verfahrensschritt im jeweiligen Trä186

Siehe zum Typus eines formalisierten „Verteilungsverfahrens“ und Verwaltungsentscheidungen mit Verteilungswirkung bereits oben 3. Kap. A. I. 187 Siehe zum Verfahrenstypus „Verteilungsverfahren“ und seiner Strukturelemente umfassend F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 531 ff. sowie A. Voßkuhle, Strukturen und Bauformen neuer Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 277 (306 ff.).

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3. Kap.: Eine Einordnung in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung

gerverfahren dar. Die fehlende Eigenschaft eines formalisierten Verteilungsverfahrens lässt die Möglichkeit, dass die Kumulation Verteilungswirkungen hervorruft, allerdings unberührt. Dem ist daher im Folgenden nachzugehen. Hierzu ist zunächst zu klären, inwieweit die Kumulation überhaupt ein Verteilungsproblem darstellt. Welches ist das knappe Gut in der Kumulation (I.) und inwiefern ist das FFH-Recht für diese Verknappung verantwortlich (II.)? Im Anschluss soll die Kumulation in die Kategorien der Erst- und Umverteilung (III.) bzw. vertikalen und horizontalen Verteilung (IV.) eingeordnet werden. Diese Einordnungen erleichtern die weitere Auflösung der mit der Kumulation verbundenen Verteilungswirkungen.

I. Das „knappe“ Gut in der Kumulation stickstoffemittierender Anlagen: Nutzungsrechte an umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazitäten Am Anfang eines jeden Verteilungsproblems steht die Knappheit eines Gutes. Fraglich ist, worin dieser Verteilungsgegenstand in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte zu sehen ist. Die Antwort ergibt sich aus dem Rekurs auf die bereits vorgestellte konkrete Bewertungsmethodik für stickstoffemittierende Projekte: Die Bewertung der FFH-Verträglichkeit stickstoffemittierender Projekte erfolgt vor dem Hintergrund der für die jeweiligen Lebensraumtypen festgelegten Belastbarkeitskontingente – den sog. Critical Loads188. Diese kritischen Eintragsraten stellen naturwissenschaftlich begründete Belastungsgrenzen für verschiedene empfindliche Umweltrezeptoren (Ökosysteme, Organismen oder Materialen wie z. B. empfindliche Natursteine) dar189. Sie markieren Eintragsraten von Luftschadstoffen, bis zu deren Erreichen über einen langfristigen Zeitraum von 10 bis 100 Jahren keine signifikanten schädlichen Effekte an Ökosystemen und Teilen davon zu erwarten sind190. Die Belastung der Umweltrezeptoren mit Stickstoffeinträgen ist daher nicht unbeschränkt, sollen die betreffenden Ökosysteme und Organismen in den jeweiligen Lebensraumtypen erhalten bleiben oder die Versauerung der Böden vermieden werden. Zusammenfassend drücken Critical Loads somit die Schadstoffaufnahmekapazität der jeweils betroffenen Lebensraumtypen aus. Übertragen auf die Ausführungen zu knappen Umweltgütern folgt daraus für die Kumulation stickstoffemittierender Projekte Folgendes: Die in der Kumulation Stickstoff emittierender Projekte relevanten Umweltgüter sind die unterschiedlichen, 188

Siehe hierzu bereits oben 1. Kap. B. IV. 1. S. Balla u. a., NuR 2010, S. 616 (619); K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (122). 190 S. Balla, NuL 2005, S. 169 (172); ders. u. a., NuR 2010, 616 (619); K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (122). 189

C. Eine Standortbestimmung

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in dem jeweils betroffenen FFH-Gebiet vorkommenden Umweltrezeptoren (wie etwa Ökosysteme oder Böden) in ihrer Eigenschaft als Schadstoffaufnahmemedien (im Folgenden: „umweltrezeptorabhängige Schadstoffaufnahmekapazität“). Hierbei handelt es sich grundsätzlich um öffentliche Güter, die kaum teilbar, mithin auch nicht verteilbar sind191. Zwar mag ein betroffener Lebensraumtyp im individuellen Eigentum stehen und insofern grundsätzlich auch ein exklusives Verfügungsrecht an dessen Boden bestehen; die exklusive Nutzenfunktion dieser Böden als Schadstoffaufnahmemedium ließe sich allerdings – sofern technisch überhaupt möglich – nur durch unverhältnismäßig hohe private Ausschlusskosten realisieren. Die Nutzenfunktion „Schadstoffaufnahme“ kommt daher grundsätzlich allen potentiellen Nutzern gleichermaßen zu. Vermittelt durch die dem jeweiligen Trägerverfahren zugehörige Genehmigung erhält der Begünstigte allerdings ein Recht, die entsprechenden Umweltrezeptoren als Aufnahmemedium zu nutzen. Dem geht voraus, dass die Anlage in der FFHVerträglichkeitsprüfung als mit den Erhaltungszielen des jeweiligen Schutzgebiets verträglich eingestuft wurde, mithin die für die betreffenden Lebensraumtypen ermittelten Critical Loads durch die Zusatzbelastung nicht überschritten werden. Dem Projektträger steht folglich ein Nutzungsrecht an dem durch die Critical Loads eingeräumten Belastungskontingent zu. In seinen Wirkungen ist dieses Vorgehen vergleichbar mit dem Europäischen Emissionszertifikatehandel. Auch dort steht den Zertifikatsinhabern das Recht zu, die Luft als Aufnahmemedium für Schadstoffe nutzen zu können. Zusammenfassend besteht der Verteilungsgegenstand der Kumulation somit in einem durch die jeweilige Genehmigung vermittelten Nutzungsrecht an umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazitäten.

II. Rechtliche Verknappung durch das Verschlechterungsverbot in seiner Eigenschaft als kapazitätsorientiertes Umweltrechtsprinzip Klärungsbedürftig bleibt indes, wodurch das FFH-Zulassungsrecht die Knappheitsgrenzen der umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazität bestimmt bzw. die Verteilungswirkungen innerhalb der Kumulation beantragter stickstoffemittierender Projekte hervorgerufen werden. Angesichts der Eigenschaft der FFH-Zulassungsregeln als Rechtsvorschriften ist es naheliegend, zunächst auf rechtliche Knappheitsvorgaben im Hinblick auf Umweltgüter abzustellen. Hinsichtlich rechtlicher Knappheitsvorgaben ist zwischen Grenzwerten und kapazitätsorientierten Umweltrechtsprinzipien zu unterscheiden192. Als Anknüpfungspunkt dient in diesem Zusammenhang zunächst das Verschlechterungsverbot als kapazitätsorientiertes Umweltrechtsprinzip. Durch 191 192

Siehe hierzu bereits oben 2. Kap. B. II. 3. a). Siehe hierzu bereits 3. Kap. B. I. 4. c.).

128

3. Kap.: Eine Einordnung in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung

Schutzgebietsanordnungen werden die Erhaltungsziele193 und Regelungen zum Gebietsmanagement für die jeweiligen FFH-Gebiete festgelegt194. Die Gehalte der Schutzgebietsanordnungen werden wiederum durch das Verschlechterungsverbot gem. § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG materiell abgesichert. Der Schutzstandard des Verschlechterungsverbots und die Gehalte der Schutzgebietsausweisungen stehen somit in Wechselwirkung. Des Weiteren buchstabieren die Schutzgebietsausweisungen das in Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie und § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG enthaltene Verschlechterungsverbot weiter durch konkrete Ge- und Verbote aus195. Hierin erschöpft sich die Bedeutung des Verschlechterungsverbots für das FFHRegime indes nicht. Vielmehr verdichtet sich das Verschlechterungsverbot in Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie als konkrete Genehmigungsvoraussetzung für die Projektzulassung zu einem unmittelbar anwendbaren Maßstab normativer Art. So ist die in Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie normierte FFH-Verträglichkeitsprüfung aufgrund ihrer Formalisierung und ihres Projektbezugs lex specialis zu Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie196. Auch in der FFH-Verträglichkeitsprüfung bilden schließlich die in der Schutzgebietsverordnung festgelegten Erhaltungsziele gem. § 34 Abs. 1 S. 1, 2 BNatSchG und Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-Richtlinie den Maßstab für die Verträglichkeitsprüfung197. Jegliches Handeln mit möglichem Einfluss auf Natura 2000-Gebiete ist daher – zumindest mittelbar – am Maßstab des Verschlechterungsverbots zu messen. Dies drückt auch der Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie aus: „Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, 193 Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Ausweisung besonderer Schutzgebiete, 2012, S. 5, abrufbar unter file:///C:/Users/49176/Documents/Dissertation/Sum mation/Literatur/Dokumente/Vermerk%20EU%20Kommission_2012.pdf (Stand: 26. April 2019); BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20.05, BVerwGE 128, 1 Rn. 75; F. Niederstadt, NVwZ 2008, S. 126 (127); Nachweise so bei S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 32 Fn. 197. 194 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 101; vgl. K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 306. 195 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 101; M. Gellermann, in: R. v. Landmann/ G. Rohmer u. a. (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. I, Umweltverfassungsrecht, 1. Umweltvölkerrecht (2015), § 32 BNatSchG (2010), Rn. 12. 196 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 203; nach dem Europäischen Gerichtshof ist in Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie zudem der Vorsorgegrundsatz enthalten, siehe EuGH, Urt. v. 14.1.2016 – C-399/14, ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 48. 197 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20.05, BVerwGE 128, 1 Rn. 68; S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 72; K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 307 f.

C. Eine Standortbestimmung

129

sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.“

Das Verschlechterungsverbot gem. § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG vermittelt somit über die FFH-Verträglichkeitsprüfung gem. § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG eine untere Belastungsgrenze, bis zu deren Erreichen die Erhaltungsziele nicht gefährdet sind. Dadurch bestimmt es letztlich auch die den Schutzgebieten zumutbaren Belastungskapazitäten. Diese Belastungskapazitäten müssen in Abhängigkeit zu den einzelnen Wirkfaktoren naturwissenschaftlich konkretisiert werden. Im Falle der hier interessierenden Stickstoffeinträge ist dies anhand der Critical Loads erfolgt. Die Nutzung umweltrezeptorabhängiger Schadstoffaufnahmekapazitäten ist somit kontingentiert, mithin verknappt198. Aus abstrakten Erhaltungszielen können somit konkrete Belastungskapazitäten folgen. Im Ergebnis führt das Verschlechterungsverbot aus Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie bzw. § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG als rechtliche Knappheitsvorgabe daher zu Umweltknappheit. Konkret erfolgt die Verknappung durch Schutzgebietsanordnungen und den damit einhergehenden Festlegungen der Erhaltungsziele in Einklang mit der materiellen Absicherung des Verschlechterungsverbots. Spürbar wird diese Verknappung im Einzelfall, wenn beantragten Projekten die Genehmigung verweigert wird199, weil sie sich nach erfolgter FFH-Verträglichkeitsprüfung einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten als mit den Erhaltungszielen unverträglich herausstellen. Die FFH-Zulassungsvoraussetzungen und speziell die Zulassungsentscheidung führen daher im Ergebnis zu Verteilungswirkungen.

III. Die Kumulation als Fall der Erst- und verdeckten Umverteilung in Abhängigkeit zur Ausschöpfung bestehender Belastungskontingente Hinsichtlich der Einordnung der Kumulation in die Kategorien der hoheitlichen Erst- und potentiellen Umverteilung von Gütern sind zwei Konstellationen zu unterscheiden200 : Entweder die für die jeweils relevanten Lebensraumtypen ermittelten 198 Zu bedenken ist allerdings, dass die rechtlichen Knappheitsvorgaben und daraus ableitbaren Belastungsgrenzen wie die Critical Loads selten die tatsächlich bestehende ökologische Knappheit widerspiegeln dürften. Die naturwissenschaftliche Ermittlung und Bewertung von Belastungswerten, aus denen Belastungsgrenzen abgeleitet werden, bleibt trotz sich stetig verbessernder Messtechnik unsicher. Eine nicht an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen orientierte, alternative Bestimmung rechtlicher Belastungsgrenzen erscheint allerdings auch wenig zielführend, sodass diese Verzerrungen zwischen rechtlicher und ökologischer Knappheitsbewertung in Kauf zu nehmen und ggf. bei der Entwicklung von Verteilungskonzepten einzustellen sind. Siehe hierzu insbesondere schon oben 3. Kap. B. I. 4. d). 199 Vgl. M. Kloepfer/S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtlicher Sicht, in: C. F. Gethmann/dies. (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 23 (30). 200 Siehe zu den Kategorien der hoheitlichen Erst- und potentiellen Umverteilung bereits oben 3. Kap. A. II.

130

3. Kap.: Eine Einordnung in die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung

Belastungsgrenzen sind noch nicht überschritten und werden auch durch das prüfgegenständliche Projekt nicht überschritten; oder die Belastungsgrenze ist bereits oder würde durch das hinzukommende Projekt überschritten. In der ersten Konstellation handelt es sich um die hoheitliche Erstverteilung von begrenzten Gütern. Bestehende Belastungskontingente, die vormals noch nicht zugewiesen wurden, werden nach erfolgter FFH-Verträglichkeitsprüfung durch Genehmigungserteilung verteilt. In der zweiten Variante hingegen weist die Kumulation stickstoffemittierender Anlagen die typischen Eigenschaften sog. verdeckter Umverteilungskonstellationen auf. Eine potentielle Umverteilung der durch die Critical Loads konkretisierten Belastungskontingente, die bereits im Zuge der Erstverteilung zugewiesen wurden, scheidet hier bereits aus Bestandsschutzgründen und aufgrund fehlender Umverteilungsregeln (z. B. Befristungen) aus201. Dieser Befund ist kennzeichnend für verdeckte Umverteilungskonstellationen, bei denen bei der Erstverteilung regelmäßig verkannt wird, dass in Zuge der Verwaltungsentscheidung knappe Güter verteilt werden202. Dass es im Rahmen der Erstverteilung an einem Bewusstsein hinsichtlich bestehender Verteilungswirkungen mangelt, indiziert wiederum deren mangelnde Formalisierung.

IV. Die Zuweisung von Nutzungsrechten an umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazitäten in der Kumulation als Verteilungssituation in Abgrenzung zu Zuteilungskonstellationen Fraglich ist, ob es sich bei der Zuweisung von Nutzungsrechten an umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazitäten in der Kumulation stoffemittierender Projekte um eine Zuteilungs- oder Verteilungssituation handelt203. Diese Kategorisierung ist für die rechtliche Bewältigung der mit der Kumulation stickstoffemittierender Projekte entstehenden Verteilungswirkungen erheblich. Handelt es sich um eine bloße Zuteilungskonstellation, könnten die in der Kumulation bestehenden Nutzungsinteressen einzig über Planungsinstrumente ausgeglichen werden; handelt es sich hingegen um eine Verteilungssituation, kann die Verteilung anhand eines vorab festgelegten Verteilungsprogramms erfolgen. Die Notwendigkeit einer Planungsentscheidung bemisst sich danach, ob divergierende Nutzungsinteressen bestehen. Das Nutzungsinteresse stickstoffemittierender Projekte ist in Bezug auf FFH-Gebiete allerdings gleichlaufend: Es geht stets um die Nutzung umweltrezeptorabhängiger Schadstoffaufnahmekapazitäten für 201

Vgl. A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (26). A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (26). 203 Siehe zur Unterscheidung zwischen Zuteilungs- und Verteilungssituationen bereits oben 3. Kap. A. III. 202

D. Zwischenergebnis

131

eutrophierende und versauernde Stickstoffeinträge. Natürlich können in der Kumulation auch weitere Wirkfaktoren (z. B. der direkte Flächenverlust) eine Rolle spielen; allerdings erfolgt die Bewertung eutrophierender oder versauernder Stickstoffeinträge vor dem Hintergrund sog. Critical Loads und daher zunächst isoliert von anderen Wirkfaktoren, bevor sie in den Zusammenhang der Gesamtbelastung eingestellt wird. Insgesamt ist die Kumulation stickstoffemittierender Projekte daher als Verteilungskonstellation, die anhand eines Verteilungsprogramms bewältigt werden kann, einzuordnen.

D. Zwischenergebnis Die vorstehende Analyse belegt, dass die Kumulation stickstoffemittierender Projekte als Verteilungsproblem begreifbar ist. Dabei handelt es sich zwar nicht um ein formalisiertes Verteilungsverfahren, aber die Kumulationsentscheidung verursacht Verteilungswirkungen, die rechtlich abzustützen sind. Als Verteilungsgut stehen dabei durch die jeweilige Genehmigung vermittelte Nutzungsrechte an umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazitäten in Rede. Die rechtliche Verknappung beruht auf der Eigenschaft des Verschlechterungsverbots aus Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie bzw. § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG als kapazitätsorientiertes Umweltrechtsprinzip. Es wirkt in der Kumulation als materieller Schutzstandard durch die Schutzgebietsanordnungen und den in diesen festgelegten Erhaltungszielen. Aus der Eigenschaft der Kumulation stickstoffemittierender Projekte als Verteilungsproblem folgt die Übertragbarkeit der in der öffentlich-rechtlichen Verteilungsordnung bestehenden rechtlichen Maßstäbe auf die vorliegende Materie. Sie dienen der Auflösung der der Kumulation innewohnenden Konkurrenzen.

4. Kapitel

Rechtliche Maßstabbildung für die Kumulationsentscheidung bei parallel beantragten Projekten Die Verteilungswirkungen in der Kumulation paralleler stickstoffemittierender Projekte sind verfahrensrechtlich aufzufangen. Das Prioritätsprinzip als Lösung der Rechtsprechung hat sich dabei als nicht sachgemäß und mit höherem Recht unvereinbar erwiesen1. Daneben bestehen in der Literatur und Gesetzgebung allerdings weitere Ansätze, durch die die Verteilungswirkungen kumulierender stickstoffemittierender Anlagen rechtlich abgestützt werden könnten. Bevor diese Ansätze und eine mögliche Übertragbarkeit auf die Verteilung rezeptorabhängiger Aufnahmekapazitäten allerdings diskutiert werden können (5. Kapitel), soll ein rechtlicher Maßstab herausgebildet werden, anhand dessen mögliche Lösungsansätze zu bewerten sind. Angesichts der festgestellten Übertragbarkeit der Grundsätze der öffentlich-rechtlichen Verteilungsordnung auf die Kumulation lassen sich hierzu zunächst die Vorgaben des nationalen Verfassungsrechts und des Unionsrechts für staatliche Verteilungsentscheidungen fruchtbar machen (A.). Diese verfassungsrechtliche und europarechtliche Rahmenbildung staatlicher Verteilungstätigkeit geschieht unter Bezugnahme auf die rechtlichen Anforderungen an den formalisierten Typus eines „Verteilungsverfahrens“ 2. In einem zweiten Schritt sind für die konkrete Verteilungssituation der Kumulation stickstoffemittierender Projekte anhand der generierten Verteilungsvorgaben Maßstäbe zu bilden (B.).

A. Die verfassungsrechtlichen und unionsgrundrechtlichen Vorgaben an die staatliche Verteilungstätigkeit Der rechtliche Maßstab staatlicher Verteilungstätigkeit wird im Wesentlichen durch verfassungsrechtliche (I.) und unionsgrundrechtliche (II.) Verteilungsdeterminanten bestimmt. Sie bilden den Rechtsrahmen, in den eine Auflösung der der Kumulation stickstoffemittierender Projekte innewohnenden Verteilungsprobleme einzupassen ist. 1

Siehe hierzu ausführlich bereits das 2. Kap. Grundlegend zum Rahmen staatlicher Verteilungstätigkeit F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 29 ff. 2

A. Die verfassungsrechtlichen und unionsgrundrechtlichen Vorgaben

133

I. Die verfassungsrechtlichen Verteilungsdirektiven Die Verfassung trifft keine konkrete Aussage über ein System von Zuteilungskriterien in Verteilungskonstellationen3. Allerdings gibt sie Maßstäbe vor, an denen die staatlichen Verteilungsentscheidungen zu messen sind4. Explizite Verfassungsnormen, die Zuteilungsmaßstäbe vorgeben, finden sich in Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 3 Abs. 2, 3 GG5. Die Zulassung zu öffentlichen Ämtern unterliegt nach Art. 33 Abs. 2 GG vorrangig dem Leistungsprinzip6. Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG formulieren absolute Differenzierungsverbote, die den Spielraum des Staates bei der Festlegung von Zuteilungskriterien begrenzen7. Bestimmte Differenzierungsziele wie Rasse, Geschlecht oder Glauben scheiden daher von vornherein aus. Für alle weiteren Verteilungsentscheidungen, die keinen expliziten Differenzierungsverboten unterliegen, gilt als wesentliche Vorgabe der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG8 (1.). Dieser wirkt allerdings bei Verteilungsverfahren nicht losgelöst von sonstigen Wertentscheidungen der Verfassung9. Derartige Wertentscheidungen, die die Freiheit des Gesetzgebers ebenfalls einschränken, finden sich insbesondere in Form der durch die Grundrechte verbürgten Freiheitsrechte10 (2). Zuletzt stellt der Parlamentsvorbehalt Anforderungen an die Art und Weise der Umsetzung staatlicher Verteilungsprogramme (3.). 1. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG als wesentliche verfassungsrechtliche Verteilungsnorm Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG steht in Verteilungssituationen für sich. Er ist ein eigenständiges Grundrecht, dessen Aktivierung in Verteilungssituationen keiner zusätzlich betroffenen Freiheitsgehalte bedarf11. Gemäß der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung zum Vergaberechtsschutz trifft der allgemeine Gleichheitssatz sowohl eine materielle als auch prozedurale Aussage

3

M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 49. N. Malaviya, Verteilungsentscheidungen und Verteilungsverfahren, 2009, S. 186. 5 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 49 f. 6 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 49. 7 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 50. 8 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 50. 9 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 82 f. 10 Siehe hierzu M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 83 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung in Fn. 288. 11 Siehe zu Selbststand des allgemeinen Gleichheitssatzes F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 34 f. 4

134

4. Kap.: Rechtliche Maßstabbildung für die Kumulationsentscheidung

im Hinblick auf Verteilungsentscheidungen12. Materiell verlangt er in Ansehung der Gegebenheiten des jeweiligen Regelungsgegenstands eine (sach-)gerechte Auswahl der Verteilungskriterien13 (a), und prozedural ein Verfahren, welches die Umsetzung dieser Kriterien absichert (b) 14. a) Materielle Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG an die Verteilungskriterien Verteilungskriterien stellen Differenzierungskriterien dar, die die Gruppe der Bewerber in Begünstigte und Nicht-Begünstigte unterteilt15. Die Differenzierung nach Verteilungskriterien führt zu Ungleichbehandlungen, die vor Art. 3 Abs. 1 GG bestehen müssen16. In Abkehr vom sog. binären Maßstabsbildungssystem17 zwischen Willkürkontrolle und strenger Verhältnismäßigkeitsprüfung (sog. Neue Formel) präferiert das Bundesverfassungsgericht nunmehr eine stufenlose Verhältnismäßigkeitsprüfung, deren Prüfungsumfang sich an dem jeweiligen Regelungsgegenstand orientiert18. Der Prüfungsmaßstab für die angelegten Verteilungskriterien wird danach umso strenger, je weniger der Einzelne das differenzierende Persönlichkeitsmerkmal beeinflussen kann, je mehr freiheitsrechtliche Gewährleistungsgehalte betroffen sind und je mehr das gewählte Differenzierungsmerkmal den nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotenen Kriterien nahekommt19. Insgesamt liefern die Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG damit nicht mehr als einen Rahmen für die Festlegung der Differenzierungsziele und -kriterien, dessen Grenzen 12

So auch F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 35 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschl. v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, BVerfGE 116, 135 (153): „Der staatlichen Stelle, die einen öffentlichen Auftrag vergibt, ist es daher verwehrt, das Verfahren oder die Kriterien der Vergabe willkürlich zu bestimmen.“ 13 BVerfG, Urt. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, BVerfGE 116, 1 (12 ff.); BVerfG, Beschl. v. 30.9.1987 – 2 BvR 933/82, BVerfGE 76, 256 (329); J. Englisch, VerwArch 98 (2007), S. 410 (421 f.); D. Kupfer, Die Verteilung knapper Ressourcen im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2005, S. 409; diese und weitere Nachweise bei F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 36 in Fn. 23. 14 BVerfG, Urt. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, BVerfGE 116, 1 (16 f.); J. Englisch, VerwArch 98 (2007), S. 410 (423); eine prozedurale Seite des Art. 3 Abs. 1 GG verneinend N. Meyer, Die Einbeziehung politischer Zielsetzungen bei der öffentlichen Beschaffung, 2002, S. 384; diese und weitere Nachweise bei F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 36 in Fn. 24. 15 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 36. 16 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 36. 17 G. Britz, NJW 2014, S. 346 (347, 348). 18 Siehe hierzu bereits oben 2. Kap. B. II. 4. 19 BVerfG, Beschl. v. 21.6.2011 – 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49 (69); Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 Rn. 122; Beschl. v. 23.6.2015 – 1 BvL 13/11, BVerfGE 139, 285 Rn. 71; siehe hierzu bereits oben 2. Kap. B. II. 4.

A. Die verfassungsrechtlichen und unionsgrundrechtlichen Vorgaben

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der Gesetzgeber in der jeweiligen Zuteilungsentscheidung zu berücksichtigen hat20. „Für die Verteilungskriterien kann in verallgemeinerungsfähiger Weise folglich nicht mehr als das Gebot ihrer am Verteilungszweck orientierten Sachgerechtigkeit festgehalten werden“.21 Die Kriterien müssen demnach sachangemessen sein22. b) Die prozeduralen Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes an die Ausgestaltung staatlicher Verteilungsverfahren Formell verlangt der allgemeine Gleichheitssatz eine Gestaltung staatlicher Verteilungsentscheidungen dergestalt, dass diese gleichheitskonform ergehen können23. Nach überwiegender Auffassung folgt daraus eine Konzeptpflicht des Gesetzgebers bzw. der Verwaltung für Verteilungsverfahren24. Ein Konzept setzt voraus, dass dem Hoheitsträger bewusst ist, dass es sich im Falle eines Verteilungsproblems überhaupt um ein solches handelt25. „Dem widerspricht etwa die unbesehene Vergabe von Subventionen nach dem Zeitpunkt des Antragseingangs, ohne zu reflektieren, ob nicht die periodische Sammlung von Anträgen die bessere Alternative wäre.“26 Des Weiteren ist ein Verteilungsprogramm zu erstellen, welches hinreichend bestimmt über den Verteilungsgegenstand, die Verteilungskriterien sowie über wesentliche Aspekte des Verteilungsverfahrens informiert27. Aus einem hinreichend bestimmten Verteilungsprogramm resultiert dreierlei: Erstens schafft es eine nachvollziehbare Entscheidungsbasis, durch die das Element der Willkür in Vertei20 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 81 f.; vgl. M. Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung und Verfassungsrecht, 1988, S. 327; diese Nachweise so bei F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 37 Fn. 32. 21 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 37 m. w. N. 22 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 82; BVerwG, Urt. v. 3.12.1974 – I C 30.71, BVerwGE 47, 247 (253 ff.). 23 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 38. 24 BVerfG, Urt. v. 16.6.1981 – 1 BvL 89/78, BVerfGE 57, 295 (327); ausführlich zur Konzeptpflicht auch F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 38 ff., 538 ff.; H. C. Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/ A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II: Informationsformen, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012, § 30 Rn. 18; siehe ebenfalls A. Voßkuhle, Strukturen und Bauformen neuer Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. SchmidtAßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 277 (306 ff.), der typisierende Strukturelemente von Verteilungsverfahren aus einer Gesamtschau von Rechtsprechung und unterschiedlichen Regelungsbereichen gewinnt, die sich weitgehend mit den von Wollenschläger aufgezählten Anforderungen an Verteilungskonzepte decken. 25 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 38 f., 539. 26 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 539 m. w. N. 27 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 39, 539; vgl. A. Voßkuhle, Strukturen und Bauformen neuer Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 277 (306).

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4. Kap.: Rechtliche Maßstabbildung für die Kumulationsentscheidung

lungsentscheidungen weitestgehend verdrängt wird28, zweitens führt es aus Rechtsschutzperspektive zu einer besseren Nachvollziehbarkeit der Verwaltungsentscheidung29 und schafft so – drittens – letztlich Klarheit für potentielle Bewerber hinsichtlich der zu erbringenden Voraussetzungen30. Ferner ist die anstehende Vergabe unter Angabe ihrer Modalitäten auch ausreichend bekanntzumachen, um eine individuelle Teilnahme und optimale Güterverteilung zu ermöglichen31. Das Maß dieses Bekanntmachungserfordernisses hängt von den Umständen des Einzelfalls ab32. So steht „[d]as Publizitätsgebot […] unter einem Effizienzvorbehalt mit Blick auf Aufwand und Dauer, der ein Absehen von einer öffentlichen Bekanntmachung generell oder aber aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls rechtfertigen kann.“33 Beispielhaft für ein generelles Entfallen der Bekanntgabepflicht sei die Vergabe von Taxikonzessionen genannt34. Hier ist allgemein bekannt, dass sich die Vergabe nach zeitlicher Priorität richtet35. Darüberhinaus verlangt der Grundsatz der Chancengleichheit, sachwidrige Einflüsse, z. B. durch Befangenheitsregelungen, auszuschließen oder die Neutralität der Verwaltung im Kontakt mit einzelnen Bewerbern zu gewährleisten (z. B. durch ein Verbot der selektiven Information)36. Mit Blick auf ein mögliches Rechtsschutzverfahren sind die unterlegenen Bewerber über die Verteilungsentscheidung zu

28 VGH Kassel, Urt. v. 15.10.2014 – 9 C 1276/13.T, juris – Rn. 31 ff.; VGH München, Beschl. v. 21.7.1999 – 20 AS 99.40032, NVwZ 1999, S. 1131 (1132 f.); F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 39, 539; T. Pollmann, Der verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz im öffentlichen Vergaberecht, 2009, S. 69. 29 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 39; vgl. H. C. Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II: Informationsformen, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012, § 30 Rn. 18. 30 T. Pollmann, Der verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz im öffentlichen Vergaberecht, 2009, S. 69. 31 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 39 m. w. N.; H. C. Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II: Informationsformen, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012, § 30 Rn. 19; A. Voßkuhle, Strukturen und Bauformen neuer Verwaltungsverfahren, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 277 (306); W. Henke, Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht, 1979, S. 78. ff. 32 OVG Koblenz, Beschl. v. 4.11.2005 – 7 B 11329/05, LKV 2006, S. 276 (277); OVG Münster, Beschl. v. 11.9.2006 – 6 B 1739/06, NVwZ-RR 2007, S. 178 (179); M. Burgi, NZBau 2005, S. 610 (615); diese und weitere Nachweise bei F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 39 Fn. 41. 33 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 550. 34 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 550 35 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 550. 36 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 40.

A. Die verfassungsrechtlichen und unionsgrundrechtlichen Vorgaben

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unterrichten37. Eine solche Unterrichtung verlangt eine aussagekräftige Begründung der Verteilungsentscheidung – einschließlich von Informationen über den Begünstigten38. Ferner müssen auch die Interessen anderer Bewerber sowie das öffentliche Interesse an einer effizienten Verwaltung bei der Festlegung des Verwaltungsverfahrens eingestellt werden39. 2. Die Freiheitsrechte Für eine Evaluation der Bedeutung freiheitsrechtlicher Gewährleistungsgehalte in Bezug auf die Ausgestaltung staatlicher Verteilungsregime bietet sich eine funktionendifferenzierte Analyse an (a). Neben der originären Abwehrfunktion, die sich in Verteilungssituationen nur eingeschränkt aktivieren lässt, erweist sich dabei die freiheitsrechtliche Teilhabedimension als institutionengestaltend. Auf Grundlage der funktionendifferenzierten Analyse lassen sich anschließend materielle und formelle Anforderungen an die Verteilungsgestaltung formulieren (b). a) Die freiheitsrechtsrechtlichen Verteilungsdeterminanten unter besonderer Berücksichtigung ihrer Funktionenpluralität Die Freiheitsrechte gewährleisten mittels der ihnen primär zukommenden Abwehrfunktion gegenüber staatlichem Handeln zuvörderst subjektive Abwehransprüche40. Diese Abwehransprüche stellen Rechte auf negative Handlungen, mithin auf ein Unterlassen ungerechtfertigter Eingriffe, dar41. Ist ein ungerechtfertigter Eingriff in den Freiheitsbereich bereits erfolgt, stehen dem Einzelnen negatorische Beseitigungsansprüche zu (Folgenbeseitigungsansprüche, Schadensersatzansprüche)42. Überwiegend wird daher vertreten, dass die Beeinträchtigung der Freiheits-

37 A. Voßkuhle, Strukturen und Bauformen neuer Verwaltungsverfahren, in: W. HoffmannRiem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 277 (307). 38 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 40 m. w. N. 39 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 40. 40 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (Ls. 1 und S. 204 f.). 41 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Aufl. 1996, S. 174 ff., 395; C. Starck, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 1 Rn. 183; H. D. Jarass, AöR 120 (1995), S. 345 (347 f.). 42 H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 84; C. Starck, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 1 Rn. 183; J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders./P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 191 Rn. 53.

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4. Kap.: Rechtliche Maßstabbildung für die Kumulationsentscheidung

bereiche im Rahmen der Abwehrdimension ein positives Tun voraussetzt und nicht in einem Unterlassen gesehen werden kann43. Die schlichte Nicht-Zuteilung eines Gutes vermag sich daher nicht auf die Abwehrfunktion der Grundrechte auszuwirken44. Dies ist unabhängig davon, dass aus formaler Perspektive durchaus ein aktives Handeln vorliegt, indem eine negative Zuteilungsentscheidung getroffen wurde oder entscheidungserhebliche Verteilungskriterien festgelegt wurden45. Es bleibt bei einem bloßen Unterlassen, da es wertungsmäßig nicht erheblich ist, dass der Nicht-Zuteilung eine Verteilungsentscheidung vorausging46. Hieraus ist nicht zu folgern, dass Abwehrrechte in Verteilungssituationen gänzlich unbedeutend sind47. Sie sind lediglich im Hinblick auf ihr „Problemverarbeitungspotenzial“ funktional defizitär48. So sind Freiheitsrechte in ihrer Eigenschaft als Abwehrrechte insbesondere in einem der Verteilungsentscheidung selbst vorgelagerten Fall relevant: Der staatlichen Verknappung natürlicher Freiheitssphären49. Wird eine natürliche Freiheitssphäre durch staatlichen Akt verknappt oder kontingentiert, ist darin ein Eingriff nach klassischem Verständnis zu sehen50. Zu denken ist hier beispielhaft an die kontingentierte Konzessionsvergabe im Taxengewerbe (§ 13 Abs. 4 PBefG)51. Auch die Verknappung öffentlicher Güter, wie beispielsweise des Umweltmediums Luft durch die Einführung eines Emissionszertifikatehandels, unterfällt dieser Kategorie52. Staatlicherseits bereitgestellte Güter und deren Verteilung, wie z. B. die Vergabe von Studienplätzen, unterfallen

43 G. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 33 f.; W. Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, 1994, S. 101 ff.; H. D. Jarass, Funktionen und Dimensionen der Grundrechte, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II, 2006, § 38 Rn. 18; N. Malaviya, Verteilungsentscheidungen und Verteilungsverfahren, 2009, S. 201, 229; F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 50; a. A.: P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 2. Aufl. 1999, S. 265 f. 44 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 50. 45 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 50. 46 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 50. 47 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 50. 48 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 51. 49 Siehe hierzu ausführlich F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 54 ff. 50 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 54 f; M. Bader, Organmangel und Organverteilung, 2010, S. 295; vgl. G. Manssen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 101; siehe für die damalige Kontingentierung im Güterfernverkehr BVerfG, Beschl. v. 14.10.1975 – 1 BvL 35/70, BVerfGE 40, 196 (216 f.). 51 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 55, der auf S. Langer, NJW 1990, S. 1328 (1330) verweist, welcher diesen Sachverhalt ebenfalls abwehrrechtlich einordnet. 52 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 55 f. m. w. N.; siehe ferner für weitere Einordnungsansätze und Nachweise M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 684 in Fn. 1524.

A. Die verfassungsrechtlichen und unionsgrundrechtlichen Vorgaben

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dieser Obergruppe mangels Eingriffs in eine natürliche Freiheitssphäre hingegen nicht53. „In dem Maße, in dem die Verknappung nun als ungerechtfertigter Eingriff in ein Freiheitsrecht vom Staat zu unterlassen ist, kann der Zugang abwehrrechtlich gesichert werden.“54 Geht man von einer Perpetuierung der Freiheitsbeschränkung in der Verteilungsentscheidung aus, können auch die Verteilungskriterien und das Verteilungsverfahren vor diesem Hintergrund bewertet werden55. Sowohl die Verknappung als auch die Modalitäten ihrer Bewältigung wären dann als Eingriffe in Freiheitsrechte rechtfertigungsbedürftig und müssten dem Vorbehalt des Gesetzes genügen56. „Im Interesse einer einheitlichen grundrechtlichen Konzeptionalisierung der Teilhabe im Verteilungsverfahren erscheint es allerdings vorzugswürdig, die Verknappung von ihrer Bewältigung durch die Aufstellung von Verteilungskriterien und durch die Verteilungsentscheidung zu trennen und nur erstere abwehrrechtlich zu deuten.“57 Für die Bewältigung der Knappheit durch Verteilung birgt nämlich eine weitere Grundrechtsdimension der Freiheitsrechte ein Bewältigungspotential: Die Teilhabedimension der Freiheitsrechte. Die Teilhabefunktion der Freiheitsrechte gründet in einem materialen Verständnis des Grundgesetzes als „objektiver Werteordnung“58. Danach sind neben der weiterhin relevanten Abwehrfunktion mittlerweile weitere Grundrechtsfunktionen überwiegend anerkannt: Teilhabe- und Leistungsrechte, Einrichtungsgarantien, Schutzpflichten sowie Organisations- und Verfahrensrechte59. Ist die Abwehrfunktion der Freiheitsrechte auf ein staatliches Unterlassen gerichtet, zielt die teilhabe- und leistungsrechtliche Funktion auf eine positive staatliche Aktivität60. Dabei ist im leistungsstaatlichen Bereich vornehmlich zwischen originären Leistungsrechten und (derivativen) Teilhaberechten zu unterschieden61. Derivative Teilhaberechte verbürgen die Teilnahme an einem von staatlicher Seite vorenthaltenen Leistungsangebot und knüpfen damit an bereits Bestehendes an62. 53

F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 56; N. Malaviya, Verteilungsentscheidungen und Verteilungsverfahren, 2009, S. 229 f. 54 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 57. 55 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 57. 56 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 57. 57 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 57 m. w. N.; so auch G. Hermes, JZ 1997, S. 909 (913). 58 Hierzu instruktiv F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 47 ff. 59 H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 82 ff.; W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2004, S. 191 ff.; diese und weitere Nachweise bei F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 48 Fn. 90. 60 N. Malaviya, Verteilungsentscheidungen und Verteilungsverfahren, 2009, S. 204; H. D. Jarass, AöR 120 (1995), S. 345 (350 f.). 61 Siehe begriffsprägend zu dieser Unterscheidung W. Martens, VVDStRl 30 (1972), S. 7 (21 ff.). 62 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 68.

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4. Kap.: Rechtliche Maßstabbildung für die Kumulationsentscheidung

Originäre Leistungsrechte hingegen vermitteln einen Anspruch auf Schaffung und Ausbau staatlicher Einrichtungen und gehen damit über das bereits Bestehende hinaus.63 Freiheitsrechtlich begründete derivative Teilhaberechte sind im Gegensatz zu den originären Leistungsrechten mittlerweile weitgehend anerkannt64. Ihr Gewährleistungsgehalt vermittelt zunächst einen Anspruch darauf, bei der staatlichen Güterverteilung Berücksichtigung zu finden65. In Konkurrenzsituationen wird der Anspruchsinhalt allerdings dahingehend modifiziert, dass sich das Recht auf Teilhabe auf ein Recht auf chancengleiche Teilnahme am Verteilungsverfahren reduziert66. Dies folgt aus der Einsicht, dass ein Anspruch auf Teilhabe nur im Rahmen verfügbarer Kapazitäten des begehrten Gutes bestehen kann67. De facto wandelt sich das Teilhaberecht damit in ein Gleichheitsrecht68. Zusätzlich lässt sich der Teilhabedimension neben dem Recht auf Teilhabe ein weiterer Gewährleistungsgehalt zuschreiben: Ein Anspruch auf Institutionengestaltung69. Hieraus folgt, dass die Teilhabedimension der Freiheitsrechte sowohl die Ausgestaltung der Verteilungskriterien und des Verteilungsverfahrens bestimmt als auch eine optimale Ressourcennutzung verlangt70. Es fällt auf, dass sich die benannten Gewährleistungsgehalte der Teilhabedimension weitestgehend mit jenen des allgemeinen Gleichheitssatzes in Verteilungskonstellationen decken71. Auch der allgemeine Gleichheitssatz bindet die öffentliche Hand hinsichtlich der Ausgestaltung der Verteilungskriterien und des Verteilungsverfahrens72. Dies führt zu der Frage, wie die teilhaberechtlichen Ge-

63 H. D. Jarass, Funktionen und Dimensionen der Grundrechte, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II, 2006, § 38 Rn. 26; G. Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaats, 1983, S. 91 f. 64 H. J. Papier/F. Shirvani, in: T. Maunz/G. Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 14 (2018), Rn. 141; F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 69 m. w. N.; H. D. Jarass, Funktionen und Dimensionen der Grundrechte, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II, 2006, § 38 Rn. 25; a. A. W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2004, S. 361 ff., nach dem das jeweils thematisch berührte Freiheitsrecht nicht anspruchsbegründend wirkt, sondern „lediglich zur inhaltlichen Feinsteuerung des Gleichbehandlungsanspruchs beizutragen“ vermag. 65 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 70. 66 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 84. 67 W. Martens, VVDStRl 30 (1972), S. 7 (25); N. Malaviya, Verteilungsentscheidungen und Verteilungsverfahren, 2009, S. 219; F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 70. 68 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 70. 69 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 70. 70 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 70. 71 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 72. 72 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 72.

A. Die verfassungsrechtlichen und unionsgrundrechtlichen Vorgaben

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währleistungsgehalte grundrechtstheoretisch einzuordnen sind73. Die grundrechtstheoretische Verortung der Teilhaberechte erfolgt in der Literatur und der Rechtsprechung nicht einmütig: Entweder werden sie als Fälle von Gleichheits- und Freiheitsrechten kombiniert, vereinzelt um Staatszielbestimmungen wie das Sozialstaatsprinzip ergänzt74; oder sie werden ausschließlich gleichheitsrechtlich abgeleitet75. Vereinzelt wird zudem dergestalt unterschieden, dass die Freiheitsrechte den Maßstab für die Knappheit bilden (Kapazitätserschöpfungsgebot) und anhand des Gleichheitsrechts die Vergabe vorhandener Verteilungsgüter zu messen ist76. Jedenfalls für die hier interessierenden Konkurrenzsituationen lassen sich die Teilhaberechte in Anlehnung an Wollenschläger gleichheitsrechtlich konzeptionalisieren77. So wurde vorstehend bereits darauf hingewiesen, dass sich das Teilhaberecht gerade in Konkurrenzsituationen auf ein Recht auf chancengleiche Teilnahme am Verteilungsverfahren reduziert. Aus der gleichheitsrechtlichen Konzeptionalisierung der Teilhaberechte folgt indes nicht, dass den Freiheitsrechten damit keine Bedeutung hinsichtlich der Verteilungsgestaltung mehr zukommt78. Vielmehr wirken sie in zweifacher Weise auf die Institutionengestaltung ein: So können sie zum einen den Rechtfertigungsdruck für Differenzierungen in Verteilungsverfahren erhöhen79 und zum anderen gemäß der Wesentlichkeitstheorie eine (parlaments-) gesetzgeberische Entscheidung in Grundzügen über die Verteilungskriterien und das Verfahren verlangen80. Ersteres ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Verteilungsentscheidung eine Verknappung natürlicher Freiheitssphären vorausging81. Die Verknappung als Eingriff wirkt dann in der Ausgestaltung der Verteilungsentscheidung fort. 73 Siehe zur grundrechtstheoretischen Verortung des Teilhaberechts F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 72 ff. 74 BVerfG, Urt. v. 19.12.2017 – 1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14, NJW 2018, S. 361 Rn. 103 ff.; BVerwG, Urt. v. 22.4.1977 – VII C 48/74, BVerwGE 52, 339 (348 f.); A. Voßkuhle, VVDStRl 62 (2003), S. 266 (317); J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 248; F. Ossenbühl, NJW 1976, S. 2100 (2104). 75 J. F. Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 399 Fn. 24; W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 361 ff.; H. Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 45; diese Nachweise so bei F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 72 Fn. 193. 76 F. Rottmann/A. W. Breinersdorfer, NVwZ 1987, S. 666 (667 m. Fn. 6); F. Schoch, DVBl. 1988, S. 863 (867 f.). 77 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 73. 78 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 73. 79 W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2004, S. 362 f. 80 BVerfG, Beschl. v. 9.5.1972 – 1 BvR 518/62 und 308/64, BVerfGE 33, 125 (158 f., 163); Urt. v. 18.7.1972 – 1 BvL 32/70 und 25/71, BVerfGE 33, 303 (337); diese zweifache Wirkweise der Freiheitsrechte ebenfalls herausstellend F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 73. 81 Siehe allgemein zu der Frage, in welchen Fällen der allgemeine Gleichheitssatz in der Teilhabesituation eine freiheitsrechtliche Anreicherung erfährt, F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 75 ff.

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4. Kap.: Rechtliche Maßstabbildung für die Kumulationsentscheidung

b) Die materiellen und formellen Anforderungen der Freiheitsrechte an die Ausgestaltung von Verteilungsverfahren Materiell verlangen die freiheitsrechtlichen Zugangsinteressen einen sachangemessenen Zusammenhang zwischen den gewählten Zuteilungskriterien und den berührten Freiheitsrechten82. Die Verteilungskriterien „müssen der Bedeutung des Grundrechts Rechnung tragen, zu dem sie den Zugang vermitteln sollen“83. Die Anforderungen an die Zumutbarkeit der Auswahlkriterien steigen dabei in Abhängigkeit zur Bedeutung der Grundrechte für die persönliche Lebensführung84. „Jedem Zugangsberechtigten, der im Falle fehlender Knappheit auf einen freiheitsrechtlichen Abwehranspruch verweisen könnte, ist eine faire Chance zur Grundrechtswahrnehmung zu belassen.“85 Chancenoffenheit verlangt Zuteilungskriterien, die die Bewerber nach Möglichkeit durch eigenes Zutun erfüllen können86. Dieses Gebot der objektiven Sachgerechtigkeit und individuellen Zumutbarkeit der Verteilungskriterien formulierte das Bundesverfassungsgericht so erstmalig in seiner Numerusclausus-Entscheidung87. Mittlerweile stellt dieser Maßstab durch Fortentwicklung in der Rechtsprechung eine grundlegende Leitlinie staatlicher Verteilungslenkung dar88. So hat dieses Gebot auch in die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu Knappheitskonstellationen wie der Zulassung zu Märkten, Messen oder staatlich verwalteten Berufen Einzug gehalten89. In formeller Hinsicht stimmen die Anforderungen der freiheitsrechtlichen Gewährleistungsgehalte mit jenen des allgemeinen Gleichheitssatzes überein90. Ebenso 82

M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 87. M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 87. 84 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 87. 85 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 87. 86 BVerfG, Urt. v. 8.2.1977 – 1 BvF 1/76, BVerfGE 43, 291 (317); M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 87. 87 BVerfG, Urt. v. 8.2.1977 – 1 BvF 1/76, BVerfGE 43, 291 (314, 316 f.) – numerus clausus II; siehe auch Beschl. v. 9.5.1972 – 1 BvR 518/62 und 308/64, BVerfGE 33, 303 (338) – numerus clausus I. Im Numerus-Clausus-Urteil zeichnete sich somit bereits die spätere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur sog. „Neuen Formel“ des Art. 3 Abs. 1 GG ab, da die Kriterien der Sachgerechtigkeit und Zumutbarkeit Anklang an Rechtfertigungsvoraussetzungen der Verhältnismäßigkeit nehmen, so auch M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 87 f. 88 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 87. 89 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 87 mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 27.4.1984 – 1 C 26/82, NVwZ 1984, S. 585 f.; VGH Mannheim, Urt. v. 19.7.1978 – VI 2597/77, GewArch. 1979, S. 335 (336). 90 Vgl. hierzu F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 71 in Bezug auf den Gewährleistungsgehalt freiheitsrechtlicher Teilhabeansprüche für die Institutionengestaltung, d. h. als Maßstab für Verteilungskriterien und -verfahren: „Trotz ihrer unterschiedlichen Wurzel stellen beide Erklärungsansätze [für eine über das bereits Existente hinausgehende Institutionengestaltung auf Grundlage von Teilhabeansprüchen] identische Zuteilungsvorgaben auf; für deren Konkretisierung kann daher auf das zur materiellen und prozeduralen Dimension des 83

A. Die verfassungsrechtlichen und unionsgrundrechtlichen Vorgaben

143

wie die dort geforderte Konzeptpflicht verlangt die Absicherung freiheitsrechtlicher Zugangsinteressen u. a. die Kenntnisnahme vom Zuteilungsvorgang, die Nachprüfbarkeit der Zuteilungsentscheidung sowie transparente und nachvollziehbare Entscheidungsregeln91. 3. Parlamentsvorbehalt Grundsätzlich muss der Gesetzgeber im Bereich der Grundrechtsausübung die wesentlichen Verteilungsentscheidungen zumindest in ihren Grundzügen selbst treffen und sie so einem öffentlichen Willensbildungsprozess unter Offenlegung und Abwägung aller betroffenen und womöglich widerstreitenden Interessen zuführen (sog. Wesentlichkeitslehre)92. Aus dem hier zum Ausdruck kommenden durch die Wesentlichkeitslehre substantiierten sog. Parlamentsvorbehalt folgt zweierlei: Ein Delegationsverbot von Rechtssetzungskompetenzen des parlamentarischen Gesetzgebers und ein „Gebot verstärkter Regelungsdichte“93. Die „Wesentlichkeitslehre“ ist dabei regelmäßig auf eine Bestimmung dessen, was als „wesentlich“ anzusehen ist, angewiesen94. Allerdings gilt als weitgehend konsentiert, dass die Herausbildung allgemeiner Kriterien zur verlässlichen Bestimmung wesentlicher Regelungsmaterien nahezu ausgeschlossen ist95. Lediglich die Orientierung an Fallgruppen in den jeweiligen Sachbereichen vermag hier eine gewisse Auslegungshandhabe zu gewährleisten96. In Bezug auf Verteilungssituationen lassen sich als Fallgruppen ausschließlich gleichheitsrechtlich relevante Verteilungssituationen auf der einen und solche, die zusätzlich freiheitsrechtlich allgemeinen Gleichheitssatzes Gesagte verwiesen werden“ (Hervorhebung durch den Verfasser). 91 Vgl. M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 86 f. 92 BVerfG, Beschl. v. 27.1.1976 – 1 BvR 2325/73, BVerfGE 41, 251 (260); Beschl. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 (126 f.); Beschl. v. 20.10.1982 – 1 BvR 1470/80, BVerfGE 61, 260 (275); Beschl. v. 2.3.1993 – 1 BvR 1213/85, BVerfGE 88, 103 (116); instruktiv zur sog. „Wesentlichkeitslehre“ und dem ihr zugehörigen Parlamentsvorbehalt F. Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: J. Isensee/P. Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 52 ff. mit einer Auflistung der für die Entwicklung der Wesentlichkeitstheorie maßgeblichen Entscheidungen in Fn. 143. 93 J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 29 f.; 133 ff.; F. Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: J. Isensee/P. Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 53 m. w. N. 94 F. Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: J. Isensee/P. Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 56. 95 F. Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: J. Isensee/P. Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 56. 96 So auch F. Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: J. Isensee/P. Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 57 m. w. N.; Vgl. H. Heussner, Vorbehalt des Gesetzes und „Wesentlichkeitstheorie“, in: H. Avenarius u. a. (Hrsg.), Festschrift für Erwin Stein zum 80. Geburtstag, 1983, S. 111 (124).

144

4. Kap.: Rechtliche Maßstabbildung für die Kumulationsentscheidung

relevant sind, auf der anderen Seite unterscheiden. Zu den letztgenannten Konstellationen zählen insbesondere solche Verteilungssituationen, die auf der Verknappung natürlicher Freiheitssphären beruhen. Für sie gelten ein erhöhter Rechtfertigungsdruck und erhöhte Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt, da für die Grundrechtsträger mit der Zuteilungsentscheidung regelmäßig unmittelbar einschneidende Auswirkungen auf die eigene Freiheitsausübung verbunden sind97. Eine Verteilungsentscheidung kann „über die Verteilung von Lebenschancen und Freiheitsausübungsmöglichkeiten, insbesondere den Zugang zur Ausübung der grundrechtlichen Freiheiten in der Gesellschaft [befinden]. Indem sie die Grundrechtsverwirklichungschancen des Einzelnen bestimmt, ist sie Teil des vornehmsten, ureigenen Aufgabenkerns des vom Volk bestellten, demokratisch legitimierten Gesetzgebers, die grundsätzliche Ordnung der Lebensbereiche vorzunehmen.“98 Dem Gesetzgeber obliegt im Bereich der Grundrechtsausübung, die wesentlichen Verteilungsentscheidungen selbst festzulegen99. Dabei darf er insbesondere die Wahl der relevanten Auswahlkriterien in Grundzügen nicht der Verwaltung oder den Gerichten überantworten100. Welchen Detaillierungsgrad die jeweilige Regelung aufweisen muss, lässt sich abstrakt nicht beantworten. Vielmehr kommt es auf die jeweilige Sachmaterie, deren Grundrechtssensibilität sowie eine zweckmäßige Aufgabenverteilung zwischen Parlament und Verwaltung an101. Seiner aus dem Parlamentsvorbehalt folgenden Verpflichtung ist der Gesetzgeber beispielsweise im Bereich der Konzessionsvergabe im Taxigewerbe (§ 13 Abs. 5 PBefG) oder in Bezug auf die Notarbestellung (§ 6 Abs. 3 BNotO) nachgekommen102. In Bezug auf Messen und Märkte hingegen bleibt weiterhin ein Ausschluss von Bewerbern auf Grundlage eines sachlich gerechtfertigten Grundes gem. § 70 Abs. 3 GewO möglich. Begründet wird dies teilweise damit, dass die freiheitsrechtliche Teilhabedimension nicht betroffen sei103, eine abstrakt-generelle Regelung für diese Sachmaterie vor dem Hintergrund der jeweils unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten ausscheide104 oder das Kriterium „sachlich gerechtfertigte Gründe“ mittlerweile durch die Rechtsprechung ausreichend präzisiert worden 97 Vgl. F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 57; M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 88. 98 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 88. 99 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (36). 100 A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (36); vgl. M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 88; F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 98. 101 BVerfG, Urt. v. 14.7.1998 – 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218 (251 f.); F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 98. 102 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 88 f. 103 VGH Mannheim, Urt. v. 19.7.1978 – VI 2597/77, GewArch 1979, S. 335 (336); D. Kupfer, Die Verteilung knapper Ressourcen im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2005, S. 426. 104 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 99; D. Kupfer, Die Verteilung knapper Ressourcen im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2005, S. 426 f.; U. Schönleiter, in: R. v. Landmann/G. Rohmer u. a. (Hrsg.), GewO, Bd. I, § 70 (1992), Rn. 12.

A. Die verfassungsrechtlichen und unionsgrundrechtlichen Vorgaben

145

sei105. Ob dies vor dem Hintergrund des Parlamentsvorbehalts haltbar ist, darf bezweifelt werden106.

II. Der unionsgrundrechtliche Maßstab staatlicher Verteilungstätigkeit Die hiesige Darstellung konzentriert sich sowohl im nationalen wie auch unionalen Recht auf grundrechtliche Maßstäbe in der staatlichen Verteilungsordnung. Natürlich erschöpfen sich die Vorgaben des Unionsrechts an eine rechtmäßige Ausgestaltung nicht in den Unionsgrundrechten. Primärrechtlich stecken neben den Unionsgrundrechten insbesondere die Grundfreiheiten, aber auch die Beihilfevorschriften zusätzlich den Rahmen primärrechtlicher Rechtmäßigkeitsanforderungen an die Verteilungsgestaltung ab. Sekundärrechtlich sind sektorspezifische Verteilungsregelungen wie die des koordinierten EU-Vergaberechts oder die Dienstleistungsrichtlinie von Relevanz107. Mit Blick auf den hier interessierenden Untersuchungsgegenstand der Kumulation in der FFH-Verträglichkeitsprüfung kann allerdings eine Eingrenzung vorgenommen werden. So unterfallen die Vorschriften des FFH-Regimes weder den primärrechtlichen Beihilfevorschriften, noch sind sektorspezifische Vergaberegeln in diesem Zusammenhang vorhanden. Neben den Unionsgrundrechten ließe sich insofern lediglich über Verteilungsvorgaben nachdenken, die aus den Grundfreiheiten abgeleitet werden. Die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten setzt indes stets einen sog. grenzüberschreitenden Bezug voraus108. Ein solcher wird in den seltensten Fällen in der Kumulation gegeben sein, da es sich meist um lokale oder regionale Kleinstprojekte handelt109. Angesichts dessen soll an dieser Stelle auf eine detail105

J. Ennuschat, in: P. J. Tettinger/R. Wank/J. Ennuschat (Hrsg.), Gewerbeordnung-Kommentar, 8. Aufl. 2011, § 70 Rn. 26. 106 Siehe hierzu M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 89; die Verfassungsmäßigkeit des § 70 Abs. 3 GewO ebenfalls bezweifelnd A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (36 in Fn. 83); C. Koenig, Die öffentlich-rechtliche Verteilungslenkung, 1994, S. 149 f. m. w. N. 107 Siehe für eine umfassende Analyse des unionsrechtlichen Rahmens staatlicher Verteilungstätigkeit F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 102 ff.; ferner überblicksartig auch M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 90 ff. 108 Zu dieser st. Rspr. des Europäischen Gerichtshofs siehe EuGH, Urt. v. 28.3.1979 – C175/78, ECLI:EU:C:1979:88, Rn. 11; Urt. v. 16.6.1994 – C-132/93, ECLI:EU:C:1994:254, Rn. 9; Urt. v. 2.10.2003 – C-148/02, ECLI:EU:C:2003:539, Rn. 26; Urt. v. 5.5.2011 – C-434/ 09, ECLI:EU:C:2011:277, Rn. 45; siehe diesbezüglich auch das Schrifttum D. Ehlers, Allgemeine Lehren der Grundfreiheiten, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 4. Aufl. 2014, § 7 Rn. 25; S. Leible/T. Streinz, in: E. Grabitz/M. Hilf/M. Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 34 AEUV (2015), Rn. 33; J. Gundel, DVBl. 2007, S. 269 (270 f.); a. A.: A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 201, 203, 209 f. 109 A. Garniel, Summationswirkungen bei der Erheblichkeitsbewertung von Projekten. Foliensatz zum gleichnamigen Vortrag auf der Fachtagung „FFH-Verträglichkeitsprüfung –

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4. Kap.: Rechtliche Maßstabbildung für die Kumulationsentscheidung

lierte Darstellung der aus den Grundfreiheiten folgenden Verteilungsvorgaben verzichtet werden. Eine rein am unionsgrundrechtlichen Rahmen staatlicher Verteilungstätigkeit orientierte Darstellung begegnet jedoch dem Problem, dass die Unionsgrundrechte im Verteilungskontext in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bislang kaum zur Geltung gekommen sind110. Dies rührt daher, dass die auf Sekundärrecht beruhenden Verteilungsverfahren meist einen hohen Detaillierungsgrad aufweisen und insofern kaum Raum für ein unionsgrundrechtlich generiertes Verteilungsverfahren verbleibt111. Daneben besitzen die Unionsgrundrechte nur dann Relevanz, wenn eine nationale Vorschrift sich marktfreiheitlich beschränkend auswirkt112. In der letztgenannten Konstellation vermögen die Unionsgrundrechte dem Gesetzgeber dann auf Rechtfertigungsebene Gestaltungsgrenzen zu setzen, wenn sich die Verteilungsgestaltung als grundfreiheitlich relevantes Marktzugangshindernis herausstellt113. Dennoch lässt sich für Verteilungsvorgaben an bestimmte unionsgrundrechtliche Gewährleistungsgehalte anknüpfen114. So ist verteilungsrechtlich zunächst der in Art. 20 GRC normierte unionsgrundrechtliche allgemeine Gleichheitssatz relevant. Dieser verlangt eine Festlegung (sach-)gerechter Verteilungskriterien und eine Verfahrensgestaltung, die deren Anwendung effektuiert115. Zudem könnten neben dem Gleichheitssatz aus Art. 20 GRC – ebenso wie im nationalen Verfassungsrecht – die Freiheitsrechte zu berücksichtigen sein. In wirtschaftlichen Verteilungskonstellationen könnten vornehmlich die auf den wirtschaftlichen Freiheitsrechten aus Art. 15 Abs. 1 GRC (Berufsfreiheit), Art. 16 (unternehmerische Freiheit) oder Art. 17 (Eigentumsrecht) fußenden Zugangsinteressen eines Ausgleichs bedürfen116. Ferner sind das Recht auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GRC, aus dem sich allgemeine rechtsstaatliche Anforderungen gewinnen lassen, und die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 47 GRC bei der Ausgestaltung eines Verteilungsregimes in den Blick zu nehmen117. Aktuelles aus der Praxis“ 84/16 der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege vom 11.–12.10.2016 in Augsburg, Folie 2; J. Weuthen, ZUR 2017, S. 215 (221). 110 Vgl. W. Frenz, Vergaberecht EU und national, 2018, Rn. 134; F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 107. 111 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 105. 112 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 105. 113 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 105. 114 Siehe hierzu zusammenfassend F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 107 ff. 115 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 107; zum materiellen Gewährleistungsgehalt des unionalen Gleichheitssatzes im Vergabeverfahren siehe auch F. Huerkamp, Gleichbehandlung und Transparenz als gemeinschaftsrechtliche Prinzipien der staatlichen Auftragsvergabe, 2010, S. 226 ff. 116 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 107. 117 F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 107.

A. Die verfassungsrechtlichen und unionsgrundrechtlichen Vorgaben

147

Auch in formeller Hinsicht lassen sich unionsgrundrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung von Verteilungsverfahren formulieren. So nahmen das Europäische Gericht und der Europäische Gerichtshof etwa in der Rechtssache CAS Succhi di Frutta die Geltung des allgemeinen Gleichheitssatzes und des Transparenzgebots in Verteilungsverfahren an118. Nach Auffassung der Gerichte ergab sich daraus, dass es in Verteilungsverfahren einer hinreichend aussagekräftigen Ausschreibung bedürfe, die eindeutig und klar Auskunft über die Vergabemodalitäten gibt und an die sich die verteilende staatliche Stelle dann auch bis zum Abschluss des Verfahrens zu halten hat119. Des Weiteren bestehe eine Pflicht, negative Vergabeentscheidungen mitzuteilen und zu begründen120. Dieses Begründungserfordernis sei insbesondere vor dem Hintergrund etwaiger Rechtsschutzmöglichkeiten geboten121.

III. Zwischenergebnis Die Konvergenz zwischen den verfassungsrechtlichen und unionsgrundrechtlichen Verteilungsvorgaben ist evident. Materiell ist der Korridor zulässiger Zuteilungskriterien in Ansehung der Gleichheitssätze grundsätzlich erst dann überschritten, wenn diese sich als sachunangemessen darstellen122. Das Gebot der am Verteilungszweck orientierten Sachgerechtigkeit123 ist ein in beiden Maßstabsordnungen wiederkehrendes Leitbild für die Wahl der Kriterien. Dieser Korridor kann allerdings aufgrund freiheitsrechtlicher Gewährleistungsgehalte unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten eingegrenzt werden. So ergab insbesondere die verfassungsrechtliche Auslegung, dass die Anforderungen an die Zumutbarkeit der Kriterien je nach Bedeutung für die persönliche Lebensführung der Bewerber variieren können. Die Zumutbarkeit von Kriterien bemisst sich dabei anhand ihrer Chancenoffenheit, also danach, ob die Bewerber die Verteilungskriterien durch ihr eigenes Zutun zu ihren Gunsten beeinflussen können.

118 So das Gericht der Europäischen Union (EuG) und der Europäische Gerichtshof unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zur Vergaberichtlinie EuG, Urt. v. 14.10.1999 – T-191/96, 106/97 (verbundene Rechtssachen), ECLI:EU:T:1999:256, Rn. 72; EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – C-496/99, ECLI:EU:C:2004:236, Rn. 107 ff.; diese Nachweise so entnommen bei F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 108 Fn. 23. 119 EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – C-496/99, ECLI:EU:C:2004:236, Rn. 111, 115 f.; EuG, Urt. v. 14.10.1999 – T-191/96, 106/97 (verbundene Rechtssachen), ECLI:EU:T:1999:256, Rn. 72 f.; siehe hierzu und zu den folgenden formellen Anforderungen auch ausführlich F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 108 f. 120 EuG, Urt. v. 17.12.1998 – T-203/96, ECLI:EU:T:1998:302, Rn. 85. 121 EuG, Urt. v. 20.5.2009 – T-89/07, ECLI:EU:T:2009:163, Rn. 56 ff. 122 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 82; vgl. F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 37. 123 Siehe hierzu F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 37 m. w. N., der diesbezüglich vom „Gebot ihrer am Verteilungszweck orientierten Sachgerechtigkeit“ spricht.

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4. Kap.: Rechtliche Maßstabbildung für die Kumulationsentscheidung

Auch formell besteht eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den verfassungsrechtlichen und unionsgrundrechtlichen Anforderungen. In formeller Hinsicht stellt die aus Art. 3 Abs. 1 GG ableitbare Konzeptpflicht sicherlich den umfassendsten Forderungskatalog an die Ausgestaltung von Verteilungsverfahren. Doch auch verglichen mit unionsgrundrechtlich ableitbaren Vorgaben finden sich durchaus Parallelen. So lassen sich die Anforderungen einer hinreichend aussagekräftigen Bekanntmachung, die klar über die Vergabemodalitäten informiert, sowie – auch im Interesse von Rechtsschutzmöglichkeiten unterlegender Bewerber bestehende – Mitteilungs- und Begründungspflichten auch unionsgrundrechtlich ableiten. Die rechtliche Abstützung der der Kumulation stickstoffemittierender Projekte inhärenten Verteilungswirkungen begegnet folglich einem trotz unterschiedlicher Fundierung weitgehend einheitlichem rechtlichen Maßstab. Dieser ist nachfolgend unter Bezugnahme auf die Verteilungssituation der Kumulation zu konkretisieren.

B. Übertragung der verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Verteilungsdirektiven auf die Kumulation stickstoffemittierender Projekte Der vorstehend dargelegte verfassungsrechtliche und unionsgrundrechtliche Verteilungsrahmen bezieht sich vor allem auf den formalisierten Typus des „Verteilungsverfahrens“. Die Kumulation hingegen weist nicht die Eigenschaften eines solchen formalisierten Verfahrens mit abschließender Verwaltungsentscheidung auf. Eine eins-zu-eins-Übertragung der Vorgaben auf die Kumulation ist daher nicht geboten. Sie bieten allerdings Orientierung für eine rechtliche Abstützung der der Kumulation immanenten Verteilungswirkungen durch geeignete Verteilungskriterien (I.) und Verfahrensvorgaben (II.).

I. Die geeigneten Verteilungskriterien in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte Der konkrete Korridor zulässiger Verteilungskriterien in der Institutionengestaltung hängt von der jeweiligen Verteilungssituation ab. Für die hier interessierende Kumulation stickstoffemittierender Anlagen ist zu berücksichtigen, dass in dieser neben Art. 3 Abs. 1 GG stets auch freiheitsrechtliche Gehalte (Art. 12 GG; Art. 14 GG; Art. 15, 16 GRC; Art. 17 GRC) in Rede stehen124. So wird durch die der FFH-Verträglichkeitsprüfung vorgelagerte Schutzgebietsausweisung in die genannten natürlichen Freiheitssphären eingegriffen. Verkürzte natürliche Freiheitsbereiche wirken in der konkreten Ausgestaltung der Verteilungsentscheidung teil124

Siehe hierzu bereits oben 2. Kap. B. II.

B. Übertragung der Verteilungsdirektiven

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haberechtlich durch erhöhte Rechtfertigungsanforderungen an die Verteilungskriterien fort. Es gilt folglich das Gebot der objektiven Sachgerechtigkeit und Zumutbarkeit der Verteilungskriterien. Die teilhaberechtliche Dimension der Institutionengestaltung kommt hier zur Entfaltung125. Eine naheliegende Direktive für eine sachangemessene Ausgestaltung der Verteilung in der Kumulation ist das Ziel der FFH-Richtlinie, einen günstigen Erhaltungszustand besonders geschützter Arten und Lebensraumypten zu sichern bzw. wiederherzustellen (Art. 2 Abs. 2 FFH-Richtlinie). Praktisch soll dies durch die Ausweisung von Schutzgebieten erfolgen, die zusammengenommen ein kohärentes ökologischen Netz ergeben (Art. 3 Abs. 1 FFH-Richtlinie). Das Richtlinienziel lässt sich auch für die Ausgestaltung der Verteilungssituation in der Kumulation fruchtbar machen. So ist darüber nachzudenken, etwaige Verteilungskriterien am Richtlinienziel des Arten- und Habitatschutzes auszurichten126. Für einen solchen Ansatz streitet nicht zuletzt das Gebot der effektiven Umsetzung des Unionsrechts (Art. 4 Abs. 3 EUV), verlangt dieses doch, dass die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben, ergreifen. Vor diesem Hintergrund böte sich an, ein allgemein gehaltenes Gemeinwohlkriterium einzuführen, welches eine besondere Berücksichtigung der Projektauswirkungen auf den Habitat- und Artenschutz verlangt. Durch eine solch offene Regelung würden die Behörden in die Lage versetzt, vielfältige Gemeinwohlbelange in die Abwägung einfließen zu lassen; gleichzeitig wären aber auch die Projektträger dazu veranlasst, ihre Projekte unter besonderer Berücksichtigung habitat- und artenschutzrechtlicher Aspekte zu planen, um ihre Zulassungschancen zu erhöhen. Besteht darüber hinaus ein Bedürfnis, Individualbelange in der Kumulation zu priorisieren, könnte beispielsweise auf einer nachgeordneten Stufe ein Eigentümerprivileg eingeführt werden. Hierdurch wäre etwaigen Eingriffen in das Eigentumsrecht aus Art. 14 GG und Art. 17 GRC durch Schutzgebietsausweisung Rechnung getragen. Hinter dem Schlagwort „Eigentümerprivileg“ im hier verstandenen Sinne verbirgt sich, dass bei Gleichwertigkeit der Bewerber nach Berücksichtigung der Allgemeinwohlbelange derjenige Projektträger den Vorzug genießt, dessen Eigentumsposition besonders beeinträchtigt ist. Eine solche Beeinträchtigung wäre beispielsweise anzunehmen, wenn der Antragsteller gleichzeitig Eigentümer der durch die kumulierenden Wirkungen betroffenen Lebensraumtypfläche ist. 125

Siehe hierzu bereits oben 4. Kap. A. I. 2. a). Siehe hierfür nur Richtlinie 92/43/EWG des Rates v. 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. L 206 v. 22.7.1992, S. 7: „Hauptziel dieser Richtlinie ist es, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern, wobei jedoch die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Anforderungen berücksichtigt werden sollen.“ 126

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4. Kap.: Rechtliche Maßstabbildung für die Kumulationsentscheidung

Die Orientierung an einem Gemeinwohlkriterium, welches eine besondere Berücksichtigung habitat- und artenschutzrechtlicher Belange verlangt, brächte zusätzlich den Vorteil mit sich, dass so auch das aus den freiheitsgrundrechtlichen Schutzgewährleistungen abgeleitete Gebot der Zumutbarkeit127 gewahrt wäre. Zumutbarkeit setzt Chancenoffenheit voraus. Diese ist gegeben, wenn die Bewerber die gesetzten Kriterien durch eigenes Zutun erfüllen können. Eine derartige Beeinflussbarkeit ist in Bezug auf formale Kriterien wie dem des Prioritätsprinzips, des Rotationsprinzips128 oder des Losentscheids nur bedingt gegeben129. Den genannten Kriterien wohnt vielmehr ein Element des Zufalls inne. Chancenoffenheit lässt sich daher zuvörderst unter Einbeziehung wertender Kriterien130 erreichen, auf deren Erfüllung die Bewerber Einfluss haben. Die Auswirkungen des eigenen Projektes auf den Habitat- und Artenschutz können die Projektträger beeinflussen. Das Zufallselement wird so zurückgedrängt und dem Kriterium der Zumutbarkeit entsprochen. Besteht nach Anlegung wertender Kriterien noch immer eine Gleichwertigkeit unter den Antragstellern, kann in gestuften Verteilungsverfahren aus Rechtsschutzund Praktikabilitätserwägungen letztentscheidend auf ein formelles Kriterium abgestellt werden. Diese ultima-ratio-Funktion ist dem den formellen Kriterien inhärenten Abwägungsdefizit angemessen. Eine größere Rolle kann formellen Kriterien in der Kumulation stickstoffemittierender Anlagen aufgrund der besagten Grundrechtssensibilität nicht zugedacht werden. Welches formelle Kriterium dabei Anwendung findet, hängt insbesondere von der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung ab. Zusammenfassend sind somit wertende den rein formellen Verteilungskriterien in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte vorzuziehen. Die wertenden Kriterien sollten sich dabei vorrangig am Richtlinienzweck der FFH-Richtlinie, dem Habitat- und Artenschutz, orientieren. Des Weiteren ist nachgeordnet über eine Eigentümerprivilegierung nachzudenken. Lediglich dann, wenn eine Entscheidung 127 Siehe zum Gebot der objektiven Sachgerechtigkeit und individuellen Zumutbarkeit der Verteilungskriterien bereits oben 4. Kap. A. I. 2. b). 128 Bei dem Rotationsprinzip oder „rollierendem System“ handelt es sich nach C. Koenig, Die öffentlich-rechtliche Verteilungslenkung, 1994, S. 144 um ein Vergabekriterium, welches „gegebenenfalls differenzierend abgestufte – turnusmäßige und periodisch abwechselnde Zulassung[en] vor[sieht], um einem größeren Kreis von Bewerbern die Möglichkeit einer Marktteilnahme zu geben.“ 129 Siehe umfassend zu formellen Kriterien wie dem „Prioritätsprinzip“ oder „Losverfahren“ F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 558 ff.; M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 95 ff.; M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/ S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (66 ff.) 130 Siehe zu wertenden Kriterien F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 555 ff.; M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 112 ff.; M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (70 ff.).

B. Übertragung der Verteilungsdirektiven

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zwischen den Bewerbern auf Grundlage wertender Kriterien nicht getroffen werden kann, sollte nach einem ultima-ratio-Verständnis auf formelle Kriterien wie z. B. den Prioritätsgrundsatz zurückgegriffen werden.

II. Geeignete Verfahrensvorgaben für die Kumulation stickstoffemittierender Projekte: Übertragung des Konzeptpflichtgedankens Bei der Kumulationsentscheidung im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung handelt es sich um eine Entscheidung mit Verteilungswirkung, die unselbständig in das jeweilige Trägerverfahren eingebettet ist. Am Ende der Kumulation steht keine das Genehmigungsverfahren abschließende Verwaltungsentscheidung. Der verfahrensrechtliche Spielraum wird durch das jeweilige Trägerverfahren bestimmt bzw. begrenzt. Der Gedanke eines streng formalisierten, konzeptpflichtigen Verteilungsverfahrens131 ist daher nicht ohne weiteres auf die Kumulation stickstoffemittierender Anlagen übertragbar. Nichtdestotrotz lassen sich aus der Konzeptpflicht Rückschlüsse auf die Gestaltung der Kumulation ziehen. Insbesondere das Kriterium der hinreichenden Bestimmtheit verlangt auch in der Kumulation Beachtung. Danach müssen die Verteilungskriterien umstandslos identifizierbar sein, was beispielsweise durch Normierung einer Entscheidungsregel im BNatSchG gewährleistet werden könnte. Dies ist auch im Interesse der Chancenoffenheit, da die Bewerber die Erfüllung der Verteilungskriterien erst dann beeinflussen können, wenn sie diese auch kennen. Entscheidend ist ferner, dass der zeitliche und sachliche Rahmen der Kumulationsentscheidung im Sinne eines umfassenden Regelungsansatzes determiniert wird. So ist nicht eindeutig, welche parallelen Genehmigungsverfahren überhaupt unter eine irgendwie geartete Verteilungsregel fielen. Es bietet sich an, derartige Vorgaben in die Verfahrensregeln der jeweiligen Fachrechte zu integrieren, um verfahrenstechnische Friktionen zu vermeiden. Fraglich ist ferner, inwiefern eine anstehende Kumulationsentscheidung sowie ihre Modalitäten vorab kundzutun sind. So steht das im Rahmen der Konzeptpflicht bestehende Bekanntmachungserfordernis unter einem Effizienzvorbehalt mit Blick auf Aufwand und Dauer der Veröffentlichung132. Sofern die Modalitäten durch eine die Grundzüge der Verteilungsentscheidung regelnde Vorschrift im BNatSchG niedergelegt sind, ist dem Publikationsgebot jedenfalls hinsichtlich der Verteilungskriterien genüge getan. Die Vergabemodalitäten wären angesichts dieser avisierten Regelungen ausreichend bekannt, weshalb eine gesonderte Bekanntma131 Siehe zu der insbesondere aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleiteten Konzeptflicht bereits oben 4. Kap. A. I. 1. b). 132 Siehe hierzu bereits 4. Kap. A. I. 1. b).

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4. Kap.: Rechtliche Maßstabbildung für die Kumulationsentscheidung

chungspflicht im Vorfeld einer jeden Kumulationsentscheidung entfiele. Insofern ist die Situation mit der Konzessionsvergabe im Taxigewerbe vergleichbar, bei der allgemein bekannt ist, dass sie sich nach zeitlicher Priorität richtet (§ 13 Abs. 5 S. 2 PBefG)133.

III. Der Parlamentsvorbehalt in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte – Das Erfordernis einer Regelung in Grundzügen Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte fällt in die Kategorie von Verteilungssituationen, die auf der Beschränkung natürlicher Freiheitssphären beruhen. Angesichts dieser Grundrechtsrelevanz handelt es sich auch bei der Kumulation stickstoffemittierender Projekte daher grundsätzlich um einen Bereich der Grundrechtsausübung, in dem die wesentlichen Entscheidungen dem Gesetzgeber obliegen. 1. Konkretisierungsgrad einer gesetzgeberischen Regelung Fraglich ist allerdings, in welchem Umfang eine Regelung der Kumulationsentscheidung durch den Bundes- bzw. der Landesgesetzgeber verfassungsrechtlich geboten ist. Hierfür ist zunächst die Grundrechtssensibilität der jeweiligen Verteilungssituation relevant. Diese ist im Falle der Kumulation durch den ursprünglichen Verknappungsakt von umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazitäten und der daraus folgenden Beschränkung von Freiheitsrechten erhöht. So sind gleich mehrere grundrechtliche Interessen (Art. 12, 14, 2 GG; Art. 15, 16, 17 GRC) bei der Verteilung von Nutzungsrechten an umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazitäten in die Kumulation einzustellen134. Zugespitzt könnte gemäß der jetzigen Rechtsprechung derjenige Projektträger, dessen Projekt nach erfolgter Kumulationsprüfung positiv beschieden wird, in den vollumfänglichen Genuss seiner Freiheitsrechte kommen, während die Ausübungsfreiheit des zeitlich nachrangigen Projektes womöglich auf null beschnitten würde135. Verschärft wird die Grundrechtssensibilität durch die sog. Verteilungswirkung in der Zeit, welche darauf beruht, dass bereits realisierte Projekte in Bestandsschutz erwachsen136. Angesichts der hohen Hintergrundbelastung und ausgeschöpfter Belastungskontingente droht hier

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Siehe hierzu bereits 4. Kap. A. I. 1. b). Siehe hierzu bereits oben 2. Kap. B. II. 3. 135 Vgl. O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (278). 136 Siehe zur „Verteilung in der Zeit“ instruktiv F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 94 ff.; A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (39 f.). 134

B. Übertragung der Verteilungsdirektiven

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ein weitgehender Zulassungstopp für die Zukunft137. Die Verteilungsverhältnisse werden somit – anders als beispielsweise bei der turnusmäßigen Vergabe von Marktoder Messeständen, bei denen sich wiederkehrend Zulassungschancen eröffnen – zementiert138. Denkbare Instrumente wie Genehmigungsbefristungen, die derartigen Verteilungswirkungen vorbeugen (wie etwa im Rahmen von Taxikonzessionen), scheinen im Zusammenhang mit stickstoffemittierenden Anlagen und deren Investitionsvolumen ausgeschlossen139. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Eingriffstiefe ist daher davon auszugehen, dass eine Regelung der Verteilungskriterien in der Kumulation durch den Bundes- oder Landesgesetzgeber jedenfalls in Grundzügen verfassungsrechtlich geboten ist. Eine solche Regelung könnte allerdings dann ausgeschlossen sein, wenn sich die Kumulation schlicht nicht abstrakt-generell regeln ließe. Dies wird angesichts der Variationsbreite möglicher Veranstaltungsgestaltungen insbesondere in Zusammenhang mit § 70 Abs. 3 GewO und der Zulassung zu Märkten und Messen vertreten140. Dieses Argument verfängt hier allerdings nicht. Dass der wesentliche Streitpunkt in der Kumulation, namentlich die Rangfolge parallel beantragter Projekte, nicht fernab jeder Regelungsmöglichkeit liegt, dokumentieren die bereits heute in Umweltprüfungen und umweltrelevanten Zulassungsverfahren bestehenden Konkurrenzregeln. Die an anderer Stelle erwähnten Konkurrenzregeln der Landeswassergesetze regeln die Rangfolge bei Zusammentreffen mehrerer Genehmigungsanträge regelmäßig durch eine Kombination aus materiellen und formellen Verteilungskriterien141. Selbst der im Zuge der jüngsten UVPG-Novellierung eingefügte § 12 Abs. 2 UVPG sieht – bei allen Bedenken hinsichtlich einer rein formellen Lösung – nunmehr eine Vorrangstellung prioritär beantragter Vorhaben vor, sofern deren Vorhabenträger vollständige Prüfungsunterlagen eingereicht haben142. Eine vergleichbare Rangfolgenregelung parallel beantragter Projekte in der FFHKumulation anhand abstrakt-genereller Regelungen erscheint daher nicht von vornherein ausgeschlossen. Zugegebenermaßen entbindet diese Feststellung nicht von dem Erfordernis, dass jeder Regelungsvorschlag einem abschließenden Praktikabilitätstest zu unterziehen ist. 137 Siehe zur hohen Hintergrundbelastung durch Stickstoffeinträge bereits die Erläuterungen unter 1. Kap. A. 138 Vgl. F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 94. 139 Siehe zu in Frage kommenden rechtlichen Instrumenten wie Befristungen, Privilegierungen für Altsassen oder gesetzlichen Kontingentierungen von Nutzungsrechten in Kombination mit marktbasierten Allokationsmechanismen auch F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 94 ff.; A. Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), S. 21 (39 f.). 140 D. Kupfer, Die Verteilung knapper Ressourcen im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2005, S. 426 f.; U. Schönleiter, in: R. v. Landmann/G. Rohmer u. a. (Hrsg.), GewO, Bd. I, § 70 (1992), Rn. 12; siehe hierzu insbesondere in Bezug auf § 70 Abs. 3 GewO bereits oben 4. Kap. A. I. 3. 141 Siehe zu den hier relevanten Normen der Landeswassergesetze bereits oben 2. Kap. B. I. 1. und III. 1. 142 Siehe zur Regelung des § 12 Abs. 2 UVPG bereits oben 2. Kap. B. I. 1.

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4. Kap.: Rechtliche Maßstabbildung für die Kumulationsentscheidung

2. Kein Ausschluss des gesetzgeberischen Regelungserfordernisses durch die Ausnahmeregelungen nach § 34 Abs. 3 – 5 BNatSchG Einzig die Ausnahmeregelungen der Absätze 3 – 5 des § 34 BNatSchG, die auf der Umsetzung des Art. 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie beruhen, könnten dafürsprechen, die jetzige Rechtslage als ausreichend zu begreifen. Art. 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie ist dabei Ausdruck des gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus Art. 5 Abs. 4 EUV sowie des Ziels nachhaltiger Entwicklung i. S. v. Art. 11 AEUV143. Danach sind unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten auch solche Projekte, die nach erfolgter Kumulationsprüfung grundsätzlich nicht genehmigungsfähig sind, aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses (§ 34 Abs. 3 Nr. 1) zulassungsfähig. Vermögen die Absätze 3 – 5 den Mangel an verteilungsrechtlicher Determinierung des § 34 Abs. 1 BNatSchG mithin zu kompensieren, indem sie über die Verteilungsentscheidung der Kumulation hinaus eine Zulassungsmöglichkeit eröffnen? Gegen eine solche Annahme spricht zunächst, dass Art. 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie sowie § 34 Abs. 3 – 5 BNatSchG Ausnahmeregeln darstellen und insofern eng auszulegen sind144. Es bedarf einer Abwägung zwischen den zwingenden Gründen eines überwiegenden öffentlichen Interesses (Abs. 3 Nr. 1) und dem öffentlichen Interesse an der Integrität des Natura 2000-Gebiets145, bei dem das öffentliche Interesse nach Abs. 3 Nr. 1 das Schutzinteresse eindeutig überwiegt146. Welche zwingenden Gründe eines überwiegenden öffentlichen Interesses anerkannt sind, hängt auch davon ab, ob durch das prüfgegenständliche Projekt Gebiete mit oder ohne prioritären Lebensraumtypen147 und Arten148 betroffen sein könnten. 143 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 134 m. w. N. 144 St. Rspr. des EuGH, Urt. v. 14.1.2016 – C-399/14, ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 73; Urt. v. 16.2.2012 – C-182/10, ECLI:EU:C:2012:82, Rn. 73; Urt. v. 20.9.2007 – C-304/05, Rn. 82; Urt. v. 26.10.2006 – C-239/04, ECLI:EU:C:2006:665; Rn. 35; BVerwG, Urt. v. 10.4.2013 – 4 C 3.12, BVerwGE 146, 176 Rn. 10; S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 137; a. A. R. Wolf, ZUR 2005, S. 449 (453 f.). 145 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20.05, BVerwGE 128, 1 Rn. 131 und Ls. 18; S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 141. 146 So J. Schumacher/A. Schumacher, in: J. Schumacher/P. Fischer-Hüftle (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2011, § 34 Rn. 85; S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GKBNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 141. 147 Bei prioritären Lebensraumtypen im Sinne der FFH-Richtlinie handelt es sich gem. Art. 1 lit. d) um im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten vom Verschwinden bedrohte natürliche Lebensraumtypen, für deren Erhaltung der Gemeinschaft aufgrund der natürlichen Ausdehnung dieser Lebensraumtypen im Verhältnis zu dem europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten besondere Verantwortung zukommt; diese prioritären natürlichen Lebensraumtypen sind in Anhang I der FFH-Richtlinie mit einem Sternchen (*) gekennzeichnet.

B. Übertragung der Verteilungsdirektiven

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Für Gebiete ohne prioritäre Lebensraumtypen und Arten sind als zwingende Gründe eines überwiegenden öffentlichen Interesses in der Rechtsprechung bisher unter anderem die Trinkwasserversorgung und landwirtschaftliche Bewässerung,149 der Ausbau eines Flughafens zum interkontinentalen Flughafen bei entsprechenden Bedarfsprognosen150 sowie Belange der Landesverteidigung anerkannt151.152 Hinsichtlich der möglichen Betroffenheit von Gebieten mit prioritären Lebensraumtypen und Arten verengen sich die zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses auf solche, die im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit sowie dem Schutz der Umwelt stehen (§ 34 Abs. 4 BNatSchG). Danach bleibt eine Zulassung von FFH-Projekten aus Gründen der Trinkwasserversorgung wegen ihres Gesundheitsbezugs auch für Gebiete dieses Schutzstatus weiterhin möglich; eine Zulassung aufgrund der landwirtschaftlichen Bewässerung scheidet indes grundsätzlich aus153. Andere Belange im Sinne des § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG können gemäß Abs. 4 S. 2 nur nach Einholung einer Stellungnahme der Europäischen Kommission berücksichtigt werden. Das höhere Schutzniveau von Gebieten mit prioritären Lebensraumtypen und Arten verlangt zudem eine enge Auslegung der angeführten Belange154. Angesichts dieses – insbesondere in Bezug auf Gebiete mit prioritären Lebensraumtypen und Arten – eng gefassten Ausnahmetatbestands und des begrenzten Umfangs anerkannter zwingender Gründe eines öffentlichen Interesses bieten die Absätze 3 – 5 daher vor dem Hintergrund der Grundrechtssensibilität der Kumulation keinen sachgerechten Ausgleich zur fehlenden Determinierung der Verteilungskriterien. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass ausschließlich privaten Interessen dienende Projekte keine Ausnahme nach den Absätze 3 – 5 begründen können155. Trotz privater Natur eines Projektes bedarf es stets eines öffentlichen Inte148 Prioritäre Arten im Sinne der FFH-Richtlinie sind die unter Art. 1 lit. g) Ziffer i) der FFH-Richtlinie genannten Arten, für deren Erhaltung der Gemeinschaft aufgrund ihrer natürlichen Ausdehnung im Verhältnis zu dem europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten besondere Verantwortung zukommt; diese prioritären Arten sind in Anhang II der FFH-Richtlinie mit einem Sternchen (*) gekennzeichnet. 149 EuGH, Urt. v. 11.9.2012 – C-43/10, ECLI:EU:C:2012:560, Rn. 122. 150 BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12.07, BVerwGE 134, 166 Rn. 17 f. 151 BVerwG, Urt. v. 10.4.2013 – 4 C 3.12, BVerwGE 146, 176 Rn. 19. 152 Siehe hierzu auch die Aufzählung mit weiteren Beispielen bei S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 153. 153 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 156; EuGH, Urt. v. 11.9.2012 – C-43/10, ECLI:EU:C:2012:560, Rn. 123 ff.; für die Bewässerung gilt, dass sie gegebenenfalls aufgrund positiver Auswirkungen auf die Umwelt gerechtfertigt sein könnte, siehe hierzu das vorstehende Urteil, Rn. 125 und Rn. 128. 154 BVerwG, Urt. v. 27.1.2000 – 4 C 2.99, BVerwGE 110, 302, 313. 155 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 142.

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4. Kap.: Rechtliche Maßstabbildung für die Kumulationsentscheidung

resses von hinreichendem Gewicht156. Daraus folgt, dass private und damit grundrechtliche Interessen höchstens untergeordnet Einzug in die Abwägung gemäß der Absätze 3 – 5 finden. Die durch den Ausnahmetatbestand begründete Hoffnung auf eine nachgelagerte Berücksichtigung der in der Kumulation bestehenden grundrechtlichen Interessen der Projektträger wird dadurch enttäuscht. Ein etwaiger Ausgleich für die mangelnde tatbestandliche Determinierung der Verteilungskriterien scheidet somit aus. 3. Zwischenergebnis: Das Erfordernis einer gesetzgeberischen Regelung der Auswahlkriterien Der Gesetzgeber ist daher in Bezug auf die Kumulation jedenfalls in Grundzügen zur Regelung der Rangfolge bzw. Verteilungskriterien verpflichtet. Eine Entscheidung über diese Kriterien darf nicht auf die Verwaltung oder die Rechtsprechung verlagert werden. Gerade eine solche Verlagerung lässt sich allerdings mit Blick auf die Kumulation nach § 34 Abs. 1 BNatSchG beobachten. Der Gesetzgeber hat mit einer weitgehenden inhaltsgleichen Übernahme des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie in § 34 BNatSchG auf eine Festlegung der für die Rangfolge in der Kumulation relevanten Verteilungskriterien verzichtet. Auch die Landesnaturschutzgesetze haben die Verteilungskriterien nicht weiter konkretisiert. Die Eigenschaft der Kumulation als staatlich zu ordnendes Verteilungsproblem von Umweltmedien wird nach wie vor verkannt. Letztlich sah sich daher die Rechtsprechung, namentlich das Oberverwaltungsgericht Münster, veranlasst, das unzureichende Kriterium der Priorität als alleinigen Maßstab zu bestimmen157. Es spricht mit Blick auf die Kumulation stickstoffemittierender Projekte folglich vieles dafür, dass eine verfahrensrechtliche Nachbesserung durch gesetzliche Festlegung von Verteilungskriterien durch den Bundes- oder Landesgesetzgeber verfassungsrechtlich geboten ist. Hinsichtlich des geeigneten Regelungsortes ließe sich § 34 BNatSchG oder die entsprechenden Landesregelungen um eine Verteilungsregel erweitern158. Dies brächte den nicht zu unterschätzenden Vorteil mit sich, dass eine die Verteilung in Grundzügen regelnde Vorschrift im BNatSchG nicht nur den Wirkfaktor „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag“, sondern auch andere (eventuell parallel vorliegende) Wirkfaktoren einer Entscheidungsregel zuführen würde. Bereits mit einer Entscheidungsregel ohne hohen Detaillierungsgrad wäre dem Parlamentsvorbehalt genüge getan; allerdings bietet sich in Bezug auf die Kumulation stickstoffemittierender Projekte an, einen umfassenden Regelungsansatz zu wählen: Die im BNatSchG getroffene Entscheidungsregel könnte wirkfaktorspezifisch um Detail156

EuGH, Urt. v. 16.2.2012 – C-182/10, ECLI:EU:C:2012:82, Rn. 77. OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 622 ff.; siehe ebenso OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 459 ff. 158 Nachfolgend soll aus Gründen der Übersichtlichkeit lediglich auf die Bundesregelung des § 34 BNatSchG abgestellt werden. 157

B. Übertragung der Verteilungsdirektiven

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fragen hinsichtlich der Behandlung stickstoffemittierender Projekte ergänzt werden. So ließe sich beispielsweise die TA Luft um Vorgaben zur Höhe von Bagatell- bzw. Irrelevanzschwellen oder um die Bestimmung der in die Kumulation einzustellenden Projekte ergänzen. Auf diese gewissermaßen zweigliedrige Weise würde die Kumulation stickstoffemittierender Projekte jedenfalls in Bezug auf solche Vorhaben, die dem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren unterfallen, einem umfassenden Lösungsansatz zugeführt.

5. Kapitel

Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte – Mögliche Lösungsansätze Wie also ist die Kernfrage der Kumulation, der zwischen parallel beantragten Projekten bestehende Verteilungskonflikt, aufzulösen? Vor dem Hintergrund der vorstehend gewonnenen rechtlichen Maßstäbe für Verteilungssituationen sind hierzu zunächst mögliche Lösungsansätze aus der Fachliteratur und sachverwandten Regelungsmaterien zu bewerten und ihre Übertragbarkeit auf die Kumulation zu diskutieren (A.). Auf Grundlage dessen soll sodann ein diese Arbeit abschließender Regelungsvorschlag formuliert werden, der im Sinne der Vollständigkeit sowohl eine wirkfaktorunabhängige Entscheidungsregel für das BNatSchG als auch wirkfaktorspezifische Vorgaben formuliert (B.). Als Regelungsort der wirkfaktorspezifischen Regelung ist die TA Luft vorgesehen. Der hier formulierte Lösungsvorschlag erfährt damit einen Zuschnitt auf das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren.

A. Ansätze in der Literatur und sachverwandten Rechtsmaterien zur Auflösung des der Kumulation stickstoffemittierender Projekte innewohnenden Verteilungsproblems In der Literatur findet sich als Lösungsansatz ein Vorschlag Reidts, der Konkurrenzsituationen im Anlagenzulassungsrecht nach Maßgabe des Gebots der wechselseitigen Rücksichtnahme unter Übertragung der sog. Mittelwertrechtsprechung auflösen will (I.). Hinsichtlich sachverwandter Regelungsmaterien gilt der „nachträglichen Kumulation“ gem. § 12 Abs. 2 UVPG besondere Aufmerksamkeit. Diese Norm sieht eine Vorrangregelung anhand zeitlicher Priorität vor und ähnelt damit der dargestellten Rechtsprechung zu Konkurrenzsituationen innerhalb der FFH-Kumulation (II.). Zuletzt liefern die Landeswassergesetze Anknüpfungspunkte für mögliche Entscheidungsregelungen (III.). So erfassen die landeswasserrechtlichen Entscheidungsregelungen mit der Ressource „Wasser“ ebenso wie die FFHRegelungen ein Umweltmedium als knappes Gut.

A. Ansätze in der Literatur und sachverwandten Rechtsmaterien

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I. Das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme Nach Auffassung Reidts ist das Zusammenkommen konkurrierender Genehmigungsanträge im Anlagenzulassungsrecht bei Fehlen einfachgesetzlicher Entscheidungsregeln stets am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen1. Dies sei grundrechtlich geboten, denn „die Entscheidung für die Genehmigungserteilung zugunsten des einen Antragstellers und damit auch zugunsten seiner Grundrechtsausübung bedeutet, dass die Versagung der Genehmigung für einen anderen Antragsteller dessen Grundrechtsausübung einschränkt“2. Eine verhältnismäßige hoheitliche Entscheidung könne sich im Falle fehlender anderslautender Vorschriften aber nicht ausschließlich nach zeitlicher Priorität richten3. Dies werde regelmäßig anhand der immissionsschutzrechtlichen, bauplanungsrechtlichen und fachplanungsrechtlichen Rechtsprechung zur Grundstücksnutzung deutlich4. 1. Die Mittelwertrechtsprechung der Verwaltungsgerichte als Konkretisierung der Verhältnismäßigkeit „Naheliegendes Beispiel“ für die obige Annahme sei Nr. 6.7 der TA Lärm, welche auf die sog. Mittelwertrechtsprechung5 der Verwaltungsgerichte zurückgehe6. Gemäß dieser Rechtsprechung gilt das sog. Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme, wenn eine störende und eine störungsempfindliche Nutzung aufeinandertreffen7. Reidt wählt in diesem Zusammenhang das Beispiel eines auf Wohnbebauung treffenden Gewerbebetriebs.8 Verhältnismäßigkeitserwägungen streiten in diesen Fällen dafür, dass ein hinzukommender emittierender Betrieb – trotz Konformität seines Emissionsaufkommens mit den einschlägigen Festsetzungen des Bebauungsplans oder der Eigenart der Umgebung – nicht so operieren kann, als ob sich in der näheren Umgebung keine Wohnbebauung befände. Gleichzeitig kann aber die (bereits vorhandene) Wohnbebauung nicht so gestellt werden, als ob der emittierende Betrieb nicht bestünde9. In derartigen Gemengelagen ist ein zulässiger Immissionswert zu bilden, welcher zwischen den Richtwerten anzusiedeln ist, die für 1

Siehe hierzu O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). 3 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). 4 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). 5 BVerwG, Urt. v. 12.12.1975 – IV C 71.73, BVerwGE 50, 49 (54 f.); Urt. v. 18.5.1995 – 4 C 20.94, BVerwGE 98, 235 (244); OVG Münster, Beschl. v. 6.5.2016 – 8 B 866/15, UPR 2017, S. 35 ff.; vgl. C.-D. Bracher/O. Reidt/G. Schiller, Bauplanungsrecht, 8. Aufl. 2014, Rn. 2044 ff. 6 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280); K. Hansmann, in: R. v. Landmann/G. Rohmer u. a. (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. IV, Umweltrecht Besonderer Teil, Verwaltungsvorschriften zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (TA Luft, TA Lärm). Nr. 3.1 Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm), Nr. 6 (2006), Rn. 25. 7 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). 8 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). 9 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). 2

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5. Kap.: Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte

die unterschiedlichen Nutzungen benachbarter Gebiete gelten10. Dabei muss es sich nicht um das arithmetische Mittel handeln, weshalb anstelle eines Mittelwertes zutreffenderweise von einem Zwischenwert gesprochen werden sollte11. Vielmehr kommt es zu dessen Ermittlung auf eine wertende Gesamtbetrachtung an, die sich an den konkreten Umständen orientiert12. Eine, nicht aber die ausschließliche Rolle, spielt innerhalb dieser Betrachtung die zeitliche Priorität. Das ihr zukommende Gewicht ist vornehmlich von der Schutzwürdigkeit der früheren Nutzung abhängig13. So können insbesondere planerische Vorbelastungen das schutzwürdige Vertrauen der früheren Nutzung schmälern und die Bedeutung zeitlicher Priorität zurückdrängen, wenn der frühere Nutzer aufgrund dieser von vornherein mit hinzukommenden störenden oder störungsempfindlichen Nutzungen rechnen musste14. Nachvollziehbarerweise ist das schutzwürdige Vertrauen im Falle bereits bestehender, legaler Nutzungen ausgeprägter, als wenn es um parallele, gleichsam noch nicht verwirklichte Nutzungsformen geht15. In den letztgenannten Konstellationen, in denen die Nutzungsabsichten der sich parallel bewerbenden Antragsteller bekannt sind, spielt die Priorität eine lediglich untergeordnete Rolle16. 2. Übertragung der Mittelwertrechtsprechung auf die Kumulation in der FFH-Verträglichkeitsprüfung Der Ansatz Reidts sieht nun eine Übertragung der Mittelwertrechtsprechung und des Gebots der wechselseitigen Rücksichtnahme auf Konkurrenzen in der FFHKumulation im Anlagenzulassungsrecht vor17. Die wechselseitige Rücksichtnahme sei ein für das Genehmigungsrecht üblicher Konfliktlösungsansatz18. Es gebiete als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsansatzes eine wertende Betrachtung auf Grundlage der zugrundeliegenden Umstände im Moment der Genehmigungsentscheidung19. Zu den zugrunde zu legenden Umständen zählen unter anderem die 10 W. Schrödter/A. Möller, in: W. Schrödter (Hrsg.), Baugesetzbuch, 9. Aufl. 2019, § 9 Rn. 202. 11 BVerwG, Beschl. v. 21.12.2010 – 7 B 4/10, NVwZ 2011, S. 433 Rn. 32; W. Schrödter/ A. Möller, in: W. Schrödter (Hrsg.), Baugesetzbuch, 9. Aufl. 2019, § 9 Rn. 202. 12 BVerwG, Beschl. v. 21.12.2010 – 7 B 4/10, NVwZ 2011, S. 433 Rn. 32; Beschl. v. 12.9.2007 – 7 B 24.07, juris – Rn. 4; OVG Bautzen, Beschl. v. 8.1.2018 – 4 B 102/17, juris – Rn. 17; C.-D. Bracher/O. Reidt/G. Schiller, Bauplanungsrecht, 8. Aufl. 2014, Rn. 2047. 13 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.7.1994 – 4 B 134/94, juris – Rn. 2; VGH Mannheim, Urt. v. 23.4.2002 – 10 S 1502/01, NVwZ 2003, S. 365 (366); diese und weitere Nachweise bei O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280); vgl. ferner C.-D. Bracher/O. Reidt/G. Schiller, Bauplanungsrecht, 8. Aufl. 2014, Rn. 2047. 14 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). 15 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). 16 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). 17 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (281 f.). 18 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). 19 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280).

A. Ansätze in der Literatur und sachverwandten Rechtsmaterien

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durch die Vorhaben zu erwartenden Auswirkungen, die für reduzierte Umweltauswirkungen der Vorhaben noch erforderlichen zusätzlichen Maßnahmen, die Vor- und Nachteile der jeweiligen Vorhaben für die Allgemeinheit oder die öffentliche Akzeptanz20. Ergebe eine solche wertende Betrachtung im Falle der Kumulation, dass keines der in Rede stehenden Projekte dem anderen eindeutig überlegen und damit vorzugswürdig sei, dürfe nicht etwa eines der Projekte zugelassen und das andere versagt werden21. Vielmehr müssten beide Projekte im Sinne der wechselseitigen Rücksichtnahme Einschränkungen hinnehmen, sodass die kumulative Umweltbelastung auf ein zulässiges Maß gesenkt würde und beide Anträge positiv beschieden werden können22. Einzustellen seien all jene Projekte, die hinreichend konkretisiert seien23. Dies sei zumeist bereits dann der Fall, wenn die zuständige Behörde von der Realisierungsabsicht unterrichtet wurde, jedenfalls aber ab Antragstellung24. Verfahrensrechtlich ließe sich dieser Ansatz über das Koordinierungsgebot abstützen, welches in Umsetzung des Art. 7 der IVU-Richtlinie für das immissionsschutzrechtliche Verfahren in § 10 Abs. 5 S. 2 BImSchG seinen Niederschlag gefunden hat25. Bliebe das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme unbeachtet und erginge infolgedessen eine Genehmigung zugunsten lediglich eines Bewerbers, wäre diese Entscheidung rücksichtslos und somit rechtswidrig26. 3. Kritik Dem Ansatz einer Lösung nach Maßgabe des Gebots der wechselseitigen Rücksichtnahme ist zunächst zugutezuhalten, dass er den Kern der Kumulation als Konkurrenzproblem und das Bedürfnis nach einer verhältnismäßigen Abwägungsentscheidung erfasst. Der Art und Weise der Auflösung dieses Befundes kann allerdings nicht gefolgt werden. So lässt Reidts Ansatz außer Acht, dass der im Rahmen der Kumulation geltende Parlamentsvorbehalt eine Entscheidungsregel in Grundzügen voraussetzt27. Durch den Rückzug auf das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme, welches über das Koordinierungsgebot in die Kumulation Einzug halten soll, mangelte es 20

O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). 22 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). 23 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). 24 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (280). 25 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (281). 26 O. Reidt, DVBl. 2009, S. 274 (281). 27 Siehe allgemein zum Parlamentsvorbehalt bereits ausführlich oben 4. Kap. A. I. 3. und speziell zur Bedeutung des Parlamentsvorbehalts in der Kumulation 4. Kap. B. III. 21

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5. Kap.: Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte

indes weiterhin an einer durch den parlamentarischen Gesetzgeber festgelegten, für die Kumulation allgemeingültigen Verteilungsregel. Auch der in Anlehnung an die Konzeptpflicht geforderten Bestimmtheit der Kriterien im Interesse der Transparenz und Chancenoffenheit für die Bewerber wäre durch den Ansatz Reidts nicht genüge getan. Vielmehr würde ein über den jetzigen Regelungsbestand hinausgehendes Regelungsbedürfnis schlicht negiert. Der Ansatz des Gebots der wechselseitigen Rücksichtnahme greift daher trotz des gegebenen Problembewusstseins insgesamt zu kurz.

II. Die „nachträgliche Kumulation“ gem. § 12 Abs. 2 UVPG: Vorrangregelung nach Maßgabe zeitlicher Priorität Als mit dem FFH-Recht sachverwandte Regelungsmaterie gebührt in diesem Zusammenhang auch dem UVP-Recht Aufmerksamkeit, in welchem sich ebenfalls Kumulationsregelungen finden. Von besonderem Interesse ist hier der im Zuge der jüngsten Novelle28 ins UVPG eingeführte § 12 UVPG. 1. Der mit der Kumulation im FFH-Recht vergleichbare Regelungsgehalt des § 12 Abs. 2 UVPG Die Vorschrift des § 12 Abs. 2 UVGP regelt die UVP-Pflicht bei hinzutretenden kumulierenden Vorhaben (sog. nachträgliche Kumulation), bei denen sich ein früheres Vorhaben noch im Zulassungsverfahren befindet. § 12 Abs. 2 UVPG erfasst dabei einen mit der Kumulation paralleler Projekte im FFH-Recht vergleichbaren Fall29: Ist für ein früher beantragtes Vorhaben, welches für sich genommen nicht UVP-pflichtig ist, zum Zeitpunkt der Antragstellung des zeitlich nachrangigen kumulierenden Vorhabens noch keine Zulassungsentscheidung getroffen worden, liegen aber bereits die Antragsunterlagen des früheren Vorhabens vollständig vor, so besteht für dieses frühere Projekt keine UVP-Pflicht und keine Pflicht zur Durchführung einer UVP-Vorprüfung (Siehe Abs. 2 S. 3). Dies gilt unabhängig davon, ob die kumulierenden Vorhaben (also das frühere und zeitlich nachrangigere Vorhaben) zusammengenommen die für die Durchführung einer UVP, einer allgemeinen Vorprüfung oder einer standortbezogenen Vorprüfung relevanten Schwellenwerte erstmals oder erneut erreichen oder überschreiten (vgl. § 12 Abs. 2 S. 1 UVPG) (siehe Abs. 2 S. 3)30. 28 Gesetz zur Modernisierung des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung v. 20.7.2017 (BGBl. I 2808). 29 Von dieser Vergleichbarkeit zeugt auch, dass das OVG Münster seine Rechtsprechung zur FFH-Kumulation in § 12 Abs. 2 UVPG niedergelegt sieht, OVG Münster, Beschl. vom 23.10.2017 – 8 B 565/17, juris – Rn. 21 ff. 30 Siehe hierzu bereits oben 2. Kap. B. I. 1.

A. Ansätze in der Literatur und sachverwandten Rechtsmaterien

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Damit hat der Gesetzgeber – wenn auch nicht ausdrücklich – das Rangverhältnis (nachträglich) kumulierender Vorhaben hinsichtlich ihrer UVP-Pflicht einfachgesetzlich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster zu kumulierenden FFH-Vorhaben geregelt. Bei Vollständigkeit der Prüfunterlagen des früheren Vorhabens ergibt sich für dieses eine materiell-rechtliche Vorrangwirkung unmittelbar aus § 12 Abs. 2 UVPG. Auf die Auswirkungen des zeitlich nachrangigen Vorhabens kommt es für die UVP-Pflicht des früheren Vorhabens nicht mehr an. Die Vorschrift des § 12 Abs. 2 UVPG normiert damit für den Fall der sog. nachträglichen Kumulation ein an die Vollständigkeit der Prüfunterlagen anknüpfendes Prioritätsprinzip. Anders sieht es hingegen dann aus, wenn die Vollständigkeit der Prüfunterlagen nicht gegeben ist. In diesen Fällen sind die kumulierenden Wirkungen des früher und später beantragten Vorhabens zusammengenommen zur Bestimmung der UVP-Pflicht maßgeblich (§ 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 UVPG). 2. Keine Übertragbarkeit des Regelungsgehalts des § 12 Abs. 2 UVPG auf die Kumulation stickstoffemittierender Projekte Aus der Vergleichbarkeit des in § 12 Abs. 2 UVPG geregelten Falles der sog. nachträglichen Kumulation mit der Lösung der Rechtsprechung zur FFH-Kumulation rührt zugleich auch die Kritik an einer rein prioritären Vorrangregelung her, wie sie § 12 Abs. 2 UVPG vorsieht. Die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster, welche für die Vorrangstellung bei parallelen Genehmigungsverfahren ausschließlich an die zeitlich prioritäre Einreichung prüffähiger Antragsunterlagen anknüpft, ist bereits kritisiert worden31 und soll daher nur in gebotener Kürze zusammengefasst werden: Das Prioritätsprinzip ist insbesondere für solche Verfahren, an deren Ende ein gebundener Zulassungsanspruch steht, als alleiniges Kriterium bereits aufgrund einfachgesetzlicher Wertungen ausgeschlossen. Hierzu zählt auch das immissionsschutzrechtliche Zulassungsverfahren. So ist es weder mit dem Gebot der zügigen Verfahrensführung noch mit dem Koordinierungsgebot aus § 10 Abs. 5 S. 2 BImSchG vereinbar. Vornehmlich sind es aber grundrechtliche Erwägungen, die gegen eine rein an zeitlicher Priorität ausgerichtete Rangfolge sprechen32. Die Verteilungskriterien müssen der Bedeutung der Grundrechte Rechnung tragen, zu denen sie einen Zugang vermitteln sollen. Notwendig ist ein sachangemessener Zusammenhang zwischen den gewählten Zuteilungskriterien und den berührten Freiheitsrechten. Dabei gilt, dass die Anforderungen an die Zumutbarkeit der Auswahlkriterien mit der Bedeutung des Verteilungsgutes für die persönliche Lebensführung steigen33. Denjenigen, den bei fehlender Knappheit ein Abwehranspruch gegen die Verknappung zustünde, 31 32 33

Siehe hierzu Kap. 2. Siehe hierzu und im Folgenden bereits oben 2. Kap. B. II. M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 87.

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5. Kap.: Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte

gebührt eine faire Chance auf Grundrechtswahrnehmung34. Chancenoffenheit setzt voraus, dass die Bewerber die Zuteilungskriterien nach Möglichkeit durch eigenes Zutun erfüllen können35. Nicht zuletzt die Verteilung nach Priorität ist indes teilweise vom Zufall abhängig. So kann die Zulassung von inneren Verwaltungsabläufen abhängig sein36. Gerade vielschichtige Interessenkonflikte lassen sich daher mit rein formalen Kriterien kaum sachgerecht lösen37. Vielmehr sollten wertende Kriterien in diesen Konstellationen den Vorzug genießen. Der Ansatz des § 12 Abs. 2 UVPG mit dem Kriterium der zeitlichen Priorität ist daher mangels Sachgerechtigkeit nicht ohne weiteres auf die Kumulation stickstoffemittierender Projekte nach § 34 Abs. 1 BNatSchG übertragbar38.

III. Die Kombination materieller und formeller Kriterien in Landeswassergesetzen als Lösungsansatz für vielschichtige Verteilungssituationen Eine Rechtsmaterie, die explizite Entscheidungsregeln für Konkurrenzen bei der Inanspruchnahme von Umweltmedien vorsieht, ist das Wasserrecht. Dort finden sich insbesondere in einigen Landeswassergesetzen Entscheidungsregelungen für das Zusammentreffen mehrerer Genehmigungsanträge, die sich gegenseitig ausschließen39. Gegebenenfalls könnten diese Entscheidungsregeln auch für einen Lösungsansatz der Kumulation stickstoffemittierender Anlagen fruchtbar gemacht werden. Dabei ähneln sich die Vorschriften in ihrer Grundstruktur: Sie sehen regelmäßig eine Auswahl anhand von Allgemeinwohlbelangen vor. Dieses materielle Auswahlkriterium wird in einigen Vorschriften um formelle Entscheidungskriterien ergänzt. Bei Zusammenkommen mehrerer Kriterien sind diese gewöhnlich in ein gestuftes Prüfprogramm eingepasst, wobei den materiellen Kriterien stets Vorrang gebührt. Zur Veranschaulichung dieser Entscheidungsregeln soll stellvertretend die bayerische Lösung in Art. 68 BayWG einer eingehenderen Darstellung unterzogen werden. 34

M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 87. BVerfG, Urt. v. 8.2.1977 – 1 BvF 1/76, BVerfGE 43, 291 (317); M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 87. 36 Vgl. J. Friedrich/I. Heesen, UPR 2013, S. 415 (419). 37 Vgl. M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (69). 38 Auch das Bundesverwaltungsgericht lehnt im Übrigen eine aus der Parallele zu § 12 Abs. 2 UVPG ableitbare Vorrangstellung durch Einreichung prüffähiger Unterlagen ab. Der durch § 12 Abs. 2 UVPG vermittelte verfahrensrechtliche Schutz des früheren Vorhabens sei nicht auf die materiell-rechtliche Frage übertragbar, inwieweit andere Vorhaben in die Kumulationsprüfung einzustellen seien, siehe BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019 Rn. 29. 39 Beispielsweise § 9 SächsWG; § 4 NWG; § 122 SHWG; § 94 Wassergesetz BW; Art. 68 BayWG. 35

A. Ansätze in der Literatur und sachverwandten Rechtsmaterien

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1. Die Entscheidungsregel des Art. 68 BayWG Art. 68 BayWG sieht ein gestuftes Prüfverfahren vor. Der Wortlaut des Art. 68 BayWG lautet: Art. 68 Zusammentreffen mehrerer Erlaubnis- oder Bewilligungsanträge 1 Treffen mehrere Erlaubnis- oder Bewilligungsanträge zusammen, die sich gegenseitig ausschließen, so entscheidet zunächst die Bedeutung der beabsichtigten Benutzung für das Wohl der Allgemeinheit unter besonderer Berücksichtigung der wasserwirtschaftlichen Auswirkungen. 2Stehen mehrere beabsichtigte Benutzungen hiernach einander gleich, so gebührt zunächst dem Antrag der das Gewässereigentum innehabenden Person, sodann demjenigen Antrag der Vorzug, der zuerst gestellt wurde. 3Soweit durch Vertrag oder förmlichen Bescheid eine Erlaubnis oder Bewilligung in Aussicht gestellt ist, darf sie Dritten nicht erteilt werden, es sei denn, dass die durch die Inaussichtstellung begünstigte Person zustimmt. 4Nach Einleitung des Anhörungsverfahrens werden neue Erlaubnis- oder Bewilligungsanträge in demselben Verfahren nicht mehr berücksichtigt.

Der Anwendungsbereich des § 68 BayWG ist eröffnet, wenn „der zuständigen Wasserrechtsbehörde mehrere Anträge auf Bewilligung oder Erlaubnis einer Gewässerbenutzung vorliegen, die sich völlig oder teilweise, räumlich oder gegenständlich gegenseitig ausschließen.“40 Die Anträge schließen sich dann nicht mehr aus, wenn sich die Gewässerbenutzungen aufgrund von Auflagen oder Bedingungen vereinbaren lassen41. Die Vorschrift des Art. 68 BayWG bringt diese Voraussetzung, die gewissermaßen eine Vorfrage für die Anwendbarkeit der Entscheidungsregel darstellt, im Gegensatz zu anderen landeswasserrechtlichen Vorschriften42 nicht explizit zum Ausdruck; allerdings besteht ein grundsätzliches behördliches Interesse, möglichst vielen Antragstellern die Ausübung ihrer grundrechtlichen Freiheiten zu ermöglichen, weshalb einem solchen Hinweis ohnehin wohl nur ein deklaratorischer Charakter zuzuschreiben wäre. Voraussetzung für die Annahme konkurrierender Anträge im Sinne des Art. 68 BayWG ist weiter, dass diese „Angaben zu Zweck, Art, Maß und Ort der Benutzung“ enthalten43. Die bloße Beabsichtigung der Antragstellung ist nicht ausreichend44. Ferner bestimmt § 68 S. 4 BayWG die Zeitspanne, in der die Anträge zusammen-

40

M. Ell, in: U. Drost/M. Ell (Hrsg.), Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II: Bayerisches Wassergesetz, Art. 68 BayWG (2015), Rn. 5. 41 M. Ell, in: U. Drost/M. Ell (Hrsg.), Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II: Bayerisches Wassergesetz, Art. 68 BayWG (2015), Rn. 5. 42 Siehe exemplarisch § 9 S. 1 SächsWG, § 4 S. 1 NWG, § 122 S.1 SHWG, § 94 Abs. 1 Wassergesetz BW. 43 M. Ell, in: U. Drost/M. Ell (Hrsg.), Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II: Bayerisches Wassergesetz, Art. 68 BayWG (2015), Rn. 5. 44 M. Ell, in: U. Drost/M. Ell (Hrsg.), Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II: Bayerisches Wassergesetz, Art. 68 BayWG (2015), Rn. 5.

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5. Kap.: Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte

treffen müssen, um der Entscheidungsregel des § 68 BayWG zu unterfallen45. Danach werden ab Einleitung des Anhörungsverfahrens keine neuen Anträge mehr berücksichtigt. Bei der Entscheidung nach Art. 68 BayWG handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine bloße, nicht anfechtbare, „verfahrenslenkende Maßnahme der Wasserrrechtsbehörde“ (vgl. § 44a VwGO)46. Die Behörde trifft keine verbindliche Sachentscheidung, sondern entscheidet erst mit den abschließenden Bescheiden über die Auflösung der Konkurrenzfrage47. Die Vorschrift des § 68 BayWG kombiniert in ihrer Entscheidungsregel bei Zusammenkommen mehrerer Anträge materielle und formelle Kriterien. Dabei genießen die materiellen Kriterien Vorrang. So entscheidet zunächst die Bedeutung der beabsichtigten Benutzung für das Wohl der Allgemeinheit unter besonderer Berücksichtigung der wasserwirtschaftlichen Auswirkungen über den Vorrang eines Vorhabens. Aus der Hervorhebung der „wasserwirtschaftlichen Auswirkungen“ folgt, dass dem Vorhaben, welches den größten wasserwirtschaftlichen Nutzen oder den geringsten Schaden bringt, Vorrang gebührt, wenn der Nutzen der zusammenkommenden Vorhaben für das Wohl der Allgemeinheit gleich ist48. Die Wasserrechtsbehörde „hat […] die betroffenen öffentlichen Belange festzustellen und zu gewichten.“49 Hierzu können neben den wasserwirtschaftlichen Auswirkungen unter anderem Belange des Naturschutzes und des Landschaftsschutzes, aber auch des Denkmalschutzes zählen, sofern sie tatsächlich betroffen sind50. Auch Erhaltungsziele von Natura 2000-Gebieten können in diesem Zusammenhang einzustellen sein, wenn beispielsweise Wasserkraftanlagen in einem Natura 2000-Gebiet errichtet werden sollen51. Es handelt sich bei der Auswahlentscheidung „um eine Prognoseentscheidung mit planerischem Einschlag.“52 Sind zwei oder mehrere beantragte Gewässerbenutzungen in ihrer Bedeutung für das Wohl der Allgemeinheit unter besonderer Berücksichtigung der wasserwirtschaftlichen Auswirkungen absolut gleichwertig, wird derjenige Antragsteller gem. 45 M. Ell, in: U. Drost/M. Ell (Hrsg.), Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II: Bayerisches Wassergesetz, Art. 68 BayWG (2015), Rn. 7. 46 Siehe hierzu umfassend VGH München, Urt. v. 2.2.2010 – 8 BV 08.1113, BayVBl. 2011, S. 143 Rn. 49; so auch M. Ell, in: U. Drost/M. Ell (Hrsg.), Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II: Bayerisches Wassergesetz, Art. 68 BayWG (2015), Rn. 17 b: „Diese Auswahlentscheidung ist eine behördliche Verfahrensentscheidung im Sinn von § 44a VwGO und damit nicht selbständig anfechtbar“. 47 VGH München, Urt. v. 2.2.2010 – 8 BV 08.1113, BayVBl. 2011, S. 143 Rn. 49. 48 M. Ell, in: U. Drost/M. Ell (Hrsg.), Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II: Bayerisches Wassergesetz, Art. 68 BayWG (2015), Rn. 8. 49 VGH München, Urt. v. 2.2.2010 – 8 BV 08.1113, BayVBl. 2011, S. 143 Rn. 55. 50 Vgl. VGH München, Urt. v. 2.2.2010 – 8 BV 08.1113, BayVBl. 2011, S. 143 Rn. 55; M. Ell, in: U. Drost/M. Ell (Hrsg.), Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II: Bayerisches Wassergesetz, Art. 68 BayWG (2015), Rn. 13 f. 51 M. Ell, in: U. Drost/M. Ell (Hrsg.), Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II: Bayerisches Wassergesetz, Art. 68 BayWG (2015), Rn. 13. 52 VGH München, Urt. v. 2.2.2010 – 8 BV 08.1113, BayVBl. 2011, S. 143 Rn. 56.

A. Ansätze in der Literatur und sachverwandten Rechtsmaterien

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Art. 68 S. 2, 1. Hs. BayWG privilegiert, der auch Gewässereigentümer ist. Erst wenn eine Differenzierung sowohl auf Grundlage des Wohls der Allgemeinheit unter besonderer Berücksichtigung wasserwirtschaftlicher Belange als auch aufgrund von Eigentümerpositionen nicht möglich ist, kommt gewissermaßen als ultima-ratio das Prioritätsprinzip gem. Art. 68 S. 2, 2. Hs. BayWG dergestalt zur Anwendung, dass dem zeitlich früher bei der verfahrensführenden Behörde eingegangen Antrag Vorrang gebührt. 2. Übertragung der Entscheidungsregel des Art. 68 BayWG auf die Kumulation stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung Die in den Landeswassergesetzen und speziell in Art. 68 BayWG enthaltenen Entscheidungsregeln bieten sich von allen bisher vorgestellten Lösungsansätzen am besten für eine Übertragung auf die Kumulation stickstoffemittierender Projekte an. So setzt der rechtliche Maßstab für die Kumulationsentscheidung materiell Verteilungskriterien voraus, die in Ansehung der durch die Zuteilungsentscheidung berührten Freiheitsräume sachgerecht sind53. Hierzu bedarf es eines sachangemessenen Zusammenhangs zwischen den gewählten Zuteilungskriterien und den berührten Freiheitsrechten54. Dies setzt nicht zuletzt voraus, dass die Verteilungskriterien zumutbar, das heißt beeinflussbar sind. Gerade vielschichtige Interessenkonflikte wie die Kumulation mitsamt den materiellen Interessen der Projektträger sowie dem öffentlichen Interesse an einem effektiven Umwelt- und Biodiversitätsschutz lassen sich daher nicht sachgerecht mit rein formalen Kriterien lösen55. Eine Regelung im Sinne des Art. 68 BayWG würde diesem Anspruch indes gerecht werden, indem sie materielle und formelle Kriterien kombiniert. Dabei bietet sich zunächst eine Übertragung des gestuften Prüfverfahrens des Art. 68 BayWG auf die Kumulation an. Das priorisierte materielle Kriterium des Allgemeinwohlnutzens lässt eine Abwägung unter Berücksichtigung sachbezogener öffentlicher Belange zu. Die Projektträger wiederum können die Abwägung zu ihren Gunsten durch Berücksichtigung der jeweils entscheidenden Belange in ihrer eigenen Planung beeinflussen, womit die aufgrund der Grundrechtssensibilität der Kumulation verlangte Chancenoffenheit der Kriterien gewahrt wäre. Zusätzlich würde die auf zweiter Entscheidungsstufe angewandte Eigentümerprivilegierung auch dem eigentumsrechtlichen Individualinteresse gerecht werden. Erst auf letzter Stufe würde der 53 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 87; für den unionsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 20 GRC F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 107. 54 M. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S. 87. 55 Vgl. M. Kloepfer/S. Reinert, Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: C. F. Gethmann/M. Kloepfer/S. Reinert (Hrsg.), Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 47 (69).

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5. Kap.: Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte

Zeitpunkt der Antragstellung priorisiert, sofern die vorherig anzuwendenden Kriterien keine Entscheidung herbeiführen konnten. Dem formellen Kriterium zeitlicher Priorität kommt daher lediglich eine subsidiäre Komplementärfunktion in der Entscheidungsfindung zu. Aus der Regelung des Art. 68 BayWG lässt sich zudem der Ansatz eines in der Abwägung priorisierten Belangs übertragen. Während nämlich Art. 68 BayWG bei gleichem Nutzen paralleler Anträge für das Wohl der Allgemeinheit eine Entscheidung unter besonderer Berücksichtigung der wasserwirtschaftlichen Auswirkungen der konkurrierenden Anträge herbeiführt, ließen sich angesichts des Regelungszwecks der FFH-Richtlinie und der §§ 31 ff. BNatSchG die Auswirkungen eines Projektes auf den Arten- und Habitatschutz betonen. Dadurch würde auch dem Gebot der effektiven Umsetzung des Unionsrechts (Art. 4 Abs. 3 EUV) Rechnung getragen, wonach die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen ergreifen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Darüber hinaus ist der Belang des Arten- und Habitatschutzes den Projektträgern auch zumutbar; er kann in die Projektplanung eingestellt werden und ist insofern – wie für zumutbare Kriterien verlangt – auch beeinflussbar. Angesichts des für die Kumulationsentscheidung geltenden Parlamentsvorbehalts, welcher eine Entscheidungsregel in Grundzügen verlangt, wäre zudem eine ähnlich dem Art. 68 BayWG konzipierte Entscheidungsregel notwendig. Vorzugshalber wäre eine solche Entscheidungsregel in das BNatSchG unter Ergänzung des § 34 BNatSchG einzuführen. Auf diese Weise ließen sich über den Wirkfaktor „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag“ hinaus auch andere Wirkfaktoren in eine etwaige Konfliktlösung einstellen. Einer grundlegenden Abweichung zu Art. 68 BayWG bedarf es allerdings: So sollte der zeitliche Anwendungsbereich einer Entscheidungsregel – wie ihn Art. 68 S. 4 BayWG definiert – in Bezug auf stickstoffemittierende Projekte gesondert geregelt werden. Während Art. 68 BayWG in seinem Anwendungsbereich nämlich auf das wasserrechtliche Genehmigungsverfahren beschränkt ist, ist die Kumulation ein unselbständiger Bestandteil des jeweils anzuwendenden Trägerverfahrens. Eine Regelung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Verteilungsregel in § 34 BNatSchG würde den unterschiedlichen Trägerverfahren kaum gerecht werden und könnte zu verfahrenstechnischen Friktionen führen. Es bedarf insofern hinsichtlich der Auswirkungen von Stoffeinträgen einer wirkfaktorspezifischen Regelung, die auf das jeweils anwendbare Trägerverfahren zugeschnitten ist bzw. sich in dieses einpasst. Angesichts des in dieser Arbeit gewählten Zuschnitts auf das immissionsschutzrechtliche Verteilungsverfahren könnte eine Regelung des zeitlichen Anwendungsbereichs beispielsweise in die TA Luft Einzug halten. Daneben bietet sich im Sinne eines umfassenden Regelungsansatzes eine Verortung von Vorschriften zum räumlichen Anwendungsbereich der Kumulation stickstoffemittierender Anlagen sowie zu etwaigen Bagatell- und Irrele-

B. Regelungsvorschläge für die Kumulation stickstoffemittierender Anlagen

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vanzschwellen in der TA-Luft an, so wie es die Referentenentwürfe aus dem Jahr 2016 und 2018 vorsahen bzw. vorsehen56.

IV. Zwischenergebnis Sowohl eine Lösung anhand des Gebots der wechselseitigen Rücksichtnahme als auch eine dem § 12 Abs. 2 UVPG vergleichbare Vorrangregelung nach Maßgabe zeitlicher Priorität sind für eine Übertragung auf die Kumulation stickstoffemittierender Anlagen nicht ergiebig. Erstere scheitert am Erfordernis einer aufgrund des Parlamentsvorbehalts geforderten Entscheidungsregel in Grundzügen, letztere bietet vor dem Hintergrund des hier in Rede stehenden Verteilungsgutes kein sachgerechtes und zumutbares Verteilungskriterium. Die meisten Anknüpfungspunkte für eine mögliche Auflösung des Verteilungsproblems der Kumulation stickstoffemittierender Anlagen liefert indes das mit dem Anlagenzulassungsrecht eng zusammenhängende Wasserrecht. Es bietet sich daher an, § 34 BNatSchG um ein gestuftes Entscheidungsverfahren zu ergänzen, welches dem Art. 68 BayWG ähnlich ist. Ebenso wie bei Art. 68 BayWG sollten dabei vorrangig materielle und erst nachgeordnet formelle Kriterien angewendet werden. Auf diese Weise ließe sich eine dem Verteilungsgegenstand umweltrezeptorabhängiger Schadstoffaufnahmekapazitäten sachgerechte und für die Projektträger zumutbare Regelung finden.

B. Regelungsvorschläge für die Kumulation stickstoffemittierender Anlagen im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren: Die Auflösung des Verteilungsproblems umweltrezeptorabhängiger Schadstoffaufnahmekapazitäten Der nachfolgende Regelungsvorschlag auf Grundlage der vorstehenden Maßstabbildung (4. Kapitel) sowie der Auswertung in Frage kommender Lösungsvorschläge bezieht sich hinsichtlich seiner wirkfaktor- und verfahrensspezifischen Vorschriften vor allem auf das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren. Die Arbeit bietet damit für immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtige, stickstoffemittierende Anlagen einen umfassenden Regelungsansatz. Dieser Regelungsansatz beschränkt sich nicht auf eine Entscheidungsregel im BNatSchG (I.), sondern ergänzt die TA Luft um wirkfaktor- und verfahrensspezifische Vorschriften zum räumlichen Anwendungsbereich der Kumulation, zur Erheblichkeitsbewertung,

56

Siehe zu den beiden Referentenentwürfen bereits oben 1. Kap. B. IV. 2.

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5. Kap.: Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte

zum Einsatzzeitpunkt der Kumulation und zum zeitlichen Anwendungsbereich der Entscheidungsregel (II.).

I. Die Ergänzung des § 34 BNatSchG um eine wirkfaktorund verfahrensunabhängige Entscheidungsregel als Kombination materieller und formeller Verteilungskriterien Die Grundrechtssensibilität der Kumulation und der daraus resultierende Parlamentsvorbehalt verlangen, dass der Gesetzgeber die im Rahmen der Kumulation anzuwendende Verteilungsregel in Grundzügen vorgibt. Dabei sind Verteilungskonflikte nicht auf den Wirkfaktor „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag“ begrenzt, sondern können im Zusammenhang mit jeglichen für die FFH-Verträglichkeitsprüfung relevanten Wirkfaktoren auftreten. Im Interesse eines möglichst weiten Anwendungsbereichs ist die Verteilungsregel daher wirkfaktor- und verfahrensunabhängig zu erlassen, weshalb sich als Regelungsort die nationalen Umsetzungsvorschriften des FFH-Rechtsregimes in den §§ 31 ff. BNatSchG anbieten. Konkret könnte die Vorschrift des § 34 BNatSchG, welche die FFH-Verträglichkeitsprüfung normiert, um einen weiteren Absatz mit der entsprechenden Verteilungsregel zu ergänzen sein. Gemäß dem Befund des vorangegangenen Kapitels sollte sich eine Entscheidungsregel für die Kumulation an den in den Landeswassergesetzen zu findenden Entscheidungsregeln bei Zusammentreffen mehrerer Genehmigungsanträge orientieren. Exemplarisch wurde Art. 68 BayWG vorgestellt, welcher ein gestuftes Entscheidungsregime enthält, bei dem zuvörderst materielle Kriterien („Wohl der Allgemeinheit unter besonderer Berücksichtigung der wasserwirtschaftlichen Auswirkungen“; Eigentümerprivileg) und erst als ultima-ratio-Kriterium die zeitliche Priorität der Antragstellung anzuwenden sind57. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben kommt als mögliche Entscheidungsregel daher die folgende in Betracht: 1

Treffen mehrere Erlaubnis- oder Bewilligungsanträge zusammen, die sich gegenseitig ausschließen, so entscheidet zunächst die Bedeutung des beabsichtigten Projektes für das Wohl der Allgemeinheit unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen auf den Habitat- und Artenschutz. 2Stehen mehrere beabsichtigte Projekte hiernach einander gleich, so gebührt zunächst dem Antrag desjenigen Projektträgers Vorrang, dessen Eigentumsnutzung durch die aufgrund der Kumulationsentscheidung ergehende Genehmigungsversagung betroffen wäre. 3Sodann gebührt demjenigen Antrag der Vorzug, der zuerst gestellt wurde. 4Zusammentreffende Bewilligungs- oder Erlaubnisanträge können nur solche sein, die bereits hinreichend verfestigt sind, das heißt, deren Auswirkungen bereits verlässlich absehbar sind.

57

Siehe bereits ausführlich zu Art. 68 BayWG 5. Kap. A. III. 1.

B. Regelungsvorschläge für die Kumulation stickstoffemittierender Anlagen

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Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift wäre im Falle stickstoffemittierender Projekte danach immer dann eröffnet, wenn die Kumulationsprüfung ergäbe, dass die kumulierenden Wirkungen der einzustellenden Projekte den für den jeweiligen Lebensraumtyp ermittelten Critical Load übersteigen. Bei der sich dann anschließenden Prüfung ist gemäß dieser Regelung primär auf die Bedeutung der beabsichtigten Nutzung für das Wohl der Allgemeinheit abzustellen. Ähnlich wie bei Art. 68 BayWG können danach unterschiedliche öffentliche Belange, die je nach Einzelfallprüfung unterschiedlich ausfallen können, in die Prüfung einzustellen sein. Bei der Ermittlung und Bestimmung der öffentlichen Belange sollte der verfahrensführenden Behörde wie im Rahmen des Art. 68 BayWG ein weiter Beurteilungsspielraum zukommen. Die Herausstellung der „besonderen Berücksichtigung der Auswirkungen auf den Arten- und Habitatschutz“ verlangt, dass derjenige Antrag bevorzugt zu behandeln ist, der den größten arten- und habitatschutzrechtlichen Nutzen oder den geringsten Schaden für diese Güter mit sich bringt, wenn die Bedeutung der parallel beantragten Projekte für das Wohl der Allgemeinheit gleich ist. Auf diese Weise wird dem Gebot der effektiven Umsetzung des Unionsrechts (Art. 4 Abs. 3 EUV) Rechnung getragen, indem der Schutzzweck „Biodiversität“ der FFHRichtlinie in der Abwägung besonders zu gewichten ist. Zugleich wahrt ein solcher Entwurf die Chancenoffenheit der Verteilungsentscheidung. Das wertende Kriterium des Nutzens für die Allgemeinheit unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen auf den Arten- und Habitatschutz ermöglicht den Projektträgern, bereits im Rahmen ihrer eigenen Planung derartige Belange einzustellen und die Auswirkungen zu reduzieren, um ihre Genehmigungsaussichten zu erhöhen. Über Satz 2 des Regelungsvorschlags würde zudem das aus Art. 14 Abs. 1 GG folgende Individualinteresse der Eigentumsnutzung Einzug in die Entscheidungsregel der Kumulation finden. Die Schutzgebietsanordnungen der Natura 2000-Gebiete können als Inhalts- und Schrankenbestimmungen den jeweiligen Eigentumsbestand eines Grundstückseigentümers bestimmen. Sie legen die Erhaltungsziele für ein Gebiet fest58 und treffen Regelungen zum Gebietsmanagement59. Dabei können auch außerhalb der Schutzgebiete liegende Grundstücke betroffen sein. Die in Satz 2 enthaltene Privilegierung der Eigentumsposition gegenüber anderen Individualinteressen trägt dieser Betroffenheit Rechnung. Nach der auf der ersten Stufe erfolgten Bewertung der Projekte vor dem Hintergrund des öffentlichen Interesses werden nunmehr auch Individualinteressen in die Entscheidung eingestellt und die Grundrechtssensibilität der Kumulation berücksichtigt. Dieser Ansatz trägt zur Ausge58

Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Ausweisung besonderer Schutzgebiete, 2012, S. 5, abrufbar unter file:///C:/Users/49176/Documents/Dissertation/Summa tion/Literatur/Dokumente/Vermerk%20EU%20Kommission_2012.pdf (Stand: 25. März 2019); BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20.05, BVerwGE 128, 1 Rn. 75; F. Niederstadt, NVwZ 2008, S. 126 (127); Nachweise so bei S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 32 Fn. 197. 59 S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 80, 98 ff.; K. v. Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, 2005, S. 306.

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5. Kap.: Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte

wogenheit der Verteilungsentscheidung in Bezug auf Individual- und öffentliche Interessen bei. Sollten weder die Orientierung am Nutzen für die Allgemeinheit unter besonderer Berücksichtigung des Arten- und Habitatschutzes noch das Eigentümerprivileg zu einer eindeutigen Entscheidung zwischen den parallelen Projektanträgen führen, genießt gem. Satz 3 des Regelungsentwurfs derjenige Antrag Vorrang, der zuerst gestellt wurde. Satz 3 sieht insofern als ultima-ratio-Kriterium eine Entscheidung nach Maßgabe des Prioritätsprinzips vor. Dieses formelle Entscheidungskriterium ist auf der dritten Prüfungsstufe deshalb sachgerecht, weil das Interesse an Rechtssicherheit nach einer ergebnislosen materiellen Abwägung nunmehr überwiegt und der Anwendung des Prioritätsprinzips im Gegensatz zum Rechtsprechungsansatz eine Abwägung anhand wertender Kriterien vorausgeht. Die vorgestellte Entscheidungsregel kombiniert folglich materielle und formelle Kriterien nach dem Vorbild bereits bestehender Entscheidungsregeln der Landeswassergesetze, wie z. B. Art. 68 BayWG. Dadurch ermöglicht sie der verfahrensführenden Behörde eine ausgewogene Abwägung der im Zusammenhang mit der Kumulation bestehenden Rechtspositionen. Mit der bloßen Entscheidungsregel ist indes noch nicht gesagt, wann sachlich von zusammentreffenden Erlaubnis- und Bewilligungsanträgen ausgegangen werden kann. Aus diesem Grunde schreibt Satz 4 dieses Regelungsentwurfs vor, dass lediglich hinreichend verfestigte Projekte der Entscheidungsregel unterfallen. Diese sachliche Begrenzung geht auf die Trianel-Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster zurück. In dieser sah das Gericht zur Erlangung einer Vorrangstellung in der Kumulation nach Maßgabe des Prioritätsprinzips den Zeitpunkt als erheblich an, „in dem der Genehmigungsbehörde ein prüffähiger Antrag vorliegt. Denn ab diesem Zeitpunkt sind die Auswirkungen des Vorhabens hinreichend konkret vorhersehbar.“60 Zwar wurde an anderer Stelle bereits konstatiert, dass die Erlangung der Vorrangstellung einzig nach Maßgabe zeitlicher Priorität abzulehnen ist61; dennoch lässt sich der Gedanke hinreichend konkret vorhersehbarer Auswirkungen auf die Frage der zusammentreffenden Bewilligungs- und Erlaubnisanträge übertragen. Danach sollen nur solche Anträge von der Entscheidungsregel erfasst sein, deren Auswirkungen bereits hinreichend konkret vorhersehbar sind. Die Regelung in Satz 4 hat den Vorteil, dass die bloße Antragstellung zur Kontingentsicherung durch die Projektträger ausgeschlossen wäre. Vielmehr bedarf es eines Antrags, aus dem die Auswirkungen des Projekts bereits hinreichend absehbar hervorgehen. Dadurch würde einer befürchteten „Antragswelle“ vorgebeut, die dem vielbeschworenen „Windhundrennen“ entspräche. Des Weiteren würde eine solche Regelung wirkfaktor- und verfahrensunabhängig für alle Projekte gelten. Auch stickstoffemittierende Projekte, die nicht dem Anlagenzulassungsrecht des Immissionsschutzrechts unterfielen (Verkehrswegeplanung, Planung von Flughäfen, etc.), 60 61

OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 632. Siehe oben 2. Kap.

B. Regelungsvorschläge für die Kumulation stickstoffemittierender Anlagen

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wären von dieser Regelung umfasst. Im Übrigen lässt sie den jeweiligen Fachrechten die Möglichkeit, eigenständig einfachgesetzlich zu bestimmen, ab wann ein Projekt prüffähig bzw. als hinreichend verfestigt angesehen werden kann. Fachrechtliche Besonderheiten können somit Berücksichtigung finden. Zuletzt geht mit der Begrenzung auf hinreichend verfestigte Projekte eine verringerte Zahl der in die Kumulation einzustellenden Projekte einher. Dies reduziert die Komplexität der Entscheidungsregel und wahrt deren Praktikabilität.

II. Wirkfaktor- und verfahrensspezifische Regelungen für immissionsschutzrechtliche Anlagen durch Ergänzung der TA Luft Der hier vorgestellte umfassende Regelungsvorschlag dringt nach bislang wirkfaktor- und verfahrensunabhängigen nun in einen wirkfaktor- und verfahrensspezifischen Regelungsbereich vor und verengt den Blick damit auf die Handhabung kumulierender stickstoffemittierender Anlagen in der FFH-Verträglichkeitsprüfung. Hier sind Fragestellungen maßgeblich, die teilweise bereits an anderer Stelle angeklungen sind: Wie ist der räumliche Anwendungsbereich zu bestimmen62 und bedarf es neben der intensitätsbezogenen auch einer flächenbezogenen Bagatellschwelle? Worin liegt der Einsatzzeitpunkt der Kumulation bzw. wie weit darf diese zurückreichen63? Wann sind immissionsschutzrechtliche Anlagen hinreichend verfestigt? Diese Fragen beziehen sich nicht mehr unmittelbar auf den Entwurf einer allgemeinen Entscheidungsregel unter Ergänzung des § 34 BNatSchG. Sie sind vielmehr wirkfaktor- und verfahrensspezifisch zu beantworten. So ist beispielsweise in Bezug auf den räumlichen Anwendungsbereich der Kumulation zu bedenken, dass die Verbreitungswirkungen bzw. Wirkpfade der in der FFH-Verträglichkeitsprüfung relevanten Wirkfaktoren – insbesondere von luftgetragenen Stoffeinträgen – nicht identisch, sondern individuell, mithin wirkfaktorabhängig zu bestimmen sind. Dem muss auch ein entsprechender Regelungsentwurf gerecht werden. Die TA Luft als Regelungswerk, welches gem. Nr. 1 TA Luft dem Schutz der Allgemeinheit und Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen und der Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen dient, stellt aus sachlicher Perspektive für derart spezifische Regelungen in Bezug auf den Wirkfaktor „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag“ einen grundsätzlich geeigneten Regelungsort dar. Sämtliche nach der 4. BImSchV genehmigungspflichtigen Anlagen unterfielen auf diese Weise den für Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung spezifischen Regelungen. Dieser Auffassung ist auch der Verordnungsgeber, wie die in TA Luft-Entwurf/2016 und 62

Die Frage des Untersuchungsraums der Kumulation wurde insbesondere im Zusammenhang mit der rechtlichen Rechtfertigung von unteren Abschneidekriterien kurz berührt. Siehe hierzu 1. Kap. B. IV. 2. b). 63 Siehe hierzu bereits oben 1. Kap. C. I.

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5. Kap.: Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte

TA Luft-Entwurf/2018 vorgesehenen Regelungen zu Schwefel- und Stickstoffdepositionen in Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung dokumentieren64. Zugegebenermaßen erfasst der Regelungsort der TA Luft nicht alle stickstoffemittierenden Projekte65. So würden zwar die maßgeblich zur luftgetragenen Nährstoffbelastung beitragenden Projekte wie Verbrennungs- oder Tierhaltungsanlagen, die im immissionsschutzrechtlichen Zulassungsverfahren genehmigt werden, berücksichtigt; andere Projekte, wie der Verkehrswegebau oder die Planung von Flughäfen hingegen nicht66. Dennoch: Der Anwendungsbereich der TA Luft umfasst mit den nach der 4. BImSchV genehmigungspflichtigen Anlagen einen so wesentlichen Teil der stickstoffemittierenden Projekte, dass Regelungen zu den oben aufgeworfenen Fragen in der TA Luft einen lohnenswerten Anfang für die Handhabung derartiger Projekte in der Kumulation darstellen würden. Für die nicht erfassten stickstoffemittierenden Projekte ist gegebenenfalls über eine Geltungsanordnung der entsprechenden TA Luft-Regelungen in dem jeweiligen Fachrecht nachzudenken. So ließe sich verfahrensübergreifend für alle stickstoffemittierenden Projekte ein allgemeingültiger Ansatz erreichen. In der Sache behandelt sowohl der TA Luft-Entwurf/2018 als auch der TA LuftEntwurf/2016 die meisten der eingangs aufgeworfenen Fragen. Es lohnt sich daher, etwaige Neuregelungen bezüglich der rechtlichen Handhabung kumulierender Stickstoffeinträge am Maßstab dieser Regelungsvorschläge zu diskutieren oder womöglich an diese anzulehnen. Dabei ist auch unerheblich, dass der TA LuftEntwurf/2016 letztlich wieder verworfen wurde. Die dort unterbreiteten Vorschläge sind deshalb nicht weniger diskussionswürdig. Insofern wird im Folgenden unter Hinweis auf die jeweilige Problemstellung insbesondere auf die Inhalte dieser Referentenentwürfe und ihre Unterschiede eingegangen. 1. Räumlicher Anwendungsbereich der Kumulation stickstoffemittierender Anlagen Aus Verhältnismäßigkeitserwägungen findet sich in § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG eine „Geringfügigkeitsschwelle“67: Erst eine erhebliche Beeinträchtigung verlangt eine vollumfängliche FFH-Verträglichkeitsprüfung. Aus dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit folgt zugleich, dass der Untersuchungsraum einer FFH-Verträglichkeitsprüfung unter Umständen zu begrenzen ist68. Der Ermittlungsaufwand einer FFH-(Vor-)Verträglichkeitsprüfung und der damit verbundene Verwaltungs- und 64

Siehe Anhang 8 dieser Regelungsentwürfe. Vgl. M. Gellermann, NuR 2016, S. 225 (226). 66 M. Gellermann, NuR 2016, S. 225 (226). 67 GAin E. Sharpston, Schlussanträge v. 22.11.2012 – C-258/11, ECLI:EU:C:2012:743, Rn. 48; BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25.12, BVerwGE 149, 289 Rn. 48. 68 Siehe hierzu auch OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/13.AK, juris – Rn. 582: „Weder unter dem Gesichtspunkt der Wirkungsbezogenheit noch dem der Verhältnismäßigkeit kann der Untersuchungsraum räumlich unbegrenzt sein.“ 65

B. Regelungsvorschläge für die Kumulation stickstoffemittierender Anlagen

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Kostenaufwand darf das erforderliche Maß nicht überschreiten. Ein begrenzter Untersuchungsraum verringert den Ermittlungsaufwand des Projektträgers hinsichtlich etwaiger betroffener Natura 2000-Schutzgebiete oder kumulierender Projekte69. Eine reduzierte Zahl einzustellender Projekte reduziert die Komplexität der Kumulation und wahrt deren Verhältnismäßigkeit. Dies vorausgeschickt ist daher zu überlegen, auf welche Weise der räumliche Anwendungsbereich der Kumulation stickstoffemittierender Anlagen zu bestimmen ist. Beide Referentenentwürfe zur Novellierung der TA Luft sehen eine Begrenzung des räumlichen Anwendungsbereichs anhand von unteren Abschneidekriterien vor. Danach soll der Einwirkbereich und damit der Untersuchungsraum gem. Anhang 8 Abs. 1 Satz 2 der beiden Entwürfe „die Fläche um den Emissionsschwerpunkt, in der die Zusatzbelastung mehr als 0,3 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr beziehungsweise mehr als 0,3 kg Schwefel pro Hektar und Jahr beträgt“, ausmachen. Die konkrete Höhe eines Abschneidekriteriums ist letztlich eine Frage der Fachwissenschaft; das rechtliche Erfordernis eines reduzierten Untersuchungsraumes hingegen – wie aufgezeigt – nicht70. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bereits eindeutig für eine Höhe des Abschneidekriteriums von 0,3 kg N ha-1 a-1 ausgesprochen71. Den Referentenentwürfen ist daher bezüglich der Bestimmung des räumlichen Anwendungsbereichs zuzustimmen, weshalb eine solche Regelung im Sinne eines umfassenden Regelungsansatzes auch Einzug in eine Novellierung der TA Luft finden sollte. 2. Flächenbezogene Bagatellschwellen: Großzügigere Bagatellschwellen anhand der Ermittlung gradueller Funktionsbeeinträchtigungen von Lebensraumtypflächen Sowohl der TA Luft-Entwurf/2016 als auch der TA Luft-Entwurf/2018 sehen eine intensitätsbezogene Bagatellschwelle vor. Die Genehmigungsversagung ist danach ausgeschlossen „wenn der Jahresmittelwert des Immissionsbeitrags aller für die 69

Die Auswertung der Informationen zu anderen Plänen und Projekten in der Kumulation basiert auf der Zusammenführung von Bewertungsergebnissen aus unterschiedlichen Quellen. Selbst bei einer weitgehenden Vergleichbarkeit der FFH-Verträglichkeitsprüfungen stellt dies ein fachlich anspruchsvolles Unterfangen dar, weshalb der anzustrengende Ermittlungsaufwand in Abhängigkeit zur Zahl der einzustellenden Pläne und Projekte steigt. 70 Neben Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten folgt das rechtliche Erfordernis eines Abschneidekriteriums für Stickstoffeinträge insbesondere daraus, dass kleinste Depositionen dem Projektträger kaum zurechenbar bzw. von der Hintergrundbelastung abgrenzbar sein werden. Eine FFH-Verträglichkeitsprüfung ist allerdings erst dann durchzuführen, wenn sich aus der FFH-Vorprüfung ergibt, dass das prüfgegenständliche Projekt in der Lage ist, ein Natura 2000Gebiet erheblich zu beeinträchtigen. Folgt hieraus zwar kein strenges Kausalitätserfordernis, so muss demnach dennoch die Wahrscheinlichkeit bzw. die Gefahr bestehen, dass sich das prüfgegenständliche Projekte erheblich auf die Erhaltungsziele des Schutzgebiets auswirken wird. Siehe hierzu bereits oben § 1 B. IV. 2. b). 71 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Ls. 2 und Rn. 30 ff.

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5. Kap.: Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte

Kumulation maßgeblichen Vorhaben an den entsprechenden Beurteilungspunkten 3 Prozent des relevanten Depositionswerts nicht überschreitet“ (Anhang 8 Abs. 2 TA Luft-Entwurf/2018 bzw. Anhang 8 Abs. 2 S. 1 TA Luft-Entwurf/2016). Angesichts der breiten Akzeptanz intensitätsbezogener Bagatellschwellen für den Wirkfaktor „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag“ in Rechtsprechung72 und Fachwissenschaft73 ist eine solche Übernahme in die TA Luft nur folgerichtig74. Des Weiteren sollten aber auch flächenbezogene Bagatellschwellen75, die sich an den durch die Depositionen verursachten graduellen Funktionsbeeinträchtigungen von Lebensraumtypflächen orientieren, in die TA Luft eingeführt werden. Hinter flächenbezogenen Bagatellschwellen steht die Einsicht, dass aus Stickstoffeinträgen oberhalb intensitätsbezogener Bagatellschwellen nicht zwangsläufig ein vollständiger Verlust der Lebensraumtypfläche folgt76. Vielmehr kann auch lediglich ein Teil der erhaltungszielrelevanten Fläche betroffen sein77. Danach würde eine Überschreitung der intensitätsbezogenen Bagatellschwelle noch nicht zwangsläufig zur FFH-Unverträglichkeit eines Projektes führen, wenn die flächenbezogene Bagatellschwelle nicht überschritten ist78. Auf diese Weise könnten Belastungsgrenzen verschoben und einer größeren Zahl an Projekten die Zulassung ermöglicht werden. Flächenbezogene Bagatellschwellen würden das der Kumulation innewohnende Verteilungsproblem somit weiter entschärfen. Fraglich ist indes, wie flächenbezogene Bagatellschwellen ermittelt werden können. Regelmäßig wird in diesem Zusammenhang einer Übertragung der bei Lambrecht/Trautner formulierten, höchstrichterlich als „Orientierungswerte für die Einzelfallbeurteilung“79 anerkannten, Schwellenwerte auf Stickstoffeinträge vor72 Siehe BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5.08, BVerwGE 136, 291 Rn. 93 ff.; Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17.11, NuR 2014, S. 344 Rn. 62, 93; OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/ 13.AK, juris – Rn. 548; OVG Magdeburg, Urt. v. 8.6.2018 – 2 L 11/16, juris – Rn. 153. 73 Siehe R. Uhl u. a., Assessing impacts of nitrogen emissions on Natura 2000 sites in Germany, in: W. K. Hicks u. a. (Hrsg.), Nitrogen Deposition and Natura 2000 – Science and Practice in Determining Environmental Impacts, 2011, S. 44 (46 ff.); Kieler Institut für Landschaftsökologie (KIfL), Bewertung von Stickstoffeinträgen im Kontext der FFH-Verträglichkeitsstudie, 2008, S. 35 ff.; S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 216 ff.; a. A. S. Möckel, in: S. Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG. Gemeinschaftskommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 114 – 121, der die Anerkennung von Bagatellschwellen aufgrund praktischer Schwierigkeiten und des strengen Schutzgebots für Natura 2000-Gebiete ablehnt; ebenfalls kritisch, jedenfalls gegenüber Bagatellschwellen, die generalisierend Zusatzbelastungen für unbedenklich erklären: J. Schumacher/A. Schumacher, in: J. Schumacher/P. Fischer-Hüftle (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2011, § 34 Rn. 77. 74 Siehe zu intensitätsbezogenen Bagatellschwellen bereits oben 1. Kap. B. IV. 2. a). 75 Instruktiv zu flächenbezogenen Bagatellschwellen K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (126); S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 220 f. 76 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (126); vgl. S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 220 f. 77 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (126). 78 Vgl. S. Balla u. a., NuR 2010, S. 616 (624). 79 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3.06, BVerwGE 130, 299 Rn. 125.

B. Regelungsvorschläge für die Kumulation stickstoffemittierender Anlagen

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geschlagen.80 Für diesen Ansatz spreche nicht zuletzt, dass „eine Beeinträchtigung durch Stickstoffeintrag sicher nicht schwerer wieg[e] als ein direkter Flächenverlust“81. Unterschreite danach die Größe der durch Stickstoff betroffenen Gesamtfläche die im Leitfaden für Flächenverluste vorgegebenen Schwellenwerte, sei auch für den Wirkfaktor Stickstoffeintrag eine erhebliche Beeinträchtigung ausgeschossen82. Darüber hinaus bestehen in der Fachliteratur Überlegungen, großzügigere Bagatellflächendimensionen für eutrophierende Stickstoffeinträge anzunehmen83. Dies soll insbesondere dann möglich sein, wenn erhaltungszielrelevante Funktionen erhalten blieben und es insofern nicht zu einem vollständigen Lebensraumtypverlust, sondern lediglich zu „graduellen Funktionsbeeinträchtigungen“ der Lebensraumtypfläche kommt84. Ebenso soll Voraussetzung für die Anwendung eines flächenbezogenen Bagatellkriteriums sein, dass „keine qualitativ-funktional besonders ausgeprägten FFH-Lebensraumtypflächen betroffen sind.“85 Die Fachkonvention nach Lambrecht/Trautner bietet hierzu in ihrem Kapitel H eine Rechenregel an, um „graduelle Funktionsbeeinträchtigungen“ einer Lebensraumtypfläche anhand eines fiktiven Fächenverlustwertes (sog. Äquivalenzwert) abzubilden, der dann mit den ebenfalls im BfN-Leitfaden entwickelten Orientierungswerten quantitativ-absoluter Flächenverluste verglichen werden kann86 : Flächendimension der X Prozentualer Funktionsverlust Habitatbeeinträchtigung aufgrund des projektbedingten (in m2) Wirkfaktors –––––––––––––––––––––– 100

= Äquivalenzwert zum Vergleich mit dem Lebensraum-/ art-spezifischen Orientierungswert

80 R. Uhl/S. Balla, Methodik zur Bewertung der Erheblichkeit von Stickstoffeinträgen in FFH-Lebensraumtypen, in: D. Bernotat/V. Dierschke/R. Grunewald (Hrsg.), Bestimmung der Erheblichkeit und Beachtung von Kumulationswirkungen in der FFH-Verträglichkeitsprüfung, 2017, S. 273 (286 ff.); K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (126); S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 214 ff., 220 f.; S. Balla u. a., NuR 2010, S. 616 (624). 81 S. Balla u. a., NuR 2010, S. 616 (624); S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 220; siehe auch K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (126); höchstrichterlich mittlerweile anerkannt in BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22.11, NuR 2013, S. 565 (Rn. 70, 73). 82 S. Balla u. a., NuR 2010, S. 616 (624); S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 220. 83 Siehe hierzu insbesondere S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 220 f.; S. Balla u. a., NuR 2010, S. 616 (624); K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (126). 84 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (126); S. Balla u. a., NuR 2010, S. 616 (624); S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 220 f. 85 Siehe S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 214 und insbesondere die in Fn. 122 enthaltene Definition für eine qualitativ-funktionale Besonderheit: „Eine qualitativ-funktionale Besonderheit liegt vor, wenn eine bestimmte Lebensraumfläche im FFH-Gebiet eine gegenüber den anderen Lebensraumflächen gleichen Typs besondere Ausprägung besitzt, d. h. z. B. strukturell oder hinsichtlich Artenausstattung besonders hochwertig ist, eine hohe Diversität besitzt oder besondere Lebensraumfunktionen für charakteristische Arten aufweist“. 86 H. Lambrecht/J. Trautner, BfN-Leitfaden, 2007, S. 83; siehe hierzu auch erklärend S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 214 f. ff, 220 f.

178

5. Kap.: Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte

Dieser Bewertungsansatz gradueller Funktionsbeeinträchtigungen von Lebensraumtypflächen wurde auch im BASt-Endbericht zur Entwicklung flächenbezogener Bagatellschwellen für den Wirkfaktor Stickstoff aufgegriffen87. Die Schwierigkeit einer solchen Übertragung auf den Wirkfaktor Stickstoff liegt allerdings darin, den Funktionsbeeinträchtigungsgrad überhaupt bestimmen zu können88. Gerade im Hinblick auf Stickstoffeinträge besteht nämlich das Problem, dass sich das Maß der Funktionsbeeinträchtigung aufgrund nicht ausreichend quantifizierter Dosis-Wirkungsbeziehungen bislang kaum ermitteln lässt89. Critical Loads dienen der Bestimmung der Schwelle, ab deren Erreichen langfristige Schäden nicht auszuschließen sind90. Sie zeigen indes weder die Abhängigkeit der Schäden von Überschreitungshöhe und -dauer der Einträge noch das Ausmaß möglicher Schäden an91. Folglich ist auch nicht vorherzusehen, „ab welcher Belastung mit welchem Degradationsgrad zu rechnen ist.“92 Grundsätzlich ist für den Wirkfaktor „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag“ aber wohl anzunehmen, dass „die verfügbaren Untersuchungen deutlich dafür [sprechen], bei kleinen Beiträgen auch nur von kleineren Wirkungen auszugehen, die zwar vermieden und ausgeglichen werden sollten, aber nicht zum Totalverlust des betroffenen Lebensraums führen.“93 Der BASt-Endbericht begegnet dem beschriebenen Problem der Bestimmung „gradueller Funktionsbeeinträchtigungen“ durch Stickstoffeinträge mit einem differenzierten Ansatz94 : Danach werden einzelne Standort-/Vegetationstypen zunächst in Gefährdungsklassen unterteilt95. Diese Einteilung erfolgt anhand verschiedener Kriterien, zu denen unter anderem die Höhe des betreffenden Critical Load des jeweiligen Standort-/Vegetationstyps zählt (siehe hierzu Tab. 2)96. Der funktionale Beeinträchtigungsgrad einer Lebensraumtypfläche durch Stickstoffeintrag ist dann

87

S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 214 ff., S. 220 f. Insbesondere aus Sicht der Rechtsprechung setzt eine Übertragbarkeit der im Leitfaden vorgeschlagenen Werte auf andere Wirkfaktoren nämlich voraus, dass „die jeweilige Intensität des Wirkfaktors – wie etwa bei Lärm – skaliert werden kann“, siehe BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22.11, NuR 2013, S. 565 Rn. 84 unter Hinweis auf H. Lambrecht/J. Trautner, BfN-Leitfaden, 2007, S. 83; vgl. auch K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (126). 89 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 221; K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (126). 90 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 221. 91 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 221. 92 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (126). 93 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 221. 94 Siehe umfassend zu diesem Ansatz S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 214 ff.; ferner R. Uhl/S. Balla, Methodik zur Bewertung der Erheblichkeit von Stickstoffeinträgen in FFH-Lebensraumtypen, in: D. Bernotat/V. Dierschke/R. Grunewald (Hrsg.), Bestimmung der Erheblichkeit und Beachtung von Kumulationswirkungen in der FFH-Verträglichkeitsprüfung, 2017, S. 273 (286 ff.). 95 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 214 ff. 96 Zur Erläuterung bzw. Bestimmung der Gefährdungsklassen siehe S. Balla u. a., BAStEndbericht, 2013, S. 223 ff. 88

B. Regelungsvorschläge für die Kumulation stickstoffemittierender Anlagen

179

abhängig „von der Höhe der Zusatzbelastung und der Gefährdungsklasse eines FFHLebensraumtyps“97 (s. Tab. 1 und Tab. 2). Tab. 1 Ermittlung der „graduellen Funktionsbeeinträchtigung“ in Anlehnung an den BASt-Endbericht98: Zusatzbelastung relativ Graduelle Funktionsbeeinträchtigung in % zum Critical Load Gefährdungsklasse Gefährdungsklasse Gefährdungsklasse 1 „stark gefährdet“

2 „gefährdet“

3 „mäßig gefährdet“

>40 %

100

100

100

>20 %

100

70

50

>10 %

100

50

40

>5 %

70

30

20

>3 %

40

20

0

Tab. 2 Definition der Gefährdungsklassen in Anlehnung an den BASt-Endbericht99 : Gefährdungsklasse

Kriterien für die Zuordnung

„stark gefährdet“

1 CL (N) < 15 kg N ha-1 a-1 oder CL (N) < 30 kg N ha-1 a-1 bei hydromorphen, aber nicht wechselhydromorphen Standorttypen, ohne Auendynamik oder Gesamtbelastung > CLmax (N) (Versauerungsgefährdung)

„gefährdet“

2 15 kg N ha-1 a-1 , CL (N) < 30 kg N ha-1 a-1 und Standort nicht hydromorph (ohne wechselhydromorphe Standorte) und Gesamtbelastung , CLmax (N) (keine Versauerungsgefährdung)

„mäßig gefährdet“

3 CL (N) + 30 kg N ha-1 a-1 und Gesamtbelastung , CLmax (N) (keine Versauerungsgefährdung)

97

S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 214. Die Tabelle entspricht weitgehend Tab. 55 bei S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 215. 99 Die Tabelle entspricht weitgehend Tab. 56 bei S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 216. 98

180

5. Kap.: Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte

Der sich aus diesem Ansatz ergebende Wert der graduellen Funktionsbeeinträchtigung ist dann gemäß des BASt-Endberichts in die Rechenregel des BfNLeitfadens von Lambrecht/Trautner zu integrieren, um den eingangs erwähnten Äquivalenzwert für den (fiktiven vollständigen) Verlust eines Lebensraumtyps zu berechnen100. In einem letzten Schritt wird dieser Äquivalenzwert mit den Orientierungswerten für den quantitativ-absoluten Flächenverlust des BfN-Leitfadens verglichen101. Liegt der Äquivalenzwert unter dem Orientierungswert des BfNLeitfadens, handelt es sich um eine flächenbezogene Bagatelle und zwar selbst dann, wenn die intensitätsbezogene Bagatelle in Höhe von 3 % des CL überschritten ist102. Aus den vorstehenden Ausführungen wird schnell ersichtlich, dass die Ermittlung gradueller Funktionsbeeinträchtigungen einen weiteren Prüfungsschritt darstellt, der die Komplexität einer FFH-Verträglichkeitsprüfung zusätzlich erhöht. Angesichts der weiterhin hohen Stickstoffbelastung in Deutschland sind flächenbezogene Bagatellschwellen allerdings unerlässlich. Sie erhöhen trotz gesteigerten Ermittlungsaufwands die Zulassungschancen der Projektträger und sind damit auch in deren Interesse. Zudem ist eine flächenbezogene Bagatellschwelle im Sinne des BASt-Endberichts auch angesichts einer fortschreitenden Standardisierung der FFHVerträglichkeitsprüfung zu begrüßen. Es wäre nur folgerichtig, die in Bezug auf den Wirkpfad „direkter Flächenverlust“ von Lambrecht/Trautner103 entwickelten Flächenbagatellen auch auf Stickstoffeinträge zu übertragen. Ein Totalverlust der Lebensraumtypfläche ist mit Stickstoffeinträgen – anders als beim „direkten Flächenentzug“ – nicht zwangsläufig verbunden104. Diesem Befund könnte über das Instrument der „graduellen Funktionsbeeinträchtigung“ Rechnung getragen werden. Darüber hinaus erscheint der Ansatz einer flächenbezogenen Bagatellschwelle auch aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten – gerade in Gegenüberstellung zu den Auswirkungen anderer Wirkpfade wie dem des direkten Flächenverlusts – geboten. „Im Gegensatz zu anderen Wirkfaktoren ist bei Stickstoffeinträgen [im Übrigen] davon auszugehen, dass die Veränderungen bzw. Beeinträchtigungen in einem FFHGebiet – wenn überhaupt – nur zu einem meist kleinen Anteil durch die Zusatzbelastung des in Rede stehenden Vorhabens und mit deutlicher zeitlicher Verzögerung verursacht werden.“105 Die unterschiedlichen Auswirkungen einzelner Wirkpfade 100

Vgl. S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 215. S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 215. 102 Siehe hierzu das Beispiel bei S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 215: „Wenn z. B. der Umfang der durch Stickstoffeinträge betroffenen LRT-Fläche bei 3.000 m2 und der Grad der Funktionsbeeinträchtigung bei 40 % liegen, so ergibt sich ein Äquivalenzwert für den Flächenverlust von 1.200 m2. Liegt der – je nach relativem Anteil am Bestand – maßgebliche Orientierungswert für den betroffenen LRT nach LAMBRECHT und TRAUTNER (2007) z. B. bei 2.500 m2, handelt es sich noch um einen Bagatellfall.“ 103 H. Lambrecht/J. Trautner, BfN-Leitfaden, 2007. 104 S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 221. 105 K. Füßer/M. Lau, UPR 2014, S. 121 (126); so auch S. Balla u. a., BASt-Endbericht, 2013, S. 223. 101

B. Regelungsvorschläge für die Kumulation stickstoffemittierender Anlagen

181

müssen sich daher auch in den flächenbezogenen Bagatellschwellen niederschlagen. Auch wenn der BASt-Endbericht bereits in mehreren Gerichtsentscheidungen Erwähnung gefunden hat106, steht eine gerichtliche Anerkennung flächenbezogener Bagatellschwellen im Sinne des Berichts – soweit ersichtlich – noch aus107. Insgesamt sind flächenbezogene, an graduellen Funktionsbeeinträchtigungen der Schutzgebiete orientierte Bagatellschwellen daher insbesondere auch vor dem Hintergrund der Konkurrenzen in der Kumulation begrüßenswert. Es bietet sich folglich an, die in Anhang 8 des TA Luft-Entwurfs/2018 zu findende Bagatellschwellenregelung für Stickstoffdepositionen in Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung um den im BASt-Endbericht zu findenden Ansatz für eine flächenbezogene Bagatellschwelle zu ergänzen. 3. Der Einsatzzeitpunkt der Kumulation im immissionsschutzrechtlichen Trägerverfahren: Das Erfordernis einer zeitlichen Begrenzung des Kumulationszeitraums in Anlehnung an den TA Luft-Entwurf/2016 Je weiter der Einsatzzeitpunkt der Kumulation zurückreicht, desto größer ist regelmäßig die Anzahl der kumulierenden Projekte. Dies kann sich nachteilig auf die Genehmigungsaussichten eines Vorhabens auswirken, denn grundsätzlich gilt: Je größer die Zahl der einzustellenden Projekte ist, desto schneller füllt sich das Bagatellkontingent und desto geringer wird die Genehmigungswahrscheinlichkeit des prüfgegenständlichen Projekts. Der Einsatzzeitpunkt der Kumulation ist daher auch wesentlich für das Ausmaß der in der Kumulation bestehenden Konkurrenzprobleme. Die unterschiedlichen Ansätze für den Einsatzzeitpunkt der Kumulation wurden bereits in aller Ausführlichkeit thematisiert108. Dabei zeigte sich, dass sich der TA Luft-Entwurf/2016 und der TA Luft-Entwurf/2018 hinsichtlich der Abgrenzung zwischen der Vorbelastung und den kumulierenden Vorhaben grundlegend unterscheiden109. So findet sich im TA Luft-Entwurf/2016 eine klare Abgrenzungsregel für den Wirkfaktor „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeinträge“, welche sich gem. 106 BVerwG, Urt. v. 3.5.2013 – 9 A 16.12, NVwZ 2013, S. 1209 Rn. 34; Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25.12, BVerwGE 149, 289 Rn. 37; OVG Münster, Urt. v. 16.6.2016 – 8 D 99/ 13.AK, juris – Rn. 507 ff.; OVG Magdeburg, Urt. 8.6.2018 – 2 L 11/16, juris – Rn. 135. 107 Siehe hierzu die Feststellung des OVG Magdeburg, Urt. v. 8.6.2018 – 2 L 11/16, juris – Rn. 148: „Noch nicht abschließend geklärt ist die Anerkennung von Bagatellflächenschwellen für Stickstoffeinträge. Hierunter sind Zusatzbelastungen zu verstehen, die eine den maßgeblichen Critical-Load ausschöpfende oder überschreitende Vorbelastung nur gering anheben, wenn davon eine Fläche des geschützten Lebensraumtyps betroffen ist, die sowohl absolut als auch in Relation zur Gesamtfläche dieses Lebensraumtyps im Schutzgebiet ohne Bedeutung ist“. 108 Siehe 1. Kap. C. I. 109 Siehe zu den Abgrenzungsregelungen des TA Luft-Entwurfs/2016 und TA Luft-Entwurfs/2018 bereits 1. Kap. C. I. 1., 3.

182

5. Kap.: Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte

Anhang 8 Abs. 2 S. 3 TA Luft-Entwurf/2016 am letzten gültigen Hintergrundbelastungsdatensatz des UBA orientiert. Im Gegensatz dazu sind kumulierende Projekte nach Anhang 8 Abs. 3 des jüngeren TA Luft-Entwurfs/2018 neben dem prüfgegenständlichen Projekt selbst all jene Projekte, die zunächst im Einwirkbereich des prüfgegenständlichen Projekts liegen „und die nach der Aufnahme des Gebietes in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, soweit der relevante Dispositionswert dann schon überschritten war, oder, falls dies damals noch nicht der Fall war, seit Überschreitung des relevanten Dispositionswertes genehmigt oder realisiert bzw. hinreichend konkretisiert wurden“. Der Zeitraum der Berücksichtigung kumulierender Projekte kann danach bis zum Jahre 2004 zurückreichen. Der Ansatz des TA Luft-Entwurfs/2018 ist aus bereits genannten Gründen kritisch zu beurteilen110. Der Ermittlungsaufwand für einen möglicherweise bis 2004 zurückreichenden Kumulationszeitraum wäre für die Antragsteller weder verhältnismäßig noch würde eine Verträglichkeitsprüfung über einen derart langen Zeitraum wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Folglich ist eine Regelung, die einen derart weit zurückreichenden Betrachtungszeitraum erlaubt, abzulehnen. Der Regelungsvorschlag des TA Luft-Entwurfs/2016 vermag mit seiner zeitlichen Begrenzung auf den letzten UBA-Datensatz eher zu überzeugen. Einer solchen Begrenzung bedarf es bereits aus Verhältnismäßigkeits- und Zumutbarkeitserwägungen111. Nichtsdestotrotz darf bei einer zeitlichen Begrenzung des Kumulationszeitraums nicht stehengeblieben werden. Vielmehr muss die zeitliche Begrenzung des Kumulationszeitraums um ein konsequentes Gebietsmanagement ergänzt werden112. Andernfalls kämen Projektträger, die ihr Projekt unmittelbar im Anschluss an die Veröffentlichung eines neuen UBA-Datensatzes beantragen, in den Genuss eines voll ausschöpfbaren Bagatellkontingents. Hierdurch würde einer stückweisen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele und in letzter Konsequenz deren „Tod durch 1000 Schnitte“113 Vorschub geleistet. Inwieweit ein konsequentes Gebietsmanagement neben den bereits bestehenden Vorgaben (bspw. § 34 Abs. 3 und 5 BNatSchG) zusätzlich rechtlich abzustützen ist, ist fraglich. Es handelt sich mehr um ein Vollzugsproblem, als dass es an rechtlichen Vorgaben mangelt114. Insgesamt besteht rechtlicher Anpassungsbedarf daher ledig110

Siehe hierzu und im Folgenden bereits oben 1. Kap. C. I., III. In diesem Sinne bereits 1. Kap. C. III. 112 Siehe hierzu ebenfalls bereits 1. Kap. C. III. 113 GAin E. Sharpston, Schlussanträge v. 22.11.2012 – C-258/11, ECLI:EU:C:2012:743, Rn. 67. 114 Gegebenenfalls könnte der Blick über die Grenze in die Niederlande lohnenswert sein. Dort haben Maßnahmen jüngst durch ein beim Europäischen Gerichtshof anhängiges Verfahren Aufmerksamkeit erhalten. So sind in 118 der 162 gemeldeten Natura 2000-Gebiete in den Niederlanden erhöhte Stickstoffeinträge in stickstoffsensiblen Lebensraumtypen und Lebensräumen geschützter Arten registriert. Aus diesem Grunde entschieden sich die Niederlande zu einem programmatischen Ansatz, um dieser Belastung zu begegnen. Das Ergebnis ist das 111

B. Regelungsvorschläge für die Kumulation stickstoffemittierender Anlagen

183

lich dahingehend, Regelungen zur Abgrenzung zwischen Vorbelastung und kumulierenden Projekten zu ergänzen, die den Kumulationszeitraum wirksam begrenzen. Hierzu bedarf es einer Rückbesinnung auf die im TA Luft-Entwurf/2016 enthaltene Bezugnahme auf einen klar benennbaren zeitlichen Einsatzzeitpunkt für die Kumulation, der einen bis zum Sockeljahr 2004 zurückreichenden Kumulationszeitraum ausschließt. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um den UBA-Datensatz handeln; für diesen Datensatz spricht indes, dass dieser stets unter Anwendung der aktuell besten wissenschaftlichen Erkenntnisse erstellt wird, weshalb auf diese Weise auch die wissenschaftliche Seriosität der Kumulation gewahrt wäre. Auch das Bundesverwaltungsgericht ließ bereits eine gewisse Sympathie für den UBA-Datensatz im Zusammenhang mit einer wiederholten Anwendung der 3 %-Bagatellschwelle erkennen115. So lasse sich anhand des UBA-Datensatz eine gegebenenfalls positive Gebietsentwicklung ablesen, die die wiederholte Anwendung erlaube116. Auch vor dem Hintergrund der Verteilungsprobleme der Kumulation ist der Ansatz des TA Luft-Entwurfs/2016 begrüßenswert. Die aus ihm resultierende Reduzierung der in das Bagatellkontingent einzustellenden Projekte würde die Verteilungsprobleme der Kumulation stickstoffemittierender Projekte entschärfen. 4. Die Definition hinreichend verfestigter stickstoffemittierender Projekte gemäß der vorgeschlagenen Entscheidungsregel in der TA Luft Im Zuge der Vorstellung der Entscheidungsregel wurde bereits darauf verwiesen, dass die Bestimmung der hinreichend verfestigten Projekte aus Rücksicht auf verfahrensrechtliche Besonderheiten dem jeweiligen Fachrecht zu überlassen ist. Auch in Bezug auf eine solche wirkfaktor- und verfahrensspezifische Regelung für das immissionsschutzrechtliche Zulassungsverfahren bietet sich einmal mehr die TA Luft als geeigneter Regelungsort an. Die Definition der hinreichend verfestigten Projekte bewirkt vor allem, dass die Zahl der in die Entscheidungsregel einzustellenden Projekte beschränkt wird und wahrt so deren Verfahrenspraktikabilität und Verhältnismäßigkeit. Dabei begrenzt sie den zeitlichen Anwendungsbereich der Entscheidungsregel mit Wirkung für die „Programa Aanpak Stikstof 2015 – 2021“ (programmatischer Ansatz zur Stickstoffbekämpfung 2015 – 2021, im Folgenden PAS), welches unter anderem mehrere Maßnahmen zur Reduzierung der Stickstoffbelastung vorsieht, die sich kategorisch wie folgt einteilen lassen: Zum einen in die Verminderung der Emissionen aus Stickstoffquellen und zum anderen in gebietsspezifische Sanierungsmaßnahmen. Zudem wird geregelt, wie viel Stickstoff während eines Zeitraums über sechs Jahre abgelagert werden darf. Ein derart programmatischer Ansatz, wie ihn die Niederlande mit PAS betreibt, könnte auch für die hiesigen Vollzugsbehörden Hilfestellungen für ein konsequentes Gebietsmanagement bieten; siehe hierzu insbesondere GAin J. Kokott, Schlussantrag v. 25.7.2018 – C-293/17, ECLI:EU:C:2018:622. 115 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 51; siehe hierzu auch bereits 1. Kap. C. I. 2. 116 BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Rn. 51.

184

5. Kap.: Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte

Zukunft, denn noch nicht hinreichend verfestigte Projekte, die aber künftig durchaus noch zugelassen werden könnten, scheiden jedenfalls für die dann aktuelle Verteilungsentscheidung aus. Damit bildet die Bestimmung der hinreichend verfestigten Projekte das Pendant zur Bestimmung des Einsatzzeitpunktes der Kumulation, welche eine in die Vergangenheit wirkende Begrenzung der Kumulation darstellt117. Vor diesem Hintergrund bietet sich als geeignete Regelung die Folgende an: Hinreichend verfestigte Projekte im Sinne der Entscheidungsregel des § 34 BNatschG sind – das prüfgegenständliche Vorhaben, dessen Vollständigkeit der Antragsunterlagen gem. § 7 der 9. BImSchV festgestellt wurde. – all jene Genehmigungsanträge, deren Vollständigkeit gem. § 7 der 9. BimSchV spätestens sechs Wochen nach der Feststellung der Vollständigkeit des Antrags des prüfgegenständlichen Vorhabens festgestellt wurde, wenn dieses im förmlichen Genehmigungsverfahren zugelassen wird. – all jene Genehmigungsanträge, deren Vollständigkeit gem. § 7 der 9. BimSchV spätestens drei Wochen nach der Feststellung der Vollständigkeit des Antrags des prüfgegenständlichen Vorhabens festgestellt wurde, wenn dieses im vereinfachten Genehmigungsverfahren zugelassen wird. Gemäß diesem Regelungsentwurf ist die Feststellung der Vollständigkeit der Antragsunterlagen (§ 7 der 9. BimSchV) für die hinreichende Verfestigung im Sinne des Satz 4 der vorgeschlagenen Verteilungsregel der entscheidende Anknüpfungspunkt. So greift ausgehend vom Zeitpunkt der Feststellung der Vollständigkeit der Antragsunterlagen des prüfgegenständlichen Projekts eine Sechs-Wochen- bzw. Drei-Wochen-Frist, je nachdem, ob sich das prüfgegenständliche Projekt im förmlichen oder vereinfachten Genehmigungsverfahren befindet. Wird innerhalb dieser Zeiträume die Vollständigkeit weiterer Genehmigungsanträge festgestellt, so gelten diese ebenfalls als „hinreichend verfestigt“ und unterfallen neben dem prüfgegenständlichen Projekt der in § 34 BnatSchG zu integrierenden Entscheidungsregel. Alle Genehmigungsanträge, deren Vollständigkeit nach Ablauf dieser Fristen festgestellt wird, bleiben außen vor und werden nicht in die im Sinne der vorgeschlagenen Entscheidungsregel zu treffende Verteilungsentscheidung einbezogen. Der Zeitraum von sechs Wochen soll einen Ausgleich zwischen einem zügigen Verfahren und der Chancenoffenheit der Kumulation für andere Projektträger schaffen. Er empfiehlt sich angesichts der der Genehmigungsbehörde nach § 7 Abs. 1 S. 1, 2 der 9. BimSchV obliegenden Frist, die Vollständigkeit der Antragsunterlagen „unverzüglich, in der Regel innerhalb eines Monats, zu prüfen“ (S. 1) bzw. diese in begründeten Ausnahmefällen spätestens sechs Wochen nach Eingang des Antrags und der Unterlagen festzustellen (S. 2). Stellt ein anderer Projektträger als der des prüfgegenständlichen Verfahrens unmittelbar nach Fest117

Siehe hierzu bereits vorstehend 5. Kap. B. II. 3.

B. Regelungsvorschläge für die Kumulation stickstoffemittierender Anlagen

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stellung der Vollständigkeit des prüfgegenständlichen Projektantrags selbst einen Antrag, verbleibt ihm danach die gesamte Dauer der (verlängerten) Bearbeitungsfrist, um in der Kumulation Berücksichtigung zu finden. Gleichsam verringern sich die Chancen derjenigen Projektträger, die später einen Antrag stellen, in der Kumulation berücksichtigt zu werden. Durch die Sechs-Wochen-Frist soll insofern jedenfalls teilweise ausgeglichen werden, dass der Projektträger nach Einreichung seiner Eintragsunterlagen selbst keinen Einfluss mehr auf die Bearbeitungsdauer nehmen kann. Befindet sich das prüfgegenständliche Projekt im vereinfachten Verfahren, verkürzt sich die Frist von sechs auf drei Wochen. Auf diese Weise soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass das vereinfachte Verfahren in erster Linie der Verfahrensbeschleunigung dient. Würden man im vereinfachten Verfahren dieselbe Frist wie im förmlichen Verfahren anlegen, würde der Gedanke der Verfahrensbeschleunigung konterkariert. Der hier dargestellte Ansatz stimmt hinsichtlich des für die hinreichende Projektverfestigung gewählten Kriteriums weitgehend mit dem des Oberverwaltungsgerichts Münster in seiner Trianel-Entscheidung überein, wonach „der Zeitpunkt maßgebend [ist], in dem der Genehmigungsbehörde ein prüffähiger Antrag vorliegt.“118 Gemeinhin soll dies dann der Fall sein, wenn sich die Unterlagen „zu allen rechtlich relevanten Aspekten des Vorhabens verhalten und die Behörde in die Lage versetzen, den Antrag unter Berücksichtigung dieser Vorgaben näher zu prüfen“119. Dieser Zeitpunkt soll demnach – ebenso wie im obigen Ansatz – für die Bestimmung des zeitlichen Anwendungsbereichs in der Kumulation maßgeblich sein. Die Wahl der Vollständigkeit des Antrags als maßgebliches Kriterium empfiehlt sich aus verschiedenen Gründen: Zum einen wird das drohende „Windhundrennen“, welches im Falle der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Antragsstellung bestünde, abgemildert. Ist nämlich vornehmlich die Vollständigkeit der Antragsunterlagen und nicht die Antragsstellung entscheidend, sind die Antragssteller im Interesse der Erfolgsaussichten ihrer Anträge angehalten, deren Vollständigkeit sicherzustellen. Dieser Auffassung ist auch das Oberverwaltungsgericht Münster, wenn es feststellt, dass das Kriterium des prüffähigen Antrags die missbräuchliche Sicherung einer Vorrangposition durch vorschnelles Einreichen unvollständiger Genehmigungsanträge ausschließe120; zum anderen steht dieser Anknüpfungspunkt in Einklang mit dem Erfordernis zumutbarer Verteilungskriterien, welches voraussetzt, dass die Antragsteller durch eigenes Verhalten auf den Ausgang der Entscheidung Einfluss nehmen können121. Dieses Erfordernis ist insofern erfüllt, als die Vollständigkeit der 118

OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 632. OVG Münster, Beschl. v. 13.9.2017 – 8 B 1373/16, juris – Rn. 16; Urt. v. 18.9.2018 – 8 A 1886/16, ZUR 2019, S. 102 (103); OVG Magdeburg, Urt. v. 8.6.2018 – 2 L 11/16, juris – Rn. 317; VGH München, Beschl. v. 31.7.2017 – 22 ZB 17.1033, juris – Rn. 14 f. 120 OVG Münster, Urt. v. 1.12.2011 – 8 D 58/08.AK, juris – Rn. 636. 121 Siehe hierzu bereits oben 4. Kap. A. I. 2. b), III. und B. I. 119

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5. Kap.: Die Auflösung des Verteilungsproblems parallel beantragter Projekte

Antragsunterlagen durch eigene Sorgfalt der Antragsteller teilweise beeinflussbar ist. Andere Zeitpunkte bieten sich vor diesem Hintergrund nicht an. So fördert der Zeitpunkt der Antragstellung lediglich das besagte „Windhundrennen“, da jeder Projektträger versuchen würde, sich seine Teilnahme an der Verteilung rezeptorabhängiger Schadstoffkapazitäten durch Antragstellung zu sichern. Auch der Zeitpunkt des Abschlusses der Öffentlichkeitsbeteiligung kommt nicht in Frage. Dieser Zeitpunkt ist für eine für immissionsschutzrechtliche Anlagen allgemeingültige Regelung in der TA Luft bereits deshalb ausgeschlossen, weil im vereinfachten Verfahren keine Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt (vgl. § 18 BImSchG). Die hier vorgestellte Definition der hinreichend verfestigten Projekte findet sich in den erwähnten Entwürfen zur TA Luft nicht. Die dort in Anhang 8 zu findenden Regelungen zu Stoffeinträgen in Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung wären insofern um die Bestimmung hinreichend verfestigter Projekte zu ergänzen. Die Regelung setzt sich – jedenfalls auf den ersten Blick – in Widerspruch zur Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Vorrangstellung ab Einreichung eines prüffähigen Antrags ausscheidet122. Zu berücksichtigen ist dabei freilich, dass der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auch nach der hier vertretenen Ansicht zu folgen wäre, wenn keine gesetzliche Bestimmung der Rangfolge vorläge123. Soll für die Vorrangstellung ein vor dem Genehmigungszeitraum liegender Anknüpfungspunkt maßgeblich sein, so bedarf es hierzu einer ausdrücklichen Regelung124.

122 123 124

BVerwG, Urt. v. 15.5.2019 – 7 C 27.17, NVwZ 2019, S. 1601 Ls. 1 und Rn. 19 ff. Siehe hierzu Kap. 2 B. I., C. Siehe Kap. 2 B. I., C.

6. Kapitel

Zusammenfassung der Ergebnisse Zu Beginn dieser Arbeit stand der Verweis darauf, dass die Handhabung stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Kumulation in der jüngsten Vergangenheit die Gerichte umfassend beschäftigte – eine Folge der nach wie vor hohen Flächenbelastung durch eutrophierende und versauernde Stickstoffeinträge. Mehr als die Hälfte aller empfindlichen Ökosysteme weisen Werte auf, die die ökologische Belastungsgrenze überschreiten. Dies führt im Rahmen der Kumulation stickstoffemittierender Projekte zu Konkurrenzkonstellationen, die unter dem Brennglas der durch anerkannte Bagatellschwellen eröffneten Bagatellkontingente besonders zu Tage treten (Stichwort: Kumulationsdilemma). Die in der Kumulation ausgemachten Konkurrenzen sind möglichst grundrechtsschonend aufzulösen. Diese These stellte die übergeordnete Problemstellung dieser Arbeit dar. Als ungeeigneten Ansatz zur grundrechtsschonenden Auflösung der Kumulation erwies sich dabei das von der Rechtsprechung präferierte Prioritätsprinzip zur Bestimmung der Rangstellung der Projekte. Danach soll demjenigen Projekt Vorrang gebühren, dessen Auswirkungen zuerst verlässlich absehbar sind. Diese Lösung ließ sich weder mit einfachrechtlichen noch grundrechtlichen Wertungen vereinbaren. Als gewinnbringend stellte sich dagegen heraus, die in der Kumulation auftretenden Konkurrenzen als Verteilungsprobleme zu begreifen, auf die die in der öffentlichrechtlichen Verteilungsordnung geltenden Maßstäbe übertragbar sind. So können die für öffentlich-rechtliche Verteilungssituationen typischen Knappheits- und Mangelsituationen auch im Zusammenhang mit Umweltmedien (Luft, Boden, Wasser) und den mit diesen Medien verbundenen Verwendungsmöglichkeiten auftreten. Im Falle stickstoffemittierender Projekte ließen sich Nutzungsrechte an umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazitäten als das knappe Gut ausmachen. Auf Grundlage der aus der öffentlich-rechtlichen Verteilungsordnung gewonnenen Maßstäbe ließ sich so ein interessengerechter Lösungsansatz für die Kumulation stickstoffemittierender Projekte bilden. Dieser sieht im Kern eine Ergänzung des § 34 BNatSchG um eine Verteilungsregel vor, welche materielle und formelle Entscheidungskriterien kombiniert. Den wertenden Kriterien, die dem Arten- und Habitatschutz als Ziel der FFH-Richtlinie besonderes Gewicht zukommen lassen, gebührt dabei unter den Kriterien Vorrang. Absehbar ist, dass die FFH-Kumulation angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und dem immer größer werdenden Fokus auf Klimaschutzziele und Biodiversitätsschutz nicht der einzige Regelungsbereich bleiben wird, in dem das

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6. Kap.: Zusammenfassung der Ergebnisse

Problem der Umweltknappheit virulent wird. In einer Welt des Mangels erscheint diese Einsicht drängender denn je. Für die Konkurrenzen in der Kumulation stickstoffemittierender Anlagen seien abschließend folgende Ergebnisse festgehalten: I.

Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte führt zu Konkurrenzsituationen unter den Projektträgern. Das Ausmaß der durch die Kumulation verursachten Konkurrenzen hängt insbesondere auch davon ab, welcher Einsatzzeitpunkt für die Kumulation gewählt wird. Insbesondere vor dem Hintergrund der durch die Bagatellschwellen eröffneten Bagatellkontingente kommt dieser Frage eine besondere Bedeutung zu. Dabei gilt grundsätzlich: Je weiter der Kumulationszeitraum reicht, desto größer wird regelmäßig die Zahl der einzustellenden Projekte sein. Je größer die Zahl der einzustellenden Projekte ist, desto schneller füllt sich das Bagatellkontingent und desto geringer wird die Genehmigungswahrscheinlichkeit des prüfgegenständlichen Projekts. Ein weit zurückreichender Kumulationszeitraum verschärft somit die Konkurrenzlage in der Kumulation und könnte zu einem weitgehenden Zulassungstopp für Neuvorhaben im Einwirkbereich von FFH-Schutzgebieten führen. Gerade letzteres spricht dafür, den Kumulationszeitraum in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht aus Verhältnismäßigkeitsgründen und Praktikabilitätsinteressen zu begrenzen. Zudem streiten Gründe fachwissenschaftlicher Seriosität dafür, dass eine Kumulation nicht bis ins Jahr 2004 zurückreichen darf, wie es das Oberverwaltungsgericht Münster jedenfalls bis zur Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Rechtssache Trianel bevorzugte und der TA Luft-Entwurf/2018 ermöglicht. Begrüßenswert ist vielmehr eine zeitliche Zäsur für die einzustellenden Projekte, wie sie sich im TA LuftEntwurf/2016 mit der Aktualisierung des UBA-Datensatzes findet. Diese zeitliche Zäsur muss um ein effektives Gebietsmanagement sowie um das Minderungspotential des Verschlechterungsverbots ergänzt werden. Durch diese Schritte wäre sowohl die wissenschaftliche Seriosität der Kumulation als auch der Schutz der Gebietsqualität gewährleistet. Gleichzeitig würde ein begrenzter Kumulationszeitraum die Zahl der in die Kumulation einzustellenden Projekte reduzieren und so die Konkurrenzlage entschärfen. (1. Kap. C.; 5. Kap. B. II. 3.)

II. Die Konkurrenzen in der Kumulation können nicht ausschließlich anhand zeitlicher Priorität aufgelöst werden. Ist die Belastungsgrenze eines FFHSchutzgebiets weitgehend ausgeschöpft und stehen mehrere neue Projekte zur Genehmigung an, von denen jedes einzelne oder eine bestimmte Auswahl FFHverträglich wäre, nicht aber alle zusammengenommen, können nur so viele Projekte oder Pläne zugelassen werden, dass die Belastungsgrenze nicht überschritten wird. Entscheidend ist dann jedoch, welches Projekt Vorrang genießt. Die Rechtsprechung löst derartige Konkurrenzsituationen nach jetzigem Stand anhand zeitlicher Priorität auf. Allerdings wird die Frage nach dem

6. Kap.: Zusammenfassung der Ergebnisse

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Anknüpfungspunkt für die Priorität nicht einmütig beantwortet. Während das Oberverwaltungsgericht Münster bislang darauf abstellte, ob ein prüffähiger Antrag vorliegt, ist für das Bundesverwaltungsgericht die Zulassungsentscheidung erheblich. Die Legitimität des Prioritätsprinzips in der Kumulation hängt zuvörderst vom Realisierungsgrad der in die Kumulation einzustellenden Projekte ab. Sind einzustellende Projekte bereits verwirklicht, so wirkt das Prioritätsprinzip mittels Bestandsschutz und vermittelt diesen Projekten eine Vorrangstellung in der Kumulation. Zumindest genehmigte Projekte sind als Teil der zu berücksichtigenden Sach- und Rechtslage im Genehmigungszeitpunkt ebenfalls vorrangig in die Kumulation einzustellen. Für parallele Projektanträge verhält sich dies anders, da insbesondere der Bestandsschutzgedanke für diese keine Anwendung findet. Vornehmlich für das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren, das keine Abwägungs- bzw. Ermessensentscheidung zulässt und an dessen Ende ein gebundener Zulassungsanspruch steht, ist das Prioritätsprinzip als alleiniges Kriterium bereits wegen einfachgesetzlicher Wertungen ausgeschlossen. So ist das Prioritätsprinzip weder mit dem Gebot der zügigen Verfahrensführung, noch mit dem Koordinierungsgebot aus § 10 Abs. 5 S. 2 BImSchG vereinbar. Auch ist nicht ersichtlich, an welchen Verfahrenszeitpunkt hinsichtlich einer Vorrangstellung aufgrund zeitlicher Priorität anzuknüpfen ist. Primär sind es aber grundrechtliche Wertungen, die eine rein an einem formalen Kriterium wie der zeitlichen Priorität ausgerichtete Rangfolge ausschließen. Die Grundrechtssensibilität der Kumulation stickstoffemittierender Projekte verlangt eine irgendwie geartete Abwägung der in der Kumulation wirkenden Interessen. Eine solche lässt sich durch eine formale Festlegung der Projektrangfolge – wie sie das Kriterium der zeitlichen Priorität vornimmt – nicht bewerkstelligen. (2. Kap.) III. Die in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte auftretenden Konkurrenzen lassen sich als Verteilungsprobleme einordnen, die in die öffentlichrechtliche Verteilungsordnung eingepasst werden können. Sie entstehen durch das Phänomen der sog. Umweltknappheit. Der Begriff der Umweltknappheit umfasst ganz grundsätzlich Mangelsituationen im Hinblick auf Umweltmedien wie Boden, Wasser und Luft und den mit ihnen verbundenen Nutzungsformen. Das zu verteilende, knappe Umweltgut in der Kumulation stickstoffemittierender Projekte sind Nutzungsrechte an „umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazitäten“. Diese Aufnahmekapazitäten bestimmen sich anhand der in dem jeweiligen FFH-Gebiet vorkommenden Umweltrezeptoren (Ökosysteme oder Böden in ihrer Eigenschaft als Schadstoffaufnahmemedium). Das hier relevante Knappheitsphänomen wird durch die Umsetzung der FFHRichtlinie in ihrer Eigenschaft als rechtliche Knappheitsvorgabe hervorgerufen. So bildet das Verschlechterungsverbot aus Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie bzw. § 33 BNatSchG als kapazitätsorientiertes Umweltrechtsprinzip mittelbar eine untere Belastungsgrenze für ein Schutzgebiet, bis zu deren Erreichen die für das Gebiet festgelegten Erhaltungsziele nicht gefährdet sind. Dadurch bestimmt es

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6. Kap.: Zusammenfassung der Ergebnisse

letztlich auch die den Schutzgebieten zumutbaren Belastungskapazitäten. Diese Belastungskapazitäten müssen in Abhängigkeit zu den einzelnen Wirkfaktoren naturwissenschaftlich konkretisiert werden. Im Falle des hier interessierenden Wirkfaktors „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag“ erfolgt dies anhand der Critical Loads. Die Nutzung umweltrezeptorabhängiger Schadstoffaufnahmekapazitäten ist somit kontingentiert, mithin verknappt. Aus abstrakten Erhaltungszielen folgen konkrete Belastungskapazitäten. Konkret wirkt sich diese Verknappung dann aus, wenn beantragten Projekten die Genehmigung verweigert wird, weil sie sich nach erfolgter FFH-Verträglichkeitsprüfung einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten als mit den Erhaltungszielen unverträglich herausstellen, mithin die umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazitäten erschöpft sind. Die FFH-Zulassungsvoraussetzungen unter Einschluss der Kumulationsprüfung und speziell die Zulassungsentscheidung führen daher im Ergebnis zu Verteilungswirkungen. (Siehe hierzu insbesondere 3. Kap. C.) IV. Die rechtliche Maßstabsbildung für die Auflösung des der Kumulation innewohnenden Verteilungsproblems erfolgt anhand der Vorgaben des nationalen Verfassungsrechts und des Europarechts für die öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung. Dies folgt aus der vorab festgestellten Übertragbarkeit der Grundsätze der öffentlich-rechtlichen Verteilungslenkung auf die Kumulation stickstoffemittierender Projekte. Konkret besteht eine große Konvergenz zwischen den verfassungsrechtlichen und unionsgrundrechtlichen Verteilungsvorgaben. Materiell müssen sich die zulässigen Zuteilungskriterien in Ansehung der Gleichheitssätze als sachgemäß darstellen. Das dahinterstehende Gebot der am Verteilungszweck orientierten Sachgerechtigkeit der Verteilungskriterien ist sowohl in der verfassungsrechtlichen als auch unionsrechtlich Maßstabsordnung wiederkehrend. Der Korridor dessen, was als sachgemäß gilt, muss allerdings aufgrund freiheitsrechtlicher Gewährleistungsgehalte unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten begrenzt werden. Die Anforderungen an die Zumutbarkeit der Kriterien variieren je nach Bedeutung für die persönliche Lebensführung der Bewerber. Der Grad der Zumutbarkeit von Kriterien ergibt sich daraus, wie chancenoffen sie ausgestaltet sind. Chancenoffenheit setzt voraus, dass die Bewerber die Verteilungskriterien durch ihr eigenes Zutun zu ihren Gunsten beeinflussen können. Auch formell stimmen die verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Anforderungen weitgehend überein. Die Konzeptpflicht, welche aus Art. 3 Abs. 1 GG ableitbar ist, stellt formell den umfassendsten Forderungskatalog an die Ausgestaltung von Verteilungsverfahren. Viele der aus der Konzeptpflicht ableitbaren Anforderungen finden im Unionsrecht eine Entsprechung. Hierzu gehören etwa eine hinreichend aussagekräftige Bekanntmachung, die klar über die Vergabemodalitäten informiert, sowie – auch im Interesse von Rechts-

6. Kap.: Zusammenfassung der Ergebnisse

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schutzmöglichkeiten unterlegender Bewerber bestehende – Mitteilungs- und Begründungspflichten. Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte und deren Verteilungswirkungen lassen sich folglich trotz unterschiedlicher Fundierung auf einen weitgehend einheitlichen rechtlichen Maßstab stützen. (4. Kap.) V.

Die Wahl der Zuteilungskriterien für die Kumulation obliegt gemäß der Wesentlichkeitstheorie dem parlamentarischen Gesetzgeber. Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte unterfällt der Kategorie von Verteilungssituationen, die auf der Beschränkung natürlicher Freiheitssphären beruhen. Durch den ursprünglichen Verknappungsakt von umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazitäten und der daraus folgenden Beschränkung von Freiheitsrechten besteht eine erhöhte Grundrechtssensibilität. So sind gleich mehrere grundrechtliche Interessen (Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG; Art. 15, 16, 17 GRC) bei der Verteilung von Nutzungsrechten an umweltrezeptorabhängigen Schadstoffaufnahmekapazitäten in die Kumulation einzustellen. Im Bereich der Grundrechtsausübung muss der Gesetzgeber die wesentlichen Verteilungsentscheidungen zumindest in ihren Grundzügen selbst treffen. Dabei bedarf es eines sachangemessenen Zusammenhangs zwischen den gewählten Zuteilungskriterien und den berührten Freiheitsrechten. (4. Kap. B. III.)

VI. Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte verlangt einen umfassenden Regelungsansatz mit Vorschriften in verschiedenen Regelungsbereichen. Dabei ist zwischen wirkfaktor- und verfahrensunabhängigen auf der einen und wirkfaktor- und verfahrensspezifischen Vorschriften auf der anderen Seite zu unterscheiden. Zunächst sollte § 34 BNatSchG in Anlehnung an die Entscheidungsregel der Landeswassergesetze (insb. Art. 68 BayWG) um eine wirkfaktor- und verfahrensunabhängige Entscheidungsregel für die Kumulation ergänzt werden, die sich vornehmlich an wertenden Kriterien orientiert und sich erst subsidiär des formellen Kriteriums der zeitlichen Priorität bedient. In die Verteilungsentscheidung sollen nur solche Projekte eingestellt werden, die hinreichend verfestigt, das heißt, deren Auswirkungen verlässlich absehbar sind. Welche Projekte als hinreichend verfestigt anzusehen sind, bleibt dem jeweiligen Fachrecht überlassen und ist mithin verfahrensspezifisch zu bestimmen. (5. Kap. B. I.) VII. Als geeigneter Regelungsort wirkfaktor- und verfahrensspezifischer Regelungen für das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren bietet sich die TA Luft an. Auf diese Weise würde ein Großteil der stickstoffemittierenden Projekte einem verallgemeinerten Regelungsansatz zugeführt. Der TA Luft wäre somit auch vorbehalten, die hinreichende Projektverfestigung stickstoffemittierender Anlagen zu definieren. Maßgeblich für die hinreichende Projektverfestigung des prüfgegenständlichen Vorhabens ist danach der Zeitpunkt der Feststellung der Vollständigkeit der Prüfunterlagen. Wird die

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6. Kap.: Zusammenfassung der Ergebnisse

Vollständigkeit in einem Zeitraum über sechs Wochen für weitere Vorhaben festgestellt, unterfallen auch diese der Entscheidungsregel. Wird das prüfgegenständliche Verfahren im vereinfachten Verfahren zugelassen, verkürzt sich dieser Zeitraum auf drei Wochen. Eine derartige Regelung reduziert die Gefahr eines Windhundrennens, da die bloße Antragstellung nicht zur Berücksichtigung in der Verteilungsentscheidung berechtigen würde; den Antragstellern verbliebe aber im Sinne der Chancenoffenheit eine vergleichsweise große Möglichkeit, durch eigene Sorgfalt die Vollständigkeit ihrer Antragsunterlagen und damit ihre Berücksichtigungsfähigkeit in der Kumulationsentscheidung zu beeinflussen. Ferner sind der TA Luft verfahrensspezifische Regelungen für den Wirkfaktor „Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag“, die insbesondere den räumlichen Anwendungsbereich, flächenbezogene Bagatellschwellen sowie den Einsatzzeitpunkt der Kumulation betreffen, vorbehalten. So ließe sich der räumliche Anwendungsbereich über ein unteres Abschneidekriterium für Stickstoffdepositionen eingrenzen. Die Höhe eines solchen Abschneidekriteriums ist dabei zuvörderst eine naturwissenschaftliche Frage. Flächenbezogene Bagatellschwellen wiederum trügen dem Umstand Rechnung, dass mit dem Wirkfaktor „Stickstoffverbindung-en/Nährstoffeintrag“ – anders als beim Wirkfaktor „direkter Flächenentzug“ nicht zwangsläufig ein Totalverlust der Lebensraumtypflächen einhergeht. Insofern wird empfohlen, den im BAStEndbericht vorgeschlagenen Ansatz zur Bestimmung von flächenbezogenen Bagatellschwellen, der sich an graduellen Funktionsbeeinträchtigungen orientiert, in die TA Luft zu übernehmen. Zuletzt erscheint vor dem Hintergrund des sog. Kumulationsdilemmas eine zeitliche Begrenzung des Kumulationszeitraums geboten. Das Beispiel des TA Luft-Entwurfs/2016, welcher eine zeitliche Untergrenze für die Kumulationsbetrachtung in Form des letzten Veröffentlichungstermins des jeweils aktuellen UBA-Datensatzes enthielt, ist hier vorzugswürdig. (5. Kap. B. II.)

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Sachwortverzeichnis Abschneidekriterien – änderungsbezogen 51 f. – eingriffsbezogen 38 ff. Änderungsvorhaben 48 ff. Anlagen – immissionsschutzrechtlich 173, 186 Antragstellung 59, 63, 65, 98, 161 f., 165, 168, 170, 172, 186, 192 Arten – prioritäre 73 f., 154 f. Ausnahmeprüfung 19, 28, 30, 43, 154 ff. Bagatellkontingent 43, 44 ff., 52 f., 181 ff., 187 f. Bagatellschwellen – eingriffsbezogen 35 ff. – flächenbezogen 175 ff. Berufsfreiheit 84 ff., 88 f. Bestandsschutz 60 f., 98, 103, 118, 130, 152, 189 Critical Loads – Empirische 33 f. – Modellierte 34 f. Eigentümerprivileg 149 f., 167, 170, 172 Eigentumsrecht – aus Art 14 Abs. 1 GG 79 ff., 88 f., 149, 171 – aus Art. 17 GRC 82 f., 88 f., 146, 149 Emissionszertifikatehandel 17, 103, 124, 127, 138 Entscheidungsregel 61, 63, 94, 96 f., 143, 151, 156, 158 f., 161, 164 ff., 183 f., 191 f. Erheblichkeitsbewertung siehe FFH-Verträglichkeitsprüfung Fachrecht 29, 49 ff., 60, 81, 151, 173 f., 183, 191 FFH-Verträglichkeitsprüfung – Grundzüge und Grundlagen 26 ff.

– Erheblichkeitsbewertung 31 ff. – Kumulationsprüfung siehe Kumulation Freiheitsrechte siehe Grundrechte Funktionsbeeinträchtigung – von Lebensraumtypflächen 175 ff., 192 Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme 159 ff., 169 Gebot der zügigen Verfahrensführung 63 ff., 98, 163, 189 Gemeinwohlkriterium 149 f. Gleichheitssatz – allgemeiner Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG 91 ff. – Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz aus Art. 20 GRC 91 ff. Grenzwerte 114 f. Grundrechte – Abwehrfunktion 78 f., 137 ff., 142 – Anspruch auf Institutionengestaltung 140 f., 148 f. – Berufsfreiheit siehe Berufsfreiheit – Eigentumsrecht siehe Eigentumsrecht – Funktionenpluralität der Grundrechte 137 – Gleichheitssatz siehe Gleichheitssatz – nationale Freiheitsrechte 79 ff., 84 f., 88 f. – Teilhabedimension 137, 139 f., 144, 149 – unionale Freiheitsrechte 82 f., 85 ff. – Verhältnis nationalen und unionalen Grundrechtsschutzes 69 ff. Konzeptpflicht 135, 143, 148, 151, 162, 190 Koordinierungsgebot 63 f., 98, 161, 163, 189 Kumulation – Einsatzzeitpunkt 44 f., 53, 173, 181 ff., 188, 192 – Grundlagen 30 f.

Sachwortverzeichnis – Kumulationszeitraum 44 ff., 53 f., 181 ff., 188, 192 – räumlicher Anwendungsbereich 52, 168, 173 ff., 192 Kumulationsdilemma 44, 53, 187, 192 Lebensraumtyp 32, 35, 37, 40, 53, 55, 74, 91, 126 f., 129, 149, 154 f., 171, 175 ff., 192 Mängelverwaltung 96 f. Mittelwertrechtsprechung 159 ff. Nachhaltigkeitsgrundsatz siehe Umweltrechtsprinzipien Natura 2000 18 f., 26, 28 ff., 32, 44, 54, 72, 91, 128, 154, 166, 171, 175 Nutzungsrechte 81, 123 ff., 130 f., 152, 187, 189, 191 Öffentliches Interesse siehe Gemeinwohlkriterium Öffentlichkeitsbeteiligung 58, 63, 186 Parlamentsvorbehalt 143 ff., 152 ff., 168 ff. Planungsinstrument 105 f., 130 Prioritätsprinzip – als Verwaltungsgrundsatz 94 ff. – Begriff 57 – Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und dem unionalen Gleichheitssatz 91 ff. – Vereinbarkeit mit den Verfahrensvorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes 63 ff. – Vereinbarkeit mit nationalen und unionalen Freiheitsrechten 75 ff. Projekt – Begriff 26 f. – hinreichend verfestigt 19, 47, 170, 172 f., 183 ff., 191 – kumulierend 30 f., 43 ff., 47, 62, 75, 90 f., 175, 181 ff. prüffähige Unterlagen 44, 58, 61 f., 66 f., 163, 172, 185 f., 189

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Recht auf Umweltverschmutzung 76 ff. Recht auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit 85 ff. Richtlinienumsetzung – formelle Determinierung 72 f. – materielle Determinierung 73 f. Schadstoffaufnahmekapazität 126 ff., 130 f., 152, 169, 187, 189 ff. Schutzgebiete siehe Natura 2000 Screening siehe Vorprüfung Stickstoff – Fachliche Hintergründe zur Belastungssituation 23 ff. TA Luft 22, 37 f., 41, 44 ff., 47 f., 51 ff., 157 f., 168 f., 173 ff., 181 ff., 188, 191 f. Trägerverfahren 20, 59, 63 f., 127, 151, 168, 181 Trianel-Rechtsprechung 40 ff., 47, 53, 57, 61 f., 68, 172, 185, 188 UBA-Datensatz 46 ff., 53, 182 f., 188, 192 Umverteilung – offene 103 f. – potentielle 102 ff., 130 – verdeckte 103, 107, 129 f. Umweltgüter – Nutzungsformen 109 – Verteilbarkeit 123 f. – Verwendungskonkurrenzen 109 f. Umweltknappheit – Begriff 108 – ökologische oder „natürliche“ 111 f. – ökonomische 112 ff. – rechtliche 114 ff. – Relativität 110 ff. Umweltmedien 75 ff., 107 ff., 115, 120 ff., 123 f., 156, 164, 187, 189 Umweltrechtsprinzipien – kapazitätsorientierte 115 ff. – Nachhaltigkeitsgrundsatz 120 f. – Verschlechterungsverbot 118 ff., 127 ff. – Vorsorgeprinzip 115 ff. Umweltstaat 17

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Sachwortverzeichnis

Verfestigung siehe Projekt Verschlechterungsverbot siehe Umweltrechtsprinzipien Verteilung – hoheitliche Erstverteilung 102 ff. – öffentlich-rechtliche Verteilungsordnung 99 ff., 107, 125 – Umweltverteilung 17 – Verteilungsentscheidung 17, 21, 57, 102, 110, 122, 125, 132 ff., 141, 143 f., 148, 151, 154, 171 f., 184, 191 f. – Verteilungsprogramm 105 f., 130 f., 135 – Verteilungsverfahren 101 f., 106, 123, 125 f., 131, 132 f., 135, 139 ff., 146 ff., 150 f., 168, 190 – Verteilungswirkung 18 ff., 99, 101 f., 106 f., 126 f., 129 ff., 148, 151 ff., 190 f. Verteilungsdirektiven/-vorgaben – unionsrechtlich 145 ff. – verfassungsrechtlich 133 ff.

Verteilungskriterien – Begriff 134 – formale 57, 89 f., 98, 150, 164, 167, 189 – materielle 153, 164, 166 f., 169 f., 172, 187 Vorprüfung 28, 38, 174 Vorrangwirkung – materiell-rechtlich 66 ff., 98, 163 Vorsorgeprinzip siehe Umweltrechtsprinzipien Wesentlichkeitstheorie 141, 143, 191 Wirkfaktor – (direkter) Flächenverlust 36 f., 131, 177, 180 – Stickstoffverbindungen/Nährstoffeintrag 20 f., 23, 32, 36, 64, 156, 168, 170, 173, 176, 178, 190, 192 Zuteilung

105 f., 130 f.