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German Pages 320 Year 2005
Die innovative Bibliothek Elmar Mittler zum 65. Geburtstag
Die innovative Bibliothek Elmar Mittler zum 65. Geburtstag
Herausgegeben von Erland Kolding Nielsen, Klaus G. Saur und Klaus Ceynowa
Κ · G · Saur München 2005
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.
Θ Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier © K.G. Saur Verlag GmbH, München 2005 Alle Rechte vorbehalten Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig Satz: Dr. Rainer Ostermann Druck & Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Printed in Germany ISBN 3-598-11731-1
Inhalt Kurt von Figura Geleitwort
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Erland Kolding Nielsen, Klaus G. Saur und Klaus Ceynowa Vorwort der Herausgeber
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Thomas Oppermann Zurück an die Weltspitze? Traditionsuniversitäten und die Chancen der Globalisierung
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Berndt Dugall Deutsche Universitäten und ihre Bibliotheken: eine (un)endliche Geschichte?...
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Axel Halle Chancen und Risiken der Bibliotheken im Informationszeitalter: vom Knowbody zum Nobody?
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Klaus Ceynowa Strategisches Handeln in Hochschulbibliotheken
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Bärbel Schubel und Wilfried Sühl-Strohmenger Literatur- und Informationsversorgung im Freiburger Bibliothekssystem 35 Jahre Bibliotheksreform an der Albert-Ludwigs-Universität
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Sarah E. Thomas Advancing Scholarship Through Library Collaboration
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Ann Matheson The Consortium of European Research Libraries (CERL): Α European Initiative. . . 77 Friedrich Geißelmann Das Kompetenznetzwerk für Bibliotheken Bibliothekarische Sacharbeit als Aufgabe der bibliothekarischen Verbände
87
David C. Prosser Fulfilling the Promise of Scholarly Communication - A Comparison Between Old and New Access Models
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Peter Schirmbacher Die neue Kultur des elektronischen Publizierens
107
Bernhard Neumair und Dagmar Ullrich Digitale Langzeitarchivierung - nicht nur eine technische Herausforderung
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Fotis Jannidis, Gerhard Lauer und Andrea Rapp Alte Romane und neue Bibliotheken. Zum Projekt eines digitalen historischen Referenzkorpus des Deutschen
139 5
Barbara Β. Tille« Change Cataloging, but Don't Throw the Baby Out with the Bath Water!
151
Reiner Diedrichs und Ute Sandholzer Vom Bibliotheksrechenzentrum der SUB Göttingen zur Verbundzentrale des Gemeinsamen Bibliothekverbundes
159
Esko Häkli Papiergeschichte - in den Bibliotheken noch aktuell?
177
Barbara Mittler und Thomas A. Schmitz „Gutenberg kam nur bis Gonsenheim" - Gründe, warum Gutenbergs Erfindung weder in China noch bei den alten Griechen eine entscheidende Rolle gespielt hat. Ein (nicht ganz ernstgemeinter) west-östlicher Dialog
193
Heiner Schnelling Hamlet, Wittenberg, die Universität, die Bibliothek
211
Konrad Marwinski Bücherauktionen als modi extraordinari der Bestandsvermehrung an der Universitätsbibliothek Jena um 1700
223
Klaus. G. Saur Kleine Geschichte der Buchmesse in Leipzig
241
Claudia Lux Die Zentral- und Landesbibliothek Berlin und die Berliner Öffentlichen Bibliotheken - eine langwierige Strukturdiskussion
251
Sabine Weiers Konzeptionelles zur Landesbibliothek im Informationszeitalter
261
Michael Knoche Bestandaufnahme und Perspektiven nach dem Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek am 2. September 2004
271
Hans-Christoph Hobohm Der Bibliotheks-Bachelor. Oder was ist wirklich neu am neuen Berufsbild des Bibliothekars?
275
Daniel Mittler Mit dem Buch - zu jeder Zeit Anekdoten rund ums Buch und Elmar Mittler und einige Gedanken zu Nietzsche
287
Peter Fox Changing LIBER
297
Schriftenverzeichnis Elmar Mittler
305
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
318
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Geleitwort
Die Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen bildet einen integralen Bestandteil der Georgia Augusta - einer Universität, die historisches Erbe und zukunftsgerichtete Dynamik miteinander zu verknüpfen sucht. Aufbauend auf der Tradition der Forschungsbibliothek ist die SUB vor vielfältige Aufgaben gestellt: Als Staatsbibliothek für Niedersachsen, Sondersammelgebietsbibliothek und Nationalbibliothek für das 18. Jahrhundert bietet sie ein exzellentes Angebot an Forschungs- und Studienmöglichkeiten. Seit ihrer Entstehung hat sich die Bibliothek einen hervorragenden Ruf erarbeitet, der wesentlich durch ihre bibliothekarischen Leiter geprägt wurde. Elmar Mittler hat es in den vergangenen 15 Jahren hervorragend verstanden, das Renommee dieser Institution zu bewahren und auszubauen. Elmar Mittler zeichnet sich durch exzellente, international beachtete fachwissenschaftliche Arbeit aus, die er mit den organisatorischen und bibliothekarischen Anforderungen, die sich ihm an seinen Wirkungsstätten in Freiburg, Karlsruhe, Heidelberg und schließlich in Göttingen stellten, hervorragend verbunden hat. Die bibliothekarische Arbeit hat Elmar Mittler durch sein systematisches Vorgehen auf neue Grundlagen gestellt. Seine organisatorischen Leistungen sind durch Berufung in viele Gremien, wie in den Bibliotheksausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft belegt. Zu den wesentlichen Aufgaben des modernen Bibliothekars gehört auch der Bibliotheksbau. Hier hat Elmar Mittler seine praktische Arbeit - die Vollendung des Neubaus der SUB Göttingen und die Sanierung ihres historischen Gebäudes - durch historische Forschungen und systematische Arbeiten ergänzt und erweitert. Die Automatisierung des Bibliothekswesens hat er prägend mitgestaltet und konsequent zur Idee der Digitalen Bibliothek erweitert. Der Brückenschlag vom gedruckten Buch zur universell verfügbaren Information ist in den exemplarischen Digitalisierungen der Bibliothek, wie der interaktiven Internetversion der Gutenbergbibel, der digitalen mathematischen Bibliothek und der Sammlung der Reiseberichte des 18. und 19. Jahrhunderts eindrucksvoll belegt. Für die Universität ist die dadurch entstandene Kooperation internationaler Bibliotheken in der Unterstützung der Forschung von unschätzbarer Bedeutung. Ich gratuliere Elmar Mittler herzlich zu seinem 65. Geburtstag, danke ihm für seinen geleisteten großen Beitrag zum Wissenschaftsstandort Göttingen und freue mich auf weitere Jahre der guten Zusammenarbeit zwischen der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek und der Georgia Augusta. Kurt von Figura Präsident der Georg-August-Universität Göttingen
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Elmar Mittler wird 65 Jahre alt
Ein Anlass zur Trauer? Glücklicherweise nein! Denn er scheidet nicht aus dem aktiven Dienst aus. Man kann es sich natürlich auch gar nicht vorstellen, dass er irgendwann einmal aus Aktivitäten aussteigen würde, aber glücklicherweise wurde er zum ordentlichen Professor der Georg-August-Universität Göttingen berufen und ist deshalb natürlich nicht an Pensionierungsgrenzen gebunden. Wir können also weiter damit rechnen, dass Elmar Mittler seine Aktivitäten im Inund Ausland, weit über Göttingen hinaus zur Verfügung stellen wird und weiterhin der große Anreger, Ideengeber und Initiator bleiben wird - wie er dies schon seit rund 35 Jahren ist. Damals war er stellvertretender Direktor der Universitätsbibliothek Freiburg und entwickelte den legendären Gesamtplan für das wissenschaftliche Bibliothekswesen. Eine Initiative und eine Publikation, die erhebliche Folgen gezeigt hat, wenn auch keineswegs alles aus diesem grandiosen Plan auch nur annähernd vollständig realisiert wurde. Aber wesentliche Entwicklungen sind dadurch entstanden und beeinflusst worden. In ganz jungen Jahren wurde er Direktor der Landesbibliothek Karlsruhe, entwickelte ungewöhnliche Aktivitäten und innerhalb kurzer Zeit wurde diese Landesbibliothek ein kultureller Mittelpunkt, ein Diskussionszentrum, von dem viele Aktivitäten ausgegangen sind. Die nächste Station war die bekannte Bibliothek der berühmten Heidelberger Universität. Hier kam er genau rechtzeitig, um das 600-jährige Jubiläum der ältesten im deutschen Raum befindlichen Universität massiv zu beeinflussen und zu gestalten. Ihm gelang es, die besten, schönsten, wichtigsten Palatina-Exponate aus Rom zur Ausstellung nach Heidelberg zu bringen, den wunderbarsten Katalog dafür herzustellen und Besucherströme in die Universität zu führen, wie es sie vorher nie gegeben hatte. Der Erfolg dieser Ausstellung war so grandios, dass mehr als zwei Drittel aller Berichte über das Heidelberger Universitätsjubiläum geradezu ausschließlich der PalatinaAusstellung gewidmet waren. Es gelang ihm, mit dem Vatikan - durch Gespräche mit dem Papst persönlich und Kardinal Stickler - eine Vereinbarung zu erreichen, dass die gesamte Kollektion der Palatina-Bibliothek im Vatikan komplett verfilmt werden konnte und damit der Weltöffentlichkeit erschlossen wurde. 1990 kam er dann nach Göttingen und wurde Direktor der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek. Vorher wurde er schon zum Honorarprofessor der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ernannt. Dann wurde er auch Honorarprofessor in Göttingen und dann Ordinarius. Eine der ältesten Universitäten dieser Welt - die Universität in Paris - verlieh ihm den Ehrendoktor. Er ist Autor unendlich vieler Beiträge, Herausgeber vieler Zeitschriften und weiterer Publikationen, und bibliothekarisch wichtige Gremien kann man sich ohne seine Mitwirkung nicht vorstellen. Es gibt unendlich viel Anlass, ihm nun zu seinem 65. Geburtstag, ganz herzlich zu danken und wir freuen uns, dass wir dies in Form dieser großen Festschrift so darbieten können. Erland Kolding-Nielsen
Klaus G. Saur
Klaus Ceynowa 9
Thomas Oppermann
Zurück an die Weltspitze? Traditionsuniversitäten und die Chancen der Globalisierung
Das hochschulpädagogische Institut der Jiao Tong-Universität in Shanghai hat zum zweiten Mal eine Liste der 500 besten Universitäten der Welt vorgelegt. Es überrascht nicht, dass die Liste von Harvard, Stanford und Cambridge angeführt wird. Mit 35 unter den ersten 50 sind die amerikanischen Universitäten dominant repräsentiert. Unter den ersten einhundert Plätzen finden sich immerhin auch sieben deutsche: nach den beiden Münchener Universitäten (Platz 45 für die TU, Platz 51 für LMU) folgen Heidelberg auf 64, Göttingen auf 79, Freiburg auf 88, sowie die Humboldt-Universität auf 95 und Bonn auf 99.' Es mag fraglich sein, ob diesem so genannten Ranking ein anhand präziser Kriterien nachvollziehbarer internationaler Leistungsvergleich zugrunde liegt. Diese Frage soll hier nicht vertieft werden. Bei den unterschiedlichen Unternehmungen dieser Art fällt indessen auf, dass deutsche Universitäten dabei schlecht abschneiden. Vermutlich sind Universitäten wie Heidelberg und Göttingen beim Shanghai-Ranking nur deshalb unter die ersten einhundert gekommen, weil eines der Vergleichskriterien die Zahl der Nobelpreisträger seit 1901 ist. Bis 1933 gewannen die Deutschen in den Fächern Physik und Chemie tatsächlich die meisten Nobelpreise. Heidelberg und Göttingen hätten deshalb in der Jiao Tong-Tabelle vor 75 Jahren noch unter den ersten 10 ihren Platz gefunden. Sie waren international renommierte Eliteuniversitäten. Dass die besten deutschen Universitäten trotz punktuell ausgezeichneter Leistungen in der Forschung heute nicht mehr zu den Spitzenuniversitäten in der Welt zählen, hat viele Gründe. Anders als in Cambridge, Oxford oder den amerikanischen Forschungsuniversitäten wurde seit 1910 zunächst in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und später in der Max-Planck-Gesellschaft Spitzenforschern außerhalb der Hochschulen ein attraktives Umfeld geboten. Würde man in München und Berlin, in Heidelberg, Göttingen oder Tübingen die wissenschaftlichen Leistungen der Max-Planck-Institute den dortigen Universitäten zuordnen, würde sich unmittelbar ein anderes Bild ergeben. Viel gravierender als dieser forschungsorganisatorische Aspekt ist die Vertreibung jüdischer und liberaler Wissenschaftler während der Nazizeit. Die erzwungene Auswanderung erstklassiger Wissenschaftler hatte eine negative Langzeitwirkung, nur wenige kehrten nach Ende des Weltkrieges nach Deutschland zurück. Die Hochschulen erholten sich nur mühsam von den Verlusten. Aber nicht nur in der Forschung, auch in der Lehre verloren die deutschen Universitäten spätestens seit Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts den Anschluss an international herausragendes Niveau, als sie gezwungen wurden, massenhaft Studierende aufzunehmen, ohne dafür finanziell ausgestattet zu werden. An diesen Umständen hat sich trotz zeitweilig geringfügig nach1
Übersicht bei Christine Brinck, Humboldt lebt in Amerika, WELT, vom 15.12.2004.
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Thomas
Oppermann
lassender Studierendenzahlen bis heute nichts geändert. In dem Maße, in dem die Finanzausstattung pro Studierenden zurückging, wuchs ein bürokratisches Dickicht heran und führte zur vollständigen Verrechtlichung aller Beziehungen. Studienplätze werden bewirtschaftet und aufgrund von Abiturnoten und Wartezeit zugeteilt. Unter den Bedingungen der Massenuniversität blieb das humboldtsche Ideal einer forschungsbasierten Lehre unerreichbar. Aber auch jene praktische Orientierung, wie sie den anglo-amerikanischen professional schools eigen ist und die nicht nur auf dem Papier einen berufsqualifizierenden Abschluss ermöglichen, gibt es in Deutschland allenfalls an Fachhochschulen, nicht aber an Universitäten. Dort herrscht die im Prinzip durchaus wertvolle Freiheit des Studiums, die aber mangels angemessener Betreuung und guter Anleitung durch kluge Lehrer dazu führt, dass die Studierenden sich selbst überlassen bleiben. Alle Beteiligten erscheinen in diesem System überfordert. Den Professoren fehlt die Muße zum Forschen, die Universität ist nicht mehr der „Ort des längeren Gespräches und der ruhigen Überlegungen und Gedankenspiele"2. Auf der anderen Seite stellen hohe Abbrecherquoten und die im internationalen Vergleich längsten Studienzeiten auch Qualität von Studium und Lehre in Frage. Persönlichkeitsbildung ist im Gegensatz zur angelsächsischen education im deutschen Hochschulsystem nicht Teil des Curriculums, findet aber gleichwohl statt, indem sich die Studierenden in einem System organisierter Gleichgültigkeit behaupten und durchsetzen müssen. Trotz der dargestellten Mängel bringt das deutsche Hochschulsystem brauchbare Hochschulabsolventen und gute Nachwuchswissenschaftler hervor. Junge Naturwissenschaftler aus Deutschland sind im Ausland sogar sehr begehrt. Auch in der Forschung ist Deutschland keineswegs abgeschlagen, sondern liegt, sicherlich in erster Linie dank der qualitätsorientierten Forschungsförderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, gemessen an den Publikationen auf einem dritten Rang hinter Großbritannien, allerdings mit weitem Abstand hinter den führenden Vereinigten Staaten. Bei den Spitzenuniversitäten indessen kommen aus Deutschland keine führenden Vertreter. Die Traditionsuniversitäten aus Berlin und München, Göttingen und Heidelberg, Tübingen und Jena sind zwar noch weltweit bekannt, aber hauptsächlich wegen ihrer herausragenden Rolle in der europäischen Geistesgeschichte. Ihre Leistungen in den modernen Naturwissenschaften sind in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts im internationalen Vergleich deutlich höher zu bewerten als in den letzten dreißig Jahren. Ist eine Rückkehr an die Weltspitze möglich? Können Göttingen und Heidelberg wieder an jene Erfolgsgeschichte anknüpfen, die 1933 von den Nazis gestoppt wurde? Das ist nicht einfach, aber auch nicht aussichtslos. Einfach ist es nicht, weil in den zurückliegenden Jahrzehnten die internationale Konkurrenz stärker geworden ist. Die im 18. und 19. Jahrhundert ausgeprägte, bis in das 20. Jahrhundert hineinreichende Überlegenheit der europäischen Universitäten gibt es nicht mehr. Die im Zuge der beiden Weltkriege zur Weltmacht aufgestiegenen USA haben beim Aufbau ihrer Eliteuniversitäten in besonderer Weise vom Exodus der deutschen Spitzenforscher profitiert, aber auch als Einwanderungsland für Wissenschaftler exzellenten Nachwuchs weltweit angezogen. Die finanziell glänzend ausgestatteten, auf Leistung und Wettbewerb getrimmten ame2
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Birger P. Priddat, Universities on markets, Forschung & Lehre 10/00, Seite 521.
Zurück an die
Weltspitze?
rikanischen Forschungsuniversitäten gelten heute als die besten Universitäten der Welt. Ihre führende Position ist indessen nicht unangreifbar. Restriktive Einreisebestimmungen im Zuge von Terrorismusbekämpfung und Heimatschutz sowie anwachsender religiöser Fundamentalismus vermindern die Attraktivität der im übrigen immer noch ausgezeichneten Forschungsbedingungen in den USA. Gleichwohl müssen die deutschen und europäischen Universitäten gewaltige Anstrengungen unternehmen, wenn sie in einen Wettstreit mit den besten Hochschulen eintreten wollen. Die Ausgangslage ist dabei trotz aller Mängel, die dazu geführt haben, den Anschluss an die Weltspitze zu verlieren, nicht schlecht. Denn die deutschen Hochschulen weisen fast durchgängig eine international gute durchschnittliche Qualität auf und können sich damit im oberen Mittelfeld behaupten. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen gibt es in Deutschland keine wirklich schlechten Universitäten. Dies ist ein gutes Fundament für die Bildung von Spitzenuniversitäten. Es wäre jedoch ein verhängnisvoller Fehler, die dafür nötigen finanziellen Ressourcen den in der Breite gut aufgestellten Hochschulen wegzunehmen und zugunsten einiger weniger Spitzenuniversitäten zu konzentrieren. Da das Hochschulsystem in Deutschland insgesamt unterfinanziert ist, müssen zusätzliche Mittel für Spitzenuniversitäten auch zusätzlich generiert werden. Zusätzliche Finanzmittel sind notwendig, aber nicht hinreichend. Gute Wissenschaft ist das Ergebnis komplexer Voraussetzungen und lässt sich nicht kurzfristig mit staatlichen Fünfjahresplänen realisieren. Gute Wissenschaft wächst im Wettbewerb. Wettbewerb und Leistung, Freiheit, Geld und gute Leute sind ihre Voraussetzung.
Wettbewerb und Leistung Wissenschaftlicher Wettbewerb ist in Deutschland der auf die jeweiligen Disziplinen beschränkte Reputationswettbewerb der Wissenschaftler. Ein Wettbewerb, in dem ganze Institutionen miteinander um die führende Position kämpfen, ist eine hierzulande wenig verbreitete Vorstellung.3 Dies hat etwas damit zu tun, dass die Universität als Institution kein Gegenstand der Identifikation mehr ist. Die seit den siebziger Jahren mit Öffentlichem Dienst- und Haushaltsrecht bürokratisierte und dadurch gleichsam verstaatlichte Universität ist zu einem Lehrbetrieb ohne Inspiration und Identifikation geworden. Dies hat nicht verhindert, dass in Teilen der Universität, in einzelnen Instituten oder Fakultäten international beachtliche Leistungen erbracht werden. Daran gilt es anzuknüpfen: Ausgehend von den Leistungsträgern ist eine qualitätsorientierte Leistungs- und Wettbewerbskultur für die ganze Universität zu entfalten. Dies kann gelingen, wenn die Leistungsträger wieder mehr Einfluss auf die Geschicke einer Universität bekommen. Dies könnte gefördert werden durch die Einführung eines Gemeinkostenzuschlags (sog. overhead)) bei öffentlichen Drittmitteln. Dadurch würde jede erfolgreiche Drittmitteleinwerbung zugleich einen Beitrag für die Grundfinanzierung der gesamten Universität leisten. Auf diese Weise wird der Einfluss der Leistungsträger gestärkt. 3
Karl Max Einhäupl, Der lange Marsch zu den Gipfeln, DIE ZEIT Nr. 47, 2004da
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Thomas Oppermann
Natürlich kann eine Universität nicht auf allen Feldern eine gleichmäßig sehr gute Qualität aufweisen. Deshalb müssen zunächst die vorhandenen Stärken ausgebaut werden, aber auch Gebiete aufgegeben werden, in denen auf Dauer Spitzenleistungen nicht erreichbar erscheinen.
Freiheit Gute Wissenschaft kann nur gelingen, wenn die Forscher ihre wissenschaftliche Neugier unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Grenzen ungehindert entfalten können. Die staatlich festgelegten Regeln für die Forschung mit humanen Stammzellen und bei der Gentechnik markieren Grenzen, die die Forschung einengen und nur dann vertretbar sind, wenn sie präzise aus der Verfassung abgeleitet werden können. Zur Freiheit gehört aber auch die notwendige Zeit und Muße, die einen Forscher erst zum spielerischen und kreativen Umgang mit Erkenntnisinteressen, gedanklichen Hypothesen oder experimentellen Anordnungen befähigt. Diese Freiheit darf nicht durch ein Übermaß an bürokratischen Anforderungen im Lehr- und Forschungsbetrieb behindert werden. Völlig undenkbar ist eine Spitzenuniversität unter der Geltung der Kapazitätsverordnung, die nach Maßgabe sogenannter Curricularnormwerte die Universitäten zwingt, ihre Kapazitäten restlos auszuschöpfen. Damit wird den deutschen Hochschulen verboten, mit den vorhandenen Mitteln bessere Betreuungsrelationen herzustellen und dadurch Niveaupflege zu betreiben. Genau diese Niveaupflege ist aber das Merkmal einer Spitzenuniversität. Wenig wahrscheinlich ist auch, dass sich internationale Spitze in Universitäten entfaltet, die von Kultusbürokratien wie nachgeordnete Behörden auf der Grundlage des Anstaltsrechts behandelt werden und die in der Selbstverwaltung vorbehaltenen Bereich vornehmlich damit beschäftigt sind, sich über Gruppeninteressen zu verständigen. In einer auf solche Art zugleich verstaatlichten und gelähmten Universität entsteht keine ausschließlich der Leistungs- und Qualitätssteigerung verpflichtete Innovationsund Managementkultur. Die Hochschulen müssen deshalb entstaatlicht, entbürokratisiert oder „entfesselt"4 werden. Dazu gibt es seit einigen Jahren ernstzunehmende Versuche durch die Einführung von Globalhaushalten anstelle einer dirigistischen und unwirtschaftlichen Kameralistik und durch Übertragung der Entscheidung und Verantwortung für Investitionen und Wirtschaftspläne auf die Hochschulen. Die niedersächsischen Stiftungsuniversitäten5 sind sogar Eigentümer der Immobilien, werden anstelle der Kultusbürokratie von einem Stiftungsrat kontrolliert, der ohne staatliche Mitwirkung im Einvernehmen mit dem Präsidium der Hochschule auch die Professoren und Professorinnen beruft. Dieses Modell ist der bisher am weitesten gehende Versuch, öffentlichen Hochschulen eine ähnliche Entscheidungsfreiheit und Entscheidungsfreude zu geben, wie sie in Deutschland sonst nur Privathochschulen genießen, 4 5
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Vgl. dazu Detlev Müller-Böling, Die entfesselte Hochschule, Gütersloh 2000 Dazu Thomas Oppermann (Hg), Vom Staatsbetrieb zur Stiftung, Göttingen 2002
Zurück an die
Weltspitze?
in der Schweiz (ΕΤΗ Zürich) oder in den Vereinigten Staaten (Berkeley), aber auch für öffentliche Hochschulen üblich sind.
Geld Bei der Hochschul- und Forschungsfinanzierung liegt Deutschland im europäischen Durchschnitt. Die von der Europäischen Union beschlossene Zielsetzung, Europa bis 2010 zur dynamischsten Wirtschaftsregion der Welt zu machen und dafür die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung von 2,5 % des Bruttoinlandsproduktes auf 3 % zu steigern, verlangt von Deutschland einen Zuwachs um 5 Mrd. Euro. In diesem Zusammenhang muss auch die im internationalen Vergleich zu geringe Ausstattung der deutschen Hochschulen in Angriff genommen werden. Gute Wissenschaft kostet Geld, sehr gute Wissenschaft kostet viel Geld. Diese schlichte Erkenntnis ist in Deutschland missachtet worden. Die Öffnung der Hochschulen ohne ausreichende Finanzausstattung war eine Entscheidung nach dem Motto: viel Wissenschaft für wenig Geld. Im Verhältnis zur Wirtschaftskraft sanken die Hochschulausgaben von 1,21 % des Bruttoinlandsproduktes in 1980 auf 0,89 % in 1999. Hier liegt ein strukturelles Defizit vor, das nicht mit befristeten Sonderprogrammen behoben werden kann. Eine Rückkehr an die Weltspitze setzt voraus, dass in den kommenden Jahrzehnten die Hochschulausgaben stärker wachsen als das Bruttoinlandsprodukt. Um dies zu erreichen, müssen mehr private Mittel in die Universitäten fließen. Dazu gehören auch Beiträge der Studierenden, die gerechtfertigt sind, wenn sie im Gegenzug erstklassige Studienbedingungen vorfinden und durch Stipendien oder den Modus der nachträglichen, erst nach Erreichen bestimmter Einkommensgrenzen erfolgender Zahlung gewährleistet ist, dass eine Selektion nach sozialen Kriterien unterbleibt.
Gute Leute Gute Wissenschaft kann nur von guten Wissenschaftlern erzeugt werden. Gute Wissenschaftler sind, auch wenn noch längst nicht alle Bildungsreserven ausgeschöpft sind, ein knappes Gut und können nicht beliebig vermehrt werden. Dies gilt erst recht für international erstklassige Wissenschaftler. Um Spitzenforscher ist deshalb ein internationaler Konkurrenzkampf entbrannt, den bisher insbesondere amerikanische Universitäten für sich vorteilhaft gestalten konnten. Nur in dem Maße, in dem gelingt, Spitzenwissenschaftler für deutsche Universitäten zu gewinnen, besteht die Chance, an die Weltspitze zurückzukehren. Dafür sind entsprechend attraktive Bedingungen zu schaffen. Hochschulen muss es freigestellt werden, wie sie Professoren bezahlen. Das inzwischen entwickelte System der leistungsorientierten Bezahlung ist noch zu kompliziert und ermöglicht zu geringe Spielräume, ist aber ein erster Schritt in die richtige Richtung. Gute Wissenschaftler können aber nicht allein mit hohen Gehältern gelockt werden, sie müssen auch gute Arbeitsbedingungen vorfinden. Dazu wiederum gehört nicht nur die räumliche und personelle Ausstattung, sondern auch ein anregendes 15
Thomas Oppermann
Umfeld für fachlichen Austausch und interdisziplinäre Zusammenarbeit. Gute Leute fühlen sich zu guten Leuten hingezogen, so dass die erfolgversprechendste Strategie darin liegt, in den starken Fächern anzusetzen, in denen eine Universität bereits gute Wissenschaft zu bieten hat. Die Bildung einer Spitzenuniversität ist letztlich nichts anderes, als eine sukzessive Clusterbildung von international herausragenden Wissenschaftlern. Die Aufgabe von Wissenschaftspolitik und Hochschulmanagement ist es, mit Hilfe fachlicher Bewertung Chancen für eine solche Clusterbildung zu erkennen und den Weg für ihre Entfaltung freizumachen. In diesem Sinne ist es erforderlich, dass die Politik sich in der Wissenschaft stärker zurücknimmt und ihre gestaltende Rolle auf die eines Dienstleisters für gute Wissenschaft reduziert. Spitzenuniversitäten brauchen aber nicht nur die besten Wissenschaftler, sie brauchen auch die besten Studierenden. Um diese muss sich eine erstklassige Universität selbst bemühen. Die Zuweisung von Studierenden durch eine öffentliche Stelle ist damit unvereinbar. Trotz der hohen Studiengebühren in den Vereinigten Staaten konkurrieren die amerikanischen Forschungsuniversitäten nicht um die reichsten, sondern um die fähigsten Studierenden. Dies ist nur möglich, wenn die Hochschulen ihre Studierenden ohne Einschränkungen selbst auswählen dürfen. Das muss nicht für alle Hochschulen gelten, für Spitzenuniversitäten ist es unabdingbar. Der damit verbundene Aufwand ist beachtlich, spiegelt aber den hohen Wert eines Studienplatzes an einer Spitzenuniversität und ist Ausdruck einer hohen Wertschätzung gegenüber den Studierenden, die sich dort um einen Studienplatz bemühen. Am Auswahlprozess beteiligte Professoren und ausgewählte Studierende bieten gute Voraussetzungen für ein partnerschaftliches Verhältnis, wie es Wilhelm von Humboldt zwischen Lehrenden und Lernenden so formulierte: „Der Erstere ist nicht für die Letzteren, beide sind für die Wissenschaft da, sein Geschäft hängt mit an ihrer Gegenwart und würde ohne sie nicht gleich glücklich vonstatten gehen."6
Humboldt im 21. Jahrhundert Stärker als zu Beginn eines Studiums wird sich die Einheit von Forschung und Lehre im fortgeschrittenen und im Graduiertenstudium entfalten können. Wie im Studium müssen erstklassige Universitäten auch bei der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses neue Wege gehen. Wenn sie sich dabei am Niveau der neu entwickelten, curricular strukturierten, interdisziplinär arbeitenden und international ausgerichteten Graduate-Schools bzw. Max-Planck-Research-Schools orientieren, können sie höchsten internationalen Ansprüchen Rechnung tragen. Gut ausgestattete Juniorprofessuren genügen diesen Ansprüchen ebenfalls. Unter den dargestellten Voraussetzungen können die besten deutschen Universitäten nicht nur auf einem langen und arbeitsreichen Weg zu den weitbesten Universitäten aufschließen, sondern auch die humboldtschen Vorstellungen aus dem frühen 19. Jahrhundert für das frühe 21. Jahrhundert zeitgemäß interpretieren. In Abgrenzung zum 6
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Wilhelm v. Humboldt, Zit. nach Mlynek, Tagesspiegel v. 22.10.2004
Zurück an die
Weltspitze?
neoliberalen Konzept einer Weltmarkt-Universität nach dem Vorbild transnational agierender Unternehmen auf der einen, und der nostalgischen Strömung, die die neoliberale Agenda ablehnt und sich an alten, gegenüber historischen Veränderungen nicht mehr haltbaren Strukturen festklammert, auf der anderen Seite will Ulrich Beck den Humboldt des 19. Jahrhunderts aus seinem nationalstaatlichen Kontext lösen und mit ihm „die Idee der Universität als Schule der Weltbürgerlichkeit neu begründen."7 In Zeiten dramatischer Veränderungen und globaler Konkurrenz werden sowohl für die Weltwirtschaft als auch für die demokratische Gesellschaft schöpferisch handelnde Grenzgänger wichtiger, die in der Lage und bereit sind, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen: „Die Betonung von Individualität, Kreativität, Selbstbewusstsein und Selbstverantwortlichkeit folgt nicht aus dem Idealismus der Aufklärung, sondern aus dem ökonomischen Realismus der Weltwirtschaft und des sich zurückziehenden Staates: Das ist Humboldt - nicht McKinsey!" Beck will mit einer „kosmopolitische(n) Agenda die Universität zum Experimentalort einer zweiten, postnationalen Aufklärung" machen. Die Universität als Schule der Weltbürgerlichkeit ist eine faszinierende und zugleich raffinierte Idee, weil sie der Globalisierung etwas Positives abgewinnt und zugleich eine Antwort auf die mit ihr einhergehenden Gefahren und Verwerfungen gibt. Wenn die deutschen Traditionsuniversitäten, wenn Humboldt-Berlin, Göttingen und Heidelberg internationale Spitzenuniversitäten werden wollen, dann wird es nicht genügen, den von Amerika importierten Humboldt schlicht zu reimportieren. In seiner Rektoratsrede in der Berliner Humboldtuniversität vermerkte der Althistoriker Theodor Mommsen 1874, dass „in der Großartigkeit der Begründung (...) keine Hochschule Deutschlands der unseligen sich vergleichen kann"8. Für die Universität des 21. Jahrhunderts und besonders für Spitzen- oder Eliteuniversitäten gibt es viele gute Gründe. Eine „großartige Begründung", wie sie Humboldt der Berliner Universität gegeben hat, steht allerdings für das 21. Jahrhundert noch aus. Die Idee der Universität als Schule der „Weltbürgerlichkeit" sollte darin allerdings nicht fehlen.
7 8
Ulrich Beck, Vorwärts zu „Humboldt 2", DIE ZEIT v. 11.11.2004. Theodor Mommsen, Zitiert nach Rüdiger vom Bruch, Forschung & Lehre 3/2004, S. 137.
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Berndt Dugall
Deutsche Universitäten und ihre Bibliotheken: eine (un)endliche Geschichte?
Die organisatorische Bewältigung der Informationsversorgung gerade deutscher Universitäten - früher unter dem Namen Literaturversorgung „strapaziert" - beschäftigt die einschlägige Fachwelt eigentlich seit Beginn der Humboldtschen Reformen, waren diese doch - wenn vielleicht auch ungewollt - sozusagen die Geburtsstunde eines sich entwickelnden Dualismus zwischen zentraler Universitätsbibliothek und einer wachsenden Zahl von Handapparaten, die sich nach und nach zu Instituts-, Seminar,- oder Lehrstuhlbibliotheken heraus bildeten. Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden die Zustände beklagt, aber je nach Interessenlage mit völlig konträren Lösungsansätzen verbunden. Die Anfangsphase war wohl gelegentlich noch dadurch gekennzeichnet, dass teilweise Jahrzehnte darum gerungen wurde, ob es in konkreten Fällen überhaupt einer solchen dezentralen Bibliothek bedürfe. So dauerte es - um ein Beispiel zu zitieren - bei dem 1812 gegründeten Philologischen Seminar der Universität Berlin immerhin bis 1874, bis eine eigene Seminarbibliothek eingerichtet werden konnte1 . Im Handbuch der Bibliothekswissenschaft2 lesen wir in dem zum Thema Institutsbibliotheken verfassten Beitrag von Gotthold Naetebus „eigene Bibliotheken, die neben eigenen Räumen uns heute als ein unentbehrlicher Bestandteil der Universitätsinstitute und als die unerlässliche Voraussetzung für ihr ersprießliches Wirken erscheinen, waren anfänglich keineswegs allgemein vorhanden." 1893 wies das Adressbuch der Deutschen Bibliotheken bei genannten 14 Universitäten insgesamt 114 Institutsbibliotheken nach3. Einhundert Jahre später war es nicht vermessen zu behaupten, dass die meisten dieser 14 Universitäten es jeweils alleine auf eine deutlich höhere Anzahl brachten. In dem bereits zitierten Beitrag von Naetebus heißt es für die Jahre 1880 folgende ,,in demselben Jahrzehnt, in dem die Institutsbibliotheken große Fortschritte in ihren Beständen erzielten, begann die Not der Universitätsbibliotheken". Schon 1891 versuchte Friedrich Althoff vergeblich, über einen Erlass die Verhältnisse neu zu ordnen und zu einer Klärung der jeweiligen Aufgabenfelder beizutragen4, in dem er festlegte, dass die Universalbibliothek die zentrale Ausleihbibliothek, die Institutsbibliotheken hingegen reine Präsenzbibliotheken zu sein hätten. Im Zuge der Umsetzung dieses Erlasses entwickelten sich dann so allerlei „Pseudoaktivitäten", angefangen vom halbherzigen Aufbau von Gesamtkatalogen, bis hin zu Koordinationsbemühungen. Wie gelungen sich dies zumindest aus Sicht der Biblio1
Lenz, Max: Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms Universität zu Berlin. Halle a.d. Saale: Verl. d. Buchh. d. Waisenhauses Bd III (1910) S. 211.
2
Handbuch der Bibliothekswissenschaft: hrsg. V. Fritz Milkau. Wiesbaden, Harrassowitz. Band 3 (1940): Geschichte der Bibliotheken S. 526.
1
Zentralblatt für Bibliothekswesen (ZfB). Beiheft X. Leipzig 1893. Hier S. XVII.
4
ZfB VIII (1891) S. 550.
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Berndt
Dugall
thekare darstellte, zeigte nicht zuletzt die auf dem Berliner Bibliothekartag 1906 geführte Diskussion, in der wohl mehrere Redner eine „scharfe Beschneidung der Anschaffungsmittel der Institutsbibliotheken unter gleichzeitiger Aufbesserung der Vermehrungsfonds der Universitätsbibliotheken" forderten5. Auch Ideen, die uns erst in alleijüngster Zeit wieder im Begriff der „funktionalen Einschichtigkeit" entgegentreten, wurden damals schon angedacht („zur Gewähr einer guten Verwaltung [der Institutsbibliotheken] seien Inventarisierung und Katalogisierung der Kontrolle des Direktors der Universitätsbibliothek zu unterstellen"). Erstaunlich ist, dass in der Zeit zwischen 1880 und etwa 1930 fast kein Bibliothekartag abgehalten wurde, auf dem das Spannungsfeld zwischen Instituts- und Universalbibliotheken nicht Gegenstand von Vorträgen und Diskussionen war. Ebenso erstaunlich aber ist, dass zwischen 1930 und 1980 das gleiche Thema kaum noch jemanden wirklich interessierte. Für die dreißiger und vierziger Jahre ist dies aus unterschiedlichen Gründen noch verständlich. Dass danach aber zumindest bei den Bibliotheken der Universitäten, die nach dem Krieg weiter ausgebaut wurden, die Diskussion fast 40 Jahre kaum geführt wurde, ist nicht recht nachvollziehbar. Ein Grund mag vielleicht sein, dass die Phase des teilweise ungebremsten Wachstums beide Seiten eines zweischichtigen Bibliothekssystems insoweit zufrieden stellte, dass man sich auf Seiten der Bibliothekare liebend gerne ergiebigeren Feldern zuwandte, auf Seiten der Institute überhaupt kein Interesse daran hatte, an dem erreichten Status irgendetwas zu ändern. Auch die in diesem Zusammenhang unvermeidlich zu erwähnende Denkschrift der DFG war - wenn man es streng betrachtet - nichts weiter als eine modernisierte Fassung des Althoffschen Erlasses von 18916. In dem Sammelwerk „zur Theorie und Praxis des modernen Bibliothekswesens"7 schreibt Friedrich-Adolf Schmidt-Künsemüller über die Entwicklung der Institutsbibliotheken: „sie wuchsen unverhältnismäßig schneller als die Hochschulbibliotheken". Und weiter heißt es dazu: „Eine Abstimmung oder Zusammenarbeit zwischen den Bibliotheken wurde weder als notwendig empfunden, noch gewünscht. So entwickelten sich beide Partner immer stärker auseinander. Weder die Unterhaltsträger noch die Organe der Universitäten interessierten sich damals für irgendwelche Reformen des traditionell gewachsenen, aber durch die Zeit überholten Zustandes". Die in den 70er Jahren aufblühenden Bibliothekssysteme der universitären Neugründungen (Konstanz, Bielefeld...) weckten zwar gewisse Hoffnungen, dass es einmal insgesamt anders werden könnte, aber Schmidt-Künsemüller fährt auch fort: „noch aber ringen die Bibliotheken der alten Universitäten unter dem Druck der Entwicklung um Formen des Übergangs und der Anpassung...", um dann etwas später resigniert festzustellen „zu fest gefügt sind die historisch gewachsenen Strukturen an den alten Universitäten, als dass eine völlig neue Form sich in Kürze durchsetzen ließe". 5 6
7
20
ZfB XXIII (1906) S. 365 ff. Empfehlungen für die Zusammenarbeit zwischen Hochschulbibliothek und Institutsbibliotheken. Bonn: Deutsche Forschungsgemeinschaft, 1970. Zur Theorie und Praxis des modernen Bibliothekswesens. Hrsg v. W. Kehr u.a. München: Verl. Dokumentation , 1976. Bd 1.
Deutsche Universitäten und ihre Bibliotheken: eine (un)endliche
Geschichte?
Dabei ist es völlig falsch, wenn der Eindruck entstehen sollte, es hätte sich in den Jahrzehnten zwischen 1970 und 1990 nichts bewegt. Jedoch gingen die wichtigen Impulse zumeist von den Zentralbibliotheken aus. Sie waren es, die ihre Dienste nach und nach immer weiter automatisierten. Von der DV-gestützten Ausleihe, über den OPAC bis hin zum Einsatz heutiger integrierter Bibliothekssysteme lässt sich der Bogen spannen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Entwicklung an den dezentralen Bibliotheken der Universitäten oftmals über lange Zeit vorbei gelaufen ist. Teilweise lässt sich dies damit erklären, dass am Anfang der meisten Automatisierungsbemühungen der Bereich der Ausleihe stand. Ausleihe auch deshalb, weil ihr Geschehen dem „Weltverständnis" der Datenverarbeitung in den 60er und 70er Jahren fast ideal entgegenkam. Es gab viele gleichartige, sich immer wiederholende Vorgänge und man kam hinsichtlich der Speicherung mit einer sehr geringen Datenmenge aus. Im Extremfall hieß dies: Buchnummer, Lesernummer, Ausleihdatum, „Basta". Aber auch als in den 80er Jahren die Katalogisierung mehr und mehr in den Focus rückte, war es meist einfacher, zehn zentrale Universitätsbibliotheken in einem Verbund zusammen zu bringen, als innerhalb einer Hochschule auch nur 10 Institutsbibliotheken zum Mitmachen zu bewegen. Stattdessen schössen überall individualistisch geprägte ,Allegro"-Anwendungen aus dem Boden, deren Nutzen eher durch die Tempobezeichnung „Largo" zu charakterisieren war. Bis Mitte der 90er Jahre, trotz der Empfehlungen des Wissenschaftsrates8 und trotz der oft schon in den 70er Jahren formulierten „Bibliotheksparagraphen" in den Hochschulgesetzen der Länder9, in denen eigentlich eher ein geordnetes Nebeneinander als eine Integration das Leitmotiv war, blieb in den „alten" Universitäten hinsichtlich ihrer Bibliotheksstruktur im wahrsten Sinne des Wortes „alles beim Alten". Der Direktor der Universitätsbibliothek der TU München beschreibt dies mit den Worten10: „an der Technischen Universität München hatte sich seit ihrer Gründung im Jahre 1868 ein zweischichtiges Bibliothekssystem herausgebildet, das mit seinem kreativ-ungeordneten Nebeneinander von Universitätsbibliothek und weit über 100 Lehrstuhl-/Institutsbibliotheken eine Fülle von Ansatzpunkten zur Verbesserung der Literaturversorgung bot". Schon in einer an dieser Hochschule 1996 eingerichteten internen Evaluierungskommission setzte sich die Erkenntnis durch, dass ein wesentlicher Schwachpunkt des bestehenden Systems das „Festhalten" an Lehrstuhlbibliotheken" sei. Ab Mitte der 90 Jahre kam jedoch die Diskussion erneut in Bewegung. Es waren vielleicht schiere finanzielle Zwänge, die jetzt die Hochschulen veranlassten, über wirkliche Strukturreformen nachzudenken. Finanzielle Zwänge, die übrigens in der (Leidens-)geschichte dieses „kreativ-ungeordneten Nebeneinanders" nicht neu waren. Bereits 1908 hatte Wilhelm Ermans darauf hingewiesen 1 dass „die Finanzlage Preußens es nie gestatten würde, neben den voll ausgebauten Universitätsbibliotheken in den 8
Empfehlungen zum Magazinbedarf der Hochschulbibliotheken. Köln: Wissenschaftsrat, 1986. Böhm, Peter P. und Günter F. Paschek: die Bibliotheken in der Hochschulgesetzgebung des Bundes und der Länder. Ein Rechtsvergleich. Teil 1 in ZfBB 29 (1982), S. 171-183; Teil 2 in ZfBB (1982) S. 273288. 10 Kallenborn, Reiner: Aspekte der Organisationsentwicklung am Beispiel der Universitätsbibliothek der Technischen Universität München. In: Bibliothek 28 (2004) S. 319. " ZfB 25 (1908) S. 429-433. 9
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Instituten umfassende Fachbibliotheken aufzubauen". Was über viele Jahrzehnte verdrängt wurde, holte aber spätestens Mitte der 90er Jahre alle Beteiligten ein. Konkrete Fallbeispiele hierzu können einem, vom Verfasser vor einigen Jahren selbst zu diesem Thema publizierten Beitrag entnommen werden12. Die Kostenexplosion bei den Zeitschriften, das Aufkommen digitaler Medien, deren Nutzung eine neue, zusätzliche Kosten verursachende Infrastruktur erforderte, sowie wirkliche Einschnitte in den Etats der Universitäten erzeugten eine Gemengelage, die sich für neue Überlegungen als recht fruchtbar erwies. So wurde vielleicht landauf landab so intensiv wie seit Jahrzehnten nicht mehr eine Strukturdebatte in Gang gesetzt, die diesen Namen auch wirklich verdiente. Am Ende des letzten Jahrzehnts wurde die Resultate dann noch in überall neue oder zumindest stark veränderte Hochschulgesetze eingebracht, so dass heutzutage der Begriff der „funktionalen Einschichtigkeit" ein nicht mehr wegzudenkender Terminus Technicus" geworden ist, dem z.B. die Zeitschrift ZfBB ein ganzes Heft gewidmet hat13. An vielen Universitäten wurden teils interne, teils externe Kommissionen eingesetzt, die von Nuancen abgesehen, immer zu dem gleichen Ergebnis gelangten. Neben einer soliden Finanzausstattung liegt der maßgebliche Hebel zur Verbesserung der Bibliothekssysteme darin, das Nebeneinander von dezentraler und zentraler Einrichtung durch ein „Ineinander" zu ersetzen, also eine einheitliche Struktur mit eindeutiger Verantwortlichkeit zu schaffen. Selbst Rechnungshöfe kamen zu der Erkenntnis, dass nur so eine durchgreifende und systematische Effizienzsteigerung möglich sei. Nun wäre es doch scheinbar ein Leichtes gewesen, allerorten eine wirkliche Strukturreform der Bibliothekssysteme in Gang zu setzen. Zumal diese dadurch erleichtert wird, dass die zunehmend wichtiger werdenden digitalen Ressourcen Fragen etwa des optimalen Standortes völlig obsolet werden lassen. Vielfältige Anstrengungen, vorhandene gedruckte Information zusätzlich zu (retro)digitalisieren, müssten dabei eigentlich noch als Stimulanz wirken. Um die Entwicklung der letzten Jahre vielleicht etwas besser verstehen zu können, ist es nicht gänzlich unzweckmäßig, ein paar Daten aus der Deutschen Bibliotheksstatistik, bezogen auf die Jahre 1999 bis 2003 heranzuziehen14. Zu betrachten sind diese Daten in dem hier erörterten Zusammenhang unter zwei, eigentlich sogar drei Aspekten. 1. lassen sich an den Erwerbungsetats klare Veränderungstendenzen ekennen? 2. gibt es Unterschiede zwischen verschieden organisierten Bibliothekssystemen? 3. lassen sich strukturelle Veränderungen insbesondere in zweischichtigen Systemen feststellen? Eine vierte, auf den ersten Blick etwas merkwürdig, ja geradezu seltsam erscheinende Fragestellung tritt dabei noch hinzu. Wie ist es möglich, dass die von den Bibliotheken selbst gemeldeten Daten der DBS mit in anderen Veröffentlichungen getätigten Aussagen (der gleichen Bibliotheken) nicht zur Deckung zu bringen sind? An dieser 12
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Dugall, Berndt: Aktuelle Tendenzen der Neustrukturierung der Informationsversorgung an deutschen Universitäten. In ZfBB Sonderh. 75 , 1999 S. 51- 63. ZfBB (2002) Heft 5/6. Die Daten sind abrufbar unter der URL http://www.bibliotheksstatistik.de.
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Stelle wäre es sozusagen als Exkurs nicht unangebracht, auf die „Besonderheiten" der Deutschen Bibliotheksstatistik näher einzugehen. Dass sich im Laufe der Jahre Messzahlen oder Messgrößen ändern, ist nicht ungewöhnlich. Es ist aber kein Problem, Größen von Personen miteinander in Beziehung zu setzen, auch wenn in einem Jahr in Zoll und im nächsten in cm gemessen wurde, Hauptsache, der Sachverhalt ist bekannt. Bei der DBS wird man aber manchmal den Eindruck nicht los, es gehe zu wie in der Landwirtschaft, wenn ein Bauer sich in einem Jahr mit seinem 3 Wochen alten Ferkel, im nächsten aber mit dem inzwischen ausgewachsenen Schlachtschwein gemeinsam auf die Waage stellt und ein Außenstehender die Diskrepanzen des Gewichtes in Unkenntnis des Sachverhaltes nun deuten soll. Der exorbitante Zuwachs an Bänden an der UB Hannover im Jahre 2003 (über 900.000) gegenüber einem Wert von irgendwo um die 20.000 bis 25.000 in den Jahren davor ist natürlich mit der Eingliederung wesentlicher Teile der Landesbibliothek in die Hochschule erklärbar; nur solche Hinweise finden sich in der DBS nicht. Wer dies nicht weiß und dann solche „Ausreißer" nicht eliminiert, kann eigentlich nur zu völlig daneben liegenden Schlussfolgerungen gelangen. Nimmt man die Änderung der Zahl von dezentralen Bibliotheken als ein (mögliches) Maß für strukturelle Veränderungen, so lassen sich zwischen 1999 und 2003 schon Konzentrationsprozesse erkennen. Aber wie ist es zu bewerten, wenn bei 24 untersuchten Bibliothekssystemen die Zahl der dezentralen Einrichtungen in 18 Fällen zwischen 7 (Saarbrücken) und 39 (Frankfurt am Main) abnimmt, 4 Einrichtungen sozusagen den Status Quo (etwa Clausthal-Zellerfeld) beibehalten, in zwei anderen aber (Göttingen und Aachen) die Zahl der Standorte zwischen 1999 und 2003 sich um 39 bzw 53 vermehrt hat? Da drängt sich schon die Frage auf, hat die sich wirklich vermehrt, oder wurden die vorher schlicht nicht mitgezählt, oder sind die Zahlen einfach falsch? Zunächst einmal soll der Frage nachgegangen werden, ob die oftmals gehörte Behauptung, dass man allerorten mit rückläufigen Etats zu kämpfen hätte, einer realistischen Überprüfung standhält. Monika Morawetz-Kuhlmann versucht zumindest, diese These nicht nur verbal, sondern auch durch aufbereitetes Zahlenmaterial für Bayern zu belegen.15 . Dort wird aufgezeigt, dass sich die Erwerbungsetats der bayerischen Universitätsbibliotheken von ca 20 Millionen Euro 1999 auf etwa 17,5 Millionen in 2003 verringert haben. Zieht man aber die schon erwähnte DBS zu Rate, so stellt man fest, dass dort für 1999 für die gleichen Bayerischen Universitätsbibliotheken (es handelt sich konkret um Augsburg, Bamberg, Bayreuth, Eichstätt, Erlangen, München, TU München, Passau, Regensburg, Würzburg) etwa 19.260.000 Euro ausgewiesen werden, für 2003 hingegen 22.900.000 Euro. Wo da der dramatische Rückgang liegt, bleibt dem Betrachter zunächst verschlossen. Dem gleichen Betrachter bleibt auch nicht verborgen, dass ein Auslöser der Diskrepanz die nicht so ganz erklärliche Steigerung der Erwerbungsmittel in Würzburg ist (1999:1.088.139 , 2003 hingegen 4.135.636 ). Aber selbst wenn man jetzt herginge und Würzburg auf eine „scheinbares Normalmaß" zurückstutzen würde, wäre der Ansatz von 1999 nicht unterschritten. Aber kommen wir nun zu einer ersten Gesamtübersicht: 15
Moravetz-Kuhlmann, Monika: Die Quadratur des Kreises: Etat und Kostenentwicklung in den wissenschaftlichen Bibliotheken Bayerns. In: ZfBB 51 (2004) S. 295-304.
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Entwicklung Ausgaben Erwerbung in 1000 1999 59108 50589 44333 156029
Einschichtig Zweischichtig Neue Länder Summe
2001 63427 55849 43370 164647
2003 58737 57766 38580 157086
Veränderungen 01-03 -7,39% 3,43% -11,04% -4,59%
99-03 -0,63 % 14,19% -12,98% 0,68%
Untersucht wurden hierbei 30 als einschichtig anzusehende Bibliothekssysteme, 25, denen das Prädikat zweischichtig (noch) anhaftet und weitere 16, die den neuen Ländern zuzuordnen sind. Diese wurden insbesondere wegen des Aspekts der oftmals bis 2002 laufenden Büchergrundbestandszuweisungen aus dem HBFG-Verfahren getrennt behandelt. Gerade deshalb ist auch verständlich, dass in dieser Rubrik ein deutlicher Rückgang feststellbar ist. Ansonsten gilt in der Summe eher Stagnation, die jedoch bei Inflation letztlich Kaufkraftverlust bedeutet. Aber auch hier geben die zweischichtigen Systeme ein deutlich abweichendes Bild ab. Daraus können nun zwei völlig unterschiedliche Schlussfolgerungen abgeleitet werden. Die Klage von den schrumpfenden Etats ist nicht zutreffend, oder, es haben sich strukturelle Veränderungen ergeben, die gerade und ausschließlich in den zweischichtigen Systemen zu einer Verschiebung der Erhebungsbasis geführt haben. Systemkomponenten, die vielleicht oder bestimmt in früheren Jahren noch nicht unter der Zentralbibliothek geführt wurden, sind nun Bestandteil derselben. Zwingend zu beweisen ist das nicht ohne weiteres, da für den korrespondierenden Teil, nämlich die dezentralen Bibliotheken, wirklich belastbare Zahlen kaum verfügbar sind. Zu vermuten ist es aber, wenn man einen anderen Aspekt mit berücksichtigt. In der DBS werden auch Daten zu Anzahl und Größe der dezentralen Bibliotheken erhoben und dies seit vielen Jahren. Vergleicht man hier einmal die Angaben von 1999 mit denen des Jahres 2003 so fallen, wie die nachfolgende Tabelle zeigt, schon einige Tendenzen auf. Zugrunde gelegt wurden dabei die in der DBS verzeichneten Bibliothekssysteme mit mehr als 30 dezentralen Einrichtungen (die Universitäten der neuen Länder wurden dabei wegen des bei ihnen fast uneingeschränkt geltenden Postulats der Einschichtigkeit nicht berücksichtigt). In diesen insgesamt 24 Universitäten gab es 1999 noch 2595 dezentrale Bibliotheken, 2003 hingegen noch 2485. Dies entspricht einem Rückgang von 4,4%. Hätte es die „wundersame" Vermehrung in Göttingen und Aachen nicht gegeben, hätte der Rückgang gar bei 7,8 % gelegen. Da die DBS eine detaillierte Untergliederung kennt, kann man die Zahlen auch noch differenzierter analysieren. Verteilung der dezentralen Bibliotheken nach Bestandsgrößen
Über 100.000 1999 2003 Abw. % 24
119 138 + 21,9
Über 30.000 447 444 -0,6
Über 10.000 546 499 -8,6
Über 5.000 432 377 - 12,7
Bis 5.000 1117 1103 - 1,3
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Offensichtlich gibt es doch so etwas wie einen Konzentrationsprozess, der sich gerade bei den kleineren und mittleren Institutsbibliotheken deutlich ausgewirkt hat, hingegen das Phänomen der Handapparate weitgehend ungeschoren lässt. Ob es sich damit um einen ausschließlich im dezentralen Bereich ablaufenden Verdichtungsprozess handelt (nach Ulrich Naumann die „dezentrale Zentralisation auf mittlerer Ebene), oder ein damit einhergehender wirklicher Strukturwandel abläuft, ist so noch nicht zu sagen. Die seit etwa 1999 in praktisch allen Ländern neu formulierten Hochschulgesetze haben eine organisatorische Veränderung der Bibliothekssysteme allesamt intendiert. Nur wird die „bibliothekarische Strukturreform" jetzt mehr oder weniger intensiv von einem völlig neuen Aspekt begleitet oder sogar überlagert. Durch das Aufkommen der digitalen Ressourcen und der mit ihrer Aufbereitung und Nutzung zusammenhängenden Problemstellungen wurde sozusagen über Nacht aus der Literatur- die Informationsversorgung. Mit dieser Verwandlung im Rücken wurde nun die weiterhin als notwendig angesehene Optimierung der Bibliothekssysteme nicht mehr als eigenständige Aufgabe angegangen, sondern eingebettet in einen übergeordneten Prozess der Neuordnung der Informationsversorgung, wobei dies jetzt nicht mehr nur die Beschaffung und Bereitstellung von Inhalten, sondern gleichrangig auch noch die Bewältigung der technischen Infrastruktur bedeutete. Es war zunächst der Wissenschaftsrat, der, nachdem 35 Jahre struktureller Empfehlungen zur Optimierung von Bibliothekssystemen nicht so sehr erfolgreich waren, das gesamte Feld neu bestellte. Mit seinen Empfehlungen zur Neuordnung der Informationsstruktur an den Hochschulen und der explizit ausgesprochenen Notwendigkeit, dieses Thema zur „Chefsache" zu erklären - nichts anderes bedeutet nämlich der Vorschlag der Einrichtung eines CIO - wurde nun ein bis dato nicht gekannter Ansatz zur (möglichen) Integration von Bibliothek, Rechenzentrum, Medienzentrum unter einheitlicher Leitung propagiert16. Fast parallel dazu publizierte die Kommission für Rechenanlagen der DFG im gleichen Jahr 2001 eine Studie17, die exakt die gleiche Stoßrichtung aufwies. Erstaunlich, wie Naumann18 zu Recht anmerkt, dass in diesen Empfehlungen, die Kemkompetenzen der jeweiligen Einrichtungen weitgehend in den Hintergrund treten und einer Art übergeordneter Gemeinsamkeit weichen sollen, die letztlich ähnlich präzise bestimmbar ist, wie der Aufenthaltsort eines Elektrons in einem Atom in Kenntnis der Heisenbergschen Unschärferelation. Aber diese jüngste Entwicklung hat zu zwei gegenläufigen Tendenzen geführt. Einmal gibt es Hochschulen, die sich mit Macht bemühen, ihre bibliothekarischen Strukturen deutlich zu optimieren, sozusagen die funktionale Einschichtigkeit auch zu realisieren. Ablesbar ist dies unter anderem an neu gefassten Bibliotheksordnungen an der TU München, bzw. der Universität Heidelberg. Auch Gießen ließe sich in diese Reihe einordnen; insofern irrt Naumann, wenn er in seinem oben zitierten Beitrag den Eindruck erweckt, das hessische Hochschulgesetz aus dem Jahre 2000 (es liegt im übrigen 16
17
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Empfehlungen zur digitalen Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken: Köln, Wissenschaftsrat. 2001. http://www.wissenschaftsrat.de/texte/4935-01 .pdf. Informationsverarbeitung an Hochschulen. Empfehlungen der Kommission für Rechenanlagen der DFG. Bonn 2001. Naumann, Ulrich: über die Zukunft der namenlos gemachten Bibliothek. In: Bibliotheksdienst 38 (2004), S. 1399-1416.
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inzwischen in einer wesentlich veränderten Fassung vom Dezember 2004 vor, in der allerdings der § 56 „Informationsmanagement" nicht geändert wurde) hätte keine strukturellen Konsequenzen nach sich gezogen. In der „Verwaltungsordnung für das Bibliothekssystem der Universität Heidelberg" vom 28. März 2004 heißt es im § 1 Absatz 3: „Das Bibliothekssystem wird nach den Grundsätzen der funktionalen Einschichtigkeit gestaltet, um - die ausgeprägte Zersplitterung der universitären Bibliothekslandschaft - den ungleichmäßigen und unflexiblen Personaleinsatz - die ungenügende Abstimmung des Medien- und Informationsangebots und Modernisierungsrückstände in den Geschäftsabläufen der dezentralen Fachbibliotheken zu überwinden." Allen diesen Neuregelungen gemeinsam ist eine klare Festlegung der Leitungsstruktur für das gesamte Bibliothekssystem, aber auch gleichzeitig für nicht mehr. Nicht zuletzt unter Wirtschaftlichkeitsaspekten ist dies auch vernünftig. In einer Einrichtung, deren Kosten sich in der Regel zu fast zwei Dritteln aus Personalkosten zusammen setzen, kann eine Optimierung in diesem Bereich deutlich größere Vorteile bringen, als eine noch so ausgefeilte Erwerbungsabstimmung, womit gleichzeitig nicht der Vernachlässigung dieser Komponente das Wort geredet werden soll. Sind wir also, um es vorsichtig auszudrücken, auf einem guten Wege? Es wäre zu einfach, jetzt „Ja" zu sagen und den Beitrag abzuschließen. Zu einfach deshalb, weil die externe und globale Neuordnung weltweit bestehender Informationsstrukturen erst am Anfang steht. Diese Umwälzungen werden wahrscheinlich die zukünftige Rolle der Bibliotheken viel stärker tangieren, als wir es zurzeit noch glauben oder wahrhaben wollen. Nehmen wir als ein Beispiel den gesamten Diskussionsprozess um die Neuordnung des Publikationswesens, insbesondere bei den Zeitschriften. Eine „Open Access Kultur" wird zwar unablässig auch von Bibliothekaren gefordert, aber welche Auswirkungen dies auf die Bibliotheken hat, ist so recht noch gar nicht untersucht worden. Eine wesentliche Aufgabe bestand über Jahrhunderte in der Beschaffung von Büchern, Zeitschriften und anderen Medien. Auch wenn sich die Art und Weise im Laufe der Zeit immer wieder verändert hat, bestimmte, lange Zeit geschätzte Beschaffungswege (z.B. Tausch) irgendwann in Misskredit gerieten, so ist doch die Erwerbung heute noch ein Kembestandteil der bibliothekarischen Aktivitäten. Auch digitale Medien haben daran bisher nichts entscheidend geändert. Oder doch? Schon die in den letzten Jahren zunehmende Konsortialbildung führt bei der Beschaffung eindeutig zu einem Konzentrationsprozess. Bis dato von den einzelnen Institutionen wahrgenommene Aufgaben werden an eine zentrale Stelle abgetreten. Jüngste Aktivitäten zur Erwerbung von Nationallizenzen belegen dies exemplarisch. Wenige Bibliotheken erledigten die Beschaffung erfolgreich für viele. In der gedruckten Welt kaum praktikabel, in der elektronischen Welt hingegen sogar fast eine Notwendigkeit. Mit der Entwicklung hin zu „open access" im echten Sinn wird jedoch der Beschaffungsvorgang als solcher nicht mehr nur konzentriert, er wird obsolet. Open Access bedeutet letztlich nicht mehr und nicht weniger, als dass eine über Jahrhunderte gepflegte Kernkompetenz der Bibliotheken nicht mehr gebraucht wird. Da mag es noch so viele schöne Beteuerungen 26
Deutsche Universitäten und ihre Bibliotheken: eine (un)endliche Geschichte?
über Auswahl, Qualität und Erschließung geben. Es ist nicht mehr, als das berühmte „Pfeifen im Walde". Mit den digitalen Medien wird auf Zeit auch eine Zentralisierung der Erschließung einhergehen, wenn sie denn nicht sogar gänzlich durch kommerzielle „Googeleien" abgelöst wird. Und auch neue Aufgaben, wie etwa der Aufbau von „digital repositories", werden sich - wenn sie erfolgreich betrieben werden sollen - auf wenige Zentren konzentrieren müssen. Die Digitalisierung der Medienlandschaft wird das Bibliothekswesen in den nächsten 20 Jahren wahrscheinlich viel stärker verändern, als dies in den 50 Jahren davor der Fall war. Es liegt in diesem Zusammenhang nahe, einen Vergleich mit den letzten Jahrzehnten Eisenbahn zu wagen. Die „Individualisierung" der Verkehrsmittel durch das Auto hat den Nahverkehr - nicht so sehr den Fernverkehr revolutioniert. Wo früher Bahnhöfe standen (und zwar Tausende), befindet sich heute noch ein 10 Quadratmeter großes Wartehäuschen und die früher im Mehrschichtbetrieb, oftmals sogar 7 Tage in der Woche durch Personal getätigten Dienstleistungen erbringt ein Automat. Es halten zwar noch Züge, aber es geht offensichtlich gänzlich ohne Bahnhof. Die großen Knotenpunkte hingegen wurden immer weiter ausgebaut und haben sich von Bahnhöfen teilweise sogar zu leistungsstarken Dienstleistungszentren für fast alles und jedes entwickelt. Paradebeispiel hierfür dürfte der Leipziger Hauptbahnhof sein, der inzwischen besser als Einkaufsparadies mit Gleisanschluss beschrieben werden kann. Die Digitalisierung der Medienwelt könnte nun den Bibliotheken eine ähnliche Entwicklung bescheren. Einige große Einrichtungen nehmen immer mehr Aufgaben war, während die Mehrzahl der lokalen Institutionen nur noch die anderenorts beschafften und erschlossenen Produkte zur Verfügung stellt. Es wird sich deshalb früher oder später schon die Frage stellen, ob jede wissenschaftliche Institution noch eine Bibliothek braucht, oder ob nicht auch eine multimediale Benutzungseinrichtung mit angeschlossenem Anlaufpunkt (sei es ein Help Desk oder ein Info Point), die konzeptionell und inhaltlich von einer (fernen) Zentrale abhängig ist, ausreichend erscheint. Die als intrauniversitäres Konzept begonnene Strukturveränderung könnte auf der interuniversitären Ebene ihre Fortsetzung finden. In dem schon zitierten Aufsatz von U. Naumann, wird eigentlich sehr gut nachvollziehbar gefordert, dass die Bibliotheken ihre ihnen angestammte Funktion auch in technisch völlig veränderten Umgebungen weiter wahrnehmen, dass sie gerade nicht auf ihnen fremden Feldern als Autoren, Verlage oder Multimediaproduzenten wirken sollten. Aber die Frage, wie viele Institutionen es in Zukunft noch sein müssen, die all diese Kernkompetenzen besitzen, wird - was man dem Autor nicht vorwerfen sollte - nicht gestellt. Die Verträge zwischen Google und der Stanford Library19 oder eine Enzyklopädie wie Wikipedia20, lassen doch die digitale Universalbibliothek nicht mehr als traumdeuterisches Konstrukt erscheinen, sondern erfordern, dass wir uns mit einer grundsätzlichen Neudefinition dessen, was wir machen (müssen) und können (sollen) auseinandersetzen. Und das Ergebnis wird im Gegensatz zu den letzten 100 Jahren nicht sein können, dass Alle Alles machen und der Unterschied im Wesentlichen nur in der Menge liegt. Elektronische Medien 19 20
Http://news-service.stanford.edu/news/2005/januaryl2/google-0112.html (Aufruf 24.01.05). Http://de.wikipedia.org/wiki/Hauptseite (Stand 22.01.05).
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beeinflussen zuerst massiv die Geschäfte der Buchbinder. Wo es aber nichts mehr zu binden gibt, benötigt man auch keine Einbandstelle. Werden die Zeitschriften erst elektronisch „erworben" bedarf es nicht mehr des Eincheckens, oder einer Aus-und Ablage. Liegen die Materialien auf einem entfernten Server, muss vor Ort für deren Speicherung weder technisches Gerät noch personelles „Know How" vorgehalten werden. Sind die Dokumente erst frei verfügbar, braucht es niemanden mehr, der sie bestellt und dann auch Rechnungen bezahlt. Elektronische Bücher (Produkte wie etwa Net Library stehen ja erst am Anfang) benötigen kein Regal, sie müssen nicht physisch entliehen und auch nicht zurückgenommen werden. Man sieht, vieles heute in Ansätzen Erkennbare wird erst noch seine Wirkung entfalten. Natürlich gehen mit diesen Veränderungen auch neue Aufgaben einher. Diese können aber zumindest in wichtigen Teilbereichen mehr und mehr zentralisiert wahrgenommen werden; es bedarf nicht mehr zwingend des Vorhaltens entsprechender Kapazitäten vor Ort. So könnte es sein, dass die noch vor uns liegende Optimierung der Hochschulbibliothekssysteme gänzlich anders verlaufen wird, als wir es in der Rückschau auf die letzten 100 Jahre gesehen, gefordert und gewünscht haben.
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Chancen und Risiken der Bibliotheken im Informationszeitalter: vom Knowbody zum Nobody?
Eigentlich sollten die Zukunftsaussichten der wissenschaftlichen Bibliotheken (nicht nur denen der Bundesrepublik Deutschland) sehr positiv sein. Schließlich findet seit Jahren ein sich ständig beschleunigender Innovationsprozess im Bereich der Informationsversorgung und der wissenschaftlichen Kommunikation statt. Zugleich steigt die Zahl wissenschaftlich relevanter Veröffentlichungen in Papier- und elektronischer Form weiterhin rapide an. Bibliotheken, die Schopenhauer als „Gedächtnis der Menschheit" bezeichnet hat, müssten also von dieser Entwicklung profitieren. Eine nüchterne Sicht auf den jetzigen Entwicklungstand, die Nutzergewohnheiten, die Finanz- und Personalsituation sowie die Stellung der Bibliotheken in der bundesdeutschen Bildungslandschaft offenbart aber, dass eine sehr kritische Situation erreicht ist und durchaus die Zukunftsfähigkeit (für viele wissenschaftliche Bibliotheken) nicht gesichert ist. Jüngst wird dies auch im Strategiekonzept „Bibliothek 2007" zum Ausgangspunkt weitreichender Forderungen gemacht (s. Bibliothek 2004). Über dieses Strategiepapier hinausgehend, sollen im Folgenden einige wichtige Probleme und Lösungsansätze für die deutschen Hochschulbibliotheken skizziert werden.
Föderalismusproblematik Das politische System der Bundesrepublik Deutschland offenbart in der derzeitigen wirtschaftlichen Krise und angesichts der Globalisierung der Ökonomie eine geringe Fähigkeit, kurzfristige, effiziente und effektive Lösungsstrategien zu entwickeln und durchzusetzen. Eine wesentliche Ursache ist der Föderalismus (vgl. u. a. Lehmbruch 2000). Politik wird dabei durch Aushandlungs- und damit Kompromissbildungsprozesse geprägt bei der die handelnden Kräfte sich jeweils die eigenen Verdienste gutschreiben und der Gegenseite die Fehler zur Last legen. Um in diesem Umfeld von Föderalismus, Parlamentarismus, Parteienstaat und innerparteilicher Demokratie überhaupt zu Entscheidungen zu gelangen, wird häufig der Ausweg in wissenschaftlicher, gutachterlicher Expertise gesucht. Damit wird die Verantwortlichkeit für Erfolg und Misserfolg für Außenstehende zusätzlich verschleiert. Es ist offensichtlich, dass diese Mechanismen auch das deutsche Bibliothekswesen charakterisieren. Zum Kronzeugen dieser Aussage kann man das jüngst veröffentlichte bundesdeutsche bibliothekarische „Strategiekonzept" zitieren: „Es mangelt an zentraler Koordinations- und Steuerungsleistung, die die föderalen Strukturen und lokalen Eigenverantwortlichkeiten sinnvoll ergänzt." (Bibliothek 2004, S. 13). Hier kann nicht diskutiert werden, ob eine ΒΕΑ (BibliotheksEntwicklungsAgentur) nach den Erfahrungen mit dem dbi (Deutsches Bibliotheksinstitut) ein geeigneter Vorschlag ist, 29
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zumal wenn die Ursache des Problems dadurch nicht beseitigt wird. Die Ursache für den aufgestauten Reformbedarf des deutschen Bibliothekswesens ist in erster Linie der Föderalismus mit seinen historischen Wurzeln. Die bibliothekspolitische Föderalismusproblematik kann an einigen Beispielen verdeutlicht werden. Es ist oft und gern festgestellt und auch beklagt worden, dass sich in Deutschland keine Nationalbibliothek in Sinne Frankreichs, Großbritanniens oder der USA entwickelt hat (vgl. u. a. Fabian 1983, S. 123). Auch wenn Die Deutsche Bibliothek (DDB) heute eine starke Stellung einnimmt, entbehrt sie doch auf Grund ihrer historischen Entwicklung einiger wesentlicher Merkmale, die für den Typus einer Nationalbibliothek konstituierend sind. Die in der Tagespraxis häufig übersehene Konsequenz ist, dass sie nur eingeschränkte Autorität in Fragen der Normsetzung und Strategieentwicklung hat. Angesichts der durchaus normierenden Funktionen, vor allem bei der Formal- und verbalen Sacherschließung, ist diese Diagnose zunächst verwunderlich. Schauen wir aber in andere Bereiche, so wird die Aussage deutlich. Drei Beispiele illustrieren dies: 1. die Diskussion um einen Wechsel von RAK-WB und MAB zu AACR II und MARC 21. Hier ist die DDB nur eine Spielerin unter vielen und hat de facto keinerlei Richtlinienkompetenz. Ihre Funktion reduziert sich - auch in ihrem beispielsweise auf den Sitzungen der Sektion IV des DBV vorgetragenen Selbstverständnis - auf eine Moderatorin und Auftragnehmerin für ein Forschungsprojekt. 2. Die Formalerschließung der DDB ist, anders als in den USA, Großbritannien oder anderen Ländern letztlich nur ein Rahmen und nicht verbindlich in den deutschen Verbundsystemen. 3. Sogar die rechtliche Regelung des Sammelauftrags der DDB hinkt hinter der faktischen Entwicklung im digitalen Bereich her. Was im Übrigen dazu führt, dass einerseits eine große Sammlungslücke bei der DDB bereits entstanden ist und andererseits die Bundesländer ebenfalls noch keine entsprechenden Regelungen erlassen haben. Wie im politischen System wird das Bild des Bibliothekswesens durch Kommissionen und Kooperationsbeziehungen auf Länder- und auf Bundesebene geprägt. Dies ist sicherlich sehr positiv zu bewerten, schließlich ist eine inhaltliche Abstimmung wichtig. Dabei findet aber eine Netzwerkbildung statt, die letztlich Macht, Autorität und Verantwortung jedes einzelnen Akteurs begrenzen, Entscheidungsverfahren entschleunigen und stets Kompromisscharakter tragen. Dabei treten wegen der immanenten Handlungslogik der Akteure bedenkliche Phänomene zutage: die Entscheidungen orientieren sich mehr am Möglichen als am Wünschenswerten. Auf Länder- und Verbundebene sind sie zudem mehr an der Macht des Faktischen und spezifischer Interessen orientiert als an überregionaler Perspektive. Wo dann Experten Handlungsspielräume einengen wollen entstehen permanent wachsende Regelwerksungeheuer, die dann wieder von Experten verschlankt werden sollen. Diese nachgelagerten Gremien, Forschungsprojekte oder Gutachter- und Evaluierungsinstitutionen unterliegen meist wiederum den gleichen Sachzwängen wie die sie steuernden Gremien. Diese Aussagen klingen vielleicht zunächst pauschal, doch sie lassen sich an Beispielen erläutern. Ein offensichtliches Beispiel sind die deutschen Bibliotheksverbundsysteme. Nicht die Problematik, dass es viele Verbundsysteme gibt, soll hier thematisiert werden, sondern deren nur sehr eingeschränkte Kompatibilität. Erkennbar wird die Inkompatibilität zunächst an den verbundinternen Regelungen zur Formalkatalogisierung. Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass die Formalkatalogisate der DDB in jedem Ver30
Chancen und Risiken der Bibliotheken im
Informationszeitalter
bund vollständig und uneingeschränkt zur Verfügung stehen und in jedem Verbund die gleichen Regelungen gelten wie in der DDB. Beides trifft nicht zu. Nicht einmal die Verbundsysteme, die die gleiche Softwareplattform gewählt haben, finden zu absolut gleicher Kategorienbildung und -definition sowie Regelwerksinterpretation. Zwar sind die Regelungen ähnlich, gleich sind sie damit aber noch lange nicht. Das gilt auch ζ. B. für die Anwendung der Personennormdatenbank (PND). Weitere Beispiele ließen sich mühelos addieren. Eine entscheidende Konsequenz aus dieser Situation ist, dass trotz Schnittstellendefinition eine ungehinderte Datenübernahme ohne Umarbeitung auf die internen Verbundkonventionen behindert wird. Was ist von einem Satz zu halten, den die DFG bezüglich eines von ihr geforderten einheitlichen, bundesweiten Monographiennachweises formuliert? „Wenn dies Änderungen in der gewachsenen Struktur der Verbünde erfordert, sollte dies unter dem Gesichtspunkt effektiver Lösungsansätze angegangen werden." (Aktuelle Anforderungen 2004, S. 10). Die gleiche Stoßrichtung dürfte die Aussage in „Bibliothek 2007" haben, wenn als Beispiel für zu hinterfragende Bibliotheksstrukturen „die historisch gewachsenen Zuständigkeiten von Bibliotheksverbünden" (S. 21) genannt wird. Sowohl die Aussage der DFG als auch der ,Bibliothek 2007" scheinen - zumindest momentan - noch nichts zu bewegen, weil sich niemand zum Agenten dieses Prozesses machen möchte. Das Nachsehen haben bislang die von Einsparauflagen belasteten Bibliotheken und die Nutzerinnen und Nutzer. In letzter Instanz haben sogar die Verbünde selbst Nachteile: von personeller, wirtschaftlicher Auszehrung betroffen (siehe hierzu jüngst die Prüfung des HBZ durch den LRH NRW und die personellen Konsequenzen), versuchen sie mit mehr oder weniger dünner Personaldecke den Anforderungen gerecht zu werden. Zugleich blockieren sie aber zusätzlich mögliche Effizienzgewinne durch eine Vielzahl individueller Verbundregelungen, die die Arbeiten (trotz guter Absichten) in den Bibliotheken meist komplizierter werden lassen. Das entscheidende Problem ist: je länger die individuelle, auf interne Eigendynamik beruhende, Entwicklung anhält, desto schwerer ist ein Umsteuern durch radikale Vereinfachung der Verbundkonventionen und/oder Fusion von Verbünden. Einzige rühmliche Ausnahme war seinerzeit die Entscheidung des Norddeutschen Verbundes (NBV) mit dem BRZN (Bibliotheksrechenzentrum Niedersachsen) zum heutigen Gemeinsamen Βibliotheksverbünd (GBV) zu fusionieren sowie die späteren Entscheidungen der Staatsbibliothek zu Berlin und der UB Potsdam ebenfalls dem GBV beizutreten. Es spricht also mehr für eine Zementierung des Status Quo als für eine Veränderung der Verbundstrukturen und -konventionen. Dennoch, um die Erfordernisse der Effizienz und Effektivität zu erfüllen, muss eine Fusionierung von einigen Verbünden stattfinden. Damit könnten verstärkt Synergieeffekte genutzt werden und das Leistungsspektrum der (überlebenden) Verbünde verbessert werden. Vorteile hätten die Bibliothekare und die Nutzerinnen und Nutzer, weil ein breiteres Dienstleistungsspektrum und eine größere Datenbasis angeboten werden könnten.
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Informationstechnologie Die Informationstechnologie erlebt eine rasante, geradezu revolutionäre, technische Entwicklung. War es noch vor fünfzehn Jahren innovativ, einen OPAC zu haben oder eine Onlinefernleihe anzubieten, so sind daraus inzwischen Tagesroutinen geworden. Das Dienstleistungsspektrum der Bibliotheken hat sich positiv entwickelt. Virtuelle Fachbibliotheken, Selbstbedienungselemente, Digitalisierung von Beständen und Bereitstellung elektronischer Datenbanken und Zeitschriften, etc. gehören heute zum alltäglichen Erscheinungsbild. Eine deutliche Beschleunigung der Dienste, ζ. B. der Fernleihe und der internen Bearbeitungsprozesse, eine erhöhte Transparenz der Dienstleistungen („gläserne Bibliothek") sind heute selbstverständlich geworden. Dennoch hinken die Bibliotheken hinter den technischen Möglichkeiten her. Seit den neunziger Jahren hat sich auch das technologische Umfeld von Lehre und Forschung, von wissenschaftlicher Kommunikation und Publikation verändert. Darin stecken Chancen und Risiken für die wissenschaftlichen Bibliotheken, die sehr ernst genommen werden müssen. Mit den modernen elektronischen Möglichkeiten sind in der Hochschulausbildung weltweit multimediale Elemente eingezogen. Lehren und Lernen kann heute eine Vielzahl elektronischer Medien einbeziehen. Neue Lehr- und Lernplattformen stehen zur Verfügung und finden ihren Niederschlag in Medienprodukten für den vor Ort Unterricht, das Selbststudium oder das so genannte Distance learning. Auch wenn manche Euphorie, die durch Projektförderung ausgelöst worden ist, inzwischen einer realistischen Einschätzung durch die Protagonisten gewichen ist, so zeigt sich doch, dass in diesen Feldern eine große Vielfalt von Angeboten existiert. Allerdings gilt für viele Universitäten, dass nur ein bedingter Überblick über die vorhandenen Lehr- und Lernprodukte existiert und diese auch entsprechend nicht zentral - mit Metadaten versehen und mit dem OPAC verlinkt - auf einem Institutional Repository der Hochschulöffentlichkeit (oder Teilen von ihr) zur Verfügung stehen. Es besteht also ein Nachweisproblem und damit die Gefahr, dass parallele Entwicklungen mit geringer Ressourceneffizienz in den Hochschulen stattfinden. Für die wissenschaftlichen Bibliotheken bedeutet dies, dass sie ihrer Aufgabe, relevante Informationsressourcen zur Verfügung zu stellen oder wenigstens nachzuweisen, nicht oder nur sehr eingeschränkt erfüllen. Es ist ein häufig beklagter Zustand, dass eine geringe Zahl wissenschaftlicher Verlage, den Markt der Zeitschriften in den Bereichen Science, Technology und Medicine (STM) dominieren. Fixiert auf die Impact Faktoren und die (angeblich) hochwertige Selektionsleistung (bei steigender Wissenschaftsproduktion) durch die Verlage hat die wissenschaftliche Gemeinschaft kräftig zu sprunghaften Preissteigerungen beigetragen. So gehören die führenden Unternehmen, Reed Elsevier, Springer etc. zu den profitabelsten Unternehmen überhaupt. Umsatzrenditen von bis zu 35 % werden hier erreicht. Diese Entwicklung schädigt die Wissenschaft. Doch nach wie vor ist eine Vielzahl von Wissenschaftlern Teil dieses für die Verlage profitablen Systems. Die „Gratifikation" besteht für die Autoren in Renommee und damit den Aufstiegschancen im Wissenschaftssystem. Autoren stellen ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sie im Rahmen ihrer Dienstverhältnisse schaffen, den Verlagen in der Regel kostenfrei zur Verfügung. 32
Chancen und Risiken der Bibliotheken im
Informationszeitalter
Sind Autoren zu Renommee gekommen, sorgt ein Teil von ihnen als Gutachter (Peer Reviewing) für die Qualitätssicherung, eine Funktion die die Verlage für sich reklamieren, letztlich aber (in der Regel) kostenfrei aus dem Wissenschaftssystem erhalten. Von Bibliotheken erwarten die Hochschulangehörigen, dass sie diese High-ImpactZeitschriften in möglichst großer Titelbreite abonnieren. Die enormen Mittel, die somit die öffentliche Hand aufbringt, speisen dann zu erheblichen Teilen den Gewinn der Verlage. Es handelt sich hierbei um private Aneignung eines Gewinns, der aus öffentlich finanzierten Personal- und Erwerbungsmitteln entsteht. Hier laufen nun derzeit weltweit zwei konträre Entwicklungen, die wesentlich die Zukunft und die Stellung in der Informationsversorgung von wissenschaftlicher Bibliotheken bestimmen werden. Die traditionelle Publikationskette für wissenschaftliche Zeitschriften die heute noch überwiegend wie folgt strukturiert ist: 1. Autor (wissenschaftliche Leistung), 2. Verlag (Lektorat und Koordination der Qualitätskontrolle), 3. Peer Reviewing (Qualitätsprüfung, Begutachtung), 4. Verlag (Produktion, Marketing), 5. Distributor, 6. Bibliothek (bibliographischer Nachweis, Zugänglichmachung, Langzeitarchivierung), 7. Leser, wird sich im Zuge der nachfolgend skizzierten gegenläufigen Trends verändern. Zum einen ist der Versuch einiger Großverlage festzustellen, die traditionelle „symbiotic publisher-library relationsship" (Crow, 2002, S. 7) zugunsten der Verlage zu verändern. Es geht darum, dass diese Verlage Politiken und Strategien entwickeln, die den Haupteinnahmebereich künftig auf pay per view ausrichten. Der bislang für diese Verlage wichtige Einnahmebereich des Abonnementsabsatzes an die Bibliotheken verliert damit an Bedeutung. Effekt ist, dass Verlage willens sind (oder billigend in Kauf nehmen), dass Bibliotheken ihren Lesern eine relevante Zahl wichtiger Zeitschriften nicht mehr bereitstellen können. Technisch sind solche Pay-per-viewLösungen längst realisiert. Die Publikationskette würde dann wie folgt strukturiert sein: 1. Autor, 2. Verlag, 3. Peer Reviewing, 4. Verlag, 5. Leser. Es ist offensichtlich, dass bei dieser Lösung sowohl Distributoren als auch Bibliotheken überflüssig werden. Im Kontext dieser Strategie ist auch die Politik der Verlage zu sehen, das deutsche Urheberrecht in ihrem Sinne zu gestalten. In diesem Zusammenhang steht die Formulierung im Referentenentwurf zu Korb 2 vom 27.9.2004 des § 53 a Abs. 1 Satz 2 Urheberrechtsgesetz: „Die Vervielfältigung und Verbreitung in sonstiger elektronischer Form ist ausschließlich als grafische Datei und nur dann zulässig, wenn die Beiträge oder kleinen Teile eines Werkes von Mitgliedern nicht von Orten und Zeiten ihrer Wahl mittels einer vertraglichen Vereinbarung erworben werden können." (Hervorhebungen, A.H.) Damit geht es letztlich weniger um das Autorenrecht, sondern mehr um das Vermarktungsrecht. Auch die verschiedenen Klagen einiger großer Zeitschriftenverlage gegen die Zentralbibliothek der Medizin bzw. das Land Nordrhein-Westfalen in den USA und Großbritannien wegen angeblichen Verstoßes gegen geltendes Urheberrecht sowie des Börsenvereins des deutschen Buchhandels gegen die UB Augsburg bzw. den Freistaat Bayern und gegen subito wegen elektronischen Kopienversandes stehen in diesem Zusammenhang (vgl. u.a. Müller 2004, S.l 122). Den geringsten Nutzen hat der „arme" Autor, zumal wenn er auch Leser ist. Er findet in seiner Bibliothek wegen stagnierender oder sinkender Etats sowie der Preispolitik der (großen Zeitschriften33
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)Verlage immer weniger der benötigten Literatur und muss darüber hinaus (künftig) für jedes Herunterladen eines Aufsatzes von einem Verlagsserver einen hohen Preis an den Verlag zahlen. Ihm hilft selbstverständlich auch nicht, wenn die Bibliothek ihm den Download bezahlt, weil dies wiederum vom Bibliotheksetat abgezogen wird und somit noch weniger Literatur erworben werden kann. Der oben dokumentierte Vorschlag zur Regelung - eigentlich müsste es heißen: Einschränkung - der Fernleihe, würde die Asymmetrie des Verhältnisses von Schöpfern und Verwertern zu Lasten der Wissenschaft (also den Schöpfern wissenschaftlicher Erkenntnisse) verstärken und vor allem zementieren. Die Preisentwicklung für wissenschaftliche Zeitschriften, die zu einer schweren Krise der wissenschaftlichen Informationsversorgung geführt hat, hat allerdings auch eine Gegenbewegung auf der Seite der wissenschaftlichen Gemeinschaft und deren zentralen Inftastruktureinheiten, den Bibliotheken, hervorgerufen. Open Archive Initiative, Open Access, SPARC, etc. sind hier nur Beispiele. Ziel ist, freien Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen zu erreichen. Wichtiges Ziel hierbei ist, dass Wissenschaft, wissenschaftliche Gesellschaften und Bibliotheken den Publikationsprozess zum Wohl der Gemeinschaft in eigene Hände nehmen. In diesem Modell würde die Publikationskette wie folgt gestaltet: 1. Autor (wissenschaftliche Leistung), 2. Fachgesellschaften / Universitäten (Koordination der Qualitätskontrolle), 3. Reviewing (Qualitätsprüfung), 4. Digital Repository (Verfügbarmachung), 5. Leser. Bei dieser Lösung würden mithin die Verlage, die Distributoren und - auf den ersten Anschein auch die Bibliotheken entbehrlich. Vorreiter sind in dieser Beziehung die Physik und die Mathematik, die mit ihren Preprintservern bereits in den frühen neunziger und Mitte der neunziger Jahre wichtige Grundlagen für diese Entwicklung gelegt haben. Dies übrigens wohl mehr aus den Unzulänglichkeiten des kommerziellen Publikationsprozesses mit den (damals) sehr langen Zeiten zwischen Einreichung eines Artikels und Publikation. Ursache war seinerzeit weniger die Preispolitik der Privatverlage, sondern die Chance der neuen technischen Möglichkeiten, die eine Beschleunigung der Rezeption ermöglichen sollte. Dreh- und Angelpunkt ist in diesem Zusammenhang der Erfolg oder Misserfolg der „Institutional Repositories" auf Ebene der Universitäten, großer Forschungseinrichtungen oder Zusammenschlüssen von Hochschuleinrichtungen. Davon hängt ab, ob einerseits zukünftig wissenschaftliches Publizieren weiterhin kommerzialisiert bleibt oder ob es andererseits ein freies Gut ist, also ein Gut mit dem (kein oder nur) eingeschränkt Handel betrieben werden kann, das zu Selbstkosten (Not-for-Profit) verfügbar ist. Dabei ist zu bedenken, dass ideologisch eine Position der Kommerzialisierbarkeit momentan weltweit politisch leichter durchsetzbar ist - siehe bundesdeutsche Urheberrechtsdiskussion oder im Herbst 2004 die Stellungnahme der britischen Regierung zur Open-Access-Position des britischen Parlamentsausschusses - und von den meisten politischen Entscheidungsträgern als (grundsätzlich) effizienter eingeschätzt wird. Andererseits ist für die Bibliotheken die Frage besonders wichtig, wer die „Institutional Repositories" aufbaut und betreibt. Bibliothekspolitisch ist zwingend, dass Bibliotheken Träger und Betreiber solcher zentralen Speicher sein müssen, weil sie die Informations- und Wissensressource par excellence sind. Sie haben für ihre Universitäten, gegebenenfalls auch in Kooperation 34
Chancen und Risiken der Bibliotheken im Informationszeitalter mit Fachgesellschaften, Institutional Repositories aufzubauen, fallen somit also in diesem Modell nicht aus der Publikationskette heraus. Vielmehr geben sie ihre passive Rolle auf. Waren sie bislang abhängig von den Preissetzungen der Verlage und den Wechselfällen der Währungskurse und mussten - nicht selten im Konflikt der divergierenden Informationsversorgungsinteressen innerhalb der Hochschulen - den Mangel verwalten, können sie in diesem Modell erstmals vom „Spielball" zum „Spieler" werden. Dann können sie auch weiterhin den Zugang zum Gedächtnisspeicher mittels strukturierter Informationen bereitstellen. Bibliotheken müssen diese Lösungen nicht nur deshalb anbieten, um nicht eines Tages auf den Status von Museen reduziert zu werden und weitgehend für die modernen Informationsbedürfnisse als überflüssig und durch Rechenzentren ersetzbar zu gelten. Es geht vielmehr um die traditionsreichste Aufgabe der Bibliotheken, nämlich Informationen bereitzuhalten und zugänglich zu machen, nun aber mit den neuen, verfügbaren Techniken für die unterschiedlichsten digitalen Medien. So wichtig enge Kooperationen mit den Rechenzentren sind, wichtig bleibt die Erhaltung und Modernisierung des spezifischen Profils der Bibliotheken: sie liefern Inhalte, Rechenzentren technische Infrastruktur. Allerdings dürfen die Veränderungen der Nomenklatur im Informations- und Bibliothekswesen, auf die Naumann (2004) hinweist, nicht als Indiz für die geringer werdende Bedeutung der Bibliotheken missverstanden werden. Er stellt zwar treffend fest, dass der Begriff Bibliothek bei den modernen Organisations- und hochschulrechtlichen Regelungen immer seltener auftaucht und heute schon Beispiele zu finden sind, bei denen die zentrale Rolle der Bibliothek für die Informationsversorgung unterzugehen scheint. Dies gilt im Übrigen auch für die Berufsbezeichnungen im Bibliothekswesen, die sich hinter F A M I und Informationswirt ( F H ) etc. aufzulösen beginnen. Damit werden aber vielmehr das neue Rollenverständnis und die neuen Aufgaben deutlich, die unbedingt bewältigt werden müssen, und beispielhaft im Aufbau der „Institutional Repositories" zum Ausdruck kommen. Bibliotheken müssen die Aufgabe ergreifen, für ihre Institutionen „Repositories" aufzubauen. Damit können sie sich und ihren Unterhaltsträgern über Nachweis, Erschließung und Bereitstellung des intellektuellen Outputs Profil geben. Dieser Prozess muss mit Vehemenz vorangetrieben und politisch durch die Hochschulleitungen bzw. die Lehrenden und Forscher getragen werden. Vorbehalte hinsichtlich Impactfaktoren, Peerreviewing etc. müssen durch überzeugende technische Lösungen und eine geeignete „policy" ausgeräumt werden. Ein wichtiges Standbein in diesem Zusammenhang sollten Universitätsverlage sein. Sie können, wie insbesondere die große Zahl anglo-amerikanischer Vorbilder zeigen, auf Non-Profitbasis hohe Qualität zu günstigem Preis und vor allem mit herausragenden technischen Lösungen bieten. So sind diese Verlage wohl einzig willens, mindestens ihren Institutionsangehörigen, kostenfreien Zugang zu den elektronischen Volltexten zu liefern, was Privatverlage aus Gewinninteresse bislang konsequent vermeiden.
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Informationskompetenz Die Bedeutung der Informationskompetenz in der Wissensgesellschaft ist allgemein anerkannt. Allerdings wird diese Erkenntnis in Deutschland erst in den vergangenen Jahren konkret in die Curricula von Oberstufen und der Universitätsausbildung umgesetzt. Es ist in Deutschland bislang undenkbar, dass - wie in den USA - bereits Mittelstufenschüler die Dewey-Dezimalklassifikation lernen. Im angelsächsischen Kulturraum scheint die Bibliothek als zentraler Ort für die Befriedigung der meisten Informationsbedürfnisse angesehen zu werden. Sichtbaren Ausdruck findet diese Einstellung in einer Vielzahl von Kinder- und Jugendbüchern sowie Kinderfilmen in denen bei der Suche nach Informationen stets die Bibliothek aufgesucht wird. Weil die Bibliothek im deutschen Bildungssystem eine ephemere Rolle spielt, werden hierzulande auch sinnvolle Ansätze der Onlineauskunft, beispielsweise Question Point, sich auf absehbare Zeit nicht durchsetzen. Den Lernprozess, dass Bibliotheken die prädestinierten Wissens- und Gedächtnisspeicher sind, vollzieht in Deutschland leider nur ein geringer Teil der Schüler. Erst die Oberstufenschüler werden mehr oder weniger systematisch auf diese Funktion der Bibliotheken hingewiesen. Wissenschaftliche Bibliotheken müssen sich dieser Aufgabe stellen (vgl. z.B. Oberdieck 1999, Schüler 1999). Auch im Rahmen der Universitätsausbildung haben Bibliotheken die Vermittlung von Informationskompetenzen zu übernehmen (vgl. u.a. Future Teaching 2000, Sühl-Strohmenger u. a. 2002). Dass dies zwingend für die Studierfähigkeit vieler Studierender und Forschungsfähigkeit vieler Lehrender erforderlich ist, hat die so genannte Stefi-Studie (Klatt u.a. 2001) empirisch bewiesen. Im Rahmen des Bologna-Prozesses ziehen solche Lehreinheiten als „Schlüsselqualifikationen" auch immer häufiger in die Curricula der neuen B.A.- und M.A.Abschlüsse ein, beispielsweise an den Universitäten Freiburg i.B. und Kassel. Wissenschaftlichen Bibliotheken wächst damit eine alte Aufgabe in völlig neuer Dimension zu. Teilweise übernehmen sie damit sogar Funktionen, die in der traditionellen Hochschulausbildung, im Grundstudium von Hochschullehrern vermittelt wurden. Sowohl inhaltlich als auch personell erfolgt hier eine erhebliche Funktionserweiterung. Diese Funktionserweiterung ergibt sich zunächst daraus, dass es nicht mehr ausreicht, im Vorlesungsverzeichnis, auf Faltblättern oder auf der Homepage auf regelmäßige Bibliothekseinführungstermine hinzuweisen. Wohl alle Bibliotheken konnten in den vergangenen Jahren feststellen, dass ein solches Angebot nur einen kleinen Teil der Studierenden erreicht und am Ende wohl meist ohne lang anhaltende Wirkung bleibt. Daher sind inzwischen eine größere Zahl wissenschaftlicher Bibliotheken dazu übergegangen, Lehreinheiten mit aktivierenden Elementen nach modernen didaktischen Erkenntnissen zu entwickeln. Solche Teaching-Library-Kurse sind themenzentriert und auf das Kenntnisniveau der Teilnehmer abgestimmt. Darüber hinaus sind die Kurse meist gestuft angelegt, so dass je nach Studiendauer und Informationsbedürfnissen spezifische Lehr- und Lernmodule vermittelt werden. Solche „neuen" Aktivitäten der Bibliotheken binden selbstverständlich deutlich mehr Personal als die „klassischen" Bibliotheksführungen bzw. -einführungen. Einerseits wird dies von vielen Bibliothekaren als Belastung empfunden, weil in Zeiten rückläufiger Personalstellen ein erheblicher zusätzlicher personeller Ressourceneinsatz zu 36
Chancen und Risiken der Bibliotheken
im
Informationszeitalter
erfolgen hat. Andererseits wird insbesondere bei der Verankerung solcher Schulungsinhalte an den Oberstufen und in der Hochschulausbildung die zentrale Bedeutung der wissenschaftlichen Bibliothek für Informationssuchende sichtbar. Dies wird umso wichtiger, weil das Internet mit seinen Möglichkeiten über Suchmaschinen den Weg zur Information scheinbar trivialisiert. Informationssuchende ohne oder nur mit geringer Informationskompetenz erkennen allerdings angesichts der scheinbaren Trivialisierung der Suche, nämlich dem Googeln, nicht, dass viel mehr verborgen als sichtbar ist und dass die „Treffer"-Anzeige zu erheblichen Teilen kommerziellen Interessen folgt. Beides übrigens mit steigender Tendenz. Hier Kenntnisse zu vermitteln bedeutet, die Bibliothek ins Bewusstsein zu heben und damit als Informationsspeicher deutlicher hervortreten zu lassen. Die wissenschaftlichen Bibliotheken sind aufgefordert, in die Gesellschaft und in die Hochschulen mit ihren Veranstaltungen zur Informationskompetenz hineinzuwirken.
Funktionale Einschichtigkeit und Betriebseffizienz Je nach Alter der Universität hat sich seit gut hundertfünfzig Jahren - mit Ausnahme der meisten Neugründungen und vieler Bibliotheken in den neuen Bundesländern ein System zweischichtiger Bibliothekssysteme aufgebaut. Nur sehr wenige traditionell zweischichtigen Bibliothekssysteme sind inzwischen zu funktional einschichtigen Bibliothekssystemen umstrukturiert worden. In den wenigen Fällen in denen das in den vergangen Jahren versucht wurde, ist dies wohl nur durch die verengten finanziellen Handlungsräume der Hochschulen und durch massive Unterstützung der Hochschulleitungen geschehen. In jedem Fall war dieser Veränderungsprozess konfliktträchtig, langwierig und in vielen Fällen nicht durch Erfolg gekrönt. Es ist nicht zu bestreiten, dass zweischichtige Bibliothekssysteme wirtschaftlich suboptimal sind, wenn man daran denkt, dass bei knappen Mitteln (nicht zwingend erforderliche) Mehrfachexemplare erworben werden, die in der Summe dann die potenzielle bibliographische Titelzahl reduzieren. Nicht bestreitbar ist allerdings auch, dass Hochschullehrer ein legitimes Interesse daran haben, bestimmte Kernliteratur ständig griffbereit zu haben, also mindestens Handapparate benötigen. Problematisch und für die gesamt universitäre Informationsversorgung absolut kontraproduktiv wird das zweischichtige Bibliothekssystem aber dann, wenn die Zentralbibliotheken Teilnehmer von Konsortien sind, letztlich also keinen oder nur einen geringen Einfluss auf das Bestell- und Abbestellverhalten von Zeitschriftenabonnements dezentraler Bibliotheken haben. Bei stagnierenden oder sinkenden Etats der dezentralen Bibliotheken besteht nämlich der Zwang, sukzessive die Zeitschriftenabonnements zu prüfen und abzubestellen, was bei den meisten Konsortialverträgen, die eine Höchstabbestellquote festschreiben, zur Gefährdung der Konsortien führt. Darüber hinaus ist in den zweischichtigen Bibliothekssystemen im allgemeinen festzustellen, dass der Personaleinsatz und die Personalqualifikation teilweise extrem disparat ist. So sind Institutsbibliotheken gleicher Größe mit Literatur ähnlichen Schwierigkeitsgrades nicht selten ganz unterschiedlich personell ausgestattet. So kann es pas37
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sieren, dass ein Institut mit 2000 Bänden über eine Diplombibliothekarin verfügt, weil dies eine Bedingung für die Annahme des Rufs des Institutsvorstands war, eine Bibliothek mit 30.000 Bänden aber nur über eine Bibliotheksassistentenstelle plus Hilfskraftmittel verfügt. Solche Rahmenbedingungen zu ändern, heißt Konflikte heraufzubeschwören. Konflikte werden verursacht, weil es Gewinner und Verlierer gibt und Macht- und Einflussbereiche verschoben werden. Vor diesem Hintergrund kann es durchaus geschehen, dass sich verkrustete, ineffiziente Strukturen konservieren. Hochschulbibliotheken müssen hier aktive Gestalter der Rahmenbedingungen zugunsten der wissenschaftlichen Informationsversorgung sein.
Sparpolitik und Bibliothekspolitik Mit den oben identifizierten Problembereichen (Föderalismus, Zweischichtigkeit) und Herausforderungen (Informationstechnologie, Informationskompetenz) wurden beispielhaft kritische Handlungsfelder der Bibliothekspolitik benannt. Diese Handlungsfelder müssen in Zeiten sparsamer Haushaltsführung öffentlicher Hände bei Unterfinanzierung der Hochschulen und steigenden Preisen erfolgreich gemeistert werden. Der Druck auf die Bibliotheken wächst, bei sinkender Ausstattung mehr zu leisten. Sie können dennoch eine „goldene" Zukunft haben. Dafür sind mindestens folgende Herausforderungen zu meistern: 1. In Anerkenntnis der negativen Konsequenzen des Kultur- und damit Wissenschaftsföderalismus müssen auf Verbundebene größere Einheiten geschaffen werden und in den verbleibenden Einheiten müssen gleiche Regelungen gelten, so dass nicht mit schwierigen technischen Lösungen Krücken konstruiert werden müssen, um Daten zu tauschen, Fernleihen zu bestellen und zu liefern, Fachportale und nationale Normdatenbanken zu integrieren, etc. 2. Die Informationstechnologie muss noch stärker als bisher als Chance für die Bibliotheken begriffen werden. Zwar werden sich Bibliotheken noch mehr virtualisieren und sie werden sich noch mehr vom Holding- zum Accessprinzip verändern. Indem sie aber Zugang zu virtuellen Informationen liefern und für ihre Hochschulen der zentrale Informationsspeicher und -nachweis mit ihren Institutional Repositories sein werden, werden sie in der Wissensgesellschaft noch unentbehrlicher für ihre Unterhaltsträger sein, als sie es bisher (schon oder noch?) sind. Dass in diesem Zusammenhang eine sinnvolle Arbeits- und Rollenverteilung zwischen Bibliothek und Rechenzentrum erforderlich ist, die die Bibliothek auf den Content, also die Inhalte, festlegt und verantwortlich macht, ist selbstverständlich. 3. Stärker denn je müssen die Hochschulbibliotheken Funktionen in der Ausbildung der Studierenden übernehmen. Entsprechend der stetig wachsenden Bedeutung von Informationskompetenz in der Wissensgesellschaft müssen sie mit dem Konzept der Teaching Library in die Hochschule (und an die Gymnasien) hineinwirken. Ziel muss ein bedarfsorientiertes Angebot sein, das möglichst in die Lehrpläne integriert ist. Damit sind Bibliotheken zentrale Lehr- und Lernorte, die unentbehrlich für qualitativ hochwertige Studien- und Forschungsleistungen sind. 38
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Informationszeitalter
4. Auf dem Weg zu effizienten Bibliotheksstrukturen müssen innerhalb der Hochschulen sinnvolle Betriebsgrößen für Teilbibliotheken und zentrale Personal- und Sachmittelverantwortlichkeit bei den zentralen Hochschulbibliothek durchgesetzt bzw. erhalten werden. Bei diesem schwierigen Prozess muss verdeutlicht werden, dass eine entsprechende Politik letztlich für die gesamte Hochschule effizienter und effektiver ist als Zweischichtigkeit oder unverbindliche praktizierte funktionale „Einschichtigkeit''.
Literatur Aktuelle Anforderungen der wissenschaftlichen Informationsversorgung : Empfehlungen des Ausschusses für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme und des Unterausschusses für Informationsmanagement. - Bonn : DFG, 2004 Bibliothek 2007 : Strategiekonzept/Hrsg.: Bertelsmannstiftung, Bundesvereinigung Deutscher Βibliotheksverbände. - Gütersloh : Bertelsmann Stiftung, 2004 Crow, Raym: SPARC Institutional Repository Checklist & Resource Guide. - Washington: SPARC, 2002 Fabian, Bernhard (1983): Buch, Bibliothek und geisteswissenschaftliche Forschung : zu Problemen d. Literaturversorgung u. d. Literaturproduktion in der Bundesrepublik Deutschland. - Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht, 1983 Future Teaching Roles for Academic Librarians / Bahr, Alice (Hrsg.). - New York : 2000 Klatt, Rüdiger u. a. (2001): Nutzung elektronischer Information in der Hochschulausbildung: Barrieren und Potentiale der innovativen Mediennutzung im Lernalltag der Hochschulen. - Dortmund: SfS, 2001 Lehmbruch, Gerhard (2000): Parteienwettbewerb im Bundesstaat: Regelsysteme und Spannungslagen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland. 3. Aufl. Wiesbaden: Westdt. Verlag, 2000 Müller, Harald (2004): Kopienversand vor Gericht: Börsenverein und Wissenschaftsverlage verklagen deutsche Bibliotheken und Subito e.V., in: Bibliotheksdienst 38 (2004), Heft 9, S. 1120-1125 Naumann, Ulrich (2004): Über die Zukunft der namenlos gemachten Bibliothek; in: Bibliotheksdienst 38 (2004), Heft 11, S. 1399-1416 Oberdieck, Klaus (1999): Mit der gymnasialen Oberstufe in die Universitätsbibliothek?! Ein Erfahrungsbericht und Plädoyer für die Außenorientierung des wissenschaftlichen Bibliothekars; in: Bibliotheksdienst 33 (1999), S. 771-776 Schüler in wissenschaftlichen Bibliotheken/Hrsg. Karen Wien. - Berlin: dbi, 1999 Sühl-Strohmenger, Wilfried u. a. (2002): „Informations- und Medienkompetenz" in den neuen Bachelor-Studiengängen an der Universität Freiburg; in: Bibliotheksdienst 36 (2002), S. 150-159 39
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Strategisches Handeln in Hochschulbibliotheken
Without a business strategy that will create or strengthen competitive advantage, no amount of customer care or employee motivation will bring a company success or longevity.
George Stalk, Hardball
Strategie der Hochschule - Strategie der Bibliothek Gemäß Michael E. Porters bekannter Definition versteht man unter einer Strategie „die Schaffung einer einzigartigen und werthaltigen Marktposition unter Einschluss einer Reihe differenter Geschäftstätigkeiten"1. Strategisches Handeln in diesem Sinne wird auch für Hochschulen in dem Maße zu einer Notwendigkeit, wie diese - trotz aller fachlichen Trans- und Interdisziplinarität - untereinander im Wettbewerb stehen. Die Konkurrenz um exzellente Wissenschaftler und hochqualifizierte Studierende ebenso wie um öffentliche und private Drittmittel verlangt die Fokussierung auf die jeweiligen Leistungsschwerpunkte des Hochschulstandortes und deren kontinuierliche Optimierung. Gerade angesichts knapper Finanzmittel kann dies nur gelingen, wenn gleichzeitig weniger leistungsstarke Studiengänge und Forschungsbereiche zurückgebaut oder eingestellt werden. Die gegenwärtige Diskussion um die Entwicklung von Eliteuniversitäten zeigt deutlich, dass der Anschluss an die oft zitierte „Weltspitze wissenschaftlicher Exzellenz" nur durch konsequente Profilschärfung der jeweiligen Stärken in Forschung und Lehre durch entsprechende Neuallokation der verfügbaren Ressourcen erreicht werden kann. Die Gesamtheit der für dieses Ziel eingesetzten Maßnahmen bildet die Strategie der Hochschule, mit der sie sich in Abgrenzung von anderen konkurrierenden Standorten positioniert und ein unverwechselbares Leistungsprofil entwickelt. An einer zunehmenden Zahl von Hochschulstandorten wird diese Strategie gegenwärtig zum Gegenstand budgetrelevanter Zielvereinbarungen mit dem Unterhaltsträger. Wissenschaftliche Bibliotheken als Dienstleistungseinrichtungen der Hochschule besitzen nur eine eingeschränkte Strategiehoheit. Sie können nur im Kontext der Gesamtstrategie der Hochschule selbst entscheiden, welche Informationsprodukte und -dienste sie anbieten möchten, welche Nutzergruppen sie bevorzugt bedienen und auf welchen Segmenten des Bildungs- und Wissenschaftsmarktes sie schwerpunktmäßig Porter, Michael E.: Nur Strategie sichert auf Dauer hohe Erträge, in: Harvard Business Manager 19 (1997), S. 42-58; S. 48.
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agieren wollen. Das strategische Handeln der Bibliothek ist rückgekoppelt an die Strategie der Hochschule, und zwar sowohl hinsichtlich der grundsätzlichen organisatorischen Optionen (z.B. Kooperation vs. Integration der Informationsinfrastruktur-Einrichtungen) wie auch der jeweiligen inhaltlichen Leistungsschwerpunkte (z.B. Forschungsbibliothek vs. Lernort). Die Bibliothek entwickelt ihre strategischen Ziele nicht „aus eigener Hand", sondern in enger Abstimmung mit der strategischen Positionierung ihrer Trägerinstitution. Der Handlungsspielraum, den die Bibliothek im Rahmen der Planung und Gestaltung der Informationsinfrastruktur gewinnen kann, wird hierbei von Standort zu Standort unterschiedlich sein. Wo die strategische Positionierung der Hochschule selbst noch unzureichend entwickelt ist oder von der Bibliothek nicht aktiv mitgestaltet wird, besteht die Gefahr, dass strategisches Handeln durch eine bloße „me too"Orientierung am jeweils aktuellen Trend ersetzt wird: man gründet dann den nächsten Universitätsverlag, öffnet auch die eigene Bibliothek die Nacht hindurch oder profiliert sich als „teaching library", nicht weil dies den spezifischen Strategiezielen der Hochschule entspricht, sondern weil es gerade „angesagt" ist. Strategisches Handeln auf der Grundlage vereinbarter Ziele verlangt Autonomie, insbesondere hinsichtlich des Einsatzes der verfügbaren Ressourcen und hier vor allem hinsichtlich der Disposition über den wichtigsten „Vermögenswert" der Hochschule als einer wissensbasierten Institution: die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Strategisch handeln kann die Hochschule nur, wenn der Staat ihr unter Verzicht auf rechts- und fachaufsichtliche Detailsteuerung weitgehende finanz- und personalwirtschaftliche Handlungsvollmachten gewährt, strategisch handeln können die inneruniversitären Einrichtungen nur, wenn die Hochschule die ihr gewährte Autonomie intern weitergibt: Die Gestaltung des Außenverhältnisses der Hochschule zu ihrem Unterhaltsträger muss in die Gestaltung der Innenverhältnisse der Hochschule übersetzt werden. Der Autonomiezuwachs, den die Hochschulleitung durch die Zurücknahme staatlichen Einflusses gewinnt, muss vor allem in Form einer umfassenden Budgetautonomie an die Fakultäten und Betriebseinheiten weitergereicht werden, damit diese die vereinbarten Ziele eigenverantwortlich verfolgen können und in diesem Sinne „strategiefähig" werden.
Autonome Hochschule - autonome Bibliothek Die Selbstbeschränkung des Staates auf die Festlegung der Grundlinien der Hochschulentwicklungsplanung bei gleichzeitiger Gewährung weitgehender Autonomie hinsichtlich der konkreten Leistungserstellung ist kennzeichnend für nahezu alle Landeshochschulgesetze. Besonders konsequent wird das Modell des „Steuerns auf Abstand" durch das neue Niedersächsische Hochschulgesetz (NHG) umgesetzt, und zwar durch die im Gesetz vorgesehene Option zum Übergang der Hochschulen in die Trägerschaft von rechtsfähigen Stiftungen des öffentlichen Rechts. Mit dieser Option wird die finanzielle Verselbständigung der Hochschulen durch Globalbudgets überschritten zur rechtlichen Verselbständigung der Hochschulträgerschaft. Die Universität wandelt sich organisatorisch von einer rechtlich unselbständigen staatlichen Einrichtung zu einer 42
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Handeln in
Hochschulbibliotheken
nicht mehr vom Land, sondern von einer rechtlich selbständigen Stiftung des öffentlichen Rechts getragenen Institution. Die Universität Göttingen hat neben einer Reihe weiterer niedersächsischer Hochschulen von der im NHG vorgesehenen Stiftungsträgerschaft Gebrauch gemacht. Der Verzicht des Gesetzgebers auf die staatliche Detailsteuerung der Hochschulen wird insbesondere in den Bestimmungen des Niedersächsischen Hochschulgesetzes zum Inhalt der Zielvereinbarungen zwischen Land und Hochschule deutlich. Das Land beschränkt seinen Steuerungsanspruch explizit auf die strategische Entwicklungsplanung des Hochschulwesens: „Das für die Hochschulen zuständige Ministerium trifft mit jeder Hochschule aufgrund der Landeshochschulplanung und der Entwicklungsplanung der jeweiligen Hochschule Zielvereinbarungen für mehrere Jahre über strategische Entwicklungs- und Leistungsziele für die Hochschule und deren staatliche Finanzierung. Die Entwicklungsplanung soll die Entwicklungs- und Leistungsziele in ihren Grundzügen bestimmen." (§ 1 Abs. 3, Sätze 1 und 2 NHG)2. Objekt der Zielvereinbarungen zwischen dem Land und den Hochschulen sind damit explizit nur strategische Ziele, nicht diesen nachgeordnete Teilziele und erst recht nicht detaillierte Aufgaben, Projekte oder Maßnahmen, die der Zielerreichung dienen. Der jeweils einzuschlagende Weg zur Erreichung der vereinbarten Leistungszusagen wird also ganz in die Entscheidungsverantwortung der Hochschule gegeben. Darüber hinaus wird der Verständigungsprozess zwischen Unterhaltsträger und Hochschule als ein Abstimmungsprozess zwischen der Landesplanung und dem individuellen wissenschaftlichen Profil der jeweiligen Hochschule aufgefasst: Die Zielvereinbarungen erfolgen auf der Grundlage der „Entwicklungsplanung der jeweiligen Hochschule". Die Bestimmungen des Niedersächsischen Hochschulgesetzes präferieren hier das Modell des Kontraktmanagements „auf gleicher Augenhöhe", das die individuelle Profilbildung und spezifische Leistungsqualität der einzelnen Hochschule in Form eines Aushandlungsprozesses zwischen landesweiter Planung und hochschulspezifischen Entwicklungszielen berücksichtigt. Das Konzept der strategischen Steuerung durch Zielvereinbarungen gewinnt mit der Wahrnehmung der Stiftungsoption eine neue Qualität. Mit dem Übergang in die neue Rechtsform ist nicht länger das Land Niedersachsen Träger der Hochschule, sondern eine eigens zum Betrieb der Hochschule gegründete Stiftung: „Die Stiftung unterhält und fördert die Hochschule in deren Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie hat zum Ziel, durch einen eigenverantwortlichen und effizienten Einsatz der ihr überlassenen Mittel die Qualität von Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung an der Hochschule zu steigern." (§ 55, Abs. 2 NHG). Zwischen die Hochschule, die rechtlich weiterhin eine Körperschaft öffentlichen Rechts darstellt, einerseits und dem Land Niedersachsen andererseits wird die Stiftung als juristische Person geschaltet, die anstelle des Landes die Trägerschaft der Hochschule übernimmt. Mit der Einschaltung der neuen Organisationsebene der Stiftung gibt es keine direkte rechtliche Verbindung zwischen Land und Hochschule mehr. Insbesondere gehen die Rechts- und Fachaufsicht über die Hochschule auf ihren neuen Träger, die 2
Niedersächsisches Hochschulgesetz (NHG) (Art. 1 des Gesetzes zur Hochschulreform in Niedersachsen), Nds. GVB1. Nr. 19/2002, S. 286-307. 43
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Stiftung, über, die ihrerseits als juristische Person des öffentlichen Rechts der Rechtsaufsicht des Landes untersteht3. Dennoch ist die Stiftungshochschule auch weiterhin von der Finanzhilfe des Landes abhängig, sie ist eine so genannte „ Z u w e n d u n g s s t i f t u n g " . Da der Staat aber die rechtsund fachaufsichtliche Steuerung der Hochschule an die Stiftung abgegeben hat, bleibt ihm zur Durchsetzung seiner mit der Gewährung der Finanzhilfe verbundenen Steuerungsabsichten nur das Instrument der Zielvereinbarung. Das Kontraktmanagement zwischen Staat und Hochschule wird damit zum Kernelement des Reformmodells Stiftungsuniversität: Das strategische Handeln der Hochschule steht nun im Mittelpunkt des Steuerungsinteresses des Unterhaltsträgers, und zwar mit unmittelbaren budgetären Konsequenzen. Der Übergang der Hochschule in die Stiftungsträgerschaft hat zudem weit reichende Konsequenzen auch für den Rechtscharakter der Zielvereinbarungen, auf deren Grundlage die Höhe der Finanzhilfe bemessen wird. Während Zielvereinbarungen des Landes mit Hochschulen in Trägerschaft des Landes lediglich politische Verbindlichkeit besitzen, handelt es sich bei Vereinbarungen zwischen Land und Stiftung um öffentlich-rechtliche Verträge, die einen - gegebenenfalls auch einklagbaren - Rechtsanspruch der Hochschulstiftung begründen4. In der Zielvereinbarung 2005 zwischen dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur und der Stiftungsuniversität Göttingen sind für die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek unter anderem folgende Strategieziele vorgesehen:
Entwicklungsprojekte zur Personalisierung von Serviceangeboten - Ausbau des webbasierten Auskunftsdienstes „Question Point" zu einem OnlineInformationsdienst mit Alerting-Services, individuellen Rechercheprofilen und Live-Chat. - Weiterer Ausbau des Print-on-demand-Services „Proprint". - Weiterentwicklung des Universitätsverlages Göttingen als Publikationsplattform für hochwertige, auch multimediale Veröffentlichungen der Universität und Ausbau des Dokumentenservers als Plattform medienneutralen Publizierens für alle Arten wissenschaftlicher Veröffentlichungen der Universität Göttingen. - Aufbau eines Medienportals zur universitätsweiten Verwaltung und Bereitstellung von Bilddaten in Kooperation mit der Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH Göttingen (GWDG).
Weiterentwicklung der digitalen Bibliothek - Weiterführung der Umstellung der Göttinger Informationsversorgung auf campusweit zugängliche elektronische Publikationen. - Ausbau des Göttinger Digitalisierungszentrums (GDZ) in Richtung einer Verbesserung sowohl der Qualitätsdigitalisierung als auch der Massendigitalisierung. Für 3
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Ipsen, Jörn: Hochschulen in Trägerschaft von Stiftungen des öffentlichen Rechts - Ein Beitrag Niedersachsens zur Hochschulreform? In: Niedersächsische Verwaltungsblätter 10 (2003), S. 1-6. Palandt, Klaus: Zielvereinbarungen zwischen Hochschulen und Landesregierung. Erfahrungen am Beispiel Niedersachsen. In: Das Hochschulwesen 50 (2002), S. 162-167.
Strategisches
Handeln in
Hochschulbibliotheken
2005 ist hier insbesondere der Übergang von der Image- zur Volltextdigitalisierung vorgesehen sowie der weitere Ausbau des Angebotes digitaler Volltexte. - Einbindung digitaler, auch multimedialer Dokumente in e-learning-Umgebungen, insbesondere im Rahmen des niedersächsischen ELAN-Projekts.
Optimierung der Vor-Ort-Services - Ausweitung der Öffnungszeiten in den Abendstunden bis 24.00 Uhr, mittelfristig mit dem Ziel einer 24-Stunden-Öffnung der Bibliothek. - Einrichtung von Learning Resources Centern im Neubau und im Historischen Gebäude zur Unterstützung multimedialer Informationsnutzung, -produktion und -publikation.
Überregionale Informationsversorgung und Dienste - Ausbau der Forschungsbibliothek im Rahmen der aus funktionalen und baulichen Gründen unumgänglichen Sanierung des Historischen Gebäudes. - Einrichtung eines Informationszentrums für die Nationalbibliothek 18.Jahrhundert. - Weitere Optimierung der Services im Rahmen der DFG-geförderten Sondersammelgebietsaufgaben, in 2005/2006 insbesondere durch den Auf- und Ausbau virtueller Fachbibliotheken für die Mathematik und die Geowissenschaften. - Bis 2008: Entwicklung einer Softwarelösung für die Langzeitarchivierung und -Verfügbarkeit digitaler Dokumente im BMBF-geförderten Projekt KOPAL gemeinsam mit Der Deutschen Bibliothek, der GWDG und IBM. - Unterstützung von Symposien und Kongressen im historischen Bibliotheksgebäude sowie Organisation von Ausstellungen von überregionalem Rang.
Restrukturierungsmaßnahmen (perspektivisch bis 2008): - Realisierung einer integrierten Bereichsbibliothek Geisteswissenschaften im geplanten „Geisteswissenschaftlichen Zentrum". - Weiterfuhrung der Restrukturierung des Göttinger Bibliothekssystems insbesondere durch weitere Zusammenführungen kleinerer dezentraler Teilbibliotheken zu größeren leistungsfähigen Einheiten. Die Verfolgung innovationsorientierter Strategieziele durch die Bibliothek ist nur möglich, wenn die verfügbaren Finanzmittel, insbesondere auch das Personalbudget, flexibel eingesetzt werden können. Die Akquirierung neuen Personals ebenso wie die Entwicklung und Förderung leistungsfähiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter muss sich nach den durch die langfristigen Strategieziele geforderten Qualifikationsprofilen richten, ohne den Restriktionen eines fest gefügten Stellenplans unterworfen zu sein. Ebenso erfordert die Nachhaltigkeitssicherung von Innovationen durch Überführung von Projektergebnissen in dauerhafte Services oft tief greifende personelle Umschichtungen, die auch strukturelle Eingriffe in den Personalbestand notwendig machen. Strategisch Handeln können die Einrichtungen der Hochschule und damit auch die Bibliothek also nur dann, wenn der hochschulinterne Autonomieprozess diese Flexibilität unterstützt und fördert.
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Klaus Ceynowa
Spielregeln hochschulinterner Autonomie An der Universität Göttingen wird die geforderte Flexibilität durch eine vollständige Dezentralisierung der Ressourcen- und Entscheidungsverantwortung bereits sehr weitgehend gewährleistet. Die Bibliothek bekommt ihren Etat ebenso wir die Fakultäten in Form eines in einer Summe ausgewiesenen Gesamtbudgets zur eigenständigen Bewirtschaftung zugewiesen. Lediglich nachrichtlich werden die Budgetanteile für Personal- und Sachmittel noch getrennt dargestellt, ein separater Ausweis von Literaturmitteln findet nicht mehr statt. Die Höhe des Personalbudgets wird nach einrichtungsspezifischen Personalkostendurchschnittssätzen berechnet, die damit sehr nahe an den Personal-Istkosten liegen. In einer Reihe so genannter „Spielregeln" hat die Universität Göttingen Grundsätze zur Budgetverwendung festgelegt. Als Grundregel gilt, dass bei allen Änderungen bezüglich der Finanzzuweisungen an die Hochschulstiftung, insbesondere bei tariflichen und besoldungsmäßigen Änderungen, die Fakultäten und die zentralen Betriebseinheiten so behandelt werden, wie sich das Verhältnis zwischen Stiftung und Land gestaltet. Diese „Eins-zu-Eins" Übersetzung des Verhältnisses Land/Stiftung in die hochschulinterne Mittelverteilung bedeutet auch für die Bibliothek ein hohes Maß an Planungssicherheit. Erhöhte Personalkosten beispielsweise aufgrund tariflicher Steigerungen führen zu einer erhöhten Belastung der dezentralen Budgets. Die Spielregel garantiert hier, dass eine entsprechende Erhöhung der Finanzhilfe des Landes für die Stiftung nicht einem zentralen Fonds der Universitätsleitung zugeführt und für andere Zwecke einbehalten wird, sondern unmittelbar in eine entsprechende Steigerung des Budgets der Einrichtungen umzusetzen ist. Mit dem Übergang der Hochschule in die Stiftungsträgerschaft geht auch die Dienstherreneigenschaft an die Stiftung über (§ 58 Abs. 1, Satz 1 NHG). Die Stiftung kann eigenständig Beamte einstellen, sie darf den Beamten-Stellenplan verändern, also Planstellen neu einrichten und vorhandene Planstellen streichen. Gleiches gilt für Angestellten- und Arbeiterstellen. Das beim Eintritt in die Stiftungsträgerschaft gegebene Stellenplangefüge stellt damit nur noch die Berechnungsgrundlage für die Höhe des der Hochschule zugewiesenen Personalbudgets dar, in dessen Rahmen über die Wertigkeit der Stellen frei disponiert werden kann. Die Berechnung des Personalbudgets erfolgt hierbei in der Form, dass die zum Stichtag besetzten Stellen mit ihren Istkosten, die freien Stellen nach Durchschnittssätzen bewertet werden. Das Personalbudget ist damit festgestellt und verändert sich in den Folgejahren nur noch durch Änderungen im Besoldungs- und Tarifbereich. Weitere grundlegende Spielregeln zur Personalbewirtschaftung beziehen sich auf die Möglichkeiten und Grenzen struktureller Veränderungen im Beamten-Stellenplan und im Personalbestand der Angestellten und Arbeiter. Praktisch stellen diese Regelungen die Verwendung des Personalbudgets weitgehend in die freie Disposition der Hochschuleinrichtungen. Die Schaffung neuer Dauerstellen und höherwertiger Stellen ist in der Regel gegen Inabgangstellung und/oder Absenkung vorhandener Stellen uneingeschränkt möglich, sofern die Erfüllung des Leistungsauftrages gewahrt bleibt. Die Bibliothek kann im Rahmen der natürlichen Fluktuation freiwerdende Stellen nun auf vielfältige Weise nutzen. Niederwertige Stellen können zur Schaffung einer höher46
Strategisches
Handeln
in
Hochschulbibliotheken
wertigen Stelle gestrichen werden, höherwertige Stellen in mehrere niederwertige „zerlegt" werden, eine Stelle kann in Abgang gestellt werden, um mehrere andere Stellen anzuheben etc. Diese Flexibilität ist sowohl für Beamten- wie für Angestelltenund Arbeiterstellen möglich, wobei auch beschäftigungsgruppenübergreifend verfahren werden kann. So können beispielsweise Absenkungen von Angestelltenstellen zur Hebung von Beamtenstellen genutzt werden. Eine weitere Flexibilisierung der Personalwirtschaft ist dadurch gegeben, dass die Bibliothek im Rahmen einer mit dem Präsidium vereinbarten Personalkostenobergrenze die Option zur Begründung unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse aus eigenen Einnahmen hat. Damit kann insbesondere die strategisch besonders relevante Nachhaltigkeitssicherung drittmittelgeförderter Projekte durch Überführung qualifizierter Projektkräfte in Dauerstellen unterstützt werden. Personalmittel aus vakanten Stellen können zudem ohne zeitliche Begrenzung für konsumtive und investive Zwecke verwendet werden. Im Unterschied zu den meisten derzeit im Hochschulbereich praktizierten Verteilungsmodellen wird das Personalbudget der Universität Göttingen also nicht nur rechnerisch auf die Einrichtungen verteilt, sondern steht diesen tatsächlich zur eigenverantwortlichen und weitgehend autonomen Bewirtschaftung zur Verfügung. Das Freiwerden einer Stelle durch natürliche Fluktuation bedeutet dann nichts anderes als den Anstieg des disponiblen Anteils am Globalbudget der jeweiligen Einrichtung. Die Bibliothek kann jetzt mit Blick auf ihre langfristigen strategischen Entwicklungsziele selbst entscheiden, wofür die freien Mittel eingesetzt werden sollen. Neben dem flexiblen Einsatz im Personalbereich gemäß der beschriebenen Optionen können die Mittel beispielsweise auch für investive Zwecke angespart oder zur Absicherung hochpreisiger Zeitschriftenabonnements genutzt werden. Die „traditionelle" Form der Verwendung des freien Stellenbudgets, nämlich die Wiederbesetzung mit identischer Wertigkeit und gleichem Tätigkeitsprofil, wird künftig eher der Ausnahmefall sein. Für die Mitarbeiter der Bibliothek bringt die finanz- und personalwirtschaftliche Autonomie eine grundlegende Neuorientierung ihrer Karrierechancen und beruflichen Entwicklungspfade mit sich. Während in der Vergangenheit mit relativer Verlässlichkeit Beförderungschancen aus dem Stellenplan abgelesen werden konnten, orientieren sich diese nun eher am strategischen Planungshorizont der Bibliothek. Die Strategieziele der Bibliothek definieren diejenigen Aufgaben und Leistungsbereiche, die für die zukünftige Entwicklung der Bibliothek ausschlaggebend sind, und aus diesen wiederum lassen sich die prioritär zu entwickelnden Tätigkeits- und Kompetenzprofile herleiten. Es sind diese so genannten „strategischen Jobkategorien", auf denen die Karrierechancen in einer strategieorientiert arbeitenden Bibliothek künftig maßgeblich fußen werden5. Die herkömmliche stellenplanorientierte Personalplanung wird damit tendenziell zerschlagen. Es ist klar, dass diese Umorientierung, die für viele Mitarbeiter zunächst eine Zumutung darstellt, eine deutliche Aufwertung moderner Instrumente der Personalentwicklung verlangt. Insbesondere ist die langfristige Karriereplanung durch gezielte Fortbildungsprogramme, die auch finanziell entsprechend auszustatten sind, zu unterstützen. 5
Kaplan, Robert S./Norton, David P.: Grünes Licht für Ihre Strategie, in: Harvard Business Manager, 26 (2004), S. 18-33.
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Klaus
Ceynowa
Strategiefähigkeit der Bibliothek Indem die Bibliothek weitgehend unreglementiert und selbständig über ihr Budget verfügen kann, wird sie - ebenso wie die anderen Einrichtungen der Hochschule strategiefähig. Die Allokation der verfügbaren Ressourcen lässt sich nun aus den langfristigen Bibliothekszielen herleiten, die ihrerseits an die Strategie der Hochschule rückgebunden sind: Geld und Personal folgen den jeweiligen strategischen Prioritäten. Es wird aber auch deutlich, dass die Option zur Setzung und Verfolgung strategischer Prioritäten angesichts stets knapper Ressourcen immer auch den Zwang zur Benennung von Posterioritäten impliziert, also der Leistungen und Dienste, denen man - gerade auch unter Rückbezug auf die Gesamtstrategie der Hochschule - keine oder nur eine eingeschränkte Zukunft zubilligt. Im Prinzip ist unter den Rahmenbedingungen einer voll budgetierten und globalisierten Haushaltsbewirtschaftung jede Ausgabeentscheidung eine strategische Entscheidung. Sollen freiwerdende Personalmittel zur Lizensierung hochpreisiger Datenbanken eingesetzt werden? Oder soll hiermit die Ausstattung des Learning Resources Centers der Bibliothek auf dem Campus verbessert werden? Oder sind die Mittel zur Nachhaltigkeitssicherung eines demnächst auslaufenden Projekts in die Rücklage einzustellen? Derartige Fragen gewinnen insbesondere dann an Schärfe, wenn der traditionelle Stellenplan durch ein flexibel bewirtschaftbares Personalbudget abgelöst wird. Die hiermit eröffnete Möglichkeit, personelle Ressourcen bedarfsorientiert dort zu bündeln, wo die Zukunftsaufgaben der Bibliothek verortet werden, verlangt immer auch einen entsprechenden Rückbau der weniger strategierelevanten Handlungsfelder. Die engmaschigen Titelstrukturen traditioneller Haushaltspläne ebenso wie die Restriktionen herkömmlicher Stellenplanbewirtschaftung hatten hier auch eine Entlastungsfunktion, indem sie die Notwendigkeit strategischen Entscheidens durch den Hinweis auf „Vorgaben" minimierten. Strategisches Handeln ist demgegenüber immer „about win or loose". Für kompetitiv agierende Hochschulen wird sich dabei der Wert der Bibliothekservices maßgeblich danach bemessen, welchen Beitrag diese zum Erfolg der Hochschule auf dem Markt konkurrierender Bildungsangebote und im Wettbewerb um die besten Wissenschaftler leisten. In diesem Kontext geraten insbesondere die breit ausgebauten nationalen und internationalen Kooperationsbeziehungen wissenschaftlicher Bibliotheken tendenziell unter Legitimationszwang. Nerzbasierte, verteilte elektronische Informationsbereitstellung kann nur kooperativ erfolgreich geleistet werden, zumal die hier zu lösenden Probleme - Beispiel: Langzeitarchivierung - hinsichtlich ihrer Komplexität und ihres Ressourcenbedarfs nur im Zusammenwirken mehrerer leistungsstarker Einrichtungen zu bewältigen sind. In Konkurrenz zueinander stehende Hochschulen werden aber Bibliotheksausgaben, deren Ergebnisse nicht nur der eigenen Universität, sondern in gleicher Weise auch anderen Hochschulen - im Sinne eines „Standortvorteils" - zugute kommen, zusehends kritisch betrachten. Dies gilt zumindest dann, wenn Universitätsbibliotheken überregionale Aufgaben (z.B. Sondersammelgebiete) oder nationalbibliothekarische Leistungen in signifikantem Umfang auch aus regulären Haushaltsmitteln finanzieren. Diese Problematik tritt auch in den einschlägigen Bestimmungen des neuen Niedersächsischen Hochschulgesetzes zutage. Das Gesetz bestimmt im § 47 als „staatliche 48
Strategisches Handeln in
Hochschulbibliotheken
Angelegenheiten", die die Hochschulen als Einrichtungen des Landes wahrnehmen, unter anderem „die überörtliche Bibliotheks- und Rechenzentrumskooperation". Für die Hochschulen, die nicht mehr in staatlicher Trägerschaft, sondern in der Trägerschaft einer Stiftung öffentlichen Rechts stehen, gilt laut § 55 des Gesetzes: „Die Stiftung nimmt die staatlichen Angelegenheiten nach § 47 ... als eigene Aufgaben wahr." Es ist keineswegs selbstverständlich, dass die überregionale Bibliotheks- und Rechenzentrumskooperation, die gemeinhin als genuines Handlungsfeld staatlicher Koordination gilt, von der Hochschulstiftung als „eigene Aufgabe" betrachtet wird. Es ist fraglich, in welchem Maße eine Stiftung, die unter Wettbewerbsbedingungen primär für „ihre" Hochschule zu sorgen hat, ein ausgeprägtes Interesse an einer standortübergreifenden Bibliothekskooperation nehmen wird. Hier ist es eine wesentliche Aufgabe der Bibliothek, der eigenen Hochschule die Leistungsvorteile überregional vernetzter Informationsversorgungssysteme deutlich zu machen und auf die Verankerung entsprechender Leistungen in Zielvereinbarungen hinzuwirken. Im vorhergehenden ist dafür argumentiert worden, das strategische Handeln der Bibliothek konsequent von den Strategie- und Entwicklungszielen der Hochschule her zu entfalten. Dadurch wird die Bibliothek einerseits abhängig von den jeweiligen strategischen Präferenzen ihres Standortes, gewinnt aber andererseits durch die Teilhabe am universitären Autonomieprozess Strategiefähigkeit im Sinne eigenständiger Disponierbarkeit über Geld, Personal und Ausstattung. Die Ausbalancierung von Abhängigkeit und Autonomie stellt hierbei selbst eine anspruchsvolle strategische Aufgabe für Hochschulbibliotheken dar.
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Bärbel Schubel und Wilfried Sühl-Strohmenger
Literatur- und Informationsversorgung im Freiburger Bibliothekssystem - 35 Jahre Bibliotheksreform an der Albert-Ludwigs-Universität 1. Einführung Neuerdings werden, auch unter dem Eindruck novellierter Landeshochschulgesetze, für traditionell zweischichtige Hochschulbibliothekssysteme Reformen diskutiert1, die es nahe legen, sich nochmals mit einem bereits seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts laufend reformierten Bibliothekssystem zu befassen, wie es sich in der Freiburger AlbertLudwigs-Universität Freiburg im Breisgau aufgrund einer durchdachten, von Universitäts- wie Bibliotheksleitung gleichermaßen getragenen Strategie über nunmehr 35 Jahre entwickelt hat.2 Bereits 1991 wurde konstatiert: „Das Freiburger Bibliothekssystem kennt also auch nach über 20 Jahren Reform und Bewegung keinen Stillstand, sondern stellt sich den neuen Herausforderungen im Zeichen der EDV."3 Diese Feststellung gilt gleichermaßen nach weiteren knapp 15 Jahren, allerdings mit Implikationen, wie sie im Wesentlichen durch die digitale Bibliothek und den damit verbundenen Funktionswandel der herkömmlichen Literatur- und Informationsversorgung in einem universitären Bibliothekssystem an Einfluss gewinnen.4 Insofern unterscheidet sich das Freiburger Bibliothekssystem in seiner gegenwärtigen Lage und seinen Perspektiven deutlich von den meisten anderen deutschen - ehemals zweischichtigen, jetzt „funktional-einschichtigen" - Hochschulbibliothekssystemen, wie beispielsweise in Berlin (Freie Universität)5, Frankfurt a.M.6, Gießen7, Halle8, Heidelberg9, Mainz10. Denn dort Siehe dazu die konzentrierte Darstellung von Halle, Axel: Strukturwandel der Universitätsbibliotheken: von der Zweischichtigkeit zur funktionalen Einschichtigkeit. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie (ZfBB) 49 (2002), H. 5-6, S. 268-270. 2
Siehe dazu Sühl-Strohmenger, Wilfried: Das Bibliothekssystem der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau. Bestandsaufnahme und Ausblick. Freiburg 1989 (Schriften der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau; 14); Schubel, Bärbel: Die dezentralen Bibliotheken im Bibliothekssystem der Universität Freiburg. Perspektiven in den neunziger Jahren. Freiburg i. Br. 1994 (Schriften der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau; 17), S. 151-171; Schubel, Bärbel: Das Bibliothekssystem der Universität Freiburg. In: Busch, Rolf (Hrsg.): Campusbibliotheken in der Freien Universität Berlin? Berlin 1996 (Beiträge zur bibliothekarischen Weiterbildung; 9), S. 105-115.
3
Sühl-Strohmenger, Wilfried: Das Bibliothekssystem der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau. In: Raffelt, Albert (Hrsg.): Tradition - Organisation - Innovation. 25 Jahre Bibliotheksarbeit in Freiburg. Wolfgang Kehr zum 60. Geburtstag. Freiburg i. Br. 1991 (Bibliothekssystem der AlbertLudwigs-Universität Freiburg im Breisgau. Informationen, Sonderheft 2) Bd. 2, S. 22.
4
Siehe dazu auch Schubel, Bärbel, Sühl-Strohmenger, Wilfried: Informationsdienstleistung und Vermittlung von Informationskompetenz - das Freiburger Bibliothekssystem auf neuen Wegen. In: Bibliotheksdienst 37 (2003), S. 437-449. Vgl. Naumann, Ulrich: Dezentrale Zentralisation auf mittlerer Ebene: das Bibliothekssystem der Freien Universität Berlin. In: ZfBB 49 (2002), H. 5-6, S. 293-298.
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Bärbel Schubel und Wilfried
Sühl-Strohmenger
müssen vordringlich die Probleme der Zusammenlegung kleinerer Instituts- und Seminarbibliotheken zu leistungsfähigen Fach- bzw. Bereichsbibliotheken, der einheitlichen Verwaltung mit Personal, das sämtlich der Dienstaufsicht der Universitätsbibliothek zugeordnet ist, der Koordinierung der Erwerbung und der Stellung der Universitätsbibliothek als anerkannter Verwaltungs- bzw. Steuerungszentrale gelöst werden. Alles dieses ist an der Albert-Ludwigs-Universität bereits weitgehend realisiert, wie die nachfolgende Darstellung in konzentrierter Form es noch einmal - aus heutiger Sicht und vor dem Hintergrund neuer gesetzlicher und bibliothekspolitischer Anforderungen an „einschichtig-funktionale" Bibliothekssysteme11 - veranschaulichen soll.
2. Das Fundament: Bibliotheksplan Baden-Württemberg, Universitätsgesetze und Verwaltungsordnung Die Strategie von Wolfgang Kehr, der 1967 die Leitung der Universitätsbibliothek Freiburg übernommen hatte, bestand darin, in Zusammenwirken mit der Hochschulleitung Eckpfeiler eines reformierten universitären Bibliothekssystems frühzeitig auf lokaler Ebene zu realisieren, wie beispielsweise die Begründung der Fakultätsbibliotheken für Chemie/Pharmazie bzw. für Physik und für Biologie, und diese dann in die regionale und auch überregionale Bibliotheksplanung selber mit einzubinden. Ausdruck dieser Strategie waren der seinerzeit bahnbrechende und wesentlich von Elmar Mittler ausgearbeitete Gesamtplan für das wissenschaftliche Bibliothekswesen Baden-Württemberg (1973-75; Vorsitz der Planungsgruppe: Wolfgang Kehr)12 sowie die DFG-Empfehlungen von 1970 zur Zusammenarbeit zwischen Hochschulbibliothek und Institutsbibliotheken. Laut Bibliotheksplan Baden-Württemberg nimmt die Zentralbibliothek 6
Siehe Homilius, Sabine: Konzentration von Fachbereichs- und Institutsbibiotheken in der Johann Wolfgang-Goethe-Universität: das Beispiel Geisteswissenschaften. In: ZfBB 49 (2002), S. 289-292.
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Vgl. Reuter, Peter: Ein Bibliothekssystem im Umbruch: Die Einfuhrung der funktionalen Einschichtigkeit an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. In: ABI-Technik 1 (2003), S. 37-46. Siehe Schnelling, Heiner, Sommer, Dorothea: Die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle - ein einschichtig organisiertes dezentrales Bibliothekssystem. In: ZfBB (49 (2002), S. 271-277. Vgl. Bonte, Achim: Tradition ist kein Argument. Das Bibliothekssystem der Universität Heidelberg auf dem Weg zur funktionalen Einschichtigkeit. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie (ZFBB) 49 (2002), S. 299-305; Bonte, Achim: Bibliotheksreform auf starkem Grund. Die neue Verwaltungsordnung für das Bibliothekssystem der Universität Heidelberg. In: Bibliotheksdienst 38 (2004), S. 717-725.
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Vgl. Jantz, Martina: Strukturproblem Zweischichtigkeit: ein Werkstattbericht aus der Universitätsbibliothek Mainz. In: ZfBB 49 (2002), S. 306-311. Siehe zu den diesbezüglichen Rechtsfragen auch Naumann, Ulrich: Hochschulbibliothekssysteme im Vergleich: IV.7 Rechtsfragen der Struktur von Hochschulbibliotheken. (HU Berlin, Sommersemester 2004) . Vgl. dazu auch Mittler, Elmar: Der Aufbau von Bibliothekssystemen an den Universitäten des Landes Baden-Württemberg. Die Empfehlungen der Arbeitsgruppe Bibliotheksplan Baden-Württemberg und Ansätze ihrer Verwirklichung. In: Köttelwesch, Clemens; Haenisch, Wolf (Hrsg.): Vom Strukturwandel deutscher Hochschulbibliotheken. Frankfurt a. M. 1973 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie; Sonderheft 14); S. 44-85.
Literatur-
und Informationsversorgung
im Freiburger
Bibliothekssystem
Dienstleistungen für die Literatur-, Medien- und Informationsversorgung der ganzen Universität wahr, betreibt gemeinsame Einrichtungen und ist für die regionale bzw. die überregionale Literaturversorgung zuständig. Sie ist die Ausleih-, Magazin- und Archivbibliothek des Bibliothekssystems. Im Grundsatz haben diese Funktionen auch heute noch ihre Gültigkeit und schließen beispielsweise den zentralen Einkauf von elektronischen Zeitschriften und die Bereitstellung von Datenbankdiensten, die über den Server von „ReDI Freiburg" universitätsweit im Netz aufliegen, mit ein. Im Unterschied zu diesen zentralen Funktionen der Universitätsbibliothek sind die dezentralen Bibliotheken Präsenzbibliotheken mit speziellen Beständen, die sich an den aktuellen Bedürfnissen von Forschung und Lehre des betreffenden Fachbereichs orientieren. Das baden-württembergische Landeshochschulgesetz aus dem Jahr 1973 wie auch noch das Universitätsgesetz aus dem Jahr 1987 nahmen in ihren Bibliotheksparagraphen direkten Bezug auf diese planerischen Konzepte und beinhalteten die Forderung an die Hochschulen, Verwaltungsordnungen für das Bibliothekssystem zu erlassen. In Freiburg wurde eine solche Verwaltungsordnung bereits 1977 von Verwaltungsrat der Universität verabschiedet13 und durch Richtlinien des Bibliotheksausschusse für die einheitliche Verwaltung der dezentralen bibliothekarischen Einrichtungen in der AlbertLudwigs-Universität14 mit Blick auf die Praxis konkretisiert. Worin bestanden seinerzeit die zentralen Elemente des anvisierten reformierten Bibliothekssystems? In erster Linie zu nennen sind - die Zusammenlegung kleiner dezentraler Bibliotheken zu leistungsfähigen Bereichsbzw. Fakultätsbibliotheken, - die Betreuung dieser Bibliotheken möglichst durch bibliothekarisches Fachpersonal bzw. zumindestens unter dessen Aufsicht, - die Etatisierung des gesamten Bibliothekspersonals im Stellenplan der Universitätsbibliothek und die Unterstellung unter die Dienst- und Fachaufsicht des/der Direktors/ Direktorin der UB, - die Verwaltung aller Einrichtungen des Bibliothekssystems nach einheitlichen Regeln der Katalogisierung, der Erwerbung und der Benutzung, - die Abstimmung der Erwerbungen durch die Fachreferentinnen und Fachreferenten zwischen Zentralbibliothek und dezentralen Bibliotheken und - der Nachweis der Bestände in einem gemeinsamen Katalog (ohne UB-Bestand). Dazu kam die intensive Kooperation auch mit außeruniversitären Einrichtungen (besonders etwa der Bibliothek der Pädagogischen Hochschule15). Die nachteiligen Wirkungen zweischichtiger Hochschulbibliothekssysteme, insbesondere die unkoordinierte und unwirtschaftliche Form der Beschaffung, Erschließung und Bereitstellung von Literatur 13
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Siehe dazu Kehr, Wolfgang: Rechtliche Voraussetzungen für Bibliothekssysteme : Die Freiburger Verwaltungsordnung. In: ZfBB 22 (1975); S. 319-326. Richtlinien des Bibliotheksausschusses zur Verwaltung der Bibliotheken der Universität Freiburg i. Br. In: Amtliche Bekanntmachungen der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau Jg. 9, Nr. 14 v. 1. Juni 1978, S. 64-74. Siehe dazu Glanzner, Peter: Universitätsbibliothek und Bibliothek der Pädagogischen Hochschule. Ein Kooperationsmodell. In: Raffelt, Albert (Hrsg.): Tradition - Organisation - Innovation, a.a.O., S. 96-107.
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Bärbel Schubel und Wilfried
Siihl-Strohmenger
sowie die Existenz zahlreicher kleiner und kleinster bibliothekarischer Einrichtungen auf Fakultätsebene, wurden zugunsten der Vorzüge von Bereichsbibliotheken - der bedarfsgerechten und benutzernahen Verfügbarkeit speziellerer Forschungsliteratur minimiert und in durchdachter Kooperation mit der Zentralbibliothek zur Geltung gebracht. Die Neugründungen der Fakultätsbibliotheken für Chemie/Pharmazie, für Physik und für Biologie16 sowie für Geographie und Völkerkunde als Zweigbibliotheken der Universitätsbibliothek bereits zwischen 1970 und 1973, die Schaffung des Verbundes der Seminar- bzw. Institutsbibliotheken der Theologischen Fakultät 197117, die Einrichtung einer Verwaltungseinheit Altertumswissenschaften, sodann die Gründung der Fachbereichsbibliothek Erziehungswissenschaft und Philosophie und der Verbundbibliothek für Geschichte, Politik, Soziologie und Anglistik im alten Bibliotheksgebäude (heute Kollegiengebäude IV)18 bezeichnen wesentliche Schritte auf dem Weg zu einem koordinierten Miteinander von Zentralbibliothek und dezentralen Bibliotheken bis in die 80er Jahre. Das mit dem Jahr 2000 in Kraft getretene neue Universitätsgesetz (UG) des Landes Baden-Württemberg19 bestätigte in Paragraph 30, der das Bibliothekssystem der Universitäten betrifft, die hauptsächlichen Regelungen aus dem Bibliotheksplan von 1972 zur Reform zweischichtiger Bibliothekssysteme, denn es heißt dort in Absatz (1): „Die Zentralbibliothek und die Bibliotheken der sonstigen Einrichtungen bilden ein einheitliches Bibliothekssystem." Dies impliziert, dass die Zentralbibliothek und alle dezentralen bibliothekarischen Einrichtungen in der Universität eine Einheit bilden, d.h. in der Zielrichtung intendiert das Gesetz ein funktional einschichtiges Bibliothekssystem. Die Leiter der Universitätsbibliotheken sind direkte Vorgesetzte aller Mitarbeiter(innen) des Bibliothekssystems, üben also die unmittelbare Dienstaufsicht aus. Nun sind, wie oben skizziert, mehrere Regelungen für die universitären Bibliothekssysteme aufgrund des neuen UG in § 30 im Freiburger Bibliothekssystem bereits seit geraumer Zeit auf der Basis des früheren baden-württembergischen Hochschulgesetzes von 1973 durch eine erfolgreiche Bibliothekspolitik verwirklicht worden. Dies betrifft beispielsweise die koordinierte Erwerbung, Erschließung und Bereitstellung der Bestände des Bibliothekssystems im Südwestdeutschen Bibliotheksverbund (SWB) genauso wie die Vorgesetztenfunktion der Direktorin der Universitätsbibliothek für das weitgehend bereits seit längerem im Stellenplan der UB geführte Bibliothekspersonal in den dezentralen Bibliotheken. Die seinerzeit von der Integration in das Freiburger Bibliothekssystem ausgenommenen großen Einrichtungen der Bibliothek für Rechtswissenschaft bzw. der Bibliothek des Volkswirtschaftlichen Seminars wurden 2001/02 - genauso wie die Bibliotheken 16
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Vgl. Rockel, Susanne: Naturwissenschaftliche Bibliotheken. In: Raffelt, Albert (Hrsg.): Tradition - Organisation - Innovation, a.a.O., S. 46-51. Vgl. Raffelt, Albert: Kleine Geschichte des Verbunds der Institutsbibliotheken der Theologischen Fakultät. In: ders. (Hrsg.): Tradition - Organisation - Innovation , a.a.O., Bd. 2, S. 23-40. Vgl. dazu Schubel, Bärbel: Die Bibliothek im Kollegiengebäude IV. In: Bibliothekssystem der AlbertLudwigs-Universität Freiburg i. Br. Informationen Nr. 31 (1986), S. 10-12. Gesetz über die Universitäten im Land Baden-Württemberg (Universitätsgesetz - UG) in der Fassung vom 01. Februar 2000. Veröffentlicht in: Gesetzblatt des Landes Baden-Württemberg 5. Vom 28.03. 2000, S. 208ff., siehe generell dazu u.a.. Dörpinghaus, Hermann-Josef: Zu den Auswirkungen der bibliotheksrechtlichen Regelungen im novellierten Gesetz über die Universitäten im Land Baden-Württemberg. In: Theke (2000), S. 106-111.
Literatur- und Informationsversorgung
im Freiburger
Bibliothekssystem
des Deutschen und des Romanischen Seminars - als Zweigbibliotheken in das einheitliche Bibliothekssystem nach Maßgabe des Universitätsgesetzes aus dem Jahr 2000 integriert, so dass jetzt alle dezentralen Bibliotheken von der UB verwaltet werden. Das Freiburger Bibliothekssystem ist also durch das UG von 2000 bestätigt und bestärkt worden. Die jahrzehntelangen Vorarbeiten auf den Gebieten der Erwerbungsabstimmung, der einheitlichen Bibliotheksverwaltung und Bestandserschließung, der Bildung leistungsfähiger bibliothekarischer Einheiten mit Fachpersonal unter der Fachund Dienstaufsicht der Leiterin der Zentralbibliothek haben sich ausgezahlt. Das Augenmerk kann sich nunmehr bereits auf die nächste Stufe der Reform konzentrieren: die noch engere Verzahnung von Zentralbibliothek und dezentralen Bibliotheken sowie deren Weiterentwicklung von bibliothekarischen Verwaltungseinheiten zu bibliothekarischen Serviceeinrichtungen und Informationsdienstleistern auf Fakultäts-, Institutsbzw. Seminarebene. Die Landesrektorenkonferenz Baden-Württemberg hat in den Empfehlungen zur Verbesserung der Situation der Universitätsbibliotheken (2003) ebenfalls die „Reorganisation der Institutsbibliotheken, die längerfristig in größere Einheiten in Richtung eines einschichtigen Bibliothekssystems eingebunden werden sollen", als kurzfristige Maßnahme empfohlen und dabei insbesondere ausreichende Öffnungszeiten und gute Zugänglichkeit der Bestände gefordert. Im Licht des in der Novellierung befindlichen baden-württembergischen Landeshochschulgesetzes20 2004/05 rückt nun allerdings verstärkt die Aufgabe der Informationsversorgung - im Verbund mit anderen zentralen Einrichtungen - in den Vordergrund, wenngleich die Forderung einheitlicher Bewirtschaft der Medien weiterhin im Gesetzentwurf steht. Die noch im Universitätsgesetz aus dem Jahr 2000 niedergelegten und im Wesentlichen mit den Bibliotheksparagraphen der vorausgegangenen Fassungen übereinstimmenden Detailfestlegungen bezüglich der Erwerbungsabstimmung und der Funktion des Direktors als Vorgesetztem des gesamten Bibliothekspersonals werden nicht mehr explizit aufgegriffen. Das Informationszentrum als zentrale Betriebseinheit untersteht unmittelbar dem Vorstand (der Hochschule). Der Gesetzentwurf betont den „einheitlichen und wirtschaftlichen Personaleinsatz" für das gesamte Bibliothekssystem und die „bestmögliche Verfügbarkeit von Literatur, Systemen und Diensten für alle Mitglieder und Angehörigen der Hochschule"21. Er rückt also, im Unterschied zur eher administrativ-organisatorischen Sichtweise der vorherigen Universitätsgesetze des Landes, den Aspekt der Dienstleistungsqualität zum Nutzen von Forschung und Lehre in den Mittelpunkt, die vom - funktional-einschichtigen - Bibliothekssystem erwartet wird. Genau in diese Richtung geht die neuere Entwicklung des Freiburger Bibliothekssystems, wie noch zu zeigen sein wird.
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Gesetzentwurf der Landesregierung vom 28.09.04: Zweites Gesetz zur Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften (Zweites Hochschuländerungsgesetz (2. HRÄG) - im Internet einsehbar unter URL: . Ebd., 4. Abschnitt §28 Abs. (1).
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Bärbel Schubel und Wilfried
Siihl-Strohmenger
3. Räumliche Situation des Bibliothekssystems aufgrund der Streulage der Universität 3.1 Streulage der Freiburger Universität Ein Kernproblem vieler älterer deutscher Universitäten mit zweischichtigem Bibliothekssystem liegt in der dezentralen räumlichen Struktur, die eine zentrale Literatur- und Informationsversorgung unmöglich macht. Die Albert-Ludwigs-Universität verteilt sich auf das Universitätszentrum in der Innenstadt mit den Geistes-, den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, auf das medizinisch-naturwissenschaftliche Instituts viertel, auf den Campus am Botanischen Garten, auf das Klinikum (mit weiteren Außenkliniken) sowie auf den Campus am Flugplatzgelände im Freiburger Westen, wo die in den 90er Jahren gegründete Fakultät der Angewandten Wissenschaften neu angesiedelt wurde. Dementsprechend sind die entsprechenden Fakultäts-, Institutsund Seminarbibliotheken in einem teilweise beträchtlichen Radius um die zentral gelegene Universitätsbibliothek herum beheimatet. Durch bauliche Erweiterungen, die die Universität im Zusammenhang mit dem Abzug der französischen Garnison realisieren konnte, sowie durch weitere Gebäudeankäufe ergaben sich zudem Perspektiven für die Bibliotheken der betreffenden Fakultäten, vor allem der neuen Bibliothek der Fakultät für Angewandte Wissenschaften, sodann der Fakultätsbibliothek Forstwissenschaften und der Bibliothek des auf einem nahe dem Universitätszentrum gelegenen Campus angesiedelten Instituts für Psychologie. Die Streulage der Universität hat sich infolge dieser Gebäudeankäufe noch stärker ausgeprägt. Die Albert-Ludwigs-Universität hat im Jahr 2002 die Fakultäten neu geordnet und die Zahl von einstmals 15 auf 11 Fakultäten reduziert, mit Auswirkungen auf die Bibliothekslandschaft. Einige bislang als Fakultäts- bzw. Fachbereichsbibliotheken auf bestimmte Fakultäten bzw. Fachbereiche bezogene Einrichtungen mussten umbenannt werden. Insgesamt existieren (ohne Medizin und Klinikum) nur noch 26 bibliothekarische Verwaltungseinheiten im funktional einschichtigen Freiburger Bibliothekssystem, auch wenn zur Zeit im Südwestdeutschen Bibliotheksverbund noch über 100 Einzelsigel für bibliothekarische Einrichtungen der Universität Freiburg und des Universitätsklinikums nachgewiesen sind, es also - mit Blick auf die Streulage der Universität räumlich gesehen erheblich mehr Standorte sind. Die meisten dezentralen bibliothekarischen Einrichtungen, für die im Hinblick auf den Nachweis der Bestände im Südwestdeutschen Bibliotheksverbund (SWB) ein Sigel beantragt werden muss, stellen jedoch keine umfangreichen Bibliotheken dar, sondern bestehen häufig aus begrenzten und speziellen Sammlungen im Rahmen kleiner räumlicher Einheiten. Jedoch ist es gelungen, diese - aufgrund der beschriebenen Streulage der Freiburger Universität - nach wie vor relativ große Anzahl an Bibliotheksstandorten im Rahmen von Fakultätsoder Bereichsbibliotheken verwaltungsmäßig zusammenzufassen. Die Bibliotheken der Medizin und der Naturwissenschaften unterliegen im Übrigen einem Funktionswandel, der - pointiert gesprochen - auf der enorm gestiegenen Bedeutung von elektronischen Medien und Informationsressourcen in diesen Fachgebieten beruht und eine tendenziell sinkende Nachfrage nach ortsfesten bibliothekarischen Einrichtungen zur Folge hat. Im Bereich der Medizinischen Fakultät ist es deshalb bereits zur Schließung 56
Literatur- und Informationsversorgung im Freiburger Bibliothekssystem einer Klinikbibliothek gekommen, der Fortbestand von zwei weiteren Einrichtungen steht zur Zeit zur Diskussion. Da sich die seit Mitte der 70er Jahre von der UB intensiv verfolgte Planung einer zentralen medizinischen Zweigbibliothek - trotz vieler Anläufe - leider nicht verwirklichen ließ, musste die Literatur- und Informationsversorgung auf einige größere und viele kleinere Klinikbibliotheken verteilt werden. Als Ausgleich übernahm die UB die Dienst- und Fachaufsicht über das Personal der drei größten Klinikbibliotheken, initiierte und betreibt einen elektronischen Aufsatzlieferdienst der medizinischen und naturwissenschaftlichen Bibliotheken untereinander und mit der UB. Neuerdings koordiniert sie - teilweise über nationale Konsortien - die Beschaffung sowie die Bereitstellung medizinischer elektronischer Zeitschriften und Datenbanken für die Fakultät. Die Zukunft der medizinischen Informationsversorgung im Klinikum wird sich stark auf die elektronischen Dienste und Ressourcen stützen.22 3.2 Die dezentralen
Bibliotheksbereiche
Übersicht über die 26 dezentralen Bibliotheksbereiche des Freiburger Bibliothekssystems (nach Bestandsgröße): - Bibliotheken mit > 200.000 Bänden 1. Rechtswissenschaft 2. Volkwirtschaft - Bibliotheken mit 100.000 - 200.000 Bänden 3. Verbundbibliothek Anglistik / Geschichte / Politik / Soziologie 4. Germanistik (Neue und Alte Abteilung) 5. Theologie - Bibliotheken mit 50.000 - 100.000 Bänden 6. Orientalistik 7. Altertumswissenschaften (Alte Geschichte, Provinzialrömische Archäologie, Klassische Philologie, Ur- und Frühgeschichte, Lateinische Philologie des Mittelalters) 8. Geographie und Völkerkunde 9. Mathematik 10. Philosophie und Erziehungswissenschaft, - Bibliotheken mit 25.000 - 50.000 Bänden 11. Kunstgeschichte 12. Psychologie 13. Forstwissenschaft 14. Archäologie 15. Slavistik 16. Chemie/Pharmazie 17. Physik 18. Biologie 22
Vgl. dazu auch Reimers, Frank: Die Virtuelle Medizinbibliothek Freiburg. Ein neuer Weg zur medizinischen Informationsversorgung an der Universität Freiburg. In: Bibliotheksdienst 36 (2002), H. 4, S. 439-452.
57
Bärbel
Schubel
und Wilfried
Siihl-Strohmenger
- Bibliotheken mit 10.000 - 25.000 Bänden 19. Romanistik 20. Geologie, Mineralogie und Kristallographie 21. Musikwissenschaft 22. Volkskunde 23. Sprachwissenschaft 24. Angewandte Wissenschaften - Bibliotheken mit < 10.000 Bänden 25. Informatik u. Gesellschaft 26. Sport und Sportwissenschaft.
4. Verwaltungsstruktur des Bibliothekssystems Seit mehr als 30 Jahren wird das Freiburger Bibliothekssystem entwickelt, gefördert und ausgebaut. Das Ziel, eine gegliederte Einheit mit einer großen Zentralbibliothek und mehreren Zweig- oder Bereichsbibliotheken unter einheitlicher Verwaltung der UB zu verwirklichen, wurde kontinuierlich wie gleichermaßen beharrlich verfolgt und mittlerweile erreicht. Im Wesentlichen beruht das Bibliothekssystem auf drei Säulen: dem effektiven, flexiblen Personaleinsatz, der Erwerbungskooperation und dem zentralen Nachweis der Erwerbungen. 4.1 Effektiver
Personaleinsatz
Schon seit 1969 wurden die neuen Stellen für Bibliothekspersonal vom Verwaltungsrat der Albert-Ludwigs-Universität dem Stellenplan der Universitätsbibliothek zugewiesen. Ab 1983 galt dies dann für alle frei werdenden Bibliothekspersonalstellen in der AlbertLudwigs-Universität. Eine Besonderheit des Freiburger Bibliothekssystem bildete die frühzeitige Schaffung eines Personalpools (4 Stellen) im Dezernat Bibliothekssystem als Personalreserve für Krankheitsausfälle, für Urlaubsvertretungen, für Katalogsanierungen23 und für laufende Katalogisierungsarbeiten in dezentralen Bibliotheken ohne eigenes Fachpersonal. Diese neue Abteilung wurde zunächst in Vorleistung von der Zentralbibliothek, später durch Personalumschichtungen aus dezentralen Bibliotheken gewonnen. Da für den Personaleinsatz in den dezentralen Bibliotheken eine mittlere Arbeitsauslastung zugrunde gelegt wurde, konnten Spitzenbelastungen, beispielsweise bei hohem Bestandszuwachs infolge von Berufungsmitteln, bedarfsorientiert aus dem Personalpool für das Bibliothekssystem aufgefangen werden. Im Grundsatz besteht diese Regelung bis heute, wenn auch bei reduziertem Personalstand des Pools. In den letzten Jahren lag der Tätigkeitsschwerpunkt des Personalpools auf der retrospektiven Konversion der noch nicht im SWB (und damit im Freiburger Online-Katalog) erfassten Institutsbestände.
23
58
Vgl. dazu u.a. Mühl-Hermann, Claudia: Katalogsanierung mittels Verbundkatalogisierung im Musikwissenschaftlichen Seminar. In: Raffelt, Albert (Hrsg.): Tradition - Organisation - Innovation, a.a.O., S. 59-67.
Literatur-
und Informationsversorgung
im Freiburger
Bibliothekssystem
Für die Betreuung in den dezentralen Bibliotheksbereiche stehen zur Zeit 48 Personalstellen (Stand 2004) zur Verfügung. Sie unterstehen der Leiterin der Universitätsbibliothek und sind dem Dezernat Bibliothekssystem zugeordnet, das sich wiederum in zwei Abteilungen (Abt. Bibliothekssystem 1 für die Bibliotheken im Universitätszentrum; Abt. Bibliothekssystem 2 für die Bibliotheken der Mathematik und Naturwissenschaften) untergliedert. Das Abteilungspersonal koordiniert die Verwaltung der zugehörigen bibliothekarischen Einrichtungen bzw. nimmt diese in einigen Fällen selber wahr und katalogisiert den Neuzugang in kleineren Bibliotheken (ohne eigenes Bibliothekspersonal) durch. In den 1978 erlassenen Richtlinien des Bibliotheksausschusses für die einheitliche ΒibliotheksVerwaltung sind die Modalitäten der Führung von Bestellkarteien (einschließlich des Zeitschriftenkardex) genauso fixiert worden wie die Form der Inventarisierung, der Signatursysteme, der Kataloge, der Titelaufnahme, der Revision und der Abgabe entbehrlicher Bestände.24 Auch eine Musterbenutzungsordnung war den Richtlinien von 1978 beigegeben worden, die 11 Paragraphen umfasst und vielen Benutzungsordnungen der dezentralen Bibliotheken zugrunde gelegt worden ist. Das 2004 in der Zentralbibliothek eingeführte LIBEROErwerbungssystem soll auch in den dezentralen Bibliotheken des Freiburger Bibliothekssystems übernommen werden und dürfte somit zur weiteren Rationalisierung der Bibliotheksverwaltung auch im dezentralen Bereich beitragen. Der Leiter des Dezernats Bibliothekssystem übt Managementfunktion aus, d.h. erarbeitet bibliothekspolitische und sachliche Richtlinien, ist zuständig für die Weiterqualifizierung des Bibliothekspersonals und koordiniert zusammen mit den Leite r(inne)n der Fakultäts-, Bereichs- und Verbundbibliotheken die Innovationen im Bibliothekssystem. In vier- bis sechswöchigem Rhythmus finden Leitungsbesprechungen des für das Bibliothekssystem zuständigen Dezernenten und der Leiter(innen) von Fakultäts-, Fachbereichs- bzw. Zweigbibliotheken statt, in denen grundlegende Fragen wie beispielsweise der seit langem laufende Abbruch und das Entfernen sämtlicher PublikumsZettelkataloge (nach vollständiger Reko-Erfassung im SWB) oder die Vereinheitlichung von Statistiken bzw. Jahresberichten oder die Planung von Fortbildungsangeboten besprochen werden. Diese Themen werden dann zum Teil auch in das Plenum aller im dezentralen (wie auch im außeruniversitären) Bibliothekssektor tätigen Bibliothekare(innen) eingebracht. Die Zusammenkünfte werden bei Bedarf, mindestens jedoch einmal pro Jahr von der Leiterin der UB einberufen. Insgesamt 13 dezentrale Bibliotheken werden zur Zeit von Fachreferent(inn)en der Universitätsbibliothek geleitet.25
24
25
Vgl. Richtlinien des Bibliotheksausschusses, a.a.O.: Abs. 1 (Erwerbung), Abs. 2 (Bestandserschließung), Abs. 3 (Revision), Abs. 4 (Abgabe entbehrlicher Bestände). Es handelt sich um folgende Bereiche: Theologie, Psychologie, Germanistik, Anglistik, Romanistik, Orientalistik, Erziehungswissenschaft und Philosophie, Verbundbibliothek im Kollegiengebäude IV (Geschichte, Politik, Soziologie), Physik, Chemie und Pharmazie, Biologie, Geographie und Völkerkunde, Angewandte Wissenschaften.
59
Bärbel Schubel und Wilfried
Siihl-Strohmenger
4.2 Erwerbungskooperation Seit den 70er Jahren existiert in der Albert-Ludwigs-Universität eine differenzierte Erwerbungsabstimmung zwischen der Zentralbibliothek und den dezentralen Einrichtungen26. Je nach Fach gab (und gibt es teilweise noch) Kaufsitzungen des Fachreferenten mit den Bibliotheksbeauftragten der Institute und Seminare, sowohl auf der Grundlage von Ansichtssendungen als auch von Bestellunterlagen, insbesondere bei Beschaffungen aus dem Ausland. Die Grundsätze der Abstimmung ergaben sich aus dem Bibliotheksplan Baden-Württemberg und wurden im Rahmen entsprechender Erwerbungsprofile für die Fächer konkretisiert.27 Im Ergebnis entstand durch die skizzierten Maßnahmen nicht nur ein effizient strukturiertes und einheitlich verwaltetes Bibliothekssystem, sondern gewährleistet ist dadurch auch eine optimale lokale Literaturversorgung mit einem breiten Angebot an Titeln bei kontrollierter Zahl von (erwünschten) Dubletten. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die Zahl der Bestellungen im passiven Leihverkehr sich seit 1991 um glatt die Hälfte (von etwa 40.000 auf etwa 20.000 Bestellungen) vermindert hat - allein durch Subito oder sonstige alternative Dokumentliefersysteme und auch durch die Erhöhung der Fernleihgebühren sicherlich nicht erklärbar. Eine effiziente, gut abgestimmte Literaturversorgung vor Ort im Bibliothekssystem erscheint als der plausiblere Hauptgrund dieser Entwicklung. Alle entbehrlichen etwa 1.000 Doppelabonnements der in der Universität vorhandenen Zeitschriften wurden im Jahr 2002 systematisch ermittelt und abbestellt. Dadurch erwuchsen Spielräume für den Bezug anderer, möglichst elektronisch verfügbarer Fachzeitschriften, für die nachweislich (aufgrund der mehijährigen systematischen Auswertung von im Leihverkehr bestellten Titeln) in Freiburg ein Bedarf existierte. Mithilfe der vom EDV-Dezernat der UB entwickelten „Zeitschriftenabo-Datenbank Universität Freiburg (ZADUF)", die Titel- und Abonnementdaten aller gedruckten, verfilmten oder elektronischen Zeitschriften und Zeitungen in den universitären Bibliotheken enthält, sollen durch kontinuierliche Datenpflege jederzeit ein aktueller Überblick und in Zukunft auch Vergleichsdaten zu früheren Jahren geliefert werden können.
4.3 Zentraler Nachweis der Erwerbungen Ein wesentliches Steuerungsinstrument des Freiburger Bibliothekssystems bildete von Anfang an der Gesamtkatalog, der bereits 1968, auch aufgrund von Empfehlungen des Wissenschaftsrats sowie (später) der DFG, begonnen worden war.28 Er diente nicht nur 26
27
28
60
Siehe dazu grundsätzlich Dörpinghaus, Hermann-Josef: Zur Praxis der Erwerbungskooperation im Bibliothekssystem einer „alten" Universität. In: ZfBB 24 (1977), S.405-427; ferner Siihl-Strohmenger, Wilfried: Das Bibliothekssystem der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, a.a.O., S. 67ff. Siehe: Arnold, Ekkehard: Altertum - Universitätsbibliothek Freiburg. In: Kommission des Deutschen Bibliotheksinstituts für Erwerbung und Bestandsentwicklung / Expertengruppe Bestandsentwicklung in wissenschaftlichen Bibliotheken II (Hrsg.): Erwerbungsprofile in universitären Bibliothekssystemen. Berlin : Deutsches Bibliotheksinstitut 1999 (dbi-Materialien; 189), S. 9-19; Karasch, Angela: Bildende Kunst einschließlich Architektur und Photographie - Universitätsbibliothek Freiburg,· in: ebd., S. 8196; Siihl-Strohmenger, Wilfried: Wirtschaftswissenschaften - Universitätsbibliothek Freiburg,' in: ebd., S. 149-159. Siehe dazu u.a. Amedick, Jutta: Der Freiburger Gesamtkatalog. In: Raffelt, Albert (Hrsg.): Tradition Organisation - Innovation, a.a.O., Bd. 2, S.145-164.
Literatur-
und Informationsversorgung
im Freiburger
Bibliothekssystem
als wichtiges Auskunftsmittel für die Benutzer, sondern hatte grundlegende Bedeutung für die Vereinheitlichung und Rationalisierung der Verwaltung in den dezentralen Bibliotheken. Die Katalogisierung nach Hausregeln oder Preußischen Instruktionen konnte in den dezentralen Einrichtungen zu Gunsten der Anwendung der RAK-Regeln vermieden werden. Ende 1973 waren insgesamt über 270.00 Titelkarten benutzungsfertig bearbeitet, so dass der Gesamtkatalog (es gab einen für die Geisteswissenschaften und einen zweiten für die Naturwissenschaften/Medizin) zum Wintersemester 1973/74 öffentlich zugänglich aufgestellt werden konnte. Zum Jahresende 1978 enthielt der Gesamtkatalog I insgesamt 712.000 Karten, der Gesamtkatalog II etwa 140.000 Karten. Bis Ende 1990 umfassten die beiden Gesamtkataloge zusammen etwa 1.730.000 Karten mit allen universitären und außeruniversitären Bibliotheken. Analog zum Gesamtkatalog entstand, aufbauend auf älteren Vorläufern, das Freiburger Zeitschriftenverzeichnis (FZV), in dem bereits 1975 sämtliche alten und neuen Zeitschriften von insgesamt 170 Bibliotheken, zunächst in gedruckten Verzeichnissen, dann auf Mikrofiches, erfasst waren. Seit Anfang der 90er Jahre wurde mit der Katalogisierung der Neuzugänge aller dezentralen Bibliotheken im Südwestdeutschen Bibliotheksverbund (SWB) begonnen. Gleichzeitig erfolgte der Abbruch des Gesamtkatalogs (GK) in Zettelform. Die frei werdenden Kapazitäten des GK-Personals wurden verstärkt in die Rückwärtskatalogisierung der Bestände der dezentralen Bibliotheken investiert. Mittlerweile sind sowohl die Zeitschriftenbestände als auch die Monographien aller dezentralen Bibliotheken im SWB und damit auch im lokalen Online-Katalog erfasst (über 1,6 Millionen Lokalsätze). Im Unterschied zu vielen anderen Hochschulbibliothekssystemen in Deutschland genoss der komplette Nachweis der dezentralen Bestände in Freiburg Priorität vor der Erfassung des Gesamtbestandes der Zentralbibliothek. Nachdem somit alle alphabetischen Zettelkataloge in den dezentralen Bibliotheken überflüssig geworden sind, gilt das Augenmerk jetzt den konventionellen Standortkatalogen dort und in der Zentralbibliothek. Fortgeschritten ist die Entwicklung eines elektronischen Standortkatalogs, mit dessen Hilfe im Jahr 2005 die Vergabe neuer Systemstellen bzw. Signaturen und Revisionen oder Bestandsaussonderungen unabhängig von Zettelkatalogen oder gedruckten Inventarverzeichnissen möglich sein wird.
5. Strukturwandel des Freiburger Bibliothekssystems neue Aufgabenfelder Das Freiburger Bibliothekssystem ist einem Strukturwandel unterworfen, der sich sowohl auf das Zusammenspiel von Zentralbibliothek und dezentralen Einrichtungen als auch auf die Tätigkeitsschwerpunkte des Bibliothekspersonals - des höheren wie des gehobenen Dienstes - auswirkt. Generell gewinnen das Marketing, sodann die Fachinformationsvermittlung und die Schulung der Datenbank- bzw. Informationskompetenzen bei Studierenden und Lehrenden laufend an Bedeutung. In dem Maße, wie die Bestände im Online-Katalog nachgewiesen sind, der Anteil an Eigenkatalogisaten - einerseits infolge der verstärkten Übernahme von Fremddaten aus dem SWB, anderer61
Bärbel Schubel und Wilfried
Siihl-Strohmenger
seits aber auch infolge rückläufiger Neuzugänge - sinkt und die Bibliotheksverwaltung durch effiziente zentrale Steuerungssysteme der Medienerwerbung vereinfacht wird, ergeben sich zudem deutliche Rationalisierungseffekte beim Bibliothekspersonal. Diese frei werdenden Kapazitäten können im Zusammenhang mit den oben genannten neuen Herausforderungen nutzbar gemacht werden. 5.1 Rolle der
Fachreferent(inn)en
Nachfolgend soll die Rolle der Fachreferent(inn)en im Bibliothekssystem etwas stärker verdeutlicht werden. In Freiburg haben sie seit Jahrzehnten ein relativ enges Verhältnis zu den jeweiligen Fakultäten, Instituten und Seminaren entwickeln können, das wesentlich auf der kontinuierlich praktizierten Erwerbungskooperation basiert, sich aber in einigen Fällen auf die unmittelbare Leitung von dezentralen Bibliotheken durch Fachreferent(inn)en der UB stützt.29 Einen erheblichen Schub hat diese Einbindung mit der verstärkten Übernahme von Schulungskursen30 durch die Fachreferent(inn)en der UB erhalten, die dadurch auch ihre Zugehörigkeit zum wissenschaftlichen Dienst unter Beweis stellen und als Fachinformationsspezialisten auf dezentraler Ebene in Erscheinung treten. Beispielsweise bieten sie strukturierte Fachportale im WWW an, die das gesamte Spektrum der in der UB Freiburg vorhandenen konventionellen wie der elektronisch verfügbaren Fachinformationsressourcen (einschließlich der Internetquellen) eröffnen. 31 Die Bündelung der Ressourcen auf virtueller Ebene erscheint als wichtiges Element des notwendigen Wandels der Bibliothek in Richtung auf den zentralen Informationsdienstleister vor Ort. Im Rahmen des „Kompetenz- und Lernzentrums" der UB wurde konsequent der Weg von der bisherigen Praxis der Auskunftserteilung zur proaktiven Informationsvermittlung eingeschlagen, zunächst konzentriert auf die Fachreferenten, die anstelle der anfangs gängigen Einzelunterweisung vermehrt Gruppenschulungen, vielfach integriert in Pro- und Hauptseminare, anbieten. Außerdem präsentieren die Fachreferenten im Rahmen von „Roadshows" sich und die von der UB bereitgestellten Fachinformationsressourcen (Datenbanken, Volltextsammlungen, elektronische Zeitschriften) vor Ort in den betreffenden Instituten und Seminaren32 und ziehen dadurch das Augen29
30
31
32
62
Beispielsweise in der Theologischen Fakultät, deren „Verbundbibliothek" - jetzt: Fakultätsbibliothek seit den 70er Jahren von Fachreferent(inn)en der UB geleitet wird. Siehe dazu für die neuere Entwicklung: Becht, .Michael: Vom Verbund zur Bibliothek. Skizzen zur Bibliothekssituation an der Theologischen Fakultät 1991-2001. In: Raffelt, Albert (Hrsg.): Positionen im Wandel. Festschrift ßr Bärbel Schubel. Freiburg i.B. 2002 (Schriften der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau; 27), S. 35-55 . Insgesamt dazu siehe Sühl-Strohmenger, Wilfried: Lehren und Lernen in der Bibliothek. Das Kompetenz- und Lernzentrum der Universitätsbibliothek Freiburg. In: Raffelt, Albert (Hrsg.): Positionen im Wandel, a.a.O., S. 217-245 . Siehe dazu grundsätzlich Karasch, Angela: Die Fachseiten der Universitätsbibliothek Freiburg im Internet. In: EUCOR-Bibliotheksinformationen Nr. 15 (2000), S. 15-33 ; die Fachseiten (bzw. Fachportale) der UB Freiburg sind einsehbar unter der URL: . Siehe dazu Sühl-Strohmenger, Wilfried: Die « Roadshow » als Mittel des Informationsmarketing der Universitätsbibliothek. Planung, Organisation und praktische Durchführung von Roadshows in der AlbeitLudwigs-Universität Freiburg im Breisgau. In: Bibliotheksdienst 35 (2001), S. 1027-1036 undz«ntul* d*( Ο
Abb. 1: Homepage des GBV (Jan. 2005) kontinuierlich ausgebaut wurde. Diese Schwerpunkte wurden auch in das Verwaltungsabkommen der sieben Bundesländer aufgenommen. Danach sind die Ziele des GBV: • Schaffung eines abgestimmten Rahmens für die Bibliotheksautomation, • Betrieb einer leistungsfähigen Verbundzentrale (VZG) als Dienstleistungszentrum - zur Unterstützung der Katalogisierung, - für den Nachweis und die Nutzung der Bestände aller am Verbund beteiligten Einrichtungen für die Literaturversorgung, - zur Unterstützung der Bibliotheken bei der Einrichtung und dem Betrieb lokaler Bibliothekssysteme, - für die Entwicklung neuartiger Bibliotheks- und Informationsdienstleistungen. • Beteiligung aller Bibliotheken mit wissenschaftlich oder für die Literaturversorgung relevanten Beständen auf dem Gebiet der Vertragspartner und darüber hinaus. Mit der rasanten Verbreitung des Internet kam die konsequente Ausrichtung der Dienstleistungsangebote auf die Bibliotheksbenutzer hinzu. Auch für die weitere Entwicklung der Verbundzentrale wurden Vorgaben in den Vertrag aufgenommen: - Die Länder verpflichten sich, gemeinsam für eine aufgabengemäße Ausstattung zu sorgen. - Die VZG ist nach Maßstäben der Wirtschaftlichkeit zu führen. - Die VZG soll sich als Dienstleistungszentrale auch über eigene Einnahmen mitfmanzieren. 162
Bibliotheksrechenzentrum
und Verbundzentrale
des
Bibliothekverbundes
4. Stand der Entwicklung Zum Beginn des Jahres 2005 sind die oben genannten Ziele in wesentlichen Teilen erreicht: - Alle Staats-, Landes- und Hochschulbibliotheken in Trägerschaft der am GBV beteiligten Bundesländer und die Staatsbibliothek zu Berlin -Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK), d.h. über 770 Bibliotheken, nutzen das Verbundsystem. - Die Katalogisierung kann auf die größte Verbunddatenbank in Deutschland mit integrierten Fremddaten der wichtigsten Anbieter DDB, BNB und LoC mit einer Übernahmequote von über 75% zurückgreifen. - Die Katalogisierung, der Nachweis und der Zugriff auf elektronische Dokumente und Medien ist vollständig in das System integriert. - Die Fernleihe ist nahezu vollständig auf Online-Fernleihe umgestellt. - Die technischen Voraussetzungen für die Verbundübergreifende Online-Fernleihe (VFL) sind geschaffen und werden in absehbarer Zeit ein selbstverständlicher Bestandteil der Verbunddienstleistungen sein. - Die vier Leihverkehrsregionen im GBV wurden 2004 auch in der Leihverkehrsordnung (LVO) zu einer Region zusammengefasst. - Über 60% der Fernleihbestellungen werden durch die Bibliotheksbenutzer (Studenten, Wissenschaftler, etc.) selbst aufgegeben. - Die Direktlieferdienste GBVi&re£i/subito sind in das Bestellsystem integriert. - Die Online-Angebote werden durch umfangreiche Zeitschrifteninhaltsdatenbanken unterstützt. In zunehmendem Maße werden auch Inhaltsverzeichnisse und Abstracts von Monographien in die Datenbanken aufgenommen. - Die Bibliotheken sind nahezu flächendeckend mit Pica-Lokalsystemen ausgestattet. - Alle Bibliotheken können die iPort-Software von OCLCPICA für den Aufbau ihrer Bibliotheksportale oder virtueller Fachbibliotheken nutzen. Die VZG bietet die verbundübergreifende Suche und Fernleihe ebenfalls auf Basis von iPort an. - Die VZG bietet neue Dienstleistungen für die Bibliotheken, wie den zentralen DVD/CD-ROM-Server, den vollständigen Betrieb eines Pica-Lokalsystems auf VZG-Servern, zentrale Dokumentserver, Content Management Systeme usw., an. - Die VZG ist seit 2001 ein eigenständiger Landesbetrieb, der nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt wird und flexibel auf neue Anforderungen der Bibliotheken reagieren kann. Eine erfolgreiche Verbundarbeit basiert nicht zuletzt auch auf einer leistungs- und entwicklungsfähigen Ausstattung der Bibliotheken und der Verbundzentrale mit Hardund Software. Die flächendeckende Ausstattung der GBV-Bibliotheken mit PicaSoftware ist die Basis für die künftige Entwicklung. Die völlig neu entwickelte LBS4Software stellt zusammen mit dem neuen Verbundsystem unter Unix eine gewohnt flexible und zuverlässige technische Grundlage für die kommende Jahre dar. Mit der „PicaSearch&Index" (PSI) Software bietet OCLCPICA die zurzeit wohl leistungsfähigste Retrievalsoftware im bibliothekarischen Bereich an. Diese Software ist die technische Basis für die Entwicklung der GBV-spezifischen Endbenutzerangebote und der lokalen OPACs. Die PSI-Software wird auch von Der Deutschen Bibliothek (DDB), 163
Reiner Diedrichs und Ute Sandholzer
dem hessischen Bibliotheksverbund (HeBIS), dem Südwestdeutschen Bibliotheksverbund (SWB) und dem französischen Verbund (ABES) eingesetzt. OCLC ist ebenfalls an dieser Software als Grundlage für die OCLC-spezifischen Angebote interessiert. 4.1
Katalogisierung
In der Verbunddatenbank sind alle Materialien wie Bücher, Zeitschriften, Mikroformen, Karten, Aufsätze, elektronische Dokumente etc., alle Fremddaten und Normdateien in einer Datenbank integriert. Getrennte Datenbanken werden nur für spezielle oder selten genutze Angebote aufgelegt, wie z.B. die Fremddaten von Nielsen Bookdata für den englischen Sprachraum. Die Verbunddatenbank umfasste am 31.12.2004 ca 30,5 Millionen Titelsätze, davon 24,3 Millionen mit Nachweis (49,3 Millionen Exemplare) und ca. 6,1 Millionen Fremddaten ohne Nachweis. Neben den Verbunddaten können aus anderen Verbünden über Z39.50 Daten übernommen werden. Fremddaten ohne Nachweis
Monographien Titelsätze mit Nachweis
18.247.000
DDB (ab 1945)
2.040.000
Besitznachweise
38.290.000
LC (ab 1990)
2.875.000
Gesamtaufnahmen
1.346.000
Sonstige Materialien
BNB (ab 1991)
763.000
ZDB
119.000
Normdaten
Titelsätze
4.547.000
Körperschaften (GKD)
Besitznachweise
5.634.000
Schlagwörter (SWD)
Zeitschriften/Serien
Personennamen (PND)
ZDB-Titelsätze
1.035.000
Drucker
Besitznachweise
4.600.000
Basisklassifikation
1.017.000 660.000 1.033.000 13.500 2.087
NZN/NBV-Titelsätze
541.000
lokale Schlagwortsätze
447.000
Besitznachweise
837.000
lokale Notationssätze
958.000
Tab. 1: Verbunddatenbank, Stand 31.12.2004
4.2 Online Fernleihe und
Direktlieferdienste
Integraler Bestandteil des Pica-Verbundsystems ist das Online Fernleihsystem. Dieses wird seit 1994 im GBV eingesetzt. Seit 1996 können Bibliotheksbenutzer ihre Fernleihbestellungen selbst aufgeben. Der Anteil dieser Endbenutzerbestellungen liegt mittlerweile über 60%. Ab 1997 wurden auch die Direktlieferdienste GBVd/rafci/subito in dieses System integriert. Seit 2003 können über das Online-System auch Bestellungen an andere deutsche Verbundsysteme geschickt und empfangen werden. Das Online-Bestellsystem beinhaltet u.a. folgende Funktionalitäten: - Vollständige Bestellverwaltung mit Mahnverfahren, Ergebnisprotokollen, Benutzerbenachrichtigung und Überleitung in den konventionellen Leihverkehr. 164
Bibliotheksrechenzentrum
und Verbundzentrale
des
Bibliothekverbundes
- Automatische Übernahme der Bestellinformationen bei der Bestellung aus Aufsatzdatenbanken wie Online Contents (OLC), IBZ, IBR, usw. - Automatische Nachweiserkennung bei Monographien und Zeitschriften und Auswertung des Verfügbarkeitsstatus. - Automatische Festlegung des Leitweges, d.h. der Reihenfolge der potentiellen Lieferanten, nach verschiedenen Parametern, wie Region, Bibliothekstyp, Auslastung der Lieferbibliothek usw. - Integrierte Lizenzverwaltung für elektronische Dokumente. - Integration überregionaler Lieferdienste wie GBWiVe&i/subito, Verbundübergreifende (VFL) und Internationale Fernleihe (ILL). Die SUB Göttingen ist mit 90.000 positiv erledigten Fernleihbestellungen neben der TIB/UB Hannover mit 95.000 erledigten Bestellungen die größte Geberbibliothek im GBV. In dieser Rolle hat sie sich immer für die Weiterentwicklung des Fernleihsystems engagiert und diese maßgeblich beeinflusst. Nach dem Erfolg der Direktlieferdienste war es die SUB Göttingen, die zur Verbesserung der Qualität der Fernleihe das Projekt „Beschleunigte Fernleihe" angestoßen hat. Ziele des Projektes sind die Beschleunigung der Fernleihe durch garantierte Bearbeitungszeiten in den Bibliotheken und elektronische Lieferung der Kopien zwischen den Bibliotheken. Die Bestellmöglichkeit aus Aufsatzdatenbanken wie der Online Contents Datenbank (OLC) mit Übernahme der Bestellinformationen (Zeitschrift, Jahrgang, Seitenzahlen) sind ebenfalls ein wichtiger Faktor für die Qualität und Schnelligkeit der Kopienlieferung auf Seiten der gebenden Bibliotheken. Mehr als 25% der Kopiebestellungen werden mittlerweile über die OLC abgewickelt. Bibliotheksmitarbeiter aus anderen LVR nutzen ebenfalls das GBV-Bestellsystem für ihre Online-Bestellungen, die sie andernfalls als „rote Leihscheine" an den GBV schicken müssten. Die Anteile im nehmenden Leihverkehr (2003) sind in der Tabelle 2 (S. 166) zusammengefasst: Das Ziel des GBV, den konventionellen „roten Leihschein" durch die Online Fernleihe zu ersetzen, ist zumindest für die ehemalige Leihverkehrsregion Niedersachsen weitgehend erreicht2: Die im überregionalen Leihverkehr noch konventionell aufgegebenen Bestellungen werden mit flächendeckender Einführung der Verbundübergreifenden Fernleihe (VLL) vollständig online abgewickelt. Die 2.233 Bestellungen im Regionalen Leihverkehr stammen überwiegend von Öffentlichen Bibliotheken. Auch diese werden mit zunehmendem Ausbau des Verbundkataloges für Öffentliche Bibliotheken (ÖVK) durch Online-Bestellungen ersetzt. Die erfolgreiche Entwicklung und zunehmende Akzeptanz des Online-Bestellsystems zeigt Abb. 2 (S. 167) Diese steigende Tendenz verdeutlicht, dass Fernleihe keineswegs altertümlich, langsam und wenig komfortabel ist, sondern mit einem geeigneten Online-Bestellsystem ein leistungsfähiges Instrument zur Literaturversorgung für Forschung und Lehre ist. 2
Die in Tabelle 3 angegebenen 75.048 Online-Bestellungen in 1993 wurden noch über das alte parallel betriebene Verbundsystem abgewickelt.
165
Reiner Diedrichs und Ute Sandholzer
Total
Anteil
Positiv
Anteil
Niedersachsen
264.032
34,9%
233.785
88,5%
Norddeutschland
240.350
31,8%
217.469
90,5%
Sachsen-Anhalt
61.644
8,2%
55.329
89,8%
Thüringen
61.644
8,2%
55.329
89,8%
627.813
83,0%
563.121
89,7%
3.356
0,4%
2.924
87,1%
Bayern
34.864
4,6%
27.666
79,4%
Berlin-Brandenburg
28.786
3,8%
26.013
90,4%
Hessen
24.037
3,2%
20.939
87,1%
Nordrhein-Westfalen
35.958
4,8%
28.787
80,1%
730
0,1%
615
84,2%
Region
Summe GBV Baden-Württemberg
Ausland G Β V direkt/subito
47.183
8,38%
40.508
85,9%
Summe Sonstige
128.463
17,0%
107.570
83,7%
Summe Fernleihe
756.276
100,0%
670.691
88,7%
Direktbestellungen inkl. TIB-ORDER
109.537
88.279
80,6%
Summe Bestellungen
865.813
758.970
87,7%
Tab. 2: GBV Online-Bestellungen Stand 31.12.2003
Fernleihe
2003
2001
1999
1993
Konventionell
5.528
20.338
41.233
175.516
Überregional/ZK
3.295
15.668
32.101
158.883
Regional
2.233
4.670
9.132
16.633
Online
264.032
268.433
188.155
75.048
Summe
269.560
288.433
229.388
250.564
2,1%
7,1%
18 %
70 %
Anteil konventionell
Tab. 3: GBV- Fernleihbestellungen
4.3
Online-Datenbankangebote
4.3.1 Gemeinsamer Verbundkatalog (GVK) Im frei zugänglichen GVK werden Bücher, Zeitschriften, Aufsätze, Kongressberichte, Mikroformen, elektronische Dokumente, Datenträger, Musikalien, Karten etc. nachgewiesen, die für den Leihverkehr und die Direktlieferdienste relevant sind. Der GVK enthält ca. 24,3 Mio. Titel mit mehr als 49,3 Mio. Besitznachweisen von über 770 Verbundbibliotheken und die Zeitschriftennachweise aller subito-Lieferbibliotheken aus Deutschland und Österreich sowie der deutschen Staats-, Landes- und Hochschulbibliotheken. 166
Bibliotheksrechenzentrum
und Verbundzentrale des
Bibliothekverbundes
GBV Online-Bestellungen 1994 - 2003 1 000 000
900 0 0 0
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
200]
Abb. 2: GBV Online-Bestellungen
4.3.2 Gemeinsamer Verbundkatalog mit integrierten Online Contents (GVK-PLUS) In dieser Datenbank sind alle Titel des Gemeinsamen Verbundkatalogs sowie der Online Contents Zeitschriften- und Aufsatzdatenbank in einer Datenbank mit einem gemeinsamen Index zusammengefasst. Im GVK-PLUS sind über 45,9 Mio. Titel nachgewiesen. 21,64 Mio. davon sind Aufsatztitel aus über 18.500 Zeitschriften. 4.3.3 Regionalkataloge Für die Regionen Berlin, Braunschweig, Bremen, Göttingen, Hamburg, Hildesheim, Hannover und Kiel sowie die am GBV teilnehmenden Institute der Max-Planck-Gesellschaft und des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) werden regionale Ausschnitte des GVK angeboten. 4.3.4 Online Ressourcen (OLR) Die frei zugängliche Online Ressourcen Datenbank (OLR) enthält als Auszug aus dem GVK über 133.000 Nachweise für in digitaler Form vorliegende Dokumente (Volltexte) einschließlich der 34.500 elektronischen Zeitschriftennachweise aus der ZDB und der EZB Regensburg. 4.3.5 Aufsatzdatenbanken und Bibliographien Ergänzend zum GVK, GVK-PLUS und den OLR werden die folgende Datenbanken angeboten: - Online Contents (OLC) - Online Contents-Sondersammelgebiete (OLC-SSG) - Internationale Bibliographie der Zeitschriftenliteratur (IBZ) 167
Reiner Diedrichs und Ute Sandholzer
-
Internationale Bibliographie der Rezensionen (IBR) Internationale Bibliographie der Kongressberichte (IJBK) Internationale Bibliographie der Festschriften (IJBF) Bibliographie der wissenschaftlichen italienischen Zeitschriften (AIDA) Index deutschsprachiger Zeitschriften (IDZ 18) Verschiedene Z39.50-fähige CD-ROM Datenbanken
Die Aufsatznachweise sind soweit möglich direkt oder über SFX mit den Zeitschriftentiteln der Verbunddatenbank, d.h. der ZDB, verknüpft und werden automatisch in das Bestellformular für Fernleihe oder GBV direkt/subito übernommen. Die OLC umfasst mehr als 21,4 Mio. Aufsatztitel aus über 18.500 Zeitschriften. Für diese Datenbank werden seit dem Erscheinungsjahr 1993 Inhaltsverzeichnisse von Zeitschriften aller Fachrichtungen mit besonderem Schwerpunkt auf Naturwissenschaften erfasst. Diese von Swets gelieferten Daten werden täglich aktualisiert. Sie werden zusätzlich wöchentlich ergänzt durch Aufsatztitel aus mehr als 2.600 Zeitschriften verschiedener Sondersammelgebietsbibliotheken (SSG) aus ganz Deutschland. Die Datenbank ist für Verbundteilnehmer des GBV frei zugänglich. Die OLC-SSG sind fachbezogene Sichten auf die OLC-Datenbank. Anfang 2005 werden die Sondersammelgebiete Altertum, Anglistik, Architektur, Astronomie/Astrophysik/Weltraum, Chemie, Ethnologie, Frankreichkunde/Allgemeine Romanistik, Geowissenschaften, Geschichte, Informations-, Buch- und Bibliothekswesen, Italienforschung, Klassische Philologie, Kunst/Kunstwissenschaft, Mathematik/Informatik, Niederlande, Pharmazie, Physik, Politikwissenschaft/Friedensforschung, Osteuropa, Psychologie, Recht, Romanischer Kulturkreis, Slavistik, Technik, Technikgeschichte, Umwelt, Veterinärmedizin/Allgemeine Parasitologic und Vorderer Orient/Nordafrika, Wirtschaftswissenschaften und Zeitgeschichte angeboten. Ergänzt und betreut werden die SSG-Ausschnitte von der HU Berlin, der SBB-PK Berlin, der ULB Bonn, der UB Braunschweig, der SLUB Dresden, der UB Freiberg, der SUB Göttingen, der TIB/UB Hannover, der TiHo Hannover, der ULB Halle, dem HWWA Hamburg, der HSU Hamburg, der SUB Hamburg, der UB Mainz, der UB Heidelberg, der BSB München und der SLUB Saarbrücken. Die Zeitschriftentitel werden nach Möglichkeit retrospektiv bis zum Erscheinungsjahr 1993 ausgewertet. Weitere fachliche Ausschnitte und Ergänzungen sind geplant. Diese Datenbanken werden für wissenschaftliche Bibliotheken bundesweit frei angeboten. 4.4 Lokale Bibliothekssysteme Im GBV und im Hessischen Verbund (HeBIS) wird das Pica-LBS-System nahezu von allen Staats-, Landes-, und Hochschulbibliotheken eingesetzt. Die VZG betreut derzeit über 145 Bibliotheken mit einem Pica-LBS-System, die auf 28 physikalische Rechnerinstallationen zusammengefasst sind. Die Größe dieser Systeme reicht von kleinen Fachhochschulsystemen (z.B. Standort Emden mit FH Emden, FH Wilhelmshaven, Bibliothek der Ostfriesischen Landschaft Aurich, Johannes ä Lasco Bibliothek Emden) bis zu Großsystemen (z.B. Standort Hannover mit UB/TIB, NLB, MHH, TiHo, FH, HS für Musik und Theater, Bibliothek des Nds. Landtages, Behördenbibliotheken, OPAC der Stadtbibliothek Hannover). 168
Bibliotheksrechenzentrum und Verbundzentrale des Bibliothekverbundes
Diese einheitliche Infrastruktur und die Zusammenfassung der notwendigen Hardwareinstallation auf wenige Standorte schafft für die beteiligten Länder erhebliches Rationalisierungspotential. Es werden beträchtliche Einsparungen bei Personal, Investitionsmitteln und Wartungskosten erreicht. Mit der UB Potsdam hat erstmals eine größere Universitätsbibliothek aus einem anderen Verbund mit dem GBV einen Dienstleistungsvertrag über die Verbundkatalogisierung und den Einsatz von Pica-LBS4 als lokales Bibliothekssystem angeschlossen. Organisatorisch gehört die UB Potsdam weiterhin dem Kooperativen Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg (KOBV) an. Anfang 2005 konnte die VZG zusammen mit OCLCPICA die europaweite Ausschreibung für die Ausstattung der UB Bochum mit LBS4 gewinnen. Damit wird erstmals ein Pica-Lokalsystem an einem Nicht-Pica-Verbundsystem - Aleph im HBZ angeschlossen. 4.5 Serviceangebote
der
Verbundzentrale
4.5.1 Hostingpartner flir nationale und internationale
Projekte
4.5.1.1 Landkartendrucke vor 1850 (IKAR) Die Datenbank historisch wertvoller Landkartenbestände wies zum Jahresende 2004 ca. 228.500 Titeldatensätze mit 237.600 Besitznachweisen von gedruckten thematischen und topographischen Karten, Seekarten, astronomischen Karten und deren Ausgaben als Faksimile nach. Verzeichnet sind Bestände der SBB-PK Berlin, SUB Bremen, SUB Göttingen, SUB Hamburg, Herder Institut Mainz, BSB München und der HAAB Weimar. Die VZG betreibt diese Datenbank im Auftrag der SBB-PK Berlin. 4.5.1.2 Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts (VD 17) Zum Jahresende 2004 enthielt die Recherchedatenbank VD17 217.760 Titeldatensätze mit 367.113 Besitznachweisen. 178.300 Titeldatensätze sind mit 556.456 digitalen Images von Titelblättern und anderen wichtigen Seiten (Schlüsselseiten) verknüpft und direkt anzeigbar. 4.5.1.3 Europäisches Register der Mastermikroformen (EROMM) Die EROMM-Datenbank weist 2,4 Mio. online bestellbare Mikroform-Master, Digitalisate und elektronische Ressourcen aus Deutschland, Österreich, Großbritannien, Frankreich, Portugal, Finnland, Tschechien und den USA nach. 4.5.2 LBS-Service der VZG
Die VZG bietet kleineren Bibliotheken, die ihr lokales Bibliothekssystem nicht auf einem vorhandenen LBS-Server betreiben können, den vollständigen Betrieb eines PicaLBS auf einem Server der VZG an. Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Angebots ist die Teilnahme an der GBV-Verbundkatalogisierung. Für die Nutzung des LBS-Service der Verbundzentrale ist lediglich eine hinreichend leistungsfähige Internetanbindung in den Bibliotheken notwendig. Der laufende Betrieb und die anfallenden Arbeiten zur Pflege des LBS werden von der Verbundzentrale übernommen. Die Preise des LBS-Service sind nach Größe der Bibliotheken gestaffelt und ermöglichen es speziell kleinen Einrichtungen ohne entsprechende Personalkapazität im EDV-Bereich, die Vorteile und Möglichkeiten eines Pica-LBS zu nutzen. 169
Reiner Diedrichs und Ute Sandholzer
Der LBS-Service wird mittlerweile von 35 Einrichtungen genutzt. Es handelt sich überwiegend um Bibliotheken von Instituten der Max-Planck-Gesellschaft und des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL), aber auch um Einrichtungen, wie das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven, die Landeskirchliche Bibliothek, Bremen, oder das Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo), München. 4.5.3 CD-ROM/DVD-Service Die VZG bietet zur Entlastung der Bibliotheken den Betrieb von CD-ROM/DVDDatenbanken der Firmen Ovid Technologies (SilverPlatter) und H+H Software GmbH auf einem zentralen Server der Verbundzentrale in Göttingen an. Der technische Betrieb einschließlich der notwendigen Updates erfolgt gegen ein geringes Entgelt durch die VZG bzw. H+H. Somit entfällt der Aufwand für die Hardund Software-Betreuung vor Ort. Auf die Fachdatenbanken kann über die datenbankspezifischen Clients (WebSpirs, Ovid Technologies bzw. NetMan von H+H) zugegriffen werden. 4.5.4 AGI Die Firma AGI - Information Management Consultants hat ein Verfahren für das Scanning und die automatische Verschlagwortung für Inhaltsverzeichnisse von Monographien entwickelt. Die VZG stellt der Firma ihren Internetzugang und einen Server zur Verfügung. Im Gegenzug werden die zugehörigen Titel im GVK durch einen Link auf das Image des Inhaltsverzeichnisses ergänzt. Auf diese Weise konnten die Inhaltsverzeichnisse von mehr als 22.000 aktuellen Titeln den Benutzern des GVK und GVK-PLUS kostenfrei zugänglich gemacht werden. 4.6 Projektträgerschaft/
Projektbeteiligungen
4.6.1 Portal Digitaler Drucke (PDD) Die DFG hat im Jahr 2004 den gemeinsamen Antrag der VZG, des HBZ und der Sammlung Deutscher Drucke (SDD) positiv beschieden. Erstes Ziel ist die Zusammenführung der Ergebnisse der DFG geförderten Digitalisierungsprojekte in einer Portallösung. Die VZG wird dies auf Basis von iPort, das HBZ auf Basis der DigiBib NRW realisieren. Die SDD ist für die Auswahl der Projekte und inhaltliche Fragen verantwortlich. 4.6.2 IWF Wissen und Medien gGmbH Zusammen mit dem IWF und der SUB Göttingen hat die VZG eine Nachweisdatenbank für die audiovisuellen Medien des IWF aufgebaut, die sowohl einen direkten Zugriff auf die Medien als auch den Zugriff auf den Medienkatalog der IWF Wissen und Medien gGmbH erlaubt. Diese Datenbank kann über Z39.50 und SRU in die Angebote von Universitäten und Virtuellen Fachbibliotheken integriert werden. 4.6.3 Dewey Decimal Classification (DDC) Die VZG ist Mitglied im Konsortium DDC Deutsch, das von der DDB geführt wird. Ziel ist neben der deutschen Übersetzung der DDC die Schaffung eines DDCbasierten Retrievalinstrumentes. Die DDB ist für den Aufbau der DDC-Normdatei 170
Bibliotheksrechenzentrum
und Verbundzentrale des
Bibliothekverbundes
und die Realisierung entsprechender Schnittstellen verantwortlich. Die VZG bemüht sich im Gegenzug, DDC-Notationen für alle Titel in der Verbunddatenbank zu vergeben. Dies wird zum einen über Konkordanzen zu vorhandenen Sacherschließungssystemen und zum anderen durch eine automatische Vergabe realisiert. Ein erster wichtiger Schritt ist dabei die Zerlegung der vorhandenen Notationen, z.B. aus Daten der LoC, in ihre unterschiedlichen recherchierbaren Aspekte wie sachliche, zeitliche oder geographische Bezüge. Mit ersten verwertbaren Ergebnissen und der Umsetzung in der Verbunddatenbank ist hier ab Mitte 2005 zu rechnen. Ein Pilotsystem für die Suche in der Normdatei wurde seitens der DDB bereits realisiert. 4.6.4
TIBORDER
Für die TIB/UB Hannover hat die VZG die Entwicklung und Betreuung des integrierten Zugangssystems TIBORDER für die speziellen Dienstleistungen der Technischen Informations- und zentralen Fachbibliothek übernommen. Der Betrieb und die Betreuung des Systems erfolgt in Göttingen. TIBORDER beinhaltet alle Schritte von der Bestellaufgabe über die Bestelldatenverwaltung, das Scannen der angeforderten Literatur, ihre Auslieferung einschließlich Rechnungsdatenerstellung bis zur Zahlungseingangsbearbeitung. Als Ergänzung für TIBORDER wurden die Datenbanken Inside Serials und Inside Conferences der Electronic Table of Contents (ETOC) der British Library als PSIDatenbanken aufgelegt. ETOC ist eine mit OLC vergleichbare Aufsatzdatenbank und weist Inhaltsverzeichnisse von ca. 20.000 Zeitschriften nach. Für TIBORDER wurden die Zeitschriften mit Besitz der TIB/UB Hannover selektiert. Die ETOC Inside Conferences enthält die Inhaltsverzeichnisse von Kongressschriften. Beide Datenbanken werden täglich aktualisiert.
5. Perspektiven und Planungen des GBV Maßgeblich für die Perspektiven und Planungen des GBV sind letztendlich drei Entwicklungen: 1. Für Forschung und Lehre ist der freie weltweite Zugriff auf Informationsressourcen unverzichtbar. Darüber hinaus spielt die Bereitstellung der eigenen Publikationen im internationalen Kontext eine ebenso wichtige Rolle. 2. Innerhalb kurzer Zeit werden Informationen, die nicht online verfügbar sind, für die Benutzer nicht mehr existieren. 3. Die finanzielle Lage der öffentlichen Hand und damit auch der Universitäten und ihrer Bibliotheken wird sich mittelfristig nicht bessern. Damit werden effiziente und kostengünstige Geschäftsgänge immer wichtiger. Für Bibliotheken und Verbünde bedeuten diese Entwicklungen, dass bezüglich Regelwerken, Datenformaten und Austauschprotokollen eine weitgehende Kompatibilität zu internationalen Standards erreicht werden muss. Deutsche Sonderwege sind hier in Zukunft weder unter finanziellen noch unter politischen Gesichtpunkten zu rechtfertigen. Ähnliches gilt für die Digitalisierung der Informationen. Die vielen Aktivitäten in diesem 171
Reiner Diedrichs und Ute Sandholzer
Bereich müssen dringend zusammengeführt und den relevanten Informationsportalen in einheitlicher Form zur Verfügung gestellt werden. Der GBV hat diese Aspekte anlässlich seines Strategieworkshops Anfang Dezember 2004 aufgegriffen. Die Bedeutung der nationalen und internationalen Entwicklungen sowie wichtige Punkte aus dem Konzeptpapier „GBV Digital" werden in einem Strategiepapier zu den mittel- und langfristigen Perspektiven des GBV zusammengefasst. Die Verabschiedung des Strategiepapiers ist für die Frühjahrssitzung 2005 der Verbundleitung des GBV vorgesehen. 5.1 Nationale und internationale
Entwicklungen
Anlässlich einer Podiumsdiskussion auf der 5. Verbundkonferenz des GBV im September 2001 plädierten die Vertreter der deutschen Bibliotheksverbünde und Der Deutschen Bibliothek in einer nicht erwarteten Deutlichkeit für die Aufgabe des durch RAK und MAB gekennzeichneten deutschen Weges im Bibliothekswesen zugunsten der Übernahme internationaler Regelwerke (AACR2) und Formate (MARC 21). Einvernehmliche Ziele waren für alle Beteiligten die bessere Einbindung in internationale Netzwerke, erhebliche Effizienzgewinne in der täglichen Bibliotheksarbeit und die Verbesserung der Qualität der Bibliotheksangebote für die Benutzer. Der Standardisierungsausschuss nahm diese Anregung auf und fasste am 6.12.2001 den Beschluss zur Einführung von AACR2 und MARC21 in Deutschland. Die Folge war eine heftige und sehr emotional geführte Diskussion über das „Für und Wider" dieses Vorgehens. Die von der DFG geförderte Machbarkeitsstudie konnte zwar keine Aspekte aufzeigen, die wirklich gegen einen Umstieg sprechen, eine unmittelbare Umsetzung erscheint aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht durchsetzbar. Die Arbeitsgemeinschaft der Verbundsysteme hat nach Aufforderung durch den Standardisierungsausschuss eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, die kurz- und mittelfristig den Anschluss an die internationale Bibliothekswelt sicherstellen und die Einführung internationaler Regelwerke und Formate vorbereiten sollen: 1. Einführung von MARC21 als verbindliches Austauschformat für die Verbundsysteme 2. Schaffung der strukturellen Voraussetzungen für die Entwicklung in Richtung AACR3 durch: - Einführung flacher Hierarchien bei mehrbändigen Werken, - Austausch vollständiger Informationen in einem Austauschsatz, d.h. keine zusätzlichen Sätze für Überordnungen, Normsätze, etc., - obligatorische Individualisierung bei der Arbeit mit Personennormsätzen, - obligatorische Verwendung internationaler Kodierungen, - Vereinheitlichung der deutschen Regelwerks- und Formatanwendungen, - Enge Zusammenarbeit der Verbundsysteme über Z39.50/SRU und im Fremddatenbereich, z.B. Konsortialverträge für die gemeinsame Nutzung von Fremddatenquellen. Der Standardisierungsausschuss hat die Vorschläge der AG Verbundsysteme zum weiteren Vorgehen am 15.12.2004 einstimmig genehmigt und drei Arbeitspakete als Sofortmaßnahmen beschlossen: 1. Aufbau einer Infrastruktur zur kooperativen Neukatalogisierung unter Projektführung des GBV. Ziel ist die tägliche Bereitstellung der Neukatalogisate der Verbundsysteme 172
Bibliotheksrechenzentrum
und Verbundzentrale des
Bibliothekverbundes
in einer einheitlichen Struktur zur Verbesserung der Effizienz in der Katalogisierung und zur Angleichung der Regelwerks- und Formatanwendungen der Verbundsysteme. 2. Vorbereitung der obligatorischen Verwendung von MARC21 als einheitliches Transportformat durch Erstellung einer verbindlichen Konkordanz zwischen MAB2 und MARC21 unter Projektführung der Expertengruppe Datenformate (früher Μ AB-Ausschuss). 3. Entwicklung eines verbindlichen Match-Key-Verfahrens zum verbundübergreifenden Titelabgleich unter Projektführung Der Deutschen Bibliothek. Mit diesen Beschlüssen des Standardisierungsausschusses wird die Strategie der internationalen Zusammenarbeit des GBV eindrucksvoll bestätigt. Zusammen mit der Einführung der Dewey Decimal Classification (DDC) in Deutschland bietet sich die wohl einmalige Chance, das deutsche Bibliothekswesen in das internationale Informationsnetzwerk einzubinden. Gleichzeitig bestätigt diese Entwicklung die bereits vor der Verbundgründung begonnene Politik der SUB Göttingen, sich intensiv mit internationalen Entwicklungen zu beschäftigen. Sie hat in dieser Beziehung bis heute eine Vorreiterrolle inne. Ihr ist es als erster deutscher Bibliothek gelungen, Vollmitglied von OCLC zu werden und ihre umfangreichen Bestände über WorldCat weltweit zugänglich zu machen. In dieser Position konnte sie in Deutschland die Rolle der zentralen Vermittlungsstelle für den internationalen Leihverkehr mit Nordamerika übernehmen. Innerhalb Deutschlands wird die Forderung nach einer Intensivierung der Zusammenarbeit der Verbundsysteme und der Angleichung der Regelwerks- und Formatanwendungen durch die Entscheidung des Südwestdeutschen Bibliotheksverbundes (SWB) für die Einführung des Pica-Verbundsystems erheblich gefördert. Da sich der SWB von Anfang an für eine Zusammenarbeit mit dem GBV ausgesprochen hat und sich eng an das Datenmodell des GBV anlehnt, wird in Kürze in 11 Bundesländern ein einheitliches Daten- und Katalogisierungsmodell angewendet werden. 5.2
„GBVDigital"
Vermittlung und Nutzung von Informationen, die für Forschung und Lehre relevant sind, durch Bibliotheken sind nur bei konsequenter und kontinuierlicher Anpassung der Bibliotheks- und Verbundsysteme an aktuelle technische und organisatorische Entwicklungen möglich. Geschieht dies nicht, wird die für die wissenschaftliche Arbeit notwendige Informationsvielfalt durch die Kommerzialisierung der Informationsvermittlung und die damit verbundene Konzentration auf „vermarktbares Wissen" bedroht. Der GBV hat deshalb bereits im Jahre 2000 ein Strategiekonzept zur Entwicklung der „Digitalen Bibliothek GBV" vorgelegt und dies mit „GBV Digital" im Jahre 2004 unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen evaluiert und fortgeschrieben. Als wesentliche Schwerpunkte der mittelfristigen Entwicklung wurden identifiziert: - Integration aller für die Forschung und Lehre relevanter Informationsquellen unter einer einheitlichen Oberfläche und homogener Datenstrukturen - Vollständige digitale Verfügbarkeit - Integration der Bibliotheken in die universitären Infrastrukturen 173
Reiner Diedrichs und Ute Sandholzer
Mit diesen Zielen ist eine Vielzahl technischer finanzieller und organisatorischer Maßnahmen verbunden, die in „GBVdigital" näher erläutert werden. Mit der Entscheidung, die iPort-Software von OCLCPICA über die VZG zu finanzieren und den GBV Bibliotheken kostenfrei zur Verfügung zu stellen, wurden bereits die technischen Voraussetzungen für die Integration der relevanten Informationsquellen unter einer einheitlichen Oberfläche geschaffen. m
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VLib-MC VUb+iistory VUMLiterature
Metasuche der Virtual Library of Anglo-American Culture: History & Literature Die Vlib-AAC erschließt Literatur, digitale Dokumente und Websites zur Geschichte, Politik, Sprache und Literatur des angloamerikanischen Kulturraums. Sie wird betrieben von der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, der Sondersammelgebietsbibliothek (SSG) für den angloamerikanischen Kulturraum. Die vom GBV (Gemeinsamer Bibliotheksverbund) für die Vlib-AAC eingerichtete Metasuchmaschine ermöglicht die parallele Recherche in verschiedenen Katalogen und Fachdatenbanken. Bitte wählen Sie eine Datenbank aus und geben Sie lhre(n) Suchbegriff(e) ein. 0
Datenbanken
Alle
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Online-Kataloq der SUB Göttinqen (SSG-Bibliothek angloamerikanischer Kulturraum) W
Online Contents - SSG Anglistik
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Online Contents - SSG Geschichte
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Online Contents - SSG Zeitgeschichte
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Historv Guide: Fachkataloq qeschichtswissenschaftlicher Websites
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Royal Historical Society Biblioqraphy of British and Irish History
Abb. 3: Metasuche der VLib-AAC (iPort)
Die vollständige elektronische Verfügbarkeit von Informationen zu erreichen, stellt eine sehr viel komplexere Aufgabenstellung dar. Hier sind verschiedene Zwischenstufen, wie die Anreicherung der Nachweisinformationen mit Inhaltsverzeichnissen und Abstrakts, zu bewältigen und die verschiedensten Partner, wie Verlage, Verwertungsgesellschaften, Bibliotheken etc. zusammen zu bringen. Daneben gilt es eine große Zahl technischer Probleme im Bereich der Speichersysteme und Langzeitverfügbarkeit zu lösen. Der GBV und seine Bibliotheken beteiligen sich an einer Reihe von zukunftsweisenden Projekten, u.a.: - Portal Digitaler Drucke (PDD)- Portallösung für die DFG geförderten Digitalisierungsprojekten - Bereitstellung von Dokumentenservern im Kontext von Nationallizenzen für digitale Inhalte im SSG-Programm der DFG - Bereitstellung digitaler audiovisueller Medien im Zusammenarbeit mit dem IWF Wissen und Medien gGmbH und der SUB Göttingen 174
Bibliotheksrechenzentrum
und Verbundzentrale des
Bibliothekverbundes
- Verschiedene Projektanträge zusammen mit der SUB Göttingen in Vascoda zur Harmonisierung von Datenstrukturen und der Bereitstellung von digitalen Inhalten Für die künftige Entwicklung der Bibliotheken wird auch die Einbindung in die Infrastruktur der Universitäten eine entscheidende Rolle spielen. Stichworte sind hier „Central Directory Service", „LDAP-Server", „Single Point of Authentification". Die VZG ist intensiv an einem vom Nds. Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) und der Firma Sun Microsystems geförderten Projekt zur Schaffung einer Service orientierten Infrastruktur (SOI) beteiligt. Erste Ergebnisse dieses Projektes müssen sich bereits Ende Januar 2005 an der Fachhochschule BraunschweigWolfenbüttel im praktischen Einsatz bewähren.
6. Die Zukunft der Verbünde Wenn über die Zukunftsperspektiven der Bibliotheken und ihrer Verbundsysteme diskutiert wird, sollte bei allem Gewicht neuer Kommunikationstechniken und der damit verbundenen Möglichkeiten eine wichtige Aussage nicht übersehen werden: „Bibliotheken sind für die Ewigkeit". Seit mehreren Jahrtausenden bilden Bibliotheken das Rückgrat der Wissensvermittlung und Forschung. Sie haben in dieser Zeit verschiedene einschneidende Neuerungen, wie die Erfindung des Buchdrucks, nicht nur überstanden, sondern sind aus diesen Umwälzungen am Ende gestärkt hervorgegangen. Letztendlich werden sie sich im Interesse von Forschung und Lehre auch gegen die Kommerzialisierungstendenzen der Informationsvermittlung durchsetzen. Dies wird, wie bereits in der Vergangenheit, mit weitreichenden permanenten Anpassungen an technische und organisatorische Veränderungen verbunden sein. Verbünde sind Instrumente der Bibliotheken und mit diesen verändern sich auch die Ansprüche an die Verbünde. Mit der Umwandlung der Hochschulen in Budgetbetriebe und der damit verbundenen Stärkung ihrer Autonomie steigen auch die Freiheitsgrade hinsichtlich der Bibliotheksorganisation. Jeder kann nun das System seiner Wahl entwickeln oder beschaffen, es nach seinen Bedürfnissen anpassen und nach eigenen Regeln katalogisieren. Der Preis für diese Freiheit ist allerdings ein hoher Aufwand beim Betrieb, Unterhalt und der Vernetzung mit anderen Systemen. Die Aufgabe der Verbundzentralen wird es sein, die Bibliotheken dort, wo es inhaltlich und wirtschaftlich sinnvoll ist, mit zentralen Dienstleistungsangeboten zu unterstützen. Zu diesen Dienstleistungen werden sicherlich noch über viele Jahre die Katalogisierungssysteme und Fremddatenangebote gehören. Zentrale Aufgabe ist hier die Umsetzung der aus verschiedenen Quellen vorliegenden Daten in eine ohne manuelle Nacharbeit verwendbare Form. Der stetig steigende Rationalisierungsdruck wird die Angleichung an internationale Regelwerke und Datenformate fördern und für eine Bereinigung der Regelwerke um Bestimmungen sorgen, die eine manuelle Nachbearbeitung von Katalogisaten erforderlich machen. Eine weitere wichtige und in ihrer Bedeutung zunehmende Aufgabe der Verbundzentralen wird die Unterstützung der Bibliotheken beim Betrieb der lokalen Biblio175
Reiner Diedrichs
und Ute
Sandholzer
thekssysteme sein. Schon heute übernimmt die VZG den vollständigen Betrieb von Lokalsystemen von der Installation über das „Remote Operating" und die vollständige Softwarepflege bis hin zum vollständigen Betrieb. Andererseits werden auch die Verbünde in Zukunft ihre Informationsangebote nicht mehr allein organisieren können. Ähnlich wie Pica und OCLC zu OCLCPICA werden sie sich zu nationalen und internationalen Kooperationen zusammenschließen müssen. Die globalen Informationsnetze werden sicherlich nicht mehr allein von Einrichtungen aus dem Bibliotheksbereich organisiert, sondern es sind Kooperationen und Allianzen mit allen Anbietern relevanter Strukturen im WWW erforderlich. Für die Verbundzentralen wird es in ihrer Rolle als regionale Dienstleistungszentren zudem notwendig sein, die eigene Organisationsform den sich ändernden Bedingungen anzupassen, da die bisher „sichere" Finanzierung über die Bundesländer bei zunehmender Autonomie der Hochschulen in Frage gestellt wird. Ob alle heute existierenden Verbünde in Deutschland in Zukunft in der Lage sein werden, einen solchen Weg erfolgreich zu verfolgen, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abzusehen.
176
Esko Häkli
Papiergeschichte - in den Bibliotheken noch aktuell? Bibliotheken mit großen historischen Buchbeständen arbeiten zur Zeit an der Digitalisierung ihrer Sammlungen und wollen damit hauptsächlich zwei Ziele erreichen. Sie wollen den Benutzern wichtige Teile ihrer Sammlungen leichter zugänglich machen und zur gleichen Zeit die Originalpublikationen bzw. Handschriften vor der Belastung der Benutzung schützen. Auch wenn das größte geplante Einzelprojekt momentan nicht von Bibliotheken, sondern von einer weltweit tätigen Firma finanziert wird, haben Bibliotheken schon viel Geld in die Konversion ihrer Bestände investiert. Von den größten Vorhaben können als Beispiele die Digitalisierungsprogramme der Kongressbibliothek in den USA, der Bibliotheque nationale de France und der Organisation JSTOR genannt werden. Trotz dem Eindruck, dass die herkömmlichen Bibliotheksbestände nicht mehr im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen, arbeiten zahlreiche Bibliotheken systematisch für die Erhaltung ihrer Druckschriftensammlungen. Errungenschaften der geistigen Kultur können nicht nur als Reproduktionen aufbewahrt und überliefert werden - schon gar nicht, wenn es keine Garantien gibt, dass die Reproduktionen alterungsbeständig sind, was bei den Digitalisaten leider der Fall ist. Dazu kommt noch, dass es eine Utopie wäre sich vorzustellen, alle gedruckten Publikationen der einzelnen Länder und dadurch der ganzen Welt digitalisieren zu können. Deshalb wird es auch weiterhin Druckschriftensammlungen geben und diese Sammlungen werden sogar noch rasch anwachsen. Papier als Datenträger wird also nicht verschwinden, nicht das alte Papier, aber auch nicht das neue. Die Erforschung dieses Datenträgers wird deshalb auch in der Zukunft ihre Relevanz behalten.
Papiergeschichte, Bibliotheken und Universitäten Auch wenn die Papiergeschichte die Geschichte des wichtigsten Beschreibstoffs aller Zeiten ist, spielt ihre Erforschung eine untergeordnete Rolle in der Bibliothekswissenschaft und unter den Bibliothekaren. In den Handbüchern des Bibliothekswesens behandelte man das Papier nur am Rande.1 Zeigte man Interesse an der Papiergeschichte, wählte man beinahe ausnahmslos das handgemachte Papier zum Forschungsobjekt. Dies rührte daher, dass die Buchgeschichte, die die physischen Eigenschaften von Büchern untersucht und sie als Beweismaterial z.B. zum Datieren der Bücher benutzt, sich Die zweite, erneuerte Auflage des großen Standardwerkes Handbuch der Bibliothekswissenschaft, hrsg. von Georg Leyh, enthält im Bd. 1, S. 1047-1068 (Wiesbaden 1952) einen kurzen Abschnitt über die Geschichte des Papiers. Der Autor Armin Renker ist kein Bibliothekswissenschaftler, sondern anerkannter Papieihistoriker. Im Bd. V des Lexikon des gesamten Buchwesens, 2. Aufl. Stuttgart 1999, werden mehrere Themen mit Relevanz für die Papiergeschichte behandelt, ein Aufsatz über die Erforschung der Papiergeschichte Inbegriffen.
177
Esko Häkli
meistens mit den frühen Jahrhunderten des Buchdrucks beschäftigt, als die einzelnen Buchexemplare und das darin verwendete Papier mit seinen Wasserzeichen noch individuelle Unterschiede zeigen konnten. Das industriell hergestellte Papier verhält sich aber ganz anders und hat eine andere Problematik hervorgebracht, die für Buchhistoriker weniger interessant zu sein scheint. Bibliotheken sind, mit wenigen Ausnahmen, keine Forschungsinstitute. Deshalb wird in den Bibliotheken ziemlich wenig Forschungsarbeit betrieben, auch wenn wir die großen Bibliotheken mit ihren historischen Buchbeständen in Betracht ziehen. Diese Tatsache erklärt wenigstens teilweise, warum die Erforschung der Papiergeschichte in den Bibliotheken nur selten vorkommt. Die meisten Veröffentlichungen auf diesem Gebiet erscheinen anderswo. Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum in der Deutschen Bücherei in Leipzig stellt hier eine Ausnahme dar. Die Bedürfnisse der Bibliotheken sind praktisch. Mit sehr wenigen Ausnahmen können und dürfen die Bibliotheken Grundforschung der Papiergeschichte betreiben. Es wäre jedoch wünschenswert, dass sie ihrem Personal wenigstens die Grundkenntnisse der Papiergeschichte vermitteln könnten. Deshalb müssen wir fragen, wo die Erforschung der Papiergeschichte überhaupt stattfindet. Die Anzahl der Berufsforscher, die sich schwerpunktmäßig mit der Papiergeschichte beschäftigen, ist begrenzt. Der größte Teil der papiergeschichtlichen Forschung wird von einzelnen Individuen auf freiwilliger Basis betrieben, von Personen, die mehr oder weniger Hobbyhistoriker sind. Sie haben oft während ihres beruflichen Lebens in der Papierindustrie gearbeitet und kennen daher die Problematik des Papiers aus eigener Erfahrung. So verhält es sich auch mit der Wissenschaftsgeschichte im Allgemeinen: Man fragt sich, was wichtiger ist, die Fragestellungen von innen her zu kennen oder die Methoden der Geschichtsforschung zu beherrschen. In der Wissenschaftsgeschichte sind die Autoren oft selber Wissenschaftler auf dem Gebiet, dessen Geschichte sie schreiben wollen, während die entsprechenden Experten der Papiergeschichte meistens Praktiker sind. Die Situation in den nordischen Ländern verhält sich ähnlich.2 Die deutschen Papierhistoriker waren traditionell sowohl in Deutschland als auch auf internationaler Ebene besonders aktiv.3 Es ist selbstverständlich möglich, dass Themen, die relevant für die Papiergeschichte sind, auch im Rahmen verschiedener anderer Forschungsprojekte behandelt werden können. 2
Es ist nicht leicht, eine repräsentative Auswahl bedeutender Papierforscher der Moderne zu erstellen. Von den Forschem, die nicht mehr unter uns sind, sollten wenigstens folgende Namen erwähnt werden: aus Deutschland Hans H. Bockwitz, Gerhard Piccard, Armin Renker, Wilhelm Sandermann, Alfred Schulte, Wolfgang Schlieder, Karl Th. Weiß und Wisso Weiß; aus den USA Dard Hunter, aus Großbritannien R.H. Clapperton, aus der Schweiz Charles-Moi'se Briquet, aus den Niederlanden Emil Joseph Labarre und E.G. Loeber, aus Dänemark Birte Rottensten, Ove K. Nordstrand und Ebba Waaben, aus Norwegen Haakon Μ. Fiskaa, aus Schweden Sune Ambrosiani, G. Clemensson und Gösta Liljedahl, aus Finnland Gabriel Nikander, Ingwald Sourander und Kurt K. Karlsson. In den Fußnoten werden weitere Namen erwähnt und es wird auf Arbeiten der zur Zeit aktiven Forscher hingewiesen.
3
Die deutschen Papierhistoriker gründeten 1990 den Deutschen Arbeitskreis für Papiergeschichte (DAP). Auf internationaler Ebene sind die Papierhistoriker im Rahmen der Internationalen Arbeitsgemeinschaft der Papierhistoriker (International Association of Paper Historians IPH) (www.paperhistory.org) organisiert. Es werden Kongresse veranstaltet, Publikationen veröffentlicht und Projekte durchgeführt. Die skandinavischen Papierhistoriker haben ihre eigene Vereinigung Föreningen Nordiska Pappershistoriker NPH (www.nph.nu).
178
Papiergeschichte
- in den Bibliotheken noch aktuell?
In Deutschland gibt es außerhalb der Universitäten eigentlich nur zwei Institutionen, zu deren Aufgaben die Papiergeschichte gehört. Es sind das bereits oben erwähnte Deutsche Buch- und Schriftmuseum in Leipzig und das Deutsche Museum in München. Diese Institutionen verfügen jedoch nicht über die Voraussetzungen, systematische Forschung selber zu betreiben oder große Forschungsprojekte durchzuführen. Auch dürfen in diesem Zusammenhang die Papiermuseen nicht vergessen werden, obwohl sie keine etablierte Forschungsinstitutionen sind.4 Schon ihre Kernaktivität, mit Hilfe ihrer Ausstellungen über die Papiergeschichte zu informieren, ist eine wichtige Aufgabe. In einigen Fällen werden die Ausstellungen von informativen Publikationen begleitet, deren Autoren sachkundige Experten sind. Ein interessantes Beispiel einer möglichen Rolle einer Bibliothek ist die kürzlich erschienene Publikation der Königlichen Bibliothek in Den Haag über die Geschichte des gedruckten Buches in den Niederlanden.5 Darin wird als ein Teilgebiet die Papiergeschichte auf übersichtliche Weise behandelt, was sehr zu begrüßen ist - waren die Niederlande doch während mehrerer Jahrhunderte einer der wichtigsten Papierproduzenten Europas. Das Interessante an diesem Projekt ist, dass die gedruckte Ausgabe nicht das hauptsächliche Ergebnis ist. Die Basis des ganzen Vorhabens ist das elektronische Informationssystem, das von der Bibliothek aufgebaut wurde und weiter unterhalten wird. Die Forschungsarbeit wurde zudem nicht erstrangig von der Bibliothek, sondern von holländischen Buchwissenschaftlern durchgeführt - auch auf solche Weise kann eine Bibliothek die buch- und papiergeschichtliche Forschungsarbeit unterstützen und koordinieren. Als Forschungsobjekt ist Papier keineswegs selten oder exotisch. Um die Bedürfnisse der Papierindustrie zu befriedigen, werden in vielen Ländern Forschungsinstitute unterhalten, die intensive Forschungsarbeit betreiben. Große Summen werden in die Papierforschung investiert und die Vielfalt der Themen ist groß. So betreiben beispielsweise die großen Forschungsinstitute in Finnland und Schweden hochspezialisierte wissenschaftliche Forschung, die sich mit der Zukunft der Papierherstellung, mit der Optimierung der Herstellungsmethoden und der Produktentwicklung beschäftigt. Die Arbeit geschieht unter Anwendung naturwissenschaftlicher und technischer Methoden. Die papiergeschichtliche Forschung steht aber kaum auf der Tagesordnung.6 Papiergeschichte wird vor allen Dingen für die Geschichtsforschung benötigt, besonders wichtig 4
5
6
Neben den schon erwähnten zwei Institutionen kann u.a. auf folgende Papiermuseen hingewiesen werden: Papiermühle Alte Dombach in Bergisch-Gladbach, Papiermuseum Düren, Basler Papiermühle, Schweizerisches Museum für Papier, Schrift und Druck samt Österreichisches Papiermacher-Museum in Steyrermühl. In Dänemark gibt es in Silkeborg das Papirmuseet Bikuben, in Schweden u.a. Frövifors Pappersbruksmuseum und in Finnland in Verla ein Fabrikdorf mit einer Kartonfabrik. Das Rheinische Industriemuseum Papiermühle Alte Dombach veröffentlichte 1997 einen ausführlichen Katalog Papierzeit, mit dem Text von Johannes-Georg Oligmüller. Einige Jahre später, 2001, gaben Oligmüller und Sabine Schachtner das Buch Papier. Vom Handwerk zur Massenproduktion heraus. Beide Publikationen wurden in der Reihe Schriften des Rheinischen Industriemuseums veröffentlicht, als Nr. 14 bzw. 21. Bibliopolis. History of the printed book in the Netherlands. Compiled by Marieke van Delft and Clemens de Wolf. Amsterdam 2003. Als gutes Beispiel, wie die Probleme der Papierforschung behandelt werden, dient das neueste Standardwerk der heutigen Papierherstellung, die aus 20 physischen Bänden bestehende Reihe Papermaking. Science and technology, die in den Jahren 1998-2000 in Finnland herausgegeben wurde.
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ist sie für die Buch- und Handschriftengeschichte. Es geht aber nicht nur um die Vermehrung unseres historischen Wissens, also um unsere intellektuellen Bedürfnisse, sondern auch um die Erhaltung und richtige Interpretation der riesigen Bestände des geschriebenen Weltkulturerbes. Kenntnisse der Papiergeschichte sind deshalb auch für die Bestandserhaltung in den Bibliotheken und Archiven notwendig. Die Papiergeschichte ist in Europa keine akademische Fachdisziplin und hat an Universitäten und Hochschulen keine eigenen Lehrstühle. Die Aufgabe der Technischen Universitäten ist es, neue Papiermacher auszubilden. Die Papiergeschichte gehört nicht unbedingt zu den Kerngebieten dieser Ausbildung. Vorlesungsreihen und Seminare werden an Technischen Universitäten und Fachhochschulen vereinzelt angeboten, ohne dass man Forschung betreibt. Diese Lehrveranstaltungen scheinen aber nicht fester Bestandteil der Lehrpläne zu sein. Mit Hilfe der Information, die im Internet zugänglich ist, ist dies jedoch nicht sehr leicht zu überblicken. Fachhochschulen und einige Universitäten bilden auch Restauratoren aus. Wenn Papierrestaurierung zum Lehrprogramm dieser Institutionen gehört, müsste dort auch Papiergeschichte unterrichtet werden. Ein gutes Beispiel gibt uns die dänische Konservatorenschule in Kopenhagen, Kunstakademiets konservatorskole, die ein Teil der dänischen Kunsthochschule ist. Im Rahmen der Konservatorenschule wurde dort früher u.a. die wichtigste Untersuchung der dänischen Papiergeschichte und Wasserzeichen veröffentlicht.7 Es bleibt also die Frage, was an den Universitäten und Fachhochschulen, die bibliothekswissenschaftliche Lehre und Forschung betreiben, getan wird. Deutlich ist, dass die heutigen Fragestellungen der Bibliothekswissenschaft weniger historische Elemente enthalten als früher, weil die Informations- und Managementforschung größere Aktualität besitzt. Man erhält den Eindruck, dass die Probleme der Beständigkeit der elektronischen Medien aktueller als die des Papiers und dass sie zur Zeit auch schwieriger zu lösen sind. Ein anderer Kontext für die Papiergeschichte könnte die Buchwissenschaft sein, die an einigen deutschen Universitäten vertreten ist. Die Lehrstühle der Buchwissenschaft haben ihre eigenen Profile entwickelt. Mit Ausnahme von Mainz und Münster scheint der Schwerpunkt auf dem Gebiet des Buchhandels- und Verlagswesens zu liegen, wahrscheinlich, weil man Nachwuchs für diesen Wirtschaftszweig ausbildet. Die Beschreibstoffe werden zwar nicht vollständig vergessen, spielen an den meisten Universitäten aber nur eine Nebenrolle. Eine eindrucksvolle Ausnahme bildet die Universität Erlangen-Nürnberg. Es wird dort nicht nur gelehrt, sondern auch geforscht, und die Lehrenden haben eifrig publiziert.8 Die Literaturliste für die Teilnehmer der Proseminare über das Thema Papier ist eindrucksvoll. Besondere Beachtung erhält die Nürnberger Papiergeschichte, was im Hinblick auf die Geschichte der deutschen Papiermacherei wohlbegründet ist.
7 8
Siehe Anm. 32, Rottensten & Waaben. Hier kann u.a. auf die Veröffentlichungen von Ursula Rautenberg hingewiesen werden, z.B. Reclams Sachlexikon des Buches, 2. Aufl. Stuttgart 2003. 590 S.
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Forschungsgegenstand der Papiergeschichte Was also versteht man unter dem Forschungsgegenstand der Papiergeschichte? Es ist offensichtlich, dass die Papiergeschichte sich mit einer großen Vielfalt von Themen befasst. Dies sind u.a. die Erfindung und Verbreitung des Papiers, die Geschichte der Herstellungstechnik und der Rohstoffe wie auch die Eigenschaften des Papiers. Neben diesen Themenkomplexen sind die Verwendung des Papiers und seine kulturgeschichtliche Bedeutung, die Sozialgeschichte des Papiers, die Wirtschafts- und Industriegeschichte wie auch die politischen Aspekte wichtige Forschungsgebiete. Jedes von ihnen setzt sich aus unzähligen Themen zusammen. Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei in Leipzig hat kürzlich eine großangelegte vierbändige Bibliographie zur Papiergeschichte veröffentlicht.9 Das Material für zwei weitere Bände liegt schon vor, und es wäre sehr zu begrüßen, wenn diese Bände als gedruckte Publikationen erschienen, da elektronische Suchmöglichkeiten nicht mit einer sorgfältig editierten und gedruckten systematischen Bibliographie konkurrieren können. Ansonsten sind die EDV-Methoden für die papiergeschichtliche Forschung wichtig. Z.B. für die Wasserzeichenforschung bedeuten sie, zusammen mit dem Internet, beinahe einen Neubeginn und bereiten der internationalen Zusammenarbeit völlig neuartige Arbeitsmöglichkeiten. Das Bild der papiergeschichtlichen Publikationstätigkeit, das anhand der Bibliographie entsteht, ist sehr bunt. Es spiegelt das ganze Spektrum menschlichen Lebens wider. Um die Vielfalt der behandelten Themen wissenschaftlich zu erforschen, müssen Methoden vieler Disziplinen zu Hilfe genommen werden. Auch die Art und Weise, wie die Themen behandelt worden sind, weist eine große Variationsbreite auf. Es gibt seriöse wissenschaftliche Arbeiten, es gibt aber auch Texte, die von Amateuren und Papierliebhabern geschrieben wurden. Diese letzteren Veröffentlichungen sind in vielen Fällen für die Forschung besonders als Informationsquellen von großem Wert. Das Interesse an der Geschichte des Papiers galt lange vor allen Dingen dem handgemachten Papier und dies gilt in vielen Fällen immer noch.10 Die wichtigste Erscheinung, die im Mittelpunkt dieses Interesses steht, sind die Wasserzeichen, ein Merkmal des handgefertigten Papiers. Wasserzeichen können zwar auch im industriellen Prozess hergestellt werden, für Wasserzeichenforscher sind diese aber kaum von Interesse. Neben der Wasserzeichenforschung sind die geschichtlichen Darstellungen oder Chroniken einzelner Papiermühlen und Papierfabriken eine wichtige Gruppe der papiergeschichtlichen Literatur. Materialuntersuchung und Technikgeschichte sind weitere Themen, zu denen zahlreiche Untersuchungen vorliegen. Auch hier ist das Handpapier ein beliebtes Thema. Zwei wichtige Entwicklungen allerdings haben das Interesse der Wissenschaftler und 9
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Internationale Bibliographie zur Papiergeschichte (IBP). Berichtszeit bis einschließlich Erscheinungsjahr 1996. Bearb. von Frieder Schmidt und Elke Sobek. Bd. 1-4. München 2003. Von den neuesten Veröffentlichungen, die sich schwerpunktmäßig mit dem handgemachten Papier beschäftigen, können folgende Titel erwähnt werden: Josep Asuncion, Das Papierhandwerk. Tradition, Techniken und Projekte. Bern 2003; Silvie Turner, The Book of fine paper. London 1998; Therese Weber, Die Sprache des Papiers. Bern 2004.
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der Hobbyforscher in großem Maße erregt und sind nicht nur mit der Handpapierherstellung verbunden. Es sind die Erfindung der Papiermaschine und die Bemühungen, neue Rohstoffe zu finden, um die Lumpen zu ersetzen, die Mangelware geworden waren. Die Geschichte der industriellen Papierherstellung gehört zu den weniger untersuchten Teilgebieten der Papiergeschichte. Viele der Unternehmensgeschichten, die die industrialisierte Zeit beschreiben, sind selbstverständlich wichtig und geben uns ein Bild der Entwicklung. In vielen Fällen sind sie aber eher als Wirtschafts- und Organisationsgeschichte als als Geschichte der Papierherstellung ausgearbeitet worden. Weniger Interesse haben auch die sozialen, kulturellen und anderen gesellschaftlichen Wirkungen des Papiers und der Papierindustrie gefunden. Nicht einmal die Bedeutung der Papierindustrie für die Industrialisierung der westlichen Welt ist ausführlich genug behandelt worden. Es erübrigt sich darauf hinzuweisen, dass die Papierindustrie schon früher ein wichtiger Teil der Handelspolitik gewesen ist, und nicht erst während des Zeitalters der Globalisierung. Die industrielle Herstellung von Papier ist schon mehr als anderthalb Jahrhunderte alt. Aus der Entwicklung der Herstellungsmethoden, d.h. der Prozesse, der Papierchemie und der industriellen Lösungen, ergeben sich zahlreiche wichtige und interessante Forschungsthemen, die ausführlicher hätten untersucht werden können. Die Publikationen über diese Themen behandeln beinahe ausnahmslos die aktuellen Herstellungsmethoden. Aus diesen Gründen steht uns keine zusammenhängende Gesamtdarstellung über die Entwicklung der Herstellungstechnologie und der Papierchemie zur Verfügung." Will man sich über die Methodenentwicklung informieren, scheint die sicherste Art und Weise zu sein, sich mit den Lehrbüchern aus älteren Zeiten vertraut zu machen und sie miteinander zu vergleichen. In Deutschland sind solche Lehrbücher regelmäßig veröffentlicht worden, und in vielen Fällen beschreiben sie die Prozesse ziemlich ausführlich. Diese Methode ist aber allzu umständlich und setzt eine gute Grundausbildung voraus. Die praktischen Lehrbücher enthalten keine Erläuterungen zum Kontext der gewählten Methoden, weder zu den Gründen noch zu den Folgeerscheinungen. Es sollte aber keine allzu schwierige Aufgabe sein, eine Geschichte der Methoden der industriellen Papierfabrikation zusammenzustellen, weil die Methoden während der ersten Hälfte des 20. Jh. praktisch unverändert blieben. Die rapide Entwicklung begann erst nach dem Zweiten Weltkrieg und es leben unter uns noch zahlreiche Fachleute, die an dieser Entwicklung selber teilgenommen haben. Manche Nachschlagewerke, die sich schwerpunktmäßig mit der praktischen Herstellung beschäftigen, enthalten auch historische Hinweise und können wenigstens in Einzelfragen als Hilfsmittel dienen.12 11
Eines der wichtigen Werke, die die Technik der Papierherstellung behandeln, ist das Buch von Robert Henderson Clapperton, Modern paper-making. Oxford 1952. Die Darstellung Clappertons beschreibt aber nur die Lage zum Zeitpunkt des Schreibens, ohne jegliche historische Rückblicke. Eine übersichtliche Darstellung der Entwicklung der schwedischen Papierindustrie wurde von Sven Rydberg veröffentlicht: Papper i perspektiv. Massa- och pappersindustri i Sverige under hundra är. [Papier im Perspektiv. Hundert Jahre schwedische Stoff- und Papierindustrie]. Göteborg 1990. Rydberg behandelt alle Aspekte der Entwicklung und geht auch auf die Entwicklung der Herstellungstechnik ein.
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Besonders nützlich ist das Werk: Göttsching, Lothar u. Casimir Katz, Papier-Lexikon. bach 1999. Das Werk setzt von seinem Leser gute Grundkenntnisse voraus.
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Standort der Papiergeschichte als Forschungsgebiet Papier ist in Europa etwa eintausend Jahre als Beschreibstoff benutzt worden. Erst recht spät begann man sich aber zu fragen, woher das Papier kommt, wann, wie und von wem es entwickelt wurde. Diderot beispielsweise vertrat noch in seiner großen Encyclopedie die Auffassung, das Hadernpapier sei eine europäische Erfindung. Es dauerte lange, bevor man sich des chinesischen Ursprungs des Papiers bewusst wurde.13 Man braucht aber nicht bis zur Urgeschichte des Papiers zurück zu gehen, um Lücken in unserem geschichtlichen Wissen aufzutun. Nicht einmal die Geschichte des Papiers in Europa ist uns lückenlos bekannt. Die Erforschung der Geschicke des Papiers ist ziemlich späten Datums. Zwar schrieb man besonders in Deutschland schon im 17. Jahrhundert über das Papier, aber die ersten bedeutenden Versuche in Europa wurden erst gegen Ende des 18. Jh. unternommen. Einer der ersten wichtigen Autoren war Jeröme La Lande, der eine klare Trennung zwischen dem Papier aus Baumwolle und Hadern gemacht hat14 In der Encyclopedie von Diderot und d'Alembert wurde das Thema Papier ausführlich behandelt und noch ausführlicher in den großen deutschen Enzyklopädien von Krünitz und Ersch und Gruber.15 Krünitz schrieb zuerst ausführlich über das ägyptische Papier, d.h. Papyrus, danach über das baumwollene Papier und schließlich über das Linnen- oder Leinenpapier. Man hatte bereits Kenntnis davon, dass das baumwollene Papier keine Erfindung der Araber war, sondern dass die Perser und Chinesen es schon früher benutzt hatten. Die Vorgeschichte des Leinenpapiers blieb im Dunkeln. In den Göttingischen Anzeigen von Gelehrten Sachen berichtete man 1755 über eine Preisschrift, die die Göttinger Akademie ausgeschrieben hatte: „Die Societät verlangte zu wissen, wie alt die jetzige Art des Papiers sey, welche aus Leinewands-Lumpen zubereitet wird." Man musste feststellen, dass die Frage sehr schwer zu beantworten war, warum man nur eine einzige Preisschrift erhalten hatte. Nicht einmal diese 13
Über die Ursprünge der Papierherstellung in China und im fernen Osten wurde viel geschrieben, weniger aber über die Entwicklung in der islamischen Welt. Einer der größten Namen auf diesem Gebiet war der österreichische Arabist J. von Karabacek, dessen Forschungsergebnisse zwar in vieler Hinsicht später nachgeprüft und revidiert worden sind. Kürzlich wurde jedoch eine sorgfältig recherchierte und gut geschriebene Darstellung vorgelegt: Bloom, Jonathan M., Paper before Print. The History and Impact of Paper in the Islamic World. New Haven 2001.
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La Lande, Jeröme, Art de faire le papier. Paris 1761. Die Kupferstiche des Buches wurden bald in die Encyclopedie übernommen und danach oft auch in anderen Veröffentlichungen als Illustrationen benutzt. Das Buch wurde in andere Sprachen übersetzt und besonders in Deutschland weit verbreitet. Einen guten Überblick über die Papiergeschichtsforschung hat Frieder Schmidt im Lexikon des gesamten Buchwesens, Bd. 5 (1999), Ss. 526-527 veröffentlicht. Es ist aber auch wichtig, auf die Sammlung der Aufsätze von Hans H. Bockwitz hinzuweisen. Der Band wurde unter dem Namen Beiträge zur Kulturgeschichte des Buches, Leipzig 1956, herausgegeben und enthält mehrere Aufsätze, die historiographisch wichtig sind, obwohl viele von ihnen schon vor dem Zweiten Weltkrieg geschrieben wurden.
15
Ökonomisch-technologische Encyclopädie. Erschien ab 1773 bis 1858 in 242 Bänden, bis zum 73. Bd. von Johann Georg Krünitz, danach von Friedrich Jakob Floerken und nach ihm von Hinrich Gustav Flörke herausgegeben. Papier wird im Bd. 106, der 1807 erschien, auf den Seiten 489-894 (und in Bildbeilagen) behandelt. Im Bd. 107 (1807) werden Sonderthemen wie Papiergeld, Papiermacherordnung usw. beschrieben. Die Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, herausgegeben von Johann Samuel Ersch und Johann Gottfried Gruber, erschien 1818 bis 1889 in 167 Bänden, blieb aber unvollendet. Das Papier wird im Bd. 11 der Sektion 3 (1838) behandelt.
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konnte die Frage „völlig" lösen und man vermutete, dass es kaum mehr möglich war, „den Geburts-Tag der zu Anfang unvollkommenen und verachteten Künste" zu ermitteln. Der Verfasser der Preisschrift war „auch eigentlich keinen Schritt weiter in das Alterthum gekommen, als seine Vorgänger". Das älteste Papier, das er mit seinen eigenen Augen gesehen hatte, war aus dem Jahr 1342, während man schon aus anderen Quellen wusste, dass Papier aus dem Jahr 1339 bekannt war. Einige Monate später konnte das Blatt eine neue Mitteilung herausbringen, dass ein Professor eine Urkunde auf Papier gesehen hatte, die mit einem Siegel aus dem Jahre 1239 versehen war. Die ursprüngliche Frage blieb also unbeantwortet.16 Systematische Forschungsarbeit begann aber viel später. Gesamtdarstellungen zur Geschichte des Papiers sind, trotz des großen Umfangs der einschlägigen Literatur, leider noch eine Seltenheit.17 Die Papiergeschichte wurde zumeist als historische Hilfswissenschaft verstanden, mit einer engen Verbindung zur Buchgeschichte und Handschriftenforschung. Im Grunde genommen gehört die Papiergeschichte jedoch zu den geschichtlichen Disziplinen. Wir können uns aber nicht nur mit den geisteswissenschaftlichen Methoden im engeren Sinne begnügen. Notwendig sind auch die Methoden der anderen historischen Disziplinen, wie die der Wirtschaftsgeschichte, Sozialgeschichte und Technikgeschichte. Neben den historischen Methoden muss man sich jedoch auch der anderen gesellschaftswissenschaftlichen und ganz besonders der naturwissenschaftlichen Methoden bedienen, weil die Entwicklung sonst nicht verstanden und erklärt werden kann. Ohne Papierchemie kommt man kaum aus. Vielleicht ist der Mangel an einer zuverlässigen und ausführlichen Gesamtdarstellung der Entwicklung der Papierchemie Ausdruck dafür, dass dieser Themenkomplex kaum nur mit geisteswissenschaftlichen Kenntnissen bewältigt werden kann. Diejenigen, die die notwendigen naturwissenschaftlichen Kenntnisse besitzen und sich in ihrem täglichen Leben mit der Papierchemie beruflich beschäftigen, scheint diese Aufgabe nicht interessiert zu haben. Die aktuellen Fragestellungen scheinen wichtiger gewesen zu sein als die geschichtlichen Ereignisse, die aus Sicht eines Praktikers schon überholt sind. Der schweizerische Papierhistoriker Peter F. Tschudin hat in seiner kürzlich erschienenen Darstellung zur Papiergeschichte mit Recht betont, dass Papiergeschichte ein interdisziplinärer Wissenschaftszweig ist.18 Trotz der großen Komplexität der Papier16 17
18
Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen 1755, S. 1302-1303 (27.11.) und 1756, S. 49 (15.1.) Die wichtigste Darstellung der frühen Papierherstellung ist nach wie vor das Buch Papermaking. The History and Technique of an Ancient Craft von Dard Hunter, das in mehreren Auflagen erschienen ist. Von den neueren Darstellungen zur Geschichte des Handpapiers sei das aus dem Schwedischen übersetzte Buch von Bo Rudin erwähnt: Making paper. A Look into the history of an ancient craft. Vällingby 1990.Wichtig ist auch Wilhelm Sandermann, Papier. Eine Kulturgeschichte. 3. Aufl., ergänzt und überarbeitet von Klaus Hoffmann. Berlin 1997. Das Buch behandelt auch die moderne Papierherstellung. Von den anderen Darstellungen können hier u.a. die folgenden erwähnt werden: Clapperton, R.H., Paper. A historical account. Oxford 1934; Polastron, Lucien X., Le papier. 2000 ans d=histoire et de savoirfaire. Paris 1999; Renker, Armin, Das Buch vom Papier. [Wiesbaden] 1950. Weiß, Wisso, Zeittafel zur Papiergeschichte. Leipzig 1983. Die heutige Situation wird auf übersichtliche Weise in dem Buch von Wolfgang Walenski beschrieben: Das Papierbuch. Herstellung, Verwendung, Bedruckbarkeit. Itzehoe 1999. Tschudin, Peter F., Grundzüge der Papiergeschichte. S. 3.
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Stuttgart 2002. (Bibliothek des Buchwesens, Bd. 12.)
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geschichte bleibt jedoch die Frage offen, ob Papiergeschichte wirklich eine eigene Disziplin, also ein Wissenschaftszweig ist, wie Tschudin geltend machen will. Eher könnte man von einem Forschungsgebiet sprechen. Um ein eigener Wissenschaftszweig zu sein ist Papiergeschichte zu heterogen, sowohl methodisch als auch ihren Forschungsgegenstand betreffend. Nur auf dem Gebiet der Wasserzeichenforschung kann man möglicherweise von einer einheitlicheren Methodenentwicklung und sogar von Schulen sprechen. Auch die Ziele der Erforschung der Papiergeschichte sind sehr unterschiedlich. Vieles, was von den Berufsforschern veröffentlicht wird, gehört zur Grundlagenforschung und erhöht unsere Kenntnis der bisherigen Entwicklung. In einigen Fällen haben Publikationen, die z.B. aus Firmeninteressen ausgearbeitet worden sind, auch außerhalb der ursprünglichen, engeren Zielgruppe Bedeutung erlangt. Die Auffassung, dass Papiergeschichte eine historische Hilfswissenschaft ist, betont wieder die praktische Bedeutung der Papiergeschichte, und zwar als ein Mittel, Papier identifizieren und datieren zu können.19
Wasserzeichenforschung Wie schon angedeutet wurde, bildet die Wasserzeichenforschung ein eigenes Forschungsgebiet, das großes Interesse genießt. Die gesamte Anzahl der existierenden Wasserzeichen ist nicht bekannt, beträgt aber mehr als eine Million. Von diesen wurden nur einige hunderttausend verzeichnet. Einen Wendepunkt in der Erforschung der Wasserzeichen bedeutete die Veröffentlichung Les filigranes von Charles-Mo'ise Briquet.20 Briquet hat in seinem Werk 16.112 Wasserzeichen abgebildet und klassifiziert. Die systematische Forschungsarbeit nach Briquet stand lange still und begann eigentlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder. Das folgende bedeutende Vorhaben war Gerhard Piccards (1909-1989) große Kartei der Wasserzeichen im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Piccard sammelte etwa 120.000 Wasserzeichen, von denen 95.000 in der Kartei systematisiert wurden. Auf Grundlage dieses weltgrößten Materials begann Piccard 1961, sogenannte Findbücher zu veröffentlichen. Ab Band IV, der 1977 erschien, sind diese „Findbücher" regelrechte Korpusausgaben, die alle Varianten des jeweiligen Themas in Piccards Kartei enthalten. Seit kurzem ist diese Sammlung im Internet zugänglich.21
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Einen Überblick über die Lage der papierhistorischen Forschung in Deutschland Anfang der 90er Jahre gibt die folgende Publikation: Zum Stand der Papiergeschichtsforschung in Deutschland. Symposium mit Papierhistorikern und -Wissenschaftlern anläßlich des 600jährigen Jubiläums der Papiermacherei in Deutschland. Hrsg. von Günter Bayerl et al. Frankfurt am Main 1993. Briquet, Charles-Mo'ise, Les filigranes. Dictionnaire historique des marques du papier, des leur apparition vers 1282 jusqu'en 1600. Bd. 1-4. Genf 1907. Neudruck Leipzig 1923. The new Briquet-Jubilee edition, edited by Allan Stevenson. Amsterdam 1968. 4 vols. Von den Findbüchern Piccards erschienen 1961-1997 insgesamt 17 Bücher in 25 Bänden in der Reihe Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg: Sonderreihe Wasserzeichenkartei Piccard im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Diese Reihe erschließt knappe zwei Drittel der Sammlung,
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Ein drittes großes Vorhaben war die Paper Publication Society in Hilversum in den Niederlanden. Sie wurde von dem Engländer E.J. Labarre gegründet. Das wichtigste Ergebnis seiner vielseitigen Arbeit im Dienste der Papierforschung war die monumentale Publikationsreihe Monumenta chartce papyracece historiam illustrantia in insgesamt 15 numerierten und vier zusätzlichen Bänden, die in den Jahren 1950 bis 1978 erschienen.22 Außer den Briquet gewidmeten Bänden wurden in dieser Reihe Darstellungen von Wasserzeichen in verschiedenen europäischen Ländern veröffentlicht. Der Band über die Wasserzeichen in Dänemark und Norwegen erschien 1978.23 Der Band über Finnland und Schweden war noch in Vorbereitung, als die Reihe eingestellt wurde. Der finnische Teil wurde daher als eigenständige Publikation veröffentlicht.24 Während der letzten Jahrzehnte hat die Wasserzeichenforschung bedeutende methodologische und technische Fortschritte gemacht. Die Unzulänglichkeit der Technik wirkte jedoch gewissermaßen hemmend auf die Entwicklung ein. Es gibt bis heute keine zufriedenstellende Methode, die Wasserzeichen und ihre Umgebung auf dem Papier originaltreu wiederzugeben. Viele Techniken wurden erprobt. Das meiste wurde per Hand abgebildet oder abgerieben. Man machte aber Versuche auch mit Photographie, UV-Photographie, Kontaktkopieren, Radiographic und sogar Röntgentechnologie. In dem großen Projekt der Königlichen Bibliothek in Den Haag, eine WasserzeichenDatenbank der in den Niederlanden entstandenen Wiegendrucke aufzubauen, wird Elektroradiographie mit großem Erfolg eingesetzt, trotz der damit verbundenen röntgentechnologischen Probleme.25 Was könnte die neue EDV-Technik auf diesem Gebiet leisten? Wasserzeichen können noch nicht als Scans direkt vom Papier abgebildet werden, obwohl man sich das hätte vorstellen können. Tschudin diskutiert die Möglichkeiten der Scanner-Aufnahme und weist auch darauf hin, dass man mit der EDV-Bilder zoomen und so behandeln kann, dass sogar die kleinsten Einzelheiten auf dem Bildschirm untersucht werden können. Wenigstens in der Theorie könnte man sich vorstellen, dass man mit Hilfe der Scanningtechnik die Wasserzeichen originaltreu reproduzieren könnte, so dass auch die Spuren der Siebstruktur sichtbar würden. Es bleibt zu sehen, wann uns dies gelingen während etwa 37.000 Wasserzeichen unberücksichtigt blieben. Von diesen wurden jetzt etwa 20.000 im Internet publiziert (www.lad-bw.de/piccard) und kostenfrei zugänglich gemacht. Das Projekt betreibt eine enge Zusammenarbeit u.a. mit dem österreichischen Projekt Wasserzeichen des Mittelalters (www.oeaw.ac.at/ksbm/wz/wzma) und hat für die digitale Sammlung eine wohlüberlegte Struktur mit einer effizienten Suchlogik kombiniert. 22
Von den übrigen Veröffentlichungen Labarres sei die Dictionary and encyclopaedia of paper besonders erwähnt. Sie erschien 1952 in zweiter Auflage in Amsterdam. Ein Ergänzungsheft wurde von E.G. Loeber herausgegeben: Supplement to E.J. Labarre, Dictionary and encyclopedia of paper and papermaking by E.G. Loeber. Amsterdam 1967. Band 15 der Reihe Monumenta, der die Darstellung der russischen Wasserzeichen von N.P. Lichacev enthält, wurde nachträglich erst 1994 als Übersetzung aus dem Russischen veröffentlicht.
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Fiskaa, H.M. & O.K. Nordstrand, Paper and watermarks in Norway and Denmark. Amsterdam 1978. (Monumenta charts papyraceae historiam illustrantia, 14.) Karlsson, Kurt K., Finlands handpappersbruk - vattenmärken, ägare och anställda. [Finnische Handpapiermühle - Wasserzeichen, Eigentümer und Angestellte.] Helsingfors 1981. Watermarks in incunabula printed in the Low Countries: http://www.watermark.kb.nl
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wird.26 In dem niederländischen Projekt wurden die Abbildungen zunächst mit der Röntgentechnologie gemacht, bevor man die Aufnahmen scannte und im Internet zugänglich machte. Diese Scanner-Aufnahmen können mit Hilfe der EDV weiter behandelt werden. Es bleibt also nur die erste Abbildung der Wasserzeichen direkt vom Papier, deren Scanning uns noch nicht ohne Probleme gelingt. Die großartige Idee, jedes Wasserzeichen der Welt abzubilden und zu veröffentlichen, wurde schon vor langer Zeit als unrealistisch aufgegeben. Das aktuelle Wort ist jetzt Arbeitsteiligkeit. Für die Wiedergabe, Beschreibung und Klassifizierung der Wasserzeichen wurden internationale Normen entwickelt um sicherzustellen, dass die Dateien, die in verschiedenen Ländern aufgebaut werden, zusammenpassen, also kompatibel sind.27 Von den Forschern, die sich mit Wasserzeichen befassten, können hier im Zusatz zu Briquet und Piccard nur einige Namen als Beispiele erwähnt werden. Karl Theodor Weiß gehörte zu den führenden Wissenschaftlern auf diesem Gebiet und verfasste auch ein Handbuch.28 Sein Sohn Wisso Weiß ist der zweite wichtige Name. Allan H. Stevenson veröffentlichte mehrere Forschungsergebnisse, die von großer Bedeutung für die Papiergeschichte sind.29 U.a. machte er die Forschung darauf aufmerksam, dass die schon früher gut bekannte Tatsache, dass die Papiermacher immer mit einem Formenpaar gearbeitet haben, auch für die Datierung und Identifizierung des Papiers Konsequenzen hat. Zweitens nahm er die Datierung des sog. Missale speciale vor. Das Druckjahr des Missale wurde von Inkunabelforschern lange diskutiert. Im Lexikon des gesamten Buchwesens schreibt Severin Corsten, dass das Missale speciale „zu den am stärksten umstrittenen Büchern der Druckgeschichte" gehöre.30 Aufgrund der Typographie waren viele Buchhistoriker geneigt anzunehmen, das Missale sei das erste mit beweglichen Lettern gedruckte Buch, gedruckt von Gutenberg schon vor dem Psalter. Mit Hilfe seiner Papierforschung konnte Stevenson jedoch feststellen, dass das Buch nicht vor 1473 hat gedruckt werden können.31 Obwohl die skandinavischen Länder keine Großproduzenten handgemachten Papiers waren, betrieb man dort schon lange Wasserzeichenforschung. Die wichtigsten älteren Forscher waren der Norweger Haakon Μ. Fiskaa, der Däne Ove K. Nordstrand, der Schwede Gösta Liljedahl und der Finne Kurt K. Karlsson. Von den jüngeren können u.a. der Finne Nils J. Lindberg und die Dänen Birte Rottensten und Ebba Waaben genannt werden.32 26 27
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U.a. Tschudin 2002 S. 215-216 beschreibt die Problematik und Technik der Scanner-Aufnahme. Tschudin 2002 S. 265-353: IPH-Normenentwurf mit illustriertem Wasserzeichen-Typenkatalog. Für die englischsprachige Fassung der Normung siehe http://www.paperhistory.org/standard.htm Handbuch der Wasserzeichenkunde. Bearb. u. hrsg. von Wisso Weiß. Leipzig 1962. Über Stevenson und seine Forschungsarbeit siehe Needham, Paul, Allan H. Stevenson and the bibliographical uses of paper. In: Studies in bibliography, vol. 47. Charlottesville 1994. Ss. 23-64. Stevenson, Allan H., Watermarks are twins, in: Studies in bibliography, vol. 4 (1951-52). Ss. 57-91. Corsten, S., Missale speciale, in: Lexikon des gesamten Buchwesens. 2. Aufl. Bd. V. Stuttgart 1999. S. 198. The Problem of the Missale Speciale. London 1967. Von den wichtigsten Veröffentlichungen seien die folgenden erwähnt: Fiskaa, H.M. & O.K. Nordstrand, Paper and watermarks in Norway and Denmark. Amsterdam 1978. (Monumenta chart® papyracese historiam illustrantia, XIV). Liljedahl, Gösta, Om vattenmärken i papper och vattenmärksforskning
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Esko Häkli Besonders hat sich die Wasserzeichenforschung im Dienste der Datierung und Identifizierung des Papiers als brauchbar gezeigt. Je mehr Kenntnisse hinzugewonnen wurden, desto vorsichtiger wurden die Forscher jedoch. Um Wasserzeichen als Datierungshilfe erfolgreich einzusetzen, sollte man sich lieber einer Kombination verschiedener Methoden und Datierungshilfen bedienen. Von diesen Methoden seien u.a. Paläographie, Kodikologie und Textforschung aufgeführt. Auf den Gebieten der Musik- und Kunstgeschichte wurde die Wasserzeichenforschung üblicherweise mit Erfolg eingesetzt. Die Erforschung von Musikhandschriften erzielte bedeutende Ergebnisse. Als erster Musikforscher untersuchte Philipp Spitta in seiner frühen Bach-Biographie schon 1880 mit Hilfe der Papier- und Wasserzeichenforschung die Manuskripte von Bach. 33 Wisso Weiß sammelte Anfang der 1950er Jahre die Wasserzeichen der Bach-Manuskripte und seine Arbeit wurde später von Musikwissenschaftlern bei der Datierung der Manuskripte als Hilfsmittel benutzt.34 Besonders hervorzuheben ist aber die Arbeit an Beethoven und Mozart35 Ein gutes Beispiel der kunstgeschichtlichen Forschungsarbeit ist die Erforschung der Produktion der Druckgraphik Rembrandts.36 Unter anderem versuchte man festzustellen, wann seine graphischen Blätter gedruckt wurden, gleich nach Fertigstellung des Stiches oder später in kleineren Mengen je nach Bedarf. Das qualitativ hochwertige Papier war teuer und Rembrandt konnte sich kaum leisten, große Vorräte seiner Werke anzulegen. Die Er-
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(filigranologi) [Über die Wasserzeichen im Papier und Wasserzeichenforschung]. In: Biblis Föreningen för bokhantverk. Ärsbok 1970. S. 91-129. Karlsson, Kurt K., Finlands handpappersbruk - vattenmärken, ägare och anställda. Siehe Anm. 23. Lindberg, Nils J., Paper comes to the North. Sources and trade routes of paper in the Baltic Sea region 1350-1700. Helsinki 1998. (IPH-Monograph series, vol. 2.) Rottensten, Birte & Ebba Waaben, Danske vandmcerker & papirm0ller 1570-1695. Bd. 1-2. K0benhavn 1986-1987. Einen guten Überblick über die Erforschung der Wasserzeichen in der Musikforschung gibt Ulrich Konrad in dem Nachschlagewerk Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 9, Sp. 1914-1921, Kassel 1998. Laut ihm dokumentiert die Bach-Biographie von Spitta „den eigentlichen Beginn von Papierund Wasserzeichenuntersuchungen in der Musikwissenschaft". Der Aufsatz enthält ein ausführliches Literaturverzeichnis. Über die Anwendung der Papierforschung im Dienste der Musikwissenschaft siehe auch Frederick Hudson, „Musicology and paper study - A survey and evaluation" in: Essays in paper analysis. Ed. by Stephen Spector. Washington 1987. S. 34-60. Siehe z.B.: Wolfgang Amadeus Mozart, Neue Ausgabe sämtlicher Werke. Serie X. Supplement. Werkgruppe 33: Dokumentation der Autographenüberlieferung. Abteilung 2: Wasserzeichen-Katalog von Alan Tyson. Textband. Kassel 1992. Abbildungen. Kassel 1992. Tyson leistete eine grundlegende und ausführliche Arbeit, indem er Manuskripte aus zahlreichen Bibliotheken sammelte und mit Hilfe der Wasserzeichen zusammenfügte. Der Textband enthält die Verzeichnisse, der Bildband die Abbildungen der Wasserzeichen. Über seine Arbeitsmethoden hat Tyson am Beispiel von Beethovens LeonoreSkizzenbüchern ausführlich berichtet. Siehe: Tyson, „Beethoven's Leonore Sketchbook (Mendelssohn 15): Problems of Reconstruction and Chronology", in: Essays in paper analysis. Ed. by Stephen Spector. Washington 1987. S. 168-190. Siehe u.a.: Ash Nancy and Shelley Fletcher, Watermarks in Rembrandt's Prints. Washington 1998 und Laurentius, Theo, The Investigation into Rembrandt's Paper, in: Voelbaar Papier. - Tactile Paper. Houten 1996.Die Anwendung der Wasserzeichenforschung auf dem Gebiet der Kunst ist eine Erscheinung der zweiten Hälfte des 20. Jh. Es waren nicht nur wissenschaftliche Interessen, die dahinter standen, sondern auch die Preisteuerung der Kunstwerke, weshalb es wichtig wurde, die Authentizität der Werke sicherstellen zu können.
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forschung der Geschichte der Landkarten bediente sich auf ähnliche Weise der Wasserzeichen, weil das Papier für die älteren Karten dieselbe Rolle spielt wie für die ältere Druckgraphik.37 Ein Gebiet, dem im Kontinentaleuropa weniger Beachtung geschenkt wurde, ist die sogenannte analytische Bibliographie (analytical bibliography), die lange als angelsächsische Spezialität galt. Es ist aber deutlich, dass die Wasserzeichenforschung, zusammen mit den übrigen Methoden der Papierforschung, auf diesem Gebiet erfolgreich war.38
Bibliotheken und das industriell hergestellte Papier Besonders in den 1980er Jahren weckten die Probleme des industriell hergestellten Papiers in den Bibliotheken großes Aufsehen, weil man allmählich einsah, dass der größte Teil der Bibliotheksbestände bedroht war. Man begann zu begreifen, dass die Beständigkeit des Papiers ein riesiges Problem für die Bibliotheken darstellt. Es war erst die Einsicht in das Ausmaß der Probleme, die die Alarmglocken läutete, aber auch in diesem Fall eher unter den zuständigen Bibliotheksleitern und Konservierungsexperten als in den breiten Fachkreisen. Interessant war, dass das Problem an sich in den Bibliotheken nicht völlig unbekannt gewesen war. Diese Kenntnisse wurden aber lange nicht gebührend beachtet, offensichtlich, weil man sich so wenig mit der Geschichte und Chemie des Papiers beschäftigt hatte. Im Prinzip war man sich der Schwäche des sauren Papiers schon gleich nach Beginn der Herstellung bewusst. Dafür gibt es mehrere schriftliche Belege. Ganz konkret können wir darauf hinweisen, dass man z.B. in Deutschland schon in den 80er Jahren des 19. Jh. die ersten Regelungen des Archivpapiers oder Normalpapiers, wie man es damals ausdrückte, einführte. Im Königreich Preußen wurden 1886 „Grundsätze für amtliche Papierprüfungen" erlassen, die 1904 erneuert wurden. Anlass der Regelung der Anwendung des Papiers für offizielle Zwecke waren gerade die Eigenschaften des industriell hergestellten Papiers, die die Beständigkeit der Archivalien bedrohten. Entsprechende Regelungen wurden auch in vielen anderen Ländern eingeführt, bis man im Rahmen der Internationalen Standardisierungsorganisation ISO schließlich und ziemlich spät gemeinsame internationale Normen entwickeln konnte. Auf der praktischen Ebene versuchte man in den 1980er und 1990er Jahren, auf der einen Seite die Qualität des neuen Papiers durch Normungstätigkeit zu beeinflussen und auf der anderen Seite Methoden zu entwickeln, die die Probleme der existierenden 37
38
Als Beispiel der Anwendung der Wasserzeichen in der Geschichte der Kartographie sei erwähnt Wood ward, David, Catalogue of Watermarks in Italian Printed Maps ca 1540-1600. Chicago 1996. Eine interessante und wichtige Arbeit zu diesem Thema ist Bockelkamp, Marianne, Analytische Forschungen zu Handschriften des 19. Jahrhunderts. Am Beispiel der Heine-Handschriften der Bibliotheque Nationale Paris. Hamburg 1982. Bockelkamp weist darauf hin, dass die angelsächsische analytische Bibliographie ihre Ergebnisse „nicht zuletzt" dank der erfolgreichen Papierforschung erreicht hat. Von den einzelnen Forschern erwähnt sie besonders Allan Stevenson. Ein wichtiges Werk unter den Publikationen Stevensons ist in diesem Zusammenhang Catalogue of Botanical Books in the Collection of Rachel McMasters Miker Hunt. Vol. 2. Printed Books 1701-1800. Pittsburgh, Pa 1961.
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Esko Häkli
Bestände lösen könnten. Dank dieser beiden Bestrebungen gibt es heute in einigen Bibliotheken Experten, die Kenntnisse naturwissenschaftlicher Methoden erworben haben, um die Ursachen der Verschlechterung des Papiers zu verstehen und gegen sie anzugehen. Ohne jegliche Kenntnisse der Papierchemie ist es schwer, die Probleme zusammen mit den Vertretern der Papierindustrie zu erörtern. Trotz der Tatsache, dass man in den Bibliotheken jetzt vermutlich besser als früher über die Probleme der Papierqualität und des drohenden Papierzerfalls informiert ist, hielt sich das Interesse an der Papiergeschichte in Grenzen. Es sind zahlenmäßig wenige, die sich Gedanken darüber machen, wie das Papier hergestellt wurde und wo die Ursachen der Brüchigkeit des Papiers zu finden sind. Die praktischen Bedürfnisse der Bibliotheken haben also kein erhöhtes Interesse an papiergeschichtlicher Forschung zur Folge. Auch wenn es zur Zeit attraktiver zu sein scheint, Probleme der elektronischen Publikationen zu untersuchen, ist es wichtig, dass die Bibliothekare auch über Grundkenntnisse der Papiergeschichte verfügen. Die Papierindustrie hat mehrere wichtige Schritte gemacht, die man besser kennen sollte, um die verschiedenen Phasen der Entwicklung der Papierqualität verstehen zu können. Aus der Sicht der Beständigkeit des Papiers sind nicht alle Schritte nur Fortschritte gewesen, weshalb alle diejenigen, die verantwortlich für die Erhaltung der Bestände sind, wenigstens diese Faktoren kennen sollten, seien sie als Bibliothekare, Archivare, Konservatoren oder Restauratoren tätig. Als Beispiele der Maßnahmen, die die Papierqualität nachteilig beeinflussten, können u.a. folgende Neuerungen erwähnt werden. Erstens die Inbetriebnahme des Holländers nach 1670 bei der Behandlung der Lumpen. Die Produktivität der Papierherstellung wurde erheblich erhöht, die Qualität des Fibermaterials aber verschlechterte sich. Das frühe Stampfwerk behandelte die Fiber schonend, während der Holländer sie schnitt und abriss. Das zweite Beispiel sind die neuen Bleichmethoden unter Anwendung von Chlor, 1774 von Karl Wilhelm Scheele als Bleichmittel entdeckt - Chlor schädigte die Fiber. Der nächste Schritt war die vegetabilische Leimung mit Harz und Alaun, von Moritz Friedrich Iiiig 1807 erfunden, die das Papier sauer machte. All diese Schritte wurden also schon vor der Zeit des Holzschliffs getan und sie zeigen, dass nicht einmal das Lumpenpapier problemlos war, ganz abgesehen von der Qualität der Lumpen, die den Papiermachern große Probleme verursachte. Eine wirkliche Revolution war selbstverständlich der Übergang zum Holzschliff und die Kombination des Lignins und der sauren Leimung mit Harz und Alaun bei der Herstellung holzhaltigen Papiers. Die wichtigste Erneuerung im Hinblick auf die Zukunft war doch der Übergang vom sauren Herstellungsprozess zu einem neutralen Prozess während der letzten Jahrzehnte. Dieser Schritt bedeutet, dass das Papier, das aus dem mit chemischen Methoden erzeugten Zellstoff hergestellt ist, tatsächlich alterungsbeständig ist. Dies trifft selbstverständlich nicht auf solches Papier zu, dessen Rohstoff der Holzschliff ist. Weil der Übergang zu diesem neutralen Prozess schrittweise eingeführt wurde, kann man keine bestimmte Jahreszahl angeben, von der an das Papier haltbarer ist als früher. Auch in diesem Falle sind Kenntnisse der Papiergeschichte und Papierchemie ausschlaggebend, was die praktischen Konsequenzen für die Beständigkeit der Bibliotheksbestände betrifft. 190
Papiergeschichte
- in den Bibliotheken
noch
aktuell?
Der Horizont wäre aber allzu eng, beurteilte man die Geschichte des Papiers nur aus der Sicht des praktischen Nutzens. Die Geschichte des Papiers ist zu gleicher Zeit ein spannendes Kapitel der Geschichte unserer ganzen Zivilisation und daher keineswegs uninteressant. Das Papier ist die Basis der geistigen Entwicklung und des gesellschaftlichen Lebens und wird auch in Zukunft eine tragende Rolle haben. Vieles aus der Geschichte dieses einzigartigen Kulturträgers wissen wir noch nicht. Vieles ist zwar unter den Experten längst bekannt, bleibt aber den weiteren Kreisen verborgen. Diese Kenntnisse in den Bibliothekskreisen zu verbreiten ist immer noch wichtig, weil wir uns damit abfinden müssen, dass das Zusammenleben der elektronischen Medien und Printmedien auch in Zukunft weiterbestehen wird.
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Barbara Mittler und Thomas A. Schmitz
„Gutenberg kam nur bis Gonsenheim" Gründe, warum Gutenbergs Erfindung weder in China noch bei den alten Griechen eine entscheidende Rolle gespielt hat. Ein (nicht ganz ernstgemeinter) west-östlicher Dialog1
1. Prolog 1919 veröffentlichte der französische Schriftsteller Jean Giraudoux seinen Roman Elpenor, in dem er augenzwinkernd die wahre Geschichte der Irrfahrten des Odysseus vorstellt. Insbesondere lüftet Giraudoux das Geheimnis um die Begegnung mit den Sirenen. Bekanntlich verstopfte Odysseus die Ohren seiner Mannschaft mit Wachs und ließ sich selbst an den Mast binden, um ihren verführerischen Gesängen zu lauschen. Giraudoux nun stellt ausführlich vor, was die Sirenen sangen: Sie raten Odysseus, 30 Tage weit über die Säulen des Herakles, d. h. die Straße von Gibraltar, nach Westen zu fahren, dort werde er einen neuen Kontinent entdecken. Oder er solle Holzkohle mit Salpeter mischen und so Kugeln auf seine Feinde schießen. Oder er solle spiegelverkehrt Buchstaben in Holz oder Kupfer einritzen, die Platte mit schwarzem Öl überziehen und dann auf ein Gewebe drücken, so werde er seine Taten unsterblich machen können. Leider bekommt Odysseus von all diesen famosen Ratschlägen nichts mit, denn seine Matrosen machen einen so infernalischen Lärm, daß er die Sirenen überhaupt nicht hören kann. So kam es, daß die griechische Antike weder den Kompaß erfand und Amerika entdeckte noch das Schießpulver entwickelte noch den Buchdruck. Einen griechischen Gutenberg gab es offensichtlich nicht, und deswegen blieben die Griechen immer alte Griechen, ist die Antike immer „alte Zeit" geblieben. Denn, so argumentiert Francis Bacon, in seinem Novum Organum 1620, die Erfindung der Druckkunst ist ein wichtiger Grundstein einer neuen Zeit: Schießpulver, Magnet und Druckwesen - drei Erfindungen, die den alten Griechen gänzlich unbekannt waren - diese drei, so formuliert er, haben das Gesicht und den Status aller Dinge auf der Welt verändert. Kein Reich, keine Religion habe je stärkeren Einfluß auf das menschliche Leben ausgeübt. Im Gegensatz zu den alten Griechen jedoch waren diese drei Dinge - wie eine ganze Reihe anderer großer Erfindungen, die im Westen den Anbrach der Neuzeit überhaupt erst ermöglicht haben - den alten Chinesen durchaus bekannt, und zwar lange JahrDieser kurze Aufsatz geht auf einen gemeinsamen Vortrag zurück, der aus Anlass der Ausstellung „Gutenberg und sein Wirkung. Eine Wanderung durch die Welt des frühen Buchdrucks" im Oktober 2000 in der Paulinerkirche zu Göttingen gehalten wurde. Dieser Vortrag war ursprünglich nicht für eine Publikation vorgesehen; erbasiert nicht auf eigenständigen Forschungsarbeiten der beiden Autoren, sondern fiktionalisiert lediglich einige der Informationen, die sich über die Druckkunst in China und Griechenland in einschlägiger Literatur finden lassen.
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Barbara
Mittler
und Thomas A.
Schmitz
hunderte vor Gutenberg, ja einige, wie Kompaß und Schießpulver, kamen im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts über Persien und die arabischen Länder aus dem fernen China nach Europa. Weshalb trotz allem die Neuzeit in Europa begonnen haben soll und nicht in China, und warum sie auf europäischem Boden erst so spät begonnen hat und nicht bereits im 4. Jahrhundert vor Christus, bei den alten Griechen, die doch durchaus die intellektuellen Kapazitäten hatten, so etwas wie den Buchdruck zu erfinden, diesen beiden Fragen wollen wir in unserem fiktiven und nicht immer ganz ernsten Dialog zwischen einem imaginierten griechischen und einem ebenso imaginierten chinesischen Weisen nachgehen, die wir auf Zeitreise geschickt haben, damit sie miteinander über die Errungenschaften der europäischen Neuzeit, von Gutenberg bis zum Internet, diskutieren können.
2. Dialog DER CHINESE: Was ist eigentlich so besonders an dem, was dieser Gutenberg getan haben soll? Den Buchdruck soll er erfunden haben, Mitte des 15. Jahrhunderts. Aber warum bitte wird so jemand zum Mann des Millenniums? In meiner Heimat hat die Kunst des Druckens bereits fast zwei Millennia vor Gutenberg ihre Wurzeln: Nicht von ungefähr ist das Wort, das wir heute im modernen Chinesisch für „Drucken" verwenden, dasselbe Wort wie das für ein Siegel Yin EP, also einen Druckstempel, der sicher bereits vom ersten großchinesischen Kaiser Qin Shihuang, im 3. vorchristlichen Jahrhundert, gebraucht wurde und, wie ich höre, Deinen alten griechischen Vorfahren ja auch nicht unbekannt war. Interessante Funde von mit Ton versiegelten Dokumenten auf Holz aus der Zeit der Han-Dynastie (200 v. Chr bis 200 n. Chr.), die in chinesisch Turkestan gefunden wurden, zeigen einerseits als Siegelbilder chinesische Schriftzeichen, Elephanten und indische Embleme, andererseits aber auch Köpfe von Zeus, Eros und Medusa.2 DER GRIECHE: Das ist ja eine merkwürdige Geschichte: Genau um diese Zeit ist ein junger König aus Makedonien, den wir Alexander den Großen nennen, zu einem Feldzug nach Osten aufgebrochen. Bis nach Indien ist er gekommen, und überall hat er griechische Städte gegründet und die griechische Kultur verbreitet. Und so werden die Siegelbilder mit unseren griechischen Göttern wohl auch über Indien zu Euch gekommen sein. DER CHINESE: Dann wäre das also eine griechische Erfindung? DER GRIECHE: Nicht wirklich! Denn ursprünglich stammen die Siegel aus dem Mittleren Osten, aus Babylonien und vor allem aus Mesopotamien. Dort gab es die berühmten Rollsiegel, mit deren Hilfe man Schriftstücke eindeutig identifizieren konnte. Wie so vieles andere haben meine Landsleute auch diese Erfindung aus dem Orient übernommen und weiterentwickelt. Und dann haben sie sie wieder nach Osten zurückgetragen, bis sie bei Euch ankam. 2
Vgl. Thomas Francis CARTER & L. Carrington GOODRICH The Invention of Printing in China and its Spread Westward, New York 2/1955 (orig. 1925), 12.
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„ Gutenberg kam nur bis Gonsenheim "
DER CHINESE: Im chinesischen Fall wurden die Schriftzeichen zunächst eingeritzt in das Siegel, das geformt ist aus Jade, Gold, Silber, Kupfer, Eisen oder RhinozerusHorn. So erschienen die mit Ton (für Holz) oder Tinte (für Papier) bestrichenen Außenflächen des Siegels im Abdruck rot, die Schriftzeichen weiß. Etwa um 500 nach Christus kam man auf die Idee, die Siegel seitenverkehrt und in Relief einzuschneiden. Dies war ein wichtiger Schritt in der Vorgeschichte des Drucks, denn beim Holzblockdruck wurden schließlich genauso die Schriftzeichen seitenverkehrt und in Relief aus den Holzblöcken geschnitzt. Einen Zwischenschritt vom Siegel zum Holzblockdruck bilden große Holzsiegel, die bis zu 120 Schriftzeichen umfassen konnten und etwa ab dem 4. Jahrhundert zum Druck daoistischer Zauberformeln benutzt wurden.3 Eine weitere Urform des Drucks, die bei der späteren Entwicklung des Holzdruckverfahrens eine Rolle spielen sollte, waren Steinabreibungen. Steinstelen mit Inschriften sind natürlich in keiner der Hochkulturen etwas Besonderes, doch ließen die chinesischen Kaiser seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. regelmäßig die chinesischen Klassiker in Stein ritzen, um eine autoritative, für alle verbindliche Version der Schriften der Weisen zu haben und die unzähligen Fehler, die beim Abschreiben auf Bambusstreifen entstanden, zu vermeiden. In dem Bericht aus den Han-Annalen, der diese erste autoritative Stein-Version der Klassiker beschreibt, wird übrigens - ganz nebenbei vielleicht ein erster Hinweis auf chinesische Verkehrsprobleme gegeben, die, so scheint es, wenn auch aus anderen Gründen, auch heute noch nicht gelöst sind: Dort heißt es nämlich, es seien so viele Menschen gekommen, sobald die Steine aufgestellt worden waren, um Abreibungen zu machen, daß Tausende von Wagen jeden Tag in die Hauptstadt strömten und die Straßen und Alleen so blockierten, daß kein Durchkommen mehr war.4 Technisch entstanden Abreibungen, indem man feuchtes Papier auf die SteinInschriften aufpresste, es antrocknen ließ und anschliessend mit Tusche bestrich. Der Text erschien also wieder, wie beim frühen Siegeldruck, weiß auf dunklem Grund. Erst einige Jahrhunderte später sollte es auch reliefartige Steininschriften geben, die damit die Abreibung in schwarz auf weiss ermöglichten.5 Vom Prinzip her unterschied sich der chinesische Holzdruck, der wahrscheinlich im 7. Jahrhundert als Technik entwickelt wurde und ab dem 9. Jahrhundert gängig war, denn auch nicht maßgeblich von der Steinabreibung: Jeder Druckstock umfasste den Text einer Doppelseite. Ein Bogen relativ dünnen Papiers wurde einseitig mit dieser Seite bedruckt. Der Drucker schwärzte dazu den Stock mit dem einen Ende einer doppelseitigen Bürste, legte das Papier auf die geschwärzte Seite des Druckstocks und machte einen Abdruck, indem er mit dem anderen Ende seiner Bürste über das Papier fuhr. Im Unterschied zur Steinabreibung wurde hier allerdings der Holzblock eingeschwärzt, nicht Tinte auf das Papier aufgetragen, was dann aber bedeutete, daß die Zeichen im Holzblock seitenverkehrt ausgeschnitten werden mußten! Zu diesem Zweck wurde auf eine Oberfläche aus Grundierleim eine auf sehr dünnem Papier geschriebene Druckvorlage 3 4
5
CARTER/GOODRICH 13. CARTER/GOODRICH 20. Die erste erhaltene Abreibung ist allerdings sehr viel später zu datieren, etwa aus dem 7. Jhdt. Die Geschichte des chinesischen Buches (LIU Guojun und ZHENG Rusi Hrsg.), Beijing 1988, 23-24, u. 25.
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Barbara Mittler und Thomas A. Schmitz
seitenverkehrt aufgelegt. Der Holzschneider schnitt dann den Stock um die Schriftzeichen herum. Dieses Verfahren ermöglichte die Wiedergabe aller möglichen kalligraphischen Stile oder Mischungen von Stilen jeglicher Schriftzeichengröße und machte es leicht, sowohl Text als auch Illustrationen wiederzugeben. So konnte sich in den Ländern des chinesischen Kulturkreises die Illustration im Blockdruckverfahren parallel zum Text entwickeln, während das Bild in den gedruckten Werken Europas doch erst verhältnismäßig spät üblich wurde. Seit Einführung des Blockdrucks waren die chinesischen Druckprodukte, wie didaktische Literatur, so zum Beispiel Biographien vorbildlicher Frauen, Romane oder auch wissenschaftliche Bücher - Herbarien, Abhandlungen über Technik, Archäologie, Medizin oder Architektur - und, wie am Beispiel des ersten gedruckten Textes, des Diamantsutra aus dem 9. Jahrhundert deutlich wird, auch religiöse Texte, in ihrer Mehrzahl mit Illustrationen von oft bemerkenswert hoher Qualität versehen. DER GRIECHE: Das ist hervorragend, solche ausgefeilten und detailreichen Illustrationen mußten bei uns mühsam von Hand gemalt werden. DER CHINESE: Das chinesische Holzdruckverfahren ermöglichte aber nicht nur die Kombination von Bild und Text. Es hatte noch weitere Vorzüge: An den Stöcken konnten leicht Korrekturen vorgenommen werden, indem man von neuem schnitzte, Holzplättchen in den Stock einsetzte oder von neuem gravierte. Außerdem konnten von einem so gefertigten Stock sehr viele Abzüge gemacht werden, bevor sich gravierende Abnutzungserscheinungen bemerkbar machten, da eben keine Druckerpresse benutzt wurde. Aber zurück zum Zusammenhang zwischen Steininschriften und -abreibungen und der Entwicklung der Holzdruckkunst in China. Deren enge Verknüpfung lässt sich unter anderem auch daran erkennen, daß die ersten Holzblöcke für Druckausgaben der Klassiker aus den ersten Jahrzehnten des 10. Jahrhunderts nach der Vorlage der letzten Steinklassiker, die ein Jahrhundert vorher, in der Tang-Dynastie zwischen 836 und 841 in Stein geritzt worden waren, erstellt wurden.6 Parallel zum Holzdruckverfahren wurden über die Jahrhunderte hinweg und bis auf den heutigen Tag weiterhin Abreibungen von den Steinstelen benutzt (u. a. deswegen, weil man auf diese Weise schöne Kalligraphie direkt übertragen konnte), für die Klassiker wurde die Steinabreibung sogar als autoritative Version vor den Drucken bevorzugt, ein Punkt, auf den ich später noch einmal zurückkommen möchte.7 All diese Entwicklungen konnten natürlich nur deswegen vor sich gehen, weil auch das Papier als ein billiges, flexibles Material in China bereits ein gutes Jahrtausend früher als in Europa bekannt war: Cai Lun, so schreiben es die Legenden, ein Eunuch aus dem 2. Jahrhundert nach Christus, erfand im Jahre 105 das Papier, eine Mischung aus Hanffasern, Maulbeerbaumrinde, alten Fischernetzen und Lumpen aus Seide. Tatsächlich gibt es archäologische Funde von Papier bereits aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert. Und auch in schriftlichen Quellen vor Cai Lun wird die Papierproduktion bereits beschrieben. In „politisch korrekten" Publikationen aus der Volksrepublik China kann man lesen, daß somit in Wahrheit die arbeitenden Massen das Papier erfunden hätten und Cai Lun nur das Verdienst zustehe, deren Mühen öffentlich gemacht zu 6 7
Geschichte des chinesischen Buches, 25. CARTER/GOODRICH 21.
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„Gutenberg
kam nur bis
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haben.8 Die Tatsache, daß der Seidenanteil des chinesischen Papiers über die Jahrhunderte immer mehr abnahm, während der Hanfanteil immer mehr zunahm, bedeutete, daß Papier zunehmend ein erschwingliches Produkt wurde.9 Kein Wunder also, daß es sich bis in das 4. Jahrhundert überall durchgesetzt hatte und die alten Schreibmaterialien wie Holz bzw. Bambusstreifen ersetzte. DER GRIECHE: Wir hatten ja auch ein recht billiges Schreibmaterial, von dem übrigens das Papier seinen Namen hat, den Papyrus, der aus dem Mark einer vor allem in ägyptischen Sümpfen gut gedeihenden Pflanze gewonnen wird. Seit dem 5. Jh. v. Chr. wurde er in großen Mengen nach Griechenland eingeführt und war so billig, dass mit ihm sogar Lebensmittel eingewickelt wurden - so sagte man von besonders schlechten Dichtungen, sie taugten höchstens dazu, Fische darin zu verpacken. Später trat dann das aus Tierhäuten bereitete Pergament in Konkurrenz zum Papyrus und verdrängte ihn schließlich völlig, als in der Spätantike und mit der Völkerwanderung der Seehandel immer unsicherer wurde und schließlich zusammenbrach. Aber natürlich war Pergament wesentlich teurer als Papyrus, und das erklärt, warum im Mittelalter Bücher so kostbar waren: Für einen dicken Wälzer mußten ganze Schafherden ihr Leben lassen. So war es denn eine revolutionäre Entdeckung für Europa, als seit dem 10. Jh. die Araber, die es von den Chinesen gelernt hatten, Papier auch nach Byzanz exportierten und dann im 13. Jahrhundert die Italiener die Kunst der Papierherstellung erlernten. DER CHINESE: Das, was in Europa wie eine Revolution erscheinen mußte, die mechanische Vervielfältigung von Schriftstücken auf erschwinglichem Material, war eine in China seit Jahrtausenden gewachsene und lange bekannte Kunst, die einem Chinesen deswegen ganz und gar nicht revolutionär vorkommen konnte und kann. DER GRIECHE: Naja, Du redest hier von primitiven Vorformen des Drucks und dann vom Blockdruck, aber bei Gutenbergs Revolution geht es doch eben um den Druck mit beweglichen Lettern. DER CHINESE: Jaja, bewegliche Lettern, Du glaubst aber doch nicht, daß nicht auch diese Idee in China irgendwann mal aufgekommen sei. Natürlich ist sie das, ja, streng genommen haben wir in China nicht nur einen, sondern sogar zwei Gutenbergs, die die Kunst des Drucks mit beweglichen Lettern erfunden und dann wiedererfunden haben, und das wiederum eine ganze Weile vor Eurem Gutenberg. Da ist zunächst Bi Sheng ^ H · , seines Zeichens Schmied und Alchimist, der als erster zwischen 1041 und 1049 begann, mit beweglichen Lettern aus Ton zu experimentieren, aber bereits zu seiner eigenen Zeit und seither sowieso wieder in Vergessenheit geraten ist. Nur weil er als ein „Vertreter der Arbeiterklasse" gelten kann, wird er im gegenwärtigen China ab und an noch erwähnt. Unser zweiter Gutenberg, allerdings auch nicht erfolgreicher als sein Vorgänger, war Wang Zhen I M , der um 1313 die Techniken Bi Shengs neu beschrieb und zu verfeinern suchte. Bi Shengs Druckmethode bestand darin, Einzeltypen aus Ton in einem eisernen Rahmen, der mit einer Mischung aus Kieferharz, Wachs und Papierasche gefüllt wurde, zusammenzusetzen. Zum Justieren wurde der Eisenrahmen in die Nähe eines Feuers
9
Geschichte des chinesischen Buches, 61. Geschichte des chinesischen Buches, 58-60.
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Barbara Mittler und Thomas A. Schmitz
gebracht, damit die Wachsschicht geschmeidig wurde. Anschließend wurde mit einem völlig ebenen Brett über die Oberfläche gerieben, bis die Lettern in exakt gleicher Höhe angeordnet waren. Die Setzform wurde abgekühlt und zum Drucken eingeschwärzt. Im Anschluß an den Druckvorgang wurde die Setzform erhitzt, um das Wachs zu schmelzen und die Lettern freizulegen. Das Verfahren wurde später auch mit Metalltypen weitergeführt, verdrängte aber nie den Holzblockdruck.10 Wang Zhen nun favorisierte für seine Neuauflage des Letterndrucks 300 Jahre nach Bi Sheng Holzlettern, da seiner Meinung nach die gebräuchlicheren Ton- und Metalllettern nicht ohne weiteres die traditionellen wasserlöslichen chinesischen Druckerschwärzen annahmen und sich schnell abnutzten (Holzlettern waren außerdem, und das war wahrscheinlich eine entscheidende Überlegung für Wang Zhen, wesentlich billiger als Metallettern, und diese ökonomische Komponente der Technologie ist ein Punkt, auf den ich noch einmal zurückkommen kann). Wang Zhens Holzlettern wurden Stück für Stück von Hand gefertigt: In einen Holzblock wurden Schriftzeichen geschnitzt. Der Holzblock wurde dann mit einer kleinen feinzähnigen Säge zerschnitten, bis jedes Schriftzeichen separat ausgesägt war. Diese einzelnen Schriftzeichen wurden dann mit einem Messer auf allen vier Seiten bearbeitet, bis sie einheitlich die gleiche Länge und Höhe aufwiesen. Die Lettern wurden in Kolumnen gesetzt, die durch Bambusstreifen voneinander getrennt waren. Nachdem alle Lettern in eine Form eingesetzt waren, wurden die Zwischenräume mit hölzernen Zapfen gefüllt, bis die Lettern völlig fest saßen und nicht mehr verrutschen konnten.11 Wang Zhen entwickelte zur Vereinfachung des Setzvorgangs eine Art Drehscheibe, die die Auswahl und Zusammenstellung der Lettern erleichtern sollte. Auf dieser Drehscheibe befand sich ein runder Bambusrahmen, der nach den chinesischen Reimschemata in viele einzelne Sektoren eingeteilt war. Die einzelnen Schriftzeichen innerhalb einer Reimgruppe waren numeriert und in zweckmäßige Klassen aufgeteilt. Die gebräuchlichsten Schriftzeichen waren auf einer weiteren drehbaren Scheibe von gleicher Größe angeordnet. Zur Herstellung der Druckplatte nahm zwischen den Scheiben der Setzer Platz, der die Scheiben von rechts nach links drehte, um die gewünschten Lettern herauszunehmen und in den Setzrahmen einzupassen. Der Drucker, der die Druckvorlage vor sich hatte, verlangte nach den Zeichen, indem er eine Nummer nannte, während der Setzer sie aus dem Drehtisch nahm und in eine Setzform legte. Die Lettern wurden dann in Kolumnen angeordnet und mit Bambuskeilen fest verkantet. Schließlich wurde die ganze Seite vollkommen glatt gestrichen, geschwärzt, und es wurde ein Abdruck genommen. Nach dem Druck wurden die Lettern auseinandergenommen und in die entsprechenden Kastenfächer auf den Drehtischen zurückgelegt. Statt der Setzscheibe wurde seit dem 18. Jahrhundert auch die Aufbewahrung der Einzeltypen in nach den 12 Unterteilungen des Kangxi-Wörterbuches geordneten Schubfächern populär.12 Ob auf einer Drehscheibe angebracht, in Schubladen verstaut oder in Kästen angeordnet, bis auf den heutigen Tag basiert der reguläre Druckerhandsatz auf Wang Zhens Vorlage und umfaßt etwa 30.000 Schriftzeichen. Allerdings reichten diese 10 11 12
Geschichte des chinesischen Buches, 92-94. TWITCHETT Denis Printing and Publishing in Medieval China, New York, 1983, 62-64. SHAW Shiow-jyu Lu The Imperial Printing of Early Ch'ing China, 1644-1805, Taibei 1983, 56.
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„ Gutenberg
kam nur bis Gonsenheim
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30.000 Schriftzeichen bei weitem nicht zum Druck eines jeden Werkes aus, immer wieder mußten seltene Zeichen ad hoc nachgeschnitzt werden: Wang Zhen selbst erklärte - und machte damit nicht gerade Propaganda für sein Verfahren - , dass er für den Druck einer Lokalgeschichte mehr als 60.000 Lettern schneiden lassen mußte und daß deren Anfertigung länger als zwei Jahre dauerte. Allein diese Zahlen mögen erklären, warum für uns Chinesen der Druck mit beweglichen Lettern nicht vor dem Zeitalter der industriellen Mechanisierung dieselbe Bedeutung erlangen konnte wie für die Europäer. Oberflächlich gesehen stellte der Gebrauch von beweglichen Lettern zum Drucken chinesischer Schriftzeichen zwar eine logische und geradlinige Entwicklung dar. Auch ist die chinesische Schrift sozusagen wie geschaffen für den Druck mit beweglichen Lettern: Die chinesische Kalligraphie und Typographie sieht vor, daß jedes chinesische Schriftzeichen den gleichen quadratförmigen Raum einnimmt. Dabei werden die Schriftzeichen in senkrechten Kolumnen angeordnet, die in traditionellen Werken gewöhnlich durch eine dünne Linie voneinander getrennt sind. Ein chinesischer Setzer mußte sich daher nicht mit der Problematik der Abstände oder des Layouts befassen, der sich der westliche Typograph beim Letterndruck gegenübersah.13 Außerdem barg der Druck mit Holzdruckstöcken natürlich seine Unannehmlichkeiten, was wiederum den Letterndruck durchaus attraktiv erscheinen ließ: Allein die riesige Zahl an Druckstöcken und deren Lagerung machte es vergleichsweise bequem, mit ein paar 10.000 kleinen beweglichen Lettern zu hantieren. Für die Gesamtausgabe der chinesischen buddhistischen Schriften zum Beispiel, die im 10. Jahrhundert vorgenommen wurde, wurden nicht weniger als 130.000 zweiseitig geschnitzte Platten benötigt, die 130 Abschnitte eines eigens hierfür erstellten Lagerhauses belegten.14 Für den bald darauf erstellten Kanon der daoistischen Schriften (1019) waren es 83.198 Stöcke. In einer Auszählung der 1769 für die kaiserliche Druckerei zur Verfügung gehaltenen Druckstöcke wird von 405.574 Holzplatten geredet (bei ca. 240 Titeln).15 Da die Druckstöcke wenig abgenutzt wurden, konnten - oder mußten - sie auf praktisch unbegrenzte Zeit gelagert werden. So kommt es, daß die Stöcke einiger Bücher aus dem 17. Jahrhundert noch bis in das 20. Jahrhundert hinein zum Druck benutzt wurden. Das Volumen der Druckstöcke war also einerseits von Nachteil, andererseits aber auch wieder von Vorteil. Sie waren zu riesig und schwer als daß sie so leicht geklaut werden konnten wie Holz- oder Metallettern. Entsprechend war sicher nicht nur Großmut im Spiel, als 1744 etwa von den Literaten in der kaiserlichen Druckabteilung ein Memorandum an den Kaiser geschickt wurde, man möge doch ob der Kupferknappheit ruhig die Lettern der kaiserlichen Druckerei einschmelzen und in Geldmünzen verarbeiten: Nur so konnte unbemerkt bleiben, daß ein großer Teil der Letternsammlung sowieso schon zwischenzeitlich entwendet worden war.16 In vieler Hinsicht mußten also die beweglichen Lettern in chinesischen Augen als allzu vergänglich erscheinen - und dafür doch viel zu teuer und mühsam herzustellen: 13 14 15 16
TWITCHETT 60. Jacques GERNET Die chinesische Welt, Frankfurt 1988, 284-289. Vgl. SHAW 16. SHAW 48.
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Barbara Mittler und Thomas A. Schmitz
Der Besitz eines metallenen Letternsatzes von mehreren Zehntausend Schriftzeichen aus massivem Kupfer in einem Land, das unter solch einem chronischen Kupfermangel litt, daß selbst die Herstellung von Münzen problematisch war, erforderte eine zu hohe Investition, allein im Hinblick auf das Metall.17 Holzblöcke andererseits konnten, wie bereits gesagt, immer nochmals geschnitten und korrigiert, und im Gegensatz zu den gesetzten Seiten für weitere Editionen aufbewahrt werden. Der chinesische Blockdruck hatte also den großen Vorteil, ein billiges und anpassungsfähiges Reproduktionsverfahren für geschriebene Texte und figürliche Darstellungen zu sein, das keine großen Investitionen erforderte. Und der chinesische Holzdruck war immer genauer und verläßlicher als der Druck mit beweglichen Lettern: Es war extrem diffizil, einzelne Holzlettern mit ausreichend hoher Präszision herzustellen, Keramiklettern andererseits waren zerbrechlich, und weder Metall- noch Keramiklettern erzielten beim Druck mit chinesischer Tusche ein ebenmäßiges Druckbild. Außerdem und vor allem bot der Druck mit beweglichen Lettern einfach aufgrund der Natur der chinesischen Sprache, die sich eben aus Wortzeichen, nicht Buchstaben zusammensetzt, keinen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Holzdruckverfahren. Der Letterndruck, ein technisches Verfahren, das für ein alphabetisches Schriftensystem mit einer kleinen Menge vergleichsweise einfacher Zeichen wie geschaffen sein sollte, stellte sich als ausgesprochen unwirtschaftlich und unhandlich heraus, als er für den Druck einer Schrift verwendet wurde, die einen beständigen Vorrat von mehreren 10.000 Schriftzeichen erforderte, die permanent durch neue Schriftzeichen, die nicht zum Bestand gehörten, ergänzt werden mußten. Es besteht eine inhärente Schwierigkeit beim Setzen dieser Schrift mit einer nahezu unbegrenzten Anzahl an Schriftzeichen. Die größten chinesischen Lexika enthalten mehr als 40.000 verschiedene Zeichen, und dennoch erschöpft keines dieser Lexika den tatsächlichen Zeichenbestand der chinesischen Sprache. Entsprechend hat kein chinesischer Drucker jemals einen „vollständigen" Letternsatz besessen, der jedes chinesische Schriftzeichen enthalten hätte. Selbst heute, nach jahrzehntelangen Bemühungen, die Zahl der verwendeten Zeichen zu begrenzen, benötigt ein chinesischer Drucker einen aktiven Bestand von mehr als 8.000 Zeichen. Und auch heute noch kommt es vor, daß fehlende Lettern eigens geschnitten werden müssen, wie es schon Bi Sheng und auch Wang Zheng getan hatten. Die damals aufgetretenen Probleme sind auch noch heute aktuell. Selbst im Zeitalter der Computer und der fortgeschrittenen Fotosatztechnik sind die Probleme, die die Speicherung und der effiziente Zugriff auf einen so enorm großen Zeichensatz aufwerfen, nur schwer zu lösen.).18 Die inhärente Schwierigkeit beim Setzen einer solchen Schrift bedeutete, daß der Letterndruck für Chinesen keinen wirklich entscheidenden Fortschritt gegenüber dem Blockdruck darstellen konnte. War also die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern für Europa, wo ein paar Hundert Lettern zum Druck aller nur erdenklichen Texte genügten, eine wegweisende Erfindung, so konnte sie in einer Welt, deren Reichtum gerade in der Fülle und Mannigfaltikeit der Schriftzeichen bestand, nicht die gleiche Tragweite haben. Nicht von ungefähr bemerkte Matteo Ricci zu Beginn des 17. Jahrhunderts, chinesische 17 18
TWITCHETT 72. TWITCHETT 66.
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„Gutenberg
kam nur bis
Gonsenheim"
Blockdrucker brauchten nicht länger dazu, eine Holzdruckplatte zu schneiden, als die europäischen Typographen, um eine Seite zu setzen - zum Letterndruck machte er, auch das kein Zufall, keine Angaben. DER GRIECHE: In der Tat wäre der Druck mit beweglichen Lettern für die griechische Kultur attraktiv gewesen; immerhin umfaßt unser Alphabet ja lediglich 24 Buchstaben, aus denen sich sämtliche Wörter zusammensetzen. Interessanterweise benutzten übrigens unsere Naturwissenschaftler für das Konzept des „Elements" dasselbe griechische Wort (στοιχεϊον, stoicheion) wie für die Buchstaben, weil alle bekannten Gegenstände bzw. Wörter sich aus diesen kleinsten Elementen zusammensetzen. Unseren Denkern waren also schon durchaus die Konzepte vertraut, auf denen der Druck mit beweglichen Buchstaben beruht. Aus diesen Gedanken aber eine neue Technik zu entwickeln, war in unserer Kultur kein logischer Schritt. Da ist zunächst einmal ein gewisses Mißtrauen gegenüber allem Neuen - man hält lieber an bewährten Traditionen fest, und „Innovation" war bei uns kein lobendes Beiwort für kluge Aktivitäten, sondern ein anderer Begriff für „Umsturz" und „Wirren", also keineswegs positiv; und dann ist da auch das Mißtrauen gegenüber der Technik. DER CHINESE: Das ist ja interessant! Denn auch wir Chinesen haben immer ein durchaus gespaltenes Verhältnis zum Neuen und damit verbunden zur technischen Finesse gehabt. Daß etwa die letzte Kaiserinwitwe Cixi ihrem Sohn verbot, mit ausländischem Spielzeug zu spielen, kleinen Eisenbahnen und Dampfschiffen etwa, läßt sich nicht nur aus ihrem Haß gegen die Ausländer erklären, sondern hatte auch viel mit der Abscheu gegen Technik zu tun, die unter Chinesen weitverbreitet ist: technische Fertigkeit und Erfindergeist wurden als sonderbar, ja manchmal sogar anrüchig angesehen. Zhuge Liangs (181-234) berühmter hölzerner Ochse (kein trojanisches Pferd) und sein fliegendes Pferd waren anerkannt nur als Maschinchen eines listigen Kriegshelden, der aber unmöglich die Vorbildfigur für den gebildeten Literaten sein konnte. DER GRIECHE: Nun, wir Griechen haben eigentlich schon eine ganze Menge an tüchtigen Erfindern und Ingenieuren, aber wenn sie nicht durch die Umstände gezwungen waren, betrachteten sie die Entwicklung technischer Geräte eher als Spielerei denn als ernsthafte Beschäftigung. So hat der Mathematiker Heron von Alexandreia im 1. Jh. n. Chr. ein ganzes Werk über verschiedene Möglichkeiten geschrieben, durch Dampf Dinge in Bewegung zu setzen, und seine Dampfkugel hätte im Prinzip die Grundlage für eine Dampfmaschine sein können, wie sie dann etliche Jahrhunderte später James Watson erfand.19 Aber man benutzte solche Erfindungen dann eher als Spielzeug (so etwa künstliche Vögel, die singen können) oder allenfalls für Kriegsmaschinen, nicht aber zur Entwicklung neuer Technologien. Ein Grund dürfte in der Struktur unserer Gesellschaft liegen: Genügend Mathematik und Physik, um solche Erfindungen zu machen, konnten nur die Angehörigen der wohlhabenden Stände sich aneignen; die aber besaßen billige Arbeitskraft im Überfluß, weil es genügend Sklaven gab, die alle körperlich anstrengenden oder unangenehmen Arbeiten erledigten. Damit entfiel ein wichtiges Motiv, etwa eine Dampfmaschine zu entwickeln. Hinzu kommt bei uns noch ein anderes Problem: Wir schätzen den Mathematiker, nicht den Ingenieur, und den Philosophen, nicht den Kaufmann. Jede Art von Profit19
Alfred STÜCKELBERGER, Einfuhrung in die antiken Naturwissenschaften,
Darmstadt 1988, 96f.
201
Barbara Mittler und Thomas A. Schmitz streben war unseren Denkern immer schon suspekt; am höchsten schätzten unsere Philosophen immer Dinge, die man nur „um ihrer selbst willen" tut. Technik, die vordergründigen, gar kommerziellen Zwecken dient, konnte in einer solchen Umgebung nicht sonderlich gut gedeihen. Das dem Gelderwerb dienende Leben galt bei uns als eines der niedrigsten; Erfindungen zu machen, genau zu diesem Zweck, konnte deshalb bei uns niemals eine sonderlich angesehene Tätigkeit sein. DER CHINESE: Ja, die leidige Profitgier, die ist auch in China immer sehr kritisiert wurden. Und die Drucker wurden da nicht ausgenommen. Selbst die staatlichen Druckereien, so hieß es, waren nicht rein des Strebens nach finanziellem Erfolg: Der florierende Druck von Papiergeld durch die staatlichen Kassen, die sich dadurch erhofften, finanziellen Problemen aus dem Weg gehen zu können, beschwor regelmäßig und prompt eine Inflation. Die Aussicht auf Profit ließ viele Drucker vornehmlich Alltagstexte und -gegenstände drucken: Almanache, Kalender, Spielkarten, Texte zur Traumdeutung, Wörterbücher, kurze volkstümliche Enzyklopädien, elementare Lehrbücher, sowie Sammlungen von Modellaufsätzen für Staatsprüfungen. All diese Alltagstexte hatten eine hohe Gewinnspanne auf dem chinesischen Druckmarkt. Nicht immer bewegte man sich bei dieser einzig am Profit orientierten Produktion auf legalen Pfaden. Bereits im 7. Jahrhundert war der Druck (und Besitz) von Kalendern und astronomischen und astrologischen Tabellen gesetzlich untersagt. Nur der Staat sollte das Recht haben, über Zeiten und Unzeiten, Fest- und Feiertage und den Lauf der Jahreszeiten zu bestimmen. Immer wieder in den folgenden Jahrzehnten gab es neue Verbote (u.a. 835) gegen den Verkauf gedruckter, staatlich nicht genehmigter Kalender auf den Märkten, woran um so deutlicher wird, dass diese Kalender das ganze Reich überschwemmten. In einer Denkschrift eines kaiserlichen Beamten, Feng Su, aus dem Jahre 835, scheint durch, warum der Staat so interessiert an seiner Monopolstellung in der Kalenderproduktion war: Die Denkschrift ruft auf, daß der Privatbesitz von Druckblöcken zum Kalenderdruck doch bitte verboten werden solle, denn diese Kalender würden vor den offizellen Kalendern verkauft und brächten den Kaiser damit um gutes Geld. 20 Ungeachtet aller versuchten Verbote erfreuten sich die illegal und manchmal sogar direkt unter der Nase des Gesetzgebers gedruckten Kalender und Almanache privater Anbieter dennoch lebhafter Nachfrage. DER GRIECHE: Damit freilich hätte man bei uns kaum reüssieren können. Jede unserer zahlreichen unabhängigen Städte hatte ihr eigenes kompliziertes kalendarisches System, und da die meisten dieser Kalender sich nach dem Mondzyklus richteten, trat im Lauf der Jahre eine unglaubliche Verwirrung ein, von Versuchen, die Berechnungen zwischen den einzelnen Städten zu harmonisieren, ganz zu schweigen. Deshalb fanden es unsere Geschichtsschreiber auch ziemlich schwierig, ein Ereignis genau zu datieren, und unsere sehr viel besser organisierten römischen Nachbarn konnten über dieses Durcheinander nur spöttisch lächeln; der Ausdruck „am griechischen Monatsersten" (ad kalendas Graecas) bedeutete bei ihnen so viel wie „am Sankt NimmerleinsTag". DER CHINESE: So etwas hätte es im chinesischen Kaiserreich nicht geben können, wo Kalenderangelegenheiten mit zu den höchsten kaiserlichen Pflichten gehörten. 20
Geschichte
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des chinesischen
Buches,
85.
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Unten auf der Strasse und bei den Druckern andererseits bedeutete die Produktion von Kalendern einfach viel Geld, und das war es, was interessierte. Man kann sich vorstellen, daß bei so einem allein am Profit orientierten Geschäft, das nicht einmal vor kaiserlichen Gesetzen zurückschreckte, auch das Recht und die Ehre des Autoren kaum gewahrt und geachtet wurde: Um schnell Gewinn zu machen, veröffentlichten profitgierige Verleger zusammengestückelte Kurzausgaben bekannter Werke oder betrügerische und frivole Schriften unter dem Namen bekannter Autoren. Einen besonders schlechten Ruf hatten Drucker aus der Stadt Masha. Sie waren berüchtigt für die Herstellung billiger, gekürzter Raubdrucke, deren Titel gleichlautend mit denen der vollständigen Originalausgaben waren, denen sie entnommen wurden. Auch wurden hier Blöcke aus weichem Banyan-Holz verwandt, das leicht zu schneiden war, aber entsprechend schlechte Abdrucke lieferte.21 Nachdem das Staatsmonopol auf den Druck der Klassikerausgaben 1064 aufgehoben wurde, waren noch nicht einmal mehr die Schriften der edlen Weisen vor dem Zugriff profitgieriger Verleger sicher. Wenn schon die Palastausgaben, die von einem Heer von 29 Korrekturlesern22 dreifach Korrektur gelesen wurden, fehlerhaft waren,23 wieviel eher noch die schnell produzierten Ausgaben privater Verleger: Im Vorwort eines Druckers zu seiner Ausgabe der Frühlings- und Herbstannalen (aus dem 12. Jahrhundert) lesen wir: „Wir sind der Palastausgabe gefolgt und haben den Text dreimal kollationiert und korrigiert, so daß Sie, liebe Leser sich fühlen sollen, als ob Sie auf einer offenen Straße laufen ohne irgendwelche Zimmer (ja Zimmer), die Ihnen im Weg stehen." Das ist jetzt keine schlechte Übersetzung und deswegen im Deutschen unverständlich, sondern hier ist dem Drucker ein Druckfehler unterlaufen: Das Zeichen für „Zimmer ^ shi" die hier „im Weg stehen" sollen, sollte eigentlich ein ähnliches Zeichen „Hindernisse H zhi" sein. Die Tatsache, daß hier anstatt „Hindernisse" „Zimmer" steht, mag den Leser allerdings nicht gerade von der Korrigiergenauigkeit dieser Ausgabe der Frühlings- und Herbstannalen überzeugt haben!24 Die Wut über und der Abscheu für solche Fehler schlägt sich, vor allem in den Blütezeiten der chinesischen Druckkunst (so etwa der Zeit der Song-Dynastie, 9601224), in Tiraden gegen die Beschäftigten in der Druckbranche nieder: Herausgeber müßten sich verantwortlicher fühlen, die Drucker weniger profitgierig sein und die Blockschnitzer gewissenhafter.25 Und Leser, vor allem die jüngere Generation, die etwa ab dem 11. Jahrhundert den gedruckten Text, der seine Autorität durch seine 21
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Einen besonders guten Ruf im Druckgewerbe hatte hingegen Hangzhou. Mittelmaß war Kaifeng, denn die Drucker benutzten zwar gute Blöcke, aber schlechtes Papier. SHAW 10/11 erwähnt: 2 Revisoren, 2 Hilfsrevisoren, 3 Hauptkorrekturleser, 12 Korrekturleser, 10 Hilfskorrekturleser. Auch mit den Palastausgaben und deren Korrektheit hatte es so seine Tücken: Selbst wenn ein berühmter Herausgeber einen Texte kollationierte und edierte, konnte er nicht sicher sein, daß seine Korrekturen (vor allem wenn es derer viele waren) auch wirklich auf den Holzdruckstöcken landeten, verärgerte Setzer konnten ihm immer noch leicht einen Strick drehen. Für einen berühmten Fall vgl. Susan CHERNIACK „Book Culture and Textual Transmission in Sung China," Harvard Journal of Asiatic Studies 1994.34/1:5-125, 77/78. CHERNIACK 75/76. CHERNIACK 75.
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Barbara
Mittler
und Thomas A.
Schmitz
Öffentlichkeit gewann, als den einzig wahren zhengwen Text anerkannte, diese jüngere Generation wurde, nach Ansicht der Älteren, von den Druckern vollends verdorben.26 Die negative Sicht auf den Drucker findet sich exemplarisch in einer Anekdote aus einer Sammlung von Kurzgeschichten aus dem 12. Jahrhundert, den Yijian zhi. Dort wird von fünf Buchdruckern berichtet, die bei der Herstellung von Druckplatten für medizinische Rezepte aus Bequemlichkeit komplizierte Zeichen durch einfachere ersetzt hatten - mit entsprechenden Folgen für die Patienten! Diese Drucker konnten allerdings, so wird auch berichtet, ihrer gerechten Strafe nicht entgehen: Sie wurden vom Blitz erschlagen. Die Ängste und Beschwerden der Literaten über die Drucker waren sicher nicht ganz unbegründet. Das Potential jedenfalls für textliche Anarchie erhielt in den Tagen der Verbreitung des Drucks natürlich ganz andere Dimensionen als je zuvor. Das Medium Manuskript hatte dafür gesorgt, daß das Problem textlicher Unordnung sich immer nur auf einige wenige Kopien bezog. Die Explosion im Bücherangebot in der Song-Zeit (also ab dem 10. Jahrhundert etwa) veränderte dies jedoch radikal. Durch den Druck konnten Fehler und natürlich auch textliche Innovationen viel schneller unter eine viel breitere Leserschaft kommen.27 Die Druckkunst brachte Bücher in erreichbare Nähe für fast alle Intellektuellen und gab ihnen somit die Möglichkeit, neue Ideen auszudrücken und im Spiel um die autoritative Interpretation der Worte der Weisen mitzumischen.28 Zwar war vom Hof versucht worden, den Druck der Klassiker zu monopolisieren: Man wollte die Macht über die Worte der Weisen, die man einst dadurch ausgedrückt hatte, daß man sie für ewig in Stein einritzen ließ, auch im Zeitalter des Drucks nicht aus der Hand geben und druckte deswegen 932-952 zum ersten Mal - und dann regelmäßig zu Beginn jeder neuen Dynastie - eine kanonische, die so genannte „Palastversion" der chinesischen Klassiker.29 Aber das Erstellen der ersten und auch nachfolgender Palastversionen (vor allem nach der Aufhebung des Druckmonopols auf die Klassiker im Jahre 1064) führte gerade eben nicht zur Standardisierung, auch wenn diese Palastausgaben hochtrabend unter dem Namen „Wahre Versionen Ι Ι Φ , zhenben" bekannt waren.30 Eine gedruckte Version der Klassiker, auch weil sie so leicht zu verändern (und zu korrigieren) war, konnte noch so „wahr" heissen, sie hatte eben doch nicht die Finalität eines in Stein eingravierten Textes!31 In der Tat war so manche dieser Hofausgaben sogar fehlerhafter als private Drucke (wenn auch ihr Ruf kein guter war), denn bei den privaten Druckausgaben war es durchaus gängige Praxis, die Leser zu bitten, Fehler anzuzeigen und diese, wenn die Zeit dazu reichte, bei neuen Editionen dann zu verbessern.32 Bereits ab dem 11. Jhdt mußte der Hof also das endgültige Monopol über die Textkontrolle aufgeben, was auch bedeutete, daß der elitäre exklusive Leserkreis der teuren Palastausgaben erheblich 26 27 28 29 30 31 32
CHERNIACK 47. CHERNIACK 73. CHERNIACK 99/100. CHERNIACK 19 CHERNIACK 36. CHERNIACK 21. Diese Praxis wäre natürlich für die Palastausgaben undenkbar gewesen. Vgl. CHERNIACK 73.
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erweitert wurde.33 So gesehen läßt sich die Frage stellen, ob die Einführung der Druckkunst, die gängigerweise als Mittel zur Stärkung kultureller Orthodoxie angesehen wird,34 nicht auch in China einen Destabilisierungseffekt hatte. Zwar konnte sich in China der Buchdruck bis in die Gegenwart nie ganz dem Einfluß des Staates entziehen, während er in Europa schnell emanzipatorischen Tendenzen Vorschub leistete. Aber zumindest führte die Auflösung der Textauthentizität durch den Buchdruck zu einer Destabilisierung der Überlieferung, die in letzter Konsequenz vielleicht auch den Sturz des Konfuzianismus zu Anfang des 20. Jahrhunderts nach sich zog.35 In Reaktion auf die Verbreitung der Druckkunst werden denn auch jene Stimmen immer lauter, die, um sich gegen bestimmte, nämlich privat gedruckte, Versionen der Klassiker zu wenden, gleich ganz die Schriftlichkeit als solche verdammten:36 Eigentlich, das bewies doch die Praxis der alten Weisen, sollte man Texte ja überhaupt nicht niederschreiben: Hatte nicht Konfuzius selbst gesagt Tian wu kou: Der Himmel hat keinen Mund." Die wahre Wahrheit der Weisen war unausgesprochen und ungeschrieben. , , ΐ Α ^ & Φ Die alten Weisen hatten keine geschriebenen Texte," so Zhu Xi (1130— 1200), der berühmte neo-konfuzianische Philosoph. Der Weg der Weisen wurde dadurch, daß über ihn geschrieben wurde, nur mehr verdunkelt.37 Die authentischste Version der Klassiker war damit die, die die Weisen ihren Schülern gegenüber geäußert haben, alles, was später niedergeschrieben wurde, war nur ein Derivat dieser authentischen Botschaft! DER GRIECHE: Das ist wirklich faszinierend, denn ganz ähnliche Gedanken hat auch einer unserer bedeutendsten Philosophen vorgebracht! Piaton läßt in seinem Dialog Phaidros Sokrates über das Wesen der Schrift nachdenken und erklären, für ernsthafte philosophische Unterweisung komme sie als Medium nicht in Frage. Bücher könnten ja niemals wie ein lebendiger Lehrer Rede und Antwort stehen, sie wiederholten auch auf Nachfrage immer nur dasselbe, und außerdem sei bei ihnen die Gefahr groß, daß die ihnen anvertrauten Lehren in die falschen Hände geraten. Deshalb, so läßt Piaton seinen Sokrates sagen, werde kein ernsthafter Philosoph jemals seine wichtigsten und bedeutendsten Lehren der Schrift anvertrauen, sondern in der Schrift lediglich „spielen und scherzen". DER CHINESE: Das klingt ja reichlich radikal, im chinesischen Fall waren Ideal und Realität doch wesentlich klarer voneinander getrennt. Natürlich gab es Texte und Textüberlieferungen, aber den Kommentatoren ging es eben immer wieder darum, an die authentische Stimme, die die eigentlich wie der Himmel vornehmlich geschwiegen hatte, irgendwie wieder heranzukommen. Der ganze Versuch war einigermaßen paradox. Aber genauso paradox scheint doch auch der Fall Piatons, denn woher weißt Du denn all das, was er gesagt haben soll, wenn er es doch nicht niedergeschrieben haben wollte? 33 34
35 36 37
CHERNIACK 42. TSIEN Tsuen-hsuin Paper and Printing. In Science and Civilization in China (Joseph Needham Hrsg.). Vol. 5 Chemistry and Chemical Technology, Part I. New York 1985, 367-69, 377-83. Siehe auch CHERNIACK 30n56. Vgl. hierzu Kai-wing CHOW Publishing, Culture, and Power in Early Modem China, Stanford 2004. CHERNIACK 55. So äußert sich Wang Po (1197-1274), vgl. CHERNIACK 54-55.
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DER GRIECHE: Selbstverständlich sind uns Piatons Werke nur in der Schrift überliefert, und bis heute rätseln seine Leser und Interpreten, wie man das mit seiner Schriftkritik vereinbaren kann: Hat Piaton vielleicht seine wichtigsten und größten Gedanken nicht seinen Büchern anvertraut, sondern ausschließlich mündlich gelehrt? Oder glaubte er, durch die Dialogform seiner philosophischen Abhandlungen den gefährlichen Seiten der Schrift entkommen zu können? War seine Schriftkritik, wie man dann im 20. Jahrhundert behaupten sollte, vielleicht im Grunde eine Kritik an der Sprache und ein Unbehagen darüber, daß man seine Gedanken nicht unmittelbar, ohne eine vermittelnde Instanz, kommunizieren kann? Zweifelsohne aber hat Piaton, wie die meisten unserer Philosophen, eine ganze Menge an Büchern geschrieben. Als zu Beginn des dritten vorchristlichen Jahrhunderts in Alexandria in Ägypten die große, legendäre Bibliothek gegründet wurde, da versuchte man auch, die Schriften aller griechischen Dichter, Historiker, Redner, Wissenschaftler und Philosophen in ihr zusammenzutragen, und hatte auf diese Weise bald Zehntausende von Büchern. Dennoch blieb Lesen immer nur einer kleinen Minderheit unserer Bevölkerung vorbehalten. Und auch diejenigen, die Bücher besaßen und lasen, benutzten sie vielleicht nicht immer so intensiv, wie man sich das wünschen könnte. Wie Du weißt, verarbeitete man den Papyrus zu langen Rollen, auf denen man dann in Kolumnen quer zur Richtung des Streifens mit Tinte den Text schrieb. Beim Lesen mußte man ständig mit der einen Hand ab-, mit der anderen aufrollen. Eine bestimmte Stelle zu finden, war eine recht mühselige Angelegenheit, weil es keinerlei Numerierung gab (und selbst als in der Spätantike die Papyrusrolle allmählich durch das Buch in der heute noch üblichen Form, den Codex, ersetzt wurde, dauerte es noch eine ganze Weile, bis jemand auf die an und für sich naheliegende Idee kam, die einzelnen Blätter eines solchen Buchs fortlaufend zu numerieren). Deshalb kann man immer wieder sehen, daß unsere Denker die Mühen des Nachschlagens und korrekten Zitierens scheuten und sich stattdessen auf ihr (oftmals phänomenales) Gedächtnis verlassen; die meisten Texte wurden wohl auswendig zitiert. DER CHINESE: Wenn man das so betrachtet, dann hätten wir eigentlich den Buchdruck und die vielen Bücher in China auch überrhaupt nicht gebraucht, weil wir unsere alten Klassiker sowieso auswendig lernten. Bei Beendigung der ersten 6 Schuljahre konnte ein Schüler die Worte des Konfuzius, das Buch Menzius, das Buch der Wandlungen, das Buch der Dokumente, das Buch der Lieder, das Buch der Riten und das Zuo Zhuan (ein Kommentar zu den Frühlings- und Herbstannalen des Konfuzius) auswendig, das heißt, er hatte in diesen 6 Schuljahren 431.286 Worte gelernt, bei einer Rate von etwa 200 Schriftzeichen pro Tag.38 Das allerdings waren nur die Orginaltexte, danach ging es daran, auch noch die Kommentare zu diesen Klassikern auswendig zu lernen, die an Volumen natürlich ein Vielfaches der Originaltexte ausmachten. Zu einer Zeit, da auch in China Bücher Buchrollen waren, war das Auswendiglernen sehr nützlich: Die Schriftrollen waren oft einige Meter lang und beim Entrollen ziemlich unhandlich. Wollte man irgendeinen Abschnitt im Text nachlesen, mußte ein Großteil der Schriftrolle entrollt werden. Vor allem problematisch war dies beim Gebrauch von 38
MIYAZAKI Ichisada China's Examination Hell: the Civil Service Examinations of Imperial China (Conrad Schirokauer Übers.), New York 1976, 16.
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Wörterbüchern. Dennoch wurden Rollenbücher erst Mitte des 9./10. Jahrhunderts von einem im Leporellostil gefalteten Buch abgelöst (zu Beginn des Drucks hatte man sich noch die große Mühe gemacht, die bedruckten Doppelseiten wieder aneinanderzukleben, um so eine Rolle herzustellen). Solche gefalteten Bücher wurden nach und nach ersetzt durch Bücher in sogenannter Wirbelwind-Bindung mit geleimter Anfangs- und Schlußseite, die aber leicht brachen. Ab etwa dem 10. Jahrhundert kam die sogenannte Schmetterlingsbindung auf, bei der die einseitig bedruckten Seiten aneinandergebunden wurden, was aber immer bedeutete, daß auf zwei bedruckte Seiten zwei leere folgten. Als auch dies zu umständlich erschien, kam ab dem 13. Jahrhundert die Außenfalz-Bindung in Gebrauch, bei der die weissen Seiten nach innen gewandt und dann an einem Ende zusammengenäht sind. Diese Form der Buchbinderei sollte sich bis in das 20. Jahrhundert hinein erhalten. Man muß allerdings sagen, daß die gute Angewohnheit des Auswendiglernens mit dem Übergang vom Manuskript zum gedruckten Buch und von der Buchrolle zum gefalteten Buch immer mehr ins Hintertreffen geriet. Während Prüfungskandidaten sich zu Manuskript-Zeiten noch mühevoll ihre Schummelausgaben aus den Klassikern eigenhändig abschrieben (manchmal, so heißt es, sogar auf ihre Unterhemden!), und diese in ihren Taschentuchbehältern einschmuggelten, gab es bereits im 12. Jahrhundert billige gedruckte Mini-Taschenbücher, die man zu diesem Zweck benutzte: Sie enthielten Auszüge aus den Klassikern und Modellantworten auf frühere Prüfungsfragen. Und so beschwerten sich mit der ersten Blütezeit des Drucks viele chinesische Literaten, unter ihnen der berühmte Dichter Su Shi (1037-1101) und der neo-konfuzianische Philosoph Zhu Xi (1130-1200) über den Verlust der Gelehrsamkeit unter ihren Zeitgenossen: In einer Abhandlung darüber „Wie man Bücher liest" postuliert Zhu Xi: „Wenn Bücher leicht zu haben sind, wird die Art wie man sie liest auch weniger genau und hingebungsvoll. Man soll konzentriert lesen, nicht schnell, von Anfang bis Ende, nicht herumspringen." Die zunehmende Verfügbarkeit der Texte und auch die Zunahme von Hand- und Lehrbüchern sowie von Nachschlagewerken aller Art führte nach Ansicht der chinesischen Literaten nicht direkt zu einem zunehmenden Bekanntheitsgrad der Texte und des Wissenskanons, ganz im Gegenteil. Wer zu viele Bücher hatte, so argumentierten sie, las sie nicht mehr mit viel Hingabe.39 Und noch weniger hatte man Grund, etwas auswendig zu lernen, wenn es doch zu Hause in der Bibliothek stand. DER GRIECHE: Das Anfertigen von Textauszügen, Blütenlesen, gekürzten Fassungen (die dann oft ihrerseits noch einmal gekürzt wurden), Kompilationen aus mehreren Vorlagen, Handbüchern und Enzyklopädien, die andere Texte zusammenfaßten und ihr Wissen oftmals aus zweiter oder dritter Hand bezogen, all das findest Du auch bei uns. Meine Landsleute standen ihrer philosophischen und literarischen Tradition mit großem Respekt gegenüber und sorgten auf diese Weise dafür, daß sie ständig verfügbar und lebendig blieb. Da es bei uns allerdings keine staatlichen Prüfungen gab, war das Schummeln sicher nicht die Hauptursache für ein solches Recycling von Texten. DER CHINESE: Klar, Schummelfibeln verkauften sich wegen der Prüfungen gut. Und diese egalitären Prüfungen, die es eben auch für „kleine Leuten" attraktiv machte, 39
CHERNIACK 48.
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zunächst auf lokaler Ebene an den Staatsprüfungen teilzunehmen und, wenn sie großes Glück hatten, auch ganz hoch in der Hierarchie aufzusteigen, diese Prüfungen schafften einen riesigen nationalen Lesemarkt. Druckkapitalismus ist also in dem Sinne für China keine Errungenschaft der Moderne, es gab schon sehr viel früher eine zahlenmäßig nicht zu verachtende populäre Leserschaft. War das bei Euch denn genauso? DER GRIECHE: Nein, ein Massenpublikum und eine wirkliche Massenliteratur gab es bei uns eigentlich nicht. Zwar haben wir etwa Abenteuerromane, die unterhaltsam sind und sicher nicht auf den ernsthaften philosophischen Leser zielten, aber selbst die wurden nur von einer recht kleinen Elite gelesen - daß nur eine Minderheit Lesen und Schreiben lernte, hatte ich ja schon erwähnt. Einen Grund, in möglichst kurzer Zeit massenhaft viele Exemplare ein und desselben Schriftstücks in Umlauf zu bringen, gab es bei uns also kaum, jedenfalls niemals ein so dringendes Bedürfnis, daß man es nicht mit Hilfe von Sklaven hätte stillen können. DER CHINESE: Die Ursprünge der Druckkunst in China hingegen liegen eben in dem Bestreben bestimmter Gruppen, ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Der Druck wurde ja nicht zuerst benutzt, um die Klassiker oder Alltagstexte und -Objekte drucken zu lassen. Die Religionen waren in China wie in Europa der Motor dieser technischen Entwicklung. Die Holzblocksiegel der religiösen Daoisten habe ich ja bereits ganz am Anfang angesprochen. Und die Vervollkommung des Buchdruckerhandwerks war ursprünglich eine Folge des Bedürfnisses vor allem der Buddhisten gewesen, heilige Texte in möglichst großer Zahl zu drucken. Nicht von ungefähr ist denn auch der erste erhaltene chinesische Druck ein buddhistisches Sutra (das Diamantsutra). Die charakteristische Einteilung der Druckseiten mit halbseitigem Blockbild, wie wir sie auch in illustrierten Romanausgaben finden, war zunächst für buddhistische Gebetstexte entwickelt worden. DER GRIECHE: Das mußt Du mir noch etwas näher erklären: Was haben denn Texte mit Religion zu tun? Ich dachte immer, Religion bestehe darin, daß man den Göttern die traditionell vorgeschriebenen Opfer darbringt, ihnen Tempel und Statuen errichtet und sie mit der ganzen Stadtgemeinschaft durch prächtige Feiern ehrt. Der Gedanke, daß es so etwas wie „heilige Texte" geben könnte, tauchte bei uns nur in einigen Sekten auf. DER CHINESE: Und ob Religion was mit Texten zu tun hat: Der Buddhismus ist eine Religion, die die Vervielfältigung religiöser Texte als verdienstvolles Werk wertete. Durch den Druck teurer Ausgaben religiöser Texte, die man an Freunde und Bedürftige verschenkte, konnte man sich Zutritt zum Himmel erkaufen. Buddhistische Zauberformeln wurden, in besonderen Gefäßen aufbewahrt, zu Tausenden produziert und verteilt, um sich der eigenen Erlösung zu vergewissern. DER GRIECHE: Hat nicht dieser Gutenberg auch ganz ähnlichen Faktoren seinen Erfolg zu verdanken? Er machte doch durch den Druck sowohl protestantischer Bibeln als auch katholischer Ablaßbriefe ein Riesengeschäft? DER CHINESE: Kann sein, genau. Tja und da haben wir's dann vielleicht: zwei Gründe, warum Gutenberg nur bis Gonsenheim, aber nicht vorher nach Athen und schon gar nicht ins ferne Beijing kam: Für die einen war Religion kein Grund, Texte zu drucken. Für die anderen war der Letterndruck nicht wirklich von Interesse. Der wurde erst, als eine andere Religion, das Christentum nämlich, versuchte, in China 208
„ Gutenberg kam nur bis Gonsenheim " erfolgreich zu missionieren, im Laufe des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeführt. Erfolgreich war er aber eigentlich erst über diverse Umwege, nach Erfindung von maschineller Letternproduktion, die die mühvolle Produktion Zehntausender von Schriftzeichen für einen Drucksatz erst plausibel machte.40
Literatur Horst BLANCK Das Buch in der Antike, München 1992. Lucille CHIA Printing for Profit: The Commercial Publishers of Jianyang, Fujian (IIth to 17th Centuries).Cambridge 2002. Kai-wing CHOW Publishing, Culture, and Power in Early Modern China, Stanford 2004. Robert HEGEL Reading Illustrated Fiction in Late Imperial China, Stanford 1998. Egert PÖHLMANN Einführung in die Überlieferungsgeschichte und in die Textkritik der antiken Literatur, Darmstadt 1994. Christopher REED Gutenberg in Shanghai: Chinese Print Capitalism, 1876-1937, Vancouver 2004. Alfred STÜCKELBERGER Einführung in die antiken Naturwissenschaften, stadt 1988.
40
Darm-
Vgl. erst kürzlich REED Christopher Gutenberg in Shanghai: Chinese Print Capitalism, 1876-1937, Vancouver 2004, v.a. Kpt. 1 und Adrian BENNETT John Fryer. Introduction of Western Science and Technology in Nineteenth Century China, Cambridge, 1977.
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Heiner Schnelling
Hamlet, Wittenberg, die Universität, die Bibliothek
1502 gegründet, war die Universität Wittenberg im 16. Jhdt. gleich zweimal ohne Bibliothek. Und das binnen weniger Jahrzehnte. Davon später mehr. Dabei waren die Wittenberger Bibliotheken, die mit der Universität zu tun hatten, durchaus prominent, zunächst die Schloßbibliothek, später dann die Universitätsbibliothek. Auch sind manche ihrer Benutzer beschrieben worden, allen voran Luther oder Melanchthon. 1 Die Universität Wittenberg bestand bis 1817. Dann wurde die Leucorea, wie Wittenberg auf griechisch heißt, mit der preußischen Friedrichs-Universität in Halle vereinigt, was im Ergebnis dazu führte, daß die Universität Wittenberg an ihrem angestammten Standort geschlossen wurde. 2 Das hier besonders interessierende bibliothekarische Inventar gelangte jedoch nur etwa zu einem Drittel nach Halle. Auch davon später mehr.
1. Wittenberg in Hamlet Aber Hamlet in Wittenberg? Noch dazu in der Universität? Und gar in der Bibliothek? Zugegeben: Wittenberg spielt in Shakespeares Tragödie Hamlet nun wirklich nicht die dominierende Rolle. Auf den ersten Blick. Wittenberg wird zwar ausdrücklich erwähnt, aber die Stellen lassen sich gerade noch an einer Hand abzählen. Sie finden sich sämtlich im ersten Aufzug, genauer gesagt in dessen zweiter Szene. Sie tragen mithin dazu bei, den Rahmen des dramatischen Konflikts darzulegen, der in den folgenden Aufzügen behandelt und womöglich auch einer Lösung zugeführt wird. Dazu trägt auch Wittenberg bei, nicht in topographischer, vielmehr in konnotativer Hinsicht. Wittenberg taucht an zwei Stellen der genannten Szene auf. Zum ersten fordert Claudius, neuer König von Dänemark, seinen Neffen und Stiefsohn Hamlet - aus Wittenberg gekommen zur Leichenfeier seines Vaters - auf, nicht zurück an die dortige Universität zu gehen, um seine Studien fortzusetzen: Claudius:... For your intent In going back to school in Wittenberg, It is most retrograde to our desire, And we beseech you bend you to remain Here in the cheer and comfort of our eye, Our chiefest courtier, cousin, and our son.3 1
2
3
Brandis, Carl Georg. Luther und Melanchthon als Benutzer der Wittenberger Bibliothek. In: Theologische Studien und Schriften: eine Zeitschrift für das gesamte Gebiet der Theologie, 90 (1917), S. 206-221. Nicht vergessen werden soll dabei, daß die Universität in Halle den Namen „Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg" erst seit November 1933 trägt. Sämtliche Zitate aus Hamlet nach: Shakespeare, William. The Complete Works. General Eds. Stanley Wells / Gary Taylor. Oxford: Clarendon Press, 1986, S. 740ff. (The Oxford Shakespeare). Dazu gehört: Wells, Stanley u.a. William Shakespeare: a Textual Companion. Oxford: Clarendon Press, 1987.
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Heiner
Schnelling
Nur um darin von Gertrud, seiner frisch angetrauten ehemaligen Schwägerin, bestärkt zu werden: Queen: Let not thy mother lose her prayers, Hamlet: I pray thee, stay with us, g o not to Wittenberg.
Zum anderen unterhält sich Hamlet mit Horatio, einem seiner Wittenberger Kommilitonen: Hamlet: And what make you from Wittenberg, Horatio? [·.·] Hamlet: [to Horatio] But what, in faith, make y o u from Wittenberg? Horatio: A truant disposition, good my lord. 4
Hamlet und Horatio sprechen in einem fast privaten Kontext über eine unerhörte Begebenheit, der Erscheinung des Geistes von Hamlets Vater. Obwohl für die dramaturgische Entwicklung des Stücks von erheblicher Bedeutung, muß sie hier vernachlässigt werden.5 Claudius und Gertrud sprechen dagegen in einem gewissermaßen halboffiziellen Kontext, den eine Gesellschaft sowohl familiärer als auch offizieller Art bildet. Das Königspaar hat sich mit seinen engsten Ratgebern umgeben (privy council), aber auch Verwandtschaft ist dabei, um Familie und Hofstaat neu aufzustellen, wie das neudeutsch heißt. Nach einer Reihe von Begebenheiten, die, um das ganz zurückhaltend zu formulieren, breiten Stoff böten für goldene und andere Blätter, aber eben auch für die Strafermittlungsbehörden, muß diese Familie ebenso wie ihr Hofstaat bestrebt sein, ein gewisses Maß von Normalität wiederherzustellen. Daran ändert auch nichts, daß sich die Ereignisse im weiteren Verlauf der Handlung noch soweit überstürzen, daß die summarische Bewertung „... carnal, bloody, and unnatural acts ..." (Hamlet, V,2) angemessen erscheint. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, daß sowohl König Claudius als auch Königin Gertrud ihren Wunsch, Hamlet möge nicht zu seinen Studien nach Wittenberg zurückkehren, sehr deutlich zum Ausdruck bringen. Wir werden sehen, daß es neben den familiären und staatstragenden Motiven noch ein anderes, didaktisches wie fürsorgliches Motiv gegeben haben könnte, Hamlet von einer Rückkehr nach Wittenberg abzuraten. Auch wenn dabei ein Augenzwinkern durchaus angebracht sein kann und neben der poetic licence auch so etwas wie eine library licence bemüht werden muß.6
2. Warum Wittenberg? In seiner ebenso schönen wie nützlichen „Arche" kommt Vollmann für Wittenberg zu keiner anderen als folgender Wertung: „eine kleine deutsche berüchtigte Universitäts4 5
6
Gelegentlich beobachtetes Phänomen bei der Verfertigung von Beiträgen für Festschriften. Die Rolle des Geistes ist sowohl in dramaturgischer wie in konfessioneller Hinsicht breit diskutiert worden. Siehe z.B. Wilson, John Dover. What happens in Hamlet. Cambridge: Cambridge University Press, 1935; Greenblatt, Stephen. Hamlet in Purgatory. Princeton: Princeton University Press, 2001. Die Text-Überlieferung ist im Falle von Hamlet eher noch komplizierter als bei den anderen Dramen Shakespeares, siehe Wells u.a., S. 396-402. Aber bei aller library licence: das Wort library kommt in keiner Überlieferungsvariante vor.
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Hamlet, Wittenberg,
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die
Bibliothek
Stadt, in welcher in Hamlet Hamlet studiert zu haben scheint".7 Das klingt reichlich respektlos, handelt es sich doch bei Wittenberg um einen Hochschulstandort, der bis zur Mitte des 16. Jhdts. einer der größten in Europa war.8 Immerhin waren es bis zu eben der Mitte des 16. Jhdts. bis zu 3.000 Studierende, die in Wittenberg immatrikuliert waren. Und das bei einer Zahl von ebenfalls nicht einmal 3.000 nicht-studierenden Einwohnern der Stadt Wittenberg überhaupt.9 Wittenberg ist zu dieser Zeit einer der Schwerpunkte des Buchdrucks (allen voran Rhau, Lotter, Lufft): 10 Wieviele Werkstätten zu dieser Zeit tatsächlich in Betrieb waren, läßt sich überraschenderweise nicht so zuverlässig feststellen wie die Zahl der Buchbindereien, von denen es immerhin 24 gab.11 Wichtiger als diese quantitativen Dinge ist aber sicherlich die Feststellung, daß Wittenberg die wichtigste protestantische Universität war. Von Luthers Universität ist nichts weniger ausgegangen als die Erschütterung der überlieferten Sichtweise von Zeit und Ewigkeit. Wittenberg ist, unabhängig von der profunden Zerstrittenheit protestantischer Theologen in den Jahren nach Luthers Thesenanschlag, als ein, vielleicht das wesentliche Symbol des Protestantismus zu sehen. Das also auch, knapp ein Jahrhundert nach dem Thesenanschlag europaweit, in England.12 Natürlich hätte Hamlet in Hamlet als Sohn einer europäischen Königsfamilie auch an einer anderen, großen und - wie man schon für das 16. Jahrhundert formulieren kann - ruhmreichen Universität studieren können. Etwa an einer englischen. Aber soweit Hamlet betroffen ist: nur eben nicht an einer südeuropäischen, vorzugsweise katholisch geprägten Universität. Denn auch das ist ein Thema in Hamlet: die Reformation. Die hat Shakespeare sicher im Auge gehabt und wahrscheinlich gerade deshalb sein Stück nicht in England angesiedelt, sondern vielmehr in Dänemark. Weswegen er die historisierende Betrachtungsweisen gewählt hat, wonach England (immer noch) ein Teil Dänemarks ist. Dänemark darf in Hamlet vor allem in einer Hinsicht als Vorbild Englands gesehen werden: als Bollwerk des Protestantismus. Als Hamlet uraufgeführt wurde (1603), dauerte der Prozeß der Reformation in England, Schottland und Wales gerade einmal 70 Jahre. Am Beginn dieses Prozesses steht 7
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Vollmann, Rolf. Shakespeares Arche: ein Alphabet von Mord und Schönheit. Nördlingen: Greno, 1988, S. 508 (Die andere Bibliothek-, 45). Zur vor-reformatorischen Einstimmung siehe: Meinhardi, Andreas. Über die hochberühmte und herrliche Stadt Wittenberg: ein Dialog, herausgegeben filr diejenigen, die ihre Lehrzeit in den edlen Wissenschaflen beginnen [1508]. Übersetzung, Einleitung und Anmerkungen von Martin Treu. Leipzig: Reclam, 1986. Eschenhagen, Edith. Wittenberger Studien: Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt Wittenberg in der Reformationszeit. In: Luther-Jahrbuch, 9 (1927), S. 9-118, hier: S. 40. Lülfing, Hans. Universität, Buchdruck und Buchhandel in Wittenberg, vornehmlich im 16. Jahrhundert. In: 450 Jahre Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Hrsg. L. Stem. Halle: Martin-LutherUniversität, 1952, Bd. 1, S. 377-391. Hildebrandt, Ernst. Die kurfürstliche Schloß- und Universitätsbibliothek zu Wittenberg 1512-1547. In: Zeitschrift fir Buchkunde, 2 (1925), S. 34-42, 109-129, 157-188 (zugl. Diss. phil. Leipzig 1924), hier: S. 177. Mit Wittenberg war für das zeitgenössische Publikum aber auch die Figur des Doctor Faustus verbunden: Christopher Marlowe hat in seiner gleichnamigen Tragödie als Ort der Handlung überwiegend Faustus' Haus in Wittenberg gewählt. Siehe auch: Fleissner, Robert F. The Prince and the Professor: the Wittenberg Connection in Marlowe, Shakespeare, Goethe, and Frost. A Hamlet/Faust(us) Analogy. Heidelberg: Winter, 1986.
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Heiner
Schnelling
Heinrich VIII., am Ende der uns hier interessierenden 70 Jahre Elisabeth I. Zwischen diesen beiden Verfechtern der Reformation gab es ein blutiges katholisches Intermezzo (Mary I.), welches den Reformationsprozeß ernsthaft bedrohte. Auffallend ist für die Reformation in England, daß sie von Anfang an nicht nur auf eine theologische Frage verweist, sondern durchaus auch auf eine machtpolitische, nämlich die Erhaltung des Throns sowohl für Heinrich als auch für Elisabeth. An verschiedenen Punkten kann man die wachsende Konsolidierung dieses Prozesses festmachen, sowohl in theologischer als auch in machtpolitischer Hinsicht: die Bibelübersetzung von Tyndale (auch sie kaum ohne Tyndales Besuch in Wittenberg 1524 erklärbar), das Common Prayer Book (1552), die Thirty-Nine Articles (1563) als bis heute gültiger dogmatischer und liturgischer Basis der Church of England, eine Art historischer Kompromiß der Transsubstantiationsfrage, mit dem sowohl Protestanten wie auch Katholiken leben konnten, und der letztlich einer bemerkenswerten Tolerierung religiöser Auffassungen den Weg bereitete.13 Sicher sind die ersten Impulse der englischen Reformation von Wittenberg ausgegangen. Gleichwohl muß man festhalten, daß zu Beginn des 17. Jahrhunderts die theologischen Auffassungen Luthers in England nicht mehr die wesentliche Rolle spielten; vielmehr hatten calvinistische Einflüsse zunehmend an Bedeutung gewonnen, war das System der anglikanischen Bischofskirche ergänzt worden durch das Modell der presbyterianischen Kirche. Wittenberg dürfte für das zeitgenössische Publikum des Hamlet dennoch eine wesentliche Chiffre gewesen sein, die allgemein auf „die Reformation" hinweist, und auch 70 Jahre nach Beginn der Reformation immer noch besser erkennbar gewesen sein dürfte als solche geographische Chiffren, Straßburg etwa oder Genf, die auf andere als lutherische Strömungen der Reformation verweisen. Wittenberg paßte im übrigen vorzüglich in einem „dänischen" Kontext, galt doch Dänemark als Hort lutherischer Theologie, war doch der Thronfolger Elisabeths I., Jakob I., ein Schwiegersohn des dänischen Königs, und war vor allem Wittenberg die beliebteste Universität für dänische Studierende im Ausland: So waren zum Beispiel auch zwei Studenten namens Rosenkrantz und Gyldenstjerne zwischen 1586 und 1595 in Wittenberg immatrikuliert.14 Wie Shakespeare selbst zu religiösen Dingen gestanden hat, können wir bestenfalls erschließen. Schließlich hat er nicht mehr an zweifelsfrei authentischen Zeugnissen hinterlassen als seine Unterschrift unter sein Testament.15 Welchen theologischen Dogmen und Riten Shakespeare selbst angehangen haben mag - wir wissen es nicht.16 13 14
15
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Dickens, A. G. The English Reformation. Rev. ed. London: Batsford, 1967. Shakespeare, William. Hamlet. Ed. Harold Jenkins. London: Methuen, 1982, S. 436 (The Arden Shakespeare). Jenkins weist auch auf die verschiedenen, zum Teil marginal anmutenden Zeichen dänischen Lokalkolorits in Hamlet hin, etwa dänische Feuerwerk-Gebräuche (S. 187). Aber Shakespeare hat auch ernsthaftere Dinge bemüht, um dänische Authentizität herzustellen, etwa mit den Hinweisen auf die Wahlmonarchie in Dänemark. Schoenbaum, Samuel. Shakespeare: α Compact Documentary Life. Oxford: Oxford University Press, 1977. Siehe auch Greenblatt, a.a.O., und: Shakespeare-Handbuch: die Zeit, der Mensch, das Werk, die Nachwelt. Hrsg. Ina Schabert. 4. Aufl. Stuttgart: Kröner, 2000. Rust, Jennifer. Wittenberg and Melancholic Allegory: the Reformation and its Discontents in Hamlet. In: Shakespeare and the Culture of Christianity in Early Modern England. Eds. D. Taylor / D. Beauregard. New York: Fordham University Press, 2003, S. 260-284.
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Hamlet,
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die Universität,
die
Bibliothek
Was nicht daran hindert, daß schon so ziemlich alle Vermutungen geäußert worden sind. Diese Diskussion ist mindestens so bunt wie jene um die wahre Verfasserschaft von Shakespeares Werken. Wenn wir nun aber Shakespeares Haltung in religiösen Dingen schon erschließen müssen, sollte der machtpolitische Aspekt keine zu geringe Rolle spielen. Die Wahl des Hamlet-Stoffs und seine bewußte, völlig anachronistische Versetzung um der protestantischen Bezüge willen, in das elisabethanische 16. Jahrhundert: Wir dürfen davon ausgehen, daß das alles schon staatstragend gedacht war und ebenso aufgenommen wurde. Natürlich hat Hamlet festgestellt, daß etwas faul sei im Staate Dänemark: Aber selbst diese Äußerung ließe sich noch in dem geschilderten staatstragenden Kontext verstehen, mußte doch für das zeitgenössische Publikum die Machtergreifung von Hamlets Stiefvater empörend wirken, von den familiären Begleitumständen gar nicht erst zu reden.17 Aber wenn Hamlet doch schon in Wittenberg immatrikuliert ist - warum soll er denn nicht zurück zu seiner Leucorea? Auf diese Frage können zunächst die Antworten gegeben werden, die dramaturgisch bedingt sind: aus mütterlicher, besorgter ebenso wie aus stiefväterlicher, mißtrauischer Sicht. Neben den bisherigen Antworten könnten auch eine ganz andere eine Bedeutung erfahren, die bisher so nicht gesehen wurde. Sie fiele zwar auch der poetic licence anheim, aber allein? Im Wintermärchen etwa hat Shakespeare geographische Zusammenhänge souverän ignoriert, natürlich nur im Sinne der poetic licence, als er Böhmen an einer Küste ansiedelte. Hamlet selbst ist das beste Beispiel der völligen, aber bewußten Verkennung zeitlicher Zusammenhänge: Die wichtigste Quelle für Hamlet waren für Shakespeare insbesondere die Historia Danica des Saxo Grammaticus (spätes 12. Jhdt., gedruckt 1514), sodann auch die Histoires Tragiques von de Belieferest (1570, in engl. Übersetzung 1608), nicht zu vergessen Der Bestrafte Brudermord. Zusammenfassend ist festzustellen: Shakespeare, der offenbar alle genannten Quellen gekannt hat, entschied strategisch, genau diesen Stoff gut vier Jahrhunderte später als historisch überliefert in einer Weise zu piazieren, welche zeitgenössischen Interessen zumindest nicht zuwider lief, politischen ebenso wenig wie religiösen.
3. Die Bibliothek in Wittenberg Solchermaßen ist Hamlet vier Jahrhunderte „gebeamt", ist an der 1502 gegründeten Universität Wittenberg immatrikuliert und soll dennoch nicht zurück an seine Alma Mater. Welche anderen als die dramaturgisch bedingten Erklärungsversuche hätten wir denn? Luthers Tod vielleicht? Der Reformator starb 1546. Oder hängt es mit der Universität zusammen? Oder gar mit der Bibliothek der Universität? Das kann schon sein, wenn seine Mutter und sein Stiefvater, woran eigentlich nicht zu zweifeln ist, Kenntnis hatten von dem tragischen Schicksal der Universität Wittenberg. Daß sein Stiefvater dennoch für Hamlet statt der Rückkehr nach Wittenberg eine Exkursion nach England veranlaßte, zusammen ausgerechnet mit Rosenkrantz und Guildenstern, 17
Tillyard, E.M.W. The Elizabethan World Picture. London: Chatto & Windus, 1943.
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hängt möglicherweise nicht zwingend mit dem tragischen Schicksal der Universität Wittenberg zusammen. Hamlet jedenfalls entledigte sich beider Exkursionsgefährten, und das endgültig. Daß derart entschlossenes Handeln Hamlets Wunsch zum Ausdruck bringt, endlich wieder zurück an seine Universität nach Wittenberg gehen zu können, kann hier nur vermutet werden. Aber Hamlet hätte doch nach seiner Rückkehr eine völlig veränderte Universität Wittenberg vorgefunden! Denn die Leucorea stand 1547 buchstäblich ohne Bibliothek da. Und was wäre eine Universität ohne eine Bibliothek? Die vorzügliche Wittenberger Bibliothek existierte nicht mehr, und das nicht infolge einer Feuersbrunst oder eines Hochwassers, sondern infolge der Niederlage des protestantischen Kurfürsten Johann Friedrich gegen den katholischen Kaiser Karl V. im Schmalkaldischen Krieg (Schlacht bei Mühlberg 1547). Glücklicherweise wurde die Bibliothek nicht physisch vernichtet. Als Teil des beweglichen Besitzes des Kurfürsten Johann Friedrich, der ihm im Gegensatz zu seinen Ländereien geblieben war, durfte dieser die Bibliothek aus Wittenberg abtransportieren. Zunächst nach Weimar, kurze Zeit später nach Jena, wo sie den Grundstock der 1558 dort gegründeten Universität bildete.18 Aber blicken wir zunächst zurück auf die Anfänge der kurfürstlichen Bibliothek in Wittenberg.19 Über die ersten zehn Jahre einer Bibliothek der neu gegründeten Universität Wittenberg wissen wir fast nichts. Kleinere Büchersammlungen in Form von Handapparaten mag es gegeben haben, aber eine Einrichtung „Bibliothek" ist nicht bekannt. Bekannt ist lediglich, daß die 1502 gegründete Universität unverzüglich einen Drucker in ihren Dienst nahm.20 Erst 1512 wurde die Schloßbibliothek in Wittenberg gegründet. Ihre Gründung ist einer Initiative Friedrichs III. („des Weisen") zu danken, der daran ging, eine Bibliothek einzurichten und aufzubauen, maßgeblich unterstützt durch seinen Sekretär und Historiographen Spalatin.21 An den berühmten Drucker Aldus Manutius schrieb er sogleich: „Meditamur bibliothecam, mi Aide, in arce nostra Electoria Wittenbergensi in Saxonia pro communi omnium utilitate, et doctorum, et discipulorum nostrae academiae tarn posteriorum quam presentium."22 Umgekehrt entwickelte sich die Wittenberger Verbindung zu den wichtigsten des berühmten venezianischen Druckers nach Deutschland.23 Obwohl allgemein von der Universitätsbibliothek Wittenberg gesprochen wird, ist diese Bezeichnung für die ersten Jahrzehnte ihrer Existenz nicht korrekt. Denn es 18
19 20 21
22 23
[Anon.] Die Anfänge und die Entwicklung der Universitätsbibliothek [Jena] von 1549 bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts. In: Geschichte der Universität Jena 1548/58-1958: Festgabe zum vierhundertjährigen Universitätsjubiläum. Hrsg. M. Steinmetz. Jena: Fischer, 1958, Bd. 1, S. 49f. Hildebrandt, S. 21. Lülfing, S. 378. Höss, Irmgard. Georg Spalatin, 1484-1545: ein Leben in der Zeit des Humanismus und der Reformation. 2. Aufl. Weimar: Böhlau, 1989, S. 65-70. Zit. nach Hildebrandt, S. 115. Lowry, Martin. The World of Aldus Manutius: Business and Scholarship in Renaissance Venice. Oxford: Blackwell, 1979, S. 276. Dort heißt es auch: „So we are brought to the very core of one of the greatest questions of sixteenth-century history: the relationship between humanism and reform, Renaissance and Reformation. What did Aldus contribute to the cultural environment that generated Luther's theses?"
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die Universität,
die
Bibliothek
handelte sich nicht um eine Bibliothek, die in der Regie der Universität gestanden hätte. Im Gegenteil, sie blieb bis 1547 eine fürstliche Bibliothek. Sie wurde natürlich mit Blick auf den Literaturbedarf der Universität gegründet und war den Professoren und Studierenden zugänglich - aber sie gehörte zum Besitz des Fürsten. Sie war Schloßbibliothek, nicht nur im eigentumsrechtlichen Sinn, sondern auch durch ihren Standort, der sich zu jeder Zeit im Schloß befand. Von ihr konnte immer nur als bibliotheca ducalis gesprochen werden: Die Kurfürsten hatten die letzte Entscheidung in allen Fragen des Bestandsaufbaus, ihrer Verwaltung und ihrer Benutzung. Die Professoren der Universität, auch prominente wie Melanchthon, konnten lediglich Erwerbungsvorschläge machen. Der Bibliothekar war kein Universitätsbeamter, sondern ein Bediensteter des Hofes. Die Kosten der Bibliothek wurden allein aus fürstlichem Vermögen bestritten und nicht aus den Einnahmen der Stiftskirche, die für die Aufwendungen der Universität herhalten mußten.24 Im Unterschied zu vielen Bibliotheksgründungen - auch der knapp 200 Jahre später erfolgten Gründung der Universitätsbibliothek Halle - wurden der neuen Bibliothek in Wittenberg nicht einfach Bücher überlassen; ebenso wenig führte man Büchersammlungen verschiedenster Provenienzen zusammen, etwa aus privaten Nachlässen. Vielmehr wurde von Anfang an ein systematischer Bestandsaufbau betrieben, indem gezielt Bücher aus den verschiedensten Wissenschaftsgebieten gekauft wurden. Auffallend waren dabei der regelmäßige Besuch von Messen und genaue Bestellungen anhand von Verzeichnissen gedruckter Bücher. Der Horizont war durchaus nicht auf Deutschland beschränkt, wie häufige und umfangreiche Bestellungen etwa bei italienischen Druckern belegen, allen voran bei Aldus Manutius in Venedig. Von Manutius forderte man wiederholt Kataloge an und ließ sich auch nicht dadurch entmutigen, daß man auf den Erhalt des ersten annähernd zwei Jahre warten mußte. Da so viel von planmäßiger Erwerbung die Rede war: Mit welchen Beständen fing die Bibliothek eigentlich an? Wie sah ihre Erstausstattung aus? Wir sind drüber unterrichtet, daß zwischen Juli 1512 und Ostern 1513 insgesamt 151 Werke in 163 Bänden zu einem Preis von 202 Gulden angeschafft wurden.25 Wichtiger vielleicht als diese absoluten Zahlen mag die Zusammenstellung des Bestandes sein, die Spalatin selbst vornahm: Es befindet sich kein Werk des Aristoteles darunter, außerdem nur ganz wenige Werke der Scholastiker; dagegen sind zahlreiche Kirchenväter vertreten; beschafft wurden außerdem eine Bibel cum glossa ordinaria, des weiteren Grammatiken und Wörterbücher sowie Werke der Humanisten; großer Wert wurde schließlich darauf gelegt, neben den theologischen Werken juristische, historische, astronomische und medizinische Werke von Anfang in der Bibliothek zur Verfügung zu haben: „Schon hier zeichnet sich ab, daß die Universität eine ausgesprochen „moderne" Universität war und erst recht noch werden sollte."26 Es ist sicher kein Zufall, wenn Luther in seiner Schrift An die Ratsherren aller Städte deutschen Lands (1524) sich auch zu der Aufgabe von Bibliotheken äußert, 24 25
26
Hildebrandt, S. 185. Schwiebert, Ernest G. Remnants of a Reformation Library. In: Library Quarterly, 531, hier: S. 499; vgl. Hildebrandt, S. 40. Höss, S. 67.
10 (1940), S. 494-
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und dies in einer Weise, die wesentlich beeinflußt worden sein kann nur von seinen Erfahrungen mit der Wittenberger Bibliothek: „Aber meyn rad ist nicht, das man on unterschied allerley buecher zu hauff raffe und nicht mehr gedencke denn nur auff die menge und hauffen buecher. Ich wollt die wal drunder haben, das nicht nott sey, aller Juristen comment, aller Theologen Sententiarum und aller Philosophen Questiones und aller Mueniche Sermones zu samlen. Ja ich wollt solchen mist ganz ausstossen und mit rechtschaffenen buechern meyne librarey versorgen und gelerte leut darueber zu rad nehmen. Erstlich sollt die heylige schrifft beyde auff Lateinisch, Kriechisch, Ebreisch und Deutsch, und ob sie noch ynn mehr sprachen were, drynnen seyn. Darnach die besten ausleger und die Elltisten beyde Kriechisch, Ebreysch und Lateinisch, wo ich sie finden kuende. Darnach solche buecher, die zu den sprachen zu lernen dienen, alls die Poeten und Oratores, nicht angesehen ob sie Heyden odder Christen weren, Kriechisch odder Lateinisch. Denn aus solchen mus man die Grammatica lernen. Darnoch sollten seyn die buecher von den freyen kuensten und sonst von den anderen kuensten. Zu letzt auch der Recht und Ertzeney buecher, Wiewol auch hie unter den Commenten eyner gutten wal not ist. Mit den fuernemsten aber sollten seyn die Chronicken und Historien, waserley sprachen man haben kuende. Denn die selben wunder nuetz sind, der wellt lauff zu erkennen und zu regiren, Ja auch Gottis wunder und werck zu sehen." 27
Voraussetzung für derart planvolles bibliothekarisches Handeln in der neu gegründeten Wittenberger Bibliothek war neben der Beobachtung des Buchmarktes vor allem eine ausreichende und stetige Dotierung der Bibliothek. Sowohl Friedrich der Weise als auch nach dessen Tod sein Bruder Johann der Beständige und vor allem dessen Sohn Johann Friedrich statteten die Bibliothek bis Mitte der 40er Jahre des 16. Jahrhunderts durchaus komfortabel aus. Zuwendungen von 100 Gulden pro Jahr waren unter Johann Friedrich die Regel. Weitere Voraussetzungen waren aber auch die angemessene räumliche Unterbringung sowie die personelle Ausstattung. An beidem fehlte es nicht. So war die Bibliothek in eigenen Räumen des Schlosses eingerichtet, und so nahm zeitweilig kein geringerer als Spalatin selbst das Amt des Bibliothekars wahr. Überhaupt war die Bibliothek immer hauptamtlich betreut. Das gipfelte in der ausdrücklichen Regelung von 1536, wonach ein Bibliothekar mit einem jährlichen Gehalt von 40 Gulden beschäftigt werden sollte, was immerhin 40% des vorgesehenen Erwerbungsetats entsprach. Der Bestandsaufbau war stetig, aber keineswegs linear. 1536 umfaßte die Bibliothek 984 Bände. 1547 hatte sich dieser Bestand aber bereits mehr als verdreifacht (auf 3.132 Bände). Für eine professionelle Betreuung der Bibliothek spricht zum Beispiel auch die Anlage von Bibliothekskatalogen im Jahre 1536.28 Bis dahin hatten sich Kataloge als nicht zwingend notwendig erwiesen, blieben die verhältnismäßig geringen Bestände für die Verwalter der Bibliothek wie die Bibliotheksbenutzer gut überschaubar. Der 1536 vorhandene Bestand von annähernd 1.000 Bänden mit insgesamt rund 27
28
Luther, Martin: An die Ratsherren aller Städte deutsches Lands, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen (1524), in: Luther, Werke. Kritische Gesammtausgabe. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1899. Bd. 15, S. 51f. Zum folgenden: Kusukawa, Sachiko. Α Wittenberg University Library Catalogue of 1536. Cambridge: LP Publications, 1995 (Libri Pertinentes; 3).
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Wittenberg,
die Universität,
die
Bibliothek
1.600 Titeln ließ ganz offenbar die Anfertigung von Katalogen ratsam erscheinen. Bei den 1536 angelegten Katalogen handelt es sich um folgende: (1) Index ordine Alphabetario per omnes studiorum Classes sicut libri sunt colligati, (2) Index ordine Alphabetario per singulos authores Hebraios, Graecos et latinos distinctus. Es handelt sich um handschriftlich geführte Bandkataloge, die jeweils um die 100 Seiten umfaßten im Format etwa eines längs gefalteten Blatts A4.29 Die Unterscheidung von classes und singulos autores scheint moderne Formen systematischer wie alphabetischer Kataloge vorwegzunehmen, wenngleich beide Kataloge durch Besonderheiten der Wittenberger Bibliothek gekennzeichnet sind. In beiden Katalogen findet sich zunächst eine Unterteilung nach den Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein, sodann im ersten Katalog eine weitere Unterteilung nach Sachgruppen: Theologie, Geschichte, Recht, Philosophie, Mathematik/kosmographie, Medizin, Schöne Literatur, Rhetorik. Der erste Katalog, der vermeintlich systematische, hatte eine noch wichtigere Funktion als die sachliche Erschließung der Bestände zu gewährleisten: In ihm wurden, wie Spalatin feststellte, „gantze Bücher, wie sie gebunden" nachgewiesen30. Das konnte durchaus mehrere Autoren und Titel in einem zusammengebundenen Werk umfassen. Und die Systematisierung bezog sich auf dessen ersten oder dessen wichtigsten Teil, war mithin auch ausschlaggebend für den Standort des Bandes in der Bibliothek. Der Nachweis von Autoren, die in diesem Katalog nicht erwähnt wurden, war möglich über den Nachweis der einzelnen Autoren im zweiten Katalog. Eine geraffte Darstellung dieser einzelnen Klassen ergibt zunächst folgende Mengenverteilung: Von den rund 1.600 insgesamt vorhandenen Titeln entfielen knapp 800 auf die Theologie und jeweils rund 150 Titel auf Geschichte, Recht, Philospohie und Medizin; mit jeweils rund 120 Titeln waren Mathematik sowie Rhetorik etwas schwächer vertreten; erwähnt werden sollen aber auch die rund 80 Titel aus der „Schönen Literatur". Diese Verteilung auf die einzelnen Disziplinen reflektiert im übrigen recht genau das von Luther selbst angeregte „Erwerbungsprogramm". In der ersten Abteilung („Theologie"), der bei weitem größten, sind unter den hebräischen Büchern Ausgaben des alten Testaments aufgeführt, sodann Kommentare, Grammatiken, die Hauptwerke Reuchlins. Auch bei den griechischen und lateinischen Büchern finden sich neben den Ausgaben der Bibeln, der Kirchenväter und der Scholastiker selbstverständlich Kommentare, Grammatiken usw. In dieser Sektion sind auch die mannigfachen Ausgaben der Werke Luthers enthalten, ebenso auch die des Erasmus. In der zweiten Abteilung („Geschichte) sind sowohl die klassischen griechischen und lateinischen als auch zeitgenössische Autoren vertreten. Auf diese Abteilung folgt „Recht", keineswegs beschränkt auf Kirchenrecht, sondern das weltliche Recht ebenso umfassend. Die nächsten Abteilungen sind „Philosophie", „Mathematik und Kosmographie", „Medizin" und überraschender Weise auch „Schöne Literatur" (nicht nur Homer, sondern u.a. auch Terenz, Catull, u.a.). Abgeschlossen werden die Sachgruppen durch „Rhetorik, Grammatik" sowie die Kartensammlung.31 Im zweiten Katalog von 1536 findet sich 29 30
31
Bei Hildebrandt, S. 158ff., sind die Kataloggliedeningen ausführlich abgedruckt. Zitiert nach Kuskawa, S. 19. Kusukawa hat den Katalog der Bände ("gantze Bücher") vollständig ediert, die einzelnen Titel identifiziert und mit den Nachweisen des Autorenkatalogs verknüpft. Schwiebert, S. 527f.
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nur für die lateinischen Bücher eine sachliche Unterteilung. Ob das bewußt so angelegt war oder ob schlicht die Zeit zur Vollendung des Katalogs nicht gereicht hat, muß offen bleiben. Man sollte allerdings den Vergleich der beiden Wittenberger Kataloge mit heutigen Katalogformen nicht strapazieren, denn bei näherer Hinsicht kommt nur der zweite Katalog dem heutigen Alphabetischen Katalog trotz seiner mittlerweile überholten Einteilung nach Sprachen recht nahe. Wiederholt ist auf die auffallend einheitliche Ausstattung der Bestände der kurfürstlichen Bibliothek hingewiesen worden.32 Die Bücher waren durchweg in Holzdeckel gebunden („Bretterband"), über die straff grünlich-graues Pergament gezogen ist, das mit Blindpressung versehen ist; gewöhnlich läuft den vier Buchkanten eine Leiste parallel, die mit Rankenwerk gefüllt ist; das durch diese Leisten abgegrenzte Mittelstück ist dann wieder meist reich mit Verzierungen gefüllt; schließlich finden sich ausnahmslos im Rückendeckel oben in der Mitte zwei kleine Löcher nebeneinander, für den eisernen Haken, der mit dem ersten Glied der Kette verbunden war. Die Bibliothek stand der universitären Öffentlichkeit offen, wenngleich zu sagen ist, daß sich eine Öffnung über den Kreis der Professoren und Magister hinaus tatsächlich erst in den 30er Jahren des 16. Jhdts. ergab; gleiches gilt für die Gewährleistung täglicher Öffnungszeiten. 33 Sie war Präsenzbibliothek, wie unter anderem die Kettenbücher zeigen. Privilegierte Benutzer konnten freilich Bücher ausleihen. Welche Bücher etwa Luther oder Melanchthon ausgeliehen hatten, läßt sich vielfach an deren Annotationen nachweisen.34 Für die zu dieser Zeit meist besuchte Universität Europas fand die Bibliothek insgesamt hervorragende Bedingungen. Sie sind zusammengefaßt in der neuen Fundation der Universität Wittenberg durch Johann Friedrich den Großmütigen vom 5.5.1536. Zur Bibliothek heißt es dort: „Dieweil auch unser lieber vetter hertzog Friederich seliger ayn gute liberey alhie zu Wittenberg zu tzeugen und aufzurichten furgenommen und wir dann unser universitet undt sunderlich armen Studenten zu nutz dieselbige mit buchern in allen faculteten und kunsten, auch in obberurten Hebräischen und Greckischen sprachen statlichen zu mehren, zu bessern und an einen bequemn ort in unsern schlos zu Wittenberg als in der obern großen hofstuben zu legen undt vormittelst goetlicher hulf zuzerichten lassen entschlossen, so wollen wir zu mehrung der bucher und besserung derselben liberey himit hundert gulden jerlich dortzu vorordent haben; und nachdeme eins sunderlichen aufsehers und waters dortzu vonnöten, wollen wir und unser erben nach uns itzt und kunftiglich ainen frommen man, der ain gelerter magister sei, dortzu zu vorordenen und zu vorpflichten haben und ime die vorwaltung solcher lieberey bevelhen lassen. Derne solin jerlich von der universitet einnehmer oder vorwalter des fundirten einkommens virtzig gulden zu lohn, auf ydes quatember dn virten tail zu bekommen, geraicht werden. Derselb soll auch dorauf warten, domit man zu bequemen stunden teglich ainen freien unvorsperten Zugang dorin haben muge." 35
32 33 34 35
Brandes, S. 207, Hildebrandt, S. 111, S. 176f. Hildebrandt, S. 185. Brandes, S. 208ff. Libellus fundationis Academiae Vitebergensis A. MDXXXVI Ed. H. Hering. Halle 1882, zit. nach Hildebrandt, S. 127.
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Hamlet, Wittenberg,
die Universität,
die
Bibliothek
Wenn oben gesagt wurde, Luthers Äußerungen spiegelten seine Erfahrungen mit der Wittenberger Bibliothek, so reflektieren diese Bestimmungen der neuen Fundation wiederum Luthers Forderungen, die sich nicht nur auf das Erwerbungsprofil der Bibliotheken beschränkten, sondern auch einen klaren Auftrag an die dauerhafte Archivierung und Bereitstellung von Literatur aussprechen, von der politischen Botschaft gar nicht erst zu reden: „Weyl und denn itzt Gott so gnediglich beratten hat mit aller fuelle beyde der kunst, gelerter leutte und buecher, so ists zeyt, was wyr erndten und eynschneytten das beste, was wyr kuenden, und schetze samlen, damit wyr ettwas behallten auff das zukunfftige von disen guelden jaren und nicht diese reyche emdte verseumen. Denn es zu besorgen ist und itzt schon widder anstehet, das man ymer new und ander buecher macht, das zu letzt da hyn kome, das durch des teuffels werck, die gutten buecher, so itzt durch den druck erfur bracht sind, widderumb unterdruckt werden und die losen heylosen buecher von unnuetzen und tollen dingen wider eyn reissen und alle winckel fuellen."36 Alle diese positiven Entwicklungen hatten die kurfürstliche Schloßbibliothek in Wittenberg bis 1547 zu einer durchaus modernen, nachgerade benutzungsorientierten und hervorragend administrierten Bibliothek werden lassen mit einem respektablen Bestand von 3.132 Bänden. Davon entfielen 1.040 auf die Theologie, 562 auf die Jurisprudenz, 545 auf die Medizin, 964 auf die Philosophie und immerhin 21 auf die Musik. 37 Aber die Entwicklung wurde 1547 jäh unterbrochen. Nach dem Abtransport der Schloßbibliothek war die Universität Wittenberg ohne Bibliothek. Das bringt uns zurück zu Hamlet: Ihm konnte, wie unmittelbar einsichtig sein dürfte, nur geraten werden, nicht nach Wittenberg zurückzukehren, um dort seine Studien fortzusetzen. Zumal auch kein Bibliothekar in Wittenberg tätig war, der ähnlich qualifiziert wie Spalatin gewesen wäre, der bereits 1545 gestorben war. Aber wie ging es in Wittenberg weiter? Die Bibliothek mußte erneut aufgebaut werden, was schleppend genug geschah, in finanzieller Hinsicht ebenso wie in administrativer. So verfügte die Bibliothek nach zehn Jahren erst wieder über rund 1.300 Bände. Die finanziellen Rahmenbedingungen blieben alles andere als günstig: So konnten bis weit ins 17. Jahrhundert in der Regel nur 40 Gulden - statt der notwendigen 500-bis 600 Gulden - pro Jahr für den Bucherwerb ausgegeben werden. Dennoch wuchs die Bibliothek, wenngleich sie, verglichen mit der Zeit vor 1547, in weit stärkerem Maß von Schenkungen abhängig blieb. In administrativer Hinsicht brauchte die Bibliothek nach 1547 immerhin bis 1623, um sich die erste Bibliotheksordnung zu geben. Sie läßt erkennen, dass die Universitätsbibliothek eine Bibliothekskommission hatte, welche aus Vertretern der vier Fakultäten der Universität zusammengesetzt war: Sie, die inspectores, legten die Buchbeschaffungen der Bibliothek fest. Die Bibliotheksordnung gibt aber auch genaue Hinweise zu den Aufgaben der bibliothecarii und der famuli. Sie enthält schließlich auch Regelungen über die Bibliotheksbenutzung (z.B.
36 37
Luther, S. 52. Weißenbom, Bernhard. Die Wittenberger Universitätsbibliothek (1547-1817). In: 450 Jahre MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg. Hrsg. L. Stern. Halle: Martin-Luther-Universität, 1952. Bd. 1, S. 355-376, hier: S. 355.
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Heiner Schnelling Öffnungszeiten, Ausleihbestimmungen) sowie die Bewirtschaftung von Bibliotheksmitteln.38 Unter den erwähnten Schenkungen ragen zwei Sammlungen heraus, welche noch heute zu den größten Schätzen der Bibliothek in Halle zählen: zum einen die Sammlung des Geheimen Kriegsrates von Ponickau zur Geschichte und Landeskunde Sachsens und angrenzender Gebiete, zum anderen die sogenannte ungarische Bibliothek des Exulanten und zeitweiligen Dekans der Theologischen Fakultät, Cassai. Zum Zeitpunkt der Schließung der Universität Wittenberg verfügte ihre Bibliothek über einen Bestand von etwa 44.000 Bänden. Er wurde in drei etwa gleich große Partien geteilt, von denen die theologische im Wittenberger Predigerseminar verblieb, eine nach Jena ging und der Rest der Bibliothek der preußischen Friedrichs-Universität in Halle eingegliedert wurde.39 Aber das mußte Hamlet nicht mehr wirklich interessieren, die Seinen übrigens auch nicht. Schließlich hatten zuhause in Dänemark längst andere als Wittenberger Dinge, nämlich „... accidental judgements, casual slaughters, ... deaths put on by cunning and forced cause ..." (Hamlet, V,2), zur Auslöschung der königlichen Familie geführt. Da müssen bibliothekariche Fragestellungen schon aus Gründen der Pietät ganz einfach zurückstehen: „The rest is silence" (Hamlet, V,2).
38
Herricht, Hildegard. Zur Geschichte
der Universitätsbibliothek
Landesbibliothek, 1977 (Schriften zum Bibliotheks39
Wittenberg.
Halle: Universitäts- und
und Büchereiwesen in Sachsen-Anhalf,
44).
Henning, Marie-Christine/Schnelling, Heiner. 500 Jahre Bibliothek der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. In: Emporium.
500 Jahre
Universität
Halle-Wittenberg.
Landesausstellung
Anhalt 2002. Hrsg. G. Berg u.a. Halle: Fliegenkopf-Verlag, 2002, S. 370-378.
222
Sachsen-
Konrad Marwinski
Bücherauktionen als modi extraordinari der Bestandsvermehrung an der Universitätsbibliothek Jena um 1700 Bedenkt man, daß die erste Bücherversteigerung im modernen Sinne 1604 durch Ludwig Elzevier in Leiden mit der Bibliothek der holländischen Gelehrten George und Janus Dousa veranstaltet wurde und daß nach nach deren Vorbild die erste englische Buchauktion 1676 im Buchladen „Zum Pelikan" des Antiquars William Cooper in London stattfand1, so können auch die hier darzustellenden Jenaer Vorgänge in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts, die zum Erlaß einer Bücherauktionsordnung durch die Universität führten, als relativ frühe Erscheinungen des sich herausbildenden Antiquariatsbuchhandels angesehen werden. Sie verdienen deshalb unsere besondere Beachtung, weil die Kopplung von öffentlicher Auktion unter Aufsicht der Universität und Bestandsvermehrung der Universitätsbibliothek als bibliotheksgeschichtlich relevantes Moment hinzutreten. In der Person des Johann Caspar Sagittarius (1643-1694) begegnet uns ein Jenaer Hochschullehrer, der die aktuellen Entwicklungstendenzen des Buchhandels und des Verlagswesens richtig erkannte und für die Universität daraus einen höchstmöglichen Nutzen zu ziehen suchte. Vor 25 Jahren veröffentlichte Hans Dieter Gebauer seine im Herbst 1979 vom Kölner Bibliothekar-Lehrinstitut angenommene Assessorarbeit über Bücherauktionen in Deutschland im 17. Jahrhundert.2 Hauptziel seiner Untersuchung war es, die Anfänge des deutschen Bücherauktionswesens, „von denen man seit Kirchhoff und Goldfriedrich nicht mehr als wenige Einzelheiten weiß, als ein bisher kaum beachtetes Kapitel der deutschen Buchhandelsgeschichte versuchsweise neu darzustellen"3. Der Verfasser bietet einen instruktiven, mit 762 Anmerkungen und einem Literaturverzeichnis von 117 Titeln4 untersetzten Überblick. Das Verzeichnis der Auktionskataloge enthält 79 Objekte, es wird ergänzt durch eine Gesamtübersicht der für das 17. Jahrhundert nachzuweisenden Versteigerungen.5 Gebauer vermutete 1981 sicherlich zutreffend, daß sich in den Bibliotheken der DDR weitere Auktionskataloge und Auktionsnachweise für das 17. Jahrhundert finden lassen würden. Bis heute ist diese Probe aufs Exempel wohl kaum unternommen worden. Ich selbst aber fand bei Recherchen für diesen Beitrag drei frühe, weiter unten zu nennende Jenaer Auktionskataloge. 1
2
3 4 5
Vgl. Lexikon der Buchkunst und der Bibliophilie. Hrsg. von Karl Klaus Waither. - Leipzig 1987 (Stw. Antiquariat, Auktion). Gebauer, Hans Dieter: Bücherauktionen in Deutschland im 17. Jahrhundert. - Bonn 1981. - 203 S. (Bonner Beiträge zur Bibliotheks- und Bücherkunde ; 28). - Leicht überarbeitete und ergänzte Fassung der Assessorarbeit. Ebenda, S. 10. Ebenda, S. 192-198 (unter E. Literatur, Nr. 97-213). Ebenda, S. 139-184. - Die Angaben werden ergänzt unter B. Weitere Auktions-, Bibliotheks- und Buchhandelskataloge ..., Nr. 14-96, ebenda, S. 185-191.
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Die von Gebauer ermittelten 184 Bücherauktionen des 17. (und des beginnenden 18.) Jahrhunderts fanden sämtlich im protestantischen Nord- und Mitteldeutschland statt, keine einzige ließ sich in katholischen deutschen Territorien nachweisen.6 Mit aller Vorsicht nennt er für diesen Befund drei Gründe: 1. Die weniger „pragmatisch-kapitalistische" Orientierung des Handels in Oberdeutschland gegenüber der Entwicklung „in vielen nördlichen Städten", wobei die ersten regelmäßigen deutschen Bücherauktionen ,glicht in den Buchhandelszentren Frankfurt und Leipzig, sondern in der kleinen wolfenbüttelschen Universitätsstadt Helmstedt stattgefunden" haben. 2. Die Furcht der katholischen Obrigkeiten vor dem versteckten Verkauf „indizierter Bücher", wogegen allerdings eine entsprechende Zensur der Auktionskataloge hätte praktiziert werden können. 3. „Ideologische Vorbehalte gegenüber einer möglicherweise als typisch protestantische, weil aus den Niederlanden eingeführte, calvinistische Verkaufsform." Aufschlußreich ist weiterhin die geographische Verbreitung dieser Handlungsform, die ein deutliches Nord-Süd-Gefälle erkennen läßt: Unter den 184 Bücherauktionen liegt Hamburg mit 106 absolut an der Spitze (1675-1700; darunter 50 mit Katalogen) gefolgt von Leipzig mit 16 (bis 1700, davon 5 vor 1683; 4 Kataloge), Lübeck mit 10 (1695-1699; 5 Kataloge), Helmstedt mit 9 (1659-1700; 6 Kataloge), Danzig mit 8 (1688-1699; 2 Kataloge), Dresden mit 7 (vor 1686-1696; 4 Kataloge), Hannover mit 5 (1697-1699; 1 Katalog), Berlin mit 5 (1692-1700; 3 Kataloge), Jena mit 4 (16831700; 2 Kataloge), Königsberg Pr. mit 3 (1663-1696), Halberstadt mit 3 (1694-1700), Altona mit 2 (1691-1693) und je 1 Auktion in Altenburg (1694), Braunschweig (1695), Frankfurt a. M. (1671), Lüneburg (1688), Spandau (1679) und Wolfenbüttel (1660). Gebauer ist auch auf die rechtlichen Grundlagen des Bücherauktionswesens eingegangen, soweit sie ihm in Form von landesherrlichen, kommunalen oder universitären Ordnungen für den Berichtszeitraum bei seinen Recherchen begegneten.7 Zunächst behandelt er die erste kommunale Bücherauktionsordnung in Deutschland vom 13. Juni 1680: Des Raths zu Leipzig Verordnung, wie es mit Ver-Auctionierung derer Bücher oder Bibliothecken zu halten.8 Sie war auf Betreiben der Leipziger Buchhändler zustande gekommen, nachdem Universität, Bürgermeister und Stadtrat „wegen derer bey denen bißherigen Bücher-Auctionen eingerissenen Mißbräuchen und Unordnungen" bei dem Kurfürsten vorstellig geworden waren. Sie gilt seit Albrecht Kirchhoff als die erste bekannte deutsche Bücherauktionsordnung überhaupt.9 Mit ihrer wichtigsten Bestimmung nahm sie den Kampf gegen die Konkurrenz der „Auctionirer" wieder auf, 6 7 8
9
Ebenda, S. 52f. Vgl. das Literaturverzeichnis Nr. 1-13 (unter A. Auktionsordnungen ...), ebenda, S. 184f. Abgedruckt in: Der Stadt Leipzig Verordnungen, Wie auch privilegia und Statuta - Leipzig 1701, S. 237-241. Vgl. Kirchhoff, Albrecht: Zur Geschichte der Bücher-Auctionen. - In: Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels 1 (1878) S. 190-193. Vgl. hierzu Meyer, Hermann F.: Die geschäftlichen Verhältnisse des deutschen Buchhandels im 18. Jahrhundert. - In: Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels 5 (1880) S. 175-255.
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Bücherauktionen als modi extraordinari der Bestandsvermehrung der sich schon in einem Befehl des sächsischen Kurfürsten Georg II. vom 12. Juli 1678 niedergeschlagen hatte, daß nämlich „die Buchbinder, Auctionirer, Haußirer und Disputations-Crämer denen Buchhändlern keinen Eintrag thun sollen". 10 Die wahrscheinlich älteste universitäre Auktionsordnung war Gebauer im Original nicht zugänglich, er konnte sie nur aus zweiter Hand vorstellen. 11 Es handelt sich um die Der // Fürstlichen Sächsischen ge- // samten VNIVERSITET // zu JENA // Verordnung / // Wie es mit // Ver-Auctionirung derer Bücher // oder Bibliotheken zu halten. // [Universitätsigel] // JENA // Gedruckt mit Nisischen Schrifften // Im Jahr 1683. Diese Verordnung hat Gebauer als Nr. 3 im Literaturverzeichnis nach Erman/Horn mit dem Besitznachweis der UB Jena aufgeführt12, aber mit dem Zusatz versehen: „Dort nicht mehr zu ermitteln". Durch einen glücklichen Umstand gelang es mir, gleich zwei Exemplare des Druckes in der heutigen Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena wieder aufzufinden. 13 Die Bestimmungen lauten: 1.
Wann iemand eine Auction vorzunehmen gesonnen, soll derselbe vorhero bey dem Rectore sich dessenthalben anmelden, den Catalogum der Bücher, so zu verauctioniren, überreichen, solchen am gehörigen Ort censiren lassen, und darauff Bescheides gewarten, auch den Catalogum nicht anschlagen, eher ihm solches verwilliget, und er ein, oder nach Befindung zwey gute Bücher, die Rector und Inspectores Bibliothecae auszulesen befugt seyn sollen, der Bibliotheca Academicae zur Danckbarkeit vor verstattete Auction einverleibet. 2.
Soll niemand verstattet seyn Bücher einzeln oder in Bibliothecen Gewinstes halber zusammen zu kauffen, damit er solche hernach mit einander verauctionire. Wer aber, daß er eine Bibliothec ererbet, oder an Schuld annehmen müssen, oder auch, daß er sie zu eigenem Gebrauch angeschaffet, zu bescheinigen hat, deme ist solche entweder gantz, oder was ihm darunter nicht vonnöthen seyn würde, durch Auctiones loszuschlagen, unverwehret. 3. Vor Anstellung ieglicher Auction soll der Catalogus genau und ordentlich eingerichtet, und die Bücher richtig numeriret werden, mit deutlich beygesetzten Vor- und Zunahmen der Auctorum, wie auch der Materien oder Titul ieden Buchs, samt der Zeit und Orts, da es gedrucket ist. Wornach denn derselbige auff vorausgebrachte Vergönstigung zum wenig10
11 12 13
Befehl Churfürst Johann Georgen des II. zu Sachsen, daß die Buchbinder, Auctionirer, Haußirer und Disputations-Crämer denen Buchhändlern keinen Eintrag thun sollen, den 12. Julii Anno 1678. - In: Codex Augusteus oder Neuvermehrtees Corpus Juris Saxonici ... in richtige Ordnung gebracht von Johann Christian Lünig. - Theil 1. - Leipzig 1724, Sp. 413f. - Vgl. Gebauer (wie Anm. 2), S. 34f. Vgl. hierzu Meyer (wie Anm. 9), S. 251 f. Nachweis: Erman/Horn LV 122, Bd. 2, Nr. 9976: UB Jena. Der Fürstlichen Sächsischen gesamten Universität zu Jena Verordnung, Wie es mit Ver-Auctionirung derer Bücher oder Bibliotheken zu halten : Jena, den 23. Martii 1683. - Jena, Gedruckt mit Nisischen Schrifften Im Jahr 1683. - Umfang: 13 Artikel auf 4 ungez. Bl. (ThULB Jena, Sammelband, Sign.: 2 Hist. lit. VI,12, Bl. [217-220] und Bibliotheksakten AA I 2, Bl. 266-269). - Der Text wird hier in der Orthographie des Originals wiedergegeben. Titelblatt vgl. Wiedergabe in Abb. 1.
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Marwinski
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Abb. 1: Auktionsverordnung der Universität Jena von 1683, Titelblatt.
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Bücherauktionen
als modi extraordinari der
Bestandsvermehrung
sten 14. Tage vor angestellter Auction publiciret, angeschlagen, und unter die Professores Academiae, wie nicht weniger unter andere cives honoratiores ausgetheilet, über denselben aber kein Anhang oder Appendix, der nicht zugleich mit dem Haupt-Catalogo eingegeben approbiret und censirt worden, zugelassen werden soll. In der Auction aber soll der Auctonirer alle im Catalogo beniemte Bücher zu liefern schuldig seyn, bey Straffe eines Reichsthalers vom ieden Buche in folio, eines halben Thalers von iedem in quarto, eines Ortsthalers von iedem in octavo, und dreyer Groschen von iedem in duodez, so nicht vorhanden. Zu welchem Ende der Senatus Academicus die Bücher nach denen Catalogis, so offt es ihm gefällt, durch den Bibliothecarium besichtigen zu lassen vorbehält, und soll demselben ein ieder Auctionirer dieselbigen auff Begehren vorzuzeigen schuldig seyn. Wie denn auch der Bibliothecarius oder auch sonst eine andere dißfalls vom Rectore beliebete, und dem Bibliothecario substituirte Person der Auction beywohnen, und daß es recht und ordentlich zugehe, gute Auffsicht haben wird. 4.
Es sollen auch zu besserer Nachricht und Gewißheit anderer, die Bücher ein oder zween Tage vor angehender Auction nach Ordnung des gedruckten Catalogi auffgesetzet, und iedweden auff Begehren, vorgewiesen werden. 5.
Ferner sollen alle Bücher, so zu verauctioniren seynd, durch niemand anders, als durch den vom Senatu Academico hierzu verpflichteten Praeconem 14 und zwar dergestalt ausgeruffen werden, daß iedes Buch nach Ordnung des Catalogi, und anfänglich die Zahl desselben, laut angesaget, die darauff gethane Geboth fleißig in acht genommen, und iedesmahl das höchste, recht vernehmlich ausgeruffen, auch wenn mit licitiren 15 nicht weiter nachgesetzet wird, der höchste licitirte Preiß zum ersten, andern und dritten mahl, iedesmahl absonderlich gemeldet, und dafern vor Ausruffung des dritten mahls niemand ein mehrers bietet, alsdenn das Buch demjenigen, so den Preiß, damit es zum dritten mahl ausgeruffen worden, gebothen, zugeschlagen werden. 6. Welch Buch einmahl in den Catalogum gesetzet, und in die Auction kommen ist, soll daraus unter keinem Vorwand, wie der auch Nahmen haben möge, zurückgenommen, sondern um den darauff gesetzten höchsten Preiß dem licitirenden hingelassen werden, bey Verlust des Buchs, so widrigenfalls ipso facto der Bibliothecae Academiae verfallen seyn, und zu dem Ende von dem Ausrüffer in Verwahrung genommen werden soll. 7.
Damit auch keiner, dessen Bücher verauctioniret werden, entweder selbst, oder durch andere, nur zum schein biethe, dergestalt die Bücher desto höher auffzutreiben, soll dessenthalben scharffe Auffsicht gehalten, und der Auctonirer, samt dem, welcher sich darzu gebrauchen lässet, auf eingezogene Erkundigung, mit allem Ernst und nachdrücklich gestraffet werden. 14
„Praeco" war ursprünglich der Titel eines niederen römischen Beamten, der als Gerichts- und Gemeindediener oder als Leichenbitter tätig war. Da er zugleich Ausruferfunktionen wahrzunehmen hatte, bürgerte sich für den Ausrufer bei Versteigerungen die Bezeichnung „praeco" ein; sie ist auch in die Auktionsordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts eingegangen (Gebauer, wie Anm. 2, S. 13, nach Paulys RealEncyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Neue Bearb. von Georg Wissowa. - Bd. 22,1. - Stuttgart [u.a.] 1953, Sp. 1198 f.).
15
Licitiren - lat., etwas versteigern, an Meistbietende verkaufen.
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8. Desselben gleichen soll kein Buch vor der licitation mit gewissem Preise, sondern wie es wehrender auction licitiret wird, ausgeruffen, und von dem, welcher am meisten gebothen, erstanden werden, widrigen Falls das Buch der Bibliothecae publicae verfallen, und andere willkührliche Straffe zu erwarten seyn. 9. Jedes Geboth soll von denen Biethenden mit vernehmlicher Stimme und Setzung einer gewissen Zahl Geldes geschehen, auch niemand Macht haben, wenn das Buch einmahl von ihm erstanden, widerum zurück zu treten, und sich der Zahlung zu we[i]gern. 10. Daferne sichs zutrüge, daß zweene oder mehr einerley Geboth auf ein Buch thäten, soll der Erste vorgezogen, oder auch der Zweiffei, wenn niemand ein mehrers bietet, durch Loß entschieden werden. 11. Ohne seinen guten Willen soll der Auctionirer nicht gehalten seyn, das erstandene Buch abfolgen zu lassen, bevor er denn darauf gesetzten Preiß würcklich empfangen. 12. Hingegen Er die Gewehr darüber zu leisten, und wenn es mangelhafft befunden, wiederum zurück zu nehmen verbunden seyn, woferne nur der Käuffer die verschwiegene defecta vor Wegschaffung des Buchs angezeiget. 13. Däfern auch iemand, er sey wer er wolle, seine Bücher ausserhalb der Auction entweder insgesamt, oder einzeln verkauffen, den Catalogo aber drücken lassen wolte, soll solches ehe nicht verstattet werden, biß der Catalogue censiret, und nechst dem mit dem Rectore daraus communiciret worden, welcher alsdenn mit Genehmhaltung der Herrn Seniorum den oder die Interessenten mit Bescheide versehen wird. Jena, den 23. Martii 1683.
Damit hatte die Jenaer Universität eine eigenständige, vom „offiziellen" Buchhandel unabhängige akademische Regelung für die Vorbereitung und für den Ablauf von Bücherauktionen geschaffen. Auktionen waren anzumelden, die Prüfung des vorzulegenden Auktionskatalogs durch den Rektor oder durch eine Fakultät entschied über die Genehmigung oder über die Ablehnung des jeweiligen Vorhabens. Zur Auktion durften nur Bücher aus Erbschaften, aus früherem Schuldnervermögen oder aus eigenem Besitz des Auktionators gebracht werden; Bücher, die zum Auktionszweck zusammengekauft worden waren, um den Absatz und den Preis zu steigern, wurden nicht zugelassen. Um jedem Mißbrauch vorzubeugen, wurden für den der Öffentlichkeit rechtzeitig vor dem Auktionstermin zu übergebenden Auktionskatalog sorgfältige bibliographische Beschreibungen gefordert. Die Bücher selbst mußten nach ihrer Reihenfolge im Katalog den Interessenten zur Ansicht bereit gestellt werden. Schließlich wachte eine Aufsichtsperson über den korrekten Ablauf der Auktionshandlung, den die Ordnung genau beschrieb. Finanzielle Leistungen seitens des Auktionators wurden nicht verlangt, wohl aber eine Sachleistung in Gestalt von ein bis zwei „guten Büchern", deren freie Auswahl der akademischen Obrigkeit zustand. 228
Bücherauktionen
als modi extraordinari
der
Bestandsvermehrung
Schon Gebauers Gewährsmann, Hermann F. Meyer, bemerkte bei einem Vergleich der Leipziger kommunalen und der Jenaer universitären Auktionsordnungen - wie nicht anders zu erwarten - eine Reihe von Parallelen in den einzelnen Bestimmungen. Aber es gibt auch Unterschiede, wie ζ. B. den, daß die Jenaer Ordnung im Interesse der Universität und nicht wie die Leipziger, im Sinne der Buchhändler erlassen wurde. Außerdem werfen hier Zeitpunkt und Wortlaut einige Fragen auf, die nachfolgend aus Jenaer universitäts- und bibliotheksgeschichtlicher Sicht untersucht werden sollen: 1. Vor welchem Hintergrund hat der Jenaer Rektor 1683 eine solche bis ins einzelne gehende „Auktionsverordnung" erlassen? Auf welche Person oder Personengruppe geht die Anregung zurück? 2. Welche Vorteile erwuchsen für die Universität aus einer solchen Verordnung? Stellten zu jener Zeit Bücherauktionen eine ernst zu nehmende Möglichkeit zur Bestandsvermehrung für die Universitätsbibliothek dar? Die Auktionsverordnung von 1683 hat in der Literatur zur Jenaer Buch- und Bibliotheksgeschichte keine größere Beachtung gefunden. Friedrich Lütge erwähnt sie in seiner Jenaer Buchhandelsgeschichte nicht, obwohl er dem Bücherauktionswesen ein kurzes Kapitel gewidmet hat16, und Othmar Feyl teilt lediglich mit, daß „auch die Bücherauktionen in und außerhalb Jenas eine Rolle" gespielt hätten.17 Spätestens seit Gebauers Arbeit wissen wir, daß die geschilderte Verfahrensweise damals allgemein üblich war. Aber der Modus wurde in Jena seitens der Universität in eine juristische Form gegossen, die der Alma mater Jenensis und ihrer Bibliotheca Academica einigen Vorteil aus den Bücherauktionen versprach. In Leipzig hatten 1680 die bei den Bücherauktionen „eingerissenen Mißbräuche und Unordnungen", vor allem was die „Auctionierer" betraf, den Anlaß zu der Verordnung gegeben.18 In Jena bestimmten die Regulierung ökonomische Aspekte wie angemessener Preis, Gebühren, Vorkaufsrecht, kostenlose Ablieferungspflicht. Dabei wurde als Nebeneffekt die anhand der Bücher mögliche Information über ältere und neuere Literatur für Professoren und Studenten gern mitgenommen. Auch eine theologisch motivierte Zensur wurde nicht vergessen. Ob diese allerdings - mehrfach angemahnt - ernsthaft betrieben oder nur als Druckmittel zur Absicherung der erwähnten finanziellen Vorteile eingesetzt wurde, sei dahingestellt. Die Anregung zum Erlaß der Auktionsverordnung ging nicht von den Jenaer Buchhändlern aus, wenngleich sie die eigentlichen Verursacher waren. Allzu gern hätten sie sich das Auktionsmonopol gesichert. Es war vielmehr der Inspector Bibliothecae 16
17
18
Lütge, Friedrich: Geschichte des Jenaer Buchhandels einschließlich der Buchdruckereien. - Jena 1929, S. 145-147. Er bespricht die Verordnung von 1734 und bemerkt nur, daß sie in einzelnen Teilen auf ältere Bestmmungen und Dekrete zurückgehe. Feyl, Othmar: Die neuzeitlichen Anfänge der Universitätsbibliothek Jena 1650-1750. - In: Geschichte der Universitätsbibliothek Jena 1549-1945 / bearb. von einer Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Bibliothekare der Universitätsbibliothek Jena. [Hrsg. von Karl Bulling]. - Weimar 1958, S. 141-224, hier: S. 181. - Dort heißt es weiter: „Die seit 1680 vorhandenen gedruckten Kataloge der Jenaer öffentlichen Auktionen, die im 17. Jahrhundert im Universitätsgebäude stattfanden und durch einen Universitätsvertreter geleitet wurden (den praeco), mußten zueist der Universität und der akademischen Bibliothek, die das Vorkaufsrecht hatten, eingeliefert werden. 1683 erließ die Universität eine gedruckte (und erhaltene) Auctions-Ordnung, ebenso ist eine solche aus dem Jahre 1734 erhalten". Gebauer (wie Anm. 2), S. 34.
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Abb. 2: Aus: Geschichte der Universitätsbibliothek Jena 1549-1945, Weimar 1958, nach S. 176.
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als modi extraordinari
der
Bestandsvermehrung
Academicae Caspar Sagittarius, der die Angelegenheit in Gang setzte. Othmar Feyl hat in seiner bereits erwähnten Arbeit19 und in einem parallel dazu entstandenen, mehr in universitätsgeschichtliche Details gehenden Aufsatz20 die Leistungen des aus Lüneburg stammenden Jenaer Polyhistors und Begründers der Thüringisch-sächsischen Geschichtsschreibung für die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Universitätsbibliothek gegen Ende des 17. Jahrhunderts gewürdigt. Er veröffentlichte auch als Anhang zu seinem Aufsatz zum ersten Mal zwei Denkschriften von Caspar Sagittarius, die dieser 1681 in seiner Eigenschaft als Bibliotheksinspektor verfaßte: 21 (1) Vorstellung, wie die Bibliotheca Aacademica ihren Anfang genommen, vermehret worden und in einen noch bessern Stand könne gebracht werden 22 Jena, den 23. August 1681 (2) Gründliche Nachricht, was es mit denen neuen Catalogis der Bibliothecae Academicae allhie vor eine Bewandnis habe, was bey Verfertigung derselben bißhero vorgelauffen und wie solche mit göttlicher Hülfe ferner continuiret werden sollen. Jena, den 24. August 1681 2 3
Diese beiden Schriftstücke des Inspektors stehen in mittelbarem Zusammenhang mit der 1681 erfolgten Revision der Universitätsvisitation von 1679. Sie bilden mit dem 33 Punkte umfassenden Memorial, das der damalige Universitätsbibliothekar Johann Georg Cummer (1637-1696) anläßlich der Visitation verfaßt hatte, gewissermaßen eine Einheit. 24 Sagittarius, aus Weimar gebürtig, hatte in Helmstedt studiert und war dort Schüler des Juristen, Rechtshistorikers und Mediziners Hermann Conring (1606-1681) gewesen. 1671 war er nach Jena gekommen und hatte 1674, nach dem Tod des Historikers Johann Andreas Bose (1626-1674) das Jenaer Ordinariat für Geschichte übernommen. 1679 wurde er zum akademischen Inspektor der Universitätsbibliothek ernannt, ein Amt, das er „gewissenhaft und energisch" (Feyl) bekleidete. Ob er während seiner Helmstedter Jahre den dortigen Umgang mit Bücherauktionen kennengelernt oder sich erst später, mit dem Thema konfrontiert, von Jena aus darüber unterrichten ließ, ist nicht belegt. In seiner ersten Denkschrift von 1681 befaßt sich Sagittarius vornehmlich mit der Bibliotheksökonomie. Geschickt setzt er einleitend, wenn auch in aller Kürze, die beiden Adressaten seiner Vorschläge, die Herzöge Johann Ernst II. von Sachsen-Weimar 19 20
21
22 23 24
Geschichte UB Jena, wie Anm. 17. Feyl, Othmar: Johann Georg Cummer und Caspar Sagittarius : Bibliothekar und Professor im gemeinsamen Ringen um die erste neuzeitliche Reform des Universitätsbibliothek Jena in der 2. Hälfte des 17. Jhs. Ungedruckte Quellen zur Geschichte der Universitätsbibliothek Jena in der Zeit des aufkommenden Pietismus. - In: WZ Jena, GSR 6 (1956/57) 3/4, S. 251-262. Die erstgenannte Denkschrift trägt auch die Unterschrift des neben Sagittarius als zweiter Inspektor eingesetzten, aber wenig hervorgetretenen Philosophen und Professor der Beredsamkeit Georg Schubart. ThHStA Weimar A 5519, Bl. 447-453. Ebenda, Bl. 443-446. Cummer, Johann Georg: Memorial „Zur Vermehrung, besseren Gebrauch und sicherer Verwahrung der Fürstlich Sächsischen Gesamten Bibliothek zu Jena ...". - Ebenda, Bl. 152-154. - Ebenfalls abgedr. bei Feyl (wie Anm. 18), S. 255-256.
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Konrad Marwinski (1627, 1662-1683) und Johann Georg I. von Sachsen-Eisenach (1634, 1662-1686), als die Vormünder des eigentlichen, noch unmündigen Jenaer Landesherrn Herzog Johann Wilhelm von Sachsen-Jena (1675, 1678-1690), und deren Räte über die Geschichte der Universitätsbibliothek in Kenntnis, um sie - zusammen mit den anderen ernestinischen Höfen als den Erhaltern („Nutritoren") der Universität - an ihre Pflichten gegenüber der Bibliothek zu erinnern. Sodann zählt er auf, wie diese Bibliothec [auch künftig] ordentlich vermehret werden soll 1. durch die jährlichen Deputat-Gelder von Fürstl. Höfen, 25 2. durch Geld, so ein jeder vermögender Studiosus bey seiner Inscription hinzu contribuiret, 3. durch die Bücher, so ein jeder Professor wie auch die promovendi Doctores zu schencken verbunden seyn; item andere Geschenke, 4. durch die Bücher und Schrifften, so allhie gedrucket werden.26 Nach detaillierten Ausführungen zu jeder der genannten Vermehrungsquellen leitet Sagittarius zu einem neuen Kapitel über: Dieses wären also die 4 media ordinaria, wodurch die Bibliotheca Academica bißhero gemehret worden, aber nach Gelegenheit noch besser vermehret werden könnte. Die modi extraordinari sind: 1. Auctiones, 2. der Vorkauff aller gebundenen Bücher, 3. die Verauctionir- oder Verkauffung unterschiedlicher duplo oder triplo in der Bibliothec vorhandenen Bücher.27 Wie im ersten Teil seiner Denkschrift erörtert Sagittarius nachfolgend die einzelnen Optionen bis ins Detail. Über die Auktionen (1) und das Vorkaufsrecht (2) schreibt er:28 1. Was Auctiones der Bücher, sonderlich auff Universiteten vor großen Nutzen schaffen, ist in den Niderlanden, Dennemarck, Schweden, wie auch in Deutschland zu Leipzig, Helmstet und andern Orten bekant. Allhir aber haben einige Buchführer solche sehr gehindert, biß endlich durch beßeres Nachsinnen die Sache zum Schluß kommen, und aus 29
der Wendlerischen Auction im vorigen Jahr nicht allein unterschiedliche Bücher der Bibliothecae publ. freygebig einverleibet, sondern auch die Bibliotheca etliche feine Bücher umb ein gantz geringes pretium erhalten hat. Dieweil aber bey denen Auctionibus noch viel 25
An den Unterhaltungskosten der Universität waren die einzelnen Linien sehr unterschiedlich beteiligt: 1640 trug Sachsen-Altenburg die Hälfte und Sachsen-Weimar und Sachsen-Gotha je ein Viertel, seit 1672 lastete die Hälfte auf Sachsen-Gotha und je ein Sechstel auf Sachsen-Weimar, Sachsen-Eisenach und Sachsen-Jena und seit dem 12. Juli 1691 weiterhin auf Gotha die Hälfte und je ein Viertel auf SachsenWeimar und Sachsen-Eisenach (nach Koch, Herbert: Geschichte der Stadt Jena. - Unveränd. Nachdr. der Ausg. von 1966. - Jena [u.a.] 1996, S. 163). - Aus diesem Fonds kamen auch die Erwerbungsmittel der Bibliothek, zwischen 1650 und 1700 etwa 100 fl jährlich, hinzu kamen noch einmal 100 fl an Universitätsgeldern.
26
ThHStA Weimar A 5519, Bl. 448v. - Hervorhebung von mir. K.M. Ebenda, Bl. 451 v. - Hervorhebung von mir. Κ. M. Ebenda, Bl. 452 f. Gemeint ist die Auktion von Wolfgang Dietrich Wendel, vgl. Anm. 40 und 53.
27 28 29
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Bücherauktionen als modi extraordinari der Bestandsvermehrung zu erinnern, als könnte nach belieben deßwegen ein Aufsatz gemachet, mit dem Senatu communiciret und denen Fürstl. Aulij zur ratification überschicket werden. 2.
Vors andere wird der Vorkauff aller gebundenen Bücher umb deßwegen nöthig seyn, maßen unter denen öfters wider Verhoffens ein lang gesuchtes und seltenes Scriptum vorkömmt, auch muss von etlichen Jahren her fast ein monopolium hiebey einschleichen wollen, dadurch mancher redliche Mann, mancher frommer und fleissiger Studiosus beschweret worden. Wenn aber durch Fürstliche Befehle an Senatum Academicum so wol als oppidanum, wegen ihrer Bürger, die Sache dahin gerichtet würde, daß keine gebundenen Bücher, entweder in gantzen Bibliothecas oder auch einzelne Bücher verkauffet werden dürften, so nicht der Bibliothecae publicae per Bibliothecarium & Inspectores anpraesentiret würden, dürffte es nicht allein großen Nutzen nach sich zihen, sondern auch Vieles bißhero hierunter grassirendem Unheil gesteuret werden.
Als Voraussetzung für das Verständnis der Bestimmungen in der Auktionsordnung ist ein Blick auf die Position der Jenaer Buchhändler im städtischen Gemeinwesen erforderlich.30 Auf Befehl eines früheren Landesherrn, Herzog Wilhelms (IV.) von Sachsen-Weimar-Eisenach, war am Neujahrstag 1660 ein Vertrag zwischen dem Stadtrat und der Universität geschlossen worden, der die Rechte und Pflichten eines „civis academicus" regelte und damit jahrzehntelange Zwistigkeiten beendete. Danach fielen die Buchhändler (mit Ausnahme von Johann Ludwig Neuenhahn) unter die Jurisdiktion des Stadtrates, „es sei denn, einer sei ein ,literatus' oder wohne im Collegium und die Universität entscheide, daß er akademischer Bürger werde". Wer den Laden im Collegium nur miete, bleibe unter des Rats Jurisdiktion (9). Die Drucker dagegen blieben akademische Bürger, durften sich aber der Stadt unterstellen, doch ihre Druckerei war dann auch weiterhin der Universität zugehörig (10). Diese Regelung war für die Universität von einigem Belang, wenn man bedenkt, daß Jena damals ein florierendes Druckereigewerbe besaß. Die Jenaer Druckereien arbeiteten im Vergleich zu Leipzig preisgünstiger und erhielten deshalb viele Aufträge von außerhalb. Daß die Drucker sich gegenseitig Konkurrenz machten, beeinflußte ihre Einnahmen und die Zahl der Gesellen. Nach Ernst Koch31 gab es 1640 vier Druckereien und nur einen Gesellen, bis 1654 waren es schon 14 Gesellen, 1667 gab es fünf Druckereien und 31 Gesellen; zwischen 1677 und 1710 arbeiteten sechs Druckereien mit 30 Gesellen (1677), deren Zahl bis 1710 sich auf 17 einpendelte. Sie blieb bis 1751, als sogar neun Druckereien in Jena tätig waren, unverändert. Buchhändler- und verlegerisch nahm Jena im 17. Jahrhundert im Vergleich mit anderen deutschen Städten ebenfalls eine rasche Entwicklung: Zwischen 1615 und 1660 stand die Saalestadt an siebenter Stelle, zwischen 1661 und 1670 an fünfter, zwischen 1671 und 1700 an dritter und zwischen 1701 und 1720 neben Leipzig sogar an zweiter Stelle.32 Der Buchhändler Johann Bielcke gehörte zu den größten Verlegern dieser Zeit in Deutschland und sein Kollege Neuenhahn unterhielt Filialen in Gotha, Eisenach, Mühlhausen und Arnstadt. 30 31 32
Vgl. hierzu und zum folgenden: Koch, Geschichte (wie Anm. 25), S. 141f. Ebenda, S. 158. Angaben nach Lütge, Geschichte (wie Anm. 16), S. 129.
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Marwinski
Das kontinuierliche Wachstum beider Unternehmensbereiche, des Buchdrucks und des Buchhandels, hätte sich für die Universitätsbibliothek über den Eingang von Pflichtexemplaren günstig auswirken können, wenn sie dieser Erwerbungsart gezielt Aufmerksamkeit geschenkt hätte.33 Die Abgabepflichtigen wurden nicht müde darüber zu klagen, daß sie zu ihren Lasten 4 Pflichtexemplare (für die Bibliothek und die Höfe der Unterhalterstaaten) bereitzustellen hatten, außerdem waren die Buchhändler nach den Universitätsstatuten von 1574 bzw. 1591 zum Vorverkauf an die vier Fakultäten der Universität verpflichtet. Sie durften in Jena kein Buch verkaufen, bevor nicht ihr Lagerkatalog mit den Bücherpreisen der Universität vorgelegt worden war. Der Verkauf von im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation verbotenen Büchern war von vornherein ausgeschlossen. Jenas Buchdrucker und Buchhändler genossen den Schutz der Universität und für kurze Zeit auch den des Staates. Von 1672 an hatte Jena unerwartet - allerdings, wie sich herausstellen sollte, nur für die Dauer von 18 Jahren - als Residenzstadt eines infolge Erbteilung entstandenen Kleinstterritoriums Sachsen-Jena zu dienen. Dessen Landesherren, Herzog Bernhard (1638, 1672-1678) und nach ihm der noch minderjährige Herzog Johann Wilhelm (1675-1690), standen zeitweilig der ernestinischen Gesamtuniversität als „Rector Magificentissimus" vor. 1691 erhielt das Herzogtum Sachsen-Eisenach die Landeshoheit über die Universität. Vor diesem Hintergrund ist die Denkschrift von Sagittarius zu sehen. Neben dem Pflichtexemplar und zusätzlich zu dem im Universitätsstatut verankerten Vorkaufsrecht wollte er auch die in Mode gekommenen Bücherauktionen für die Universität und ihre Bibliothek nutzbar machen. Dabei war schon die Einrichtung eines Buchladens Jahre zuvor am Standort der Universität in den Gebäuden des ehemaligen Klosters St. Peter und Paul eine gute Idee gewesen. Der Inspector Collegii, der Mathematikprofessor Erhard Weigel (1625 - 1699), hatte bereits 1655 im Torgebäude des Kollegienhauses die Akademische Buchhandlung als fünfte Jenaer Buchhandlung etabliert, die er im Auftrage der Universität vermietete. Sie bestand aus einem Buchladen und einer Disputationshandlung. 34 Jetzt sollten auch die Bücherauktionen räumlich in das Universitätsareal einbezogen und die inhaltliche Verantwortlichkeit den Fakultäten übertragen werden. 33
Die Überwachung der Ablieferungspflicht war offenbar problematisch und aufwendig., weshalb sie nicht kontinuierlich vorgenommen wurde. Deshalb wird in den üblicherweise aus Anlaß von Neubesetzungen des akademischen Bibliothekariats übergebenen Instruktionen immer wieder auf diese Aufgabe hingewiesen. So erhielt z.B. Johann Gottfried Müller (1728 - 1792), der das Amt im Juni 1756 angetreten hatte, am 4. März 1758 seine „Instruction des bibliothecarii", die ihm mit Punkt 14 auftrug, bey den Buchdruckern samt und sonders fleißige Anregung zu thun, daß sie von allen Operibus, Tractaten und Disputationibus, auch allen übrigen Sachen, so nicht in der Kirchen ausgetheilet, hier aber ganz oder Stückweiß gedrucket und von aus- und innländischen verleget werden, Fünf Exemplaria zur Bibliothec liefern, wovon er, alsdann an jeden Fürstlichen Hoff eins zu versenden und eins bey der Bibliothec zu behalten hat. Müllers „Privatprotokolle" sind voll von Berichten über seine Bemühungen zur Ablieferung dieser Drucke, über die Säumigkeit der Drucker und über die Methoden, wie sie sich der Ablieferungspflicht entzogen (vgl. Marwinski, Konrad: Die „Privatprotokolle" des Jenaer Universitätsbibliothekars Johann Gottfried Müller 1759 bis 1762. - In: Von der Wirkung des Buches. Festgabe für Horst Kunze zum 80. Geburtstag. Gewidmet von Schülern und Freunden, besorgt von Friedhilde Krause. - Berlin 1990, S. 191-207.
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Vgl. hierzu u. a. Geschichte der Universität Jena 1548/58 - 1958. Bd. 1. - Jena 1958, S. 120f.
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Bücherauktionen als modi extraordinari der Bestandsvermehrung Wir wissen nicht, wie höheren Orts auf die Anregungen der Denkschrift reagiert wurde, doch war die Universität im Rahmen ihrer Zuständigkeiten befugt, bezüglich der Bücherauktionen eigenverantwortlich zu handeln. Als Sagittarius im Februar 1683 für das Sommersemester das Rektorat übernahm, sah er die Gelegenheit gekommen, seinen Vorschlägen in Gestalt einer Verordnung Geltung zu verschaffen und damit das von den Buchhändlern bei der Regierung und bei der Universität vorgetragene leidige Thema zu beenden. Bereits im Jahr zuvor, im Frühjahr 1682, hatte er sich zu der „Beschwerdung der sämtl. Buchführer alhier" wegen der Verauktionierung unterschiedlicher alter Bibliotheken auf Befehl Herzog Johann Ernsts 35 dem damaligen Rektor gegenüber äußern müssen. Nach dem Antwortschreiben des Rektors an die Vormundschaft vom 21. April 1682 zu urteilen, hatte Sagittarius in der uns schon bekannten Weise argumentiert: 36 - Bücherauktionen seien dem bono publico allerdings zuträglich, - arme Studiosi könnten mit geringem Aufwand an einige Bücher gelangen, - andere Autores, welche gar nicht zu bekommen oder wenigstens von den Buchführern mit übermäßigem Werthe verkaufft werden könnten (vorteilhafter) erlangt werden, - arme Witwen und Waisen könnten die anererbten Bibliothecen, worinnen meistens der größte Theil ihrer Erbschafft besteht, solcher gestalt und beßeren Nutzen veräußern und den Übervorteilungen durch die Buchführer, so solche gäntzlich vernichten, entgehen, - die Beschwerden der Buchführer sollten abgewiesen werden, sie hätten ungegründete Ansichten, etliche eigennützige Leute suchten ihren eigenen Vortheil zu ziehen. Die Denkschrift von 1681 mit den Ausführungen über Bücherauktionen, die Stellungnahme von 1682 und die Bücherauktionsverordnung von 1683 bilden eine logische Folge, so daß mit Sicherheit nur Sagittarius als deren Urheber in Frage kommt. Dieser Sachverhalt wird auch durch das Datum der Inkraftsetzung der Verordnung (23. März 1683) unterstrichen, das in die Rektoratszeit von Sagittarius fällt. Die Verordnung erschien als Universitätsdrucksache. Zwar fehlen die sonst üblichen Eingangsfloskeln und die Namensnennung einer für die Rechtsverbindlichkeit des Dokumentes zuständigen Person, aber wir haben das Datum. Außerdem besitzen wir den Nachweis der Universität als Träger der Druckkosten, die 6 fl. betrugen. 37 Die Verordnung machte es möglich, in geregeltem Rahmen unter dem Dach der Universität Bücherauktionen stattfinden zu lassen. Es verwundert nicht, daß die Buch35
ThULB Jena, Bibliotheksakten A A I 2, Bl. 186: Schreiben des Herzogs Johann Emst als Vormund an den Rektor (Jena, den 21. April 1682).
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Sagittarius hat sich dazu schriftlich geäußert; sein Schriftsatz wurde dem Antwortbrief des Rektors als „Original-Inschluß" beigefügt (ThULB Jena, Bibliotheksakten A A I 2, Bl. 187: Schreiben des Rektors an die Vormundschaft, Jena, 1. Mai 1682, Entwurf).
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Daß es sich um eine Universitätsdrucksache handelte, ergibt sich aus Sagittarius' Rektoratsrechnung aus dem SS 1683 (UA Jena, A 992, S. 25: (338)). Der Druck kostete 6 fl. (Abb. des Eintrags bei Rasche, Ulrich: Die Jenaer Rektoratsrechnung von Caspar Sagittarius aus dem Sommersemester 1683. - In: Universitäten und Wissenschaften im mitteldeutschen Raum in der Frühen Neuzeit : Ehrenkolloquium zum 80. Geburtstag von Günter Mühlpfordt / hrsg. von Karlheinz Blaschke und Detlef Döring. - Ixipzig ; Stuttgart 2004, S. 75-186, hier S. 172).
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Konrad Marwinski händler angesichts dieser Konkurrenz auch weiterhin keine Ruhe gaben. Sie sahen ihren Verdienst nicht nur durch den Handel der Buchdrucker mit Disputationen geschmälert, sondern nun auch noch durch die an sich gebrachten Practiken von Professoren, Studiosi und Fremden, gantze vollständige Wercke von vielen Bogen und Alphabethen uns zum großen Nachtheil hauffenweise zu verkauffen und allerhand eigennützige Auctiones Librorum zu betreiben, wie sie der vormundschaftlichen Regierung am 19. September 1683 mitteilten.38 Ihnen war jedes Mittel zur Beschwerde recht. So führten sie eine Auktion an, die angesichts einer Epidemie („contagion") in Leipzig sowohl unserer gemeinen Stadt alß dem gantzen Lande hätte gefährlich werden können. Ein gantz frembder durchreisender Mensch habe an die 60 Centner gebundener frembder Bücher aus Leipzig und Dresden mit sich gebracht, selbige durch gemel[de]ter Auctiones alhier unter die Studenten vertheilt und also sämbtl. Bürgerschafft derer man, doch bey Leib und LebensStraff verbothen, kein Pfund von der gleichen Örthern aufzunehmen, eine gerechte Furcht eingejagt, welche der Allerhöchste biß anhero Väterlich wird abgewendet haben. Die Auktion, auf die hier angespielt wird, hatte schon Jahre zuvor, vermutlich am 7. September 1680 und an den folgenden Tagen, stattgefunden, denn ein gedruckter Auktionskatalog dieses Datums hat sich erhalten: 39 Felicem faustamque esse jubeat II AUCTIONEM II PRIM AM II Supernas Coeli Gratia! II Uti Gratia Supremae inter nos Potestatis earn II PUBLICAM II Fore permisit, II LIBRIS II Theologico-Politico-Philosophico-Historico-Geographico-Philologicis II Ad dies (VII.) & seqq. Septembris in Collegio // instituendam II Exordiemur autem quovis mane ab hora VIII. ad XII. II & post meridiem ä II. ad Vesperem usque II Ad quem actum II Omnes, quotquot literas hie & usquam alibi amant, II Officiossime invitantur II & ut II Praesentibus probatisque nummis frequentes comparere II dignentur amice rogantur II JENAE II Anno Domini 1680. Es ist erwiesen, daß der in der Buchhändler-Beschwerde als „fremder Mensch" bezeichnete Auktionator ein Magister Wolfgang Dietrich Wendel gewesen ist, der sich in seinem Schreiben vom 12. August 1680 an den Rektor als Vocatus Verbis Minister bezeichnete 40 , und der von Sagittarius in seiner Denkschrift erwähnt wird. Nachdem 38
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ThULB Jena, Bibliotheksakten AA I 2, Bl. 176-181: Schreiben „sämbtl. Bürger und Buchhändler" an die vormundschaftliche Regierung. Jena, den 19. Sept. 1683. ThULB Jena, Bibliotheksakten AA I 2, Bl. 193-204 und 205-212, 217-218 (verheftet). - Ohne Erscheinungsvermerk, [12] Bl. - Der Name des Auktionators ist nicht genannt, der ungebunden in Lagen dem Aktenfaszikel beigegebene Katalog wurde aber in unmittelbarer Nachbarschaft zu den hier zugrunde gelegten Schriftstücken aufgefunden, so daß ein Zusammenhang vermutet werden darf. ThULB Jena, Bibliotheksakten AA I 2, Bl. 182: „Eiligst Jena, den 12. Aug. 1680". - Diese Klärung der Personalie wird mit der Aussage in einem Rektorschreiben vom September 1684 an die Vormundschaftliche Regierung erhärtet, das „wegen der bißhero angestellten auctionum librorum" berichtet (ebenda, Bl. 190 v; Weiteres dazu vgl. unten und Anm. 54). Es heißt dort: Nächst diesem allen können wir unerinnert nicht laßen, daß es ein erdichtetes Angeben sey, daß vor etlichen Jahren dieienigen Bücher, welche ein fremder durchreisender Mensch, M. Wolffgang Dietrich Wendel, alhier verauctioniret, zu der Zeit gleich, als Dreßden und Leipzig mit Contagion angestecket gewesen, von dannen hergebracht ... - Die von den Buchhändlern genannte Zeitangabe stimmt so nicht, denn das Patente- u. Rescriptenbuch der Universität für die Jahre 1592 bis 1732 (UA Jena A 16) enthält zwei handschriftl. Mandate wegen der „Pestilentz" in Leipzig (Bl. 263) und Naumburg (Bl. 264), datiert vom 19. bzw. 26. Juni 1681.
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Bücherauktionen als modi extraordinari der Bestandsvermehrung Wendel seine Auktion beim Rektor angemeldet hatte, hat er sehr wahrscheinlich selbst die bibliographischen Daten für den Auktionskatalog zusammengetragen, die Titelaufnahmen sind eindeutig und korrekt. Der Katalog enthält ein weitgefächertes, bis in das 16. Jahrhundert zurückreichendes Titelangebot, das, wie wir wissen, Sagittarius imponierte: 100 Nummern „Libri iuridici" und 491 Nummern „Libri theologiciphilosophico-historico-philologici", davon 71 in folio, 136 in quarto und 284 in octavo. Wendel muß es sehr eilig gehabt haben, denn am Ende des Kataloges vermerkt er entschuldigend: Die übrige, und zwar noch bessere Bücher, sollen in meinem Appendice erfolgen, weilen alles zu verfertigen, die Kürtze der Zeit nicht zugelassen. Und er versprach nicht zuviel, denn sein „Appendix promissa Auctionis nuper habitae ad dies (27) seqq. Septembris continuanda" 41 enthält weitere interessante und für die Zeit wichtige 52 Titel in folio, 162 in quarto und 175 in octavo, das „Supplementum" dazu weitere 32 in folio, 100 in quarto und 70 in octavo. Insgesamt wurden 1182 Titel angeboten, die wohl kaum alle einen Käufer fanden. Wer sie erwarb, wohin sie gelangten und was schließlich mit dem unverkauften Rest geschah, ist heute nicht mehr festzustellen. Der Wendeische Auktionskatalog ist übrigens der älteste Jenaer Auktionskatalog im Bestand der ThULB Jena. 42 Wenn Wendel auch weder Name noch Funktion bei der Auktion angibt, so haben wir es wohl doch mit dem Versteigerungskatalog eines Praeco zu tun, der 20 Jahre älter ist als jener, den Gebauer für das Jahr 1700 - allerdings ebenfalls für Jena - nachweisen konnte 43 : Auctio Librorum Hoc in Catalogo consignatorum B. C. D. Superiorum permisso Jenae in loco Collegij consveto, horisque ante- & pomeridianis consvetis die 8. Novembris seqq. Anni 1700. habetitur. Ad quam quibus commodum est decenter invitat praeco.
Zum Verdruß der Buchhändler müssen der Wendeischen Auktion bald weitere gefolgt sein. Eine wichtige Informationsquelle, die verläßlich über Auktionstermine hätte Auskunft geben können, die seit 1674 bei Neuenhahn erscheinenden , Jenaischen Wöchentlichen Zeitungen", sind bedauerlicherweise für diesen Zeitraum nicht überliefert, so daß ein Nachweis über Annocen entfällt. Wir sind wie Gebauer auf Zufallsfunde angewiesen. So fanden sich denn auch in den Bibliotheksakten tatsächlich noch zwei weitere Auktionskataloge: 44 CATALOGVS // VARIORVM LIBRORVM // COMPACTORVM // PER // AVTIONEM PV- // BLICAM // IN // COLLEGIO ACAD JENENSIS // DISTRAHENDORVM // 22. Maji & seqq. diebus // Anno 1682 // TYPIS GOLNERIANIS
Es gibt einen Hauptkatalog und zwei Appendices sowie eine Ergänzung, die wie folgt überschrieben ist: „In Ipso Catalogi praetermissi sunt aliqvot libri, qvorum indicem 41 42
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ThULB Jena, Bibliotheksakten AA I 2, Bl. 213-216. Preisangaben enthält der Katalog nicht, die später in Auktionskatalogen üblichen Rubriken für Einträge von Gebots- und ersteigerten Preisen fehlen hier noch. Gebauer (wie Anm. 2), S. 63 und A 79. - [S.l. : s.n.]. - 14 S. - 2°. - 1039 Nummern, vorwiegend juristische Titel. -Vorh.: Schloßbibliothek Aschaffenburg: Sign.: (6) an Cat. 34. Die ThULB Jena besitzt diesen Katalog nicht. ThULB Jena, Bibliotheksakten AA I 2, Bl. 242-261, ungebunden, in Lagen dem Aktenfaszikel eingeheftet.
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Konrad
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hue placuit referre", insgesamt werden nach Formaten getrennt 691 Titel angeboten, darunter vier Inkunabeln45. Das zweite Fundstück, ein Auktionskatalog vom Oktober 1682, enthält insgesamt 613 Titel, davon 60 in folio, 190 in quarto, 303 in octavo und 60 „in forma minori".46 DESIGNATIO LIBRORVM // AVCTIONE PVBLICA II IN COLLEGIO II ACADEMIAE IENENSIS II A. MDCLXXXII II DIE OCTOBRIS DISTRAHENDORUM II IENAE II Apud Io. Nisium
Als Besitzer der im folgenden Katalog (Mai 1683) angebotenen Bücher (1341 Nummern) vermutete Gebauer einen Arzt:47 Catalogus librorum, praeprimis Theologicorum & Medicorum, aliorumque, Auctione publice distrahendorum ad diem Maji 1683 / Jenae Literis Bauhoferianis
Schließlich fand sich für 1684 in den Bibliotheksakten noch ein weiterer Appendix, der wegen einer Rubrik ,,Rohe Materia" interessant ist. Er weist darauf hin, daß trotz buchhändlerischer Proteste auch ungebundene Bücher zur Auktion kamen:48 Appendix Liberorum Theologicorum // & Philosophicorum // ad diem Martii Anno 1684. // distrahendi
Der zugehörige Hauptkatalog fehlt allem Anschein nach in Jena. Angeboten werden 141 Titel (darunter 4 Sammelbände) und 4 Nummern „Rohe Materia". Bekannt ist, daß der oben erwähnte Buchhändler Johann Bielcke schon seit 1678 einen Lagerkatalog in periodischen Folgen veröffentlichte und in seiner Handlung wohl auch selbst Bücher verauktionierte.49 Seine „Catalogi librorum compactorum in Bibliopolio Bielkano Jenae venalium" verzeichneten bis zum Jahre 1703 insgesamt 33.872 Titel. Bis zu seinem Tode 1696 war der Universitätsbibliothekar Cummer damit befaßt, im Nebenamt - offenbar ohne Schmälerung seines Ansehens bei der Universität - Bielckes Lager zu verwalten.50 Schließlich war es Burcard Gotthelf Struve (1671-1738), zwischen 1697 und 1703 Cummers Nachfolger im Bibliothekariat51, der 45
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Wiedergabe nach den Katalogeinträgen: (1) Boetius De Consolatione Philosophiae cum Commentario Thomae Aqvinatis. - Seneca De 4. Virtutibus Cardinalibus cum Commentario. - Bucolica Virgilii cum Comm. (Daventriae 1492); (2) Horatius cum Acronis, Porphyrii, aliorumque Commentariis (Venet. 1495); (3) Silius Italicus cum Commen. Petri Marti (Venet. 1493); (4) Rolevincii Fasciculus Temporum Lat. & German. (Basil. 1481). ThULB Jena, Bibliotheksakten AA I 2, Bl. 219-237. - Ob der anschließend (Bl. 238-239 u. 240-241) in 2 Ex. eingeheftete „Appendix" (ohne weitere Angaben) in 2° mit insgesamt 249 Titeln (35 in folio, 48 in quarto, 126 in octavo, 40 in duodecimo) eigenständig oder als Forts, hinzugefügt wurde, ist nicht zu ermitteln. Gebauer (wie Anm. 2), A 58. - 40 S. ; 2°. - Vorh.: Schloßbibliothek Aschaffenburg: Sign.: an Cat. 34. In Jena nicht nachweisbar. ThULB Jena, Bibliotheksakten AA 12, Bl. 262-265. - 7 S . ; 4° Zusammenfassend zu Bielckes Aktivitäten vgl. Gebauer (wie Anm. 2), S. 63 f. Gebauer gibt dazu Zedlers Universallexikon, Bd. 40 (Leipzig 1744), Sp. 1099 an, wo in der Biographie Struves berichtet wird, daß Struve sich um das Bibliothekariat beworben habe: „Nachdem er [Cummer] Bielkens gebundene Bücher in Ordnung gebracht hatte, verließ der Jenaische Bibliothecarius Cummer diese Welt. Er [Struve] hielt also um diese Stelle an." In seiner Hallenser Dissertation „De Iure Bibliothecarum" (1702) hat sich Struve früh mit bibliotheksrechtlichen Fragen befaßt (u.a. Beschlagnahme von Büchern bei Konkursverfahren) und verfaßte ein Jahr später die bekannte „Introductio in notitiam rei litterariae et usum bibliothecarum (Jena 1703).
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Bücherauktionen
als modi extraordinari
der
Bestandsvermehrung
spätere Akademische Inspektor der Bibliothek (1711-1722), Sachsen-Weimarische Rat und Historiograph des Ernestinischen Hauses (1712) und Jenaer Professor des Staats- und Lehnrechts (1730), der im Jahre 1700 seitens der Jenaer Buchhändler beschuldigt wurde, er kaufe alte Bücher zusammen, um sie auf eigene Rechnung versteigern zu lassen.52 Man sieht, merkantile Aspekte kamen auch in der Gelehrtenrepublik rasch zur Geltung. Am Zustandekommen der Jenaer Bücherauktionsverordnung von 1683 konnte angedeutet werden, wie sich Bücherauktionen außerhalb der Buchhandelssphäre an einer Universität durchsetzten, die ihrerseits die damit verbundenen Gelegenheitsgeschäfte gern mitnahm. Der Gedanke, Bücher aus Privathand auf dem Versteigerungswege in (nach heutigem Sprachgebrauch) öffentlichen Besitz zu transferieren, war noch ungewohnt. Die wohl zunächst nur aus den Erfahrungen der einen öffentlichen Bücherauktion Wendeis 1680 gewonnene Argumentation von Sagittarius läßt den Schluß zu, daß man auch in Jena begriff, welche Möglichkeiten die von den Niederlanden herüberkommenden, den Beginn des späteren Antiquariatsbuchhandels markierenden Bücherauktionen boten. Man wartete nicht ab, sondern ergriff selbst die Initiative. Für die damalige Gebrauchsliteratur stand die Frage nach der Aktualität noch nicht so sehr im Vordergrund.53 Das traf auch auf die Gelehrtenbibliotheken der Professoren zu, die in Jena in der Regel den Studenten offen standen. Zur Unterscheidung von diesen wurde die akademische Bibliothek als „Bibliotheca publica" bezeichnet. Daß sich die Buchhändler gegen die ihnen unversehens erwachsene, unliebsame Konkurrenz wehrten, ist nur allzu verständlich. Doch verhindern konnten sie die Bücherauktionen an der Universität, die ihren Standpunkt geschickt verteidigte, nicht. Im Gegenteil, das Auktionswesen scheint ausgeufert zu sein, denn die Universität sah sich 1719 genötigt, in einer veränderten Fassung ihrer Ordnung die Anzahl der Bücherauktionen auf nur eine im Quartal zu beschränken. In der Begründung hieß es in § 13, daß „die Cives Academici und die Studiosi nicht mit allzuvielen Auctionen beschweret, und dadurch von ihren Collegiis abgezogen werden" sollten.54 Diese Formulierung findet sich übrigens unverändert auch in § 13 der unter gleichem Titel 1734 erneut erlassenen „Verordnung, // W i e e s hinfort // auf der Fürstlichen S ä c h s i s c h e n // G e s a m m t e n A c a d e mie Jena // Mit // Verauctionirung derer B ü c h e r // oder Bibliothecquen // zu halten. // J E N A , Gedruckt bey Johann M i c h a e l Hörnen. // i m Jahr 1734." 5 5 52 53
Lütge, Geschichte (wie Anm. 16), S. 145 f. So ergibt eine überschlägige Durchsicht der Titel des Wendeischen Kataloges für das 17. Jahrhundert im Grundwerk bei den Juridica 10 Titel (von insgesamt 100) und bei den Theologica 189 Titel (von insgesamt 491). Letzterer Befund dürfte angesichts dieses „modernen Antiquariats" den Unmut der Buchhändler herausgefordert haben. Es wurde aber auch eine Inkunabel angeboten: Wiedergabe nach dem Katalogeintrag: Francisci Nigri Grammatica latina (Venet. 1480).
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Zitiert nach Gebauer (wie Anm. 2), S. 88, nach dem Göttinger Exemplar (SUB Göttingen, Sign.: 8° J. stat. II 5663) der in seinem Literaturverzeichnis unter A 7 aufgeführten Verordnung / Wie es hinfort auf der Fürstlichen Sächsischen Gesam[m]ten Academie Jena Mit Verauctionirung derer Bücher oder Bibliothethecquen zu halten //Jena / Gedruckt bey Joh. Bertnhard Hellern / im Jahr 1719.- In Jena war ein Exemplar dieser Fassung nicht zu ermitteln. Ebenso fehlen Auktionskataloge für den genannten Zeitraum, die es ermöglicht hätten, die tatsächliche Häufigkeit der Bücherauktionen nachzuweisen.
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UA Jena, A 16b, Bl. 159 ff. [Patente- u. Rescriptenbuch], in 3 weiteren Ex. in der ThULB Jena vorhanden. - Sign.: 4. Bud. Jus. germ. 210 (3); 8. Jur. XVII, 57 (3); 2. Hist. lit. VI, 12 (221).
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Noch im September 1684 hatte die Universität einer am 23. August des gleichen Jahres von der Vormundschaftlichen Regierung in Jena ergangenen Aufforderung nachkommen müssen, „wegen der bißhero angestellten auctiones librorum" Bericht zu erstatten:56 Das zu Frankfurt praktizierte Recht - das die Buchhändler gern für sich in Anspruch genommen hätten - sei für Jena ungeeignet, weil es dort keine Universität gäbe und der Buchhandel ganz anders organisiert sei. Als vergleichbare Beispiele könnten Helmstedt, Gießen („welches doch Franckfurth ganz nahe gelegen") und Leipzig („welches zugleich doch eine vornehme Handelsstadt ist") herangezogen werden. Die Universität habe sich keineswegs mit den Buchführern eingelassen. Sie erinnere daran, daß der bereits 1680 und 1682 „der Auctionen halber erregte Streit", von der damaligen „Vormunds-Herrschafft" und dem „Directorio zu Weimar in weises Bedencken gezogen", inzwischen durch verschiedene „Fürstl. gnädigste Rescripte abgethan worden" sei. Es gäbe Erfahrungen an anderen Orten in und außerhalb Deutschlands, welch großen Nutzen derartige Bücherauktionen hätten, „sintemal durch dieses Mittel man so wol unbenöthigte Bücher ohne großen Verlust losschlagen, als andre um ein billiges an sich kauffen" könne. Man erlange auf diesem Wege so manche seltene Schrift und die Studiosi könnten „zu mehrerem Eifer und Wißenschafft guter Auctorum" gebracht werden. Wenn man die Buchführer ungehindert ihrer Gewinnsucht überließe, blieben viele Bücher den Studiosi unbekannt und würden nicht gekauft. Die Bibliotheca publica würde in ihren Erwerbungsmöglichkeiten „vermindert" und die Privatbibliotheken blieben unvermehrt, auf denen doch das Renomme der Jenaer Professoren beruhe...
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ThULB Jena, Bibliotheksakten AA I 2, Bl. 189-190, [Bericht] wegen der bishero angestellten auctiones librorum (Entwurf, vermutl. von dem Juristen Nikolaus Christoph von Lyncker, Rektor im SS 1684, verfaßt wahrscheinlich in Zusammenarbeit mit Sagittarius).
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Klaus. G. Saur
Kleine Geschichte der Buchmesse in Leipzig
Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts war Frankfurt der Mittelpunkt des europäischen Büchermarktes und damit der gelehrten Welt, obwohl auch auf anderen Messeplätzen mit Büchern gehandelt wurde. Von etwa 1620 bis 1720 war Frankfurt mit Abstand der größte Bücherplatz auf dem die Bücher ausgestellt wurden, wo Buchdrucker, Verleger und Buchhändler, die zumeist alle drei Funktionen in ihrer Firma ausübten, sich trafen und berieten. Die Messekataloge, die zu diesen Veranstaltungen erschienen, stellen heute noch eine wichtige bibliographische Grundlage des Schrifttums dieser Zeit dar. Ab Anfang 1700 kehrte in Frankfurt die Zensur massiv ein und der Erbprinz von Hessen verlangte von jedem ausgestellten Buch acht sogenannte Pflicht- oder Belegexemplare, was Anbetrachts der damaligen geringen Auflagen nicht realisierbar war. Es hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits ein intensives Verlags- und Buchhandelsleben in Leipzig entwickelt und man sah dort die Chance bei den Frankfurter Problemen den regionalen Buchausstellungsplatz Leipzig zu einer großen Messe auszubauen. Ab 1720 fanden dann die Buchmessen regelmäßig in Leipzig statt. Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert wandelte sich die Leipziger Kantatemesse von einer Handelsveranstaltung zum Abrechnungstermin und ab 1825 zum Treffpunkt der jährlichen Hauptversammlung des Börsenvereins der deutschen Buchhändler zu Leipzig. Der eigentliche Charakter der Handelsmesse mit Buchangeboten verlor zugunsten einer Mustermesse. Auch die jährliche Abrechnung in Leipzig verlor in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Bedeutung, da die Organisation der in Leipzig ansässigen Barsortimente, Verlagsauslieferungsfirmen und Exportbuchhandelshäuser immer stärker zunahm. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts kann man von einer eigentlichen Buchmesse in Leipzig nicht mehr sprechen, die Lieferungen hatten die Barsortimente übernommen. Die Barsortimente hatten ursprünglich die Funktion, das umfassende Sortiment der Bücher zu halten und es gegen bar an die Buchhändler zu liefern. Zu Mitte des 19. Jahrhunderts wurde dies auf Rechnungsverkehr umgestellt, nur der klassische Begriff Barsortiment blieb bis heute bestehen. Auch in Frankfurt entwickelte sich nichts mehr außer regionalen Buchausstellungen oder Antiquariatsmärkten. Es fanden zwischen 1850 und der Mitte des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum keine Buchmessen mehr statt, es gab aber immer wieder Versuche diese erneut zu initiieren. Im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel und in den Leipziger Zeitungen erschienen mehrfach Artikel unter dem Motto „Wir benötigen eine neue Buchmesse" oder „Wir benötigen wieder eine Buchmesse". In Leipzig fanden nach wie vor die Jahresversammlungen der Verleger und Buchhändler statt, aber die Ausstellungen waren bedeutungslos und eine Messefunktion wurde nicht wahrgenommen. Im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel vom 6. Mai 1919 heißt es beispielsweise unter der Überschrift Der Buchhandel auf der Leipziger Frühjahrsmesse: „Während der Buchhandel im „Großen Reiter" die gewohnte Form 241
Klaus. G. Saur
des Auftretens beibehalten hatte, fanden wir im Erdgeschoss vom Stenzel Hof zwar nicht eine Zentralisierung des Verlagsbuchhandels aber doch deren Anfänge, nämlich eine engere Gruppierung zusammenpassender Unternehmungen." Hier war auch der seriöse Verlag mit kleinen Ausstellungen vertreten wie beispielsweise L. Staackmann aus Leipzig, Georg Müller aus München, Friedrich Andreas Perthes aus Gotha und einige weitere. Im weiteren Artikel heißt es dann: „Räumlich getrennt von der Papiermesse hatte sich in einem Hause am Neumarkt eine von der Firma Felix Dietrich, dem Verlag der großen Bibliographie der Zeitschriftenliteratur, unternommene Verlegerausstellung aufgetan." Ein Novum, das Interesse weckte aber kaum Bedeutung erlangte, da es ganz schlecht platziert war. Ludwig Volkmann, der Verleger von Breitkopf & Haertel weist am 15. Juli 1919 im Börsenblatt daraufhin, dass die Buchmesse noch viel stärker für Verleger und Sortimenter an Bedeutung gewinnen sollte. 1946 fand zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg die Leipziger Mustermesse wieder statt. Es gab noch keine eigene Buchmesse, aber es gab 37 Verlage, die im Messehaus Specks Hof im Obergeschoss ausgestellt haben. 83 Aussteller unter dem Begriff „Buchhandlungen, Papierwaren-Ausstellerfirmen" und 54 weitere Firmen, die ebenfalls unter dem Begriff „Buchhandlungen, Papierwaren-Ausstellerfirmen" im Messehaus Speckshof im 3. Obergeschoss ausgestellt haben. Das bedeutet, dass im Messehaus Specks Hof gewissermaßen die Vorstufe einer neuen Buchmesse stattfand. Nur kein einziger Verlag aus der nichtsowjetischen Besatzungszone war vertreten. Es waren die alten Leipziger Häuser mit ihren Leipziger Vertretungen anwesend wie Breitkopf & Haertel, B.G. Teubner, E.A. Seemann, Insel Verlag, Reclam, Bibliographisches Institut F.A. Brockhaus, Gustav Kiepenheuer oder auch die neu gegründeten VEB-Verlage wie Die Wirtschaft, Technik, Neue Zeit und Der Morgen. 1947 findet dann die Messe zu klassischen Zeiten im Frühjahr und im Herbst statt, wobei die Zahl der Verlagsaussteller rückläufig ist. 1947 kommen die ersten Aussteller aus den westlichen Besatzungszonen nach Leipzig, unter anderem der Suhrkamp Verlag, damals aus Berlin. Ab 1949 kam dann die Meshdunarodnaja Knijga aus Moskau mit einer großen Ausstellung über das sowjetische Buchschaffen. Ab Frühjahr 1949 findet die Messe nun im Hansa-Haus an der Grimmaischen Straße statt und 1950 ist erstmals der Rowohlt Verlag vertreten, dann Springer aus Berlin, Vandenhoeck & Ruprecht aus Göttingen und Birkhäuser aus Basel. Die Firma KaWe GmbH, eine Kommissionsbuchhandlung aus Berlin-Charlottenburg, organisiert zum ersten Mal einen Gemeinschaftsstand westdeutscher und westberliner Verlage auf der Buchmesse, dem sich dann Aussteller aus Frankreich und Italien anschließen. Aufgrund der Weitereintwicklung der Buchmesse kommen 1955 dann die Sonderbauten des Hansa-Hauses dazu. Ab 1959 wurde der Gutenberg- Preis der Stadt Leipzig im Rahmen der Eröffnung der Leipziger Buchmesse verliehen. Die Verleihung fand im ehrwürdigen Alten Rathaus in Leipzig statt und die Buchmesse war unter 40 verschiedenen Fachausstellungen die einzige, die eine eigene Ausstellungseröffnung samt Verleihung eines eigenen Preises hatte. Dies führte zu einem klaren Profil der Buchmesse, wie es für keine andere Ausstellung in Leipzig galt. Die Aufstellung der Preisträger von 1959 bis 1989 zeigt ein 242
Kleine Geschichte der Buchmesse in Leipzig enormes Übergewicht der DDR-Buchkunst. Der einzige westdeutsche Preisträger war 1963 Professor F. H. Ehmke aus München. Ebenfalls von großer internationaler Bedeutung war einer der Preisträger des Jahres 1965: Jan Tschichold, freischaffender Künstler aus Basel. Es mutet schon grotesk an, dass reihenweise Leipziger Druckereien und sonstige Herstellungsbetriebe ausgezeichnet wurden, aber auch der Vorsteher des Börsenvereins oder der Börsenverein selbst waren unter den Preisträgern. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass zeitweise auch hervorragende und würdige Preisträger gefunden wurden. Die Gutenberg Preisträger der Stadt Leipzig waren: 1959
Professor Horst Erich Wolter, Lindenthal
1960
Karl Gossow, Berlin Offizin Andersen Nexö, Leipzig
1961
Professor Albert Kapr, Leipzig V E B Druckerei Fortschritt, Erfurt
1962
Professor Werner Klemke, Berlin V E B Typoart, Dresden/Leipzig
1963
Professor Solonon Telingater, Moskau Professor F.H. Ehmcke, München
1964
Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig
1965
Lajos Lengyel, Budapest Jan Tschichold, Basel V E B Ratsdruckerei, Dresden
1966
Professor Hans Baltzer, Berlin Bruno Rebner, Leipzig
1967
Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig
1968
V E B Interdruck, Leipzig Professor Walter Schiller, Altenburg Wassil Jontschev, Bulgarien
1969
Professor Dr. Bruno Kaiser, Berlin V E B Röderdruck, Leipzig
1970
Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei Leipzig Graphische Kunstanstalt H.F. Jütte, Leipzig
1971
Professor Andrei Dmitrijewitsch Gontscharow, Moskau
1972
Professor Dr. Horst Kunze, Berlin Roman Tomaszewski, Warschau
1973
Hellmuth Tschörtner
1974
Insel Verlag „Anton Kippenberg", Leipzig V E B Verlag der Kunst, Dresden
1975
W.W. Lazurski, Moskau Börsenverein der Deutschen Buchhändler, Leipzig
1976
Joachim Kölbel, Halle 243
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1977
1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989
Horst Schuster, Dresden Professor György Haiman, Budapest Siegfried Hempel, Leipzig Hans Marquardt, Leipzig HAP Grieshaber, Deutschland Professor Gert Wunderlich, Leipzig Verlag Edition, Leipzig Professor Hans Fronius, Österreich Tibor Szänto, Budapest Helmut Seile, Leipzig Siegfried Hoffmann, Leipzig Elisabeth Shaw, Berlin Dimitri Spiridonowitsch Bisti, UdSSR Jiri Salamoun, CSSR Dr. Fritz Landshoff, Niederlande Lothar Reher, Berlin Proessor Yti Bing-nan, Beijing Klaus Ensikat, Berlin
1954 stellte Guozdi Shudian aus Peking zum ersten Mal in Leipzig aus. Die Firma Santo Vanasia GmbH in Köln führt in Konkurrenz zur KaWe GmbH eine zweite Sammelausstellung westdeutscher und auch westberliner Verlage durch. 1955 kommt zum ersten Mal Langenscheidt aus Berlin nach Leipzig. Inzwischen stellen auch die osteuropäischen Firmen wie Artia aus Prag, Ars Polona aus Warschau oder Raznoiznos aus Sofia in Kollektivausstellungen aus. Im Frühjahr 1956 ist Parey aus Berlin und Hamburg ebenfalls zum ersten Mal vertreten. Die Zahl der westdeutschen Aussteller erhöht sich von Jahr zu Jahr. Es kommen Carl Hanser, Georg Westermann, Vieweg, Verlag Dokumentation und viele andere dazu. Aber bis 1989 ändert sich das Bild der Ausstellung nur noch unwesentlich. 1964 findet die Frühjahrsmesse zum ersten Mal im Messehaus am Markt statt. Durch die Begrenzung auf die vier Stockwerke des Messehauses am Markt, die für die Buchmesse freigegeben sind (der 5. Stock war Waffen vorbehalten), konnte sich die Zahl der Aussteller kaum noch erhöhen. Es gab eine gewisse Stammmannschaft ausländischer Aussteller - sowohl Buchhandelsfirmen, die andere Verlage vertraten, als auch eigene Verlagsaussteller - , die im Prinzip und im großen und ganzen konstant blieben. Die Ausstellerkataloge wurden immer umfangreicher, aber nur deshalb, weil jeder kleinste Verlag, der mit einem Buch an einem Sammelstand vertraten war, einen eigenen Eintrag bekam.
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Kleine Geschichte
der Buchmesse
in Leipzig
Die Funktion der Leipziger Buchmesse Die Leipziger Buchmesse 1946 bis 1989 hatte im Prinzip drei Funktionen: 1. Bedienung des Binnenmarktes 2. Bildung einer Plattform für den gesamten Buchaußenhandel der DDR, also für den Export und Import 3. Zurschaustellung der gesamten Literatur des In- und Auslandes für die einheimische Bevölkerung Der DDR-Buchhandel und das Verlagswesen waren so organisiert, dass insbesondere in der Zeit, als die Buchmesse sowohl im Frühjahr wie im Herbst stattfand, alle Lagerbestellungen der Sortimentsbuchhandlungen bei den Verlagen an den Messeständen aufgegeben werden mussten. Buchhandelsvertreter, wie man sie aus der Bundesrepublik oder Schweiz oder Österreich kennt, gab es zu dieser Zeit in Ostdeutschland nicht. Somit bestand ein wesentlicher Teil der Bedeutung der Buchmesse darin, das Bestellvolumen der Sortimenter für den Binnenmarkt zu bestimmen. In den meisten Fällen war es dann ein Zuteilungsverfahren, da aufgrund der Papierknappheit und der niedrigen Zahl an Verlagstiteln keineswegs alle Bestellungen voll erfüllt werden konnten. Man versuchte auch Abschlüsse des Außenhandels so weit wie möglich auf die jeweilige Buchmesse zu terminieren. In vielen Fällen waren sich die Vertragspartner längst einig, aber man musste die jeweils nächste Buchmesse abwarten, um dann einen Vertrag zu unterschreiben, der damit in die Statistik der Messeabschlüsse flöß. Die osteuropäischen Länder bzw. der sogenannte Ostblock waren durch ihr Außenhandelsunternehmen für Bücher und Zeitschriften in Leipzig vertreten und auch hier galt grundsätzlich, dass die Abschlüsse immer auf der Messe erfolgen mussten. Auch aus der westlichen Welt kamen zahlreiche Vertreter von Export- und Importfirmen nach Leipzig, zum Teil mit eigenen Ständen, zum Teil nur als Besucher, um im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten Verträge mit der DDR bzw. dem Buchexport, über den alle Lieferungen dann tatsächlich liefen, zu vereinbaren. Von einer ganz besonderen Bedeutung war die Information der Bevölkerung. Aufgrund der Tatsache, dass die Buchmesse nur ein winziger Teil im Rahmen der gesamten Handelsmesse war, kam eine außerordentliche große Zahl von Besuchern aus der gesamten DDR jeweils nach Leipzig und nutzte die Gelegenheit, die Buchmesse zu besuchen. Insbesondere die belletristischen Verlage oder die Kunst- und Sachbuchverlage wurden von Privatinteressenten völlig überrollt. In vielen Fällen mussten die Stände abgeschlossen werden und erst wenn einige Besucher den Stand wieder verlassen hatten, durften neue hereinkommen. Es standen Menschentrauben vor Verlagen wie zum Beispiel Rowohlt, S. Fischer, Suhrkamp oder vor den Gemeinschaftsständen von Helios und KaWe GmbH, die ebenfalls belletristische und Unterhaltungsliteratur ausstellten. Zahlreiche Besucher kamen während der Messedauer jeden Tag an die Stände und lasen Bücher von Anfang bis Ende im Stehen durch, da sie nie die Möglichkeit hatten, dieses Buch zu kaufen. Die Zahl der Diebstähle lag sehr hoch, trotz strenger Bewachung durch die DDR-Behörden. Westdeutsche oder ausländische Aussteller machten häufig ein oder zwei Augen zu, denn im Grunde genommen konnte man es keinem Besucher 245
Klaus. G. Saur
übel nehmen, wenn er ein Buch mitnahm. Er wurde ja durch die Ausstellung auf dieses Buch ausgesprochen hungrig gemacht, ohne dass ihm die geringste Chance geboten wurde, dieses Buch auch zu kaufen. Ein Barverkauf am Stand an Privatkunden war strengstens verboten. Aufklärungsbücher oder auch Aktphotographiebände waren so gut wie immer am ersten Tag bereits verschwunden. Das Interesse der Besucher für die Produktion war so groß, wie man sich das auf jeder anderen Buchmesse nur hätte wünschen können.
Die Bedeutung für die westdeutschen Aussteller Im Schnitt stellten etwa 50 westdeutsche Verlage mit eigenen Ständen aus, etwa 200 waren auf den Gemeinschaftsständen von ursprünglich KaWe GmbH, Santo Vanasia GmbH und später Helios, vertreten. Die Gründe, warum die Verlage in Leipzig ausstellten, waren vielfältig. Vielen Häuser fühlten sich Leipzig verpflichtet und eine Ausstellung in Leipzig bedeutete häufig die einzige Möglichkeit, in direkten Kontakt mit potentiellen Autoren oder auch mit den regionalen Buchhändlern oder Bibliothekaren der DDR zu kommen. Die wirtschaftliche Bedeutung war häufig größer als angenommen bzw. angegeben. Aus den offiziellen Außenhandelsstatistiken bzw. innerdeutschen Statistiken ging hervor, dass in den 70er und 80er Jahren für jeweils rund DM 12 Millionen Bücher aus der Bundesrepublik in die DDR geliefert wurden und für DM 12 Millionen Bücher aus der DDR in die Bundesrepublik. Nur, wie das bei statistischen Angaben häufig der Fall ist, man konnte diesen Zahlen nie trauen. Das tatsächliche Volumen war erheblich höher. Es hat Jahre gegeben, in denen beispielsweise der Wissenschaftliche Springer-Verlag wohl mehr Verkäufe getätigt hatte, als die gesamte innerdeutsche Statistik für den gesamten Bereich Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin ausgewiesen hat. Es gab dabei die verschiedensten Verfahren von Liefermöglichkeiten. Bei den Abschlüssen mit dem Buchexport musste man auch immer zwischen sogenannten Clearing-Verträgen und Kompensations-Verträgen unterscheiden. Das Beste war immer, wenn ein westdeutscher Verlag einen Clearing-Vertrag bekam und im Rahmen dieses Vertrages für einen Betrag von DM 50.000 oder DM 100.000 Bücher liefern konnte, die von Seiten der DDR bestellt wurden. So einfach ging es allerdings in den seltensten Fällen. Um einen Clearing-Vertrag zu bekommen, war zunächst einmal eine Messebeteiligung notwendig. Mietete man beispielsweise einen Stand von 12 qm, bekam man pro qm ein sogenanntes Messekontingent von DM 500,-, d.h. der Buchexport verpflichtete sich damit auf jeden Fall für DM 6.000,- von dem Verlag Bücher zu kaufen. In der Praxis wirkte sich das so aus, dass jeweils das ausgestellte Messegut übernommen wurde und dass dafür ein Remissionsrecht eingeräumt wurde. Dieses Remissionsrecht wurde in den meisten Fällen nur zwischen 0 und 10 % ausgenutzt. Bei dem Absatz des Ausstellungsgutes war es wichtig zu wissen, dass die Bibliotheken der DDR die Möglichkeiten hatten, die ausgestellte Literatur in Leipzig im Rahmen ihres sogenannten Ost-Etats und nicht ihres Devisenetats zu bestellen. Eine normale Uni246
Kleine Geschichte der Buchmesse in Leipzig versitätsbibliothek hatte beispielsweise die Möglichkeit, für 2 Millionen DM OstLiteratur aus der D D R und aus den osteuropäischen Ländern zu kaufen, hingegen hatte sie lediglich D M 5 0 . 0 0 0 , - sogenannter Valuta-Beträge frei, um Literatur aus der Bundesrepublik und dem westlichen Ausland zu besorgen. Das Messegut wurde dem sogenannten Ost-Kontingent zugerechnet, so dass es für jede Bibliothek verlockend war, zu prüfen, welche Titel waren ausgestellt, die sie noch nicht in ihrer Bibliothek hatten, um diese sofort zu bestellen, da j a in vielen Fällen nur ein oder zwei Exemplare ausgestellt wurden. Eine zusätzliche, sozusagen garantierte Variante der Abnahme gab es, wenn die Organe des Staatsicherheitsdienstes in der Nacht vor Eröffnung ihre komplette Überprüfung der ausgestellten Publikationen vornahmen und Bücher beschlagnahmt wurden. Diese Bücher wurden immer fest übernommen und bezahlt. Hier gab es keine Remissionsgefahr und ein wissenschaftlicher Verlag nutzte diese Situation auch einmal jahrelang aus. Er brachte pro Messe im Frühjahr und im Herbst 5 Exemplare eines Buches über psychologische Eingliederungsschwierigkeiten von Ungarnflüchtlingen nach dem Ungarnaufstand mit, das immerhin DM 298,- kostete und dieses Buch wurde jedes Mal beschlagnahmt. Da das Buch sonst kaum Absatz fand, war dies die entscheidende Aktion den Absatz zu verstärken. Nachdem das Buch schon einige Jahre auf diese Weise langsam aber sicher abgeflossen war, kam an einem Messe-Eröffnungstag am Sonntag der Vertriebsleiter des Verlages an den Stand und sah ganz erschreckt, dass diese 5 Bücher noch am Stand waren. Man wusste, dass die Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes im 3. Stockwerk ihr Büro hatten. Er ging dorthin, fragte nach, was denn nun los sei, warum sie die Bücher nicht beschlagnahmt hätten. Ihm wurde dann treuherzig erklärt, das Thema sei nicht mehr so brisant und man hätte mittlerweile auch schon so viele Exemplare. Er bat händeringend darum, dass die Bücher noch einmal beschlagnahmt würden und man verständigte sich darauf, dass dies tatsächlich geschehen soll unter der Bedingung, dass sie zur nächsten Messe nicht mehr mitgebracht würden. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Aspekt der Messebeteiligung war, dass die Bevölkerung sich extrem gut über die ausgestellten Publikationen informierte und dass es anschließend noch zahlreiche Wünsche an Verwandte jeweils im Westen gab, dass diese Bücher geschickt werden. Jeweils abhängig von der politischen Großwetterlage erreichten diese Wünsche dann ihr Ziel. Das heißt, viele Buchsendungen wurden nicht beschlagnahmt. Verlassen konnte man sich darauf allerdings nie. Jeder westdeutsche Verlag, der an einer echten Kooperation mit der DDR interessiert war, sei es Bücher abzusetzen, Teilauflagen zu vereinbaren oder Lizenzvereinbarungen zu treffen, war im Prinzip mehr oder weniger gezwungen, an der Buchmesse teilzunehmen. Bei den sogenannten Kompensationsverträgen wurde dies deutlich. Hier wurde ein Betrag von beispielsweise D M 50.000 oder D M 100.000 festgelegt und es wurde bestimmt, dass der Verlag aus der Bundesrepublik für diesen Betrag Bestellungen bekommen würde, und dass er statt einer Bezahlung für den Gegenwert Bücher aus DDR-Verlagen beziehen würde. Dies war möglich im allgemeinen Sortimentsbereich. Das heißt, man konnte auch von Verlagen 5 0 oder 100 Exemplare mit ostdeutschem Eindruck bestellen und sie über die westdeutsche Organisation verkaufen. Aber das
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übliche Verfahren war, dass man bei den ostdeutschen Verlagen Titel bestellte, die eine vernünftige Ergänzung zum eigenen Programm bedeuten konnten. Man verständigte sich darauf, dass man dann Teilauflagen von 1.000, 2.000 oder auch 3.000 Exemplaren übernahm. In diese Exemplare wurde dann der westdeutsche Verlagsname eingedruckt und lediglich im Impressum vermerkt: „Lizenzausgabe des ostdeutschen Verlages XY". Man erwarb dann die exklusiven Vertriebsrechte entweder für den gesamten westlichen Markt, was aber im Laufe der 70er Jahre immer schwieriger wurde, da die DDR immer mehr darauf bestand, nur noch die Vertriebsrechte für die Bundesrepublik einschließlich West-Berlin zu vergeben und dann auf dem Kompromissweg bereit war, Österreich und Schweiz noch einzuschließen. Von besonderer Bedeutung war das für die ostdeutschen Verlage, die zum Teil bis 1989 nicht berechtigt waren, ihre Bücher direkt in der Bundesrepublik zu vertreiben. Es handelte sich um namensgleiche Verlage wie Bibliographisches Institut Leipzig - Bibliographisches Institut Mannheim, Reclam Leipzig - Reclam Stuttgart, Brockhaus Leipzig - Brockhaus Wiesbaden - später Mannheim. Zum Teil war hier die Situation so kompliziert, dass beispielsweise auch viele Jahre lang kein Buch mit dem Eindruck im Impressum „Copyright by Bibliographisches Institut, Leipzig" verbreitet werden konnte, da es ein Landgerichturteil gab, das jede Verbreitung mit diesem Namen ausdrücklich verbot. Es wurden dann Hilfskonstruktionen geschaffen, d.h. der Verlag Bibliographisches Institut Leipzig gab eine Lizenz an seinen Schwesterverlag VEB Verlag für Buch- und Bibliothekswesen, Leipzig. Dieser Verlag gab dann die Lizenz an den westdeutschen Partner. Es gab auch Fälle, die deutlich machen, warum die offiziellen Statistiken im Prinzip nie gestimmt haben, wobei es auch in den 60er und 70er Jahren die zum Teil groteske Situation gab, dass das Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen Beschränkungen auferlegte und verbot, das beispielsweise für mehr als DM 12 Millionen Bücher aus der DDR in die Bundesrepublik kamen. Als beispielsweise ein westdeutscher Verlag einen besonders attraktiven Titel aus der DDR in einer Auflage von 100.00 Exemplaren kaufen wollte, stieß er auf das Problem, dass dieses im Rahmen der bewilligten Beträge nicht mehr unterzubringen war. Daraufhin ließ man einen Buchblock und eine Einbanddecke in Leipzig herstellen, exportierte sie nach Italien, lieferte sie von Italien nach Österreich. In Österreich wurde das Titelblatt des Buches neu gedruckt und auf der Rückseite des Titelblatts im Impressum vermerkt „Printed in Austria". Dies traf für das Titelblatt zu. Damit konnten dann, nachdem auch die Bindung in Österreich endgültig erfolgt war, die 100.000 Bücher mit österreichischem Ursprungszeugnis in die Bundesrepublik Deutschland geliefert werden und belasteten andere Statistiken, aber nicht mehr die innerdeutschen Zahlen. Es zeigte sich auch in vielen Fällen, dass der Buchexport in Leipzig, der allen Export- und Importverträgen zustimmen musste, häufig die Bremserfunktion wahrnahm, während sich der Verlag aus der DDR und der Verlag aus der Bundesrepublik längst einig waren und alle möglichen Tricks überlegten, um den Buchexport auszuspielen. Eine weitere große Bedeutung hatten die Lizenzvereinbarungen. Das heißt, insbesondere im belletristischen und Kinderbuch-Bereich konnte der ostdeutsche Verlag bei höheren Auflagen-Erwartungen weder die Druckkapazität gewährleisten, noch für die entsprechende Papier- oder Bindequalität garantieren. In diesen Fällen wurde dann 248
Kleine Geschichte
der Buchmesse
in Leipzig
oft vereinbart, dass der westdeutsche Verlag eine Lizenz bekam und die entsprechenden Lizenzgebühren bezahlte. Natürlich wurden auch entsprechende Vereinbarungen in der Richtung getroffen, dass ostdeutsche Verlage Lizenzen von westdeutschen Verlagen erwarben. Insbesondere an Autoren wie Bertold Brecht, Thomas Mann aber auch Hermann Hesse, Martin Walser, Siegfried Lenz, Max Frisch war man immer extrem interessiert und auch hier fanden auf den Leipziger Buchmessen zahlreiche Verhandlungen statt. Über die inzwischen bekannt gewordenen Plus-Auflagen war damals - zumindest aus meiner Sicht auch Eingeweihten überhaupt nichts bekannt. Natürlich kamen zur Leipziger Buchmesse auch zahlreiche westdeutsche Buchhändler, die sich über das Programm informieren konnten oder auch belletristische Sachbuchverleger, die nur an einzelnen Themen interessiert waren und für die eine eigene Messeteilnahme als Aussteller nicht in Frage kam. Nicht zu vergessen sind die vielen Besucher, die die Leipziger Buchmesse genutzt haben, um mit der Teilnahme automatisch ein Visum zu erhalten. Denn ohne besondere Begründung gab es keine Visa und somit bot sich für viele die Möglichkeit, Verwandte, Bekannte und Freunde in der DDR zu besuchen.
Die Leipziger Buchmesse nach der Wende 1990 nach dem Fall der Mauer in Berlin kamen zur Leipziger Buchmesse zum ersten Mal Hunderte von Ausstellern aus der alten Bundesrepublik, aus Österreich, der Schweiz und aus weiteren Ländern. Man erwartete das ganz große Auftragsaufkommen, das zum Teil auch im ersten Jahr erfüllt wurde. In einer Reihe von Fällen führte dies allerdings zum Zusammenbruch der vormals staatlichen inzwischen zum Teil privatisierten Buchhandlungen. Es wurde aber deutlich, eine zweite Buchmesse im vereinigten Deutschland neben Frankfurt kann es nicht geben. Es genügt, die Buchmesse einmal im Jahr stattfinden zu lassen und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die Stadt Leipzig, die Leipziger Messe GmbH sowie die Verlagsgruppe Bertelsmann überlegten intensiv wie man eine adäquate Buchausstellung gestalten könnte. Daraus entstand der Gedanke von „Leipzig liest". Auf der Leipziger Buchmesse fanden 1991 zunächst mehr als 500, danach bis zu 1.000 literarische Veranstaltungen statt. Die Eröffnung der Buchmesse 1991 war zunächst in der Nikolai-Kirche, dann einmal in der Thomas-Kirche, ab 1993 immer im Gewandhaus mit einer grandiosen Eröffnungsfeier. Musikalisch und literarisch auf höchstem Niveau wurde dieses Treffen derartig wichtig, dass man den Eindruck bekam, man könne auf die ganze Buchmesse verzichten, nur auf die Eröffnung nicht. Ab 1995 bezog man dann das neue Messegelände vor den Toren Leipzigs. Das Messegeländer war völlig modern gestaltet und konnte im Prinzip nur durch Straßenbahn oder Taxi erreicht werden. Die Veranstaltungen im Rahmenprogramm wurden geteilt. Einige wenige fanden auf dem Messegelände statt, die übrigen blieben in den verschiedenen Häusern der Stadt, in Messehäusern, aber auch in der Deutschen Bücherei, im inzwischen fertiggestellten wiederaufgebauten Haus des Buches am Gerichtsweg, 249
Klaus. G. Saur dem altehrwürdigen Coffeebaum und an vielen anderen Stellen. Leipzig entwickelte sich zu einem literarischen Treffpunkt erster Klasse, die Presseberichterstattung war hervorragend und ist es bis heute geblieben. Die Buchmesse hat keine eigentliche wirtschaftliche Messebedeutung, denn ein wirklicher Handel oder Austausch von Lizenzen findet kaum statt. Allerdings nimmt das Publikum in einem Maße teil, wie man es sich in Frankfurt nur wünschen kann und die publizistische Wirkung ist enorm. Es wird über die Leipziger Buchmesse fast so viel berichtet wie über die Frankfurter Buchmesse, obwohl sie nur einen absoluten Bruchteil der wirtschaftlichen Bedeutung hat. Der Buchhandel hat eine zweite Plattform gefunden, mit der er massiv und intensiv Öffentlichkeitsarbeit betreiben kann. Die Zuwachszahlen der letzten Jahre machen deutlich, dass hier ein weiteres Potential zu erschöpfen ist, und dass diese Form der Buchmesse in Leipzig durchaus eine Zukunftsberechtigung hat.
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Die Zentral- und Landesbibliothek Berlin und die Berliner Öffentlichen Bibliotheken - eine langwierige Strukturdiskussion
1. Eine erneute Strukturdiskussion Berliner Öffentlicher Bibliotheken zu Beginn des 21. Jahrhunderts Seit rund zwei Jahren findet in Berlin eine mehr oder weniger interne Diskussion über die Struktur der Berliner Öffentlichen Bibliotheken statt. Es geht erneut um die alte Frage, wie zentralisiert oder dezentralisiert das Netz der Berliner Bibliotheken zusammen arbeiten soll. Denn anders als in fast allen Metropolen der Welt hat Berlin kein einheitliches Bibliothekssystem, bestehend aus einer Zentralbibliothek und angegliederten Zweigbibliotheken in den Bezirken. Berlin leistet sich in seinen zwölf Bezirken zwölf verschiedene eigenständige Bibliothekssysteme, die neben der Zentral- und Landesbibliothek Berlin die Bevölkerung bibliothekarisch versorgen sollen. Angesichts der finanziellen Misere der Stadt Berlin und ihrer Bezirke sowie weiterer struktureller Maßnahmen ist zwischen 1992 und 2004 die Zahl der Standorte Öffentlicher Bibliotheken in Berlin von mehr als 200 Bibliotheken auf unter 100 gefallen. Die angstvolle Argumentation, dass die Folge einer Zentralisierung die Aufgabe von dezentralen Bibliotheksstandorten bedeuten könnte, ist durch diese Entwicklung ad absurdum geführt. Im Gegenteil, die dezentralen Strukturen haben die Reduzierung der Standorte zu verantworten. Diese wird in einzelnen Bezirken oft ohne Planung und unabhängig von den gesamtstädtischen Zusammenhängen entschieden und hat deutliche Lücken in der bibliothekarischen Versorgung der Berliner Bevölkerung zur Folge. Aus diesem Grund hat die erneute Strukturdiskussion gegenwärtig eine besondere Bedeutung
2. Die Strukturdiskussion der Berliner Öffentlichen Bibliotheken im historischen Überblick 2.1 Die Entstehung bezirklicher Bibliotheken in Berlin Ein Blick auf die Geschichte Berlins mit seinen unabhängigen Bezirken erklärt schnell einige Hintergründe der gegenwärtigen Situation. Die ersten vier Berliner Volksbüchereien öffneten in Berlin im August 1850 ihre Tore, angeregt und organisiert durch Friedrich von Raumer, der das Vorbild der amerikanischen .public library' aus eigener Anschauung kannte. Die finanzielle Unterstützung kam durch den „Verein für wissenschaftliche Vorträge", der aus seinem Stiftungsvermögen 4000 Taler für die Gründung bereit stellte, verbunden mit der Auflage, dass diese Volksbüchereien in der Folge in 251
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öffentlicher Trägerschaft weitergeführt würden.1 Mit nur wenigen wöchentlichen Öffnungsstunden konnten die Volksbüchereien dem wachsenden Interesse an breiter Bildung zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht nachkommen. Es entstand die Bücherhallenbewegung. Sie hatte neben anderen Aktivitäten vor allem den seit 1890 ernannten ,Bibliothekar der Stadt Berlin' Arend Buchholtz als Befürworter. Die mit Zeitungen und Illustrierten sowie Nachschlagewerken und Lexika ausgestatteten öffentlichen Leseräume sollten die Ausleihstellen ergänzen. 1892 gab es im alten Stadtgebiet - das waren die Berliner Bezirke Kreuzberg, Tiergarten, Wedding, Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain - bereits 27 Volksbibliotheken.2 Auch in den anderen, damals noch selbstständigen Gemeinden entstanden solche Einrichtungen - Charlottenburg ist eine der wichtigsten aus dieser Zeit.3 2.2 Das Verhältnis der Berliner Zentralbibliothek bis 1945
zu den
Bezirksbibliotheken
Die Gründung der Berliner Stadtbibliothek im Jahr 1901 war im Rahmen der erneuten Diskussion geschehen, die alte Frage der Zentralisierung des städtischen Bibliothekswesens wieder aufzugreifen und einer Zersplitterung der für das Bibliothekswesen eingesetzten Mittel entgegen zu wirken.4 In einer Haushaltsberatung der Berliner Abgeordneten am 15. März 1900 sahen einige Redner vor allem die Zentralisierung des Volksbibliothekswesens als Hauptfunktion der neuen Zentralbibliothek. Der Stadtbibliothekar Arend Buchholtz sprach davon, das die ,über die Stadt verstreuten, immer mehr an die Peripherie rückenden Volksbibliotheken und Lesehallen durch ihre neue Rolle als Zweigstellen der Zentralbibliothek an Bedeutung gewinnen werden und dies auch deshalb, weil ihre Nutzer dort bestellen und die Bücher aus der Zentralbibliothek geliefert erhalten. 5 Der Name Zentralbibliothek wurde mehrfach erwogen, dann aber zugunsten von ,Berliner Stadtbibliothek' fallen gelassen. In den folgenden Jahren gab es eine gute und relativ reibungslose Zusammenarbeit zwischen den Volkbibliotheken und der Berliner Stadtbibliothek, die über ein deutlich erweitertes und besseres Angebot verfügte. Die Bildung der neuen Stadtgemeinde Berlin entwickelte sich erst 1920. Zu diesem Zeitpunkt war auch die große Zentralbibliothek, die Berliner Stadtbibliothek, schon neunzehn Jahre alt. Das am 27. April 1920 mit nur geringer Mehrheit angenommene „Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin" trat am 1. Oktober des gleichen Jahres in Kraft und vereinigte 206 Bezirke mit einer Gesamtbevölkerung von 1
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S. Wahlich, Ulrike (1999): Lese-Zeiten : ein Jahrhundert Bibliothekswesen in Reinickendorf. - Berlin : Jaron-Verl., 1999 S. 11. S. Wahlich (1999) S. 14. S. Pilzer, Harald: Charlottenburg und andere : private und kommunale Volksbibliotheken im Grossraum Berlin in der Phase der Bücherhallenbewegung 1892 - 1914. - Wiesbaden : Harrassowitz, 1997 Sonderdruck aus Stadt und Bibliothek S. 179-230. S. Amtl. Stenograf. Bericht über die Sitzung der Stadtverordnetenvers, am 29. 3. 1898 ; Historisches Archiv derZLB : 24,2 Blatt 1. Wahlich, Ulrike (2001): Rückblick mit Zukunft : 100 Jahre Zentral- und Landesbibliothek Berlin München : Saur, 2001 S. 15ff. Drei weitere Bezirke (Marzahn, Hohenschönhausen und Hellersdorf) wurden in der DDR-Zeit durch Neugliederung gebildet.
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Die Zentral-
und Landesbibliothek
Berlin
und die Berliner
Öffentlichen
Bibliotheken
fast 3,9 Millionen Einwohnern. 7 Gleichzeitig wurde damit auch die Zweistufigkeit der Berliner Verwaltung eingeführt. Erhebliche Vorteile sollte die Eingemeindung für die Versorgungsbetriebe und die Verkehrsplanung erbringen. Als dieses Groß-Berlin entstand, diskutierte man im Ausschuss ,Bildungswesen' erneut über die Zusammenfassung der Stadtbibliothek mit den Volksbibliotheken der Bezirke. Eine solche Zentralisierung wurde von den Vertretern der Bezirke als schädlich und bibliothekarisch undurchführbar bezeichnet. Dabei wurde vor allem mit der Heterogenität der Bezirke und ihren spezifischen bibliothekarischen Tätigkeiten argumentiert. In der Folge wurden dem Leiter der Stadtbibliothek die Volksbibliotheken der Bezirke 1 - 6 (Innenbezirke), dem Leiter der Charlottenburger Volksbücherei die Bezirke 7 - 2 0 (Außenbezirke) mit dem Ziel übertragen, eine Verbesserung und Vereinfachung der Betriebsabläufe zu organisieren. Ein bibliothekarischer Beirat für GroßBerlin besprach die wichtigsten Angelegenheiten der Volksbüchereien, konnte aber die sehr heterogene Struktur und das Niveau insbesondere der Außenbezirke nicht verbessern. 8 Immer wieder wurden auch im Zusammenhang mit einer angestrebten gemeinsamen Benutzungsordnung die Verschiedenheit der Volksbibliotheken durch den Charlottenburger Leiter Gottlieb Fritz betont und damit eine Vereinheitlichung verhindert. In der Folge wurde das städtische Bibliothekswesen so beschrieben, dass zwar einerseits die Rolle der Stadtbibliothek als Zentrale für die übrigen Büchereien ausgebaut werden sollte (Zentrallektorate, Veranstaltungsplanung, Leihverkehr), tatsächlich aber die bezirklichen Hauptbüchereien mit ihren Zweigstellen das volksbibliothekarische Konzept für Berlin darstellen sollten. Dabei wurde unter Leitung von Gottlieb Fritz, dann schon Direktor der Berliner Stadtbibliothek, versucht, die Stadtbibliothek auf rein wissenschaftliche Literatur zurückzudrängen und Unterhaltungsliteratur allein in den Bezirken anzuschaffen. Dies führte in der Folge zu einem Einbruch der Ausleihen der Berliner Stadtbibliothek und damit zu einem Minderangebot für die Bevölkerung, während die vorgesehenen zentralen Dienstleistungen der Stadtbibliothek an bezirklichen Weigerungen scheiterten. Nachdem Gottlieb Fritz von den Nationalsozialisten 1934 entlassen und an seine Stelle Wilhelm Schuster die Leitung der Berliner Stadtbibliothek übernommen hatte, - eine schillernde Figur, die einerseits enge Zugehörigkeit zu den Nazis an verschiedenen Stellen deutlich äußerte, andererseits nach Aussagen von Zeitzeugen, die Bibliothek vor massiven Eingriffen der Nazis bewahren konnte, - entwickelte sich die Berliner Stadtbibliothek noch stärker in ihren wissenschaftlichen Sammlungen bei gleichzeitiger Vereinfachung ihrer Benutzung. Die Nutzung der Bibliothek konnte dennoch in diesen Jahren keinen Zugang verzeichnen und eine Leserstatistik wurde nur in den Volksbüchereien geführt. 9 2.3 Schrittweise Zentralisierung
in Ostberlin
Nach dem Krieg begann eine neue engere Zusammenarbeit zwischen den Volks- und Stadtbüchereien der Ostberliner Bezirke mit der Berliner Stadtbibliothek, die den be7
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S. Mieck, Ilja : Geschichte Berlin bis 1945 In: Berlin Handbuch : das Lexikon der Bundeshauptstadt. Hrsg. Presse und Informationsamt des Landes Berlin. - Berlin : FAB-Verlag, 1992, S. 487. S. Wahlich (2001) S . 4 8 f f . S. Wahlich (2001) S. 91.
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Claudia
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zirklichen Leihverkehr wieder aufnahm. 1954 wurden der Berliner Stadtbibliothek als wissenschaftliche Allgemeinbibliothek zusätzliche zentrale Funktionen für das Netz der Ostberliner Bezirksbibliotheken übertragen. Dabei bezogen sich die Aufgaben in erster Linie auf die fachlich-methodische Anleitung und die Bildung von speziellen Abteilungen wie Methodik und Inspektion, Literaturpropaganda und Kinderbibliotheken. Indirekt war es die Übernahme von konkreten Kompetenzen des Amts für Büchereiwesen für die bezirklichen Bibliotheken durch die Berliner Stadtbibliothek. Insbesondere die Methodische Abteilung kooperierte mit den staatlichen Allgemeinbibliotheken, die aber den Bezirksämtern unterstellt blieben. „Die Aufgabengebiete und Ziele der Methodischen Abteilung waren klar umrissen: - Anleitung der allgemeinen öffentlichen Bibliotheken in Berlin in Unterstützung der städtischen Verwaltungsstellen - Vereinheitlichung im Bereich der Allgemeinen Öffentlichen Bibliotheken - Verbesserung der Bestandspolitik und der Ausleihtätigkeit - Erarbeitung und Herausgabe von Materialien zur Literaturpropaganda und Bestandserschließung - Analyse und Auswertung der Arbeitsergebnisse aller allgemeinbildenden Bibliotheken - Propagierung und Nutzung aller Möglichkeiten, die die Berliner Stadtbibliothek als wissenschaftliche Allgemeinbibliothek für die Arbeit der allgemeinen Öffentlichen Bibliotheken bietet... So war das (Ost)Berliner Büchereiwesen auf der Grundlage von verbindlichen Abmachungen auf dem Wege zu einer einheitlichen Gestaltung."10 Der Direktor der Berliner Stadtbibliothek, Heinz Werner, zog entsprechend eine positive Bilanz und wies auf die steigenden Erfolge des Bibliothekssystems hin. Später wurde sogar eine Autobücherei betrieben, die von der Zentrale aus die Versorgung der abgelegeneren Ostberliner Bezirke bediente. Endgültig 1968, mit der Übernahme der Bibliotheksverordnung der DDR für Berlin, wurde die Methodische Abteilung für Allgemeine Öffentliche Bibliotheken der Berliner Stadtbibliothek angegliedert und damit die anleitenden Funktionen der Berliner Stadtbibliothek gegenüber den Ostberliner Bezirksbibliotheken bekräftigt, die sich in Konzeptionen, Standortverteilungen und statistischen Jahresberichten in den folgenden zwei Jahrzehnten zeigten. 2.4 Dezentrale
Bibliotheksstrukturen
in Westberlin
Im Westen war die Eröffnung der Amerika-Gedenkbibliothek 1954 mit ihrem Freihandbestand von wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Literatur die Initialzündung für das 1955 verabschiedete Berliner Büchereigesetz gewesen, das gezielte Förderungsmaßnahmen für die Öffentlichen Bibliotheken der Westberliner Bezirke vorsah. Die Amerika-Gedenkbibliothek erhielt zusätzlich den Namen Berliner Zentralbibliothek, nicht nur um ihre Herkunft aus der nach dem Krieg gegründeten wissenschaftlichen Zentralbibliothek zu unterstreichen, sondern auch um ihre Rolle als Zentralbibliothek für die Zukunft zu postulieren. 10
S. Wahlich (2001) S. 109.
254
Die Zentral-
und Landesbibliothek
Berlin
und die Berliner
Öffentlichen
Bibliotheken
Fritz Moser, erster Direktor der Amerika-Gedenkbibliothek, wirft die Frage auf, wieweit die AGB ihrer Rolle als öffentliche Zentralbibliothek gerecht zu werden vermochte: „ Im Vergleich mit den Zentralbibliotheken der anglo-amerikanischen Staaten fällt natürlich sofort auf, dass die AGB nicht wie dort überall auch die verwaltungsmäßige Zentrale mit entsprechenden Weisungsbefugnissen für das gesamte Netz der Berliner Stadtbüchereien darstellt. Vielfältige Möglichkeiten der zentralen Lenkung und Rationalisierung - im Ausland seit langem erprobt - stoßen sich hier an den Schranken der Berliner Verfassung und der darin festgelegten Selbstverwaltung der Berliner Bezirke. So sehr man das aus fachlicher und ökonomischer Blickrichtung im einzelnen bedauern mag, so verbleiben doch nichtsdestoweniger genügend wichtige und entscheidende Merkmale, die den Anspruch auf den Begriff ,Zentralbibliothek' rechtfertigen".11 Im weiteren erwähnt Moser das Literatur- und Medienangebot der AGB als Zentrum und Oberbau für das öffentliche Bibliothekswesen der Stadt, ihr allgemeiner Auskunftsdienst als Rückgrat für alle öffentlichen Bibliotheken Berlins, die Sammlung zur Geschichte Berlins als typische Aufgabe einer Central Public Library. Weiterhin betont er, dass die Leser der AGB aus allen Berliner Bezirken kommen sowie ihre Rolle als Leitbibliothek im Leihverkehr. Moser beschreibt in diesem 1979 veröffentlichten Aufsatz auch eine Vision: „Noch stärkere Rationalisierungseffekte dürften sich im Bereich der Katalogisierung, die im Berliner on-line-Bibliotheksverbund angestrebt wird, ergeben. Dies wird zu einer schrittweisen Vertiefung der Zusammenarbeit mit den Stadtbüchereien der Bezirke führen. Hier könnte die AGB wie bei ihren Anfängen wiederum zukunftsweisend wirken."12 Doch in der Realität gestaltete sich auch in den 60er Jahren die Zusammenarbeit zwischen den bezirklichen Bibliotheken und der AGB in Westberlin eher zäh. „Die Gründe lagen in der Struktur des Berliner Bibliothekswesens, das keine einheitlichen Zuständigkeiten und Weisungsbefugnis vorsah und daher den bezirklichen Bibliotheken gegenüber der Amerika-Gedenkbibliothek keinerlei Abstimmung abverlangte, ebenso in oftmals persönlich gelagerten Voreingenommenheiten und bezirklicher Selbstherrlichkeit ... So wurden bereits bestehende gemeinsame Organisationsabläufe manches Mal boykottiert, unterlaufen oder nicht genügend berücksichtigt... Ein wechselvoller Informationsaustausch, gegenseitige Inanspruchnahme bibliothekarischer Dienste oder gar ein gemeinsamer Katalog bibliothekspolitischer Forderungen gehörten nicht zum Kanon des Bibliotheksalltags"13 Es ist daher nicht zu verwundern, dass die Kollegen der AGB in Betonung ihrer besonderen Rolle als Public Library kritisch anmerkten: „In den Berliner Statistiken werden immer wieder Betriebszahlen der Gedenkbibliothek den Gesamtbetriebszahlen der Büchereisysteme der Bezirke gegenübergestellt, um die Breitenwirkung der Bezirksbüchereien hervorzuheben. Dass man Betriebszahlen einer einzelnen Bibliothek mit denen von Büchereisystemen vergleichen wollte, zeigt wiederum deutlich, mit welcher Unbefangen-
"
12 13
Moser, Fritz (1979) : Rückblickend auf die Anfänge (auch eine Kritik) In: 25 Jahre Amerika-Gedenkbibliothek Berliner Zentralbibliothek. - Hrsg. von Peter K. Liebenow. - München u.a. : Saur, 1979. S. 67. Moser (1979) S. 68. Wahlich (2001) S. 138f.
255
Claudia Lux
heit man die .deutsche Public Library' mit der öffentlichen Bücherei traditionellen Stils gleichsetzte."14 2.5 Zentralbibliotheken
und Öffentliche Bibliotheken Berlins vor der Wende
In den achtziger Jahren - als Rationalisierung in Ost und West angesagt war - unternahm man im Rahmen der sogenannten Neuererbewegung verschiedene Versuche gemeinsame Grundsätze übergreifend in den Ostberliner Bezirksbibliotheken umzusetzen. So wurde sogar die Einrichtung einer Berliner Zentralkatalogisierungsstelle in der Berliner Stadtbibliothek angedacht, die aber anscheinend auf erheblichen Widerstand stieß. 1987 begann dann der Titeldienst mit den ersten 2000 Titeln Gestalt anzunehmen. Bis zur Wende behielt die Stadtbibliothek ihre Doppelfunktion als wissenschaftliche Allgemeinbibliothek und Leitstelle für die bezirklichen Bibliotheken Berlins bei. In der Amerika-Gedenkbibliothek plante man zur gleichen Zeit die elektronische Ausleihverbuchung, die 1985 begann. Ansonsten prägten Stellenkürzungen, Etatkürzungen und chronischer Platzmangel die Situation der AGB. Verschiedene Gutachten sollten in den Folgejahren die landesbibliothekarischen sowie die zentralbibliothekarischen Funktionen der AGB untersuchen. Hans-Joachim Kuhlmann aus Essen wurde beauftragt, ein Gutachten zu einem Bibliotheksentwicklungsplan der öffentlichen Bibliotheken Westberlins zu erstellen. „Das sogenannte ,Kuhlmann-Gutachten' analysierte die Situation des Berliner Bibliothekswesens (Öffentliche Bibliotheken in den zwölf Stadtbezirken und Amerika-Gedenkbibliothek), die geprägt war von einer stark föderalistischen Struktur bezirklicher Eigenheiten und einer sehr heterogenen Entwicklung in den einzelnen Bezirken. Folgerichtig plädierte das Gutachten für eine stärkere Zentralisierung und eine klare Aufgabenverteilung. Demnach sollte die Amerika-Gedenkbibliothek eine deutlichere Funktionszuweisung als Berliner Zentralbibliothek erhalten."15 Diese Tendenz des Gutachtens wurde allerdings von der zuständigen Senatsverwaltung nur begrenzt weiterverfolgt. Abgesehen davon, dass 1989 mit dem Fall der Mauer eine völlig neue Situation in der gesamten Stadt eintrat, hatte man Kuhlmann schon vor Fertigstellung des Gutachtens von offizieller Seite untersagt, seine angestrebte Lösung mit der Amerika-Gedenkbibliothek als Zentralbibliothek und den bezirklichen Bibliotheken als direkt unterstellten Zweigbibliotheken im Gutachten zu verankern, so dass nur eine vorsichtige Empfehlung herauskommen konnte. Obwohl es nicht zu einer verbesserten Gesamtstruktur des Westberliner Bibliothekswesens kam, war es äußerst wichtig für den zukünftigen Charakter als Public Library, dass es der Amerika-Gedenkbibliothek immer wieder gelang, der Reduzierung ihres Konzepts „auf eine .Öffentliche Bibliothek mit großem wissenschaftlichen Bestand' zu begegnen und die Einzigartigkeit von gemischtem Bestandsaufbau und gemeinsamer Bestandsdarbietung und -erschließung"16 bis zu Beginn der neunziger Jahre zu verteidigen und damit die Grundlage für das Konzept der Zentral- und Landesbibliothek zu legen. 14
15 16
Jahrmann, Werner Gedenkbibliothek. ter K. Liebenow. Wahlich (2001) S. Wahlich (2001) S.
256
: Erfahrungen mit einer Public Library - Reminiszenzen zur Geschichte der AmerikaIn: 25 Jahre Amerika-Gedenkbibliothek Berliner Zentralbibliothek. - Hrsg. von PeMünchen u.a.: Saur, 1979. S. 86. 185. 189.
Die Zentral- und Landesbibliothek
Berlin und die Berliner Öffentlichen
Bibliotheken
2.6 Die Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin Nach 1990 wurde das Ostberliner Modell mit der in der Berliner Stadtbibliothek verankerten Hauptabteilung Staatliche Allgemeinbibliotheken sehr schnell ad acta gelegt, da die Westberliner Strukturen für die Ostberliner Bezirke übernommen und damit wieder die bezirkliche Eigenständigkeit stärker betont wurde. Die Abteilung wurde mit dem Ablauf des Jahres 1991 aufgelöst. Die überraschende Entscheidung der Senats Verwaltung im Juli 1992, die Berliner Stadtbibliothek und die Amerika-Gedenkbibliothek zusammenzulegen, schuf die Grundlage zu einer neuen Entwicklung, die mit der gesetzlichen Gründung der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) zum 1. Oktober 1995 realisiert wurde. Seit dem 1. Januar 2005 sind auch der Berliner Gesamtkatalog und die Senatsbibliothek in die Stiftung integriert, wie es zuvor in manchen Planungen schon angedacht war. Die ZLB führt sowohl die Aufgabe einer zentralen Public Library wie auch die einer wissenschaftlichen Landesbibliothek weiter fort, indem sie populärwissenschaftliche und wissenschaftliche Literatur gleichermaßen und im Zusammenhang anbietet, die Berlin Bibliographie und das Pflichtexemplar betreut sowie den Berliner Bibliotheken zentrale Dienstleistungen ( ζ. B. als Leihverkehrszentrale für Berlin-Brandenburg) anbietet. Welche Rolle sie im Zusammenhang mit den bezirklichen Bibliotheken (inzwischen durch die Reduzierung der Berliner Bezirke auf 12 Bibliothekssysteme verringert) in Zukunft spielen soll, wird seit 2003 wieder heftig diskutiert.
3. Drei Konzepte - eine erneute Strukturdiskussion der Berliner Öffentlichen Bibliotheken Dem Beginn dieser erneuten Diskussion ging die erfolgreiche Installation des Verbunds der Öffentlichen Bibliotheken Berlins (VÖBB) voraus, dessen finanzielle Zukunft zunächst über einen Vertrag zwischen ZLB, Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur und den zwölf Bezirksbürgermeistern gesichert wurde. Allerdings sind in den zwölf Bezirken, wie zu Beginn des letzten Jahrhunderts und auch noch in der Westberliner Zeit die Bibliotheken völlig unterschiedlich den Bezirksstrukturen zugeordnet, mit verschiedenen Rechten ausgestattet und haben in den letzten Jahren sehr ungleiche Entwicklungen erfahren. Einige sehen sich wie in Mahrzahn-Hellersdorf vor der völligen Schließung aller Zweigstellen, da der Bezirk die Mietverträge für die Standorte nicht verlängert, andere sind wie in Zehlendorf auf wenige Standorte mit unzureichendem Erwerbungsetat reduziert. Wieder andere, wie Reinickendorf oder Spandau, mussten keine Zusammenlegungen auf Bezirksebene durchführen, weil ihre Bezirke erhalten blieben und erfreuen sich noch einer guten Ausstattung. Trotzdem kam aus dem Kreis der bezirklichen Bibliotheken der innerstädtischen Bezirke Mitte (vereint mit Tiergarten und Wedding) und Friedrichshain-Kreuzberg eine Initiative, die eine verbesserte strukturelle Zusammenarbeit zwischen den Bezirken vorsah. Das Ergebnis der dadurch bewirkten Diskussion waren drei Positionspapiere, die a) eine dezentrale Lösung (Bezirkliche Bibliotheken in dezentraler Fach- und Ressourcenverantwortung), 257
Claudia
Lux
b) eine bezirklich-zentrale Variante (Zusammenschluss der bezirklichen Stadtbibliotheken ohne die Zentral- und Landesbibliothek Berlin) und c) eine gesamtstädtische Organisationsform (Vision Berliner Öffentliche Bibliotheken unter einem Dach - Zentral- und Landesbibliothek Berlin und Bezirke zusammen) vorschlugen. Daraus entwickelte sich innerhalb der Ständigen Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Öffentlichen Bibliotheken Berlins eine starke Auseinandersetzung, die sich allerdings nicht in offenen Diskussionen zeigte. Um dem zu begegnen wurde am 18. Februar 2004 eine offene Fortbildungsveranstaltung des Weiterbildungszentrums der Freien Universität organisiert, unter dem Titel „Wieviel(e) Bibliotheken brauchen wir - zu welchem Preis - in welcher Organisations- und Rechtsform?". Bei dieser Veranstaltung wurden verschiedene Modelle vorgetragen, die in der Veröffentlichung noch durch andere Beiträge Ergänzung fanden.17 Die drei von den Berliner Bibliotheken konzipierten Modelle wurden in einer Kurzform auch im Jahresbericht 2003 der Berliner Öffentlichen Bibliotheken unter dem Thema: „Neue Kooperationsmodelle für die Berliner Öffentlichen Bibliotheken?" abgedruckt.18 Diese Modelle wurden den Stadträtinnen und Stadträten sowie dem Kultursenator im Mai 2003 vorgelegt. „In einer ersten Diskussion über die drei Kooperationsmodelle sprachen sich die bezirklichen Stadträtinnen und Stadträte am 7. Juli 2003 grundsätzlich gegen eine ,Zentralisierung' aus und lehnten das Modell ,ZLB' einvernehmlich ab, während das Modell der dezentralen Ressourcenwahrnehmung eine deutliche Mehrheit fand und das Modell eines gemeinsamen bezirklichen Eigenbetriebes von den Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte favorisiert wurde. Gleichzeitig wurde in der Diskussion aber auch von den Bezirksvertretern die Notwendigkeit einheitlicher qualitativer Standards akzeptiert, die zusammen mit einem Konsolidierungskonzept den Berliner Öffentlichen Bibliotheken die dringend erforderliche Planungssicherheit geben könnten."19 Nachfolgend zu dieser Besprechung wurde erneut - wie schon bei Kuhlmann - ein Gutachten in Auftrag gegeben und dafür drei Bibliotheksleiter aus anderen Städten benannt. Merkwürdigerweise sollen sie nur die bezirkliche Struktur untersuchen, also diese nicht zusammen mit der Zentral- und Landesbibliothek, was darauf schließen lässt, dass ähnlich wie zu Zeiten des Kuhlmann-Gutachtens eine mögliche offene Positionierung für eine zentrale Lösung von der zuständigen Senatsverwaltung erneut verhindert werden soll. Es ist daher zu bezweifeln, dass die Probleme der Berliner Öffentlichen Bibliotheken auch im neuen Jahrtausend eine grundsätzliche Lösung erhalten werden. Daher konnte auch das groß angekündigte und gut besuchte Kolloquium über die Struktur der Berliner Öffentlichen Bibliotheken am 29. November 2004 im ErnstReuter-Haus unter Teilnahme internationaler Bibliotheksdirektorinnen aus Helsinki, Wien und Utrecht keinen wirklichen Impuls geben, da die Positionen aller politischen 17
18
19
Wie viele Bibliotheken brauchen wir? Hrsg. Rolf Busch. - Bad Honnef : Bock + Herchen, 2004 (Beiträge zur Bibliothekarischen Weiterbildung.17). S. Neue Kooperationsmodelle für die Berliner öffentlichen Bibliotheken? - Eine aktuelle Diskussion. In: Jahresbericht Berliner Öffentliche Bibliotheken 2003. Hrsg. Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur. - Berlin : Druck ZLB, 2003, S. 12 ff. Neue Kooperationsmodelle (2003) S. 12.
258
Die Zentral-
und Landesbibliothek
Berlin und die Berliner
Öffentlichen
Bibliotheken
Vertreter sich auf die kleinen Lösungen beschränkten. Dabei wäre es so einfach, die international erfolgreichen Modelle für Berlin zu kopieren und dabei nicht nur ein modernes Bibliothekssystem zu installieren, sondern dieses auch noch kostengünstig zu betreiben. 4. Die Vision eines gemeinsamen
Konzept der ZLB mit den
Bezirken
Die Vision dieses gemeinsamen Konzepts für die Bezirke und die ZLB zusammen besteht aus vier Elementen und macht deutlich, dass neben der Zentralbibliothek als Integration von öffentlicher und wissenschaftlicher Bibliothek auf hohem Standard in jedem der zwölf Bezirke eine leistungsfähige große Stadtbezirksbibliothek als erstes und wichtigstes Element stehen muss. Das aktuelle Niveau der Literaturversorgung und der Informationszugang soll mit einem hohen Standard an den Bedürfnissen der Bürger des Bezirks ausgerichtet sein. Das zweite Element daneben ist das Konzept von vier bis sechs öffentlichen Schwerpunktbibliotheken verteilt über ganz Berlin, die die vorhandenen Bestände eines Themas konzentrieren, ζ. B. Reisen und Geographie, Job und Unternehmung oder Fremdsprachen. Dabei sollen immer auch Kinder- und Jugendbereiche integrierter Bestandteil solcher Schwerpunktbibliotheken sein. Erfolgreiche Beispiele für diesen Bibliothekstyp finden sich in verschiedenen Metropolen von Stockholm bis Singapur. Die Wirkung solcher Schwerpunktbibliotheken strahlt in die ganze Stadt, ihre hohe Aktualität und Staffelung kann durch den ökonomischen Einsatz der konzentrierten Mittel erreicht werden. Entsprechend gibt es gute Chancen für Drittmitteleinwerbung und Sponsoring. Das Netz der Zweigstellen mittlerer Größe als drittes Element muss bezirksübergreifend aus gesamtstädtischer Sicht überprüft und durch Standortanalysen auf die sich wandelnde spezifische Situation vor Ort ausgerichtet werden. Hier sind notwendige Standards abzustimmen, ohne dass es zu einer Gleichmacherei kommen darf. Die regelmäßige Erneuerung des Bestandes ist insbesondere für diesen Typus lebensnotwendig und das Hauptziel für eine aktuelle Versorgung der Bürger vor Ort. Das vierte Element dieser Vision, die direkte Kiezversorgung, kann in Zukunft wohl nur noch mit Partnern organisiert werden. Dazu ist aber eine professionelle Herangehensweise und Kontaktaufnahme auf Grund vielfältiger Erfahrungen durch geschultes Personal notwendig, da sich die Kiezversorgung ganz eng an den Bedürfnissen und Situationen vor Ort ausrichten muss. Raum und Inventar müssen von Partnern kommen, nur die Bestände werden durch die Bibliothekszentrale organisiert, ggf. auf Katalogisierung und Einbindung in den Verbund an dieser Stelle verzichtet. Dadurch ist das ehrenamtliche Engagement und ein einfaches Zusammenwirken mit Partnern leichter möglich.20 Über die zentrale Organisation der ZLB in Zusammenarbeit mit den dezentralen Standorten kann eine einmalige Erfassung der Mediendaten, ein zentraler telefonischer Auskunftsservice, die übergreifende Bereitstellung von Datenbanken und andere 20
S. Lux, Claudia : Zusammen in einer Stiftung! - Eine Vision für die Berliner Öffentlichen Bibliotheken. In: Wie viele Bibliotheken brauchen wir? Hrsg. Rolf Busch. - Bad Honnef : Bock+Herchen, 2004 (Beiträge zur Bibliothekarischen Weiterbildung. 17) S. 241-251
259
Claudia Lux
Dienstleistungen für die Bürger vor Ort implementiert und damit ein verbessertes Angebot erbracht werden. Der Zusammenschluss der zwölf Berliner bezirklichen Bibliothekssysteme mit der Zentral- und Landesbibliothek Berlin in einer Stiftung bietet bei guten Synergieeffekten eine sichtbare Steigerung der Gesamtleistung ohne das örtliche oder regionale Bedürfnisse darunter leiden oder einer Gleichmacherei unterliegen müssen. Gleichzeitig erhält dieses stadtweite Bibliotheksnetz eine internationale Ausstrahlung und besondere Bedeutung im europäischen Kontext. Aber diese Chance der visionären Umgestaltung wird nicht ergriffen, denn sie stellt eine erhebliche Herausforderung für alle Beteiligten dar. Und so beginnt eigentlich im Moment alles wieder dort, wo es noch vor der Gründung der Berliner Stadtbibliothek vor mehr als 120 Jahren anfing, bei der Diskussion, ob und wie zentral die Berliner Öffentlichen Bibliotheken sich organisieren sollen.
260
Sabine Weiers
Konzeptionelles zur Landesbibliothek im Informationszeitalter
1. Landesbibliotheken Warum gibt es eigentlich Landesbibliotheken? Will man diese Frage beantworten, muss man auf die Geschichte der Nationalbibliothek in Deutschland verweisen und historisch weit zurückgehen, ins Mittelalter nämlich. Anders als in den meisten europäischen Ländern wechselte im Reich mit fast jeder Wahl auch das politische Zentrum des Königtums. Damit konnte der Prozess, den wir Staatswerdung nennen, keinen Fokus finden in einem räumlichen und politischen Zentrum: Das Reich blieb somit ohne Hauptstadt.1 Im weiteren Verlauf der Geschichte hat sich die Staatswerdung bekanntlich so weiter entwickelt, wie im Spätmittelalter angelegt: multizentral.2 Der Humanismus und die Reformation hatten dabei eine gleichermaßen polarisierende wie stark beschleunigende Wirkung. Die vielfältigen kleinen Herrschaftsgebiete hielten im weiteren Verlauf der Staatswerdung der Konkurrenz nicht Stand und verschwanden sukzessive; die Hauptstadtfunktionen verfestigten sich unterdessen an mehreren Orten. Es blieb vorerst dabei, dass es „kein Deutsches Reich mit einer eindeutigen Hauptstadt, sondern eine größere Zahl von verschiedenen Staaten mit ihren jeweiligen Hauptstädten" gab.3 Die Zeitspanne zwischen 1871 und 1945 wirkt also eher wie die Ausnahme von der Regel, war sie doch relativ kurz und vor allem ohne Tradition. Selbst die programmatische Negierung gewachsener regionaler Zusammenhänge durch die DDR blieb ohne Tiefenwirkung: Die nicht allein verfassungsrechtliche und politische, sondern in hohem Maße auch mentale Reföderalisierung nach der Wende spricht in dieser Hinsicht für sich. Betrachtet man die Bundesrepublik Deutschland, bleibt die multizentrale Tradition bis in die neueste Zeit spürbar: Der Föderalismus ist dynamisch, d.h. er verändert seine Ausprägung und Gestalt gemäß den inneren und äußeren Anforderungen. Ungeachtet dieses Wandels bleibt ihm eine Vielzahl von Regionalismen eigen, sowohl politische, rechtliche, soziale als auch ökonomische, vor allem jedoch kulturelle. Denn der Bereich, welcher die historischen Konsequenzen mit Abstand am 1
2
3
Vgl. dazu Peter Moraw: Das Hauptstadtproblem in der deutschen Geschichte. In: Damals 24 (1992), S. 246-271. An dieser Stelle ist bewusst nicht von „föderal" die Rede. Das lateinische Wort foedus ist schließlich mit Bündnis, Vertrag, Übereinkunft, übertragen auch mit Vereinigung, Bund zu übersetzen und bezieht sich damit auf einen gesellschaftlichen oder gar vertraglichen Kontext, der in dem Zusammenhang, von dem hier die Rede sein soll, nicht gegeben war. Diese Offenheit erzeugte Parallelentwicklungen. Klaus Fehn: Hauptstadt in Prozenten, in: Hauptstadt: Zentren, Residenzen, Metropolen in der deutschen Geschichte, Buch zur Ausstellung aus Anlass der 2000-Jahrfeier der Stadt Bonn, 19. Mai - 20. August 1989, hg. von Bodo Baumunk und Gerhard Brunn, Köln 1989, S. 474 ff., hier: S. 477.
261
Sabine Wefers
deutlichsten widerspiegelt, ist der Kultursektor. Hier sind neben Hochschulen, Museen, Archiven und sonstigen Kulturträgern auch die wissenschaftlichen Regionalbibliotheken in ihrer unterschiedlichen Ausprägung anzusiedeln.
2. Die Wissensgesellschaft Wissen ist bekanntlich keine schlichte Angelegenheit. Die Vielschichtigkeit beginnt mit der Definition dessen, welchen theoretischen Hintergrund zu welchem Zeitpunkt und in welchem Kontext „Wissen" eigentlich impliziert und endet mit der hoch differenzierten Geschichte des Schaffens, Erkennens, Verstehens, Suchens und Beweisens im Zusammenhang mit eben diesem Wissen, den artes, der scientia, der Wahrheit oder der Weisheit. Ähnlich verhält es sich mit der „Wissensgesellschaft": Auch sie ist historisch zu relativieren. Der Begriff wurde in den 60er und 70er Jahren, seit Peter F. Drucker4, Robert Lane und Daniel Bell5, vielfach diskutiert. Die Erörterung verlor dann an Intensität und wurde erst in den 90er Jahren reaktiviert. Die aktuelle Diskussion um die Definition der Wissensgesellschaft und ihre kontextuelle Einbettung korreliert mit dem Wandel, den unsere Gesellschaft, Wirtschaft und Technik seit dem Aufkommen des Begriffs erfahren haben: Die Wissensgesellschaft entwickelt sich also ebenso wie das Wissen selbst. Die historische Relativität des Wissens ist eine Eigenheit, die Bibliotheken berücksichtigen und mit der sie umgehen müssen. Dabei können sie allerdings davon ausgehen, dass die Bedeutung von Wissen in allen Lebensbereichen zunimmt: Die sprunghaft wachsende Quantität neuer Erkenntnisse und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft prägt nicht nur die Gegenwart, sondern stellt auch die Weichen für erhebliche Veränderungen in der Zukunft. Diese Entwicklung wird nicht nur neuere Erkenntnisse umfassen, sondern auch die Rezeption überlieferter Gedanken und Fakten. Folgt man Kenneth A. Megill in seiner Zukunftsprognose, so ist davon auszugehen, dass die Wissensgesellschaft „Knowledge work" auf allen Ebenen voraussetzen6 und eine neue Arbeitskultur ausbilden wird. Diese wird im Wesentlichen gekennzeichnet sein durch den Wandel von einer organisierten Zusammenarbeit zu einer integrierten Gemeinschaftsarbeit, den Übergang also vom „Working together side-by-side" zum „Working together with a high degree of inter-dependency and trust to achieve a common goal"7. Möglich werde dieser Wandel durch Organisationsformen und Technologien, welche so funktionieren müssten, „that they encourage knowledge sharing 4
5
6
7
Vgl. Peter Ferdinand. Drucker: Landmarks of Tomorrow, New York 1959; ders. The Age of Discontinuity, New York 1969. Robert E. Lane: The Decline of Politics and Ideology in a Kowledgeable Society, in: American Sociological Review 21 (1966), S. 649-662.; Daniel Bell: The Coming of Post-Industrial Society, New York 1973, S. 212-265. Megill, Kenneth Α.: Thinking for a Living - The Coming Age of Knowledge Work, München 2004. Zitat S.30, siehe auch: S. 52 ff., besonders S. 59 ff. Megill: S. 178.
262
Konzeptionelles
zur Landesbibliothek
im
Informationszeitalter
within and among communities".8 Entsprechend hoch ist der Anspruch an das Wissensmanagement: It „is about providing an environment, nuturing a community, with supporting technology so that judgments can be made".9 Wissen dürfe mithin nicht starr organisiert sein, sondern kontextbezogen, d.h. dazu angetan, seinerseits zur Wissensproduktion beizutragen. Auch wenn es schwer sein dürfte, die Anforderungen der Wissensgesellschaft an ihre Bibliotheken präzise vorherzusagen, so lässt sich doch unschwer erkennen, dass sie beachtlich sein werden. Die „alten" bibliothekarischen Aufgaben werden dabei erhalten bleiben: das Erwerben, Erschließen, Verwalten, Organisieren, Strukturieren, Filtern, Archivieren, Konservieren, Restaurieren, Präsentieren evaluierter Informationen, welche für die Rezipienten und Produzenten Wissen bedeuten. In der Perspektive des Knowledge Managements wird das Aufgabenspektrum jedoch um die Schaffung einer Umgebung im Kontext der Wissensproduktion erweitert. Die Wissensproduzenten stellen hohe Ansprüche an ihre Arbeitsumgebung. Sie muss zumindest so gestaltet sein, dass ihre Daten - sicher sind vor unkontrolliertem Zugriff - gut erschlossen und leicht wieder auffindbar sind - in einer angemessenen Umgebung stehen - von ihrer Arbeitsgruppe entwickelt, genutzt, ergänzt und geteilt werden - später kontrolliert und strukturiert publiziert werden - zitierfahig sind, d.h. „ewig" so bestehen bleiben Wie auch immer die „Daten", die Fragestellungen und die Wissenschaft generell über die Zeiten genau definiert waren oder sein werden, bestimmte Anforderungen bestanden stets und bleiben bestehen: - Datenintegrität - Reliabilität der Recherche - Validität der Ergebnisse - Langzeitverfügbarkeit - Einfaches Handling - „Eigene" Welt für Forschungsprojekte mit der Option einer Öffnung Die Medienvielfalt und die aus ökonomischen Gründen zunehmende Projektorientierung der Forschung verlangen allerdings ein Umdenken in Richtung einer „Gestaltungsoffenheit", d.h. Flexibilität hinsichtlich der Aufbereitung und Entwicklung dieser Forschungswelten. Bibliotheken werden dabei beides bedienen müssen: sowohl die hochgradige Spezialisierung der modernen akademischen Welt mit der ihr entsprechenden Erkenntnistiefe als auch die parallel dazu wachsende Interdisziplinarität im Sinne einer Einbettung bzw. Überprüfung spezieller Ergebnisse, der Erweiterung von Fragestellungen, der Einbeziehung neuer Untersuchungsgegenstände sowie der Modifikation methodischer Ansätze im Sinne einer „neuen Sicht auf die Dinge". Die technischen Möglichkeiten sind diesen Zielen dienstbar zu machen. Geeignete Konzepte für strategische 8 9
Megill: S. 55. Megill: S. 91.
263
Sabine
Wefers
Partnerschaften auf dem inhaltlichen wie auf dem technischen Sektor sind für eine realistische Vorgehensweise in diesem Kontext ebenso notwendig wie der ökonomische Einsatz von Sach- und Personalressourcen, ein ausgewogenes Projektcontrolling sowie eine schlüssige Antwort auf die Frage nach der Langzeitarchivierung der Ergebnisse der Forschung unter Gewährleistung eines strukturierten Zugriffs.
3. Vorgaben Das Aufgabenspektrum der Landesbibliotheken10 ist meist gesetzlich geregelt. Das Ausmaß, die präzise Definition, die organisatorische Einbettung sowie die Ausstattung unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Das Aufgabenspektrum hingegen ist überregional vergleichbar. Es handelt sich in etwa um folgende Bereiche: — fachgerechte Aufbewahrung, Erschließung und Bereitstellung von Pflichtexemplaren11 — Sammlung, Pflege und wissenschaftliche Betreuung der wertvollen Bestände regionaler, nationaler und internationaler Literatur und Buchkultur sowie Sondersammlungen, insbesondere von Handschriften, Bild- und Tonträgern — umfassende Sammlung, Erschließung und Archivierung von Literatur, Bild- und Tonträgern über das Land — Beschaffung, Erschließung, Archivierung und Vermittlung des über die universitären Belange hinausgehenden wissenschaftlichen Bedarfs an Literatur und anderen Informationsträgern für das Land — Erarbeitung der Landesbibliographie — Erfüllung der Funktion einer Leihverkehrszentrale für alle Bibliotheken des Landes — Unterstützung der Arbeit der Bibliotheken und Informationseinrichtungen des Landes im Sinne eines bibliothekarischen Kompetenzzentrums — Mitwirkung in überregionalen Gremien Die Aufzählung selbst ist historisch zu verstehen. So sind die Neuen Medien und neue technologische Umgebungen nicht berücksichtigt: Sie werden erst mit einem entsprechenden Zeitverzug in die Festschreibungen einfließen. Die Bibliotheken selbst müssen jedoch dem Wissensbegriff von gestern ebenso Rechnung tragen wie dem von heute; und auf die Anforderungen von morgen müssen sie vorbereitet sein. Wie könnte dies aussehen?
10
11
An dieser Stelle möchte ich mich bei meinem aus dem aktiven Dienst scheidenden Ersten Stellvertreter, Herrn Rainer Herzog, für zahlreiche konstruktive Diskussionen zu konzeptionellen Fragen - auch und besonders zur Landesbibliothek - ganz herzlich bedanken. Die Gespräche boten stets vielfältige Anregungen und bildeten gleichzeitig ein wertvolles Korrektiv. Gesetz über die Ablieferung von Pflichtexemplaren, § 2, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen, Nr. 24, vom 8. Juni 1993. Die folgenden Punkte sind in Anlehnung an das Gesetz über die Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, § 2, (SächsGVBl. S. 294) rechtsbereinigt mit Stand vom 1. Juli 1999 aufgelistet.
264
Konzeptionelles
zur Landesbibliothek
im
Informationszeitalter
4. Landesbibliothekskonzept Wie könnte eine Bibliothek in unserer Zeit aussehen, wenn sie sich für die Anforderungen der entstehenden Wissensgesellschaft rüsten will?12 Im Folgenden sollen am Beispiel der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) einige Aufgabenfelder beleuchtet werden: 4.1 Wissenschaftliches Bestandszentrum 4.2 Bewahrung und Vermittlung des historischen Erbes 4.3 Landesbibliographisches Zentrum 4.4 Thuringica 4.5 Multimediales Kompetenz- und Dienstleistungszentrum 4.6 Integrierte Bestandserhaltung und Restaurierung 4.7 Überregionale und interdisziplinäre Kooperation 4.1 Wissenschaftliches
Bestandszentrum
Die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) ist mit einem Bestand von fast vier Mio. Einheiten eines der größten Häuser im oberen Mittelfeld der deutschen Bibliothekslandschaft. Im Freistaat Thüringen stellt sie die mit Abstand größte bibliothekarische Einrichtung dar. Sie verfügt über einen über die Jahrhunderte mit der Entwicklung des Wissens gewachsenen breit gefächerten Bestand, dessen Wurzeln älter sind als die Universität Jena.13 Dabei ist die Aufgabenstellung Universitätsbibliothek ein wichtiger Parameter für ein regionales wissenschaftliches Bestandszentrum. Die Bedürfnisse einer wissenschaftlichen Landesbibliothek reichen über die einer Universitätsbibliothek hinaus. Da Hochschulbibliotheken - auch in Thüringen infolge stagnierender Etats und der Schwerpunktbildung in ihren Hochschulen auf ein immer enger definiertes Profil festgelegt werden, ist die Ausprägung einer Institution, welche über die Individualbelange hinaus die Interessen der Wissenschaftslandschaft Thüringen berücksichtigen muss, zunehmend stärker gefragt.14 Schließlich hängt die Modernität eines Landes in nicht unerheblichem Maße von seiner Präsenz in der Informationsgesellschaft ab. Hier kommen, nicht allein in Thüringen, im Sinne einer Ressourcenoptimierung neue Aufgaben auf Landesbibliotheken als Informationszentren 12
13
14
Vgl. z.B. Rainer Herzog, Michael Lörzer, Sabine Wefers: Die multimediale Bibliothek am Beispiel der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, in: Bibliothek - Forschung und Praxis, 26. 2002, S. 124136. Vgl. Aufbrüche - 450 Jahre Hohe Schule Jena, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, hg. von der Friedrich-Schiller-Universität, Jena 1998; Geschichte der Universitätsbibliothek Jena, 1549-1945, erarbeitet von einer Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Bibliothekare, Weimar 1958; Hildebrandt, Emst: Die kurfürstliche Schloß- und Universitätsbibliothek zu Wittenberg, 1512-1547, in: Zeitschrift für Buchkunde 1925, S. 34-42, 109-129, 157-188; Kratzsch, Irmgard: Schätze der Buchmalerei, aus der Handschriftensammlung der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, hg. von Sabine Wefers, Jena 2001; Die Handschriften der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Bd. 1: Die mittelalterlichen lateinischen Handschriften der Electoralis-Gruppe, beschrieben von Bernhard Tönnies, Wiesbaden 2002. So verlangt bereits der Thüringer Landeshochschulplan, hg. vom Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Erfurt 2001, S. 52 eine Koordinierungsstelle für die als notwendig erkannte Erwerbungskooperation.
265
Sabine Wefers
zu. Im Zuge der Entwicklung moderner Informationsstrukturen und Kommunikationswege hat die ThULB die Aufgabe, sich „in ihrer Funktion als Landesbibliothek im Rahmen ihrer regionalen und überregionalen Aufgabenstellungen zu einem Kompetenzzentrum für moderne Informationsdienstleistungen"15 zu entwickeln. 4.2 Bewahrung und Vermittlung des historischen
Erbes
Die fünfhundertjährige Bestandsgeschichte der heutigen Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena und ihre Einbindung in den Kontext der Universität bietet eine Vielzahl von Verknüpfungen, die sowohl auf die Landesgeschichte Thüringens als auch auf die Universitäts- und Wissensgeschichte Deutschlands verweisen. Die hier vorhandenen Quellen und Belege für die Relation der Bibliothek zu ihrem Umfeld bieten gerade in ihrer Disparität eine wertvolle Forschungsgrundlage: Die Heterogenität, unterschiedliche Dichte und die Dokumentation der Gleichzeitigkeit ungleichzeitiger Entwicklungen im Geistesleben des Landes und seiner Universität sowie die weit über die Region hinausweisende Einbindung in das Geistesleben der jeweiligen Epoche weisen sie als Fundus der Wissensgeschichte aus und sind bei weitem nicht erforscht. Dieses Kulturerbe muss aktiviert, d.h. entsprechend saniert, geordnet, erschlossen, der Benutzung zugänglich gemacht und gleichzeitig für die Nachwelt erhalten werden. Dabei ist der physische Erhalt, in begründeten Fällen sogar eine Reproduktion ebenso in die Betrachtung einzubeziehen wie die virtuelle Ebene, welche materialschonend für zahlreiche wissenschaftliche und kulturelle Fragestellungen eine ubiquitäre und zeitunabhängige Verfügbarkeit ebenso ermöglicht wie die kontextbezogene Zusammenstellung ansonsten schwer vergleichbarer oder gar zerstreuter Quellen. In den Blick zu nehmen sind insbesondere: — Rara — historische Büchersammlungen — Handschriften — Archivalien — Nachlässe — Bild- und Ton-Dokumente — historische Zeitschriften Ebenso ist in diesem Kontext daran zu denken, wissenschaftliche historische Zeitschriften (z.B. Neue Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung) zu digitalisieren, aufbereitet zu präsentieren und damit ubiquitär verfügbar zu haben und gleichzeitig vor dem Verfall zu sichern. Ein größeres Projekt wäre, Kulturgut von überregionaler Bedeutung, zum Beispiel die Jenaer Liederhandschrift, deren letztes Faksimile 1896 entstand, einerseits als aufbereitetes Digitalisat anzubieten und andererseits als Faksimile mit einem entsprechenden Begleitheft auf dem neuesten Stand zu edieren. Für beide Medienformen gibt es einen hohen Nutzungsbedarf. Und die wissenschaftliche Bearbeitung könnte zudem von Tagungsaktivitäten und einer dadurch angeregten Fachöffentlichkeit begleitet werden. 15
Thüringer Landeshochschulplan 2001, S. 52.
266
Konzeptionelles
4.3 Landesbibliographisches
zur Landesbibliothek
im
Informationszeitalter
Zentrum
Die Wahrnehmung regionalbibliographischer Aufgaben ist eine der vornehmsten Aufgaben einer Landesbibliothek. Die Aufgabe der Erstellung der „Thüringen-Bibliographie" wird in Jena seit 1983 wahrgenommen. 16 Die bibliographische Arbeit ist dort seit der Übernahme dieser Aufgabe gekoppelt mit der Sammlung, Erschließung und Archivierung von Literatur über das Land und mit dem regionalen Pflichtexemplar verbunden. Zur Wahrung der Vollständigkeit werden zudem alle Thuringica, welche außerhalb der Pflichtexemplare im Zuge der bibliographischen Arbeit bekannt werden, nach Möglichkeit ergänzend erworben. Hinzu kommt seit 2002 die Einbindung der Thüringenbibliographie in den überregionalen Verbundkatalog, welches dem Nutzer eine umfassende Recherche über den Gesamtbestand der Bibliothek ermöglicht und dies mit einer Bestellkomponente verknüpft, so dass dem Nutzer höchstmöglicher Komfort garantiert wird. Die Vorteile der traditionell gesonderten systematischen Erschließung, welche weitere Suchstrategien sowie einen Auszug der „Thüringen-Bibliographie" grundsätzlich ermöglicht, werden dabei weiter gepflegt. So verbinden sich für den Nutzer die Vorteile des Katalognachweises mit einem besonders hohen bibliographischen Standard.
4.4 Thuringica Die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek verfügt aufgrund ihres historischen Bestandsfundus über eine beachtliche Tiefe auf dem Gebiet der Literatur über Thüringen. Neben den einschlägigen Erwerbungen runden Pflichtexemplare, welche zumindest teilweise diesem Bereich inhaltlich zugehören, den Bestand ab. Der eigene Bestand allein umfasst jedoch niemals das, was unter Thuringica zu fassen ist. Vielmehr ist an die Errichtung eines Netzes der Kulturdokumentation des Freistaats Thüringen zu denken. Bibliotheken, Archive und Museen sowie die einschlägigen Institute und andere Einrichtungen tragen die Verantwortung für wesentliche Güter des Kulturerbes unseres Landes. Dieses Gut im Sinne der oben beschriebenen Aktivierung zu erschließen, zu bewahren und zugänglich zu machen, ist - besonders im Internetzeitalter - eine wesentliche Infrastrukturaufgabe für eine moderne Landesbibliothek. Die überkommenen Profilbildungen, Aufgabenbereiche oder Zuordnungen der vielfältigen Partner in diesem Prozess lassen sich dabei weitgehend überwinden bzw. unter Nutzung der speziellen Kompetenz aller Beteiligten idealtypisch zusammenfügen. So erweitert sich auch die überkommene Erschließungsaufgabe einer Landesbibliothek zur Navigationsfunktion, und es entstehen aus Beständen der ThULB und ihrer Partner virtuelle ThuringicaSammlungen mit ganz unterschiedlichem Fokus, welche jedoch für eine Vielzahl denkbarer Fragestellungen nutzbar und dem Anspruch der „Gestaltungsoffenheit" im jeweiligen Forschungskontext in vollem Umfang gerecht werden. Dies gilt auch für die multiplen überregionalen Bezüge der Sammlungen, welche bei einigen Beispielen ohne Zweifel gegeben ist: 16
Vgl. Mutschier, Thomas: Regional- und Landesbibliographie in Thüringen. Entwicklungen, Hintergründe, Perspektiven, in: Regionalbibliographien im deutschsprachigen Raum, hg. von Ludger Syre und Heidrun Wiesenmüller, Sonderheft der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie (ZfBB), voraussichtlich 2005.
267
Sabine Wefers
— Sammlungen von Baudenkmälern — Anlassbezogene Ausstellungen — Museumsbestände — Die Digitale Bibliothek Thüringen — Elektronische Pflichtexemplare Neben der Digitalisierung werden zunehmend Quellen relevant, die von vornherein in multimedialer Form vorlagen. Hier sei als Beispiel für die notwendigen Sammelaktivitäten im Bereich der Landesbibliothek eine Kooperation mit einer regionalen Fernsehanstalt genannt, welche in Absprache mit der ThULB ihre jeweiligen Top-Nachrichten in UrMEL (University Multimedia Electronic Library) einstellt und damit - auch im eigenen Interesse - ein von der ThULB redaktionell betreutes Bildarchiv aufbaut.
4.5 Multimediales Kompetenz- und Dienstleistungszentrum In der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek ist die Betreuung der landesweiten „PICA-Kommission" ebenso angesiedelt wie die „Digitale Bibliothek Thüringen", das Kernstück der University Multimedia Electronic Library (UrMEL). Die Besonderheit von UrMEL in diesem Kontext ist die Erzeugung von Beispiellösungen, welche für eine Vielfalt von Anforderungen ein Angebot erzeugt, welches von unseren Partnern unmittelbar nachgenutzt werden kann und sich in Abhängigkeit von den jeweiligen Anforderungen weiter entwickeln lässt. Beispiele sind die unter Thuringica genannten Sammlungen, welche bei Bedarf Musterlösungen für größere Projekte sein können. Die Kernkompetenz, welche hier aufgebaut wurde, wächst mit den Anforderungen. Konkret wird dies, wenn etwa zu einer existierenden Anwendung im Folgeprojekt ein automatischer Workflow entwickelt und programmiert wird, der dann für die nächste Anwendung bereits als Modul zur Verfügung steht. Hier können auch solche Partner Berücksichtigung finden, deren Eigenanteil an diesen Projekten mangels eigener Ressourcen geringfügig ist, deren Bedeutung (etwa für den Campus Thüringen) jedoch schwer zu unterschätzen sein dürfte. So ist die Digitale Bibliothek Thüringen als Beitrag zu einer Multimedialen Infrastruktur auch in kleineren Hochschulen zu verstehen. Diese Aussage impliziert, dass es im Sinne der Synergie gute Gründe dafür gibt, Landesbibliotheken an das leistungsstärkste Wissenschaftszentrum ihrer Region anzubinden.
4.6 Integrierte Bestandserhaltung und Restaurierung Die Landesbibliothek muss als Kompetenzzentrum und als zentraler Dienstleister ansprechbar sein, etwa auf dem Gebiet der Restaurierung. Die Papierspaltung hat die Jenaer Werkstatt international bekannt gemacht.17 Dies ist nicht allein für die ThULB, sondern auch für den Freistaat Thüringen ein Erbe, das verpflichtet. Die Sicherung höchster Qualitätsstandards auf der einen und einer kontinuierlichen Bereitschaft zur Innovation auf der anderen Seite wurden zu einer mit hoher Verantwortung zu erfüllenden Obliegen17
Vgl. u.a. Tintenfraßschäden und ihre Behandlung, hg. von Gerhard Banik und Hartmut Weber, Stuttgart 1999.
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Konzeptionelles
zur Landesbibliothek
im
Informationszeitalter
heit. Ausdruck dieses Bewusstseins ist das in den vergangenen Jahren mehrfach extern überprüfte professionelle Qualitätsmanagement ebenso wie die Entwicklung geeigneter Geschäftsmodelle für interne wie externe Aufträge. Wenn die Kompetenz dieser Werkstatt und des damit verbundenen Scan-Zentrums für regionale oder überregionale Anforderungen benötigt wird, steht sie auch zur Verfügung. Intern wird kontinuierlich an dem Konzept einer Integrierten Bestandserhaltung gearbeitet, welches die Einbindung der Werkstatt in sämtliche Verfilmungs-, Digitalisierungs- oder Ausstellungsprojekte ebenso vorsieht wie die Wahrung des Prinzips der Differenzierung hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen bei höchstmöglicher Benutzernähe und unter Wahrung ökonomischer Gesichtspunkte. So wird besonders intensiv darauf geachtet, wie sich der Inhalt zum Material(wert) eines Objekts verhält. Diese methodischen Arbeiten haben wesentlich dazu beigetragen, die ThULB auch auf diesem Sektor zu einem Kompetenzzentrum zu entwickeln. 4.7 Überregionale
und interdisziplinäre
Kooperation
In den meisten der beschriebenen Bereiche resultiert die Verpflichtung der ThULB für den Freistaat entweder aus ihrer Aufgabe — einer möglichst umfassenden Informationsversorgung (unabhängig vom Medium), — einer Wahrung, Präsentation und Aufbereitung des Kulturerbes, — einer Verantwortung als Kompetenzzentrum, sei es im digitalen Bereich, sei es im konventionellen Bereich, sei es hinsichtlich der Restaurierung. Diese Aufgaben sind auch für das größte wissenschaftliche Bestandszentrum eines Landes allein nicht professionell zu lösen. Sie gebieten vielmehr, kontextbezogen strategische Partnerschaften einzugehen. Im Bibliothekswesen ist dies „best practice", man denke an die Tradition der Bibliotheksverbünde. Die erweiterten Anforderungen der Informationsgesellschaft verlangen institutionenübergreifende, interdisziplinäre sowohl dauerhafte wie (zunehmend) projektbezogene Partnerschaften. In wachsendem Maße akzeptiert wird dies in Hochschulen beim heute häufig so genannten „Integrierten Informationsmanagement" zwischen Verwaltung, Bibliothek, Rechen- und Multimediazentrum mit den Fakultäten. Dies reicht im Kontext der oben skizzierten landesbibliothekarischen Aufgaben jedoch nicht aus. Hinzu kommen Partner wie die Verlage mit ihrem Expertenwissen,18 Archive, Museen, Medienanstalten und viele andere mehr. Konventionelle, digitale und digitalisierte Quellen mit verschiedenen Services, verbunden durch Portale, erzeugen neue Wissenswelten. Die Landesbibliothek hat die Aufgabe, zum Aufbau dieser Welten ihren Beitrag zu leisten, im Sinne von „providing an environment, nuturing a community"19, so dass Wissen entstehen kann.
18
19
Ein vielbeachtetes Beispiel ist die Kooperation zwischen UrMEL und dem Verlag Vittorio Klostermann zur Bereitstellung der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie (ZfBB) als e-journal. Megill: S. 91.
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Sabine Wefers
5. Fazit Die Erzeugung, Rezeption, Präsentation, Bewahrung und Reaktivierung von Wissen war gestern etwas anderes als heute, und ist heute anders als sie morgen sein wird. Bibliotheken müssen dazu beitragen, dass diejenigen, die mit Wissen arbeiten, eine auf ihre Ansprüche abgestimmte Umgebung vorfinden. So muss beispielsweise die kontextuelle Umgebung, in der eine Erkenntnis entstand, rekonstruierbar sein. Bibliotheken sind in dem Gesamtprozess des Wissensmanagements durchaus keine Wissensspeicher im Sinne einer schematischen Ablage, sondern müssen sich vielmehr als ein auf Dauer verlässliches, dabei optimal zugängliches, flexibel nutzbares und intelligent strukturiertes Wissensreservoir bewähren: Auch verstreutes Gut oder heterogene Materialien sollten Bibliothekare mit modernen Mitteln und unter Zuhilfenahme der Techniken der Informationsverarbeitung nicht nur aus eigenen Beständen, sondern auch aus anderen Einrichtungen (zumindest virtuell) zusammenführen und so präsentieren, dass die historischen Zusammenhänge rekonstruierbar werden. Dabei ist zu beachten, dass auch die Rezeption selbst nicht statisch ist: Historische Quellen müssen vielmehr auch in neue Kontexte eingeordnet werden können, für neue Fragestellungen nutzbar sein oder als Bausteine fiktiver Modelle dienen. Desgleichen sind der Idee eines intelligent strukturierten Wissensreservoirs entsprechend aktuelle Erkenntnisse ebenso wie entstehendes Wissen für die heutige und eine zukünftige Wahrnehmung aufzubereiten und vorzuhalten. Die Aufgabe des Bibliothekars beginnt demnach nicht länger irgendwann nach der Publikation, sondern gegebenenfalls bereits im Zuge der Gewinnung von Erkenntnissen, etwa als Partner einzelner oder mehrerer (meist unterschiedlich lokalisierter und sozialisierter) Wissenschaftler bei der Realisierung einer Forschungsidee. Diese unmittelbare Partnerschaft hat eine neue Qualität: Sie umfasst eine Einbindung in die Planung, Gestaltung und Ausführung von wissenschaftlichen Prozessen. Dementsprechend sind bibliothekarische Konzepte zu entwickeln, welche die Entstehung, Präsentation, Archivierung und Reaktivierung von Wissen beinhalten. Sie müssen gleichermaßen „fallbezogen" sein, d.h. auf dieses oder jenes Projekt konkret reagieren, wie sie auf längere Frist gesehen auch „fallübergreifende" Ansprüche erfüllen müssen. Teilbereiche, wie zum Beispiel die Frage der Langzeitarchivierung moderner Medien, werden vor diesem Hintergrund deutlich stärker organisatorisch zu diskutieren sein, als dies heute vielfach noch geschieht. Informationstechnische Lösungen sollten auf differenzierte Anforderungen zugeschnitten sein; und diese Qualitäten gilt es nachvollziehbar zu definieren. Denn die technischen Instrumente werden sich zügig verändern. Zu bewahrende Inhalte sollten jedoch so aufbereitet sein, dass sie verlässlich in neue, durchaus nicht statische Umgebungen mitgenommen werden können. Bibliotheken, die im modernen Umfeld bestehen wollen, müssen diesem hohen Anspruch genügen. Dann wird ihnen in der Wissensgesellschaft eine wichtige Rolle zufallen, als Lotsen in der Wissensflut ebenso wie als Partner von Forschung und Lehre oder sogar als (Mit-)Produzenten von Wissen.
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Michael Knoche
Bestandaufnahme und Perspektiven nach dem Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek am 2. September 2004
Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar ist am Abend des 2. September 2004 von einem verheerenden Feuer heimgesucht worden. Der Brand konnte erst drei Tage später vollständig gelöscht werden. Ausgelöst wurde das Unglück wahrscheinlich durch ein defektes Kabel im Dachbodenbereich. Das historische Stammhaus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek sowie große Teile des dort aufbewahrten historischen Buchbestandes sind beschädigt oder zerstört worden. Mehr als neunhundert Helfer, Feuerwehrleute, Technisches Hilfswerk, Rotes Kreuz, Mitarbeiter der Bibliothek und der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen, freiwillige Helfer aus benachbarten Kultureinrichtungen und der Stadtverwaltung, viele Weimarerinnen und Weimarer, haben in der Brandnacht und in den Tagen danach wertvolle Kunstwerke und zehntausende Bücher evakuiert oder aus dem Brandschutt geborgen. Für das Bibliotheksgebäude ist inzwischen eine Wendung zum Guten in Sicht. Einer der schönsten Bibliothekssäle in Deutschland kann bis 2007, dem 200. Todesjahr der Herzogin Anna Amalia, der das Raumkunstwerk zu verdanken ist, wiederhergestellt werden. Die zweite Galerie des Rokokosaales und der Dachstuhl existieren nicht mehr, aber die Substanz des zum Weltkulturerbe der UNESCO zählenden Gebäudes ist dank der klugen Brandbekämpfung der Feuerwehr zu stabilisieren und zu restaurieren. Glücklicherweise war im Vorgriff auf die Sanierung bereits ein Team von Architekten und Fachplanern zusammengestellt, das schon während der Brandnacht in Entscheidungen einbezogen werden konnte. Die Mehrkosten durch den Brand des ohnehin sanierungsbedürftigen Gebäudes halten sich in einem finanziellen Rahmen von 3 Mio. . Die Geldgeber Bund und Land haben am 29.9.2004 den Startschuß für die Planungsphase gegeben, nachdem auch private Stifter ihre finanzielle Unterstützung zugesagt haben. Erste komplizierte Aufgabe ist die Trocknung des Gebäudes, in das Wasser im Umfang der zweifachen Jahresregenmenge eingedrungen ist. Der Rokokosaal wird in altem, nicht in neuem Glanz erstrahlen. Die 35 Ölgemälde mit Fürstenportraits des 16. bis 18. Jahrhunderts auf der 2. Galerie sind nicht zu ersetzen. Einzig für das Deckengemälde von Johann Heinrich Meyer „Genius des Ruhms" nach Annibale Carracci ist eine Kopie an derselben Stelle vorgesehen. Den materiellen Schaden, auch an den durch die Löschaktionen in Mitleidenschaft gezogenen anderen Kunstwerken, wird zum Glück eine Versicherung decken. Der größte Schaden ist an den Büchern entstanden. 50.000 Bände sind als Totalverlust zu verbuchen, 62.000 Bände sind zum Teil stark durch Wasser und Brand beschädigt. Betroffen sind somit zwei Fünftel der Drucke bis 1850 bzw. mehr als ein Zehntel des Gesamtbestandes der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Vor dem Brand zählte der Buchbestand 1 Mio. Bände. 271
Michael Knoche
Buchrestaurierung Bereits in der Brandnacht sind die ersten wassergeschädigten Bücher einzeln in Folien verpackt und zur Gefriertrocknung in das Zentrum für Bucherhaltung Leipzig gebracht worden. In den folgenden Tagen sind auch die aus dem Brandschutt geborgenen, z.T. stark verkohlten und feuchten Codices in die Kühlkammern geschickt worden. Dies ist der traurigste und mühevollste Teil der Aufräumarbeit gewesen, den die Bibliothekare, Restauratoren und freiwillige Helfer tagelang zu leisten hatten und großartig bewältigt haben. Es war ein Wettlauf mit der Zeit, denn die Schimmelbildung kann schon 24 Stunden nach der Durchfeuchtung einsetzen. Die 28.000 Stücke aus dem Brandschutt werden nur zum Teil restaurierbar sein. Wenn eine genauere Untersuchung möglich ist, wird sich ergeben, daß der Textverlust oft zu groß ist, nur noch Fragmente von Büchern Übriggeblieben sind oder der Versuch einer Wiederbeschaffung sinnvoller ist. Das heißt, irgendwann wird die geschätzte Zahl der 50.000 totalen verlorenen Bücher nach oben korrigiert werden müssen. Die Bergung, Säuberung und Trocknung der beschädigten Bücher ist dank der vorzüglichen Zusammenarbeit aller Beteiligten optimal verlaufen. Sie werden im Laufe eines Jahres peu ä peu nach Weimar zurückkehren und in einem angemieteten Ausweichmagazin zwischengelagert. Dort können sie - wegen ihrer Deckelverformungen in Regalen liegend, nicht stehend - ausdünsten und im einzelnen untersucht werden. Alle beschädigten Objekte und Tausende von Fragmenten müssen zunächst mit den Katalogen der Bibliothek abgeglichen werden, denn zur Zeit kann niemand genau sagen, welche Bücher beim Brand vernichtet und welche beschädigt zurückzuerwarten sind. In einer neueinzurichtenden Datenbank müssen die Schäden dokumentiert und in Schadensklassen eingeteilt werden. Diese Expertenarbeit wird sich bis 2006 hinziehen. Abgesehen von einigen sofort zu behandelnden Stücken können erst danach in größerem Umfang Aufträge für die Einzelrestaurierung erteilt werden. Zum Teil wird die Ausführung in der hauseigenen Werkstatt für Buchrestaurierung und -konservierung oder in Werkstätten befreundeter Bibliotheken erfolgen, zum Teil werden Aufträge an Dritte vergeben. Die Restaurierung der 62.000 Bücher ist eine Herausforderung, die die Bibliothek mehr als 10 Jahre beschäftigen wird. Die Erstversorgung der Bücher bis zum Stadium der Trocknung ist dank der Hilfe des Landes Thüringen und vor allem der blitzschnellen und großzügigen Soforthilfe des Bundes finanziell gesichert. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat erhebliche Mittel bereitgestellt. Die anschließende Einzelrestaurierung jedoch wird nur durch private Unterstützung gelingen können. Dafür ist in den kommenden Jahren eine Summe von knapp 20 Mio. Euro erforderlich. Bis Jahresende 2004 sind 8 Mio. von 17.000 Einzelpersonen, von Unternehmen und Stiftungen, an Erlösen aus Benefizveranstaltungen und Schülerprojekten, Publikationsverkäufen und Wetten, Kunstauktionen und Bußgeldern eingegangen. Dieses großartige Ergebnis macht Mut.
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Nach dem Brand der Herzogin Anna Amalia
Bibliothek
Kompensation der Verluste Total Verluste sind bei Werken des 16.-20. Jahrhunderts mit Schwerpunkt auf dem 17. und 18. Jahrhundert entstanden. Dazu zählt die kulturhistorisch bedeutende Musikaliensammlung von Anna Amalia (1739-1807), die durch die Notensammlung der Zarentochter Maria Pawlowna (1786-1859) ergänzt worden war, aus der Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts mit 2100 Musikdrucken und über 700 Notenhandschriften. Große Teile der universalen Gelehrtenbibliothek des ersten Bibliotheksdirektors, Konrad Samuel Schurzfleisch (1641-1708), müssen abgeschrieben werden. Weiterhin sind zahlreiche Texte von Mitgliedern Fruchtbringenden Gesellschaft, der ersten deutschen Sprachgesellschaft, die 1617 in Weimar gegründet worden ist, sowie große Teile der Sammlung des Breslauers Balthasar Friedrich von Logau (1645-1702) mit schönen Editionen der Barockliteratur verbrannt. Eine der komplettesten Reihen von Jean PaulDrucken stand mitten im Brandherd. Je älter ein einzelnes Buch ist, um so individueller ist es in seiner äußeren Gestalt (z.B. in Einband, Kolorierung) und in seiner oft noch erkennbaren Gebrauchsgeschichte (z.B. durch Exlibris oder Marginalien eines Vorbesitzers). Eine Partitur aus Anna Amalias Musikaliensammlung oder ein Band aus der Sammlung Conrad Samuel Schurzfleisch zur Frühen Neuzeit ist kostbarer und für die Geschichte der Bibliothek wichtiger als das gleiche Exemplar aus einer beliebigen Provenienz. Daher wird man der Restaurierung immer dann den Vorzug geben, wenn der Unterschied zu den Kosten für die Wiederbeschaffung nicht zu hoch ist. Die privaten Spenden sollen überwiegend für die Buchrestaurierung eingesetzt werden. 35.000 Bände des durch Feuer vernichteten Bestandes sind vermutlich wiederzubeschaffen. Hinzu kommen 27.000 Bände des stark brandgeschädigten Bestandes. Durchschnittlich muß mit 800 pro Band gerechnet werden. Die Wiederbeschaffung wird sich über Jahrzehnte hinziehen. Eine große Hilfe sind die Angebote von Bücherfreunden und Bibliotheken aus ganz Europa, die der Herzogin Anna Amalia Bibliothek einen Titel als Geschenk überlassen möchten, den sie in der Verlust-Datenbank (http:// www.anna-amalia-bibliothek.de ) aufgefunden haben. Angestrebt wird, den Fonds „Fruchtbringende Gesellschaft", den die Deutsche Bank mit einer großzügigen Ersteinlage ausgestattet hat, durch weitere Beiträge zu ergänzen, um Ankäufe aus den Erträgen zu tätigen. Trotzdem wird der Bestand niemals eins zu eins wieder rekonstruierbar sein. Dies ist ausgeschlossen bei den Unikaten der Musikaliensammlung und den mit handschriftlichen Anmerkungen versehenen Abhandlungen des 17. Jahrhunderts. Aber auch bei vielen Drucken sind Zweifel angebracht, ob sie aufgrund ihrer Seltenheit oder ihres regionalen Bezuges wiederzubeschaffen sind. Wer soll den vierseitigen Traktat „Von der Tröstung der sterbendenn Menschen" von Wolff Stockei aus dem Jahr 1525 oder die „Nothwendige und nützlicheOrdnung, wie es mit dem Jagen und allem Weidewerg gehalten werden solle" der Grafen von Schwarzburg und Hohnstein aus dem Jahr 1623 zur Verfügung stellen können? Langfristig ist eher daran zu denken, gleichwertige geschlossene Spezialsammlungen aus den alten Sammelschwerpunkten zu erwerben, ohne den Anspruch, die Verluste Buch für Buch zu ersetzen. Gerade im Bereich der Barockliteratur, die für das Profil der Bibliothek so wichtig ist, wäre dies zu wünschen. 273
Michael
Knoche
Ausblick Der Brand hat auch dazu geführt, daß im Stammgebäude der Bibliothek etwa 40 Arbeitsplätze der Bibliothekare aufgegeben werden mußten. Für diese mußte ein Ersatz in verschiedenen Räumlichkeiten der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen gesucht werden. Die Geschäftsgänge mit Büchertransporten von Haus zu Haus und die übrigen Zusammenarbeitsstrukturen mußten neu aufgebaut werden. Solche Unbequemlichkeiten aber sind zu verkraften, denn im Spätwinter 2005 wird der lange geplante Erweiterungsbau der Bibliothek, der mit dem Stammgebäude unterirdisch verbunden ist, fertiggestellt. Das dazugehörige Tiefmagazin wurde vorab freigegeben und konnte bereits in der Brandnacht die unversehrt geborgenen Bücher aufnehmen. Zur Zeit werden im Tiefmagazin zwischen alter und neuer Bibliothek auch die mehr als 700.000 Bücher aus den bisherigen Ausweichmagazinen zusammengeführt. Die Vorbereitungen für die Einrichtung des neuen Studienzentrums (6300 Quadratmeter Nutzfläche) werden fortgesetzt. Dort werden 100.000 Bände, nach Fachgebieten geordnet, direkt am Regal zugänglich sein sowie 130 moderne Arbeitsplätze für wissenschaftliche Benutzer zur Verfügung stehen. Der vorgesehene Einweihungstermin im Februar 2005 wird gehalten. Von diesem Zeitpunkt an wird auch die Bedienung der Leser vor Ort und über den Fernleihverkehr wieder möglich sein. Die Arbeitsbedingungen im neuen Studienzentrum werden denen einer Forschungsbibliothek des 21. Jahrhunderts entsprechen. Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek ist durch den größten Bibliotheksbrand in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg schwer getroffen. Man darf aber nicht vergessen, daß die größten Teile der wertvollen Sammlung unversehrt erhalten geblieben sind. Dazu gehören die mittelalterlichen Handschriften, die Stammbücher, Inkunabeln, die Globen und 10.000 Landkarten aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, die weltweit größte Faust-Sammlung, die Shakespeare-Bibliothek, Nietzsches Privatbibliothek, die Bibliotheken von Liszt, der Familie von Arnim oder von Georg Haar, auch der Kernbestand der Literatur der klassischen Zeit etc. Die Aufteilung der Bestände auf verschiedene Ausweichmagazin war in diesem Fall ein Glück. Auch das Stammgebäude ist nicht verloren. Seine Anbauten und der Bibliotheksturm sind vom Feuer überhaupt nicht tangiert. Hunderte von Kunstwerken sind aus dem Rokokosaal rechtzeitig evakuiert worden. Das Gesicherte und Gerettete erlauben es, an der Konzeption der Bibliothek als Forschungsbibliothek für Literatur- und Kulturgeschichte mit besonderem Schwerpunkt auf der deutschen Literatur von der Aufklärung bis zur Spätromantik festzuhalten. Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek wird auch in Zukunft ihre Funktion als erlebbares Denkmal und aktive Bibliothek ausfüllen können. Der Faden der kulturellen Überlieferung wird neu geknüpft werden können.*
Eine veränderte Version dieses Berichts in englischer Sprache erscheint im „IFLA-Journal" 2005.
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Hans-Christoph Hobohm
Der Bibliotheks-Bachelor. Oder was ist wirklich neu am neuen Berufsbild des Bibliothekars? In seinem Beitrag zur Festschrift für Roswitha Poll, beschreibt Maurice Line 2004 1 eine Reihe von Faktoren und Themen des Bibliothekswesens, für die er bedeutende, unmittelbar bevorstehende Änderungen voraussieht. Hierzu gehören Fragen der Erschließung, der sich entwickelnden Medien und Dokumenttypen genauso wie solche des Bibliotheksbaus. Sein erster und vielleicht zentraler Punkt ist jedoch die Aufforderung an die Bibliothekspraxis, mehr über den eigenen Tellerrand hinweg zu schauen und ganz im Sinne der Nachhaltigkeitsdiskussion mehr in die Zukunft zu blicken. So my plea is for greatly improved vision: wide-angle lenses to see the broader context in which libraries exist; and the telephoto lenses to see further ahead. (48) Konkret weist Maurice Line u.a. daraufhin, dass sich die Welt des tertiären Bildungssektors dramatisch ändert. Sein Beitrag zielt in erster Linie auf die sich wandelnde Situation für wissenschaftliche Bibliotheken. Er vermisst eine Reflexion von Hochschulbibliotheken im Hinblick auf ihre möglichen neuen Rollen im Zusammenhang mit der Änderung der Konzepte von Lehren und Lernen in Hochschulen, bei denen er als gemeinsamen Nenner einen „switch from teaching to learning" (47) ausmacht. Es gibt zunehmend nicht nur größere Wahlfreiheit bei der Zusammenstellung des eigenen Studiums, auch die Aufgaben von Professoren und Lehrinstitutionen ändern sich derart, dass sie nur noch die Rolle von Mentoren und Coaches in einem selbstbestimmten Lernprozess des Studenten einnehmen werden, was natürlich wichtige Konsequenzen für die Aufgaben und Funktionen von Hochschulbibliotheken und vielleicht auch anderen Bibliotheken nach sich zieht. Für das öffentliche Bibliothekswesen macht der Brite einen Mangel an Bewusstheit des allgemeinen gesellschaftlichen und sozioökonomischen Wandels in unserem Kulturkreis aus. Die wirtschaftlichen, demografischen und sozialen Veränderungen in unseren Ländern sind so tiefgreifend, dass es nicht mehr gerechtfertigt ist, sich endlos in Diskussionen um bibliothekarische Mittel wie Katalogisierung zu verlieren, statt sich einer Analyse ihres Zwecks zu vergewissern. Die Forderung an die Bibliothekswelt, den Blick zu öffnen, ist nicht neu 2 - es erzeugt bei einem Vertreter der informationswissenschaftlichen Fachbereiche allerdings 1
2
Line, Maurice B.: An Agenda for Overdue Change. In: Die effektive Bibliothek. Festschrift für Roswitha Poll, hrsg. v. Klaus Hilgemann und Peter te Boekhorst, München: Saur, 2004, S. 47-53. Vgl. Hobohm, Hans-Christoph: Desiderate und Felder bibliothekswissenschaftlicher Forschung. In: Bibliothekswissenschaft - quo vadis?, hrsg. v. Petra Hauke, Bad Honnef: Bock + Herchen, 2005, im Druck; Hobohm, Hans-Christoph: Veränderungsmanagement: Innovationen initiieren und Veränderungen zum Erfolg bringen. In: Elfolgreiches Management von Bibliotheken und Informationseinrichtungen, hrsg. v. Hans-Christoph Hobohm und Konrad Umlauf, Hamburg: Dashöfer, 2003, S. Kap. 3.6.2: S. 1-24.
275
Hans-Christoph
Hobohm
eine Art von Genugtuung wenn dies von einem langjährig verdienten Praktiker (Maurice Line war lange Zeit Direktor der British Library) selber formuliert wird und nicht nur immer wieder von der Seite der Ausbildung, die per definitionem zuständig ist für die Zukunft eines Berufes. Die Forderung nach Veränderung - schon fast ein ,ceterum censeo' - wird umso brisanter, wenn gerade die Struktur der Ausbildung eines Berufes sich aufgrund externer, neuer Bedingungen ändert. Im Bereich der Ausbildung zu den verschiedenen Sparten des Bibliotheksberufes haben sich in den letzten Jahren eine Reihe von Veränderungen ergeben. Dies begann mit einer zunehmenden Integration der verschiedenen Ausbildungsgänge, angefangen bei der Verschmelzung der Studiengänge ÖB und WB zum Diplombibliothekar bis hin zu der Integration verschiedenster Studiengänge und Inhalte im breiten Bereich der Informationswissenschaften. Wichtig und Impuls gebend ist hier zusätzlich die Entwicklung eines gänzlich neuen, integrierten Berufsbildes, dem Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste (FAMI). Seine erfolgreiche Einführung hat in der Praxis zu neuen Situationen im Verhältnis der verschiedenen Laufbahnen zueinander geführt. Der Qualität dieser neuen Ausbildung entspricht das wachsende Bedürfnis der FAMI's, durch Weiterbildung verantwortungsvollere Positionen zu erreichen. Dem trägt berechtigterweise die Einführung eines weiteren neuen Berufes, dem,,Fachwirt für Medien und Informationsdienste", als einer Weiterbildungsmöglichkeit der IHK im Rahmen des Berufsbildungsgesetzes, Rechnung. Ähnlich wie andere Fachwirtausbildungen soll dieser den Absolventen von Lehrberufen explizit Positionen auf „Bachelor Niveau" eröffnen - so der Wortlaut in den ersten Konzeptionspapieren (Ende 2004) dieser Initiative von DIHK und ver.di. Hier wird von Seiten der Berufsbildung auf etwas Bezug genommen, das in der Hochschullandschaft überhaupt erst im Entstehen begriffen ist, nämlich die europaweite Einführung von Bachelor und Masterabschlüssen im Rahmen des so genannten Bologna Prozesses3. Eine Blick weitende Änderung wird hier also ganz augenfällig: die Berufsbezeichnung Diplombibliothekar, die nicht nur denen, die sie führen, ans Herz gewachsen ist, wird zumindest nach Beendigung des Bologna Prozesses nicht weiter vergeben werden. Bibliothekare wie auch andere Berufe werden sich nicht nur mit den neuen Titeln Bachelor und Master auseinander setzen müssen, sondern sich auch an die hiermit transportierten neuen Strukturen und Ziele der akademischen Ausbildung gewöhnen müssen. Es gilt also zunächst sich zu orientieren über die veränderten Strukturen der Ausbildung. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass auch die aktuellen Ausbildungsstrukturen Ergebnisse von Veränderungsprozessen sind. So ist ja bekanntlich die Ausbildung zum Assistenten bei ihrer Weiterentwicklung zum FAMI von zwei auf drei Jahre verlängert worden. Vielen aktuell tätigen Bibliothekaren ist auf der anderen Seite noch in Erinnerung, dass das Studium zum Diplombibliothekar drei Jahre dauerte und nicht wie heute meist acht Semester4. Im Zeitalter der Wissens- und Bildungsgesell3
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Eine erste gute Einführung gibt: Zervakis, Peter Α.: Der Bologna-Prozess und die Europäisierung des Hochschul- und Forschungsraumes. Kap. 5.2 in: Erfolgreiche Leitungen von Forschungsinstituten, Hochschulen und Stiftungen, hrsg. v. Thomas Studer, Hamburg: Dashöfer, 2003. Noch 1997 geht die AG Wissenschaftliche Bibliotheken des Hochschulausschusses der KMK in ihrem Bericht „Gemeinsame Standards für die Ausbildung und des gehobenen Dienstes an wissenschaftlichen Bib-
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Der
Bibliotheks-Bachelor
schaft haben sich zumindest in Deutschland die Ausbildungs- und Studienzeiten zunehmend verlängert. Bei den im Bologna Prozess vorgesehenen Studienstrukturen fällt vor diesem Hintergrund auf, dass der Bachelor zunächst ein (mindestens) dreijähriges Studium erfordert, dem das Masterstudium mit maximal zwei Jahren folgt. Grundprämisse des Bologna Prozesses ist es, zu Studienzeiten nicht über fünf Jahren zu kommen. Die sich in Deutschland abzeichnende Praxis ist in der Tat, dass der Bachelor einen ersten berufsqualifizierenden Abschluss meist schon nach drei Jahren Studium ermöglicht. Bisher haben nur wenige Fachhochschulen - vor allem im ingenieurwissenschaftlichen Bereich - sich entschieden, Bachelorabschlüsse mit längeren Studienzeiten anzubieten. Die zweite wesentliche Neuerungen durch den Bologna Prozess ist die zunehmende Gleichstellung von Universitäten und Fachhochschulen. Beide bieten zukünftig gleichermaßen Bachelor und Master an. Damit wird sich auch die bisherige Differenzierung der beiden Hochschulentypen, die den Universitäten die Theorie zuwies und den Fachhochschulen die angewandten Studiengänge, weiter nivellieren. Die Unterscheidung zwischen angewandter Praxisorientierung und wissenschaftlicher Vertiefung wird zukünftig nicht mehr horizontal zwischen Hochschularten, sondern vertikal zwischen den unterschiedlichen Abschlüssen gegeben sein. Die damit mögliche (zum Beispiel auch didaktische) Klärung der Situation ist durchaus zu begrüßen. Es ergeben sich zwar eine Reihe von ganz grundsätzlich neuen Berufsabschlüssen und -qualifikationen, die in der Praxis, speziell den Tarifstrukturen, bisher nicht vorgesehen sind. Diese entsprechen aber eher den tatsächlichen Erfordernissen und Bedürfnissen, sowohl in der praktischen Berufssituation wie auch hinsichtlich der Lernkompetenzen und der Lernbiografie. Nicht jeder junge Mensch kann sich beim Ergreifen einer Berufslaufbahn, ob als Lehre oder als Studium, schon so genau einschätzen, dass er weiß, welche Tiefe der Durchdringung eines Fachgebietes für ihn adäquat ist. So manche Bibliotheksstudenten, die gute Bibliothekare geworden wären, scheitern an den Ansprüchen einer wissenschaftlichen Diplomarbeit, genauso wie eine Reihe von Diplombibliothekaren Fähigkeiten und Interessen aufweisen, die über BAT IV hinausgehen. Diese Flexibilität bietet das neue Ausbildungssystem (vgl. Abb. 1). Leider muss hier jedoch zunächst eine linguistische Unscharfe beseitigt werden, die uns die englische Sprache als neuer lingua franca der Wissenschaft bereitet. Der angloamerikanische Bachelor wird häufig als vierjährig beschrieben. Der ,3ologna Bachelor" wäre damit minderwertig wie es von Zeit zu Zeit auch von der Tagespresse kolportiert wird. Schaut man sich jedoch die Ausbildungssysteme in Abb. 1 genau an, so wird allein schon aus der Altersplatzierung deutlich, dass hier grundlegende Unterschiede vorhanden sind. Vor allem der immer wieder als Referenz bemühte amerikanische Bachelor erfüllt zu einem großen Teil Aufgaben der allgemeinen Bildung. 40 bis 60 Prozent seiner Studieninhalte sind nicht fachlicher Natur, und der Rest wird aufgeteilt zwischen einem „Major" und einem „Minor", d. h. zwei Studienfächern5. Tatsächlich
5
liotheken in der Bundesrepublik Deutschland" zunächst von § 14 BRRG aus: „Die Regelausbildung dauert drei Jahre." (bezogen auf den Vorbereitungsdienst: das Fachstudium darin wird mit 18 Monaten beziffert!). Assefa, Mariam; Sedgwick, Robert: Evaluating the Bologna Degree in the U.S. In: World Education News and Reviews, March/April 2004 (2004) [cf. http://www.wes.org/ewenr/PF/04Mar/PFFeature.htm, letzter Zugriff: 1.12.2004],
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Hans-Christoph
Hobohm
eröffnen die wenigen bibliothekarischen Bachelorstudiengänge in den Vereinigten Staaten6 ihren Absolventen nicht den Zugang zu Positionen als „professional librarian". In Pennsylvania beispielsweise kann man mit dem dort vergebenen „Bachelor of Science in Education (BS Ed)", der die entsprechenden bibliothekarischen Studienanteile auf „undergraduate Niveau" enthält, nur „provisorischer Bibliothekar" werden. Gerade auf dem Gebiet der „Library and Information Science" gilt der Masterabschluss als Standardvoraussetzung für fachliche, qualifizierte Berufspositionen (= als „professional").
Master (MUS, Weiterbildung)
/
*
5. Stud.Jahr
Master
Master
(MLIS,
(MUS, —
konsekutiv)
j 3. Stud.Jahr
IHK
Bachelor
Fachwirt
(US)
Medien und
Bachelor (andere Fächer)
Infromation sdienste 13. Klasse j FAMI
|
1
A b b . 1: Ü b e r s i c h t ü b e r A u s b i l d u n g s w e g e u n d A b s c h l ü s s e i m Z e i t a u f b a u
Die Studiendauer des amerikanischen Bachelor wird häufig mit 120 Kreditpunkten (credit points) bewertet. In Europa pendelt er sich inzwischen auf ein Minimum von 180 credit points ein, und dies obwohl die offizielle Studiendauer kürzer zu sein scheint7. In den meisten bundesdeutschen Ländergesetzen zur Einführung des Bachelor geht man jedoch von einer weitaus höheren studentischen Arbeitsbelastung aus als 6
7
ALISE kennt sogar nur zwei mit einem Major in Library Science, während in Universities.com 11 in zehn amerikanischen Staaten aufgeführt werden. Universities.com erläutert: „Bachelor degree: An award that requires completion of an organized program of study of at least 4 but not more than 5 years of full-time academic study with at least 120, but less than 150 semester credit hours."
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Der
Bibliotheks-Bachelor
dies bei bisherigen Studien der Fall war8. Eine Reduzierung von vier- und mehrjährigen Studien auf einen ersten Abschluss, der in drei konzentrieren Jahren erreicht werden kann, erscheint im Vergleich also nur sinnvoll. In keinem Fall wird es zu einer Reduktion der Inhalte kommen. Der Abschluss wird lediglich besser an die mögliche Lernbiografie der Studenten angepasst9. Auch die Befürchtung, der hohe Praxisanteil von Fachhochschulenstudiengängen ginge verloren, ist bei den meisten bisherigen Konzeptionen von Studiengängen unbegründet. Es ergeben sich auf diese Weise sechs verschiedene Abschlüsse, die jeweils unterschiedliche Anforderungen der Praxis bedienen. - Der mittlerweile traditionelle FAMI wird weiterhin mit seiner fundierten handwerklichen Ausbildung die Grundlage der fachlichen bibliothekarischen Arbeit bilden. - Er wird die Möglichkeit erhalten, je nach Situationen in seiner Bibliothek oder im Hinblick auf die persönliche Disposition, durch die Weiterbildung zum Fachwirt in entsprechende höhere Positionen des mittleren Managements aufzusteigen. - Die eigentlichen Positionen für verantwortliche Entscheidungen werden weiterhin von Hochschulabsolventen nunmehr mit dem Titel „Bachelor of Arts / Sciences" besetzt werden. Weitergehend fachliche und verantwortungsvollere Positionen werden wie bisher ein längeres und damit fachlich vertieftes wissenschaftliches Studium voraussetzen. Dies wird in drei Ausprägungen durch den „Master of Library and Information Science" erreicht. - Der so genannte konsekutive Master, der vertiefte wissenschaftliche Studien auf das gleiche Fach (mindestens nach einem Bachelorabschluss) aufsetzt, wird zukünftig mehr denn je befähigen, schwierige bibliotheksfachliche Situationen, wie etwa die Leitung größerer Bibliotheken oder die Durchführung schwieriger fachlicher Projekte, zu meistern. - Der Master im Aufbaustudium wird wie bisher als Basis ein bibliotheksfernes Fachstudium haben, und somit in erster Linie für Aufgaben in der Nähe des traditionellen Fachreferates prädestiniert sein. Ob ein Bachelor in diesem Fall immer als Eingangsvoraussetzung genügen wird, werden die einzelnen Studiengänge bzw. der Arbeitsmarkt für entsprechende Stellen regeln. - Hier ist dann der Übergang zum Master in einem Weiterbildungsstudium fließend. Dieser ermöglicht nach vorhergehenden Studienabschlüssen und einer entsprechenden Praxisphase - in den meisten Fällen gegen Studiengebühren - eine Weiterqualifizierung, die interessierten und fähigen Bibliothekaren Aufstiegsmöglichkeiten oder weitergehende Spezialisierungen eröffnen sollen. Je nach persönlicher Eignung und der jeweils unterschiedlich gestalteten Studienstruktur einzelner Hochschulangebote werden sich hierbei auf allen Stufen fließende
9
Vgl. Hannemann, Dieter: ECTS und Workload. Zeitmessung in Studiengängen. In: Die neue Hochschule, 44, 6 (2003), 20-24; die KMK empfiehlt beispielsweise von 1800 Arbeitsstunden pro Jahr auszugehen. Schwenk-Schellschmidt, Angela; Kammasch, Gudrun: Brauchen Bachelor und Master eine neue Didaktik? In: Die neue Hochschule, 45, 6 (2004), 21-23.
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Übergänge herausbilden. Diese neue Flexibilität der Ausbildung - sie entspricht im Ansatz dem, was Maurice Line mit dem „switch from teaching to learning" anspricht wird mit einiger Sicherheit die Realität der Arbeitswelt und seiner Tarifstrukturen wandeln. Sie entspricht aber auch neuen inhaltlichen Erfordernissen wie sie zunehmend von der Praxis formuliert werden10. Exemplarisch sei die europäische Initiative zur Zertifizierung von Informationsfachleuten, CERTIDoc11, genannt, der mittlerweile auch die deutsche Bibliothekswelt beigetreten ist. Entsprechend einer Hierarchisierung der Anforderungen an die berufspraktischen Kompetenzen - in entfernter Anlehnung an klassische Lernzieltaxonomien12 - wird hierbei durch Assessments festgestellt, welches Niveau an Professionalität ein Dokumentär beziehungsweise Spezialbibliothekar in freiberuflicher Tätigkeit erreicht hat (vgl. Tabelle 1, S. 281). Die vier Niveaus - umschrieben mit: Assistent, Techniker, Manager, Experte - entsprechen mit ihren möglichen Übergängen ungefähr den zukünftigen Ausbildungsniveaus: - FAMI/Fachwirt = Assistent/Techniker - Fachwirt/Bachelor = Techniker/Manager - Bachelor/Master = Manager/Experte - nicht-konsekutiver und Weiterbildungs-Master = Experte. Neben der konkreten Benennung und Unterscheidung der Hierarchieebenen wird vor allem die Spannweite der möglichen Kompetenzen deutlich. Oder wie es Antonella Agnoli 2004 auf der Bozener Tagung „Lernort Bibliothek" zum Ausdruck brachte13: „Der bibliothekarische Nachwuchs verlangt (...) eine Ausbildung, die wirklich theoretisch ist, aber auch wirklich praktisch (20)". In den Beschreibungen zum vierten Kompetenzniveau von CERTIDoc wird auch klar, dass es unabdingbar ist, „zu investieren (...) in die bibliothekswissenschaftlichen Disziplinen, die nach wie vor unverzichtbar sind, um die Berufsausbildung in einem Fächerkanon konkret zu verankern" (ebd.). Hier trifft sich die strukturelle Beschreibung des Berufsbildes mit der Forderung nach der Öffnung des Sichtfeldes. Diese ist nur möglich durch konsequenten Ausbau des Masterbereichs, der in doppelter Hinsicht fruchtbar sein wird: für die Praxis und für 10
Behm-Steidel, Gudrun: Kompetenzen für Spezialbibliothekare, eine Untersuchung zu Anforderungen und Qualifizierung von Beschäftigten in internen Informationseinrichtungen, Berlin: Logos, 2001. (Berliner Arbeiten zur Bibliothekswissenschaft); St.Clair, Guy: Beyond Degrees. Professional Learning for Knowledge Services, München: Saur, 2003; Special Libraries Association: Competencies for the Information Professional of the 21 st. century. SLA 2003. (rev. edition) [cf. http://www.sla.org/content/ learn/comp2003/index.cfm]; Euroguide. Handbuch für Informationskompetenz (BID), hrsg. ν. European Council of Information Associations (ECIA), 2 Bde., Frankfurt: DGI, 2004. [cf. www.certidoc.net]; Bibliothecaire, quel metier?, hrsg. ν. Bertrand Calenge, Paris: Ed. du Cercle de la Librairie, 2004.
"
Rittberger, Marc: CERTIDoc - Zertifikation eines einheitlichen Berufsbildes in Europa. In: Information. Wissenschaft und Praxis, 55, 1 (2004), 29-34. Bloom, Benjamin S.: Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich, Weinheim: Beltz, 1972. Ihm folgend definiert die Pädagogik z.B. die sechs aufeinander aufbauenden kognitiven „Niveaus": Wissen Verstehen -> Anwendung Analyse Synthese Evaluation. Agnoli, Antonella: Leitbild „benutzerfreundliche Bibliothek": Welche berufliche Aus- und Weiterbildung ist für Bibliothekare notwendig? In: Lernort Bibliothek = La biblioteca apprende, hrsg. v. Franz Berger, Berlin: BibSpider, 2004, S. 13-20.
12
13
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Der
Bibliotheks-Bachelor
Tabelle 1: Kompetenzniveaus nach CERTIDoc (2004) Niveau 1: Problembewusstsein. Der Betreffende begnügt sich mit der Benutzung von Werkzeugen. Gewisse Basiskenntnisse im Bereich sind jedoch notwendig (vor allem die Kenntnis von grundliegendem Fachvokabular und die Fähigkeit einige praktische und konkrete Teilaufgaben auszuführen). Niveau 2: Ausführen von Routinearbeiten. Der Betreffende verfügt über Analyse- und Ausdrucksfahigkeit der untersuchten Phänomene. Er kann mit Fachleuten des entsprechenden Gebiets zusammenarbeiten. Dies ist das erste professionelle Niveau (praktisches Know-how nutzen). Der Fachmann kann außerdem mit Hilfsmitteln umgehen, sich wiederholende oder speziell vordefinierte Aufgaben erfüllen und praktische Hinweise geben. Niveau 3: Erfolgreicher Umgang mit Werkzeugen bzw. Einsatz von Methoden. Der Betreffende weiß Bescheid über das Vorhandensein und die Inhalte gewisser Techniken, er weiß diese zu definieren, davon zu sprechen, und ist fähig, diese zu nutzen. Er besitzt die Fähigkeit, Situationen zu deuten und zu beurteilen, so dass er Methoden und Techniken den Erfordernissen entsprechend selbständig anpassen und/oder Werkzeuge bzw. Verfahren erstellen kann. Er kann über grundlegende Handlungsweisen entscheiden und sie in komplexen Handlungssituationen anwenden. Niveau 4: Kreative Beherrschung von Methoden und Techniken. Der Betreffende kann ein Verfahren oder eine Technik nicht nur in einer, sondern in mehreren Situationen anwenden, sie auf andere Vorgänge übertragen, neue Anwendungsbereiche finden, diese verbessern und verfeinern. Er besitzt die Fähigkeit, neue Werkzeuge oder Produkte zu konzipieren und seine Tätigkeit in einer strategischen Sicht zu begreifen. Er findet auf konstruktive, eigenverantwortliche Weise neue Lösungen für komplexe Probleme. Euroguide 2004, S. 14 die Ausbildung. Jede praktische Berufsanwendung verlangt in einer zunehmend ausdifferenzierten Gesellschaft immer höhere Grade an Spezialisierung. Den Bedarf dazu hat quasi auf der anderen Seite des Hierarchiespektrums die erfolgreiche Etablierung der FAMI-Ausbildung demonstriert. Die Notwendigkeit weitergehender wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem eigenen Fachgebiet betonen in letzter Zeit zunehmend die beiden größten Bibliotheksverbände der Welt (ALA, SLA)14. Die Suche nach praktischer Relevanz, bzw. nach Evidenz15 bestimmter Handlungsweisen für die Praxis erfordert eine gewisse 14
Die ALA in ihren accreditation standards (1992 ff) und die SLA in einem eigenen „Research Statement": Special, Libraries Association: Putting OUR Knowledge to Work: Α New SLA Research Statement June 2001. The Role of Research in Special Librarianship, Washington: SLA, 2001, vgl. Hobohm 2005 (wie Fußnote 2).
15
Vgl. Evidence-based practice for information professionals. Anne Brice, London: Facet Publishing, 2004.
A handbook,
hrsg. v. Andrew Booth und
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Hobohm
Metaperspektive, die man in Deutschland ungern Research (Forschung) nennt. Strategisches Management, Controlling, Leistungsmessung, BIX, Best Practice und „outcome-Forschung" - all dies sind neuere Standards der Bibliothekspraxis, die ohne „Research" nicht auskommen. Nicht ganz zufällig, wenn auch teilweise aus anderen Gründen, situiert sich die bibliothekarische Profession im anglo-amerikanischen Bereich fast ausschließlich auf dem Master Niveau. Die Tatsache, dass dieses in Deutschland zumindest auf Seiten der Ausbildung mit bisher nur einem einzigen bibliothekswissenschaftlichen Institut an einer Universität unterrepräsentiert ist, muss hier nicht noch einmal betont werden. Die neue Struktur des europäischen Hochschulwesens bietet diesbezüglich jedoch eine nicht zu unterschätzende Chance. Die voraussichtliche breite Einführung von Masterangeboten auch an Fachhochschulen bedeutet nicht nur einen Gewinn an Erkenntnis für die Praxis, sondern wird durch das höhere Ausmaß an qualifiziertem wissenschaftlichen Output auch nicht ohne Einfluss auf die Bachelor Ausbildung selber bleiben, da diese ja in der Regel vom gleichen Lehrpersonal durchgeführt wird. Diese Behauptung ist nicht nur dem humboldtschen Ideal einer Einheit von Lehre und Forschung geschuldet, sondern beruht eher auf der Erkenntnis einer sich bedingenden Hierarchie von Kompetenzniveaus, wie sie ja von CERTIDoc ζ. B. zur Abbildung der beruflichen Realität genutzt wird. Der Bachelor kann nur profitieren von einer Zunahme der Spezialisierung in den höheren Kompetenzbereichen - auch ganz im Sinne der Ausdifferenzierungsthese der Systemtheorie. Konkret ist zum Beispiel in den meisten Ländergesetzen vorgesehen, dass maximal 20-25% eines Bachelorjahrgangs im konsekutiven Master weiter studieren dürfen. Man hofft hier auf eine Konzentration von Kapazitäten und Kompetenzen, die wissenschaftliche und gegebenenfalls forschende Reflexion anregt. Ein ähnlicher Auslese- bzw. Konzentrationsprozess wird sich auf der anderen Seite des Spektrums auf dem Weg vom FAMI zum Fachwirt ergeben, allerdings prinzipiell mit einem grundlegenden Unterschied. Der berufliche Weg zum Fachwirt verlangt keine Hochschulreife und keine Studierfähigkeit. Der „Standard"-Fachwirt weist also auf Grund seiner Lernbiografie ein geringeres Maß an Training zu den Aspekten der oberen Ebenen der Lernziel-Taxonomie von Bloom auf: Analyse, Synthese und Evaluation. In vielen Fällen ist auch anzunehmen, dass ihm der hohe Anteil an interdisziplinärer oder allgemeiner Bildung etwa eines amerikanischen Bachelor fehlen wird, den der deutsche Bachelor zwar nicht durch Nebenfächer aber doch zumindest durch das höhere Niveau seines Schulabschlusses erreichen kann. Das Profil und die Stärken des Bachelors liegen also genau in den Bereichen, die als zukünftig ausschlaggebend charakterisiert werden. Betrachtet man beispielsweise die Entwicklung der unterschiedlichen Kompetenzbereiche in den verschiedenen Stadien des Projektes DECIDOC16 und CERTIDoc, so erkennt man zwar vor allem eine Zunahme der Anforderungen im technologischen Bereich. Bei der Neustrukturierung von vorher 3 auf nunmehr 4 Kompetenzfelder wird die Gruppe „T: Technologie" grundsätzlich neu zusammengefasst. Die weiteren Detailänderungen innerhalb der einzelnen Gruppen lassen jedoch andererseits eine Zunahme der Komplexität des Arbeitsfeldes von Informationsspezialisten erkennen. So ist zum Beispiel in der neueren Fassung in 16
Dem Vorläufer von CERTIDoc aus dem Jahre 1999.
282
Der
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der Gruppe „I: Information" explizit „Management von Inhalten und Wissen" und „Konzeption von Produkten und Dienstleistungen" hinzugekommen. Die neu strukturierte Kompetenz-Gruppe „M: Management" umfasst nunmehr zusätzlich Felder wie „Globales Informationsmanagement" oder den Teilaspekt „pädagogisches Handeln" (so zumindest in der französischen Version; vgl. Tabelle 2, S. 284). Besonders auffällig ist jedoch die Neustrukturierung der so genannten Schlüsselkompetenzen. Wurden in DECIDOC bisher nur zehn allgemeine Softskills als wichtig ausgemacht, so ergeben sich nunmehr zwanzig detaillierte Anforderungsbereiche persönlicher und sozialer Kompetenzen von Dokumentaren und Bibliothekaren. Hier fallen vor allem die gänzlich neu aufgenommenen Aspekte „Autonomie" und „Verhandlungsgeschick" auf. Auch die Entwicklung der Kompetenzprofile der Special Libraries Association, die 2003 eine Überarbeitung ihres ersten Papiers aus dem Jahre 1997 vorlegte17, zeugt zunächst von einer Akzentuierung der „professional competencies" und der „core competencies". Zu letzteren gehört z.B. neu, dass der „information professional" jemand ist, dem besonders daran gelegen ist, den Berufsstand mittels Erfahrungsaustausch und lebenslangem Lernen bei der Erweiterung der gemeinsamen Wissensbasis zu fördern. Er lässt andere partizipieren und partizipiert bei der gemeinsamen Entwicklung des Erkenntnisstandes zu bibliothekarischem Tun - ganz im Sinne eines berufsständischen Wissensmanagements. Hier hört man das Echo des zwei Jahre vorher formulierten „research statements" im zentralen Leitbild der Profession wieder. Die eigentlichen inhaltlichen Erweiterungen und Verfeinerungen von dessen Neufassung in 2003 weisen jedoch die „personal competencies" auf mit Formulierungen, die teilweise in die gleiche Richtung gehen: „the information professional (...) negotiates confidently; (...) thinks creatively and innovatively; seeks new or .reinventing' opportunities". Er/sie ist aber auch jemand, der auf besondere Weise teamorientiert ist mit einem „balance of collaborating, leading and following". Schließlich bleibt er/sie flexibel und „gut gelaunt" (positive) in Zeiten kontinuierlichen Wandels. Als letzter Kronzeuge soll Guy St. Clair dienen18, der in seinem bezeichnender Weise mit „Beyond Degrees" betitelten jüngsten Buch zum Thema Kompetenzprofile gar ein ganz neues Berufsfeld postuliert. Er sieht auf Grund der umfassenden gesellschaftlichen Änderungen die betriebs- und volkswirtschaftliche Bedeutung des Bereichs: „Knowledge Development / Knowledge Sharing" drmatisch zunehmen. Hier ist dann nicht mehr „nur" der „information professional", sondern der „knowledge professional" gefragt. Dieser zeichnet sich zwar durch eine solide Ausbildung im ABD-Bereich aus, er/sie ist aber durch persönliche und durch Managementkompetenzen in der Lage, eine führende Rolle bei der Unterstützung des strategischen Lernens (der Mitglieder) seiner Trägerorganisation zu übernehmen. St. Clair beschreibt dies zwar naturgemäß primär aus der Perspektive des unternehmensinternen Spezialbibliothekars, seine Charakterisierung der neuen Rolle der noch unlängst „Bibliothekar" genannten Personen lässt sich jedoch unschwer auf andere Bereiche bibliothekarischer Tätigkeit übertragen (z.B. ähnlich der Blicköffnung Maurice Lines, s.o.). 17
18
Vgl. Fußnote 10 - neben der Änderung des Titels von „Competencies for Special Librarians..." zu „Competencies for Information Professionals ...". Vgl. Fußnote 10.
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Tabelle 2: Kompetenzbereiche und Soft Skills nach CERTIDoc (2004) 33
Kompetenzbereiche
Gruppe l - Information 101 - Beziehungen mit Benutzern und Kunden 102 - Verständnis des Berufsfeldes 103 - Anwendung des Informationsrechts 104 - Management von Inhalten und Wissen 105 - Identifikation und Bewertung von Informationsquellen 106 - Analyse und Darstellung von Informationen 107 - Informationsrecherche 108 - Bestandsverwaltung 109 - Bestandserweiterung 110 - Physische Bearbeitung von Dokumenten II 1 - Einrichtung und Ausstattung 112 - Konzeption von Produkten und Dienstleistungen Gruppe Τ - Technologien T01 -EDV-Konzeption dokumentarischer Informationssysteme T02 -EDV-gestützte Anwendungsentwicklung T03 - Publikation und Herausgabe T04 - Internet-Technologien T05 - Informations- und Kommunikationstechnologien Gruppe C- Kommunikation C01 -Mündliche Kommunikation C02 -Schriftliche Kommunikation C03 -Audiovisuelle Kommunikation C04 -EDV-gestützte Kommunikation C05 -Fremdsprachenpraxis C06 -Zwischenmenschliche Kommunikation C07 -Betriebliche Kommunikation Gruppe Μ - Management M01 - Globales Informationsmanagement M02-Marketing M03 - Verkauf und Vertrieb M04 - Budgetverwaltung M05 - Projekt- und Planungsmanagement M06 - Beurteilung und Evaluierung M07 - Personalmanagement M08 - Weiterbildung und Training Gruppe S - Zusatzwissen S01 - Komplementärwissen
Euroguide 2004, S. 9 284
20 grundlegende ΑΙ 234567B1 c1 23D 1 2E1 2F1 2345-
Soft-Skills
Kontakte Autonomie Kommunikation(sfähigkeil) Verfügbarkeit Einfühlung(svermögen) Team(geisl) Verhandlungsgeschick) Pädagogisches Geschick Recherchieren Neugier Analysieren A/ja/jje(fähigkeit) i/rte(7(sfähigkeit) 5yn//iese(fahigkeit) Kommunizieren Diskretion Reaktion( svermögen) Verwalten Ausdauer Genauigkeit Organisieren Anpassungsfähigkeit) Vorausdenken Entscheidung(sfK\idigkeit) Initiative (ergreifen) Organisationstalent)
Der
Bibliotheks-Bachelor
Durch ihre bessere Differenzierung unterschiedlicher Kompetenzniveaus ermöglicht die neue Ausbildungsstruktur im europäischen Hochschulraum genau diese Perspektive. Gerade dem Bachelor wird sich aufgrund des flexibleren Übergangs zu Masterstudien die Möglichkeit ergeben, das neue Berufsfeld mitzugestalten. Die neuen Lehr- und Lernformen in den Hochschulen werden ihr Übriges dazu tun, dass seine persönlichen und sozialen Kompetenzen in diesem Sinne entwickelt werden. Wichtig wäre jedoch dabei, dass Ausbildung und Praxis sich auf allen Seiten zu einem gemeinsamen Modell wie dem von CERTIDoc positionieren und dieses ggf. gemeinsam weiterentwickeln. Die Chancen dazu liegen vor.
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Daniel Mittler
Mit dem Buch - zu jeder Zeit Anekdoten rund ums Buch und Elmar Mittler und einige Gedanken zu Nietzsche 1. „Mein Vogelbuch" Elmar Mittler - mein Vater - mag Vögel. Also bestimmt er Vögel, die er noch nicht kennt, wann immer sie ihm über den Weg laufen. Dazu hat er - wie könnte es anders sein - schlaue Bücher. Manchmal aber ist das mit dem Bestimmen nicht ganz einfach. Da wollen die Farben im Buch einfach nicht zu den Farben in der Realität - da drüben im Baum - passen. Ich bin schuld an diesem Missgeschick. Und das kam so: Schon als kleiner Junge wollte ich es meinem Vater nachtun. Auch ich wollte in Büchern blättern, Sachen anstreichen und - naja - mich bilden!? Leider wollte ich aber in allen Büchern (die ich erreichen konnte) blättern - und möglichst viele auch anlutschen. So kam es, dass ich schon als kleiner Wurm eine wichtige metaphysische Wahrheit zur Kenntnis nehmen musste: Buch ist nicht gleich Buch! Es gibt da zwei Kategorien: Die, die ich aus dem Regal nehmen darf - und den Rest, der mich gefälligst nicht zu interessieren hat. Zu den wenigen, die ich aus dem Regal nehmen durfte, gehörte - zu meiner Freude - auch ein Pareyes Vogelführer. Einige Seiten dieses schönen Führers sind komplett verkrickelt. Bei einigen Vögeln aber ist es mir aber gelungen, wie in einem Kindermalbuch nur die weißen Stellen (der Vögel) anzumalen. Das ist tückisch und verführte meinen Vater schon einige Male zu der verzweifelten Frage: „Warum hat dieser Vogel keinen roten Streifen auf dem Flügel?" Weil Gott es so wollte, versteht sich, ich - zumindest als kleiner Junge - das aber anders sah.
2. Vorsicht Buchladen! Bücher also waren spannend - auch für mich, auch im frühesten Alter. Buchläden waren da eine ganz andere Sache. Die, so sah ich das damals zumindest, fraßen viel zu viel Zeit. War man einmal in einem gelandet, kam man mit Sicherheit stundenlang nicht mehr heraus - und wenn, dann immer schwer beladen. Also hieß es: Buchläden meiden - koste es, was es wolle. Das war mit meinem Vater nicht einfach. Aber manchmal erspähten meine Adleraugen von weitem einen Buchladen und es gelang mir gerade noch rechtzeitig, ihn davon zu überzeugen, die Straßenseite zu wechseln. Seltene Momente des Triumphes ...
3. Urlaub oder die Dias für die nächste Vorlesung? Früh lernte ich auch, dass (fast) alle schönen Gebäude Europas entweder Bibliotheken sind oder es waren - oder sollte das nicht der Fall sein, zumindest schöne Bibliotheken 287
Daniel Mittler
hatten. Wenn wir also im Urlaub nicht Kanu fuhren, sondern entlegene Klöster in tollen Landschaften aufsuchten, oder in italienischen Städten vor der Sonne in alten Gemäuern Schutz suchten, dann entpuppten sich diese Ausflugsziele alsbald auch als Studienobjekte. Dias wurden gemacht - und wurden im darauf folgenden Jahr bei einer Vorlesung über historischen Bibliotheksbau recycelt. Und natürlich wurde die Vorlesung auch schon einmal geübt - und das vielfältigste Wissen an uns ahnungslose Touristen weitervermittlert. Wer nun denkt, dies seien keine tollen Urlaube gewesen, der irrt gewaltig. Das einzige, was ich an unseren Urlauben Marke „Mittlersche Bibliothekentouren" bedauere, ist, dass ich Esel damals nicht genauer zugehört habe. Wie oft stehe ich nun in einem historischen Bau und frage mich verzweifelt, wo die Bibliothek wohl mal gewesen ist. Oder - noch schlimmer - erinnere mich: „Ah, hier hat Papa uns lange etwas erklärt. Wenn ich doch nur noch wüsste, WAS"....
4. Nie ohne (m)eine Bibliothek! Vorträge über Bibliotheksgeschichte kann ich also nicht halten. Da hätte ich (mindestens) genauer zuhören müssen. Das hindert mich aber nicht daran, in jeder Stadt, in die ich komme, erstens die Bibliothek zu suchen und zweitens diese auch zu fotografieren. Zugegeben, sehr oft habe ich diese Bilder noch nicht an meinen Vater weitergegeben. So sind sie nicht in seinen Vorlesungen zu sehen, sondern sorgen eher nur für Verwunderung und Heiterkeit, wenn ich meinen Freunden meine Dias vorführen will. Aber gute Traditionen soll man beibehalten - und so fotografiere ich munter weiter. Und, falls Sie z.B. mal nach Port Elizabeth in Südafrika kommen, sollten Sie sich unbedingt die Bibliothek dort anschauen!
5. Wenn schon, dann die Gesamtausgabe Der Sohn eines Bibliothekars zu sein hat einen Nachteil: Umziehen wird schon von frühen Jahren an zur Qual. Denn Kisten über Kisten sind mit Büchern gefüllt. Ich interessierte mich vielleicht früher als andere für Literatur und Philosophie. Auf jeden Fall besaß ich früher die Gesamtausgaben von Grass, Brecht, Hesse, Kafka, Rilke und (ganz wichtig!) Karl May als alle meine Freunde und Bekannten. Das Prinzip war sehr einfach. Ich musste mich nur für einen Autor interessieren und vor Weihnachten (oder einem Geburtstag) dieses familienöffentlich werden lassen. Und schon ward das Wunder wahr: beim nächsten Fest fand sich die Gesamtausgabe eben jenes Autors unter dem Christbaum wieder. Wenn ich nicht gerade umziehe, bin ich dafür auch sehr dankbar. Einer der ersten Autoren, der mich früh begeisterte, war Friedrich Nietzsche. Natürlich besitze ich auch von ihm eine ausführlichste Werkeauswahl. Um (hoffentlich) zu beweisen, dass auch dieses Geschenk nicht völlig sinnlos war, im Folgenden einige (halbwissenschaftliche) Gedanken zu Nietzsche. 288
Mit dem Buch - zu jeder Zeit
6. Nietzsche - ein früher Umweltschützer? Nietzsche bedeutete - oft auf tragische Weise - vieles für viele. Er wurde als ProtoFaschist genauso (miss)verstanden, wie als Vorbote eines poetischen Postmodernismus. In den letzten Jahren haben auch Umweltschützer den Versuch unternommen, Nietzsche als „einen der ihren" zu deklarieren [siehe u.a. Hallman (1991), Betz (1989) and Krebbs (1989)]. Dieser Artikel betrachtet einige Gründe, warum Nietzsche für „grün" gehalten werden könnte. Aber auch die Gründe, die dagegen sprechen, werden untersucht. Ja, Nietzsche war ein
(Proto-)Umweltschützer
„Hybris ist heute unsre ganze Stellung zu der Natur, unsre Natur-Vergewaltigung mit Huelfe der Maschinen und der so unbedenklichen Techniker- und Ingenieurs-Erfindsamkeit." Die Genealogie der Moral, S. 357. 1. Für Nietzsche war der Mensch Natur. Seine Betonung der natürlichen Eigenschaften des Menschen hat eine klare Affinität zu modernem ökologischem Gedankengut. Bereits in Nietzsches Frühwerk, Homer's Wettkampf, besteht Nietzsche darauf, dass der Mensch in den höchsten seiner Qualitäten ganz Natur ist. Viel später, im Willen zur Macht, betont Nietzsche immer noch, dass man nur perfekt handelt, wenn man instinktiv handelt - also auf der Grundlage natürlicher Triebe und Bewegungen. Er sah es als sein philosophisches Vermächtnis an, den Menschen wieder „unter die Tiere" gemischt zu haben. Nietzsche insistierte außerdem, dass alle Analysen des menschlichen Wesens immer mit dem menschlichen Körper beginnen müssen: „Wesentlich: vom Leib ausgehen"1. Nietzsche „recognise(s) and positively value(s) the organiconatural being of humanity" (Acampora, 1994). 2. Nietzsche - gerade auch deshalb bei den Postmodernisten beliebt - war ein scharfer Kritiker der „metaphysischen" Tradition der westlichen Philosophie. Die Vorliebe dieser philosophischen Tradition für Objektivität, Sein und Permanenz sah Nietzsche als Vorurteil an - als ein Vorurteil gegen die Kraft des Lebens. Im Willen zu Macht schreibt er (und ich habe dieses Zitat leider nur auf Englisch), dass die alte metaphysische Tradition fälschlicher Weise „prejudiced against appearance, change, pain, death, the corporeal, the senses, fate, bondage, the aimless" sei. Für Nietzsche ist es genau die ständige Veränderung und das Körperliche, was das Leben hauptsächlich ausmacht. Eine Philosophie nach Nietzsches Geschmack muss das chaotische Sein der Natur anerkennen - sonst tut diese Philosophie der Natur Gewalt an. Die Sinne müssen genährt, gepflegt und unterstützt werden - nicht verneint oder unterdrückt. Nietzsche zielt darauf „ die Natur sein zu lassen - und sie nur an einigen Stellen zu verfeinern" (Kaufmann, 1989). Nietzsches Kritik am Christentum schlägt in dieselbe Kerbe. Das Christentum ordnet das Chaos der Natur auf eine rigide Art und Weise, die keinen Raum für die Instinkte lässt. Das Christentum lehrt den Menschen - im Namen der abstrakten Idee der Sünde - seinen überlebenswichtigen Instinkten zu misstrauen allen voran dem Sexualtrieb. Nietzsche geht sogar so weit, die christliche Doktrin des Altruismus als eine Umkehrung und Bekämpfung der menschlichen Instinkte zu ver-
Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, 532, S. 44
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Daniel Mittler urteilen. Er behauptet, dass Christen durch den Altruismus ihre Instinkte gegen sich selber wenden: „erst der Wille zur Selbstmisshandlung gibt die Voraussetzung für den Wert des Unegoistischen"2. Die christliche Lehre entwertet außerdem durch ihre Orientierung auf das Leben nach dem Tod das Hier und Jetzt - das, so Nietzsche, die Christen nur als Vorbereitung (oder Test) ansehen. Für Nietzsche aber hat nur unser weltliches Leben Bedeutung. So betont er in einer beeindruckend früh-ökologischen Passage: „good air in our room, the soil, the wells not poisoned ... - we grasp their value" (zitiert in Hallman, 1991). 3. Nietzsche schlägt an einigen Stellen „vitalistische" Kriterien für die Evaluation von Ideen und Lebensentwürfen vor. „Der Werth für das Leben entscheidet zuletzt", schreibt er zum Beispiel im Willen zur Macht3. Diese Idee, dass es die Auswirkungen auf das Leben sind, die es uns letztlich ermöglichen, den Wert eines Vorschlages zu bemessen, hat klare Ähnlichkeiten mit den Thesen moderner Umweltschützer. Denn auch sie bestehen darauf, den Wert z.B. eines Politikvorschlages essentiell daran zu bemessen, welche Auswirkungen dieser auf die Gesundheit des Menschen und der Natur haben wird. Auch sie evaluieren jeden Vorschlag nach dem Kriterium der Auswirkungen dieses Vorschlags auf das Leben. 4. Nietzsche sieht die menschliche Weltsicht nicht als eine privilegierte oder wissenstheoretisch überlegene an. Noch weniger akzeptiert Nietzsche die gerade im 19. Jahrhundert noch weit verbreitete These, der Mensch sei das Endziel oder die Krönung der biologischen Evolution. „Gesetzt, nämlich, dass nichtgerade der Mensch das Maas der Dinge ist" mahnt er in Jenseits von Gut und Böse4. Im Antichristen geht er noch weiter und stellt kategorisch fest: „Man is absolutely not the crown of creation: every creature stands beside him at the same stage of perfection" (zitiert in Hallman, 1991). Laut Nietzsche gehen Menschen genauso mit der Welt, die es zu erkunden gibt, um wie andere Tiere. Sie ordnen einen kleinen Teil der Welt kognitiv so, dass sie durch diese kognitive Leistung in eben jener kognitiv geschaffenen Welt leben und wachsen können. Unsere Konzepte und Gedanken dienen dazu, „kleine Welten" um uns zu schaffen, in denen sich unsere Energie und unsere Instinkte entfalten können. Epistemologisch sind diese „kleinen Welten" nicht anders oder gar besser als die „kleinen Welten", die sich Tiere schaffen, um auf ihre Art und Weise in der Welt zu bestehen. Diese menschlichen „kleinen Welten" sind menschliche Interpretationen der Welt für entschieden menschliche Zwecke. Wenn das menschliche Verstehen der Welt, aber nicht „anders" geschweige denn „besser" ist als das anderer Kreaturen, dann folgt daraus auch, dass ein Ding erst dann wirklich als Ding verstanden werden kann, wenn es durch alle Wesen „definiert" wurde. So schreibt Nietzsche im Willen zur Macht:, A thing would be defined once all creatures had answered their question. Supposing one single creature, with its own relationships and perspectives for all things were missing, then the thing would not yet be .defined'" (zitiert in Hallman, 1991). Angesichts dieses Respekts für die „Ansichten" anderer Kreaturen überrascht es nicht, dass Tiere häufig eine besondere metaphorische Rolle 2 3 4
Nietzsche, Genealogie der Moral, 18, S. 326 - 27 Nietzsche, Wille zur Macht, 493, S. 19. Siehe auch 495 Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, 2, S. 16
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Mit dem Buch - zu jeder Zeit in Nietzsches Schriften spielen und ihre Meinungen zum Konzert der Meinungen beitragen. In der Tat: „Zarathustras primary companions are animals" (Hallmann, 1991). Es sind Tiere, die Zarathustra die Theorie der „Ewigen Wiederkehr" nahe legen. In der Genealogie der Moral werden Raubvögel (die auch Elmar Mittler sehr liebt) als machtvolle, neiderregende Vögel dargestellt - deren Instinkte ein Recht darauf haben, sich ohne Einschränkung zu entfalten. Auch der Löwe - die berühmte, oft missverstandene Metapher der „blonden Bestie" - wird von Nietzsche immer wieder positiv metaphorisch verwandt. Die Zähmung von Tieren - und insbesondere der „blonden Bestie" - nennt er oft skandalös. „To call the taming of an animal its .improvement' is for our ears almost a joke." (Götterdämmerung, zitiert in Reed, 1978) 5. Für Nietzsche, wie für moderne Ökologen, hängen alle Dinge mit anderen Dingen zusammen. „The characteristics of one thing are the effects on other things. If one takes away the other things, then a thing lacks all characteristics" und:, JE very thing is linked in a chain"5, so dass die Welt ein Ganzes ist, die nicht als Summe ihrer Einzelelemente verstanden werden kann. Ein Ding muss einen Widerstand anderer Dinge spüren - in einer Relation mit anderen Dingen stehen - um überhaupt Ding sein zu können. Daher kommt, nach Nietzsche, auch das Wort „Gegenstand": Jedes Ding muss gegen etwas stehen, um Ding zu sein. Für Nietzsche ist das Wort Gegenstand eine gute Metapher für die Welt. Aus dieser interaktiven Weltsicht ergibt sich auch, dass man, wenn man versucht, etwas in Isolation oder im Vakuum zu verstehen, man es - laut Nietzsche gar nicht versteht oder verstehen kann. Genau wie das Auge nur sehen kann, wenn es seine Energien nach außen projiziert, so muss auch jeder Gegenstand immer auf andere Gegenstände wirken, um überhaupt zu sein. Dieses interaktive Bild der Welt liegt auch Nietzsches Kritik des naturwissenschaftlichen Atomismus zu Grunde: 6. „Was die materialistische Atomistik betrifft: so gehört dieselbe zu den bestwiderlegten Dingen, die es gibt"6. Für Nietzsche ist der Atomismus eine nicht mehr zeitgemäße Theorie, die die Welt mental in kleine Teile zerhackt, um sie für den Menschen kontrollierbarer zu machen. Er zeigt Respekt für die Fähigkeit der Theorie, eben dies zu leisten (also die Welt für den Menschen erklärbarer zu machen). Nietzsche sieht atomistische Theorien aber in keiner Weise als metaphysisch aussagekräftige Beschreibungen der „wahren Welt". Atomismus ist nur eine von vielen möglichen Arten, das Chaos der Welt für menschliche Zwecke zu ordnen. Er stellt allerdings in Frage, ob diese Art, Ordnung ins Chaos der Natur zu bringen, einen Wert hat - oder ob sie nicht eher destruktiv wirkt. Für Nietzsche benötigt auch die naturwissenschaftliche Erkenntnis eine Begründung - da sie nicht für sich in Anspruch nehmen kann, eine „wahre Repräsentation" der Welt zu sein. An einigen Stellen in seinem Werk bezweifelt Nietzsche, dass eine reduktionistische Naturwissenschaft gerechtfertigt werden kann: „Die Wissenschaft selber bedarf nunmehr einer Rechtfertigung (womit noch nicht einmal gesagt sein soll, dass es eine solche für sie gibt)"7 Nietzsche warnt in der Geburt der Tragödie vor den negativen Auswirkungen einer durch eine reduktionistische Wissenschaft kontrollierten Welt: „dass die Weisheit ...ein naturwidriger Gräuel sei, 5 6 7
Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, 557, S. 61 und 584, S. 82 Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, 12, S. 26 Friedrich Nietzsche, Die Genealogie der Moral, 24, S. 401
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Daniel Mittler dass der, welcher durch sein Wissen die Natur in den Abgrund der Vernichtung stürzt, auch an sich selbst die Auflösung der Natur zu erfahren habe."8 Nietzsche tritt für eine weniger spezialisierte, holistische Wissenschaft ein. Eine Wissenschaft, die die Bezüge zwischen Dingen in den Vordergrund stellt - das, was moderne Ökologen „web of life" nennen würden. In der Tat, für Nietzsche war die Welt ein großes Zusammenspiel sich selber ständig erneuernder Kräfte. Im Willen zur Macht schreibt er: „The world ... becomes, it passes away, but it has never begun to become and never ceased from passing away - it maintains itself in both. - It lives on itself: its excrements are its food" (zitiert nach Hallman, 1991). Hallman sieht in dieser Metapher einen Vorboten der ökologischen Weltansicht, nach der die Welt ein komplexes Netz von Energieströmen ist. Dieses Bild zeigt, dass das Leben ein ständiger Prozess der Kreation und Erneuerung ist - und gleichzeitig in ein „Ganzes" eingebettet ist. Die Welt hat Grenzen - sie lebt durch das ständige Recycling der in ihr vorhandenen Kräfte („maintains itself). Wir haben nicht Zugang zu Kräften, die außerhalb dieses Netzes liegen - und müssen deswegen mit den vorhandenen Energien gut haushalten. Umweltschützer würden heute sagen: Wir müssen mit und in den uns gegebenen ökologischen Grenzen leben. Nein, Nietzsche ist kein (Proto-)
Umweltschützer
„Leben- ist das nicht gerade das Anders-sein-wollen, als die ... Natur ..." (Jenseits von Gut und Böse). 1. Nietzsche sagt nirgendwo, dass er ein Problem damit hat, wenn sich Menschen die Natur zu Nutze machen oder sie gar ausbeuten. Im Gegenteil: Nietzsche sieht die Ausbeutung der Natur als notwenig, normal, ja sogar als natürlich an. „Leben selbst ist wesentlich Aneignung, Verletzung, Überwältigung des Fremden und Schwächeren, Unterdrückung, Härte, Aufzwängung eigener Formen, Einverleibung und mindestens, mildestens, Ausbeutung."9 Gerade weil die Welt Grenzen hat, sieht Nietzsche oft den Gewinn einer Kreatur als den notwendigen Verlust einer anderen an. Nietzsches Vorliebe für Raubtiere (Raubvögel, Löwen etc.) zeigt, dass man in Nietzsches Naturverständnis töten und ausbeuten muss, um zu (über)leben. Der Mensch lebt notwendigerweise „by working upon nature, subordinating it and thus gaining power over things." (Fink, 1988). In Nietzsches Schriften sucht man vergeblich nach Beschreibungen biologischer Symbiose oder nach Menschen, die in Harmonie mit der Natur leben. Jedes Tier macht das Selbe: Es ordnet die Welt, damit es in dieser Welt leben kann. Laut Nietzsche ist es aber das implizite Ziel aller Tiere, seine Weltsicht zur dominanten Weltsicht werden zu lassen. Die eigene Weltsicht darf und muss auch entgegen der Weltsicht der anderen durchgesetzt werden: „All specific bodies aim to control all space"10. Falls wir nicht unsere Perspektive allen anderen Lebensformen aufzuzwingen versuchen, machen wir uns der Selbstverleugnung schuldig. 2. Zwar ist die Menschheit nicht die Krone der Schöpfung. Aber dies heißt noch lange nicht, dass wir Menschen nicht stolz und dominant sein können. Im Gegenteil: 8 9 10
Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie, 9, S. 67 Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, 259, S. 207 Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, 636, S. 114
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Mit dem Buch - zu jeder Zeit Wir Menschen sollten uns als kräftiges Potential für etwas noch größeres als das Menschsein ansehen. Menschen haben keinen natürlichen Anspruch darauf, in der Evolutionspyramide ganz oben zu stehen. Aber der Mensch sollte sich eben jene herausgehobene Stellung verdienen. Menschen sollten externe Umstände ausnutzen und sich im Kampf der Natur durchsetzen11. Wir haben gesehen, dass Nietzsche das Christentum und die metaphysische Tradition der Philosophie scharf kritisiert. Gleichzeitig aber hält er beide für „notwendige" historische Phänomene, die essentiell waren, um die bisher stärksten Menschen - und damit auch die mächtigsten Lebewesen auf diesem Planeten überhaupt - „heranzuzüchten". So nennt er z.B. das Christentum das bisher mächtigste Mittel um die Menschen zu „verschönern": „Vielleicht, dass es bis jetzt kein stärkeres Mittel gab, den Menschen selbst zu verschönern, als eben die Frömmigkeit."12. Er spricht der menschlichen Selbstkontrolle, die der christliche Lebensstil herangebildet hat, höchsten Wert zu. Er möchte diese Fähigkeit zur Selbstkontrolle nicht aufgeben. Er möchte sie allerdings überwinden - in der Evolution der menschlichen Triebnutzung einen Schritt weiter gehen. Selbstkontrolle und Selbstüberwindung bleiben essentielle Eigenschaften, wenn der Mensch das erreichen will, was Nietzsche ihn auffordert anzustreben: den Über-Menschen. Allerdings: „it is not always clear what seperates the techniques of .self-overcoming' Nietzsche himself proposes from the techniques of ,animal taming' which enrage him in Christianity (Reed, 1978)". 3. Nietzsche legt uns in einigen Textpassagen nahe, das Leben, so wie es ist, unser Schicksal, so wie es sich uns präsentiert, voll und ganz zu bejahen (dies ist bekannt als Nietzsches „Amor fati"). Er fordert uns zu einer „Dyonisian affirmation of the world as it is, without subtraction, exception or selection" auf (Wille zur Macht zitiert in Fell, 1983). Diese Schicksalsbejahung deckt sich mit Nietzsches „grüner" Opposition gegen das Abstrakte und die Vorstellung, unser natürliches Leben im Hier und Jetzt habe keinen Wert. Und doch ist der Gedanke, dass man alle, wirklich alle Teile des Hier und Jetzt bejahen soll, aus der Umweltperspektive problematisch. Immerhin ist es genau die Art und Weise, wie wir gegenwärtig leben - unsere Konsum- und Produktionsmuster etc. - , die für die momentane Umweltkrise verantwortlich sind und die die Umweltschützer problematisieren. Wie kann man ohne wenn und aber ja zu einer Welt sagen, in der genau die Dinge, die Nietzsche uns auffordert wertzuschätzen - wie saubere Luft, unverseuchte Erde und Wasserquellen etc. - eben nicht mehr alltäglich oder sogar möglich sind. In Anbetracht der ökologischen Krise ist Nietzsche's amor fati eine Aufforderung, apokalyptisch „Ja" zu sagen zu einem „will-to-powering drive of human artifice to the earthly extremity of techno-Armageddon" (Acampora, 1994). 4. Nietzsche amüsiert sich regelmäßig auf Kosten von Vegetariern. Vegetarier weigern sich, sich einen Teil der Welt anzueignen - und sind deshalb schwach. Vegetarier sind laut Nietzsche ein Beispiel für Menschen, die sich selbst unterdrücken. Da viele Umweltschützer aus den verschiedensten ökologischen Gründen einen vegetarischen Lebensstil vorziehen, ist Nietzsches Vegetarierfeindlichkeit ein kleines, aber weiteres Problem, bei dem Versuch Nietzsche als Proto-Umweltschützer zu verstehen. 11 12
Ibid., 647, S. 120 Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, 59, S. 78
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Daniel
Mittler
Fazit Nietzsche ist kein Proto-Umweltschützer. Zu viele seiner Ideen widersprechen ökologischem Gedankengut: seine Darstellung des Lebens als ein Prozess der Ausbeutung und der Kontrolle der Natur; seine Aufforderung an uns Menschen, uns den höchsten Rang in der Evolutionskette zu erkämpfen; sein „amor fati", dass es ihm scheinbar unmöglich macht, gegen den gegenwärtigen Umgang mit unserer Natur zu protestieren. Das heißt aber nicht, dass Nietzsches Gedanken nicht durchaus sehr viele spannende Ansatzpunkte für ein ökologisches Philosophieren bieten können. Gerade historisch gesehen ist es beeindruckend, dass Nietzsche z.B. die Natürlichkeit des Menschen so betont. Seine Kritik am Christentum und an der metaphysischen Tradition in der Philosophie sind genauso für ökologische Denker fruchtbarer Nährboden wie seine Vorstellungen von einem vitalistischen Bewertungsmassstab für verschiedene Lebensentwürfe. Auch Nietzsches holistische Philosophie der Naturwissenschaften, seine Kritik des Atomismus, sein Verständnis von einer Welt, in der nichts alleine, sondern alles mit allem anderen in Bezug steht und seine Einsicht, dass die Welt Grenzen hat - all dies bietet einen fruchtbaren Boden, auf dem es gilt, Nietzsches mögliches ökologisches Gedankengut weiterzuverfolgen. Weitere Studien zu den ökologischen Interpretationsmöglichkeiten von Nietzsches Werk sollten vorangetrieben werden. Eine englische Version dieses Beitrages ist als „A Green Nietzsche?" in The Philosophers Magazine, No. 11, Summer 2000 erschienen.
Literatur Ralph R. Acampora, Using and Abusing Nietzsche for Environmental Ethics, Environmental Ethics, Vol. 16, No. 2, Summer 1994 Hans-Georg Betz, The Post-Modern Challenge: From Marx to Nietzsche in the West German Alternative and Green Movement, History of European Ideas, Vol. 11, 1989 Albert P. Fell, The Excess of Nietzsche's „Amor Fati", in David Giocoechea (Ed.), The Great Year of Zarathustra, 1881 - 1981, University Press of America, Lanham, 1983 Eufen Fink, Nietzsche's New Experience of the World, in M. A. Gillespie and Τ. B. Strong (Editors), Nietzsche's New Seas, Explorations in Philosophy, Aesthetics and Politics, University of Chicago Press, Chicago, 1988 Max O. Hallman, Nietzsche's Environmental Ethics, Environmental Ethics, Vol. 13, Summer 1991 Walter Kaufmann, Nietzsche - Philosoph, Psychologe, Antichrist, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1989 R. Stephen Krebbs, Jr, Is Friedrich Nietzsche a Precursor to the Holistic Movement ?, History of European Ideas, Vol. 11, 1989 Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, Alfred Körner Verlag. Leipzig, 1911 294
Mit dem Buch - zu jeder Zeit
Friedrich Nietzsche, The Will To Power (WP), Edited by Walter Kaufmann, Vintage Books, New York, 1968 Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, dtv, München, 1988 Friedrich Nietzche, Die Geburt der Tragoedie, dtv, München, 1988 T. J. Reed, Nietzsche's Animals, Idea, Image and Influence, in Malolm Pasley (Editor), Nietzsche, Imagery and Thought, Methuen & Co. Ltd., London, 1978
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Peter Fox
Changing LIBER
LIBER, the Ligue des Bibliotheques Europeennes de Recherche, has as its mission the representation and promotion of the interests of research libraries in Europe, the improvement of access to collections in European research libraries, and the provision of more efficient information services in Europe. The organisation was founded in 1971 under the auspices of the Council of Europe, and its membership at present includes over 300 libraries from thirty-eight countries, ranging from Ireland in the west to Russia in the east, and from Norway in the north to Malta in the south. In the thirty-plus years of its existence, LIBER has evolved through three stages of development. Initially, between 1971 and 1986, it was a small club of library directors, meeting annually, but generally informally, in one of their libraries. From 1986 to 1993, there was a growth in membership; the LIBER Bulletin evolved into a scholarly journal, European Research Libraries Cooperation: the LIBER Quarterly, and an increasing number of participants began to attend the more formally organised annual conference. In 1993 the officers began to formulate a new, more professional, approach for the organisation. This development was led by the President, Michael Smethurst of the British Library, the Vice-President, Esko Häkli of the National Library of Finland, the General Secretary, Maria Luisa Cabral of the National Library of Portugal, and Erland Kolding Nielsen of the Danish Royal Library. At the annual conference in Göttingen in 1994 new statutes were adopted, establishing a new structure, with four professional divisions (Access, Collection Development, Preservation, and Library Management and Administration) and a permanent secretariat. The changes led to a much enhanced professional programme, represented not only by a more extensive and better-attended Annual General Conference, but also by a range of activities, undertaken by the divisions and the expert committees reporting to them, during the intervening months between the conferences. The reorganisation was extremely successful, and the membership of LIBER, participation in its activities and its influence on the European library scene grew steadily over the next decade. During this period LIBER consciously stretched out to central and eastern European libraries by seeking to involve them in conferences and in the work of LIBER's groups; this was greatly facilitated by the establishment, thanks to the generosity of OCLC, of a special fund for libraries in those parts of Europe. It was also a period when a major plank of LIBER's policy was to create bridges with North America, the aim being not to reinvent new developments in Europe but to build upon and to adapt existing American initiatives. As President of LIBER from 1999 to 2002, Elmar Mittler played a major role in raising the profile of the organisation, and in this he was greatly supported and assisted by the General Secretary, Ann Matheson of the National Library of Scotland. He was also determined to ensure that, at a time when 297
Peter Fox
libraries themselves were changing rapidly, the organisations that represented them could not be allowed to stagnate. In 2001, with the strong support of Esko Häkli, the Past President, he established a Task Force to undertake a review of LIBER's role, and this led to the preparation of a Vision for LIBER's strategy 2003-2006. This Vision was circulated to the membership during the spring of 2003 and was approved at the Annual General Assembly in Rome in June of that year. The vision statement identified the recent significant developments and trends in European research libraries: the development of the 'hybrid' or electronic library, changes in the information chain; greater co-operation among libraries through regional, national and international networks and consortia, and the development of consortial agreements with publishers; and changes in the concept of collection development in line with the gradual evolution of virtual collections. It noted that governments were assigning proportionately less funding to the whole field of culture and education, hence also to libraries, whilst, at the same time library operations were becoming more expensive, partly because of the need for dual services: print and electronic. Universities were becoming more interested in what their libraries did, and more inclined to concentrate physical library facilities in order to save costs. Indeed, some universities may even be doubtful of the need for a large central library. The document's assumptions for the future of research libraries in Europe were that the strongest influence on research libraries would be the global networked economy, and that the primary element in the information chain would be the network. Much of what libraries traditionally store on their shelves would be digitised and made available over networks, legal deposit of digital material would become the norm by the end of the first decade of the twenty-first century, and the archiving and preservation of digital material would be one of the most important challenges facing libraries. The document went on to identify LIBER's role in supporting research libraries in Europe in this new world where 'libraries and their users have entered a common electronic space in which services can easily be made available across the boundaries of individual libraries and countries'. 1 LIBER saw its role as, among other activities: assisting libraries to develop new national, international or regional infrastructures for the production of electronic services and resources, the provision of access to them, and the long-term storage of them; stimulating and supporting developments towards standardisation for electronic information exchange and information discovery; supporting libraries in the development of fair licence agreements; and developing strategic thinking in European research libraries. The adoption of the Vision at the 2003 Annual General Assembly empowered the Executive Board to move on to consider how it should be turned into an action plan. The Board was conscious of the fact that LIBER's main activity was the Annual General Conference and, for the majority of members this was their only contact with the organisation. Recent Conferences had been very successful, attracting over 150 directors and senior library managers from all over Europe, and the Board was determined that this very public manifestation of LIBER's role to 'represent and promote 1
A vision for LIBER's strategy 2003-2006, Göttingen 2003. http://www.kb.dk/guests/ intl/liber/vision/visionstatement.htm
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Changing LIBER
the interests of research libraries in Europe' 2 should continue to flourish. The succeeding conference, in St Petersburg in June-July 2004, was attended by a record number of participants, including a delegation from CARL, the Canadian Association of Research Libraries. However, although LIBER had members from most countries in Europe, the penetration of membership was very uneven, with representation from some countries, such as those in Scandinavia, being close to 100% of the libraries that would be eligible for membership, whilst that from some of the larger countries was disappointingly low, and some countries were represented by only one or two institutions. 3 The reasons for this would need to be investigated as part of any action plan for the future, and possible incentives devised for libraries in those countries that found membership a problem. Despite the perception by many of the members that LIBER was the Conference, by this stage the organisation was in fact engaged in many other activities. Since 2000 these had included: - the sponsorship and support of SPARC Europe 4 as a complementary organisation to the original US-based SPARC - Open Archives Initiatives conferences at CERN, Geneva - the establishment of the LIBER Security Network, a confidential network established to exchange information in the hope of reducing thefts from libraries and archives - security conferences in Copenhagen and Paris - support for MARC harmonisation and the development of MARC 21 in Europe - meetings of the Groupe des Cartothecaires in Helsinki and Cambridge - lobbying activity with the European Commission about VAT on electronic publications - work on pan-European digitisation of journals - a campaign on copyright - development of LIBER Quarterly into an online journal - Architecture Group seminars in Warsaw, Leipzig and Venice/Bolzano - meeting of the Expert Group on Manuscripts in The Hague - support for central European libraries after the Czech floods - support for the 'Books for Baghdad' scheme. In 2003 and 2004, discussions at the Executive Board centred around the view that LIBER was now at a crossroads and had two choices: either it could continue as it had done successfully over the previous decade or so, or it could expand its activities and seek to become accepted as the organisation representing research libraries in Europe, becoming a more service-orientated body providing direct support to its members and adding value to their work by facilitating the development of new services, the sharing of resources and the exchange of information for mutual benefit. The latter course carried with it a number of risks, and would undoubtedly require a fundamental change to 2
3 4
LIBER Statutes, Göttingen 1994. http://www.kb.dk/guests/intl/liber/statutes/stat-en. htm See appendix: Penetration of LIBER membership Http://www.sparceurope.org
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Peter Fox the way the organisation was structured and financed, but it quickly became clear that the members of the Board were enthusiastic about exploring this possibility. The Board was equally clear that it did not wish to duplicate the work of organisations operating at a national, or even at a European, level; rather it wanted to identify gaps in the range of activities undertaken by those bodies, to identify possible new activities for LIBER and to consider a possible closer relationship between LIBER and some of those organisations. In order to begin the process of identifying such a role, the London firm, MacDougall Consulting Ltd, were employed in late 2003 to review the current landscape of library organisations in Europe and to consider the activities of similar bodies in North America and Australia. Their report concluded that, in the view of the organisations whose views had been canvassed, 'LIBER had an important advocacy, leadership and co-ordination role both at a European and at an international level'. The principal recommendation of the report was that 'LIBER should consider formalising its role as a European advocate, leader and co-ordinator and that, in doing so, it should systematically define those activities in which it will seek to be active, and define those activities in which it will recognise and support other European organisations which will formally take a lead'. The report was delivered to the Board in early 2004 and a summary was mounted on the LIBER website.5 Using the MacDougall Report and more detailed discussions with some of the organisations as the basis for their planning, the Executive Board was able to take to the Annual General Assembly in July 2004 a consultation paper on the proposed way forward. That paper set out a list of possible areas of future activity, which included the following: - scholarly communication, including further support for SPARC Europe, the development of a European consortium for database subscriptions and the negotiation of licences at a supra-national level; advocacy for scholarly communication issues; lobbying European bodies on topics such as monopolies and mergers, dissemination of research information, the 'journals crisis', declarations for open access - resource description, including the opening of negotiations about possible closer collaboration with The European Library (TEL), with the Consortium of European Research Libraries (CERL) on the database of early printed books, and with the Research Libraries Group (RLG) - development of electronic access to collections, including digitisation and digital archiving of journals - preservation, both traditional and digital - collaborative funding proposals, e.g. to foundations and the European Commission - influencing policy and acting as a lobbying force - developing a European access scheme for researchers to facilitate in-house consultation of material - encouragement of collaboration between European research libraries in different sectors (e.g. national, university, public) - monograph interlending and document delivery 5
MacDougall Consulting Ltd, The future of LIBER: Report to the Executive Board, January 2004. http://www.kb.dk/liber/news/liberfuture.htm
300
Changing LIBER
- collection and analysis of comparative statistics - facilitating the development and adoption of standards, e.g. bibliographic, digital. The consultation paper also drew attention to the financial implications of embarking upon a wider range of activities. It noted that LIBER's current financial position was reasonably healthy, but that the proportion of its income from membership fees had declined and had been replaced by additional but less-secure income from sponsorship and other less stable sources of income. The implications of the proposals for greater activity were that LIBER's income must be increased. The MacDougall Report identified that, in comparison with other similar organisations, the membership fee for LIBER was tiny (about 170 in 2004). The membership also ranged from the very largest national libraries in affluent countries, with annual budgets of many millions of euro, to small research institutions or libraries in less affluent countries, with budgets of a few thousand euro. Each of these paid the same membership fee. In order to increase LIBER's income on a sustained basis, the Executive Board concluded that it would have to recommend that a tiered membership-fee structure be drawn up, taking into account the size of the library's budget, so that the larger libraries would pay a higher fee than they did at present. At the Assembly there was broad support for the proposed way forward and a general acceptance that members might have to pay a higher membership fee for a wider range of services, provided those services could be seen to be of direct benefit to the member institutions and the constituencies they served. In January 2005, members of the Executive Board took the process a stage further by arranging a meeting in Cambridge with representatives of a number of the organisations that had indicated in their responses to the MacDougall review that they would be interested in working more closely with LIBER. Apart from LIBER itself, five organisations were represented at the meeting: two mainly-US groups: the Association of Research Libraries (ARL) and the Research Libraries Group (RLG); two associations of libraries in the UK and Ireland: SCONUL (Society of College, National and University Libraries) and CURL (Consortium of Research Libraries in the British Isles); and CERL (Consortium of European Research Libraries). This was the first of a number of meetings planned to be held with representatives of various organisations in different countries. In the discussion, the President of LIBER, Erland Kolding Nielsen of the Royal Library of Denmark, indicated that LIBER was in the process of repositioning itself on the European landscape and was concerned to establish, if possible, one voice for research libraries in Europe, confronting the problem of the disparity between libraries in different parts of Europe (both the north-south divide and the east-west one). LIBER wished to change its image of a 'conference-only organisation' into that of an organisation with a broad array of activities, though it would not try to influence what was happening at the national level, but would work with existing organisations. The precise nature of the collaboration between LIBER and other international organisations was a matter that would require sensitive handling but the participants were clear that it should be possible to identify activities where LIBER would take the lead on a Europe-wide basis and others where LIBER would aim to support another organisa301
Peter Fox tion that would take the lead. LIBER did not wish to duplicate the work of other European organisations, but to collaborate and to work in association with other existing and new European organisations where relevant, and thus to gain synergy by joining forces, including possible relevant mergers. There was widespread agreement among the participants at the meeting that initiatives by LIBER would be welcomed in areas such as improved networking among existing European organisations, the development of an effective voice in lobbying on behalf of European research libraries (for example with the European Union), the creation of a single European umbrella organisation that could speak for Europe on research library issues at the international level and provide more professional power on behalf of European research libraries and their organisations. The outcome of this meeting was a workplan, which would encompass the following activities: - identification of the tasks and objectives of LIBER with respect to services it could provide to the library community - creation of an inventory of existing service organisations so that overlaps and gaps could be identified - development of a network of services, both through collaboration with existing organisations and through new initiatives where service gaps were identified - a start to discussions with those organisations to test out and discuss these ideas and establish their level of interest in participation with LIBER in the development of services - development of a new membership formula which would encompass national (or regional) organisations and associations, as well as its traditional institutional members (i.e. libraries) in order to allow LIBER to position itself as the overall umbrella organisation for research libraries in Europe - development of a new fee structure, including the possible introduction of a graded level of fees for institutions of different sizes and the possibility of interconnected fees with other organisations or associations, and geographical discounts - re-evaluation of LIBER's own internal structure, including the possible replacement of the four permanent professional divisions by temporary task forces, to allow a more flexible approach to its activities - augmentation of the permanent staff of LIBER, probably by the appointment of an Executive Director at library director or equivalent level, in order to perform these tasks and drive forward LIBER's agenda. It is intended by the Executive Board that this work will be carried out during 2005 and 2006, so that the results - and firm proposals - can be presented to the Annual General Assembly in Uppsala in July 2006. If this timetable can be successfully achieved, and if the plans are subsequently approved by the membership, LIBER will be in a very strong position to move forward with its mission of supporting the research libraries of Europe through a portfolio of services and the ability to undertake effective lobbying at a European level in a way that has not been possible hitherto. The Vision for LIBER's strategy, formulated under the presidency of Elmar Mittler, began by reiterating the mission statement that 'the general aim of LIBER is to assist 302
Changing LIBER research libraries in Europe to become a functional network across national boundaries in order to ensure the preservation of the European cultural heritage, to improve access to collections in European research libraries, and to provide more efficient information services in Europe'. 6 By the middle of 2006 this vision should be well on the way towards being fulfilled.
Penetration of LIBER membership
25%
c%
50%
75%
100%
Figures are illustrative but are based on the number of LIBER member libraries in relation to the population of the country, and the expected penetration of LIBER if all research libraries were members.
6
LIBER Statutes,
1994
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Schriftenverzeichnis Elmar Mittler
2004
2004
2004 2004 2004
2004 2004 2004
2004 2004
2003
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2003
2003
... die wichtigsten Schriften aller Zeiten und Völker ...: die Göttinger Bibliothek im Zentrum einer europäischen Gelehrtenelite des 18. Jahrhunderts. In: Georgia-Augusta 3 (2004) S.l 1-17. Das Göttinger Nobelpreiswunder: 100 Jahre Nobelpreis; Vortragsband. Hrsg. von Elmar Mittler und Fritz Paul. Göttingen 2004. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ ebook/ a/gbs/gbs_23.pdf) Die Bibliotheken in den neuen EU Ländern. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 28 (2004) S. 174. Digizeitschriften.de: Wissenschaftliche Fachzeitschriften im Internet. In: Buch und Bibliothek 56 (2004) S. 535. Nützliches Vergnügen: Kinder- und Jugendbücher der Aufklärungszeit aus dem Bestand der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und der Vordermann-Sammlung. Hrsg. von Elmar Mittler und Wolfgang Wangerin. Göttingen 2004. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/fk/gbs/gbs_29. pdf) Open Access für Open Science - eine Lawine gerät ins Rollen. In: MedienWirtschaft 1 (2004) S. 148-149. ProPrint world-wide print-on-demand services for study and research. In: Library hi tech 22 (2004) S. 227-230. Sprachkritik als Aufklärung: die deutsche Gesellschaft in Göttingen im 18. Jahrhundert / Dieter Cherubim, Ariane Walsdorf. Hrsg. von Elmar Mittler. Göttingen 2004. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/h-k/gbs/gbs_27.pdf) The north american Indian / Edward Sheriff Curtis. Hrsg. von Elmar Mittler. Göttingen 2004. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/ga/gbs/gbs_26.pdf) The renaissance of the library: adaptable library buildings. Hrsg. von Elmar Mittler. Göttingen 2004. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/aw/gbs/gbs_25. pdf) Aktion und Sturm: Holzschneidekunst und Dichtung der Expressionisten / von Carmen und Werner Hafner. Hrsg. von Elmar Mittler und Jan-Jasper Fast. Göttingen 2003. Bibliotheksbau in Deutschland um die Jahrtausendwende. Library architecture at the turn of the millenium. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 27 (2003) S. 7-12. Die Kooperation zwischen Hochschulbibliothek und Rechenzentren aus der Sicht einer Universitätsbibliothek. In: Die Bibliothek als führendes Informationssystem der wissenschaftlichen Hochschulen. Hrsg. von der Arbeitsgruppe Fortbildung im Sprecherkreis der Universitätskanzler. Münster 2003. S. 37-42. Gutenberg-Bibel und Jikji. Göttingen 2003. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/ aw/2003/mittler.pdf) 305
Schriftenverzeichnis
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Mittler
Libraries and international infrastructure for open access services. In: Information services & use 23 (2003) S. 117-118. Library buildings in Europe: main aspects of the development since 1960. In: Podobe knjiznic. Images of Libraries. Maribor 2003. S. 1129-1141.
2003
Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek (SUB Göttingen). In: Bibliothek. Forschung und Praxis 27 (2003) S. 79-86.
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Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 27 (2003) S. 79-86.
2003
Russland und die „Göttingische Seele": 300 Jahre St. Petersburg / Konzeption, Programmierung und Layout Tobias Möller; Texte Silke Glitsch. Hrsg. von Elmar Mittler. Göttingen 2003. [1 CD-ROM] (http://webdoc.sub.gwdg.de/ ebook/a/2003/petersburg/Start.htm)
2003
Russland und die „Göttingische Seele": 300 Jahre St. Petersburg. Hrsg. von Elmar Mittler und Silke Glitsch. Göttingen 2003. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ ebook/a/gbs/gbs_22.pdf)
2003
Tradition mit Zukunft: zur Baugeschichte des Historischen Gebäudes der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen aus Anlaß seiner Sanierung. In: Paulinerkirche und Forschungsbibliothek. Wiesbaden 2003. S. 71-93.
2003
Verlagsbibliothek ProPrint: benutzungsorientierte dynamische Bereitstellung von digitalen und digitalisierten Dokumenten in elektronischer und gedruckter Form (Printing on Demand) = ProPrint Printing on Demand / Elmar Mittler, Peter Schirmbacher. 2003. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/ah/dfn/proprint. pdf) Das Göttinger Nobelpreiswunder: 100 Jahre Nobelpreis. Hrsg. von Elmar Mittler in Zusammenarbeit mit Monique Zimon. Göttingen 2002. (http://webdoc. sub.gwdg.de/ebook/a/gbs/gbs_21 .pdf)
2002
2002
Die Renaissance der Bibliotheken. Niedersächsische Bibliotheken und die kulturwissenschaftliche Forschung. In: Mitteilungsblatt der Bibliotheken in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt 123/124 (2002) S. 31-36.
2002
Göttingen et Labrouste. In: Des palais pour les livres : Labrouste, SainteGenevieve et les bibliotheques. Hrsg. von Jean-Michael Leniaud. Paris 2002. S. 113-129.
2002
Interview mit Elmar Mittler und Helmut Rohlfing anlässlich der Aufnahme der Göttinger Gutenberg-Bibel in das Register „Momory of the World" der UNESCO. Mittler, Elmar ; Rohlfing, Helmut. Saarbrücken : SR 2002. (Kultur). (1 Tonkassette, 8 Min.) Rundfunkmitschnitt: SR 2, 1.2.2002.)
2002
Möglichkeiten der Beschaffung und Bereitstellung digitaler Karten im Sondersammelgebiet. Hrsg. von Elmar Mittler und Mechthild Schüler. Göttingen 2002. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/q/gbs/gbs_05.pdf)
2002
Renaissance der Bibliotheken - die wissenschaftliche Information in der Zukunft. Göttingen 2002. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/aw/2002/mittler.pdf).
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Schriftenverzeichnis
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The effective library: vision, planning process and evaluation in the digital age. Hrsg. von Elmar Mittler. Göttingen 2002. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/ aw/gbs/gbs_20.pdf) Verleihung des Helmut-Sontag-Preises 2002 an den Wissenschaftsjournalisten Richard Sietmann. In: ProLibris 3 (2002) S. 180-182. Weltbild - Kartenbild: Geographie und Kartographie in der frühen Neuzeit / Bearb. von Mechthild Schüler. Hrsg. von Elmar Mittler. Göttingen 2002. Weltbild - Kartenbild: Geographie und Kartographie in der frühen Neuzeit / Konzeption der Ausstellung & Texte: Mechthild Schüler. Hrsg. von Elmar Mittler. Göttingen 2002. [1 CD-ROM] (http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/q/ 2003/ Karten/Start.htm) Zehn Jahre PICA in Niedersachsen und Deutschland - ein Rückblick. In: Mitteilungsblatt der Bibliotheken in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt 123/124 (2002) S. la-10a. Australien: die europäische Erforschung von den Anfängen bis Ludwig Leichhardt (1848). Hrsg. von Elmar Mittler in Zusammenarbeit mit Inka Tappenbeck. Ausw. und Kommentar Reimer Eck. Göttingen 2001. Bibliotheken - Gegenwärtige Situation und Tendenzen der Entwicklung. In: Medienwissenschaft 2. Ein Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen. Hrsg. von Joachim-Felix Leonhard. Berlin 2001. S. 1574-1584. De officio bibliothecarii: Beiträge zur Bibliothekspraxis. Hans Limburg zum 65. Geburtstag. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 25 (2001) S. 113. Der historische Bibliothekssaal in der Paulinerkirche: Schatzhaus der Universität und Schaufenster der Wissenschaft. Mit Gerd-Josef Bötte u.a. In: Ganz für das Studium angelegt: die Museen, Sammlungen und Gärten der Universität Göttingen. Hrsg. von Dietrich Hoffmann, Kathrin Maack-Rheinlander. Göttingen 2001. S. 32-46. Der Zugang zur wissenschaftlichen Publikation. In: Wissenschaftspublikation im digitalen Zeitalter. Verlage, Buchhandlungen und Bibliotheken in der Informationsgesellschaft. Red. Kathrin Ansorge. Wiesbaden 2001. S. 107-127. Die Göttinger Forschungsbibliothek. In: Bibliothek in der Wissenschaftsgesellschaft. Hrsg. von Askan Blum. München 2001. S. 157-164. Gutenberg digital: die Luther-Bibel. In: Zeitschrift für Germanistik 11 (2001) S. 431-434. Introductory remarks of the president. In: European research libraries cooperation 11 (2001) S. 331-334. Johann Heinrich Voss: 1751-1826; Idylle, Polemik und Wohllaut. Hrsg. von Elmar Mittler und Inka Tappenbeck. Göttingen 2001. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/h-k/gbs/gbs_18.pdf) Le droit d'auteur et les bibliotheques. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 25 (2001) S. 104. 307
Schriftenverzeichnis
2001
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2001 2000
Elmar
Mittler
Perspektiven der Verbundarbeit - Editorial - Bibliothekarische Verbundsysteme - eine Zwischenbilanz. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 25 (2001) S. 11. Vom Bibliothekszentrum für Niedersachsen (BRZN) zur Verbundzentrale des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes (VZG) In: Zehn Jahre Pica in Niedersachsen und Deutschland. Hrsg. von Elmar Mittler. Göttingen 2001. S. 29-46. Zehn Jahre Pica in Niedersachsen und Deutschland. Hrsg. von Elmar Mittler. Göttingen 2001. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/aw/gbs/gbs_16.pdf) „Göthe ist schon mehrere Tage hier, warum weiß Gott und Göthe": Vorträge zur Ausstellung „Der gute Kopf leuchtet überall hervor" - Goethe, Göttingen und die Wissenschaft". Hrsg. von Elmar Mittler; Redaktion Elke Purpus. Göttingen 2000. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/h-k/gbs/gbs_13.pdf)
2000
Collaboratories - auf dem Weg zu neuen Formen der technisch unterstützen Kooperation. In: Digitale Archive und Bibliotheken: neue Zugangsmöglichkeiten und Nutzungsqualitäten. Hrsg. von Hartmut Weber, Gerald Meier. Stuttgart 2000. S. 95-100.
2000
Die Bibliotheken in ihren Regionen - Niedersachsen und Bremen - Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 78 (2000) S. 187-195.
2000
Die Digitale Bibliothek - eine Zwischenbilanz. In: Gutenberg-Jahrbuch 75 (2000) S. 346-355. Die geisteswissenschaftliche Forschungsbibliothek im Zeitalter digitaler Information. In: Deutsche Stiftungen: Vielfalt fördern! Hrsg. vom Bundesverband Deutscher Stiftungen. Berlin 2000. S. 214-220.
2000
2000
Dublin Core und deutsche Bibliotheken. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 47 (2000) S. 46-55.
2000
Funkbilder aus der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek. Interviews mit Elmar Mittler, Gerd-Josef Bötte, Helmut Rohlfing, Renate van Issem und Armin Schopen.Hannover: NDR 2000. (Funkbilder aus Niedersachsen). (1 Tonkassette, 55 Min.) Rundfunkmitschnitt: NDR 1, Radio Niedersachsen, 13.7.2000. Gutenberg digital: Göttinger Gutenberg-Bibel, Musterbuch und Helmaspergersches Notariatsinstrument. Hrsg. von Elmar Mittler. München 2000. [2 CD-ROM]
2000
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Gutenberg und seine Wirkung / Text: Stephan Füssel; Katalogredaktion: Helmut Rohlfing. Hrsg. von Elmar Mittler. Frankfurt am Main 2000; Göttingen 2000.
2000
Konsortien und Lizensierung im deutschen und internationalen Kontext. In: Zukunft der Bibliothek, Nutzung digitaler Ressourcen, Schule und Bibliothek. Hrsg. von der EKZ. Reutlingen 2000. S. 89 - 100.
2000
Öffentlichkeitsarbeit, zähes Verhandeln, Vertrauen schaffen. In: Politik für Bibliotheken. Hrsg. von Georg Ruppelt. München 2000. S. 49-65.
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Elmar
Mittler
Opening Speech - 29th Annual General Conference of LIBER. In: European research libraries cooperation 10 (2000) S. 287-290. Publishers and libraries: the state of the discussion. In: Copyright elettronico e licenze digitali: dov'e l'inganno? Hrsg. von Maria Teresa Natala. Roma 2000. S. 84-88. The open library. Financial and human aspects. In: European research libraries cooperation 10 (2000) S. 77-79. Une collection eclatee: la Bibliotheque palatine. In: Le livre voyageur. Hrsg. von Dominique Bouge-Grandon. Paris 2000. S. 179-194. „Der gute Kopf leuchtet überall hervor": Goethe, Göttingen und die Wissenschaft. Hrsg. von Elmar Mittler. Göttingen 1999. Bibliotheca Palatina: Druckschriften. Katalog und Register zur MikroficheAusgabe Druckschriften der „Bibliotheca Palatina". Hrsg. von Elmar Mittler. München 1999. Büchertransportdienst Deutschland (BTD) - für einen schellen und kostengünstigen Leihverkehr. Berlin 1999. (http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/aw/ bts/start.pdf) Digitalizaläs Nemetorszägban: a nemet konyvtärak közös vällalkozäsa. In: Tudomänyos es müszaki täjekoztatäs 46 (1999) S. 106-109. Elektronische Information und Urheberrecht. In: DBV-Jahrbuch 1988. Hrsg. vom DBV. Berlin 1999. S. 71-74. Hans Joachim Kuhlmann zum 80. Geburtstag und Peter Vodosek zum 60. Geburtstag. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 23 (1999) S. 276. Konrad Marwinski zum 65. Geburtstag. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 23 (1999) S. 5. Mündlich, schriftlich, digital - Können wir unser Wissen für die Zukunft bewahren? Ltg. Werner Witt; Teilnehmer: Elmar Mittler ; Arnoud de Kemp. Baden-Baden: SWR 1999. (SWR 2 Forum). (1 Tonkassette, 45 min.) Rundfunkmitschnitt: SWR 2, 31.5.1999. Zum Stand der Urheberrechtsdiskussion. In: Computergestützte Text-Edition. Hrsg. von Roland Kamzelak. Tübingen 1999. S. 21-28. Zur Rolle und Situation der Bibliotheken in den neuen Bundesländern. In: Die Geltung der Literatur. Hrsg. von Friedrich Dieckmann. Berlin 1999. S. 86-91. A library - that's a good concept. In: Physikalische Blätter 54 (1998) S. 201. Bibliotheksbestände von Kulturgutrang. In: Aktuelle Fragen des Kulturgüterschutzes. Hrsg. von Reinhard Mußgnug, Gerd Roellecke. Heidelberg 1998. Digitizing a continent: national-level planning for Western Europe libraries. Speakers: Jack Kessler, Elmar Mittler. Chicago, 111. 1998. Aufgenommen während des 1998 Annual Meeting, June 26-29, Washington DC, der American Library Association. International coalition of library consortia (ICOLC): Auswahl und Kauf elektronischer Information. In: Bibliotheksdienst 32 (1998) S. 883-887. 309
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1998 1998 1998 1997
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Elmar
Mittler
Prinzipien zur Lizensierung, Richtlinien und Checkliste für Bibliotheken. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 45 (1998) S. 223-227. Retrospektive Digitalisierung von Bibliotheksbeständen. Hrsg. von Elmar Mittler. Berlin 1998. The post-modern library between functionality and aesthetics. In: Bolletino AIB 38 (1998) S. 69-70. Bibliotheken - Ruf nach mehr Kooperation. Prof. Dr. E. Mittler erläutert die Misere und plädiert für eine bessere Zusammenarbeit. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 164 (1997) S. 26-28. Die Bewältigung der digitalen Herausforderung zwingt Bibliothekare und Verleger in ein Boot. In: Buchreport 28 (1997) S. 49-50. Forschung in der Bibliothek. In: Bibliothek und Wissenschaft 30 (1997) S. 1-4. Neue Informationsstrukturen für Forschung und Lehre. In: Ressourcen nutzen für neue Aufgaben. Hrsg. von Sabine Wefers. Frankfurt a.M. 1997. S. 137-144. The post-modern library between functionality and aesthetics. Hrsg. von MarieFrancoise Bisbrouck, Elmar Mittler. Graz 1997. The postmodern library. In: European research libraries cooperation 7 (1997) S. 300. The teaching library. In: European research libraries cooperation 7 (1997) S. 573-582. Verteilte digitale Forschungsbibliothek - ein neuer Förderbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft. In: Von Gutenberg zum Internet. Hrsg. von Sabine Wefers. Frankfurt a.M. 1997. S. 81-88. Verteilte digitale Forschungsbibliothek - ein neues Paradigma für das Verhältnis von Bibliothek und Forschung? In: Bibliothek und Wissenschaft 30 (1997) S. 141-149. Wissenschaftliche Bibliotheken in Deutschland - von der Kooperation zur Konkurrenz? In: Mitteilungen / Alexander von Humboldt-Stiftung 70 (1997) S. 3-12. Arbeiten im Verbund: der realistische Weg zur digitalen Bibliothek. In: Wirtschaftsinformatik 38 (1996) S. 338-339. Bibliothek im Wandel: die Universitätsbibliothek zwischen Vergangenheit und Zukunft. In: Heidelberg: Geschichte und Gestalt. Hrsg. von Elmar Mittler. Heidelberg 1996. S. 225-361. Büchertransportsysteme für die Beschleunigung des Leihverkehrs. Berlin 1996. Die Bibliothek der Zukunft: Überlegungen aus Anlaß der Planungen zu einem Informations- und Kommunikationszentrum in Adlershof (Berlin). In: Bibliothek. Forschung und Praxis 21 (1996) S. 259-261. Die postmoderne Bibliothek. In: European research library cooperation 6 (1996) S. 221-227. Die Rolle der Bibliothek. In: Die unendliche Bibliothek. Digitale Information in Wissenschaft, Verlag und Politik. Wiesbaden. Harrassowitz 1996. S. 77-82.
Schriftenverzeichnis
Elmar Mittler
1996
European Copyright User Platform - ECUP und ECUP+. In: Bibliotheksdienst 30 (1996) S. 1430-1440.
1996
Heidelberg: Geschichte und Gestalt. Hrsg. von Elmar Mittler. Heidelberg 1996.
1996
Jüdischer Glaube, jüdisches Leben: Juden und Judentum in Stadt und Universität Göttingen. Hrsg. von Elmar Mittler, Berndt Schaller. Göttingen 1996. Universität, Bibliothek, Publiation: von der Handschrift zum Internet. In: High Quality 36 (1996) S. 10-15. World Wide Web verändert die Wissenschaft. In: Deutsche Universitätszeitung 22 (1996) S. 16-17.
1996 1996 1995
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1995 1995 1994 1994
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Baustruktur und Bibliothek: die Göttinger Bibliothekskonzeption. In: Mitteilungsblatt der Bibliotheken in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt 97/98 (1995) S. 22-30. Das deutsche Buch: die Sammlung deutscher Drucke 1450-1912. Hrsg. von Bernhard Fabian, Elmar Mittler. Wiesbaden 1995. Die Krise zum Umdenken nutzen - Zukunftsperspektiven öffentlicher Bibliotheken. Hrsg. von Elmar Mittler, Bettina Windau. Gütersloh 1995. Erklärung der deutschen Bibliotheksverbände zum Verleihrecht für Computerprogramme. In: Bibliotheksdienst 29 (1995) S. 1833-1835. Erklärung der deutschen Bibliotheksverbände zum Verleihrecht für Computerprogramme. In: DBV-Jahrestagung 1995. Hrsg. vom DBV. Berlin 1995. S. 100101. Könyvtärepitesi tendenciäk a nemet egyetemi könyvtärakban. In: Tudomänyos es müszaki täjekoztatäs 42 (1995) S. 325-327. Werner Sendler zum Abschied. In: Mitteilungsblatt der Bibliotheken in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt 97/98 (1995) S. 3-4. 700 Jahre Pauliner Kirche: vom Kloster zur Bibliothek. Hrsg. von Elmar Mittler. Göttingen 1994. Auf dem Weg: die Umstrukturierung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB) durch Neubau, EDV-Einsatz und Sanierung des alten Gebäudes. In: Volkskunde in Niedersachsen 11 (1994) S. 42-45. Auf dem Wege zu einem bibliothekarischen Gesamtkonzept: Neubau und historisches Bibliotheksensemble der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. In: Bibliotheksbauten in der Praxis. Hrsg. von Roswitha Poll. Wiesbaden, 1994. S. 223-241. Bücher im Medienzeitalter: versiegt das Gedächtnis der Menschheit? In: Tradition und Wandel. Hrsg. von Maria Haldenwanger. Hannover 1994. S. 13-23. Development of research libraries in Germany after the unification. In: IATUL proceedings, N.F. 3 (1994) S. 183-91. Dokumentation - Leselust und Büchernot, für beides konnte Prof. Dr. E. Mittler (....) zahlreiche Beispiele anführen. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 161 (1994) S. 24. 311
Schriftenverzeichnis
1994 1994 1994
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Elmar Mittler
Helmut Vogt. In: Mitteilungsblatt der Bibliotheken in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt 93 (1994) S. 47-48. Helmut Vogt. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 41 (1994) S. 463-464. Universität - Bibliothek - Öffentlichkeit: Tendenzen der Entwicklung in Deutschland. In: Mitteilungen der Vereinigung Österreichischer Bibliothekare 47 (1994) S. 5-84. ,3ibliotheksplan ,73" - „Bibliotheken ,93" - Zum Stand der Überarbeitung. In: Bibliotheksdienst 27 (1993) S. 1657-1658. Α jövö könyvtärepületei. In: Tudomänyos es müszaki täjekoztatäs 40 (1993) S. 168-171. Bibliotheksbau für die Zukunft. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 17 (1993) S. 334-339. Das neue Gebäude der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 17 (1993) S. 347-348. Die Bibliothek, ihre Aufgaben und das neue Gebäude. In: Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Göttingen 1993. S. 48-61. Die Forschungsbibliothek im Altbau der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen In: Georgia Augusta 58 (1993) S. 51-58. Die Rezession - eine Chance für Kreativität: Diskussion um Kultur und Geld. Moderation Peter von Sassen und Stephan Lohr. Diskussionsteilnehmer Helga Schuchardt, Freimut Duve, Christoph Albrecht, Bernd Kauffmann, Elmar Mittler, Hannover: NDR 1993. (1 Videokassette, 44 Min.) Fernsehmitschnitt: Nordschau: Samstags in Niedersachen 02.10.93. Dokumente zum Bibliotheksbau. Hrsg. von Elmar Mittler. Hildesheim 1993 ff. Literaturversorgung wissenschaftlicher Bibliotheken. In: Abschlußbericht 1990-1992 / Bund-Länder-Arbeitsgruppe Bibliothekswesen : Empfehlungen und Materialien. Hrsg. von Michael Hirsch, Antonius Jammers. Berlin 1993. S. 35-41. Moving the library: experiences at the Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 1992/1993. In: European research library cooperation 3 (1993) S. 391-404. Das neue Gebäude der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: funktionale Architektur von Rang für Leser und Bibliothekar. In: Georgia Augusta 57 (1992) S. 25-28. Die moderne Bibliothek - Kommunikationsvermittlung und Informationsbearbeitung. In: Springer Magazin (1992) S. 26-30. Drehscheibe der Information: Bibliotheken und Datenverarbeitung. Hrsg. von Elmar Mittler. Berlin 1992. Nachruf auf Josef Tiwisina. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 16 (1992) S.7. Zur Überarbeitung des Bibliotheksplans. In: Bibliotheksdienst 26 (1992) S. 473-474.
Schriftenverzeichnis
Elmar Mittler
1991
Bibliothekspolitik im zusammenwachsenden Deutschland. In: Wissenschaftliche Bibliotheken im vereinten Deutschland. Hrsg. von Engelbert Piassmann. Frankfurt 1991. S. 17-24.
1990
Auf dem Weg zur Einheit im deutschen Bibliothekswesen. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 37 (1990) S. 354-357. Bibliothek im Wandel: der Umbau des Hauptgebäudes der Universitätsbibliothek Heidelberg, Plöck 107-109. In: Ruperto Carola 42 (1990) S. 119-126. Bibliotheken im zusammenwachsenden Deutschland. In: Bibliotheksdienst 24 (1990) S. 1325-1340.
1990 1990 1990 1990
Bibliotheksbau in Schweden. In: Bulletin / LIBER 36 (1990) S. 80-87. Das Tiefmagazin der Universitätsbibliothek Heidelberg. In: Bulletin / L I B E R 36 (1990) S. 54-67.
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Ein weiterer Schritt zur Zusammenarbeit. Gespräche mit dem Bibliotheksverband der DDR. In: Bibliotheksdienst 24 (1990) S. 149-151. Academic research libraries in Germany. In: College & research libraries / News 50 (1989) S. 826-827.
1989
Bibliotheca Palatina: Druckschriften. Hrsg. von Leonard Boyle, Elmar Mittler. München 1989-1995. [Mikrofiche-Ausgabe]
1990
1989 1989 1989 1989
Bibliothek im Wandel: ein Werkstattbericht über die Sanierung des Gebäudes der Universitätsbibliothek Heidelberg. Hrsg. von Elmar Mittler. Heidelberg 1989. HEIDI: das Heidelberger Bibliothekssystem als lokales System im regionalen Verbund. In: Bulletin / LIBER 32/33 (1989) S. 118-141. Katalogkonversion: Wendepunkt für deutsche Bibliotheken. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 36 (1989) S. 407-418. Lokale Systeme: ein Diskussionsbeitrag aufgrund Heidelberger Erfahrungen. In: Mitteilungsblatt. Verband der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen. N.F. 39 (1989) S. 256-262.
1989
Lokaler EDV-Einsatz im regionalen Verbund: das Beispiel Heidelberg. In: Bulletin / L I B E R 32/33 (1989) S. 118-141.
1988
Codex Manesse: die große Heidelberger Liederhandschrift; Texte, Bilder, Sachen. Hrsg. von Elmar Mittler und Wilfried Werner. Heidelberg 1988. Die Rückführung. In: Codex Manesse: die große Heidelberger Liederhandschrift. Hrsg. von Elmar Mittler, Wilfried Werner. Heidelberg 1988. S. 22-67. HEIDI: das Heidelberger Bibliothekssystem als lokales System im regionalen Verbund. Hrsg. von Elmar Mittler. Heidelberg 1988. Bibliotheca Palatina. In: Die Sechshundertjahrfeier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Hrsg. von Eike Wolgast. Heidelberg 1987. S. 989-993. Gedanken zum Buch - aus Anlaß des 75. Geburtstages von Dr. Heinz Goetze. In: Heidelberger Jahrbücher 31 (1987) S. 115.
1988 1988 1987 1987 1987
The university library of Heidelberg: from tradition to future. In: Bulletin / L I B E R 29 (1987) S. 46-50. 313
Schriftenverzeichnis
1986
1986 1986 1986 1986 1986
1986 1985 1985 1985 1985
1984 1983
1983
1983
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Elmar
Mittler
Bibliotheca Palatina. Hrsg. von Elmar Mittler. 1: Textband. In Zusammenarbeit mit Walter Berschin. 2: Bildband. In Zusammenarbeit mit Vera Trost. Heidelberg 1986. Bibliotheca Palatina. In: Sammler-Journal 15 (1986) S. 1476-1482. Bibliotheksetats und Kopierabgabe. In: Heidelberger Jahrbücher 30 (1986) S. 93-100. Die Kurfürsten von der Pfalz und die Bibliotheca Palatina. In: Heidelberger Jahrbücher 30 (1986) S. 73-90. Mit der Zeit: die Kurfürsten von der Pfalz und die Heidelberger Handschriften der Bibliotheca Palatina. Elmar Mittler, Wilfried Werner. Wiesbaden 1986. Überlegungen zu einem curriculum Bibliotheksmanagement. In: Empfehlungen für die Ausbildung des Höheren Bibliotheksdienstes. Hrsg. vom Verein Deutscher Bibliothekare, Kommission für Ausbildungsfragen. Darmstadt 1986. S. 111-129. Wie bewältigen wir die wachsende Informationsflut? In: Ruperto Carola 38 (1986) S. 90-93. „Kurpfälzer Geschichte(n)". In: Mitteilungen / Wasserwirtschaftsverband Baden-Württemberg e.V. (1984/ 1985) S. 14-22. Bibliothek und Universität. Skizzen zu ihrer Wechselbeziehung. In: Semper apertus 4 (1985) S. 1-20. Bibliotheken in China. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 9 (1985) 2, S. 85-103. Die Zeitschrift in der wissenschaftlichen Bibliothek: Überlegungen aus der Bibliothekspraxis am Rande der Kopierabgabendiskussion. In: Festschrift für Hildebert Kirchner zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Wolfgang Dietz, Dietrich Pannier. München 1985. S. 265-276. Alexander von Bernus, Heidelberg im Zauberspiegel. In: Bemus, Alexander von: Wachsen am Wunder. Heidelberg 1984. S. 259-268. Bibliotheksplan ,73: Die wissenschaftlichen Bibliotheken. In: Die gesellschaftspolitische Aufgabe der Bibliotheken. Hrsg. von Jürgen Hering. Frankfurt am Main 1983. S. 79-88. Der Einsatz von Flächenrichtwerten bei der Programmierung von Bibliotheksbauten. In: Bibliotheken bauen und führen. Hrsg. von Sigrid Reinitzer. München 1983. S. 136-155. Kooperation lohnt sich: Heidelberger Erfahrungen und Überlegungen zur Zusammenarbeit Öffentlicher und wissenschaftlicher Bibliotheken auf lokaler und regionaler Ebene. Elmar Mittler, Regine Wolf-Hauschild. In: Bibliotheksdienst 17 (1983) S. 5-13. Laßt den Leser an die Bücher! Die Sanierung des Hauptgebäudes der Universitätsbibliothek. In: Ruperto Carola 35 (1984) S. 38-41. Raub oder Rettung vor 360 Jahren. In: Baden-Württemberg 30 (1983) 2, S. 34-44.
Schriftenverzeichnis
Elmar Mittler
1982
Entwicklungstrends im Bibliotheks- und Informationswesen: Überlegungen zu einer Bibliothekspraxis für die 80er Jahre. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 6 (1982) S. 123-126.
1982
Leben aus der Tradition: Alexander von Bernus. In: Urgroßmutters Hausmittel. Aus dem Hausbuch der Frau Rath Schlosser. Hrsg. von Alexander von Bernus. Frankfurt a.M. 1982. S. 99-107.
1982
Vom Zusammenwachsen Öffentlicher und Wissenschaftlicher Bibliotheken. In: Bibliothekswissenschaft, Musikbibliothek, Soziale Bibliotheksarbeit. Hrsg. von Peter Vodosek. Wiesbaden 1982. S. 184-192.
1982
Wissenschaftliche Kommunikation als Gemeinschaftsaufgabe: die Etatkrise in den wissenschaftlichen Bibliotheken. In: Hochschulen und zu wenig Bücher? Bibliotheksetats und Literaturversorgung heute und morgen / Richard Landwehrmeyer u.a. Stuttgart 1982. S. 28-41. 75 Jahre Gebäude der Universitätsbibliothek Heidelberg in der Plöck, und was nun? In: Bulletin / L I B E R 16 (1981) S. 29-31.
1981 1981
1981 1981
1981 1980 1980 1980
Automatisierte Bibliotheksverbundsysteme in den USA: Stand und Entwicklungstendenzen. Elmar Mittler, G. Burkard. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 5 (1981) S. 166-176. Crises of growth in universities and their libraries: impacts of budgetierung and building. In: Bulletin / L I B E R 17 (1981) S. 8-30. Das Gebäude der Universitätsbibliothek Heidelberg (Plöck 107-109): eine Bestandsaufnahme 75 Jahre nach seiner Eröffnung. In: Heidelberger Jahrbücher 25 (1981) S. 73-107. Der Einsatz der automatisierten Ausleihverbuchung in der Universitätsbibliothek Heidelberg. In: L I B E R News Sheet 5 (1981) S. 21-35. Nachwort. In: Bernus, Alexander von: Altkräuterbüchlein. Frankfurt a.M. 1980. S. 149-154. User studies as a management aid. In: Bulletin / L I B E R 14 (1980) S. 43-59. Zentrale Hochschulbibliotheken: Struktur und Organisationsformen und deren Auswirkung auf das Gebäude. In: Zentrale Hochschulbibliotheken: Erfahrungen bei Planung, Bau und Betrieb. Hrsg. von Ulrich Hempel. München 1980. S. 1120.
1979
Probleme des Wachstums in wissenschaftlichen Bibliotheken. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 3 (1979) S. 75-79.
1979
Wohin mit dem Zuwachs an Information? Rundfunkvortrag im Rahmen der Sendereihe: Lebendige Wissenschaft. 1979.
1978
Collection building in german research libraries. In: Bulletin / LIBER 11 (1978) S. 28-41.
1978
Das Stundenbuch des Markgrafen Christoph I. von Baden: Codex Durlach 1 der Badischen Landesbibliothek. Hrsg. von Elmar Mittler, G. Stamm. Karlsruhe 1978. Methoden der Personalbedarfsermittlung in wissenschaftlichen Bibliotheken. In: Die Hochschulbibliothek. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann, Hildegard Hüttermann. Frankfurt a.M. 1978. S. 37-57.
1978
315
Schriftenverzeichnis
Elmar
Mittler
1978
Planning personel requirements in libraries. In: Developing library effectiveness for the next decade. Hrsg. von Nancy Fjällbrant, Kerstin McCarthy. Göteborg 1978. S. 77-104.
1977
Das ADV-Verbundsystem für Baden-Württemberg. In: Die Zukunft automatisierter Bibliotheksnetze in der Bundesrepublik Deutschland. München 1977. S. 136-167.
1977
Einsatz von Mikrofichekatalogen als Grundlage für die regionale Literaturversorgung im Einzugsgebiet der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Karlsruhe 1977.
1977
Maß und Umfang wissenschaftlicher Publikation. In: Information und Gesellschaft. Bedingungen wissenschaftlicher Publikation. Hrsg. von FranzHeinrich Philipp. Stuttgart 1977. S. 51-59.
1977
Neuere Perspektiven der Bibliotheksforschung. Eine Diskussionsgrundlage. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 1 (1977) S. 4-31.
1976
Bibliotheksplanung. In: Zur Theorie und Praxis des modernen Bibliothekswesens 1. Hrsg. von Wolfgang Kehr. München 1976. S. 88-154.
1976
Die bibliothekarische Kooperation in den Gesamthochschulregionen BadenWürttembergs. In: Zentrale und kooperative Dienstleistungen im Bibliothekswesen. Hrsg. von Fritz Junginger, Wilhelm Totok. Frankfurt 1976. S. 23-30.
1975
Das Personalmodell des Gesamtplans für das wissenschaftliche Bibliothekswesen in Baden-Württemberg. In: Personalwirtschaftliche Probleme in Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken. Hrsg. von Robert Funk, Ellen Branthin. Berlin 1975. S. 29-58.
1975
Rieht- und Normwerte in Bibliotheksorganisation und -betrieb. In: Organisation und Technik in Bibliotheken. Hrsg. von Hans Peter Geh. Frankfurt a.M. 1975. S. 100-119.
1973
Bibliothekssysteme der Gesamthochschulen und der „Bibliotheksplan II". In: Buch und Bibliothek 25 (1973) S. 205-212. Bibliothekssysteme der Gesamthochschulen und der ,Bibliotheksplan II'. In: Buch und Bibliothek 25 (1973) S. 205-212.
1973 1973
1973
Der Aufbau von Bibliothekssystem an den Universitäten des Landes BadenWürttemberg. In: Vom Strukturwandel deutscher Hochschulbibliotheken. Hrsg. von Wolfgang Haenisch, Clemens Köttelwesch. Frankfurt 1973. S. 44-85. Der Aufbau von Bibliothekssystem an den Universitäten des LandesWürttemberg. In: Vom Strukturwandel deutscher Hochschulbibliotheken. Hrsg. von Wolf Hänisch, Clemens Köttelwesch. Frankfurt a. Μ 1973. S. 44-85.
1973
Gesamtplan für das wissenschaftliche Bibliothekswesen 1-2. Hrsg. von der Arbeitsgruppe Bibliotheksplan Baden-Württemberg. Redaktion Elmar Mittler. München 1973 und 1975.
1972
Das Kloster St. Peter und seine Bibliothek. In: Die Bibliothek des Klosters St. Peter. Beiträge zu ihrer Geschichte und ihren Beständen. Hrsg. von Elmar Mittler, Wolfgang Müller. Bühl 1972. S 2-39.
316
Schriftenverzeichnis
Elmar
Mittler
1972
Die Bibliothek des Klosters St. Peter: Beiträge zu ihrer Geschichte und ihren Beständen. Hrsg. von Elmar Mittler, Wolfgang Müller. Bühl 1972. Darin: Das Kloster St. Peter und seine Bibliothek. S 2-39.
1972
Moderne Bibliotheksplanung. Ein Überblick über neue Planungsmethoden und erste Ansätze ihrer Anwendung bei der Bibliotheksplanung in BadenWürttemberg. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. 19 (1972) S. 260-284. Modelle der Erwerbungskooperation an Universitäten. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 17 (1970) S. 288-300.
1970
Bibliothek. Forschung und Praxis. München: Saur 1 (1977) ff. [Mitherausgeber, verantwortlicher Redakteur] Bibliothek und Wissenschaft. Wiesbaden: Harrassowitzl (1964) ff. [Hauptherausgeber] Göttinger Bibliotheksschriften. 1 (1993) ff. [Herausgeber] Heidelberger Jahrbücher. Heidelberg: Springer 1 (1957) ff. [Mitherausgeber 1980-1990]
Redaktionsschluss: 30. November 2004
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Dr. Klaus Ceynowa Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Reiner Diedrichs Verbundzentrale des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes, Göttingen Berndt Dugall Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt./M. Peter Fox University Librarian, University of Cambridge, UK General Secretary of LIBER Dr. Friedrich Geißelmann Universitätsbibliothek Regensburg Professor Dr. Esko Häkli Vormals Direktor der National- und Universitätsbibliothek Helsinki Dr. Axel Halle Universitätsbibliothek Kassel Professor Dr. Hans-Christoph Hobohm Fachhochschule Potsdam - Fachbereich Informationswissenschaften Professor Dr. Dr. h.c. Kurt von Figura Georg-August-Universität Göttingen Professor Dr. Fotis Jannidis Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft, Technische Universität Darmstadt Dr. Michael Knoche Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar Professor Dr. Gerhard Lauer Seminar für Deutsche Philologie, Georg-August-Universität Göttingen Dr. Claudia Lux Zentral- und Landesbibliothek Berlin Dr. Konrad Marwinski vormals Direktor der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena 318
Verzeichnis
der Autorinnen
und
Autoren
Dr. Ann Matheson Consortium of European Research Libraries (CERL) Professorin Dr. Barbara Mittler Sinologisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Daniel Mittler Greenpeace International Berlin Professor Dr. Bernhard Neumair Gesellschaft für Wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH Göttingen Thomas Oppermann vormals Minister für Wissenschaft und Kultur Niedersachsen Dr. David Prosser SPARC Europe Dr. Andrea Rapp Fachbereich Germanistik, Universität Trier Dr. Ute Sandholzer Verbundzentrale des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes, Göttingen Senator e.h. Prof. Dr. he. mult. Klaus G. Saur Verleger (Verlage Dokumentation, K.G. Saur in München und - seit 2005 als geschäftsführender Gesellschafter - de Gruyter in Berlin). Dr. Peter Schirmbacher Computer- und Medienservice der Humboldt-Universität Berlin Professor Dr. Thomas A. Schmitz Seminar für Griechische und Lateinische Philologie, Universität Bonn Dr. Heiner Schnelling Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt Halle/Saale Bärbel Schubel Universitätsbibliothek Freiburg Dr. Wilfried Sühl-Strohmenger Universitätsbibliothek Freiburg Dr. Sarah E. Thomas Cornell University Library Ithaca NY 319
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Dr. Barbara Tillett Library of Congress Washington D.C. Dagmar Ullrich Gesellschaft für Wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH Göttingen Dr. Sabine Weiers Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena
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