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German Pages 258 Year 2014
Ludwig Trepl Die Idee der Landschaft
Edition Kulturwissenschaft | Band 16
Ludwig Trepl (Prof. em. Dr.) war von 1994-2011 Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Seine Forschungsschwerpunkte sind Theorie und Geschichte der Ökologie sowie Theorie und Geschichte von »Landschaft«.
Ludwig Trepl
Die Idee der Landschaft Eine Kulturgeschichte von der Aufklärung bis zur Ökologiebewegung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Vorwort | 7 1. Einführung – wie gebrauchen wir das Wort Landschaft? | 9
1.1 1.2 1.3 1.4
Vorbemerkungen | 9 Natur und Landschaft | 12 Landschaft als Situation und als Gegenstand | 18 Stimmung | 23
2. Landschaft: Kunstwerk in statu nascendi | 31 3. Zur Entstehung des landschaftlichen Blicks | 37
3.1 Zur Entstehung des Landschaftsgemäldes | 37 3.2 Ist Landschaft ein abendländisch-neuzeitliches Phänomen? | 40 3.3 Landschaft und die Natur der Wissenschaft | 53 4. Die Landschaftsidee der Aufklärung | 65
4.1 Vorbemerkungen | 65 4.2 Vernunft und Fortschritt | 67 4.3 Liberale Aufklärung | 70 4.4 Demokratische Aufklärung | 76 4.5 Natur und Landschaft in der Aufklärung | 81 4.5.1 Ästhetik und Ethik in der Aufklärung | 83 4.5.2 Der Landschaftsgarten | 93 4.5.3 Umdeutungen von Wildnis in der Aufklärung | 99 5. Die Landschaftsidee der Romantik | 119
5.1 5.2 5.3 5.4
Vorbemerkungen | 119 Die Entzauberung der Welt durch die Aufklärung | 122 Die Reaktion der Romantik: Kunstreligion | 125 Die ferne und die schauerliche Landschaft | 131
6. Die Landschaftsidee des Konservativismus | 139
6.1 Vorbemerkungen | 139 6.2 Was ist Konservativismus? | 139 6.3 Natur und Landschaft im Konservativismus | 148
6.3.1 Land und Leute | 148 6.3.2 Vielfalt, Eigenart und Schönheit | 156 6.3.3 Landschaft: Territorium in „alter Freiheit“ | 160 6.3.4 Die Ideallandschaft des Konservativismus | 166 6.4 Rück- und Ausblick | 185 7. Blut und Boden: die NS-Landschaftsidee | 189
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6
Vorbemerkungen | 189 Der NS-Rassismus | 193 Nomaden und Siedler | 198 Nationalsozialistische und konservative Landschaftsidee | 202 Technik als Natureigenschaft der Rasse | 204 Landschaft wird herstellbar | 205
8. Ökologisierung der Landschaftsidee in der Nachkriegszeit | 215
8.1 8.2 8.3 8.4
Vorbemerkungen und Überblick | 215 Ökologisierung und konservative Landschaftsidee | 219 Versachlichung und Verdrängung | 222 Der Einfluss der Umweltbewegung | 231
Literatur | 239
Vorwort
Dieses Buch geht auf eine Vorlesung zurück, die ich im Sommersemester 2010 an der Studienfakultät Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung der Technischen Universität München gehalten habe, und zwar vor Studenten mittlerer Semester. Eine Kurzform der Vorlesung hielt ich im Wintersemester 2009/2010 vor Erstsemesterstudenten des gleichen Studienganges. Den Mitschnitt habe ich stark überarbeitet. Die Überarbeitung war zum Teil stilistisch, wobei sich aber der mündliche Sprachduktus nicht völlig beseitigen ließ, zum großen Teil bestand sie im Einfügen von Fußnoten und von Quellenverweisen. Ich verweise, dem Charakter eines der universitären Lehre entstammenden Textes entsprechend, häufig nicht auf Originalquellen, sondern auf größere Gebiete übergreifende Arbeiten, in denen man diese Quellen und auch weiterführende Literatur finden kann. Vor allem verweise ich auf solche Arbeiten, die einem ähnlichen Ansatz folgen wie ich, in denen man also die Grundrichtung meiner Argumentation differenzierter ausgeführt findet. Das sind überwiegend Doktorarbeiten, die ich in den letzten Jahren betreut oder mitbetreut habe, sowie eine Reihe von Abschlussarbeiten, vor allem Diplomarbeiten von Studenten der Landschaftsplanung. Besonders hervorzuheben sind die Dissertationen von Andrea Siegmund und von Vera Vicenzotti (TU München) sowie die von mir mitbetreuten von Stefan Körner und Margrit Bensch (TU Berlin), auch die Dissertationen von Dóra Drexler, Eva Gelinsky, Thomas Kirchhoff und Annette Voigt (TU München). Das vorliegende Buch kann man als Versuch einer Popularisierung der Ergebnisse dieser Arbeiten betrachten. – Wichtige Inspirationsquellen waren auch Albrecht Koschorkes „Geschichte des Horizonts“, die Arbeiten von Gerhard Hard und vor allem die von Ulrich Eisel. Sabine Wilton danke ich für ihre Hilfe bei der Behebung von Stil- und Rechtschreibfehlern. Für Ratschläge und kritische Anmerkungen danke ich vor allem Andrea Siegmund und Vera Vicenzotti sowie Deborah Hoheisel, Renate Mann und Markus Schwarzer. Berlin, November 2011, Ludwig Trepl
1. Einführung – wie gebrauchen wir das Wort Landschaft?
1.1 V ORBEMERKUNGEN In diesem Buch geht es um die Idee der Landschaft. Sie soll in ihrer historischen Entwicklung nachgezeichnet werden. Das ist natürlich nicht umfassend möglich. Aus der großen Zahl einigermaßen einflussreicher Vorstellungen, die mit „Landschaft“ in der Geschichte verbunden waren, werden einige wenige herausgegriffen; die Gründe, warum es gerade diese sind, kann ich hoffentlich deutlich machen. Diese ausgewählten Vorstellungen werde ich dann idealtypisch zuspitzen und in ihrer inneren Struktur und der Logik ihres Gegen- und Ineinanders ausführlich erklären. Was ist mit Idee der Landschaft gemeint? Eine Idee ist eine besondere Art von Begriff. Umgangssprachlich wird das Wort meist im Sinne eines Einfalls, eines plötzlichen Gedankens verwendet, vor allem dann, wenn dieser sich auf etwas richtet, was zu tun ist; in der Idee ist etwas schon vorhanden, was es in der Wirklichkeit noch nicht gibt, und die Idee soll verwirklicht werden. Von den zahlreichen Bedeutungen, in denen „Idee“ in der Geschichte der Philosophie gebraucht wurde, sind zwei bis heute von besonderem Einfluss: Bei Platon sind Ideen die ewigen Urbilder, die den veränderlichen Dingen der Sinnenwelt zugrunde liegen.1 Bei Kant sind Ideen „vernunftnotwendige“ Begriffe, „deren Gegenstand gleichwohl in keiner Erfahrung gegeben werden kann“2. Das sind insbesondere die „Postulate“, die Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit.3 In unserem Zusammenhang sind Ideen eher so etwas wie komplexe Vorstellun-
1
Höhlengleichnis, Der Staat, Siebentes Buch (Platon-SW Bd. 2: 249).
2
Kant 1977, Bd. 5: 198 (Prolegomena).
3
Kant 1977, Bd. 3: 33; siehe vor allem die „transzendentale Dialektik“ in der Kritik der reinen Vernunft (KrV).
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gen von Gegenständen, mit dem Gedanken verbunden, dass man sie anstreben soll, etwa als Ziel der Politik. Beispiele wären die Idee der Demokratie und die der nationalen Größe. Hier scheint eine Idee einem Leitbild oder Leitgedanken ähnlich. Ein wichtiger Unterschied ist allerdings, dass man sich Leitbilder ausdenken kann, während es Ideen – in diesem Sinn verstanden – immer schon gibt.4 Man muss nicht die Auffassung Platons teilen, dass Ideen ewig und unveränderlich sind. Man muss auch nicht mit Kant meinen, dass es uns objektiv, d.h. unabhängig von eigenen Interessen und subjektiven Vorlieben aufgegeben ist, z.B. an der Verwirklichung der Idee der Freiheit zu arbeiten. Aber man kommt doch schwer umhin zuzugestehen, dass uns zumindest die Ideen, die man realistischerweise in einer bestimmten historischen Situation haben kann, vorgegeben sind. Es gibt gleichsam einen Ideenvorrat, aus dem die Menschen einer Epoche oder einer Gesellschaft wählen müssen. Die Ideen vom ritterlichen Leben und vom asketischen Klosterdasein, die das europäische Mittelalter beherrschten, standen offenbar im antiken Griechenland nicht zur Verfügung, und man konnte sie sich damals auch nicht einfach ausdenken. Wie eine bestimmte Idee entstanden ist und sich verändert hat, nämlich die Idee der Landschaft, darum soll es in diesem Buch gehen. Mit Landschaft als Idee sind zwei unterschiedliche Dinge angesprochen. Landschaft ist zum einen selbst eine Idee in dem genannten Sinn: eine komplexe Vorstellung eines Gegenstandes, die mit dem Gedanken verbunden ist, dass man dessen Verwirklichung anstreben soll. Denn Landschaft ist nicht einfach vorhanden, sie soll seinXQGVLHVROOLQEHVWLPPWHU:HLVHEHVFKDIIHQVHLQGHQ%HJULII der Landschaft gab und gibt es nicht ohne den der Ideallandschaft. Zum anderen aber ist Landschaft ein Gegenstand, der mit Ideen verbunden ist, d.h. wiederum mit Vorstellungen von etwas, das man anstreben soll. Das sind vor allem Vorstellungen von einer besseren Gesellschaft, auch Vorstellungen von einer idealen jenseitigen Welt oder von einer idealen Haltung des Einzelnen. Solche Ideen symbolisierte die schöne, die harmonische, die idyllische, die freie, die majestätische usw. Landschaft in der Geschichte. Was ist Landschaft? Auf diese Frage erhält man sehr verschiedene Antworten. Fragen wir lieber vorsichtiger: Was bedeutet „Landschaft“? Dieses Wort, oder ein Wort, das sich mit „Landschaft“ übersetzen ließe, gibt es nicht überall und hat es auch bei uns nicht zu allen Zeiten gegeben. Es hat aber, darauf weist
4
Darum kann man sich Leitbilder auch nicht einfach ausdenken: Man braucht dazu Ideen.
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das Übersetzungsproblem hin, nicht nur das Wort, sondern auch den Begriff5 nicht zu allen Zeiten gegeben, und auch die Sache nicht. Hier stoßen wir gleich auf ein großes Problem. Das Wort Spiralnebel gab es ebenfalls nicht schon immer und auch den Begriff gibt es noch nicht sehr lange. Unzweifelhaft gab es aber die Sache, auf die sich Wort und Begriff beziehen, schon vor diesen. Das Wort Auto dagegen ist mit der so genannten Sache entstanden. Was die Landschaft angeht, so würden wohl die meisten Wissenschaftler, die sich mit dieser Frage befassen, ebenfalls sagen: Den Gegenstand, den wir heute mit „Landschaft“ bezeichnen, hat es vor der Entstehung des Begriffs nicht gegeben. Dem werden vermutlich die meisten Leser widersprechen. Ich hoffe, auf den folgenden Seiten und vor allem im Kapitel 3 einigermaßen verständlich machen zu können, wie es gemeint ist, wenn man sagt, den Gegenstand Landschaft habe es vor dem Begriff Landschaft nicht gegeben – es ist jedenfalls nicht so gemeint wie im Falle des Automobils. Seit es das Wort Landschaft gibt, sind damit sehr verschiedene Gegenstände bezeichnet worden, und auch heute sind mit diesem Wort sehr verschiedene Begriffe und damit Gegenstände gemeint. Für eine erste Orientierung wird es sinnvoll sein, zu fragen, in welchen Bedeutungen „Landschaft“ – dieses Wort der deutschen Sprache – gebraucht wird, und zwar heute. Welche impliziten Definitionen liegen dem üblichen Gebrauch zugrunde, auf welche Begriffe von welchen Gegenständen bezieht sich das Wort? Also statt zu fragen „Was ist Landschaft“ und die Antwort darauf vielleicht durch Definition einfach festzusetzen, wenn sich eine eindeutige und unumstrittene Definition im Sprachgebrauch nicht finden lässt, wollen wir fragen, wie wir dieses Wort benutzen. Was steckt alles in diesem Begriff, den wir gewöhnlich ohne weiter nachzudenken verwenden? – Diese Art des Vorgehens kann aber nur dann sinnvoll sein, wenn wir davon ausgehen können, dass die verschiedenen Varianten von „Landschaft“ nicht jeweils etwas vollkommen anderes bedeuten. Sie dürfen nicht bloße Homonyme sein, „wie etwa das Schloss auf dem Berg und das Schloss an der Tür“6. Das ist im
5
Katze und cat sind verschiedene Wörter, beziehen sich aber auf denselben Begriff. Das Wort Fisch bezieht sich in der Sprache der Zoologen auf einen anderen Begriff und damit auf eine andere Menge von realen Dingen als in der Sprache der Köche, doch gibt es eine Schnittmenge. Das Wort Kirche und das Wort Ball beziehen sich in der Sprache eines jeden auf grundsätzlich verschiedene Begriffe (ein Gebäude einerseits, eine Vereinigung von Menschen andererseits; ein rundes, luftgefülltes Ding einerseits, eine Tanzveranstaltung andererseits), eine Schnittmenge kann es nicht geben. Vgl. z.B. Jax 2002: 12 ff. und die dort zitierte Literatur.
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Hard 1969: 252.
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Falle von „Landschaft“ nicht immer von vornherein auszuschließen. Vorsichtshalber sollen Redeweisen, bei denen es ins Auge springt, dass Landschaft in einer übertragenen Bedeutung gebraucht wird – wie Medienlandschaft oder politische Landschaft – unberücksichtigt bleiben.
1.2 N ATUR
UND
L ANDSCHAFT
Der Begriff der Landschaft ist manchmal vom Begriff der Natur nicht leicht zu trennen. „Ich bin in der Natur“ und „ich bin in der Landschaft“ sind oft austauschbar, allerdings nicht immer. Wenn wir von „freier Natur“ sprechen, können wir stattdessen meist, wenn auch nicht immer, „Landschaft“ sagen. Wenn wir nur „Natur“ sagen, ist das seltener möglich. In der landschaftsplanerischen Fachliteratur oder in Gesetzestexten findet sich oft die Formulierung „Natur und Landschaft“. „Natur und Landschaft“ seien zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln (§ 1 des Bundesnaturschutzgesetzes). Vielleicht wussten die Autoren des Gesetzestextes genau, warum sie diese Formulierung wählten, Landschaftsplaner und Naturschützer aber pflegt sie eher zu verwirren. Braucht es hier wirklich beide Begriffe? Schützt man nicht die Natur mit, wenn man die Landschaft schützt? Oder umgekehrt? Dass man die Natur schützen kann und soll, sagen viele, aber manche werden widersprechen: Was soll die Aufforderung, Natur zu schützen? Man kann den Königstiger schützen, aber die Natur? Was wir auch tun, Natur wird immer da sein. Wir können die Natur verändern, aber zerstören, d.h. bewirken, dass es keine Natur mehr gibt, das können wir nicht. Die Landschaft aber kann man schützen, denn anders als die Natur kann sie zerstört werden. Man muss sich nur in einem Industriegebiet umsehen: Das ist zerstörte Landschaft, d.h. es war Landschaft, es ist nun keine mehr, auch wenn wir manchmal „Industrielandschaft“ dazu sagen und für manche Menschen vielleicht gerade eine Industrielandschaft eine besondere Attraktivität hat. Wer hier von Zerstörung der Landschaft spricht, denkt sie sich offenbar wie ein Gemälde. Wenn ein Gemälde einen stärkeren Kratzer bekommt, ist es nicht ein anderes Gemälde geworden, sondern es zerstört, und so wird uns eine Landschaft mit einer bestimmten Veränderung auch nicht einfach als eine veränderte Landschaft vorkommen, sondern als eine zerstörte. – Zerstört erscheint uns eine Landschaft aber vielleicht deshalb, weil es darin an Natur fehlt. Hier ist mit Natur offensichtlich etwas anderes gemeint als eben, in der Behauptung, die Natur könne nicht zerstört werden. Es scheint daher angebracht, mit einigen Bemerkungen zum Naturbegriff (oder den Naturbegriffen) zu beginnen. Was meinen
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wir, wenn wir „Natur“ sagen? Und in welchem Verhältnis steht „Natur“ zu „Landschaft“? Natur ist offenbar ein Begriff ganz anderer Art als etwa Stein, Mond oder Baum, d.h. als ein Begriff, der ein „Ding“ bezeichnet. Was man mit „Stein“ meint, ist – so scheint es zumindest, eine genauere Betrachtung könnte zeigen, dass es sich auch hier etwas komplizierter verhält – nicht abhängig davon, welchen Begriff man dem des Steins gegenüberstellt, ob Baum oder Haus oder Integralrechnung. Stein ist immer Stein. Bei „Natur“ ist das ganz anders. Die Bedeutung von „Natur“ hängt davon ab, welchen anderen Begriff wir diesem Begriff entgegensetzen.7 Man kann Natur der Technik, das Natürliche dem Technischen gegenüberstellen. Man kann auch Natur und Geist einander gegenüberstellen. In diesem Fall könnte man „Natur“ vielleicht durch „körperliche Wirklichkeit“ ersetzen, „Geist“ durch „unkörperliche Wirklichkeit“8. Das geht in der Gegenüberstellung von Natur und Technik nicht, denn es gibt ja auch „mentale Techniken“. Man kann auch Natur und Mensch einander gegenüberstellen. Dann bedeutet Natur nicht das Gleiche wie in der Gegenüberstellung von Natur und Geist. Der Mensch, der sich „in der Natur“ aufhält, hält sich ja auch als körperliches Wesen darin auf. Es ist umgekehrt üblich zu sagen, dass der Mensch Teil der Natur sei. In diesem Fall gibt es keinen Gegensatz von Mensch und Natur, denn er ist ja nun auch Natur. Man kann Natur der Stadt gegenüberstellen. Aus der Stadt geht man hinaus in die Natur. Aber nicht nur, dass es in der Stadt auch Natur gibt, Bäume beispielsweise, sondern man spricht auch von der Natur der Stadt. Das hat etwa die Bedeutung „Wesen der Stadt“. Man kann Natur als Gegensatz von Kunst sehen, und dann ist Natur etwas anderes, als wenn man das Natürliche als den Gegensatz des Künstlichen sieht, denn nicht alles Künstliche ist Kunst. Man kann Natur der Vernunft gegenüberstellen; Vernunft ist dem Menschen eigen, nicht der Natur. Aber in vielen Verwendungen bedeutet natürlich zugleich vernünftig. Man kann das Natürliche dem Gewaltsamen gegenüberstellen. Dann ist z.B. ein natürlicher Tod einer, der aus dem folgt, was das Wesen des sterbenden Wesens ausmacht. Als einen unnatürlichen, also gewaltsamen Tod würden wir nicht nur einen von Menschen herbeigeführten bezeichnen. Auch bei einem der Natur zugeschriebenen Unfall, also einem, der zufällig ist aus der Perspektive des Wesens des sterbenden Lebewesens, würden wir von einem unnatürlichen Tod sprechen. Was aber für das vom Löwen getötete Beutetier ein gewaltsamer Tod ist, ist aus der Perspektive des Löwen natürlich, denn er ist seinem Wesen
7
Hard 1994; siehe auch Spaemann 1982, Marquard 1987, Picht 1989.
8
Vgl. Rickert 1899.
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gemäß.9 Man kann das Natürliche dem Übernatürlichen gegenüberstellen. Das kann verschieden gemeint sein. Es kann eine „übernatürliche Erscheinung“, ein Gespenst gemeint sein, aber auch das Übernatürliche der Theologie, wie sich das im Spätmittelalter herausgebildet hat. Dieses Übernatürliche liegt jenseits dessen, was uns erscheinen kann, also mit den Sinnen wahrnehmbar ist. Das verschiebt alle Zuordnungen völlig: „Kunst, Wille, Vernunft, Gesellschaft, Geschichte rücken, im Verhältnis zur freien Selbstmitteilung Gottes und zur ‚übernatürlichen‘ Erhebung des Menschen in den Stand der Gottesfreundschaft, auf die Seite der bloßen Natur.“10 Auch dahingehend, was das erste und das zweite, was das umfassende Ganze und was Teil ist, drehen sich die Verhältnisse um. Nicht mehr aus der Natur ist alles hervorgegangen und alles ist letztlich Natur, d.h. diese ist das Ganze und umgreift auch das Nicht-Natürliche („der Mensch ist Teil der Natur“), sondern die Natur ist dem Willen Gottes, der alles umfasst und nichts Natürliches ist, entsprungen. – Man könnte dieses Spiel der Paarbildung noch weiter fortsetzen. Es gibt zwei besonders bekannte Definitionen von Natur. Die eine stammt von Aristoteles. Natur ist bei ihm das, was selbst Form gewinnt und sich von selbst verändert.11 Natur steht hier gegen das Künstliche, das durch den Menschen seine Form erhält. Das ist ein inhaltlicher oder wie man auch sagt, materialer Naturbegriff. Man kann im Sinne dieses Naturbegriffs sagen: Dieses Ding ist Natur oder es ist nicht Natur. Ein Haus ist nicht Natur, eine Pflanze ist Natur, oder richtiger, die Eigenschaft beispielsweise, dass sie vier Kronblätter hat, ist Natur, nicht die Eigenschaft einer bestimmten Wuchsgeschwindigkeit, denn die hängt davon ab, ob wir die Pflanze gießen. Die andere Definition stammt von Kant. Natur ist bei ihm das Dasein der Dinge, „sofern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist“12. Das ist ein formaler, logischer Naturbegriff, kein inhaltlicher. Wenn ein Psychologe das, was man „Geist“ und „Seele“ nennt, auf die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten hin erforscht, die zu Irrtümern, Ängsten, Verdrängungen usw. führen, dann betrachtet er Geist und Seele als Natur in diesem formalen, logischen Sinn, und er betreibt Naturwissenschaft. Man kann, geht man von diesem formalen Naturbegriff aus, von keinem Ding sagen, dass es Natur ist oder nicht Natur ist. Vielmehr gilt: Wenn ich das Ding im Hinblick darauf betrachte, ob es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist, dann betrachte ich es als Natur. Ich kann dasselbe Ding, beispielsweise, auch in seiner ganz individuellen
9
Vgl. Spaemann 1982: 151.
10 Ebd.: 149. 11 Aristoteles, Physik B1, Metaphysik Δ4. 12 Kant 1977, Bd. 5: 159 (Prolegomena).
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Bedeutung für mich betrachten, etwa als Andenken, und mich für jene Gesetze gar nicht interessieren. Dann betrachte ich es nicht als Natur. Ein Haus ist in diesem Verständnis nicht ein künstliches Ding, weil es von Menschen gemacht wurde. Sondern es ist Natur, wenn man es unter der Perspektive „Nach allgemeinen Gesetzen bestimmt“ betrachtet, wie es etwa ein Statiker tut, der ja seinen Gegenstand naturwissenschaftlich untersucht, wenn er fragt, welche Belastung die Balken aushalten. Das Haus ist dagegen nicht Natur, wenn man es z.B. insofern betrachtet, als es von kulturgeschichtlicher Bedeutung ist. Dieser formale, logische Naturbegriff ist derjenige der (neuzeitlichen) Naturwissenschaft. In deren Perspektive ist eine Betrachtung von etwas als Natur nicht wertend.13 Das ist für uns von besonderer Bedeutung. Denn „Natur“ kann wertend gemeint sein, kann aber auch gerade nicht wertend gemeint sein. Wenn man sagt, die Tänzerin bewege sich auf der Bühne ganz natürlich, dann ist das ein Werturteil. Wenn man im Rahmen einer naturwissenschaftlichen Untersuchung von Natur spricht, dann impliziert das, dass keine Wertungen vorgenommen werden.14 Die Gegenstände wie die Aussagen der modernen Naturwissenschaft sind, so sagt man, wertfrei. Sie sind für sich weder gut noch schlecht oder böse. Wenn man sagen will, diese Gegenstände seien schlecht, dann muss man immer erst angeben, bezogen auf welchen Zweck sie das sind. Dieser Zweck liegt aber nicht in der Natur, sondern wir setzen ihn. Und böse sind diese Gegenstände auch nicht; ein Urteil in der Naturwissenschaft ist nie ein moralisches Urteil. Es stellt nur fest, was ist, nicht, was sein soll, weder im moralischen noch in einem technisch-praktischen Sinn. Das naturwissenschaftliche Urteil ist aber auch kein ästhetisches. In einem Physikbuch steht nichts über die Schönheit des Sternenhimmels oder eines Kristalls. Stünde das darin, würde man sagen: An dieser Stelle geht es nicht mehr um Physik, nicht mehr um Naturwissenschaft. Bei der Landschaft verhält es sich im Hinblick auf moralische und ästhetische Urteile völlig anders. Was den Naturbegriff im Zusammenhang mit dem
13 Die Frage der Wertfreiheit der Naturwissenschaft ist kompliziert, siehe dazu z.B. als einen inzwischen klassischen Text Habermas 1968. Alles, was zur Frage der Wertfreiheit an Differenzierendem gesagt worden ist, berührt aber nicht die grundlegenden Unterscheidungen, um die es hier geht. 14 Die Naturwissenschaft kann z.B. sagen: Dieses Organ übt eine Funktion für den Organismus aus; es ist also gut für diesen. In diesem Sinne wertet die Naturwissenschaft natürlich. Das ist mit „wertfreier Naturwissenschaft“ aber nicht gemeint: Ob es gut ist, dass es diesen Organismus überhaupt gibt – eine solche Frage kann die Naturwissenschaft nicht stellen. Genauer dazu z.B. Eser/Potthast 1997.
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Landschaftsbegriff angeht, so ist vor allem festzuhalten: Der kantische, also der naturwissenschaftliche Naturbegriff15 hat mit dem Naturbegriff, den man im Zusammenhang mit Landschaft benutzt, nichts zu tun. Es ist eher, wenn auch nicht immer, der aristotelische Naturbegriff, den man im Sinn hat, wenn man z.B. fachsprachlich von den natürlichen Komponenten einer Landschaft spricht: Man stellt sie den gebauten, künstlichen, denen, die nicht „von selbst“ da sind, gegenüber. Von entscheidender Bedeutung ist aber, dass der Begriff der Landschaft – und „der Natur“ in der Landschaft – mit dem Ästhetischen aufs engste verbunden ist. Landschaft kann schön sein, ja, wenn sie dies nicht mehr ist, ist man geneigt zu sagen, die Landschaft sei hier zerstört, und das heißt ja, dass sie gar keine Landschaft mehr ist.16 Die Landschaft muss nicht schön, sie kann auch erha-
15 Manche werden vielleicht einwenden, dieser Begriff sei nicht der der modernen Naturwissenschaften. Andere (z.B. Carl Friedrich von Weizsäcker) entgegnen, gerade die neueste Entwicklung der Physik habe die Kant’schen Vorstellungen bestätigt; siehe dazu z.B. Höffe 2004: 205. Davon zu trennen ist, dass der Naturbegriff der modernen Naturwissenschaften in modernen Philosophien ganz anderen Typs, etwa solchen, die in der Tradition des Positivismus stehen, auf andere Weise als bei Kant formuliert worden ist. 16 Der Sprachgebrauch ist hier nicht eindeutig. „Landschaft als solche“, schreibt Seel 1997: 9, muss nicht schön sein. „Sie kann häßlich, öde, langweilig und vieles weitere ästhetisch Negative sein.“ In seiner Naturästhetik (Seel 1996) ist es zwingend, dass sie das alles, und zwar gleichermaßen, sein kann, und natürlich spricht man auch von hässlicher usw. Landschaft. Doch dass man in früheren Jahrhunderten nur solche Gegenden Landschaften nannte, die „wie gemalt“ aussahen (siehe unten S. 170), weist darauf hin, dass es so einfach nicht ist. Das zeigt sich auch an der Tatsache, dass wir heute von zerstörten Landschaften sprechen, d.h. von ästhetisch negativ bewerteten Gegenden, die offenbar früher einmal, als sie noch schön waren, Landschaften waren, jetzt aber keine mehr sind. Es gehört zum Wesen einer Landschaft, Kunstwerk zu sein („Gemälde in statu nascendi“ bei Simmel, siehe unten S. 34), und es ist immerhin möglich und es war historisch auch so, einem Kunstwerk die Schönheit als ein primäres Attribut zuzuschreiben und ihr Gegenteil als ein abgeleitetes, sekundäres. – Die Formulierung „Eine von der Natur allein oder von Natur und Menschenhand geformte Gegend ist eine Landschaft, wenn sie ein empfindender Betrachter ästhetisch als harmonische, individuelle, konkrete Ganzheit sieht, die ihn umgibt“ (Kirchhoff/Trepl 2009), bedeutet nicht nur, dass Landschaft meist so gesehen wird (siehe z.B. die empirische Studie von Hard 1970b), sondern dass die ästhetische Harmonie einen systematischen Vorrang hat.
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ben sein. Sie kann auch melancholisch, heiter, friedlich, heroisch sein, d.h. sie hat eine Stimmung, die man mit solchen Begriffen näher bezeichnet. Wenn man nicht eben dies im Auge hat, wird einem vielleicht gesagt, man solle das Wort Landschaft vermeiden und besser neutral von Gegend oder Raum oder Fläche reden. Landschaft ist eine ästhetische Kategorie – ästhetisch im weitesten Sinne verstanden, das heißt, so will ich vorläufig formulieren, es geht um Objekte, insofern ihre Wahrnehmung in uns Gefühle der Lust oder Unlust hervorruft.17 Landschaft ist aber noch etwas anderes als etwas Ästhetisches, denn sie soll in bestimmter Weise beschaffen sein.18 Wenn man aus einem mäandrierenden Fluss einen geraden Kanal macht, so gilt das vielen nicht nur als eine wertneutrale Veränderung, sondern eine Zerstörung der Landschaft, und das schließt ein, dass das nicht sein soll. (Manche werden aber der Meinung sein, es sei eine Verbesserung, man tue jemandem, ja vielleicht sogar der Landschaft selbst, damit etwas Gutes.) Dabei geht es ihnen nicht (nur) um die Zerstörung eines schönen Bildes. Man könnte ja durchaus die Veränderung so vornehmen, dass der Anblick schöner oder in anderer Weise ästhetisch ansprechender ist als zuvor. Dennoch würden nicht wenige, und zwar auch solche, die dies durchaus so empfinden, dabei bleiben, dass der Eingriff eine Zerstörung der Landschaft sei: Ihr „Charakter“ ist zerstört, und das zu bewirken ist verwerflich – ganz unabhängig davon, wie wir das Resultat rein ästhetisch beurteilen. Man benutzt also im Hinblick auf Landschaft moralisch wertende Begriffe. Das heißt, man gebraucht nicht nur Begriffe, die im Hinblick auf einen bestimmten Zweck werten, also Begriffe, mittels derer wir die Flussbegradigung z.B. als gut für die Zwecke des Schiffsverkehrs beurteilen, für die der Tourismusindustrie dagegen als schlecht. Sondern man benutzt Begriffe, die aussagen, dass etwas schlechthin, unabhängig von allen Zwecken, sein oder nicht sein soll. Es ist, so meinen viele, schlechthin verwerflich, die Landschaft zu zerstören, egal welche Vorteile das bringen mag.
17 In einem noch weiteren Sinn hat man Ästhetik mit sinnlicher Wahrnehmung schlechthin in Verbindung gebracht (siehe unten S. 88 ff. zur rationalistischen Ästhetik). Man wird jedoch heute kaum mehr eine auf theoretische Erkenntnis und nicht auf Gefühle bezogene sinnliche Wahrnehmung – alle Datenerhebungen beruhen auf sinnlichen Wahrnehmungen – ästhetisch nennen. 18 Vielleicht wird hier eingewandt, im Begriff des Schönen stecke doch auch, dass der Gegenstand schön sein soll und nicht etwa hässlich. Das ist aber nicht richtig, wie man daran sieht, dass es zu bestimmten Moden gehört, sich hässlich zu machen. Ich komme auf diese Frage noch genauer zu sprechen, siehe unten S. 87 ff.
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Woher aber wissen wir, wann die Landschaft zerstört ist? Manchmal zumindest ist es so: Wir betrachten die Landschaft als ein Gebilde, das symbolische Bedeutung hat, als ein Gebilde, das aus Zeichen besteht, die man deuten kann und richtig deuten muss. Das heißt, die Landschaft ist eine Art Buch, in dem man lesen kann, und zwar lesen nicht einfach im Sinne des Entnehmens von Sachinformationen, sondern ein Buch, in dem letztlich steht, was wir tun sollen, auch, was wir mit der Landschaft selbst tun sollen. Damit lesen wir in der Landschaft auch, wann unser Tun zerstörerisch ist. In den Haus- und Flurformen z.B. spricht, so würden manche es vielleicht formulieren, der Geist vergangener Kultur zu uns, der wir entstammen, und diesem sind wir verpflichtet. – Bezogen auf Landschaft benutzen wir also Begriffe und fällen Urteile (ästhetische und moralische), die in der Naturwissenschaft nicht möglich sind.
1.3 L ANDSCHAFT
ALS
S ITUATION
UND ALS
G EGENSTAND
Noch eine andere Frage ist an unsere Art, über Landschaft zu reden, zu stellen. Sie wird einen weiteren fundamentalen Unterschied zu naturwissenschaftlichen Gegenständen erkennen lassen. Die Frage ist: Ist Landschaft ein „Gegenstand“? Natürlich ist sie ein Gegenstand im weiteren Sinne, ein Gegenstand der Rede. Aber ist sie ein Gegenstand im naturwissenschaftlichen Sinne oder auch im üblichen alltagssprachlichen Sinn? Einen solchen Gegenstand hat man sich gegenüber, und egal ob ich meine Position verändere, ja ob ich überhaupt existiere oder ob überhaupt irgend jemand existiert – dieser Gegenstand bleibt davon unberührt. Der Mond bleibt der Mond, einerlei ob wir ihn ansehen oder nicht, ja ob es überhaupt Menschen gibt, so dass er von jemandem angesehen werden kann, und unabhängig davon, ob er gerade näher an der Erde ist oder weiter weg. Die Aspekte wechseln mit dem Standpunkt des Betrachters, aber der Gegenstand Mond bleibt, was und wie er ist, und es scheint uns sinnvoll zu fragen, wie dieser Gegenstand objektiv, also unabhängig von unserem subjektiven Eindruck, beschaffen ist. Bei der Landschaft ist das anders. Man steht – das ist jedenfalls eine der Möglichkeiten, unser Verhältnis zu ihr zu denken – der Landschaft nicht gegenüber, sondern ist in ihr. Und was die jeweilige Landschaft ist, hängt ab von meinem Standpunkt, d.h. meinem Ort im Raum. Wechsle ich den Platz, dann ist auch die Landschaft eine andere geworden. Die Landschaft ist das, was ich um mich sehe, sie reicht immer bis zum Horizont; auch das Entfernteste, wenn ich es nur sehen kann, ist Teil dieser Landschaft um mich. Und da der Horizont mit mir
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wandert, ändert sich auch die Landschaft.19 Landschaft scheint also weniger etwas von der Art eines Gegenstandes zu sein als eine Situation.20 „Der Begriff der Situation ist ja dadurch charakterisiert, dass man sich nicht ihr gegenüber befindet und daher kein gegenständliches Wissen von ihr haben kann“.21 Einen Gegenstand kann ich verändern, indem ich ihn bearbeite. Eine Situation aber ändert sich bereits dadurch, dass allein an mir sich etwas ändert. Wenn ich Mut fasse, ist die Situation eine andere geworden, auch wenn sich um mich herum gar nichts geändert hat. Vielleicht ändert sich die Landschaft auch mit meiner Stimmungslage22 oder mit dem, was von dem unendlich Vielen, was es da zu sehen gäbe, ich gerade eben sehe oder was gerade ich zu sehen in der Lage bin.23 Letzteres kann z.B. von meiner Ausbildung und Erziehung, damit von meiner sozialen Herkunft abhängen. Man redet über Landschaft jedoch auch anders, und dann wird man die Frage, ob sie ein Gegenstand ist, anders beantworten müssen. Ich kann von Landschaft auch wie von einem von mir unabhängigen Gegenstand sprechen: „Dort
19 Landschaften, schreibt Martin Seel, „sind nichts Statisches. Sie sind es zum einen nicht, weil der Betrachter sich in ihnen bewegen kann, wodurch sich die Perspektiven und Ansichten jederzeit ändern. Sie sind es zum anderen nicht, weil in ihnen immer Bewegung ist: mindestens des Lichts, meist auch der Luft und der Pflanzen [...].“ (Seel 1997: 3, Hervorhebung im Original) Doch nicht nur die Perspektiven und Ansichten der Landschaft ändern sich, sondern die Landschaft wird eine andere mit jeder Veränderung, die am Betrachter vorgeht – wenn man Landschaft in der Bedeutung von „Situation“ (Landschaft1, siehe unten) nimmt. Dass aber in Landschaften immer Bewegung ist, „immer“ verstanden in dem Sinne, dass Bewegung konstitutiv ist für Landschaft, muss man bestreiten. Auch eine vollkommen „erstarrte“ Gegend würden wir (d.h. würden Angehörige unserer Kultur) als Landschaft wahrnehmen können, wenn nur die Bedingung der Unabgeschlossenheit und in gewissem Sinn auch Unüberschaubarkeit des Raumes gegeben ist, und das heißt – paradox formuliert – die Begrenzung in der Horizontalen nicht durch eine Grenze, sondern durch einen Horizont (siehe ebd.: 3). 20 Vgl.: „Für die Erfahrung eines Raums als Landschaft ist jedoch nicht das phänomenale Gegenüber einzelner oder mehrerer Gegenstände zentral, sondern vielmehr die Erfahrung, was es heißt, mitten unter diesen Gegenständen zu sein: in ihrer Nähe und Ferne, in ihrer beengenden oder befreienden, beredten oder stummen Gegenwärtigkeit.“ (Ebd.: 2, Hervorhebung im Original) 21 Gadamer 1986: 307. 22 Siehe unten Kap. 1.4. 23 Siehe unten Kap. 2.
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hinten beginnt die Hügellandschaft des Vogtlands.“ Da scheine ich ein Objekt mit objektiven Eigenschaften zu meinen, die für alle Betrachter die gleichen sind, und mit bestimmten Grenzen. Sie ändern sich nicht mit dem, der sich in der Landschaft bewegt. Er kann auf seiner Wanderung den Rand dieser Landschaft erreichen und sie verlassen. Was er in weiter Ferne sieht, muss nicht mehr zu der, d.h. dieser Landschaft gehören. Er muss sich auch nicht in ihr bewegen, sie kann „dort hinten“ oder ganz woanders liegen. Diese Objekt-Landschaft will ich Landschaft2 nennen. Die Landschaft, die sich immer bis zum Horizont erstreckt, die mit mir mitwandert und sich mit mir verändert, die nicht ein Gegenstand ist, der mir gegenübersteht, sondern eher so etwas wie eine Situation, in der ich bin, nenne ich Landschaft1.24 Die Frage, ob und in welchem Sinne Landschaft2, die „Landschaft als Gegenstand“, wirklich ein betrachterunabhängiger Gegenstand ist wie z.B. ein Berg oder ein Baum oder der Mond – und damit, ob Landschaft2 und Landschaft2 wirklich derart fundamental verschieden sind, wie es zunächst sicher jedem scheint –, muss hier offen bleiben. Nur andeutungsweise: Zu den Eigenschaften solcher Objekte wie der Landschaft des Vogtlandes, der Landschaft der Nordseeküste gehört ja auch die Stimmung, die sie haben. Ist das eine betrachterunabhängige Eigenschaft? Sicher nicht, wenn wir nach der jeweiligen Stimmung fragen, die sie für den jeweiligen Betrachter hat. Aber hier geht es um die typische Stimmung der Nordseeküste. In welchem Sinne aber ist das eine betrachterunabhängige Eigenschaft?25 Wenn Landschaft nicht als beobachterunabhängiger Gegenstand gemeint ist, sondern je nach Betrachter und seinem Standpunkt eine andere ist (Landschaft1), dann fragt sich, ob der Begriff der Landschaft nicht bedeutungsgleich mit dem Begriff der Umwelt ist. Für Ökologen leben zwar Fuchs und Buntspecht im selben Wald, aber in sehr verschiedenen Umwelten.26 Zur Umwelt gehört nur das in der Umgebung, zu dem das jeweilige Lebewesen eine Ursache-WirkungBeziehung hat. Das Insekt im Holz des Baumes gehört nur zur Umwelt des Spechtes, für den Fuchs existiert es gar nicht, so wie der Boden in einer gewissen Tiefe, durch den der Fuchs seinen Bau gräbt, für den Specht nicht existiert – allenfalls indirekt, weil die Baumwurzeln bis dahin reichen, aber was noch tiefer
24 Die verschiedenen Bedeutungen von „Landschaft“ kennzeichnet man manchmal durch Ziffern. Diese bedeuten aber bei verschiedenen Autoren ganz Verschiedenes; was hier Landschaft1 und Landschaft2 genannt wird, hat nichts mit dem zu tun, was z.B. bei Jackson 1984 und Prominski 2004 so heißt. 25 Siehe unten Kap. 1.4. 26 Ausführlich zum ökologischen Umweltbegriff siehe Kapitel 3 in Trepl 2005.
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ist, existiert oft für den Specht auch indirekt nicht. Wie die Landschaft ändert sich offenbar auch die Umwelt, zum Beispiel mit der Art des „Betrachters“ (des Lebewesens), mit dessen Lebensalter, dessen Ort im Raum. Identisch aber werden damit Landschafts- und Umweltbegriff nicht, wie man sich an folgendem Beispiel klar machen kann. Wenn ich in einem Haus, in einer Straße, im Inneren eines dichten Waldes bin, dann ist um mich meine Umwelt. Das ist unvermeidlich; meine Umwelt gehört zu mir wie zu jedem Lebewesen die seine, und zwar in jedem Augenblick. Aber ich bin nicht in einer Landschaft. Oder richtiger, ich bin nicht in einer Landschaft1. In einer Landschaft2 kann ich schon sein; das Haus mag in der märkischen Landschaft stehen und der dichte Wald zur Landschaft des Spessarts gehören. Aber ich bin nicht in einer Landschaft im Sinne der Landschaft um mich, die bis zum Horizont reicht (Landschaft1); 27 niemand würde so reden. Man könnte auch sagen: Ich sehe keine Landschaft, wenn ich im Zimmer bin und nicht aus dem Fenster schaue28 oder wenn ich im dichten Wald bin. Oder auch: Der sichtbare Raum um mich ist keine Landschaft, sondern ein Zimmer oder ein Dickicht. Damit also etwas sinnvollerweise Landschaft genannt werden kann, scheint Sichtbarkeit wesentlich. „Hören, Riechen und Fühlen“ können an der Wahrnehmung auch Anteil haben, aber ihnen kommt „keine konstitutive Bedeutung für die Landschaft“ zu. „Eine völlig stille, unspezifisch riechende Gegend, in der nichts berührt wird, kann als Landschaft wahrgenommen werden.“29 Der Vor-
27 „Unter ästhetischer Landschaft […] verstehe ich das Erscheinen eines unüberschaubaren Raums“ (Seel 1997: 1, Hervorhebung im Original). „Landschaft ist immer eine Sache der Dimension eines Raums. Ihre Wirklichkeit beginnt da, wo ein Raum in dem Sinn aus seiner Dimension tritt, dass seine Abmessungen von denen, die sich in ihm befinden, nicht erfaßt werden können. Die Grenzen eines Zimmers kann man überblicken [...] Der Raum einer Landschaft hingegen hat weder Raum noch Grenze, er endet an einem Horizont: dort, wo die Konturen, Formen und Abgrenzungen diffus werden [...].“ (ebd.: 3) 28 „Es ist der ganze Sinn des Sich-Einlassens auf ästhetische Landschaften, dass wir in ihnen nach draußen gelangen: in ein zugleich reales und metaphorisches Draußen.“ (Ebd.: 5) 29 Dinnebier 2004. Man kann Landschaft auch essen (Gelinsky 2008 über „Slow Food“, eine Organisation, die auf der für unsere Kultur recht typischen Vorstellung aufbaut, dass für den Geschmack von Nahrungsmitteln die Herkunft aus einer ganz bestimmten Landschaft wesentlich ist), und die Tourismusindustrie wie auch die „Umweltbil-
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rang der Sichtbarkeit gilt nicht nur für Landschaft1, auch bei Landschaft2 meinen wir zunächst nur das Sichtbare. Das Objekt „Voralpenlandschaft“ besteht aus, wie es in der Fachsprache der Planer heißt, „Landschaftselementen“. Das sind z.B. Wälder, Seen, Moore, Häuser bestimmten Typs. Was man nicht sehen kann, z.B. Hohlräume im Boden oder in den Ziegelsteinen der Häuser oder die Zellen der Pflanzen, würden wir schwerlich Landschaftselemente nennen. Ist damit aber Landschaft als das Sichtbare an der Umwelt definierbar? Offensichtlich nicht. Abgesehen davon, dass auch Nicht-Sichtbares, wohl aber anderen Sinnen Zugängliches zwar nicht für Landschaft an sich, wohl aber für eine bestimmte Landschaft bestimmend sein kann (z.B. ein typischer Geruch): Auch das Sichtbare in einem Zimmer oder im Waldesdickicht ist nicht Landschaft. Das wird wohl darin seinen Grund haben, dass das, was hier um mich ist, überschaubar ist. – Aber ist es denn richtig, dass Landschaft (Landschaft1) alles Sichtbare um mich herum ist? Gewiss, so reden wir; die Landschaft, in der ich bin, liegt vor mir und auch hinter mir, sie umgibt mich. Wir reden aber auch anders. Die Landschaft, die zu mir gehört und die sich mit mir ändert, ist nicht einfach alles um mich herum – nach allen Seiten bis zum Horizont. Denn wenn ich mich umdrehe, sehe ich eine andere Landschaft. So gesehen ist man nicht in der Landschaft, wie oben formuliert, aber doch auch nicht ihr gegenüber, wie das bei einem Gegenstand der Fall ist, sondern man hat sie vor sich. Für Landschaft ist der „Augenblick des Einrahmens“30 wesentlich; Landschaft ist, was ich in diesem Rahmen sehe. Vor allem aber ist es dies, was es verbietet, Landschaft einfach als das Sichtbare an der Umwelt zu definieren: Jede Landschaft hat eine Stimmung. Die Umwelt der Ökologen kann eine solche Eigenschaft nicht haben, denn Stimmung ist kein naturwissenschaftlicher Begriff. Wenn wir über das Sichtbare an der Umwelt reden, das mit naturwissenschaftlichen Begriffen zu beschreibende optisch Wahrnehmbare an ihr, dann ist die Stimmung gewiss nicht mitgemeint. Das Sichtbare an der Umwelt ohne Stimmung würden wir nicht Landschaft nennen. Was meinen wir aber, wenn wir von der Stimmung der Landschaft sprechen?
dung“ preisen das Erlebnis der Landschaft „mit allen Sinnen“ an. Konstitutiv für Landschaft ist das aber nicht. 30 Schama 1996: 21.
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1.4 S TIMMUNG Die Stimmung der Landschaft kommt ihr immer als ganzer zu. Sie ist die Stimmung der Landschaft, die sich bis zum Horizont erstreckt. Die Landschaft – alles was ich sehe, als eine Einheit genommen – ist von heiterer, grandioser, düsterer Stimmung, und auch die Frische des Morgens könnte man eine Stimmung nennen.31 Zwar kann man auch sagen, dieser einzelne Berg wirke majestätisch oder erdrückend, aber wenn man ihn in den Zusammenhang der Landschaft stellt, dann hat nicht er eine Stimmung, sondern trägt zur majestätischen oder gedrückten Stimmung der Landschaft als ganzer bei. Bei den kleineren einzelnen Dingen käme man ohnehin nicht auf den Gedanken zu sagen, sie hätten eine Stimmung, sondern sie tragen nur bei zur Stimmung der Landschaft. Und wenn dort hinten eine andere Landschaft beginnt im Sinne von Landschaft2, z.B. die Gebirgslandschaft der Alpen, so ist diese doch in die Landschaft, in der ich stehe (Landschaft1) einbezogen als ein Teil, etwa als Kulisse, und trägt zu ihrer Stimmung bei. Auch das bloße Wissen um die typische Stimmung dieser Landschaft2 „dort hinten“, d.h. die Stimmung, die man typischerweise erlebt, wenn man in ihr ist, wie es sich vor allem durch Erinnerung bildet, wird zur Stimmung der Landschaft1, deren Kulisse sie ist, beitragen. Und in einer waldreichen Gegend wird allein das Wissen um die typische Stimmung im Waldesinneren – denn auch dieses, nicht nur die Landschaft hat eine Stimmung32 – oder die Erinnerung an einzelne Erlebnisse von Stimmungen im Wald zur Stimmung der Landschaft, über die man etwa von einem Berg aus blickt, beitragen. – Die Stimmung der Landschaft „durchdringt“ „alle ihre einzelnen Elemente, oft ohne dass man ein einzelnes für sie haftbar machen könnte; in einer schwer bezeichenbaren Weise hat ein jedes an ihr teil – aber sie besteht weder außerhalb dieser Beiträge, noch ist sie aus ihnen zusammengesetzt“.33 Die Stimmung der Landschaft kann z.B. heiter sein. Die Landschaft hat also, weil die Stimmung zu ihr gehört, die Eigenschaft „heiter“. Hier wird manch einer Einspruch erheben: Ist „heiter“ nicht eine Eigenschaft des Betrachters? Wie soll die Landschaft selbst heiter sein können? Ist Stimmung nicht ein seelischer Zustand, und hat denn die Landschaft selbst eine Seele? Das, was wir sehen und Landschaft nennen, besteht doch aus physischen Dingen wie Wiesen und Hecken und Seen. Wie sollen die eine Eigenschaft haben können, die nur ein
31 Vgl. Großheim 1999. 32 Ausführlich Schwarzer 2007: 93 ff.; siehe auch Bollnow 1995, 2004. 33 Simmel 1957: 149.
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lebendes Wesen, dem man zudem den Besitz von Seele und Geist zuschreiben muss, haben kann? Wir sind heiter und projizieren das auf die Landschaft.34 Zumindest ein Einwand liegt auch wieder gegen diesen Einspruch nahe: Unsere momentane Gestimmtheit kann es schwerlich sein, was wir da projizieren. Denn wie reden wir? Eine bestimmte Landschaft ist heiter, auch wenn der Betrachter gerade traurig ist. Die heitere Mosellandschaft wird nicht traurig dadurch, dass sie ein Trauriger betrachtet. Wir würden eher sagen: Für ihn ist die an sich oder objektiv heitere Landschaft dies (heute) nicht. Wenn wir schon unsere Stimmung in die Landschaft projizieren, dann kann es doch nicht unsere ganz individuelle, gar augenblickliche sein. Ist es dann vielleicht ein Durchschnitts- oder besonders häufiges Empfinden, das wir da in die Landschaft hineinsehen? Auch dagegen sträubt sich unsere Art zu reden. Wenn durch dauerndes Elend die meisten oder alle Menschen in einer „an sich“ heiteren Landschaft immer traurig wären, so würden wir wahrscheinlich doch von heiterer Landschaft sprechen. Die Menschen, so würden wir sagen, sind durch ihr Unglück so niedergedrückt, dass sie die Heiterkeit der Landschaft, in der sie leben dürfen, gar nicht mehr bemerken. Wenn die These des Hineinsehens der Stimmung in die Landschaft richtig sein soll, dann muss das Subjekt, das da projiziert, etwas anderes sein als der individuelle Betrachter oder auch eine Summe oder ein Durchschnitt von Betrachtern. Man nennt dieses Subjekt meist Kultur35. Damit werden wir uns aber kaum zufriedengeben, vielmehr fangen die Probleme erst an. Denn was ist Kultur? Kann man sie z.B. wirklich als etwas Subjekthaftes bezeichnen, wie eben formuliert? Kann man sie also auffassen wie einen einzelnen Betrachter, der seine Stimmung auf das projiziert, was er um sich sieht, nur dass jetzt so etwas wie eine objektive Stimmung entsteht: Die Mosellandschaft ist heiter, statt mir erscheint sie heiter? Was ist, wenn der Betrachter einer ganz anderen Kultur ange-
34 Auffassungen, die das noch entschiedener zurückweisen, als es im Folgenden geschieht, vertreten z.B. Böhme 1995 und Großheim 1999. 35 „Kultur“ bezieht sich bekanntlich auf überaus verschiedene Phänomene (siehe z.B. Assmann 2006, Einleitung). Der Begriff kann hier nicht eingehender erörtert werden; ich hoffe, dass aus dem Kontext hinreichend klar wird, was jeweils gemeint ist. In vielen Fällen beziehe ich mich auf den im Zusammenhang mit dem Begriff Kulturwissenschaft (im Sinne von Rickert 1899) üblichen Begriff von Kultur, doch wurden in den Ideenkontexten, die in den Kapiteln 4 bis 7 dargestellt werden, jeweils bestimmte und oft deutlich voneinander verschiedene Kulturbegriffe geprägt (etwa „Kultur“ als Gegensatz von „Zivilisation“, siehe unten S. 140), die gegebenenfalls dort erläutert werden.
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hört? Sieht man daran nicht, dass es offensichtlich unsinnig ist zu behaupten, dass die Mosellandschaft heiter ist? Man kann solche Probleme zu lösen versuchen, indem man sagt, dass die Behauptung einer Projektion unangemessen sei, ebenso unangemessen wie die Behauptung, die Stimmung sei eine Eigenschaft der Landschaft, die sie unabhängig vom Betrachter hat. Stimmung überhaupt sei, so kann man argumentieren, eine Art von Eigenschaft, die sich nicht entweder dem betrachtenden Subjekt oder dem betrachteten Objekt zuordnen lässt.36 Die Frage ist, schreibt Georg Simmel, „mit welchem Rechte die Stimmung, ausschließlich ein menschlicher Gefühlsvorgang, als Qualität der Landschaft, d.h. eines Komplexes unbeseelter Naturdinge gilt?“ Er antwortet: „Aber sie [die Landschaft] ist ja selbst schon ein geistiges Gebilde, man kann sie nirgends im bloß Äußeren tasten und betreten, sie lebt nur in der Vereinheitlichungskraft der Seele.“37 Man könnte dann immer noch vom Hineinsehen der Stimmung sprechen, aber nicht mehr vom Hineinsehen in die Landschaft, sondern in eine Gegend, so dass dann eine Landschaft mit bestimmter Stimmung entsteht.38 Exkurs zur Methode 1: Zur Definition von Landschaft Schon für das normale, alltägliche Denken ist also Landschaft kein einfacher Gegenstand. Einerseits wird man wohl Zustimmung bekommen, wenn man sagt, Landschaft sei ein ästhetischer Gegenstand wie ein Gemälde; und dass dieses, als Gemälde, nicht Gegenstand naturwissenschaftlicher Forschung ist, wird für selbstverständlich gelten. Andererseits würde wohl kaum jemand, unvorbereitet gefragt, nicht der Meinung zustimmen, Landschaft sei ein Gegenstand wie ein Baum oder ein Berg auch. Gerhard Hard39 schreibt, dem Wort Landschaft werde „ein real existierendes Ding unterschoben“. Die Vorstellung von Landschaft als Ding beruhe auf dem naiven Glauben, „einem Substantiv müsse doch auch ein reales Objekt entsprechen“. Man wird es in diesem Glauben auch für selbstverständlich halten, dass Landschaft, wie Baum und Berg, Objekt naturwissenschaftlicher Forschung sein kann. Wer gar naturwissenschaftlich verbildet ist, wird größte Schwierigkeiten haben, mit dem Gegenstand (Gegenstand der Rede) Landschaft zurechtzukommen; verbildet, nicht gebildet, denn gemeint ist eine Art der Bildung auf einem speziellen Gebiet, die einem den Blick auf anderes als
36 So argumentiert z.B. Bollnow 1995 in seinem Buch „Das Wesen der Stimmungen“. 37 Simmel 1957: 150. 38 „Dabei liegt Landschaft vor ihrer Konstitution durch einen Betrachter in der ‚Natur‘ noch gar nicht vor.“ (Bohr 2008: 35) 39 1970a: 70, in einem Aufsatz mit dem Titel Was ist eine Landschaft.
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das, was man gelernt hat, systematisch verzerrt oder gar verschließt. Das ist bei der naturwissenschaftlichen Ausbildung eher die Regel als die Ausnahme.40 Wer in dieser Weise verbildet ist, wird wahrscheinlich vor allem fordern, als erstes den Begriff der Landschaft eindeutig zu definieren, wie man es bei einem naturwissenschaftlichen Gegenstand macht. Kriterien seien festzulegen, anhand derer man eindeutig entscheiden kann, ob etwas unter den Begriff der Landschaft fällt oder nicht. So und nur so vorzugehen sei wissenschaftlich. In der Tat wäre es in den Naturwissenschaften in der Regel unwissenschaftlich, nicht so zu verfahren. Versuche dieser Art, Landschaft zu definieren, gibt es zuhauf, vor allem in der (physischen) Geografie und der Ökologie. Aber selbst wenn ein so definierter Landschaftsbegriff in diesen Fächern brauchbar sein sollte41 – diese „Landschaft“ ist gewiss nicht die aller Fächer, z.B. nicht die der Landschaftsplanung und der Architektur. Hier muss man den Gegenstand Landschaft in dem ganzen Umfang nehmen, in dem das Wort in der Gesellschaft gebraucht wird. Man muss wissen, was einzelne Menschen, was soziale Gruppen meinen, wenn sie Landschaft sagen, was in unserer Kultur und was in anderen Kulturen gemeint ist. Denn mit dem, was man mit Landschaft meint, sind ja Wünsche, sind Ansprüche an die Landschaft verbunden, und damit müssen sich Planer und Architekten auseinandersetzen. Eine (entfernte) Analogie: Die Physiker verwenden einen eindeutig definierten Freiheitsbegriff, und zwar im Hinblick auf die Bewegungen von Atomteilchen. Man könnte von den Politologen oder den Politikern verlangen, sie sollten diesen Begriff – immerhin ist er doch exakt definiert – für ihr Gebiet übernehmen. Das hätte aber die Folge, dass sie zu
40 Vgl. Kuhn 1967. 41 Wenn z.B. Ökologen, also Naturwissenschaftler, behaupten, sie untersuchen Landschaften, dann ist das nicht richtig. Sie untersuchen nicht Landschaften, sondern ökologische Gegenstände, z.B. Ökosysteme oder Populationen von Tieren und Pflanzen, dies aber in den Grenzen von Landschaften und konzentriert auf Objekte, die von landschaftlichem Interesse sind, also z.B. Bäume und Flüsse, nicht Mikroorganismen oder Bodenpartikel, da bzw. sofern diese für das Sehen der Landschaft nicht relevant sind. Wie die Landschaft, in der sie forschen, abzugrenzen ist und auf welche Aspekte des Gebiets zu achten ist, das können sie als Naturwissenschaftler nicht sagen. Sie lassen es sich vielmehr vorgeben vom Alltagssprachgebrauch oder vom Sprachgebrauch z.B. von Landschaftsarchitekten. Es ist nicht anders im Falle eines Chemikers, der die Farben eines Gemäldes analysiert: Er kann nicht definieren, er kann als Chemiker nicht erkennen, was ein Gemälde ist. Das Gemälde ist der wissenschaftlichen Disziplin Chemie von außen vorgegeben. (Ausführlich: Kirchhoff/Trepl/Vicenzotti 2012)
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kaum einer Frage mehr etwas sinnvolles sagen können, mit der sie zu tun bekommen und die sie bisher mit der Vielfalt von mehr oder weniger vagen Freiheitsbegriffen, die sie in der Gesellschaft vorfinden, zu beantworten versucht haben. Und sie können sich auch nicht auf einen unter diesen einigen. Denn allen ist bewusst, dass Freiheit „in Wirklichkeit“ mehr und anderes umfasst als nur das, worauf einen die nun einmal beschlossene Definition einschränkt. Diese schneidet offensichtlich allzu viel ab von dem, worauf man sich im Grunde doch bezieht und unvermeidlich beziehen muss. Mit „Wissenschaftlichkeit“ lässt sich die Forderung nach der einen eindeutigen Definition nicht begründen. Wissenschaft von Landschaft richtet sich, das sollte deutlich geworden sein, nicht auf ein betrachterunabhängiges Ding, sondern zumindest zunächst auf den Sprachgebrauch selbst. Das ist ihr primärer Gegenstand.42 Das Ziel ist, Fragen zu klären wie: Was bedeutet das Wort Landschaft? Was kann alles an Verschiedenem gemeint sein mit „Landschaft“? Wie sind die verschiedenen Bedeutungen systematisch verbunden? Wissenschaft muss präzise sein. Aber wissenschaftliche Präzision ist hier nicht verlangt bei der Definition im Sinne der Festsetzung eines Wortgebrauchs, sondern zunächst bei der Feststellung des Wortgebrauchs. Eine Definition im Sinne des Festsetzens dessen, was an der jeweiligen Stelle mit einem bestimmten Wort gemeint ist – der Anspruch kann auch sein, immer und von allen gemeint zu sein hat –, nennt man Nominaldefinition. Prinzipiell ist man darin völlig frei. Man kann als Kuh genau das definieren, wozu man bisher immer Pferd gesagt hat. Das tut nur keiner, nicht zuletzt deshalb, weil es ihn zwänge, eine Vielzahl
42 Wenn „was ist Landschaft“ gefragt wird, dann ist damit in der Regel die Erwartung verbunden, man könne hier nach einem subjektunabhängigen Gegenstand, einem „Ding“ fragen (Hard 1970a). Mit der Frage, was Landschaft ist, werde „eine Frage, die nur sinnvoll ist als Frage nach einem Wortinhalt (nach einem ‚geistigen Gegenstand‘ aus den Symbolsystemen der Sprache) oft als Sachfrage umgedeutet.“ (Ebd.: 72) – Allerdings muss man bedenken, dass „Dinge“ auch nicht Dinge an sich sind, sondern „Erscheinungen“, also Dinge für uns. Was sie für uns sind und ob es diese Dinge überhaupt gibt, hängt auch von der Sprache ab und ist in einem bestimmten Sinne kulturrelativ, wenn auch in einem anderen als im Falle der Landschaft. Zu der Art, wie uns all das, was wir Dinge nennen, „erscheint“, gehört aber, dass wir sie uns als von unserer Beobachtung unabhängig vorstellen. Das jedoch ist bei der Landschaft, wie die genauere Betrachtung der Art, über sie zu sprechen, gezeigt hat, nicht so. Wenn wir uns die Implikationen unseres Sprechens über Landschaft vor Augen halten, dann wird z.B. im Falle der „Landschaft 1“ deutlich, dass wir sie uns nicht als von unserer Beobachtung unabhängig vorstellen.
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anderer Wörter ebenfalls neu zu definieren, und so hält man sich auch bei Nominaldefinitionen in der Regel eng an den üblichen Gebrauch. Definition im Sinne des Feststellens des Wortgebrauchs ist eine Variante dessen, was man Realdefinition nennt.43 Man erkennt leicht, warum man in den Naturwissenschaften mit diesem Unterschied meist kaum Probleme hat. Denn wenn man den Gebrauch des Wortes Molekül feststellt, so wird man sehen, dass es mehr oder weniger überall genau so gebraucht wird, wie er von einem Wissenschaftler festgesetzt wurde. Man kann alle Physiker auf der Welt fragen, was Energie und was Kraft und was Proton bedeutet, sie werden wahrscheinlich alle das Gleiche antworten.44 Landschaft ist aber kein naturwissenschaftlicher Begriff, sondern ein Begriff der Geistesund Sozialwissenschaften. Das wird vielleicht nicht jedem anhand dessen, was bisher ausgeführt wurde, einleuchten. Es ging, wird man vielleicht einwenden, um Weisen des Wahrnehmens und Sprechens, und dafür mögen vielleicht die Geisteswissenschaften zuständig sein. Aber das, was da wahrgenommen wird und worüber man redet, die Landschaft eben, besteht doch aus Bergen und Seen, aus Wäldern und Wiesen, und das sind doch Gegenstände, mit denen sich Naturwissenschaftler, z.B. Botaniker und Geologen, befassen. Im Folgenden wird aber argumentiert werden, dass wohl Berge und Seen, nicht jedoch Landschaften Gegenstände der Naturwissenschaften sein können. In etlichen Naturwissenschaften wird „Landschaft“ zwar verwendet, um von ihnen untersuchte Objekte zu bezeichnen. Mehr noch, viele, vielleicht die meisten von denen, deren Beruf in der Pflege oder im Schutz von Landschaften besteht, können sich gar nicht vorstellen, dass Landschaft etwas anderes sein könnte als ein naturwissenschaftlicher Gegenstand, zumindest wenn man wissenschaftlich darüber spricht. Das ist aber, wie die folgenden Seiten hoffentlich zeigen werden, nicht richtig. Wenn Naturwissenschaftler Landschaft als ihren Gegenstand bezeichnen, benutzen sie diese Wort entweder nur metaphorisch und sie irren sich.45 – In den Geistes- und Sozialwissenschaften bedeuten die zentralen Fachtermini typischerweise nicht nur in jedem Fach, sondern auch in jeder Theorie innerhalb eines Fachs etwas anderes. Verschiedene Gesellschaftstheoretiker, etwa Marx, Durkheim und Gehlen, verwenden im Allgemeinen durchaus die gleichen Wörter, jeder spricht z.B.
43 Siehe dazu das klassische Werk von Walter Dubislav Die Definition, Dubislav 1931. 44 Komplizierter wird es, wenn man Phänomene wie wissenschaftliche Revolutionen („Paradigmenwechsel“) einbezieht (vgl. vor allem Kuhn 1967, auch Lakatos 1974). Darauf kann ich hier nicht eingehen. 45 Ausführlich dazu Kirchhoff/Trepl/Vicenzotti 2012.
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von Freiheit und Fortschritt, aber keiner meint das Gleiche damit wie der andere, und nicht selten meinen sie geradezu das Gegenteil. Die Frage stellt sich, warum sie sich nicht einfach einigen. Das würde doch die Verständigung enorm erleichtern. Sie einigen sich nicht zuletzt deswegen nicht, weil hier die Forschung wesentlich darin besteht, Begriffe zu klären.46 Seit 2000 Jahren bemühen sich Heerscharen von Philosophen und Sozialwissenschaftlern darum herauszufinden, was der Begriff Freiheit bedeutet. Es ist nicht möglich, sich einfach eine Definition ausdenken, auf die sich dann alle einigen. Der nächste verwirft sie wieder, weil er herausgefunden hat, dass Freiheit doch (auch) etwas anderes bedeutet – faktisch bedeutet oder aber bedeuten müsste. Begriffe wie Politik und Ideologie, Kultur und Kunst mag ein Wissenschaftler definieren, so gut er nur kann, man wird feststellen, dass sich weder der Alltagsgebrauch noch der wissenschaftliche daran hält. Man wird nach der Definition nur genauer wissen, wie man diesen einen Wissenschaftler zu verstehen hat. Die Bedeutung herauszufinden – sei es die eine richtige, sei es eine Vielzahl – ist also hier primäres Ziel, nicht, sich bequem und ohne Missverständnisse mit anderen unterhalten zu können, auch wenn das natürlich ebenfalls ein Ziel ist, aber eben nicht das primäre. Begriffe in den Naturwissenschaften sind meist eher Mittel, um ein Ziel zu erreichen, und das Ziel besteht darin, Phänomene zu erklären und zu prognostizieren. In Geistes- und Sozialwissenschaften ist dagegen das Verständnis der Begriffe eher selbst das Ziel. Das Feststellen des Wortgebrauchs aber ist bei einem so vielschichtigen und, wie man sehen wird, sich historisch häufig wandelnden Begriff wie Landschaft eine aufwendige Forschungsaufgabe. Und weil die kulturelle Wirklichkeit sich ändert, wird das Ziel dieser Forschung, das nicht nur in einer enzyklopädischen Auflistung der Vielzahl von faktischen Definitionen, sondern durchaus auch im Finden der bestmöglichen Definition besteht, garantiert nie erreicht werden. Diese Definition wäre nicht ein kleinster gemeinsamer Nenner dessen, was alles Landschaft genannt wird. Sondern sie beschriebe einen Idealtyp47, der alle wesentlichen Bedeutungen von Landschaft integriert und der ihren systematischen Zusammenhang erkennen lässt. Es mag sein, dass es unter den Bedeutungen, in denen Landschaft gebraucht wird, eine gibt, die klar zu bevorzugen ist, die weit ergiebiger ist als alle anderen und diese
46 In den Naturwissenschaften werden die Begriffe in der Regel am Anfang definiert. In den Geistes- und Sozialwissenschaften ist das eher selten der Fall, meist werden sie im Zuge der Darstellung und Diskussion von Theorien entwickelt, und manchmal ist man am Ende – einer Vorlesung, eines Buches, des Lebenswerks – so weit, dass man eine Definition geben kann, manchmal auch nicht. 47 Zu diesem Begriff siehe ausführlich unten S. 42 ff.
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vielleicht sogar als besondere Fälle aus sich abzuleiten gestattet.48 Von ihr könnte man also in diesem Sinne sagen, das sie die richtige sei. Aber selbst dann wird die Forschung, deren Ziel ist, herauszufinden, was Landschaft „letzten Endes“ bedeutet, der Realität immer hinterherhinken. Das spricht allerdings nicht dagegen, als forschungsleitende Frage anzunehmen, dass sich doch ein gemeinsamer Kern aller Bedeutungen von Landschaft herausschälen lassen könnte – ein Kern, von dem aus sich vielleicht gerade die Verschiedenheit verstehen lassen könnte. Nun darf man aus all dem nicht den Schluss ziehen, man könne in den Geistes- und Sozialwissenschaften und also auch in der Landschaftsforschung mit den Begriffen zumindest zu Beginn schlampig umgehen, weil sie sich doch erst am Ende langer Untersuchungen klären, und auch dann kaum endgültig, und weil die Bedeutung theorieabhängig zu sein pflegt, die eigene Definition also doch nicht verhindert, dass der Begriff weiterhin verschieden gebraucht wird. Es kann zwar an bestimmten Punkten wichtig sein, die Unbestimmtheit eines Phänomens gegen voreilige Bestimmungen offenzuhalten49 und darum z.B. bei den vagen Bedeutungen der Alltagssprache zu bleiben. Doch in der Regel ist es nötig, genau kenntlich zu machen, wie man selbst an dieser Stelle den Begriff benutzt. Das kann einige Zeilen weiter schon wieder anders sein, so dass vielleicht eine neue Definition erforderlich ist. Dieses zum jeweiligen Textverständnis notwendige Definieren ist zu unterscheiden von der Art des Definierens, von der oben gesagt wurde, dass darin eher das Ziel der wissenschaftlichen Arbeit besteht. Ein Beispiel: Der Titel dieses Buches ist „Die Idee der Landschaft“. „Idee“ wurde zu Beginn zumindest grob definiert. „Landschaft“ aber wird nicht definiert. Stattdessen besteht die Hauptaufgabe des Buches darin, herauszufinden, wie „Landschaft“ in verschiedenen Bereichen unserer Kultur, in verschiedenen Epochen, in verschiedenen Kontexten verwendet wird und wie diese verschiedenen Verwendungsweisen miteinander in Beziehung stehen. Am – nie erreichbaren – Ende des Forschungsprozesses würde das dann vielleicht eine „Definition“ dessen ergeben, was Landschaft „ist“. Aber das wäre vermutlich eine sehr komplexe Definition, die in sich manches enthielte, was einander widerspricht, was nicht gleichzeitig nebeneinander bestehen kann.
48 Vgl. Kirchhoff/Trepl 2009. 49 Alphéus 1981: 24.
2. Landschaft: Kunstwerk in statu nascendi
Bevor es darum geht, wie Landschaft in der Geschichte erstmals gesehen wurde und wie sich die mit Landschaft verbundenen Ideen – meist Ideen von einer idealen Gesellschaft, für die Landschaft ein Symbol war – im Laufe der Geschichte wandelten, sei noch eine andere Frage angesprochen: Wie entsteht Landschaft jeweils, das heißt, was geht in jedem vor, wenn er Landschaft sieht? Ich referiere dazu aus einem Aufsatz des Philosophen und Soziologen Georg Simmel aus dem Jahre 1913. Damit wird auch etwas deutlicher werden, wieso Landschaft kein naturwissenschaftlicher Gegenstand sein kann. Und damit werden wohl auch einige Verständnisschwierigkeiten behoben, die oben bei der Frage aufgetreten sein dürften, ob Landschaft als ein äußerer Gegenstand uns gegenübersteht oder nicht, und auch bei der Frage, wessen Eigenschaft eigentlich die Stimmung der Landschaft ist. Landschaft, so Simmel, ist etwas anderes als die Natur, die außer uns existiert. Unter dieser „verstehen wir den endlosen Zusammenhang der Dinge“1. Für die Landschaft aber „ist gerade die Abgrenzung, das Befaßtsein in einem momentanen oder dauerhaften Gesichtskreis durchaus wesentlich“.2 Was geschieht bei dieser Abgrenzung? Man versteht es leichter, wenn man sich klar macht, wie der Sprachgebrauch von „Landschaft“ in der heutigen Hauptbedeutung entstanden ist. Zu Beginn der Neuzeit, als das Wort aufkam, war es ein Fachterminus
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Simmel 1957: 141. Ebd.: 142. Oben habe ich (mit Seel) behauptet, dass der Landschaft die Unüberschaubarkeit wesentlich sei. Das widerspricht dem Gedanken Simmels nicht. Denn die Landschaft wird durch den Horizont zwar begrenzt, aber zum Wesen des Horizonts gehört das Wissen, dass „sie“, d.h. die Landschaft, die am Horizont aufhört, hinter dem Horizont weitergeht. – Der „momentane Gesichtskreis“ entspricht etwa der Vorstellung von Landschaft1, der „dauerhafte“ der Vorstellung von Landschaft2.
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der Malerei.3 Man nannte „Landschaften“ die Gemälde, auf denen das dargestellt war, was man erst später eine Landschaft nannte: eine Gegend, die aussieht wie eine „Landschaft“, also wie ein solches Gemälde4. Zuerst bezeichnete „Landschaft“ also keine reale Gegend, sondern ein Bild auf der Leinwand, und auch später konnte nicht jede reale Gegend Landschaft genannt werden. Was den Namen Landschaft verdiente, musste dem Erzeugnis eines Menschen, eines Künstlers nämlich, ähnlich sein. Auch Landschaft als reale Gegend verstanden ist also in diesem Sinne nicht ein Objekt, das es unabhängig von einem Menschen gäbe, der ein Bild dieses Objekts erzeugt. Der entscheidende Punkt aber ist: Was tun wir, wenn wir nicht ein Bild malen, sondern einfach Landschaft sehen? Wir erzeugen ein „Kunstwerk in statu nascendi“. Die Landschaft ist ein „embryonales“5 Gemälde. Wir blicken zwar dabei auf einen von uns unabhängig existierenden Gegenstand, den vor uns liegenden Naturausschnitt, und die Natur ändert sich nicht unter unserem Blick. Aber wir wählen doch wie der Maler aus, was von dem, was da alles vor uns liegt, wir in das Gemälde, also die Landschaft aufnehmen wollen und was wegzulassen ist. Wir bestimmen, was in den Vordergrund tritt, was durch besondere Farbgebung herausgehoben wird, was wir im Dunst verschwinden lassen und was (damit) die „Aussage“ dieses Gemäldes sein soll. „Eben das, was der Künstler tut: daß er aus der chaotischen Strömung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stück herausgrenzt, es als eine Einheit faßt und formt [...] – eben dies tun wir in niederem, weniger prinzipiellem Maße, in fragmentarischer, grenzunsicherer Art, sobald wir [...] eine ‚Landschaft‘ schauen.“6 Wir sehen, d.h. „malen“ uns in unserem Geist angesichts einer Gegend mit Hügeln und Feldern, mit Wiesen und Wäldchen und dazwischen Dörfern mit Kirchtürmen eine Landschaft, in diesem Fall eine idyllische, indem wir genau die genannten Dinge herausheben. Diese idyllische Landschaft ist in dem Moment nicht mehr da, in dem wir etwas vorher unabsichtlich oder absichtlich Übersehenes sehen und herausheben, das zur Idylle nicht passt, z.B. Hochspannungsleitungen. Vielleicht reicht es dafür sogar schon, wenn wir uns auch nur den Gedanken kommen lassen, dass die Felder mit Bioziden vergiftet sind, dass sie ihre Abmessungen den Erfordernissen modernen Maschineneinsatzes verdanken und dass es an der Subventionspolitik der EU liegt, wenn auf ihnen Raps und nicht Weizen wächst.
3
Gruenter 1953.
4
Siehe aber unten Kap. 6.3.3 zu einer älteren und ganz anderen Bedeutung des Wortes.
5
Simmel 1957: 147.
6
Ebd.: 144.
2. L ANDSCHAFT : K UNSTWERK IN
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Also nicht das, was um uns ist, unsere Umgebung, ist die Landschaft. „Das, was wir mit einem Blick [...] überschauen, ist noch nicht Landschaft, sondern höchstens der Stoff zu ihr.“7 Es wäre jedoch auch nicht ganz richtig zu sagen, dass die Landschaft nur ein Gemälde in unserem Geist ist. In gewissem Sinne liegt die Landschaft durchaus real vor uns. Denn das Gemälde in unserem Geist ist ja ein Bild dessen, was wir vor uns haben, ist kein reines Phantasieprodukt. Aber was vor uns liegt, ist nicht in seiner Gesamtheit die Landschaft. An ihm ist nur das Landschaft, was wir durch unsere auswählende Tätigkeit in das von uns im Geist gemalte Bild aufnehmen. Und es ist nur in der Form Landschaft, wie wir es ordnen und gestalten – so wie der Maler sein Bild setzen wir die Landschaft aus den einzelnen Dingen, die wir sehen, nicht „mechanisch zusammen“8, also nicht auf eine von diesen Dingen nach physikalischen Gesetzen verursachte Weise. Soweit, in recht freier Interpretation, Simmel. Sieht man das so, dann ergeben sich einige wichtige Konsequenzen: 1. Das Problem, das wir oben mit der Frage hatten, wessen Eigenschaft die Stimmung sei, die der Landschaft oder die des Betrachters, wirkt nun nicht mehr so groß. Wenn die Landschaft das Gemälde ist, das ich mir im Geist von der Gegend mache, dann erscheint diese Frage einfach falsch gestellt, wie bei einem Gemälde auf der Leinwand auch. Ich habe ja das erzeugt, was nun ganz real vor mir steht – real in einem zweifachen Sinn: (a) weil sich das Gemälde durchaus als etwas Wirkliches außerhalb von mir befindet; und die Landschaft vor meinem inneren Auge ist ja etwas, auf das ich blicke (und doch ist sie mein Erzeugnis, nicht anders als das Bild auf der Leinwand). (b) Die Landschaft, die ich „abgemalt“ habe, befindet sich außerhalb von mir, auch wenn von dem, was vor mir ist, nur das die Landschaft ist, was ich durch meine Aktivität dazu mache. 2. Jeder malt in seinem Geist ein anderes Bild, erzeugt von oder aus derselben Gegend eine andere Landschaft. Das bedeutet, dass Landschaft etwas Subjektives ist. Es gibt in einer jeden Gegend unendlich viele mögliche Landschaften, wenn auch nicht beliebige, denn die Magdeburger Börde lässt sich nicht als Hochgebirgslandschaft darstellen. Die reale Gegend hat also durchaus ihren Einfluss, indem sie die Möglichkeiten der Darstellung begrenzt. Aber doch gibt es unendlich viele mögliche Landschaften, weil es unendlich viele mögliche Weisen des Malens im Geist gibt. Jeder malt, d.h. sieht, etwas anderes. Für den einen ist das eine schöne Landschaft, was für den anderen eine zerstörte ist, für den einen ist es eine düstere, für den anderen eine heitere. Für den einen ist es eine
7
Ebd.
8
Ebd.: 141.
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historisch bedeutende, für den anderen, dem die Epoche, deren Überreste man hier überall sieht, nichts bedeutet, eine historisch bedeutungslose. 3. Es gibt keinen Maler, der nicht einer Kunstrichtung angehört. Darum ist die Landschaft doch nicht einfach etwas individuell Verschiedenes. Denn es kann nicht jeder malen, wie es ihm beliebt. Die Auswahl dessen, was man als der Darstellung wert erachtet, dessen Anordnung usw. ist nicht beliebig, sondern jeder unterliegt Regeln, etwa den Kompositionsregeln seiner Epoche, seiner stilistischen Richtung. Der Maler im Geiste ist Kind seiner Zeit, gehört einer bestimmten Kultur an, einer bestimmten sozialen Gruppe mit bestimmten geschmacklichen Vorlieben, neigt einer bestimmten Weltanschauung zu, die bestimmte Dinge in der Landschaft liebt oder der sie ein Gräuel sind. Darum kann es von der Landschaft, also von den Gemälden im Geist, überhaupt eine Wissenschaft geben. Sonst hätte man nur eine unübersehbare Menge individuell verschiedener Gemälde vor sich. Nun aber lassen sich Muster erkennen, Regeln und Gesetze, nach denen es beim „Malen“ zugeht. 4. Angehörige mancher Stilrichtungen malen vielleicht nie Landschaften, sondern etwas anderes; die Angehörigen mancher Kulturen malen vielleicht gar nicht. Landschaft, heißt das, ist kulturrelativ.9 Daraus folgt: Auch wenn heute über die Zerstörung der Landschaft im Allgemeinen so geredet wird, als wäre das ein Aspekt eines übergeordneten Problems, des sogenannten Umweltproblems, so geht es doch um etwas ganz anderes. Bei „Umweltschäden“, z.B. solchen, die durch Schadstoffe hervorgerufen werden, handelt es sich um einen gut definierten Sachverhalt, der jeden Menschen, als ein physisches Wesen, prinzipiell in der gleichen Weise betrifft. Wenn wir aber von der überwältigenden Hochgebirgslandschaft der Anden sprechen, dann bedeutet das nur, dass sie für uns überwältigend ist. Für ihre Bewohner mag das ganz anders sein, und was für uns eine Zerstörung dieser Landschaft ist, muss für sie keine sein. Für die eine Kultur bedeutet Landschaft etwas anderes als für die andere, und für manche Kulturen gibt es Landschaft vielleicht gar nicht, denn sie malen in ihrem Geist nicht Landschaften. Wir werden noch sehen, dass diese Art von künstlerischer Tätigkeit auch bei uns wahrscheinlich nicht allzu alt ist.
9
In der klassischen Geografie hat man versucht, das Problem, das sich durch die üblichen leerformelhaften Landschaftsdefinitionen ergab (siehe unten S. 52) – nämlich dass man kein Kriterium hatte, um unter dem unendlich Vielen, was man „an der Erdoberfläche“ untersuchen könnte, auszuwählen oder wegzulassen –, dadurch zu lösen, dass man die Bedeutung für „den Menschen“ zu einem solchen Kriterium machte. Für das Abstraktum „der Mensch“ gibt es aber Landschaft nicht, sondern nur für bestimme Kulturen.
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Die Kulturrelativität zeigt sich auch in der Sprache. Mit anderen Sprachen als der deutschen wäre bei der Betrachtung des Sprachgebrauchs vielleicht etwas ganz anderes herausgekommen. Selbst bei nahe verwandten Sprachen – und Kulturen – wie der deutschen und der französischen findet man bereits erhebliche Unterschiede. „Landschaft“ wird in den Wörterbüchern mit „paysage“ übersetzt. Aber die paysage ist nur Bild. Im Deutschen würden wir an dieser Stelle eher „Landschaftsbild“ sagen, während „Landschaft“ auch das materielle Objekt, das im Bild dargestellt ist, bedeuten kann und meist auch (mit) bedeutet; das wird im Französischen, ebenso wie der ländliche Charakter, den „Landschaft“ unvermeidlich hat10, eher mit „campagne“ bezeichnet.11 Dass man sich als Landschaftsplaner besonders um die Ökosysteme der Gegend, die man Landschaft nennt, kümmern muss, ist in Deutschland recht selbstverständlich, in Frankreich aber nicht so ohne Weiteres einzusehen, auch in Italien und in England nicht. Landschaft ist dort im Wesentlichen eine Sache der Kunst- und Kulturgeschichte, nicht der Ökologie, also eines Teils der Biologie.12 Es kann sein, dass es in Frankreich nicht so einfach gewesen wäre, Leser mit der Frage in Verwirrung zu setzen, ob Landschaft ein betrachterunabhängiger Gegenstand sei oder nicht.
10 „Unter ästhetischer Landschaft (der Natur oder der Stadt) verstehe ich [...]“, beginnt Seel 1997: 1, Hervorhebung L.T.) seine Definition. Aber dass Landschaft Stadt sein könne, würde in etlichen Epochen und Kulturen nicht akzeptiert werden. Im Deutschen muss eigens „Stadtlandschaft“ gesagt werden, und dieses Wort wird man kaum der Allgemeinsprache zuordnen können, es ist fachsprachlich (Drexler 2010: 21). – Wichtig ist hierbei der Unterschied zwischen Landschaft1 und Landschaft2. Der Blick über eine Stadt kann eine Landschaft (Landschaft1) zeigen, der Blick durch die Straßen und zwischen den Häusern hindurch kaum (allenfalls eine fachsprachliche „Stadtlandschaft“), und um eine Landschaft2 handelt es sich in keinem Fall. 11 Oßwald 1977, Leuprecht 1996; ausführlich zu den Unterschieden zwischen Bedeutungen von Landschaft in verschiedenen europäischen Ländern bzw. Sprachen Drexler 2010, vor allem Kap. 2. 12 Die – verglichen mit der entsprechenden deutschsprachigen geringfügige – Buchproduktion mit dem englischen „landscape“ im Titel gehörte in den ersten 2/3 des 20. Jahrhunderts zu 80 % in die Gruppen „landscape gardening“, „landscape architecture“ und „landscape beautification“ sowie in die Literatur zur Malerei und überhaupt in die kunstwissenschaftliche Literatur. In Deutschland war das ganz anders, die Landschafts-Literatur ist „ideologisch-weltanschaulich“ und „späterhin ‚landschaftsökologisch‘“ gefärbt (Hard 1969: 260; siehe auch S. 187).
3. Zur Entstehung des landschaftlichen Blicks
3.1 Z UR E NTSTEHUNG
DES
L ANDSCHAFTSGEMÄLDES
Dass man überhaupt auf den Gedanken kam, Landschaft könnte vielleicht für die Menschen früherer Zeiten gar nicht vorhanden gewesen sein, soll an Folgendem gelegen haben: Man bemerkte, dass es in der Antike und im Mittelalter zwar Naturdarstellungen gab (Tiere, Pflanzen), aber keine Landschaftsgemälde und auch keine Landschaftsbeschreibungen; allenfalls beiläufig wurde etwas geschildert, was uns einer Landschaft ähnlich zu sein scheint. Das ist schon vor längerer Zeit aufgefallen. Schiller etwa hat sich darüber gewundert, dass die alten Griechen und Römer sich für die Landschaft, die ja gerade zu seiner Zeit von ganz außerordentlicher Bedeutung war, offenbar kaum interessierten.1 Im frühen Mittelalter waren auf einem Gemälde meist zahlreiche uns sehr verschiedenartig vorkommende Einzelbilder zu sehen. Sie waren nicht Abbildungen realer Dinge, zumindest war das nicht das Wichtige an ihnen, sondern waren durchweg Symbole. Jedes für sich versinnbildlichte die göttliche Ordnung. Das bestimmte auch ihre Anordnung auf dem Gemälde. Diese hatte wenig damit zu tun, dass die dargestellten Dinge irgendwo auf der Welt in dieser räumlichen Anordnung zu sehen waren.2 Hat man Menschen gemalt, dann nicht realistisch, sondern eher nach ihrem Rang geordnet. Der König war größer als seine Untertanen, normale Menschen waren kleiner als Heilige. Das änderte sich auch dann nicht, wenn die letzteren weiter entfernt waren – sie waren ja in Wirklichkeit größer, d.h. bedeutender, und dieses Verhältnis konnte sich nicht durch etwas so Unwesentliches wie die Entfernung umkehren. Hinter diesen Figuren war
1
In Über naive und sentimentalische Dichtung.
2
„Die religiöse Kunst gibt kein räumliches Schema, da eine räumliche Distanz im Heiligen, das in der Innenschau erfahren wird, gar nicht gedacht wird. Das Heilige ist nah und fern zugleich.“ (Bohr 2008: 55)
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ein einheitlicher Goldgrund zu sehen, Symbol der jenseitigen Welt, deren Glanz ins Diesseits leuchtet. Im Hochmittelalter ist der Goldgrund immer noch da und im Mittelpunkt stehen nach wie vor Herrscher oder religiöse Gestalten. Doch sind hinter diesen oft auch einige Gebäude oder auch Berge zu erkennen.3 Im Spätmittelalter ist häufig schon etwas dargestellt, zu dem man heute „Landschaft“ sagen möchte. Aber diese ist nur Hintergrund, eine Art Bühnenbild. Das, worum es auf dem Gemälde geht, sind z.B. biblische Szenen, die im Vordergrund dargestellt sind.4 Dahinter allerdings ist immerhin kein Goldgrund mehr zu sehen, sondern eben eine Landschaft. Und wieder einige Zeit später, in der frühen Neuzeit, hat sich die Gewichtung verkehrt. Die Figuren auf manchen Gemälden5 haben nun offensichtlich keine eigenständige Bedeutung. Nicht diese Menschen sollten dargestellt werden und man brauchte die Landschaft als Hintergrund, sondern die Landschaft wird dargestellt und die Figuren sind deshalb zu sehen, weil sie typischerweise zur Landschaft gehören, und wenn noch religiöse Szenen dargestellt sind, dann oft so klein, dass sie kaum mehr auffallen und man erst durch den Namen des Bildes auf sie aufmerksam wird. Die Ordnung des Bildes ist eine völlig andere geworden. Die mittelalterlichen Gemälde waren flächig, ein Arrangement von Symbolen auf einer Tafel. Nun liegen die dargestellten Gegenstände hintereinander, das Bild hat eine Tiefendimension – so wie das, was man in der Wirklichkeit sieht; zumindest scheint es uns so. Und wie beim wirklichen Sehen wird das, was man sieht, nie anders als von einem bestimmten Punkt aus gesehen. Es gibt immer einen festen Betrachterstandpunkt. Etwas, was dem Mittelalter ganz unbekannt war, entsteht: die Zentralperspektive.6 Auf mittelalterlichen Gemälden stand, symbolisch, Gott
3
Zum Beispiel die Pfingst-Darstellung aus dem Ingeborg-Psalter oder Giottos Franziskus predigt zu den Vögeln.
4
Zum Beispiel Die Madonna des Kanzlers Nicolas Rolin von Jan van Eyck (um 1435) oder Der wunderbare Fischzug von Konrad Witz (1444).
5
Zum Beispiel von Paul Bril Phantastische Gebirgslandschaft (1598) oder Claude Lorrains Landschaft mit der Flucht nach Ägypten (1647).
6
Siehe dazu Panofsky 1992 (zuerst 1927), Piepmeier 1980: 15 f. – Die Perspektive des Betrachters bzw. Künstlers hat sich nach ihrer Entstehung nicht ohne Weiteres durchgesetzt. Insbesondere im Barock gab es, wie in dieser Zeit auch in anderer Hinsicht, Rückwendungen zu früheren Darstellungsprinzipien. Der Barockgarten beispielsweise ist nicht aus der Perspektive des Betrachters entworfen, sondern aus der Perspektive von oben, also der Perspektive Gottes (die im Mittelalter allerdings keine räumliche war, siehe unten). Er enthält aber auch privilegierte Punkte, von dem aus er wirklich
3. Z UR E NTSTEHUNG
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im Mittelpunkt, nicht der Mensch, der von seinem zufälligen, ständig wechselnden, ganz unwichtigen Standpunkt aus in die Welt sieht. Das macht verständlich, warum die dargestellten Dinge ihre wirkliche Größe hatten. Das heißt ja nichts anderes als die Größe, die sie im Auge Gottes haben, nicht die, in der sie uns beim Sehen erscheinen; das scheint uns nur wirklich zu sein. – Wenn es der einzelne betrachtende Mensch ist, der immer den zentralen Punkt einnimmt, dann versteht man auch, wieso gleichzeitig mit Landschaften Porträts, also Darstellungen individueller Menschen entstehen.7 Individuelle Menschen sind ja die Betrachter, in deren Auge alle Strahlen zusammenlaufen. Vorher hat man keine individuellen Menschen gemalt, sondern typisierte, also bloße Repräsentanten von Gruppen wie Herren oder Knechte, Sünder oder Gerechte. Das Gemälde wird auf neue Weise zu einer Einheit. Diese war vorher dadurch gewährleistet, dass jedes einzelne Element symbolisch auf Gott und damit auch auf das von einem Punkt aus geordnete Ganze der Schöpfung verwies. Nun aber wollen „die Bilder [...] als Kompositionen gelesen werden und enthalten Sinn nur im Inneren der Ganzheit der Komposition“.8 Für sich ist das einzelne Element tendenziell ohne Bedeutung. Die Komposition der Elemente, d.h. die Ordnung, die sie im Auge des Betrachters haben, ihre sichtbare, nicht ihre symbolische Ordnung, wird vor allem durch den Horizont bestimmt. Auf ihm gehen die parallelen waagrechten Linien ins Unendliche. Er ist nicht ein Ding neben anderen dargestellten Dingen.9 Vielmehr ist er die Grenze dessen, was dargestellt werden kann; hinter ihm liegt das Jenseits der darstellbaren Welt – die unerkennbare, jenseitige Ferne, für die früher der Goldgrund stand. Die Symbolik des Bildes wird in der ganzen folgenden Zeit gleichsam vom Horizont organisiert: davon, wie man sich das Verhältnis der erkennbaren bzw. sichtbaren und darstellbaren Welt zu dem, was jenseits des Horizonts liegt, denkt – davon z.B., ob man die Aufgabe des Menschen in der fortwährenden Überschreitung dieser Grenze sieht oder ob diese sinnbildlich für die jenseitigen Geheimnisse steht, die unser Verstand nie wird ergründen können.10
zu betrachten ist: aus der Perspektive des Herrschers, der an der Stelle steht, an der die Strahlen zusammenlaufen (siehe auch unten Kap. 3.1). 7
Piepmeier 1980: 16.
8
Koschorke 1990: 88.
9
Ebd.: 77.
10 Siehe unten S. 110, 114 f., 122, 132 ff. Ausführlich dazu Koschorke 1990.
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3.2 I ST L ANDSCHAFT EIN ABENDLÄNDISCH NEUZEITLICHES P HÄNOMEN ? Etwa in dieser Zeit, vom späten Mittelalter bis in die frühe Neuzeit, erlangte Landschaft also Bedeutung. Man hat sie gemalt, schließlich sogar allein gemalt – nicht nur als Zutat zu oder Teil von etwas anderem, als Hintergrund einer Heiligenszene beispielsweise. Sondern man malte eben die Landschaft, sie selbst war das, weswegen man das Gemälde überhaupt anfertigte. Die Frage stellt sich, woran es gelegen hat, dass erst ab einer bestimmten Zeit, und eben dieser Zeit, Landschaft dargestellt wurde und einige Zeit darauf eine überragende Rolle in der Kunst bekam. Zuerst in den Niederlanden und in Italien entstanden Gemälde, die man Landschaften nannte. Es war nicht die Gegend, die abgebildet wurde, welche Landschaft hieß11, sondern das Gemälde selbst war die Landschaft.12 Woran also lag das? Meist wird gesagt, die Landschaft „entstand“. Was heißt das aber? Hat es Landschaften vorher nicht gegeben? Manche würden wohl sagen: Gegeben hat es sie schon immer, aber man hat sie nicht gesehen. Hat man sie nicht sehen können? Oder hat man sie zwar gesehen, aber nicht weiter beachtet? Oder hat man sie doch beachtet, nur nicht dargestellt? Es könnte ja Gründe gegeben haben, weshalb man etwas, was man sieht und was durchaus wichtig ist, nicht darstellt – vielleicht weil das als sündhaft gilt. Ich werde diese Fragen nicht zu beantworten versuchen, sondern nur die heute wohl vorherrschende Meinung referieren. Wenn man den Satz „Landschaft gab es nicht“ für sinnvoll13 hält, dann stellt sich die Frage, in welchem Sinn er sinnvoll ist. Was heißt „gab“? Sicher kann er nicht bedeuten, dass es Landschaft in dem Sinne nicht gab, wie es damals Autos oder Dampfschiffe und manche andere physische Dinge nicht gab. In ihren physischen Eigenschaften hat sich die Gegend dadurch, dass sie gemalt und also auch wahrgenommen wurde – mit Simmel: im Geist als embryonales Gemälde gemalt wurde –, ja nicht verändert, geschweige denn, dass auf dieser physischen Ebene etwas ganz Neues entstanden wäre. Aber Landschaft gehört gar nicht dieser physischen Ebene an (zumindest nicht Landschaft in der Bedeutung von Landschaft1, bei Landschaft2 ist es komplizierter). Das Gemälde ist zwar nicht
11 Siehe dazu aber unten Kap. 6.3.3. 12 Siehe oben S. 31 f. 13 Vermutlich halten ihn die meisten derer für sinnvoll, die sich wissenschaftlich mit dieser Frage befassen. (Aber ob Mehrheit oder nicht: Das ist, anders als man heute oft meint, für die Frage, ob der Satz sinnvoll ist, völlig irrelevant.)
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unabhängig von der gemalten Wirklichkeit, aber vor allem nicht unabhängig vom Maler. Ohne den Maler gibt es kein Gemälde. Landschaft ist, wie wir mit Simmel sehen konnten, nicht die Gegend, wie sie unabhängig vom Betrachter existiert, sondern die Gegend, wie sie im Geist des Betrachters gemalt wird. Es gibt die Landschaft also nicht, wenn niemand sie nicht sieht oder sie sich vorstellt. Am deutlichsten wird der Sinn des Satzes „Landschaft gab es nicht“ vielleicht, wenn wir uns an die obigen Ausführungen zur Stimmung der Landschaft erinnern. Man kann die Stimmung sogar als die wesentliche Eigenschaft der Landschaft bezeichnen, als das, was eine bloße Gegend zu einer Landschaft macht. Die Stimmung vor allem ist es, was all den verschiedenen Dingen um uns herum Einheit gibt; es ist die ganze Landschaft, die diese eine Stimmung hat, und nichts sonst scheint es zu geben, was man gleichermaßen einleuchtend eine Eigenschaft der ganzen Landschaft, die um einen ist, nennen könnte. Kann man nun sagen, es gibt die Stimmung, wenn sie nicht wahrgenommen wird? Wie immer der Streit ausgehen mag, ob die Stimmung eine Eigenschaft der Landschaft ist oder des Betrachters oder ob dies gar nicht die Alternativen sind: Sie ist auf jeden Fall nicht eine Eigenschaft, die der Gegend auch zukäme, wenn es gar keine möglichen Betrachter gäbe, so wie man doch sagen würde: dass der Boden hier kalkhaltig ist – diese Eigenschaft hätte die Gegend auch, wenn es gar keine Menschen gäbe, die das bemerken könnten.14 Darum muss man wohl sagen, dass ein Gegenstand, dessen wesentliche Eigenschaft es ist, eine Stimmung zu haben, erst in dem Moment entsteht, in dem er wahrgenommen werden kann, Und darum scheint dies eine ganz sinnvolle Redeweise zu sein: Die Gegend mit all den Dingen darin war vorher schon da, aber die Landschaft ist nun erst entstanden. Wenn sie (nach Simmel) ein Gemälde in statu nascendi ist, dann bedarf es zu ihrer Entstehung des „Malers“.15 Eine Analogie: Man kann in die Wolken verschiedene Bilder hineinsehen. Die Wolken waren vorher schon da, aber keines der Bilder. Durch deren Entstehung werden die Wolken nicht verändert, die
14 Bei dem, was oben Landschaft2 genannt wurde, könnte man vielleicht meinen, die Stimmung wäre eine objektive Eigenschaft einer bestimmten Landschaft: Die Nordseeküste hat eine bestimmte Stimmung unabhängig davon, ob dort gerade Menschen sind, die sie empfinden. Aber es werden doch Menschen als mögliche Empfindende vorausgesetzt, um überhaupt sinnvoll von der Stimmung dieser Landschaft sprechen zu können, und zwar immer Menschen einer bestimmten Kultur. 15 Ausführlich zu dem Problem, ob Landschaft „angeeignet“ oder „erschaffen“ ist: Dinnebier 2004.
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Bilder dagegen verändern sich sowohl durch die Veränderung der Wolken als auch durch Veränderungen in der Phantasie des Betrachters. Wenn aber die Landschaft irgendwann in der Geschichte entstanden ist – ist sie dann nur einmal entstanden? Ist es richtig, was wohl die Meinung der Mehrheit der Fachleute ist: dass sie ein neuzeitlich-abendländisches Phänomen ist? Man wird sicher fragen, ob es dieses Phänomen nicht auch noch anderswo und zu anderen Zeiten gibt oder gab. Hier ist ein methodologischer Einschub erforderlich. Er ist auch deshalb notwendig, weil man andernfalls nicht nur dies, sondern auch vieles andere, was anschließend über die Geschichte der Landschaftsidee ausgeführt wird, gründlich missverstehen könnte. Es soll begründet werden, warum dann, wenn hier von Landschaft als einem neuzeitlich-abendländischen Phänomen die Rede ist, gar nicht die Behauptung impliziert ist, dass man anderswo jenes Erzeugen eines Kunstwerks in statu nascendi nicht erlernt hat. Exkurs zur Methode 2: Idealtypen Begriffe sind in den Geistes- und Sozialwissenschaften sehr oft, vielleicht sogar meist Typenbegriffe, im günstigen Fall idealtypische Begriffe. In den Naturwissenschaften sind Begriffe dagegen meist Klassenbegriffe16. Gemeint ist damit Folgendes: Zu einer Klasse gehört alles, was die Merkmale aufweist, durch die diese Klasse definiert ist. Die Zuordnung ist eindeutig und es gibt keine Unterschiede im Grad der Klassenzugehörigkeit unter den Klassenmitgliedern. Zur Klasse derer mit „Hochschulreife“ gehören alle, die – das sei das Merkmal, das die Klasse definiert – ein Abiturzeugnis rechtmäßig besitzen. Ob dieses Zeugnis gut ist oder schlecht – sie haben alle gleichermaßen die Hochschulreife. In den Naturwissenschaften sind die Begriffe, wie gesagt, in der Regel von dieser Art. In den Geistes- und Sozialwissenschaften dagegen benutzt man häufig, vielleicht überwiegend Begriffe, die Typen bezeichnen. Beispielsweise werden Begriffe wie Romantik, Kapitalismus oder Religion vorwiegend so verwendet. Man kann auch bei diesen Begriffen nach der Logik der Klassenbildung vorgehen, nämlich Klassen durch Festsetzung der Merkmale, die ein Objekt haben muss, um zu dieser Klasse zu gehören, eindeutig definieren. Man kann z.B. als Gattungsbegriff „Kunstrichtung“ nehmen, und als spezifisches Merkmal wählt man eine Eigenschaft oder mehrere, die die Romantik als der Gattung untergeordnete Klasse, d.h. als „Art“ im logischen Sinne, von anderen Kunstrichtungen eindeutig unterscheiden. Ein typischer Kunsthistoriker würde allerdings sagen: So machen wir das im Allgemeinen nicht, denn das wäre für
16 In der Diskussion, in welcher vor 100 Jahren der Begriff des Idealtyps eingeführt wurde, sprach man von Gattungsbegriffen.
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unsere Zwecke wenig hilfreich. Er wird vielmehr, ob er sich nun dessen bewusst ist oder nicht, „Romantik“ im Sinne eines Typs verwenden. Bevor ich zu dem speziellen Begriff des Idealtyps komme, will ich auf den Unterschied zwischen Klasse und Typ im Allgemeinen eingehen. Um es zu wiederholen: Eine Klasse ist durch das Vorliegen eines bestimmten Merkmals (oder mehrerer Merkmale) definiert; das Vorhandensein dieses Merkmals an einem Objekt zeigt, dass das Objekt zu der durch die Festlegung des Merkmals definierten Klasse gehört, und diese Zuordnung ist eindeutig. Wenn man aber von einem Typ spricht, gibt es diese Eindeutigkeit nicht. Das wird nicht immer bemerkt, weil man das Wort Typ manchmal synonym mit dem Wort Klasse benutzt17. Aber so, wie man in der Alltagssprache in der Regel „Typ“ verwendet und auch wie man dieses Wort im Zusammenhang mit dem Begriff des Idealtyps gebraucht, ist der Unterschied fundamental. Die Klasse der Bayern – im Sinne der Einwohner des Bundeslands Bayern – sei durch ein bestimmtes Merkmal definiert, z.B. durch den Erstwohnsitz. Damit ist eindeutig festgelegt, wer ein Bayer ist und wer nicht. Ein typischer Bayer aber spricht einen bestimmten Dialekt, trägt Lederhosen und trinkt Bier aus großen Krügen. Das trifft nun keineswegs auf die meisten und auch nicht auf den Durchschnitt der jener Klasse der Bayern angehörenden Menschen zu; nicht nur einige wenige weichen davon ab, vielmehr steht die große Mehrzahl wenigstens heute dem Typ des Bayern sehr fern. Falls man einwendet, der beschriebene Typ sei ohnehin ein Klischee und habe mit der Wirklichkeit nichts zu tun, so kann man auch ein gewissermaßen solideres Beispiel nehmen. „Barock“ kann man als Klasse z.B. durch die Angabe eines Zeitabschnitts eindeutig definieren, in dem das betreffende Kunstwerk entstanden sein muss. Meist aber wird ein Kunsthistoriker „Barock“ als Typ zu beschreiben versuchen. Er wird beschreiben, wie ein typisches barockes Kunstwerk beschaffen ist. Merk_male, die eindeutig die Zugehörigkeit bestimmen, wird er kaum nennen können. Er wird eine große Zahl von Eigenschaften anführen, die mehr oder weniger im einzelnen Fall vorhanden sind und von denen vielleicht jede einzelne auch fehlen kann, und er wird von den einzelnen Eigenschaften auch angeben, wie wichtig sie für die Frage sind, ob man das Werk dem Barock zuzählen sollte. Diese Wichtigkeit ist für ihn aber sicher keine feste Größe, sondern hängt davon ab, welche anderen Merkmale noch anzutreffen sind. Man sieht:
17 „Drittens endlich nimmt der Typus zuweilen noch die Bedeutung an, dass er lediglich eine formale Eigenschaft bezeichnet, die den Gliedern einer Gattung oder mehreren Gattungen gemeinsam zukommt.“ (Wilhelm Wundt [Log. II, 48], zit. n. Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, S. 3507)
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1. Der Klasse gehört etwas eindeutig zu oder nicht. Mit dem Typ ist dagegen ein Kern beschrieben, um den es einen mehr oder weniger breiten Übergang zu dem gibt, was nicht mehr dem Typ entspricht. Der Kern kann beliebig klein sein; möglicherweise gibt es gar nichts, was ihm, also „dem Typ“, voll und ganz entspricht, und trotzdem kann dieser Begriff des Typs sinnvoll sein. Warum das so ist, wird noch deutlich werden. 2. Was den Typ ausmacht, hängt von den Interessen und der Sichtweise derer ab, die den Typ bilden. Gerade das Klischee zeigt das: Unser Beispieltyp des Bayern wurde offensichtlich unter dem Einfluss bestimmter Interessen vorwiegend von Nichtbayern gebildet. Aus einer anderen Perspektive wäre es absurd erschienen, derartige Eigenschaften zum Typ zu verbinden. 3. Der Typ liegt nicht einfach vor, sondern wird gebildet, aber doch nicht nach Belieben. Man muss die Realität beachten. Die Realität, der der Typ entsprechen – was immer das heißen mag – soll, ist historisch veränderlich. Manche würden vielleicht heute meinen, zu einem typischen Bayern gehöre, dass er Geld hat und einen BMW fährt. Diese Auffassung wäre vor wenigen Jahrzehnten ganz unmöglich gewesen, und dem Typ des Bayern die typischen Eigenschaften eines Berliners oder Westfalen zuzuschreiben, wäre einfach falsch. Ein Idealtyp ist im Grunde das, was eben als alltagssprachliche Bedeutung von „Typ“ beschrieben wurde, mit dem Unterschied, dass bei der Bildung von Idealtypen klar begriffen ist, was bei der gewöhnlichen Typenbildung mehr oder weniger unbewusst getan wird, und dass daraus einige methodische Konsequenzen gezogen werden. Auf dieser Grundlage wurde von Max Weber eine Methode der Rekonstruktion historischer Phänomene entwickelt. Hier zwei Zitate: Der Idealtypus „wird gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbilde.“
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„Er ist nicht eine Darstellung des Wirklichen, aber er will der Darstellung eindeutige Ausdrucksmittel verleihen.“
19
Der Idealtyp ist also nicht die Wirklichkeit.20 Er ist vielmehr ein Bild, das wir uns in Gedanken machen.21 Dieses Bild ist keine 1:1-Abbildung der Wirklich-
18 Weber 1988: 190 f. 19 Ebd.
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keit, sondern es ist eine „methodisch geleitete Überhöhung der Realität“22. Der Idealtyp ist nicht ihre Darstellung, er dient nur ihrer Darstellung, und zwar indem er eindeutige Mittel bereitstellt. Die Darstellung geschieht durch Verknüpfung von Begriffen, und diese Begriffe müssen eindeutig definiert sein, und die „Einzelerscheinungen“, bzw. die Begriffe der einzelnen Elemente der Wirklichkeit müssen widerspruchsfrei zusammengeführt werden. Dies nicht, weil die Wirklichkeit widerspruchsfrei wäre – im Gegenteil, Idealtypen sind logisch konsistente Gebilde, die Wirklichkeit aber, deren Darstellung sie ermöglichen sollen, ist „ein Chaos unendlich differenzierter und höchst widerspruchsvoller Gedanken- und Gefühlszusammenhänge“23. Ohne Idealtypenbildung erkennt man nur ein Wirrwarr von Bedeutungen, die in unbestimmter Weise ineinander übergehen. (Tun sie das nicht, hat man unausgesprochen doch Idealtypen gebildet.)24 Durch Vergleich der empirisch erfassten Wirklichkeit mit dem konstruierten Gedankenbild wird dieses Chaos geordnet und so verständlich. Man wird z.B. Übereinstimmungen im Werk zweier Schriftsteller finden. Es erschien das zunächst sehr unterschiedlich, doch beim Vergleich mit einem systematisch und logisch konsistent konstruierten Idealtyp zeigen sich Gemeinsamkeiten. Damit wird man beide einer bestimmten Richtung zuweisen können. Vielleicht wird man auch übliche Zuordnungsmuster in Frage stellen können, weil man gefunden hat, dass eine bestimmte Kombination von Stilelementen, die der Logik dieser idealtypischen Konstruktion nach für diese Muster von besonderer Bedeutung ist, fehlt. Man macht also das, was man ohnehin tut, wenn man z.B. sagt, dieser oder jener Schriftsteller gehöre gar nicht dem Sturm und Drang an, denn dieses oder jenes typische Merkmal dieser Richtung fehlt bei ihm; oder wenn man sagt, den Begriff der Romantik müsse man fallenlassen, da die Unterschiede zwischen Früh- und Spätromantik allzu groß sind, während die zwischen jeder dieser beiden vermeintlichen Romantik-Varianten und anderen Kunstrichtungen viel geringer sind. Aber man tut dies nun in methodisch kontrollierter Weise. Durch den Vergleich der empirischen Befunde mit dem Idealtyp kann man umgekehrt das Gedankenbild berichtigen. Denn natürlich besteht die Gefahr, die tatsächlichen Sachverhalte, etwa die in einer politischen Richtung tatsächlich
20 „Das konstruierte Individuum (Einzelperson oder Institution)“ existiert „lediglich innerhalb des Netzes von wissenschaftlich erarbeiteten Beziehungen“ (Bourdieu 1988: 34). 21 Zum Unterschied zwischen Idealtypen und Realtypen siehe z.B. Voigt 2008: 40 f. 22 Nonnenmacher, 1989: 15. 23 Weber 1988: 197. 24 Kirchhoff /Trepl 2009.
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vertretenen Auffassungen, so zurechtzubiegen, dass sie den idealtypischen Unterscheidungen entsprechen.25 Das muss nicht bedeuten, dass man nun den Idealtyp der Realität anpassen muss in dem Sinne, dass man etwa dann, wenn man die ausgewählten und überhöhten „Einzelerscheinungen“ in der Realität nur selten findet, sie durch die häufigen ersetzen muss. Es könnte auch bedeuten, dass man sich darüber klar werden muss, unter welcher Fragestellung diese seltene Kombination von Elementen sinnvoll ist. Man denke an den klischeehaften typischen Bayern. Der Vergleich mit der Realität könnte zu der Aussage führen: Der typische Bayer ist in Wirklichkeit ganz anders, und dazu wird der Vergleich im Alltagsdenken in der Regel auch führen. Benutzt man die Idealtypenmethode, für die ja wesentlich ist, dass sie sich dessen bewusst ist, dass sie Konstruktionen unter bestimmten Fragestellungen vornimmt, könnte das Ergebnis des Vergleichs mit der Realität aber auch sein, dass erkennbar wird, welche Art von Fragestellung, welche dahinterstehenden Interessen zu gerade diesem seltsamen Typus geführt haben. Dieser muss dann nicht berichtigt werde, sondern man kann den Zusammenhang benennen, in dem er eine Funktion erfüllt. Auch wenn er nicht bewusst diese Methode anwendet, wird ein Historiker Typenbegriffe verwenden, z.B. Hellenismus oder Rittertum, Renaissance oder Klassische Moderne. Er wird oft mehr ahnen als wissen, was er eigentlich damit meint. Der Soziologe Pierre Bourdieu schreibt, ohne sich explizit auf die Methode der Idealtypenbildung zu beziehen, über die auch in der Wissenschaft weithin übliche, der Alltagsverwendung der Begriffe entsprechende Methode, Phänomenen Namen zu geben: „Wie sich ein Etikett jedem beliebigen Gegenstand aufkleben lässt, spricht er [der Name] eine Differenz des von ihm Bezeichneten aus, ohne genau zu benennen, worin es denn differiert; als Hilfsmittel zum Wiedererkennen, nicht zum Erkennen, markiert der Eigenname ein global als einzig-
25 Ebd. Ein naheliegender Einwand ist, dass die Typenbildung die Realität grob vereinfacht. Das ist allerdings auch gar nicht anders möglich – würden wir deshalb auf Typenbildung verzichten, verlören wir jede Orientierung. Die grobe Vereinfachung ist aber in Wirklichkeit gar kein Problem. Es ist immer möglich, seine Idealtypen zu differenzieren, wenn man in dem analysierten Material Unterschiede findet, die bei der Idealtypenbildung nicht berücksichtigt wurden (siehe Kap. 3.1 in Kirchhoff 2007). Vor allem aber muss man bedenken, dass die Methode der Idealtypenbildung hilft, Differenzen zu finden, die man sonst gar nicht bemerken würde. Gerade wenn der Idealtyp bestimmte Sachverhalte explizit nicht vorsieht, werden sie auffallen. „Er hat, wenn er zu diesem Ergebnis führt, seinen logischen Zweck erfüllt, gerade indem er seine eigene Unwirklichkeit manifestierte.“ (Weber 1988: 203, Hervorhebungen im Original)
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artig, d.h. als unterschieden erfasstes, aber in seinem Unterschied nicht analysiertes empirisches Individuum.“26 In der Wissenschaft aber habe man sich mit konstruierten Individuen zu befassen.27 Mit der Idealtypenmethode gibt man nicht vage erkannten Typen Namen, sondern konstruiert Begriffe von Individuen auf eindeutige Weise. Das konstruierte Individuum ist „durch eine endliche Menge klar definierter Eigenschaften bestimmt; diese unterscheiden sich von den Eigenschaftsmengen, die die anderen Individuen charakterisieren und die nach den gleichen expliziten Kriterien konstruiert sind, durch ein System angebbarer Unterschiede.“28 – In diesem Buch geschieht freilich nur in Ansätzen das, was den Namen einer präzisen Konstruktion verdient. Sehr oft gehe ich so vage vor wie die eben kritisierten Historiker. Wichtig ist allerdings, zu beachten, dass die zentralen Begriffe als Idealtypen gemeint sind. Wenn z.B. von der Landschaftsidee des Konservativismus die Rede ist, dann darf man sich unter diesem Begriff nicht all das vorstellen, was man im allgemeinen Sprachgebrauch heute mit Konservativismus alles meinen könnte, sondern was, wenn auch nicht mit aller wünschenswerten Präzision, hier in dieser Arbeit konstruiert worden ist.29 Man konstruiert also z.B. den Kern dessen, was Aufklärung ausmacht. Die Wirklichkeit kann man, wie ausgeführt, dann mit diesem Kern, den man eindeutig bestimmt hat, vergleichen und so ein genaues und differenziertes Bild davon erhalten, wie sich einzelne Phänomene jener Zeit, etwa der Landschaftsgarten, zur idealtypischen Aufklärung verhalten. Man kann z.B. prüfen, ob sich im Landschaftsgarten tatsächlich eine Versinnbildlichung der Ideen entdecken lässt, die man in der idealtypischen Konstruktion benutzt hat, um den Kern der Aufklärung eindeutig zu beschreiben, etwa eine genau bestimmte Vorstellung von Freiheit. Wenn man Idealtypen benutzt, dann ordnet man wirkliche Phänomene dem Typ zu. Man sagt z.B., dieser Landschaftsgarten sei ein typisch romantischer. Hier wird oft der Vorwurf erhoben, man stecke die Wirklichkeit in Schubladen. Aber der Idealtyp ist alles andere als eine Schublade, in die man z.B. eine bestimmte historische Person hineinsteckt und damit möglicherweise lobt oder (häufiger) verurteilt („er ist ein Romantiker“). Zur Schubladenbildung braucht
26 Bourdieu 1988: 61. 27 Ebd. 28 Ebd. 29 Ich verweise wenn möglich auf Literatur, in der die Konstruktion präzise durchgeführt ist. Ein Beispiel dafür ist im Falle des Konservativismus und anderer hier wichtiger politisch-weltanschaulicher Begriffe die im Folgenden oft zitierte Arbeit von Vicenzotti 2010; zum Konservativismus siehe dort S. 88-116.
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man Klassenbegriffe, denn bei diesen ist klar: Was das definierte Merkmal aufweist, das gehört eindeutig zu dieser Klasse. Mit der Idealtypenmethode erhält man kein Klassifikationsschema, sondern ideale Grenzbegriffe, die helfen, in der realen Welt Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufzufinden und begrifflich zu bestimmen.30 Bei der Idealtypenbildung kann nur herauskommen: In bestimmter Hinsicht stimmt, beispielsweise, das literarische Werk dieser Person mit dem von mir unter einer bestimmten Frage konstruierten Typ von Romantik überein. Die idealtypische Rekonstruktion von Begriffen wie Romantik dient, das sollte deutlich geworden sein, primär heuristischen Zwecken. Das heißt, sie dient dazu, Ideen zu bekommen, insbesondere Hypothesen aufzustellen über Zusammenhänge zwischen historischen Befunden.31 Solche Zusammenhänge könnten z.B. sein: Ein bestimmtes Theorieelement setzt bestimmte andere, in andere Idealtypen von Kunstrichtungen gehörige logisch voraus. So kann man verstehen, warum die eine der anderen historisch folgte und nicht umgekehrt. Oder: Ein solches Element ist nur möglich, wenn ein anderes gleichzeitig existiert, und es schließt auf der anderen Seite die gleichzeitige Existenz wiederum anderer Elemente aus. Es könnte beispielsweise sein, dass eine bestimmte, für den konstruierten Romantik-Idealtyp essentielle euphorische Auffassung von Natur bestimmte religiöse Vorstellungen, in denen die Natur abgewertet wird, ausschließt. Auf diese Weise kann man verstehen, wie es kommt, dass solche Gebilde wie die Romantik mehr sind als nur ein zufälliges gemeinsames Auftreten einer Reihe von einzelnen geistigen Phänomenen zu einer bestimmten Zeit. Oder man kann verstehen, warum man nie bei einem, den man mit guten Gründen dieser Richtung zuzählt, bestimmte Auffassungen findet, andere dagegen immer, wieder andere nur manchmal und wenn sie auftreten, dann stets nur in Verbindung mit bestimmten weiteren Auffassungen, die man sonst in dieser Kunstrichtung nicht findet. Gängige Begriffe wie Romantik können sich, wie schon angedeutet, im Zuge der Rekonstruktionsarbeit aber auch auflösen, oder es könnte sein, dass nur ein Teil des üblicherweise so Genannten einem brauchbaren Begriff von Romantik zuzuordnen ist. Er werde, schreibt Michel Foucault in seiner „Archäologie des Wissens“, „als anfänglichen Bezugspunkt ganz gegebene Einheiten“ – z.B. „die Medizin“ – nehmen, aber nur, um dann sogleich zu fragen, „ob sie schließlich nicht in ihrer akzeptierten und quasi institutionellen Individualität die Oberflächenwirkung von konsistenteren Einheiten sind“. Er werde sie „nur akzeptieren, um sie sogleich der Frage zu unterziehen; um sie zu entknüpfen und um zu erfahren, ob man sie legitimerweise rekomponieren kann“
30 Kirchhoff/Trepl 2009. 31 Kap. 3.1 in Kirchhoff 2007.
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oder ob „man daraus nicht andere konstruieren muss“.32 – Wenn man sich das Wesen dieser Rekonstruktionen als immer nur für bestimmte Zwecke nützliche Gedankengebilde nicht klar macht, wenn man sie also als reale historische Objekte missversteht, dann meint man z.B. leicht, zwischen zwei Epochen, die durch solche Begriffe bezeichnet werden, bestünde eine scharfe zeitliche Trennung, die eindeutige Zuordnungen erlaubt. Tatsächlich gibt es so gut wie immer eine Fülle von Traditionslinien, die weiterlaufen oder die weit früher begonnen haben, zu Zeiten, in denen ganz andere Kunstformen als z.B. die Romantik ihre Zeit hatten. Der konstruierte Kern des Typs wird gewonnen durch „einseitige Steigerung“ unter „einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten“, so Max Weber. Der Idealtyp ist also keineswegs das Durchschnittliche. Er ist vielmehr – das ist das Ziel des einseitigen Heraushebens – das Markante.33 Das sieht nach Willkür aus, und diese Gefahr besteht zweifellos. Darum muss das Herausheben streng gerechtfertigt werden im Licht einer bestimmten Fragestellung.34 Man könnte dar-
32 Foucault 1981: 41. Foucault fragt danach, wie reale Diskurse beschaffen sind. Ihn interessieren darum z.B. faktische Aussagen, die bestimmte andere erzwingen oder ausschließen. Die Konstruktion von Idealtypen, wie sie hier geschieht, unterscheidet sich davon etwas. Eisel 2004b: 39 unterscheidet zwischen dem „kulturellen Apriori“ und dem „Handlungsapriori“. Ersteres „bezeichnet das, was in einer Kultur empirisch möglich ist“. Das interessiert in dem vorliegenden Buch, wenn z.B. von einem „idealtypischen Konservativismus“ gesprochen wird. Welche (Arten von) Aussagen können zusammen bestehen, bei welchen ist zumindest damit zu rechnen, dass sie eher zusammen auftreten? Um solche Fragen geht es hier, und dagegen ist abzugrenzen: „Faktisch okkupiert werden die Positionen nach ganz anderen Gesetzen.“ (Ebd.) Dieses „faktische Okkupieren“ hat z.B. zur Voraussetzung, dass bestimmte dafür notwendige, unter Umständen ganz zufällige Ereignisse vorausgehen oder dass in einer Biografie eine Vielzahl von bestimmten heterogenen Fäden zusammenlaufen. 33 Wenn wir im Alltag Typenbegriffe verwenden – z.B. „Kneipe“ oder „Café“ – haben wir nicht das Durchschnittliche und auch nicht eindeutige Klassenmerkmale im Sinn, sondern eben das Markante. Die realen Kneipen und Cafés können vom Typ abweichen, das macht die Typenbegriffe nicht unbrauchbar; wir wissen, was wir suchen, wenn wir nach einem Café fragen. Allerdings können wir nicht, wie im Falle der Idealtypen, das Markante eindeutig benennen. 34 „Und in der Tat: ob es sich um reines Gedankenspiel oder um eine wissenschaftlich fruchtbare Begriffsbildung handelt, kann a priori niemals entschieden werden; es gibt auch hier nur einen Maßstab: den des Erfolges für die Erkenntnis konkreter Kulturerscheinungen in ihrem Zusammenhang, ihrer ursächlichen Bedingtheit und
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über hinaus meinen, diese Methode sei nicht nur willkürlich, sondern auch sehr unpräzise, weil Typen einen breiten Rand haben. Präzision bedeutet hier aber etwas anderes, als einen empirisch gegebenen Gegenstand möglichst genau abzugrenzen, Präzision bedeutet nämlich, die Eigenart so genau wie möglich zu bestimmen. Darum die Konzentration auf den Kern. Dieser ist präzise zu bestimmen durch Beschreibung des systematischen Zusammenhangs genau definierter Elemente. Hier, im Kern, ist der zu konstruierende Gegenstand am markantesten, hebt sich am klarsten von allen anderen ab, und das Markante ist eben nicht das Durchschnittliche und auch nicht der kleinste gemeinsame Nenner. – Nur nebenbei sei angemerkt: Das „Ideal“ im Begriff Idealtyp darf man nicht im (moralisch) wertenden Sinne verstehen, ideal bedeutet nicht, dass es „idealerweise“ so sein soll wie im Idealtyp beschrieben. „Es gibt Idealtypen von Bordellen so gut wie von Religionen.“35 Warum wird die Idealtypenmethode in den Geistes- und Sozialwissenschaften sehr oft (wenn auch meist nicht explizit) verwendet, in den Naturwissenschaften dagegen kaum? Das liegt daran, dass in diesen das Interesse auf das Allgemeine gerichtet ist, auf das allem Gemeinsame, insbesondere auf die allgemein gültigen Gesetze. Wenn man auf der Suche nach einem allgemeingültigen Gesetz ist, braucht man Klassenbegriffe, die eindeutige Zuordnungen erlauben. Wenn man z.B. experimentiert, um herauszufinden, wie die Stromstärke in einem bestimmten Stück Metall und dessen Erwärmung gesetzmäßig zusammenhängen, muss man genau wissen, ob das verwendete Metall auch tatsächlich die Definition dessen erfüllt, für das das Gesetz gelten soll. In den Geistes- und Sozialwissenschaften dagegen sucht man in aller Regel nicht nach allgemeingültigen Gesetzen. Man interessiert sich typischerweise für das Besondere und das Individuelle36: Was waren die Ursachen des Dreißigjährigen Krieges? Wie war das Verhältnis der Wiener Klassik zur Romantik? Wie funktionierte die mittelalterliche Stadtwirtschaft? Wie der heutige globale Kapitalismus? Dieser Krieg, die Klassik, die Romantik usw. sind individuelle Phänomene. Sie sind zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten entstanden, hatten
ihrer Bedeutung. Nicht als Ziel, sondern als Mittel kommt mithin die Bildung abstrakter Idealtypen in Betracht.“ (Weber 1988: 193, Hervorhebung im Original) 35 Ebd.: 200. 36 Natürlich kann man sich nicht für alles Individuelle interessieren, man braucht ein Prinzip der Auswahl. Als dieses Prinzip hat Heinrich Rickert 1899: 20 ff. (ausführlich Rickert 1929, vor allem Kap. 3 und 4) den Kulturwert bestimmt und dafür plädiert, statt des üblichen Begriffs Geisteswissenschaften den Begriff Kulturwissenschaften zu verwenden.
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eine gewisse Dauer, veränderten sich dabei und verschwanden wieder oder werden verschwinden. Erkenntnisziel ist das Verständnis von Phänomenen in ihrer historischen Einzigartigkeit, in ihrem So-und-nicht-anders-Gewordensein, nicht das Erkennen von Gesetzen, die universell gelten. Individuelle Phänomene aber kann man nicht definieren, indem man Merkmale festlegt, bei deren Vorliegen sie dann dieses Individuum wären. Fänden sich diese Merkmale an einem anderen Phänomen, so wäre es doch ein anderes (nur in manchen Merkmalen gleiches). Individuelle Phänomene kann man nur beschreiben (und in ihrem Entstehen, ihren Veränderungen erklären, und in ihrer Bedeutung verstehen), und das muss man so machen, dass so klar wie nur möglich wird, worin ihre Eigenart besteht. Dazu dient der Begriff des Idealtyps. Um ein Missverständnis zu vermeiden, sei abschließend noch hinzugefügt: Selbstverständlich braucht man zur Konstruktion von Idealtypen Klassenbegriffe. Um den Barockgarten als Idealtyp zu konstruieren, braucht man Begriffe wie Kreis oder Gerade oder absolute Herrschaft, und ohne Annahmen über allgemeine gesetzesförmige Zusammenhänge kann man an keinem individuellen Phänomen etwas erklären. Und wenn vorhin gesagt wurde, dass die zentralen Begriffe, die hier verwendet werden, insbesondere solche, die weltanschaulich-politische oder Kunstrichtungen bezeichnen, als Idealtypen gemeint sind, so heißt das nicht, dass etwa „Aufklärung“ nie in der Bedeutung eines Allgemeinbegriffs, eines Klassenbegriffs vorkommt. Aufklärung ist ein (1) singuläres historisches Phänomen, das unter anderem dadurch gekennzeichnet ist, dass eben (2) Aufklärung stattfand. Im Falle von (2) wird Aufklärung als Allgemeinbegriff verstanden. Aufklärung in diesem Sinne gab es nicht nur in der Zeit der Aufklärung, sondern schon im alten Griechenland und, wenn auch nach Auffassung mancher nur gelegentlich, auch heute noch, und es gibt sie auch in anderen Kulturkreisen als dem europäischen. Und vor allem: Es kann sie prinzipiell überall geben. Ich werde im Folgenden nicht immer hinzufügen, in welcher der beiden Bedeutungen Begriffe wie Aufklärung gemeint sind, hoffe aber, dass man das hinreichend dem Kontext entnehmen kann. Dieser Exkurs zu einer Frage der Methodologie wurde eingefügt, um zu erklären, in welchem Sinne hier, wohl mit der Mehrheit der zuständigen Wissenschaftler, gesagt wird, Landschaft sei ein neuzeitliches und ein abendländisches Phänomen. Mittels der Bildung von Idealtypen versuchen wir, schwierig zu fassende individuelle Phänomene zu begreifen. Landschaft nenne ich hier ein solches individuelles Phänomen, zu bestimmter Zeit und in einer bestimmten Kultur entstanden. Wie jedes individuelle Ding entsteht es irgendwann, verändert sich und verschwindet wieder. Ich meine im Folgenden mit „Landschaft“ genau dieses individuelle, neuzeitlich-abendländische Phänomen. Die Frage stellt sich
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dann gar nicht, ob es auch in anderen Kulturen und zu anderen Zeiten Landschaft gab oder gibt. In manchen Kulturen und Zeiten wird man vielleicht nichts Ähnliches finden, in anderen dagegen ähnliche, vielleicht sehr ähnliche Phänomene. Manche wird man vielleicht Landschaft nennen wollen, bei manchen scheint das nicht mehr angebracht. Aber es sind selbstverständlich verschiedene individuelle Phänomene – so wie es einen bestimmten individuellen Menschen nicht zweimal gibt, auch wenn er einen zum Verwechseln ähnlichen Zwilling hat. Man kann es auch anders machen. Man kann Landschaft im Sinne eines Allgemeinbegriffs definieren. Beispiele für leerformelhafte Definitionen dieser Art wären etwa „dynamisches Gefüge menschgemachter Räume“37, was man in der Landschaftsarchitektur neuerdings häufiger hört, oder die in der Geografie als klassisch geltende Bestimmung von Hettner (zahlreiche andere in diesem Fach sind ihr ähnlich): Der Inhalt der Geografie sei „die Summe der Tatsachen“ welche „das Wesen [der Länder und] Landschaften ausmachen, oder, anders ausgedrückt, die von Ort zu Ort wechselnden Zustände und Vorgänge auf der Erdoberfläche in ihrem ursächlichen Zusammenhang bezeichnen“38. Leerformeln sind das, weil dann alles eine Landschaft ist, sofern es sich nur an der Erdoberfläche befindet und die Zustände von Ort zu Ort wechseln bzw. „dynamisch“ sind, was für nichts nicht gilt. Auch ein Blumentopf ist dann eine Landschaft. Eine Definition von Landschaft im Sinne eines Allgemeinbegriffs muss aber nicht trivial sein. Die Definition kann durchaus all das und noch mehr berücksichtigen, was ich in der Einleitung versucht habe, aus unserem alltäglichen Sprachgebrauch an Feinheiten herauszuholen. Dann wird man vielleicht sagen müssen: Landschaft ist ein Phänomen, das bisher, soweit wir wissen, im Abendland, aber auch in China39 und in einigen anderen Ländern entstanden ist. Denn Landschaft wird nun als Allgemeinbegriff, als Klassenbegriff gebraucht, und das heißt überall da, wo die definierten Klassenmerkmale vorhanden sind, gibt es Landschaft. Im vorliegenden Buch aber wird Landschaft als Nominator gebraucht, als Individualbegriff, bzw. als ein Eigenname. Eigennamen beziehen sich auf etwas Einmaliges, auf bestimmte individuelle historische Phänomene. Natürlich muss jedes individuelle empirische Objekt irgendwann entstanden sein. Und ein Objekt, zu dessen Wesen es gehört, in bestimmter Weise gesehen (im Geiste gemalt) zu werden, kann nicht entstanden sein, bevor dieses Sehen
37 Prominski 2004: 59, im Anschluß an J.B. Jackson 1984. 38 Hettner 1903, zit. n. Hard 1970a: 68. 39 Vgl. z.B. Küchler/Wang 2009.
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möglich war. Es könnte aber auch zu einer anderen Zeit gewesen sein als zu der, die hier angedeutet wurde. Die Frage ist oben offengelassen worden, ob man vor der Renaissance die Landschaft wirklich nicht sehen konnte und sie also in der Zeit entstand, in der man sie erstmals darstellte, weil die Darstellung auf der Leinwand das Gesehenwerden und das im Sehen Gestaltetwerden voraussetzt, dies aber zum Wesen der Landschaft gehört. Vielleicht sah man sie ja schon früher, stellte sie aber nicht dar. Ich habe, insbesondere mit dem Verweis auf Simmel, zu erklären versucht, dass es keine unsinnige Redeweise ist, wenn man sagt, Landschaft sei erst zu einer bestimmten Zeit entstanden; dass das vielmehr auf einer recht guten Theorie dessen beruht, welche Art von Gegenstand Landschaft ist. Es ist im Rahmen dieser Theorie zwingend, dass Landschaft erst zu einer bestimmten Zeit – mit einer bestimmten Möglichkeit des Sehens, bzw. des Erzeugens von „embryonalen Gemälden“ im Geist – entstanden ist. Diese Möglichkeit muss irgendwann entstanden sein, sie kann in der Menschheitsgeschichte nicht schon immer vorhanden gewesen sein. Aber eine andere Frage ist es, ob sie tatsächlich erst mit der Neuzeit entstanden ist, ob sich also die spezielle Vorstellung von der Entstehung, die im Folgenden wiedergegeben wird, halten lässt. Es gibt Auffassungen, die dem widersprechen, auch wenn sie in der Fachdiskussion, wie mir scheint, weniger Einfluss haben.
3.3 L ANDSCHAFT
UND DIE
N ATUR
DER
W ISSENSCHAFT
Unter den Theorien über die Entstehung des landschaftlichen Blicks ist die von Joachim Ritter wohl die bekannteste. In einem Aufsatz von 196340 hat er folgendermaßen argumentiert: Ausgangspunkt ist die Besteigung des Mont Ventoux, eines Berges in der Provence, durch den Frührenaissance-Schriftsteller Petrarca im Jahre 1335, oder besser die Beschreibung, die er davon gegeben hat. (Zumindest hat er behauptet, er habe den Berg bestiegen. Manche sagen, er habe sich das alles nur ausgedacht, doch darauf kommt es hier nicht an; die Art, über das – vielleicht nur angebliche – Erlebnis zu berichten, gilt als das vorher nicht Dagewesene.) Von dieser Beschreibung hat man dann, lange vor Ritters Aufsatz, gesagt, das sei das erste Dokument einer Landschaftswahrnehmung41. Als das Neue galt, dass Petrarca auf diesen Berg stieg „einzig getrieben von der Begierde, die ungewöhnli-
40 In Ritter 1989. 41 Jakob Burckhardt 1885: 15 ff.
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che Höhe eines Ortes in unmittelbarer Anschauung kennenzulernen“42. Andere sind schon früher auf hohe Berge gestiegen, Philipp von Makedonien etwa, aber nur, um aus militärischen Gründen etwas von oben zu beobachten. Petrarca ist der erste, der hinaufsteigt, nur um zu schauen. Er macht das offenbar im Bewusstsein, etwas Unerhörtes zu tun, und hat darum beim Aufstieg versucht, „das Unternommene durch den Vergleich mit der Erhebung zum seligen Leben zu deuten und zu rechtfertigen“43. Oben begann er, überwältigt von dem Anblick, der sich ihm bot, „einem ‚Betäubten‘ gleich“44, die Bekenntnisse des Augustinus zu lesen. Diese machten ihm klar, dass das ein ganz eitles Tun war, dem er sich da hingab, nämlich die irdischen Dinge zu bewundern. Man sollte sich stattdessen der Seele zuwenden. Er war darauf voller „Zorn über sich selber“45. Beim Abstieg erschien ihm der Berg im Vergleich zur Seele eines Menschen ganz winzig, „kaum eine Elle“ hoch.46 Er hatte offenbar etwas ganz Neues gesehen, konnte dies aber nicht festhalten und konnte es auch nicht ausdrücken. Später hat man dieses Ereignis als das Datum der Entstehung des landschaftlichen Blicks betrachtet. Ritter deutet nun dieses Geschehen des Sehens von Landschaft und die Unfähigkeit, das Erlebnis zu artikulieren und dabeizubleiben, deutet die Notwendigkeit, sich wieder dem mittelalterlichen Sich-Vertiefen in die eigene Seele zuzuwenden, so: Das landschaftliche Auge hat die antik-mittelalterliche theoria zur Voraussetzung und wurde möglich und notwendig, weil diese Art von Theorie verschwindet und die moderne Wissenschaft (Naturwissenschaft) entsteht. Das sei nun etwas ausführlicher erläutert. Denn es ist von heute aus nicht ganz leicht zu verstehen, was Theorie in der Antike und auch im Mittelalter – das unterschied sich in den Punkten, um die es hier geht, nicht sehr – eigentlich war. Ritter erklärt den Unterschied zum neuzeitlich-modernen Theorieverständnis folgendermaßen: Das Leben teilt sich in der alten Zeit in die Sphäre des Alltags und die des Festes, „des festlichen Spiels zu Ehren der Götter“47. Die Theorie gehörte der Sphäre des Festes an. Sie ist ein „Anschauen, dem Gotte zugewendet“48. Der „ganze Kreislauf des Jahres“ sei „ein einziges Fest“ für den Theoretiker im alten
42 Petrarca nach Ritter 1989: 141. 43 Ritter 1989: 142. 44 Ebd.: 143. 45 Ebd. 46 Nach ebd. 47 Ebd.: 142. 48 Ebd.
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Sinn.49 Die Sphäre des Alltags ist die der Aktivität und der Mühsal, des Arbeitens für den Lebensunterhalt. Was der Theoretiker tut, hat dagegen nichts mit Arbeit zu tun, es ist Kontemplation. Er versucht, indem er sich in die Dinge versenkt, deren wahres Wesen zu ergründen. Hier liegt der entscheidende Unterschied zu dem, was in den modernen Wissenschaften (Naturwissenschaften) Theorie heißt. Man versteht ihn vielleicht dann am besten, wenn man sich das Verhältnis dieser Theorie im alten Sinne zur Technik klarmacht. In der modernen Wissenschaft geschieht das Erstellen von Theorien im Kontext dessen, was man tun muss, um Naturgesetze zu finden. Kennt man diese Gesetze, kann man sie technisch anwenden. Dagegen sagte man noch im Mittelalter angesichts solcher technischen Dinge wie einem Flaschenzug: Da werden nicht Naturgesetze angewandt, so dass man dann eine schwere Last heben kann, sondern man arbeitet gegen die Naturgesetze.50 Denn den Naturgesetzen nach hat etwas Schweres seinen Ort unten. Wissen zu erzeugen, um damit etwas Praktisch-Technisches machen zu können, war nicht die Aufgabe der Theorie, sondern Theorie war kontemplativ, war Sich-Versenken in das unveränderliche Wesen der Welt. Dem Profanen der Alltagswelt steht das Göttliche gegenüber; demgemäß wird beim Fest den Göttern geopfert oder zu Gott gebetet. In diese Sphäre gehört die Theorie der alten Art. Theoretiker denken über die Weltordnung, den „Kosmos“ nach. An der Stelle von Kosmos kann hier auch „Physis“, also „Natur“ stehen. Wenn die Theorie sich mit Natur befasst, dann ist damit „die ‚ganze Natur‘ gemeint, die allem von Natur Seienden zugrunde liegt“51. Theorie der Natur „hat die Bedeutung, dass sich in ihr der Geist dem alles umgreifenden ‚Ganzen‘ und ‚Göttlichen‘ zuwendet“52. Im Alltag hat man es immer nur mit Teilen zu tun. Die profanen Menschen haben spezialisierte Berufe, jeder muss sich nur mit Teilen der Natur auskennen, der Theoretiker aber sieht auf das Ganze. Das also ist der Unterschied zwischen alter Theorie und der Theorie der modernen Naturwissenschaft: Die alte Theorie gehört zum Fest, nicht zum Alltag, sie ist Kontemplation, nicht technikbezogen, sie sucht das Göttliche hinter oder in den Dingen, statt die Vorstellung des Göttlichen methodisch auszuklammern oder ganz überflüssig zu machen, und Theorie ist auf das Ganze gerichtet, ihr Wesen besteht gerade nicht darin, dieses zu zerlegen. Das Ganze, Göttliche, alles Alltägliche, Irdische Umgreifende und Übersteigende konnte und musste in den Begriffen der Theorie gedacht werden.
49 Philon, nach ebd.: 143. 50 Die Natur in Geschichte und Vorstellung, Mittelstraß 1984, unveröff. Ms. 51 Ritter 1989: 144. 52 Ebd.
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Für die Entstehung der Landschaft ist an der in der Neuzeit entstehenden Art von Wissenschaft von besonderer Bedeutung, dass deren Aussagen wertfrei sind. Wenn man eine „theoretische“ Aussage über einen Naturgegenstand trifft, dann sagt man damit, wie dieser beschaffen ist und wie es sich erklärt, dass er so beschaffen ist. Man sagt damit nichts darüber aus, wie dieser Gegenstand sein soll und dass er überhaupt sein soll – womit man, wie man es heute ausdrücken würde, ihm einen Wert zuspräche. Die moderne Wissenschaft versucht nicht mehr, einen allem seinen Wert verleihenden Sinn hinter oder über den Dingen zu finden, wie das vorher war. Da fragte man, warum die Dinge da sind und warum sie so sind, wie sie sind – und die Antwort war letztlich immer, dass es eine höhere Vernunft so wollte.53 Die moderne Wissenschaft will nur noch erklären, wieso die Dinge der Natur so sind, wie sie sind. Erklären heißt nicht, die fragliche Erscheinung aus einem letzten Grund (einen Grund, der seinerseits keinen Grund mehr hat) abzuleiten, sondern sie von bereits Bekanntem herzuleiten – mittels bekannter Naturgesetze, die unter bekannten natürlichen Bedingungen wirken. Und wenn man eine derartige Erklärung hat, dann kann man diese auch technisch einsetzen. Kennt man bestimmte Naturgesetze, die für einen bestimmten Fall gelten, und dazu bestimmte Ausgangsbedingungen, dann kann man prognostizieren, was sich ereignen wird. Aus Abschusswinkel und -geschwindigkeit kann man, wenn einem bestimmte Naturgesetze bekannt sind, errechnen, wo das Geschoss einschlagen wird, kann dieses Wissen also technisch nutzen. Wissenschaft steht damit nicht mehr der Sphäre des Alltags und der Arbeit gegenüber, sondern dient dem, worum es im Alltag, in der Arbeit geht: die Notwendigkeiten des Lebens zu bewältigen. Man steht beim Theoretisieren nun im Dienste der Bewältigung dieser alltäglichen Notwendigkeiten, man kann durch Theorie nicht mehr über die Sphäre des Alltäglichen, Beschränkten, Irdischen hinausgehen. Deswegen muss man nun buchstäblich hinausgehen. Und dort draußen darf man nicht mehr denken, denn das Denken, jedenfalls das wissenschaftliche im neuen Sinn, bleibt beim Beschränkten. Sondern man muss schauen. Ritter sagt sinngemäß: Die Erlebnisse, die wir heute in der Landschaft haben können, nämlich z.B. Andacht empfinden, sich erhoben fühlen oder befreit, konnte man im Mittelalter beim Theoretisieren, konnte man bei der Kontemplation in der Klosterzelle haben – beim Nachdenken über Gott oder über die Harmonie der Planetenbahnen.54 Beim Denken in den Bahnen moderner Wissenschaft ist das nicht mehr möglich.
53 „Immer“ stimmt nicht ganz. Es gab schon in der Antike Atomisten, für die der Zufall die Ursache war. Doch waren sie für das allgemeine und das „offizielle“ Denken bedeutungslos. 54 Ritter 1989: 149 f.
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Im Blick auf das Ganze der Natur bekommt man also auf neue Weise Zugang zur Natur als Ganzer und Göttlicher. Durch Sehen wird möglich, was durch Denken nicht mehr möglich ist. Das bedeutet: Was auf dem Gebiet der Theorie nicht mehr möglich ist, wird jetzt auf dem Gebiet der Ästhetik möglich. Das Ganze der Natur oder das Übernatürliche und Göttliche (in, hinter, über der Natur) kann nicht mehr in der Wissenschaft gedacht werden und dabei empfunden werden. Es wird stattdessen gleichsam unmittelbar empfunden beim Sehen oder richtiger bei einem bestimmten Sehen, dem Sehen dessen, was einem als das Ganze der Natur sichtbar ist. Das ist die Landschaft. In diesem Sinn ist das Entstehen des landschaftlichen Blicks eine Kompensation für einen Verlust. Es ist – Ritter zufolge – also nicht einfach so, dass das neue Denken die Landschaft hervorgebracht hat,55 sondern in Reaktion auf das neue Denken ist ein neues Sehen entstanden. Dieses erlaubt, wesentliche Bedürfnisse zu erfüllen, die der Mensch hatte und die über diesen Bruch in der Art des Denkens, den Bruch zwischen der alten, kontemplativen Theorie und der neuen, in ihrem Wesen auf technische Naturbeherrschung gerichteten hinweg erhalten blieben, aber im Denken nicht mehr zu befriedigen waren. „Wo die ganze Natur, die als Himmel und Erde zu unserem Dasein gehört, nicht mehr als diese im Begriff der Wissenschaft ausgesagt werden kann, bringt der empfindende Sinn ästhetisch und poetisch das Bild und das Wort hervor, in denen sie sich in ihrer Zugehörigkeit zu unserem Dasein darstellen.“56
Nur andeutungsweise: Warum konnte gerade die Landschaft die Leerstelle füllen, die mit der modernen Wissenschaft entstanden war? Nun, die Landschaft ist das Ganze der Natur, aber so, wie dieses unserem Blick erscheint. Sie ist das Ganze: Auch wenn unser Blick unter den Dingen im Gesichtsfeld auswählt, so erscheint sie uns doch als das Ganze dessen, was uns umgibt; sie ist das Ganze der Gestalt, die wir aus dem Ausgewählten gebildet haben. Simmel schreibt, ein „einzelner Inhalt des Blickfelds darf unsern Sinn nicht mehr fesseln“57, wenn wir uns bewusst sein sollen, eine Landschaft zu sehen. Sie ist das Ganze der Natur: Im alten Denken hatten alle Dinge ihren Sinn im Ganzen der Natur als Schöpfung. Anders gesagt, weil sie Teil eines von einer höheren Vernunft sinnvoll
55 Das hat es sicher auch; ich habe schon darauf hingewiesen und ich werde darauf zurückkommen, welche Rolle die neue, mathematisch bestimmte Sichtweise (Zentralperspektive) für die Entstehung der Landschaftsgemälde hatte. 56 Ritter 1989: 156, sich auf Baumgarten beziehend. 57 Simmel 1957: 141.
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eingerichteten Ganzen waren, hatten sie Sinn. Im modernen wissenschaftlichen Denken aber hat die Natur ihren Sinn verloren. Jedes Ding hat zwar irgendwelche Funktionen (Nutzen) für andere, aber letzten Endes haben sie keinen Sinn mehr (eben dieses „letzten Endes“ unterscheidet Sinn von bloßem Nutzen). Denn für die Wissenschaft gibt es ein Letztes nicht gibt; hinter jeder Antwort taucht wieder eine Frage auf. Es sind wir Menschen, die den Dingen Sinn zuschreiben. Was aber ist, wenn der Mensch selbst keinen Sinn hat? Die Wissenschaft jedenfalls kann keinen erkennen, andernfalls wäre sie nicht moderne Wissenschaft. Wenn der Mensch selbst keinen Sinn hat, dann hat nichts Sinn, und auch alles, was wir tun, ist sinnlos. Was allem Sinn verleihen kann, muss dem Menschen vorgängig sein. Die Natur ist uns vorgängig und sie umgreift alles. Darum kann es die Vorstellung der Natur sein, die in uns wieder das Gefühl von Sinn weckt (das Gefühl, nicht, wie früher, das Wissen), sofern es die ganze Natur ist. Und eben so erfahren wir die Natur, wenn wir sie als Landschaft sehen. Es kann aber natürlich gerade nicht die Natur der modernen Wissenschaft sein, wohl aber die Natur, wie sie unserem Blick erscheint. Denn darin ist sie auf uns bezogen, „betrifft“ uns als empfindende Wesen. Man denkt vielleicht, diese Landschaft, als das Ganze der uns umgebenden, sichtbaren Natur verstanden, sei einfach gegeben, und zwar so gegeben, wie sie auf den Landschaftsgemälden dargestellt ist: alles auf den eigenen Standpunkt bezogen, je ferner die Dinge, desto kleiner, bis sie im Unendlichen verschwinden usw. Eben so sieht man doch ganz von selbst das Ganze der uns umgebenden Natur, wenn man den Blick von den nahen Dingen abwendet und in die Ferne schaut. Die Landschaftsdarstellungen, wie es sie seit der Renaissance gibt, sind „realistisch“; gemalt wird, was wir natürlicherweise sehen. Die mittelalterlichen Gemälde sind dagegen „unrealistisch“. So einfach ist das aber nicht.58 Tatsächlich ist es wohl ein jahrhundertelanger mühsamer Prozess gewesen, in dem unsere Art zu sehen so umorganisiert wurde, dass wir in dieser Weise sehen und dass uns das als natürlich erscheint – so wie es auch in der individuellen Entwicklung eines jeden Menschen ein mühsamer Prozess ist, bis das Kind die Dinge so sieht und so darstellen kann, wie es das perspektivische Sehen verlangt. Für das Kleinkind ist es zunächst ganz natürlich, dass es die Dinge so sieht, wie sie sind. Darum malt es ein Gesicht auch in Seitenansicht mit zwei Augen, denn das Gesicht hat ja in Wirklichkeit zwei Augen, und es malt den Kopf unverhältnismäßig groß, denn er ist wichtiger als Bauch und Beine. Darum sind die kleinkindlichen Gemälde auch keine komponierten
58 Das Folgende ist vor allem Koschorke 1990: 59 ff. entnommen.
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Wahrnehmungs-Ganzheiten, sondern erscheinen uns als Sammlungen von Einzeldingen, und zwar von bedeutenden und gemäß ihrer Bedeutung hervorgehobenen – ganz so wie mittelalterliche Gemälde, die insofern die spontane Wahrnehmung in gewisser Weise getreuer wiedergeben als die konstruierten perspektivischen Gemälde der Neuzeit.59 Diese verdanken sich eben nicht dem unverbildeten Blick, sondern sind historisch entstanden in Verbindung mit langwierigen Forschungen, die den Blick der mathematischen Konstruktion unterwarfen und ihn so von Grund auf veränderten, etwa bei Leonardo da Vinci. Die neue Einheit des Bildes wird aber nicht nur erzeugt durch die geometrische perspektivische Konstruktion, die alles auf einen einzigen Punkt bezieht, sondern auch durch die Darstellung der Stimmung, die über allem liegt und die nicht weniger dazu beiträgt, all die einzelnen in der Landschaft sichtbaren bzw. dargestellten Dinge zu einer ganz bestimmten Einheit zu verbinden. In der Malerei konnte man das schon früh in der Neuzeit durch eine homogene Färbung, durch ein bestimmtes Licht über der Landschaft bewirken. Viel schwieriger war es bei der Beschreibung von Landschaften, und entsprechend geschah es auch erst viel später, vor allem im Laufe des 18. Jahrhunderts. Zu Beginn dieser Periode waren poetische Landschaftsschilderungen im Wesentlichen Aufzählungen der einzelnen Dinge, die man sah. Gegen Ende hatte man gelernt, die Stimmung zu beschreiben, die über dem Ganzen liegt, die Gefühle, die die Landschaft nur als Ganze in uns wachruft. Koschorke stellt dar, wie im Zuge dieser Entwicklung in den Landschaftsbeschreibungen die Substantive, die ja die einzelnen, distinkten Gegenstände bezeichnen, zurücktreten „zugunsten einer verbindenden ‚verbalen Dynamik‘ (Langen), die alles auf alles beziehbar macht“.60 Damit verweisen die Dinge alle aufeinander und jedes einzelne wird wahrgenommen als Element der ganzen Landschaft, erscheint als ihr eingeordnet. Ich komme zu Ritter zurück. Die Entstehung des „landschaftlichen Blicks“ wird von ihm also erklärt als etwas Notwendiges, das mit der Entstehung der moder-
59 Bohr 2008: 34 ist anderer Auffassung: „Wirklich nur Naturstücke betrachten zu wollen, setzt dagegen gewisse Anstrengungen voraus [...] Nur in einer solchen ausschnitthaften Nah- und Fernsicht aber fallen Sinn und Sinnliches auseinander, so, wie bei der Nahbetrachtung eines Gemäldes auch nur sinnlose Farbflecken zu sehen sind. Doch in solche exklusiven Betrachtersituationen gerät der Mensch vergleichsweise selten, während die gewöhnliche Wahrnehmung mühelos und ohne vermittelnde Hilfsmittel geschieht.“ Richtig dürfte das nur sein, wenn man mit „gewöhnliche Wahrnehmung“ die gewöhnliche des heutigen erwachsenen Menschen unserer Kultur meint. 60 Koschorke 1990: 137.
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nen Naturwissenschaft gegeben war, weil diese gleichsam eine Leerstelle erzeugte. „Wo der Himmel und die Erde des menschlichen Daseins nicht mehr in der Wissenschaft [...] gewußt und gesagt werden, übernehmen es Dichtung und Kunst, sie ästhetisch als Landschaft zu vermitteln.“61 Doch brauchte es, wie er schreibt, noch andere Bedingungen für die Entstehung des landschaftlichen Blicks als die moderne Wissenschaft. Sie waren mit dieser aber eng verbunden: Zwischen der Entstehung von Landschaft und der Entwicklung der Stadt gibt es eine notwendige Beziehung, die wiederum mit einer bestimmten Beziehung zwischen Land, Stadt und Freiheit verbunden ist. Landschaft hat Freiheit vom Land, d.h. vom ländlichen, bäuerlichen Leben zur Voraussetzung. Um Landschaft zu sehen, ist Distanz zu diesem Landleben erforderlich. Freiheit vom Land bedeutet zum einen Freiheit von der Bindung an das Land. Man durfte nicht mehr, als Leibeigener, Teil des Landes zu sein. (So sehr ist der Bauer Teil des Landes, dass er mit diesem verkauft wird.) Zum anderen bedeutet Freiheit vom Land die Freiheit von der Notwendigkeit, das Land zu bearbeiten. Wer in der Natur arbeitet, unterliegt den Zwängen, die sie auf ihn ausübt. Wenn ein Sturm jemandem die Ernte zu vernichten droht, kann er schwerlich ein ästhetisches Erlebnis für ihn sein.62 Die Stadt aber – wohlgemerkt, nicht jede, wohl aber die spätmittelalterliche abendländische Stadt – ist der Ort der Freiheit; „Stadtluft macht frei“. Freiheit bedeutet Freiheit vom Land, und das heißt von der Leibeigenschaft und von den Naturzwängen, denen der in der Natur Arbeitende unterliegt. Die Stadt ist auch der Ort der neuen Wissenschaft und der Entwicklung von Technik. Mittels dieser unterwirft man die Natur und befreit sich so von ihren Zwängen. Das bedeutet, dass es Landschaft nur für die Freien gibt, also die Städter. Landschaft gibt es also nur für die, die nicht in der Landschaft leben. Die Menschen, die hier leben, sind für die, die Landschaft sehen, aber eben darum nicht in ihr (als Bauern) leben können, Bestandteil der Landschaft. Landschaft wird auch durch diese Beziehung zur Freiheit zum Symbol für Freiheit. Diejenigen, die Landschaft sehen und genießen können, müssen aber nicht nur
61 Ritter 1989: 157 f. 62 „Der Bauer kennt das Land, das er bearbeitet, das ihn ernährt, er blickt zum Himmel, der Licht und Regen sendet, die Landschaft aber berührt ihn kaum; genießende Schau kann nicht aufkommen, wo Not und Nutzen vorwalten.“ (Friedländer 1963: 27 f., zit. n. Piepmeier 1980: 14) – Die Frage, ob und in welchem Sinne (traditionelle) Bauern dann, wenn sie gerade nicht arbeiten, wenn sie etwa nach der Arbeit über ihr Land blicken, Landschaft in einem ähnlichen Sinne sehen, wie das hier diskutiert wird, oder ob sie, wie das Zitat vielleicht gelesen werden könnte, dies grundsätzlich nicht können, muss hier unbeantwortet bleiben.
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frei sein von der Bindung an das Land und von den Zwängen des Arbeitens in der ländlichen Natur, sie müssen auch frei sein von ihrer Arbeit:63 Die Städter können die Landschaft nur erleben, wenn sie nicht ihren Geschäften nachgehen, sondern herausgehen aus der Stadt.64 Landschaft ist „arbeitsentlastete“65 Natur. Der landschaftliche Blick ist also eine Reaktion darauf, dass moderne Wissenschaft und Technik sowie das (spezifisch spätmittelalterlich-frühneuzeitliche europäische) städtische Leben entstanden sind. Man könnte sagen, dass Landschaft entstanden ist als Reaktion auf den Fortschritt. Heute sieht man diesen in der Regel als eine der Landschaft feindliche Kraft. Er ist es, der die Landschaft zerstört. Dabei denkt man meist an den industriellen Fortschritt, also eben an den, der ohne moderne Wissenschaft und Technik nicht möglich wäre. Aber man denkt auch an die Verstädterung und an die gesellschaftliche Einebnung der lokalen und regionalen Unterschiede, und von diesen meint man ja im Allgemeinen, sie seien wesentlich für landschaftliche Schönheit oder für den Charakter von Landschaften. Für jemanden, der sich berufsmäßig mit Planung und Gestaltung von Landschaft befasst, ist es normalerweise ganz selbstverständlich, dass er den Sinn seiner Tätigkeit vor allem darin sieht, die Landschaft vor den Folgen des Fortschritts zu schützen. Weil dies so ist, müsse man, so eine weit verbreitete Auffassung, am besten zurück zu alten Verhältnissen, wenigstens zu den vorindustriellen, am besten noch weiter in die Vergangenheit. Ritter erhebt dagegen Einspruch. Er schreibt: Die „‚ganze Natur‘ als Landschaft gegenwärtig zu halten“ habe „nichts mit illusionärer Flucht oder dem (tödlichen) Traum zu tun, in den Ursprung als in eine noch heile Welt zurückzugehen. Sie ist das Gegenwärtige“66. Der landschaftliche Naturgenuss setze nämlich „die Freiheit und die ge-
63 „Die Grundkonstellation ist, dass Landschaft als ästhetisch angeschaute Natur das wissenschaftsentlastete, arbeitsentlastete, handlungsentlastete Korrelat der wissenschaftsbelasteten, arbeitsbelasteten, handlungsbelasteten, kurz: der gesellschaftlich angeeigneten Natur ist, wie sie in der Neuzeit Objekt des forschenden, arbeitenden und handelnden Menschen ist.“ (Piepmeier 1980: 16) 64 Bohr vermutet, dass es heute nicht mehr so ist: „Heute stellt sich allerdings die Frage, ob es sich bei dem Betrachten einer Landschaft überhaupt noch um ein Heraustreten aus dem Alltag handelt oder ob nicht vielmehr dieses Heraustreten schon zum alltäglichen Lebensvollzug gehört [...] Natur wird im Zweifel immer als Landschaft gesehen, da die meisten gar nicht mehr darin geübt sein können, z.B. die Bestellbarkeit des Bodens zu beurteilen. Dass an eine Landschaft auch anders als ästhetisierend herangetreten werden kann, ist oft nicht mehr bewußt.“ (Bohr 2008: 37) 65 Piepmeier 1980. 66 Ritter 1989: 162.
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sellschaftliche Herrschaft über die Natur voraus [...] Freiheit ist das Dasein über der gebändigten Natur. Daher kann es Natur als Landschaft nur unter der Bedingung der Freiheit auf dem Boden der modernen Gesellschaft geben.“67 Landschaft ist nur für die Menschen der modernen Gesellschaft überhaupt vorhanden. Kehrten sie zu den alten Verhältnissen zurück, dann wäre das für sie nicht mehr vorhanden, was ihnen die Sehnsucht nach diesen Verhältnissen eingegeben hat: die landschaftliche Natur.68 Denn es ist „die gleiche Gesellschaft und Zivilisation, die dem Menschen in der Verdinglichung der Natur die Freiheit bringt,“ die schließlich „den Geist dazu treibt, Organe auszubilden, die den Reichtum des Menschseins lebendig gegenwärtig halten [...] Man kann sich also nicht auf die eine oder die andere Seite schlagen“.69 Soweit die Darstellung der Entstehung des landschaftlichen Blicks anhand einer Interpretation der Theorie von Joachim Ritter. Abschließend sei noch angemerkt, dass es daran, wie an so gut wie allen nicht-trivialen Theorien über soziale und kulturelle Erscheinungen, nicht wenig Kritik gibt. Ein Punkt ist, dass bezweifelt wird, ob sich die Theorie mit den historischen Tatsachen in Einklang bringen lässt. Man kann die Frage stellen, ob es plausibel ist, dass zur Zeit Petrarcas wesentliche Teile der Denkweise der neuen Wissenschaft schon einen derartigen Einfluss hatten, wo doch diese Wissenschaft selbst erst beträchtliche Zeit später (zur Zeit Galileis etwa) entstand. Mehrere Autoren70 haben Ritters Interpretation dahingehend kritisiert, dass erst für das 18. und 19. Jahrhundert argumentiert werden könnte, Landschaft spiele jene Rolle im Verhältnis zur Natur der modernen Naturwissenschaft, die Ritter ihr zuschreibt. Für die Zeit von der Renaissance an habe sich die Idee der Landschaft und der landschaftliche Blick im Rahmen der alten religiösen und metaphysischen Sinnsysteme entwickelt und nicht im Zuge eines radikalen Bruchs mit ihnen.71 Wie man sich das genauer
67 Ebd. 68 Gegen die modernen „Zerrissenheiten“ schafft eben das, was diese erzeugt – also das, was ich eben mit „Fortschritt“ umrissen habe –, „der Natur gegenüber den versöhnten Reichtum der Landschaft, die ein Individuelles, Geschlossenes, In-sich-Befriedetes ist und dabei widerspruchslos dem Ganzen der Natur und seiner Einheit verhaftet bleibt.“ (Simmel 1957: 143) 69 Ritter 1989:163. 70 Zum Beispiel Sieferle 1986, Groh/Groh 1996: 97 ff. 71 Sieferle argumentiert vor allem, dass das Denken der Neuzeit bis in die frühe Aufklärungszeit hinein von rationalistischen Kosmologien beherrscht wurde, für die das Weltganze von Gott sinnvoll geordnet war. (Man denke an Leibniz’ „beste aller mög-
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vorstellen könnte, werden wir weiter unten am Beispiel der Geschichte der Wildnisvorstellungen sehen.72 In der Tat tut man gut daran, die Rittersche Theorie nicht als Beschreibung eines realen geschichtlichen Ereignisses in der Frührenaissance zu verstehen, sondern als Beschreibung eines Strukturwandels im Bewusstsein unserer Kultur. In der logischen Rekonstruktion, die dabei vorgenommen wird, erscheint dieser Wandel als eine leichte Verschiebung im Gefüge von Ideen, die sich mit einem Schlag vollziehen könnte. In der historischen Wirklichkeit aber war das ein sich über ein halbes Jahrtausend hinziehender Prozess. Dabei waren in manchen Gebieten, wie etwa der Malerei, schon früh bestimmte neue Strukturen der Darstellung von Wahrnehmungen etabliert, die in anderen, etwa der Dichtung, erst Jahrhunderte später sichtbar wurden.73 Auch war dieser Prozess mit Rückschlägen verbunden. Was sich im Übergang vom Mittelalter zu Renaissance und Reformation ereignete, wiederholte sich zum Teil im Übergang vom Barock zur Aufklärung, denn das Barock kann in mancher Hinsicht, gerade was unser Thema angeht, als eine Rückkehr zu mittelalterlichreligiösen Weltsichten gelten.74 Falls man die Rittersche Theorie so versteht, dass Landschaft als Kompensation einer vom neuzeitlichen Denken verursachten Leerstelle entstand, so lässt sich die Frage stellen, ob denn wirklich angenommen werden muss, dass der Mensch sozusagen einen unveränderlichen geistig-seelischen Haushalt hat, dass also alte Bedürfnisse unverändert weiterbestehen und nun auf neue Weise befriedigt werden müssen.75 Manche Kritiker wenden ein, Landschaft könnte durchaus eine komplementäre Funktion unter den durch die moderne Wissenschaft gegebenen Verhältnissen haben, die nicht einen Verlust kompensiert, vielmehr neu entstandene Bedürfnisse befriedigt.76 Es wäre ja vorstellbar, dass mit der Struktur des Denkens, die die alte theoria kennzeichnete, auch die Bedürfnisse verschwanden, die in dieser Art von Theorie befriedigt werden konnten.
lichen Welten“.) „Es war gerade keine Kompensation erforderlich, wenn in der Gesamtheit der Schöpfung Ordnung aufzufinden war [...].“ (Sieferle 1986: 242) 72 Siehe unten S. 109 ff. 73 Koschorke 1990. 74 Siehe zu diesem Absatz ebd.: Kap. II und III. 75 Vgl. Groh/Groh 1996: 100-104, 154-170. 76 Nach Marquard 1976, Sieferle 1986: 258 und anderen formuliert Ritter eine Kompensations-, nicht eine Komplementaritätstheorie. Dieser Deutung widersprechen Groh/Groh 1996: 100-104, 154-170. Ausführlich dazu siehe vor allem Siegmund 2010: 44 ff.
4. Die Landschaftsidee der Aufklärung
4.1 V ORBEMERKUNGEN Warum interessieren man sich, und zwar ganz besonders, für die Aufklärung, wenn man heute über Landschaft redet? Drei Gründe seien genannt: 1. Vieles von dem, was wir heute mit Landschaft verbinden, ist in der Zeit der Aufklärung entstanden, und was in der Renaissance geschah, lässt sich als Teil einer geistigen Bewegung sehen, die in die Aufklärung mündete. Nicht nur Vorstellungen von idealer Landschaft und von dem, was diese versinnbildlicht, sind damals aufgekommen, sondern auch eine neue Kunstform, der Landschaftsgarten. Er hat für die ganze nachfolgende Zeit eine besondere Bedeutung. Von der Entstehung des Landschaftsgartens bis kurz vor 1900 hat man im Grunde immer nur Gärten dieser Art angelegt, und einem großen Teil des heutigen „Trivialgrüns“, des „Abstandsgrüns“ der Städte z.B., sieht man an, dass da eigentlich eine Art Landschaftsgarten entstehen sollte. 2. Landschaft ist seit dem (späten) 19. Jahrhundert konservativ besetzt. Wer sich für die Landschaft einsetzt, ist im Allgemeinen ein Konservativer, zumindest in diesem Punkt. Er will den Fortschritt aufhalten, weil dieser ja die Landschaft zerstört. Vielleicht will er mit der Landschaft auch die sozialen Verhältnisse erhalten, die für ihn unzertrennlich zu ihr gehören, das vorindustrielle, vormoderne ländliche Leben. Landschaft ist ein Symbol für Rückschritt geworden. In der Aufklärung scheint das anders gewesen zu sein. Landschaft und vor allem der Landschaftsgarten waren mit der Idee der Freiheit und des Fortschritts verbunden. Nun will aber keineswegs jeder, der sich für die Erhaltung der Landschaft einsetzt, ein Konservativer sein, und selbst wenn er das in diesem Punkt vielleicht nicht vermeiden kann, so ist ihm doch nicht wohl dabei. Das ist sicher ein Motiv, warum man so gerne auf die Zeit der Aufklärung zurückblickt. Man hofft, im Denken der Aufklärung Anknüpfungspunkte zu finden für ein nichtkonservatives Verständnis im Hinblick auf Landschaft.
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3. All die Diskussionen um Landschaft, die es seit 200 Jahren gibt, versteht man nicht, wenn man nicht die Ausgangskonstellation, die mit der Aufklärung entstanden ist, kennt: wer da gegen wen mit welchen Argumenten stand, aus welchen Weltsichten heraus und ausgehend von welchen Interessen da gestritten wurde. Das muss man wissen, selbst wenn man sich nur für spätere Landschaftsauffassungen, etwa romantische und andere gegen die Aufklärung gerichtete, z.B. „postmoderne“, interessieren sollte. Hier wird nicht die Zeit der Aufklärung behandelt, weil es in dieser Zeit auch Ideen von Landschaft gab, die man keineswegs als aufklärerisch bezeichnen kann, sondern nur die kulturell-politische Strömung, die man Aufklärung nennt. Allerdings geht es auch nicht einfach um Aufklärung der Sache nach statt um Aufklärung als Epochenbegriff. Denn dann müsste man z.B. auch auf die Aufklärung in der Antike eingehen, etwa auf die Entstehung der Philosophie aus mythisch-religiösen Denkweisen heraus. Wir befassen uns zwar mit Aufklärung der Sache nach, jedoch nur in der Aufklärungszeit, also mit einem bestimmten individuellen historischen Phänomen. Zu damaligen geistigen Strömungen anderer Art kommen wir später. Zunächst werde ich ausführlich einiges an Allgemeinem zur Aufklärung darlegen, zu ihrem Denken über Politik und Gesellschaft und über das Wesen des Menschen. Auf den ersten Blick hat das wenig mit Landschaft zu tun, doch hoffe ich verständlich machen zu können, dass es für die Idee der Landschaft von größter Bedeutung ist. Zum vorläufigen Verständnis: Man denke an den Landschaftsgarten, den sogenannten Englischen Garten. Er galt der Aufklärungszeit nicht einfach als schöner oder in irgendeinem Sinn angenehmer als der Französische Garten. Was sich da ereignete, war nicht nur ein Wechsel des Geschmacks oder der Mode, der sich ganz intern-kunstgeschichtlich begreifen ließe. Der Englische Garten war vielmehr mit seiner „freien Natur“ ein Mittel im Kampf gegen den Absolutismus, dessen Gartenstil der französische, geometrische war. Und in diesem Kampf ging es nicht einfach um Interessen verschiedener gesellschaftlicher Klassen, sondern darum, was die dem wahren Wesen des Menschen gemäße Gesellschaft ist. – Anschließend an diese allgemeinen Ausführungen zur Aufklärung geht es dann direkt um deren Landschaftsidee und dabei besonders um den Landschaftsgarten. Was ist hier mit Aufklärungszeit gemeint? Das 16. Jahrhundert war die Zeit von Renaissance und Reformation. Manche halten diese Bewegungen für den eigentlichen Beginn der (europäischen) Aufklärung; die Idee des Individuums sei entstanden – man denke an die Porträtmalerei, die damals aufkam, an die Bedeutung, die man in der Reformation dem individuellen Gewissen zuschrieb, an die Glaubensfreiheit, die mit dieser ihren Anfang nahm. Meist aber datiert man
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die Frühaufklärung auf das (späte) 17. Jahrhundert. Die philosophische Richtung des Rationalismus hatte damals eine gewisse Dominanz, in der Kunst war das die Zeit des Barock. Das 18. Jahrhundert betrachtet man als die Zeit der Aufklärung im engeren Sinne. Die Aufklärung war in sich nicht homogen, es gab sehr verschiedene Varianten. Vor allem waren es zwei Hauptströmungen, die verschiedene Auffassungen vom Wesen der Welt hatten und in ihren politischen Zielen eher gegeneinander standen. Man unterscheidet sie meist als englische und französische Aufklärung.1 Sie wirken bis heute fort. – Bevor ich auf die Gemeinsamkeiten der beiden Varianten eingehe und dann beide darstelle, ist (wieder einmal) darauf aufmerksam zu machen, dass es sich um idealtypische Konstruktionen handelt, und das heißt, dass immer auch andere Konstruktionen möglich sind. Die nun folgenden rechtfertigen sich, wie ich hoffe, dadurch, dass sie für unsere spezielle Frage, die Idee der Landschaft, besonders aufschlussreich sind. Zugleich sollten sie dem üblichen Gebrauch des Begriffs der Aufklärung und ihrer Varianten so nahe sein, dass man mit diesen Idealtypen nicht den Anschluss an die allgemeinen Diskussionen verliert.
4.2 V ERNUNFT
UND
F ORTSCHRITT
Politisch war den verschiedenen Varianten der Aufklärung die Gegnerschaft zu den alten Mächten, d.h. zu Adel und Klerus gemeinsam. Während für diese die bestehende Einrichtung der Gesellschaft durch göttliche Offenbarung oder durch Tradition zu rechtfertigen war, war dies für die Aufklärung nicht der Fall. Der König verdankt seine Macht nicht Gottes Gnade; dass der Adel deswegen Vorrechte beanspruchen kann, weil er sie „schon immer“ hatte, gilt nicht mehr als Argument. Gesellschaftliche Einrichtungen müssen sich stattdessen vernünftig begründen lassen. Alle gesellschaftlichen Institutionen, alle Sitten und Gebräuche usw. werden vor den „Richterstuhl der Vernunft“ gezogen.2 Mit Vernunft ist die allgemeine, d.h. bei allen Menschen in gleicher Weise vorhandene oder zumindest von allen zu fordernde Vernunft gemeint (was natürlich nicht ausschließt, dass es Vernünftige und Unvernünftige gibt und das verschiedenen Menschen Verschiedenes als vernünftig gilt).
1 2
Zum Beispiel Habermas 1967, Kühnl 1968. Das begann schon einige Zeit vor der Aufklärung im eigentlichen Sinn: „Luther wie Descartes wenden sich gegen die Tradition, indem sie radikale Gewissheit verlangen.“ (Greiffenhagen 1986: 90)
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Dass sich alles vernünftig rechtfertigen lassen muss, mag zunächst selbstverständlich erscheinen, aber das ist es nicht. Man sieht schon an der Haltung zur Tradition, wie sie vor der Aufklärung üblich war, dass man das auch anders sehen kann. Es galt als hinreichende Begründung einer bestimmten Auffassung, wenn man auf die Tradition verweisen konnte, sei es auf einen Konzilsbeschluss oder althergebrachte Privilegien. Jetzt aber wurde gefragt, ob eine bestimmte Tradition der Prüfung durch die Vernunft, die allgemeine menschliche Vernunft, standhält. Nur dann hat sie ein Recht, weitergeführt zu werden. Nach der Aufklärung setzte sich weithin die Auffassung durch, eine solche allgemeine menschliche Vernunft gebe es nicht, sondern es sei abhängig von der Kultur und ihrer jeweiligen Geschichte, welche Vernunft sich entwickle.3 Man kann dies auch heute finden. Zum Beispiel wird argumentiert, dass vor allem in moralischen Dingen vieles, was uns als vernünftig begründet erscheint (etwa die Menschenrechte), in anderen Kulturen keineswegs akzeptiert wird. Die Aufklärung sah das anders. Sie sah in der Vernunft – und das ist das, was man bei jedem Menschen unterstellt, den man für zurechnungsfähig hält, den man darum als verantwortlich für seine Taten ansieht – die Basis für ein Fortschreiten der Menschheit zu immer besseren, und das heißt nichts anderes als vernünftigeren Verhältnissen. Und weil die Menschheit die bestehenden Verhältnisse mit einer Vernunft prüft und ihre Vorstellungen von den anzustrebenden mit einer Vernunft entwickelt, lag die Auffassung nahe, die Gesellschaften der Menschen würden sich im Zuge des Fortschritts einander immer mehr annähern. Die vernünftige Gesellschaft der Zukunft ist weltweit eine homogene Gesellschaft. Das war eine weitere Gemeinsamkeit aller Varianten der Aufklärung: Weil der Mensch Vernunft hat, kann er die Welt verändern und verbessern. So kommt es zur Vorstellung des Fortschritts – zur Vorstellung, dass Fortschritt sein soll und auch tatsächlich stattfindet und dass der Mensch selbst ihn vorantreibt, nicht etwa Gott die Welt in seiner Güte zum Besseren führt und wir das nur geschehen lassen müssen. Weil der Mensch Vernunft hat, kann er die Zustände darauf prüfen, ob sie der Vernunft entsprechen, und wenn sie ihr nicht entsprechen, soll und kann er sie verändern. Er kann das dann, wenn er die Gesetze herausfindet, denen die Zustände von Natur und Gesellschaft unterliegen; diese muss man kennen, wenn man Zustände gezielt verändern will. Vor der Aufklärung gab es die Idee des Fortschritts nicht. Das Leben lief im Wesentlichen Generation für Generation in gleicher Weise ab – zumindest in der Vorstellung der Menschen; man denke daran, dass man antike oder biblische Szenen nicht anders malte als solche der Gegenwart. Man konnte den Gang der Dinge zwar beeinflussen und
3
Siehe unten Kap. 6 zur konservativen Landschaftsidee.
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sollte das auch, aber nur dann, wenn sie von den ewig gültigen göttlichen Geboten abwichen. Das hatte mit Fortschritt nichts zu tun; man hatte in jeder Generation erneut in prinzipiell gleicher Weise den göttlichen Auftrag zu erfüllen. – Der Renaissance war ja wesentlich, dass sie vergangene Verhältnisse wiederherstellen wollte, die der griechisch-römischen Antike, weshalb die Humanisten sich intensiv mit ihr befassten. Dabei soll man erstmals bemerkt haben, dass die eigene Zeit technisch in mancher Hinsicht der Antike einiges voraus hatte.4 Einige Zeit später setzte sich die Vorstellung eines Fortschritts in der Geschichte durch. Noch im 15. Jahrhundert war „der Fortschrittsbegriff eine Idee unter anderen“. Aber „zu Beginn des 17. Jahrhunderts [erlangte er] die Dominanz eines die Zeitverhältnisse organisierenden kognitiven Schemas“.5 Fortschritt hat man zuerst und vor allem mit der Entwicklung der Naturwissenschaft verbunden. Er wurde also zunächst als technischer Fortschritt verstanden (siehe insbesondere das Werk von Francis Bacon). Doch trat bald die Vorstellung eines gesellschaftlichen Fortschritts hinzu. Dessen Ziel könnte man im Wesentlichen als Emanzipation von vorgegebenen Bindungen bezeichnen: Bindungen an die Natur, Bindungen an Tradition und – durch diese beiden oder durch Offenbarung begründete – Herrschaft. Diese Emanzipation meinte man mit Freiheit. Nun wurden die Vorstellungen von Freiheit aber auf sehr unterschiedliche Weisen mit den Vorstellungen von Vernunft verbunden. Hier hört die Gemeinsamkeit der Varianten der Aufklärung auf. Üblicherweise unterscheidet man zwei Hauptströmungen. Man spricht, wie schon erwähnt, von englischer und französischer Aufklärung. Mit Blick auf die Auffassung von der Gesellschaft nennt man die englische Liberalismus. Die französische wird man am besten als demokratische Aufklärung der liberalen englischen gegenüberstellen. Letzteres wirkt heute etwas ungewohnt. Unter Demokratie stellt man sich kaum mehr etwas vor, was dem Liberalismus entgegengesetzt ist. Denn heute gebraucht man jenen Begriff ja meist so, dass er sich auf eine Verfassung mit allgemeinem Wahlrecht bezieht, und jede der politischen Strömungen, ob das nun Liberale oder Konservative oder Sozialisten sind, legt Wert darauf, als demokratisch in diesem Sinne zu gelten. Aber im 18. und auch im 19. Jahrhundert waren Demokratie und Liberalismus klar unterschiedene Richtungen; ich komme noch wiederholt und genauer darauf zurück. Beide hatten deutlich unterschiedliche Auffassungen davon, was das Wesen des Menschen und der Gesellschaft sei und wie Mensch und Gesellschaft und ihr Verhältnis zur Natur sein sollten. Deswegen waren sie auch mit verschiedenen Klas-
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Krohn, 1977: 39.
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Ebd.: 45.
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seninteressen verbunden und sie hatten sehr verschiedene ethische Auffassungen. Den Liberalismus verbindet man im Allgemeinen mit einer utilitaristischen Theorie vom Wesen der Moral, die demokratische Aufklärung mit dem, was man Tugendethik nennt. Utilitarismus ist eine Lehre, nach der richtiges Handeln im Streben nach Glück besteht – sei es nur des eigenen, sei es das von möglichst vielen oder allen.6 Die Tugendethik dagegen verlangt, das Streben nach Glück zurückzustellen, wenn höhere moralische Prinzipien, z.B. Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit, Aufrichtigkeit, das verlangen. Schließlich waren beide Strömungen auch mit unterschiedlichen Erkenntnistheorien verbunden, die liberale Aufklärung mit dem Empirismus, die demokratische mit dem Rationalismus. – Was eben skizziert wurde, wird im Folgenden genauer ausgeführt.
4.3 L IBERALE AUFKLÄRUNG Zunächst sei der Liberalismus – in einer idealtypischen Zuspitzung, die von anderen, ebenfalls relativ gängigen abweicht – charakterisiert. Der Ausgangspunkt ist: Das Wesen des Menschen ist dadurch bestimmt, dass er einen natürlichen Trieb zur Selbsterhaltung und Verbesserung seiner eigenen Lage hat. Daraus folgt, dass es einen unendlichen Selbstantrieb gibt. Denn immer ist die Selbsterhaltung bedroht, und nie wird eine Lage eintreten, die nicht mehr verbesse-
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Der Utilitarismus ist äußerst variantenreich. Hier soll darunter jede Ethik verstanden werden, für die moralisch richtiges Handeln in der Förderung von Nutzen besteht, nicht nur jene Theorien, die man oft im engeren Sinn Utilitarismus nennt (Bentham, Mill). In diesen ist das Ziel solchen Handelns Glück oder Nutzen der Allgemeinheit (verstanden als Summe der Individuen). Allein das eigene Wohlergehen (bzw. die dadurch erzielte Lust) anzustreben, wird, wenn es eine ethische Haltung sein soll, oft als egoistischer Hedonismus dem universellen Hedonismus, der mit dem Utilitarismus gleichgesetzt wird, gegenübergestellt. – Die Weltanschauung des Liberalismus hat ihren Kern darin, dass der Einzelne faktisch im Eigeninteresse handelt, dazu auch berechtigt ist und dass er so handeln soll; es ist für den Liberalismus sekundär, ob/dass aus dieser Haltung der größte Nutzen für alle entspringt. Wenn man aber diese liberale Grundhaltung tauglich machen will für allgemeine Lehren vom Staat und der Gesetzgebung, kommt man um die Frage der Verallgemeinerung des Glücks der Einzelnen nicht herum. Die Werke von Bentham, Mill und der Vielzahl ihrer Nachfolger können als Versuche gesehen werden, aus dem Faktum des individuellen, egoistischen Strebens nach Nutzen, das ja das Problem für jede Moral ist, eine Moral abzuleiten (zum Utilitarismus siehe z.B. Höffe 1992).
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rungsbedürftig ist. Das dürfte vielen als selbstverständlich erscheinen, und in gewisser Weise ist es das auch. Aber man muss sich vor Augen halten, was man in der Zeit davor zu einer Lehre gesagt hätte, die sowohl einen solchen unendlichen Selbsterhaltungs- und Selbstverbesserungstrieb als Faktum feststellt als auch von den Menschen fordert, ihm zu folgen. Keineswegs entsprach es der alltäglichen Beobachtung, dass die Menschen ständig nach Verbesserung ihrer Lage streben – die meisten dürften in den vorgefundenen Verhältnissen gelebt haben, ohne auf den Gedanken zu kommen, daran ließe sich etwas ändern. Gar die Forderung, man solle ständig nach Verbesserung seiner Lage streben – nach Glück, noch dazu so verstanden, dass dies auch, ja vor allem in Wohlstand besteht –, erschien als höchst verwerflich; man denke an die Ethik des klösterlichen Lebens. Für den Liberalismus ist die wesentliche Tätigkeit des Menschen Aneignung.7 Er eignet sich Mittel an, die dem Überleben und dem immer besseren Leben dienen. Das ist sein natürliches Bestreben. Es ist also faktisch so, und gleichzeitig soll es auch so sein, d.h. das Streben nach Glück ist moralisch geboten. Wer dem Gebot nicht folgt, dies aber durchaus könnte, und deshalb ein elendes Leben führt, handelt verwerflich. Wer ihm nicht folgt, weil er es nicht kann und deshalb ein elendes Leben führt, ist weniger Gegenstand des Mitgefühls und der Fürsorge als Gegenstand der Verachtung. – Für die Entstehung dieser Auffassung war Thomas Hobbes (1588-1679) von besonderer Bedeutung. Im Folgenden wird seine Staatslehre skizziert. Der Mensch ist ein bedürftiges Wesen. Von Natur aus ist es ihm notwendig, für seine physische Selbsterhaltung zu sorgen. Das bedeutet, dass von Natur aus jeder nach seinem Vorteil streben muss. Der Mensch ist aber nicht einfach ein Naturwesen wie jedes Tier. Auf ihn bezogen stellt sich die Frage, ob er ein Recht darauf hat, nach seinem Vorteil gegen andere zu streben. In der Tat, er hat dieses Recht, und zwar ist es ein „Naturrecht“: „Eine Natur, welche die Sorge für die Selbsterhaltung notwendig machte und zugleich das Recht dazu grundsätzlich verweigerte, wäre in sich widersprüchlich und kann also nicht gedacht werden. Daher muss umgekehrt mit der natürlichen Notwendigkeit der Selbsterhaltung ein damit verbundenes natürliches Recht auf Selbsterhaltung gedacht werden.“8 Nichts, was dem Einzenlen zu seiner Selbsterhaltung dienlich ist, ist von diesem Recht ausgenommen. Aber jeder andere hat dieses Recht auch. Der Naturzu-
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Ausführlich siehe z.B. Kötzle 2002, insbesondere 17 ff., 97 ff.
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Geismann 1982: 163, Hobbes interpretierend.
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stand9 ist folglich ein Krieg aller gegen alle10 (homo homini lupus). Krieg ist er nicht nur im Sinne der Abwesenheit eines Rechtsfriedens in der einen oder anderen Hinsicht, sondern in dem Sinne, dass es keinerlei Recht gibt, auch nur auf irgendeine Rücksichtnahme Anspruch zu erheben. Wenn jeder sein Glück anstrebt so gut er kann, dann nimmt er definitionsgemäß keinerlei Rücksicht auf die anderen, und darauf hat er auch ein Recht. „Zur Befriedigung des fundamentalen und letzten Ziels der Selbsterhaltung ist jedes Mittel, sei es Gewalt, List, Betrug, Unterwerfung, Versklavung oder Tötung, erlaubt. Jeder unterstellt dem anderen, dass dieser ihn im Kampf um Mittel zur Selbsterhaltung, also gleichsam aus Notwehr, töten oder unterwerfen wird.“11 So kommt es zu der manchem vielleicht befremdlich erscheinenden Aussage, dass etwas – das rücksichtslose Streben nach dem eigenen Glück – rechtmäßig sein soll einfach deshalb, weil es natürlich ist. Damit entsteht aber ein Zustand unter den Menschen, in dem es für niemanden Glück gibt – selbst die Sieger leben im Zustand dauernder Bedrohung. Darum schließen die Einzelnen, jeder in seinem eigenen Selbsterhaltungsinteresse,
9
Hobbes stellt keine Behauptungen über einen empirischen vorgeschichtlichen Zustand auf, seine Theorie ist rechtsphilosophischer Art. Es geht ihm um die rechtlichen Konsequenzen einer Gesellschaft ohne Staat (Geismann 1982, insbesondere 161 f.). Nachfolgende liberale Theoretiker haben ihn allerdings im genannten Sinne missverstanden, und es begann eine Diskussion darüber, ob der Mensch nicht doch eine natürliche Neigung zur Vergesellschaftung, etwa aufgrund der Vorteile der Kooperation, habe u.ä. Das ist für das Verständnis der Hobbes’schen Theorie irrelevant, während es für uns umgekehrt nicht relevant ist, dass Hobbes’ Theorie gar nicht als anthropologische über einen realen Urzustand zu verstehen ist: Hobbes dient uns ja nur dazu, mit Hilfe einiger Elemente seiner Theorie den Idealtyp des Liberalismus zu konstruieren; wir wollen nicht dem individuellen Philosophen Hobbes „gerecht werden“, uns interessiert die Struktur einer in der Geschichte wirkmächtigen, weit verbreiteten Denkweise. Spätere Formen des Liberalismus, wie man sie etwa ausgehend von John Locke oder Adam Smith konstruieren könnte, müssen dann als abweichende Varianten gelten, wenn man den Idealtyp in Anlehnung an Hobbes bildet. Das ließe sich natürlich auch anders machen. Ich meine aber, dass sich ausgehend von bestimmten Gedanken, die sich anhand von Hobbes entwickeln lassen, so anti-liberal sie uns vor dem Hintergrund späteren liberalen Denkens erscheinen mögen (insbesondere seine Haltung zum absolutistischen Staat), die Unterschiede des Liberalismus zu anderen Weltanschauungen besonders markant zeichnen lassen.
10 „a warre, as is of every man, against every man“, Hobbes 1651/1959: 64; I, XIII. 11 Vicenzotti 2010: 71.
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einen Vertrag. So entsteht der Staat. Ihm geben die Einzelnen alle Macht. Der Staat ist also nicht mehr gottgegeben, sondern von den Menschen gemacht, und zwar ist es das Interesse jedes Einzelnen, das dazu treibt, ihn einzurichten. Dem Staat oder dem gesellschaftlichen Ganzen zu dienen, ist hier und im gesamten nachfolgenden Liberalismus eine unmögliche Vorstellung. Es ist umgekehrt: Durch die Errichtung des Staates dient jeder sich. Die Einzelnen geben Freiheit ab, um Sicherheit zu gewinnen. „Die Absicht und Ursache, warum die Menschen bei all ihrem natürlichen Hang zur Freiheit und Herrschaft sich dennoch entschließen konnten, sich gewissen Anordnungen, welche die bürgerliche Gesellschaft trifft, zu unterwerfen, lag in dem Verlangen, sich selbst zu erhalten und ein bequemeres Leben zu führen; oder mit anderen Worten, aus dem elenden Zustande eines Krieges aller gegen alle gerettet zu werden.“12 Unter dem Schutz des Staates kann der Einzelne so frei, wie es nur möglich ist, seinem Streben nach dem eigenen Vorteil ohne Gefahr für Leib und Leben nachgehen. Vor allem aber schützt der Staat nicht nur erworbenes Eigentum gegen unrechtmäßige Aneignung – er schützt die Tätigkeit des Erwerbens von Eigentum. Aus dem Krieg aller gegen alle wird friedliche Konkurrenz aller gegen alle. Damit bricht Hobbes radikal mit der Vorstellung eines moralischen Handelns, das von höheren Prinzipien geleitet ist,13 seien diese Prinzipien nun göttliche Gebote oder von der Vorstellung Gottes ganz unabhängige Ideen, beispielsweise Gerechtigkeit oder Frieden. Richtiges Handeln liegt nicht darin, gottgegebene oder auch naturgegebene (d.h. angeborene) oder durch Vernunft erkennbare Rechte der anderen zu beachten, sondern besteht im furchtgeleiteten – denn dem Staat ist alle Macht und Zwangsgewalt gegeben – Einhalten des Gesellschaftsvertrags14. So führt bei Hobbes ein radikaler Liberalismus, d.h. Individualismus zur Rechtfertigung absolutistischer Herrschaft – aber nicht, weil diese Herrschaft von Gottes Gnaden wäre, sondern um der Freiheit und des Glücks der Einzelnen willen, und der Fürst ist nur Beauftragter der Einzelnen.15
12 Hobbes, 1651/2005: 151 (1652: II, XVII). 13 Siegmund 2010: 87. 14 Ebd. 15 Voigt, 2009: 70; vgl. Hobbes, 1651: II, XVIII und XXX. Beauftragter ist der Fürst aber nur in dem ganz allgemeinen Sinn, dass er bzw. der Staat letztlich eingesetzt wurde von den Einzelnen, er hat nicht im Einzelfall in deren Interesse zu handeln, vielmehr haben die Einzelnen ihm – bei Hobbes – jedes Recht übertragen und sind also ihm gegenüber völlig rechtlos. Zur Reaktion der demokratischen Aufklärung (Rousseau) darauf siehe unten S. 79.
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Der Begriff der Freiheit bedeutet in dieser Denkweise die Möglichkeit uneingeschränkter Entfaltung des individuellen Strebens nach Glück bzw. nach Nutzen – ein Sinn des Freiheitsbegriffs, der uns ganz selbstverständlich ist, so dass man vielleicht fragt, was Freiheit denn anderes heißen soll. Aber wir werden sehen, dass der Begriff auch andere, dem widersprechende Bedeutungen haben kann, die uns auch selbstverständlich erscheinen. Wie hält es der Liberalismus mit der Gleichheit? Alle sind formal-rechtlich gleich, es gibt keine Vorrechte mehr, wie sie der Adel besaß. Aber es sind nicht alle real-material gleich. Jeder darf und soll Eigentum erwerben, soviel er kann. Wer das nicht so gut kann wie andere, wird weniger oder nichts besitzen. Diese Ungleichheit ist gut, denn sie ist der Motor der Entwicklung.16 – Man sieht: Dies ist zwar eine idealtypische Rekonstruktion, die sich an bestimmten Denkern vergangener Jahrhunderte orientiert, ohne ihnen gerecht werden zu wollen, sondern nur aus ihren Theorien mittels einseitiger Auswahl und Zuspitzung bestimmte Elemente herausholt, durch die sich ein konsistentes Bild zeichnen lässt. Doch hört man ohne Weiteres einen heutigen liberalen Parteipolitiker reden. Wenn auch nicht in allen Dingen – absolutistische Herrschaft rechtfertigt keiner mehr –, so ist man doch in den wesentlichen Hinsichten diesem Idealtyp recht nahe. Allerdings blieben nicht alle politischen Strömungen ihren Ausgangsgestalten so ähnlich, wie wir noch sehen werden. Die moralischen Vorstellungen des Liberalismus bezeichnet man gewöhnlich, wie erwähnt, als Utilitarismus: Jeder strebt nach Nutzen – jeder darf und soll das. Vernunft dient diesem, ja besteht in nichts anderem; vernünftig ist, das zu tun, was nützt.17 Nutzen erlangt man durch Unterwerfung der Natur. Dazu ist
16 In England kämpften die Liberalen (Whigs) im frühen 19. Jahrhundert vehement gegen die Konservativen (Torys) für die Abschaffung der Armenfürsorge. So werden die Armen gezwungen, um Arbeitsplätze zu konkurrieren, was die Lohnkosten senkt (Desmond/Moore 1991: 178 f. u.a.), aber indirekt auch den Armen zugute kommt, denn sie können durch Arbeit ja der Angewiesenheit auf die Fürsorge entkommen und wohlhabend werden. Dass viele oder die meisten der Armen nicht arbeiten können, weil sie dazu unfähig sind oder weil keine Arbeit für sie da ist, liegt, wie man ja auch heute sehen kann, außerhalb dessen, was sich im Rahmen des liberalen Paradigmas sei es überhaupt begreifen, sei es in seinen moralischen Konsequenzen verstehen lässt. – Im klassischen Liberalismus hatte man allerdings die Vorstellung, dass alle Eigentümer werden könnten, vgl. z.B. Habermas 1990: 149, 159, siehe auch Kühnl 1968: 76 f. 17 Kötzle 2002: 62, dort bezogen auf den mittelalterlichen Nominalismus (insbesondere Buridanus), wo dieser Gedanke erstmals als eine „kopernikanische Wende in der Handlungstheorie“ (Krings 1980: 51) auftaucht.
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die Kenntnis der Naturgesetze notwendig. Wenn sie erkannt sind, können sie nutzbringend eingesetzt werden. Welche nützlichen Entdeckungen und Erfindungen die Zukunft noch bringen wird, ist völlig offen. Darum kann es kein Ziel der Geschichte geben, Ziel verstanden als das, worauf sie faktisch zuläuft. Das Ziel im Sinne dessen, was wir anstreben sollen (und das ist hier zugleich das, was wir ohnehin, durch unsere Natur getrieben, anstreben) ist ganz abstrakt: Es soll nur immer besser für die Einzelnen werden. Und das wird es auch, wenn die unvernünftigen, etwa traditionsbedingten Hindernisse, die dem Glücksstreben der Einzelnen im Weg stehen, beseitigt sind. Worin dieses Besserwerden konkret besteht, liegt aber in keiner Weise fest. Der gesellschaftliche Fortschritt ist ein offener Prozess. Es gibt kein vorgegebenes Ziel, weder ein gott- noch ein naturgegebenes und auch kein von Utopisten durch Nachdenken herauszufindendes.18 Der Liberalismus ist verbunden mit der Erkenntnistheorie des Empirismus. Erkenntnis beginnt für diesen mit sinnlicher Erfahrung (Empirie). Diese ist immer subjektiv; der eine sieht dies, der andere hört jenes. Verallgemeinerung ist aber möglich durch Wiederholung, insbesondere von Experimenten. Häufige Wiederholungen gleicher Beobachtungen und durch verschiedene Subjekte erlauben den Schluss – man nennt ihn den induktiven Schluss – auf ein als allgemeingültig zu betrachtendes Naturgesetz. Dem Verstand kommt nur diese Aufgabe des Verallgemeinerns und Ordnens zu; er ist sinnlicher Erfahrung nachgeordnet. Natürlich ist der Schluss von der einzelnen Erfahrung auf allgemeine Gesetze nie völlig sicher. Die nächste Erfahrung, das nächste Experiment kann ein anderes Ergebnis bringen. Aber das ist unerheblich. Wir können eine letzte, höhere Wahrheit ohnehin nicht erkennen (wie man vorher dachte, als man meinte, Gott habe dem Menschen die Vernunft gegeben und damit – begrenzte – Einsicht in die höhere, eigentliche Wahrheit). Es ist darum sinnlos, von der Existenz einer höheren Wahrheit auszugehen. Solange die Naturgesetze brauchbar sind bei unserem Streben nach Nutzen, benutzen wir sie und können damit zufrieden sein – mehr ist für uns ohnehin nicht zu erreichen.19 Die Naturgesetze sind nicht
18 Oft wird behauptet, die Geschichte der Erkenntnis habe man vor dem Aufkommen der darwinistischen Theorie im 19. Jahrhundert (oder auch vor bestimmten Wissenschaftstheorien im 20. Jahrhundert) immer so gedacht, als ob es auf eine feststehende Wahrheit zuginge, und dass die Vorstellungen von der Geschichte als Ganzer dem entsprochen hätten. Doch ist, wie man sieht, bereits im frühen Liberalismus die Struktur solcher Vorstellungen aufgebrochen. 19 Zur geistesgeschichtlichen Herkunft des Empirismus (und des Liberalismus) aus dem mittelalterlichen Nominalismus siehe z.B. Kötzle 2002 und dort zitierte Literatur.
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Ausdruck einer den Dingen innewohnenden höheren Ordnung. Die Gesetze der Mathematik sind nicht Gedanken Gottes, an denen er uns teilhaben lässt, wie Gegner des Empirismus meinten. Sondern das sind nur Regelsysteme, die die Menschen konstruiert haben und die sich als nützlich erwiesen haben.20 So macht sich der Mensch, weil er Wahrheit an Nutzen bindet, selbst zum Maß der Wahrheit.
4.4 D EMOKRATISCHE AUFKLÄRUNG Auf politischer Ebene betrachtet ist der Liberalismus offensichtlich die Ideologie21 des Besitzbürgertums. Er liefert die Rechtfertigung der Lebensweise erfolgreicher Individuen in einer auf Privateigentum und freier Konkurrenz beruhenden Wirtschaftsordnung. Er liefert auch die Begründung für die Einrichtung eines Staates, der eben diesen wirtschaftlich Erfolgreichen nützt. Dagegen haben sich nicht nur die alten Mächte gewandt – der Adel, dem diese Ideologie die Rechtfertigung seiner Privilegien nahm, der Klerus, dessen Deutungshoheit in Gefahr geriet –, sondern auch die unteren Schichten. Ihr Interesse ist nicht die Herrschaft der ökonomisch Erfolgreichen – und die Staatsvorstellungen des (damaligen) Liberalismus schlossen die Beteiligung der Besitzlosen an der Herrschaft aus22 –, sondern die Herrschaft des Volkes. „Volk“ ist hier zu verstehen im Sinne von „gemeines Volk“, und da dies die große Mehrheit ist, zugleich im Sinne von Mehrheit und in bestimmtem Sinne23 von Allgemeinheit. „Volk“ ist also etwa im Sinne des französischen „Nation“ gemeint (und nicht etwa des deutschen Begriffs Volk, für den ja vor allem Abstammungsgemeinschaft sowie Sprach- und Kulturgemeinschaft wesentlich ist24). Demokratie heißt Volksherrschaft. Demokraten waren die Jakobiner, also der radikale, plebejische Flügel
20 Ebd.: 50 ff. 21 „Ideologie“ hat eine ganze Reihe sehr verschiedener Bedeutungen (vgl. z.B. Lieber 1985). Hier wird das Wort, dem alltagssprachlichen Sinn einigermaßen entsprechend, im Sinne von „Weltanschauung“ verwendet, doch mit besonderer Betonung von deren politischen Aspekten. Insbesondere wird betont, dass die Interessen bestimmter sozialer Gruppen in bestimmten Vorstellungen vom Wesen des Einzelnen und der Gesellschaft zum Ausdruck kommen, Vorstellungen, die diese Interessen rechtfertigen und ihnen in den politischen und sozialen Auseinandersetzungen dienlich sind. 22 Vgl. z.B. Habermas 1990: 155 ff. 23 Siehe unten S. 79 f. 24 Siehe Kap. 6.
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der Französischen Revolution, Demokraten waren später die Sozial-Demokraten, die Sozialisten.25 Als einer der wichtigsten geistigen Begründer gilt meist Jean Jaques Rousseau. Die hier wesentlichen Punkte seiner Staatslehre werden im Folgenden skizziert:26 Während für den Liberalismus das Wesen des Menschen in seiner Natur zu finden ist – sein natürliches Streben nach Selbsterhaltung und Wohlergehen –, sieht die demokratische Aufklärung dieses Wesen in seiner Vernunft. Das Ziel, das dem Menschen gesetzt ist – und das heißt zugleich, das er sich selbst setzt, wenn er vernünftig ist –, ist ein vernunftgemäßes Leben und eine vernünftige Gestaltung der Welt. Individuell mag er andere Ziele haben, als Einzelnem mag es ihm in dieser vernünftig eingerichteten Welt vielleicht gar nicht so gut gehen, er mag keinen Nutzen davon haben, dass er dieses Ziel verfolgt. Aber er soll es befolgen, das sagt ihm die Vernunft. Vernunft kann dann allerdings nicht in jeder Hinsicht das gleiche bedeuten wie für die liberale Aufklärung, für die das Vernünftige mit dem Nützlichen identifiziert wird. Als die zugehörige Erkenntnistheorie gilt die des Rationalismus. Das ist für Frankreich sicher richtig, für Deutschland nicht unbedingt, wie sich noch zeigen wird. Die Erfahrung mittels der Sinne, für den Empirismus Ausgangspunkt und höchste Instanz, hat im Rationalismus nicht den Vorrang, denn die Sinne können trügen. Sicheres Wissen ist Wissen, das von Erfahrung unabhängig ist, Wissen, zu dem man durch reines, kontrolliertes Denken kommt. Insbesondere die Mathematik verhilft uns zu solchem Wissen. Die Suche nach Erkenntnis über die Natur beginnt nicht mit sinnlichen Erfahrungen, sondern mit Vernunfteinsichten. Daraus werden Hypothesen abgeleitet (Deduktion). Die sinnliche Erfahrung, in der Beobachtung und insbesondere im Experiment, dient nur der Prüfung der
25 Was hier die Tradition der demokratischen Aufklärung genannt wird, heißt bei Greiffenhagen 1986 Sozialismus und bei Eisel 1999 nur Aufklärung; „Aufklärung“ wird von diesem explizit dem Liberalismus gegenübergestellt. 26 Siehe Fetscher 1990, Nonnenmacher 1989, Kap. 3.3 in Voigt 2009, Vicenzotti 2010: 117-143. – Rousseau so einzuordnen, also zur demokratischen Aufklärung in einer bestimmten idealtypischen Konstruktion, ist zwar weithin üblich, aber auch umstritten. Er ist „zum Vater aller modernen Modernismen und Antimodernismen geworden: der Revolution und der Restauration, des liberalen Rechtsstaates und der populistischen Diktatur, der antiautoritären Pädagogik und des Totalitarismus, des romantischen Christentums und der strukturalistischen Ethnologie. Aller Streit um den ‚wahren Rousseau‘ ist vergeblich“ (Spaemann: 14, zit. n. Voigt 2009: 128). Eine Begründung, wieso es gerechtfertigt ist, Rousseau trotzdem zur idealtypischen Konstruktion der demokratischen Aufklärung zu benutzen, findet sich bei Voigt ebd. 127 f.
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dem Denken entstammenden Hypothesen. Der Verstand und die schlussfolgernde Vernunft sind also der sinnlichen Erfahrung vorgeordnet. Die Vernunft erkennt, ganz anders als im Empirismus, eine Ordnung, die höher ist als das Faktische, uns durch Erfahrung Zugängliche. Die Erfahrung liefert uns ein Chaos von Sinneseindrücken, Verstand und Vernunft erkennen dahinter eine mathematische Ordnung. Und was die soziale Welt angeht, so erkennt die Vernunft die Ordnung, die sein soll. Sie beruht auf den für die Vernunft erkennbaren höheren Werten, z.B. Gerechtigkeit. Der Naturzustand ist nicht chaotisch, ist nicht ein Krieg aller gegen alle, sondern eine natürliche Ordnung, und diese ist im Prinzip gut. Im Natur- oder Urzustand sind nämlich alle Menschen frei und gleich. Rousseau unterscheidet dabei zwei Stufen: Dem sauvage fehlen noch die Fähigkeiten, die den Menschen als Menschen ausmachen, nämlich Selbstbewusstsein, Sprache und Vernunft.27 Anders als die Tiere ist er aber lernfähig. Über den Zustand des sauvage entwickeln sich die Menschen hinaus, denn Bevölkerungswachstum und die gemeinsame Bewältigung von Naturkatastrophen bringen sie dazu, zu kooperieren. Die barbares schließen sich zu ersten, lockeren Gruppen und Familienverbänden zusammen, die als Hirten leben. Sie entwickeln Vernunft und Sprache und erlangen Selbstbewusstsein. Das sind Voraussetzungen dafür, Glück empfinden und Schönheit wahrnehmen zu können.28 Die „Leiden der Zivilisation“, insbesondere „Ungleichheit und Unfreiheit“29 aber kennen sie noch nicht. Die Kulturentwicklung jedoch zerstört diesen guten Urzustand. Mit dem Ackerbau geht die arbeitsteilige Trennung einher, etwa in Bauern und Pflugschmiede. Das ist der Beginn der Ungleichheit, die zur Entstehung von riches und pauvres und schließlich zur „kommerziellen Gesellschaft“ führt.30 Freiheit und Gleichheit sind allerdings nicht endgültig verloren, sie können wiedererlangt werden. Doch nicht „zurück zur Natur“ war Rousseaus Forderung; man schreibt ihm das immer zu, er hat es aber nicht gesagt. Es kann und soll nur eine Rückkehr zur Gleichheit aller Menschen geben und zur naturgemäßen Freiheit – die natürliche Freiheit des Urzustands war keine wahre Freiheit, denn wegen des Fehlens von Unfreiheit war sie den Menschen nicht bewusst, und sie unterlagen Naturzwängen, nur nicht dem Zwang ihrer Mitmenschen; Rousseau spricht denn auch von natürlicher indépendance.
27 Vicenzotti 2010: 120. 28 Fetscher, 1975/1999: 40. 29 Ebd. 30 Vgl. ebd.: 43-45.
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Der Gesellschaftsvertrag hat diese Rückkehr zum Ziel und ermöglicht sie.31 Von einem Gesellschaftsvertrag, einem bewussten Akt, leiten die Demokraten also genauso wie die Liberalen den Staat her, dieser ist auch für sie nicht gottoder naturgegeben oder einfach überliefert. Die vertragsschließenden Einzelnen geben bei Rousseau aber nicht, der Vorteile wegen, die sie als Einzelne davon haben, die Souveränität an den Staat bzw. den Fürsten ab wie bei Hobbes. Sondern es gilt: „Jeder schließt – der Idee nach – mit jedem und somit alle, ohne Ausnahme, miteinander einen Vertrag, und zwar nicht zugunsten irgendeines Anderen, auf den sich zufällig alle einigen mögen, sondern zugunsten jedes Anderen und somit aller.“32 Wie aber kann zugunsten jedes anderen gehandelt werden? Das wird möglich, indem man nicht an einen nach Belieben handelnden Souverän die Entscheidung abgibt, aber die Entscheidungen auch nicht, wie im späteren Liberalismus üblicherweise gedacht, dadurch zustande kommen, dass die Partialinteressen ausgeglichen werden, sondern dadurch, dass sie auf Basis der Vernunft geschehen, und das heißt, gemäß dem „allgemeinem Willen“ (volonté générale). Der allgemeine Wille ist nicht nur ein Wille, den man einer fiktiven Allgemeinheit oder dem Staat zuschreibt, sondern durchaus ein Wille, der, wenn er auch nicht in jedem vorhanden ist, doch in jedem Einzelnen vorhanden sein soll und kann, und dieser Wille ist definitionsgemäß vernünftig. Das sei anhand von Kant erläutert33, der diesen Gedanken Rousseaus weiterentwickelt hat.34 Die Vernunft ist theoretisch und praktisch. Praktisch ist die Vernunft, insofern sie nicht nur erkennt, sondern auch den Willen bestimmt. Der Wille kann von irgendwelchen subjektiven Neigungen bestimmt sein. Die Vernunft kann dann fragen: Wenn ich diesen Neigungen nachgehe – welche Mittel
31 Dieser ideale Gesellschaftsvertrag darf nicht mit dem faktischen verwechselt werden. Dieser kommt dadurch zustande, dass „die Reichen und Mächtigen die Armen“ „überreden“, und zwar dazu, „einen scheinbar gerechten Vertrag abzuschließen, der jedoch nur die Interessen der ersteren und nicht die der Allgemeinheit vertritt“ (Voigt 2009: 131). 32 Geismann 1982: 171. 33 Hier referiere ich Kant, ich konstruiere nicht einen idealtypischen Kant. Dieses Referieren aber dient der Konstruktion des Idealtyps „demokratische Aufklärung“. Dazu muss ich manches aus Kants Philosophie herausheben und anderes weglassen, denn Kant entspricht – wie auch Rousseau – nicht insgesamt dieser politischweltanschaulichen Richtung. Dies zu behaupten, hieße ihn verfälschen, während jenes Herausheben und Weglassen keine Verfälschung ist. 34 Vgl. Grünewald 2001; siehe aber auch Habermas 1990, insbesondere 171 ff.
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muss ich einsetzen? Und komme ich vielleicht durch die Verfolgung dieser Neigungen mit anderen Neigungen in Konflikt, die ich auch verfolgen möchte? Was muss ich tun, um langfristig Erfolg zu haben? Hier steht die praktische Vernunft noch im Dienste der Neigungen. Die reine praktische Vernunft fragt aber: Was soll ich, egal was meine Neigungen mir anraten, objektiv wollen – nicht um diesen oder jenen Zweck zu erreichen, sondern was ist an sich richtig zu wollen? Gleichgültig was der Zweck sein mag: Man soll sich nicht durch Betrug bereichern. Hätte ich mir Betrug zur übergeordneten Regel, zur „Maxime“ gemacht, so ergäbe eine Vernunftprüfung dieser Maxime: Mir mag der Betrug nützen, aber als allgemeines Gesetz könnte ich die Erlaubnis, sich durch Betrug zu bereichern, nicht wollen. Das bedeutet aber: Meinen Willen so zu bestimmen, wie er objektiv sein soll, heißt den Willen aller anderen mit zu berücksichtigen. Mein Wille ist dann der allgemeine Wille. Und das ist es, was immer schon – und Kant sagt, auch für „den gemeinsten Verstand“35 – im Hintergrund stand, wenn wir eine Willensbestimmung als „gut“ bezeichnet haben. Auch wenn wir vielleicht meinten, gut sei diese, weil sie einem fremden Willen, dem Willen Gottes oder einer irdischen Autorität, gemäß ist, so ist sie doch primär deshalb gut, weil sie einem Vernunftgesetz entspricht, anders gesagt, weil sie jene Vernunftprüfung auf Verallgemeinerbarkeit bestanden hat. Für der Liberalismus ist also vernünftig, was nützt (direkt oder indirekt dem Einzelnen). Für die demokratische Aufklärung aber ist eine den Nutzen optimierende Willensbestimmung nicht per se vernünftig, sondern es ist immer erst durch die Vernunft zu prüfen, ob sie mit dem allgemeinem Willen vereinbar ist.36 Freiheit bedeutet für die demokratische Aufklärung nicht die Möglichkeit, sein individuelles Streben nach Nutzen uneingeschränkt zu entfalten. Sondern Freiheit liegt darin, gegen alle Widerstände und Verlockungen, auch gegen den Nutzen, gegen das, was die Neigung rät, das von der Vernunft, d.h. dem allgemeinen Willen Gebotene zu tun. Wer so lebt, lebt tugendhaft. Man könnte zugespitzt sagen, dass Freiheit für den Liberalismus die Freiheit des Abenteurers ist. Man tut, was einem Spaß macht und ein freiheitlicher Staat ist einer, der einem das erlaubt. („Freie Fahrt für freie Bürger“ formuliert den Kern des liberalen Freiheitsbegriffs.) Die Freiheit der demokratischen Aufklärung, bei Rousseau
35 Kant 1977, Bd. 7: 149 (Kritik der praktischen Vernunft, KpV). 36 Kant, der kein Rationalist war, habe ich in diesem Punkt der demokratischen Aufklärung zugeordnet, obwohl ich vorhin gesagt habe, dieser sei die erkenntnistheoretische Richtung des Rationalismus zuzuordnen. Der Grund ist, dass sich so eher ein in sich einheitliches Gedankenbild (Max Weber) konstruieren lässt.
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und vor allem bei Kant, ist dagegen letzten Endes die Freiheit des Helden oder des Märtyrers; frei ist der, den keine angebotene Lust, aber auch keine Drohung und kein Zwang davon abhalten kann, das zu tun, was er als richtig eingesehen hat.37 Der Staat hat für die demokratische Aufklärung nicht primär zu gewährleisten, dass jeder so frei wie möglich seinen Neigungen nachgehen kann, sondern er hat den allgemeinen Willen durchzusetzen, d. h. er hat vernünftig zu begründende Werte (wie Gerechtigkeit) durchzusetzen. Der allgemeine Wille ist nicht der Wille der Mehrheit oder die Summe aller Einzelwillen. „Oft“, so schrieb Rousseau, „ist ein großer Unterschied zwischen dem Willen aller und dem allgemeinen Willen; letzterer geht nur auf das allgemein Beste aus, ersterer auf das Privatinteresse und ist nur eine Summe einzelner Willensmeinungen.“38 Fortschritt ergibt sich hier nicht aus dem erfinderischen Streben der konkurrierenden Einzelnen nach jeweiligem Erfolg, sondern aus dem gemeinsamen Nachdenken darüber, was das allgemeine Beste und moralisch Richtige ist, also darüber, was vernünftige Ziele sind, und aus deren tätiger Verfolgung.
4.5 N ATUR
UND
L ANDSCHAFT
IN DER
AUFKLÄRUNG
Ich beende nun die allgemeinen Ausführungen zur Aufklärung und komme wieder zu unserem eigentlichen Thema, der Rolle von Natur und Landschaft in der Aufklärung. Beide hier vorgestellten Varianten der Aufklärung beziehen sich sowohl positiv als auch negativ auf Natur. Positiv ist der Bezug in Folgendem: Man beruft sich – im Liberalismus – auf ein natürliches Recht der Selbsterhaltung und des Strebens nach Glück. Man beruft sich auf ein Naturrecht, das aller menschlichen und göttlichen Autorität vorausgeht. In der demokratischen Aufklärung beruft man sich auf einen natürlichen Urzustand der Freiheit und der Gleichheit. Natur wird so in beiden Richtungen (bedingt) mit Vernunft identifiziert: Was von Natur aus ist, ist vernünftig und soll folglich sein, wenn als vernünftig auch durchaus Verschiedenes gilt. Diese Art der Berufung auf die Natur setzt man gegen die Berufung auf göttliche Offenbarung und Tradition. Das sollte man beachten, weil wir es ja gewohnt sind, dass heute Berufung auf Natur, Berufung auf Tradition und Berufung auf eine
37 Man wird sich in diesem Moment sicher auf diese Seite schlagen und nicht auf die liberale. Doch sollte man nicht vergessen, dass man in der Französischen Revolution die Menschen vornehmlich im Namen der Tugend, im Namen der volonté générale auf die Guillotine geführt hat; ganz problemlos ist diese Haltung also auch nicht. 38 Rousseau 1975: 32 (1762).
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göttliche Schöpfungsordnung eher zusammenfallen und allesamt gegen den Fortschritt gestellt werden, dessen Beginn man in der Aufklärung sieht. Einen negativen Bezug auf Natur gibt es insofern, als beide, liberale und demokratische Aufklärung, darin einig sind, dass die Natur besiegt und beherrscht werden muss – idealtypisch zur individuellen Nutzenmaximierung in der liberalen, um das Elend des Volkes zu beheben in der demokratischen Aufklärung. Die Beherrschung der natürlichen Neigungen ist geboten, wenn die Vernunft es gebietet – im Liberalismus dann, wenn das Nachgeben gegen diese Neigungen, also der momentane Nutzen einen langfristigen größeren gefährdet, in der demokratischen Aufklärung dann, wenn das Sittengesetz es verbietet, diesen Neigungen zu folgen, weil das dem allgemeinen Willen entgegenstünde. – Man beachte, dass „Natur“ hier verschiedene Bedeutungen hat. Wenn Natur etwas ist, dem Regeln zu entnehmen sind, die wir befolgen sollen, dann ist das nicht die Natur, die gemeint ist, wenn von Naturbeherrschung die Rede ist. Denn trotz der Redeweise „Beherrschung“, die suggeriert, die Natur sei etwas von der Art eines Subjekts: Hier ist in Wirklichkeit die wertfreie, für sich sinnlose Natur der Naturwissenschaften gemeint. Und wieder etwas anderes ist mit jener triebhaften Natur des eigenen Inneren gemeint.39 Landschaft spielt eigentlich nur in der demokratischen Variante der Aufklärung eine wichtige Rolle. Der Landschaft wurde in jener Zeit in verschiedenen weltanschaulichen und künstlerischen Richtungen die Hauptaufgabe zugesprochen, den Menschen zu bessern, oder anders formuliert, sie galt als Erziehungsmittel. Das Spazieren in der Landschaft, das Leben in ihr, das Malen von Landschaft, das Beschreiben von Landschaften in Romanen und Gedichten, das künstliche Herstellen von natürlicher Landschaft, d.h. das Anlegen von Landschaftsgärten, diente der Erziehung der Menschen zur Tugend. Tugend war aber nur in der demokratischen, nicht in der liberalen Variante der Aufklärung von Bedeutung. In der demokratischen Aufklärung gab es eine besondere und enge Verbindung des Ästhetischen und des Moralischen. Das ist uns heute recht fremd geworden. (Ob dieses Auseinandertreten richtig, also gut ist, ist eine andere Frage.) Darum muss, bevor wir auf die Erziehung durch Landschaft kommen, noch einiges zu den Ästhetik- und Moraltheorien der Aufklärung überhaupt ausgeführt werden. Von Landschaft wird jetzt über recht viele Seiten nicht mehr die Rede sein, aber ohne eine ausführlichere Behandlung dieser allgemeinen Fragen würde man nicht verstehen können, warum man damals der Landschaft eine große Bedeutung zuschrieb und welche Bedeutung das war.
39 Vgl. Marquard 1987.
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4.5.1 Ästhetik und Ethik in der Aufklärung Ich skizziere zuerst die zur Zeit der Aufklärung wichtigsten Positionen hinsichtlich der Beziehung zwischen Ethik und Ästhetik. Es geht bei der Darstellung der ästhetischen Auffassungen nicht darum, was man damals schön fand, sondern darum, was man gedacht hat, dass Schönheit überhaupt sei. (Der Einfachheit halber spreche ich zunächst nur von Schönheit, obwohl es andere ästhetische Urteile als das Urteil über das Schöne auch gibt und man das auch damals so sah.) In der frühen Aufklärung sind vor allem zwei Linien der Ästhetiktheorie von Bedeutung. Darunter darf man sich nicht umfangreiche, ausgearbeitete Theorien vorstellen. Dazu kam es erst gegen Ende des Zeitalters der Aufklärung. Oft wird das Werk „Aesthetica“ von Alexander Gottlieb Baumgarten (zwischen 1750 und 1758 erschienen) als das erste dieser Art genannt; es gab der philosophischen Disziplin der Ästhetik den Namen40. Aber nachgedacht hat man über das, was wir heute Ästhetik nennen, schon früher. Die zwei Linien waren – den beiden Varianten der Aufklärung im Allgemeinen entsprechend, die hier vorgestellt wurden – die rationalistische (vor allem in Deutschland und Frankreich) und die empiristische (vor allem in Britannien). Beide wurden später durch Kant verbunden. Die rationalistische Ästhetiktheorie wurde dann mit Folgen, die für die Landschaftsästhetik und für das Denken über Landschaft überhaupt sehr tiefgreifend waren, durch Herder erneuert. Ich beginne mit der rationalistischen Ästhetiktheorie.41 Sie entstand im Zuge des Versuchs, das System der Philosophie zu ergänzen. Die Logik galt als die Wissenschaft der theoretischen Erkenntnis. Ihr sollte eine Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis zur Seite gestellt werden. Das war es, was Baumgarten in dem genannten Werk versucht hat. Er baute dabei auf Gedanken der rationalistischen Philosophen Gottfried Willhelm Leibniz (1646–1716) und Christian Wolff (1679–1754) auf. Leibniz hat das Gebiet der Erkenntnis in die genannten zwei Bereiche geteilt. Die logische Erkenntnis geschieht durch den Verstand. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie klar und deutlich ist. Die sinnliche Erkenntnis dagegen ist dunkel und verworren. Zur Erkenntnis mittels der Sinne gehört nicht nur z.B. die Wahrnehmung der Umgebung als warm oder kalt, eines Tons als laut oder leise, sondern auch die Wahrnehmung von etwas als schön oder hässlich. Das Wesentliche ist hier, dass für Leibniz die sinnliche Erkenntnis nicht grundsätzlich von der Tätigkeit des Verstandes unterschieden ist: In beiden Fällen erkennt man etwas.
40 Siegmund 2010. 41 In Anlehnung vor allem an Kap. 3.3.1.1 in Siegmund 2010.
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Der Unterschied zwischen sinnlicher Wahrnehmung und vernünftiger Erkenntnis ist nur graduell, er liegt in der Genauigkeit. Wolff hat daran angeknüpft. Auch für ihn beruht das Urteil „Dies ist schön“ auf einer Wahrnehmung des Gegenstandes durch die Sinne, die nicht, wie das Verstandesurteil, eine klare und deutliche, sondern eine verworrene Erkenntnis liefern. Man erkennt an dem Gegenstand, wenn man ihn als schön beurteilt, seine Vollkommenheit; man erkennt sie mittels der Sinne. Zumindest direkt liefern die Sinne allerdings kein Wissen über die Vollkommenheit: Deren sinnliche Wahrnehmung erzeugt nur ein Gefühl beim Betrachter42. Das Schöne ist also die Vollkommenheit eines Gegenstandes, soweit sie sinnlich, und das heißt verworren mittels eines Gefühls, erkannt wird. Etwas richtig als schön zu beurteilen, wird also als eine Form der Erkenntnis einer Eigenschaft des Gegenstandes angesehen, nämlich seiner Vollkommenheit. (Wir werden gleich sehen, dass das in der anderen Richtung der damaligen Ästhetiktheorie ganz anders war; Schönheit galt dort nicht als Eigenschaft des betrachteten Gegenstandes.) Nun ist wirklich vollkommen nur die göttliche Schöpfung als ganze – Leibniz hat bekanntlich von der besten aller möglichen Welten gesprochen – oder der Schöpfer selbst. Die vielen einzelnen schönen Gegenstände repräsentieren aber die eine göttliche Vollkommenheit, wenn sie auch allesamt Mängel aufweisen und in den subjektiven Bedingungen der Wahrnehmung weitere Mängel hinzutreten. Der rationalistische Schönheitsbegriff von Wolff bis Baumgarten ist also ein absoluter. Es gibt die Schönheit, sie ist die Vollkommenheit der göttlichen Schöpfung. In der Natur freilich ist sie nur als relative Vollkommenheit vorhanden, und diese ist uns darüber hinaus nur unvollkommen zugänglich. Im Gegensatz zur rationalistischen Ästhetik, die in erster Linie danach fragte, welcher Art ein Gegenstand sein muss, damit er als wahrhaft schön erkannt wird – er muss vollkommen sein bzw. die göttliche Vollkommenheit repräsentieren –, legte die empiristische43 das Hauptaugenmerk darauf, was der individuelle Mensch empfindet, wenn er Schönes wahrnimmt. Für die Empiristen galt es, im Einzelnen zu untersuchen, welche Wirkungen ein Gegenstand auf den Wahrnehmenden hat. Darum war empirische Forschung zu betreiben. Im empiristischen Geist erforschte man etwa, welche Gefühle bestimmte Bäume oder Baumgruppen, die man in den Park pflanzt, beim Betrachter auslösen.44 Durch Ver-
42 „Betrachten“ kann auch z.B. hören oder riechen bedeuten oder sich auf eine Betrachtung allein in der Vorstellung beziehen. 43 Siehe dazu Siegmund 2010: 3.3.1.2. 44 Das bedeutet nicht, dass die empirischen Untersuchungen dieser Art zur damaligen Zeit alle im empiristischen Geist durchgeführt wurden. Für Hirschfeld (Hirschfeld 1780) etwa gilt das kaum. Zu diesem siehe z.B. Schepers 1980.
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gleich verschiedener Fälle versuchte man, Gesetze der ästhetischen Wahrnehmung abzuleiten. Diese Gesetze beruhen also im Prinzip auf empirischen Untersuchungen, sie sind, wie die Gesetze der Physik für die Empiristen auch, Verallgemeinerungen von Erfahrungen, sind also Naturgesetze. So wie man aus vielen übereinstimmenden Ergebnissen eines Experiments schließt, das werde immer so sein und ein Naturgesetz formuliert, so formuliert man auch aus der Erfahrung, dass der Anblick einer bestimmten Form oft oder immer das Urteil „schön“ zur Folge hat, eine ästhetische Regel oder ein ästhetisches Gesetz. Das, was man damals Geschmack zu nennen begann, konnte für die empiristischen Ästhetiktheorien folglich nur als empirischer Wert begriffen werden. Das eine Volk fand im Durchschnitt dieses schön, das andere jenes. Zwischen gutem und schlechtem Geschmack konnte man nicht unterscheiden oder man konnte doch nur sagen: Das ist nur Konvention, es ist das, worin sich die meisten einig sind oder was die Mächtigen oder Vornehmen in der Lage sind, als die richtige Meinung durchzusetzen; schlechten Geschmack zu haben heißt, von der Konvention abzuweichen. Für die rationalistische Ästhetik dagegen konnte es objektiv guten Geschmack geben. Denn es gibt einen objektiven Maßstab, die göttliche Vollkommenheit, und nicht nur subjektive Empfindungen von Schönheit. Für die Rationalisten hat derjenige guten Geschmack, welcher in der Lage ist, die Nähe des als schön beurteilten Gegenstandes zur absoluten, göttlichen Vollkommenheit zu erkennen. Die Rationalisten konnten damit auch erklären, woher das Wohlgefühl angesichts des Schönen kommt: Der Anblick der Vollkommenheit ist natürlich mit Wohlgefühl verbunden. Die Empiristen konnten immer nur feststellen, dass sich Wohlgefühl einstellt. Warum es so etwas in der Welt gibt, dafür hätten sie im Prinzip nur eine physiologisch-psychologische Erklärung geben können. Für uns ist aber vor allem wichtig, dass es für die Empiristen im ästhetischen Erleben keinen Sinn gibt. Dieses Erleben ereignet sich einfach. Es ist ein empirisches Faktum, dass sich ein Wohlgefühl einstellt, und der Einzelne hat einen Nutzen davon; er liegt eben darin, dass er ein Wohlgefühl hat oder dass es vielleicht der Gesundheit zuträglich ist. Für die Rationalisten aber ist das ästhetische Erleben ein Teilhaben an der göttlichen Vollkommenheit und verweist damit auf den letzten Sinn der Welt, auf den Sinn, den Gott ihr gegeben hat. Dieser Unterschied hatte natürlich schwerwiegende Folgen für die Bedeutung, die man dem Ästhetischen jeweils gab, und damit auch dem Betrachten der Landschaft. Kant verbindet beide Richtungen. Er hat damit die für die ganze folgende Zeit einflussreichste Ästhetiktheorie geschaffen. Vom Empirismus übernimmt er die Betonung der individuellen ästhetischen Erfahrung. Vom Rationalismus übernimmt er die Beziehung des Ästhetischen auf einen höchsten Sinn. Doch
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liegt dieser für ihn nicht in der göttlichen Vollkommenheit und die schönen Dinge sind nicht deren Repräsentanten. Kant schließt also an den Empirismus an:45 „Durch die Benennung eines ästhetischen Urteils über ein Objekt wird […] angezeigt, dass eine gegebene Vorstellung zwar auf ein Objekt bezogen, in dem Urteile aber nicht die Bestimmung des Objekts, sondern des Subjekts und seines Gefühls verstanden werde.“46 Im ästhetischen Urteil („dieser Gegenstand ist schön“) wird also nicht der Gegenstand beurteilt, sondern ein Zustand des Subjekts. Wenn jemand sagt, dieser Gegenstand sei schön, dann sagt er in Wirklichkeit: Ich empfinde bei seinem Anblick Lust oder Wohlgefühl. Er behauptet nicht, dass der Gegenstand in bestimmter Weise beschaffen ist, dass er eine bestimmte Eigenschaft namens Schönheit hat, so wie er die Eigenschaft hat, rot oder glatt zu sein. Nun kann man aber auch Gegenstände betrachten (ansehen, anhören, betasten, sie sich vorstellen) und dabei ein Wohlgefallen empfinden und das aussprechen, ohne dass man oder zumindest Kant von einem ästhetischen Urteil sprechen würde. Kant engt die Bedeutung von Ästhetik ein. In dem engeren Sinn, wie er den Begriff in seiner Kritik der Urteilskraft verwendet, ist Ästhetik nicht mehr die Wissenschaft von der sinnlichen Wahrnehmung oder auch des Wohlgefühls, das sich dabei einstellt, insgesamt. Ästhetik ist für Kant die Analyse reiner Geschmacksurteile. Ein solches ist „diese Rose ist schön“, nicht aber „es ist heute schön (d.h. angenehm) warm“. Was ist das Besondere des ästhetischen Wohlgefallens in diesem engeren Sinn, der sich mit Kant weithin durchgesetzt hat? Kant unterscheidet dieses Wohlgefallen am Schönen von zwei anderen Arten des Wohlgefallens:47 • Das Wohlgefallen am Angenehmen
„Angenehm ist das, was den Sinnen in der Empfindung gefällt“48. • Das Wohlgefallen am Guten Gut ist, was „durch ein Vernunftgesetz uns zum Begehren auferlegt wird“49. Er vergleicht die drei Arten des Wohlgefallens im Hinblick auf das Interesse, das wir dabei an ihrem Gegenstand (seiner „Existenz“) nehmen:
45 Siehe Siegmund 2010: 51. 46 Kant 1977, Bd. 10: 36 (Einleitung Kritik der Urteilskraft, KU). 47 Siehe vor allem Erstes Buch der Analytik des Schönen in der KU. 48 Kant 1977, Bd. 10: 117 (§ 3 KU) (Im Original hevorgehoben). 49 Ebd.: 123 (§ 5 KU).
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Das Wohlgefallen am Angenehmen ist mit Interesse verbunden. Wenn man sagt, es sei angenehm warm, dann ist damit zugleich ein Interesse an diesem Zustand ausgesprochen. Das Wohlgefallen am Guten ist ebenfalls mit Interesse verbunden; wenn man ein Wohlgefallen an einer guten Tat hat, dann ist das Interesse daran eingeschlossen, dass diese Tat tatsächlich stattfindet. Das Wohlgefallen am Schönen aber ist interesselos. Zwar hat man beim Betrachten des schönen Gegenstandes ein Interesse daran, dass die Betrachtung andauert, aber das Urteil schließt nicht ein Interesse an der Existenz des betrachteten Gegenstandes ein. Kant bringt als Beispiel den Anblick eines Palastes. Auch wenn man, als überzeugter Verächter des Reichtums, nicht will, dass Paläste überhaupt existieren: Wenn man gefragt wird, ob das Gebäude schön sei, muss man sich von diesem Interesse freimachen. Denn man „muss nicht im mindesten für die Existenz der Sache eingenommen, sondern in diesem Betracht ganz gleichgültig sein, um in Sachen des Geschmacks den Richter zu spielen.“ Man will, „wenn die Frage ist, ob etwas schön sei, nicht wissen, ob uns [...] an der Existenz der Sache irgend etwas gelegen sei, [...] sondern wie wir sie in der bloßen Betrachtung [...] beurteilen“. „Man will nur wissen, ob die bloße Vorstellung des Gegenstandes in mir mit Wohlgefallen begleitet sei, so gleichgültig ich auch immer in Ansehung der Existenz des Gegenstandes dieser Vorstellung sein mag.“50 Kant vergleicht die drei Arten des Wohlgefallens auch im Hinblick auf den subjektiven oder objektiven Charakter, der in dem jeweiligen Urteil steckt.51 Er kommt zu folgendem Ergebnis: Das Urteil über das Angenehme ist subjektiv. Wenn ich sage: Gans schmeckt besser als Ente, so sollte ich stattdessen sagen: Mir schmeckt sie besser. Jeder hat seinen eigenen „Sinnengeschmack“, ein objektives Urteil kann es nicht geben, es wäre unsinnig zu streiten, wer hier den besseren Geschmack hat. Das Urteil über das Gute ist objektiv. Wenn ich sage: Es ist verwerflich, sich durch Betrug zu bereichern, dann heißt das: Das ist verwerflich, nicht: Für mich ist das verwerflich. Die Vernunft zwingt mich zu diesem Urteil, und nicht nur mich, sondern jeden, der Vernunft hat. Hinsichtlich des Schönen ist es nicht so einfach wie in diesen beiden Fällen. Das Urteil über das Schöne ist mit dem Anspruch auf subjektive Allgemeinheit verbunden.
50 Ebd.: 116 f. (§ 2 KU). 51 Ebd.
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„[...] wenn [der Urteilende] aber etwas für schön ausgibt, so mutet er andern eben dasselbe Wohlgefallen zu: er urteilt nicht bloß für sich, sondern für jedermann, und spricht alsdann von der Schönheit, als wäre sie eine Eigenschaft der Dinge. Er sagt daher, die Sache ist schön; und rechnet nicht etwa darum auf anderer Einstimmung in sein Urteil des Wohlgefallens, weil er sie mehrmalen mit dem seinigen einstimmig befunden hat, sondern fordert es von ihnen. Er tadelt sie, wenn sie anders urteilen, und spricht ihnen den Geschmack ab 52
[...]“.
Wie kommen wir dazu, mit unserem Schönheitsurteil, das ja nur auf einem subjektiven Lustempfinden beruht, diesen Anspruch zu verbinden? Einen anderen Grund als unser subjektives Wohlgefallen haben wir ja nicht, wir haben nicht mehrmals oder bisher immer die Urteile anderer mit dem eigenen „einstimmig befunden“. Selbst wenn alle anderen anders urteilen, kann es sein, dass wir bei unserem Urteil bleiben; ja gerade die, die sich in ihrem Schönheitsurteil besonders sicher sind (und denen man gewöhnlich auch guten Geschmack zuschreibt), lassen sich vom Urteil der Mehrheit oder aller anderen gar nicht beirren, sondern fordern von diesen, sich ihnen anzuschließen. Und jeder, der sich überhaupt in einer Sache ein Schönheitsurteil zutraut, verhält sich im Prinzip nicht anders. Wie also kommen wir dazu, etwas als objektiv zutreffend zu behaupten aufgrund einer subjektiven Empfindung? Kant sagt: „Denn das, wovon jemand sich bewußt ist, dass das Wohlgefallen an demselben bei ihm selbst ohne alles Interesse sei, das kann derselbe nicht anders als so beurteilen, daß es einen Grund des Wohlgefallens für jedermann enthalten müsse.“ Er kann es deshalb nicht anders beurteilen, weil sich sein Urteil „nicht auf irgend eine Neigung des Subjekts [...] gründet [...] so kann er keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens auffinden, an die sich sein Subjekt allein hinge“. Daraus folgt notwendig, dass er dieses Urteil „als in demjenigen begründet ansehen [muss], was er auch bei jedem andern voraussetzen kann“. Er muss also „glauben Grund zu haben, jedermann ein ähnliches Wohlgefallen zuzumuten.“ Und darum wird er „vom Schönen so sprechen, als ob Schönheit eine Beschaffenheit des Gegenstandes [...] wäre; ob es gleich nur [...] eine Beziehung der Vorstellung des Gegenstandes auf das Subjekt enthält“.53 Kant übernimmt also vom Empirismus die Auffassung, dass das Schönheitsurteil sich allein auf die individuelle ästhetische Erfahrung bezieht, dass es nur über diese etwas aussagt. Aber anders als die Empiristen bemerkt er, dass, ob-
52 Ebd.: 126 (§ 7 KU) (Hervorhebungen im Original). 53 Ebd.: 124 f. (§ 6 KU). Die Beweisführung ist damit noch nicht abgeschlossen, das geschieht dann erst später, vor allem in § 9. Ich übergehe das hier.
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wohl die Erfahrung rein individuell ist, mit dem Urteil über Schönheit, im Gegensatz zu dem Urteil über das bloß Angenehme, ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit verbunden ist – ein Anspruch, nicht ein Wissen. Aus dem Allgemeingültigkeitsanspruch ergibt sich, dass bei Kant das Ästhetische anders als bei den Empiristen, vielmehr so wie bei den Rationalisten eine Beziehung auf einen höchsten Sinn hat. Doch ist, anders als bei diesen, in den schönen Dingen nicht die göttliche Vollkommenheit repräsentiert. Worin liegt stattdessen der „höchste Sinn“? Dass man im Schönheitsurteil den Anspruch der Geltung für alle erhebt, bedeutet, dass dieses Urteil zwar auch wie für den Empirismus in individueller Empfindung begründet ist; deshalb kann es nicht mehr als ein Anspruch sein. Aber im Unterschied zum Empirismus beruht es doch nicht auf einem rein individuellen empirischen Geschehen, so wie es ein individuelles empirisches, und zwar ein physiologisch-psychologisches Geschehen ist, wenn jemand die Temperatur von 23 Grad am angenehmsten empfindet. Wäre das bei der Schönheit so, gäbe es keinen Maßstab für richtige Schönheitsurteile; „der“ Geschmack wäre allenfalls empirischer Durchschnitt, der „gute“ Geschmack vielleicht der Durchschnitt des Schönheitsempfindens der besseren Kreise. Wenn aber das Schönheitsurteil Anspruch auf Geltung für alle erhebt, so bedeutet das: Der gute Geschmack ist nicht der, den „man“ hat, seien es alle, sei es die Mehrheit, seien es diejenigen, die in der Gesellschaft etwas gelten. Der gute Geschmack ist vielmehr der, den alle haben sollen. Er ist eine Idee, nicht die Realität; ob jemals ein wirkliches Geschmacksurteil dieser Idee voll und ganz entsprochen hat, können wir nicht wissen. Wir können auch von uns selbst nie wissen, ob wir die Bedingung des Geschmacksurteils tatsächlich erfüllen, vielleicht bilden wir uns das immer nur ein. Was diese Bedingung ist, wurde schon zitiert: die Interesselosigkeit, das Fehlen von „Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens“. Das Geschmacksurteil erfordert, „sich über die subjektiven Privatbedingungen des Urteils [...] wegsetzen“ zu können. Stattdessen müsse der Urteilende „aus einem allgemeinen Standpunkte (den er dadurch nur bestimmen kann, dass er sich in den Standpunkt anderer versetzt) über sein eigenes Urteil reflektier[en]“54. In anderem Zusammenhang formuliert Kant: „An der Stelle jedes andern denken“.55 Das bedeutet, dass das Geschmacksurteil eine Beziehung hat zur idealen Gesamtheit – der Gesellschaft, in der jeder seinen Willen dem allgemeinen Willen entspre-
54 Ebd.: 227 (§ 40 KU). 55 Ebd.: 226 (§ 40 KU).
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chend bestimmt, was eben „An der Stelle jedes andern denken“ voraussetzt.56 Damit hat es eine Beziehung zur Menschheit in dem Zustand, den diese objektiv haben soll (an dem der Einzelne ein Interesse haben soll – und eben darum muss er von seinem Privatinteresse absehen). Der „höhere Sinn“ der Ästhetik liegt in dieser Beziehung zur idealen Gesamtheit. Damit ist ein Zusammenhang von Ästhetik und Moral gegeben, denn dieser ideale Zustand ist der, den die Menschheit hätte, wenn es nach dem „allgemeinen Willen“ ginge. Den allgemeinen Willen zur Grundlage des Handelns zu machen heißt aber, moralisch (tugendhaft) zu handeln. Das ist eine Beziehung auf einen „höheren Sinn“, welche der Empirismus nicht finden konnte. Anders als die rationalistische Ästhetik kommt dieser „höhere Sinn“ aber ohne den Begriff Gottes aus. (Das heißt nicht, dass die Philosophie Kants ohne diesen Begriff auskäme, im Gegenteil, er spielt in ihr eine ganz zentrale Rolle, nur zur Erklärung dessen, was im Schönheitsurteil geschieht, wird er nicht gebraucht.) Mit der Beziehung des Schönheitsurteils auf die „ideale Gesamtheit“ ist aber auch eine Beziehung der schönen Landschaft zu gesellschaftlichen Utopien gegeben, worauf ich unten in diesem Kapitel ausführlicher eingehen werde. Die ideale Gesamtheit ist das, was Kant, im Einklang mit der philosophischen Tradition, das „höchste Gut“ nennt (oder besser: eine der Bedeutungen, die dieser Begriff bei ihm hat, es gibt noch andere57). Das höchste Gut ist „der notwendige höchste Zweck eines moralisch bestimmten Willens“58. Es handelt sich also nicht um eine Utopie, die wir uns wünschen, sondern um diejenige, die wir uns wünschen sollen und auf die wir hinarbeiten sollen, weil die Vernunft es von uns fordert; das ist es, wofür Kant das Wort „moralisch“ gebraucht. Hier liegt der entscheidende Unterschied zwischen der Ethik des Liberalismus, dem Utilitarismus, und dem, was typischerweise die Ethik der demokratischen Aufklärung ist (Tugendethik, Pflichtethik). Darauf, was man unter Ethik verstand und welche Ethik-Lehren man damals vertrat, sei nun etwas genauer eingegangen. Denn dass man sich von der Zeit der Aufklärung an so intensiv der Landschaft zuwandte, war ethisch motiviert. Ich folge wieder vor allem Kant. „Ethik bedeutete in den alten Zeiten die Sittenlehre (philosophia moralis) überhaupt, welche man auch die Lehre von den Pflichten benannte. In der Folge hat man es ratsam gefunden, diesen Namen auf einen Teil der Sittenlehre, näm-
56 Siehe dazu Siegmund 2010: 66 ff. 57 Vgl. Geismann 2006. 58 Kant 1977, Bd. 7: 244 (KpV).
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lich auf die Lehre von den Pflichten, die nicht unter äußeren Gesetzen stehen, allein zu übertragen (dem man im Deutschen den Namen Tugendlehre angemessen gefunden hat)“.59 Wer erlegt uns die Pflichten auf? Vor der Aufklärung war dies eine äußere Instanz. Man hatte den Willen Gottes zu befolgen, oder auch den des Königs, der Tradition, der Natur, der allgemeinen Meinung. Die Aufklärung stellte dieser Heteronomie das Prinzip der Autonomie, d.h. der Selbstgesetzgebung gegenüber. Was bedeutet es, dass wir uns die Gesetze selbst geben? Im Utilitarismus bedeutet Autonomie, unserem eigenen Willen zu folgen, und dieser ist seinem Wesen nach auf unser Glück gerichtet. Das ist auf jeden Fall das eigene Glück, es kann aber auch das „größte Glück der größten Zahl“ (Bentham) sein. In der kantischen Moralphilosophie bedeutet Autonomie: Der Wille gibt sich selbst (durch Vernunft) das Gesetz und diesem und nichts anderem unterwirft er sich dann. Die Willensbestimmung durch Vernunft verlangt, wie wir schon sahen, zu prüfen, ob die Maxime, nach der man seinen Willen richten möchte, ein allgemeines Gesetz werden könnte. Kann sie es, ist die dem Willen folgende Handlung moralisch erlaubt oder auch geboten, andernfalls ist sie zu unterlassen. Man hat die Pflicht, sich diesem allgemeinen Willen zu unterwerfen, ihn zum eigenen Willen zu machen, denn das gebietet die eigene Vernunft. Die Pflicht kann der Neigung, bzw. dem nach dem Utilitarismus gebotenen Streben nach Glück, durchaus widersprechen. Den eigenen Willen durch begehrte Objekte, d.h. durch die Neigung bestimmen zu lassen, was für den Utilitarismus Autonomie bedeutet, ist für Kant Heteronomie.60 Man bestimmt dann nämlich nicht mittels seiner Vernunft seinen Willen selber, sondern lässt ihn sich von äußeren Dingen, die einem irgendeine Art von Lust versprechen, aufzwingen. Das oberste, letzte Ziel ist für den Utilitarismus „Glückseligkeit“, die Kant so definiert: „Glückseligkeit, d.i. Zufriedenheit mit seinem Zustande, sofern man der Fortdauer derselben gewiß ist“.61 Für Kant ist das oberste Ziel auch Glückseligkeit (jedes „endliche Wesen“ habe naturnotwendig dieses Ziel), aber unter einer Bedingung, der „Glückswürdigkeit“.62 Mit unmoralischen Mitteln erreichte Glückseligkeit kann nicht das Ziel sein – dagegen sträubt sich die Vernunft,
59 Ebd., Bd. 8: 508 (Metaphysik der Sitten, Einleitung Tugendlehre, Hervorhebungen im Original). – Die Lehre von den Pflichten, die unter äußeren Gesetzen stehen, ist die Rechtslehre. 60 Ebd., Bd. 7: 76 (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten). 61 Ebd., Bd. 8: 517 (Metaphysik der Sitten). 62 U.a. Kant 1977 Bd. 7: 261 (KpV).
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wenn man nicht, wie im Utilitarismus, das Vernünftige als das (für das Glück) Nützliche definiert. Daraus folgt, dass für den Utilitarismus bzw. den Liberalismus das Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung subjektiv ist, von Neigungen der Einzelnen abhängig. Freiheit bedeutet, bei der Verfolgung dieses Ziels nicht behindert zu werden, weder durch äußere Gewalt noch durch innere Hindernisse. Es ist Freiheit im negativen Sinn (Freiheit von etwas). Für Kant, und auch für den Rationalismus, ist das Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung objektiv, es ist vernunftnotwendig. Freiheit erhält hier einen positiven Sinn. Sie ist Freiheit zu etwas, zu dem, was die Vernunft gebietet, und in ihr spricht immer der allgemeine Wille. Aus dieser Differenz ergibt sich ein wesentlicher Unterschied hinsichtlich dessen, was Natur – verstanden als „freie Natur“, als Landschaft – in den beiden verschiedenen Richtungen der Aufklärung symbolisieren kann. Im Utilitarismus kann sie Freiheit im negativen Sinn, und das heißt Ungebundenheit symbolisieren. Bei Kant (und im Rationalismus) kann die freie Natur die ideale, d.h. die vernünftige, also freie und tugendhafte Gesellschaft symbolisieren. Freiheit hat hier also einen positiven Sinn, bedeutet nicht Ungebundenheit; der Freie bindet sich ja selbst durch die eigene Vernunft. Damit aber kann Landschaft zu Freiheit im positiven Sinne erziehen: Sie kann Ideen und Gefühle anregen, die dem Fortschritt zur freien und vernünftigen Gesellschaft dienlich sind. Dazu gehört in erster Linie das Gefühl der Freiheit selbst, das man hat, wenn man „ins Freie“ kommt, aber auch die Ideen der Harmonie und des Friedens, zu der eine Landschaft anregen kann. Einem solchen vom Rationalismus beeinflussten, und nicht oder zumindest weniger einem liberalen, Denkzusammenhang verdanken sich die verschiedenen künstlerischen Darstellungsformen von Landschaft in der Zeit der Aufklärung, doch nicht nur einem solchen. Denn auch konservativ-gegenaufklärerische Elemente spielten eine Rolle, man kann den Ideenhintergrund nicht umstandslos der demokratischen Aufklärung zurechnen.63 Der Konservativismus wird erst in einem späteren Kapitel (Kapitel 6) Thema sein, so dass die folgenden Ausführungen zu den künstlerischen Darstellungsformen manchmal wichtige Aspekte ausblenden müssen. Diese Darstellungsformen sind Landschaftsgemälde, Landschaftsdichtung und Landschaftsgarten. Die ideale Landschaft, Symbol der idealen Gesellschaft, sollte als Kunstwerk erzeugt werden. Nur zum Landschaftsgarten wird Genaueres ausgeführt werden, zu den anderen beiden Formen folgen erst weiter unten einige Bemerkungen, und zwar im Zusammenhang mit be-
63 Vesting 2002. Zusammenfassend – insbesondere zur Rolle Shaftesburys – siehe Kirchhoff/Trepl 2009: 37 ff.
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stimmten Entwicklungen, die auf Grundlage allein des bisher Ausgeführten noch nicht verständlich zu machen sind, insbesondere der Entdeckung der erhabenen Natur. 4.5.2 Der Landschaftsgarten Nach dieser allgemeinen Skizzierung der Ästhetik- und Moraltheorien geht es nun etwas konkreter darum, wie es zur Entstehung des Landschaftsgartens kam. Das 17. Jahrhundert war die Zeit der frühen Aufklärung und die Zeit des Absolutismus. Vorherrschend waren, vor allem in Frankreich, rationalistische Philosophien. Für diese war die Vorstellung wesentlich, dass Gott eine vollkommene Natur geschaffen hat, und das bedeutete auch, dass diese eine gesetzesförmigmathematische Struktur hat. Der Formale Garten, d.h. der Französische Garten, greift diese Prinzipien auf. Dieser Garten ist eine strenge Gesamtkomposition nach mathematischen Regeln. So symbolisiert er die ideale, d.h. vernunftgemäße Natur und Gott als die höchste Vernunft; ihm verdankt ja die Natur ihre mathematisch-vernunftgemäße Struktur. Der Absolutismus, die Staatsform jener Zeit, verstand sich als vernünftige Herrschaft. Er schickte sich an, all die – aus der Perspektive der Vernunft im rationalistischen Verständnis – unvernünftigen, sozusagen wild gewachsenen traditionellen Verhältnisse zu beseitigen, insbesondere die Herrschaftsbefugnisse des Adels und all der anderen, mit verschiedensten Privilegien ausgestatteten Stände. Das Land sollte von einem einzigen Zentrum aus vernünftig regiert werden, und dazu war unbeschränkte Macht erforderlich. Dem Französischen Garten, der ja in aller Regel ein Garten der Fürsten ist, scheint genau dieses Interesse eingeschrieben. Im frühen 18. Jahrhundert erstarkte vor allem in England der Liberalismus. Für diesen steht Freiheit über der Vernunft, und Vernunft ist schon gar nicht die des absolutistischen Fürsten. In der Staatslehre von Thomas Hobbes war zwar die absolute Herrschaft der Fürsten im Geiste des Liberalismus legitimiert worden: Sie entspricht den Interessen der wesentlich als Eigentum erwerbende Bürger gedachten Einzelnen. Aber in der politischen Realität blieben die Herrscher doch mit den alten privilegierten Klassen stärker verbunden, als es dem liberalen Bürgertum recht sein konnte. Wenn auch der Adel an politischer Macht verlor, so behielt er doch weiterhin Vorrechte, und die Bürger blieben von der Macht weitgehend ausgeschlossen. So wurde aus bürgerlich-liberaler Perspektive der Französische Garten, der Barockgarten, zunehmend heftig angegriffen. Diesem Garten fehlt die Freiheit des Natürlichen, und ästhetisches Ideal war nun „zu sich
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selbst befreite Natur“64 – so wie auch die Menschen zu ihrer wahren Natur, ihrem natürlichen Wesen, das im fortwährenden Streben nach Glück besteht, befreit werden sollten. Aber streng liberalistische Vorstellungen erlaubten es nicht, die Idee des Landschaftsgartens zu entwickeln. Das bedeutet, dass die englische Aufklärung gar nicht die Urheberin des Englischen Gartens ist. Diese Rolle spielten, wie angedeutet, eher von der französischen Aufklärung beeinflusste Denkrichtungen in England in Verbindung mit konservativ-antiabsolutistischen Bestrebungen des Adels. Der Liberalismus stellt die egoistische Verfolgung von Neigungen in den Mittelpunkt. Fortschritt wird auf egoistisches Streben, einen aus Gründen des Eigennutzes geschlossenen Gesellschaftsvertrag und auf die Selbstregulierung des Marktes zurückgeführt, nicht darauf, dass die Menschen sich bessern.65 Von hier aus ist die neue Landschaftskunst nicht möglich: Der Liberalismus enthält keine Idee eines idealen, tugendhaften Menschen, dessen Entwicklung durch das Betrachten der idealen Landschaft gefördert werden kann. Darum brauchte es den Einfluss des Rationalismus. Die Idee des Landschaftsgartens ist durch verschiedene Verbindungen von liberal-empiristischen mit demokratisch-rationalistischen (und konservativen) Denkrichtungen in England möglich geworden. Denn entscheidend für den Fortschritt ist aus der Sicht der demokratischen Aufklärung die Bildung tugendhafter Staatsbürger, die zum Wohl der Allgemeinheit tätig werden66 (und für die Konservativen auch, wenn auch in anderem Sinn verstanden67).
64 Siegmund 2010: 105. 65 Ebd.: 93. 66 Tugendhaftes Verhalten fördert das Wohl der Allgemeinheit. Ob es dazu notwendig ist, ist eine andere Frage. Kant (in Zum ewigen Frieden) war der Meinung, auch ein „Volk von Teufeln“ – also von klugen Egoisten, wie es die Einzelnen für den idealtypischen Liberalismus sind, für diesen aber auch sein sollen – würde schließlich zu eben der vernünftigen Gesellschaftsordnung gelangen, wie sie ein Volk erreicht, das sich von der praktischen Vernunft, vom allgemeinen Willen, selbst leiten lässt. Letzteres, also ein Verhalten „um des Gesetzes willen“ und nicht nur ein „gesetzmäßiges“ Verhalten (aus Furcht vor Strafe oder wegen der Aussicht auf Belohnung), ist für Kant nicht nötig, um das „höchste irdische Gut“ zu erreichen, sondern das Gesetz um des Gesetzes willen befolgen, also tugendhaft leben und nicht nur gesetzeskonform, sollen wir einfach deshalb, weil die Vernunft es gebietet: Das Sittengesetz verlangt es, und das wissen wir. Die populäre Version der demokratischen Aufklärung ist aber sicher richtig beschrieben, wenn man sagt: Ohne die Tugend der Einzelnen kann das allge-
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Liberale und demokratische Aufklärung sind noch einig in ihrer Kritik am formalen Garten. Im Zurechtstutzen der Pflanzen im Barockgarten zeige sich der „Unterwerfungswille ebenso prunksüchtiger wie zügelloser absolutistischer Fürsten“.68 Der Unterwerfungswille steht gegen das Streben nach Freiheit. Die Prunksucht steht gegen die Vernunft, denn aus der Perspektive der Bürger ist das, was an den Höfen geschieht, sinnlose, vernunftwidrige Verschwendung. Und die Zügellosigkeit steht gegen die Tugend, die allerdings nicht für den Liberalismus, sondern nur für die demokratische Aufklärung ein Wert ist, unter deren Einfluss dann auch der „Garten der Freiheit“ entstand. Die sich frei entwickelnde Natur im Landschaftsgarten „soll den natürlichen Charakter der neuen, bürgerlichen Gesellschaft unterstreichen bzw. die Unnatürlichkeit des Absolutismus sinn- und augenfällig machen.“69 Die gemeinte Freiheit ist jedoch nicht die des Liberalismus.70 Die Prunksucht der Fürsten hat man also in der Aufklärung insgesamt als unvernünftig attackiert. Vernunft forderte auch im Liberalismus „zweckmäßige Schlichtheit“71. Darum lag es nahe, dem ausschweifenden Leben der Höfe das Leben auf dem Lande entgegenzusetzen. Zweckmäßige Schlichtheit fand man gerade da. (Man konnte auch das Gegenteil finden, aber das war hier nicht gefragt.) Die Anhänger der Tugendethiken unter den Aufklärern konnten zudem der Zügellosigkeit des Hofes das tugendhafte Leben auf dem Lande entgegenhalten. (Auch da konnte man natürlich das Gegenteil finden, aber das war nicht gefragt.) So wird nicht nur die Landschaft, die immer ländlich ist, zum Symbol idealer Gesellschaft, sondern auch das Landleben zum Ideal. Auf diese Weise entsteht ein Widerspruch im aufklärerischen Denken72: Das Landleben ist das Ideal, zugleich ist es aber der Inbegriff der Rückständigkeit. Nirgends gibt es mehr Unvernunft und Unfreiheit als auf dem Land mit seinen nach wie vor mittelalterlich-feudalen gesellschaftlichen Verhältnissen. Dieser Widerspruch führt später zur konservativen Wende der Idee der Landschaft. Das Ideal des Landlebens
meine Wohl nicht erreicht werden. (Später, in den sozialistischen Bewegungen, wurde daraus die Auffassung von der Notwendigkeit des „revolutionären Bewusstseins“.) 67 Siehe unten Kap. 6. 68 Addison zit. n. Siegmund 2010: 120. 69 Gelinsky 2008: 91. 70 Nach Buttlar 1982: 19 ist der Englische Gartens Symbol eines liberalen Weltentwurfs. Das trifft aber, wie vor allem Siegmund gezeigt hat, nicht zu. 71 Vgl. Eisel 1982. 72 Vgl. ebd.
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richtet sich dann nicht mehr kritisch gegen die Fürstenhöfe und damit gegen die alte Welt, sondern gegen die Großstadt und damit gegen die moderne Welt. In der Aufklärungszeit selbst hat man Bilder des Landlebens, nämlich der landwirtschaftlichen Produktion, in die Landschaftsgärten einbezogen (ornamental farms). Doch mit diesen Bildern wurde die rationalisierte Landwirtschaft symbolisiert, und diese war Teil der Fortschrittsutopie.73 Nicht das traditionelle bäuerliche Leben wurde beschworen. Idealisiert hat man nicht die moralische Überlegenheit des ländlichen über das städtische Leben. Feindbild war nicht die Stadt, sondern der Hof, also allenfalls die Residenzstadt. Beschworen wurde allerdings immer auch ein vor-bäuerliches Hirtenleben.74 Doch hat man im Laufe des 18. Jahrhunderts mehr und mehr75 auch das bäuerliche Leben in die Parkgestaltung einbezogen, aber eben in einem zukunftsgerichteten Sinn. Die Idealnatur der demokratischen Aufklärung ist nicht nur frei. Sie ist vor allem eine Natur, die nicht im Widerspruch steht zu dem, was die Vernunft fordert. Die ideale Natur kann darum nicht ein wildes Durcheinander und Gegeneinander sein. Im Landschaftsgarten muss folglich die Natur nicht nur frei sein, sondern auch harmonisch geordnet. Freiheit kann, wenn die Betrachtung des Gartens die Tugend fördern soll, nicht durch Wildnis – falls man darunter jenes Durcheinander und Gegeneinander versteht – symbolisiert werden. Die Aufgabe des Gärtners ist es, eine scheinbar freie – man könnte ebenso sagen: wahrhaft freie –, aber doch nach einem Harmonieideal geordnete Natur zu schaffen. Darum hat man diese natürlichen Gärten oft mit großem Aufwand von natürlichen Eigenschaften befreit, die sich nicht dem Ideal der vernünftigen Natur, d.h. der harmonischen Natur unterordnen lassen.76 Beispielsweise hat man zu steile, also den Gedanken des Zweckwidrigen hervorrufende Hänge abgeflacht.77 Das Ideal der Freiheit verlangte nicht nur die (scheinbar) freie Naturentwicklung. Auch in der Art des Blicks auf den Gartenszenen musste sich Freiheit zeigen. Der Blick von einem bevorzugten Standpunkt aus – der Blick aus der Position des Herrschers – ist damit nicht vereinbar. Alle Besucher des Gartens sind, als Menschen, gleich, kein Blickpunkt ist dem anderen von vornherein übergeordnet, jeder Ort, an dem das die Natur betrachtende Individuum steht, ist eben
73 Zum Ideal des „Musterbauern“ siehe Lange 1976: 71 ff. 74 Siehe das folgende Kapitel. 75 Zur allmählichen Veränderung des Motivs der Ländlichkeit von der Schäferpoesie zur Idealisierung des Bauern in der Literatur der Aufklärung siehe Dedner 1972, Gelinsky 2008: 101 ff. 76 Siegmund 2010: 110. 77 Ebd.
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dadurch hervorgehoben. So wird der Garten gleichsam dynamisiert. Denn um ihn als ein Ganzes zu erleben, muss man sich nicht mehr an den einen bevorzugten Standpunkt begeben, sondern man muss alle Standpunkte einnehmen. Das ist nicht gleichzeitig möglich, sondern nur im Nacheinander. So wird das Spazieren zur wesentlichen Tätigkeit im Park.78 Der Landschaftsgarten stellt also schöne, harmonische, ländliche Natur dar. Manchmal wird gesagt, in den Landschaftsgärten habe man einfach die ländliche Natur nachgebildet, wie man sie kannte, und sicher ist das nicht völlig falsch. Der größte Teil des Landes sah damals wirklich so ähnlich aus wie ein solcher Garten. Das lag daran, dass man das Vieh frei weiden ließ und nur die Felder und Gärten einzäunte, nicht, wie heute, umgekehrt. Die weidenden Tiere lichteten den Wald auf, die Hirten halfen nach, indem sie aufkommende Gehölze mit der Axt oder durch Feuer beseitigten, und so entstand eine Landschaft mit einzelnen Bäumen, Büschen und lichten Hainen, malerisch verstreut im Weideland, eine „parkähnliche“ Landschaft, wie es heute manchmal heißt. Diese Art der Gestaltung der Landschaftsparks hat aber noch einen anderen und wichtigeren Hintergrund. Seit langem, seit der Antike bereits spielt in unserer Kultur das Arkadienmotiv eine große Rolle. Es beeinflusste die Gartenkunst stark, und zwar auf dem Weg über die Landschaftsmalerei, in der es bis ins 18. Jahrhundert von großer Bedeutung war. Die Maler haben die Landschaft nicht einfach abgemalt, sondern weitgehend frei erfunden.79 Die Vorbilder für den Gartenkünstler waren kaum reale Landschaften, sondern fanden sich in der Idealen Landschaftsmalerei (z.B. Claude Lorrain, Nicolas Poussin, Salvatore Rosa, Jacob van Ruisdael).80 Diese aber malte mit Vorliebe Arkadien. Das wirkliche Arkadien ist eine raue Berggegend auf dem Peloponnes. Sie wurde in der Antike, und zwar mit großer geschichtlicher Wirkung, vor allem durch Vergil idealisiert.81 Er löst Arkadien von dem wirklichen geografischen Ort, macht es zum „Land der Phantasie“, das nirgendwo wirklich ist oder war oder sein wird. Später erst, von der Renaissance an, wird es zu einem Ort, den es einst gab: im goldenen Zeitalter. Es war nämlich in der Antike, der idealen, aber leider vergangenen Zeit, wirklich. Noch später wird es zum Symbol dessen, was
78 Vgl. Siegmund 2002, dort vor allem S. 79, 81. 79 Dinnebier 1996: 190-192. 80 Vgl. ebd.: 183 f. 81 Ich folge beim Thema Arkadien vor allem Dinnebier 1998 und Panofsky 1955.
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sein wird. Es wird zum Sinnbild der Utopie, die man zu verwirklichen bestrebt ist und die in gewisser Weise auch jetzt schon mehr oder weniger überall zu erfahren ist. Denn Arkadien kann man, seit es den landschaftlichen Blick gibt, überall sehen, wo man Landschaft sehen kann. Dieses Land der Phantasie ist ein locus amoenus mit schattigen Plätzen unter lichtstehenden Bäumen in grasigen und blumenreichen Weiden, darin sprudelt eine Quelle, plätschert ein Bach usw. Es ist ein Ort, der zum Lagern einlädt, und das tun die Menschen an diesem Ort auch: Sie führen ein kontemplatives Leben. Auch Götter gehören dazu, nicht nur Natur und Menschen. Was an Natur auf den Arkadiendarstellungen zu sehen ist, entstammt nicht Beobachtungen wirklicher Orte, sondern folgt einem einheitlichen Schema und „ordnet sich dabei den durch die Menschen und die Götter gegebenen Bedeutungen unter“82. Arkadien ist eine Idylle, aber keine spannungslose. Das zeigt schon der Gegensatz zwischen den dargestellten Göttern: Vor allem sind das Zeus, der herrschende und ordnende, und Pan, der wilde, sinnliche. Ein immer wiederkehrendes Motiv ist der Tod, dargestellt etwa in Form des Grabes. Aber er hat ebenso wenig wie der Kontrast der Götter etwas Verstörendes, gar Vernichtendes. Schon Vergil löst die Dissonanz zwischen der Harmonie des locus amoenus und dem notwendigen menschlichen Leiden „in Ruhe und Trauer auf“, so dass das „Lebensgefühl nur milde überschattet wird, ohne es aufzuwühlen“83; „Gefühle sind in Arkadien nicht leidenschaftlich wild, sondern sehnsüchtig mild“84. Ich habe das Arkadienmotiv skizziert, um zu erklären, wieso die in den Landschaftsgärten dargestellten Ideallandschaften parkähnlich aufgelichtete Waldweideszenen waren. Die Menschen in Arkadien sind nämlich typischerweise Hirten. Was immer Arkadien in der Antike und im Mittelalter bedeutet haben mag: Für die höfische Welt der Aufklärungszeit steht das Hirtenleben für Muße und Liebe, für die demokratische Aufklärung85 steht es für den Naturzustand der in Frieden und Harmonie lebenden Freien und Gleichen.86 Die Bauern, die im Schweiße ihres Angesichts den Boden bearbeiten und die man sich nur schwer
82 Dinnebier 1998: 90. 83 Ebd.: 91. 84 Ebd. 85 Rousseaus barbares (siehe S. 78) leben im goldenen Zeitalter. 86 „Die ideale Welt der Hirten“ – in der Bukolik des Rokoko dient sie dem Hof als Vorlage für allerlei Lustbarkeiten – „wird im Verlauf des 18. Jahrhunderts (zunächst) mit aufklärerischen Werten verbunden“ (Gelinsky 2008: 90).
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als frei vorstellen kann, eigneten sich dafür nicht.87 Arkadien musste in eine frühere Zeit, vor die feudale, also die Zeit der Leibeigenschaft, verlegt werden, allerdings nicht in die Zeit der kriegerischen Wilden. Die imaginierte Hirtenzeit bot sich dafür an. Es ist wohl eher zweitrangig, dass ein Großteil der wirklichen europäischen Landschaften diesen Bildern von idealen Hirtenlandschaften ähnelte, weil sie Weidelandschaften waren. Sicher hat man sie nicht in erster Linie deshalb in den Englischen Gärten nachgestaltet, weil man sie täglich sehen konnte. „Auch wenn keine Idealnatur vor Augen liegt, besitzt das innere Auge [...] die Fähigkeit, eine Gegend mit dem Ideal zu überlagern und so seine Züge in beinahe jeder Natur wiederzufinden.“88 4.5.3 Umdeutungen von Wildnis in der Aufklärung Vorbemerkung Der Landschaftsgarten stellt wie das Landschaftsgemälde also harmonische Natur dar, und was in der Realität als Landschaft gilt, weil es aussieht wie ein solches Bild, ist ebenfalls harmonische, ländliche Natur („Gefildelandschaft“). Das heißt, es ist Kulturlandschaft, jedoch sehr frühe, die Landschaft der Jugend der Menschheit. Das bedeutet aber gerade nicht, dass es die wilde Natur vor dem Menschen ist oder die Natur der Zeit des wilden Menschen. Was war die Rolle der wilden Natur vor und in der Aufklärung? Die Hauptbedeutung unberührter, wilder Natur vor der Zeit der Aufklärung war, dass sie schrecklich, gefährlich, unheimlich ist. Im Mittelalter wurde die Wildnis – vor allem die Waldreste, die Gebirge – zwar in einem später nicht mehr erreichten Maße genutzt; es gab kaum mehr einen Fleck, wo nicht Vieh weidete. Trotz ihrer Nutzung konnte sie aber Wildnis bleiben, denn sie hatte kulturell die Bedeutung von Wildnis. Das änderte sich mit der Aufklärung: Die Nutzung der Wildnis wurde „identisch mit ihrer Beseitigung.“89 Wildnis ist nun zu bekämpfende und zu kultivierende Natur. „Zwei wesentliche Formen dieses Kampfes [...] sind zu unterscheiden: Zähmen/Kultivieren als eher friedliche und Vernichten/Ausrotten als explizit gewaltsame.“90 Aber die wilde Natur erhält in
87 Die Transformation „vom idealen Hirten zum realen Bauern“ als Gegenstand von Dichtung und bildender Kunst in der Zeit der Aufklärung ist ausführlich in Kap. 4 von Gelinsky 2008 beschrieben, die „konservative Idealisierung des realen Bauern im 19. Jahrhundert“ in Kap. 5. 88 Dinnebier 2004. 89 Schwarzer 2007: 51. 90 Ebd.: 37.
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der Aufklärung auch eine positive ästhetische Bedeutung. Denn sie ist erhabene Natur oder kann das zumindest sein. Um den Weg zu dieser neuen Bedeutung soll es jetzt gehen. Wildnis vor der Neuzeit Die Wildnis (oder zumindest etwas, was wir heute wohl so nennen würden) war in archaischer Zeit ein Ort des Heiligen. Das soll verdeutlicht werden vor allem anhand von George Batailles berühmtem Buch L’Érotisme91. Wildnis war ein Ort des Heiligen, doch bedeutet dieser Begriff auf jene Zeit bezogen etwas anderes, als wir heute darunter verstehen. Bataille trifft für die archaische Zeit eine grundlegende Unterscheidung zweier Welten, ähnlich wie wir sie schon anhand der Frage nach der Bedeutung der antiken theoria kennengelernt haben: Auf der einen Seite steht die Welt der Arbeit für den Lebensunterhalt, die Welt der Ordnung, der Begrenzung. „Die Arbeit erfordert [...] ein vernünftiges Verhalten, bei dem stürmische Triebe, wie sie sich beim Fest und, allgemein, beim Spiel befreien, nicht zugelassen sind. Wenn wir diese Triebe nicht zügeln könnten, wären wir zur Arbeit unfähig“.92 Darum muss um die Welt der Arbeit eine Grenze gezogen werden. Es ist zum einen eine zeitliche, zum anderen eine räumliche Grenze. Zunächst zur zeitlichen: „Die Gemeinschaft muss sich in der für die Arbeit reservierten Zeit jenen exzessiven und ansteckenden Affekten widersetzen, in denen nur noch unmittelbare Hingabe an die Maßlosigkeit herrscht. Das heißt auch Hingabe an die Gewaltsamkeit.“ Maßlosigkeit führt zu Gewaltsamkeit; wer maßlos ist, lässt sich von dem Gegenüber keinerlei Maß setzen. Dem Maßlosen und Gewaltsamen gibt man sich hin in außerordentlichen Zeiten, vor allem in den Zeiten des Krieges und der orgiastischen Feste. Das Wesen der Orgie ist wie das des Krieges eine „ungeheure Entfesselung“. Diese, so die paradoxe Formulierung, „erhob den Menschen über den Rang, zu dem er sich selbst verurteilt hatte“93, indem er sich durch die Arbeit über den Status der Tiere erhob. In der Entfesselung kam er in Berührung mit dem Heiligen, d.h. zunächst, mit dem Verbotenen und zugleich Faszinierenden.
91 Bataille 1957, deutsch 1963, Der heilige Eros. Ob das, was er schreibt, dem heutigen Stand der Ethnologie und der Religionswissenschaft immer entspricht, darf man wohl bezweifeln. Das ist für unsere Zwecke jedoch nicht von großer Bedeutung. 92 Bataille 1963: 37. 93 Ebd.: 110.
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„Grundsätzlich ist das heilig, was Gegenstand eines Verbotes ist.“ „Das Verbot, das eine heilige Sache negativ bezeichnet, hat nicht nur die Macht, in uns – auf der Ebene der Religion – ein Gefühl von Furcht und Zittern zu erzeugen; dieses Gefühl wandelt sich an der Grenze in Verehrung; es wird zur Anbetung [...] das Göttliche ist der faszinierende Aspekt des Verbotes: Es ist das verklärte Verbot.“94
Es sind die Verbote, die die menschliche Gemeinschaft erst zu dem machen, was sie ist. Sie ermöglichen die Arbeit, schützen sie vor der Zerstörung durch Exzesse, die ihren letzten Grund darin haben, dass „der Bruch mit jener individuellen Diskontinuität, an die uns die Angst fesselt“95, von ungeheurer Faszination ist. Denn die Angst wären wir los, wenn wir uns nicht mehr an die Diskontinuität klammerten, wenn uns nicht mehr wichtig wäre, uns als Individuum, d.h. in unserer Unterschiedenheit von allem anderen, zu erhalten. Der endgültige Bruch mit dieser Diskontinuität ist der Tod, in dem wir dem Staub wieder gleich werden, der wir waren. Aber auch in den verschiedenen Formen der erotischen Verschmelzung geht es darum, „die Vereinzelung des Lebewesens, seine Diskontinuität durch ein Gefühl tiefer Kontinuität zu ersetzen.“96 „Das Wesen der [erotischen] Leidenschaft ist es, die fortdauernde Diskontinuität durch eine wunderbare Kontinuität zwischen zwei Wesen zu ersetzen.“97 Was hat das alles mit Wildnis zu tun? Nun, die Welt der Arbeit war nicht nur zeitlich begrenzt, gegen die Zeiten der Feste und des Krieges. Es gab auch eine räumliche Grenze, „die um die Arbeitswelt gezogen wurde, die die Verbote festigten und im Kampf gegen die Natur aufrechterhielten“98. Das ist die Grenze, welche die Gemeinschaft um ihre Welt gegen die „Wildnis“ errichtet. Wie im Krieg und bei der Orgie gibt es in der Wildnis keine Verbote mehr. Aber die Wildnis überhaupt zu betreten, vor allem dabei selbst Teil der Wildnis zu werden, ist normalerweise verboten. Wildnis ist daher, auch wenn sie (später) zu etwas Ästhetischem wurde, primär etwas Moralisches.99 (Dagegen symbolisiert Landschaft höchstens sekundär etwas Moralisches, primär ist sie aber etwas Äs-
94 Ebd.: 64. 95 Ebd.: 18. 96 Ebd.: 15. 97 Ebd.: 19. 98 Ebd.: 111. 99 Als moralische Gegenwelt, also als Wildnis betrachtet ist Natur nichts Physisches, ebenso wenig, wie ein Musikstück etwas Physisches ist, wenngleich ein Physiker, ein Naturwissenschaftler also, eine Melodie als Abfolge von Luftschwingungen beschreiben kann.
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thetisches.100) Dieses Verbot ist kein äußerer Zwang und beruht auch nicht auf Einsicht. „Die Vernunft allein hätte nicht genügend Autorität besessen, die Grenzen des Übergangs zu bestimmen.“101 Nur „unüberlegte Furcht und Entsetzen konnten angesichts maßloser Entfesselungen Widerstand leisten“, Entfesselungen, die außerhalb der Grenzen des „geweihten Kosmos“102 möglich waren, die die Gemeinschaft um ihre Welt gezogen hatte. „Das ist die Natur des Tabu; es ermöglicht eine Welt der Ruhe und der Vernunft [...]“103 Diese Wildnis lag um jedes Dorf, in der Vorstellung aber vor allem am Rande der Welt. Ihm ist eine „undurchdringliche Wildnis“ aus hohen Gebirgen, Wäldern, Wüsten und Meeren vorgelagert.104 Die Weltrandzone bildete „eines [der] von Dämonen, Tierwesen und anderen mythologischen Geschöpfen am dichtesten besiedelten und belebtesten Gebiete.“105 Wie Kriege und Feste zeitlich, so gehörte also die Wildnis räumlich zur Welt des vom Tabu geschützten Heiligen. Heilig war alles, was unwiderstehlich anzog und darum, weil es die geordnete Welt der Arbeit zerstört hätte, mit Verboten belegt war und von dem man sich daher nur mit Furcht und Schrecken locken ließ. Das war aber unter gewissen Umständen und für manche Menschen erlaubt. Die Grenze zur Wildnis war also durchlässig. Vor allem wurde sie in der rituellen Praxis, etwa von Schamanen und von allen während der Initiationsriten, regelmäßig für einige Zeit überschritten. In der Wildnis war alles erlaubt, was in der Welt der Arbeit verboten war. Dorthin auf Dauer verstoßen zu sein, war die schlimmste Strafe. Doch für eine einige Zeit musste man gewissermaßen wild gewesen sein, um wieder innerhalb der kulturellen Ordnung leben zu können; diese wurde dadurch stabilisiert.106 Das Verbot, sich dem Heiligen zu nähern, in die Wildnis einzudringen, und seine Übertretung ermöglichten das geregelte profane Leben. Die Grenze zur Wildnis kann allerdings nur als weiterbestehende Grenze überwunden werden und erfüllt nur als solche ihre Funktion107: „Die mythische Übertretung ebnet die Schwelle nicht ein, um das Draußen in ein expandierendes Drinnen hineinzuholen. Sie ist keine Exploration fremden Gebiets.“108
100 Kirchhoff/Trepl 2009. 101 Bataille 1963: 59. 102 Eliade 1957: 18 f. 103 Bataille 1963: 59. 104 Koschorke 1990: 16. 105 Ebd.: 14. 106 Duerr 1979: 76. 107 Schwarzer 2007. 108 Koschorke 1990: 15.
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Mit den monotheistischen Religionen, vor allem dem Christentum, wurde der Natur ihr Status, selbst etwas Göttliches zu sein, genommen. Dadurch kam es zu einer Art Bereinigung des Heiligen. Vorher waren in diesem das Sinnliche und das Sinnhafte noch ungetrennt.109 Nun wurde beides strikt geschieden und auf die Bereiche des Körperlichen (Triebhaften) und des Geistigen aufgeteilt. Während das Körperliche, also die Sinnlichkeit, mit Verboten belegt wurde, wurde das Geistige, das Sinnhafte aufgewertet.110 Der Begriff des Heiligen bezog sich jetzt nur noch auf letzteres. Die Wildnis war nicht mehr der Ort des Heiligen in diesem neuen Sinn, sondern nur eines vom alten Heiligen abgespaltenen Teils. Dieser war das Gegenteil des neuen Heiligen, gehörte nun zum Bösen. „Das Böse, das es in der profanen Welt gibt, vereinigt sich mit dem diabolischen Teil des Heiligen, und das Gute vereinigt sich mit dem göttlichen Teil.“111 Die Wildnis war zum Ort der Dämonen, der Drachen, der Hexen geworden. In ihr bleibt das Unheilvolle allein zurück. Man kann durch sie nicht in Verbindung zu Gott treten, wie man in den archaischen Riten in Verbindung zum Göttlichen treten konnte.112 Die Wildnis hatte die Attraktivität, die ihr vorher ebenso wie das Abstoßend-Schreckliche zukam, verloren und nur noch letzteres behalten. Wer immer konnte, hielt sich von ihr fern. Die sich ihr noch freiwillig aussetzten, hatten andere Gründe als vorher. Die ritterlichen Helden, die den Drachen töteten, waren keine zeitweilig in Wölfe verwandelten Menschen. Sie wurden nicht Teil der verlockenden Wildnis, sondern setzten sich ihr als dem Feindlichen, Schrecklichen aus um eines höheren Zieles willen. Die Wildnis der Wüste ist für den Eremiten der Ort der Mächte des Bösen, denen er widerstehen muss. „Es ist der Ort einer speziellen Art des Kampfes: des kampflosen Leidens, des sich selbst Überwindens.“113 Weil die Wildnis nur noch schrecklich war, musste sie ein Problem der Theodizee werden, d.h. sie musste die Frage auf sich ziehen, wieso Gott sie zulässt – Gott, der doch gut ist und sie also nicht wollen kann, und der zugleich allmächtig ist, sie also nicht zulassen müsste. Die Lebensweise der Eremiten z.B. ergab sich aus einer der Antworten auf diese Frage: Die Wildnis ist wie alles Bö-
109 Mann 2004. 110 Ebd. 111 Bataille 1963: 119. 112 Kirchhoff/Trepl 2009; vgl. Duerr 1985: 61 f., 65, Koschorke 1990: 16-23, Schwarzer 2007: 35-37. 113 Schwarzer 2007: 50.
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se uns zur Prüfung und Läuterung gegeben. In der frühen Neuzeit gab man vor allem die folgenden zwei sehr verschiedenen Antworten.114 Die eine wurde z.B. von Luther gegeben, bzw. allgemein im Rahmen der protestantischen Theologie als „Schöpfungspessimismus“ vertreten: Nicht Gott hat es zu verantworten, dass es so schreckliche Dinge wie die wilden Hochgebirge gibt – „Warzen auf dem Antlitz der Erde“, wie sie von Engländern, die über die Alpen reisten, beschrieben wurden.115 Sondern wir selbst haben sie verschuldet, wir haben die Schöpfung quasi in den Sündenfall hineingezogen. Die andere Antwort ist die der Physikotheologie. Physikotheologie Das zweckwidrig, das sinnlos Erscheinende erscheint nur uns so, es ist in Wirklichkeit sinnvoll. Wer die Natur richtig zu deuten weiß, kann das erkennen. Diese Auffassung ist gegen Ende des 17. Jahrhunderts in England entstanden; als Gründer der Physikotheologie gelten William Derham und John Ray. Einflussreich war diese Denkrichtung das ganze 18. Jahrhundert hindurch, in England noch etwas länger. Sie hatte vor allem gegen zwei Gegner zu kämpfen: gegen jene pessimistische Richtung der protestantischen Theologie und gegen die damals Atheisten genannten Atomisten, nach denen sich die Naturdinge dem Zufall verdanken; diese letztere Auffassung gibt es schon seit der Antike. Die Physikotheologie hatte Vorläufer. Dass das „Buch der Natur“ von Gott „geschrieben“ ist wie die Bibel und man darum auch in ihm Gottes Gedanken lesen kann, ist eine uralte Auffassung. Neu ist an der Physikotheologie, dass sie die Rangordnung der beiden Bücher umkehrte. „Für sie bot das Buch der Natur den primären Zugang zum Glauben, wenn es auch mit der Offenbarung konvergierte.“116 Insofern liegt die Physikotheologie ganz auf der Linie der Aufklärung, für welche Religion eine Sache der Vernunft war.117 Ebenfalls auf der Linie der Aufklärung liegt, dass dieses Lesen im Buch der Natur modernisiert wurde. Die Gedanken Gottes sollten nämlich mittels der neuen Art von Wissenschaft entziffert werden. Die Einsicht in die höhere Ordnung der Welt war früher nur der kontemplativen Vernunft möglich, die sich in das Wesen der Dinge versenkte. Die Vernunft der modernen Naturwissenschaft war dagegen lediglich in der Lage, für uns nützliche Gesetze zu finden, von denen man aber nicht wissen konn-
114 Ihrer Struktur nach sind beide Antworten allerdings wesentlich älter. – Im Folgenden orientiere ich mich vor allem an Groh/Groh 1996: 50 ff. 115 Ebd.: 93. 116 Sieferle 1986: 242. 117 Siehe unten S. 120 f.
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te, ob sie den Gedanken Gottes entsprechen.118 Nun aber konnte auch die „instrumentelle“119 Vernunft der modernen Naturwissenschaft diese Einsicht gewinnen. Voraussetzung dafür war die rationalistische Vorstellung, dass die mathematischen Gesetze Gedanken Gottes sind und das Buch der Natur, wie Galilei sagte, in mathematischer Schrift geschrieben ist.120 „Auch der fromme Bürger der Aufklärungszeit“ schließt an jede Betrachtung des Irdischen „ein Gedenken des Schöpfers ein [...]. Aber der Blick ist eben nicht zugunsten eines weltabgewandten, himmlischen Verzücktseins von der profanen Natur weggerichtet“, wie das wenig zuvor war, in der Zeit des Barock, die in mancher Hinsicht als eine Art Renaissance des mittelalterlichen Denkens gesehen werden kann.121 Vielmehr werden „geistiges Eindringen in die Zusammenhänge der Natur und vertiefte Erkenntnis von Gottes Schöpferkraft und vollkommenem Wesen gleichgerichtete Bewegungen“.122 Die Physikotheologen wollten also mit den Mitteln der modernen Naturwissenschaft zeigen, dass alles in der Natur sinnvoll geordnet ist. Dann nämlich sei bewiesen, dass hinter den Dingen eine ordnende Vernunft, ein Schöpfer steht. Nicht mehr in Wundern, nicht mehr in dem, was die Vernunft übersteigt, zeigt sich Gott, sondern gerade in der vernünftigen Einrichtung der Welt. Das führte zu einer Konzentration auf diejenigen Naturdinge, die uns als vernünftig geordnet, als zweckmäßig eingerichtet erscheinen. Das sind die Organismen. Zum Forschungsfortschritt auf diesem Gebiet hat das eifrige Bemühen der Physikotheologen, diejenigen Beziehungen im Organismus zu beschreiben, in denen etwas eine Funktion für etwas anderes erfüllt, also für dieses zweckmäßig ist, wesentlich beigetragen. Die wilde Natur aber ist offensichtlich ungeordnet, man erkennt keinen Zweck, dem alles folgt. Alles ist ein Durch- und Gegeneinander, andernfalls würden wir nicht von Wildnis sprechen. Wollte man der Erklärung nicht folgen,
118 Genauer betrachtet galt das im Mittelalter nur für die Nominalisten (siehe z.B. Hoffmann, F. 1984, Kap. 7 in Kirchhoff 2007), aber nicht allgemein. Der Gedanke der Unerkennbarkeit einer höheren Ordnung, also der „Gedanken Gottes“, ist in der Zeit der Aufklärung bezeichnend für den Empirismus (siehe oben S. 75 ff.). Die Physikotheologie ist in dieser Hinsicht dem Rationalismus zuzuordnen. 119 Vgl. Habermas 1968. 120 Zum Beispiel Kirchhoff/Trepl 2009, Groh/Groh 1996: 26. 121 Die Zeit des Barock war die Zeit der Gegenreformation und bedeutete in den Ländern, in denen diese siegte, die rigorose Bekämpfung nicht nur der Reformation, sondern auch des Geistes der Renaissance. 122 Zitate von Koschorke 1990: 174 f.
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das sei die Schuld des sündigen Menschen, musste man zeigen, dass das Chaos nur ein scheinbares ist oder dass die Wildnis, bisher unerkannt oder nur indirekt, doch zur sinnvollen Ordnung der Welt beiträgt. Auf diese Weise kam es zu den ersten Entdeckungen, die wir heute ökologisch nennen würden: Das allgemeine Fressen und Gefressenwerden erwies sich als sinnvolle Einrichtung. In Nahrungsketten, wie man es später nannte, ist ein jedes Lebewesen zweckmäßig für andere, nichts ist umsonst.123 In dieser Diskussion, in der man zeigen wollte, dass das sinnlos Erscheinende in der Natur in Wirklichkeit doch zum Guten beiträgt, spielte eine bestimmte Landschaft eine herausragende Rolle, nämlich die Alpen.124 Bis ins 18. Jahrhundert waren sie nur schrecklich, und wen nicht die Lebensnot zwang, in ihnen zu leben oder sie zu durchreisen, mied sie. Der berühmte klassizistische Kunsttheoretiker Winckelmann schloss 1760 am Gotthard die Vorhänge seiner Kutsche, weil ihn der Anblick der Berge ängstigte.125 Physikotheologen aber schrieben zu dieser Zeit schon Bücher mit Titeln wie „Rechtfertigung der Berge aus der Darlegung ihres Nutzens“126. Die Alpen bergen Mineralien, aus ihnen kommt das Wasser der großen Ströme, sie bieten Schutz gegen Winde. Bald sah man in ihnen auch einen moralischen Nutzen: Die Kargheit der Natur des Hochgebirges ist ein wirksames Mittel gegen den Sittenverfall, den man dort beobachten kann, wo die Natur ihren Bewohnern nichts abverlangt.127 Die Heroisierung der Schweizer begann, die ihren literarischen Gipfel in Schillers Wilhelm Tell erreichte. Versuchte man erst den Nutzen und dann die positive moralische Bedeutung des Gebirges nachzuweisen, kam es schließlich auch zu einer ästhetischen Umwertung. Wildnis war vorher real bedrohlich, und sie symbolisierte moralisch Verwerfliches. Nun aber wird die wilde Natur wie die schöne zum Gegenstand eines ästhetischen Urteils. Ästhetische Umwertung 1: Das Naturerhabene im Rahmen religiösen Denkens Wenn vorher ästhetisch attraktiv nur das Geordnete, Harmonische war, dann implizierte das, dass nur das Begrenzte attraktiv sein kann, denn nur das kann ge-
123 Trepl 1987: 77 ff. 124 Zur Deutungsgeschichte der Alpen siehe Wozniakowski 1987. 125 Ebd.: 317 f. 126 Gottlieb Sigmund Gruner: Rechtfertigung der Berge aus der Darlegung ihres Nutzens (um 1760). 127 Zum Beispiel in Albrecht von Hallers Alpen-Gedicht (1727).
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formt sein. Das änderte sich in der Zeit der Aufklärung. Man hat das als eine Spätwirkung des Schocks beschrieben, den lange vorher die astronomische Revolution des Kopernikus ausgelöst hatte. Es dauerte noch Jahrhunderte, bis diese Erkenntnisse ins allgemeine Bewusstsein drangen und eine neue Raumerfahrung hervorbrachten, für die – zunächst – das Entsetzen vor dem Unendlichen wesentlich war.128 Ein entsprechender Schauer stellte sich „nicht nur dort ein, wo sich der Blick auf den Himmel selbst richtet, sondern auch angesichts anderer unermeßlicher oder gigantischer Gegenstände“129. Das waren insbesondere die Gebirge, aber auch der endlose Ozean und die weite Landschaft. Schauer und Schrecken aber waren bald keineswegs nur unangenehm. Wie das möglich wurde, wird im Folgenden beschrieben. Um die Erkenntnis der eigenen Winzigkeit in den unendlichen Weiten des Weltalls ertragen zu können, musste man sie mit den Zentralstücken des alten Weltbilds vereinbar machen.130 Dafür bot es sich an, die Prädikate Gottes mit denen des Raumes zu identifizieren. Während Gott vorher vor allem der alles Umgreifende, Bergende war, ist er jetzt der Unendliche. Das zog eine ästhetische Revolution nach sich. Das Unendliche – damit das Ungeformte, denn nur Begrenztes kann Form haben – ist nicht mehr nur schrecklich („gähnender Abgrund“). Stattdessen stellt sich ein ambivalentes Gefühl ein. Ein solches Gefühl kannte man wohl von jeher. Man hat es angesichts des Erhabenen, das den Geist überwältigt und niederdrückt und zugleich erhebt. Über alles erhaben ist Gott. Ein Gefühl ähnlich dem, das man hatte, wenn man ihn dachte, wird nun auch angesichts von Naturdingen möglich, und zwar von unendlich erscheinenden, ungeformten, überwältigenden. Henry More (1614-1687) schrieb erstmals von „delight in disorder“131. Dafür war das Alpenerlebnis der englischen Aristokraten von Bedeutung. Junge Adlige pflegten die Grand Tour zu unternehmen. Sie wanderten einige Jahre von Hof zu Hof, von Stadt zu Stadt, um Erfahrungen zu sammeln, die sie in ihrer späteren Position brauchten. Die Grand Tour führte die englischen Aristokraten meist durch die Schweiz nach Italien. Frühe Beschreibungen ihrer Erlebnisse bei der Überquerung der Alpen betonen allein das Grauen, das einen beim Anblick der Abgründe erfasst. Wenig später klingt es bereits anders: „The sense of all this produced different motions in me: a delightful Horror, a trerrible
128 Groh/Groh 1996. 129 Begemann 1987: 118 f. 130 Groh/Groh 1996, dort insbesondere 122 ff. 131 Nach ebd.: 124.
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Joy“. (Dennis 1688132), und 1780 beschreibt der deutsche Dichter Wilhelm Heinse sein Alpenerlebnis so: „Ich bin auf der Höhe des Gotthard gewesen [...] Was ich da gehört und gesehen, lässt sich mit keiner Zunge aussprechen [...] ich bin mit Entzücken in die innerste, geheimste Harmonie der Wesen eingedrungen, und Herz und Geist und alle Sinne haben sich bei mir in Wonne gebadet.“133 Es waren gebildete britische Adlige, die die ersten wichtigen Beiträge zu der ästhetischen Revolution lieferten. Von besonderer Bedeutung für die Entstehung der Ästhetik des Naturerhabenen waren John Dennis (1657-1734), Anthony Ashley-Cooper, der 3. Earl of Shaftesbury (1671-1713) und Joseph Addison (16721719). Dennis erstellte eine Hierarchie erhabener Gegenstände. An der Spitze stand Gott, dann kamen seine „großen“ Schöpfungen: das Weltall, die Himmelskörper, das Meer, die Ströme, die Berge.134 Diese Naturdinge selbst waren erhaben, sie waren nicht etwa nur Mittel zur Anregung erhabener Gedanken. Denn die Natur war ja Gottes Werk. Um das so sehen zu können, war ein Denken von der Art der Physikotheologie Voraussetzung: Die Natur musste in all ihren Zügen als Werk des gütigen und allmächtigen Gottes gelten, das Schlechte an ihr – und dazu gehörten ja offensichtlich die Hochgebirge – konnte nicht als Schlechtes hingenommen und dann als Folge der Sünde des Menschen erklärt werden. Natur musste auch in diesen Aspekten das Werk Gottes, des Erhabensten, sein, um selbst erhaben sein zu können. Damit waren Gefühl und Verstand (physikotheologisches Wissen) beteiligt, wollte man das Erhabene der Natur erleben. Ohne zu theoretisieren, ohne sich ein Wissen darüber zu verschaffen, welchen Ursprung sie letztlich haben, konnten die Berge nur schrecklich und abstoßend sein. Aber das Gefühl trat immer mehr in den Vordergrund. Wissen war bald nicht mehr nötig, man hatte das Gefühl einfach beim Anblick des Hochgebirges, ohne eigens darüber nachzudenken, wer dessen Schöpfer ist. In der späteren Aufklärungszeit werden, anders als in der frühen, physikotheologische Argumente bei den Beschreibungen der Alpen nicht mehr formuliert.135
132 Zit. n. ebd.: 128. 133 Zit. n. ebd.: 92. 134 Ebd.: 129. 135 Ebd.: 135 f.
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Ästhetische Umwertung 2: Das Naturerhabene bei Kant Der nächste große Schritt136 war Kants Theorie des Naturerhabenen. Dass nicht die Naturdinge selbst erhaben sind wie bei Dennis, sondern sie uns nur Anlass geben, das eigentlich Erhabene zu denken – diese Vorstellung war vorher schon möglich. Die Dinge sind nicht deshalb erhaben, weil sie Gottes Schöpfung sind, also selbst Anteil an seiner Erhabenheit haben. Vielmehr wecken sie nur, wenn sie etwa groß sind, den Gedanken an Gottes Größe. Das vertrat z.B. bereits Addison.137 Kants Erklärung aber kommt ohne den Begriff Gottes aus. Die Erhebung hat nicht mehr den alten religiösen Sinn eines Emporgehobenwerdens, sie ist eher ein Sich-Erheben zu eigener möglicher Größe. Kant beschreibt das Erhabenheitserlebnis angesichts von Naturerscheinungen zunächst ähnlich, wie man es vorher auch tat: „Das Schöne der Natur betrifft die Form des Gegenstandes, die in der Begrenzung besteht; das Erhabene ist dagegen auch an einem formlosen Gegenstande zu finden, sofern Unbegrenztheit an ihm [...] vorgestellt [...] wird“138. „Also ist das Wohlgefallen dort mit der Vorstellung der Qualität, hier aber der Quantität verbunden.“139 Erhabenheit wird bei einem Anblick oder einer Vorstellung erfahren, die überwältigt, also niederdrückt, und zugleich erhebt, die also Abstoßung und Anziehung zugleich enthält. Das Gefühl des Erhabenen enthält nicht „positive Lust“ wie das des Schönen, sondern „Bewunderung oder Achtung“, d.h. „negative Lust“.140 Wenn man jemanden bewundert wegen seines Könnens, wenn man jemanden achtet wegen seiner moralischen Standhaftigkeit, so fühlt man sich nicht nur angezogen, weil man dieses Können und diese Standhaftigkeit auch gerne hätte, sondern zugleich zurückgestoßen, auf Distanz gehalten, weil einem angesichts des Bewundernsoder Achtungswürdigen der eigene Mangel bewusst wird. Dann argumentiert Kant aber anders als die britischen Entdecker des Naturerhabenen: „Das eigentliche Erhabene kann in keiner sinnlichen Form enthalten sein, sondern trifft nur Ideen der Vernunft“.141 Das eigentlich Erhabene ist also nicht das Naturphänomen, aber auch nicht Gott als dessen Schöpfer, sondern er-
136 Nach den bereits genannten britischen Autoren und vor Kant formulierte Edmund Burke 1989 (1759) eine empiristisch-sensualistisch akzentuierte Theorie des Naturerhabenen. 137 Siehe z.B. ebd.: 133. 138 Kant 1977, Bd. 10: 165 (§ 23 KU). (Hervorhebung im Original). 139 Ebd. (Hervorhebung im Original). 140 Ebd. 141 Kant 1977, Bd. 10: 166 (§ 23 KU).
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haben sind Ideen der Vernunft, damit unsere Ideen (also wenn schon Gott, dann unsere Idee von ihm). Die Natur erregt „in ihrer wildesten regellosesten Unordnung und Verwüstung, wenn sich nur Größe und Macht blicken lässt, die Ideen des Erhabenen am meisten“.142 Da es um Größe und um Macht geht, unterscheidet Kant zwei Formen des Natur-Erhabenen, das Mathematisch-Erhabene und das DynamischErhabene. Mathematisch-erhaben ist, „was über alle Vergleichung groß ist“143. In der Natur ist aber nichts über alle Vergleichung groß. Was uns auch immer in der Natur begegnet: Es gibt noch größeres. Über alle Vergleichung, d.h. schlechthin groß ist das Unendliche – eine Idee der Vernunft, denn finden lässt es sich in der Natur, also mittels unserer Sinne, nirgends. „Das Unendliche [...] denken zu können, zeigt ein Vermögen des Gemüts an, welches allen Maßstab der Sinne übertrifft.“144 Warum aber nennen wir Naturerscheinungen erhaben, wo es doch diese Idee ist, die eigentlich erhaben ist? „Erhaben ist also die Natur in denjenigen ihrer Erscheinungen, deren Anschauung die Idee ihrer Unendlichkeit bei sich führt.“145 Eine Anschauung führt diese Idee bei sich im Falle der „Unangemessenheit selbst der größten Bestrebung unserer Einbildungskraft in der Größenschätzung eines Gegenstandes“146. Die Unangemessenheit wird uns im Anblick der erhabenen Natur vor Augen geführt: Diese erscheint unserer Einbildungskraft unangemessen. Was wir sehen, so sagen wir oft, „übersteigt unser Vorstellungsvermögen“; wir nennen einen Gegenstand, mit dem unsere Einbildungskraft überfordert ist, „unvorstellbar groß“. Solche Gegenstände sind die hohen Berge, der grenzenlose Ozean und die weite Landschaft. Der Horizont, schreibt Koschorke, gewinnt in jener Zeit „die Qualität eines emphatischen visuellen Erlebnisses. Er ist in der Ästhetik des Naturerhabenen der Repräsentant angeschauter Unendlichkeit“147. Dynamisch-erhaben ist oder besser scheint uns die Natur in ihrer Macht. Solche Naturerscheinungen sind z.B. „kühne überhangende gleichsam drohende Felsen, am Himmel sich auftürmende Donnerwolken, mit Blitzen und Krachen einherziehend, Vulkane in ihrer ganzen zerstörenden Gewalt, Orkane mit ihrer
142 Ebd.: 167 (§ 23 KU). 143 Ebd.: 169 (§ 25 KU). 144 Ebd.: 177 (§ 26 KU). 145 Ebd.: 178 (§ 26 KU). 146 Ebd. 147 Koschorke 1990: 138.
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zurückgelassenen Verwüstung, der grenzenlose Ozean, in Empörung gesetzt, ein hoher Wasserfall eines mächtigen Flusses u.d.gl.“148. Die Macht der Natur muss die unsere weit übersteigen, und wir müssen sie uns als bedrohlich vorstellen. „Wenn von uns die Natur dynamisch als erhaben beurteilt werden soll, so muss sie als Furcht erregend vorgestellt werden“.149 Man darf sich aber nicht wirklich fürchten: „Wer sich fürchtet, kann über das Erhabene der Natur gar nicht urteilen,“150 denn „es ist unmöglich, an einem Schrecken, der ernstlich gemeint wäre, Wohlgefallen zu finden“151. Wir dürfen „uns bloß den Fall denken, da wir ihm [dem furchtbaren Gegenstand] etwa Widerstand tun wollten, und dass alsdann aller Widerstand bei weitem vergeblich sein würde.“ 152 Wenn wir uns durch den Anblick von Naturerscheinungen veranlasst sehen, uns diesen Fall zu denken, nennen wir „diese Gegenstände gern erhaben, weil sie die Seelenstärke über ihr gewöhnliches Mittelmaß erhöhen“153. Wie kann das sein? Wenn wir uns bewusst werden, dass unser Widerstand aussichtslos sein würde, sollte das doch eher zu Niedergeschlagenheit führen. Tatsächlich erhöhen sie die Seelenstärke, und zwar deshalb, weil diese Naturerscheinungen „ein Vermögen zu widerstehen von ganz anderer Art in uns entdecken lassen, welches uns Mut macht, uns mit der scheinbaren Allgewalt der Natur messen zu können.“154 Nicht etwa, dass wir uns bewusst würden, wir könnten physisch dieser Allgewalt standhalten; das ist gerade ganz unmöglich. Vielmehr gibt ja „die Unwiderstehlichkeit ihrer Macht uns, als Naturwesen betrachtet, [...] unsere physische Ohnmacht zu erkennen“155. Es ist, wie es im Zitat heißt, ein Vermögen zu widerstehen ganz anderer Art – ganz anderer Art als die, die wir als „Naturwesen“ besitzen, und darin ist für Kant alle „Geschicklichkeit“, also auch alles technische Können eingeschlossen. Das Vermögen ist moralischer Art: Der Anblick der Natur in der Unwiderstehlichkeit ihrer Macht lässt uns entdecken, dass wir in bestimmter Hinsicht von der Natur vollkommen unabhängig sind, dies wenigstens sein sollen und folglich auch können. Die Natur gibt uns unsere physische Ohnmacht zu erkennen, aber sie „entdeckt zugleich ein Ver-
148 Kant 1977, Bd. 10: 185 (§ 28 KU). 149 Ebd.: 184 (§ 28 KU). 150 Ebd.: 185. 151 Ebd. 152 Ebd.: 184 (§ 28 KU) (Hervorhebung im Original). 153 Ebd.: 185 (§ 28). 154 Ebd. 155 Ebd. f.
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mögen, uns als von ihr unabhängig zu beurteilen“. Die Behauptung, von der Natur unabhängig zu sein zu können, scheint zunächst abwegig. Gemeint ist sie so: Wir entdecken gerade in dem Anblick, der unsere völlige physische Unterlegenheit offensichtlich werden lässt, „eine Überlegenheit über die Natur, worauf sich eine Selbsterhaltung von ganz andrer Art gründet, als diejenige ist, die von der Natur außer uns angefochten und in Gefahr gebracht werden kann, wobei die Menschheit in unserer Person unerniedrigt bleibt, obgleich der Mensch jener Gewalt unterliegen müßte“156. Es ist die moralische Selbsterhaltung. Denn diese kann auch die mächtigste Natur nicht in Gefahr bringen. Eine Naturerscheinung wird als erhaben bezeichnet, wenn und „weil sie unsere Kraft (die nicht Natur ist) in uns aufruft“, so dass wir „das, wofür wir besorgt sind (Güter, Gesundheit und Leben), als klein“ ansehen.157 Weil wir merken, dass wir das, was uns gleichsam an die Natur bindet, was uns im „irdischen Leben“ etwas wert ist, also Güter, Gesundheit und Leben, gering achten können, werden wir uns einer Kraft bewusst, die uns befähigt, jener Gewalt zu widerstehen. Es ist eine Kraft, „die nicht Natur ist“, und als physische Wesen erhalten wir uns durch sie, wie gesehen, auch nicht, es ist „eine Selbsterhaltung von ganz andrer Art“. Zu anderen Zeiten hätte man gesagt: Man hat sein Leben hingegeben, aber seine Seele gerettet. Es ist darum nicht gleichgültig, welcher Art die Ideen sind, die uns dazu bringen, Güter, Gesundheit und Leben als klein anzusehen. Dazu können einen ja auch die Ideen bringen, von denen sich der Abenteurer leiten lässt – eine Figur, die sicher historisch alt ist, aber das Erlebnis der Berge erst in neuester Zeit prägt. Ich will in einem kurzen Exkurs darauf eingehen. Im Anblick der erhabenen Natur entdecken wir gerade nicht, dass wir all jene Dinge in der Weise eines Abenteurers geringschätzen können, d.h. um eines größeren Genusses willen; würden wir das bemerken, würden wir uns nicht erhoben fühlen. Der Zustand wäre stattdessen vielleicht einem Rausch ähnlich. Man lese z.B., wie Reinhold Messner seine Erlebnisse beschreibt. Er sucht nicht das Gefühl der Erhabenheit, sondern das Gefühl des Siegers im Kampf. Doch kämpft er im Grunde nicht gegen die Natur da draußen: „Mir ging es beim Unterwegssein in der Wildnis nicht um die Welt draußen, sondern um die Welt in mir drinnen. Ich war Eroberer meiner eigenen Seele.“158 Gegen etwas „in mir drinnen“ muss auch kämpfen, wer sich für ein höheres, ein moralisches Ziel einsetzt. Aber Messners Kampf ist kein moralisches Handeln, er selbst
156 Ebd.: 186 (§ 28). 157 Ebd. 158 Messner 1979: 14.
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bezeichnet durchaus als egoistisch, was er tut. Was kämpft da gegen was um was? „Der Kampf mit sich selbst lässt sich [...] als ein Kampf des Willens gegen den Körper beschreiben, bei dem es darum geht, die Natur in Form der eigenen Körpernatur mit dem Willen zu besiegen. Dieser Wille ist aber letztendlich doch auch auf der Seite des Körpers zu verorten, da er dazu dient, eine egoistische Lust zu befriedigen.“159 Moralisch ist es nicht zu rechtfertigen, um dieser Lust willen sein Leben aufs Spiel zu setzen. Wer Lust sucht und dabei das missachtet, was das moralische Gesetz gebietet, hängt vielmehr an der Natur, an Genüssen, folgt nicht der Vernunft zu ihren letzten Konsequenzen, denn diese sind moralisch: Die Vernunft kann gebieten, auf jeden Egoismus (d.h. auf Lust im weitesten Sinne) zu verzichten, und zwar zugunsten dessen, was das moralische Gesetz, das ja ein Vernunftgesetz ist, gebietet. Das Gipfelgefühl – allein unter dem Himmel zu stehen, aber erst nach einer „übermenschlichen“ Leistung – resultiert in gewissem Sinne schon aus einer Überlegenheit über alle Natur. Der Bergsteiger hat sich sowohl der Natur des Berges als auch seiner eigenen Natur überlegen erwiesen. „Er vollbringt quasi Übernatürliches, aber nicht auf einer geistigmoralischen Ebene, sondern in dem Sinn, dass er sich als Naturwesen aller anderen Natur überlegen zeigt.“160 Der Sinn ist nicht, sich über die Natur in eine ganz andere Sphäre zu erheben, sondern gleichsam mit ihr eins zu werden, selbst Naturwesen zu werden, aber das größte, stärkste Naturwesen unter allen. Das fühlt der Kämpfer auf dem Gipfel. Das Erhabenheitserlebnis der Aufklärung war etwas ganz anderes. Die erhabene Natur muss erhabene Ideen hervorrufen. Das sind moralische Ideen. Nicht darum geht es, dass man in der Lage wäre, sich als Abenteurer leichtsinnig über die Lebensgefahr hinwegzusetzen, sondern dass man dazu in der Lage wäre, wenn die Pflicht es erforderte, z.B. aus dem tosenden Meer jemanden zu retten. Nicht dass man sich sicher wäre, man täte das tatsächlich, ist entscheidend, sondern dass man – als Mensch, nicht als Held mit besonderen Fähigkeiten – das prinzipiell könnte, weil man weiß, dass man es sollte. Das ist gemeint, wenn es heißt, dass die „Menschheit in unserer Person unerniedrigt bleibt“. Darum gilt: „Die Stimmung des Gemüts zum Gefühl des Erhabenen erfordert eine Empfänglichkeit desselben für Ideen“161, nämlich moralische Ideen. Darum wird das, was Menschen, die für solche Ideen empfänglich sind, erhaben erscheint, „dem rohen Menschen bloß abschreckend vorkommen“162. Und gleich-
159 Hoheisel/Trepl/Vicenzotti 2005: 45. 160 Ebd. 161 Kant 1977, Bd. 10: 189 (§ 29 KU). 162 Ebd.: 190 (§ 29 KU).
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wohl sind das Ideen, die wir „jedermann ansinnen zu dürfen uns berechtigt glauben“163. Daraus folgt die subjektive Allgemeinheit auch des Urteils über das Erhabene. Das Erhabenheitsurteil beruht allein auf einem subjektiven Gefühl, und insofern ist es ästhetisch, aber wir verlangen von jedem, dass er es haben soll. Wer zum Erlebnis des Erhabenen nicht in der Lage ist, dem sprechen wir zwar nicht den Geschmack, aber das Gefühl ab.164 Aus diesem Zusammenhang wird noch deutlicher ersichtlich, als wenn man nur auf das Naturschöne achtet, weshalb dem Landschaftserlebnis eine so überragende Bedeutung für die Besserung des Menschen zugesprochen wurde. Das gilt, obwohl es beim Naturerhabenen gar nicht um Landschaft im eigentlichen Sinne ging, denn das war die schöne, harmonische Landschaft.165 Wenn Landschaft, insofern sie als harmonische Natur etwas anders ist als die Wildnis, primär ein ästhetischer Gegenstand ist, der sekundär mit moralischen Bedeutungen aufgeladen werden kann, so ist Wildnis primär ein moralischer Gegenstand, Inbegriff moralisch beurteilter Gegenwelt zur Kultur. 166 Aber sie ist ein Gegenstand, der sekundär auch ästhetische Wirkung entfalten kann. Das ist dann der Fall, wenn das negative Empfinden angesichts solcher Natur, die das Vorstellungsvermögen überfordert, das moralische Empfinden der Achtung für etwas Höheres – zuerst für Gott, später für die „Menschheit in unserer Person“ – hervorruft. Und weil es unterschiedliche moralische Ordnungen und Ziele gibt, als deren Gegenwelt die äußere Natur vorgestellt wird, gibt es auch verschiedene Bedeutungen und Bewertungen von Wildnis. Diese sind negativ oder positiv, je nachdem, ob die entsprechende kulturelle Ordnung oder Zielsetzung positiv oder negativ gewertet wird.167 Die Entdeckung der erhabenen Natur machte die Entdeckung zweier Arten von Landschaft möglich, über die eigentliche, die harmonische hinaus: die Entdeckung der wilden und der weiten Landschaft. Die Möglichkeit der visuellen Darstellung der weiten, der unermesslich weiten, d.h. der den Gedanken der Unendlichkeit wachrufenden Landschaft war schon mit der Entstehung der perspektivischen Malerei gegeben. Zum Horizont hin, dem zentralen Strukturelement des perspektivischen Landschaftsbildes, verkürzen sich alle Distanzen ins ver-
163 Ebd.: 191 (§ 29 KU). 164 Ebd. 165 Kangler 2009: 5 unterscheidet „(1) unbekannte Wildnis als das nicht genauer bestimmbare Draußen, (2) bestimmte Wildnis als wilde individuell wahrgenommene Landschaft.“ (Hervorhebungen im Original) 166 Siehe oben S. 101. 167 Kirchhoff/Trepl 2009.
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schwindend Kleine, und hinter dem Horizont, der Grenze der sichtbaren Welt, denkt man sich nun nicht, wie hinter der Weltgrenze in der alten Vorstellung vom endlichen Kosmos, eine ganz andere Welt oder das Nichts, sondern wieder eine Landschaft mit einem Horizont und wieder eine und so fort. Das bloße Erschrecken vor der Weite zu überwinden, war eine langwierige, mühsame Arbeit, ähnlich wie bei den Schrecknissen der wilden Gebirge. Das sieht man auch daran, dass es dauerte, bis in den künstlerischen Darstellungsformen das Prinzip der strengen Umgrenzung dem der unbegrenzten Weite wich168: in der Gartenkunst vom umgrenzten geometrischen Garten bis zu den Ausblicken ins Weite der Umgebung, die im Englischen Garten besondere Bedeutung erhielt; in der Malerei von den kleinformatigen, gerahmten, ausschnitthaften Landschaftsbildern der frühen Aufklärungszeit bis zum tendenziellen Verschwinden der Rahmung, der Entstehung des Panoramablicks im späten 18. Jahrhundert. In der Dichtung war für die Zeit von Barock und Frühaufklärung die akribische Darstellung der gesetzmäßigen Ordnung der Welt charakteristisch, ebenso die Segmentierung der Weite als eine Technik, ihr den Schrecken zu nehmen. An die Stelle dieser Darstellungsweisen trat ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Dichtung mehr und mehr „eine unabschließbare Bewegung der Sprache, eine Rhythmik der Übersteigung und Einholung, die immerfort im Unbekannten ein Bekanntes wiederfindet, um dahinter weitere Geheimnisse zu suchen.“169 Dass sich die Geheimnisse aufdecken lassen, dass sie verschwinden, so wie man es geschafft hat, über den Horizont hinaus vorzudringen, und dass dies gut so ist, dieser Glaube unterscheidet die Aufklärung von der Zeit davor wie von der danach, der Zeit der Romantik. Der Blick der Aufklärung ist ein Feldherrnblick, er geht vom erhöhten Punkt aus in die unabsehbare Ferne, die man zu erobern gedenkt. Wenn das Erhabene der Natur zunächst noch die Bedeutung eines Erhobenwerdens zu Gott hatte, ist seine Bedeutung nun das Sich-Erheben des Menschen. Sehr schön sieht man das am Funktionswandel der Kirchtürme in jener Zeit: Es kommt „zu einem Umfunktionieren, zu einer Säkularisation des Kirchturms“. „Die Kirchtürme sind nicht länger Wegweiser des gläubigen Blicks, man blickt nicht mehr an ihnen hinauf, sondern, selbst gottähnlich geworden, von ihnen herab. Sie dienen nicht mehr der Ehre Gottes, sondern allein zur Befriedigung der menschlichen Seh-Sucht.“170 Befriedigt werden sollte freilich mit dieser Selbst-Sucht durchaus nach wie vor die Sehnsucht nach dem Höheren; auch das lag in der säkularisierten Deu-
168 Ich folge im Wesentlichen Kap. III in Koschorke 1990. 169 Ebd.: 109. 170 Ebd.: 157, Zitat von Oettermann 1980.
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tung des Erhabenen. „Die lyrische Sehnsuchtsstimmung, mit der sich seit dem Sturm und Drang der Blick in die Weite aufzuladen beginnt, lässt sich indessen nicht auf ein Begehren reduzieren, das durch irgend eine handgreifliche Besitznahme zu stillen wäre.“171 Doch deutet sich im Feldherrnblick bereits ein Verfall des Prinzips „Sehnsucht nach Höherem“, und damit der Erhabenheitserfahrung, an. Koschorke unterscheidet vier „kognitive Hauptphasen“ im – auf ästhetischer Ebene betrachteten – „Wandel der Machtbeziehung zwischen dem Subjekt und der Natur, die es sich gegenüber findet“. Am Anfang steht „allein Entsetzen und religiöse Furcht“172. Die „früheste Form der kognitiven Bewältigung“ ist das „Verfahren der Segmentierung“. Dem folgt als die „Stufe der Machtbalance173 zwischen Mensch und Natur jenes visuelle Aushalten der Überwältigung, das die Erhabenheitserfahrung in ihrem emphatischen Sinn charakterisiert“174. Schiller schreibt damals, und das drückt das Bewusstsein der Zeit aus: „Solange der Mensch bloß Sklave der physischen Notwendigkeit war, aus dem Engen Kreis der Bedürfnisse noch keinen Ausgang gefunden hatte und die hohe dämonische Freiheit in seiner Brust noch nicht ahndete, so konnte ihn die unfassbare Natur nur an die Schranken seiner Vorstellungskraft, und die verderbende Natur nur an seine physische Ohnmacht erinnern.“
171 Koschorke 1990: 179 f. 172 Ebd.: 128 f. 173 Sieferle 1986: 245 schreibt, dass „das ‚Erhabene‘ zum Gegenstand ästhetischer Landschaftserfahrung werden [konnte], sofern die reale Bedrohung [...] zwar noch geahnt, nicht aber wirklich empfunden wurde. Die Ästhetisierung der Landschaft setzte also ihre Entschärfung, letztlich ihre Kultivierung voraus.“ – Von einer Ästhetisierung der Landschaft zu sprechen, wie es vor allem unter Umwelthistorikern verbreitet ist, beruht auf einem Irrtum: Man meint, die Landschaft sei „in Wirklichkeit“ ein physisches Objekt, dem man dann eine ästhetische Bedeutung abgewinnen konnte. Tatsächlich war die Objektivierung der Landschaft sekundär, wie in Kap. 6 beschrieben wird; zur relativen Berechtigung der Ästhetisierungsthese siehe Kap. 6.3.3. 174 Koschorke 1990: 128. Praxenthaler 1996: 89 beschreibt diese Machtbalance so: „Man hat keine Angst mehr, vor der Übermacht der Natur kapitulieren zu müssen, denn man hat die unendliche Überlegenheit der menschlichen Vernunft über die Natur erkannt. Angesichts der unendlichen Unterlegenheit der sinnlichen Fähigkeiten unter die Erhabenheit der Natur sorgt man sich aber auch noch nicht um die Konsequenzen der menschlichen Überlegenheit über die Natur.“
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Nun aber ist ihm die unfassbare und verderbende Natur Anlass, die „Überlegenheit seiner Ideen über das Höchste, was die Sinnlichkeit leisten kann, desto lebhafter zu empfinden. Der Anblick unbegrenzter Fernen und unabsehbarer Höhen, der weite Ozean zu seinen Füßen und der größere Ozean über ihm entreißen seinen Geist der engen Sphäre des Wirklichen und der drückenden Gefangenschaft des physischen Lebens“175.
Dann aber kommt die Phase der „Vergleichgültigung“ der unermesslichen wie der wilden Natur: wenn die zivilisatorische Entwicklung die „Schwellenzone ein für allemale überschritten“ hat und nur noch Objekte antrifft, „die dem menschlichen Sehvermögen gleichsam rückwirkend seit jeher unterworfen und kommensurabel sind“176. Für die Erfahrung der Erhabenheit ist das Widerständige der Natur, ihre Unfasslichkeit durch die Sinne, die Vorstellung ihrer physischen Unüberwindbarkeit Voraussetzung. Das aber geht durch die fortschreitende Naturbeherrschung in zunehmendem Maße verloren.177 Praxenthaler hat darin die Ursache dafür gesehen, dass es immer weniger genügt, wenn wir, wie Kant sagt, „uns bloß den Fall denken, da wir ihm [dem furchtbaren Naturphänomen] etwa Widerstand tun wollten, und dass alsdann aller Widerstand bei weitem vergeblich sein würde.“178 Vielmehr haben immer mehr Menschen, wie vor allem die Entwicklung der Bergsteigerei zeigt, offenbar das Gefühl, dass sie jenen Widerstand wirklich leisten müssten, dass sie real ihr Leben aufs Spiel setzen müssten, um aus dem irdischen Leben erhebende Erfahrungen zu machen ähnlich jenen, zu denen man im 18. Jahrhundert den sicheren Standpunkt des distanzierten Betrachters brauchte.179 Wirklich lebensbedrohliche Situationen werden darum da künstlich hergestellt, wo ein „Sieg“ über die bedrohliche Natur sonst ohne Wei-
175 Schiller 1984 (Über das Erhabene). 176 Alle Zitate Koschorke 1990: 128 f. 177 Praxenthaler 1996: 36. Sie schreibt: Die Natur hat „alle Bedrohlichkeit verloren. [...] Aussagen wie ‚die Natur rächt sich‘ meinen jetzt offensichtlich nicht mehr eine von der Natur selbst ausgehende Bedrohung, sondern klagen die Auswirkungen des menschlichen Tuns an.“ (Ebd., S. 89) – Unterbrochen wird die Empfindung, daß die Natur „alle Bedrohlichkeit verloren“ hat, heute immer wieder nach Naturkatastrophen wie Erd- und Seebeben, aber immer nur für eine gewisse Zeit. 178 Siehe oben, S. 111. 179 Vgl. Eisel 1987.
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teres möglich wäre.180 Ob so wirklich ähnliche Erfahrungen zu machen sind, darf man allerdings bezweifeln; es sind wohl doch nur die Rauschzustände des Abenteurers, die man auf diese Weise erreicht.181 Es eröffnete sich aber, wie Schwarzer herausgestellt hat, im Zuge der Entwicklung des Alpentourismus ein weiterer Weg, der „die späteren Deutungen der alpinen Wildnis bestimmen sollte[...]“. Zwar bot „einerseits [...] das Hochgebirge fortan zunehmend nur noch denjenigen Widerstände, die sich Gefahren aussetzten“. Auf der anderen Seite jedoch „wurde das Gebirge nicht mehr bloß zur Bestätigung des aufgeklärten Subjektes, sondern zunehmend [...] um seiner Selbst willen von den Reisenden, die nach wie vor den sicheren Standpunkt bevorzugten, geschätzt und geradezu sakral verehrt als ‚Tempel‘ oder ‚Hochaltar‘.“182 Das ist das romantische Verständnis der erhabenen Natur.
180 Über seinen Alleingang auf den Nanga Parbat schreibt Messner: „Dieser Alleingang ist gar kein bergsteigerisches Problem, nur ein fiktives; es ist in meiner Vorstellung gewachsen. Ich will auf einen Berg hinauf, den es so, wie ich ihn mir ausgedacht habe, nicht gibt. Indem ich auf alle Technik und sogar auf einen Kletterpartner verzichte, mache ich in meiner Phantasie einen anderen Berg aus ihm.“ (Messner 1979: 53); siehe dazu Hoheisel/Trepl/Vicenzotti 2005. 181 „Einige Tage war ich unentschlossen, und dann verlangte irgend etwas in mir – jedenfalls nicht meine Vernunft –, alles hinter mir zu lassen und aufzubrechen. [...] Der Entschluß [...] weckt eine Reihe starker Gefühle. In mir überlappen sich nun Neugier, Respekt und eine selbstmörderische Gleichgültigkeit.“ (Messner 1979: 129, zit. n. Praxenthaler 1996) 182 Schwarzer 2011: 28 (Hervorhebungen im Original).
5. Die Landschaftsidee der Romantik
5.1 V ORBEMERKUNGEN Die Romantik entstand als Gegenbewegung zur Aufklärung, und sehr oft wird sie darum dem Konservativismus zugezählt, der ja ebenfalls als gegen die Aufklärung gerichtete Bewegung entstanden ist. Dieser Auffassung folge ich hier nicht.1 Man kann die Romantik der Gegenaufklärung oder Aufklärungskritik im weitesten Sinn zurechnen, aber der Konservativismus ist eine von der Romantik deutlich unterschiedene Denkrichtung2; er wird darum nicht hier, sondern erst in Kapitel 6 behandelt.3
1
Man könnte in mancher Hinsicht die sogenannte Spätromantik dem zuzählen, was hier als Konservativismus von der Romantik abgegrenzt wird, und das ist auch recht üblich. Dem Idealtyp von Romantik, wie er hier konstruiert wird, kommt die frühe Romantik näher. – Eisel 1999 spricht von „ästhetischem, apolitischem Konservativismus“; dieser Begriff umfasst teilweise das, was hier als Romantik konstruiert wird, ist aber im Wesentlichen vitalistisch beeinflussten Strömungen („Typ Nietzsche“) nachgebildet.
2
Völlig ununterschieden ist beides bei Sieferle 1986: 247 ff.: „Die romantische Kulturlandschaft illustriert somit ein durch und durch konservatives Programm.“ Wir werden sehen, dass dies nicht richtig ist.
3
Die gleiche Trennung wie hier findet sich bei Vicenzotti 2010. Ähnlich verfährt Siegmund 2010, die allerdings das, was hier Konservativismus genannt wird, Gegenaufklärung nennt, aber ebenfalls die Romantik klar von dieser abtrennt; der Unterschied ist also nur terminologisch. Von Siegmund stammt zumindest die klare Erkenntnis und Herausarbeitung des Unterschieds zwischen Romantik und Konservativismus hinsichtlich der Idee der Landschaft. Gill 2003 nennt im Wesentlichen das, was hier die romantische heißt, die „alteritätsorientierte“ Naturauffassung, was hier konservative heißt, die „identitätsorientierte“, und was hier liberale heißt, die „utilitätsorientierte“. Auf die Idee der Landschaft geht er allerdings nicht ein.
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Die Differenz von Aufklärung und Romantik tritt besonders markant hervor, wenn man sich ansieht, wie jeweils der Begriff der Religion definiert wurde; der Unterschied könnte größer nicht sein. Für die Aufklärung soll wieder einmal eine Definition von Kant stehen: „Religion ist (subjektiv betrachtet) das Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote.“4 Die wohl bekannteste Definition aus der Gedankenwelt der Romantik dürfte die von Friedrich Schleiermacher sein: Religion ist ein „Grundgefühl der unendlichen und lebendigen Natur“5. Was sind die Unterschiede? Für Kant ist Religion Erkenntnis. Ihr kommt Gewissheit zu, anders als der bloßen Meinung. Allerdings ist diese Gewissheit keine theoretische, es ist also kein Beweis möglich, die Wahrheit der Erkenntnis kann nicht „demonstriert“ werden. Von den religiösen Wahrheiten (es gibt Gott, es gibt eine Erlösung usw.) kann es kein Wissen geben, doch kann man Glaubensgründe haben, die zu subjektiver Gewissheit hinreichen. Das sind Gründe, die uns nicht von Gefühlen geliefert werden, sondern von der Vernunft. Ausgangspunkt der Glaubensgründe ist das Bewusstsein der unbedingten Gewissheit, mit der die Vernunft uns das moralische Gesetz vor Augen stellt. Die Erkenntnis, die Religion heißt, bezieht sich auf unsere Pflichten. – Die Pflichten legen wir uns selbst auf bzw. unsere Vernunft tut das; diese ist ja autonom, selbstgesetzgebend. Wir erkennen diese Pflichten nun als zugleich göttliche Gebote. Das kann man so interpretieren: Gott ist nicht der Gesetzgeber, aber die Gesetze, die sich die Vernunft selbst gibt, stimmen mit seinem Willen überein. Das impliziert aber: Es ist nicht nur unsere individuelle Vernunft oder die begrenzte Menschenvernunft, die sie uns auferlegt, so dass es vielleicht objektiv falsch sein könnte, diesen vermeintlichen Pflichten zu folgen. Sondern es ist die Vernunft, die höchste Vernunft. Ihre Gebote sind zugleich göttlich; nichts anderes bedeutet es ja, wenn wir sagen, dass es die Vernunft ist, deren Gesetze unbedingt zu befolgen sind. Wir können zwar nicht wissen, dass es die Gebote der Vernunft sind, wir wissen nur, dass es unsere Vernunft ist, die sie uns auferlegt, und um deren Begrenztheit wissen wir. Doch können wir (mit vernünftigen Gründen) glauben, dass es zugleich die Gebote der höchsten Vernunft sind.6
4
Kant 1977, Bd. 8: 823 (Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft).
5
Schleiermacher 1958: 30 (1799).
6
Zur Argumentation Kants im Hinblick auf diese Vernunftgründe siehe KpV, 2. Buch, 2. Hauptstück Kap. V, auch die Religionsschrift; ausführlich dazu siehe z.B. Geismann 2000. – Die Auffassung Kants in dieser Hinsicht hat sich im Laufe seines Schaffens verändert. Gegen Ende seines Lebens formulierte er: „Gott muß nicht als eine Substanz außer mir vorgestellt werden, sondern als das höchste moralische Prinzip in
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Bei Schleiermacher dagegen ist Religion ein subjektives Erlebnis. Er wendet sich explizit gegen die innige Verbindung, in die von der Aufklärung Religion und Moral gebracht wurden. Das heißt, er richtet sich dagegen, das Wesentliche an der Religion in der Bestimmung des Willens zum vernunftgemäßen, also moralischen Handeln in der Welt zu sehen. Religion ist Gefühl. Gefühlt wird, wenn es sich um Religion handeln soll, nicht dieses oder jenes, sondern das angeschaute Universum,7 und zwar in seiner Unendlichkeit und Lebendigkeit. „Alles Einzelne als einen Teil des Ganzen, alles Beschränkte als eine Darstellung des Unendlichen hinnehmen, das ist Religion.“ 8 „Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche.“ 9 Das bedeutet auch, dass die Welt unbegreiflich ist, denn das Unendliche kann man nicht begreifen; man kann es nicht mit den Sinnen erfassen, man kann es nicht gedanklich konstruieren, und es übersteigt jedes Vorstellungsvermögen. Und die Welt ist nicht beherrschbar – nicht nur weil sie unendlich ist, auch weil sie lebendig ist. Was lebendig ist, verändert sich aus sich selbst heraus. Dass das so ist, kann man fühlen. Eben das geschieht in der Religion10, und das ist deren Wesen. Dieses „ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. Anschauen will sie [die Religion] das Universum, in seinen eigenen Darstellungen und Handlungen will sie es andächtig belauschen, von seinen unmittelbaren Einflüssen will sie sich in kindlicher Passivität ergreifen und erfüllen lassen.“11 Das Gefühl, das man Religion nennt, ist das Höchste, was dem Menschen erreichbar ist.12 Darum ist das Schlimmste, was
mir [...] Gott ist die moralisch/practische sich selbst gesetzgebende Vernunft.“ (Opus Postumum XXI.: 144-5, zit. n. Herceg 2000) 7
„Es war Religion wenn sie [die ‚Alten‘] für jede hilfreiche Begebenheit, wobei die ewigen Gesetze der Welt sich im Zufälligen auf eine einleuchtende Art offenbarten, den Gott dem sie angehörte, mit einem eigenen Beinamen begabten und einen eignen Tempel ihm bauten; sie hatten eine Tat des Universums aufgefaßt [...].“ (Schleiermacher 1958: 33, Hervorhebung L.T.)
8
Ebd.: 32.
9
Ebd.: 30.
10 Diese Dimension von Religion war schon in der mittelalterlichen Mystik von Bedeutung; deren Sprache wurde dann von der protestantischen Bewegung des Pietismus so transformiert, wie es der individuellen Gefühlswelt des neuzeitlichen Bürgers entsprach. Zur Bedeutung des Pietismus für die Geschichte der Idee der Landschaft siehe Kap. 6.2 in Dinnebier 1996, Langen 1948/49. 11 Schleiermacher 1958: 29. 12 „Jener erste geheimnisvolle Augenblick, der bei jeder sinnlichen Wahrnehmung vorkommt, ehe noch Anschauung und Gefühl sich trennen, wo der Sinn und sein Gegen-
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ihm geschehen kann, dass ihm dieses Gefühl unmöglich gemacht wird. Das aber tut die Aufklärung, indem sie den Glauben an die Begreiflichkeit und Beherrschbarkeit der Welt verbreitet.
5.2 D IE E NTZAUBERUNG DER W ELT DIE AUFKLÄRUNG
DURCH
Der Ausgangspunkt der Romantik ist die Erkenntnis, dass die Aufklärung zur „Entzauberung der Welt“ (Max Weber) geführt hat. Die Aufklärung hat, schreibt Koschorke über den Aufklärer Breitinger, den „metaphysischen Status des Wunderbaren“ verändert. Es sollte „in der Literatur nichts mehr geduldet werden, was die physikalische Wahrscheinlichkeit prinzipiell übersteigt“. Breitinger „entzieht das Wunderbare dem Spiel der höheren, überirdischen Mächte“. „Das Subjekt ist kraft seiner Vernünftigkeit schon im Besitz der höchsten denkbaren Ordnung.“ Vom Wunderbaren bleibt nur das noch nicht Erklärliche, das Neue. Für die Aufklärer selbst bedeutete das allerdings nicht das Verschwinden aller Geheimnisse. Es wird immer Neues, noch nicht Erklärbares und in diesem eingeschränkten Sinne Geheimnisvolles geben. Die Romantiker aber ziehen die Konsequenz, „dass es sich bei dieser fortschreitenden Umwandlung des Unbekannten in Bekanntes um einen Verbrauchsprozeß handelt, so dass am Ende das Wunderbare aus der Welt verschwunden sein wird.“13 Die Welt ist aber dadurch nicht nur entzaubert und kalt, sie ist auch sinnlos geworden. Die Aufklärung hat das bewirkt, indem sie die mythologischen und die religiösen nicht vernunftbegründeten Deutungs- und Sinnsysteme entmachtete. „Dem Bewußtsein, dass die Mitte des menschlichen Blicks überall sein kann und dass alle Horizonte zu überschreiten sind, folgt nur durch eine geringe Akzentverschiebung die ganz entgegengesetzte Erfahrung, dass nirgends Mitte ist.“ Es gibt keinen Halt mehr, man verliert sich, alles wird gleich-gültig. Die „anfängliche Motorik der Öffnung“, des Überschreitens aller Horizonte im übertragenen und wörtlichen Sinn, geht „in das Prinzip einer leeren und hoffnungslosen Progression“ über.14
stand gleichsam ineinander geflossen und Eins geworden sind [...] Flüchtig ist er und durchsichtig wie der erste Duft, womit der Tau die erwachten Blumen anhaucht, schamhaft und zart wie ein jungfräulicher Kuß, heilig und fruchtbar wie eine bräutliche Umarmung; ja nicht wie dies, sondern er ist alles dieses selbst.“ (Ebd.: 41) 13 Alle Zitate Koschorke 1990: 106 ff. 14 Alle Zitate ebd.: 82.
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Dass die alten religiösen Sinnsysteme (und die mythologischen, also „Glaube und Aberglaube“) entmachtet werden, darf man nun nicht so verstehen, dass sie nur für die aufgeklärten Menschen nicht mehr gelten, an sich aber nach wie vor richtig sind und man nur zum alten Glauben zurückkehren müsste. Dieser ist vielmehr unwiederbringlich verloren. Man kann nicht mehr für wahr halten, was die eigene Vernunft einmal widerlegt und damit zerstört hat. Möglich ist aber die Wiederverzauberung der Welt, und zwar mit den Mitteln der Kunst. So erhält die Kunst eine überragende Bedeutung. Damit wendet sich die Romantik ab von der Idee eines auf Vernunft gegründeten technischen wie moralisch-politischen Fortschritts, der für die Aufklärung im Mittelpunkt stand. Fortschritt scheint den Romantikern jedoch durchaus möglich, allerdings auf ganz anderer Ebene. Während für die Aufklärung die Kunst vornehmlich eines der Mittel im Dienste des Fortschritts war, wird sie nun selbst das Ziel. Dabei rückt die künstlerisch beseelte Landschaft in den Mittelpunkt. Sie wird das übergeordnete Medium, durch das die Welt aus der Sinnlosigkeit, der Leere gerettet werden soll.15 Was eben sehr komprimiert beschrieben wurde, will ich nun etwas ausführlicher darstellen. Für die Aufklärung war die vergangene Welt das finstere Mittelalter, die Welt der Unfreiheit und der Unvernunft. Die Herrschaft war nicht legitimiert durch die Beherrschten. Die Menschen wurden in Unmündigkeit gehalten. Die Moral verdiente diesen Namen nicht, denn sie beruhte nicht auf selbstverantwortlicher Entscheidung zum Guten, nicht auf Unterwerfung unter das Gesetz, das sich der Mensch durch seine Vernunft selbst gibt, sondern auf Furcht vor den irdischen und himmlischen oder höllischen Mächten oder umgekehrt in der Hoffnung auf Belohnung. Die Vorstellungen von der Natur waren nichts als Aberglaube. Für die Romantik aber war die mittelalterliche die Welt des tiefen Glaubens, der Heiligen und der Ehrfurcht vor dem Heiligen, einer lebendigen, im Volksleben tief verankerten, von innen kommenden Religion.16 Es war eine Welt, in der das diesseitige Leben vom Wissen um das jenseitige bestimmt war und damit eine Welt, in der alles Sinn hat. Es war auch eine Welt der Geheimnisse und Wunder, der mythisch-magischen Einheit von Natur und Übernatur, und es war eine Welt der Abenteuer, der ritterlichen Freiheit und der ritterlichen Kämpfe.
15 Einleitung zu Kap. 7 in Siegmund 2010. 16 „Nicht der hat Religion, der an eine heilige Schrift glaubt, sondern der welcher keiner bedarf, und wohl selbst eine machen könnte.“ (Schleiermacher 1958: 68)
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Diese alte Ordnung ebenso wie dieses Bewusstsein hat die Aufklärung, beginnend schon mit der Reformation, beseitigt. Sie setzt an die erste Stelle nicht Gott, sondern die Vernunft. Vor deren Gericht muss alles treten, und vor diesem kann sich das Alte nicht halten. Die Vernunft bringt die neue Wissenschaft hervor, und diese zerlegt die Einheit von Natur und Übernatur und entzaubert die Natur. Hinter den natürlichen Dingen erkennt sie keine göttlichen oder in anderem Sinne übernatürlichen Kräfte, die sie bilden und in Bewegung setzen, sondern eine öde Mechanik von Ursache und Wirkung. Die „unendliche schöpferische Musik des Weltalls“ wurde umgewandelt „zum einförmigen Klappern einer ungeheuren Mühle, die vom Strom des Zufalls getrieben“ ist.17 Aber die Vernunft ist nicht nur die theoretische Vernunft der neuen Wissenschaft, auch Moral, Religion, Ästhetik werden von der Aufklärung der Vernunft untergeordnet und umgewandelt. So ist keine Eingebundenheit in ein sinnvoll geordnetes, dem Menschen vorgegebenes Ganzes mehr möglich, denn vor allem steht die Vernunft. Was sie nicht anerkennt, ist der Anerkennung nicht wert. Ob etwas Sinn hat, hängt nur noch vom Menschen selbst ab – die Wissenschaft kann keinen Sinn in der Welt erkennen, der Mensch muss ihr einen geben. Wenn er selbst aber keinen Sinn hat, dann ist alles sinnlos.18 Und die Wissenschaft kann nicht erkennen, dass er einen hätte, für sie ist er nichts als ein Stäubchen im Weltall. Die Aufklärer waren gegen diese Kritik der Romantiker nicht hilflos. Um den Menschen aus der Sinnkrise zu befreien, die aus der Ablösung der Religion als allem übergeordnete Instanz entstanden ist, soll er mittels seiner Vernunft den Endzweck als neue Sinninstanz selbst setzen. Sinnvoll ist, was im Dienste dieses selbstgesetzten Endzwecks geschieht. Dieser war die Gesellschaft, die dem „allgemeinen Willen“ der demokratischen Aufklärung entspricht. Hier möchte ich einen Einschub machen und auf eine Frage antworten, die sich sicher der eine oder die andere stellen wird und wohl schon im Kapitel über die Aufklärung gestellt hat: Traf die Kritik der Romantiker denn überhaupt die Gesellschaft, wie sie damals war? Wer war denn „aufgeklärt“? Es ist sicher nicht übertrieben zu vermuten, dass bei Weitem die meisten der Bewohner Deutschlands so religiös und abergläubisch waren wie 100 oder 200 Jahre früher auch, und selbst in Frankreich dürfte es nicht allzu anders gewesen sein. Die Kirche war nach wie vor eine gewaltige Macht, mit der kurzen Unterbrechung der Französischen Revolution, die aber die romantische Bewegung nicht auslöste, sondern nur verstärkte. Wenn wir heute z.B. den Iran theokratisch nennen, so müssten wir jeden der damaligen Staaten auch, ja erst recht so nennen, selbst das
17 Novalis in dem Fragment Die Christenheit oder Europa, geschrieben im Jahre 1799. 18 Siehe oben S. 58.
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Preußen des „Freigeists“ Friedrich II. Wer den Dogmen widersprach, wurde zwar – mit Ausnahmen, vor allem Spaniens – nicht mehr hingerichtet, aber auf ein normales bürgerliches Leben konnte er nicht mehr rechnen. Meinten die Romantiker mit ihrer Kritik die dünne Schicht, die wir heute Intellektuelle nennen würden? In gewisser Weise schon. Aber Atheisten gab es zumindest unter jenen Intellektuellen, die auch nur einigermaßen bekannt waren, nur einige wenige in Frankreich. Unter den deutschen Aufklärern hätte sich wohl bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts jeder vehement gegen diese Bezeichnung verwahrt. Kant, den man ja in der Regel als ersten nennt, wenn nach einem Repräsentanten der Aufklärung gefragt wird, gab auf seine berühmte dritte Frage „Was dürfen wir hoffen“ die altbekannte Antwort: auf das ewige Leben im Himmelreich. Was also kritisierten die Romantiker eigentlich? Man kann es vielleicht so formulieren: Die Verhältnisse von Angriff und Verteidigung im Diskurs hatten sich verkehrt, und die Waffen, mit denen man kämpfte, waren neu. Auch wenn die alten Antworten gegeben wurden, so doch im Zuge einer Diskussion, in der sie in Frage gestellt worden waren, in der sie verteidigt werden mussten; früher dagegen gaben die alten Mächte die alten Antworten aus einer Position der Selbstverständlichkeit. Und diese alten Antworten mussten nun mit den neuen Mitteln begründet werden, den Mitteln der selbstbewussten Vernunft. Descartes bewies das Dasein Gottes, was alle Denker vor ihm auch getan hatten, aber er tat es auf anderem Weg. Er sah sich gezwungen, von derjenigen Wahrheit, an der keinerlei Zweifel möglich schien, auszugehen, und das war keine religiöse Wahrheit, sondern das „ich denke, also bin ich“. Erst von da aus war ihm sein Gottesbeweis möglich. Kant gelangte, nachdem er alle Gottesbeweise widerlegt hatte, zu seiner Antwort auf die Frage, was wir hoffen dürfen, auf dem Weg einer komplizierten Argumentation, deren unbezweifelbarer Ausgangspunkt die moralische Autonomie des Menschen war. Im Zuge von Diskussionen, die in den seltensten Fällen wirklich zu einer Zerstörung dessen führten, was den Romantikern als zerstört galt, kam es zu einer tiefgreifenden Erschütterung der alten Gewissheiten, und sie zu verteidigen schien immer nur möglich mit der neuen Waffe, der eigenen Vernunft. Deren, wie sie meinten, Vergötzung aber war es, woran die Romantiker Anstoß nahmen.
5.3 D IE R EAKTION
DER
R OMANTIK : K UNSTRELIGION
Die Aufklärung bietet für die Sinnkrise, die durch den Niedergang der Religion entstanden ist, die Lösung an, sich mittels der Vernunft den Endzweck als neue Instanz, die allem Sinn verleiht, selbst zu setzen. Für die Romantiker ist das ein
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Versuch, sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf zu ziehen. Denn die Frage bleibt, warum wir denn überhaupt diese ideale Gesellschaft aufbauen sollen. Wofür wäre sie denn sinnvoll, wenn es nicht sinnvoll wäre, dass es überhaupt Menschen gibt? In der Aufklärung wurden darauf durchaus Antworten gegeben, mit Kants Definition von Religion haben wir eine angedeutet. Aber sonderlich massenwirksam waren sie nicht. Sie hinderten nicht die Ausbreitung des Gefühls der Leere, der Sehnsucht nach der alten Welt mit ihrem Zauber und ihrer Gewissheit, in einer sinnvollen allumfassenden Ordnung geborgen zu sein. (Wem das alles zu abstrakt ist, der möge sich nur bewusst machen, mit welchen Gefühlen er sich an seine eigene Kindheit erinnert.) Die Romantiker bestanden darauf, dass es Sinn nur durch Eingebundensein in eine vorgängige Ordnung geben kann. Auch Kant hat die Idee der Autonomie mit der Vorstellung einer Bindung an etwas, das nicht in unserem Belieben steht, zu vereinbaren versucht. Das geschah über den Gedanken, dass wir die moralischen Gesetze uns zwar selbst geben, sie uns aber nicht nach Lust und Laune machen können, sondern die Vernunft sie uns gibt, sie mögen uns passen oder nicht. Für die Romantiker aber war die Idee der Autonomie das Grundübel. Dem erhabenen Gefühl eigener übernatürlicher Möglichkeiten fehlt etwas: die Geborgenheit im Übernatürlichen. Diese Kritik teilt die Romantik wohl mit jeder Fortschrittskritik, auch der, die hier später, in Kapitel 6, unter der Überschrift Konservativismus behandelt wird. Die romantische Lösung war aber ganz anders. Sie lag nicht darin, die alte Welt wiederherzustellen oder ihren Wesenskern mit den Mitteln der Politik zu erneuern. Die Romantik hatte vielmehr ein Bewusstsein davon, dass die Geschichte unumkehrbar ist. Damit erschien ihr das Ziel der Sehnsucht illusorisch, wieder in ein allumfassendes Ganzes von der Art der mittelalterlichen Einheit irdischer und überirdisch-religiöser Ordnung eingebunden zu sein. Ebenso illusorisch schien ihr die Sehnsucht nach jener Einheit von Natürlichem und Übernatürlichem, in welcher der Zauber der mythologischen Welt liegt. Wenn aber eine Rückkehr zu Mythologie und Religion im alten Sinn versperrt war, so war doch der Weg der „Kunst-Religion“, mit ihr der Weg zu einer „neuen Mythologie“ möglich. „Die neue Mythologie muss [...] das künstlichste aller Kunstwerke sein“, schrieb Friedrich Schlegel.19 Man erkennt hier schon, dass der Begriff der Kunst-Religion eine Reihe von Bedeutungen hat: Künstliche Religion, Kunst ist Religion, Religion durch Kunst. Sie alle treffen zum Teil das, was die Romantiker im Sinn hatten. Wenn das göttliche Ganze unwiederbringlich verloren ist, wenn es nicht mehr möglich ist, sich geborgen zu wissen als Teil der alles umfassenden Schöp-
19 Schlegel 2000: 83 (1800).
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fung eines weisen, gütigen und allmächtigen Gottes, so bleibt doch die Einordnung in das übergreifende Ganze der Natur. Durch Vernunft ist das unmöglich. Denn diejenige Natur, die die Vernunft – so, wie die Romantiker die Vernunft sahen – kennt, ist die Natur der modernen Wissenschaft, jene einförmig klappernde Mühle. Diese Natur steht uns als bloßes Objekt gegenüber, da ist nichts, was uns ähnlich wäre, was auf unsere Sehnsucht antworten könnte, und die Natur kann von dieser Vernunft nicht gedacht werden als etwas, was uns bergend einschließt. Aber durch Kunst ist es möglich, die Natur so zu zeigen, dass sie zu dem in der Lage ist, wonach wir uns sehnen. Und künstlerisch tätig ist nicht nur der Maler, der Poet, sondern auch der Betrachter der Kunstwerke, ebenso der Wanderer, der die Natur anschaut, also im Grunde jeder. Natur bedeutet für den Künstler aber vor allem Landschaft. „An die Landschaft heftet sich […] die Hoffnung einer neuen Mythologie und die Verheißung des Paradieses“.20 Wie verbinden sich nun Kunst und Religion zur neuen Einheit der Kunst-Religion? Kunst verlangt für die Romantik die Verbindung zweier Fähigkeiten: zum einen schöpferische Kraft, zum anderen die Fähigkeit zur Auflösung des eigenen Ich, d.h. zur Aufhebung von dessen Trennung von der Natur, die Fähigkeit zur Identifikation mit der Natur, zur Verschmelzung mit ihr.21 Das letztere wird vielleicht nicht sofort verständlich sein. Man kann sich etwa Folgendes dabei denken: Identifikation mit der Natur bedeutet, so mit ihr in Verbindung zu treten, dass „der äußere Gegenstand nicht wie es scheint, etwas von uns ganz und gar Verschiedenes, ein Ding, sondern sein eigentliches Wesen ein uns verwandtes, verborgenes Du“ ist22. Der Künstler erhebt gleichsam den Naturgegenstand, der im Geiste der Aufklärung nur ein Ding, etwas Seelenloses ist, auf die gleiche Stufe, auf der er selbst steht, macht ihn zu etwas, zu dem er Du sagen kann, indem er ihn beseelt. Der dargestellte oder gesehene Stein oder Baum ist nicht mehr ohne Seele, der Künstler hat ihm ja etwas von der seinen eingehaucht, indem er ihn gestaltete. „So sehen wir oder sollten wir sehen in jeder Blume den lebendigen Geist, den der Mensch hineinlegt, und dadurch wird die Landschaft entstehen [...]; so dringt der Mensch seine eigenen Gefühle den Gegenständen um sich her auf, und dadurch erlangt alles Bedeutung und Sprache“.23 „Schnell und zauberisch entwickelt sich eine Erscheinung, eine Bege-
20 Piepmeier 1980: 19. „Landschaft soll die Form sein, die unter der Bedingung der Abstraktion den alten Gedanken anschaulich gegenwärtig hält. Landschaft ist die Überwindung der Abstraktion unter der Bedingung der Abstraktion.“ (Ebd.) 21 Siegmund 2010: 212. 22 Friedrich Schlegel zit. n. Apel, in Siegmund 2010: 214. 23 Runge 1965: 16 (1840/41).
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benheit zu einem Bilde des Universums. [...] ich bin in diesem Augenblick ihre Seele, denn ich fühle alle ihre Kräfte und ihr unendliches Leben wie mein eigenes [...]“.24 Man sieht auch hier, wie die Romantik nicht hinter die Aufklärung zurückkann. Wenn Verschmelzung mit der Natur bedeutet, diese zu beseelen, dann maßt sich der Romantiker ja an, selbst Schöpfer zu sein: Er selbst haucht den Dingen Leben ein. Aber Schleiermacher schreibt in dem Zitat auch: Ich fühle ihr Leben. Das Naturding bleibt also bei der Beseelung nicht passiv. „Alles Anschauen gehet aus von einem Einfluss des Angeschaueten auf den Anschauenden, von einem ursprünglichen und unabhängigen Handeln des ersteren, welches dann von dem letzteren seiner Natur gemäß aufgenommen, zusammengefaßt und begriffen wird.“25 Der Künstler muss das eigene Wesen des Naturdings, das ihm eben nicht ein bloßes Ding sein darf, beachten, darf ihm nicht Gewalt antun, sonst wird das Beseelen nicht glücken.26 Dieses Aufgehen des Künstlers in der Natur zeigt die romantische Landschaftsmalerei. Den gemalten Landschaften der Aufklärung steht der Mensch als Betrachter gegenüber. Alles in den zentralperspektivischen Bildern ist auf ihn ausgerichtet. Wie er die Natur sieht, so ist sie dargestellt, und er sieht sie – schon von der Renaissance an –, wie seine mathematische Vernunft ihm sagt, dass sie zu sehen ist. In den romantischen Gemälden aber geht der Betrachter in die Landschaft als ihr Teil ein. Er findet sich wieder in der kleinen – manchmal verschwindend kleinen wie in Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ – Rückenfigur im Vordergrund. Das Bild ist nicht mehr durch den einengenden Rahmen beschränkt auf den Ausschnitt, den man scharf sehen kann. Die Weitwinkelperspektive entsteht, das Bild erweitert sich nach außen ins Unscharfe. Zugleich mit der Erhöhung der Natur durch ihre Beseelung erniedrigt sich also der Künstler im Erzeugen des Kunstwerks. Er steht nicht mehr als herrschender Geist über einem seelenlosen Ding, er ist etwas von gleicher Art geworden wie dieses, er ist Natur wie dieses.27 Aber es ist jetzt eben nicht mehr nur Natur.
24 Schleiermacher 1958: 42. 25 Ebd.: 31. 26 „Je unaufhaltsamer der Trieb das Unendliche zu ergreifen, desto mannigfaltiger wird das Gemüt selbst überall und ununterbrochen von ihm ergriffen werden.“ (Ebd.: 38) 27 „Versucht doch aus Liebe zum Universum Euer Leben aufzugeben. Strebt darnach schon hier Eure Individualität zu vernichten, und im Einen und Allen zu leben, strebt darnach mehr zu sein als Ihr selbst, damit Ihr wenig verliert, wenn Ihr Euch verliert; und wenn Ihr so mit dem Universum, soviel ihr hier davon findet, zusammengeflossen seid, und eine größere und heiligere Sehnsucht in Euch entstanden ist, dann wollen
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Ein Naturwesen, das ein Du ist, ist zugleich etwas Übernatürliches, ist selbst ein Subjekt, das auf die Welt und auf uns blickt. Die Natur ist wieder natürlich und übernatürlich in einem. Sie ist wieder verzaubert. Der Künstler hat also schöpferische Kraft und verbindet diese mit der Fähigkeit zur Auflösung seiner selbst in die Natur. So wird er mit dem Schöpfer (an den man nicht mehr glauben kann, sofern man ihn als eine nur äußere Macht denkt) und zugleich mit der Natur identisch. Das gibt er seinem Werk weiter. Im wahren Kunstwerk sind Natur und künstlerisch-schöpferische Kraft vereint. Das Künstlergenie verbindet das zunächst außer ihm gelegene, die Natur, mit seiner eigenen schöpferischen Tätigkeit, der Phantasie. „Denn das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne Verwirrung der Phantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen.“28 „Die Grenzen zwischen Vernunft und Wahn geraten in Fluss, Traum und Wirklichkeit werden ununterscheidbar.“29 So erhebt das Künstlergenie die Natur in die Sphäre des Übernatürlichen, des Geistig-Seelischen, in die Sphäre, der die Schöpferkraft des Genies selbst angehört, die Sphäre des Göttlichen. Das Immanente (Natur) und das Transzendente (Göttliches) verschmelzen. Ziel ist nicht mehr die „Auffahrt in ein himmlisches Reich, sondern so etwas wie Erlösung durch Differenzlosigkeit von Himmel und Erde“. Es soll keine Spur mehr geben „von der Kluft, die zwischen dem Übernatürlichen und der Natur bestand“30. Der künstlerischen Phantasie gelingt die Neuschaffung einer höheren und zauberhaften Wirklichkeit, die „Beseelung durch ein göttliches Gesetz des Märchens“31; Novalis nennt das „Romantisieren“32.
wir weiter reden über die Hoffnungen, die uns der Tod gibt, und über die Unendlichkeit zu der wir uns durch ihn unfehlbar emporschwingen.“ (Schleiermacher 1958: 74) „Erinnert Euch wie in ihr alles darauf hinstrebt, dass die scharf abgeschnittenen Umrisse unsrer Persönlichkeit sich erweitern und sich allmählich verlieren sollen ins Unendliche, dass wir durch das Anschauen des Universums soviel als möglich eins werden sollen mit ihm; sie aber sträuben sich gegen das Unendliche, sie wollen nicht hinaus; sie wollen nichts sein als sie selbst und sind ängstlich besorgt um ihre Individualität.“ (Ebd.: 73) 28 Schlegel 2000: 88 (1800). 29 Vicenzotti 2010: 152. 30 Koschorke 1990: 193, Adam Müller referierend. 31 Miller 1982: 114, nach Siegmund 2010: 246. 32 Novalis 1967: 473 (1798a ff.), zit. n. Siegmund 2010: 246.
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Zwei Implikationen hat diese Kunst-Religion: Erstens, die Natur und das eigene Innere des Künstlers fallen zusammen; zweitens, es entsteht eine unendliche Sehnsucht. Zum ersten. Einerseits wird wahre Schönheit als bereits in der Natur existierend gedacht (als „Naturgeist“, den der Künstler zu erahnen in der Lage sein muss). Die poetische Neuschaffung ist eigentlich nur ein Erkennen „des vollen mangellose(n) Seins“ (Schelling) durch den geistvoll-künstlerischen Blick. Andererseits geht es im künstlerischen Schaffen weniger darum, Natur darzustellen, als darum, das eigene Innere darzustellen. Die Natur, die wahre Natur, von der Romantiker so gefühlvoll schwärmten (oder vor ihr schauderten), war nicht einfach die Natur draußen, wie sie ohne den Menschen ist,33 sie war nicht von sich aus beseelt wie die vor-aufklärerische Natur mit ihren Märchen- und Fabelwesen, deren Beseelung in den Augen der Menschen ja nicht das Werk des Menschengeists war. Stattdessen war sie immer eine unauflösliche Verbindung der Natur da draußen mit dem eigenen Inneren. Caspar David Friedrich malte Natur, malte das Wesen von Landschaften, aber die Landschaften entstanden durch Komposition im Atelier. Zum zweiten, der unendlichen Sehnsucht. Im romantischen Kunstwerk ist immer ein höherer Sinn verborgen. Er scheint aber nie endgültig fassbar. Man ahnt ihn immer nur, und die Ahnung darf nie zur Gewissheit werden. Das ist letztlich deshalb so, weil der Romantik bewusst ist, dass der höhere Sinn von allem, dessen sich die Menschen der alten Zeiten gewiss waren, verloren ist. Die heute mögliche Gewissheit kann nur eines bringen: Der Zauber verschwindet, die Wirklichkeit wird in ihrer Banalität erkannt. Ludwig Tiecks Sternbald treibt eine „ahnungsvolle Angst vor dem Finden“34 immer weiter. Darum darf das Kunstwerk nie die Suche nach dem Zauberhaften, Übernatürlichen, Unendlichen, Allumfassenden, Göttlichen beenden, nie die Sehnsucht zu befriedigen suchen. Es muss sie vielmehr wachhalten. Das Kunstwerk ist „das Einzig mögliche Absolute, was uns gegeben werden kann und was wir nur durch unsre Unvermögenheit ein Absolutes zu erreichen und zu erkennen, finden.“35 Das führt zu einem Wechsel des Ranges dessen, wonach man strebt, und des Ranges des We-
33 „So lange der erste Mensch allein war mit sich und der Natur, waltete freilich die Gottheit über ihm, sie sprach ihn an auf verschiedene Art, aber er verstand es nicht, denn er antwortete ihr nicht; sein Paradies war schön, und von einem schönen Himmel glänzten ihm die Gestirne herab, aber der Sinn für die Welt ging ihm nicht auf.“ (Schleiermacher 1958: 49) 34 Anger 2007: 582 (1966). 35 Novalis 198: 269 f. (1795 f.).
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ges zu ihm: „Das Reich der poetischen Vorahnungen verselbständigt sich gegenüber dem, was Substanz solcher Ahnungen wäre. Basisgröße wird der Prozeß“, Kunst wird „als Medium an die Stelle ihrer Botschaft“ gesetzt.36 „Das Wesen der romantischen Sehnsucht ist ihre Unerfüllbarkeit. […] Woher diese Unerfüllbarkeit? Weil der Romantiker [...], obgleich seine Sehnsucht im Grunde genommen auf etwas Überirdisches geht [...] die Erfüllung seiner Sehnsucht dennoch im Irdischen zu suchen scheint. Der Christ sucht das Himmlische im Himmel, der Romantiker sucht es paradoxerweise schon auf Erden. Und mit der Konsequenz: er findet es dort nicht. Aber indem er es dort sucht, verklärt sich ihm trotzdem die ganze Welt – und wird dadurch zu einem Vorgeschmacke des Himmels.“
5.4 D IE
37
FERNE UND DIE SCHAUERLICHE
L ANDSCHAFT
Für die Landschaft bedeutet diese Unmöglichkeit, zur Gewissheit zu kommen, dass die ideale Landschaft nicht mehr harmonische Natur sein kann, wie das in der Aufklärung war.38 Harmonisch ist für diese die Natur, wenn sie wie durch Vernunft geschaffen wirkt. So sollte der Landschaftsgarten der Aufklärung sein. Die Landschaft ist hier vollendet. Vollendung darf es aber für die Romantik gerade nicht geben, der Weg zur Vollendung darf nie an sein Ende kommen: „Die Romantiker wissen [...], dass sie für das Leben in diesen Landschaften [Kulturlandschaften], für das solide, bodenständige Leben, das diese versinnbildlichen, nicht gemacht sind. Es würde sie anfänglich langweilen, später erdrücken. [...] Daher sind die Kulturlandschaften, die sie beschreiben, häufig Panoramen, die sie auf ihren Wanderungen überblicken, die sie also nur durchqueren, in denen sie aber nicht heimisch werden können.“
39
Kulturlandschaft ist also „harmlose, berechenbare und bis zur Reizlosigkeit vertraute Natur“40. Stattdessen erlangt die ferne Natur (räumlich und zeitlich) und die wilde, schreckliche, bedrohliche Natur Bedeutung für die ideale Landschaft der
36 Koschorke 1990: 187. 37 Korff 1962: 242 (1953), zit. n. Vicenzotti 2010: 153. 38 „Man darf nicht ignorieren, dass [...] Schilderungen schöner, harmonischer und idyllischer Kulturlandschaften [...] nicht charakteristisch für viele literarische Texte der Romantik sind.“ (Vicenzotti 2010:160) 39 Ebd.: 16. 40 Ebd.: 161.
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Romantik. Ideale Landschaft wird hier zu einem paradoxen Begriff. Ideal wäre die Erfüllung der Sehnsucht, aber weil dies möglich sein soll und doch unmöglich ist, bleibt als Bestmögliches und in diesem Sinne Ideales die unaufhörliche Sehnsucht. Zunächst zur Ferne. Warum erhält das „ewig Ziehn in wunderbare Ferne“41 in der Romantik eine so überragende Bedeutung? Für die Aufklärung war die klare Trennung von Subjekt und Objekt, damit von Mensch und Natur wesentlich; die Zauberwesen, die beides oder nichts von beiden waren, verschwanden aus der Vorstellung. Wesentlich war auch die präzise verstandesmäßige Zergliederung der Natur. Was immer es gibt, es ist eindeutig dies oder jenes: zum Menschen gehöriges, also etwas wesentlich auch Übernatürliches – oder aber Natur. Die Natur eignet sich darum gerade dann zur Wiederverzauberung, wenn alle Bestimmtheiten sich auflösen. Damit eignet sich die ferne Natur, denn in der Ferne verschwimmen alle Konturen. Was das analytische Denken zerlegt und sauber voneinander getrennt hat, vereint sich am Horizont in einem Dunst, von dem man nur ahnen kann, was sich darin verbirgt: „Das, was dem [sic!] Menschen unmittelbar umgibt [...] alles dieses scheint im schroffen Gegensatze fest, deutlich und klar neben dem formlosen, flüssigen Äther; nun hebt sich sein Auge, dass es eine größere Ferne beherrschen kann, und die Umrisse der irdischen Dinge werden weicher, die Farben sanfter: Luft und Erde scheinen zusammen zu fließen [sic!]; sie tauschen auch in lieblicher Vertrautheit ihre Plätze: in den Wolken scheint die Erde auf die Seite des Himmels hinüberzutreten [...] und in der weitesten Weite verlieren sich die Grenzen 42
[...] was dem Himmel, was der Erde angehöre lässt sich nicht mehr sagen.“
So kann uns die Einbildungskraft aus der Alltagswelt in eine Zauberwelt entführen. Darum das Verschwimmen des Horizonts im Landschaftsgemälde, darum die Hinwendung zu exotischen Gegenden. Sie waren für die Aufklärung Gegenstand der Erforschung, Eroberung und Zivilisierung. Das Unerkennbare war zum bloß noch nicht Bekannten geworden. Wenn es sichtbar wird, zeigt sich, dass es auch nicht grundsätzlich anders ist als das bereits Bekannte. Für die Romantik aber interessierten Horizont und exotische Gegenden als Orte, an denen es vielleicht doch nicht so banal zugeht wie zu Hause, an denen die Phantasie spielen kann, ohne gleich vom Wissen Lügen gestraft zu werden. Man hat formuliert: Die landschaftliche Ferne „(nimmt) die Ferne Gottes in sich auf“ und „ersetzt sie schließlich“. Die unendliche Landschaft ist „eine Art va-
41 Eichendorff, in Ahnung und Gegenwart. 42 Adam Müller, zit. n. Koschorke 1990: 192.
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ger poetischer Nachhall der aufgelösten Transzendenz. Was im religiösen Verständnis Enthebung aus dem Gefängnis des Irdischen war [...], leisten die unendlichen Landschaften immanent [...] durch den immaterialisierenden Charakter der Ferne.“43 Durch die künstlerische Phantasie schafft sich der Mensch gleichsam erneut etwas Übernatürliches in Gestalt der fernen Natur. Nicht mehr etwas Überirdisches, Jenseitiges, den „Himmel“ hat man dazu nötig, sondern die Neuschaffung geschieht innerhalb der Natur. Die Fernsehnsucht der Romantik ist die „in die Horizontale umgekippte Vertikale der Höhensehnsucht“44. „Das magische Assoziationsfeld der Ferne figuriert als Speicher der aufgelösten Transzendenz“.45 Die Ferne übernimmt vom religiösen Vorbild (a) die Idee der NichtErreichbarkeit und (b) die Idee der unendlichen Annäherung an das Überirdische, Göttliche.46 Der Horizont ist die Grenze zu einer anderen, unsichtbaren Welt. Dort ist auch der Übergang in diese. Doch tatsächlich ist der Horizont weder erreichbar noch kann er überschritten werden, und wenn man ihn doch erreicht oder überschreitet, wenn man angekommen ist am Ziel der Sehnsucht, ist es dort so banal wie zu Hause. So entsteht eine Dynamik der Einbildungskraft. Sie führt zu ständiger Sehnsucht und ständigem Aufbruch. Die Sehnsucht aber ist die einzige Art, wie die profane Wirklichkeit noch überwunden werden kann.47 Nur als Sehnsucht ist die Vorstellung noch möglich, es könnte anderswo nicht so banal zugehen wie hier und jetzt. Die Ankunft würde diese Vorstellung zerstören. Die Sehnsucht darf darum nicht durch eine Ankunft beendet werden. Diese unendliche Fernsehnsucht hat Folgen für den Landschaftsgarten. Landschaftliche Szenen werden durch Entrückung in die räumliche, zeitliche oder illusionäre Ferne poetisiert. Exotische oder mittelalterliche Ruinen werden entrückt durch die Wegeführung, durch Wasserflächen zwischen ihnen und dem, der nach ihnen sucht. „Die Insellage in der Havel soll es ermöglichen, den Zugang zu den nun geplanten Gebäuden über eine notwendige Bootsfahrt als Teil romantischer Fernbewegung zu inszenieren. Der Wasserfläche zwischen den beiden Teilen der Gartenanlage kommt die Bedeutung zu, die Distanz zwischen Betrachter und Landschaft zu betonen und so den visionären Charakter der Ansichtsszenen zu stärken.“48
43 Koschorke 1990: 181. 44 Hillmann 1971: 77. 45 Koschorke 1990: 188. 46 Siegmund 2010: 258. 47 Ebd.: 226. 48 Ebd.: 292, über die Pfaueninsel.
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Diese unendliche Sehnsucht zieht aber noch anderes nach sich als nur neue Weisen der Gestaltung in einer bestimmten Kunstform. Der unendliche Prozess von Hoffnung, Aufbruch und immer befürchteter und bei der Ankunft wirklicher Entzauberung erzeugt einen neuen Typ des Unterwegsseins, die scheinbar ziellose romantische Wanderschaft.49 Die typischen Gestalten romantischer Romane sind Wanderer, die immer irgendwo und nirgendwo hingehen. Damit beginnt auch eine neue Art des Verhaltens in der realen Landschaft. Vorher diente die Wanderung dazu, bestimmte Ziele aufzusuchen oder das Unbekannte zu erforschen.50 Jetzt wandert man um des Wanderns willen; man möchte irgendwo ankommen, wo es ganz anders ist, und fürchtet sich zugleich vor der Enttäuschung, die einen dort erwartet. Die Probe auf die Frage, ob die romantische Gemütslage vielleicht nur Sache einer kleinen Gruppe realitätsferner Intellektueller und Künstler war, lieferte der Tourismus, welcher damals aufkam. Sein Hauptantrieb ist zweifellos die Suche nach etwas, das völlig anders ist als der öde, profane Alltag. Aber wo der Tourismus hinkommt, ist oder wird es doch bald so wie zu Hause, und er muss sich neue Ziele suchen.51 Die Ferne ist dem Zugriff der menschlichen Vernunft entzogen wie das Jenseits. In ihr sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Aber es ist noch eine andere Form der Entrückung in eine Welt möglich, in der die Vernunft machtlos ist. Es gibt Orte des Schauerlichen, Unheimlichen, Unbegreiflichen. Darum entsteht außer dem sehnsuchtsvoll verklärten Fernblick der romantische Schauerblick. Lieblingsthemen der Romantik sind Vergänglichkeit und Tod, Gespensterburgen, der Abgrund und die Wildnis. Für die Aufklärung ist Wildnis primär noch zu unterwerfende Natur.52 Für die Romantik aber gilt: Erscheinungen, die die Sphäre der Vernunft überschrei-
49 Ebd.: 226. 50 „Die [frühe] Aufklärungspoetik [...] ist [...] eine Poetik des Festlands und des klaren, gestalthaften Sehens. Reisebeschreibungen wie Romane kennen Seereisen vorwiegend in Gestalt von Abenteuern, als gefahrvolle Wegstrecke zwischen zwei Häfen.“ (Koschorke 1990: 141) 51 Enzensberger 1964. 52 Genauer betrachtet ist es erheblich komplizierter. Bezogen auf den Liberalismus schreibt Vicenzotti: Wildnis symbolisiert für ihn „Freiheit und Fortschritt: Sie kann erstens ‚Freiheit von den nützlichen Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft‘ symbolisieren. Sie kann zweitens als Sinnbild einer Herausforderung für zivilisatorische Leistungen angesehen werden. Sie ist dann der zu überwindende Kriegszustand
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ten und so Gefühle des Schauderns, des Entsetzens, der eigenen Winzigkeit hervorrufen, offenbaren eine Größe der Natur, die diese als etwas dem Menschen Übergeordnetes erscheinen lässt. Die Aufklärung hat alles Unbegreifliche, Schauerliche, Gespenstische, alle „Offenbarungen eines höheren Daseins, die nicht rational zu beglaubigen sind [...] als bloß innerpsychische Phänomene entmachtet. Sie schneidet die regellosen Querverbindungen zwischen dem Sinnlichen und dem Übersinnlichen ab und institutionalisiert die Vernunft als Wächter an der Grenze.“53 Für die Romantiker aber ist es anders: Wenn in der Wildnis Gefühle des Schauderns, des Unheimlichen möglich sind, ist man dort in einer nicht-banalen Welt, es gibt dort Heiliges in einem ähnlichen Sinn, wie wir es in Anlehnung an Bataille beschrieben haben. Von der wilden, bedrohlichen, unheimlichen Natur geht eine Verlockung aus, wie sie die „Gefildelandschaft“ nicht bieten kann, denn es ist eine Verlockung durch die Gefahr – nicht so sehr für Leib und Leben, sondern für unsere Vernunft; deren Herrschaft aber will die Romantik brechen. So wird die Wildnis als attraktive Gegenwelt entdeckt („heilige Wildnis“54). Nun haben wir aber, so scheint es, Ähnliches auch schon für die Aufklärung behauptet. Auch für sie war Wildnis ästhetisch anziehend geworden, nämlich als erhabene Natur. Aber im Erhabenheitserlebnis der Aufklärung – in der Deutung von Kant – erkennt der Mensch die eigene Überlegenheit über die Natur, die ihm als Vernunftwesen zukommt, anhand der ihm selbst als Naturwesen, als körperliches Wesen unendlich überlegenen Natur. Die wilde Natur ist nur Mittel, damit sich der Mensch als Vernunftwesen unendlich über die Natur erhoben fühlen kann. Die Romantik dagegen erkennt in der Wildnis und gerade im Schauerlichen, Schaurigen, Unheimlichen derselben die Überlegenheit der Natur über die Vernunft. Hier fühlt der Mensch, dass er mit dieser nichts mehr ausrichten kann.55
oder die zu unterwerfende chaotische, äußere und innere Natur. Der Liberalismus sieht in ihr drittens die Antriebskraft für gesellschaftlichen Fortschritt (der Antrieb im und zum Konkurrenzkampf als eine Form von gesellschaftlicher oder individueller innerer Wildnis).“ Dabei wird die Wildnis „aber nur [...] als Mittel zum Zweck und nicht um ihrer selbst willen wertgeschätzt.“ (Vicenzotti 2010: 76, Hervorhebungen im Original, Zitat im ersten Zitat Kirchhoff/Trepl 2009) 53 Koschorke 1990: 195. 54 „Süß ists, zu irren In heiliger Wildnis“, Hölderlin in Tinian. 55 Ambivalent ist, wie wir gesehen haben, das Gefühl der Erhabenheit auch. Die Ambivalenz der romantischen Gefühle angesichts des die Vernunft Übersteigenden ist jedoch von ganz anderer Art. Man denke an das „selig süße Grauen“, das die Menschen
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Was bedeutet das Prinzip Kunst-Religion für die romantische Ideallandschaft? Ideale Landschaft muss sich für ein „freies Vagieren der Einbildungskraft“56 anbieten, und sowohl Natur- als auch Kunstcharakter der Landschaft werden gestärkt.57 Ideal ist eine menschlich umgeformte Natur, aber sie soll nur durch Phantasie poetisch umgeformt sein. Sie darf nicht wissenschaftlich durchdrungen oder technisch beherrscht und so physisch verändert sein.58 Für die Aufklärung war Freiheit mit der Beherrschung, damit der physischen Umgestaltung der Natur untrennbar verbunden. Für die Romantik ist das anders: „Nur der Trieb anzuschauen, wenn er aufs Unendliche gerichtet ist, setzt das Gemüt in unbeschränkte Freiheit“.59 Durch die technische Umformung dagegen würde die Natur banal werden. Sie ist nun von uns so gemacht, wie es unseren ganz profanen Bedürfnissen entspricht, sie ist bloß nützlich. Die Natur selbst kann dem poetischen Neuschaffen günstig sein, indem sie schon vorher geheimnisvolle Spuren aufweist.60 An diesen kann die poetische Einbildungskraft ansetzen. Solche Natursituationen sucht man; man entdeckt bestimmte Landschaften, die in dieser Weise dem Künstler entgegenkommen. Als erstes Dokument der literarischen Romantik in Deutschland gilt im Allgemeinen die Beschreibung, die Tieck und Wackenroder 1793 von ihrer Reise durch die Felsengegend gaben, die man später Fränkische Schweiz nannte. In der Praxis des Landschaftsgartens wird die Reihenfolge der Schritte bei der Anlage umgedreht. In der Aufklärung errichtete man zuerst das Hauptgebäude und formte anschließend die Umgebung zum „vernüftigen“, also Freiheit und Harmonie symbolisierenden Garten um. In der Romantik aber suchte man zuerst eine Gegend, die jenen Vorstellungen von idealer (wilder) Landschaft nahekam, dann wurden die Gebäude errichtet und die Wirkung der Landschaft durch einzelne Kunstgriffe oder durch Lenkung der Besucher zu besonderen Stellen gesteigert.61 Im konser-
in der spätromantischen Oper Lohengrin erfasst, wenn der Held gezogen durch den Schwan, ein „Zaubertier“, die Szene betritt. 56 Koschorke 1990: 183. 57 Siegmund 2010: 221. 58 Ebd. 59 Schleiermacher 1958: 37. 60 Siegmund 2010: 221. 61 Seiler 2001: 31 schreibt über den von Lenné gestalteten Pleasure-Ground des Parks des Schlosses Glienicke bei Berlin: „Über das künstlich-künstlerische, wie eine Bildhauerarbeit modellierte Gelände legt[..] er Wege, die diesen kleinen Gartenraum durch gelenkte Blicke in wechselnden Bildern mit der Fernsicht in Landschaft verbinden.“
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vativen Landschaftsideal, das im nächsten Kapitel beschreiben wird, spielt dagegen die romantisch-wilde Natur (zunächst) keine Rolle, und was eine vernünftig geordnete Landschaft sein soll, wird ganz anders gedacht als in der Aufklärung.
Man wird z.B. an bestimmte Stellen geführt, von denen aus man über die Havelseen hinweg die Silhouette der Stadt Potsdam im Dunst der Ferne sehen kann.
6. Die Landschaftsidee des Konservativismus
6.1 V ORBEMERKUNGEN Auch hier sei zunächst daran erinnert, dass der Konservativismus, von dem nun die Rede ist, ein Idealtyp ist, also eine Konstruktion, die ich vornehme (oder richtiger, die ich von anderen übernehme und etwas modifiziere). Zwei Dinge darf man dabei nicht vergessen: (1) Es ist nicht zu erwarten, dass man eine wirkliche Person in der Geschichte, eine Partei oder eine sonstige Vereinigung findet, die diesem „Gedankenbild“ (Max Weber) voll und ganz entspricht. Allerdings gibt es einiges, was ihm sehr nahekommt, und das kann man gleichsam als Material und Vorlage für die Konstruktion benutzen; der Idealtyp ist zwar konstruiert, aber nicht einfach ausgedacht. (2) Er ist eine Konstruktion, andere sind auch möglich. Sie gehen vielleicht von einer anderen Frage aus; dann müssen sie weder besser noch schlechter sein. So wird manchmal die Romantik zum Konservativismus gezählt.1 Das mag unter bestimmten Fragen berechtigt sein, für unser Interesse, das Interesse an der Idee der Landschaft, scheint es nicht ratsam, so zu verfahren. Vielleicht gehen andere Konstruktionen aber auch von der gleichen Frage aus wie wir. In diesem Fall wäre zu entscheiden, welche die bessere Konstruktion ist. Das kann dann jeder Leser prüfen anhand der jeweiligen Fruchtbarkeit, d.h. der Frage, welcher der Idealtypen uns mehr begreifen lässt.
6.2 W AS
IST
K ONSERVATIVISMUS ?
Unter klassischem Konservativismus wird hier, wie üblich, eine Denkrichtung verstanden, die gegen Ende der Aufklärungszeit, also vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, aufgekommen ist, und zwar im Zuge der sogenann-
1
Siehe oben S. 119.
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ten Gegenaufklärung, als deren Teil er zu sehen ist.2 Bekanntere Namen, die man in der Regel hierher zählt, sind z.B. Friedrich von Gentz (1764-1832), Justus Möser (1720-1794), Friedrich Carl von Savigny (1979-1861) und Julius Stahl (1802-1861). Als konservative Kulturkritik bezeichnet man üblicherweise eine Strömung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstarkte und der z.B. die Heimat- und Naturschutzbewegung zuzurechnen ist. Das geschah offenbar unter dem Eindruck bestimmter Folgen der Modernisierung, die die Gegenaufklärer hundert Jahre früher noch kaum aus eigenem Erleben kennen konnten, nämlich Industrialisierung in der Wirtschaft und Demokratisierung in der Politik. Im Zentrum der Ideologie der konservativen Kulturkritik aber stand eine Auffassung vom Wesen der Welt, die in der Zeit der Gegenaufklärung entwickelt worden war, und zwar explizit als Kritik an bestimmten Aspekten der Aufklärung, nicht an der Aufklärung insgesamt. In dieser Weltsicht spielt die Landschaft wie schon in der Romantik eine herausragende Rolle, aber eine andere. – In der konservativen Kulturkritik selbst war es üblich, wie spätestens seit dieser Zeit in der deutschen Alltags- und vor allem Gebildetensprache auch, Kultur und Zivilisation einander gegenüberzustellen. Kultur ist lebendig, „Zivilisation“ dagegen bezeichnet „die äußersten und künstlichsten Zustände, deren eine höhere Art von Menschen fähig ist.“3 Sie ist bestimmt durch Intellektualismus, sie ist hypertrophe und (dann) erstarrte, erstorbene Kultur, „geistiges Greisentum“, „versteinernde Weltstadt“.4 Die konservative Kritik verstand sich als Verteidigung wahrer Kultur gegen die Zivilisation. Darum wird im Folgenden von konservativer Zivilisationskritik gesprochen. Aus der alltäglichen Erfahrung hat jeder eine Vorstellung davon, was Konservativismus ist. Erich Rothacker hat die Werthaltungen der sogenannten histo-
2
Der Konservativismus wird hier nach der Romantik behandelt. Darin steckt eine gewisse Willkür. Systematisch könnte man den Konservativismus als eine Reaktion auf die Aufklärung darstellen und die Romantik als eine unpolitische Abkehr von beiden dezidiert politischen Richtungen, aber auch den Konservativismus als Reaktion auf Aufklärung und Romantik, denen ja beiden etwas Umstürzlerisches eigen ist. Bei chronologischer Betrachtung mag man einwenden, dass beide Bewegungen eher gleichzeitig entstanden sind oder gar der Konservativismus früher. Doch was die historische Wirksamkeit angeht, folgte er auf die Romantik: Er begann erst mit der napoleonischen Besatzung eine einflussreiche Strömung zu werden. Das zeigt sich auch darin, dass die dem hier konstruierten idealtypischen Konservativismus nahekommende kunstgeschichtliche Strömung meist Spätromantik genannt wird.
3
Oswald Spengler 2003: 43 (1922).
4
Spengler ebd.
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rischen Schule des 19. Jahrhunderts, in der sich der Kern dessen, was hier als idealtypischer Konservativismus rekonstruiert wird, wohl am prägnantesten formuliert findet, mit folgenden Begriffen charakterisiert: Es sind die Werthaltungen „des Lebendigen und Eigentümlichen, des Organischen und Mannigfaltigen, Naturgemäßen und Echten, Ursprünglichen und Sittlich-Beharrlichen, des Altertümlichen und Ehrwürdigen, Freigewachsenen und historisch Gewordenen, Volkstümlichen und Nationalen, Sinnlich Kräftigen und Anschaulichen, Besonnenen und Unwirren, einer Harmonie der Teile mit dem Ganzen, des Gehalts mit der Form usw., sowie die entsprechenden Abneigungen.“5 Gibt es eine systematische Verbindung all dieser Begriffe? Und was zeichnet den Konservativismus, idealtypisch betrachtet, aus im Verhältnis zur Romantik und zur Aufklärung? Seit Beginn der Aufklärung prägen Utopien das Denken unserer Gesellschaft. Die großen Hoffnungen richten sich tendenziell nicht mehr auf ein Jenseits nach dem Tod, sondern auf eine bessere oder gar ideale irdische Welt. Waren dies für die Aufklärung politisch-gesellschaftliche Utopien, so hatte die Romantik eine ästhetische Utopie. Der Konservativismus aber hatte erneut eine politisch-gesellschaftliche.6 Das Ideal des klassischen Konservativismus war eine Gesellschaft, die ein organisches, harmonisches Ganzes ist, also nicht eine bloße Gesellschaft, sondern eine wahre Gemeinschaft.7 Organisch heißt, dass die Einzelnen, wie Organe im Organismus, dem Ganzen dienen, und zwar an dem ihnen jeweils zukommendem Ort. Durch ihren Dienst am Ganzen bringen sie dieses auch hervor, und dieses bringt seinerseits die Teile hervor (die Organe, d.h. die einzelnen Einrich-
5
Zit. n. Schnädelbach 1983: 65 f.
6
Siegmund 2010: 320.
7
Ausführlich zur „organologischen“ Staatsvorstellung des Konservativismus siehe z.B. Greiffenhagen 1986: 200-218; siehe auch Lenk 1989 und Kap. 3.2 in Voigt 2009. Der oben (S. 146) angesprochenen Gegenüberstellung von Kultur und Zivilisation entspricht die von Gemeinschaft und Gesellschaft. Tönnies 1887 hat diesen Gegensatz mit großer Wirkung auf die allgemeinen Vorstellungen in Deutschland formuliert. Gesellschaft ist ein äußerlicher Zusammenhang von Individuen, die Gemeinschaft dagegen ist organisch, ist ein innerer Zusammenhang, so wie es der umgangssprachlichen Bedeutung der beiden Wörter entspricht; man denke an den Unterschied zwischen einer Familiengemeinschaft und einer Abendgesellschaft. Letzterer kann man sich anschließen und sich von ihr wieder entfernen, in erstere wird man hineingeboren. Austreten kann man aus ihr nicht, bzw. wenn man es versucht, tut man etwas Verwerfliches. Die Gemeinschaft ist also nicht wie die Gesellschaft (der Aufklärung) von den Individuen durch Vertrag konstituiert, sondern ihnen vorgegeben.
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tungen der Gesellschaft, und auch die Individuen) und hält sie am Leben. Und doch sind Ganzes und Teile nicht einfach gleichrangig. Die OrganismusAnalogie weist darauf hin: Den Organismus gibt es, obwohl von den Organen erzeugt, vor diesen. Er bestand schon, bevor er sich in Organe differenzierte, sie waren in ihm vorhanden, aber noch nicht real, nur „angelegt“. Er erzeugt sie im Zuge seiner Entwicklung, weil er sie braucht. Es sind nicht die Teile, die erst frei und einzeln existieren und sich dann zusammenschließen, um einen Organismus zu „gründen“. Der organischen Gesellschaftsvorstellung entsprechen bestimmte religiöse Vorstellungen: Gott ist nicht nur der allmächtige und in seinen Ratschlüssen unergründliche himmlische Herrscher, sondern auch und vor allem der liebende und zugleich strenge Hausvater, der in seiner Weisheit der Welt eine Ordnung gegeben hat, in der jedes Geschöpf dem Ganzen dient, in dem es, an seinem Platz, die seinem Wesen gemäße Funktion erfüllt oder dies doch tun soll. Die Utopien der Aufklärung unterscheiden sich, wie wir gesehen haben, davon sehr. Für den Liberalismus ist die ideale Gesellschaft, die Gesellschaft freier, ihren Eigennutz verfolgender Besitz-Bürger, gerade nicht organisch und harmonisch. Sie ist vielmehr bestimmt durch das Gegeneinander der Einzelnen und soll dies auch sein, denn darin liegt der Motor des Fortschritts. Eine Pflicht zum Zusammenwirken im Dienste eines übergeordneten Ganzen würde die Freiheit, die immer Freiheit des Einzelnen ist, einschränken. Die Utopie der demokratischen Aufklärung8 kennt dagegen diesen Dienst am Ganzen; die ideale Gesellschaft ist dadurch ausgezeichnet, dass der Wille jedes Einzelnen mit dem allgemeinen Willen zusammenstimmt, und eine solche Gesellschaft ist harmonisch. Aber sie gleicht nicht einem Organismus und die Einzelnen sind nicht Organe oder Teile von Organen. Denn das Ganze ist den Menschen nicht vorgegeben, die ideale Gesellschaft ist vielmehr die von den freien Staatsbürgern selbst mittels ihrer Vernunft erdachte und erzeugte Gesellschaft, und keineswegs ist, wie bei einem Organismus bzw. in der konservativen Idealisierung der alten Ständegesellschaft, den Teilen ihr Platz durch das Ganze vorgegeben9, d.h. durch Gott, die Tradition oder auch durch ihre eigene Natur.10
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Ausführlich und vergleichend zur Struktur der drei politisch-weltanschaulichen Richtungen Liberalismus, demokratische Aufklärung und Konservativismus siehe Kap. 3 in Voigt 2009.
9
Kant schreibt, dass man sich bei „einer neuerlich unternommenen gänzlichen Umbildung eines großen Volks zu einem Staat“ „des Wortes Organisation“ „für die Einrichtung der Magistraturen usw. und selbst des ganzen Staatskörpers sehr schicklich bedient“ habe. „Denn jedes Glied soll freilich in einem solchen Ganzen nicht bloß Mittel, sondern zugleich auch Zweck und, indem es zu der Möglichkeit des Ganzen mit-
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Wenn im konservativen Denken jedem sein Platz vorbestimmt ist und er dem Ganzen, das ihm vorgegeben ist – der Familie, also dem Familienoberhaupt, dem Staat, also typischerweise dem König – zu dienen und die damit gegebenen Beschränkungen hinzunehmen hat: ist der Konservativismus dann ein Feind der Freiheit? Ist er gegen Freiheit, weil ja Unterordnung verlangt ist? Und ist er auch ein Gegner der Vernunft, weil zählt, was vorgegeben ist, nicht, was sich argumentativ begründen lässt? Für die progressiven Gegner des Konservativismus gilt das als ausgemacht; eben dass er gegen Freiheit und Vernunft ist, mache sein Wesen aus. Es ist aber komplizierter. Als erstes ist zu bedenken, dass das, was hier als klassischer Konservativismus beschrieben wird, nicht identisch ist mit der Kritik an der Aufklärung, also der Gegenaufklärung schlechthin. Die Haltung der Romantik – die ja auch hierhergehört – zur Freiheit ist eine ganz andere. Auch gibt es selbstverständlich Formen des Konservativismus, auf die das genannte Pauschalurteil der Progressiven mehr oder weniger zutrifft; sie traten damals etwa im Zuge der Verteidigung des Absolutismus oder der Adelsvorrechte auf, auch als kirchliche Orthodoxie. Von all dem ist der klassische Konservativismus, der das Muster unseres Idealtyps abgibt, zu unterscheiden. Die Haltung des Konservativismus zur Vernunft lässt sich besser verstehen, wenn man sie mit derjenigen der Romantik vergleicht. Für diese waren in der Tat die Anmaßungen der Vernunft das Grundübel; nicht in dieser, sondern in der Phantasie lag die Rettung aus dem Unheil, in das die Aufklärung die Menschheit geführt hatte; gerade die Vergötzung der Vernunft hat ja dahin geführt. Wahre Freiheit bedeutete für die Romantik, unabhängig zu sein von aller einschränkenden Bestimmtheit, sie lag in der Selbstauflösung in die Natur, in der Verschmelzung des Ich mit der Welt. Daran sieht man, wie problematisch es wäre, die Romantik einfach dem Konservativismus einzugliedern. Denn dieser tritt durchaus für die Vernunft ein. Aus der Perspektive der Aufklärung sieht das freilich anders aus. Denn was der Konservativismus sich unter Vernunft vorstellt, gilt der Aufklärung allenfalls bedingt als Vernunft. Der Konservativismus würde auch den Vorwurf zurück-
wirkt, durch die Idee des Ganzen wiederum seiner Stelle und Funktion nach bestimmt sein.“ (Fußnote in § 65 der KU) Organisch ist hier nicht eine Form, die die Gesellschaft von vornherein hat, wenn sie der Mensch nicht deformiert, sondern die vernünftige Form, die er erst herstellen muss. 10 „Nur der Feige ist ein geborner Knecht; nur der Dumme ist von der Natur bestimmt, einem Klügern zu dienen; alsdenn ist ihm auch wohl auf seiner Stelle, und er wäre unglücklich, wenn er befehlen sollte.“ (Herder 1965, Bd. 1: 365, Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit, Erstausgabe 1784-1791)
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weisen, ein Gegner der Freiheit zu sein. Aber sein Freiheitsbegriff unterscheidet sich fundamental von dem der Aufklärung (und dem der Romantik). Der Konservativismus nahm eine tiefgreifende Neuinterpretation der Begriffe Vernunft und Freiheit vor, die in seinen Augen allerdings keine war, sondern eine Rückkehr zu vor-aufklärerischen Einsichten. In gewissem Sinne ist das auch so. – Im Folgenden werden diese verschiedenen Auffassungen verglichen. Zunächst zur Vernunft: Wie die Romantik ist für den Konservativismus die Einbindung in eine höhere, dem (einzelnen) Menschen vorgängige Ordnung von entscheidender Bedeutung. Für die Romantik aber gibt es diese Einbindung nur um den Preis des Verzichtes auf Vernunft zugunsten von Gefühl und Phantasie. Denn es ist ja seine Vernunft, auf die sich der moderne Mensch beruft, wenn er sich über alles stellt, statt sich von den unmittelbaren Einflüssen des Universums „in kindlicher Passivität ergreifen und erfüllen [zu] lassen“ (Schleiermacher). Für den Konservativismus dagegen ist die Einsicht, dass wir uns in die vorgegebene Ordnung einfügen und einem Höheren unterordnen sollen, gerade das Ergebnis des Vernunftgebrauchs. Denn man kann durch Vernunft, aber nur durch deren richtigen Gebrauch, erkennen, wie die Welt am besten eingerichtet wäre – nämlich so, wie sie es war, bevor die falsche, die anmaßende Vernunft aufkam. Und Vernunft braucht man auch, um sich in der Gemeinschaft so zu verhalten, wie es für diese das Beste und damit zugleich einem selbst angemessen ist. Nun kennt ja auch die demokratische – die rationalistische und kantische – Aufklärung etwas Höheres als die eigene, auf den individuellen Nutzen gerichtete Vernunft. Dieses Höhere ist, im Gegensatz zu der je eigenen, die Vernunft. Auf ihr beruht der allgemeine Wille, welcher der Wille jedes Einzelnen sein soll und kann. Für den Konservativismus aber ist alles Höhere ein den Individuen übergeordnetes und seinerseits individuelles Ganzes: Gott, die Gemeinschaft, die Geschichte oder auch die Natur, verstanden als ein lebendiges Ganzes (oder Geschichte und Natur als den Menschen von Gott vorgegeben). Das sind Subjekte höherer Art, und als solche sind sie Autoritäten, die dem Einzelnen äußerlich und übergeordnet sind, die er in keiner Weise selbst hervorbringt. Und so gibt sich auch nicht er selbst die Gesetze, denen er folgen soll, sondern diese Autoritäten erlegen sie ihm auf. Der Konservativismus kritisiert an der Aufklärung, dass für sie die Vernunft autonom, selbstgesetzgebend ist. Für die demokratische Variante bedeutet das durchaus, wie für den Konservativismus, Einschränkung, aber eben durch das selbstgegebene Gesetz. Vernunft ist „konstruierende Vernunft“. Sie selbst gibt sich das Gesetz, sie selbst konstruiert das Ideal der Welt so, wie es der allgemeine Wille verlangt, und sie selbst konstruiert Gesellschaft und Natur diesem Ideal entsprechend um. Der Konservativismus dagegen bleibt bei der Heteronomie.
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Wahre Vernunft besteht im Erkennen dessen, was die äußere, höhere Instanz will. Vernunft ist „vernehmende Vernunft“. Für die Aufklärung ist die Vernunft allgemeine Vernunft.11 Jeder Mensch hat sie. Eben weil er sie hat, ist er zurechnungsfähig, und das ist es, was ihn erst im vollen Sinne zum Menschen macht.12 Seiner Vernunft wegen rechnen wir ihm seine Taten zu und betrachten sie, anders als das Verhalten eines vernunftlosen Tiers, nicht einfach als Ergebnis von naturgesetzlichen Prozessen, für die er nichts kann. Darum verurteilen wir bei jedem Menschen Taten, die dem der Vernunftprüfung unterzogenen Willen, d.h. dem allgemeinen Willen widersprechen. Darum können wir auch mit jedem Menschen, egal welcher Kultur er angehört, streiten, ob das moralisch richtig ist, was er tut, oder ob er sich schuldig macht. Ob wir uns faktisch je einig werden können, ist eine andere Frage, aber dass wir es im Prinzip können, davon gehen wir aus, sonst würden wir uns nicht streiten. Für den Konservativismus hingegen ist typisch, dass er die Vorstellung von einer allgemeinen Vernunft ablehnt. Vernunft entwickelt sich auf Basis dessen, was einem angeboren ist – und das ist individuell verschieden –, in Auseinandersetzung mit der jeweiligen Umwelt, und damit ist die Vernunft bei jedem Menschen verschieden. Die einen haben sie in höherem Maße als andere, und zwar nicht nur, weil sie mehr gelernt haben, sondern auch anlagenbedingt, so dass durch Lernen wenig auszurichten ist. Das Ergebnis ist, dass man nicht mit jedem Menschen über das Richtige streitet, um ihn zu überzeugen, sondern gegen diejenigen, die „es doch nicht verstehen würden“, eine paternalistische Haltung einnimmt13. Auch jedes Volk entwickelt im Laufe seiner Geschichte eine charakteristische Vernunft, die im Prinzip nicht besser oder schlechter ist als die der anderen Völker, sondern qualitativ anders. Dieser Gedanke wurde vor allem im Historismus, einer geistigen Strömung, die das 19. Jahrhundert weithin be-
11 „Rationalistisch – im Gegensatz zu ‚historistisch‘ – ist eine Philosophie, wenn sie alles Menschliche als von wesentlich invarianten Vernunftprinzipien bedingt und bestimmt ansieht, und dies vor allem aber in einem normativen Sinne.“ (Schnädelbach 1983: 53) 12 Wer diese Zurechnungsfähigkeit nicht, noch nicht oder nicht mehr hat, bleibt zwar, zumindest in der demokratischen Variante der Aufklärung, Gegenstand unserer Verantwortung, aber er ist nicht schuldfähig und man kann ihn nicht verpflichten. Ausführlich anhand der Philosophie Kants dazu z.B. Kap. IV in Baranzke 2002. 13 „Mit Unfreien streitet kein Edler, den Frevler straft nur der Freie.“ (Fricka in Richard Wagners Walküre)
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herrschte, wichtig.14 Die Idee der einen Menschheit, die gemeinsame Ziele hat oder doch haben sollte – denn sie sind allgemeingültig – und sich über diese verständigen kann, verliert an Einfluss. An ihre Stelle tritt der Gedanke einer Vielfalt von Völkern oder Kulturen. Diese sind, bedingt durch ihr Wesen, d.h. ihren unveränderlichen Charakterkern und durch ihre besondere Geschichte, nur mit sich selbst (dem, was sie und nur sie sind und sein sollen) vergleichbar. Ihre Vorstellungen vom Wesen der Welt und vor allem ihre moralischen Vorstellungen sind unaufhebbar verschieden. Darum treten an die Stelle des Sittengesetzes die Sitten. Das Sittengesetz war das, was jeder, der Vernunft hat, erkennen kann, indem er „an der Stelle jedes anderen“ denkt15 und auf dieser Basis seinen Willen dem allgemeinen Willen gemäß bestimmt, und dazu ist er verpflichtet. Denn es ist das Gesetz, das sich die Vernunft selbst gibt (kategorischer Imperativ). Die Sitten dagegen wurzeln in der jeweiligen Tradition und sind von Volk zu Volk, von Kultur zu Kultur verschieden. Für die Aufklärung ist der Mensch nicht verpflichtet, auch nur eine dieser Sitten zu befolgen, weil sie Sitte ist. Für den Konservativismus aber wird das Befolgen der jeweils eigenen Tradition gleichsam zum kategorischen Imperativ. Man zieht sich bei uns nicht so an, diese Frisur gehört sich nicht usw. – so etwas hat für den stramm Konservativen den Charakter einer schweren Straftat. Auf den Gedanken der Vielfalt unvergleichlicher Kulturen komme ich gleich zurück, weil hier der Kern des neuen Verständnisses von Landschaft steckt. Was die Vernunft angeht, so können wir festhalten: Der klassische Konservativismus besteht darauf, vernünftig zu sein.16 Für die Aufklärer ist er das nicht, denn er
14 „Die Historisierung des Menschen [durch den Historismus des späten 18. und des 19. Jahrhunderts] ist in Wahrheit die Reduktion der Vernunft auf Geschichte.“ (Schnädelbach 1983: 55) Auch im Marxismus, den man ja als in der Tradition der demokratischen Aufklärung stehend sehen kann, ja der sich als ihr Haupterbe sieht und wohl meist auch so gesehen wird, kann man den Einfluss des Historismus bemerken: „Der Glaube an die normative Kraft des Historischen ist eine Prämisse sowohl der Historischen Schule ebenso wie des entstehenden Marxismus.“ (Schnädelbach 1983: 56) 15 Kant 1977, Bd. 10: 226 (§ 40 KU). 16 „Skepsis und Nüchternheit politischer Beurteilung“ zählt Greiffenhagen 1986: 157 zu den konservativen Werten. Aber man ist gegen „abgehobenes“ Denken: „Der Theoretiker stützt sich auf die Vernunft, die schulgerechte, symmetrische Form seiner Ansicht und auf allgemeine Gesetze; der Praktiker auf Erfahrung, die Realität und Bedeutung seines Geschäfts, und auf die Localität. Der eine schwebt in den Lüften über allen Ländern und Zeiten, der Andre hält sich an seinen Grund und Boden [...].“ (Adam Müller, Elemente der Staatskunst, zit. n. Greiffenhagen 1986: 232)
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beruft sich auf vorrationale Werte, also Werte, die sich nicht rational begründen lassen (z.B. die göttliche Offenbarung17 oder die Tradition). Der Konservativismus besteht aber – gegen alle Weltverbesserer, die „Traumtänzer“ – nicht nur auf Vernunft im täglichen praktischen Leben, es gibt für ihn vor allem vernünftige Gründe, sich grundsätzlich an diese vorrationalen Werte zu halten.18 Freiheit bedeutete in der liberalen Aufklärung, nicht daran gehindert zu werden, seinen Neigungen zu folgen, weder durch innere noch durch äußere Hindernisse. Für die demokratische Aufklärung ist frei, wer in der Lage ist, das, was ihm die eigene Vernunft gebietet, nicht nur gegen äußere Hindernisse, sondern auch gegen vernunftwidrige Neigungen zu tun. Für den klassischen Konservativismus aber ist nur das Individuum frei, das sich an eine höhere Instanz bindet. Allerdings darf das nicht die allgemeine Vernunft sein. Für den Konservativismus ist diese Instanz, wie eben beschrieben, ihrerseits etwas Individuelles und uns Äußeres. Frei ist, wer in der Lage ist, das, was die individuelle höhere Instanz verlangt, auch gegen die eigenen Neigungen, gegen die Aussicht auf individuellen Nutzen zu tun. Aber wie kann der frei sein, der einer äußeren Instanz gehorcht? Er ist deshalb gerade dann frei, wenn er ihr gehorcht, weil diese Instanz ihm doch nichts anderes befiehlt, als sein eigenes wahres Wesen zu entfalten; er verwirklicht sich selbst. Sie befiehlt ihm, nicht Knecht der eigenen egoistischen Neigungen zu sein. Sie befiehlt ihm zumindest in diesem Punkt also eben das, was in der demokratischen Aufklärung die eigene Vernunft befiehlt. Doch gibt es einen entscheidenden Unterschied. Weil die höhere Instanz immer in einem vorgegebenen individuellen Ganzen verkörpert ist, insbesondere der Gemeinschaft, in die man hineingeboren wird, ist der Einzelne gegen diese aus Sicht der demokratischen Aufklärung unfrei. Seine vernehmende Vernunft hat seinen Platz und seine Aufgaben in der Gemeinschaft zu erkennen, statt dass er diese mit Hilfe seiner konstruierenden Vernunft so einrichtet, wie der allgemeine Wille es verlangt. Wäre er der ihm vorgegebenen Gemeinschaft gegenüber frei, d.h. könnte er ohne Rücksicht auf sie handeln, würde er aus Sicht des Konservati-
17 Es gibt Varianten des Konservativismus, die eben das, was den Aufklärern und normalerweise auch den heutigen Christen als nicht beweisbarer Glaube gilt, für rational beweisbar halten. Sie sind zwar in der Welt des Denkens bedeutungslos, davon abgesehen aber einflussreich: Die offizielle katholische Lehre hält heute noch Gottesbeweise für möglich. 18 Im modernen Konservativismus des 20. Jahrhunderts haben sich diese vernünftigen Gründe stark ausgedünnt: Es entstand die für ihn typische Haltung, dass es allein auf die soziale Funktion der Religion ankomme, nicht auf deren Wahrheit (vgl. Greiffenhagen 1986: 100 ff.).
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vismus sein eigenes Wesen verfehlen. Denn das wurde ihm ja mitgegeben von dem, was ihm vorgegeben ist. Er würde sein Wesen nicht entfalten können, also im konservativen Verständnis unfrei sein. Hier löst sich auch eine Irritation, die manche Leser vielleicht hatten: Warum konnten die Romantiker sich mit der vernehmenden Vernunft des Konservativismus nicht anfreunden? Ihr Ausgangspunkt war doch die Erschütterung durch die Zerstörung der alten, in der Religion gegründeten Ordnung durch die allgemeine, konstruierende Vernunft der Aufklärung, und die vernehmende Vernunft zielt doch ebenfalls gegen diese und, wie es scheint, aus dem gleichen Grund. Dass die Romantik den konservativen Auffassungen nicht folgen konnte, lag an deren Gedanken der gebundenen Freiheit, die mit der Vorstellung der vernehmenden Vernunft verknüpft ist. Damit verträgt sich nicht der romantische Vorrang der Phantasie. Am Verschwinden der alten Welt fanden Romantiker und Konservative denn auch, so sehr sich das in der realen Aufklärungskritik vermischte, durchaus Verschiedenes beklagenswert: Für die einen war es primär der Verlust der verzauberten Welt, für die anderen primär der Verlust der Welt der Bindungen in einer sinnvollen höheren Ordnung. – Auch wenn es nicht möglich ist, heutige politische Auffassungen denen einfach gleichzusetzen, in deren Tradition sie hauptsächlich stehen, so wird hier doch manches verständlich, was im heutigen politischen Alltag jedem geläufig ist. Man denke an die Ähnlichkeit im Habitus zwischen einem typischen konservativen Politiker und einem sozialistischen Funktionär und die Abneigung beider gegen die „Spinner“, d.h. die Romantiker.
6.3 N ATUR
UND
L ANDSCHAFT
IM
K ONSERVATIVISMUS
6.3.1 Land und Leute Im Folgenden geht es um die Rolle der Natur im klassisch-konservativen Denken. Wir werden sehen, dass Natur hier, auch wenn der Begriff noch andere Bedeutungen hat, vor allem Landschaft ist, dass der Kern des konservativen Denkens in einer Landschaftstheorie liegt, und dass diese sich erheblich von den bisher besprochenen Theorien unterscheidet – und dass sie uns sehr vertraut ist. Ich will diese Theorie anhand der Geschichtsphilosophie von Johann Gottfried Herder (1744-1803) darstellen. Das wird vielleicht erstaunen, denn Herder dürfte vielen als einer der großen Aufklärer bekannt sein. In der Tat wird er oft, viel-
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leicht sogar meist so gesehen, und dies durchaus zu Recht.19 Er war entschiedener Gegner des Despotismus der absolutistischen Fürsten. Die Geisteshaltung, die diesen ertrug, war seiner Meinung nach Völkern, denen sie ganz und gar nicht wesensgemäß ist, von außen aufgedrängt worden. „Bischöfe nämlich brachten aus ihrer mißbrauchten Schrift, aus Rom und ihrem eigenen Stande morgenländische oder klösterliche Begriffe von blinder Unterwerfung unter den Willen des Oberherren in die Gesetze der Völker und in seine Erziehung.“20 Er kämpfte in seinen Schriften gegen die Sklaverei. Vehement lehnte er die kirchliche Orthodoxie ab. Seine Geschichte des Christentums liest sich größtenteils als eine Aneinanderreihung von Gräueltaten, es ist eine Abrechnung, wie sie ein Atheist nicht schärfer hätte formulieren können. Das Mittelalter ist ihm nicht weniger finster als anderen Aufklärern. Vor allem aber teilte er den Geschichtsoptimismus der Aufklärung, und was ihn optimistisch sein lässt, ist eben die Aufklärung. „Auf Tätigkeit und Erfindung, auf Wissenschaften und ein gemeinschaftliches, wetteiferndes Bestreben“ ist „die Herrlichkeit Europas gegründet“, die er in seiner Zeit beobachtet.21 Für Herder gilt also nicht nur, was für den modernen Konservativismus insgesamt gilt, nämlich dass er „Aufklärung über die Aufklärung“22 praktiziert und darum selbst als aufklärerisch in einem erweiterten Sinne bezeichnet werden kann. Diese Art der erweiterten Aufklärung besteht vor allem darin, dass man „die bislang für ahistorisch und interkulturell gehaltenen natürlichen Ausstattungen des Menschen und seine Vernunft“ selber historisch interpretiert, also vernünftig erklärt.23 Herder aber war nicht nur ein solcher Meta-Aufklärer, sondern tatsächlich auch ein Aufklärer im üblichen Sinne. So hat er sich und so hat man ihn verstanden. Dem Bild, das der Konservativismus etwa seit der napoleonischen Zeit abgab und das im Wesentlichen uns auch heute vor Augen ist, wenn wir an klassischen Konservativismus denken, entsprach er ganz und gar nicht. Und doch findet man die wesentlichen Strukturen des Denkens der späteren konservativen Zivilisationskritik, insbesondere ihres Denkens über Landschaft, be-
19 Die positive Einstellung Herders zu vielen Aspekten der Aufklärung betont in einem ähnlichen Kontext wie dem unseren auch Birkenhauer 2001: 15 ff., und zwar in Kritik an Eisel 1980. Im Folgenden wird sich zeigen, dass dies, anders als jener Autor meint, nichts daran ändert, dass das Herder’sche Denken in seiner Struktur von der typischen Aufklärung fundamental abweicht, wie dies auch von Eisel 1980 vertreten wird. 20 Herder 1965, Bd. 2: 406. 21 Ebd.: 484. 22 Schnädelbach 1983: 54 über den Historismus, wozu er u.a. Hamann und Herder zählt. 23 Schnädelbach 1983: 54 f.
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reits bei ihm, und zwar besonders klar, auf den Begriff gebracht. Er war ein Kritiker der Aufklärung in der Aufklärung. Die Herdersche Geschichtsphilosophie und Ästhetiktheorie hatte eine entscheidende Funktion bei der Transformation der aufklärerischen Landschaftsidee. Im Folgenden wird also eine idealtypische Rekonstruktion der konservativen Theorie von Landschaft versucht, und diese kann man durchaus den Kern des klassischen Konservativismus nennen. Dabei werde ich mich vor allem auf die Theorie von Herder stützen. Allerdings sei betont – und ich werde es gelegentlich anmerken –, dass die konservative Zivilisationskritik, die ja erst etwa ein halbes Jahrhundert nach Herders Tod allmählich einsetzte, die ihre große Zeit ein weiteres halbes Jahrhundert später hatte und anders als Herder der Aufklärung dezidiert feindlich gesinnt war, von jenem Ursprung ihres Gedankenkerns in mancher Hinsicht merklich abweicht. Für Herder ist der Mensch wie jedes Lebewesen doppelt bestimmt. 24 Das heißt, zwei verschiedene Arten von Faktoren entscheiden darüber, wie seine Entwicklung verläuft: das, was er mitbringt – seine „Anlagen“, seine „Gaben“– und seine Umwelt. Entsprechend ist die Organisationsweise menschlicher Gesellschaften zugleich durch ein äußeres und ein inneres Prinzip bestimmt. Das äußere nennt er meist „Klima“25, das innere „genetischen Charakter“ oder auch „innern Charakter“; in ähnlicher Bedeutung spricht er von „lebendiger Kraft“. Beide Prinzipien sind nicht unabhängig voneinander, sondern prägen einander wechselseitig. Klima ist nicht nur jene Summe physikalischer Faktoren, die wir heute unter diesem Begriff verstehen. Es ist alles, was auf die Entwicklung einer Pflanze, eines Tieres oder des Menschen von außen einwirkt.26 „Endlich die Höhe oder Tiefe eines Erdstrichs, die Beschaffenheit desselben und seiner Produkte, die Speisen und Getränke, die der Mensch genießt, die Lebensweise, der er folgt, die Arbeit, die er verrichtet, Kleidung, gewohnte Stellungen sogar, Vergnügen und Künste, nebst einem Heer andrer Umstände, die in ihrer lebendigen Verbindung viel wirken: alle sie gehören zum Gemälde des vielverändernden Klima.“27
Das Klima ist von größtem Einfluss: „Wäre Europa reich wie Indien, undurchschnitten wie die Tatarei, heiß wie Afrika, abgetrennt wie Amerika gewesen, es
24 Ich orientiere mich im Folgenden vor allem an Eisel 1980: 282 ff. und Kirchhoff 2005. 25 Siehe das Kapitel „Was ist Klima [...]“ in Herder 1965. 26 Zum Klimabegriff bei Herder siehe Hard 1993. 27 Herder 1965, Bd. 1: 262.
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wäre, was in ihm geworden ist, nicht entstanden.“28 Das Klima ist aber nicht einfach ein äußerer Faktor, sondern für jedes Lebewesen (und jedes Volk) ist es das, was dieses aus ihm macht. „Nun ist keine Frage, daß, wie das Klima ein Inbegriff von Kräften und Einflüssen ist, zu dem die Pflanze wie das Tier beiträgt und der allen Lebendigen in einem wechselseitigen Zusammenhange dienet, der Mensch auch darin zum Herrn der Erde gesetzt sei, dass er es durch Kunst ändre.“29 Aber auch das, was das jeweilige Wesen mitbringt, wird vom Klima geprägt: von dem Klima, das vorher auf es wirkte, etwa in dem Land, aus dem es einwanderte. „Wenn die ersten und meisten Einwohner [Amerikas] aus einer und der selben Gegend [Nordasien] kamen“, so wird trotz aller Verschiedenheit der „Klimate“ in Amerika „die Bildung und der Charakter der Einwohner eine Einförmigkeit zeigen“.30 Umgekehrt ist es, wenn die Einwohner eines „Erdstrichs“ aus verschiedenen Klimaten kommen: „Kurz, man kann diesen Sund von Inseln als einen Sammelplatz von Formen ansehen, die sich nach dem Charakter, den sie an sich trugen, nach dem Lande, das sie bewohnten, nach der Zeit und Lebensweise, in der sie daselbst waren, sehr verschieden ausgebildet haben, so dass man oft in der größten Nähe die sonderbarste Verschiedenheit antrifft.“31 Nun ist der „Charakter, den sie an sich trugen“ vom Klima nicht so leicht zu verändern. „Die lebendige Kraft widerstehet lange, stark, einartig und nur ihr selbst gleich.“ Diese Kraft ist aber nicht einfach das Ergebnis früherer Umwelteinwirkungen. Auch diese trafen auf einen inneren Charakter, der schon da war. Den „göttlichen Charakter seiner Bestimmung“32 hat ihm nicht die Natur verliehen, sondern dieser Charakter, das Wesen der einzelnen Wesen wie auch der Völker, ist eben göttlich. Letztlich wurden die Völker mit ihm ursprünglich erschaffen, auch wenn es keine Zeit gab, in dem nicht ein Klima formend auf sie einwirkte.33 Besser wäre es wohl zu sagen: Nicht das Klima bildet, sondern der Charakter bildet sich in bestimmten Klimaten. Die Völker nehmen das Klima gleichsam als Angebot an, machen auf diese Weise etwas aus sich selbst, näm-
28 Ebd.: 483. 29 Ebd.: 265. 30 Ebd.: 234. 31 Ebd.: 232. 32 Ebd.: 340. 33 Vgl. Kirchhoff 2005.
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lich das, was ihrem Inneren, ihrem Wesen, aber eben unter diesem Klima, entspricht. Denn „das Klima zwinget nicht, sondern es neiget“34. Die „Gegend“, der Lebensraum, wie man später sagte, prägt die Körper und die Sinne. Am südlichsten Ende Amerikas befindet sich „der arme kalte Rand der Erde, das Feuerland, und in ihm die Pescherähs, vielleicht die niedrigste Gattung der Menschen. Klein und häßlich und von unerträglichem Geruch“35. „Alle grobfühlenden Völker in einem wilden Zustande oder harten Klima leben gefräßig“.36 Dagegen scheint „die zarteste Empfindlichkeit [...] in Erdstrichen und bei einer Lebensweise zu sein, die die sanfteste Spannung der Haut und eine gleichsam melodische Ausbreitung der Nerven des Gefühls fördert. Der Ostindier ist vielleicht das feinste Geschöpf im Genuß sinnlicher Organe. Seine Zunge, die nie mit dem Geschmack gegorner Getränke oder scharfer Speisen entnervt worden, schmeckt den geringsten Nebengeschmack des reinen Wassers, und sein Finger arbeitet nachahmend die niedlichsten Werke, bei denen man das Vorbild vom Nachbilde nicht zu unterscheiden weiß. [...] Heiter und ruhig ist seine Seele, ein zarter Nachklang der Gefühle, die ihn ringsum nur sanft bewegen.“37
Das Klima, also die Umwelt in dem jeweiligen Lebensraum, prägt aber auch die Sprache und die „Denkart“, das heißt die Vernunft der Völker.38 Das Volk wiederum prägt seinen Lebensraum, indem es ihn, sich seiner Vernunft bedienend, zweckmäßig gestaltet, also die Natur kultiviert. Im Laufe der Geschichte bilden sich auf diese Weise höhere Einheiten, die Mensch und Natur umgreifen. Erst durch Zusammenwirken von Menschen und äußerer Natur entsteht also ein Höheres. Das ist die Kulturlandschaft.39 (Herder sprach nicht von Landschaft, sondern von Land, aber offensichtlich war mit diesem Wort das gemeint, was später Landschaft, und zwar insbesondere Kulturlandschaft genannt wurde.) Später, in der konservativen Zivilisationskritik, sprach man von der Einheit von „Land und Leuten“40. Allerdings gingen damit merkliche Verschiebungen einher, z.B. was
34 Herder 1965, Bd. 1: 266. 35 Ebd.: 242. 36 Ebd.: 286. 37 Ebd. 38 Herder ebd.: 242. 39 Auf diese Weise „entsteht bei jedem Volk eine charakteristische Form der Vernunft und eine Kultur, die sich durch ein einzigartiges Mensch-Natur-Verhältnis auszeichnet.“ (Kirchhoff 2005: 82) 40 Wilhelm Heinrich Riehl 1854.
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die Geschlossenheit dieser Einheiten anbelangt.41 Die Kulturlandschaft ist – hier ist der Sprachgebrauch nicht eindeutig – entweder die Einheit von „Land und Leuten“, oder sie ist nur das Land, das notwendig zu bestimmten „Leuten“ gehört. Dass durch Zusammenwirken von Menschen und äußerer Natur Landschaft als etwas Höheres entsteht, meinte die Romantik auch. Der Unterschied liegt darin, dass der Beitrag des Menschen zum höheren Ganzen im Konservativismus durch vernunftgeleitete Tätigkeit, vor allem durch Kultivieren des Landes im ursprünglichen Sinn, erfolgt und nicht durch die Phantasie des künstlerischen Genius. Die Aufklärung hatte eine solche Vorstellung des Zusammenwirkens von Mensch und Natur nicht – jedenfalls wenn mit Natur die konkrete, lokalregionale Naturumgebung gemeint ist, wie im klassischen Konservativismus der Fall. Natur in diesem Verständnis ist für das Denken der Aufklärung zunächst wertlos, man muss erst „etwas aus ihr machen“, dies jedoch nicht durch Zusammenwirken mit der Natur oder durch Anpassung an sie, sondern durch Naturbeherrschung. Natur als Landschaft, sei es in ihrer Harmonie, sei es in ihrer Erhabenheit, kann für die Aufklärung aber auch ästhetisch-symbolisches Mittel sein, den Menschen zu bessern. Für Herder und den Konservativismus dagegen ist die Kulturlandschaft, das Ergebnis der Vervollkommnung der natürlichen Ordnung durch den Menschen, nicht nur Symbol dessen, was werden soll, nicht nur ständiger Verweis darauf und ein Antrieb für die, denen es vor Augen steht. Sie ist vielmehr das Vollkommene selbst, soweit es dem Menschen möglich ist, Vollkommenes hervorzubringen. Denn das ist ja die Kulturlandschaft, wenn sie sich zu dem entwickelt hat, was sie sein sollte. Sie ist die vollkommene Einheit des Guten, Angenehmen und Schönen. Wie diese drei zusammenhängen, werden wir gleich sehen. Zunächst aber zur Freiheit in der Beziehung des Menschen zur Natur: Der konservative Freiheitsbegriff wurde bereits allgemein skizziert:42 Für den Konservativismus ist nur das Individuum frei, das die Bindung an eine höhere, seinerseits als individuell gedachte Instanz anerkennt. Was bedeutet das im Hinblick auf Natur? So wie gegen die Gemeinschaft die Forderung nicht darin besteht, sich ihr blind unterzuordnen, so auch nicht bezogen auf die Natur. Heute wird oft als Quintessenz des sogenannten ökologischen Denkens gesehen, dass der Mensch sich endlich wieder der Natur einfügen sollte wie die anderen Lebewesen auch. Das findet im klassisch-konservativen Denken wenig Rückhalt, bei Herder gar keinen. Der Mensch soll sich den Zwängen der Natur nicht unterord-
41 Siehe unten S. 166 ff. 42 Siehe oben S. 147.
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nen, auch wenn er sich der Natur anpassen soll. „Natur“ ist hier der konkrete, lokal-regionale Naturraum, in dem die jeweilige Gemeinschaft von Menschen lebt. Sich ihm anzupassen bedeutet nicht, sich ihm unterzuordnen, wenn es auch nicht umgekehrt bedeuten kann, ihn ohne Rücksicht auf das zu behandeln, was da vorzufinden ist, so wie es den eigenen Interessen nützt. Die übliche kapitalistische (und auch sozialistische) Art, das Land zu bewirtschaften, findet den Beifall des klassisch-konservativen Denkens nicht. Ganze Landstriche in ein einziges Weizenfeld umzuwandeln, weil die Marktpreise das gerade ratsam erscheinen lassen, oder die Felder bis zum Horizont auszudehnen, weil so die Maschinen am besten genutzt werden können, ist eine Versündigung an der Landschaft. Es dürfte sich „doch immer zeigen, dass die Natur selbst im besten Werk, das Menschen tun können, dem Anbau eines Landes, zu schnelle, zu gewaltsame Übergänge nicht liebe“43. „Man denke nicht, dass die Kunst der Menschen mit stürmender Willkür einen fremden Erdteil sogleich zu einem Europa umschaffen könne, wenn sie seine Wälder umhauet und seinen Boden kultivieret.“44 Herder kannte nur Vorformen dieser modernen Bewirtschaftung, vor allem aus den Kontinenten, in die die Raubzüge der Europäer – das war die Kolonisation für ihn – führten. Er sah in ihnen allerdings nicht, wie spätere Zivilisationskritiker, den Ausdruck des Geistes der Aufklärung, sondern einer Bosheit, die sich schon früh in den Taten der Europäer zeigte, etwa in den Kreuzzügen. Der Herd dieser Bosheit, die zugleich Dummheit ist, liegt für ihn eher in der Habgier der Kirche und im barbarisch-räuberischen Ursprung der europäischen Völker als in Spezifika der neuen Zeit. Dieser Bosheit ist die Aufklärung nur noch nicht genug entgegengetreten. Man kann Herders Kritik an der Europäisierung der Welt aber auch als gegen den Liberalismus gerichtet lesen; das deutet sich in seiner Charakterisierung der modernen Handelsgesellschaften an, etwa der Ostindienkompanie. Die Natur wird sich solche Vergewaltigung nicht bieten lassen. „Der Mensch kann sich selbstverständlich entschließen, alle irgendwo auf der Welt entwickelten technischen Möglichkeiten anzuwenden, ohne Bezug auf konkrete Bedürfnisse und ohne Ansehen der konkreten Bedingungen des Lebensraumes, unter denen er dies tut. Aber genau dann handelt [er] unvernünftig.“45 Denn „die ganze lebendige Schöpfung ist im Zusammenhange, und dieser will nur mit Vorsicht geändert werden.“46 „Die Natur ist allenthalben ein lebendiges Ganze und will
43 Herder 1965, Bd. 1: 280. 44 Ebd.: 279. 45 Kirchhoff 2005: 84, Herder interpretierend. 46 Herder 1965, Bd. 1: 279.
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sanft befolgt und gebessert, nicht aber gewaltsam beherrschet sein.“47 Statt der Natur mit allen nur möglichen Mitteln das Letzte abzugewinnen, habe man sich den Besonderheiten des jeweiligen Lebensraums anzupassen. Das ist gleichbedeutend damit, dessen Natur so zu nutzen, dass kleinräumig spezifische Möglichkeiten erschlossen werden.48 Gut angepasst zu sein an die Besonderheiten der Natur des Ortes heißt ja nichts anderes, als die eigenen Ansprüche an sie mit ihr in Einklang zu bringen, und damit befreit man sich zugleich von den Zwängen, die sie ausübt. Wer in der Aue nicht Häuser baut oder Getreidefelder anlegt, sondern Wiesen, oder wer dort den Wald stehen lässt, also sich an die lokale Situation anpasst, muss Überschwemmungen, mit denen die Natur hier ihren Zwang ausübt, nicht fürchten. Eine Gemeinschaft, die gut an die Natur angepasst ist, erlangt Freiheit von ihrer Herrschaft. Sie gewinnt vor allem Freiheit auch für das, was jenseits von Nutzung liegt, d.h. für Kultur im engeren Sinne. Man hat von Anpassungs-Loslösungs-Paradox gesprochen.49 Das Maß der Kulturentwicklung ist in der Tat die Emanzipation der Menschen von der Natur. Aber wahre Emanzipation von Natur ist nur durch Anpassung an die Natur möglich. Anpassung und Freiheit werden also auch im Verhältnis zu der Natur, in der man lebt, nicht als Gegensatz gesehen, sondern sie bedingen einander. Denn jene rücksichtslose Unterwerfung der Natur bringt nur scheinbare Freiheit von ihr, die Natur wird sich rächen. Deren Unterwerfung ist aber nicht nur in diesem Sinne längerfristig gesehen unklug, sondern prinzipiell verwerflich. Denn die Natur ist nicht einfach Mittel zu unserem Nutzen. Sie ist vielmehr, wie alles, was wir vorfinden, in Gestalt des „Klimas“ den Menschen von Gott gegeben, damit sie sich daran bewähren und ihr Wesen entfalten, und die Anpassung an sie ist „uns als moralische Aufgabe gesetzt“.50 Das hatte Folgen für die Rangordnungen, die der spätere Konservativismus unter den Gruppen der Gesellschaft aufstellte, denn diese hohe moralische Aufgabe nimmt in erster Linie der Bauernstand wahr. „Hierin liegt [für den Konservativismus] die Bedeutung des Bauern und der bäuerlichen Arbeit begründet. Weil der Bauer in und mit der Natur arbeitet, weil er Gottes Wort in der Natur vernimmt, verkörpert er die gute Ordnung.“51 Frei ist der Mensch, wenn er die Aufgabe erfüllen kann, sich an die im konkreten Lebensraum verkörperte und für den Kundigen lesbare Ordnung anzupassen, denn eben das bedeutet, sein eigenes Wesen zu entfalten. Dieses nicht entfalten zu
47 Ebd.: 280. 48 Siehe auch Gelinsky 2008: 76. 49 Eisel 1980. 50 Siegmund 2010: 321. 51 Gelinsky 2008: 143.
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können, bedeutet Unfreiheit. Unfrei ist man, wenn man anders leben muss als es dem eigenen Wesen entspricht, sei es durch äußeren Zwang, sei es durch Streben nach etwas, was nicht dem eigenen Wesen gemäß ist, getrieben von der Gier nach Erfolg. – Nicht nur die Gemeinschaft der Menschen ist ein organischer Zusammenhang, in dem alles dem Ganzen und damit allen anderen dient, auch die Kultur-Natur-Einheiten, die Landschaften, sind solche organischen Zusammenhänge. 6.3.2 Vielfalt, Eigenart und Schönheit Welche Implikationen hat das konservative Denken – wohlgemerkt, in dieser idealtypischen Konstruktion – für die Frage der landschaftlichen Schönheit? Auch und vor allem das kann man bereits im Werk des aufklärungskritischen Aufklärers Herder erkennen. Heute ist es weithin selbstverständlich geworden, dass die landschaftliche Schönheit stets in Verbindung mit zwei anderen Attributen der Landschaft genannt wird. Die zentrale rechtliche Grundlage des Naturschutzes und der Landschaftsplanung in Deutschland lautet: „Natur und Landschaft sind [...] so zu schützen, zu pflegen, zu entwickeln und, soweit erforderlich, wiederherzustellen, dass [...] Vielfalt, Eigenart und Schönheit [...] gesichert sind“ (§ 1 Bundesnaturschutzgesetz). Nicht nur Schönheit, auch Vielfalt und Eigenart gelten als Werte, nicht einfach als Eigenschaften sei es der Landschaft, sei es bestimmter Landschaften. Im täglichen Gebrauch dieser Formel ist selten ganz klar, ob es sich um drei unabhängige Werte handelt oder ob die Landschaft gerade dann schön ist, wenn sie die Eigenschaften Vielfalt und Eigenart hat. Sicher überwiegt letzteres. Das ist wohl nur im konservativen Denken möglich, zumindest ist es nur hier selbstverständlich. Nicht nur, dass diese Verbindung als notwendig gedacht wird, sondern auch, dass Vielfalt und Eigenart überhaupt Werte sind, verdankt sich diesem Denken. Zu anderen Zeiten und für Anhänger anderer Weltanschauungen wäre das auf Unverständnis gestoßen. Warum ist im konservativen Denken Vielfalt ein Wert? Die ideale Landschaft entsteht, wie beschrieben, dadurch, dass eine Gemeinschaft von Menschen sich an die Natur ihres Lebensraums anpasst und dieser dadurch zu ihrer eigenen Vollkommenheit verhilft – einer Vollkommenheit, die sowohl dem Wesen der Gemeinschaft (Volkscharakter) als auch dem des Lebensraums entspricht. Von jedem Menschen, jeder Gemeinschaft ist gefordert, das eigene Wesen zu entfalten. Das bedeutet aber, Vielfalt (an Fähigkeiten) zu entwickeln, und zwar die
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dem jeweiligen Wesen gemäße Vielfalt – nicht eine beliebige Vielzahl52, sondern genau die, die durch Ent-faltung des eigenen, individuellen Wesens entsteht. Anpassung an den Lebensraum bedeutet, auf dessen Vielfalt Rücksicht zu nehmen. Das aber tut man, wenn man an und mittels jener Vielfalt an eigenen Fähigkeiten das Potential an Vielfalt, das in dem Lebensraum steckt, zur Entfaltung bringt. Es ist bei Herder eine gottgegebene Aufgabe, die in der Natur schlummernden Potentiale zu ihrer eigentlichen Bestimmung zu erwecken. Wenn aber das geschieht, dann bilden alle Menschen und alle Gemeinschaften und alle Landschaften Eigenart aus. Denn was auf diese Weise Vielfalt entwickelt, hat notwendigerweise Eigenart53: Was sein eigenes Wesen entfaltet, gleicht immer weniger irgend etwas anderem. Und weil die Entfaltung des eigenen Wesens zugleich die Entfaltung des eigenen Wesens der Natur, die das Wesen umgibt, bedeutet, gilt nicht nur für die Menschen und ihre Gemeinschaften, sondern auch für die Landschaft, dass sie immer weniger einer anderen gleicht. Umgekehrt ist alles, was wahre Eigenart hat, eben darum vielfältig: Es gleicht gerade deshalb nichts anderem, weil es sein Wesen ent-faltet hat. Embryonen sind einander ähnlicher als reife Lebewesen, die Knospen verschiedener Pflanzenarten ähnlicher als die Blüten, zu denen sie sich entfalten. Was aber zwar Vielfalt hat, jedoch nicht einer bestimmten „Art“ zugehört, hat keine Eigenart, sondern ist nur eigenartig, und was einzigartig ist ohne Vielfalt zu haben, sein Wesen also nicht zu Entfaltung gebracht hat, ist primitiv. So weit der Zusammenhang zwischen Vielfalt und Eigenart. Worin besteht nun der Zusammenhang zwischen Vielfalt, Eigenart und Schönheit? Bei Kant war Schönheit „interesseloses Wohlgefallen“. Bei Herder dagegen ist schön, was seinem – ihm vom Ganzen, letztlich vom Schöpfer her zukommenden – Zweck entspricht. Schön ist also, was in diesem Sinn vollkommen ist, bzw. was die relative Vollkommenheit hat, die einem Geschöpf im Unterschied zum Schöpfer nur möglich ist. Schönheit ist die äußere, den Sinnen zugängliche Seite einer inneren Zweckmäßigkeit bzw. Vollkommenheit.54
52 Zum Unterschied von Vielfalt und Vielzahl siehe Eisel 2007a. 53 „Die Idee der Vielfalt […] hat nur Sinn mit Bezug auf die Idee der Eigenart. Vielfalt ist Ausdrucksform und Funktionsweise eines ‚Charakters‘, vorgestellt als Reichtum der Welt. Diese Welt entfaltet sich in unzähligen Besonderheiten. Durch ‚Entfaltung‘ öffnet sich ein einzelnes Wesen der Welt und damit diese insgesamt. Es folgt dabei seinem inneren Wesenskern, seinen individuellen inneren Möglichkeiten. Das ist die Eigenart dieses Wesens.“ (Eisel 2004a, 24) 54 Siegmund 2010: 328. – Ähnlich wurde es in älteren, rationalistischen Erkenntnistheorien gesehen, siehe Kap. 4.5.1 im vorliegenden Text.
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Wie kommt es aber zur landschaftlichen Vollkommenheit? Sie entsteht dann, wenn eine Gemeinschaft ihrem Auftrag gerecht wird, sich selbst und die Natur ihres Lebensraums zur ihnen gemäßen Vielfalt zu entfalten, also zur organischen Land-und-Leute-Einheit zu entwickeln, zu „Kulturlandschaft“. Je nach mitgebrachtem Volkscharakter, je nach Klima und spezifischer Geschichte wird Vollkommenheit in etwas anderem bestehen. Die Kulturlandschaft wird also Eigenart haben. „Je unverwechselbarer eine Landschaft ist, desto vollkommener ist sie; sie ist dem Ziel ihrer Entwicklung schon sehr nahe gekommen.“55 Diejenige Kulturlandschaft, die so ist, wie sie sein soll, die also vollkommen ist, vereint darum Vielfalt und Eigenart, und eben deshalb ist sie schön. Damit verschwindet der Unterschied zwischen dem Angenehmen, dem (moralisch) Guten und dem Schönen. Die Kulturlandschaft zu entwickeln ist Gottes Auftrag, das Ergebnis ist also gut; in ihr lebt es sich angenehm, und sie ist, weil in ihr alles vollkommen zusammenstimmt, schön.56 Die Vollkommenheit der Kulturlandschaft ist daher nicht (nur) die eines Bildes, sondern die der Realität. Auch in der Romantik wird die Natur durch den Geist „beseelt“ und dadurch zu etwas Höherem. Im klassisch-konservativen Denken aber liegt der Beseelungsakt nicht auf der Ebene der Wahrnehmung oder Darstellung der Natur (durch das künstlerische Genie), sondern im Herausbilden von Vollkommenheit auf der Ebene der konkreten Natur selbst.57 Das hat eine wichtige Konsequenz: Landschaft wird zu einem (auch) materiellen Gegenstand.58 Für die Aufklärung, aber auch für die Romantik, war Landschaft das nicht. Sie war ein Bild – auf der Leinwand, im Auge des Betrachters dieses Gemäldes, in Geist und Seele des Wanderers. Landschaftliche Harmonie war die Harmonie des Bildes. War eine Landschaft harmonisch, so bedeutete das darum nicht, dass die materielle Realität „harmonisch“ ist, also etwa, dass sie ökologisch und sozial gut funktioniert, also so funktioniert, dass die Ansprüche der Beteiligten – der Tiere und Pflanzen, der verschiedenen Menschen – alle angemessen befriedigt werden und
55 Gelinsky 2008: 82, Herder interpretierend. 56 Landschaftliche Schönheit soll darum angestrebt werden und wird auch angestrebt: „Da nun die Menschheit sowohl im ganzen als in ihren einzelnen Individuen, Gesellschaften und Nationen ein daurendes Natursystem der vielfachsten lebendigen Kräfte ist, so lasset uns sehen, worin der Bestand desselben liege, auf welchem Punkt sich seine höchste Schönheit, Wahrheit und Güte vereine und welchen Weg es nehme, um sich bei einer jeden Verrückung, deren uns die Geschichte und Erfahrung so viele darbeut, seinem Beharrungszustande wiederum zu nähern.“ (Herder 1965, Bd. 2: 233) 57 Siegmund 2010: 330. 58 Das ist wohl erstmals klar herausgearbeitet worden von Eisel 1980: 285 ff.
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es keine Disharmonien, keinen Kampf gibt. Dass die Landschaft schön ist, dass es sich in dieser Landschaft gut lebt und dass die Menschen in dieser Landschaft sich moralisch richtig verhalten, das hatte für Aufklärung und Romantik nichts miteinander zu tun (sieht man einmal davon ab, dass Schönheit der Bildung moralischer Menschen zuträglich sein kann). So denken wir das ja auch heute alle: Von einem gemalten Braten wird man nicht satt, und der Jesus-Darsteller von Oberammergau muss kein guter Mensch sein. Er versinnbildlicht dieses Ideal nur, und so kann auch die ästhetische Harmonie einer Landschaft eine harmonische Gesellschaft nur symbolisieren. Im klassisch-konservativen Denken dagegen fällt die Schönheit der Landschaft mit der Vollkommenheit der realen Gegend zusammen. Das Bild ist nicht schön, wenn die physischen und die sozialen Dinge in der realen Gegend nicht so funktionieren, dass es sich angenehm lebt und wenn die Menschen nicht gut sind, d.h. wenn sie nicht miteinander und mit der Natur so umgehen, wie die höhere Instanz es verlangt. Die wahrhaft schöne Landschaft sieht nicht nur vollkommen aus, ist nicht nur im Auge des Betrachters harmonisch und symbolisiert die vollkommene Harmonie, sondern sie ist vollkommen und sie ist Ausdruck59 gelungener kultureller Entwicklung. Die Landschaft ist etwas Reales, Materielles und als solches etwas Moralisches. Es ergab sich also eine völlige Veränderung der Vorstellung davon, was Landschaft überhaupt ist, d.h. wo sie ontologisch hingehört, ob sie Bild oder die auf ihm dargestellte Wirklichkeit oder beides zusammen ist.60 Das hatte eine weitreichende Folge. Diese Veränderung war nämlich die Voraussetzung dafür,
59 Eine Ausdrucksbeziehung ist etwas ganz anderes als eine Zeichen- oder Symbolbeziehung, auch wenn sie als solche genutzt werden kann. Eine bestimmte Geste kann Ausdruck von Schmerz sein. Für einen Beobachter dieser Geste kann sie Zeichen des Schmerzes sein. Viele Zeichen drücken aber nichts aus. Der Rauch, den man als Zeichen dafür nehmen kann, dass da ein Feuer brennt, drückt nicht das Feuer aus. Ausdruck bezieht sich immer auf etwas Inneres (Seelisch-Geistiges), das sich in etwas Äußerem (sinnlich Wahrnehmbarem) „zeigt“. 60 Man kann grundsätzlich subjektivistische und objektivistische Deutungen von Landschaft unterscheiden (Kirchhoff/Trepl 2009). In objektivistischer Deutung ist „Landschaft ontologisch primär eine extramental reale, funktionale Ganzheit, eine ganzheitliche materielle Wirklichkeit. Denn das Prinzip ihrer Einheit ist ihr immanent [...] Landschaft als ästhetische, bildhafte Ganzheit ist dann ein sekundäres Phänomen: nämlich die Weise, auf die der Mensch die primäre materielle Ganzheit Landschaft einfühlend wahrzunehmen und anhand ihrer Schönheit zu beurteilen vermag.“ (Ebd.: 26)
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dass man meinen konnte, Landschaft könne ein Gegenstand der Naturwissenschaft sein. Wenn heute im Alltagsgebrauch von „Landschaft“ in Deutschland und einigen anderen Ländern und auch in manchen wissenschaftlichen Disziplinen die Auffassung so verbreitet ist, Landschaft sei vor allem ein Gegenstand der Ökologie, so verdankt sich das der Wirkung der konservativen Weltsicht. Die deutsche Geografie, die diesem Fach auch in anderen Ländern das Gepräge gegeben hat (vor allem in den USA und in Russland)61 beruft sich auf Carl Ritter (1779-1859) als ihren Gründer. Dessen Schriften zeigen deutlich die Herkunft der entscheidenden Gedanken aus Herders Geschichtsphilosophie.62 Vor allem im Rahmen der (physischen) Geografie aber hat sich die Ökologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer eigenständigen Wissenschaft entwickelt.63 6.3.3 Landschaft: Territorium in „alter Freiheit“ Die Struktur der konservativen Landschaftsidee hatte eine weitere bedeutende Konsequenz. Sie machte es nämlich möglich, dass eine vor-neuzeitliche Bedeutung von „Landschaft“ – verändert – wieder auftauchte. Dass Landschaft ein neuzeitliches Phänomen ist, wie es der überwiegende Teil der Literatur sieht und wie es auch hier, unter Berufung auf Joachim Ritter, dargestellt wurde64, stimmt nicht ganz. Nur für Landschaft als ästhetischen Gegenstand, der eine bestimmte Symbolik hat, nämlich eine ideale Welt versinnbildlicht65, scheint es zuzutreffen. Das Wort Landschaft gab es jedenfalls schon lange vor der Neuzeit. Allerdings weicht seine Bedeutung von der späteren so sehr ab, dass man zunächst geneigt
61 Siehe z.B. Duncan 1980, Eisel 1980, 1992, Glacken 1973, Olwig 1996. Hard 1969 hat gezeigt, dass „Landschaft“ als Thema der Geografie in den ersten zwei Dritteln des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich eine Sache des deutschen Sprachraums war. 19491965 stehen, was Aufsätze angeht, „den fast 200 wissenschaftlich-geographischen Landschaftstiteln deutscher Sprache 2 französische, 8 englische und 25 russische Titel gegenüber“ (S. 261). 62 Siehe z.B. Eisel 1980, dort vor allem Kap. 4.1. 63 Ausführlich Trepl 1987. 64 Siehe oben Kap. 3.3. 65 Dem Anthropologen Hirsch zufolge wird in jeder Kultur dem alltäglichen gesellschaftlichen Leben („the way we now are“), dem „Vordergrund“, ein „ Hintergrund“ gegenübergestellt („the way we might be“). Landschaft sei eine spezifisch westliche Ausdrucksform dieser Beziehung (Hirsch 1996, nach Kap. 3.2 in Drexler 2010).
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ist, hier bloß äquivoke Wörter zu vermuten.66 Wir kennen diese ältere Wortbedeutung, oder doch ihr sehr Ähnliches, auch heute noch: „Landschaft“ wird gelegentlich im Sinne bestimmter politisch handlungsfähiger Menschengruppen oder Institutionen eines Gebiets, einer Gebietskörperschaft etwa, gebraucht. Im Mittelalter gab es das Wort Landschaft in verschiedenen germanischen Sprachen (u.a. lantscaf, althochdeutsch; landskab, dänisch; landschap, flämisch; landscipe, angelsächsisch).67 Gemeint war damit damals und zum Teil noch lange danach im Wesentlichen ein Territorium mit bestimmten sozialen Verhältnissen.68 Es handelte sich um Reste von Formen des Zusammenlebens in germanischen Stammesgesellschaften. Von besonderer Bedeutung war die Art des Rechts: althergebrachtes lokal-regionales Gewohnheitsrecht. Landschaften nannte man Gebiete, in denen sich das römische Recht – das von außen kommende Recht mit universalem Anspruch – und feudale Herrschaftsverhältnisse69 nicht, zumindest nur sehr unvollständig durchgesetzt hatten.70 Feudale Verhältnisse
66 Hard 1969: 252 meint, bei „Landschaft“ in der Bedeutung von „Landstände“ (also in einem „sondersprachlich-veralteten Sinne“) und Landschaft in dem Sinn, der in unserer Kultur seit etwa 300 Jahren üblich ist und den ich oben bei der Untersuchung des Sprachgebrauchs allein berücksichtigt habe, handle es sich um bloße Homonyme. In der Tat liegt das nahe, denn die Bedeutungen sind außerordentlich weit auseinandergerückt. Doch besteht, wie man sehen wird, ein genetischer Zusammenhang. 67 Ausführlich dazu und zum Folgenden Olwig 1996, siehe auch Kap. 4.2 in Drexler 2010. 68 Damit bezog sich das Wort „Landschaft“ zumindest primär nicht auf einen ästhetischen, sondern einen moralischen Begriff (Kirchhoff/Trepl 2009): auf die sozialrechtlichen Verhältnisse, die daraufhin beurteilt wurden, ob sie gut, d.h. gerechtfertigt seien. 69 Diese sind auch gewohnheitsrechtlich gesichert, aber im Laufe der Zeit immer mehr durch römisches Recht geprägt. 70 Dieses Gewohnheitsrecht war quasi die natürliche, eben „gewohnte“, empirisch bekannte und selbstverständliche Form dessen, was sich auf der Ebene der gelehrten Diskurse erst im Historismus des 19. Jahrhunderts als (dem Anspruch nach) vernünftige, wissenschaftlich begründete Einsicht mühsam gegen das Denken der Aufklärung durchsetzte: dass etwas sein soll allein deshalb, weil es ist; dass „wir haben es schon immer so gemacht“ als ein Argument dafür gelten kann, dass es richtig ist, insbesondere moralisch richtig ist, es zu tun. Später verlor diese Position in der Wissenschaft wieder stark an Einfluss. Max Weber formulierte die Wertfreiheitsforderung; die „mit wissenschaftlichen Mitteln konstatierte Geschichte“ sei „bloße Faktizität, der keine
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bedeutete insbesondere Leibeigenschaft, und dieser stand die relative Freiheit und Gleichheit der alten Stammesgesellschaften gegenüber. Solche Gebiete waren große Teile Skandinaviens, der südlichen Nordseeküste – insbesondere Friesland und Teile der Niederlande – sowie Teile der britischen Inseln. Auch scheint diese Bedeutung von „Landschaft“ noch fortgelebt zu haben unter feudalen und römisch-rechtlichen Verhältnissen, gewissermaßen als eine Schicht unter den neuen Verhältnissen, als derjenige Anteil der gesellschaftlichen Beziehungen, der noch auf die alte Art geregelt wurde. Eine Bedeutung als Personenkollektiv wie etwa im Sinne der erwähnten „Gesamtheit der politisch handlungsfähigen Bewohner eines Landes/Territoriums“71 oder von „Ständeversammlung“ – bis heute mitunter in Gebrauch – leitet sich von da her. Von besonderem Gewicht für die Geschichte des Landschaftsbegriffs waren bestimmte Ereignisse im England des 17. Jahrhunderts.72 An ihnen kann man sehen, dass dieser ältere Landschaftsbegriff doch eine enge Beziehung zu dem späteren, d.h. dem ästhetischen hat, dass es sich also nicht einfach nur um mehr oder weniger zufällig gleichlautende Wörter handelt – eine Vermutung, die der kategoriale Unterschied der zugehörigen Begriffe (Landschaft als ästhetische Kategorie und als Symbol und Landschaft als physische und soziale Realität) ja nahelegt. In jener Zeit fand ein heftiger Kampf zwischen court und country statt. Entsprechende Auseinandersetzungen gab es damals in allen Staaten, in denen sich der Absolutismus durchsetzte, also mehr oder weniger überall in Europa. Doch in England spielte „Landschaft“ dabei eine besondere Rolle. Die Partei des country bestand vornehmlich aus Landadligen, die sich gegen ihre Entmachtung durch den nach absoluter Herrschaft drängenden König bzw. die Partei des court zur Wehr setzten. Die Hofpartei strebte eine zentrale Lenkung des Staates auf der Basis des überall gleichen, auf Vernunft gegründeten römischen Rechtes an. Die Landpartei bestand auf dem germanischen, zum Teil auch keltischen, von Ort zu Ort verschiedenen Gewohnheitsrecht. Zu einem wichtigen Kampfmittel beider Parteien wurden Gemälde, vor allem für die Hofpartei auch Bühnenbilder. Die Partei des Landes setzte auf niederländische Gemälde. Auf diesen waren eben solche Gegenden zu sehen, die man „Landschaften“ nannte.73 Es waren
allgemeine Sinn- und Handlungsorientierung zu entnehmen ist“ (Schnädelbach 1983: 57). 71 Piepmeier 1980: 10. 72 Siehe zum Folgenden Olwig 1996: 635 ff. sowie Kap. 4.2 in Drexler 2010. 73 Das Wort ‚Landschaftsmaler‘ wurde von Albrecht Dürer geprägt. Er bezog sich damit auf den Niederländer Patinir (nach Koschorke 1990: 52).
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Gegenden, in denen die Menschen in den alten, gewohnheitsrechtlichen Verhältnissen lebten, und im Mittelpunkt stand meist das tägliche Leben dieser Menschen. Von diesen Landschaften her erhielten die Landschaftsgemälde ihren Namen: lantskip, landtschap, landship. Wohlgemerkt, die Gemälde nannte man so, und bald wurden in der Sprache der Gebildeten allein sie Landschaften genannt, bevor man auch reale Gegenden, die „wie gemalt“ aussahen, so nannte.74 Diese Gemälde waren bald aber nicht mehr nur Bilder von Landschaften im alten, sozial-rechtlich-territorialen Sinn, wie wir gleich sehen werden. Jene niederländischen Gemälde von „Landschaften“ wurden nicht erst in England zu Kampfmitteln, sie sind zum Teil bereits als solche entstanden.75 Sie waren Waffen im niederländischen Freiheitskampf gegen Spanien, damit gegen eine von außen herrschende Zentralmacht, damit zugleich gegen das universale römische Recht und auch gegen die römische Kirche. Und der Kampf wurde geführt im Namen des auf Gewohnheit gegründeten Rechtes der verschiedenen an der Herrschaft beteiligten Gruppen im Land. Dabei spielte auch der calvinistische Protestantismus, der in den Niederlanden eines seiner Zentren hatte, eine erhebliche Rolle. Seine kirchliche Organisation beruhte ganz auf dem Gemeindeleben, und sie tendierte dazu, mit der weltlichen Herrschaft zu verschmelzen. (Man denke an das puritanisch-calvinistisch dominierte Neuengland, das de facto ein dezentrales System kleinster demokratischer Gottesstaaten war.) Das stand dem beginnenden Absolutismus, der vom Renaissance-Zentralismus seine Ideale nahm, und dem Katholizismus entgegen. Die nach üblichem Verständnis fortschrittlichste oder jedenfalls wie keine andere zukunftweisende Ausprägung von Religion in jener Epoche76, der Calvinismus, verband sich also mit Idealen, die sich auf den ewigen Vorbildcharakter vor-feudaler, vor-ständischer, archaischer Gesellschaften beriefen.77 Die Hofpartei setzte dem ebenfalls Gemälde entgegen. Es war üblich, den niederländischen Gemälden „spanische“ oder „vatikanische“ – also italienische – entgegenzusetzen.78 Man nannte sie ebenfalls bald „Landschaften“. Vor-feudales Landleben ist auf ihnen aber nicht dargestellt. Das Wesentliche ist nun die Äs-
74 Siehe auch oben S. 31 f. – Nach Drexler 2010: 38, wurde Landscape „erst 34 Jahre nach seiner ersten Erwähnung im Sinne eines Gemäldes in einem anderen, nämlich im Sinne eines betrachteten Naturausschnitts (‚a view or vista of natural scenery‘) verwendet.“ 75 Siehe z.B. Adams 1994, Volmert 2009. 76 Vgl. als Klassiker dazu: Max Weber 2004 (1904-1906). 77 Vgl. Drexler 2010, dort vor allem Kap. 4.2. 78 Ebd.: 58, unter Berufung auf Mels 2006: 720.
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thetik. Dargestellt sind schöne Formen, etwa des Geländes und der Bauwerke, und die Symbolik bezieht sich nicht auf das althergebrachte Leben, sondern auf dessen vernünftige Umgestaltung. Diese erfordert zentrale Leitung. Man sieht antike Szenen; die Antike, vor allem die römische, war gerade in jener Zeit der beginnenden Aufklärung Inbegriff vernünftiger Staatslenkung. Und man sieht Paläste und ihre Umgebung, man kann erkennen, wie von diesen aus das Land in eine vernünftige Ordnung gebracht wird79. Die Gemälde im italienischen Stil sind die „Visualisierung einer vollkommenen universellen Ordnung“80, und diese wird von einem Punkt aus geschaffen. Sie folgen dem absolutistischen Ideal der vernünftigen Herrschaft durch eine zentrale Instanz. Die göttliche, und das ist zugleich die natürliche Ordnung wird durch den Willen des Königs auf der Erde verwirklicht. Diese Ordnung ist „das von Jakob I. erträumte Reich, das vom absolutistischen Herrscher wie von Gottes Finger dirigiert werden sollte“81. Sie muss durchgesetzt werden gegen die traditionsbestimmten, also irgendwie gewachsenen und gerade nicht auf Grundlage vernünftiger Erwägungen hergestellten Verhältnisse, wie man sie gerade vorfand. Nun können wir zurückkommen zum Landschaftsideal, wie es der klassische Konservativismus gut eineinhalb bis zwei Jahrhunderte nach diesen Kontroversen in England formulierte. Landschaften sind für ihn „gewachsene“ Einheiten des Landes und seiner Bewohner. Der Konservativismus (in der idealtypischen Zuspitzung, wie sie hier vorgenommen wird) versteht sich als Kampf für die Freiheit eben dieser Einheiten, die man sowohl durch den Absolutismus als auch durch die neuen Zentralmächte bedroht sah. Diese neuen Mächte waren zunächst die Demokratie der Französischen Revolution und dann vor allem die napoleonische Herrschaft. Im Namen der „alten Freiheit“ ging es also nicht nur gegen den Despotismus der Fürsten, sondern auch und immer mehr gegen die Fremdbe-
79 Der venezianische Architekt Andrea Palladio (1508-1550) wandte sich gegen den damals vorherrschenden gotischen Stil. Palladio war inspiriert vom klassischen imperialen Rom und legte Wert auf den perspektivischen, von einem Punkt ausgehenden Blick. Von diesem Geist waren die „Palladischen Landschaften“ geprägt, die Villenlandschaften auf dem venezianischen Festland, die später in England großen Eindruck machten. Christopher Wren (1632-1723), u.a. Architekt und Stadtplaner, schrieb: „Natural is from Geometry, consisting in Uniformity [...] Geometrical Figures are naturally more beautiful than any other irregular; in this all consent, as to a Law of Nature“. Es war dieses Naturideal, das die Partei des Hofes der Land-Partei entgegensetzte (nach Olwig 1996: 639). 80 Kap. 4.1 in Drexler 2010. 81 Ebd.: 60.
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stimmung durch den modernen Staat. Damit ging es aber gegen die Freiheit, nämlich gegen die neue Freiheit der Bürger (Bourgeois) und des gemeinen Volkes. Die alte Freiheit ist Freiheit von Gemeinschaften, nicht der Einzelnen, nicht Freiheit von Bürgern (Citoyen). Sie ist Freiheit vor-feudaler und vor-moderner Relikte von der Fremdbestimmung – jetzt durch die Mächte der Moderne. Der Kampf archaischer, oder als solche stilisierter, Bauerngesellschaften gegen „die Franzosen“, die Freiheit bringen, aber sich über die althergebrachten Freiheiten hinwegsetzen, wird zum beherrschenden Thema. Dazu gehört vor allem der von Andreas Hofer geführte Tiroler Aufstand. Dann aber wird auch quasi rückblickend der Kampf der Schweizer gegen Habsburg zum Anlass von Heldengeschichten. Schließlich werden auch Befreiungskämpfe heroisiert, die sich allenfalls mit größten Schwierigkeiten oder gar nicht als solche von Bauerngesellschaften, die in alter Freiheit leben, interpretieren lassen, wie der spanische und der preußische. Offenbar hat sich seit den alten, mittelalterlichen „Landschaften“ etwas Wichtiges verändert. Das waren ja (idealtypisch) Gegenden ohne Adelsherrschaft. Schon bei der englischen country party aber war die alte Freiheit vor allem die des Landadels, nicht die Freiheit vor-feudaler Stammesgesellschaften. In den deutschen/preußischen Befreiungskriegen gehörte zu den Hauptmotiven die Befreiung gerade der althergebrachten Aristokratenherrschaft von der modernen Fremdherrschaft. Für die Gegner beider, sowohl der Fremdherrschaft durch die modernen Mächte als auch der überkommenen feudalen Herrschaft, aber verschwimmt der Unterschied zwischen alter und neuer Freiheit oft bis ins Unkenntliche. Das kann man deutlich sehen etwa an den späten Werken Schillers, insbesondere am Wilhelm Tell, und überhaupt an der damaligen Verherrlichung der Schweiz durch Autoren, die gemeinhin eher dem progressiven Lager zugezählt werden, aber in diesem Fall vehement die neue Freiheit bekämpfen. (Ein eindrückliches Beispiel ist Gottfried Kellers Erzählung Verschiedene Freiheitskämpfer.) Zusammenfassend sei festgehalten: In der konservativen Vorstellung der gewachsenen, organischen Einheit von Land und Leuten wurde das Bild der in alter Freiheit lebenden vor-feudalen Gesellschaften wieder lebendig. Das war eine Freiheit, die sich sehr unterschied von der auf der Autonomie der Vernunft gegründeten neuen Freiheit. Es war eine Freiheit des Lebens in „Landschaften“ im alten Sinn des Wortes, d.h. eines Lebens in hergebrachten Bindungen, das frei ist von Fremdbestimmung, und bald nur noch von der Fremdbestimmung, die sich auf die allgemeine Vernunft beruft. Für diese Idee der alten Freiheit war immerhin die Vorstellung wichtig, dass es keine Herrenklasse gab (was natürlich größtenteils Fiktion war), wenn auch natürliche (patriarchalische) Herrschafts-
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verhältnisse. Das verschmolz schließlich mit einer aristokratischen Vorstellung von Freiheit, einer Freiheit allein für die Aristokraten. 6.3.4 Die Ideallandschaft des Konservativismus Was ist nach all dem die Ideallandschaft des klassischen Konservativismus? Fünf Punkte sind hervorzuheben: 1. Die Tendenz zur Heimattümelei: Der Konservativismus betont den individuellen Charakter einer jeden Landschaft, ihre Eigenart.82 Das hat immer auch die Tendenz zum Sich-Einschließen in die heimatliche Gegend.83 Landschaft wird zur abgeschlossenen Idylle. Diese Tendenz ist bei Herder noch nicht zu bemerken, wie wir gleich sehen werden.84 Später aber wird alles Fremde – etwa fremdländische Pflanzen, Gebäude in fremdem Stil und natürlich der Zuzug von Fremden – zum störenden Eingriff in das Wesen der jeweiligen Landschaft. Die Eigenart zu betonen bedeutet, die lokale und regionale Tradition zu betonen. Eben weil die Menschen ihre je eigene Tradition befolgten, hat sich Eigenart
82 Genau genommen ist das Individuelle wesentlich für Landschaft überhaupt. Das liegt daran, dass sie, wie oben anhand von Georg Simmel dargelegt, immer „Gemälde in statu nascendi“ eines Individuums ist; Landschaft stellt stets einen „besonderen Ausdruck von Subjekt und Natur“ dar (Dinnebier 2004, siehe auch die Definition von Landschaft in Kirchhoff/Trepl 2009: „Eine von der Natur allein oder von Natur und Menschenhand geformte Gegend ist eine Landschaft, wenn sie ein empfindender Betrachter ästhetisch als harmonische, individuelle, konkrete Ganzheit sieht, die ihn umgibt.“) Das zeigt sich schon in der Entstehungsgeschichte des landschaftlichen Blicks, der eng mit der Entstehung des bürgerlichen Individuums verbunden ist. So gesehen kann man sagen, dass erst im klassischen Konservativismus dieses Wesentliche der Landschaft ganz zum Vorschein kam: Während vorher das Individuelle an der Landschaft wesentlich darin lag, dass es sich um ein Bild im Inneren eines individuellen Subjekts handelte, wird jetzt auch die Landschaft als konkrete äußere Natur zu einem Individuum. 83 Siehe auch Siegmund 2010: 291. 84 Zum Wesen des Konservativismus gehört das Bewahren, aber das, was als das zu Bewahrende gilt, ändert sich im Verlauf der Geschichte. Darum wandelt sich der Konservativismus ständig (vgl. Greiffenhagen 1986). Die Unterschiede zwischen dem, was hier anhand von Herder als seine idealtypische, „klassische“ Gestalt konstruiert wurde, und der konservativen Zivilisationskritik des späten 19. Jahrhunderts, gar dem, was im 20. Jahrhundert als „konservative Revolution“ und als „technokratischer Konservativismus“ Bedeutung erlangte, sind groß.
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der Landschaft – des Landes wie der Leute – entwickelt. In der Aufklärung und in der Romantik war das, wofür die Landschaft stand, d.h. die Utopie, die sie symbolisierte, immer auf die Geschichte der gesamten Menschheit bezogen. In den Landschaftsgärten der Aufklärung gab die allgemeine Geschichte der Menschheit der Kunst die Orientierung.85 Beispielsweise hat man durch die Bauten auf ein allgemein, für die gesamte Menschheitsgeschichte, vorbildliches Zeitalter, auf ein idealisiertes Rom oder Griechenland hingewiesen. Diese Verweise ersetzt die vom konservativen Denken bestimmte Gartenkunst durch Verweise auf die spezielle Geschichte des Ortes als Einheit von Natur- und Kulturgeschichte.86 Denn die Grundorientierung auf die Geschichte der gesamten Menschheit verliert sich im Zuge der Gegenaufklärung. Herder hatte diese Orientierung noch: „Indessen sehen wir bei allen ein Principium wirken, nämlich eine Menschenvernunft, die aus vielem eins, aus der Unordnung Ordnung, aus einer Mannigfaltigkeit von Kräften und Absichten ein Ganzes mit Ebenmaß und daurender Schönheit hervorzubringen sich bestrebet.“87 „Großer Vater der Menschen, welche leichte und schwere Lektion gabst du deinem Geschlecht auf Erden zu seinem ganzen Tagewerk auf! Nur Vernunft und Billigkeit sollen sie lernen; üben sie dieselbe, so kommt von Schritt zu Schritt Licht in ihre Seele, Güte in ihr Herz, Vollkommenheit in ihren Staat, Glückseligkeit in ihr Leben. Mit diesen Gaben beschenkt und solche treu anwendend, kann der Neger seine Gesellschaft einrichten wie der Grieche, der Troglodyt wie der Sinese.“88
Die Frage stellt sich, was der Unterschied ist zur Hauptlinie der Aufklärung – der Ausrichtung auf die eine, homogene Weltgesellschaft, deren Beschaffenheit die allgemeine Vernunft, die allen Menschen gemeinsam ist, vorgibt.
85 Siegmund 2010: 315. 86 „Auch in zahlreichen anderen Gärten werden Heiligtümer, Gräber, Findlinge oder Gebäudereste einer vermeintlichen Urzeit der Familie in Szene gesetzt. Zum Beispiel integriert Carl von Mecklenburg-Strelitz in den Park von Hohenzieritz verschiedene altslawische Funde, wie das hier vermutete Heiligtum von Rethra im ‚Heiligen Hain‘ mit Waldaltar, bronzezeitlichen Hügelgräbern, Resten einer frühdeutschen Burg mit ‚Hexenstein‘ oder dem Denkmal eines ‚wilden Mannes‘ als Belege der ‚uralten‘ Deszendenz.“ (Siegmund 2010: 341, Zitate aus Niedermeier 1999: 69) 87 Herder 1965, Bd. 2: 234. 88 Ebd.: 238.
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Nun, die heutige Realität, in der die Völker der Welt offensichtlich in eine Richtung – die von der europäischen und vor allem angloamerikanischen Zivilisation vorgegebene – konvergieren, in der die Lebensweise wie auch der Habitus der Menschen aller Kontinente, trotz einiger Widerstände, von Jahr zu Jahr immer weniger zu unterscheiden ist, war alles andere als das, was Herder sich unter der Gesellschaft, die jedes der verschiedenen Völker errichten sollte, vorstellte. „Die Glückseligkeit eines Volks lässt sich dem andern und jedem andern nicht aufdringen, aufschwätzen, aufbürden. Die Rosen zum Kranze der Freiheit müssen von eignen Händen gepflückt werden und aus eignen Bedürfnissen, aus eigner Lust und Liebe froh erwachsen. Die sogenannte beste Regierungsform, die unglücklicherweise noch nicht gefunden ist, taugt gewiß nicht für alle Völker, auf einmal, in derselben Weise“.89
Stattdessen gilt: „Zur Vollkommenheit der menschlichen Natur gehört, dass sie unter jedem Himmel, nach jeder Zeit und Lebensweise sich neu organisiere und gestalte.“90 Herder hatte also noch die Idee eines allgemeinen Fortschritts der Menschheit, basierend auf der einen Menschenvernunft, und doch sollten alle Völker ihren eigenen und je verschiedenen Weg gehen. Das passt deshalb zusammen, weil zur allgemeinen Menschenvernunft eben die Einsicht in das allgemeine Wesen des Menschen und seines Verhältnisses zur Natur gehört. Dieses Wesen aber besteht darin, dass jede Gemeinschaft wie auch jeder einzelne Mensch durch Anpassung an seinen Lebensraum seine eigene, besondere, nur ihm angemessene Entwicklung nimmt. Eben das ist der Kern der allgemeinen Menschenvernunft: Sie erkennt (in Grenzen) das Wesen der Welt, und zu diesem gehört, dass es diese Vernunft immer nur in individuell verschiedener Form gibt. Wenn aber gilt, dass „zur Vollkommenheit der menschlichen Natur“ gehört, dass sie „nach jeder Zeit und Lebensweise sich neu organisiere und gestalte“ – bedeutet das nicht, dass die Gemeinschaften, indem sie immer verschiedener werden, damit auch immer weiter auseinanderrücken, sich immer weiter voneinander isolieren und dies auch sollen? Das war in der Tat ein zentraler Gedanke des späteren Konservativismus, aber Herders Auffassung war es nicht. Er hatte noch die Idee eines globalen Zusammenhanges der Kulturen, die sich gegenseitig befruchten, und eines Fortschritts, der gerade dadurch entsteht. „Einimpfungen der Völker zu rechter Zeit scheinen dem Fortgange der Menschheit so unentbehrlich als den Früchten der Erde die Verpflanzung oder dem wilden Baum
89 Herder 1971, Bd. 2: 297 (Briefe über Humanität). 90 Herder 1967: 8 (SW XII, Vom Geist der Ebräischen Poesie).
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seine Veredlung.“91 „Von selbst hat sich kein Volk in Europa zur Kultur erhoben; jedes vielmehr hat seine alten rohen Sitten so lange beizubehalten gestrebet, als es irgend tun konnte“92. Die Tradition ist also nicht einfach zu befolgen, sondern weiterzuentwickeln, und dazu gehört wesentlich, Einflüsse von außen zu integrieren. Der Fortschritt zur Kultur besteht für die Völker zwar darin, dass sie alle ihr je eigenes besonderes Wesen entfalten und damit einander immer unähnlicher werden. Diese Entwicklung aber erhält wiederum den entscheidenden Impuls durch das Bewusstwerden eben dieser Aufgabe der Entfaltung des je Eigenen. Dieses verdankt sich aber wesentlich einem Einfluss von außen. In Europa ist das durch die Christianisierung geschehen. Damit die Kulturentwicklung hier „endlich eigne, anfangs sehr saure Früchte bringen konnte“, war „ein sonderbares Vehikel, eine fremde Religion, nötig“.93 Deren Einfluss darf aber nicht auf Europa beschränkt bleiben. Der Zweck dieser Religion ist kein geringerer, „als alle Völker zu einem Volk, für diese und eine zukünftige Welt glücklich, zu bilden“.94 Die Frage stellt sich, wie sich das damit verträgt, dass Herder, wie angedeutet, die europäische Eroberung und Kolonisierung der Welt in äußerst scharfer Form kritisierte. Wir müssten uns „des Verbrechens beleidigter Menschheit fast vor allen Völkern der Erde schämen“, schrieb er.95 Die Antwort ist: Die Christianisierung ist für ihn keine Europäisierung, sondern durchaus eine Universalisierung. So sehr für Herder die reale Geschichte des Christentums eine Kette von Verbrechen ist – in der Idee desselben ist die wahre Aufgabe der Menschheit erstmals ausgesprochen. „Das Christentum gebietet die reinste Humanität auf dem reinsten Wege.“ Es ist „(m)enschlich und für jedermann faßlich“96. Der Humanität ist aber gerade die je eigene Entfaltung des inneren Wesens eines jeden Volkes wesentlich. Das allgemein – also von Gott – dem Menschen als solchem Bestimmte ist individuell, und das heißt von jedem auf seine einzigartige, ihm gemäße Weise zu verwirklichen. Eben das den Völkern der Welt zu Bewusstsein zu bringen, ist die historische Aufgabe des Christentums, und darum bedeutet die christliche Missionierung (idealerweise) nicht die Vereinheitlichung aller Kulturen nach europäischem Muster, sondern gerade umge-
91 Herder 1965, Bd. 2: 376. Die Stelle bezieht sich auf die Wirkungen der Normannenherrschaft in England. 92 Ebd.: 290. 93 Ebd. 94 Ebd.: 291. 95 Herder 1971, Bd. 2: 235 (Briefe über Humanität). 96 Ebd.: 314.
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kehrt die Ausbreitung des Gedankens vom je eigenen Weg – und damit die Steigerung der landschaftlichen Vielfalt der Erde zum Höchstmöglichen. Diese Idee einer Menschheitsentwicklung – anders als die typisch aufklärerische, aber eben doch eine Idee davon, was die gesamte Menschheit sein soll – verschwindet in der weiteren Geschichte der konservativen Weltanschauung im Laufe des 19. Jahrhunderts in der Vorstellung abgeschlossener Idyllen und schließlich in einer gegen alles Fremde aggressiven Heimattümelei. Für diesen Prozess war eine grundlegende Änderung der Bedeutung von Tradition entscheidend. Wenn die Aufklärung sich auf Tradition berief, so war das die griechisch-römische Antike, eventuell verbunden mit dem frühen Christentum. Diese Epochen oder Kulturen waren für die Aufklärung wie schon vorher für die Renaissance aber keineswegs deshalb maßgeblich, weil sie die Vergangenheit unserer Kultur sind, sondern weil in ihnen allgemein Vernünftiges und damit auch normativ Richtiges, wie die Demokratie in Griechenland oder die Nächstenliebe im frühen Christentum, zutage getreten ist. Im Zuge der Entwicklung und Ausbreitung des Historismus aber bekam, so Schnädelbach, „die Geschichte selbst die Rolle des normativen Fundaments zugesprochen“97. Geschichte ist eine „außersubjektive Autorität“, die „nicht nur unter bestimmten Voraussetzungen“, nämlich wenn in ihr Vorbildliches erkennbar ist, „sondern immer beachtet werden muss“.98 Anhand von Herder, den Schnädelbach dem Historismus zuzählt, lässt sich der Übergang erkennen. Dem Menschen ist, so haben wir gesehen, die umgebende Natur von Gott zu seinem Wohl eingerichtet und ihre Gestaltung als moralische Aufgabe gesetzt. Darum muss der Mensch auf das hören, was in der Natur zu ihm spricht; es gilt, „dass die ganze Natur uns eine Gleichnisrede sei, die der Christ zu deuten habe“.99 Das kann er aber nur, wenn er die Überlieferung beachtet, in der das Wissen der Vorfahren darüber, wie man die Natur zu lesen und wie man sich gegen Natur und Menschen richtig zu verhalten habe, aufbewahrt ist. Die Tradition ist die „Stimme Gottes“100. Wenn wir dieser Stimme folgen, entwickeln wir unser Wesen als je besondere Menschen, und genau das soll der Mensch als Mensch. Diese Entwicklung können wir aber nicht aus eigener Kraft vollziehen. „Kein einzelner von uns ist durch sich selbst Mensch worden.“101 Man bedarf derer, die vor einem waren.
97
Schnädelbach 1983: 56.
98
Siegmund 2010: 282.
99
Gotthelf, zit. n. Gelinsky 2008: 143 (GSW 15, 46 f.), Gotthelf lebte von 1797 bis 1854.
100 Herder 1965, Bd. 1: 342. 101 Ebd.: 336.
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Die Tradition steht aber nicht über alle Generationen hin fest. Man darf sie nicht blind befolgen, sondern an ihr bilden alle eigenverantwortlich, in schöpferischer Selbsttätigkeit mit, die auf diese Stimme Gottes hören. Indem wir unsere eigenen Werke „der bildenden Tradition einverleib[en], können wir in namenloser Wirkung in den Seelen der Unseren tätig fortleben“102. Damit war jedoch noch nicht die Tradition schlechthin legitimiert: „Welche törichte Einbildung wäre denkbar, die die erbliche Tradition nicht hie oder da wirklich geheiligt hätte?“103 Herder vertraute aber, in typisch aufklärerischer Manier, darauf, dass das Gute in der Überlieferung im Zuge der Kulturentwicklung mit der Notwendigkeit eines Naturgesetzes immer reiner und der Vollendung zustrebend zutage tritt: „Drittes Naturgesetz. Ebensowohl ist’s erwiesen, dass, wenn ein Wesen oder ein System derselben aus diesem Beharrungszustande seiner Wahrheit, Güte und Schönheit verrückt worden, es sich demselben durch innere Kraft, entweder in Schwingungen oder in einer Asymptote, wieder nähere, weil außer diesem Zustande es keinen Bestand findet.“104 Man sieht die Gemeinsamkeit und den Unterschied zu den beiden Hauptströmungen der Aufklärung: Noch ist das Denken zukunftsgerichtet, noch auf die ganze Menschheit orientiert, aber es gibt keine lineare Aufwärtsentwicklung aller zu einem homogenen Optimum mehr, sondern die einzelnen Gemeinschaften tendieren jeweils zu dem allein ihnen angemessenen Zustand, zu ihrem Optimum des Wahren, Guten und Schönen. Und nur das in der Tradition, was dahin führt, ist die „Stimme Gottes“. Das ändert sich bald im konservativen Denken. Nicht mehr, was – wie in der Aufklärung und noch bei Herder – an sich gut ist oder das, was das Wesen der eigenen Gemeinschaft und ihrer umgebenden Natur dem gottgegebenen Ziel näherbringt, ist an der Tradition der Befolgung wert. Zu folgen ist vielmehr der Tradition schlechthin, und zwar der eigenen. Die eigene Überlieferung ist auch bei Herder grundsätzlich zu beachten, aber sie besteht ja nicht zuletzt darin, das Gute der Einflüsse von außen aufzunehmen und dem eigenen Wesen gemäß einzugliedern.105 Nun aber geht die Tendenz (a) dahin, allein die eigene Geschichte gelten zu lassen; dies nicht, weil sie mehr wert wäre als die der anderen – das ist eine spätere Entwicklung106 –, sondern einfach deshalb, weil sie die eigene ist. Man denke an die Anstrengungen, die man das ganze 19. Jahrhundert hindurch
102 Ebd.: 342. 103 Ebd.: 341. 104 Ebd.: 232. 105 „Genutzt haben sie alle Völker, mit denen sie bekannt wurden [...]; sie nutzten sie aber als Römer“. (Ebd.: 210) 106 Siehe unten Kap. 7 (zur nationalsozialistischen Landschaftsidee).
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unternommen hat, die deutsche Sprache von fremden Einflüssen zu reinigen. Und (b) geht die Tendenz dahin, den Wert einer bestimmten Überlieferung nicht mehr daran zu messen, ob sie gut ist – sei es nun, dass sie im Geist der Aufklärung vor dem „Richterstuhl der allgemeinen Vernunft“ bestehen kann, sei es, dass sie dem spezifischen Wesen einer bestimmten Gemeinschaft angemessen ist –, sondern allein daran, wie alt sie ist. Wo das Alte bewahrt ist, folgt das Wahre, Gute und Schöne ganz von selbst. Besonders deutlich wurde das in dem Bauernkult, der im 19. Jahrhundert einsetzte: „Alle von Gotthelf beschriebenen Höfe, deren Besitzer über die vier bäuerlichen Kardinaltugenden – Arbeitsamkeit, Häuslichkeit, Ehrbarkeit und Frömmigkeit […] – verfügen, befinden sich in ‚mehrhundertjährigem Besitz der Familie‘.“107 „Diese alteingesessenen Höfe erkennt man bereits an ihrer äußeren Erscheinung: ‚Wo aber in einer Familie die alte Kraft und die alte Gottesfurcht bleiben, da erzeugt dieser unveränderte Besitz eine gegenseitige Treue zwischen dem Besitzer und dem Besitztume. Von weitem erkennt man dieses Verhältnis an der Üppigkeit des Landes, den alten, schönen Bäumen, den wohlerhaltenen Gebäuden, der Sorgfalt überhaupt, welche im großen und im kleinen sichtbar ist.‘“108
So zu denken ist noch heute üblich. Was in der Landschaft alt ist, erscheint uns von vornherein wertvoller als das Neue. Der alte Baum ist wertvoller als der junge, der Bauernhof aus dem sechzehnten Jahrhundert wertvoller als der aus dem neunzehnten.109 Was als besonders schutzwürdig erscheint, dem schreiben
107 Gelinsky 2008: 152, Zitat von Gotthelf, SW 13: 14. 108 Ebd.: 153, Zitat von Gotthelf (GSW 13: 14). 109 Dabei macht man allerdings im Allgemeinen einen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem, was aus der Zeit stammt, in der, wie man meint, die Tradition überhaupt noch etwas gegolten hat, und dem, was sich der modernen Zeit verdankt, der Zeit, die auf „Zukunft statt Herkunft“ setzt. Wann diese Zeit beginnt, variiert: Manchmal ist das der Beginn der Neuzeit (Renaissance und Reformation, siehe oben S. 66 f.), manchmal der Beginn des Industriezeitalters oder des bürgerlichen Zeitalters, d.h. im Allgemeinen die Französische Revolution, manchmal auch der Beginn der Moderne im engeren Sinn, markiert durch den Ersten Weltkrieg oder die ihm unmittelbar vorausgehenden Kunstepochen. – Dass auch typisch industriegesellschaftliche Relikte sekundär in ein solches konservatives Traditionsverständnis aufgenommen werden können, so dass bestimmte Gegenden, die als NichtLandschaften oder zerstörte Landschaften galten, nun Landschaften im konservativen Sinn werden, hat Höfer 2001 am Beispiel des Ruhrgebietes gezeigt.
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wir einen „Denkmalwert“ zu, und für diesen sind zwar auch z.B. die Seltenheit und die Repräsentativität für eine bestimmte als epochemachend angesehene Stilrichtung wichtig, aber immer und vor allem auch das Alter. Warum ist das Alter an sich ein Wert, warum schätzen wir bzw. der Konservative in uns etwas allein deshalb hoch, weil es alt ist? Gerade nicht, so Martin Greiffenhagen, weil es alt ist, also bejahrt und greisenhaft, sondern im Gegenteil, weil es jung ist, d.h. dem Ursprung nahe, weil es das Frühe und Anfängliche ist.110 „Geschichte ist [für den Konservativismus] Vergegenwärtigung des Ewigen, Repräsentation der Dauer in menschlicher Zeit. Vergangenheit ist somit nicht als das bloß Gewesene von Interesse, sondern als die dem Ursprung nahe Repräsentation ewiger Ordnung.“111 Hier zeigt sich eine interessante Wendung: Die Herder’sche Kritik am Hauptstrom der Aufklärung war vor allem Kritik an der Vorstellung einer allgemeinen, ewigen, zeit- und ortsunabhängigen Menschenvernunft; für ihn und für den Historismus war die Vernunft wesentlich historisch und damit von Kultur zu Kultur eine andere. Im späteren konservativen Denken kehrt dieses Allgemeine und Ewige wieder in Gestalt des Ursprungs, in Gestalt dessen, was vor aller Geschichte liegt. Denn die Geschichte ist nun nicht mehr wie in den beiden Hauptvarianten der Aufklärung und bei Herder ein Aufstieg, sondern ein Abfall von der Reinheit des Ursprungs. Was man dort fand, war nun allerdings nicht die Vernunft, sondern Vor- und Übervernünftiges. Damit können aber auch die verschiedenen Völker wieder in eine Rangordnung gebracht werden. Bei Herder scheint es nicht ganz klar, ob das möglich ist. Auf der einen Seite preist er „die Herrlichkeit Europas“ und bedauert die „Neger“ nicht nur wegen des Schicksals, das ihnen die Europäer bereitet haben, sondern auch, weil sie Mängel aufweisen, die dies offensichtlich nicht nur gemessen mit europäischen Maßstäben sind.112 Auf der anderen Seite aber stehen jener Herrlichkeit und überhaupt allen Vorzügen welcher Völker auch immer in nicht geringerem Maße Mängel gegenüber, und immer wieder betont er, dass jedes Volk nach seiner Art vollkommen ist oder doch sein kann und soll. Er schreibt: „So modifizieren sich die Nationen nach Ort, Zeit und ihrem innern Charakter;
110 Greiffenhagen, 1986: 145. 111 Ebd.: 146. 112 „Lasset uns also den Neger, da ihm in der Organisation seines Klima kein edleres Geschenk werden konnte, bedauern, aber nicht verachten, und die Mutter ehren, die auch beraubend zu erstatten weiß. […] Was sollte ihm das quälende Gefühl höherer Freuden, für die er nicht gemacht war? Der Stoff dazu war in ihm da, aber die Natur wendete die Hand und erschuf das daraus, was er für sein Land und für die Glückseligkeit seines Lebens nötiger brauchte.“ (Herder 1965, Bd. 1: 230)
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jede trägt das Ebenmaß ihrer Vollkommenheit, unvergleichbar mit andern, in sich.“113 Wenn es einen Maßstab gibt, dann den, dass alle ihrem je eigenen, verschiedenen Wesen gerecht werden sollen, und nur zusammen, in ihrer Verschiedenheit, erfüllen die Völker der Erde den göttlichen Auftrag und ist die Landschaft der Erde in ihrer Vielfalt so vollkommen wie nur möglich. In der Ausbildung einer Vielfalt einzigartiger Kulturen liegt das Ziel der Menschheitsgeschichte, in der Realisierung einer Vielfalt einzigartiger Kulturlandschaften die Vervollkommnung der natürlichen Ordnung. Der Maßstab, der sich in der weiteren Entwicklung des Konservativismus herausbildet, ist also das Alter, damit die Nähe zum Ursprung. Das gibt den „alten“ Völkern eine grundsätzliche Überlegenheit. Darum muss man sich alle erdenkliche Mühe geben, das eigene Volk als alt erscheinen zu lassen, insbesondere im Verhältnis zu den offensichtlich noch älteren, denen des Orients. Hier konnte man auf den Gedanken der Degeneration zurückgreifen – auf den Gedanken, der den Zukunftsoptimismus, welcher noch bei Herder herrschte, ablöste. Vor allem aber hat man von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die eigene Geschichte in die geschichtslose Zeit, das „mythologische Zeitalter“, hinein zu verlängern. Das hatte den Vorteil, dass man damit direkt zu dem gelangte, worum es eigentlich ging: zum Ursprung vor aller Geschichte. So wurde Deutschland zum Land der Wälder114 (von denen zu der Zeit, als es zu diesem Land erklärt wurde, aufgrund von jahrhundertelangem Raubbau kaum mehr etwas übrig war). Man musste gerade wegen der relativen Kürze der eigenen (Kultur-)Geschichte nicht so weit zurückgehen wie etwa die „Welschen“, um zum Ursprung zu gelangen, zu dem Vorgeschichtlichen, das der Geschichte einen so überragenden Wert verleiht. – Die eigentliche Geschichte, die Geschichte als sogenanntes Kulturvolk, hob uns aber doch immer noch weit über die „geschichtslosen“ Völker. Das sind, in Abstufungen und aus zum Teil sehr unterschiedlichen Gründen, vor allem die Völker Afrikas und anderer „wilder“ Länder, die Völker Osteuropas und die Nordamerikaner.115 2. Viele Ideallandschaften: Für die Aufklärung gibt es – idealtypisch – eine Ideallandschaft. Diese hat allgemeine Eigenschaften. Gemälde und Schilderungen der Ideallandschaft mussten sich nicht unterscheiden je nach dem Ort, und die Künstler bemühten sich alle um die eine ideale Form. Ein Landschaftsgarten
113 Ebd.: 233. 114 Zur weiteren Geschichte dieser Vorstellung – im Nationalsozialismus – siehe Zechner 2006a, b. 115 Einer recht verbreiteten Auffassung zufolge gibt es in Amerika keine Landschaft.
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in England musste nicht anders aussehen als einer in Deutschland. Für die Romantiker gab es an jedem Ort unendlich viele Möglichkeiten der Poetisierung und damit Verzauberung der Natur, die alle gleichermaßen zum letzten Ziel, zur Annäherung an das göttliche Ganze, führen.116 Jeder wahre Künstler wird auf der Leinwand, im Roman und als Betrachter die Natur auf die ihm eigene Art beseelen, und alle Arten sind prinzipiell gleichwertig. Auch wenn der Künstler der Natur, die er sieht, folgen muss, so ist das Entscheidende doch, dass er diese aus sich heraus neu erschafft, und jeder erschafft sie seinem Inneren gemäß; der konkrete Ort ist sekundär. In der Vorstellung des klassischen Konservativismus dagegen ist für den einzelnen Menschen und jede individuelle Kultur an ihrem Ort nur ein Weg der richtige. Dieser folgt aus den gottgegebenen Verhältnissen des Lebensraums und dem ebenfalls gottgegebenen und in der Tradition weiterentwickelten individuellen bzw. Volks-Charakter. Darum sind nicht wie in der Romantik überall unendlich viele ideale Landschaften möglich, da ja jeder Künstler eine andere malen kann und soll, jeder Wanderer eine andere sehen – wo jede aber, wenn sie gelingen sollte, ideal wäre, d.h. nicht besser möglich. Für das klassisch-konservative Denken gibt es vielmehr an jedem Ort, in jedem Naturraum die eine ideale Landschaft, doch für jede Verbindung von Gemeinschaft und Naturraum ist eine andere die ideale.117 So ergibt sich idealerweise eine Vielfalt von Landschaften nebeneinander im Raum, und jede ist in ihrer Eigenart so vollkommen wie jede andere und jede ist nur an ihrer Stelle die ideale.118 Es gab also zunächst ein allgemeines Bild von Ideallandschaft, und an dessen Stelle tritt nun die Idee der Landschaft als einer individuell gewachsenen, einzigartigen. Im klassischen Konservativismus entwickelten sich so die gedanklichen Voraussetzungen, die Einzigartigkeit verschiedener Landschaften zu entdecken. Für die Landschaftsgärten bedeutet das: Im Geist der Aufklärung wird alles, was nicht dem allgemeinen, ortsungebundenen Landschaftsideal entspricht, entfernt oder verändert. In der Romantik kann die Landschaft durch künstlerische
116 Siegmund 2010: 299. 117 Das späte 18. Jahrhundert „steht [...] unter dem Zeichen einer Wendung zum Besonderen; und diese Wendung – die Aufwertung, heißt das, des Einzelnen, Konkreten, Historischen und Faktischen – führte zu einer geschärften Aufmerksamkeit auf die Detailfarben, das Charakteristische und Individuelle oder National-Typische, das lokal und temporal Bedingte auch in der Sprache. Jede zeitliche Stufe und jede regionale Besonderheit sollten ihr Eigenrecht haben.“ (Michelsen 1987: 227) 118 „Alle Werke Gottes haben dieses eigen, dass, ob sie gleich alle zu einem unübersehlichen Ganzen gehören, jedes dennoch auch für sich ein Ganzes ist und den göttlichen Charakter seiner Bestimmung an sich träget.“ (Herder 1965, Bd. 1: 340)
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Eingriffe noch poetischer gestaltet werden. Landschaftselemente, die dem Ideal des Geheimnis- und Spannungsvollen entsprechen, hebt man besonders heraus oder stellt sie eigens her. Was jedoch der Phantasie wenig Anregung bietet, muss entfernt werden, selbst wenn es die Individualität des Ortes ausmacht. Im Gefolge der konservativen Gegenaufklärung aber kann die Landschaft nicht mehr grundsätzlich umgeformt werden. Vorhandene Elemente werden nur entfernt, wenn sie ohne Bezug zur lokalen Kultur oder Natur sind, und lokale Besonderheiten werden durch gezielte Eingriffe betont.119 Zahllose individuelle Landschaften wurden im 19. Jahrhundert entdeckt. Die über 60 Gegenden im heutigen Deutschland, die sich seitdem „Schweiz“ nennen, dürften diese Ehre zwar überwiegend ihrem romantischen Charakter verdanken. Aber dass sie als individuelle Landschaften entdeckt wurden, als Landschaften, die einen Namen verdienen, hat den eben skizzierten konservativen Hintergrund und nicht einen romantischen.120 Damals wurden nicht nur diese romantischen, sondern überhaupt Gegenden als individuelle Landschaften entdeckt. Was schon vorher als individuelles Gebiet wahrgenommen wurde, war entweder eine politische Einheit, oft nur eine längst vergangene (z.B. das Vogtland, die Altmark) oder es waren (ehemalige) Landschaften im vor-neuzeitlichen territorial-sozialen Sinn (z.B. Dittmarschen). Nun aber wurden eben Landschaften als Individuen wahrgenommen, im Wesentlichen nach ihrer sichtbaren Gestalt. Beispielsweise wurde der Böhmerwald (der heutige Bayerische Wald) als individuelle landschaftliche Einheit aus der „unbestimmten Wildnis“ der „Böhmischen Wälder“ herausgelöst.121 3. Ideale Landschaft ist Kulturlandschaft: Schöne Landschaft gibt es nicht ohne Arbeit; schöne Landschaft ist von Menschen harmonisch-vielgestaltig geformte Natur. Es muss aber, anders als für die Denkwelt der Aufklärung, „konkrete“ Arbeit sein, nicht die „abstrakte“ Arbeit der industriellen Produktion. Diese nimmt auf die lokal-regionalen Besonderheiten keine Rücksicht, nivelliert sie damit weltweit und zerstört so die Eigenart der Landschaft, ohne die sie nicht wahrhaft schön sein kann. Weil durch konkrete Arbeit geformt, ist schöne Landschaft Kulturlandschaft. Damit erhält eine bestimmte Gruppe in der Gesellschaft eine ganz besondere Bedeutung: die der Menschen, welche die Landschaft formen. So sehr die Landschaft der Aufklärung harmonische, also „Gefildelandschaft“ war und nicht Wildnis – es war eher der Mensch als solcher, der die Landschaft bildete, und
119 Siegmund 2010: 299 f., auch 293 ff. 120 Ausführlich zur Entdeckung der „Sächsischen Schweiz“ siehe Dinnebier 2006. 121 Kangler 2009.
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wenn schon von Bauern die Rede war, dann als Teil einer funktionalen Gruppe, der Landwirte, und die „Musterbauern“ der Literatur waren eine rationale Zukunft repräsentierende Landwirte, nicht der Bauernstand. Zudem wurden die Menschen, die in der Ideallandschaft lebten, nicht als diejenigen imaginiert, die diese Landschaft formten, sondern sie lebten eben nur in ihr: die idealisierten Hirten, Sinnbilder eines goldenen Zeitalters der Muße, der Poesie und der Liebe. Der Bauer des konservativen Denkens aber ist nicht nur „Landwirt“, also jemand, der einen bestimmten Produktionszweig betreibt; das tut der Großgrundbesitzer auch und ebenso ein moderner Agrarindustrieller. Bauer ist ein Stand und eine Lebensform.122 Den Bauern gehört das Land, und sie vererben es, es ist keine Handelsware.123 Sie arbeiten für die „Familie“, für den „Hof“, der auf Generationen hin im Besitz der Nachkommen bleibt.124 Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehen in großer Zahl angeblich realistische Schilderungen des ländlichen Lebens. Realistisch sind sie aber nur insofern, als „auf dem Land [...] keine idealen Hirten mehr“ leben, „sondern reale Bauern. Deren Leben und Arbeit wird (in Malerei und Literatur) detailreich und ‚realistisch‘ dargestellt“125.
122 Siehe z.B. Riehl in seinem Buch „Die bürgerliche Gesellschaft“ (1851). Dort beschreibt er die Bauern als eigenen Stand, den er den Kräften der Beharrung zurechnet. 123 „Der Boden an sich hat keinen Werth für [...] den Menschen [...]. Die eigentliche wunderbare, ich möchte sagen göttliche, Eigenschaft des Bodens [...] kommt erst durch langen Umgang desselben Besitzers, derselben Familie, desselben Landesherrn mit demselben Boden zum Vorschein. Da, bekräftigt durch ganze Jahrhunderte, durch den aufgehäuften, edlen Fleiß mehrerer Geschlechter, entwickelt sich eine Liebe, eine Treue, ein Glaube an das Gemeinwesen, eine Innigkeit und Tiefe des Credits, gegen die alle Associationen der Zeitgenossen unter einander locker und lose sind.“ (Adam Müller zit. n. Greiffenhagen 1986: 148.) – Oben (S. 132) wurde ein Zitat von Adam Müller zur Rekonstruktion der romantischen Auffassung herangezogen. Bildet man die Idealtypen so wie hier, kann sein Werk in der Tat nicht als eine Einheit im Hinblick darauf bezeichnet werden, ob es der Romantik oder dem Konservativismus zuzuordnen ist. Das gilt für etliche Autoren. 124 Viel später, in der NS-Ideologie, spielte dies eine zentrale Rolle: „Die bäuerliche Kulturlandschaft kann und darf nur eine gesunde sein, denn der Bauer arbeitet nicht für sich selbst, sondern für seinen Hof und die längste Geschlechterreihe seiner Nachkommen.“ (Wiepking-Jürgensmann 1939) Allerdings war dieser Gedanke dann in einen von der konservativen Landschaftsvorstellung sehr stark abweichenden ideologischen Zusammenhang eingebunden, siehe dazu unten Kap. 7. 125 Gelinsky 2008: 97.
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„Der Blick richtet sich nun weniger auf die als zeitlos schön geltende Ideallandschaft mit ihren antiken Ruinen und idealen Hirten; gesucht werden vielmehr gegenwärtige oder in der Vergangenheit als wirklich existierend angenommene organische Mensch-Natur-Zusammenhänge.“126 Man widmet sich den „zuvor geringgeschätzten konkreten landwirtschaftlichen Details – hierzu zählen der bäuerliche Haushalt, die bäuerliche Arbeit oder konkrete Einzelheiten wie Milch oder Kohl.“127 Auf der anderen Seite sind diese Schilderungen natürlich völlig unrealistisch. Die Bauern dieser konservativen Idealisierung sind nicht das, was die Bauern Europas damals überwiegend noch waren, nämlich Leibeigene. Darum ist der Schauplatz dieser Literatur mit Vorliebe da, wo es noch Reste von „Landschaften“ im territorialen Sinn, d.h. Reste der „alten Freiheit“ der Bauern gibt, etwa in den Alpen und an der Nordseeküste. Bauer bedeutet also in erster Linie nicht eine bestimmte Wirtschaftstätigkeit, sondern eine Lebensform. Diese impliziert aber vor allem eine Herrschaftsform, die patriarchalische. Der Patriarch oder „Hausvater“ herrscht über das „Haus“, dem zugleich seine Fürsorge gehört. Allerlei Verwandte, Knechte und Mägde und auch „Kinder, Pflanzen und Geräte gehören sämtlich zur Familie, die mit dem Haus, ihrer wirtschaftlichen Organisationsform, identisch ist“128. Diese Herrschaftsform ist natürlich. Von Natur aus herrscht der Mann über die Frau, selbstverständlich über die Kinder, aber auch über das Gesinde. Auch wenn die schöne Landschaft Kulturlandschaft ist und nicht unberührte Natur sein kann, so ist sie also doch durch und durch „natürlich geprägt“: Die Arbeit wird zwar von freien, verantwortlichen Menschen ausgeführt; dazu gehören auch die Knechte und Mägde, denn sie sind dies in dieser Ideologie ja freiwillig, sie folgen ihrem Wesen129. Aber die Arbeit muss in jeder Hinsicht Einpassung in das Vorgegebene, also das Natürliche sein, und die Gemeinschaft, die sich einpasst, ist selbst eine natürliche, nämlich eine patriarchalische Gemeinschaft. 4. Ideale Landschaft ist schön und nützlich: Für die Landschaftskunst der Romantik ist das Nützliche prinzipiell störend. Für die Aufklärung kann es von symbolischem Wert sein, nämlich wenn es ein Verweis ist auf die utopische Gesellschaft, in der es vernünftig zugeht, siehe die symbolische Einbindung von rationeller Landwirtschaft in Landschaftsgärten. Für die Ästhetiktheorie des klassi-
126 Ebd.: 98. 127 Ebd. 128 Dedner 1969: 99. 129 Siehe oben S. 143.
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schen Konservativismus aber gibt es Schönheit ohne Nutzen nicht. Die ideale Landschaft ist schön und nützlich zugleich, und vor allem ist sie schön, weil sie nützlich ist. Doch ist nicht jede Art von Nutzen erlaubt, sondern nur der dem Volkscharakter und zugleich dem Charakter des Lebensraums angemessene. Aus dem Gedanken der Bindung des Schönen an das Nützliche folgt die Forderung, dass die Gartenkunst sich letztlich auf das ganze Land ausdehnen müsse, zumindest auf die Gesamtfläche des Besitzes, und dass umgekehrt der Landschaftsgarten nichts prinzipiell anderes ist als die Kulturlandschaft.130 Für Aufklärung und Romantik war das, was außerhalb des Gartens lag, nur von Bedeutung, weil es ästhetisch auf Betrachter wirkte, die aus dem Garten hinausblicken. Aus dem Gedankengut der konservativen Gegenaufklärung aber erwächst die Aufgabe, die Kulturlandschaft als Ganze zur Vollkommenheit – zu Vielfalt, Eigenart und Schönheit – zu entwickeln. Der Gartenkünstler hat im Prinzip keine andere Aufgabe als jeder Landbesitzer. Er hat die Kultur in seinem Verantwortungsbereich weiterzuentwickeln – jeder Landbesitzer sollte Gartenkünstler sein, aber dies gerade dadurch, dass er ein guter Landbewirtschafter ist. Der Unterschied von Kultur im Sinne von Landbebauung und Kultur im Sinne der Sphäre jenseits aller Nützlichkeit verschwindet. Erstere ist nun mehr als nur das, was die physischen Voraussetzungen für Letztere schafft. An die Stelle der künstlerischen Ausgestaltung eines Ortes zum Garten, der dem nicht unter ästhetischen Gesichtspunkten gestalteten Außen gegenübersteht, tritt die Gestaltung der gesamten Gegend im Sinne der Nützlichkeit. Daraus ergibt sich dann die Schönheit von selbst. Das führt später, im 19. Jahrhundert, in der Bewegung der „Landesverschönerung“, zu der Forderung „ganz Deutschland soll ein Garten werden“. Wildnis soll es nicht mehr geben.131 In dieser Bewegung verbinden sich aller-
130 Dies und das Folgende nach Siegmund 2010: 300 ff. 131 Sieferle 1986: 245 schreibt: „Im späten 18. Jahrhundert gab es in Mitteleuropa [...] kaum noch Orte, die nicht die Spuren intensiver menschlicher Veränderung trugen. Die Suche einer Natur jenseits aller Kultur wurde zunehmend vergeblich. Der schroffe Gegensatz von Wildnis und Garten verlor zusehends sein Substrat: im Begriff der Kulturlandschaft oder des Landschaftsgartens verschmolzen beide. Dies hatte Konsequenzen nach zwei Seiten hin. Zum einen rückte die Wildnis in exotische Fernen, zum anderen wurde es jetzt zu einem überflüssigen Geschäft, der Landschaft noch einmal extra den Stempel der Kultivierung aufzuprägen [...] die gewaltsame Geometrisierung [...] wich zunehmend einer sanften Imitation der Natur, dem Englischen Garten.“ Diese Erklärung ist sicher zu einfach. Am Verschwinden unkultivierter Reste in einem physischen Sinn lag es gewiss nicht, dass man nun Wildnis in exotischen Ländern suchte und der Landschaft nicht mehr den „Stempel
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dings konservativ-gegenaufklärerische und aufklärerische Motive, und in den letzteren ist die Kultivierung der Wildnis ja auch von Bedeutung, wenn auch anders begründet und mit anderen Zielen. 5. Konservatives Landschaftsideal und Wildnis: Schöne Landschaft ist also von Bauern („Erbhofbauern“) geformte Kulturlandschaft und kann nicht Wildnis sein. In der unbeeinflussten Natur ist zwar das Potential zur Schönheit enthalten. Bei Herder muss Wildnis notwendigerweise gut sein, denn sie ist von Gott erschaffen. Aber sie ist erschaffen nur als der gute Ausgangspunkt, der Ursprung kultureller Selbstvervollkommnung.132 Dieser Ursprung ist noch nicht entfaltet, die landschaftliche Vollkommenheit und damit Schönheit noch nicht wirklich, nur angelegt. Auch kann zunächst die schöne Landschaft nicht Wildnis enthalten. Das wurde erst möglich in einem späteren Schritt im Rahmen des konservativen Denkens: Der Gedanke der Wildnis als „Jungbrunnen“ des degenerierenden Volkes tauchte auf, zuerst bei Wilhelm Heinrich Riehl (1854).133 Riehls Beispiel für eine Wildnis in unserer kultivierten Landschaft ist der Westerwald. Die „Westerwälder Waldbauern“ beschreibt er so, wie man in jener Zeit im Allgemeinen eine bestimmte Variante der „Wilden“ beschrieb. „In unseren Walddörfern […] sind unserem Volksleben noch die Reste uranfänglicher Gesittung bewahrt, nicht bloß in ihrer Schattenseite sondern auch in ihrem naturfrischen Glanze.“134 Hier sind „die Gegensätze von gut und böse auf unschuldige Weise vereint“.135 Die Waldbauern leben also wie vor dem Sündenfall, und doch leben sie nicht im Paradies, nicht wie die glücklichen Wilden der Südsee. Sie sind stattdessen roh und grob und sie müssen hart arbeiten. Damit stehen sie den überzivilisierten und verweichlichten Großstädtern als dem anderen Extrem
der Kultivierung“ aufdrückte, sondern die Natur sanft imitierte. Denn auf der physischen Ebene war die Zeit vom Spätmittelalter bis ins 18. Jahrhundert hinein durch ein Vordringen der nicht bewirtschafteter Natur gekennzeichnet. Das Ausmaß, in dem im Hochmittelalter der Wald zurückgedrängt worden war, wurde seitdem nie wieder erreicht. 132 Kirchhoff/Trepl 2009: 49. 133 Herausgearbeitet hat das Vicenzotti 2005 (siehe auch Vicenzotti/Trepl 2009), in den Zusammenhang einer Kulturgeschichte der Wildnis eingeordnet hat es Schwarzer 2007, angedeutet findet es sich z.B. bei Sieferle 1986: 248 f.: „Die Beschwörung eines intakten Bauernstandes als Gegengift gegen die Moderne ging [bei Riehl] Hand in Hand mit einer Beschwörung der ‚Wildnis‘[...]“. 134 Riehl 1954a: 31. 135 Vicenzotti 2005: 110.
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gegenüber. Es wäre fatal, gäbe es nur dieses: „Ein durchweg in Bildung abgeschliffenes, in Wohlstand gesättigtes Volk, ist ein todtes Volk.“136 Das Leben in dieser Wildnis steht aber auch dem in der harmonischen Kulturlandschaft gegenüber. Sowohl „(d)er ausstudirte Städter“ als auch „der feiste Bauer des reichen Getreidelandes [...] mögen die Männer der Gegenwart seyn“, jedoch „der armselige Moorbauer, der rauhe, zähe Waldbauer, das sind die Männer der Zukunft“137. Die Bedeutung der Wildnis ist, dass sie der Degeneration der Kultur und der Menschen durch die Kultur den kraftvollen Anfang vor Augen hält. Wir sollen nach Riehl nicht zurück zur Wildnis, nicht Waldbauern werden. Anzustreben ist vielmehr ein Gleichgewicht. Nur wenn „die verschiedenartigen Entwicklungen“ – d.h. Städter, kultivierte Bauern des „Feldlandes“ (Riehl) und wilde Waldbauern – gleichzeitig präsent sind, ergibt sich eine unerschöpfliche „Lebensfülle“.138 Die Idee der Harmonie, die der Landschaft an sich wesentlich ist, wird gleichsam um das Disharmonische erweitert; ohne das Rohe der Wildnis, das immer wieder die Kraft des Ursprungs erneuert, fehlt etwas zur wahren Ausgewogenheit Wesentliches: „Alle Wildniß und Wüstenei ist eine nothwendige Ergänzung zu dem cultivierten Feldland.“ „Wann die Mittagssonne der Civilisation die Ebenen bereits versengt hat, dann wird von den culturarmen Berg- und Hochländern der Odem eines ungebrochenen naturwüchsigen Volksgeistes wie Waldesduft wieder erfrischend über sie hinwehen.“
139
„Wie die
See das Küstenvolk in einer gewissen Ursprünglichkeit frisch hält, so wirkt gleiches der Wald bei den Binnenvölkern. Weil Deutschland so viel Binnenland hat, darum braucht es so viel mehr Wald als England.“140
Die Waldwildnis ist der Jungbrunnen des deutschen Volkes, das heißt, sie hat eine Bedeutung für das Volk. Wildniserleben kann darum kein Sich-Ausleben sein, keine lustvolle Befriedigung irgendwelcher Neigungen des Individuums, wie das im Rahmen liberalen Denkens typischerweise der Fall wäre. „Sie dient vielmehr der Stabilisierung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung und ist somit ein Dienst am Ganzen“.141
136 Riehl 1854: 31. 137 Ebd. 138 Vicenzotti 2005: 96 ff. 139 Riehl 1854: 202. 140 Ebd.: 31. 141 Vicenzotti 2005: 107.
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Wildnis ist also notwendig, weil sie die Kraft des Ursprungs fordert und erhält. Das Leben in der Kulturlandschaft wie in der Stadt hingegen führt zu Verweichlichung. Die Großstadt aber ist nicht nur ein Schritt weiter auf dem Weg der Kulturentwicklung. Sie steht vielmehr für Überzivilisierung. Das aber führt dazu, dass Wildnis einen neuen Ort bekommt und dass eine neue Art von Wildnis entsteht – eine Wildnis, die keineswegs als Jungbrunnen taugt, im Gegenteil, sie vor allem ist es, die die ursprüngliche Wildnis als Jungbrunnen notwendig macht. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, in Deutschland erstmals systematisch und mit großer Wirksamkeit von Riehl, wurde die Wildnis-Idee auf die moderne Großstadt übertragen.142 Nicht die Verweichlichung, sondern die Zügellosigkeit, die Verderbnis der Sitten steht nun im Mittelpunkt der Kritik. Wir sahen bereits, dass das Wesentliche der Wildnis immer schon war, als die Gegenwelt zur moralischen Ordnung der Kultur zu gelten. Eine solche Gegenwelt war die Stadt vor dem 19. Jahrhundert kaum. Klein- und Reichsstädte waren eher Inbegriff moralischen Lebens, Inbegriff von Bürgerfleiß und Sittsamkeit, ja deren Karikatur: Sie waren die Welt der Spießbürger.143 Nur bestimmte Städte, nämlich die Residenzstädte und die wenigen Großstädte, die es gab (Wien, London, vor allem aber Paris) standen für das Gegenteil, die Sittenlosigkeit. Mit der Entstehung der modernen Großstadt im Industriezeitalter wurde eine Kritik an ihr allgemein üblich, in der sie als Wildnis erscheint oder richtiger, als Verwilderung. Die modernen Städte, schreibt Riehl, erstrecken sich „in’s Ungeheuerliche und Formlose“144. Er „spricht von der ‚Monstrosität‘ der Großstädte, die als Ausdruck widernatürlicher und (damit) krankhafter Kultur-Natur-Verhältnisse interpretiert wird“ 145. Hier ist offenbar etwas Merkwürdiges geschehen. Die Wildnis, und das heißt die Natur in ihrer Ursprünglichkeit, kehrt wieder in ihrem extremen Gegenteil, der Überzivilisation der modernen Großstadt. Diese wiederkehrende Natur wird aber als widernatürlich aufgefasst. Wie ist das möglich? Wenn der Begriff der Natur nicht mehr, wie im frühen Rationalismus, sichtbar in den geometrischen Gärten jener Zeit, primär mit der Vorstellung einer mathematischen Ordnung verbunden wird, sondern mit Leben, entsteht eine fundamentale Zweideutigkeit. Leben ist die Harmonie des Organismus, in dem eines ins andere greift, in dem jedes Organ für jedes andere und fürs Ganze sorgt und dieses für das Einzelne. Leben hat aber immer auch eine „gleichgültige, verschwenderische, zerstöreri-
142 Ebd.: 6. 143 Locus classicus: der „Reichsmarktflecken Kuhschnappel“ in Jean Pauls Siebenkäs. 144 Riehl 1854: 77. 145 Vicenzotti 2005: 62.
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sche, feindselige, sich unaufhörlich selbst produzierende“146 Seite. In der liberalen Vorstellung vom Naturzustand des Menschen als eines Krieges aller gegen alle, dessen Basis zwar die Überlebensnotwendigkeit, aber auch die Unersättlichkeit der menschlichen wie jeder Natur ist, hat man diese Seite in den Vordergrund gestellt. Sie taucht auch im konservativen Denken wieder auf als die dunkle Seite der Wildnis. Schon bei Herder – wie überhaupt bei den verschiedensten Strömungen der Aufklärungszeit – ist Wildnis immer ambivalent. Es gibt zweierlei Arten von Wildnis und von Wilden. Für die eine stehen die, deren Welt eher als Paradies denn als Wildnis zu bezeichnen ist; Paradebeispiel sind die Tahitianer. Das andere Extrem sind die eher als wilde Tiere denn als Menschen gezeichneten Feuerländer.147 Ihre Welt ist reine Wildnis und hat nichts Paradiesisches. Nun ist es in gewissem Sinne eine leicht kultivierte Variante dieses letzteren Typs, die im 19. Jahrhundert als Jungbrunnen wichtig wird. An der Härte des Lebens in der rauen Natur, der Rohheit, die es erzeugt und mit der ihm begegnet wird, wird vor allem die Kraft hervorgehoben, an der Sittenlosigkeit die Unschuld, die Sitten nur noch nicht kennt. Die Geschichte der Zivilisierung hat aber eben diesen Charakteristika der Wilden auch ein ganz anderes Gesicht gegeben. Die Maßlosigkeit des wilden Lebens ist von der liberalen Aufklärung zum Prinzip des Fortschritts gemacht worden. Dieser Fortschritt ist eben darum in konservativer Sicht kein weiterer Schritt auf dem Weg der Kultivierung, die für Riehl von der „Waldwildnis“ zum „Feld“ und schließlich zur Stadt des alten (mittelalterlichen) Typs geführt hat. Er stellt „keine Höherentwicklung der Kultur dar, so wie noch die ‚Stadt‘ eine höhere Stufe des ‚Feldes‘ ist. Der maßlose Fortschritt zerstört im Gegenteil die Kultur“148. „Denn Maßlosigkeit bedeutet ja, dass nicht etwa andere Maßstäbe für die Kulturentwicklung gelten, sondern gar keine. Und ohne Maßstäbe, ohne Bindung kann es keine Kultur geben. Bindungslose Entwicklung ist keine Kultur, sondern hemmungslose Triebbefriedigung.“149 Die moderne Großstadt ist also „kein Ort der Kultur“, sondern der „Unkultur“, des „Rückfall[s] hinter die Kultur, eben ein Ort der ‚Verwilderung‘. Diese ist der Rückfall auf eine mit der Kultur längst überwundene Stufe, die Rückkehr zu einem ursprünglichen Zustand, aber ohne dessen gute, unschuldigkindliche Seite.“150 „Die in Frivolitäten hemmungslos ausgelebte Sinnlichkeit und Genusssucht wird von Riehl als Verwilderung empfunden. Er sieht in der
146 Praxenthaler 1996: 67. 147 Siehe obiges Herder-Zitat, S. 152. 148 Vicenzotti 2005: 86 f. 149 Ebd.: 87, Hervorhebung im Original. 150 Ebd., Hervorhebung im Original.
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großstädtischen Verfeinerung des Geschmacks keinen kulturellen Fortschritt, sondern sie erscheint vielmehr als die Ursache der Verwilderung, so dass sie ihm als eine Form von Barbarei gilt (die von der ursprünglichen Barbarei, die auch gute Seiten gehabt hat, zu unterscheiden ist [...]).“151 Der Inbegriff für diese Art von Wildnis, in der das Triebhafte regiert, ist der Dschungel. Er ist maßloses und chaotisches Wuchern, Wimmeln und unkontrolliertes Produzieren.152 So wird die Großstadt zum Dschungel. „In Form einer als Dschungel gedachten ‚zweiten‘ Natur, in die sich die Angst vor der ermächtigten, alle Ordnung verschlingenden Triebnatur153 projizieren lässt, kann eine neue ‚Wildnis‘ entstehen“, der „Asphaltdschungel“.154 Zugleich wird die Großstadt eine Wildnis anderen Typs. Denn es gibt zwei „grundsätzlich mögliche [...] Formen, in denen die Natur als etwas Mächtiges und Starkes eine bedrohliche Wildnis neu hervorbringen kann“155: Dschungel und Wüste. Verdammenswert für den Konservativismus ist nicht nur die Maßlosigkeit der liberalen, sondern auch die in seiner Sicht „lebensfeindliche“ Rationalität der demokratischen Aufklärung. Man denke an die Polemik der Konservativen gegen die das Leben erstickende Bürokratie, die mit der demokratischen (bzw. sozialistischen) Gesellschaft notwendig verbunden sei. Wird das und nicht das Chaotische, Triebhafte an der Großstadt betont, so wird sie zur Wüste, zur „Betonwüste“156.
151 Ebd.: 71. 152 Hoheisel/Trepl/Vicenzotti 2005, Schwarzer 2007. 153 Dieser Begriff ist von Marquard 1979. 154 Praxenthaler 1996: 93. 155 Schwarzer 2007: 83. 156 An dieser Stelle verbindet sich die konservative Großstadtkritik mit einer anderen, die in unserer Typologie als der romantischen nahestehend zu bezeichnen wäre und deren ideengeschichtliche Basis die gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Lebensphilosophie ist. Diese wendet sich „gegen das Tote und Erstarrte, gegen eine intellektualistische, lebensfeindlich gewordene Zivilisation, gegen in Konventionen gefesselte, lebensfremde Bildung, für ein neues Lebensgefühl, um ‚echte Erlebnisse‘, überhaupt um das ‚Echte‘: um Dynamik, Kreativität, Unmittelbarkeit, Jugend. […] Die Differenz zwischen dem Toten und dem Lebendigen wird zum Kriterium der Kulturkritik, und alles Überkommene wird ‚vor den Richterstuhl des Lebens‘ zitiert und befragt, ob es ‚dem Leben dient‘, oder lebenshemmend, lebensfeindlich ist.“ (Schnädelbach 1999: 172, Hervorhebung im Original) Diese Auffassung spielte in der sogenannten Lebensreformbewegung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle. Elemente dieser Philosophie waren aber auch in der NS-Ideologie wirksam, um die es im folgenden Kapitel geht.
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6.4 R ÜCK -
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AUSBLICK
Es wurden nun vier idealtypische weltanschauliche Positionen umrissen, nämlich liberale und demokratische Aufklärung, Romantik und Konservativismus. Damit scheint mir das Grundgerüst der Ideenwelt der Moderne besser erfasst als mit anderen, ebenfalls möglichen idealtypischen Skizzierungen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Idee der Landschaft. Die ersten beiden – die aufklärerischen – und die zweite der als gegenaufklärerisch beschriebenen Positionen sind explizit politisch. Ihre Beziehung wurde vereinfachend so dargestellt, dass auf die Defizite der einen (Liberalismus) innerhalb des aufklärerischen Lagers reagiert wird und so die demokratische Aufklärung entsteht, dass sich darauf eine Position bildet, die die Aufklärung insgesamt ablehnt und die sich in zwei Richtungen spaltet, die romantische und die konservative. Man könnte die Beziehungen aber auch so darstellen, dass auf die Defizite der einen (Liberalismus) reagiert wird und so eine zweite Position (Konservativismus) entsteht, und durch Reaktion auf die Mängel beider entsteht eine dritte (demokratische Aufklärung).157 Die vierte dieser Positionen, die romantische, steigt gewissermaßen aus diesem Spiel aus, sie wendet sich von allem Politischen ab. Diese Darstellung hinterlässt sicher bei manchem Unbehagen, möglicherweise auch Hilflosigkeit. Man rechnet sich vielleicht einer bestimmten politischen Richtung zu, und nun wird man auf Abgründe hingewiesen, die in ihr stecken. Mit Richtungen, die man bisher meinte strikt ablehnen zu müssen – vielleicht den Konservativismus – sind Auffassungen insbesondere des Verhältnisses zu Natur und Landschaft verbunden, die auch die eigenen sind; was man heute „ökologisch“ nennt, ist in vielerlei Hinsicht hier einzuordnen. Ist man nun zu einem radikalen Relativismus gezwungen? Kann man für nichts mehr sein, erstens, weil jede Position sowohl Recht als auch Unrecht hat, und zweitens, weil man bei genauerer Betrachtung seiner selbst jede in sich findet? Lähmt eine solche Art der Analyse nicht völlig, kann man im praktischen Leben für nichts mehr eintreten? Diese Konsequenz ergibt sich nicht. Hier ist nicht der Platz, das Thema zu vertiefen, ein paar Bemerkungen sollen reichen. Ich selbst habe, das wird man bemerkt haben, bei allem Bemühen um eine Darstellung, die nicht Partei ergrei-
157 Genauer, auch die Frage der Veränderlichkeit dieser Positionen betreffend, und zwar dadurch, dass mit der Entstehung einer weiteren Position neue Gegnerschaften gegeben sind, auf die reagiert werden muss, so dass eine historische Dynamik der Differenzierung und Neukombination entsteht, siehe Kap. 2 in Vicenzotti 2010, insb. 2.2., sowie Eisel 1999.
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fen, sondern das Gegeneinander der Parteien verständlich machen will, Präferenzen. Aber ich habe auch darauf hingewiesen, dass am Beginn der demokratischen Aufklärung die Schreckensherrschaft der Jakobiner stand, und man kommt auch nicht umhin zuzugeben, dass die Stalinschen Lager in der Tradition dieser Variante der Aufklärung stehen. Natürlich kann man die Idealtypen auch so bilden, dass diese Linie nicht mehr als Teil dieser Variante sichtbar ist. Man kann, anders als es Max Weber forderte, moralisch einwandfreie Typen bilden, so wie es etwa jemand macht, der sich als wahren Christen versteht und dann den Hexen- und Ketzerverbrennern den Titel „Christ“ abspricht. Auch so etwas hat seinen Sinn. Wenn man es aber nur so macht und nicht auch so, wie es hier geschah, übersieht man Risiken der eigenen Auffassung, die man besser nicht übersehen sollte. Man muss, egal welcher der großen, epochalen Richtungen man zuneigt, wissen, dass jede in einer Weise ausgeformt sein kann, die in der Geschichte Berge von Leichen hinterlassen hat. Man denke an die Scheiterhaufen der Inquisition, die ja zu der guten alten Welt gehören, die der Konservativismus verteidigt und der die Romantik nachtrauert, und man mache sich klar, dass es Zustände des Grauens gab, die der real existierende Liberalismus förderte und verteidigte, die denen in den Stalinschen Lagern nicht nachstanden: die Kinderarbeit in den Fabriken und Bergwerken Englands158, von den Leichenbergen, die Folgen liberaler Politik in den außereuropäischen Gebieten waren, ganz zu schweigen. Man muss aber gar nicht so weit, bis zu solchen Abgründen, gehen. Positionen, wie sie hier als Idealtypen beschrieben wurden, lassen sich ja in ihrer Reinform im Leben kaum durchhalten: Sie werden platt. Alle bedeutenderen Denker haben darum versucht, die Wahrheiten der jeweils anderen Richtungen in ihre Systeme zu integrieren. Das – und weniger, dass die Geschichte dafür noch nicht reif war – scheint mir z.B. der Hauptgrund, weshalb es unter den großen Aufklärern kaum Atheisten gab159, obwohl man doch schwer umhinkommt zu sagen, eine idealtypische Aufklärung führe eben zu dieser Position. – So zu verfahren, vermeidet auf jeden Fall die Lähmung, die dadurch entsteht, dass man alles gleichermaßen gelten lässt. Es gibt aber auch Weisen der Integration von Elementen der verschiedenen anderen Grundpositionen oder der Verknüpfung von Elementen verschiedener Positionen überhaupt, die nicht zu einer umsichtigeren und ethisch eher zu legitimierenden Haltung führen, sondern zum Gegenteil. Um die wichtigste davon
158 Das klassische Werk dazu: Die Lage der arbeitenden Klasse in England von Friedrich Engels (1845). 159 Das soll nicht bedeuten, dass eine atheistische Integration der Wahrheiten der anderen – konservativen, romantischen – Richtungen unmöglich wäre.
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wird es im folgenden Kapitel gehen: die nationalsozialistische. In ihr ist die Landschaft von ganz besonderer Bedeutung. Von den Landschaftsideen der zweiten Hälfte des 19. und der ersten des 20. Jahrhunderts werde ich nur die nationalsozialistische behandeln, und zwar aus dem einfachen Grund, dass ich mich für die anderen nicht kompetent genug fühle, und nicht nur dies: Die wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Ideen scheint insgesamt noch nicht so weit vorangeschritten, dass eine zusammenfassende Darstellung wie bei den hier besprochenen Ideen möglich wäre. Insbesondere ein Thema wird hier nicht behandelt, das für unser heutiges Landschaftsverständnis von großer Bedeutung ist, nämlich wie es mit der Landschaft in dem Denken weiterging, das man als das moderne im engeren Sinne bezeichnen kann. Was bedeutet es z.B., dass in der arrivierten Kunst seit über 100 Jahren Landschaft so gut wie kein Gegenstand mehr ist160 oder sie doch nur in sehr gebrochener Form dargestellt wird?161 Und wie verhält es sich dazu, dass gleichsam auf einem tieferen Niveau – etwa in der Werbung und in Trivialfilmen – und damit wohl im Allgemeinbewusstsein Landschaft präsenter ist als je zuvor? Diese Themen werden also hier übergangen; wir befassen uns nun mit der nationalsozialistischen Landschaftsidee.
160 Lesenswert dazu und mit der prinzipiellen Sicht dieses Buchs übereinstimmend: Kap. V „Die Schließung des Horizonts“ in Koschorke 1990. 161 In der Literatur, der belletristischen, der weltanschaulichen und der wissenschaftlichen, ist beginnend um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert ein starker Anstieg von Werken zu verzeichnen, die Landschaft im Titel führen. Er wird in den ersten Jahrzehnten – zu einer Zeit, als Landschaft in der bildenden Kunst schon kaum mehr möglich war – überwiegend getragen von der schönen Literatur. Aus dieser verschwindet, nach einem Höhepunkt in der NS-Zeit, das Landschaftsthema nach dem 2. Weltkrieg fast völlig bzw. Landschaft taucht nur noch in ironisierender oder in anderer Weise verfremdet auf. Dafür beginnt in dieser Zeit ein steiler Anstieg der Thematisierung von Landschaft in fachwissenschaftlicher Literatur, und zwar ganz überwiegend geografischer und landespflegerisch-naturschützerischer; in kunst- und kulturwissenschaftlicher, die vorher von größerer Bedeutung war, war der Höhepunkt bereits wieder überschritten. Das gilt für die deutschsprachige Literatur. Diejenige anderer Sprachen, auch die englische, war bis in die 60er Jahre demgegenüber ganz unbedeutend (Hard 1969, siehe auch oben S. 35).
7. Blut und Boden: die NS-Landschaftsidee
7.1 V ORBEMERKUNGEN Die Landschaftsidee des Nationalsozialismus ist nicht nur für Deutschland von Bedeutung und sie ist auch nicht nur historisch interessant; nicht nur für Deutschland, denn in anderen modernen Gesellschaften gab es die NS-Ideologie ebenfalls, auch wenn sie nicht eine vergleichbare Vorherrschaft erlangte, und es gab ähnliche Konstellationen von Denkfiguren auch im Rahmen anderer Ideologien. In Deutschland aber hatte das nationalsozialistische Landschaftsverständnis größten Einfluss, und es hatte und hat ihn insbesondere auf den professionellen Umgang mit der Landschaft, vor allem die Landschaftsplanung, und zwar bis heute. Das soll nicht heißen, dass es heute noch eine Prägung von deren Fachideologie durch die NS-Ideologie gäbe. Zwar wurde manches weitergeführt, was damals seinen Anfang nahm und was ohne diese Ideologie nicht hätte anfangen können. Dazu gehört nicht zuletzt, dass Landschaftsplanung überhaupt als eine wichtige gesamtstaatliche Aufgabe angesehen wird. Aber die Inhalte haben sich doch so verändert, dass man keineswegs von einer Fortexistenz des nationalsozialistischen Landschaftsverständnisses sprechen kann – auch wenn es nicht nur insofern einen bruchlosen Übergang von der Zeit des Nationalsozialismus in die ersten Jahrzehnte der BRD gab, als die Gesetzgebung die Zeit der NS-Herrschaft überdauerte, sondern auch die führenden Vertreter der „Landespflege“ in Amt und Würden blieben und die Neuausrichtung des Faches stark beeinflussten.1
1
Wiepking (Wiepking-Jürgensmann) war Professor für Garten- und Landschaftsgestaltung an der Berliner Universität, ab 1941 Sonderbeauftragter des Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums im Osten, nach dem Krieg war er Professor für Landespflege, Garten- und Landschaftsgestaltung an der Universität Hannover. Mäding war Referent für Landschaftsplanung im genannten Reichskommissariat, nach dem Krieg Dezernent für Landschaftsgestaltung beim Deutschen Gemeindetag. Seifert war Professor an der Technischen Hochschule München, in der NS-Zeit „Reichsland-
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Eher besteht die Bedeutung jenes Landschaftsverständnisses für die heutige Landschaftsplanung darin, dass sich deren Geschichte – in Deutschland! – nur verstehen lässt als Reaktion darauf, als eine Reihe mehr oder weniger gelungener Versuche, sich davon zu distanzieren.2 Die Idee der Landschaft war für den Nationalsozialismus von größter ideologischer Relevanz.3 „Es gibt nichts Kennzeichnenderes für ein Volk als die Landschaft, die es sich schuf, in der es arbeitet und wohnt. An der Landschaft erkennen wir des Volkes ganzes Wesen bis in die letzten Ausstrahlungen seiner Seele, all seiner Gefühle hinein. Messerscharf trennen sich in der Landschaft die Geister und Kräfte menschlicher Rassen.“4 Die Geografie, die Wissenschaft, die sich damals wesentlich über den Begriff der Landschaft definierte und innerhalb derer, anders als heute, der weit überwiegende Teil der Forschung zu diesem Thema stattfand, hatte in der Zeit, in der sich die NS-Ideologie entwickelte und durchsetzte, einen Rang, den man sich angesichts der jetzigen Randstellung dieses Faches kaum mehr vorstellen kann.5 Das für das nationalsozialistische Denken zentrale Schlagwort war „Blut und Boden“. Auch wenn „Landschaft“ darin nicht vorkommt – in der Blut-und-Boden-Theorie ist die überragende ideologische Rolle, die der Landschaft zukam, auf den Punkt gebracht. Wir müssen darum auf diese Theorie ausführlicher eingehen. In der Gedankenwelt des Liberalismus ist die Landschaft kaum relevant. In der anderen einflussreichen progressiven Weltanschauung, der demokratischen Aufklärung, kommt der Landschaft, das sollte deutlich geworden sein, zwar durchaus eine Rolle zu. Immerhin war der Gedanke der Tugend im demokratischen Sinn ein wesentliches Motiv bei der Entstehung des Landschaftsgartens. Auch gab die kantische Deutung des Erhabenen, die man dieser Traditionslinie zuordnen kann, dem Anblick bestimmter landschaftlicher Phänomene einen ho-
schaftsanwalt“, nach dem Krieg u.a. Bundesleiter bei Bund Naturschutz in Bayern, der wichtigsten Vorläuferorganisation des BUND, und Träger des Bundesverdienstkreuzes. Ausführlich siehe Gröning/Wolschke-Bulmahn 1987, zu Seifert vor allem Reitsam 2001. 2 3
Ausführlich dazu siehe unten Kap. 8. Hard 1969 hat das Interesse am Thema Landschaft in der Zeit von 1886 bis 1965 anhand der Zahlen von Buch- und Aufsatztiteln untersucht. Es gab in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ein „sehr breite[s], überfachliche[s] Interesse an der ‚Landschaft‘“ (S. 258), das anfangs vor allem „ästhetisch-literarisch“ und später „weltanschaulich“ dominiert war (ebd.).
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Wiepking-Jürgensmann 1942.
5
Vgl. Schultz 1980.
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hen Rang: Man wurde sich anhand ihrer der höchsten Bestimmung des Menschen bewusst. Aber auch hier nimmt sich die Bedeutung der Landschaftsidee eher bescheiden aus, vergleicht man sie mit dem, was man mit ihr in den Weltanschauungen verbindet, die man gewöhnlich als nicht-progressiv einordnet: der romantischen, der konservativen und eben auch der nationalsozialistischen. In der konservativen Weltanschauung hatte Landschaft eine ähnlich überragende Bedeutung wie im Nationalsozialismus. Aber es war eine ganz andere. Das wird oft, vielleicht sogar meist falsch gesehen: Man hält die nationalsozialistische Ideologie für eine Radikalisierung der konservativen, also für im Wesen gleich, für nicht qualitativ unterschieden, sondern nur quantitativ.6 Was die einen halbherzig, zögernd vertreten hätten, sei von den anderen bis zu den letzten Konsequenzen getrieben worden. In dieser Auffassung sieht man sich dadurch bestätigt, dass zahlreiche prominente Konservative den Nationalsozialismus zumindest zunächst begeistert begrüßten. Man denke an Martin Heidegger und Carl Schmitt oder an für unsere Fragen wichtige Personen wie den Architekten und Heimatschützer Paul Schultze-Naumburg, den „Reichslandschaftsanwalt“ Alwin Seifert und den Naturschützer Walther Schoenichen. Bestätigt sieht man sich auch dadurch, dass zumindest bei flüchtiger Betrachtung die Radikalisierungsthese für bestimmte Themen eine gewisse Plausibilität zu haben scheint, etwa für Autorität, Nationalismus oder Militarismus. Dennoch ist diese These falsch. Der Unterschied ist qualitativ, die Struktur beider Ideologien unterscheidet sich grundlegend. Das erkennt man an der jeweiligen Idee der Landschaft besonders deutlich. Um einen ersten Hinweis zu erhalten, muss man sich nur das Verhältnis beider zum technischen Fortschritt vor Augen führen. Für die konservative Zivilisationskritik bedeutet dieser die Zerstörung von Landschaft, also von organischen Land-und-Leute-Einheiten. Nun ist die Haltung des Nationalsozialismus zu solchen Einheiten, so scheint es, nicht weniger positiv, sie ist geradezu euphorisch; man denke an den Germanenkult und überhaupt die Verklärung eben jener Gesellschaften mit „alter Freiheit“, die auch die konservative Zivilisationskritik verklärte. Doch was eine solche Land-und-Leute-Einheit ausmacht, darin unterschied man sich doch in sehr wichtigen Punkten, wie gleich deutlicher werden wird. Vor allem aber fällt auf, dass das Verhältnis des Nationalsozialismus nicht nur zur (traditionellen deutschen) Landschaft, sondern auch zum technischindustriellen Fortschritt euphorisch war; keineswegs wurde darin die Gefahr für die Landschaft gesehen. – Wie war das möglich? Wie ließ sich in der NS-
6
In unserem Kontext macht das z.B. Bramwell 1985.
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Ideologie vereinen, was für den Konservativismus unversöhnliche Gegensätze waren? Sie zu vereinen wurde möglich durch eine rassistische Umdeutung der Idee der Land-und-Leute-Einheit. Eben diese Umdeutung nahm die Blut-und-BodenTheorie vor. Es war der Rassismus, der die Verbindung von Heimatkult und Technikeuphorie ermöglichte, und er ermöglichte auch die Verbindung mit einem territorialen Expansionismus, wie er in der konservativen Landschaftsvorstellung unmöglich war.7 Denn für diese war wesentlich, dass ein bestimmtes Volk mit einem bestimmten Land eine Einheit bildet. Das implizierte, dass es nicht erlaubt sein konnte, seine Heimat zu verlassen, gar andere aus ihrer Heimat zu vertreiben. Denn jedes Volk hat ein Recht auf sein Land; Volk und Landschaft waren ja gewissermaßen gemeinsam gewachsen, und zwar dadurch, dass das Volk seinem Auftrag nachkam, das Land zu kultivieren. Dieser Auftrag war göttlich, verlieh also ein unbedingtes Recht. Zahllose Romane seit dem 19. Jahrhundert, vor allem in der Trivialliteratur, zahllose Bühnenstücke, die meist „Volkstheater“ heißen, und Heimatfilme des 20. Jahrhunderts verkünden immer wieder zwei Botschaften: wie dumm doch die Jugend ist und wie verwerflich ihr Verhalten, wenn sie sich von den Verlockungen der großen Welt dazu bringen lässt, ihre Heimat zu verlassen und das Glück woanders zu suchen (oft kehren die Helden am Ende reumütig zurück); und wie rühmenswert die Standhaftigkeit und Weisheit derer ist, welche die Heimat gegen den Ansturm des Fremden und seine Verlockungen verteidigen. Es war der Rassismus, der diese Denkfigur aufbrach. Wenn das so ist, dann dürfte der klassische Konservativismus nicht rassistisch gewesen sein. Dagegen wird man vielleicht Einspruch erheben. Liegt es nicht im Wesen einer Denkweise, die die Menschen auf die eigene Gemeinschaft verpflichtet statt wie die Aufklärung auf die Menschheit, alles außerhalb dieser Gemeinschaft herabzumindern? Oder doch wenigstens in der Distanz zu allem Fremden, selbst wenn man es achten sollte, einen Wert an sich zu sehen? Und war nicht die Geburtsstunde
7
In der Geschichte der Expansionsideologie spielte die Theorie des damals hochberühmten Münchener Geografen Friedrich Ratzel (1844-1904) eine herausragende Rolle. Diese Theorie, die eine „Wiedervereinigung“ der Menschheit durch den europäischen Imperialismus voraussagte und propagierte, bezog sich noch nicht auf eine „nordische Rasse“ und sprach auch dem deutschen Volk keine besondere Rolle zu. Ratzels Theorie wurde von dem Geografen Karl Haushofer (1869-1946) weiterentwickelt („Volk ohne Raum“). Dieser gilt als Wegbereiter der nationalsozialistischen Lebensraumideologie und Expansionspolitik. Vgl. z.B. Bensch 2008, Eisel 1980, Rössler 1990, Schultz 1989.
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des modernen Konservativismus, die man in die Zeit der Französischen Revolution und der napoleonischen Herrschaft setzen kann, zugleich der Beginn eines glühenden, gegen die Franzosen gerichteten Fremdenhasses? Nun, das alles muss nichts mit Rassismus zu tun haben. Heute wird dieser Begriff oft so undifferenziert gebraucht, dass er alles bezeichnet, was mit pauschaler Ablehnung irgendwelcher Gruppen von Menschen zu tun hat. Wir müssen darum fragen, was Rassismus ist und was das Besonderes des NS-Rassismus ist.
7.2 D ER NS-R ASSISMUS Den Rassismus könnte man in einer ersten Näherung so definieren: Er ist eine der Auffassungen, denen zufolge das Wesen des Menschen in seiner Biologie liegt, und zwar liegt es für den Rassismus in der biologischen Vererbung. Heute sagt man, es liege in den Genen, früher, als man von den biologischen Vorgängen um die Weitergabe von „Erbanlagen“ nichts wusste und oft meinte, sie seien im Blut lokalisiert, sagte man statt Gene Blut, sprach von „Blutsbanden“ usw. Unter „Wesen des Menschen“ könnte man Folgendes verstehen: das, was den Menschen als Menschen ausmacht, was ihn über die Natur hebt, seine geistigseelischen und moralischen Eigenschaften. Dass sie „in seiner Biologie liegen“, bedeutet, dass sich weder durch eigene Anstrengung noch durch die Anstrengung von Erziehern etwas daran ändern lässt, wenn es bei jemandem an den Eigenschaften, die das Wesen des Menschen ausmachen, mangelt. So wenig sich die Rassemerkmale eines Dackels in dieser Weise verändern lassen, etwa die kurzen, krummen Beine durch Bemühungen sei es des Dackels selbst, sei es seines Trainers in Windhundbeine umformen lassen, so wenig lässt sich bei Menschen gegen die Rassemerkmale Dummheit oder Verschlagenheit etwas ausrichten8 – außer mit biologischen Mitteln, insbesondere der Züchtung (heute Genund andere Biotechnologien).9 Es ist natürlich ein großer Unterschied, ob man Fähigkeiten wie die Intelligenz im Erbgut verankert sieht oder den Wert als Mensch. Ersteres ist eine Frage der Definition von Intelligenz und auf dieser Grundlage eine empirische Frage,
8
„Hat der Mensch die falsche Natur(-basis), weil er einer niederen Rasse angehört, so hat er unausweichlich, nämlich von Natur aus, keine Möglichkeit der Höherentwicklung und auch keine der geschichtlichen und persönlichen Gleichberechtigung.“ (Bensch 2008: 165, Hervorhebung im Original)
9
Ausführlich dazu siehe das Kapitel „Konstruktionen des Rassebegriffs“ in Bensch 2008: 101 ff.; dort weitere Literatur.
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d.h. man kann durch vergleichende Beobachtung und Experimente herauszufinden versuchen, ob das so ist. Letzteres ist keine empirische Frage. Hinsichtlich des ersteren haben sich all die vermeintlichen Evidenzen, die man aus der unterschiedlichen kulturellen Entwicklung der verschiedenen Rassen hernehmen zu können meinte, in Luft aufgelöst.10 Dafür bemüht man sich heute mit einem Eifer wie seit Jahrzehnten nicht mehr, biologisch bedingte Unterschiede nicht zwischen Rassen, sondern zwischen Individuen zu finden. Sie gehören keiner Rasse mehr an, sondern jeder ist ja, dem neoliberalen Zeitgeist entsprechend, nichts als ein Individuum; Individuen sind einmalig, und so ist er auch biologisch einmalig. Im Konkurrenzkampf gegen alle anderen muss er nun auch BioTechniken einsetzen, etwa indem er verhindert, dass die eigenen Kinder mit Genen auf die Welt kommen, die ihre Karrieretauglichkeit beeinträchtigen könnten.11 Rassistische Gedanken sind in der Geschichte der Menschheit sicher häufiger aufgekommen, sie sind aber keineswegs seit eh und je von Bedeutung gewesen. Viele glauben das ja: Sie seien selbstverständliche Implikationen einer allgemein-menschlichen Neigung – manche mögen sogar von einem Gesetz sprechen –, sich in Gruppen zusammenzuschließen und sich gegen andere Gruppen abzugrenzen. Angenommen, es gebe tatsächlich eine solche allgemein-menschliche Neigung, so muss sie sich ja keineswegs an biologischen, d.h. im genannten Sinn unveränderlichen Eigenschaften festmachen, und das war offenbar in der europäischen Geschichte auch meist nicht der Fall. Hätte man im Jahre 800 n. Chr. einen Franken gefragt, wer ihm näher stünde, wer ihm „ähnlicher“ sei, ein weißer Sachse oder ein schwarzer Äthiopier, man hätte wahrscheinlich die Antwort
10 Bei denjenigen Fähigkeiten, auf die es heute allein ankommt, also denen, die einen „Leistungsträger“ ausmachen, lässt sich keinerlei Unterschied zwischen den Rassen ausmachen, und entsprechend bunt gemischt sind auch die Chefetagen, wenigstens im Prinzip; dass manche Rassen noch aufholen müssen und dies auch können, ist allgemeine Überzeugung. Der Kampf der Rassen ist – wieder – vom Kampf der Kulturen abgelöst. 11 Es gibt eine „Form des liberalistischen Sozialdarwinismus“, die schon älter ist, aber vor allem gegenwärtig Konjunktur hat und „gänzlich ohne ‚Rasse‘ auskommt. Diese neoliberale Form betont den Einzelnen, keine Völker und keine Rasse. Hier geraten Gene und Gentechnik anstatt altmodische Züchtungsutopien in den Vordergrund. Auch wenn nicht mehr von ‚Züchtung‘ die Rede ist, so stimmt diese Form des Sozialdarwinismus insofern mit dem Rassismus überein, dass [!] es sich in beiden Fällen um einen Biologismus handelt: Gene werden als Träger sozialer Leistungen angesehen.“ (Bensch 2008: 74, unter Berufung auf Weingart et al.)
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bekommen: der Äthiopier. Denn der war Christ und der Sachse war Heide. So teilte man während der längsten Zeit unserer abendländischen Geschichte die Menschheit ein, wenn eine nicht-belanglose Einteilung gefragt war. Im 17. und noch im 18. Jahrhundert kämpften in Nordamerika keineswegs „Weiße“ gegen „Rote“ (in Südamerika sowieso nie), sondern entweder Christen gegen Heiden oder Zivilisierte gegen Wilde. Dass die Einwohner dieses Kontinents nicht „weiß“ sind, hat man wahrscheinlich gar nicht bemerkt, oder vielleicht sollte man besser sagen: Die weiße Rasse war noch nicht erfunden. Warum beginnend mit dem 18. und dann vor allem im 19. Jahrhundert rassistische Vorstellungen entstanden und kurz darauf das allgemeine Denken völlig dominierten, kann hier nicht behandelt werden.12 Nur einen Hinweis möchte ich geben. Mit dem Niedergang des Religiösen in der Zeit der Aufklärung entstand ein Problem: Was ist der Sinn all unserer Anstrengungen, wenn mit dem Tod doch alles vorbei ist? Darum verbreiteten sich damals andere Vorstellungen vom ewigen Leben als die, von denen man sich verabschiedet hatte. Eine ist aus der Literatur jener Zeit gut bekannt: Die Verewigung im Geist der Menschheit hatte eine gewaltige Konjunktur. Das war aber nur wenigen möglich, Dichtern etwa. Wenn das Wesen des Menschen allerdings im biologischen Erbgut liegt, dann kann jeder ewig leben, auch wenn es ein ewiges Leben im Himmel nicht mehr gibt, denn man lebt in der Rasse weiter.13 Dazu hat sicher der Aufstieg der Naturwissenschaft wesentlich beigetragen. Wissenschaft hat etwa von den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts an (in Deutschland) die Philosophie als „führende Bildungsmacht“14 verdrängt, und innerhalb der Wissenschaft wurde der Geschichtswissenschaft der erste Rang allmählich durch die Naturwissenschaft streitig gemacht.15 Ihr Einfluss wurde schließlich so beherrschend, dass man ihr
12 Eine berühmte, inzwischen klassische, aber fragwürdige Erklärung findet man in dem Totalitarismus-Buch von Hannah Arendt (Arendt 2008, englisches Original 1951). 13 Später dichtete man dieses Denken den vermeintlichen Vorfahren an, wie der Verfasser des Buches Um Blut und Boden, der NS-Landwirtschaftsminister Darré: „So kommt der Same aus der Ewigkeit und reicht in die Ewigkeit weiter, wenn die Träger der Erbmasse ihr dienen: von Ur zu Ur! Daher ist diese Erbmasse in der Vorstellung der Germanen nicht einem ‚Werden‘ unterworfen, sondern sie ‚ist‘“. „Die Überzeugung von der Ewigkeit ihrer Erbmasse, sofern die Gesetze der Vererbung beachtet werden, ist der Kernpunkt zum Verständnis aller germanischen Weltanschauung. Die Erbmasse, d.h. der Samen, ist nach germanischer Auffassung göttlichen Ursprungs [...].“ (Darré 1933/34: 80 f.) 14 Schnädelbach 1983: 49. 15 Kap. 2 und 3 in ebd.
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sogar in Fragen, die sie nicht einmal stellen kann, nämlich solchen, die sich auf den Sinn des Lebens richten oder auf den Wert des Menschen, Antworten zutraute. Rassistische Ideologien gibt es mehrere. Die Frage ist, was die Besonderheit des nationalsozialistischen Rassismus war.16 Sie lag zunächst darin, dass sie den Gedanken der biologischen Überlegenheit mit dem der Abstammungsgemeinschaft verband und so zur Idee der reinen Rasse kam. Das war es, was es ihr erlaubte, „Blut“ mit „Boden“ zu verbinden. Beide Verbindungen sind im Rassismus keineswegs selbstverständlich. In der liberalistischen Variante des Sozialdarwinismus – einer um die Wende zum 20. Jahrhundert überaus einflussreichen Ideologie, deren Grundgedanke darin besteht, dass sich soziale Leistungsfähigkeit biologisch vererbt – wird der Ausleseprozess so gedacht: Ständig „wechseln die Merkmale, die sich im Kampf ums Dasein als vorteilhaft erweisen. Im freien Spiel der Kräfte eines Konkurrenzgeschehens werden die unter den jeweiligen Bedingungen Tüchtigsten und Stärksten positiv selektiert. [...] Die Evolution selbst erzeugt sich immer wieder wandelnde Bedingungen, in denen Stärke und Tüchtigkeit mit immer wieder anderen Merkmalen belegt werden. Diejenigen Kämpfer gelten als die besten, die individuell am meisten für sich leisten [...].“17. So wird es im Rahmen rassistischer Ideologien möglich, durch Mischung von Rassen eine Höherzüchtung erreichen zu wollen. Eine bestimmte sich dabei ergebende Kombination von Erbanlagen kann ja in bestimmten Umwelten besonders günstig sein. Denn unter den genannten Voraussetzungen ergibt die Vorstellung einer notwendigen Verbindung von Reinheit und Stärke der Rasse keinen Sinn. Soll sie einen Sinn ergeben, dann muss angenommen werden, dass es Eigenschaften gibt, die immer, gleichgültig unter welchen Umweltbedingungen, überlegen sind.18 Nur dann kann man mit deren Weitergabe das Ziel der Vervollkommnung einer Rasse verfolgen.19
16 Vgl. hierzu und zum Folgenden Kap. 4.1 „Grundzüge der Konstruktion der ‚nordischen Rasse‘ im Nationalsozialismus“ in Bensch 2008: 143 ff. 17 Bensch 2008: 101. 18 Diese Annahme ist nicht mit der Darwinschen Theorie in Übereinklang zu bringen. Vielmehr hat damit ein den Gedanken der Rassereinheit vertretender Rassismus „die Rahmenbedingungen [...] des Darwinismus [...] verlassen. Es gibt [im Darwinismus] keine Genealogie stets erfolgreicher, d.h. umweltunabhängiger (Rasse-) Merkmale.“ (Ebd.: 102) 19 Bensch 2008: 102. – Man hat unter den Sozialdarwinisten im weiteren Sinne zwischen Rassenanthropologen und Rassehygienikern unterschieden. Letzteren ging es um die Verbesserung der biologischen Grundlagen sozialer Leistungsfähigkeit durch gezielte
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Derart konträre Auffassungen innerhalb des Rassismus – Reinheit und Mischung – waren aus folgendem Grund möglich: Man verbindet gemeinhin in dem Begriff der Rasse zwei ganz verschiedene Dinge. Unter einer Rasse kann man sich all diejenigen denken, die genetisch (im biologischen Sinn dieses Begriffs: ähnliche Kombinationen von Genen) bzw. in genetisch bedingten phänotypischen Merkmalen einander ähneln. Das wären etwa alle mit schwarzer Hautfarbe unabhängig davon, ob die dieses Merkmal bedingenden Gene von gemeinsamen Vorfahren stammen oder parallel entstanden sind. Man kann unter eine Rasse aber auch all diejenigen verstehen, die dieselben Vorfahren haben. Einer solchen Abstammungsgemeinschaft, z.B. den Nachkommen eines bestimmten Menschen, können aber hinsichtlich ihrer Genausstattung sehr unähnliche Individuen angehören, z.B. „Schwarze“ und „Weiße“, und ein solcher „Schwarzer“ kann anderen, gar nicht verwandten „Schwarzen“ in dieser Ausstattung ähnlicher als seinen „weißen“ Verwandten. Der NS-Rassismus behauptete nun, dass die „nordische Rasse“ eine Abstammungsgemeinschaft sei und zugleich eine Gruppe mit gleichen erblichen Eigenschaften, eine Gruppe mit gleichem „Blut“. Zudem soll eine Rasse zugleich ein Volk sein. Wenn sie es nicht ist, sondern etwa über mehrere Länder zerstreut ist oder sich nicht als ein Volk begreift, muss sie zu einem gemacht werden, denn nur so kann ihre Stärke zur Wirkung kommen. „Ein Volk“ heißt: eine Gemeinschaft von Menschen nicht nur in rassischer Hinsicht, hier also bezüglich der Abstammung und der biologischen Ähnlichkeit, sondern auch in sprachlicher, kultureller und staatlicher. Diese Gemeinschaft hat organischen Charakter ähnlich wie im klassischen Konservativismus. Der Rassismus führt allerdings zu wesentlichen Differenzen im Rahmen dieser gemeinsamen Vorstellung. In einem Organismus wirken alle Teile harmonisch, eben „organisch“ zusammen. Wenn ein Teil in diesem System dies nicht tut, gibt es zwei Möglichkeiten. Man kann es dazu bringen, dass es sich richtig verhält oder es beseitigen. Im Konservativismus wird die organische Gemeinschaft im Wesentlichen als eine kulturelle Einheit gedacht, und das hat zur Folge, dass die Vorstellungen darüber, was mit einem solchen unbotmäßigen Teil gemacht werden soll, in der Regel in Richtung Erziehung gehen (wie in den progressiven Weltanschauungen auch). Wenn dessen schädliche Eigenschaften aber biologisch ererbt sind, also
Zucht; das nannte man „Aufartung“. Den Rassenanthropologen ging es aber um die Verbesserung der biologischen Grundlagen sozialer Leistungsfähigkeit durch Reinhaltung der Rasse; das nannten sie „Aufnordung“, Zmarzlik 1963: 253 f.; nach Bensch 2008: 65.
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durch Erziehung gar nicht verändert werden können, dann liegt der Schluss nahe, dass dieses Element ausgemerzt werden muss. Weil die Rasse zugleich ein Volk sein soll und ein Volk rassisch einheitlich, nennt man diese Variante des Rassismus auch „völkischen Rassismus“. Die Stärke der nordischen Rasse (und des deutschen Volkes) hängt nun davon ab, dass das Blut rein bleibt, d.h. davon, dass es unvermischt das der gemeinsamen Vorfahren ist. Warum es rein bleiben muss, erklärt sich aus der Beziehung des „Blutes“ zum „Boden“ und damit mittels einer bestimmten Landschaftstheorie. Diese wird im Folgenden dargestellt. Die „Leute“ in den Land-und-Leute-Einheiten der konservativen Zivilisationskritik, gar die Völker bei Herder, waren im Wesentlichen kulturelle Einheiten, keine biologischen. Was die Menschen verband, war die Sprache, waren Sitten und Gebräuche, war die gemeinsame Geschichte und war (meist bzw. idealerweise) auch der Staat. Ein Volk war keine biologische Abstammungsgemeinschaft und auch keine Gruppe mit ähnlichen erblichen Merkmalen. Ganz ohne Bedeutung war letzteres freilich nie, und im Laufe des 19. Jahrhunderts mischten sich immer mehr biologistische Vorstellungen in die konservative Idee des Volkes.20
7.3 N OMADEN
UND
S IEDLER
Wie kommt die nationalsozialistische Ideologie zur Vorstellung einer höchststehenden Rasse, die eine Abstammungsgemeinschaft ist, bei der es auf die Reinheit ankommt und die in einer organischen Volksgemeinschaft lebt oder richtiger: leben soll? Das ergibt sich aus dem für die Blut-und-Boden-Theorie zentralen Gedanken, dass es zwei grundverschiedene Arten von Rassen gibt: Nomaden und Siedler.21
20 Man kann das immer noch deutlich sehen, wenn man etwa die Gesetze, die die Zugehörigkeit zum deutschen Volk regeln, mit den französischen vergleicht, die regeln, wer zur Nation gehört: Deutscher ist, wer von Deutschen abstammt, auch wenn er nicht in Deutschland geboren ist. Franzose ist, wer französischer Staatsbürger ist. Auch der Sprachgebrauch zeigt es: Es gibt „Deutschtürken“; sie sind deutsche Staatsbürger, aber dennoch Türken. Auf der anderen Seite gibt es „Russlanddeutsche“: Sie sind von deutscher Abstammung, also Deutsche, auch wenn sie russische Staatsbürger – aber damit keineswegs Russen – sind. 21 Bensch 1995.
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Nomaden nehmen von der Natur eines Raumes, was sie ihnen bietet, und ziehen weiter, wenn die Ressourcen aufgebraucht sind oder wenn es zu gefährlich oder zu mühsam wird, sie zu nutzen. Siedler hingegen schreckt Mühe und Gefahr nicht. Sie nehmen die Arbeit auf. Die Natur ist für den Siedler nicht einfach Ressource wie für den Liberalismus. Ein in dessen Geist handelnder Mensch unterwirft sich die Natur, seinem Interesse an möglichst großem Nutzen folgend, plündert sie aus und zieht dann, wenn es sich nicht mehr lohnt, weiter, um an anderer Stelle zu investieren. So charakterisierte die NS-Ideologie etwa die modern-kapitalistische, insbesondere die typisch amerikanische Art der Landwirtschaft. Das ist für den Nationalsozialismus ein dem Nomadentum entsprechendes Verhalten, und es verdankt sich letztlich auch dem Einfluss nomadischer Rassen. „Der Nomade ordnet sich immer der Natur unter, da er sie nicht bewirtschaftet, ihr nichts abverlangt, was sie nicht schon selbst hergibt.“22 So gesehen unterwirft sich also der Nomade bzw. der Liberale der Natur, gerade weil er sie rücksichtslos ausbeutet. Der Siedler, insbesondere der „nordische Mensch“ dagegen „erkennt anders als der Nomade oder der verweichlichte Südländer die Natur (an). Deshalb vermag er sie zu überwinden. Er folgt damit seinem Schicksal, Tatmensch zu sein.“23 Er erkennt die Natur, während der Nomade bzw. der Liberale nur Ressourcen sieht; den nordischen Menschen kennzeichnet ein tiefsinniges, die Oberfläche der Naturdinge zum Wesen hin durchdringendes Wesen. Und er erkennt die Natur an, sie ist ihm nicht Objekt der Ausbeutung. Gerade deshalb aber unterwirft er sich der Natur nicht. Er unterwirft aber auch nicht sie, sondern er überwindet sie. Das macht er nicht aus eigenem Gutdünken, sondern er folgt damit nur dem, was ihm vorbestimmt ist, was sein Schicksal von ihm fordert. Das aber bestimmt, dass er Tatmensch zu sein hat.24 Der Nomade bzw. der Liberale dagegen ist passiv, er ist ein Getriebener. „Es gibt tätige und lässige Völker, Bodenpfleger und Bodenräuber, Tierschinder und Tierheger, Völker, die im wahrsten Sinne Werkzeuge in der Hand Gottes sind, welche die natürlichen Vorbedingungen der Pflanzen- und Tierzucht sinnvoller Weiterentwicklung zuführen, ohne das Landschaftsganze zu gefährden – es gibt aber auch Völker, die nur vom Raub an allem Lebendigen leben, die das natürliche Gefüge
22 Bensch 2008: 144. 23 Ebd.: 165. 24 „Die Tatkraft ist eine Eigenschaft, die sich im Kampf mit dem Boden als vorteilhaft erweist und sich darum, weil sie vererbbar ist, durch Selektion unter den Siedlern allmählich durchsetzt. In dieser Verbindung von Verwurzelung und Tatkraft besteht die spezielle Qualität der nordischen Rasse.“ (Ebd.: 144)
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in eine immer stärker sich auswirkende Unordnung, in eine heillose Verwirrung bringen.“ 25 Die Siedler-Rasse betrachtet die Natur ihres Lebensraums als eine Art würdigen Kampfgegner. Diese Rasse gibt den Kampf nie auf. Sie vernichtet den Gegner aber dabei nicht, sondern entwickelt ihn in diesem Kampf zu dem, was sein wahres Wesen ist: Sie entwickelt die nordische Natur zu der der Siedlerrasse angemessenen Kulturlandschaft, die ebenso dieser Natur selbst angemessen ist. Dabei entwickelt sich auch die Rasse: Die Minderwertigen, die sich in dem Kampf nicht bewähren, werden ausgemerzt, wenn die Natur hart ist. Die Starken dagegen, die es in der nordischen Rasse schon immer gab und die ihr Wesen ausmachen – sonst hätte sie den Kampf mit dieser rauen Natur gar nicht aufgenommen – bleiben übrig und geben ihr Blut weiter. Die Rasse wird dadurch stärker und zugleich reiner, bzw. stärker, weil sie reiner wird, weil allein die Starken übrig bleiben. „Geschichte ist in der nationalsozialistischen Ideologie eine Geschichte der ‚Hochzüchtung‘, in der sich die Rasse dadurch selber züchtet, dass sie ihre Anlagen in dem Kampf bewährt, in dem die Stärksten und das heißt die Reinen übrigbleiben.“26 In allzu günstigen Lebensräumen, in den warmen Ländern, verweichlichen die Rassen, weil sie nicht kämpfen müssen. In die allzu ungünstigen, etwa in die Tundra und an die Eismeerküste, werden die schwachen Rassen abgedrängt und vegetieren kläglich vor sich hin.27 Aber im Lebensraum der Germanen, in den nordischen Wäldern, ist die Natur gerade hart genug, um diejenige Rasse, die von vornherein stark und mutig ist, um den Kampf aufzunehmen und nicht wie die Nomaden feige zu fliehen, zur stärksten,
25 Wiepking-Jürgensmann 1942. 26 Bensch 2008: 155. 27 Diese Denkfigur, nur in nicht-rassistischer Form, findet man schon bei Herder: „Nur da diese Elenden [die Eskimos] als bärtige Fremdlinge von den unbärtigen Amerikanern [den Indianern] hoch hinaufgedrängt sind, so müssen sie größtenteils auch flüchtiger und mühseliger leben; ja, sie werden, hartes Schicksal! zu Winterszeit in ihren Höhlen oft gezwungen, vom Saugen ihres eignen Blutes sich zu nähren.“ (Herder 1965, Bd. 1: 205) – Man sollte meinen, dass in der NS-Ideologie die Konsequenz gezogen werden müsste, diese abgedrängten Rassen müssten durch den Selektionsprozess mit der Zeit genauso stark oder noch stärker als die „nordische Rasse“ werden, denn sie leben in noch rauerer Natur. Dass diese Schlussfolgerung nicht gezogen wird, zeigt, dass der Nationalsozialismus doch nicht darwinistisch dachte. Diese Rassen sind ihrem Wesen nach schwach. Es gibt nicht das Potential in ihnen, das sich bewähren könnte unter den harten Umweltbedingungen. Darum können sie nur vegetieren.
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höchststehenden, zur Herrenrasse hochzuzüchten.28 „Im hohen Norden unserer Herkunft haben wir auf nahezu nackten Granit mühselig Boden gebracht“. 29 „Bei harten Gewalten durch die Umwelt gibt es für Siedler nur ein sich Beugen oder ein ‚die Umwelt bezwingen‘. Das Bauerntum der nordischen Rasse ging den Weg der Behauptung, stählte in diesem Kampf den Willen an seiner wilden Umwelt des Nordens und gewöhnte sich daran, mit festen Augen dem Schicksal entgegenzublicken.“ So kam es, dass „im Norden Mitteleuropas [...] das Siedlertum zum Heldentum heranreifen“ musste; Heldentum ist „hier in dem Sinne eines Menschen gedacht, der sein Schicksal bejaht, um es zu überwinden. Alles Furchtbare und Erhebende, alles Grausige und Schöne dieser nordischen Heldenrasse findet in diesem auf sich selbst gestellten Bauerntum des Nordens seine durchaus natürliche Erklärung.“30 Doch ist die Helden- und Herrenrasse nicht einfach ein Produkt des „Bodens“, der nordischen Natur. „Auch kann eine gegebene Landschaft, kann ein Klima Temperamente des Einzelmenschen und des Volkes formen, aber doch sind alle diese Faktoren der Landschaftsbildung unendlich weniger wichtig als die biologischen Zusammensetzungen der einzelnen Volkskörper.“31 Die raue nordische Natur fordert und fördert nur die Stärke, die schon vorhanden sein muss: „Allein diese kulturschaffende Urkraft selbst entspringt wieder nicht einzig ihrem nordischen Klima. Der Lappländer, nach Süden gebracht, würde so wenig kulturbildend wirken wie etwa der Eskimo. Nein, diese herrliche, schöpfe-
28 Diese Vorstellung von Züchtung ist eine ganz andere als die der darwinschen Theorie. In dieser werden „durch die Auslese diejenigen Individuen eliminiert, die weniger gut an die vorliegenden Umweltbedingungen angepasst sind, und nicht ‚schwache‘. Einen Begriff von Schwäche, der nicht auf jeweilige Umweltbedingungen bezogen ist, kennt der Darwinismus nicht.“ (Bensch 2008: 160, siehe auch oben S. 205) Anders als der Darwinismus versucht die NS-Ideologie nicht zu zeigen, wie durch Auslese Neues entsteht (neue „Arten“), sondern wie sich das bestehende Starke, das an sich und nicht nur in bestimmten Umwelten stark ist, bewährt und durchsetzt. „Das Bewährungsparadigma will nämlich nicht mit Auslese die Entstehung neuer Arten begründen und – im Rahmen von Züchtung – gewährleisten, wie Darwin, sondern genau das Gegenteil: Anhäufung bestehender Qualität.“ (Eisel 2007b, 25) Bensch arbeitet heraus, dass, anders als meist angenommen, der Darwinismus nicht die biologische Theorie im Hintergrund der NS-Ideologie ist. 29 Wiepking-Jürgensmann 1942. 30 Zitate aus Darré 1934: 336. 31 Wiepking-Jürgensmann 1939.
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risch gestaltende Fähigkeit ist eben gerade dem Arier verliehen.“32 „Wie sehr auch zum Beispiel der Boden den Menschen zu beeinflussen vermag, so wird doch das Ergebnis des Einflusses immer verschieden sein, je nach den in Betracht kommenden Rassen.“ 33 Deren Potential ist letztlich entscheidend: „Die geringe Fruchtbarkeit eines Lebensraumes mag die eine Rasse zu höchsten Leistungen anspornen, bei einer anderen wird sie nur die Ursache zu bitterster Armut und endlicher Unterernährung mit all ihren Folgen. Immer ist die innere Veranlagung der Völker bestimmend für die Art der Auswirkung äußerer Einflüsse. Was bei den einen zum Verhungern führt, erzieht die anderen zu harter Arbeit.“34 Die Herrenrasse muss sich an der Natur realisieren. – Diese Erklärung führt, wie man sieht, zu einer Paradoxie: Die Rasse hatte ihre Kraft schon vorher, schon immer, sonst wäre sie ja geflohen wie die Nomaden, und zugleich ist die Kraft Resultat des Kampfes, in dem sich durch Ausmerzung der Schwachen die Starken durchsetzen. Die hochstehende Rasse wird also immer stärker – und doch bleiben die Vorfahren ewiges Vorbild, sie mussten ja gegen die völlig ungebändigte Natur bestehen, nie kann ihre Stärke wieder erreicht werden. Darum der Germanenkult. Die nordische Rasse ist nach ihrer Entwicklung zur Herrenrasse in der Lage, alle anderen zu unterwerfen und sie ist, wie sich zeigen wird, in der Logik der NS-Ideologie dazu auch berechtigt.
7.4 N ATIONALSOZIALISTISCHE L ANDSCHAFTSIDEE
UND KONSERVATIVE
Man sieht die Übereinstimmung mit und die Unterschiede zur Landschaftsauffassung des Konservativismus. Ein Anpassungsgeschehen an die Natur des eigenen Lebensraums und dabei zugleich ein Loslösungs-, d.h. Höherentwicklungsgeschehen, ein Prozess der Kulturentwicklung ist das Verhältnis der Menschen zur Landschaft in beiden Fällen. Aber im Nationalsozialismus ist dieses Geschehen wesentlich ein Kampf. Es ist ein Kampf gegen die Natur und gegen andere Rassen – gegen die räuberischen Nomaden und gegen die schwachen, die den Lebensraum auch beanspruchen, aber in die ungünstigen Räume verdrängt werden (müssen). Es ist ein Kampf, in dem es um Sieg oder Niederlage, Herrschen oder Beherrschtwerden, Überleben oder Untergang geht. Im Konservativismus
32 Aus Mein Kampf, S. 433, zit. n. Bensch 2008: 158. 33 Aus Mein Kampf, S. 316, zit. n. Bensch 2008: 156. 34 Ebd.
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sind, idealtypisch zugespitzt, die Völker alle verschieden, aber gleichwertig, und jedes hat die Aufgabe, sich und seinen Lebensraum zu der dem jeweiligen Wesen von Mensch und Natur angemessenen Vollkommenheit zu entwickeln, und nur das ist der gemeinsame Maßstab, dass jedes seinem eigenen folgt. Dagegen gibt es für die Rassen der NS-Ideologie einen Maßstab: die Überlegenheit im Überlebenskampf gegeneinander. Die Völker sind für den Konservativismus verschieden, die Rassen für den Nationalsozialismus aber verschieden viel wert. Die Gemeinschaften sind in beiden Fällen organisch, aber das Außenverhältnis ist in der NS-Ideologie nicht eines der gegenseitigen Befruchtung wie bei Herder und des friedlichen Nebeneinanders, wie es sich in der konservativen Ideologie ganz selbstverständlich ergibt. Denn in dieser hat jedes Volk seinen Raum. Es will ihn gar nicht verlassen, um sich den Raum anderer anzueignen, denn es geht ihm ja im eigenen am besten: Mensch und Natur haben sich im Zuge der Entwicklung der Kulturlandschaft aneinander angepasst. Und es darf ihn auch nicht verlassen und sich im Raum anderer niederlassen, denn jede andere Gemeinschaft hat ebenso ein Recht auf ihre Heimat. Dagegen ist das Wesentliche des Außenverhältnisses für den Nationalsozialismus immer der Kampf. „Deutschland kämpft seit rund zwei Jahrtausenden einen erbitterten Kampf gegen echte Räubervölker, gegen die Völker der Steppe.“35 Im Falle der hochstehenden Rasse ist die Konsequenz notwendigerweise die Erweiterung des Lebensraums. Warum ist das so? Diese Rasse kann das, denn sie hat sich ja durch den Kampf mit der harten Natur zu höchster Kraft gezüchtet. Und sie soll expandieren, denn nur so kann das Höchste, was die Natur hervorgebracht hat, eben die Herrenrasse, vor der Degeneration bewahrt werden.36 Und sie soll es aus einem zweiten Grund. Denn nur wenn den unfähigen Rassen der anderen Länder die Herrschaft über deren Natur entrissen ist, kann diese Natur zu der Vollkommenheit entwickelt werden, die in ihr angelegt ist: Sie kann, unter bestimmten natürlichen Voraussetzungen, werden wie die deutsche Landschaft.
35 Wiepking-Jürgensmann 1942. 36 Sie kämpft, wenn sie expandiert, auf jeden Fall gegen andere Rassen, aber auch gegen die Natur, indem sie diese an sich anpassen muss; Anpassung und Kampf fallen hier zusammen. Die drohende Verweichlichung dadurch, dass sie in zu günstige Lebensräume gelangt, blieb aber ein Dauerproblem in dieser Ideologie; siehe auch oben S. 200.
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7.5 T ECHNIK
ALS
N ATUREIGENSCHAFT
DER
R ASSE
Die Entwicklungsvorstellung dieser Ideologie ist, wie schon bemerkt, paradox. Die nordische Rasse nimmt an Stärke immer mehr zu und war doch immer schon von größter Stärke. Was sich aber fraglos immer höher entwickelt, ist die Technik. Der klassisch-konservativen Ideologie gilt die moderne Technik als eine Errungenschaft der modernen Gesellschaft, sie verkörpert den verderblichen Geist der Aufklärung und muss deshalb bekämpft werden. Vorbild ist die handwerkliche und bäuerliche Tätigkeit und damit auch, wenn man es überhaupt so nennen kann, deren Technik, nicht die industrielle. Für den Nationalsozialismus aber ist Technik als solche keine Errungenschaft einer bestimmten Form von Gesellschaft, sondern natürliches Mittel, mit dem der Mensch schon immer um sein Überleben gekämpft hat.37 Es ist nur natürlich, dass die von Natur aus, d.h. die rassisch höchststehenden Völker die Technik zu höchster Blüte gebracht haben. So verschwindet der für das konservative Denken so wichtige Gegensatz von Natur und moderner Technik. Diese, die ja die Technik der höchststehenden Rasse ist, kann gar nicht die von eben dieser Rasse hervorgebrachte höchststehende Landschaft, die deutsche, zerstören, denn beide entspringen demselben Wesen. Die Reichsautobahnen sind eine Verbesserung der Natur und eine Verschönerung der deutschen Landschaft.38 Industriell bedingte Landschaftszerstörungen, über die die Nationalsozialisten wie die klassischen Konservativen klagen – soweit es nur um das Klagen geht, nicht um die Schuldzuweisungen, kann man im Allgemeinen gar nicht unterscheiden, welcher der beiden Richtungen ein Autor nun zugehört – gehen immer auf das Konto fremder, nämlich nomadischer Rassen. Das sind die Juden als „Semiten“, d.h. als Wüstennomaden, und auch die „ostischen“ Rassen. Der Einfluss kann direkt-biologisch sein, durch Rassenmischung bedingt, aber auch indirekt, vermittelt über den verderblichen Einfluss des Geistes dieser Rassen auch auf die Abkömmlinge der Germanen – nämlich auf die germanischen Völker, die sich dem Liberalismus ergeben haben, der seinem Wesen nach jüdisch-nomadisch ist. Diese Völker sind vor allem die Angloamerikaner. Es ist, neben der inneren Stärke, der Kampfentschlossenheit der nordischen Rasse, vor allem die technische Überlegenheit, die es ihr ermöglicht, die Bin-
37 Eisel/Körner 2001a: 77, 190. In der zitierten Arbeit wird dies aber dem vornationalsozialistischen Heimatschutz zugeschrieben. Hier scheint mir die idealtypische Trennung der beiden Ideologien, der konservativen und der nationalsozialistischen, nicht ganz gelungen. 38 Hoffmann, K. 2006.
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dung an die Heimatlandschaft aufzugeben. Die Formel „Blut und Boden“ bedeutet gerade nicht, dass ein bestimmtes Blut und ein bestimmter Boden untrennbar miteinander verbunden sind und bleiben sollen. Das ist zwar heute manchmal zu hören, wenn man sich von der Idee der Heimat glaubt distanzieren zu müssen, weil diese eng mit der NS-Ideologie verwoben sei. Es ist aber falsch. Die Nationalsozialisten haben die Idee von Heimat als unzerreißbare Land-und-LeuteEinheit und die Idee von Landschaft als Ausdruck organischer und traditionsgebundener Lebensverhältnisse vorgefunden, aber nicht übernommen.
7.6 L ANDSCHAFT
WIRD HERSTELLBAR
Dem konservativen Weltbild zufolge kann Landschaft nur wachsen, nicht hergestellt werden, schon gar nicht mit den Mitteln der heutigen Zeit. Im nationalsozialistischen Weltbild aber enthält die Vorstellung, Landschaft mit modernster Technik herzustellen, kein Problem, wenn es nur die richtige Rasse ist, die diese Technik anwendet. Für den klassischen Konservativismus ist es, wie wir sehen konnten, einem Volk weder erlaubt noch auch nur möglich, die Landschaft, mit der dieses Volk gewachsen ist, zu verlassen – nicht möglich, denn in einer anderen Landschaft als in der, an die es sich angepasst und die es sich zugleich nach seinen Wesenseigenheiten geschaffen hat, würde es degenerieren. In der NSIdeologie dagegen kann die nordische Rasse aufgrund ihrer Kraft und ihrer überlegenen Technik ihre Herkunftslandschaft verlassen. Sie muss es sogar tun, soll sie nicht degenerieren. Sie würde also, genau umgekehrt wie im Konservativismus, zu Hause degenerieren. Denn wenn das wesentliche Verhältnis des Menschen zur Natur die Bewährung im Kampf ist, dann bedeutet der Sieg in diesem Kampf, dass das Leben in der ursprünglich so rauen Natur bequem geworden ist, und daraus folgt höchste Gefahr. Der Sieger muss ja nicht mehr kämpfen, also wird er verweichlichen. Darum muss er woanders erneut den Kampf aufnehmen. Gerade weil die höchste Rasse sich durch die kämpfende Verwurzelung in ihrem Boden zu höchster Kraft entwickelt hat, ist sie auch in der Lage, in die feindliche Umgebung vorzudringen, d.h. zu wandern39; zu wandern nicht in jener unaufhörlichen Verbindung von Raubzug und Flucht, die die Nomaden kennzeichnet, sondern um erneut zu siedeln. Sie ist fähig, andere Länder zu unterwerfen und die Natur dort so umzugestalten, wie es ihren eigenen rassischen Erfor-
39 „Eine solche Handlungsfreiheit und Gestaltungskraft wird aber erst aus der organischen Bindung heraus möglich, denn die Kräfte versiegen ohne die Einbindung in und die Herausforderung durch die lebensräumliche Natur.“ (Bensch 2008: 148)
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dernissen gemäß ist, so dass sie dort eben nicht, weil inneres Wesen und Umwelt nicht zusammenpassen, „aus der Art schlagen“ muss. Dieses Zusammenpassen ist auch für die NS-Ideologie wesentlich, nicht darin liegt also der Unterschied zum Konservativismus. „Hat ein Volk seine alte, arteigene Wesenslandschaft verloren, so ist seine Geschichte nicht mehr von Bedeutung. Wir kennen treffende Beispiele von Völkern solcher Art, die buchstäblich wie Spreu vor dem Winde vergingen.“40 „Unsere Art kann nur in deutschen Landschaften wachsen.“41 Nicht nur – schreibt der „Reichslandschaftsanwalt“ Alwin Seifert – „das leibliche Dasein des deutschen Volkes“ wird durch die Landschaftsgestaltung bestimmt, „sondern auch das Sein oder Nichtsein deutscher Seelenhaltung“, und damit die alles entscheidende innere Stärke. „Die Vernichtung aller Schönheit Deutschlands, die Angleichung der unendlich reichen und mannigfaltigen deutschen Landschaften an die öde Leere russischer und amerikanischer Steppen“ hätte verheerende Folgen: „Damit aber verliert die deutsche Seele ihre Heimat“, und „dann muss sie doch zur Beute werden eines ostischen oder westischen Materialismus.“42 Die nordische Rasse ist in der Geschichte dieser Gefahr durchaus schon erlegen, die Verweichlichung germanischer Stämme, die in der Völkerwanderung zu weit nach Süden geraten sind, vor allem der Vandalen, war ein beliebtes Thema. Heute aber kann sie dieser Bedrohung begegnen, denn sie ist durch die Entwicklung ihrer Technik in der Lage, ihre eigene Heimatlandschaft in der Fremde neu zu errichten. Das wurde in den eroberten „Ostgebieten“ in Angriff genommen: „Es genügt also nicht, unser Volkstum in diesen Gebieten anzusiedeln und fremdes Volkstum auszuschalten. Die Räume müssen vielmehr ein unserer Wesenart entsprechendes Gepräge erhalten, damit der germanisch-deutsche Mensch sich heimisch fühlt, dort seßhaft wird und bereit ist, diese seine neue Heimat zu lieben und zu verteidigen. Nur in einer solchen Landschaft erwachsen die Kräfte eines gesitteten und sinnvollen Lebens. Die natürliche Umwelt wirkt auf die Entfaltung und Formung der durch die Rasse gegebenen schöpferischen Kräfte des Menschen in mannigfacher Hinsicht ein. Sie kann durch Reichhaltigkeit, Fruchtbarkeit, Belebtheit und Ordnung fördernd, durch Einförmigkeit, Verwüstung und Leere lähmend und entseelend wirken.“43
40 Wiepking-Jürgensmann 1942. 41 Wiepking-Jürgensmann 1939. 42 Seifert 1935/36. Nach Reitsam 2001 ist der „Reichslandschaftsanwalt“ allerdings im Wesentlichen als konservativ und nicht als NS-Ideologe einzuschätzen. 43 Allgemeine Anordnung über die Gestaltung der Landschaft in den eingegliederten Ostgebieten vom 21. Dezember 1942.
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Dies alles kann die Herrenrasse nicht nur tun und soll es im Eigeninteresse tun, sie darf und sie soll es auch objektiv tun. Völker wie das deutsche sind „Werkzeuge in der Hand Gottes“44. Die Herrenrasse hat ja bewiesen, dass sie in der Lage ist, die Natur so zu gestalten, wie sie gestaltet werden soll, nämlich zur vollkommenen Landschaft, und darum ergibt sich für sie die heilige Pflicht, das überall zu tun, wo es ihr möglich ist – nun nicht aus Verantwortung für die Rasse, sondern für die Landschaft. Die Herrenrasse vergewaltigt nicht in nomadischer Weise die Natur und plündert sie aus, sondern sie hat sie in der Vergangenheit zu dem entwickelt, was ihrem eigenen Wesen nach aus ihr werden sollte. Das sieht man an der besonderen Schönheit der deutschen Landschaft, ein Gedanke, dessen Struktur man aus der konservativen Theorie übernommen hatte, in der aber die deutsche Landschaft keinen Vorzug genoss. Für die Blut-undBoden-Theorie waren dagegen die in den eroberten Ländern ansässigen Völker zu schwach, zu faul, zu dumm oder zu feige, das Land so zu bewirtschaften, dass wahre Kulturlandschaft entsteht. Folglich haben sie kein Recht auf ihr Land. Das haben sie verwirkt, indem sie ihren Auftrag zur Kulturlandschaftsentwicklung nicht erfüllt haben. „Die Landschaft in den eingegliederten Ostgebieten ist auf weiten Flächen durch das kulturelle Unvermögen fremden Volkstums vernachlässigt, verödet und durch Raubbau verwüstet. Sie hat in großen Teilen entgegen den standörtlichen Bedingungen steppenhaftes Gepräge angenommen.“45 Eben dieses Unvermögen wurde dann durch die militärische Niederlage der „ostischen“ Völker, in der sich ihre Schwäche offenbarte, bestätigt. (Nebenbei: Dieses Begründungsmuster ist nicht spezifisch nationalsozialistisch. Ganz ähnlich wird ja in einem im Übrigen eher liberalen Kontext argumentiert, um das Recht der „Weißen“ auf Nordamerika zu begründen, nur dass da nicht von Landschaftsgestaltung die Rede ist, sondern von der – meist durchaus rassistisch gemeinten – Unfähigkeit der Ureinwohner, das Land in einem ökonomischen Sinn zu dem zu machen, was in ihm steckt.) Spezifisch nationalsozialistisch ist also nicht Idee des Schutzes der Heimatlandschaft, sondern die Idee des Herstellens von deutschen Heimatlandschaften nicht nur, aber vor allem in eroberten Gebieten. Das ist der Zusammenhang von „Blut“ und „Boden“: dass die kämpfende Verwurzelung in einem Boden die Rasse der Kämpfer stärkt und sie so in die Lage versetzt und zugleich zwingt und berechtigt, den Kampf auf dem Boden anderer von Neuem zu beginnen.
44 Wiepking-Jürgensmann 1942. 45 Allgemeine Anordnung über die Gestaltung der Landschaft in den eingegliederten Ostgebieten vom 21. Dezember 1942.
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Nun kann aber Heimatlandschaft notwendig nur in Gesellschaften entstehen, die in Traditionen und in inniger Verbindung mit der Natur ihres Raumes leben. Das übernahm der Nationalsozialismus vom klassisch-konservativen Heimatgedanken. Wenn das gilt und es trotzdem möglich sein soll, Heimatlandschaft in anderen Ländern herzustellen, dann musste eine Idee der künstlichen Erzeugung von neuer Landschaft nach althergebrachten Prinzipien formuliert werden46. Unter modernen Bedingungen war es kaum zu vermeiden, dass diese Idee zum Kern einer Wissenschaft wurde. Diese Wissenschaft war die Landespflege, ein Begriff, der für einige Jahrzehnte das umfasste, was heute meist „Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung“ heißt. Die Landespflege, Begriff und Praxis, entstand zwar nicht im Nationalsozialismus, erhielt durch diesen aber im Wesentlichen ihre moderne Gestalt. Vom Nationalsozialismus wurde vor allem eine moderne Tendenz vorgezeichnet, die sich nach dem Krieg durchsetzte: die Tendenz zur Entwicklung einer Planungswissenschaft im eigentlichen Sinne; sie ist nicht mehr ein pflegend-gestaltendes, in wesentlichen Aspekten künstlerisches Fach, wie sie es vorher war. Dieses Fach blieb dann als Landschaftsarchitektur übrig, während daneben sich die Landschaftsplanung herausbildete, die sich als wissenschaftlich verstand. Zwei Hauptpunkte sind hervorzuheben, wenn man diese nationalsozialistischen Anfänge der späteren Entwicklung betrachtet: (1) Landschaft wird als etwas Herstellbares denkmöglich, und damit wird Landespflege ein vor allem technisch-naturwissenschaftlich orientiertes Fach. (2) Landespflege wird zur staatlichen und umfassenden Planung. Zum ersten Punkt: Es wird denkmöglich, dass Landschaft herstellbar ist. Vorher, im konservativen Denken, war das Wesentliche einer jeden Kulturlandschaft ihre gewachsene Eigenart. Damit war es logisch unmöglich, sie als planmäßig-technisch herstellbar zu denken. Eigenart blieb auch für den Nationalsozialismus entscheidend. Nun gibt es aber nur noch eine Kulturlandschaft mit wahrer Eigenart. Das ist die deutsche.47 Diese lässt sich, gewisse relativ weite Naturvoraussetzungen gegeben, überall erzeugen – überall da, wo die Deutschen hinkommen. Die eine Ideal-Landschaft kannte auch schon die Aufklärung, und auch für sie und auf ganz andere Weise für die Romantik war Landschaft etwas Herstellbares. Aber für beide war die historisch gewachsene Eigenart ohne Wert. Es war also unproblematisch für sie, die Landschaft als herstellbar zu denken oder eine Vorstellung von der einen idealen Landschaft zu haben. Der National-
46 Körner 2001b, 98. 47 Ebd.: 99.
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sozialismus aber hatte ein Problem, da er letztlich von der Landschaftsidee des Konservativismus ausging. Die nationalsozialistischen Landespfleger versuchten das Problem zu lösen, indem sie zwei Aufgaben angingen: (a) Sie typisierten die Gestaltelemente der „gewachsenen“ deutschen Landschaft. „Dem germanisch-deutschen Menschen aber ist der Umgang mit der Natur ein tiefes Lebensbedürfnis.“ Das Ergebnis ist, dass in der „alten Heimat“ des „germanisch-deutschen Menschen“ und „in den Gebieten, die er durch seine Volkskraft besiedelt und im Verlauf von Generationen geformt hat,“ das „harmonische Bild von Hofstatt und Garten, Siedlung, Feldflur und Landschaft ein Kennzeichen seines Wesens“ ist. „Die Gliederung und Begrenzung der Feldflur durch Wald, Waldstreifen, Hecken, Gebüsche und Bäume, die natürliche Verbauung von Gelände und Gewässer und die Grüngestaltung der Siedlungen sind bestimmende Kennzeichen deutscher Kulturlandschaften.“48 (b) Die nationalsozialistischen Landespfleger begannen, die Bedingungen naturwissenschaftlich zu erforschen, unter denen eben diese Elemente erzeugt und kombiniert werden können, und die technischen Mittel zu entwickeln, die dazu notwendig sind.49 So vereinbarte man das vorher, d.h. im konservativen Denken, unvereinbar Scheinende. Natur- und Heimatschutz wurden aufs Engste verbunden mit Bestrebungen, „im Dienst an Volk und Rasse“ die Landschaft planmäßig zu verändern. Dies galt nicht nur für die eroberten Länder, auch in Deutschland selbst konnte die Landschaft nicht bleiben, wie sie war. Sie war ja durch den biologischen und geistigen Einfluss fremder Rassen weitgehend zerstört, war gewissermaßen der Herrenrasse entrissen worden und musste wieder erobert werden. Man sprach von „innerer Kolonisation“. Die Landschaft konnte dabei aber nicht einfach wieder hergestellt werden, indem man die alten Verhältnisse, denen sie sich verdankte, wieder herstellte. Denn Garant dafür, dass die Landschaft sich so entwickelt, wie sie soll, ist ein gesundes Bauerntum. Das Bauerntum, zu dem sich das Siedlertum weiterentwickelt, ist durch alle Epochen der Kultur hindurch der „Wächter der nordisch-rassischen Kultur“50. Der Bauer „ist in die Kampfprinzipien des Lebens eingespannt, wie alle anderen Naturwesen. [...] Die Evolutionsprinzipien der Natur verlängern sich quasi in den Sozialformen der bäuerlichen Existenzweise“51. Das Bauerntum aber hat
48 Allgemeine Anordnung über die Gestaltung der Landschaft in den eingegliederten Ostgebieten vom 21. Dezember 1942. 49 Kap. 2.4.2 in Körner 2001a. 50 Bensch 2008: 146. 51 Eisel 1999.
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seine die Gesellschaft prägende Kraft eingebüßt. Weil unter dem Einfluss der liberalen Ideologie bzw. der nomadischen Rassen aus dem Bauern, der Land und Hof für Generationen bestellt und bewahrt, der profitorientierte, kapitalistische Landwirt („Farmer“) geworden ist, wird die deutsche Landschaft nicht mehr auf natürliche, der Rasse gemäße Weise erhalten. Notwendig ist darum das Wirken des Staates. Sein planvolles Eingreifen ist der Landschaft förderlich, aber nur, sofern er der Staat der nordischen Rasse ist. Im Verein mit diesem Staat erhält auch das Bauerntum seine dominierende Rolle wieder. Das hatte aber nichts mit einer rückwärtsgewandten Bauernromantik zu tun, sondern bedingt geradezu den Einsatz modernster Naturwissenschaft und Technik. „Die nationalsozialistische Konstruktion eines sich in die konkrete lebensräumliche Natur einbindenden Bauerntums betont vielmehr Kampfesstärke und Tatkraft, Gestaltungswillen und Fortschritt.“52 Was die Wertschätzung von technischen oder technisch relevanten Wissenschaften, also im Wesentlichen von Naturwissenschaften, in der Landespflege besonders voranbrachte, war, dass nicht nur deutsche „Seelenlandschaften“ entstehen sollten. Hierzu hätten wohl die bescheidenen naturwissenschaftlichtechnischen Kenntnisse gereicht, die ein Künstler oder „Pfleger“ solcher Landschaft braucht. Aber die Landschaften sollten zugleich und sogar in erster Linie moderne, funktionierende und sich weiterentwickelnde „Wirtschaftslandschaften“ sein. Dazu war es nötig, den Anforderungen der Land- und Forstwirtschaft, des Wasserbaus, des Straßenbaus usw. gerecht zu werden. Damit aber schienen für den Landespfleger naturwissenschaftliche und ingenieurwissenschaftliche Kenntnisse in beträchtlichem Umfang unverzichtbar. Wissenschaften wie Bodenkunde, Klimatologie und Vegetationsökologie (Pflanzensoziologie) wurden gefördert, weil die Ziele des Natur- und des Landschaftsschutzes nun zugleich Ziele der Landwirtschaft und des Landbaus im Allgemeinen sein sollten und umgekehrt.53 Natürlich waren die Nationalsozialisten nicht die ersten, die diesen wissenschaftlichen Disziplinen eine große Bedeutung für Schutz und Entwicklung von Natur und Landschaft zusprachen. Vor allem der im Rahmen der staatlichen Verwaltung tätige Naturschutz ist hier zu nennen. Ihn gab es, wenn auch nur in ersten Ansätzen, schon seit 1906. Die staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen hatte von Anfang an eine starke Tendenz zu naturwis-
52 Bensch 2008: 148. 53 Aus Kap. 2.4.2 in Körner 2001a.
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senschaftlicher Orientierung.54 Aber das harmonierte nicht damit, wie in dem geistigen Milieu, in dem sich der Naturschutz vornehmlich bewegte, Naturwissenschaft und moderne Technik gesehen wurden: Sie gehörten zu den wichtigsten Ursachen der Zerstörung dessen, was der Naturschutz zu erhalten suchte, und das war wesentlich die „gewachsene“ Landschaft. Darum ist es nicht verwunderlich, dass ein Selbstverständnis des Naturschutzes als eine angewandte Naturwissenschaft, wie es heute eindeutig vorherrscht, sich über lange Zeit nicht durchsetzen konnte. Es war die NS-Ideologie, die es erlaubte, hier keinen Gegensatz mehr zu sehen. Von besonderer Bedeutung, ja das Paradebeispiel für die Vereinbarkeit von moderner Großtechnik und Landschaftsgestaltung war der Autobahnbau. Anders als man oft meint, waren es nicht in erster Linie militärische Ziele, die man damit verfolgte. Eine „Klammer der Volksgemeinschaft, ein Instrument der Reichsbildung zu sein, ja überhaupt einigend zu wirken“, darin liegt die „eigentliche große Aufgabe der Reichsautobahn, die alle Mühe, alle Arbeit und allen Aufwand eigentlich rechtfertigte“55. „Die deutschen Lande werden durch nichts mehr miteinander verbunden und miteinander verschmolzen, als durch diese grauen Betonbänder, die die deutsche Landschaft zusammenfügen und die den einzelnen es ganz vergessen lassen, dass er jetzt [...] auf schleizreußischem Gebiet oder irgendwo anders ist. [...] Es wird jeder wissen: ich fahre jetzt durch ein Reich, das einem Volk gehört und nicht durch ich weiß nicht wieviele Staaten, Einzelstaaten oder Ländchen – eine ungeheure politische Bedeutung [...].“56
Die Autobahn sollte vor allem das Reich als eine Einheit und zugleich in der Vielfalt seiner Landschaften – die deutsche Landschaft ist eine Einheit, aber eine Einheit der Vielfalt – erlebbar machen. „Um besonders grandiose Aus- und Einblicke zu gewähren, werden teilweise erhebliche Umwege in Kauf genommen. Durch eine stärkere Steigung und einen Umweg von 20 Kilometern zur geraden Verbindung ermöglicht man dem Fahrer von München kommend auf dem Irschenberg eine weite Sicht über das Voralpenland bis zu den Alpen.“57
54 Siehe z.B. Schmoll 2004, zum Naturschutz in der NS-Zeit z.B. Brüggemeier/Cioc/Zeller 2006, Radkau/Uekötter 2003; zu den Gründen siehe auch unten S. 219. 55 Wucher 1941: 280, zit. n. Hoffmann, K. 2006. 56 Hitler 1938b: 97, zit. n. Hoffmann, K. 2006. 57 Hoffmann, K. 2006.
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„Es waren am Schlüsselpunkt des Abstiegs in die Salzburger Ebene dreizehn Lösungen versucht worden; ein Gefühlsgrund stürzte die anscheinend endgültige (dass ihr Finder auf so ‚unsachlichen‘ Einwand hin sie preisgab, beweist seine innere Überlegenheit) – und die nun wirklich letzte macht das Unmögliche möglich: Die von München bis zum Chiemsee sich steigernde, anscheinend unüberbietbare Reihung landschaftlicher Schönheit noch einmal aufzunehmen und gewissermaßen auf einer anderen Ebene fortzusetzen, im Blick vom Gebirge auf die unendliche Hochfläche, den nur ein Adalbert Stifter würdig zu schildern vermöchte.“58
Zum zweiten Punkt: Landespflege wird zur staatlichen und umfassenden Planung.59 Vor allem die Ausweitung der deutschen Landschaft auf die eroberten Gebiete im Osten – Mäding und Wiepking waren daran führend beteiligt – verlangte eine gesamtstaatliche Organisation. Auch wenn es, wie eben erwähnt, gewisse Anfänge, insbesondere die Einrichtung der Naturschutzstellen, schon vorher gab, so wurde doch Landespflege damit erstmals in nennenswertem Umfang und vor allem mit einem ganz anderen, umfassenden Aufgabenverständnis zur staatlichen Aufgabe.60 Dass man nicht mehr von „Landschaftsgestaltung“ sprach, sondern von „Landespflege“, sollte anzeigen, dass die staatliche Planung inhaltlich nun als eine umfassende Aufgabe verstanden wurde, nicht mehr nur auf die Gestalt der Landschaft oder auf den Naturschutz bezogen.61 Landespflege sollte eine Planungsdisziplin sein, die die gesamte „Daseinsvorsorge“ betraf (Mäding). Ein Fazit: Man sollte, das ist eine wesentliche Lehre der Geschichte, sich immer vor Augen halten, dass ohne diesen Weg über eine Rassentheorie heute so selbstverständliche Vorstellungen von „Landschaftsplanung“, „Landschaftsentwicklung“ und „Landschaftsmanagement“ kaum hätten entstehen können. Zu-
58 Seifert 1938: 38. 59 Siehe Kap. 2.4 in Körner 2001a, Schulz 1991. 60 Gewiss gab es schon lange vorher königliche Planungen; manche von Lennés Arbeiten könnte man als Ausführung einer gesamtstaatlichen Aufgabe sehen. Aber es gibt kaum eine historische Kontinuität zwischen diesen und der heutigen Landschaftsplanung. Die Kontinuität ist im Wesentlichen seit dem Nationalsozialismus gegeben. 61 Naturschutz hatte zwar von Anfang an die engste Beziehung zu Landschaft; Naturschutz und Heimatschutz, der im Wesentlichen Schutz von Heimatlandschaft war, wurden weithin als identisch verstanden (Rudorff 1887, siehe z.B. Schmoll 2004). Doch war das nicht durchwegs so. Beispielsweise ist eine Wurzel des Naturschutzes auch das Bemühen um effektivere Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft. Dazu bot es sich an, „Nützlinge“, vor allem bestimmte Vögel, zu schützen. Mit Landschaft hatte das zumindest direkt nichts zu tun.
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mindest wäre das nicht ausgehend von den in Deutschland so einflussreichen Ideen des Schutzes von Heimatlandschaft möglich gewesen, die man ja bis heute beibehält und in denen in den Augen vieler nach wie vor das Ziel all dieser Unternehmungen liegt.
8. Ökologisierung der Landschaftsidee in der Nachkriegszeit
8.1 V ORBEMERKUNGEN
UND
Ü BERBLICK
Zur gegenwärtigen Idee der Landschaft lässt sich weit weniger einigermaßen Zuverlässiges sagen als zu vergangenen Epochen. Zu geistesgeschichtlichen Entwicklungen, in denen man sich selbst befindet, fehlt fast immer die Distanz, die nötig ist, um ein halbwegs brauchbares Bild zu zeichnen. Zeitdiagnosen aus der Zeit selbst dürften selten die Zeit überdauern. Dass man nach einer Generation immer noch der Meinung sein wird, die heutige Zeit sei z.B. mit dem Begriff Postmoderne einigermaßen zutreffend charakterisiert, wird man wohl bezweifeln müssen. Die jüngste Zeit, d.h. die letzten 20 Jahre werden hier darum gar nicht behandelt und für die Nachkriegsjahrzehnte wird nur wenig zur Idee der Landschaft in der Gesellschaft insgesamt gesagt werden. Stattdessen werde ich mich weitestgehend auf die Entwicklungen in der Profession der Landespfleger bzw. der Landschaftsarchitekten und Landschaftsplaner beschränken und dabei im Wesentlichen nur Westdeutschland und Westberlin berücksichtigen, denn dazu gibt es eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten, auf die man sich stützen kann. Ich beginne mit einem Überblick. Die erste Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg – bis in die 1960er Jahre – war in der Landespflege geprägt von Versuchen, sich von der nationalsozialistischen Vergangenheit zu distanzieren. Dabei kann man in Westdeutschland zwei Hauptwege erkennen: Einerseits Rückkehr zur Position der konservativen Zivilisationskritik, andererseits Anpassung an die neuen, demokratischen Verhältnisse oder doch Ansprüche. Meist waren beide Wege eng ineinander verschlungen. Das Hauptergebnis war ein großer Schritt in der sogenannten Ökologisierung. Es setzte sich, heißt das, die Meinung durch, Landschaft sei ein mit den Mitteln der Naturwissenschaft Ökologie zu beschreibender Gegenstand, und er sollte auch vor allem mit diesen Mitteln beschrieben werden. Damit ging die Entwicklung der Landespflege zur modernen Land-
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schaftsplanung einher; die Landschaftsarchitektur, die sich nach wie vor als im Wesentlichen künstlerisch-gestalterisches Fach verstand, wurde damit tendenziell abgetrennt. Man ging also den Weg zur staatlichen und inhaltlich umfassenden Planung weiter, den man in der NS-Zeit begonnen hatte. Das tat man nun jedoch (a) unter neuen, demokratischen Vorzeichen und (b) indem man den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit besonders betonte, ja absolut setzte. Unter Wissenschaft verstand man aber im Wesentlichen (eine bestimmte) Naturwissenschaft. Als Demokratisierung kann man allerdings die Anpassung an die neuen Verhältnisse nicht ohne Einschränkungen bezeichnen. Denn indem man sich von der Denkweise der klassisch-konservativen Zivilisationskritik – zumindest an der Oberfläche – abwandte, gab man auch deren Kritik an der industriekapitalistischen Gesellschaft, die im Namen der Landschaft geübt wurde, auf und arrangierte sich mit dieser Gesellschaft und damit auch mit ihren Herrschaftsverhältnissen, die ja dem, was der Begriff Demokratie impliziert, keineswegs entsprechen. Sowohl die Tendenz zur Ökologisierung als auch die zur staatlichen Planung erhielten enormen Auftrieb durch die sogenannte Umweltkrise und das sich rasch ausbreitende „ökologische Bewusstsein“ seit Beginn der 70er Jahre. Die Landschaft verschwand gleichsam in Begriffen, die der Wissenschaft Ökologie entnommenen wurden, insbesondere im Begriff des Ökosystems. Was aber mit Ökosystem und etlichen anderen ökologischen Begriffen gemeint ist, das trug in der Landschaftsplanung wie auch in der Öffentlichkeit deutlich die Züge der Landschaftsvorstellung der alten konservativen Zivilisationskritik.1 Von dem, was Landschaft ausmacht und ihren Begriff von dem des Ökosystems unterscheidet2, nämlich dass sie ein ästhetisch-kultureller Gegenstand3 ist, war zumindest explizit kaum mehr die Rede.4 In der Landschaftsplanung – anders als in der allgemeinen Umweltdiskussion und -bewegung, deren Teil sie nun geworden war – war dennoch das Ästhetisch-Kulturelle nach wie vor nicht nur im Hinter-
1
Vgl. Trepl 1997.
2
Siehe dazu Voigt/Weil 2006, Kangler 2009.
3
Mit ästhetisch-kulturellem Gegenstand ist hier gemeint, dass Landschaft primär als ein Bild – auf der Leinwand oder im Geist des Betrachters – gesehen wurde, das man ästhetisch wahrnimmt, d.h. nicht als eine Darstellung, die bestimmte Informationen enthält, sondern als ein Bild, das Gefühle erweckt und das zugleich Träger von kulturellen Bedeutungen ist, vor allem einer auf Utopien bezogenen Symbolik.
4
Im Zuge der Verwissenschaftlichung wandte man sich in dieser Zeit auch in der Geographie vom Gegenstand „Landschaft“ ab, bzw. fasste ihn im Sinne von eines ökologischen Gegenstandes.
8. ÖKOLOGISIERUNG
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grund, sondern auch direkt von Bedeutung: als wesentlicher Aspekt der, wie der neue Fachausdruck es nannte, „Erholungswirksamkeit“ der Landschaft. Gegen all diese Tendenzen erhob sich aber zu dieser Zeit auch Widerspruch. Die Umweltkrise führte nicht nur zum Ausbau eines umfassenden staatlichen Systems von Landschafts- und Umweltplanung, sondern im Zuge der Umweltbewegung hat man auch die Gesellschaftskritik wieder aufgegriffen, die mit „Natur und Landschaft“ einst verbunden war. Allerdings wurde sie nicht nur wieder aufgenommen, sondern sie nahm zum Teil auch eine deutlich andere Richtung als in ihrer klassisch-konservativen Gestalt. Schließlich kam es, mit dem Abebben der Umweltbewegung bzw. ihrer Domestizierung in Gestalt einer Partei und als Teil der Verwaltung, unter den professionell mit Landschaft Befassten dazu, dass sich sehr viele von der sogenannten ökologischen Planung abwandten. Die in wesentlichen Zügen künstlerische Landschaftsarchitektur, die zwischendurch völlig an den Rand gedrängt worden war, erlebte eine Renaissance. Die Landschaftsarchitektur wollte aber inzwischen vom Thema Landschaft nichts mehr wissen, sondern setzte auf „Urbanität“. Die Nachkriegsgeschichte der Landespflege erscheint auf den ersten Blick vor allem als Versachlichung, d.h. als eine Orientierung ausschließlich an dem, was sich über Landschaft wissenschaftlich herausfinden und rational begründen lässt. Was über sie gedacht und mit ihr getan wird, meint man, ist allein dem Objekt Landschaft geschuldet, wie es sich dem neutralen wissenschaftlichen Blick darbietet; es soll keine ideologischen Vorurteile mehr geben und es gibt auch, so scheint es, keine mehr. Wie kam es zu dieser Einstellung? Sie ist Ergebnis einer – wie wir sehen werden, überhasteten – Flucht vor der eigenen finsteren Vergangenheit, in der Landschaft eine ideologisch hochwichtige und die Landespflege eine sehr aktive Rolle spielte. Der wichtigste Teil dieser Absetzbewegung war ein „taktischer, berufspolitischer Rückzug vom ‚belasteten‘ ästhetischkulturellen Begriff der Landschaft.“5 Zunächst aber, in den ersten ein, zwei Jahrzehnten nach dem Krieg, hielten viele am ästhetisch-kulturellen Landschaftsbegriff fest und versuchten seiner Belastung dadurch zu entkommen, dass sie zur seiner klassisch-konservativen Form zurückkehrten. Nun war die NS-Ideologie damals noch allgegenwärtig, eher Mehrheits- als Minderheitsauffassung, und die führenden Vertreter der Landespflege waren schon im „Dritten Reich“ führende Vertreter gewesen (Mäding, Wiepking, Seifert). Darum kann man fragen, ob diese Rückkehr echt war oder
5
Körner 2006: 20. Das meiste dessen, was in diesem Kapitel ausgeführt wird, folgt den einschlägigen Untersuchungen von Körner.
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nur sprachliche Verschleierung.6 Aber wie auch immer: Auf der anderen, der demokratischen und liberalen Seite des politischen Spektrums galt der Konservativismus und mit ihm seine Landschafts- und Heimatideologie selbst weithin als eine wenn auch nicht so radikale Form derselben Weltsicht, die auch dem Nationalsozialismus eigen war7 (zu Unrecht, wie ich glaube, oben gezeigt zu haben). Darum konnte die Absetzbewegung hier nicht stehen bleiben; man machte sich mit einer konservativen Landschaftsauffassung immer noch verdächtig. Hier mag ein Grund liegen, dass gerade diejenigen, die von der NS-Ideologie zur konservativen Zivilisationskritik zurückgekehrt waren, zu Protagonisten jener speziellen Art der Entnazifizierung wurden, die sich bald allgemein durchsetzte: Anpassung an bestimmte Anforderungen der Demokratie durch Verwissenschaftlichung, und zwar insbesondere Ökologisierung, und Entwicklung der Landespflege zum modernen staatlichen Planungsfach. Damit setzten sie, unter neuen Vorzeichen, das fort, was sie im Nationalsozialismus begonnen hatten. Nicht alle unter den wichtigeren Angehörigen des Faches hatten die nationalsozialistische Politik unterstützt; die Landschaftsarchitekten Mattern in Westberlin und Pniower in der DDR z.B. waren Ausnahmen. Aber sie hatten auf die Richtung, die die Landespflege nach dem Krieg einschlug, relativ wenig Einfluss. Die Entwicklung des Faches verlief also paradox: Man klammerte sich keineswegs am Alten fest, sondern versuchte davon wegzukommen. Aber man ging, im meist wohl nur erzwungenen Bestreben, sich von ihm zu distanzieren, einen Weg, der ermöglicht wurde durch die Struktur der NS-Landschaftsideologie selbst. Damit entkam man dieser Ideologie tatsächlich, denn die Elemente, die man beibehielt, haben für sich wenig mit dieser Ideologie zu tun. Doch das Fach zahlte einen hohen Preis: Ihm ging das Wesentliche an seinem Gegenstand verloren, das, was Landschaft ausmacht im Unterschied zum Ökosystem. Man wollte ideologischen Ballast loswerden und versuchte darum, sich an die Wissenschaft zu halten, die ja als wertneutral gilt und es in gewissem Sinne auch ist. Das hatte einen weiteren Vorteil. Demokratie verlangt ja nachvollziehbare, also rationale Entscheidungen. Eine wissenschaftliche Landespflege war darum in dem neuen Staat brauchbar. So könnte man schließen, dass ihre Verwissenschaftlichung eine Folge der Demokratisierung Westdeutschlands war.8
6
Ebd.
7
„Die Zivilisationskritik, die sich an der Utopie von Volk und Heimat orientierte, war in die moralische Niederlage des Nationalsozialismus hineingezogen worden; sie galt als überholt, ja als verdächtig.“ (Sieferle 1986: 257) – Siehe auch oben S. 191.
8
Kap. 3 in Körner 2001a.
8. ÖKOLOGISIERUNG
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Doch darf man nicht vergessen, dass nachvollziehbare, rationale Entscheidungen auch die staatliche Verwaltung verlangt, in welchem System auch immer. Auch deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die ersten größeren Schritte der Verwissenschaftlichung mit dem Entstehen staatlicher Landschafts-Planung bereits in der nationalsozialistischen Zeit getan wurden. Ebenso wird verständlich, dass an Entwicklung einer staatsbezogenen Landschafts-Planungswissenschaft in der BRD maßgeblich Menschen beteiligt waren, denen man demokratischen Geist kaum unterstellen darf. – Das eben Skizzierte wird nun näher ausgeführt.
8.2 Ö KOLOGISIERUNG UND L ANDSCHAFTSIDEE
KONSERVATIVE
Die Landespflege entwickelte sich von einem eher künstlerischen und handwerklich-pflegerischen Fach zu einer Planungswissenschaft, also einer Wissenschaft, die einem versachlichten, rechtlich geregelten Planungsbetrieb zuarbeitete, einer Wissenschaft, die mehr und mehr um zweckrationale, und das heißt in aller Regel wirtschaftlich begründete und im Rahmen des offiziellen politischen Geschehens vermittelbare Ziele bemüht war9. Darauf wird hier nicht weiter eingegangen, sondern nur auf die Ökologisierung. Etwa zwei Jahrzehnte nach dem Krieg war die konservative Zivilisationskritik endgültig aus der offiziellen Programmatik der Landespflege getilgt,10 damit aber auch, ganz unabhängig von der politischen Ausrichtung, das Aufgabenverständnis als ein kulturelles überhaupt. Landespflege oder, von nun an häufiger benutzt, weil es die neue Ausrichtung trifft, Landschaftsplanung gilt als angewandte Ökologie. Landschaft wird nun primär als ein ökologischer, also naturwissenschaftlich zu beschreibender Gegenstand gesehen. Das Studium der Landespflege/Landschaftsplanung besteht jetzt oft ganz überwiegend im Erlernen von „naturwissenschaftlichen Grundlagen“ und von Ökologie bzw. ihrer Teilgebiete oder Hilfswissenschaften wie Pflanzensoziologie, Bodenkunde, Klimatologie, Hydrologie. Wie war dieser Übergang von der inneren Struktur derjenigen Figur her möglich, in der man in der konservativen Zivilisationskritik Landschaft dachte? Wie konnte es plausibel erscheinen, dass ein Gegenstand, den man gewohnt war mit Begriffen wie Stimmung, Schönheit, Erhabenheit oder auch als Ausdruck des Volksgeistes zu beschreiben, mit Begriffen einer Naturwissenschaft, z.B. Stickstoffkreislauf, beschrieben werden kann?
9
Vgl. Runge 1998: 50 ff.
10 Körner 2006: 19.
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Nun, diese Möglichkeit war schon mit dem Entstehen der klassisch-konservativen Landschaftsvorstellung selbst gegeben. Mit ihr war ja Landschaft nicht wie vorher nur ein Gemälde, sei es auf der Leinwand, sei es in Geist und Seele des Betrachters, d.h. ein ästhetischer Gegenstand und zugleich ein Symbol für eine ideale Welt. Landschaft war vielmehr auch das im Gemälde Dargestellte; wohlgemerkt, nicht nur, wie vorher auch schon, eine reale Gegend, insofern man sie als Bild betrachtet, sondern diese Gegend als betrachterunabhängige Realität selbst. Landschaft konnte im konservativen Denken also ein physischer und sozialer Funktionszusammenhang sein.11 Damit konnte sie auch ein ökologisches System sein oder es doch enthalten. Auf dieses System, quasi auf das Land in der Land-und-Leute-Einheit, konzentrierte man sich nun. Als Motiv für diese Konzentration darf man vermuten, dass man vor allem „ideologiefrei“ sein wollte und das am besten möglich schien, wenn man sich um die „Leute“, also die Gesellschaft, gar nicht kümmerte. Der Begriff, mittels dessen man innerhalb der Landespflege den Übergang schaffte von der Denkweise der konservativen Zivilisationskritik zu dem, was man später ökologisches Denken nannte, war der der Gesundheit. Das zeigt sich vor allem im Werk von Konrad Buchwald, welches wohl mehr als irgendein anderes für die Weichenstellung in die neue Richtung verantwortlich war.12 Am Ende dieses Transformationsprozesses galt das Landschaftsbild nun nur noch als ein eher nebensächlicher Aspekt eines „ganzheitlichen Systems“. Das war eine völlige Umkehrung der vorigen Auffassung. Vor dem Entstehen der klassisch-konservativen Landschaftsvorstellung konnte Landschaft überhaupt nur ganzheitlich sein, weil sie ein Gemälde war. Ein Gemälde ist eben ganzheitlich, eine kleine Veränderung durch einen Pinselstrich an irgendeiner Stelle verändert es als Ganzes. Demgegenüber ist dieselbe Gegend unter dem Blick der Naturwissenschaft kein Ganzes mehr. Dieser Blick ist analytisch, er zerlegt alles in voneinander geschiedene Teile und abstrakte Aspekte. Und was er sieht, ist bloße Faktizität, hat keine Beziehung mehr zum Guten und Schönen; schon deshalb sieht er nicht mehr das Ganze, denn dazu gehört letzteres ja auch. In der klassisch-konservativen Landschaftsvorstellung war die Landschaft nicht mehr nur Bild, aber sie war doch auch Bild und es war die schöne Landschaft, die eine gelungene Entwicklung der Land-und-Leute-Einheit ausdrückte und krönte, und als das Wesen dieser Entwicklung hat man gesehen, dass individuelle Kulturen Kulturlandschaften hervorbringen.
11 Siehe oben Kap. 6.3.2. 12 Buchwald 1956, siehe dazu Kap. 3.3 in Körner 2001a.
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Nach den Transformationen der Nachkriegszeit aber galt das Ganze der Landschaft als nur wissenschaftlich zugänglich, und damit war in aller Regel nanaturwissenschaftlich gemeint. Ein typischer Vorwurf an diejenigen, die als Landschaftsarchitekten vom künstlerischen Zugang nicht lassen wollten, war, man müsse doch das Ganze sehen, dürfe sich nicht auf das Bild einschränken. Mit dem Ganzen aber pflegte die Gegend als ein physischer, in Begriffen der Ökologie zu beschreibender Gegenstand gemeint zu sein. „Der Gegenstand der landespflegerischen Bemühungen ist nicht das Landschaftsbild, sondern das näher bezeichnete standörtliche Wirkungsgefüge von Biosphäre, Atmosphäre, Wasser und Boden“, so Mäding.13 Man kann nun fragen, welcher Begriff in einem naturwissenschaftlichen Zusammenhang geläufig ist und doch für etwas stehen kann, was es in der Naturwissenschaft, wie es scheint, nicht geben kann, nämlich Ganzheit. Dafür bot sich der Begriff Gesundheit an. Er integriert gewissermaßen alles, was dem angemessenen Funktionieren des Lebewesens zustoßen kann. Nicht nur dieser oder jener Körperteil ist krank, sondern damit zugleich immer das Lebewesen als Ganzes. Wenn man alles, was in einem Gebiet naturwissenschaftlich erforscht werden kann, nach seiner Bedeutung für die Gesundheit befragt, dann betreibt man, so lag es nahe zu denken, ganzheitliche naturwissenschaftliche Forschung. Vorher, im Denken der konservativen Zivilisationskritik, erhielt alles, was man tut, seinen Sinn durch seine Beziehung zu dem göttlichen (oder natürlichen oder historischen) Auftrag, die organische Einheit von menschlicher Gemeinschaft und ihrer Naturumgebung zu der ihr möglichen Vollkommenheit zu entwickeln, also das Wesen von Gemeinschaft und Natur zu entfalten – zu der Vielfalt, die der jeweiligen Eigenart gemäß ist. Nun lag der Sinn von allem, was man in der Landschaft und mit der Landschaft macht, in seinem Beitrag zu Gesundheit. Dieser Begriff erlaubte einerseits die Reduktion auf Materielles. Gesunde Landschaft bedeutet, dass sie für den physischen Menschen gesund ist: Die Luft ist sauber, das Wasser klar. Landschaftsforschung wird so identisch mit dem, was später (ökologische) Umweltforschung hieß. Das Ziel der Landespflege lag nun darin, ein körperlich gutes Leben zu ermöglichen und, das trat mehr und mehr in den Vordergrund, das Überleben zu garantieren. Der Begriff der Gesundheit erlaubte allerdings auch, Anschluss an die Vorstellungswelt der konservativen Zivilisationskritik zu halten. Gesundheit kann auch seelisch sein. Vor allem aber ist wichtig: Wenn die Gemeinschaft der Menschen als organisch gedacht wird, dann sind soziale Fehlentwicklungen Krankheiten dieses sozialen Organismus. Und wenn die Landschaft als Einheit von Land und Leuten ein or-
13 Mäding 1951: 4 f.
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ganisches Ganzes ist, dann kann auch die Landschaft selbst gesund sein und nicht nur gesund genannt werden, wenn sie der Gesundheit der Menschen zuträglich ist. Was vorher gesellschaftlich-kulturell sinnvolle Verhältnisse waren, das wird nun zu gesunden sozialen Verhältnissen. Was aber ist ungesund? Zunächst das, was den einzelnen Menschen körperlich und seelisch schädigt, „die Einflüsse der modernen Industrie- und Großstadtentwicklung mit ihrer Loslösung des Menschen vom natürlichen Leben und Lebensrhythmus“14. Doch auch das ist ungesund, was die Gemeinschaft schädigt, z.B. Egoismus, Parteienkämpfe, Unmoral, alles, was ein organisches Zusammenwirken der Glieder der Gemeinschaft behindert. Damit ist man wieder bei der klassisch-konservativen Kritik an der Zivilisation. In dieser galt aber vor allem eine andere Gesellschaft als notwendig, so dass dann auch die Landschaft nicht mehr zerstört würde. Jetzt aber ist umgekehrt vor allem eine andere, nämlich eine naturnähere Landschaft nötig, damit die Menschen und die Gesellschaft – und im Zirkelschluss: die Landschaft selbst – von ihren zivilisationsbedingten Krankheiten geheilt werden. Die Herstellung einer naturnäheren Landschaft aber ist eine Aufgabe ökologisch ausgebildeter Fachleute geworden.
8.3 V ERSACHLICHUNG
UND
V ERDRÄNGUNG
Dieser Transformationsprozess hatte, wie aus all dem folgt, vor allem zwei Ergebnisse: Versachlichung und Verdrängung. Damit war er aber nicht eine Versachlichung in jeder Hinsicht. Etwas fehlte, das Verdrängte. Es blieb nicht einfach die „Sache“ übrig, denn das tatsächlich oder vermeintlich Unsachliche, das verdrängt wird, ist ja nicht verschwunden, sondern nur in irgendeinen Winkel abgeschoben, wirkt weiter und beeinträchtigt den sachlichen Umgang mit der Sache. Worin bestand die Versachlichung? Die Grundlagen der Landespflege konnten nicht mehr aus der Blut-und-Boden-Theorie abgeleitet werden. Es sollte aber auch jedem anderen Vorwurf vorgebeugt werden, man würde statt von der Sache von interessebedingten Vorurteilen ausgehen, also ideologisch argumentieren. Das war auch ein Grund, weshalb es problematisch war, wieder an die alte konservative Idee von der Heimatlandschaft anzuknüpfen – daran, dass ein sinnvolles, d.h. gottgewolltes Leben darin bestehe, an deren Bewahrung und Gestaltung
14 Buchwald 1956: 57.
8. ÖKOLOGISIERUNG
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mitzuwirken. Man hätte sich dem Einwand ausgesetzt, die letzten Fundamente dieser Auffassung könne man nicht wissenschaftlich beweisen, nur glauben. Und was die Idee der Heimat angeht, so mögen zwar viele der Auffassung sein, damit sei ein allgemein-menschliches Bedürfnis getroffen, so dass die Landespflege einen objektiven Anhaltspunkt darin hat. Aber die gegenteilige Auffassung, die man vielleicht die Idee des Kosmopolitismus nennen könnte, erscheint vielen überzeugender, und oft sind es dieselben Menschen, denen je nach Situation einmal die eine, einmal die andere der beiden einander widersprechenden Positionen einleuchtend erscheint. Versachlichung, wie sie nun gefordert war und auch stattfand, bestand darin, dass immer allgemein nachvollziehbar begründet werden musste, ob eine bestimmte Maßnahme richtig ist. Das bedeutete vor allem: Es musste jeweils nachgewiesen werden, dass sie der Gesundheit zuträglich ist, und dieser Nachweis war auch, so schien es, prinzipiell möglich, weil es hier keine unterschiedlichen Werturteile geben konnte. Denn Gesundheit ist ein naturwissenschaftlich feststellbarer, „wertfreier“ Sachverhalt, und sie liegt im Interesse eines jeden. Ob das nun richtig ist oder nicht, die alte Ideologie war man damit doch nicht ganz losgeworden. Sie steckte vor allem darin, dass es nicht nur eine Zuträglichkeit von Umweltfaktoren für die Gesundheit der Menschen geben sollte und man in diesem Sinne metaphorisch von „gesunder Landschaft“ (später: gesunder Umwelt) sprechen konnte, sondern dass es auch eine Gesundheit der Gemeinschaft und eine Gesundheit der Landschaft in einem mehr oder weniger wörtlichen Sinn geben sollte. Diese organismische Auffassung war jedoch nicht nur ein Relikt, sondern fungierte auch als eine Art Platzhalter für eine spätere weitere Versachlichung. Nicht dass man dann nur noch nach der jeweiligen Zuträglichkeit bestimmter Umweltfaktoren für die Gesundheit der Menschen gefragt hätte, sondern man fragte nach wie vor in einem bestimmten Sinne nach dem Zustand der Landschaft oder der Umwelt – das wurde nun weitgehend bedeutungsgleich gebraucht – selbst. Der Nachweis wurde verlangt, dass eine bestimmte Naturnutzung – eine „schonende“ – die langfristig effektivere ist, weil sie die Landschaft bzw. Umwelt auf Dauer zu nutzen erlaubt. Das war aus der Gesundheit der Landschaft selbst geworden. Jahrzehnte später setzte sich dafür die Bezeichnung „Nachhaltigkeit“ durch. Dahinter stand die Vorstellung, dass alle Umweltfaktoren und wir selbst einem einzigen System angehören, in dem alles auf alles wirkt. Dieser Vorstellung ist zwar noch deutlich die Herkunft aus der Denkfigur der Land-und-Leute-Einheit anzumerken, die ein einziger großer Organismus ist. Doch gibt es den wichtigen Unterschied, dass das allumfassende Ökosystem zwar einerseits als uns übergeordnet gilt, so dass wir den Bedingungen unterliegen, die es uns setzt, und uns diesen fügen müssen, aber andererseits
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als prinzipiell technisch beherrschbar gilt.15 Man glaubt, dass man seine Veränderungen planen und die Vorgänge in ihm steuern kann, wenn man es hinreichend wissenschaftlich erforscht hat, auch wenn das aufgrund seiner Komplexität schwierig ist. Dagegen konnte die alte Land-und-Leute-Einheit, wie jeder Organismus, nur von sich aus wachsen; man konnte sie nur pflegen und so in ihrem eigenen Bestreben unterstützen. Diesen Wandel kann man in der Tat eine Versachlichung nennen: Statt der Glaubensüberzeugung, dass die Natur sinnvoll geordnet ist, dass in ihr zum Wohle des Ganzen alles in alles greift usw. wird jetzt wissenschaftlich erforscht, was wann wie ineinandergreift und was davon entweder für uns unmittelbar nützlich ist oder aber angemessen funktioniert im Dienste der Erhaltung dieses Systems selbst, so dass man es gezielt fördern und, wenn erforderlich, umkonstruieren kann. Was dabei verdrängt wurde, ist nach dem bisher Gesagten leicht zu sehen. Was seit einem halben Jahrtausend das Interesse an der Landschaft war, was ihr vor allem in der Romantik, aber nicht nur da, göttliche Weihen verlieh, kommt nicht mehr vor. Es kann nicht mehr vorkommen, weil der Zwang zu naturwissenschaftlicher Methodik nicht mehr zulässt, dass es bemerkt wird. Alles Ästhetisch-Kulturelle gilt als irrational, weil es subjektiv ist, d.h. bei jedem Menschen anders ist und sich Gefühlen verdankt oder Werthaltungen, die sich nicht verallgemeinern lassen – so meinte man jedenfalls. Rational aber muss es in der Landespflege zugehen, wenn sie zu den neuen Verhältnissen passen soll, also in ihnen eine praktisch-politisch wichtige Rolle spielen soll. Damit isolierte sich allerdings die Landespflege bzw. später die Landschaftsplanung tendenziell vom normalen Leben der normalen Menschen. Denn für diese war das, was nun als irrational und eher als eingebildet denn als real galt, selbstverständlich nach wie vor das Wesentliche an der Landschaft. Der Motivationshintergrund auch der modernen, ökologisierten Landespflege blieb aber im Wesentlichen die alte, kulturkonservative Landschaftsidee. Die Landespfleger wussten ja nicht, dass das Ökosystem, das sie nun meinten, wenn sie Landschaft sagten, tatsächlich jenes Interaktionssystem ist, das mit sich und seiner Umwelt im Gleichgewicht steht, in dem alles auf alles wirkt und das als Ganzes in Mitleidenschaft gezogen wird, und wir mit ihm, wenn wir an einer Stelle etwas verändern. Niemand hatte das nachgewiesen, auch wenn noch so viel an einzelnen ökologischen Zusammenhängen erforscht worden sein sollte. Dass sie meinten, es sei ein solches System, verdankte sich der Suggestionskraft der Vorstellung vom ganzheitlichen organischen Land-und-Leute-Zusammen-
15 Zum Ökosystembegriff insbesondere im Zusammenhang mit der Frage technischer Beherrschbarkeit siehe die Kap. 5.2 und 6.2 in Voigt 2009.
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hang. Sie glaubten, es sei sinnvoll zu sagen, ein Ökosystem könne zerstört werden wie ein einzelner Organismus, statt einfach nur verändert. „Einfach nur verändert“ heißt, dass, was immer man mit ihm tut, es doch immer ein Ökosystem bleibt, wenn auch ein anderes, statt wie bei einem Organismus nach der Zerstörung etwas völlig anderes zu werden, nämlich ein toter Körper. In diesem Glauben ist offenbar noch die Vorstellung am Werk, dass es gottgewollt, d.h. für das Ganze sinnvoll und nicht nur für uns nützlich sei, in dem organischen landschaftlichen Zusammenhang als ein Glied zu leben, ihn zu schützen und zu fördern. Dass die Landschaftsplaner, und auch viele Ökologen, dann, wenn sie Ökosystem sagten und ihr Berufsverständnis danach ausrichteten, paradoxerweise in Wirklichkeit Landschaft meinten und heute noch meinen, also „das Ökosystem“ als einen solchen landschaftlichen Zusammenhang sehen und damit auch und vor allem als ein ästhetisches und kulturelles Phänomen, erkennt man leicht, wenn man fragt, was als ein Ökosystem gilt. Ein Ökosystem ist ein Wald, ein See, eine Wiese; vielleicht sagt man auch: Ein Wald usw. sei erst in einer bestimmten, und zwar „systemaren“ Betrachtungsweise ein Ökosystem, nicht der Wald als solcher. Aber es muss doch immer ein Gegenstand von der Art des Waldes, der Wiese oder des Sees sein. Und so ist es auch kein Problem, objektiv festzustellen, welche und wie viele Arten von Ökosystemen es in einem bestimmten Gebiet gibt: Wälder, Seen, Wiesen, Hecken, Fließgewässer und noch einige mehr. Ökologisch, also naturwissenschaftlich gesehen aber ist die Lebensgemeinschaft in ihren Umweltbeziehungen in einem Bodenkrümel oder an den Wänden des Ganges, den der Borkenkäfer ins Holz gefressen hat, nicht weniger ein Ökosystem als die des Waldes usw. So etwas meint man nicht mitzählen zu müssen, weil es der landschaftliche Blick16, oft auch das Bild der vorindustriellen Kulturlandschaft ist, welches bestimmt, was als ein Ökosystem zu gelten hat. Alles, was für dieses Bild von Bedeutung ist, hat das Recht, ein Ökosystem genannt zu werden, und nichts anderes. Vermutlich weil die Diskrepanz spürbar war zwischen dem, was im Fach offiziell als richtig galt – Landschaftsplanung ist angewandte Naturwissenschaft –, und dem, was man als die eigene eigentliche Motivation empfand, kam es immer mehr zur Kritik an der Ökologisierung; darauf wird am Ende des Kapitels noch kurz eingegangen.
16 In der klassischen Geografie hat man, außer der Bedeutsamkeit für „den Menschen“, als Auswahlkriterium für „landschaftliche“ Untersuchungen auch die „landschaftlichphysiognomische Bedeutsamkeit“ herangezogen (O. Schlüter). Das trifft es in der Tat. Allerdings hat man dieses Kriterium objektivistisch missverstanden.
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Verdrängt wurde nicht nur die Idee der Landschaft, verdrängt wurde auch die Gesellschaftskritik. Die konservative Landschaftsidee, etwa in der alten Heimatschutzbewegung, war Kritik an der Gesellschaft des industriellen Kapitalismus, an der „Zivilisation“. Ziel war die Rückkehr zu den alten gesellschaftlichen und geistig-moralischen Ordnungen. Richtige Landschaftsgestaltung würde sich dann ergeben. Aktive, gezielte Landschaftsgestaltung, ebenso Landschaftsschutz, sofern man das überhaupt für sinnvoll hielt, diente vor allem der Stärkung einer politischen Bewegung, die diese Rückkehr anstrebte. Den Blick auf nicht zerstörte Landschaft zu ermöglichen diente dazu, das Bewusstsein dafür wachzuhalten, worum es eigentlich ging: die Veränderung des gesellschaftlichen Ganzen. Man hatte kaum die Vorstellung, dass sich unter den herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen die Landschaft in einer Weise sei es erhalten, sei es umgestalten ließe, die von irgendeiner realen ökologischen oder sozialen Bedeutung wäre. Schutz und Gestaltung der Landschaft war eher Bestandteil einer Politik der Zeichen. Real verändert werden musste die Gesellschaft. Die neue Landespflege kritisierte zwar die Landschaftszerstörung, aber sie bekämpfte nicht die Gesellschaft, die die Landschaft zerstört.17 So sehr die Gesellschaft auch kritisiert wurde als landschaftszerstörend, sie konnte doch bleiben, wie sie ist. Die Landespflege stellte sich nur die Aufgabe, bei Fortexistenz der die Gesundheit zerstörenden gesellschaftlichen Verhältnisse für die hier und jetzt durch Landschaftsschutz und Landschaftsgestaltung mögliche Kompensation zu sorgen. Die für die zerstörerischen Prozesse entscheidende Sphäre, die der Produktion, blieb unangetastet. (Natürlich hätte dieser Berufszweig sie real ohnehin nicht antasten können, aber sie blieb auch außerhalb der Kritik.) Nur in der Sphäre der Reproduktion sollten Möglichkeiten eröffnet werden, die schädlichen Wirkungen der Zivilisation auszugleichen.18 Man wollte Raum schaffen für Aktivitäten wie Wandern und Gärtnern.19 In Schutzgebieten, vor allem Landschaftsschutzgebieten – als Schutzkategorie schon im Reichsnaturschutzgesetz von 1935 eingeführt –, sollte bewahrt werden, was noch nicht zerstört ist, und von dem erhoffte man sich in erster Linie, dass es eine wohltätige Wirkung auf die Menschen in ihrer Freizeit ausübt. Die Zerrüttung, die von der industriellen Lebensweise ausgeht, wie sie vor allem den Arbeitsalltag prägt, sollte so gemildert werden. Der Arbeitsalltag selbst aber schien wegen der Macht der Interes-
17 Hier geht es noch nicht um die Zeit nach 1970. 18 Entsprechende Vorstellungen in der DDR unterschieden sich in dieser Hinsicht davon deutlich, siehe z.B. Weinitschke 1980: 90 f.; siehe auch die Beiträge in Behrens (Hg.) 2007. 19 Körner 2001a: 101 ff.
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sen, die hinter ihm stehen, faktisch unantastbar oder man wollte ihn nicht antasten, weil man ihn so, wie er war, für sachlich geboten hielt. Die Idee der Landschaft war nicht mehr wie in den vergangenen Epochen in eine Vision von einer ganz anderen Gesellschaft eingebunden. (Eine Ausnahme ist in gewisser Weise die Epoche des Nationalsozialismus: Die Vision schien da ja schon Wirklichkeit geworden.) Aus dieser gedanklichen Konstellation heraus ergab sich, dass es nicht mehr um die Bekämpfung des Gesellschaftssystems ging, sondern darum, mit der Verwaltung und „der Politik“ dieses Systems zusammenzuarbeiten. (Die heute – nicht nur in diesem Fach – übliche Redeweise von „der Politik“ wurde nun möglich, denn Politik erschien jetzt als eine klar umgrenzte und fremde gesellschaftliche Sphäre: Man selbst machte ja keine.) Man suchte vor allem Einfluss auf die Gesetzgebung zu erlangen. Auf diese Weise kam es in den Jahrzehnten nach 1970, als die Landespflege durch die Umweltbewegung eine enorme Schubkraft erhalten hatte, zu einer extremen, vorher ganz unvorstellbaren Verrechtlichung von allem, was mit Natur und Landschaft zu tun hat. Alles in allem konnte man so die berufspolitische Strategie der gesamtstaatlichen Planung, die im Wesentlichen im Nationalsozialismus begonnen hatte, unter neuen Vorzeichen weiterführen. Was die Strategie der inhaltlich umfassenden Planung angeht, so wurde man allerdings bescheiden. Kulturelles und Ästhetisches kam zumindest explizit nur mehr am Rande vor. Die nationalsozialistische Landespflege hatte dagegen in der Tat einen umfassenden Anspruch. Er ergab sich aus der Blut-und-Boden-Theorie und äußerte sich in der – zumindest angemaßten – Zuständigkeit der Landespflege sowohl für die Seelen- als auch für die Wirtschaftslandschaft (und in den eroberten Gebieten auch „Wehrlandschaft“). Das zog praktisch die Forderung nach Integration aller Landnutzungen nach sich.20 Dieser Anspruch wurde der Tendenz nach in der Nachkriegszeit nahezu ins Gegenteil verkehrt. Gerade weil man sich in die Reproduktionssphäre zurückgezogen hatte, konnte die Landespflege staatliche Aufgabe werden, d.h. deswegen konnte sie auf die Erlaubnis hoffen, im staatlichen Auftrag zu handeln.
20 Diese Forderung hatte aber auch ältere Wurzeln; sie war teils aufklärerisch, teils gegenaufklärerisch motiviert. Zu diesen Wurzeln zählen bereits die Landmeliorationen Friedrichs des Großen, das „Gartenreich“ von Anhalt-Dessau, die Planungen von Lenné für die Umgebung von Berlin und die Bewegung der Landesverschönerung (vgl. Runge 1998). Im Fach Landespflege waren auch noch in der Nachkriegszeit diese Traditionen durchaus von gewisser Bedeutung, für die Vorstellungen von Landschaft in der Gesellschaft insgesamt, anders als die NS-Landschaftsideologie, aber sicher nicht – von ganz allgemeinem wie dem Arkadien-Ideal abgesehen.
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Hätte sie den (konservativen) gesellschaftsverändernden Anspruch aufrechterhalten, hätte sie sich keine Hoffnung machen können, je die Rolle spielen zu dürfen, die sie dann tatsächlich spielte: bei allen „Eingriffen in Natur und Landschaft“ aufgrund rechtlicher Regelungen mitentscheiden zu dürfen, zumindest gehört werden zu müssen. Man musste sich zwar weiterhin mit allen Landnutzungen auskennen, weil sie von Einfluss waren für die Funktion, die Landschaft für die Reproduktion der Menschen hatte, aber nicht mehr deshalb, weil man von der Idee der Landschaft aus die Nutzung auch und gerade in ihrer Bedeutung für die Produktion beeinflussen wollte. Die relativ bedeutende Rolle im Rahmen der staatlichen Planung insgesamt wurde nur möglich, weil die Landespflege nicht mehr die Idee der Landschaft, als Basis oder Ausdruck der moralisch richtigen Lebensweise, an die erste Stelle setzte. Stattdessen ließ sie die verschiedenen Interessen an der Landschaft gelten.21 Sie erschienen gerechtfertigt einfach dadurch, dass es sie gab, und in ihrem jeweiligen Einfluss gerechtfertigt dadurch, dass sie jeweils einen bestimmten Einfluss hatten. Die Landespflege suchte nur den Ausgleich zwischen ihnen, aber letztlich ordnete sie sich bestimmten Interessen unter, den ökonomischen – so sehr sie sich im Detail auch gegen (bestimmte) ökonomische Interessen wenden musste. Fachinhalte wurden nun grundsätzlich so formuliert, dass sie politisch vermittelbar erschienen, und zwar in einem Rahmen, in dem die Unterordnung unter ökonomische Interessen allgemein akzeptiert ist. Die Äußerungen der Landespfleger waren zwar in der Zeit der alten Zivilisationskritik auch politisch; was da geschrieben wurde, waren politische Aufrufe. Aber jetzt hieß politische Vermittelbarkeit etwas anderes: „Die Politik“ muss uns verstehen und akzeptieren. Die Sprache änderte sich damit völlig. Es war nicht mehr die des antimodernen Bußpredigers, sondern der Jargon der etablierten Politik und der Verwaltung, gemischt mit Versatzstücken aus derjenigen Wissenschaft, der man sich verschrieben hatte. Die eigenen Ziele begründete man von dem in der Gesellschaft akzeptierten Bedarf her, statt wie früher die Gesellschaft darüber zu belehren, wonach sie Bedarf haben sollte, zumindest nach dem wahren Bedarf zu fragen. Statt gegen die Tyrannei des Nutzendenkens zu polemisieren, versuchte man nun zu beweisen, dass der Schutz von Natur und Landschaft Nutzen bringt, vor allem auch ökonomischen, zumindest langfristig betrachtet. In diesem Nutzendenken verschwanden auch die Reste dessen, was man von der Schönheit und der symbolischen Bedeutung der Landschaft noch bemerkte.
21 Später ist daraus das Berufsideal des Mediators geworden; der Landschaftsplaner vermittelt im Extrem nur noch am runden Tisch, er versucht nicht mehr, eigene Vorstellungen durchzusetzen.
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Auch dem Landschaftserleben musste ein Nutzen zugewiesen werden, sonst war es im Rahmen der neuen Denkweise nicht möglich zu rechtfertigen, dass man etwas für dieses Erleben tat. Es musste zudem eine Art von Nutzen sein, der im bestehenden Gesellschaftssystem akzeptiert und für hinreichend wichtig gehalten wird. Das ist die Erholung. Sie dient dem Einzelnen und vor allem „der Wirtschaft“. Erholungswirksam ist eine Landschaft besonders dann, wenn sie eben die Eigenschaften hat, die sie auch in der klassischen konservativen Idee haben sollte: Vielfalt, Eigenart und (darum) Schönheit, und auch „historischen Wert“. Man schließt das daraus, dass eben solche Landschaften die Menschen anziehen. Daraus folgt in Wirklichkeit natürlich nicht, dass sie tatsächlich erholungswirksam sind. Zum einen wäre, selbst wenn die Menschen sie aufsuchten, um sich zu erholen, damit ja nicht erwiesen, dass das auch funktioniert. Zum anderen suchen ja die Menschen die Landschaft tatsächlich kaum jemals auf, um sich zu erholen, sondern z.B., um ihren Anblick zu genießen oder sich an der Geschichtsträchtigkeit zu erbauen. Ob sie sich nun dabei erholen oder ob sie danach Erholung nötig haben – das sind nur Nebeneffekte. Durch die Nutzenorientierung hat man erreicht, dass nicht-naturwissenschaftliche Begriffe wie Schönheit usw. wie naturwissenschaftliche verwendet werden können. Man kann messen, zählen, nach allgemeinen Gesetzen des Wirkens suchen. Da nun auch Nichtnutzung als eine Art der Nutzung gelten kann, wird alles, was in Natur und Landschaft wahrzunehmen ist und damit auch ihre Schönheit usw., zur Ressource. Es kann damit im Hinblick auf seinen jedenfalls im Prinzip messbaren Beitrag zu einer erwünschten Wirkung hin betrachtet werden. So wird seitdem Naturschutz und Landschaftsschutz in weiten Kreisen des Faches mit Ressourcenschutz identifiziert, als ob das selbstverständlich wäre. Im klassischen Naturschutz, als dieser noch mit der Heimatschutzbewegung aufs Engste verbunden war, war das noch ganz anders, denn Vielfalt, Eigenart und Schönheit oder auch das Heimatliche an einer Landschaft war nicht eine Ressource für eine bestimmte Nutzung, auch nicht für die Erholung, wenn das auch gelegentlich angesprochen wurde. Sie waren vielmehr das, was durch das Umsichgreifen des Nutzendenkens bedroht war – bedroht dadurch, dass sie zur Ressource, d.h. zum bloßen Mittel für einen Zweck, den wir für nützlich erachten, degradiert worden waren. Das Heimatliche und alles, was im Rahmen des klassisch-konservativen Denkens damit verbunden war, gehörte stattdessen auf die Seite des Zwecks, nicht des Mittels, gehörte zu dem, was es zu bewahren gilt, weil es an sich sinnvoll oder geboten ist, weil es an sich von Wert ist, und es gehörte zur Idee einer der bloßen „Zivilisation“ entgegengesetzten „Kultur“.
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Freizeit- und Erholungsplanung ersetzten spätestens seit den 60er Jahren das Verständnis von Landespflege als kulturelle Aufgabe.22 Vor allem das Bild der Landschaft wird zur Ressource für diese Art von Nutzung, und Landschaftsplanung kann sich damit insgesamt als Teil des Ressourcenschutzes verstehen. Das ist inzwischen so weit gediehen, dass es vielleicht Studenten dieses Fachs noch begreiflich zu machen ist, Natur und Landschaft könnten auch eine andere Bedeutung haben als entweder nutzbar zu sein für ökonomische Zwecke oder zu Erholungszwecken (und damit indirekt für ökonomische), dem größten Teil der ausgebildeten Landschaftsplaner aber wohl nicht mehr. Wenn das Bild der Landschaft – und ebenso ihr historischer Wert – zur Ressource geworden ist, dann ist es, wie gesehen, prinzipiell zu einem mit den Methoden der Naturwissenschaft (und der Wirtschaftswissenschaft) zu behandelnden Gegenstand geworden. Die Erholungswirksamkeit einer Landschaft kann man nun messen wie irgendeinen ökologischen Sachverhalt, z.B. den Gehalt des Flusswassers an bestimmten Nährstoffen oder Giften. Ob man nun die Erholungswirksamkeit gemessen hat oder damit gleich die landschaftliche Schönheit, das ging oft durcheinander. Ihren ersten Höhepunkt erreichten Bestrebungen dieser Art im sogenannten V-Wert von Hans Kiemstedt (1967). Er ging davon aus, dass die Erholungswirksamkeit von der landschaftlichen Vielfalt abhängt, diese aber im Wesentlichen von der Länge landschaftlicher Grenzen, z.B. zwischen Wald und Offenland. Da der Waldrand „ebenso Träger geistigen Gehaltes in der Landschaft“23sei, lässt sich auch dieser quantifizieren.24 Das war in gewissem Sinne durchaus eine Verwissenschaftlichung und damit eine Versachlichung der Diskussion. Es ging nicht mehr um individuelle Vorlieben, so dass der Landschaftsgestalter dann ebenso gut seine eigenen, ganz persönlichen zugrundelegen konnte. Sondern man wollte ja nun auf der Basis von allgemeingültigen Gesetzen der Erholungswirksamkeit handeln. Würde man diese kennen, dann wäre es möglich, auf diese Wirksamkeit bezogene Planungsaussagen subjektunabhängig nachzuprüfen und sie als allgemeingültig zu legitimieren. Doch zahlte man dafür einen hohen Preis. Denn es ist ja nicht nur die Vielfalt, die die Attraktivität einer Landschaft – und damit vermeintlich auch ihre Erholungswirksamkeit – ausmacht, sondern auch ihre Eigenart. Dem individuellen Charakter der Landschaften konnte man aber mit solchen universell, in beliebigen Gegenden immer auf die gleiche Weise einsetzbaren Methoden nicht
22 Körner 2001a, insbesondere Kap. 4 „Die zweite Modernisierung der Landespflege“. 23 Kiemstedt 1967: 19. 24 Ausführlich Kap. 4.1 in Eckebrecht 2002 sowie Körner 2001a.
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gerecht werden.25 Im Extremfall müsste z.B. einer „typischen Odenwaldlandschaft“, nachgebaut in einem willkürlich ausgewählten geologisch-geomorphologisch und klimatisch geeigneten Mittelgebirge, genau der gleiche Wert zugeschrieben werden wie dem Original. Das Wissen darum, ob eine Landschaft „echt“ ist, dürfte aber sogar eine naturwissenschaftlich messbare Erholungswirksamkeit beeinflussen. So setzte auch bald Kritik an diesen Methoden ein, und das Verfahren von Kiemstedt wurde zum Anstoß für die Entwicklung einer Vielzahl weiterer Landschaftsbildbewertungsverfahren.26 Auch hier ist es sicher sinnvoll, wie schon mehrfach, eine Relativierung einzufügen: Wenn ich behaupte, die Landespflege habe sich in dieser Weise in den Nachkriegsjahrzehnten zu einem Fach entwickelt, das sich als angewandte Ökologie versteht, dem die kulturelle und die ästhetische Dimension abhanden gekommen ist oder sich in der Struktur der Vorstellungen über Landschaft als physisch-ökologisches Objekt versteckt und in dem alles auf seinen Nutzen im bestehenden Gesellschaftssystem hin befragt wird, dann ist das, wie alles in diesem Buch, idealtypisch zugespitzt. Die Absicht ist nicht, eine einigermaßen umfassende Beschreibung dessen zu geben, was es zu bestimmten Zeiten an Ideen zur Landschaft gab. Vielmehr sollen bestimmte in sich einigermaßen konsistente Denkfiguren herausgeschält werden. Man kann jederzeit eine Menge Aussagen in der Fachliteratur der Nachkriegszeit finden, die in die Richtung gehen, von der ich eben behauptet habe, man habe sich von ihr abgekehrt. Meine These ist nur, dass die Tendenz in die beschriebene Richtung ging.
8.4 D ER E INFLUSS
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Diese Tendenz hielt etwa bis 1970 an. Die Etablierung der Landespflege in der BRD und ihre Umwandlung in moderne verwissenschaftlichte Landschaftsplanung fand einen gewissen Abschluss im und mit dem Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971.27 Die Landschaftsauffassung der konservativen Zivilisationskritik war im sozusagen offiziellen Selbstverständnis des Faches nicht mehr zu finden28 und die Fachgeschichte ist von da an vor allem gekennzeichnet durch eine enorme quantitative Ausweitung als Teil der staatlichen und kommunalen Verwaltung und ihr zuarbeitender freier Planungsbüros. Das erklärt sich
25 Kap. 4.1.6 in Körner 2001a. 26 Eckebrecht 2002. 27 Siehe oben S. 219. 28 Körner 2006: 19.
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aber nicht allein, ja nicht einmal hauptsächlich aus dem, was bis dahin die Entwicklung im Fach selbst gewesen ist, sondern verdankt sich einem äußeren Ereignis: Um diese Zeit begann die Umweltschutz- oder Ökologiebewegung29. Von September 1970 bis zum November 1971 stieg der Bekanntheitsgrad des Begriffs Umweltschutz nach einer Infas-Umfrage von 40 % auf 90 %.30 Die Bewegung setzte mit großer Wucht ein, vor allem mit den ersten Kämpfen gegen Atomkraftwerke. Kurz darauf nahm die Landschaftsplanung einen außerordentlichen quantitativen Aufschwung; die Zahl der Studienplatzbewerber stieg innerhalb von zwei bis drei Jahren zum Teil auf das 10fache und mehr. Das verdankte sie allein dieser Bewegung. Inhaltlich hatte diese auf die Tendenz, die bisher im Fach vorherrschte, eine differenzierende Wirkung: Erstens: Unter dem Einfluss der Ökologiebewegung setzte sich in der Landespflege der Prozess der Ökologisierung fort, der hier schon lange vorher begonnen hatte. Wieso diese Bewegung „ökologisch“ dachte und so zu ihrem Namen kam und was das implizierte, kann hier nicht näher ausgeführt werden.31 Natürlich hat sie die so bezeichnete Art, die Natur und die Gesellschaft zu sehen, nicht von der Landespflege übernommen; dass es dieses Fach gibt, war den meisten derer, die man zu dieser Bewegung zählen kann, sicher gar nicht bekannt. Es gab nur eine Wirkung des allgemeinen „ökologischen Bewusstseins“ auf das Fach, nicht umgekehrt. Diese Wirkung kann man an der Einstellung der Studenten ermessen, die diese ja mitbrachten und nicht im Studium erlernten: Das Interesse an der Landschaftsarchitektur, also an der wesentlich künstlerischen, das Ästhetische und Kulturelle betonenden Richtung in der Landespflege, ging zeitweilig gegen Null. Unter den Hunderten von Neuanfängern an einer Universität mochten sich allenfalls ein oder zwei Dutzend dafür interessieren, die anderen verstanden sich als „Ökologen“, und den Landschaftsarchitekten wurde vorgeworfen, mit ihrer „Eingrünung“ die Umweltschäden nur zu kaschieren. Auch in der breiten Öffentlichkeit wurde nun Landschaft zunehmend als etwas gesehen, was in die Zuständigkeit der Ökologie fällt. Landschaft als das, was sie immer hauptsächlich gewesen war – selbst noch in der Figur der Landund-Leute-Einheit, in der sie zwar nicht nur, aber immerhin auch als ein ökologischer Gegenstand galt –, also als etwas Ästhetisches und Kulturelles, trat nun auch im Allgemeinen Bewusstsein zurück. Man kann das heute noch sehen, etwa
29 Ich benutze diese Begriffe hier bedeutungsgleich. 30 Nach Küppers/Lundgreen/Weingart 1978: 116. 31 Zum Beispiel Kap. II in ebd., Einleitung in Trepl 1987, Trepl 1991/92.
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in den Naturfilmen, die nahezu täglich im Fernsehen laufen und, wie es heißt, mehr Zuschauer anziehen als die Fußballberichterstattung. Auch wenn die Bilder außer Tierszenen vor allem schöne oder wilde Landschaften zeigen: Der erklärende Text handelt nahezu ohne Ausnahme von Biologie und insbesondere Ökologie. Die schöne Landschaft und die Landschaft als Sinnsymbol traten aber nur relativ gesehen zurück. Absolut dürfte es wegen des massenhaften Charakters der Bewegung und der späteren Verbreitung ihrer Denkweise in breitesten Bevölkerungsschichten zu einer enormen Zunahme des Interesses an Landschaft auch in diesem Sinne gekommen sein, wenn auch die Fähigkeit, es zu formulieren, weitgehend verschwunden war. Zweitens: Damit ging einher, dass die Grundstruktur der klassisch-konservativen Landschaftsauffassung partiell wiederbelebt wurde: Die Ökologiebewegung oder wenigstens ihr aktiver Kern ging zwar personell überwiegend aus der 68er-Bewegung hervor. Alles in allem wäre, der idealtypischen Einteilung zufolge, die diesem Buch zugrunde liegt, diese Bewegung in die Tradition der demokratischen Aufklärung einzuordnen und in die der Romantik.32 Aber innerhalb kürzester Zeit waren in der Ökologiebewegung die typischen konservativen Werte und Welterklärungsmuster, nicht nur was das Naturbild betrifft, allgegenwärtig. Durch die Herkunft der Bewegung aus einer ganz anderen Traditionslinie kam es jedoch zu erstaunlichen Kombinationen mit anderen, vor allem demokratisch-emanzipatorischen („basisdemokratischen“) Elementen. Das gab der Fachentwicklung teilweise eine neue Richtung. Gesellschaftskritik machte sich wieder bemerkbar. Damit erstarkte auch erneut die Meinung, dass das Anliegen des Faches nicht mit den Mitteln, die diesem Fach zur Verfügung stehen, verwirklicht werden könne, sondern dass dafür eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung erforderlich sei. Die Kritik war nun nicht mehr konservativ, sondern links oder verstand sich zumindest so, auch wenn sie wesentliche Elemente der konservativen Zivilisationskritik in sich aufnahm. Ihr Leitbegriff war nicht mehr Landschaft, sondern Umwelt oder auch Ökologie. Das bedeutete eine Engführung des gesamten Diskurses und zugleich eine Radikalisierung. In den 70er Jahren hatte sich nämlich die Problemwahrnehmung verschoben. Die Industrialisierung (und Demokratisierung) war für die konservative Zivilisa-
32 Wer sich an der Bezeichnung demokratische Aufklärung insbesondere für die großenteils dogmatisch-kommunistische oder anarchistische und in ihrer Vernageltheit nicht gerade aufgeklärt anmutende Bewegung der frühen 70er Jahre stört, möge sich daran erinnern, wie oben diese Variante der Fortschrittspartei charakterisiert wurde, und daran, dass Robespierre einer ihrer nicht untypischen Stammväter ist.
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tionskritik ja vor allem die Bedrohung einer sinnvollen und moralisch gerechtfertigten Lebensweise gewesen; die Natur wurde weniger zerstört als „verschandelt“, der Schaden gehörte also eher in das Gebiet des Moralischen. In den Nachkriegsjahrzehnten aber galt für die Landespflege die Zivilisation primär als Verursacherin physischer Gesundheitsbeeinträchtigung. Das implizierte ein Sinken der Bedeutung der Landespflege und damit ein Legitimationsdefizit. Denn in ihren Anfängen, als klassischer Natur- und Heimatschutz, hatte sie, so sah sie es zumindest, eine Aufgabe, wie sie bedeutender nicht sein kann. Sie wollte die Menschheit vom verderblichen Weg des Fortschritts abbringen, wollte, dass sie wieder so lebt, wie es dem wahren Wesen von Mensch und Natur bzw. dem göttlichen (säkularisiert: dem historischen oder natürlichen) Auftrag gemäß ist. Die Ökologisierung führte zu einem damit verglichen gewaltigen Bedeutungsverlust. Es war ja noch der günstigste Fall, dass die Tätigkeit der Landespflege so wahrgenommen wurde, wie ihre Protagonisten es wollten: als eine gewisse Kompensation der gesundheitlichen Schäden, die die industrielle Produktionsweise zwangsläufig anrichtet. Gesundheitliche Schäden zu mildern lag immerhin im allgemeinen Interesse und war unzweifelhaft eine wichtige Aufgabe. Aber in den Augen der Öffentlichkeit war die Tätigkeit der Landespflege eher auf Naturschutz im Sinne eines Arten- und Biotopschutzes gerichtet. Das war eine Beschränkung auf einen Aufgabenbereich, dem man viele andere gleich wichtige oder wichtigere gegenüberstellen konnte; nicht wenigen schien es nur um die Hobbys von Schmetterlingssammlern und ähnlich verschrobenen Leuten zu gehen. Dem klassischen Natur- und Heimatschutz ging es dagegen immer um die Welt, wie sie sein soll, im Ganzen. Er wollte die Natur retten und die Menschheit, und zwar an Leib und Seele. Aus diesem Legitimationsproblem half das Populärwerden des Ökosystembegriffs – oder besser: einer bestimmten Vorstellung von „Ökosystem“ – heraus. Dieser Begriff verschaffte, jedenfalls im Rahmen der nun vorherrschenden Denkweise, eine bessere Legitimation, als sie der klassische Natur- und Heimatschutz hatte. Denn dessen Vorstellung von einer dem göttlichen Auftrag, der geschichtlichen und der natürlichen Bestimmung gemäßen Gesellschaft musste man ja nicht zustimmen, auch für die moderne Gesellschaft gab es Argumente. Aber kann es ein Argument gegen die Erhaltung der ökologischen Grundlagen des Überlebens der Menschheit geben? Denn das ist es, was mit dem Ökosystembegriff ins Spiel gebracht wurde. Man hat Artenschutz mit Ökosystemschutz auf das Engste verbunden. Das entscheidende Argument war dabei das eines positiven Zusammenhangs zwischen Vielfalt und Stabilität von Ökosystemen, letztlich des globalen Ökosys-
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tems. Dessen Stabilität zu schützen erfordert den Schutz seiner Arten. Bekannt wurde der Flugzeug-Vergleich von Ehrlich und Ehrlich (1981). Wenn man aus einer Flugzeughaut einige Nieten herausnimmt, macht das zunächst gar nichts, doch wenn man immer mehr Nieten entfernt, wird das Flugzeug wackliger und schließlich bricht es auseinander. Die Arten sind die Nieten des globalen Ökosystems. So ließ sich eine alles überragende Bedeutung des Naturschutzes – als Artenschutz verstanden – eingängig begründen. Und das dürfte es in der Tat gewesen sein, was ihm im allgemeinen Denken seit den 70er Jahren seine Wichtigkeit verlieh und zu einem so außerordentlichen Aufschwung verhalf. Die Forderung nach umfassender, systemarer Problemwahrnehmung, die sich unter der Überschrift Ökosystem durchsetzte, war es vor allem, die dazu führte, dass der politische Geltungsanspruch der Landschaftsplanung erneuert wurde. Vorher war es ja längere Zeit in Richtung eines bescheidenen SichEinfügens in das bestehende System von Planung und Entscheidung, unter Akzeptanz aller nun einmal vorhandenen Interessen, gegangen. Nun wurde der inhaltlich umfassende Gesamtplanungsanspruch wieder erhoben. In der Landschaftsplanung wurde das möglich, weil man inzwischen Landschaft in der Regel mit Ökosystem und Landschaftsschutz mit Umweltschutz mehr oder weniger gleichsetzte. Die Landschaftsplanung verstand sich nun weniger als eine Fachplanung für Naturschutz und Erholung, die den anderen Fachplanungen wie z.B. Verkehrsplanung und Stadtplanung beigeordnet ist, sondern sah sich für den „ganzheitlich“, und das heißt als Ökosystem zu betrachtenden Naturhaushalt zuständig, denn dieser ist die Grundlage aller Nutzungen. Keine von diesen wäre ja möglich, gäbe es einen „Zusammenbruch“ des Ökosystems. Daraus entsprang ein neuer Führungsanspruch. Er ist aber unter den Bedingungen der Demokratie politisch prekär, denn unter diesen Bedingungen haben die mit den verschiedenen Nutzungen verbundenen Interessen sich gleichermaßen offenen Diskussionsprozessen zu stellen und Mehrheitsentscheidungen zu respektieren. Nun aber wurde mit dem Argument, dass ja letztlich all die verschiedenen Nutzungen vom Funktionieren des als „ganzheitlich“ vorgestellten Ökosystems abhängen, ein bestimmtes Interesse, das an der Erhaltung dieses Systems, und damit die spezielle Perspektive der Landschaftsplanung allen anderen Interessen übergeordnet. Dazu sah sich die Landschaftsplanung auch durch das Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 legitimiert, für das die Umweltzerstörung gerade durch die jeweils eingeschränkte Perspektive der einzelnen Nutzungsformen hervorgerufen zu sein schien, und die Problemlösung wurde in einer „ganzheitlichen“ Betrachtung gesehen.33
33 Vgl. Debes/Körner/Trepl 2001.
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Die Richtung, die die Landespflege eingeschlagen hatte, blieb nicht ohne Kritik. Zwei Varianten kann man unterscheiden.34 Eine machte sich schon in den 70er, eine andere in den 80er Jahren bemerkbar. Für die erste Variante war wesentlich, dass sie sich als progressiv-gesellschaftskritisch und antinaturalistisch verstand, für die zweite, dass sie auf dem Wert des Künstlerischen bestand und die Landschaftsarchitektur wieder ins Recht setzen wollte. Mit einigen Andeutungen dazu will ich schließen. Die erste Richtung betonte das Soziale gegenüber dem Natürlichen und ersetzte tendenziell die Ökologie als „Leitwissenschaft“ der Landschaftsplanung durch Sozialwissenschaften. Man hat diese Richtung „Sozialwissenschaftliche Freiraumplanung“ genannt.35 Dass „Landschaft“ aus der Fachbezeichnung verschwunden ist, erklärt sich dadurch, dass der Begriff für die Vertreter dieser Richtung im Wesentlichen konservativ konnotiert war. In typisch konservativer Weise werden, so wurde kritisiert, Nutzungen, wenn sie nicht den traditionellen entsprechen, von vornherein als landschaftsschädigend verstanden, und zugleich als Umweltschäden; es sind also „Verunstaltungen“ oder „Verschandelungen“ und zugleich Beeinträchtigungen der Funktion von Ökosystemen. Den Maßstab bilden sowohl die überkommene Landschaft – der Zustand von 1850, d.h. vor Einsetzen der Industrialisierung, galt ausgesprochen oder unausgesprochen als Norm – als auch die naturräumliche Beschaffenheit. Landschaftsplanungen in bestimmten Gebieten orientierten sich weithin primär daran, ob die für den jeweiligen Naturraum typischen Elemente vorhanden sind; fehlen sie, müssen sie wiederhergestellt werden, sind Elemente vorhanden, die hier untypisch sind – z.B. ein Fichtenforst in einem Laubwaldgebiet –, so sind sie zu beseitigen. Dem Naturalismus, den die „sozialwissenschaftliche Freiraumplanung“ hier am Werk sah, setzte sie entgegen, dass nicht die Naturdinge eines Raumes als solche gut oder schlecht sind, sondern dass sie dies nur im Hinblick auf bestimmte Nutzungsansprüche sind. Als solche Ansprüche wurden nicht einfach die ganz allgemein für die Gesellschaft notwendigen betrachtet wie eine funktionierende Land- und Forstwirtschaft, sondern vor allem die, die sich aus den konkreten Bedürfnissen der Menschen in ihrer Lebenswelt ergeben.36 Die Legitimität dieser Ansprüche hängt, so sah man es, von der durch sozialwissenschaftliche bzw. gesellschaftstheoretische Reflexion zu ermittelnden Legitimität der Lebensweise der jeweiligen sozialen
34 Kap. 5, 6 in Körner 2001a. 35 Siehe Körner 2001a: 5; bekanntere – durchaus unterschiedliche – Vertreter dieser Richtung sind z.B. Bierhals, Gröhning, Wolschke-Bulmahn, Nohl, Tessin. 36 Körner 2006: 35 f.
8. ÖKOLOGISIERUNG
DER
L ANDSCHAFTSIDEE IN
DER
NACHKRIEGSZEIT
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Gruppen ab, die diese Ansprüche haben. So wurden Ideen der Emanzipation und der Beseitigung von gesellschaftlichen Benachteiligungen zum politischen Leitprinzip der Planung. Verbunden damit waren vor allem basisdemokratische Vorstellungen, die sich z.B. ausdrückten in Forderungen wie der „Aneignung“ der Räume durch die benachteiligten Gruppen. Die eben genannte Richtung wandte sich gegen den großen Einfluss der Naturwissenschaft auf die Landschaftsplanung und setzte dem die Rolle der Sozialwissenschaften entgegen. Doch geriet bald die Verwissenschaftlichung des Faches insgesamt in die Kritik. Diese hatte nicht mehr den Charakter der alten Zivilisationskritik, die in der Rationalität das mit der Aufklärung in die Welt gekommene Grundübel sah. Behauptet wurde vielmehr, dass die wie auch immer geartete Nutzenorientierung, die hinter der Verwissenschaftlichung steckt, die spezifische Aufgabe von Landschaftsarchitektur und von Architektur überhaupt verfehlt. Die Ökologisierung, und das heißt hier die Orientierung an „erscheinungslosen Grundbedürfnissen“37 habe zu einem quantifizierenden Aufgabenverständnis geführt, was sich in „inhaltsleeren Begriffen“ der Fachsprache wie „Nutzer, Grünsystem, Freiraum, Wohnumfeld“ zeige und die Folge gehabt habe, „dass es in den Städten zuviel qualitativ nutzloses Grün“38 gebe. Die Aufgabe der Architektur insgesamt sei aber eine kulturelle. Sie bestehe in erster Linie in der Gestaltung des öffentlichen Raums. Dieser aber ist „nicht primär Umweltstimulans und er ist kein anzueignender Bereich39, sondern er ist Handlungsrahmen“40. Der primäre Ort von Öffentlichkeit ist aber die Stadt, nicht die Landschaft. Die Gestaltung des öffentlichen urbanen Raumes wird zur Hauptaufgabe der Landschaftsarchitektur. Diese Richtung war im Fach sehr erfolgreich. Während das Interesse an der sich wesentlich als künstlerisch verstehenden Landschaftsarchitektur in dem Fach Landespflege, als dessen Teil sie galt, in der 1970er Jahren fast erloschen war41, nahm es in den 80er Jahren zu und in den 90ern waren die „Ökologen“ in der Minderheit. Mit Landschaft aber hatte die Landschaftsarchitektur nur noch wenig zu tun. Ihr Interesse war ganz auf urbane und industriegeprägte Situationen gerichtet.
37 Bappert/Wenzel 1987: 149. 38 Ebd. 39 Das richtet sich gegen die eben skizzierten ebenfalls ökologiekritischen, aber basisdemokratisch orientierten Strömungen im Fach. 40 Ebd. 148. 41 Siehe oben S. 232.
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Für die allgemeine Auffassung davon, was Landschaft ist und was sie uns bedeutet, waren diese beiden Entwicklungen in den professionalisierten Bereichen der Planung und Gestaltung, so scheint es, ohne große Wirkung. Die große Mehrheit der Menschen dürfte sich unter Landschaft heute eher das vorstellen, was sich bis in die 70er Jahre in den Fachdiskussionen herausgebildet hat: einen Gegenstand der Ökologie, dessen Konzeption aber, ohne dass das so recht bewusst wird, weitgehend von der Gedankenwelt der konservativen Kulturkritik bestimmt wird.42 Wie weit die Idee der Landschaft als ein ästhetischer Gegenstand und nicht als ein ökologischer Funktionszusammenhang noch oder wieder von kultureller Kraft ist, dürfte sich in den kommenden Jahren herausstellen. Denn die Ökologiebewegung hat ja nun, mit Argumenten, die die Notwendigkeit des Schutzes der Umwelt des Menschen als eines biologischen Wesens geltend machen, einen historischen Sieg errungen. Die Energiegewinnung wird in einer Weise verändert, die außerordentliche Folgen für die überkommene Landschaft haben wird. Die ästhetische Idee der Landschaft, die in den ökologischen Argumentationen immer den – wenn auch kaum bemerkten – Motivationshintergrund gebildet hat, ist aber die konservative. Sie ist verbunden mit der Vorstellung, dass eine schöne Landschaft traditionelle Kulturlandschaft mit regionaler Eigenart ist, dass also die Tradition wichtig ist und die Unverwechselbarkeit. Eben diese Landschaften aber drohen nun gerade durch den größten Erfolg der Ökologiebewegung zerstört zu werden, in einem Maße, wie es in der Geschichte vielleicht noch nie der Fall war. Eine der Erzeugung von Windstrom dienende Gegend in Norddeutschland hat mit der ersehnten Ideallandschaft keine Ähnlichkeit mehr, sie ist eine Industrielandschaft. Vermutlich bedeutet das für diese Bewegung, deren Gedanken ja mittlerweile den Großteil der Bevölkerung erfasst haben, eine noch nicht dagewesene Zerreißprobe. Ob und wie sie dieses Problem bewältigen könnte – dazu lässt sich derzeit wohl kaum etwas Fundiertes sagen. Man kann aber sicher sein, dass Gedanken der Art, wie sie in diesem Buch vorgetragen wurden, zumindest dazu beitragen können, die aufbrechenden Konflikte besser zu verstehen.
42 Siehe oben S. 219 ff., insbesondere S. 224.
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Erika Fischer-Lichte Performativität Eine Einführung Mai 2012, ca. 150 Seiten, kart., ca. 14,80 €, ISBN 978-3-8376-1178-6
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Edition Kulturwissenschaft Gunther Gebhard, Oliver Geisler, Steffen Schröter (Hg.) Das Prinzip »Osten« Geschichte und Gegenwart eines symbolischen Raums 2010, 180 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1564-7
Bernd Hüppauf Vom Frosch Eine Kulturgeschichte zwischen Tierphilosophie und Ökologie 2011, 400 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1642-2
Claus Leggewie, Darius Zifonun, Marcel Siepmann (Hg.) Schlüsselwerke der Kulturwissenschaften Juli 2012, ca. 300 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1327-8
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Edition Kulturwissenschaft Barbara Birkhan Foucaults ethnologischer Blick Kulturwissenschaft als Kritik der Moderne Januar 2012, 446 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1955-3
Stephan Conermann (Hg.) Was ist Kulturwissenschaft? Zehn Antworten aus den »Kleinen Fächern« Januar 2012, 316 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1863-1
Uta Fenske, Walburga Hülk, Gregor Schuhen (Hg.) Die Krise als Erzählung Transdisziplinäre Perspektiven auf ein Narrativ der Moderne Mai 2012, ca. 250 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1835-8
Barbara Gronau (Hg.) Szenarien der Energie Zur Ästhetik und Wissenschaft des Immateriellen April 2012, ca. 270 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1689-7
Klaus W. Hempfer, Jörg Volbers (Hg.) Theorien des Performativen Sprache – Wissen – Praxis. Eine kritische Bestandsaufnahme 2011, 164 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN 978-3-8376-1691-0
Nicole L. Immler Das Familiengedächtnis der Wittgensteins Zu verführerischen Lesarten von (auto-)biographischen Texten
Roland Innerhofer, Katja Rothe, Karin Harrasser (Hg.) Das Mögliche regieren Gouvernementalität in der Literatur- und Kulturanalyse 2011, 338 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1474-9
Thomas Kirchhoff, Vera Vicenzotti, Annette Voigt (Hg.) Sehnsucht nach Natur Über den Drang nach draußen in der heutigen Freizeitkultur April 2012, ca. 200 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1866-2
Alexander Kratochvil, Renata Makarska, Katharina Schwitin, Annette Werberger (Hg.) Kulturgrenzen in postimperialen Räumen Bosnien und Westukraine als transkulturelle Regionen Juli 2012, ca. 350 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1777-1
Gerald Lamprecht, Ursula Mindler, Heidrun Zettelbauer (Hg.) Zonen der Begrenzung Aspekte kultureller und räumlicher Grenzen in der Moderne März 2012, 302 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2044-3
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