Crux Scenica - Eine Kulturgeschichte der Szene von Aischylos bis YouTube 9783839433669

Various academic disciplines and art forms have been working with the concept and technique of the scene for a long time

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German Pages 320 [312] Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
Prospekt: Eine Geschichte der Szene
Kulturgeschichte oder Naturgeschichte der Szene?
Natürliche Umwelt oder technische Umgebung?
Crux scenica
I. Form und Funktion der Szene in der Gegenwart
1. Ein ›Universum synchroner Quer-Nachahmung‹?
›Alles Szene, oder was?‹
Verteilung und Konsum
Anfang, Mitte, Ende
Szenen als shifter
2. Kinoerfahrung und/oder Filmerlebnis?
Nach dem Kino. Eine Besprechung unter Laien
Befreite Szenen
Das Filmerlebnis revisited
3. Szene, Subjekt oder Geschichten?
Ein Leistungsprofil der Szene
Größenverhältnisse: Szenen in Geschichten
Bewusstseinsverhältnisse: Interne Szenen versus Subjektivität
II. Umrisse einer Medien- und Kulturgeschichte der Szene
1. Urszenen zwischen Materialität und Imagination
Höhlenkunst
Am Anfang der Urszene
Schlafszenen
Vorläufige Schluss-Szenen aus Wien und Lemberg
2. Wortgeschichten. Die altgriechische Skene
Das Schattendach
Die demokratische Szene
Podium und Stufenfolge
3. Die Crux scenica des Barock
Ein Spiel mit Licht und Schatten
Laterna Magica
Bewegung auf der Szene
Symmetrie und Maschinentechnik
Gemessene Fußstellung, Crux scenica und Dynamik des Schaustücks
Actus comici und Unterhaltungsgeschichte
Action, szenischer Fluss und Bühnenarchitektur
Schultheater
4. Lebendigkeit als rhetorischer Wert: Fallgeschichte und populärer Fortsetzungsroman um 1800
Vividitas (Lebendigkeit) als rhetorische Tugend
›Niederes‹ und ›Hohes‹. Durcharbeitung, Dynamik, Kulturkritik
Gedruckte Szenen im Roman
Das Populäre
Film vor dem Film?
5. Szenisches Sehen als maschinelles Ensemble im Zeitalter der Industrialisierung
Eisenkoloss I
Natürliches Sehen?
6. Szenische Kompetenz und direkte Bewegtbildübertragung um 1900
Mattscheibe und Bademode
Am Meeresstrand mit Grabbe und Strindberg
7. Einfahrende Züge. Die kinematografische Urszene
Auf tritte und Abgänge: Szene und Raum
Gaslight
Intermediale Modularisierung und antikisierendes Volkstheater
Shifter II: Durchdringung und Durchlässigkeit bei Roman, Theater und Film
Schnitte
Eisenkoloss II
8. Von der Straßenszene zum Straßentheater Brechts Umweg: Vom Film zum Theater
Film-Kolportage
Die Straßenszene
Szene und Apparat
Anthropologie der Kunstformen
Szenisches Arbeiten
Volkspädagogik und Straßentheater
III. Metaphorik und Rhetorik der Szene
1. Vor Augen stellen. Alltag und rhetorische Tradition Am Küchentisch
Bühne im Kopf
Gymnastik und Rhetorik
Porträtkunst
2. Das kulturkritische Funktionsspektrum der Szene
Sprachspiele. Die Szene im philosophischen Sprachgebrauch
Szene und Begriff
Szene und Ruf
›Data sind immer falsch.‹
Der kleine Frechdachs
3. Die Szene, der Sitz im Leben und die formengeschichtliche Methode
Szene und Sitz im Leben
Die volkskundliche Poetik der Szene
Volkskunde und Theologie
Szene und kleine Formen
Topik und Szene: das Beispiel der acclamatio
Vom Volkston zum Hörspiel
Abbildungen
4. Die Szene in der Literaturwissenschaft
Ein unbekannter Aufsatz von einem unbekannten Autor
Begegnungsraum Wilhelminisches Gymnasium
Volkskunde und Medienwissenschaft
Endlich: Eine Theorie der Szene
Formengeschichte und Neugermanistik
5. Umweltlehre, Affektpathologie und szenisches Verstehen
Umwelt und Umgebung im Werk Jakob von Uexkülls
Bauplan, Lebensstoff, Melodie
Umweltlehre und szenische Schau
Umweltlehre und frühe Kinematografie
Rudolf Bilz und Jakob von Uexküll
Intermezzo: Die ärztliche Szene Viktor von Weizsäckers
Bilz’ Affektpathologie oder Nicht zu Ende geführte Szenen
Conclusio? Rudolf Bilz und Robert Petsch
Schluss? Szenisches Verstehen bei Alexander Mitscherlich und Alfred Lorenzer
6. Neue Wortgeschichten. Von Szenegängern, Szenetreffs und Partyszenen
Die Emanzipation der unteren Vermögen
Milieu als Szene
Alltagsszenen und Rollentheorie
7. Szene, Name, Gestalt. Zur Poetik der Dokumentation
Materialmengen (C. Lanzmann)
Name und Szene
IV. Die Szene in der postmodernen Medien- und Kulturwissenschaft
1. Theatralität, Inszenierung, Sprachszene
Theatralität der Gesellschaft
Performativität der Kunst
Sprache als Sprachszene
2. Szenario: Zur Verbindung von antikem Theater und postmoderner Medienphilosophie
Kommunikologie und die Szene (V. Flusser)
Von der Szene zum Szenario
Lektüre-Szene
Skene: Wand
Skene: Zelt
Anmerkungen
Postskriptum
Literatur
Namenregister
Abbildungsverzeichnis
Danksagung
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Crux Scenica - Eine Kulturgeschichte der Szene von Aischylos bis YouTube
 9783839433669

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Heiko Christians Crux Scenica – Eine Kulturgeschichte der Szene von Aischylos bis YouTube

Band 18

Editorial Medien entfachen kulturelle Dynamiken; sie verändern die Künste ebenso wie diskursive Formationen und kommunikative Prozesse als Grundlagen des Sozialen oder Verfahren der Aufzeichnung als Praktiken kultureller Archive und Gedächtnisse. Die Reihe Metabasis (griech. Veränderung, Übergang) am Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam will die medialen, künstlerischen und gesellschaftlichen Umbrüche mit Bezug auf unterschiedliche kulturelle Räume und Epochen untersuchen sowie die Veränderungen in Narration und Fiktionalisierung und deren Rückschlag auf Prozesse der Imagination nachzeichnen. Darüber hinaus werden Übergänge zwischen den Medien und ihren Performanzen thematisiert, seien es Text-Bild-Interferenzen, literarische Figurationen und ihre Auswirkungen auf andere Künste oder auch Übersetzungen zwischen verschiedenen Genres und ihren Darstellungsweisen. Die Reihe widmet sich dem »Inter-Medialen«, den Hybridformen und Grenzverläufen, die die traditionellen Beschreibungsformen außer Kraft setzen und neue Begriffe erfordern. Sie geht zudem auf jene schwer auslotbare Zwischenräumlichkeit ein, worin überlieferte Formen instabil und neue Gestalten produktiv werden können. Mindestens einmal pro Jahr wird die Reihe durch einen weiteren Band ergänzt werden. Das Themenspektrum umfasst Neue Medien, Literatur, Film, Kunst und Bildtheorie und wird auf diese Weise regelmäßig in laufende Debatten der Kultur- und Medienwissenschaften intervenieren. Die Reihe wird herausgegeben von Marie-Luise Angerer, Heiko Christians, Andreas Köstler, Gertrud Lehnert und Dieter Mersch.

Heiko Christians

Crux Scenica – Eine Kulturgeschichte der Szene von Aischylos bis YouTube

Gedruckt mit den Mitteln der Universität Potsdam und des Brandenburgischen Zentrums für Medienwissenschaften (ZeM).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagentwurf: Josef Ulbig Umschlaggestaltung & Satz: Hans Kannewitz Umschlagabbildung: Szenenskizze von Caspar Neher für eine Aufführung von »Der Hofmeister« von Jakob Michael Reinhold Lenz in einer Bearbeitung des Berliner Ensemles (1950). Archiv des Deutschen Theatermuseums München (Inv.-Nr. IV 8061). © Erbengemeinschaft Prof. Caspar Neher. Lektorat: Judith Pietreck Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3366-5 PDF-ISBN 978-3-8394-3366-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Prospekt: Eine Geschichte der Szene Kulturgeschichte oder Naturgeschichte der Szene? 9  – Natürliche Umwelt oder technische Umgebung? 10  – Crux scenica 12 

I. Form und Funktion der Szene in der Gegenwart

1. Ein ›Universum synchroner Quer-Nachahmung‹? ›Alles Szene, oder was?‹ 17  – Verteilung und Konsum 20  – Anfang, Mitte, Ende 22  – Szenen als shifter 24  –



2. Kinoerfahrung und/oder Filmerlebnis? Nach dem Kino. Eine Besprechung unter Laien 27  – Befreite Szenen 28  – Das Filmerlebnis revisited 31



3. Szene, Subjekt oder Geschichten? Ein Leistungsprofil der Szene 34  – Größenverhältnisse: Szenen in Geschichten 36  – Bewusstseinsverhältnisse: Interne Szenen versus Subjektivität 39 

II. Umrisse einer Medien- und Kultur­geschichte der Szene 1. Urszenen zwischen Materialität und Imagination Höhlenkunst 43  – Am Anfang der Urszene 45  – Schlafszenen 49  – Vorläufige Schluss-Szenen aus Wien und Lemberg 51



2. Wortgeschichten. Die altgriechische Skene Das Schattendach 54  – Die demokratische Szene 56  – Podium und Stufenfolge 58

3. Die Crux scenica des Barock Ein Spiel mit Licht und Schatten 60  – Laterna Magica 61  – Bewegung auf der Szene 62  – Symmetrie und Maschinentechnik 65  – Gemessene Fußstellung, Crux scenica und Dynamik des Schaustücks 68  – Actus comici und Unterhaltungsgeschichte 70  – Action, szenischer Fluss und Bühnenarchitektur 72  – Schultheater 74

4. Lebendigkeit als rhetorischer Wert: Fallgeschichte und populärer Fortsetzungsroman um 1800 Vividitas (Lebendigkeit) als rhetorische Tugend 76  – ›Niederes‹ und ›Hohes‹. Durcharbeitung, Dynamik, Kulturkritik 78  – Gedruckte Szenen im Roman 80  – Das Populäre 82  – Film vor dem Film? 84

5. Szenisches Sehen als maschinelles Ensemble im Zeitalter der Industrialisierung Eisenkoloss I 87  – Natürliches Sehen? 88 

6. Szenische Kompetenz und direkte Bewegtbildübertragung um 1900 Mattscheibe und Bademode 90  – Am Meeresstrand mit Grabbe und Strindberg 95



7. Einfahrende Züge. Die kinematografische Urszene Auf‌tritte und Abgänge: Szene und Raum 98  – Gaslight 100  – Intermediale Modularisierung und antikisierendes Volkstheater 102  – Shifter II: Durchdringung und Durchlässigkeit bei Roman, Theater und Film 104  – Schnitte 106  – Eisenkoloss II 107



8. Von der Straßenszene zum Straßentheater Brechts Umweg: Vom Film zum Theater 111  – Film-Kolportage 116  – Die Straßenszene 119  – Szene und Apparat 122  – Anthropologie der Kunstformen 123  – Szenisches Arbeiten 124  – Volkspädagogik und Straßentheater 125

III.  Metaphorik und Rhetorik der Szene 1. Vor Augen stellen. Alltag und rhetorische Tradition Am Küchentisch 129  – Bühne im Kopf 130  – Gymnastik und Rhetorik 131  – Porträtkunst 133 



2. Das kulturkritische Funktionsspektrum der Szene Sprachspiele. Die Szene im philosophischen Sprachgebrauch 134  – Szene und Begriff 136  – Szene und Ruf 139  – ›Data sind immer falsch.‹ 141  – Der kleine Frechdachs 145

3. Die Szene, der Sitz im Leben und die formengeschichtliche Methode Szene und Sitz im Leben 147  – Die volkskundliche Poetik der Szene 152  – Volkskunde und Theologie 156  – Szene und kleine Formen 157  – Topik und Szene: das Beispiel der acclamatio 160  – Vom Volkston zum Hörspiel 163

Abbildungen 167

4. Die Szene in der Literaturwissenschaft Ein unbekannter Aufsatz von einem unbekannten Autor 183  – Begegnungsraum Wilhelminisches Gymnasium 184  – Volkskunde und Medienwissenschaft 188  – Endlich: Eine Theorie der Szene 192  – Formengeschichte und Neugermanistik 196



5. Umweltlehre, Affektpathologie und szenisches Verstehen Umwelt und Umgebung im Werk Jakob von Uexkülls 199  – Bauplan, Lebensstoff, Melodie 201  – Umweltlehre und szenische Schau 203  – Umweltlehre und frühe Kinematografie 206  – Rudolf Bilz und Jakob von Uexküll 207  – Intermezzo: Die ärztliche Szene Viktor von Weizsäckers 209  – Bilz’ Affektpathologie oder Nicht zu Ende geführte Szenen 210  – Conclusio? Rudolf Bilz und Robert Petsch 213 – Schluss? Szenisches Verstehen bei Alexander Mitscherlich und Alfred Lorenzer 216

6. Neue Wortgeschichten. Von Szenegängern, Szenetreffs und Partyszenen Die Emanzipation der unteren Vermögen 222  – Milieu als Szene 224  – Alltagsszenen und Rollentheorie 227



7. Szene, Name, Gestalt. Zur Poetik der Dokumentation Materialmengen (C. Lanzmann) 229  – Name und Szene 231

IV.  Die Szene in der postmodernen Medien- und Kulturwissenschaft

1. Theatralität, Inszenierung, Sprachszene Theatralität der Gesellschaft 237  – Performativität der Kunst 239  – Sprache als Sprachszene 241

2. Szenario: Zur Verbindung von antikem Theater und postmoderner Medienphilosophie Kommunikologie und die Szene (V. Flusser) 244  – Von der Szene zum Szenario 247  – Lektüre-Szene 251  – Skene: Wand 252  – Skene: Zelt 256 

Anmerkungen 259 – Postskriptum 301 – Literatur 302 – Namen­register 307 – Abbildungsverzeichnis 311 – Danksagung 312 

In einem viel schärferen Sinne, als wir es von den anderen Formen unserer Lebensinhalte zu sagen pflegen, hat das Abenteuer Anfang und Ende. Georg Simmel

Prospekt: Eine Geschichte der Szene Kulturgeschichte oder Naturgeschichte der Szene? Häufig beginnt ein Tag mit der Erinnerung an die mehr oder weniger bedrückenden Traumszenen der Nacht. Der sich anschließende Alltag hält vielleicht fröhlichere Szenen bereit, deren Zeuge man zufällig wird und die dann für Abwechslung und neuen Erzählstoff sorgen. Genauso regelmäßig aber wird auch eine Mode oder der Konsum bestimmter Drogen einer Szene zugeordnet. Ganz gleich nun, ob man von der Szene im soziologischen Sinne spricht, oder ob man dabei eher an ein Traumgeschehen denkt, so folgt man in beiden Fällen doch einem schon alltäglichen Sprachgebrauch. Der Umgang mit Begriff und Form der Szene ist eine Selbstverständlichkeit. Auch die rhetorische Dimension wissenschaftlicher und literarischer Texte – als Sprachbildlichkeit – spiegelt diesen Sachverhalt: Anschaulichkeit, Prägnanz oder Lebendigkeit geschilderter Szenen gehören zum Standardrepertoire gesprochener Sprache und gedruckter Schrift. Dieses Repertoire hilft, lineare Sprachlichkeit in eingebildete räumliche Sinnlichkeit zu überführen. Die Verlockung ist deshalb groß, die Allgegenwart des Begriffs einfach mit der Eigenschaft der Szene als einer natürlichen Grundform unseres Welterlebens zu erklären. Unzählige Szenen treiben demnach wie Packeisschollen immer schon im inneren und äußeren Meer unserer Wahrnehmungen, Vorstellungen und Empfindungen – berühren uns, verbinden sich untereinander, lösen sich auf oder sinken langsam ab. Dieses arktisch-ozeanische Bild scheint vieles für sich zu haben. Was wir erleben, wahrnehmen oder erinnern, besteht in der Regel aus Bruchstücken unbegrenzter Zusammenhänge, die wir erst zu vorläufigen und handhabbaren Kontexten zusammenfügen müssen. Das schnelle reflexhaf‌te Interpretieren solcher Bruchstücke ist zweifellos in vielen Situationen überlebenswichtig. Nimmt man dieses Bild an, scheinen die Gesetze der Natur auch auf diesem Gebiet zu gelten.

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Doch selbst wenn wir das Gewässer-Bild wieder verlassen und uns endgültig den menschlichen Wahrnehmungen und Vorstellungen zuwenden, hält sich der Eindruck einer unmittelbaren und natürlichen Kopplung von Wahrnehmung und szenischem Bruchstück. Die Szene begünstigt schließlich die so wichtige Interpretationsarbeit, sie hilft dabei, aus dem Wahrnehmungsstrom kleinere Sinn­einheiten heraus zu modellieren. Die Grundform, welche die Szene dem Strom abschnittweise aufprägt, kann vorläufig so gekennzeichnet werden: ›Kürze oder Überschaubarkeit unter Beibehaltung einer Struktur aus Anfang, Mitte und Ende‹. Die Szene ist damit mehr als ein natürlicher Reflex. Sie ist gerade kein Faktor in einer Naturgeschichte der Imagination und damit eines inneren Geschehens, sondern sie ist eine technisch basierte Kulturleistung. Sie folgt nicht einer Mechanik oder einem Reiz-Reaktions-Schema, sondern einer Poetik. Erst wenn man das Theater als historisches und technisches Ausgangsmedium dieses Sprach- und Formgebrauchs identifiziert hat, wird klarer, wie voraussetzungsreich er ist, welche Eigenschaf‌ten und Erwartungen mit dem Ausdruck der Szene immer schon verbunden waren und sind.

Natürliche Umwelt oder technische Umgebung? Will man der Idee einer naturalisierten Imagination nicht folgen, müssen die kulturhistorischen und technischen Voraussetzungen dieser Form und ihrer Bezeichnungen genau untersucht werden. Den zweiten Schritt einer solchen Untersuchung stellt die Spezifizierung eines Umwelt-Begriffs dar, der Technik und Natur umfasst. Anders als bei den meisten Tieren resultieren die Erlebnisse und Wahrnehmungen des Menschen nicht aus einem konstanten und stabilen, instinktgeleiteten Wechselverhältnis mit einer arttypischen Umwelt. Diese tierischen Umwelten hat der Biologe Jakob von Uexküll zu einem Zeitpunkt erstmals präzise beschrieben, als der kinematografische Apparat sich anschickte, für die menschliche Spezies neue Umwelten aus Bewegtbildern aufzubauen. Mit dieser Tendenz hob sich langsam auch eine Eigenheit technischer Medien ins allgemeine 10

Prospekt

Bewusstsein, die seit den Höhlenbildern von Lascaux oder Altamira wirksam ist: Medien verstärken, kanalisieren, reproduzieren oder ersetzen das Spektrum unserer natürlichen Sinnesleistungen, Wahrnehmungen und Erlebnisse. Eine Felswand, eine Brille, ein Bühnenkasten, ein Bilderrahmen, eine Kamera oder ein Mikrofon bewirken eine Verstärkung und Vereinseitigung von Wahrnehmungen, die ihre Interpretation einfacher und effektiver machen. Marshall McLuhan hatte als einer der ersten herausgearbeitet, dass diese notwendig einseitige, medial verstärkte Künstlichkeit der Umweltwahrnehmung, dieses Ungleichgewicht im menschlichen Sinnesapparat, ganze Epochen kennzeichnet: Der Buchdruck etwa zementierte – nach einem multisensoriellen Mittelalter – die Übermacht des visuellen Zugriffs auf die Welt, indem er jegliches Wissen und alles systematische Lernen an die Lesbarkeit der Abdrücke isolierter und beweglicher Drucktypen band. So treten beim Menschen frühzeitig technisch basierte Sinnleistungen an die Stelle rein umwelt­ abhängiger und instinktgeleiteter Sinnesleistungen. Hans Freyer bezeichnete in seiner Theorie des gegenwärtigen Zeitalters von 1956 – wenige Jahre vor McLuhan – einen weiteren Höhepunkt dieser Entwicklung im Industriezeitalter treffend schon als Herausbildung von Sekundärsystemen. In der Gegenwart werden unterschiedliche technisierte Umgebungen audio-visueller Medien unter dem Stichwort ›Konvergenz‹ immer häufiger zu einer koordinierten technischen Umwelt kommunizierender digitaler Interfaces und Sensoren integriert. Ein Symptom dafür ist die Allgegenwart von Bild- und Touchscreens, die unter den Überschrif‌ten Screenology oder Screen Studies eigens erforscht wird. Ein Beispiel dafür ist die automatisierte Auswertung von gigantischen Mengen szenischen Materials aus Überwachungskameras im militärischen und zivilen Bereich, an der die Informatik arbeitet: Ein programmiertes Object-Recognition-Verfahren, das als spezielle Visual-Concept-Detection-Software an die Stelle einer aufwendigen individuellen Deutung tritt. Das Programm simuliert durch die mechanische Anwendung fortlaufend isolierter und gespeicherter szenischer und gegenständlicher Muster eine selbstständige LekEine Geschichte der Szene

11

türe- oder Interpretationskompetenz. Bemerkenswert ist daran der Umstand, dass weiterhin programmiert werden muss, was jeweils als Szene isoliert wird, da die spezifisch filmische Szeneneinteilung – der Schnitt – bei Endlosaufzeichnungen gerade wegfällt. Das ist eine Einschränkung. Ihre Konsequenzen wurden lange vor Film oder Informatik formuliert und verraten viel über die Funktionalität der Szene: Es kann unendlich viel da sein, aber immer nur so viel wird gesehen, als man versteht.

Dieses Bonmot Johann Wilhelm Ritters, als ein Fragment aus dem Nach­­lasse eines jungen Physikers 1810 veröffentlicht, setzt die Modellierung eines unendlichen Stroms von Wahrnehmungen zu szenischen Intervallen als eine Grundvoraussetzung des Verstehens an. Es wird »immer nur so viel gesehen, als man versteht«, heißt im Umkehrschluss aber auch, dass eine sinnstiftende Form wie die Szene zwar über die Menge und die Dynamik des Verstehbaren entscheidet, hierin aber von der Leistungsfähigkeit der zu ihrer Realisierung eingesetzten technischen Medien abhängig bleibt. Schnitt oder Szenenwechsel sind dabei Techniken, die dem inneren Vorstellungsvermögen erst aus einer äußeren historischen Technik zuwachsen konnten.

Crux scenica Die Gegenwart der Medien scheint für viele immer noch um 1970 – mit der Einführung von Glasfaserkabeln und Halbleiterchips – zu beginnen, ihre Vergangenheit erstreckt sich dann folgerichtig über einen vergleichsweise riesigen Zeitraum. Das ist eine Unverhältnismäßigkeit. Mit dem Titel Crux scenica soll diese Unverhältnismäßigkeit angezeigt und versuchsweise korrigiert werden. Crux scenica bezeichnet einen abgelegenen Fundort der Szene im Barock und gleichzeitig die Aufgabe einer angemessenen Zusammenführung – oder Kreuzung – scheinbar sehr verschiedener Medienkulturen, die sich im Begriff der Szene bündeln lassen. Nach der Lektüre dieses Buchs sollte der Leser eine Vorstellung davon haben, was 12

Prospekt

das erste Hervortreten eines Schauspielers aus dem Chor der antiken Bühne und die höfisch-zeremonielle Überkreuzstellung der Füße im Barocktheater (Crux scenica) mit der Clip-Kultur bei YouTube oder der Visual Concept Detaction der Informatik gemeinsam haben – und wo die Unterschiede liegen. Derselbe Sprachgebrauch der Szene bzw. scena (lat.) oder skene (altgr.) findet heute auf kulturhistorische Phänomene und Zeiträume Anwendung, die noch weit vor der Entstehung des antiken Theaters liegen oder lange nach seinem Ende entstanden sind. Das zeigt eindrucksvoll, wie umfassend Technologie und Begriff‌lichkeit der Szene unser Verständnis vergleichbarer Phänomene bis heute dominieren.

Eine Geschichte der Szene

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I. Form und Funktion der Szene in der Gegenwart

Gewiß ist, daß die akademische Forschung ein schärferes Bewußtsein der Umwelt, in welcher sie sich vollzieht, nötig hat. Walter Benjamin

1. Ein ›Universum synchroner Quer-Nachahmung‹ ? ›Alles Szene, oder was?‹ Szenisches Material fließt mittlerweile nanosekündlich durch die HighTech-Adern der spätindustriellen Gesellschaftskörper. Schnell, flüchtig und in alle Richtungen stülpt es sich zu kleinen Filmchen oder Videos aus. Dem Material ist schon vor Jahrzehnten hellsichtig ein »quasi biologisches Wachstum«1 vorausgesagt worden: Gemeint ist jenes relativ einfache Herstellen-Können, Kopieren, Abspielen und Zirkulieren-Lassen kleinerer filmischer Sequenzen, gemeint ist die permanente Speisung einer unterdessen zerebral anmutenden technischen Medialität unserer Gegenwart. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buchs werden allein auf YouTube – und niemandem muss man mehr ernsthaft erklären, was das ist – weltweit 300 Stunden Videomaterial pro Minute hochgeladen. Jeweils neueste Interfaces sind ganz darauf angelegt, das Starten des szenischen Materials mit einer zauberischen Bewegung der Fingerkuppe über ein gläsernes Fenster ultraleicht zu gestalten. Das dem Startbild mittig aufmontierte Play-Zeichen stellt sich häufig automatisch ein, sobald der Abspielvorgang unterbrochen wurde oder die Szene nach dem vollständigen Abspielen wieder an ihren Anfang gesprungen ist. Inhaltlich handelt es sich um signifikante Alltagsszenen, um kurze amateurhaf‌te Selbstporträts, um Werbung, um in die Handykamera gesprochene Statements, um mehr oder weniger kunstvoll ausgeschnittene, erarbeitete oder arrangierte Sequenzen in und aus schon bestehenden Materialien. Die Szenen illustrieren Nachrichten oder dokumentieren Geschehnisse (mit und ohne Wortkommentar), sie dienen als Lern- oder Trainingsvorlage: Man muss nur erwähnen, dass die clipförmig distribuierte »Körpersprache des Westküsten-­ Hip-­Hop überall in Europa, auf Schulhöfen, in Diskotheken und Fußgängerzonen kopiert wird« 2. Ob als Verführung, als moralische Abschreckung oder als Warnung – die Szenen zeigen große Kunst oder nur kunstvolles Spiel, sie liefern besonders Peinliches, Spektakuläres oder Schockierendes. Ihre Sequenzen werden auf Festplatten 17

gespeichert, pauschal gesendet, gezielt verschickt oder über spezielle Kanäle auf kommerziellen Plattformen für alle Angeschlossenen hochgeladen. Die angeführten Kategorien ›Nachrichten‹, ›Dokumentarisches‹ oder ›Unterhaltung‹ taugen allerdings nur noch sehr begrenzt zur Spezifizierung solcher Inhalte. Es entstehen »Hybride aller Art«, z. B. »Propaganda, die sich als Amateurvideo tarnt«3. Ein zweites Beispiel sei benannt, dessen riesige Popularität wohl unbestritten ist, dessen Klassifikation aber ebenfalls schwer fällt: Fußballvideos. Fußball wird auf der ganzen Welt gespielt. Dieser Erfolg verdankt sich aber weder der Einfachheit seines Regelwerks, noch konnte seine eher proletarisch-volksnahe Herkunft so viele Sympathien wecken. Entscheidend war und ist vielmehr seine beispiellose szenische Verbreitung in den Medien im vergangenen Jahrzehnt. Als »wahrer Globalsport des vernetzten 21. Jahrhunderts«4 ist uns der Fußball nicht so sehr als 90-minütige epische Fernseh- bzw. Stadion-Schlacht oder ›Jahrhundertturnier‹ von 19545 erinnerlich, sondern als unentwegt aufpoppender szenischer Strom aus bewegten Bildern von Siegerehrungen, Umarmungen, Fouls, Zusammenschnitten europäischer Erstliga­spiele, ›sensationellen Tricks der Superstars‹, Toren aus 60 Meter Distanz oder dem ›größten Torwartfehler aller Zeiten‹ im World Wide Web gegenwärtig. Ein bis gerade gänzlich unbekannter Fußballer kann mit jenem permanent neu gekürten ›schlimmsten Torwartfehler aller Zeiten‹ für ein paar Tage oder Wochen ein negativer Held, oder ein global prominenter Versager werden. Er hatte seinen Auf‌tritt – und das Publikum seine Szene. Leichte Zugänglichkeit, Verbreitung und Kommentierung der Szene sichern dabei diese neue Spielart maximaler Bekanntheit eine Weile ab. Das lenkt den Blick auf ein weitere Ansicht des Phänomens: Auch für die sogenannte Celebrity Culture ist das zirkulierende szenische Material Ausgangspunkt kurzlebiger Karrieren. Die Celebrity Culture und die ihr zugrunde liegende technisch-mediale Infrastruktur mobiler Endgeräte, kommerzieller Videoplattformen und sozialer Netzwerke verkürzt die Halbwertszeiten von Starimages und tragischen Diven durch die effektivere Verteilung und Organi18

Kapitel I: Gegenwart

sation eines zugehörigen szenischen Materials und seines Konsums beträchtlich. Das Material und seine gesteigerte granulare Zirkulation6 führt zu schnelleren Erlebnisstrecken innerhalb einer Benutzergeneration. Es verfestigt sich seltener zu größeren, diachron haltbaren Geschichten. Dass die materielle Haltbarkeit dieses allgegenwärtigen szenischen Materials keineswegs den schnelleren Erlebnisstrecken entspricht, muss die aktuelle User-Generation gerade erst schmerzhaft erfahren und lernen. Man gewinnt den Eindruck, dass nahezu alles in Szene gesetzt werden kann. Technische, moralische oder ästhetische Hindernisse gibt es kaum mehr. Was von europäischen Staaten vielleicht noch zensiert würde, fällt auf den Plattformen US-amerikanischer Unternehmen, die auch in Europa besucht werden, unter die Meinungsfreiheit. In diesen drei Hinsichten sind wir Zeitgenossen einer radikalen und globalen Demokratisierung der Szene, eines »Universums der synchronen Quer-Nachahmungen«7, in dem sich die Jugend erstmalig ausschließlich sich selbst zum Vorbild nehmen kann, wie Peter Sloterdijk betont. Der technischen Umsetzung kommt dabei entgegen, dass es sich bei der Szene – nach André Jolles – um eine ›kleine Form‹ handelt.8 Die Szene garantiert eine Mengenbegrenzung, sie ist absehbar strukturiert, sie ist smart.9 Das hat verschiedene Vorteile und Konsequenzen: Die immer leichter zirkulierenden Szenen des World Wide Web sind zunehmend auch das Material unseres bewussten und unbewussten Lernens, unserer Entwicklung, unserer Bildung. Das folgt zu­nächst einer einfachen Pragmatik: Was wir uns aneignen, was wir uns inkorporieren10, muss kleinteiliger sein als die programmatischen Ganzheiten, zu denen solche Prozesse schließlich führen sollen. Die kleinen Teile, die wiederum in Einzelansichten das jeweils Größere schrittweise verwirklichen helfen, müssen also eingängig sein. Die Effektivität der Szene liegt unter anderem darin, dass sie diese Anforderung spielerisch erfüllt, diesen Einstieg und diese Verbindung wie ein shifter (R. Jakobson)11 ermöglicht: Spezielle Online-Tools erlauben es nun auch, dass Inhalte des netzabhängigen YouTube-Portals für den Offline-Konsum heruntergeladen werden. Ein ›Universum synchroner Quer-Nachahmung‹?

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Die Frage nach der Funktionalität der Szene in verschiedenen medialen Infrastrukturen jedenfalls kann schon jetzt gestellt und zunächst vorläufig und andeutungsweise beantwortet werden: Eine gespielte oder geschilderte Szene ist erstens nacherlebbar und teilbar. Eindrücke von Erlebnissen oder Ereignissen – zu Szenen modelliert – sind zweitens unterhaltsamer und eingängiger als Aufzählungen, Statistiken, Listen, Protokolle, Verlautbarungen oder Deklamationen. Schließlich sind sie drittens kürzer und prägnanter als umfangreiche Geschichten und dadurch viertens leichter in Umlauf zu bringen.

Verteilung und Konsum Von der beweglicher gewordenen Szene aus betrachtet, ändert sich auch die Perspektive auf Verteilung und Konsum: Ist eine Szene erst einmal herausgelöst, festgehalten oder sogar für eine solche Fixierung produziert worden, so ist sie teilbar und verteilbar unter Anund Abwesenden. Die Szene kann zirkulieren und sie kann sich mit anderen Szenen zu wechselnden Geschichten verbinden. Sie wird schnell, mit ihrer Verbreitung, auch zum Gegenstand von Kommentaren, Bewertungen und Variationen.12 Als eigentlicher Motor dieser zunehmenden szenischen Durchdringung unserer Gesellschaf‌ten ist jener frühe enge Konnex aus marktgängiger Kurzweile, allgemeiner Verbreitung der Stoffe und den immer einfacher zugänglichen, schnelleren Medientechniken auszumachen. Die neuesten unter diesen Techniken erlauben es, vom Display im Handteller aus jedes beliebige Apartment, jeden beliebigen öffentlichen Platz, in Sekundenbruchteilen und für Minuten zu einer Bühne für den ganzen Globus zu machen. Was Erkenntnis, Sprache und traditionelles Theater nur mit einigen Kniffen der rhetorischen Visualisierung oder aufwendiger Bühnentechnik zu leisten vermögen, liefern diese im engeren Sinne technischen Medien der Gegenwart also rund um die Uhr. Die überregionale Tageszeitung als App, das Smartphone, die Fernsehübertragung aus repräsentativen Bauten und attraktiven Umgebungen verteilen permanent vor Augen gestellte Szenen, die zur Nachahmung oder Nachempfindung anregen sollen. Die ursprüng20

Kapitel I: Gegenwart

lich antike Möglichkeit einer ›sprachlich-optischen Medientransposition im übertragenen Sinne‹ (R. Campe) beim Erzählen mit ausgefeilten rhetorischen Mitteln wurde zur multimedialen Präsentation und Übertragung auf allen Kanälen. Gerade die Allgegenwart der neuen smarten Medientechnik, ihre Transponibilität und erleichterte Bedienbarkeit scheinen den Durchschnittsuser im Zeichen der vorzeigbaren und versendbaren szenischen Arrangements digitaler Bildfolgen zum Regisseur seines eigenen Lebens zu machen: radikaldemokratisierte Bild-Rhetorikübungen und Theaterarbeit im Medium sogenannter Selfies und Amateurvideos. Doch Amateurhaftes und Professionelles agieren auf Augenhöhe: Das Musikvideo Gangnam Style des Rappers Psy wurde bislang 2,2 Milliarden Mal auf YouTube angesehen. Die amerikanische Blockbuster-Filmindustrie gibt Trailer und Teaser als sogenannte Post-Credit-Scenes in Umlauf, die den Hauptfilmen im Distributionswettbewerb den Rang ablaufen. Der in der Trailer-­ Abteilung von iTunes über YouTube geschaltete Trailer zum (einmal) kommenden Star Wars – Film von J. J. Abrams wurde innerhalb von drei Wochen dort angeblich 50 Millionen Mal geklickt. Diese Emanzipation der Kleinform von oben komplettiert nur den Befund einer gesteigerten Präsenz szenischen Materials in der Lebenswelt, der selbst die Feuilletons des Tages schon eine honorige Geschichte zu­ gestehen: Trailer und Teaser haben ein Eigenleben entwickelt. Sie kleben nicht mehr am Kino, ja, nicht mal mehr am Film. Es gibt Computerspiel-­ Trailer und Roman-Trailer, nur Pop-Alben-Trailer gibt es noch nicht; es sei denn, man hielte die Single dafür. Wir bezeugen die Emanzipation des Snippets zum Aufmerksamkeitsfetisch des Internetzeitalters. Um diesen sensationellen Aufstieg einer ästhetischen Schwundstufe zu erklären, hilft wie üblich Adorno. ›Das Ganze ist das Unwahre‹, schreibt der übellaunige Kulturkritiker in seinen ›Minima Moralia‹, die den schönen Untertitel ›Reflexionen aus dem beschädigten Leben‹ tragen und selbst so eine Art Gedankentrailer sind.13

Ein ›Universum synchroner Quer-Nachahmung‹?

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Diese Verhältnisse sollen hier allerdings weder kritisiert noch gefeiert werden. Beides geschieht täglich und überall. Eine gründliche Kritik müsste denn auch spätestens im Hellenismus ansetzen, als »reisende Schauspieler gelegentlich nur einzelne Szenen bzw. Rollen«14 aus den Tragödien vortrugen, oder im Hochmittelalter, als die Monatsbilder der italienischen Dome schon »landwirtschaftliche und gewerbliche Szenen in lebendigster Art«15 zeigten.

Anfang, Mitte, Ende Dass der Szene als Bezeichnung und Begriff Konkurrenz erwächst, dass ihr massiver Einsatz und ihre Qualitäten zunehmend auch unter Begriffen wie Sketch, Trailer, Snippet, Teaser, Footage oder Clip thema­ tisiert werden, ist vor allem den immer schneller evolvierenden Medienstandards geschuldet.16 Alle diese neueren Begriffe mögen nämlich im Detail noch etwas anderes bezeichnen als die ältere Szene und technisch eine andere Ursprungsgeschichte haben, doch ihre Funktion als effektive und plastische Unterteilung, Abkürzung oder Stellvertretung eines zunächst unübersichtlichen und unzugänglichen Ganzen, bleibt dabei weitgehend erhalten und ist analytisch vom Konzept der Szene aus gut zu erreichen. Ein Beispiel mit ›alten Meistern‹: Um etwas als Szene wahrzunehmen, können wir auf verschiedene Formbestände der Kultur zurückgreifen. Wir setzen etwa bestimmte Mengen von Bildern, Buchstaben und Tönen nach so einfachen poetologischen Kriterien wie Anfang, Mitte und Ende zusammen. Sehr grundsätzlich hat das schon Aristoteles erläutert, ohne dass er das angeblich erst heute im Mittelpunkt stehende Vergnügen am Dargebotenen und seine Lebendigkeit dabei je aus den Augen verlor: Man muß die Fabeln wie in den Tragödien so zusammenfügen, daß sie dramatisch sind und sich auf eine einzige, ganze und in sich geschlossene Handlung mit Anfang, Mitte und Ende beziehen, damit diese, in ihrer Einheit und Ganzheit einem Lebewesen vergleichbar, das ihr eigentümliche Vergnügen bereiten.17

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Kapitel I: Gegenwart

Für Aristoteles war die Tragödie offenbar ein geeignetes Beispiel für eine funktionierende Fabel. Eine gute Szene teilt die Struktureigenheit der Aufgliederung in Anfang, Mitte und Ende mit einer solchen guten Fabel – aber auf engerem Raum. Hier liegt unter anderem auch das Potenzial der Szene, die gesamte Fabel im Auge des Interpreten zu vertreten: Meist äußerlich begrenzt durch das Auf‌treten einer neuen Person, durch den meist damit verbundenen Wechsel der Handlung, aber auch in sich abgeschlossen,18

lautet die entsprechende, lapidare Erläuterung dieses Sachverhalts in einem Theater-Lexikon, die beides andeutet. Roland Barthes äußerte in einem Interview einmal die ebenso aristotelische Vermutung, dass der Film die Eigenschaft solcher relativen ›In-sich-Abgeschlossenheit‹ der theatralen Szene, die natürlich auch in der Literatur vorkomme, in gewisser Weise einfach totalisiert hat: Es ist sehr auf‌f ällig, daß im Gegensatz zur Literatur des ›nichts passiert‹ der Film, und zwar selbst der, der anfangs nicht als Massenkino auf‌tritt, ein Diskurs ist, in dem die Geschichte, die Anekdote, die Handlung (mit ihrer entscheidenden Konsequenz, der Spannung) niemals fehlen.19

Der Hinweis auf Aristoteles macht deutlich, dass die Szene von An­ fang an das Potenzial hat, eine ebenso basale Kategorie wie die Fabel oder das Schauspiel zu werden: Das Theatrum mundi, dessen Begriff‌lichkeit sich im 17. Jahrhundert beachtlich ausdifferenzierte 20, hatte immer auch sein Pendant in den mundanae scaenae.21 Denn erst wenn sich das Welttheater in Szenen aufgliedern lässt, wenn die Welt kleinteiliger wird, kann man sie auch von der gemeinplätzigen Rede über ihre generelle Vergänglichkeit und Eitelkeit langfristig ausnehmen.22

Ein ›Universum synchroner Quer-Nachahmung‹?

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Szenen als shifter Ruth Mayer hebt in einer medienarchäologischen Studie schließlich die Kürze als gemeinsamen Nenner des frühen ›Kinos der Attraktionen‹ (T. Gunning) um 1900 und der hochmobilen Videokultur der New Media um 2000 hervor. Dieser Operator der rhetorischen brevitas reagiere dabei jeweils auf »Akzelerationstendenzen in Wissensbeständen und -formierungen« und auf die »Entfaltung neuer Medientechnologien und Kommunikationskanäle für Massenpublika und multiple audiences. Kleine Erzählformen gewinnen in diesem spezifischen Kontext exemplarische Bedeutung.«23 Die Kürze ist zweifellos auch eine zentrale Eigenschaft der Szene. Aber ein weiterer zentraler Punkt wird von Ruth Mayer angeführt: Es ist der Hinweis, dass die überlegene szenische Virtuosität des jeweils neuen Mediums um 1900 oder um 2000 ihren notwendigen Stoff auf rigorose Art aus mindestens einem Vorgängermedium beziehen kann: In den Anfängen des Films wurde die Ausbildung erzählerischer Vermögen in hohem Maße durch Rückgriffe auf die Buchliteratur erreicht. Literarische Texte wurden regelmäßig vom Film geplündert, um letztlich deren narrative und soziale Reichweite zu steigern. Der frühe Film musste nicht die ganze Geschichte erzählen, er konnte die Plots bei seinem Publikum als bekannt voraussetzen.24

Es sind möglicherweise nicht die soziologischen Größen der Wissens­ beschleunigung oder der Multiplizierung der Publika, die in der Ausbreitungsgeschichte der Szene entscheidende Faktoren darstellen. Es könnte sich ganz einfach um das Aneinandergrenzen eines vollumfänglich entwickelten, in auserzählten komplexen Geschichten sich permanent verwirklichenden Mediums und eines technisch hocheffektiven, aber noch rüden Nachfolgers handeln. Der expandierende Stoff erzwingt eine technologisch effektivere Verteilung. Die Szene ermöglicht dann den tastenden Übertritt, ermöglicht die Erkundung und Erprobung der Publika und Techniken – sie ist der shifter, eine die Fortbewegung nicht hemmende Weiche, ein Ver24

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schieber. Nic Leonhardt weist – ganz analog – in ihren groß angelegten, dabei äußerst engmaschigen Studien zur Visuellen Kultur und Theater im 19. Jahrhundert gerade die begriff‌lich etwas gewöhnungsbedürftige ›Interpiktoralität‹ als das hervorstechendste Merkmal der Periode zwischen 1869 und 1899 nach. Dieses Konzept können wir ohne Probleme auf die Logik der Szene ausdehnen, ja in das Szenische umformulieren: Interpiktoralität benennt die Transformation eines Bildmotivs oder Bildmusters, die Zirkulation oder Wanderung von Bildern zwischen Medien und Institutionen des Visuellen. Für die Dramaturgie der Bilder ist die Fähigkeit des Betrachters, Bildmuster und -inhalte wiederzuerkennen, wesentlich. Theater nimmt Bilder, Darstellungsprinzipien und Rezeptionsformen anderer Medien und Institutionen auf, adaptiert sie und formt sie um.25

Schon die klassischen Medien – Malerei, Roman, Theater – des 19. Jahrhunderts sind also durch diese Wanderung oder Zirkulation in Verbindung. Aus diesem Blickwinkel lugt durch die Ritzen diverser Definitionsversuche des Medienwandels zumindest eine Konstellation, ein Schema: In einer vielgestaltigen Medienlandschaft liefert ein formattechnisch stabiles, etabliertes Stoffreservoir eine Zeit lang bevorzugt szenisches Material für ein technisch neues und geeigneteres Medium der Stoffverteilung. Diese neue Technik entwickelt sich – permanent gespeist – so lange, bis sie selbst aus technischen Gründen wiederum zum Reservoir wird. Das Wechselspiel zwischen Reservoir und Distribution, ihre verschiedenen Leistungsparameter, stünden im Mittelpunkt einer Untersuchung. Dann wären soziologische oder historische, ästhetische oder psychologische Motive höchst attraktive und aufschlussreiche Schattenspiele vor den nüchternen Fugen solcher Konstellationen. Eine Definition der griechischen Tragödie, die – ganz entsprechend – Reservoir und technische Neuerung genau benennt, stammt aus der Hochzeit der deutschen Altphilologie und mag diesen Gedanken illustrieren: Ein ›Universum synchroner Quer-Nachahmung‹?

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Eine Attische Tragödie ist ein in sich abgeschlossenes Stück der Heldensage, poetisch bearbeitet in erhabenem Stile für die Darstellung durch einen Attischen Bürgerchor und zwei bis drei Schauspieler, und bestimmt, als Teil des öffentlichen Gottesdienstes im Heiligtume des Dionysos aufgeführt zu werden.26

Das Zitat entstammt einem Büchlein Carl Schmitts über den Einbruch der Zeit in das Spiel von 1956. Im Kern geht es darin um die Frage, wie sich Historie (bzw. Politik) und Kunst (bzw. Erfindung) auf der Bühne überhaupt vermischen oder durchdringen können – und was gegebenenfalls das Ergebnis ist. Seine Antwort ist differenziert: Inhaltlich ist das Ergebnis – jedenfalls im unwahrscheinlichen Fall eines vollkommenen Gelingens – ein moderner Mythos wie die Hamlet-Figur Shakespeares, der wiederum politisch werden kann wie im Falle von Heines berühmtem Ausspruch ›Deutschland ist Hamlet!‹. Formal ist die Voraussetzung eines solchen modernen Mythos einfach die Szene des Bühnenstücks. In der Szene werden Sätze aus dem alten Reservoir des epischen Helden Amleth der nordischen Saga mit ge- und erfundenen Sätzen der zeithistorischen und zeitgenössischen Person Jakob Stuarts zu einer neuen Figur zusammen­gefügt oder montiert. Erst die Szene als ›Traum-Rahmen‹ – Schmitt wählt einen Ausdruck Egon Viettas – erlaubt und provoziert diese Nachbarschaft und Amalgamierung der Elemente zu einer neuen Figur. Pierre Legendre erläutert 2007 in einer Rede vor Studenten über Wissenschaft und Unwissen mit demselben Argument den für sein Werk gleichfalls zentralen Begriff der Szene: Die menschliche Identität ist das Ergebnis einer Komposition, einer Montage, einer Fügung. Es geht darum, voneinander unterschiedene Register, das Prinzip der unumschränkten Möglichkeiten in Traum und Phantasma und die Logik der Grenze, die uns die Verbindung zur Welt und zur Gesellschaft auferlegt, zusammenzubringen.27

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Kapitel I: Gegenwart

2. Kinoerfahrung und /oder Filmerlebnis? Nach dem Kino. Eine Besprechung unter Laien Ein gemeinsamer Kinobesuch ist zu Ende: Es ist kalt und man versammelt sich im Freien zu einer ersten kurzen Unterredung über das Gesehene. In einem Glaskasten, hinter der kleinen Gruppe, hängt das Plakat, das den Film in der Tradition barocker Emblematik auf den Nenner eines einzigen Bildes und eines einzigen Kritiker-Zitats zu bringen versucht. Man unterhält sich angeregt, nähert sich einem ersten Urteil mit der Schilderung prägnanter Szenen. Solche Szenen werden zusammengetragen und sollen zunächst ein Für oder Wider (die Qualität des Films) wahrscheinlicher machen. Einigt man sich nicht, hat jedes Lager zumindest seine Lieblingsszenen. Anders, das ist zu vermuten, lässt sich über einen Film in einer solchen Situation auch gar nicht reden, denn das Ganze des Films ist schwer zu adressieren. Man wählt zwangsläufig aus, erinnert sich nur an Einzelheiten oder einzelne Zusammenhänge. Irgendwie ist das Ganze ja auch in diesen isolierten Szenen präsent. Jede Szene deutet immer auch über sich hinaus. Sie ist – zur ›Schlüsselszene‹ erklärt – eine merkwürdige Mischung aus formaler Abgrenzung und interpretatorischer Ausweitung.28 Eine Szene entsteht im Auge des Betrachters, indem sie mit Blick auf das schon über sie Hinausweisende, mit Blick auf das größere Ganze, welches sie stellvertretend repräsentiert (bevor es dann auch ganz durchquert oder umfasst ist), überhaupt erst gefunden und eingegrenzt wird. Die Szene bringt hier – als Problem betrachtet – etwas hervor, was man als sehr basales hermeneutisches Wahrnehmungsund Interpretationsprinzip, als Zirkel, ansprechen kann: Man muss, bevor man überhaupt etwas wahrnimmt, zuerst etwas heraussehen (selektieren) und dann zusammensehen (synthetisieren) – und damit vorinterpretieren. Man interpretiert immer weiter, schrittweise und mit Blick auf ein Größeres, eine Einbettung, einen Zusammenhang, den man sich aber wiederum erst – interpretierend – aneignet.29 Szenen sind in dieser Perspektive ein genuin hermeneutisches, 27

ein Pars-pro-toto-Phänomen: Etwas hat dann szenischen Charakter, wenn es als kleineres Element schon verständlicher, erzähl- und ausdeutbarer Teil eines Größeren sein kann. Mit solchen zunächst frei geschnittenen oder ausgewählten Szenen können wir in der Kommunikation über einen Text, ein Theaterstück, eine Alltagswahrnehmung oder eben einen Film leichter operieren. Wären wir wirklich eine Art verständiger Prozessor, könnte man sagen, dass wir pausenlos ergehende Folgen von Eindrücken, Bildern und Informationen in Szenen einteilen, um zu einem vorläufigen Zusammenhang, einem Ganzen zu gelangen.

Befreite Szenen Man könnte nun so tun, als ob der konstruierte Kinobesuch und das sich anschließende, skizzierte Gespräch auch heute noch zu den Routinen, zur wiederkehrenden Normalität des Mediengebrauchs gehört. Doch es hat sich gerade mit Blick auf den Gegenstand etwas verändert: Die Szenen, die gesprächsweise aus dem Film – zu seinem erstmaligen oder besseren Verständnis – heraus präpariert wurden, haben sich verselbstständigt. Das Filmerlebnis hat den Kinosaal und das Wohnzimmer verlassen. Nur »aufgrund der anhaltenden Wichtigkeit der Kinoauswertungsphase für die Verwertungskette des Films bleibt indes weiterhin der Eindruck bestehen, daß das Kino der Ort des Films schlechthin sei«.30 Das Filmerlebnis hat sich irgendwann auf den Weg gemacht und ist mitten unter uns, in unserem Alltag angekommen. Es gibt allerdings gute Gründe, den Anfang dieses Weges schon mit dem Anfang der Kinematografie gleichzusetzen, da an portablen Projektoren oder an kleineren Heimkameras schon seit 1900 gearbeitet wurde.31 Doch der Einschnitt, den wir gegenwärtig durch­ leben, ist noch einmal anderer Natur, ist nicht einfach durch Verkleinerung, Mobilisierung oder Verbilligung der Geräte gekennzeichnet. Dieser Einschnitt reißt (niemals letzte) Wände ein, dieser Einschnitt setzt den Film als Kompositum aus Szenen frei. Ein Symptom: Der Unterpunkt ›Chapter‹ oder ›Kapitel‹, den jedes Standard-Menü einer 28

Kapitel I: Gegenwart

DVD anbietet, hatte eine Zeit lang noch die Besorgnis erregt, dass Filme nur mehr selektiv, auf Höhepunkte hin, nicht mehr ›vollständig‹ rezipiert würden.32 Diese Besorgnis erscheint heute geradezu anachronistisch. Kommerzielle Plattformen wie YouTube mit nahezu unerschöpf‌ lichen Ressourcen haben die Zerlegung aller erdenklichen Filmprodukte in Szenen unterschiedlichster Länge derart vorangetrieben, dass ein an Ganzheit orientierter Mediengebrauch eine Möglichkeit unter vielen ist. Alle pejorativen Mediengebrauchsdebatten, die dereinst unter den Überschrif‌ten ›blättern‹, ›zappen‹ oder ›surfen‹33 geführt worden sind und den Verlust ganzer, kontrollierbarer Lektüren beklagten, scheinen von der Realität fröhlicher Mashups, Samplings, Compilations oder Remixes eingeholt. Was sich dabei größter Lebendigkeit und Präsenz erfreut, ist die Form der Szene, sie wirkt – könnte man kalauern – wie befreit. Mit den neuen, zum Teil hochmobilen Medientechniken der Gegenwart wird das szenische Erleben, das uns außerhalb der Kinos und Wohnräume lange Zeit eher aus den schwerer verfügbaren immateriellen Gefilden der Einbildungskraft zuzuwachsen schien, auch materialiter zu einem alltäglichen Faktum. Tönende Filmszenen auf städtischen Großbildschirmen, auf Minidisplays in unseren Handtellern oder auf den Rückseiten von Kopfstützen beliebiger Auto-, Flugzeug- oder Eisenbahnsitze sind nun die Regel, sind allgegenwärtig. Personal nomadic mobile screens beherrschen die Gegenwart: Sie kreuzen beständig die Grenze zwischen privater und öffentlicher Sphäre, gehen dorthin, wo der Nutzer hingeht, betreten und verlassen Häuser, Cafés und Büros, dabei von Ort zu Ort befördert in technischen Prothesen – Autos, Zügen, Langstreckenflugzeugen (die Flugzeuge wiederum bieten natürlich schon eine ganze Palette von Bildschirmen).34

Ein Pocketbeamer macht beinahe jede hellere und einigermaßen ebene Flächen zum Ort einer Projektion. Benutzeroberflächen, Displays, Interfaces – so jedenfalls ein Arbeitsfeld der Entwickler – werden ihrerseits für die Zeit der Nutzung gleich auf die nackte Haut geworKinoerfahrung und/oder Filmerlebnis?

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fen. Solche Visionen der Medienkunst, die häufig – beispielsweise als Überwachung – einen geheimen Vorlauf im Feld der nicht-zivilen Technik zu verzeichnen haben, werden langsam Alltag. Edgar Reitz formulierte eine dieser Visionen mit dem frühen, einstündigen Filmprojekt Unendliche Fahrt – aber begrenzt/Varia Vision von 1964/65 noch ganz auf der Basis analoger Medientechnologien. Hier wurden 36 unterschiedlich lange Filmstreifen auf 120, durch eine Lamellen­ struktur beweglich gehaltene Leinwände projiziert.35 30 Jahre später reformulierte Reitz diese Vision unter digitalen Bedingungen: Seit hundert Jahren werden Filme auf Bändern, auf Filmspulen, produziert. Sie haben deswegen einen Anfang, eine bestimmte Dauer und ein Ende. Die ganze Ästhetik des Kinos, aber auch die des Fernsehens war von diesem Gesetz bestimmt, daß ihr der mechanische Ablauf eines Bandes zugrundeliegt. Dieser Ablauf ist in der Regel auch ununterbrechbar. Der ganze Rhythmus, die Dramaturgie, die Formen des Erzählens oder des Ausdrucks waren hundert Jahre lang von dieser Logik des linearen Ablaufs beherrscht. Die neue Erzählkultur wird kaum noch dramaturgisch sein, denn gerade das, was bisher das Publikum bei der Stange hielt, die dramaturgische Logik, der scharf kalkulierte zeitliche Ablauf, ist in Zukunft hinderlich. Er zwingt die Zuschauer, immer das Ganze zu sehen, weil es sonst nicht unterhält. Aber wenn das Angebot der Netzwerke so riesig ist, wird man sich nur noch ungern die Zeit nehmen, zwei Stunden lang auf eine lineare Handlung zu starren. Die neuen Erzählformen müssen ebenfalls digital werden. Was bedeutet das? Sie werden in kleine, eng auf das Leben bezogene Einheiten zerfallen. Die großen Zusammenhänge entstehen erst durch die Benutzung, durch Kombinationen.36

Eine laufende Integration von Szenen als ›kleine, eng auf das Leben bezogene Einheiten‹ in unsere Umwelt erinnert von Ferne auch an die Anfänge des Kinos, als kurze Filmsequenzen als Tricksensationen im Programm von Varietétheatern – zwischen »Reckturnern, einem Känguruh-Boxkampf, einem Jongleur, einer Tanzgruppe, einem Ring­kampf und einer Gymnastik treibenden Familie«37 – auf‌tauch30

Kapitel I: Gegenwart

ten. Erinnert sei auch an die Tatsache, dass die ersten Kinos unterschiedlichste Filme verschiedener Länge so aufeinander folgen ließen, dass man die Eintrittskarte für eine bestimmte Dosis der neuen Unterhaltungstechnik, nicht aber für einen bestimmten Film als Kunst löste.

Das Filmerlebnis revisited Diese Anfänge wichen relativ schnell einem ganz anders gearteten zeitlichen und räumlichen Standard, den auch Reitz rückblickend beschreibt – und den wir nun wieder verlassen haben: Das Filmerlebnis oder später das TV-Ereignis waren fast das ganze vergangene Jahrhundert an besondere Orte und an spezifische Projektions- oder Sende­ bedingungen geknüpft. Für das Filmerlebnis im Kino hat Rudolf Harms diese besonderen Bedingungen schon 1922, in seiner bei Hans Driesch und Johannes Volkelt – zwei Kollegen von André Jolles in Leipzig – verfassten Dissertationsschrift Philosophie des Films, genau beschrieben. Harms zeigt, wie voraussetzungsreich das Film­ erlebnis in seiner Vollform ist, wie aufwendig und differenziert die beteiligten Sinne des Schauenden von der Architektur des Kinosaals ( Abb.  1) entweder abgedämpft oder unterstützt werden, wie anspruchsvoll die Aufgabe war, die individuelle Rezeption unbeschadet in die kollektive zu integrieren: Der einmal notwendige Kollektivbau soll eine möglichst erhöhte leibliche Losgelöstheit gewährleisten und ebenso die Mängel einer festen lokalen Gebundenheit der Einzelperson zu erleichtern suchen. Insofern handelt es sich um die Verhinderung eines In-Aktion-Tretens der ›niederen‹ Sinne und der daraus folgenden Leiblichkeitsempfindungen durch bequeme Sitzgelegenheit, entsprechende Raumventilation (Geruchsempfindungen) usw., um eine bewußte Dirigierung auch der höheren ästhetischen Sinne – Gesicht und Gehör – in einer ganz bestimmten Richtung. Das Gehör verlangt zunächst die Entfernung aller störenden Nebengeräusche von seiten des technischen Vorführungsapparates durch seinen Einbau außerhalb des ZuschauerKinoerfahrung und/oder Filmerlebnis?

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raumes und Verschluß mittels eines starken Glasfensters, um eine gute Schalldämpfung herbeizuführen. Zweitens ist eine typische Eigenart der Filmkunst als Kollektivkunst der dauernd wechselnde Zu- und Abfluß der Besucher und damit in Verbindung stehende Nebengeräusche, die zur Störung der ästhetischen Abgelöstheit und Willenlosigkeit führen können. Läufer, Teppiche und entsprechend gebaute Sitzgelegenheiten sind hier Abhilfemittel.38

Obwohl es natürlich noch Kinos und Wohn- oder Fernsehzimmer gibt und weiterhin geben wird, haben sich die Rahmenbedingungen szenischen Konsums insgesamt ganz offensichtlich verändert. Reproduzierbare oder verschickbare Szenen werden uns allerorten vorgespielt, werden längst in Windeseile von einer Oberfläche zur anderen überspielt. Kurze Werbeclips im Internet tauchen – ohne weiteres Zutun des Users – wie über den Main Content geworfene, szenische Netze auf, um im nächsten Augenblick ebenso geisterhaft wieder fortgerissen zu werden. Die »ungreif ‌bare, fließende Festigkeit« (R. Caillois)39 geschmeidiger, oft schon dreidimensionaler technischer Bilder der jeweils neuesten Bildschirm- und Benutzeroberflächengeneration bestimmt unsere Gegenwart. Die flüchtigen Bilder sind in einem Umfang und in einer Intensität darauf aus, als szenische Schnipsel natürlicher Bestandteil der Lebenswelt zu werden, dass sich die Umstände und Anforderungen, die Rudolf Harms mit dem frühen Filmkonsum verbindet, geradezu umgekehrt haben: Während der Vorstellung befindet sich das aufnehmende Individuum gezwungenerweise in einer typisch anderen Welt. Während es sonst gewohnt ist, Gesichtswahrnehmungen der verschiedensten Art wahllos und regellos in sich aufzunehmen sowie in Bewegung und Umgebung im allgemeinen völlige innere Freiheit zu haben, ist es während der Filmvorführung lokal und visionär gebunden. Es befindet sich in einer bestimmten, durch die Dauer des Films festgelegten, lichtlosen Umgebung, in die es künstlich hineingeführt und aus der es ebenso wieder herausgerissen wird.40

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Kapitel I: Gegenwart

Es ist kaum ein größerer Kontrast herstellbar, als derjenige, den das gegenwärtige, so gelassene wie spontane Abspielen und Anschauen von Filmszenen in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Freien oder bei Zusammenkünf‌ten in Privaträumen im Vergleich zu Rudolf Harms Schilderung des Filmerlebnisses darstellt. Das Anfertigen, Versenden, Nachstellen oder Kommentieren von kleinen Filmszenen über entsprechende Portale ist zu einer Hauptbeschäftigung neuer, netzaffi­ner Generationen geworden. Man darf wohl sagen: Der Mensch komponiert und konstruiert sich neuerdings mit immer raffinierteren Mitteln eine Umwelt aus Szenen und folgt der schon 1955 bei Eugen Rosenstock festgehaltenen »Tendenz unserer Zeit, daß die Umgebungen den Menschen fabrizieren«41.

Kinoerfahrung und/oder Filmerlebnis?

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3. Szene, Subjekt oder Geschichten? Ein Leistungsprofil der Szene Es ist und bleibt allerdings schwierig, die Verhältnisse der Gegenwart richtig einzuschätzen. Eine eher an Trends interessierte Umfrage des Magazins Latitude unter Kulturschaffenden und Wirtschaftsfachleuten der Medienbranche kommt jedenfalls zu folgendem Ergebnis: Die zukünftige Geschichten-Generation, die sich unsere Leser vorstellen, hebt den wachsenden Appetit der Abnehmer auf Erfahrungen hervor, die sie nicht nur tiefer in die Geschichten absinken lassen, sondern auf solche, die die Geschichten vom Bildschirm weg bringen – im wörtlichen und im übertragenen Sinne – und sie mit unseren tatsächlichen Leben vermischen.42

Die Szene organisiert in dynamischer Weise das, was verstehbar ist. Sie ist die Maßeinheit des Verstehens und gleichzeitig Element der Beweglichkeit in einer Apparatur namens Text, Theater, Kino, Film oder einer augmented reality konvergenter digitaler Bildmedien. In Szenen imaginieren wir. In Szenen formulieren wir für uns erste Deutungen und Wiedergaben von Gesehenem, Gehörtem, Erlebtem, dessen Insgesamt die Fassbarkeit sofort sprengen würde, dessen Szenen aber schon die nächsten Erfahrungen anleiten und verketten. Die Szene ist als formale Einheit zumindest etwas, das wir beispielsweise – anders als ein ganzes Buch oder einen ganzen Film – problemlos erzählen können. Die Szene ist, weil Ausgang und Eingang nicht zu weit auseinander liegen, etwas, das leicht zirkulieren kann, etwas, das die Vorstellungskapazitäten des Gehirns, die Imagination, anregt und nicht abschreckt, etwas, das auf jeden Fall die distributiven Kapazitäten ganz unterschiedlicher Medien anspricht, etwas, das offenbar als shifter zwischen diesen verschiedenen Medien fungieren kann. Geht die Szene ganz in Belehrung, Thesenhaftigkeit oder Ideologie auf, verliert sie ihre spezifische Kraft, denn Szenen wollen nicht schon so das Ganze sein, dass von diesem überall in übereinstimmen34

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der Weise die Rede sein muss. Szenen sind nicht nur leicht verteilbar oder mitteilbar, sie sind aus rein medientechnischen Gründen auch leicht teilbar. Ihr Konsum und ihre Deutung beanspruchen gegebenenfalls kaum Zeit. Wenn wir auf entsprechenden Plattformen der Gegenwart die Abrufzahlen zunächst unbedeutend erscheinender Spiel- oder Dokumentarszenen von 2–5 Minuten Dauer einbeziehen, die in wenigen Tagen in die Millionen gehen können, dann müssen wir festhalten, dass dieser (Ver-)Teilungsprozess vielleicht nicht die Art von distinguierter Kommunikation über Film oder Kunst ist, die wir uns – unter akademischem Vorbehalt – wünschen oder vorstellen. Dieser Vorbehalt drückt sich schon in der Metaphorik des Viralen aus, mit der das Feuilleton und die Medienwissenschaft dem Phänomen regelmäßig näher zu kommen trachten.43 Dass dieser Teilungsprozess aber die unschlagbare Effizienz des Einsickerns ästhetisch-dokumentarischen Materials in eine globale Nutzer-Gesellschaft erreicht, wie sie Benedict Anderson für das 19. Jahr­hundert schon am Roman und an der Zeitung beobachtete, ist wohl unbestreitbar: Indem der Zeitungsleser beobachtet, wie exakte Duplikate seiner Zeitung in der U-Bahn, beim Friseur, in seiner Nachbarschaft konsumiert werden, erhält er ununterbrochen die Gewißheit, daß die vorgestellte Welt sichtbar im Alltagsleben verwurzelt ist. Die Fiktion sickert leise und stetig in die Wirklichkeit ein.44

Dass die Zeitungen in der U-Bahn gegenwärtig von mobilen Displays oder stationären Bildschirmen mit lokaler Werbung ersetzt werden, verzeichnet eine jüngere Studie: Auch in der überfüllten U-Bahn zieht ein Bildschirm Aufmerksamkeit auf sich – ob es sich nun um das das Smartphone des Sitznachbars handelt oder das ›Berliner Fenster‹.45

Ich halte fest: Szenen sind ein wenig provisorisch oder vorläufig – und damit dem schnellen Verständnis zugänglicher, solange sich ein ebenso vorläufiger Kontext herstellen lässt. Szenen modellieren InforSzene, Subjekt oder Geschichten?

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mationen zu überschaubaren, anschlussfähigen Gefügen und helfen so, Kommunikation und Verstehen zu organisieren.46 Szenen – und das ist das zentrale Paradox aller Ausführungen zum Thema – weisen keine einheitliche Form auf, ja, es ist noch nicht einmal von der relativen Konstanz einiger Elemente dieser Form auszugehen. Die Leistung der Szene wird von verschiedenen Medien verschieden realisiert. Die Szene ist als Formelement dennoch theoretisch, rhetorisch und materialiter präsent in unserer sprachlichen und gegenständlichen Umwelt, sie ist ein spezifisches Werkzeug oder Tool sowohl in der Bildlichkeit unserer Sprache als auch in den Maßverhältnissen unserer medialen Infrastrukturen. Man kann die fehlende materiale Konsistenz oder formale Einheit der Leitkategorie ›Szene‹ auch nicht einfach durch die Behauptung ersetzen, dass der Mensch immer schon ein szenisch denkendes Wesen war und ist. Dem Philosophen Wolfgang Hogrebe gebührt zwar die Ehre einer ersten systematischen monographischen Auseinandersetzung mit der Szene, aber sein Axiom macht aus der Szene eine Art Platzhalter des Existenziellen: »Das Verstehen wird desto vager, je näher es an das Szenische unseres Existierens heranrückt.«47 Das Szenische hat unbenommen sehr viel mit den Techniken und Bedingungen des menschlichen Verstehens zu tun, aber es ist deshalb kein Existenzial, sondern ein historisch wandelbares Form­ element, das dem Verstehen seinerseits durchaus zugänglich ist.

Größenverhältnisse: Szenen in Geschichten Wie sich größere Geschichten und die kleineren Szenen zueinander verhalten, ist damit noch nicht geklärt. Die Geschichten kommen sofort ins Spiel, wenn wir nach unserem Verhältnis zur Welt fragen. Unsere Welt hat Entwurfscharakter, sie kann nur als geschichtenförmiger, erzählerisch strukturierter Vorentwurf – mag er auch ganz in der Modifizierung eines Vergangenen aufgehen –, verstehend angeeignet werden. Erst indem wir von der Welt zeigbare und sagbare Geschichten, Berichte und Entwürfe anfertigen und im Horizont dieser Geschichten sprechen, produzieren wir auch alternative Handlungs-, Vorstellungs- oder Glaubensoptionen. Diese Geschich36

Kapitel I: Gegenwart

ten liefern der Alltag, der Journalismus, die Geschichtswissenschaft, die Belletristik, der Mythos oder andere ernste und unernste Instanzen. Schon Hannah Arendt48 oder Wilhelm Schapp haben diese Einsicht immer wieder formuliert: Wenn wir das Sein in Geschichten suchen, in welchem Zusammenhang auch immer, so ist unsere Hauptstütze das Verstricktsein in Geschichten, welches sich uns als der Kern des menschlichen Seins aufdrängt. Von unserem Standpunkt aus nähern wir uns dem Menschen über seine Geschichten. Wir meinen, daß er sich selbst am nächsten ist in seinen Geschichten und daß wir uns ihm nur nähern können über seine Geschichten.49

Hier fehlen nur noch die Medientechniken. Heinrich Bosse hat die technischen Voraussetzungen dieser Einsicht Schapps später unter demselben Titel formuliert: Vorauszusetzen ist erstens das Geschehen oder ›das Vorgefallene‹, die diffuse Dynamik all dessen, was ständig passiert. Das Geschehen ordnet sich, zweitens, in einer Geschichte zu einer bestimmten Gestalt. Die Geschichte materialisiert sich ihrerseits, drittens, in einer medialen Ober­fläche, zum Beispiel im Text der Geschichte.50

Die zentrale Frage ist, ob in dieser Kommunikation tatsächlich Geschichten oder aber diesen Geschichten entnommene bzw. sie repräsentierende Szenen kursieren? Szenen erscheinen in dieser Hinsicht geeigneter als Geschichten. Was spricht also für die Szene? Schapp selbst bringt die Szene einmal medientechnisch ins Spiel: Ebenso kann in den zurückliegenden Geschichten eine einzelne Partie, eine Szene, wieder in heller Beleuchtung sich von dem übrigen Teil abheben.51

Der Arzt und Philosoph Hans Lipps ist ein weiterer Vertreter der frühen Geschichten-Philosophie aus dem Göttinger Husserl-Kreis, Szene, Subjekt oder Geschichten?

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dem auch Wilhelm Schapp angehörte. Auch für Lipps sind Geschichten in vielen kommunikativen Situationen alternativlos. Doch in seinen Ausführungen spielen eben auch die Prägnanz und Knappheit der Geschichten eine zentrale Rolle. Nur knappe Geschichten halten die Kommunikation in Gang, gehen hin und her oder machen die Runde: Vorzüglich lernt man einen Menschen durch die Geschichten kennen, die man von ihm weiß. Man begegnet ihm darin. Begegnisse kann ich nur als ›Geschichte‹ erzählen. Was der andere aber aus der Geschichte erfährt, ist ihm überhaupt nicht auf direkte Weise mitzuteilen. Geschichten müssen knapp erzählt werden; Zurückhaltung ist nötig, damit der Raum frei bleibt, in dem der andere einem entgegenkommen kann.52

Damit ist die Verknappung der Geschichten zu Szenen noch eine Spur plausibler. Szenen können als bewegte oder aufgezeichnete Bilder, als Text- oder Erzähleinheit, immer wieder in Umlauf gebracht werden. Sobald das geschieht, können sie zum wiedererkennbaren Element werden. Damit bieten sie Anschlussmöglichkeiten für Erfahrung und Kommunikation und helfen, unbekannte Situationen in bekannte zu übersetzen. Mit diesen wahrgenommenen Szenen werden gleichzeitig aus dem Ursprungskontext und den Details der ursprünglichen Umgebung herausgelöste ›Formulare‹ ( J. Frese) generiert, die ihrerseits das Erleben von Neuem dem Verstehen zugänglicher machen und einem schon angesammelten Formular- oder Erfahrungsschatz anorganisieren: Zwei Erfahrungen werden verschränkt. Dies heißt mit Rücksicht auf die Definition von Erfahrung: Zuordnung von Geschichten, genauer: Verschränkung von zwei in Geschichten aufgereihten Bildern bzw. Bildfeldern miteinander.53

Die gegenüber den Geschichten schlicht kürzere oder übersichtlichere, prägnante Form der Szene wird als fungible Stellvertretung 38

Kapitel I: Gegenwart

eines größeren geschichtenförmigen Zusammenhangs fast automatisch zum Dreh- und Angelpunkt von Kommunikation oder Interpretation, die um Anschlüsse und Pointierungen bemüht ist: »Das Narrativ bedarf der Szene, um in ausgewählten Momenten durch Anschaulichkeit einprägsam zu werden«54, heißt es zutreffend in einer neueren ›Allgemeinen Erzähltheorie‹, die die Szene als mögliche zentrale Kategorie einer solchen Theorie zumindest anführt.

Bewusstseinsverhältnisse: Interne Szenen versus Subjektivität Kommt man so auch von einem Außen zu einem Innen? Erzählte Ereignisse und Erlebnisse – wie vermittelt oder unmittelbar sie auch immer sind – werden nie ganz ohne ein interpretierendes orientierendes Zwischentun des Subjekts wahrgenommen. Hier aber ist genau kein Einfallstor für die beliebte Totschlag-Formel, der zufolge alles ohnehin ›irgendwie subjektiv sei‹. Dieses Zwischentun ist tatsächlich ein Abgleichen mit schon vorhandenen Erlebnissen als Bildern und Szenen, wie Frese es mit dem Formular-Begriff andeutet, welches sehr häufig gar nicht ohne technische Hilfsmittel vonstatten geht. Auch hier müssen Reservoirs und Konstellationen bestimmt werden. Es gibt, so die neueste szenografische Forschung, eigentlich gar »kein Ereignis ohne umgebende Szenerie«55. Schon das scheinbar punktuelle Ereignis konstituiert sich erst in der Wahrnehmung und der sprachlich-bildlichen Artikulation einer Szene. So resümiert auch diese Forschung ihre Bemühungen zum Ereignis als ein Abgleichen von neuen Szenen mit schon vorhandenen Szenen, als eine vielleicht noch interne Bilanzierung von Szenen, die man nur sehr schlecht nach ihrem Grad an Natürlichkeit oder Medialität klassifizieren kann: »Erst dann, also mit einem unter Umständen kaum messbaren Verzug, geschieht die Bilanzierung auf dem Niveau einer Vorstellung, die Symptom von Gewohnheiten ist.«56 Die Frage der Künstlichkeit, Technizität oder Medialität solcher in diesen Abgleichungsprozessen herangezogenen internen Szenen muss also mit Vorsicht beantwortet werden: Die externen Szenen – mit immer neuen technisch-medialen Apparaturen aufgezeichnet Szene, Subjekt oder Geschichten?

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und in unserer Umgebung präsentiert – machen uns die internen szenischen Erfahrungen oder Erlebnisse oftmals erst bewusst. Daraus resultiert ein komplexes Wechselverhältnis, wenn nicht gar eines der Durchdringung oder Stellvertretung, zwischen technischer Medialität, Ereignis, Erlebnis und Erkenntnis. Diese Überlegungen öffnen auch den Raum für Fragen der Manipulation und Manipulierbarkeit der Subjekte durch Strategien der Inszenierung, insofern konventionelle Unterscheidbarkeiten wie die folgende von ihnen ganz offensichtlich unterlaufen werden: »Was Spiel ist im einen Raum, wird im anderen als echt unterstellt.«57 Der Einbruch der Zeit in das Spiel – wie Carl Schmitt ihn formulierte – wiederholt sich fortwährend. Das Misstrauen ist auch für den Alltag geweckt. Denn »sollten die Szenen, die sich in solch gewohnt gewöhnlicher Umgebung ergeben, nicht nur als beabsichtigt, sondern gegebenenfalls auch als formal wie inhaltlich geplant gelten«58, besteht erhöhter Auf‌klärungsbedarf. Gesucht wird dann der »Einsatzort der strategischen Planung und Zielbestimmung«.59 Andererseits müsste hier zunächst konsequent in jenes kriegerische Vokabular von ›Einsatz‹, ›Strategie‹ oder ›Auf‌klärung‹ gewechselt werden, um der Sache nachzugehen. Um das zu vermeiden – und ohne diesen Faden aufzunehmen –, kann man nur darauf verweisen, dass die revolutionären Paradigmenwechsel in der Geschichte der militärischen Strategien selbst regelmäßig von spielerischen und szenischen Apparaturen – wie dem Schachspiel oder dem Sandkasten – angestoßen wurden.60

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Kapitel I: Gegenwart

II. Umrisse einer Medien- und Kulturgeschichte der Szene

Die Kinos werden wie Leierkasten, Karussell, Menagerie, Schaubude, Phonograph bestehen, Glück und Abstieg erleben, neue Reizungen vorbereiten und in Afrika enden. Walter Rathenau

1. Urszenen zwischen Materialität und Imagination Höhlenkunst Erste Szenen zeigen uns uns, sie zeigen uns den Menschen: wie er jagt und was er jagt. Genauer gesagt handelt es sich um Szenen, Jagdszenen aus einer Höhle im Departement Ardèche in Frankreich. Es sind 35 000 Jahre alte Szenen. Bis heute wurden etwa 300 solcher Höhlen entdeckt. Viele von ihnen liegen im heutigen Südfrankreich bzw. in Nordspanien und dienten den sogenannten Cro-Magnon-Menschen als Heimstatt. Ihre einzigartigen Ausmalungen werden als Frankokantabrische Höhlenkunst bezeichnet und gehören zu einer besonderen Sparte der Medienkunst – der Parietalkunst oder den Felswandbildern. Andere Höhlen liegen in Skandinavien, Afrika und Australien.1 Ein früher Theoretiker des Films ordnet sie entschieden schon der Entstehungsgeschichte seines Gegenstands zu: Erkenne ich bereits in den Höhlenbildern der Steinzeit den Willen, zeitlich Verschiedenes, Zustands- oder Bewegungsphasen durch lineare Wiederholung, d. h. durch bloße Aneinanderreihung ohne Bindung als Gesamtbild, zum Ausdruck zu bringen, so muß ich diese erkenntnistheoretische Urzelle des Films in den schwedischen Felsbildern der Bronzezeit, etwa 2. Jahrtausend v. Chr. in einer wohl unbestreitbaren Weise bestätigt finden.2

Eine der franko-kantabrischen Höhlen wurde vor 35 000 Jahren zum ersten Mal ausgemalt und dann ca. 6000 Jahre lang immer wieder für Malereien benutzt. Irgendwann wurde sie – vielleicht durch ein Erdbeben – verschüttet und dadurch auf natürliche Weise versiegelt. Erst am 18. Dezember 1994 entdeckte sie der Höhlenforscher Jean-Marie Chauvet wieder. Eine Höhle der vergessenen Träume nannte sie Werner Herzog 2009 in seinem gleichnamigen Dokumentarfilm. Der Film widmete sich hingebungsvoll diesen etwa 400 gemalten Szenen. Eine zeitnahe Besprechung fasste die kulturgeschichtliche Substanz der

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Funde und die mediengeschichtliche Konstellation der beiden Fundorte präzise zusammen: In immer neuen Anläufen inszeniert Herzog die Begegnung zweier Bildtechnologien, die durch einen abyss of time voneinander getrennt sind, aber dennoch in einem Kontinuum menschlicher Wahrnehmungsweisen stehen. Die magische 3-D-Bildtechnik eignet sich auf besondere Weise, um zu erfassen, wie sich die jungpaläolithischen Zeichner (waren sie Künstler? Dokumentaristen? Hobbymaler?) der vorgefundenen Plastizität ihrer Lehmleinwand bedienten, um die Illusion von Bewegung und Dynamik zu erzielen. Die natürlichen Wölbungen der Höhlenwände übernehmen hier die Rolle des Projektors: sie verlebendigen etwas Fixiertes, sie stif‌ten Bewegungssehen.3

Eine szenische Technik dokumentiert die szenische Technik einer anderen Epoche. Es ist die prähistorische Epoche, vor die wir – außer mit Freud – mit unserem Vorstellungsvermögen kaum gelangen können. Schon 1927 vermutete José Ortega y Gasset, dass wir auch hier immer nur uns sehen, dass »die Lampe über die Schildereien von Altamira die Schatten der Touristen in phantastischen Verzerrungen legt, so daß sie als erstes an diesem Ort ihre eigene gewöhnliche Silhouette entdecken«.4 Wenn wir uns dennoch fragen, wozu diese Szenen entstanden, dann hören wir meistens folgende Antwort: ›Sie könnten kultischen Ursprungs sein – ein Jagdzauber oder Iniationsriten vielleicht.‹ Die Szenen sollten – auf die Wände einer ansonsten dunklen Höhle aufgetragen – das Jagdglück oder die jungen Männer beflügeln? Für wie viele Menschen sind diese Bilder gemalt worden? Für höchstens einige hundert vermutet der Anthropologe, Geograf und Historiker Jared Diamond.5 Wie wurden diese Szenen rezipiert? Wurden sie zu besonderen Anlässen im Fackelschein betrachtet und gefertigt?6 Defilierten die Menschen zu besonderen Festen – welcher Art waren diese? – an ihnen vorbei? Bekamen sie sie überhaupt je zu sehen oder war dies bestimmten Funktionsträgern oder gar Sterbenden vorbehalten? Wir wissen es nicht, befand schon Georges Batailles:

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Kapitel II: Geschichte

Wir erkennen fast immer die dargestellten Tiere und müssen uns ihre Entstehung als mit irgendeiner magischen Absicht verbunden denken. Wir können aber nicht sagen, welche Rolle sie innerhalb des Glaubens und der Riten dieser Wesen gespielt haben, die so viele Jahrtausende vor der geschichtlichen Zeit gelebt haben.7

Der Aufwand scheint jedenfalls schon damals erheblich gewesen zu sein: Schon vor 35 000 Jahren gab es offenbar den Versuch, Bilder szenisch zu arrangieren, d. h. technisch zu verlebendigen. Die Cro-­ Magnon-Künstler malten die Bären, Löwen und Pferde vielbeinig, um ihren Galopp zu simulieren. Sie bearbeiteten die Felswände vor dem Farbauf‌trag, nutzten natürliche Wölbungen für optische Effekte und mischten spezielle Farben aus Ocker, Rötel oder Holzkohle. Heute können Millionen Menschen diese Szenen sehen – auch dank der von Werner Herzog benutzten, seit gut hundert Jahren bekannten Kameratechnik, die er nun in einer neueren Spielart, der 3-D-Technik, verwendete.

Am Anfang der Urszene Am Anfang war wohl die Urhorde – von ihr haben wir keine Bilder, sondern nur plastische Schilderungen eines großen Schriftstellers. Sigmund Freud appellierte kurz vor Ausbruch der Gemetzel des Ersten Weltkriegs an unsere Einbildungskraft. Er schilderte den Anfang von Kultur in zwei grausamen Szenen, die man zu einer einzigen verschmelzen kann, um einen szenischen Anfang von allem zu haben: Stellen wir uns nun die Szene einer solchen Totenmahlzeit vor und statten sie noch mit einigen wahrscheinlichen Zügen aus, die bisher nicht gewürdigt werden konnten. Der Clan, der sein Totemtier bei feierlichem Anlasse auf grausame Weise tötet und es roh verzehrt, Blut, Fleisch und Knochen; dabei sind die Stammesgenossen in die Ähnlichkeit des Totem verkleidet, imitieren es in Lauten und Bewegungen, als ob sie seine und ihre Identität betonen wollen. […] Ein

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gewalttätiger, eifersüchtiger Vater, der alle Weibchen für sich behält und die heranwachsenden Söhne vertreibt, nichts weiter. Eines Tages taten sich die ausgetriebenen Brüder zusammen, erschlugen und verzehrten den Vater und machten so der Vaterhorde ein Ende.8

Am Anfang, darin folge ich bereitwillig Freud, war die Szene, nicht das Wort – auch wenn sie hier nur im Wort erscheint. Dieser »Urzustand der Gesellschaft«, schränkt Freud denn auch nüchtern das Gesagte ein, ist »nirgends Gegenstand der Beobachtung geworden«. Dieses Beobachtungsparadox einer Szene ohne direkten Berichterstatter oder Schilderer wird sich einige Jahre später mit der von Freud festgehaltenen familialen Urszene wiederholen. Diese bot bekanntlich noch prekärere Beobachtungsverhältnisse: Das Kind wird ebenso zufällig wie verständnislos Zeuge des elterlichen Beischlafs, den es als Akt väterlicher Gewalt deutet. Später konnten Kinder mit einem ›Sceno-Kasten‹ genannten Spielkoffer, den Gerdhild von ­Staabs 1938 entwickelt hatte, prekäre Szenen aus dem Familienleben zu therapeutischen Zwecken mit Puppen nachstellen.9 Dieses merkwürdige Nebeneinander von Archaismus und relativer biografischer Gegenwart der Urszenen ( Abb. 2) versucht Freud in den Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse von 1916 mit der These von den »Urphantasien« aus der »phylogenetischen Vorzeit«10 – »sie sind phylogenetischer Besitz«11 – aufzulösen. Demnach hat das phantasierende Kind einfach die Lücken der individuellen Wahrheit mit prähistorischer Wahrheit, die in den Urzeiten der menschlichen Familie einmal Realität war, ausgefüllt12.

Freud widmet den literarischen Vorlagen und der Darstellungstechnik jener Urszene in der Urhorde eine lange Fußnote. Ausdrücklich charakterisierte er die Szene darin als von großer »Unbestimmtheit«, »zeitlicher Verkürzung« und »inhaltlicher Zusammendrängung« gekennzeichnet, da es – so Freud weiter – geradezu »unsinnig wäre, in dieser Materie Exaktheit anzustreben«. Damit hatte er zweifelsohne Recht, denn mit diesen Einschränkungen sind die Techniken 46

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der Szene schon gut benannt. Die Exaktheit im Detail und bei den Umständen würde, wenn sie denn überhaupt möglich wäre, den Charakter und damit die Funktionalität der Szene unterlaufen. Die Szene, selbst wenn sie einen Zeugen hätte, geht zunächst durch den Rahmen, die Selektionen, die Arrangements, kurz: die Bedingungen eines ersten Mediums der Sprache, der Zeichnung oder der primitiven Symbolik. Eine Urszene gibt deshalb gerade nicht den Anfang von Kultur an, sondern sie deutet diesen Anfang als Anfang in einem bestimmten Sinne, der sich danach immer wieder erfüllen soll. Die ursprüngliche Szene lädt sich nachträglich mit Bedeutung auf und der Beobachter ist nicht der Zeitgenosse. Die Urszene wird erst wichtig und immer wichtiger, wenn verschiedene andere Ereignisse danach hinzukommen, sich einpassen – nicht zuletzt die Freudsche Analyse selbst.13 In der komplexen Theorie Freuds etabliert sich eine Zentralstellung der Szene, indem der Frage nach dem Status der Szene zwischen Fiktion und relativer Realitätsnähe scheinbar beiläufig ihre Dringlichkeit genommen wird. In einem Brief an Wilhelm Fließ freundet sich Freud mit der Unentschiedenheit in dieser Sache an, indem er den Unterschied ganz einfach für unerheblich erklärt: Ich habe zuerst eine sichere Ahnung von der Struktur einer Hysterie gewonnen. Alles geht auf die Reproduktion von Szenen, die einen sind direkt zu bekommen, die anderen immer über vorgelegte Phantasien. Die Phantasien stammen aus nachträglich verstandenem Gehörten, sie sind natürlich in all ihrem Material echt.14

Indem die Materialität der Szene gesichert ist – nicht mit ihrer Protokollierung während des Gesprächs, aber mit ihrer verdichtenden nachträglichen Zusammenfassung –, steht ihre Echtheit scheinbar auch als sonata quasi una fantasia nicht länger in Frage.15 Die Urszene kann nun ganz einfach aus dem Text der Traum- und Gesprächsnachschrif‌ten rekonstruiert werden, indem man hinter das Aufgeschriebene blickt:

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Wenn eine solche unbekannte, d. h. zur Zeit des Traumes bereits vergessene Szene hinter dem Inhalt des Traumes anzunehmen war, so mußte sie sehr früh vorgefallen sein. Der Träumer sagt ja: ich war, als ich den Traum hatte, drei, vier, höchstens fünf Jahre alt. Wir können hinzufügen: und er wurde durch den Traum an etwas erinnert, was einer noch früheren Zeit angehört haben mußte. Zum Inhalt dieser Szene mußte führen, was der Träumer aus dem manifesten Trauminhalt hervorhob. Wir erwarten natürlich, daß dies Material das unbekannte Material der Szene in irgendeiner Entstellung wiederbringt, vielleicht sogar in der Entstellung zur Gegensätzlichkeit.16

Beachtet man die theatralen Implikationen der Freudschen Theorie und ihrer Vorgeschichte insgesamt, kann man von der exponierten Stellung der (Ur-)Szenen darin nicht mehr überrascht sein. Bei Jean-Martin Charcot, einem wichtigen Lehrer Freuds, weist die Theatralisierung der Neurosen, die grande attaque de l’hystérie der wechselnden weiblichen Hauptdarstellerinnen, gar eine lupenreine Aktstruktur (von vier statt fünf Akten) auf: »Die Karriere der ›großen Szene‹ mit weiblicher Besetzung erreicht hier ihren Höhepunkt.«17 Der Zugang zum Saal und Schauplatz solcher Auf‌tritte und Untersuchungen in einem Flügel der Pariser Nervenheilanstalt Salpêtrière wird dabei flankiert vom Bildprogramm mittelalterlicher Besessenheitsdämonologien – ohne, dass den durchführenden Ärzten während des Schauspiels grundsätzliche Bedenken kommen. Ein anderer Zweig dieser Vor- oder Teilgeschichte der späteren Freudschen Psychoanalyse, die angeblich suggestive Herauf ‌beschwörung therapeutisch instrumentalisierbarer Halluzinationen durch Pierre Janet, stellte sich als ein ebensolches Schau(er)stück heraus, dessen Ausläufer der späteren Freudschen Theorie erhalten blieben, wie Stefan Andriopoulos gezeigt hat: Obwohl Janet seine Therapie als Hypnose betrachtet, die das Ritual des Exorzismus lediglich imitiert, läßt sich sein Vorgehen jedoch ebenso als Exzorzismus interpretieren, der sich als Hypnose geriert. Der ›moderne Exzorzismus der Hypnose‹ (P. Janet) besteht dabei aus 48

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imaginären Szenen, die der Arzt mit seinen Patienten auf‌führt, und die diesem als Wirklichkeit erscheinen. Die Theatralität dieses Verfahrens, das seine Fortsetzung in der ›kathartischen Methode‹ Breuers und Freuds finden wird, bleibt an therapeutische Ziele geknüpft, da Schauspieler, Patient und Zuschauer miteinander identisch sind.18

Schlafszenen Mit diesen drei technischen Stadien – der steinzeitlichen Felsmalerei des Cro-Magnon-Menschen, der bürgerlichen Buchkultur Freuds und der neuen dreidimensionalen Filmtechnik Herzogs – können wir schon eine riesige Spanne des Szenischen benennen. Die nicht-technische Frage nach der Herkunft der Szenen – das Woher im allgemeinsten Sinne – ist dagegen schwieriger zu klären. Jede Erklärung, die sich nicht einfach tautologisch auf die Begabung des Menschen mit Vorstellungsvermögen und Fantasie zurückziehen will, ja, sogar diejenige, die ihm einfach eine szenische Existenz attestiert, bleibt ungenau – wie wir schon gesehen haben. Die auf die Felswand projizierten Bilder stammen weder aus dem Sein selbst, noch aus einem ahistorischen Vermögen des Menschen, noch einfach aus der Natur. Sie sind nicht entweder seiend und kreativ oder nur aufsteigende physiologische Ablagerungen und Verdoppelungen auf Netzhäuten und in Gedächtnissen, bzw. Schatten der Wirklichkeit – wie in Platons Höhlengleichnis. Sie haben vielmehr – wie diese Höhle – immer auch einen kulturhistorischen Ort. Der Anthropologe André Leroi-Gourhan etwa unterschied schon 1964 mindestens fünf Stilrichtungen der Cro-Magnon-Malerei und sah hinter der symbolischen Figurenansammlung mit großer Sicherheit einen mündlichen Kontext stehen, der in einem engen Zusammenhang mit der symbolischen Anordnung stand und dessen Werte räumlich reproduzierte.19

Sein Kollege und Zeitgenosse Claude Lévi-Strauss hielt bereits 1952 »eine ganze Liturgik« an Kenntnissen und Vorbereitungen »für die Urszenen zwischen Materialität und Imagination

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Herstellung eines verwendungsfähigen Werkzeugs aus zugeschlagenem Stein«20 für notwendig. Georges Bataille, der Theoretiker und Propagandist einer Ökonomie der Verschwendung, widmete der Höhle von Lascaux 1955 ein spätes Buch. Diese steinzeitlichen Szenen sind von Anfang an spezifische, kunstvolle Abstraktionen, Stilisierungen und Arrangements von Elementen und Ereignissen aus der nur heute sogenannten Natur: Mythological Strips. So scheint es unangemessen, von Einbildungen, Fantasien oder psychoanalytischen Tiefenbildern zu sprechen. Nur wenn wir ihre textgestützte Versprachlichung oder anderweitige mediale Sicherung und Auf ‌bereitung für das Bewusstsein, die Erinnerung und die Deutung, völlig ignorieren, können wir auch übersehen, dass sie Reflexe von zeitgenössischen Medientechniken der Szene sind. Dennoch spielt der Schlaf eine zentrale Rolle im Zusammenhang mit den ersten Szenen des Menschen. Hans Blumenberg macht in seinem Buch Höhlenausgänge von 1989 gleich mehrere, eher unphilosophische Anläufe, diese Geburt der Imagination und ihrer szenischen Materialisierung herzuleiten: So wurde der Mensch, beim Durchgang durch die Höhle, das träumende Tier. Störungen des Schlafs, endogene wie exogene, durch Träume zu verarbeiten und dem Schlaf zu integrieren, konnte nur er und mit ihm seine Haustiere erreichen, weil die domestizierte Schlafsituation die Mißachtung äußerer Signale erlaubte.21

Die Materialitäten der Kommunikation sind also die Techniken der Szene. Auch die Medientheorie hat die Höhle mehrfach zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen gemacht. Man vergleiche nur JeanLouis Baudrys Dispositiv-Begriff von 1975 als eine ›metapsychologische Betrachtung‹ zum Zusammenhang von Platons Höhlengleichnis, Freuds Traumdeutung und dem Kino.22 Gewölbte Felswände und Erdfarben von vor 35 000 Jahren finden in immer kürzeren Abständen ihre Nachfolger. Es sind Bühnen aus Holz, Stein oder Stahlbeton, es sind Seiten aus Papyros, Pergament oder Papier, Leinwände und

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Bildschirme, auf denen wir uns bis heute selbst und den Anderen in mundgerechten szenischen Dosen zeigen und erklären.

Vorläufige Schluss-Szenen aus Wien und Lemberg Ein vorheriges Kapitel begann mit nicht weniger als dem Anfang von allem – mit einer blutigen Urszene des Sozialen nach Freud. Die Szene der ersten Niederschrift der Freudschen Urszene müssen wir in Wien vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs – vielleicht 1910 oder 1911 – ansiedeln. Freud lebte seit langem in der berühmten Berggasse im IX. Wiener Gemeindebezirk Alsergrund. Nicht sehr weit entfernt, im XVIII. Gemeindebezirk Währingen, ging zur gleichen Zeit der (spätere) Schriftsteller Arnolt Bronnen zur Schule. Erste Berühmtheit erlangte Bronnen, der eigentlich Bronner hieß und die Vaterschaft seines gesetzlichen Vaters Dr. Ferdinand Bronner aus Angst vor einer jüdischen Herkunft ein Leben lang bestritt, 1920 ausgerechnet mit der Veröffentlichung eines Theaterstücks mit dem Titel Vatermord, für das er sofort den renommierten Kleist-Preis erhielt. Für den Schluss dieses Kapitels aber soll auf ein noch früheres Werk Arnolt Bronnens hingewiesen werden. Bronnen, der spätere Freund Brechts, der langjährige Dramaturg der Dramatischen Funkstunde Berlin und der Parteigänger der Nationalrevolutionäre um die Brüder Jünger, veröffentlichte 1954, nun in Berlin (Ost), unter dem Titel Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll seine erstaunliche Autobiografie. Hier können wir unter anderem nachlesen, wie der Autor des 1922 uraufgeführten Vatermords schon im Jahr 1908 – nur wenige Kilometer von Freud entfernt –, sich (bzw. dem Leser) ähnlich wie Freud den Anfang von allem zu erklären versuchte: Die Vermehrung der Familie um einen jüngsten Bruder vermehrte auch mein Rohmaterial; ich konnte daran gehen, kleine Szenen zu gestalten. Aus Bildern, die mich erregten, aus Gesprächen, die ich belauschte, formten sich kleine Dramoletts, die ich mit den drei Geschwistern und dem Dienst-Mädchen darzustellen versuchte. Dabei war ich Dichter,

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Regisseur und Haupt-Darsteller zugleich. Eine dieser Szenen, die oft gespielt werden mußte, war die Ermordung des österreichischen Statt­ halters in Galizien, eines Grafen Potocki, durch einen Ukrainer. Ich hatte das Bild in der Zeitung gesehen und das Gespräch des Sterbenden mit seinem Mörder gelesen. Das waren Eindrücke, die mich wie ein Fieber packten und die auch durch oftmalige Darstellung nicht zu lösen, zu löschen waren. Dieser dramatische Formtrieb war bisher primär meiner Erregbarkeit entsprossen, er hatte erotische und soziale Tendenzen. Je mehr ich aber meine Umgebung begreifen lernte, umso mehr kamen nun auch Tendenzen der Nachahmung hinzu.23

Auch hier schon die Szene des Vatermords – allerdings eines zeitgenössischen, obendrein aus der Zeitung kolportierten. Die Ermordung des Statthalters von Kaiser Franz-Joseph in Galizien, des polnischen Adeligen Graf Andrzej Potocki durch den ruthenisch-ukrainischen Philosophiestudenten Miroslav Siczynski am 12. April 1908 im Empfangszimmer des Galizischen Landtages in Lemberg, wird Bronnen und Freud, die den Ersten Weltkrieg als überzeugte Anhänger der Donau-Monarchie euphorisch begrüßt hatten, gleichermaßen getroffen haben: Freud unterstellte sich lange Zeit selbst ein geradezu libidinöses Verhältnis zu Kaiser und Monarchie 24, der erwachsene Bronnen baute – wie so viele seiner Generation – seine gesamte Schriftsteller-Karriere zunächst auf das patriotische Fronterlebnis (an der österreichisch-italienischen Isonzo-Front) auf. Welcher Art Bilder und Gespräche »des Sterbenden mit seinem Mörder« gemeint sein könnten, welche Szenen dem jungen Bronnen plastisch vor Augen gestanden haben mögen, die ihn zu einer solchen, geradezu zwanghaft wiederholten szenischen Verarbeitung dieses (Landes-)Vatermordes nötigten, lässt eine neuere Zusammenfassung der alten Berichte durch einen renommierten Fachhistoriker erahnen: Statthalter Potocki hatte die Angewohnheit, jeden Sonntag Audien­ zen zu erteilen, bei denen er die Besucher am Schreibtisch sitzend empfing und bei deren Eintreten auf sie zuging. Eine besondere Überprüfung fand dabei nicht statt. So war das auch an jenem 12. April 1908, 52

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als der ruthenische Student der Lemberger Universität zur Audienz angemeldet war. Kaum hatte der Diener die Tür hinter ihm geschlossen, zog er einen Revolver und gab auf den Statthalter vier Schüsse ab, von denen der zweite tödlich war. Angeblich soll Potocki allerdings noch im Sterben und mit einer Kugel im Kopf ein Telegramm an den Kaiser diktiert, sich von seiner Familie verabschiedet und sein Testament gemacht haben.25

Aber vielleicht sind auch hier die Abstände geringer als zunächst vermutet. Der Fachhistoriker malt uns ebenfalls eine Szene. Auch seine Ausführungen verdanken – wie das Bronnensche Kolportage-Dramo­ lett und der Freudsche Anfang von allem – der Szene ihre ganze Wirkung. Der Ereignishistoriker, der Nachwuchsdramatiker und der Triebhistoriker gehören mit Michel de Certeau zu »jenem System, das mithilfe von ›Geschichten‹ die gesellschaftliche Kommunikation und die Bewohnbarkeit der Gegenwart organisiert«26. Im Inneren dieser Geschichten aber wartet, wie wir gesehen haben, ein ums andere Mal die Attraktion der Szene.

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2. Wortgeschichten. Die altgriechische Skene Das Schattendach Man kann einen Anfang der Szene konstruieren, indem man das Theater als Technik betrachtet und damit die Form der Szene und ihre Verbreitung ursprünglich in lokalen Angelegenheiten und Verhältnissen des Ritus und der politischen Ästhetik der griechischen Polis ansiedelt. Eine solche Urszene der Szene wurde – als »ein besonderes Hervortreten der Chorführer« – von deutschen Altphilologen auch längst gefunden.27 Das deutsche Wort ›Szene‹, das unter anderem für bestimmte, kürzere Abschnitte eines Theaterstücks oder eines Films verwendet wird, stammt aus dem Lateinischen. Dort finden wir die Wörter ›scena‹ und ›scaena‹.28 Im Englischen erinnert das Wort ›scene‹ ebenso deutlich an diese Herkunft und wird in sehr ähnlichen Zusammenhängen verwendet. Die Römer entnahmen das Wort dem Etruskischen ›scaina‹. Die Etrusker, die im ganzen Mittelmeerraum Handel trieben, hatten sich ihrerseits das griechische Wort ›skene‹ angeeignet. Dieses griechische Wort bedeutete ursprünglich so viel wie Zelt, ist verwandt mit dem Wort ›skia‹ für ›Schattendach‹ oder ›Bau auf Stützen‹29, später konnte es auch eine primitive Hütte bezeichnen, und war seinerseits vom griechischen Wort für ›Schatten‹ (›skotos‹) abgeleitet, bedeutete also wörtlich ›Schattendach‹. Diese Nähe des Begriffs bzw. seiner Geschichte zur zentralen Lichtmetaphorik ist dem ein oder anderen Medientheoretiker und Kulturwissenschaftler nicht entgangen. In einer Fußnote lässt Pierre Legendre den wortgeschichtlichen Hintergrund (und die Quelle) seiner eigenen Universalisierung des Begriffs der Szene vom Fachmann erläutern: »Etymolgisch steht ›skene‹ (Szene, Schauplatz) mit ›skotos‹ (Schatten, Dunkel) in Verbindung.«30 In Vilém Flussers Bochumer Vorlesungen von 1991 gibt es in der auf einer Tonband-Transkription beruhenden Buchausgabe von 2009 verschiedene editorische Anhänge und Register – unter anderem auch Verzeichnisse der alt-

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griechischen und lateinischen Ausdrücke. Wir finden hier sowohl ›skene‹ als auch ›scena/scaena‹ für ›Szene‹: Scaena u. scena, ae Bühne od. Schaubühne des Theaters, Szene. a) ein auf drei Seiten vom Wald eingefasster lichter Platz; b) Schauplatz der Tätigkeit; c) Weltbühne, Öffentlichkeit, Publikum; d) Schaugepränge; e) Szene = angestellte Komödie, abgekartete Sache, Spiel, Trugwerk. skene 1. a) Zelt, Hütte im Lager; b) Quartier; c) Bühne, hölzernes Gerüst auf dem die Schauspieler spielen; d) Verdeck eines Wagens. – 2. Aufenthalt, bes. Mahlzeiten in einem Zelt. Siehe auch scaena.31

Inszenieren heißt also ursprünglich‚ ›in den Schatten stellen‹. Die Bedeutung bezieht sich in dieser frühen etymologischen Lesart nicht auf eine individuelle Aneignung eines Stücks – im Sinne von Regie, sondern auf die Einsetzung und Präsentation einer höheren institutionellen Macht. Die Inszenierung jenseits solcher höheren Instanzen und Mächte zu denken, ist ein durchaus modernes Phänomen: Dass »durch äußere Mittel die Intention des Dichters zu ergänzen«32 oder ein spezifisches, aber besseres, aktuelleres oder provokatorisches Verständnis des Stücks zu erreichen ist, gibt eine Lesart des Inszenierens wieder, die erst um 1800 möglich wurde. Das Zelt ist »ein Gebäude ohne feste Wände«33, erklärt Paulys Real­ encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft im entsprechenden Band von 1929 mit unbestechlicher Nüchternheit. Die Technik des Zeltbaus (mit oft aufwendig gestalteten Leder-, Leinen-, Teppich- oder Fellmaterialien) wurde – wie so vieles im antiken Griechenland – aus dem Nahen Osten übernommen.34 Der Transfer dieser Technik wird in eine Anekdote gefasst. August Frickenhaus vermutet, dass ein dichterisch ambitionierter griechischer General, dem in einer Schlacht ein persisches Herrscherzelt in die Hände fiel, diese Erfindung auf Umwegen als symbolträchtige Spolie – als geweihte Kriegsbeute – auf die griechische Bühne brachte. Diese Anekdote geht auf eine Stelle in Pausanias’ Reise- und Kulturführer für Griechenland aus dem 2. nachchristlichen Jahrhundert bzw. auf eine Bemerkung des Plutarch zurück.35 Die altgriechische Skene

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Die demokratische Szene Welchen Zweck aber könnte diese symbolische Übernahme gehabt haben? Als Aischylos’ Drama Die Perser 472 v. Chr. auf die Bühne kam ( Abb. 3), lag die siegreiche Seeschlacht von Salamis gerade acht Jahre, die Landschlacht von Plataiai in Böetien sieben Jahre zurück. Es wäre also das Schattenzeltdach für einen (geschlagenen) persischen König im frühen griechischen Drama, das wir an den Anfang der ›Szene‹ setzen könnten.36 Das Privileg des fremden und feindlichen Königs war demnach ein erhöhter Prunksitz im Schnittpunkt der Blicke unter einer aufwendig verzierten Zeltplane als Schutz gegen die Sonne. Auf die Weise erhöht und beschirmt, in kostbare Gewänder gehüllt, verkörperte der fremde König eine Art Warnung an die Griechen: Der Gewaltherrscher konnte im Theater nicht anders als strotzend von Gold und Purpur und prangend in allen Farben dargestellt werden. Diesem Glanze stand seit den Perserkriegen auch in der Tracht der Wirklichkeit die strenge Einfachheit der griechischen Gewandung gegenüber, eine veredelte Neubelebung der altdorischen Kleidung. Dies ist keine Erfindung der Römerzeit, sondern reflektiert noch immer die grosse Auseinandersetzung zwischen Ost und West im V. Jahrhundert v. Chr.37

Dieses Privileg wurde ausgestellt und symbolisch abgeschafft zu­gunsten der anwesenden, im demokratischen Halbrund des Dionysos-­ Theaters zu Athen sitzenden Bürgergemeinde. Den Bürgern wurden in einem Wettstreit ermittelte, geschriebene Stücke vorgestellt. Diese Stücke und Stoffe emanzipierten sich von den ›handelnden Worten des Kultes‹38, den der Chor, solange er noch der zentrale Akteur in Zwiesprache mit einem Priester war, verkörperte. Mit der Einführung eines zweiten und dritten Schauspielers, die jeweils mehrere Rollen (insgesamt 7 bis 11) übernahmen39, wurde das Auf- und Abtreten auf der Skene, der ›Kehrseite des Kultes‹ ( J.-L. Nancy), häufiger, die Bewegung, größer, die Fiktion komplexer, der Chor bedeutungsloser.40 56

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Die Bürger schauten auf die Bühne und gleichzeitig auf das Meer dahinter vor der kleinasiatischen Küste, wo ihre Flotte die Perser in der Salamis-Seeschlacht geschlagen hatte: Auch ihr Blick wurde inszeniert. Diese Flotte war aber von allen durch Steuern und Kriegsabgaben finanziert – ein Werk also der im Theater versammelten Bürgerschaft. Das sind die weitreichenden politischen Implikationen dieser frühesten Theaterpraxis als »Blickorganisationsmaschine«41, in der das Herrscherzelt offenbar eine so zentrale Rolle spielte.42 Dem Bühnenauf ‌bau – ein »Bau aus hölzernen Stützen zwischen denen irgendwelche Gehänge, d. h. Stoffe, Matten oder Netze aufgehängt wurden«43 – scheint allerdings eine merkwürdige Ambivalenz eingeschrieben. Zunächst ist sie nur geografischer Natur: Das grossartige Festzelt ist nach dem Muster des durch die Griechen erbeuteten Königszelt ausgemalt. Das persische Königszelt scheint mir aber auf der tragischen Bühne auch noch eine allgemeinere Rolle gespielt zu haben. Das Brettergebäude nämlich, das den südlichen Teil des Tanzplatzes des dionysischen Festes abschloss und die Fassade bildete, hinter dem die Schauspieler sich umkleideten und aus dessen Tor sie auf die Bühne traten, hiess σκηνή. Dieses vielleicht semitische Fremdwort wird zuerst in den Persern des Aischylos für das beräderte Königszelt des Xerxes gebraucht.44

Dieser Darstellung folgen bis heute viele Standardwerke der Theatergeschichte. Aus dem geraubten Königszelt entwickelte sich die ›Skene‹ als spezifischer Bühnenauf ‌bau. Selbst wenn die Raub-Anekdote entfällt, liefert ihr Plot immer noch den versachlichten Kern der Ursprungserzählung.45 Andreas Alföldi aber betont noch einen weiteren Punkt in dieser ebenso spektakulären wie spekulativen Entstehungsgeschichte: Der Zeltbau ist Rahmung des verabscheuungswürdigen Prunks und gleichzeitig Schrein oder Tabernakel einer durch Herkunft geheiligten Souveränität, deren Anziehungskraft nie ganz versiegt, deren »aufpeitschende Wirkung auf das attische Publikum«46 nicht ausbleibt:

Die altgriechische Skene

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Trotz des Auf ‌brausens ihres hellenischen Wesens gegen die Despotie und ihr Ritual versinken Agamemnon und Ion in dem goldenen Schlamm der persischen Willkürherrschaft.47

Diese Spolien- oder Tabernakel-These wurden erstmals 1944 gründlicher ausgearbeitet – in einem Jahr, in dem die Kriegsbeute als Kategorie der Welt sehr vertraut war. Der schwedisch-amerikanische Archäologe Oscar Broneer reichte sie an den in Princeton lehrenden ungarisch-amerikanischen Althistoriker Alföldi weiter.48 1955 dann – mitten im Kalten Krieg – war für den Exilungarn Alföldi ein schon der Herkunftsgeschichte der Szene eingeschriebener Ost-West-Konflikt von entscheidender Bedeutung. Dass weiterhin an Führerkult gekoppelte Inszenierungen der Macht im sogenannten Ostblock eine Gefährdung auch des Westens bedeuten konnten, hatten die genau in dieser Hinsicht seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nüchterner agierenden Demokratien schnell realisiert.

Podium und Stufenfolge Unterdessen wird diese Herkunftsgeschichte anders zweigeteilt und erzählt: Der Theologe Alex Stock charakterisiert die ›skene‹ einerseits als Podium, auf dem eine Mitgift des Kultischen in dem vom Kult schon emanzipierten griechischen Theater ›inszeniert‹ wird: das Heilige auf der Bühne als ein ›mysterium tremendum et fascinosum‹ (R. Otto). Der andere Strang, die ›skene‹ als Zelt, als »transportables Zeltheiligtum, Ort der Begegnung mit Gott«, beginnt, laut Alex Stock, in der »Septuaginta, der Übersetzung des Alten Testaments ins hellenistische Griechisch«49 um 250 v. Chr. Die Struktur dieses Ortes weicht von der des Podiums ab: Das Heilige wird nicht einfach gezeigt oder »zur Erscheinung gebracht«, sondern es wird räumlich als eine »gestuf‌te Zugänglichkeit« organisiert: Das Stiftszelt als Ganzes umgibt schließlich ein heiliger Bezirk für die Waschungen und den Brandopferaltar. Das Zelt, die ›skene‹, ist also eine Szene des Heiligen, einer gestuf‌ten Heiligkeit, und das heißt 58

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einer gestuf‌ten Zugänglichkeit. Dies also ist das zweite für die europäische Kulturgeschichte prägende Szenarium des Heiligen. Die ›skene‹ ist hier nicht das Podium eines öffentlichen Schauspiels, sondern gestaffelter Kultraum. Das Stiftszelt ist die nomadische Präfiguration des Tempels in dem von David um 1000 v. Chr. eroberten Jerusalem.50

Alföldi widmete sich vor allem der topischen Verballhornung des »echten persischen Königskostüms« und der »frühen Kanonisierung jener märchenhaf‌ ten Despotenfigur«51 in der griechischen Geschichtsschreibung und Literatur. Aber er schuf so auch eine einflussreiche Gründungsthese zur ›skene‹ aus einer spärlich überlieferten Raubgeschichte und einer breit ausgeführten Topik des königlichen ›Perserkleides‹. Ob wir uns so die Geburtsstunde der ›skene‹ – und damit auch der Szene – vorstellen müssen, wurde in der Altphilologie und Archäologie immer wieder bezweifelt.52

Die altgriechische Skene

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3. Die Crux scenica des Barock Ein Spiel mit Licht und Schatten Jede beliebige Szene zu Versuchs- oder Unterhaltungszwecken ist bis heute bedingt durch eine das Geschehen begrenzende Ausschnitthaftigkeit und durch ein in diesen Grenzen aufgeführtes ›Spiel mit Licht und Schatten‹. Dieser letzte Aspekt wird selbst in ausgefeilten und äußerst hilfreichen definitorischen Annäherungen an die Szene oft etwas vernachlässigt: Die Szene ist zuallererst ein Zeit-Raum des Entzugs. Sie ist der ZeitRaum der Zäsur und der Leere, mit dem die Welt als ›genuin durch Re-Präsentation zugängliche Welt‹ erkennbar wird und durch den sie als Bedeutungskultur entsteht. Als Szene – im Sinne der Zäsur – kann die leere Bühne ebenso wie das weiße Blatt Papier fungieren, das leere Stadion ebenso wie die verlassene Straße.53

Die Belege aber für die ergänzende Licht-und-Schatten-Ansicht sind schnell zusammengeholt und sollen in den nächsten Kapiteln noch breiter ausgeführt werden: Das Wort für Schatten – skotos – verhalf, wie wir gesehen haben, der Szene im Altgriechischen zu einem eigenen Namen: skene. Die bedeutendste Entwicklung in der jüngeren Geschichte der Szene war deren langsames Heraustreten aus dem höf‌isch-repräsentativen Zeremoniell des Barock in das höf‌isch-bürgerliche, mit den Ideen der Auf‌klärung affizierte Ambiente des Theaters nach 1750.54 Doch schon das Barocktheater kannte einen ausgetüftelten bipolaren Code von Lichtzeichen zwischen Blitzschlag und Heiligenschein, zwischen Feuersbrunst und Strahlenkranz, der mit künstlichen Lichtquellen wie Fackeln, Kerzen oder Öllampen und mit Hilfsmitteln wie Spiegeln, Glaskugeln oder der Laterna Magica ins Werk gesetzt wurde.55 Der Übergang in aufgeklärtere Verhältnisse bedeutete vor allem eine sukzessive Trennung von Bühnen- und Zuschauerraum, welche sich erst durch die Reduktion der Kronleuchter im Auditorium und die Einführung der Reflektorlam60

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pen, später der Gaslichtoberbeleuchtung ab 1817 und schließlich der elektrischen »Lichtmassen des 19. Jahrhunderts«56 auf der Bühne manifestierte.

Laterna Magica Aber nicht nur die aufgeführten, sondern auch die projizierten Szenen unterliegen diesen Bedingungen der Ausschnitthaftigkeit und der effektvollen Austarierung von Licht und Schatten. Theater-, Film- und Reklametechnik machen in dieser Hinsicht eine fast parallele Entwicklung durch.57 Die kontrastive Hell-Dunkel-Gestaltung im expressionistischen Film verdankte – nach Lotte Eisners Studien58 – der Theaterregiearbeit Max Reinhardts vieles. Die Medientechnik steuerte scheinbar unauf‌haltsam auf einen »noch unbekannten unabhängigen Lichtzyklus«59 zu. Dessen Anfänge sind allerdings nur schwer erreichbar: Als der historische Doktor Faust – Georg von Heidelberg – in der Mitte des 16. Jahrhunderts an der Erfurter Universität Vorlesungen über Homers Ilias hielt, versprach er den verblüff‌ten Studenten »mitten in seiner lection«, die alten Griechischen helden zu sehen bekommen. Flugs rief er einen nach dem andern hinein, und trat jetzt dieser, darnach ein ander, wenn jener wieder hinaus war, zu ihnen daher, sahe sie an, und schüttelte seinen kopf, wie wenn er noch vor Troja im feldt agirte. Der letzte unter allen war der Riese Polyphemus, der nur ein einig schrecklich grosz auge mitten an seiner Stirn hatte, trug sich mit einem langen fewerrohten Barte, frasz an einem Kerl, und liesz deszen schenckel zum maule herauszoten.60

Moshe Idel, der diesen Fund aus Zacharias Hogels Chronik von Thüringen und der Stadt Erffurth präsentiert61, lässt offen, welche Medientechnik genau bei diesen »ersten Lichtbildvorträgen, die an einer deutschen Universität gehalten wurden«62, zur Anwendung kam. Die Wiederentdeckung und Weiterentwicklung der antiken Technologie der Lochkamera zur Camera Obscura und zur Laterna Magica, der Die Crux scenica des Barock

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sich Faust (oder Georg von Heidelberg) bedient haben dürf‌te ( Abb.  4 ), wird normalerweise mit der erst 100 Jahre später erfolgenden monografischen Funktionsbeschreibung durch Athanasius Kircher angesetzt63 – und erst Schillers Geisterseher machte die Effekte dann endgültig berühmt. Schiller bediente sich in seinem Roman von 1788 allerdings fast wörtlich bei einer Vorlage – dem 1770 entstandenen Bericht eines Leipziger Kaffeehausbesitzers namens Schröpfer über eine von ihm mittels Zauberlaterne durchgeführte Geisterbeschwörung.64 In Gebrauch sind die magischen Laternen noch bis 1900. Allerdings gibt es schon 1420, in einer alten Handschrift, die (erste) Abbildung einer solchen Zauberlaterne, die »ein Teufelsbild auf die Wand projiziert«65, also ›den Teufel an die Wand malte‹. Mit dem Anbruch der Renaissance experimentierten in Italien Alberti, da Vinci und della Porta zu profaneren Zwecken mit dieser Medientechnik.66 Im 18. Jahrhundert feierte die ›Zauberlaterne‹ Erfolge auf den Jahrmärkten. Als es gelang, die bemalten Glasbildchen als Glasbildstreifen und kolorierte Fotostreifen durch Kurbeltech­niken oder mehrere Laternen mit Nebelschwaden aus Rauchpfannen und mit leistungsstärkeren Kalklichtern (bzw. elektrischem Licht) zu projizieren, war die Entwicklung der eigentlichen Filmszene nicht mehr weit. Die Gebrüder Skladanowsky arbeiteten – als die Hamilton-­Brüder – vor und nach ihrer berühmten Bioscop-Vorführung im Rahmen ihres Berliner Wintergarten-Varieté-Programms vom 1. bis zum 30. November 1895 mit diesen szenischen Techniken der Unterhaltung.67

Bewegung auf der Szene Die Technik der Laterna Magica wirkte im 16. Jahrhundert aber wohl auch deshalb besonders eindrucksvoll, weil es auf den festen Bühnen der Frühen Neuzeit, in England etwa ab 1567, auf denen dann ab 1589 auch Christopher Marlowes Faust nach dem deutschen Volksbuch68 aufgeführt wurde, zunächst keine besonders dynamischen atmosphärischen Wechsel gab. – Es fehlte ganz einfach ein Vorhang, und das Ganze fand häufig unter freiem Himmel, also bei 62

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Tageslicht statt, so dass auch der Wolkenzug über die Lichtverhältnisse entschied.69 Der Szenenwechsel musste entweder durch einen vollständigen Wechsel des Personals offensichtlich gemacht werden, aber die Bühne war praktisch nie ohne Akteure70, oder er musste in Dialog oder Prolog unmissverständlich angekündigt werden. Angesichts der örtlich nicht festgelegten Bühne und frei veränderlicher ›Szenen‹ war das einzige, was der Dichter tun musste, um einen Schauplatz näher zu bestimmen, zu Beginn der betreffenden Szene einen Hinweis auf den vorzustellenden Ort einzuschmuggeln. Ohne ein Bühnenportal, das die Schauspieler von den Zuschauern trennte, war es zwangsläufig komplizierter, Illusion als Realität darzustellen. Zunächst einmal waren die Schauspieler näher an den Zuschauern, mitten unter ihnen, und außerdem fehlten ihnen die Mittel, um die bildhaf‌ten Aspekte von Illusion darzustellen, weil sie in drei Dimensionen zu sehen waren – statt in den zwei Dimensionen, die das Bühnenportal als Bilderrahmen bzw. Guckkasten erzeugt.71

Es gab lediglich unterhalb der rückwärtigen Galerie in einer Wand zwei kleine Türen zum sogenannten ›tiring-house‹, das auch einen Balkon hatte, in das sich die Schauspieler zeitweilig zurückziehen konnten.72 Alternativ erschienen oder verschwanden sie plötzlich aus oder durch Luken im Bühnenboden, entschwebten mittels Seilen in den Bühnenhimmel oder, wenn dieser eben fehlte, enteilten über Galerien neben der kleinen Rückwand ins Logenpublikum.73 Die Magie der Inszenierung dürf‌te sich bei all dem – anders als im Hörsaal bei Georg von Heidelberg, dem historischen Faust – in engen Grenzen gehalten haben. William Shakespeare, den ein Zeitgenosse spöttisch Shake-Scene nannte74, wurde an ihrer statt – ähnlich wie sein Zeitgenosse Christopher Marlowe – viel häufiger aufgrund seiner revolutionären Sprachkünste für einen Magier gehalten. Aus der mobilen komischen Bühnentradition des nicht umsonst so genannten fahrenden Volks75 dringt eine größere Dynamik in das Schauspiel ein: In Deutschland beispielsweise seit 1585 aus den Thea­tertruppen englischer und niederländischer Komödianten, die Die Crux scenica des Barock

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sich früh schon bei ihren Gastspielen der deutschen Sprache bedienten und viele Nachahmer fanden.76 »So geschehen«, schreibt Herbert Junkers schon 1938, »die ersten, aber nicht wesentlichen holländischen Einflüsse auf Deutschland zweifellos durch das Medium der englischen Komödianten«77, welche sich ihrerseits einige der in Holland eingetretenen theoretischen und praktischen Entwicklungen der Theaterkunst zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu eigen machten.78 Seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert treten nunmehr »von Córdoba bis St. Petersburg, von Neapel bis London, zunehmend mehr Berufsschauspielertruppen auf«79. Diese europäischen Wander-­ Komödiantentruppen, die sich zuerst in England feste Häuser (Playhouses) schufen ( Abb. 5), verfügten zwar häufig nicht über die ausgereif‌te Ingenieurstechnik der höfischen Repräsentationstheater, aber sie nutzten ihre szenische Hardware – in diesem Fall die zu drei Seiten offene, primitive Plattformbühne – für andersartige Effekte: Ein Schild, ein sogenanntes locality board, mit der Aufschrift ›A wood near Athens‹, an einem Stab angebracht oder an die Rückwand gepinnt, ersetzt ein aufwendiges Bühnenbild. Verzichtet man gar auf die locality boards, wird die Vorstellungskraft noch mehr beansprucht. Unter dem Gesichtspunkt des szenischen Vorgangs und der Schauspielkunst bedeuten Lokalitätshinweise per Schrift oder Wort ein Weglassen des Unwesentlichen, eine Beschleunigung der Handlung, einen Rückgriff auf die Assoziationsfähigkeit und die Phantasie der Zuschauenden. Die Handlung schreitet schneller voran, als dies mit Bühnenbildwechseln möglich wäre.80

Neben dem von der Bühne aus angeregten Gedankenflug kam auch handfeste Bewegung auf derselben an: Gerade die Raserei oder wenigstens Rasanz als ostentative Regeldurchbrechung kennzeichnete die komischen Figuren wie den volkstümlichen Hanswurst oder den Pickelhäring: »Die Wanderbühnen nutzten genau dies als szenisches Korrektiv zur erstarrten Schuldramenpraxis protestantischer und jesuitischer Provenienz.«81 Berühmte englische Wandertruppen sind 1591 in Danzig, aber auch 1619 in Prag zu sehen. Wo genau 64

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etwa Andreas Gryphius sie angetroffen hat, ist nicht bezeugt.82 Die Rasereyen aber, die aus der Versenkung auf‌tauchenden Furien – sie »kommen aus der Erden hervor« –, hatte er als hochkulturelle Variante dieser Rasanz in seinem Trauerspiel Papinian von 1659 eingebaut.83 Doch auch für die Grobheiten der Wandertruppen hatte der Komödiendichter Gryphius früh einen ausgeprägten Sinn. Die italienische Commedia italiana (oder später: dell’arte), die in ihren überlieferten Anfängen um 1545 noch eine Commedia lombarda war84, lieferte mit den schlauen Dienern und Mägden, den verliebten Kindern, dem Pulcinella, dem alten Doktor oder dem Pantalone ein Masken und Figurenset, das bis heute Bestand hat. Diese italienischen Wandertruppen tauchten keine dreißig Jahre später in Frankreich auf, wo sich – als eine Art frankoitalienisches Figuren-Amalgam – der Harlequin entwickelte.85 Ab 1639 ist dann die permanente Präsenz solcher Truppen in Paris und in den Provinzen dokumentiert.86 Auch Molière bereiste zunächst ein Jahrzehnt mit einer Wandertruppe so die französische Provinz – bis er ab 1659 von Ludwig XIV. protegiert wurde. Das Gelächter über Molières bürgerliche Charaktere scheint der italienischen Typenkomödie geradezu entgegengesetzt, tatsächlich aber »sind mehrere Figuren Molières aus der Commedia dell’arte hervorgegangen«87. Schließlich ehrte der französische König 1674 den ein Jahr zuvor verstorbenen Dichter mit einer aufwendigen Auf‌führung des Eingebildeten Kranken, die damit dem höfischen Repräsentationstheater deutlich näher stand als dem komödiantischen Volkstheater.88

Symmetrie und Maschinentechnik Die typisch barocke Forderung, dem Publikum die trügerische Schein­haftigkeit und verführerische Buntheit der diesseitigen Welt ständig vorzuhalten, verlangte der Bühnentechnik, dem Austausch der Requisiten, ihrer Gestaltung und Beleuchtung, einiges ab. Man wechselte mit komplizierter Technik die Szenerie – d. h. perspektivisch gemalte Dekorationen oder Prospekte – bis zu 50 Mal auf offener Bühne.89 Das geschah mittels »in den Bühnenboden eingeDie Crux scenica des Barock

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lassener Schienen, auf denen sich die Kulissen (mithilfe einer auf der Unterbühne installierten und durch Flaschenzüge beweglichen Wellbaum-Konstruktion) blitzartig auswechseln«90 ließen. ( Abb. 6) Bei einer Opernauf‌führung am französischen Hof wird 1662 »eine etwa 18 mal 14 Meter große Maschine, in der die königliche Familie Platz nimmt, vom Bühnenoberraum auf die Szene herabgelassen«91. Man setzte im wahrsten Sinne des Wortes Himmel und Hölle in Bewegung, um den Kampf für das Wohl des Staates und das Heil der Seelen eindrücklich darzustellen. Das Maschinell-Technische sollte schon frühzeitig ›magische‹ Eindrücke produzieren: Nicht nur die Kulissen, sondern auch die Wechsel des Hintergrundprospektes und der Soffitten, die die Oberbühnenmaschinerie verbergen, werden in einem maschinellen Komplex vereint. Auf der riesigen Bühne der Opéra Royal in Versailles werden die über zehn Meter hohen Kulissen in zwölf Kulissengassen durch eine gigantische Unterbodenmaschinerie bewegt. Deren auf vier Stockwerke verteilte, mannshohe Trommeln werden durch tonnenschwere Gewichte angetrieben. Für die Positionierung der Gewichte vor der Auf‌führung sind achtzig Bühnenarbeiter notwendig, während der Auf‌führung genügt hingegen eine einzelne Person, die die Verschnürungen im richtigen Augenblick löst und die Gegengewichte in die Tiefe gleiten lässt.92

Erst ein komplexer Prozess der Disziplinierung der Schauspieler und des Publikums, einer räumlichen und akustischen Hierarchisierung, hatte das Theater »staatsfähig«93 gemacht. Im Theater des kontinentalen Barock war die Szene in gewissem Sinne noch in der höfischen Stellung der Protagonisten verpuppt, auch wenn die Bühnenarchitektur – anders als auf Shakespeares Bühne – schon wieder einen Vorhang kannte, die Bühnentechnik mit Perspektiv- und Kulissenbühne regelrecht triumphierte. Eine andere auf den Bühnen des Barock noch vorherrschende Statik war nicht der Technik, sondern der Theo­rie geschuldet: Auf der jesuitisch geprägten Barockbühne beispielsweise war die Rhetorik so offensichtlich die Leitdisziplin des Theatergeschehens, dass Geschehen kaum der angemessene Aus66

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druck für das Gemeinte ist und die eigentliche Handlung der Tragödie – neben den beachtlichen technischen Schauwerten – häufig in statisch-deklamatorischen Darbietungen aufging. Eine aktuelle Theatergeschichte beschreibt den Zusammenhang zwischen Hofzeremoniell, Schauspielkunst und Affektenlehre – und nennt die wichtigste theoretische Quelle: Den ausladenden Gesten und dem demonstrativen Pathos der Protagonisten entspricht eine Kunst der Regie, viele Statisten in ständiger Bewegung zu halten und dabei auf strenge Symmetrie zu achten. Als Maßstab gilt das aus dem Lebenstheater übernommene höfische Zeremoniell Ludwigs XIV., in die Spielweise eingebracht unter anderem durch den französischen Jesuiten Joseph Jouvancy, der 1711 in seiner Ratio discendi et docendi Regeln für die Schauspielkunst aufstellt. Ihm folgt Franciscus Lang 1727 mit seiner Dissertatio de actione scenica. Die Vorschrif‌ten Langs gelten für die einzelnen Körperteile und betreffen das Auf‌treten, Gehen, Stehen, Setzen, den Kniefall, Siegesgebärden und Handküsse. Auch Trunkenheit, Schlafen und Erwachen, Ohnmacht und Sterben, Hinrichtungen und Wahnsinn sind nach seinen Regeln erlernbar.94

Die Spielformen und Bauformen des Barocktheaters waren staatstragend, indem sie perspektivisch-symmetrisch streng (auf den anwesenden Fürsten) ausgerichtet waren. Die Vorliebe für solche Symmetrien erstreckte sich auf geschorene Hecken wie auf geschorene Haare, die durch symmetrische Allongeperücken ersetzt wurden.95 Verhandelt wurden in den Stücken Fragen der Staatsräson und der Heilsgeschichte. Dem strengen Versmaß entsprach ein typologisches Rollenrepertoire: Die barocken Bühnen waren vornehmlich von Fürsten, Königinnen, Jungfrauen, Tyrannen, Märtyrern, Bettlern, Hei­li­gen oder Einsiedlern bevölkert.

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Gemessene Fußstellung,Crux scenica und Dynamik des Schaustücks Protestantisch-schlesisches Schultheater, Jesuitentheater und das Re­prä­sentationstheater an den Höfen produzierten ähnliche Bilder und trafen sich in der Fußstellung der gemessen vortretenden und vortragenden Protagonisten – Crux scenica: Vor dem Bühnenbild einer symmetrisch sich ins Unendliche verjüngenden Palast- oder Parkanlage, deren Fluchtpunkt aus der Perspektive des Souveräns im ersten Rang konstruiert ist, präsentieren sich die Schauspieler im Halbzirkel in der Grundstellung der crux scenica und der Haltung des Kontrapost, sprechenden Statuen gleich, die am Beginn und Ende ihrer Rede gemessen einen Schritt vor- bzw. zurückschreiten.96

Die Crux scenica bezeichnet also die gekreuzte Fußstellung des deklamierenden Schauspielers auf den Theaterbühnen des Barock. Die derart vermessene Stellung, das Bühnenkreuz, der Kontrapost oder die Crux scenica, wie es im lateinischen Originaltext des Jesuiten Franciscus Lang von 1727 heißt, ist ein direkter Hinweis auf die Nähe des barocken Schauspiels zum höfischen Zeremoniell – und sollte Ausgangspunkt aller übrigen Bewegungen und Haltungen der Schauspieler sein. Die Crux scenica entsprach der vierten Position beim klassischen Tanz und war als Bein- und Fußstellung unter verschiedenen – zunehmend abfälligeren – Bezeichnungen noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gebräuchlich.97 ( Abb. 7) Die Tanzkunst war neben Feuerwerk und Musik fester Bestandteil von Theaterauf‌führungen des Barock. Der Jesuit widmet sich der Crux scenica deshalb aus­führlich: Nach dem Urteil aller Kenner wird es für ausgemacht gehalten, daß auf der Bühne in Form des Bühnenkreuzes zu stehen ist, nämlich mit voneinander abgekehrten Füßen. Ich bin auch nicht der einzige, der solches hinsichtlich des Bühnenkreuzes, des Stehens und des Bühnenschrittes beachtet, sondern ältere und gewissenhaftere Choragen 68

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als ich, die mit Kohle, Kreide oder Kalk das Bühnenkreuz auf die Spielf‌läche zeichnen, treiben die Jünglinge lange und oft an, damit diese sich daran gewöhnen, ihre Füße übers Kreuz zu setzen.98

Der Jesuit Lang schrieb seine Abhandlung – die erste eigenständige zum Thema im deutschen Sprachraum – für den Gebrauch in den Kollegien und Gymnasien des hochbarocken Schultheaters, dessen Aulen als Auf‌führungsorte den Bedingungen höfischer Verwandlungsbühnen mit Vorder- und Hinterbühne zumindest erstaunlich nahe kamen. Die der Abhandlung Langs beigegebenen acht Kupferstiche, die unter anderem das Bühnenkreuz zeigen, wurden von einem unbekannten Künstler nach Weisung des Autors als »Reprisen oder gar Kopien von figürlichen Staffagen barocker Auf‌führungsbilder, die oft als Szenenkupfer in den Libretti höfischer Opernbühnen weit verbreitet waren« 99, gefertigt. Gleichzeitig gibt Franciscus Lang im 16. Paragrafen Über die szenischen Schaustellungen zu bedenken, dass in diesen speziellen »Schaustellungen oder Schaustücken, die gewöhnlich während der Bühnenauf‌führungen dargeboten werden, ein großer Reiz liegt«100. Er rät deshalb dazu an – auch wenn ›Schaustücke‹ insgesamt »die Empfänglichkeit für den Affekt fördern«, – »dabei Maß zu halten«101. Diese Bemerkung des Jesuiten bleibt nur so lange rätselhaft, wie wir nicht wissen, worin diese frühneuzeitlichen reizvollen Actionszenen oder Schaustücke eigentlich bestehen. Doch Lang löst das Rätsel schnell auf: Solche Schaustücke sind Merkure im Fluge durch die Lüf‌te zu führen. Reiher und Geier in der Luft miteinander kämpfen zu lassen. Den stygischen Räuber zu zeigen, der die Seelen entweder durch das Gewölk an sich reißt oder unter Flammengeprassel und von gräßlichen Geistern umschwebt rauchend in die Versenkung fährt. Mit einem dreizackigen Blitz in den Wolken zu donnern und in Türme einzuschlagen oder Frevler hinzustrecken. Kämpfer, die mit Schwertern fechten, auf‌treten zu lassen. Schlachtkeile aus Soldaten zu formieren: deren Aufmärsche, Stellungen, Plänkeleien anzuordnen, deren Fahnen zu schwenken, aus deren mit Schilden bedeckten Rücken ein Schilddach Die Crux scenica des Barock

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aufzubauen. Mit choreographischen Figuren Symbole zu bilden, und was dergleichen szenisches Beiwerk mehr sein mag.102

Jeder fleißige Kinogänger denkt hier wohl eher an Szenen aus Kenneth Branaghs Henry V. (1989) oder Akira Kurosawas Kagemusha (1980) als an barocke Hof ‌bühnen oder gar an das Schultheater. Das wiederum weist auf eine offenbar technisch frühzeitig mögliche Konzeption und Durchführbarkeit von Szenen hin, welche die Effekte der zeremoniellen Symmetrie- und Distanzrepräsentation gerade ausschalteten und vielmehr die unmittelbare Sensation und Identifikation im Publikum unterstützten. Auch weil das Jesuitentheater in einem den meisten Zuschauern unverständlichen Latein ablief, »überwuchern in den Jesuitendramen die theatralischen Momente so gänzlich die literarischen«103. In dieser Hinsicht »repräsentiert es den fortgeschrittensten Typus der Zeit«104.

Actus comici und Unterhaltungsgeschichte Man war im Barockzeitalter eben nicht nur an standesgemäßen Fragen der Staatsräson und Heilsrettung interessiert, denen weitgehend handlungsfreie Dialoge und Deklamationen gerecht zu werden hatten, sondern man neigte auch der leichten und handfesten Unterhaltung auf Erden zu.105 Andreas Gryphius schrieb schließlich mindestens ebenso viele Komödien wie Tragödien – und seine Tragödien tauchten umgekehrt immer schnell im Repertoire der Wandertheatertruppen auf.106 Die Pflege der actus comici gehörte neben den actus oratorii zum festen Bestand der frühneuzeitlichen gymnasialen Ausbildung. Die Komödie lebte seit Aristophanes oder Plautus davon, in Bewegung und aus den Fugen zu bringen, was Tragödie und Trauerspiel als heilsgeschichtlich abgesicherte Ordnung der irdischen Verhältnisse festzuschreiben bestrebt waren – auch wenn sie diese periodisch mit spektakulärer Bühnentechnik erschütterten. Die Komödie lebte von »nachahmender Entstellung«107. Sie war nach übereinstimmender Einschätzung ihrer zeitgenössischen Theoretiker oder Verächter ein wenig ›gemein‹ (vulgo) und sehr ›kurzweilig‹. Das dürf‌te 70

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schon damals wie ein unwiderstehliches Erfolgsversprechen geklungen haben. Der Erfolg der Szene ist deshalb seit der frühen Neuzeit ebenso eng mit der Erfolgsgeschichte der Unterhaltung verknüpft. Abgesehen davon, dass die komödiantischen Elemente stetig auch in die Trauerspiele einsickerten, waren solche Formen der Unterhaltung seit dem 16. Jahrhundert mit Wandertheatertruppen aus mindestens zwei Himmelsrichtungen auf dem Vormarsch in Richtung Kontinent – von englischen Renaissancetheatern (wie dem Londoner Globe oder Swan) und von der italienischen Commedia dell’ arte aus. Auch in Spanien gab es einen regelrechten Theaterbetrieb schon in der zweiten Hälf‌te des 16. Jahrhunderts. Lope de Vega hatte im Jahr 1610 über 500 Theaterstücke – zumeist comedias – verfasst oder unter dem erfolgreichen Label seines Namens verfassen lassen. Er speiste damit die Maschinerie eines »allgegenwärtigen Unterhaltungsgewerbes von durchorganisierten Wirtschaftsunternehmen«108. Hauptabnehmer waren die Betreiber der corrales genannten Volksbühnen der spanischen Städte, deren Verbrauch an Stücken und Szenen enorm war: Die szenischen Möglichkeiten der Bühne, der generelle Bedarf an Stücken und die auf den Konsum von Serienprodukten gerichteten Erwartungen der Zuschauer bestimmten die Formen, Inhalte und Ideologie der Texte erheblich mehr als die individuellen Aussage- und Wirkungsabsichten der Autoren.109

Das sprichwörtliche Große Welttheater des Pedro Calderón de la Barca von 1641 ist dagegen ein auto sacramental, ein geistliches Spiel, dessen Gesamtproduktion allerdings ähnliche Ausmaße annahm. Diese Stücke wurden nach ihrer prunkvollen stationären Auf‌führung am Fronleichnamsfest für den populären Konsum »vor einfacherem Publikum wiederholt«, indem »die aufwendigen, auf Räder montierten Bühnen (carros) von Ochsen von einem Auf‌führungsort zum nächsten gezogen«110 wurden. Dieselbe Entwicklung der Ökonomisierung der Unterhaltung setzte gleichzeitig in England ein.111 Es gibt relativ eigenständige szenische Intermezzi, die Mitte des 16. Jahrhunderts Die Crux scenica des Barock

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die Ausgangspunkte für technische Neuerungen der Szene waren. Sie wurden zum »Laboratorium der Bühnentechnik und waren durchaus den Werbeblöcken im Fernsehen vergleichbar«112. Im spanischen Barock wurden solche Zwischenspiele – entremeses – bei Calderón oder Cervantes schließlich zu einer eigenen Kunstform erhoben.

Action, szenischer Fluss und Bühnenarchitektur Langs Abhandlung endet mit einem ausufernden Katalog konventioneller Affektallegorien, die er vor allem verschiedenen zeitgenössischen Übersetzungen und Auf‌ lagen von Cesare Ripas iko­ no­grafischem Handbuch Iconologia von 1593 entnahm.113 Bei aller zeremonieller Steifheit der höfischen Crux scenica nahm sich Lang doch der Actione scenica oder der action im modernen Sinne an: Ob etwa ein Drama »in Akte oder Abteilungen geschieden werden müsse«, ist für ihn eine eher müßige Frage. Wichtiger erscheint ihm, dass sich die Teile der Fabel durch die Sache selbst so gut miteinander verbinden, wie auch die Szenen, die in jenen so verknüpft werden müssen, daß die Personen einander wie an einem ununterbrochenen Faden ablösen.114

Dieser Szenenfluss, der faktisch also ein nicht abreißender Strom auf‌tretender Personen oder Personengruppen war, wurde durch die Bühnenarchitektur des Barock erst ermöglicht, wie Armin Schäfer im Anschluss an Willi Flemmings frühe Forschungen zum barocken Theater noch einmal betont hat: Die Stücke sind für eine Illusionsbühne mit Vorhang geschrieben. Unterteilt wird diese durch einen Mittelvorhang oder einen Schnürrahmen. Die zentralen Szenen spielen auf der Hinterbühne. Die Auf‌tritte erfolgen aus Gängen zwischen den Kulissen oder aus Türen, die in die Seitendekorationen eingelassen sind.115

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Das vor allem technisch avancierte Repräsentationstheater dieser europäischen Hof‌kultur entstammte den italienischen Fürstenhöfen – und damit derselben Region wie die Commedia. An diesen Höfen – beispielsweise dem Hof der Medici – wirkten frühe technische Eliten, deren Vertreter zumeist Hofarchitekten, Festungsbauer und Bühneningenieure in Personalunion waren. Bei Fürstenhochzeiten wurden dort dann seit 1589 Seeschlachten in den Innenhöfen der Paläste nachgespielt oder mit den Intermezzi der Opern neue technische Maßstäbe der Auf‌führungskultur erprobt und gesetzt. So nahm in diesen Intermezzi das Gedeihen von Wissenschaft und Kunst unter der Herrschaft der Medici eine greif ‌bare Form an. Die komplizierten Verwandlungen der Szene, die bei offenem Vorhang geschahen, wo sich Wolken und Planeten durch den Raum bewegten, Berge auf‌tauchten und wieder verschwanden, die im Wettstreit mit den Musen unterlegenen Pieriden sich in Elstern verwandelten, eine Galeere mit vierzig Mann auf der Bühne manövrierte und der über Bord geworfene Arion von einem Delphin gerettet wurde, erforderten eine perfekt laufende Bühnenmaschinerie, ein hundertprozentiges Timing und ein Heer bestens aufeinander abgestimmter Arbeiter. Die Akteure wurden zu Statisten dieser Bühnenmaschinerie, deren Ablauf sie sich unterzuordnen hatten.116

Wechselt man zur barocken Oper in Turin oder zu einer posthumen Auf‌führung von Molières Der eingebildete Kranke im Schlosspark von Versailles (1674) unter Ludwig XIV., mag sich der Stoff der Darstellungen etwas heiterer gestalten. Aber – das hebt der Theaterhistoriker Heinz Kindermann hervor – erstreckt sich auch hier wieder das vom Hofzeremoniell bedingte außerordentlich weite Niemandsland zwischen Portal-Bühne und vorgelagertem Orchester einerseits und dem König samt seiner Suite anderseits. Vergegenwärtigen wir uns, daß der Hofstaat erst zu lachen wagte, wenn

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der König selbst laut zu lachen begann, dann wird uns deutlich, daß da nicht bloß der optimale Blickpunkt für die Distanz verantwortlich zu machen ist, sondern das bewußte Nichtidentifizieren von Zuschauern und vor Augen geführten Gestalten oder Schicksalen, dieses sich Erhabenfühlen über ihre Tragik, ihr Unglück oder ihre Komik.117

Die Nichtidentifikation erscheint als das Resultat des komplexen Verhältnisses, welches Bühnentechnik, Herrschaftsinszenierung und Staatspolitik hier eingehen. Die Möglichkeiten der Szene sind dann ein genauer Spiegel der Machtvollkommenheit des Herrschers, dem der Hofstaat und das Volk beim Zuschauen zuschauen sollten.

Schultheater Bereitwillig aufgenommen wurden diese technischen Innovationen des ›komplexesten Mediums seiner Zeit‹ (F. Nelle) unmittelbar von dem 1534 gegründeten Jesuitenorden. Der Orden setzt auf »theatergemäße Unterrichtsorganisation«118 und Schultheaterauf‌führungen. Das jesuitisch inspirierte, protestantisch-gymnasiale Schulthea­ter des schlesischen Barock, das im deutschen Sprachraum durch seine berühmtesten Absolventen (wie Andreas Gryphius oder Caspar von Lohenstein) bekannt wurde, ist nur ein Zweig dieser »seriellen Herstellung oder Bearbeitung von Bühnenwerken des katholischen Ordenstheaters«119. Solche Schultheaterauf‌ führungen, die an sich schon aufwendige Spektakel waren, konnten zu pompösen Festauf‌führungen »an den Höfen beziehungsweise in den Höfen und Festsälen der ( jesuitischen) Kollegien«120 ausgestaltet werden – mit bis zu 1000 Darstellern. Schulauf‌führungen – jedenfalls als regionales Spezifikum (nach Herbert Schöff‌lers kundigem Urteil) – vergröberten immer wieder die steifen Deklamationen auch mit »schwer glaubbaren Metaphern in der Anrede an Christus« 121 ins kaum Erträgliche: »Ich Sau, ich Vieh, ich Thor, ich ungerathner Sohn / Du solt des Todes Kind, der Hölle Mastvieh seyn?« Sie waren dennoch Teil einer gesamteuropäischen, jesuitischen Theatertradition, die den Verkehrungen des Alltags der Commedia eine religiöse Bekenntnisdrama74

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tik entgegensetzte. Die gymnasialen Schultheater in Glogau, Zittau oder Breslau, die Schlesien die fehlende Landes-Universität ersetzen mussten, eigneten sich aber auch sukzessive Elemente professioneller Wanderbühnen zur Steigerung des Unterhaltungswerts an und unterliefen damit gleichzeitig die strengen klassizistischen Regeln des Jesuitenzöglings Pierre Corneille aus Rouen.122

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4. Lebendigkeit als rhetorischer Wert: Fallgeschichte und populärer Fortsetzungsroman um 1800 Vividitas (Lebendigkeit) als rhetorische Tugend Aber nicht nur die physische Bewegung, auch die psychische Bewegtheit nahm auf dem Theater bis 1800 derartig zu, dass die seit der Antike in Akte aufgeteilte Form des Theaterstücks die Oberhoheit geradewegs an die Szenen abzugeben schien. Eine neue Leitdisziplin sorgte für Belebung, führte die Protagonisten aus dem starren rhetorischen Repräsentationszirkel höfischer Tugenden oder maschineller overloads heraus. Neuartige, von der Herrschafts-Repräsentation zum Teil entlastete Szenen erfüllen auch frühzeitig den in Baumgartens Ästhetik von 1750 (mit Quintilian und Cicero belegbaren) rhetorischen Zielwert der vividitas oder Lebendigkeit: Daher scheint mir zu Recht, daß erst diejenigen Gedanken lebhaft genannt werden können, in denen eine gewisse besondere Abwechslung und gleichsam eine unvermutete rasche Abfolge von sich wechselseitig bedrängenden Merkmalen angetroffen wird, aus deren ungewöhnlich weitläufigem Reichtum zu einem Teil jenes Schimmernde und jener Glanz der Überlegung aufsteigen mag, deren Ganzes gleichwohl faßlich und absolut klar sein muß.123

In der älteren Metaphysik Baumgartens von 1739 wird die vividitas oder Lebhaftigkeit noch in ein etwas anderes kategoriales Feld – das sogenannte schulphilosophische – eingeordnet. Dabei werden die ur­ sprüngliche Fundierung des Begriffs in der Säftelehre der Antike und gleichzeitig dessen polemischer Horizont deutlich: Der höhere Grad der Klarheit, welcher auf der Klarheit der Merkmale beruhet, ist die stärkere Klarheit (claritas intensiue maior), derjenige aber, welcher aus der Menge der Merkmale entsteht, ist die Lebhaftigkeit (vividitas, claritas extensive maior, cogitationum nitor), deren Gegentheil die Trockenheit der Erkenntniß genennt wird (siccitas cogi76

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rationum, spinosum cogitandi genus). Beyde Arten der Klarheit heissen die Verständlichkeit (perspicuitas), welche also entweder eine lebhaf‌te oder deutliche Verständlichkeit ist, oder beydes zugleich.124

Diese Lebendigkeit wird sich im 18. Jahrhundert, nach dem offiziellen Ende der Rhetorik als Leitdisziplin der europäischen Gelehrtenrepublik125, in jener neuen Ästhetik Baumgartens und Meiers mächtig entfalten, um von dort aus stetig zunehmende Level der Theoretisierung und der gleichzeitigen technisch-medialen Realisierung zu erklimmen. Erst Kant wird gemeinhin als Initiator dieser Aufwertung gehandelt, Goethe als ein vorläufiger Höhepunkt.126 Dass die vividitas einmal Teil einer komplexen Begriffshierarchie war, wird vergessen werden. Es ging nun lediglich noch um ihre medial wirkungsvoll bewerkstelligte »Beglaubigung« (B. Brandl-Risi)127 und um ihr Herausstreichen als Zielwert des Kunstwerks im Rahmen einer Genieästhetik.128 Die Ästhetik übernahm ab etwa 1750 offiziell eine positive Auslegung der unteren, sinnlich-physischen Vermögen des Menschen und ihre Aufwertung gegenüber dem (dagegen meta-physischen) höheren logischen Denken.129 So wird sie auch zum ersten disziplinären Entstehungsrahmen der späteren Menschenpsychologie, welche dann die Ständeaffektologie ablöst. Der Ästhetik wird schließlich die Vormundschaft über die Gemüter aller Bühnenprotagonisten zugesprochen, um dann die Entwicklung oder Dynamisierung der Szene quer zur sozialen Schichtung des Personals, die sie langfristig einebnen hilft, voranzutreiben. Man könnte sagen: Die niederen (sinnlichen) Vermögen und die niederen Stände werden auf der Bühne langsam szenisch emanzipiert, kommen dort erst zur Sprache.130 Dass die Lebendigkeit oder vividitas, welche langfristig als ästhetischer Zielwert der Szene – egal in welchem Medium, egal in welchem Diskurs – fungieren wird, zunächst wörtlich der neuen Ästhetik Alexander Gottlieb Baumgartens entspringt, macht uns sicherer, den ideellen Quellpunkt der modernen Szene richtig bestimmt zu haben.131 Stetig wächst auch die Menge der Konsumenten lebendiger Darstellungen im Zeichen von Unterhaltung. Die Beobachtung, dass Lebendigkeit als rhetorischer Wert

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»Erzählungen Komplexität durch ›Dynamisierung‹ verarbeiten und gestalten«132, ist ihrerseits noch einmal zu historisieren und zu skalieren. Eine neue intrinsische Dynamik findet ihren Ort also auch in der Szene: Die an astronomischen Modellen orientierte theatrale Bewegungssprache des 17. Jahrhunderts wird als in zeremonielle Grenzen eingeengt begriffen. Natürliche Bewegungen werden dagegen als nicht konventionell begriffen. Natürliche Körper lösen sich aus den die Bühnenbewegungen organisierenden zeremoniellen Systemen und sind inneren Bewegungen unvermittelt ausgesetzt. Natürliche Bewegungsformen befinden sich aus diesem Grund häufig an der Grenze zur affektiven Überwältigung.133

Bis heute bezeichnen wir im anderen wahren Leben offene Streitereien von besonders eindrücklicher Heftigkeit und Emotionalität ausgerechnet als Szenen (einer Ehe). Man kann – mit den Erfahrungen der Gegenwart – davon ausgehen, dass die Evolution oder der Ausbau der technisch-medialen Infrastrukturen von Anfang an stärker am Erhalt und an der Steigerung der dynamischen Elemente der Szene orientiert war. Die Abstützung oder gar Zementierung eines einmal erreichten medialen Lebendigkeits- und Plastizitätslevels der Szene hätte die eindrucksvolle Gesamtentwicklung der Medien wohl kaum hervortreiben können.

›Niederes‹ und ›Hohes‹. Durcharbeitung, Dynamik, Kulturkritik Woher aber kommt das Steigerungspotential? Wie kommt die Dynamik in Gang? Es verdankt sich – stark vereinfacht – einer Art Dialek­ tik unterschiedlicher inhaltlicher und technischer Niveaus. Wir sahen schon in der Konstellation von Glogauischem Schultheater und Molière’scher Komödie, dass zunächst die belebenden formalen Elemente aus dem Niederen oder Populären in das Getragene oder Hohe einsickern, bis sie sich – auf diesem höheren Niveau – zu etablieren beginnen. Das Niedere oder Populäre wiederum ist – in einer Wen78

Kapitel II: Geschichte

dung der deutschen Volkskunde – ›gesunkenes Kulturgut‹ (H. Naumann), d. h. ›zersungenes Kunstlied‹ beispielsweise ( J. Meier), das aber seinerseits ursprünglich aus einer angeblich ›primitiven Gemeinschaftskultur‹ (H. Naumann) hervorgeht. Auch hier wird also schon eine zyklische Dynamik gedacht.134 Ganz ähnlich formulierte das wenig später die strukturalistische geprägte Folklore-Forschung in Leningrad oder Prag.135 Die Kultur lebt, indem scheinbar verschiedene starre Werthorizonte – von Wert bis Unwert, von Singu­larität bis Masse, von Gemessenheit bis Turbulenz – de facto medientechnisch laufend durchgearbeitet, d. h. von bestimmten Formelemen­ten beständig durchwandert und verbunden werden. Nach der »Migration von Formen aus dem Kunstsystem«136 in das Mediensystem ist schon gefragt worden. Eines aber ist gewiss: Was die Kultur­kritik schlicht und regelmäßig als Verdünnung der Substanz (der Kultur als solcher, der Protagonisten oder ihrer Werke) registriert, ist in Wirklichkeit die effektive medientechnische Ausbreitungslogik der Stoffe und Motive in diesen spezifischen Formelementen, zu denen die Szene auf jeden Fall gehört.137 Die Fallgeschichte etwa ist seit langem als Popularisierungsformat von Wissenschaft identifiziert worden. Doch auch hier liegt strenggenommen keine Reihenfolge oder Hierarchie der Niveaus vor: Die Fallgeschichte ist »kein nachträglicher oder sekundärer Zusatz zu einem an sich bekannten Theorem, sondern vielmehr einziges Anschauungsmaterial für seine Begründung«138. An den juristischen oder medizinischen, immer aber populären Fallgeschichten-Sammlungen des 18. Jahrhunderts fällt ihren Erforschern vor allem das Moment der unterhaltsamen Spannung auf. Erklärt wird ihr Auf ‌bau mit der »ausgefeilten rhetorischen Ausgestaltung der Szenarien«139, die sich bei genauerem Hinsehen als »dramatische Szene in Dialogform«140 entpuppen. Dass Kulturkritik an der Popularisierung zwangsläufig immer auch Medienkritik ist – Kritik der äußerlichen Apparate als den vermeintlichen Verringerern einer inneren Substanz –, mag in unserem Fall aus einem Text Rudolph Genées zum Theater von 1889 hinreichend hervorgehen:

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Die scenisch-theatralische Ausbildung im Schauspiel, jener ganze kom­plizierte Apparat, welcher der dramatischen Kunst eigentlich nur als beiläufiges Hilfsmittel dienen sollte, ist nur deshalb so stark in den Vordergrund getreten, weil das künstlerische Element, die eigentliche ›dramatische‹ Kunst, an der das Genie des Dichters und das des reproduzierenden Schauspielers gleichmäßigen Anteil haben, die innere Kraft verloren hat, um für sich selbst zu genügen.141

Gedruckte Szenen im Roman Aber es geht hier letztlich nicht um eine Emanzipationsgeschichte der Szene innerhalb des Theaters, sondern um ihre Stellung im gesamten Rahmen, in dem sich Technik, Medialität und Kultur bedingen. Wie geht es also weiter? Der Fortsetzungsroman des 19. Jahrhunderts gibt eine gute Antwort: Durch das kombinierte Auf‌treten von perfektionierten Papiermaschinen und schnelleren Zylinderpressen rückte »seit den 1820er Jahren die periodische Presse ins Zentrum des Marktes«142. Die ihr entspringenden Romane aber verbreiteten vor allem massenhaft Dialogszenen – ohne eine strengere dramatische Ökonomie der Akte.143 Diesen Übertritt der Theaterszene in den Handlungsverlauf des Romans verzeichnete schon 1774 Friedrich von Blanckenburgs Versuch: Warum sollte, in heftigen Situationen, dem Romandichter der Dialog – wenigstens der Monolog verwehrt seyn? Wenn der Dialog natürlich herbeygeführt würde; so sehe ich nicht ab, was den Romandichter abhalten sollte, zwey Liebende z. B. in Unterredung aufzuführen? Der Leser würde dadurch gleichsam in den Zuschauer verwandelt, und der Dialog als ein nothwendiges Stück mit dem Ganzen verbunden seyn.144

Der 50 Jahre später in Monatshef‌ten und Zeitungen startende Fortsetzungsroman zeigt neben der medientechnisch bewerkstelligten Allgegenwart von Szenen auch, dass man in jedem Fall Technik braucht, wenn sich diese auf Papier gedruckten oder illustrierten 80

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Szenen in der Kommunikation als Bezugspunkte halten sollen. »Die spezifischen Formen der Theaterszene verlassen die Bühne und unterwerfen sich das Leben«145, merkt Juri M. Lotman 1973 an. Das bedeutet allerdings nicht, dass für das Theater keine Szenen mehr produziert werden. Im Gegenteil: Die massenhaf‌ten und beschleunigten Szenenwechsel in den an der Tür von Händlern angebotenen Kolportageromanen des ausgehenden 19. Jahrhunderts werden in der Forschung direkt auf die hohe Frequenz von Kleidungs- und Identitätswechsel im Volkstheater zurückgeführt.146 Juliane Vogel hat sogar die seriell-massenhaf‌te Produktion von Theater-Szenen im ganzen 19. Jahrhundert eindrucksvoll belegt, weist aber gleichzeitig darauf hin, »dass der Stellenwert der Szene in der zeitgenössischen Dramen­ ästhetik kaum beachtet wird«147. Stattdessen wird einer ›Philosophie des Tragischen‹ gefrönt. Die Szene fällt infolgedessen offiziell »als Gegenstand bloßer Schaulust aus dem Gliederungssystem des Dramas heraus«, obwohl doch die szenische Konfiguration, die dramaturgische Bewirtschaftung des Einzel­ teils, die Einheit der Handlung auch dann unterwandert, wenn deren Verlauf keine Fragen offen läßt.148

Hans-Otto Hügel, neben Rudolf Schenda und Kaspar Maase der wohl beste Kenner der Populärkultur im deutschsprachigen Raum, zeigt am Beispiel von Eugène Sues europaweit erfolgreichem Intrigen- und Tendenzroman Die Geheimnisse von Paris, der ab 1843 in Fortsetzungen erschien, wie die Szene auch die mächtigen zeitgenössischen Konkurrenzmedien und -formate des 19. Jahrhunderts durchwirkt und ›unterwandert‹. Es ist der moderne Roman als Form, als Periodikum, d. h. der moderne Roman gekoppelt an die wöchentliche oder monatliche Erscheinungsweise von gehobenen Unterhaltungsmagazinen, der die Emanzipation der Szene vom Akt und vom Theater fortsetzt. Zugleich macht er sie durch die gesteigerten Distributionskanäle des nun möglichen, hochfrequenziellen Billigdrucks noch einmal wirksamer:

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Grundsätzlich erzählt Sue eher in abgeschlossenen Szenen. Das ist durchaus im Theatersinn wörtlich zu nehmen: Anfang und Ende der Szenen, der Kapitel, sind gewöhnlich an den Auf- oder Abtritt von Personen geknüpft. Überhaupt spielt der ganze Roman in Paris und Umgebung – als ob Sue die theatrale Einheit des Ortes bewahren wollte – während das Geschehen, das fern von Paris spielt, durch Botenberichte nachgeholt wird. Das Erregende der Mystères liegt in der Szene, in der psychischen Dramatik, nicht im Handlungsverlauf oder gar der Action. Sues Leistung scheint weniger in der Neubegründung des sozialen Romans zu liegen, als darin, Stil und Figurenkonzepte des melodramatischen und klassizistischen Unterhaltungsthea­ ters der Juli-Monarchie auf die Erzählkunst übertragen zu haben.149

Sue setzt außerdem einfach im neuen medialen Format des Fortsetzungsromans die Platzbeschränkung für Regieanweisungen und für Dia­loge außer Kraft, um der Ausbreitung der Szene Vorschub zu leisten.

Das Populäre Warum wird aber hier nun ausgerechnet das Populäre in eine solche Schlüsselstellung gebracht? – Weil sich für die späteren Klassiker Dickens, Raabe oder Fontane ganz ähnliche materiale Bedingungen nachweisen ließen.150 Walter Scott, Wilhelm Raabe, Theodor Fontane oder Eugène Sue durchlaufen letztlich die gleichen Produktionsstraßen bzw. Vertriebswege – und bleiben motivisch und konzeptuell füreinander durchlässig. Wenn der eine schneller im feinen Ledergewand und in der bürgerlichen Büchervitrine landet als der andere, dann arbeiten Institutionen (wie Kritik, Schule oder Universität) an dieser rezeptiven Besänftigung der szenischen Dynamik mit. Gleichzeitig kann diese in anderen Zusammenhängen jederzeit wieder herausgelesen bzw. beschleunigt werden. Kanon oder Unterhaltungsware – auf welcher Ebene kommen wir der Ausbreitungslogik der Szene also näher? Ein Plädoyer für das Populäre zeichnete sich schon ab: Gerade weil die Verbilligung 82

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und Verbreitung der gesamten Produktionsweise an (Liefer-)Fristen gebunden war, gerade weil effektive Massenproduktion größeres technisches Knowhow und mehr Entwicklungsdynamik erfordert als eine auf Zeitresistenz und Musealisierung angelegte Kunst. Man sieht die Ausbreitungslogik der Szene vom Populären aus schärfer. Das Populäre ist an die Dynamik der Märkte und des Geldumlaufs unmittelbarer angeschlossen als die subventionierte Auf‌tragskunst oder die als scheinbar fester Kanon institutionell gepflegte und stillgestellte Kunst. Gerade im Falle medialer Effekte ist es fast immer zunächst der Unterhaltungsmarkt – beispielsweise für alte oder neue Pornografie, für Gefechts- und Gefahrensimulation in der Abenteuerstory, für Spannungsproduktion und Versinnlichung von Geschichte –, der die szenischen Formate und Techniken in ihrer Entwicklung vorantreibt. Hier kann etwa der vergessene Bänkelgesang als Beispiel dienen: Man hat lange spekuliert und untersucht, wo diese aus Bild, Lied und Text zusammengesetzte szenische Moritat ihren Ursprung genommen hat.151 ( Abb. 8) Natürlich hatte man das Volk und die Jahrmärkte ebenso in Verdacht wie die blutrünstigen christlichen Märtyrer-Legenden. Am Schluss aber war die Sache ganz einfach: Als man den Blick von den Gattungen weg auf die Bedingungen und Umstände ihres Vertriebs, auf den Markt und seine Formen und Tempi lenkte, als sich die Gattung historisch in infrastrukturelle und logistische Komponenten zerlegen ließ, da fiel der Volkskunde die Antwort auf die Herkunftsfrage förmlich in den Schoß. Man sah nun, dass die Gattung ihren Ausgang nicht entweder von einer höheren oder von einer vulgären Form nahm, sondern von der effektivsten: Aber es ist klar, daß alle diese Dinge hier weniger direkt aus dem Bänkelgesang stammen, als vielmehr aus dem Wesen der unlängst ins Leben getretenen Neuen Zeitung, jenes Fliegenden Blattes, das im Druck dem Publikum die neuen Zeitereignisse übermittelte. Und einzig und allein dieser Neuen Zeitung verdankt auch der Bänkelsang seinerseits seine ganze Entstehung. Denn keineswegs war die Neue Zeitung des 16. Jahrhunderts ausschließlich der Träger rein politischer Lebendigkeit als rhetorischer Wert

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Nachrichten. Eine Hauptseite vielmehr, besonders der sogen. Lokalredaktionen, waren die Räuberstücklein, Mordtaten, Kindsmorde, Hinrichtungen, sowie allerlei wunderbare Begebnisse. Ferner der Hauptzweck, der im Vertriebe der Blätter besteht, und der Umstand, daß deren Erlös noch immer den einzigen Gewinn des Bänkelsängers bildet; der Bezug der Texte und Bilder von Fabrikanten, den kleinen (Winkel-) Verlegern und offenbaren Auf‌traggebern.152

Film vor dem Film? Im besten Fall, bemerkte Friedrich Kittler einmal, geht um 1800 »das Alphabet in Optik über«153, in verlebendigend projizierte Szenen der Vorstellung nach dem Vorbild der Laterna Magica. E. T. A. Hoffmann hatte seine Erzählung Prinzessin Brambilla von 1820 einleitend ausdrücklich mit der Mahnung an den Leser versehen, »doch ja die Basis des Ganzen, nämlich Callots phantastisch karikierte Blätter, nicht aus dem Auge zu verlieren«154 – und diese Blätter, d. h. szenisch-­ dynamische Momentaufnahmen von den Sprüngen, Masken und Posen des Personals der Commedia dell’arte, auch gleich beigegeben. ›Film vor dem Film‹ hatte schon Bertolt Brecht in der Romanliteratur des 19. Jahrhunderts ausgemacht: Interessant ist auch, daß, wie man aus den Stevensonschen Erzählungen genau sieht, die filmische Optik auf diesem Kontinent vor dem Film da war. Nicht nur aus diesem Grunde ist es lächerlich, zu behaupten, daß die Technik durch den Film eine neue Optik in die Literatur gebracht hat.155

Jörg Jochen Berns macht das Phänomen an noch älteren Bilddokumenten wie den Arma-Christi-Bildern des Hochmittelalters fest, deren fromme Bildbetrachtung auf den »Erlaß von Fegefeuerstrafen«156 angelegt war, und »die unter der Wahrnehmungsschwelle der Kunstgeschichte (und erst recht der jungen Mediengeschichte) blieben«157. Berns alternative Medienkunstgeschichte interpretiert »Kinound Fernsehfilm des 20. Jahrhunderts als sieghaf‌te Hybridformen 84

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einer ursprünglich theologisch gemeinten und mnemonisch angelegten Seelenbeeinflussungsstrategie«158. Hierher gehört aber auch die Bewegung von der Bildfolge zum Textkommentar, weiter zum eigenständigen Text und zurück zur Bildfolge bei den Sketchbooks am Anfang der Romanliteratur des 19. Jahrhunderts. Der Sketch des Sketchbooks, ist mehr Skizze, hat noch nicht die szenische Geschlossenheit wie der Sketch als pointierte lustige (Film-)Szene von ca. 10 Minuten, den es ab etwa 1900 gibt.159 Die Karriere von Charles Dickens’ Büchern verdeutlicht die Durchlässigkeit der Medien füreinander im Falle der Szene noch einmal sehr schön: Von Text begleitete Bilderfolgen waren eine übliche Publikation in jener Zeit, auch Pickwick war ursprünglich als eine solche geplant gewesen, nur erkannte Dickens nach dem plötzlichen Tod des prominenten Illustrators Robert Seymour, den er als aufstrebender junger Autor lediglich mit den passenden Texten zu seinen komischen Szenen versorgen sollte, seine Chance, holte sich seinen Sketches of Boz – Partner ›Phiz‹ als Illustrator ins Boot und kehrte die Proportionalität zwischen Text- und Bildbedeutung in dem gerade erst begonnenen Projekt zu seinen Gunsten um. Im Falle von Oliver Twist wird sogar angenommen, dass Dickens über eine Serie von bereits bestehenden illustrierten Szenen, die einen Jungen aus dem Armenhaus, der in kriminelle Machenschaf‌ten gerät, darstellten, von seinem Illustrator George Cruikshank maßgeblich zur Konzeption des Romans angeregt und inspiriert worden ist.160

Die neuen Medien des 19. Jahrhunderts – nach Heinz Buddemeier und Stephan Oettermann also Panorama, Diorama, Fotografie161 und Szenenpanorama162, nach Richard Balzer allesamt »Peepshows«163 – sind hier noch gar nicht einbegriffen. Zur Erklärung: Bei den »gigantischen, durchsichtigen Gemälden« des Dioramas wurde das Publikum, das – in eigens dafür errichteten Gebäuden – »wie vor einem Proszenium saß«, langsam gedreht, damit (bei wechselnder Beleuchtung) seine »Blicke nacheinander von einem Teil des Bildes auf den nächsten fielen«164. Gut zehn Jahre nach Cerams und Buddemeiers Lebendigkeit als rhetorischer Wert

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Pionier-Studien machte kein geringerer als Michel Foucault auch im Herzen der historistisch-realistischen Erzählkunst des 19. Jahrhunderts das Ideal der Szene aus. In seinem Vorwort zu einer Eugène Sue-­Ausgabe von 1978 formulierte er dieses Ideal so, dass die Kategorien Text, Szene und Bild, Verflüssigung und Verfestigung, in ihrer Gegensätzlichkeit gänzlich aufgehoben schienen: Wissen, das durch Genauigkeit und Detailfülle zur Rotglut gelangt und in einem Bild erstarrt. Wissen zu einer Szene gestalten, eine seltsame und schwierige Technik, die für Schriftsteller wie Walter Scott zu den Träumen des 19. Jahrhunderts gehörte.165

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5. Szenisches Sehen als maschinelles Ensemble im Zeitalter der Industrialisierung Eisenkoloss I Das Kino hat seit seiner Erfindung und seit seiner Emanzipation von den Spielorten bzw. Programmen der Varietés oder Zaubershows eine Schlüsselstellung bei der szenischen Distribution eingenommen, welche erst in den 1950er Jahren ernsthaft vom Fernsehen bedrängt wurde. Die Geschichte der Szene kann als die Geschichte einer technischen Organisation der Wahrnehmung erzählt werden. Die Szene ist danach immer auch ein ›maschinelles Ensemble‹. Das ist ein Begriff, den Wolfgang Schivelbusch für die veränderte Wahrnehmung der Landschaft im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Industrialisierung des Reiseverkehrs als Schienenverkehr, nach dem Zusammenschluss von »Verkehrsweg und Verkehrsmittel«, geprägt hat: »Die Eisenbahn inszeniert eine neue Landschaft. Der Kauf eines Eisenbahnbillets bedeutet dasselbe wie der Erwerb einer Theaterkarte«166, heißt es ausdrücklich. Gleichzeitig wird der Aspekt der Vernatürlichung der neuen Wahrnehmung an diesem frühen Beispiel solcher maschinellen Ensembles von Schivelbusch hervorgehoben: So setzt sich schließlich, nach großer vergeblicher Mühe, die neue Verkehrstechnik in die juristischen Begriffe der alten zu fassen, die ›Natur‹ dieser neuen Technik auch hier durch. Das maschinelle Ensemble Eisenbahn erhält in der Form des Transportmonopols seine rechtliche und politisch-ökonomische Anerkennung.167

Es geht um technisch aktualisierbare Formen des Verstehens und Kommunizierens, die sich der Mensch nach einem berühmten Wort Benjamins mit den Medien schubweise zu einer zweiten Natur an­ organisiert.168

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Natürliches Sehen? Dieser Prozess wurde immer wieder aus verschiedenen Disziplinen heraus beschrieben und liefert den notwendigen Hinweis, dass das Sehen (bzw. das Hören) und die Szene eben keine natürlichen, d. h. einmal gegebenen Korrelate der Wahrnehmung sind. Der anonyme Vorgang der Anorganisierung hängt vielmehr eng mit der Tatsache zusammen, dass das menschliche Sehen ein ›gerichtetes Sehen‹ (H. Plessner) ist.169 Diese Eigenheit und Steuerungsmöglichkeit wird nun zunehmend an technische Medien oder Ensembles delegiert und wirkt dann auf die Gewohnheiten und Reflexe des alltäglichen Sehens im Verkehr der Menschen zurück: Das Sehen erscheint uns in der ›natürlichen‹ Einstellung als ein so unmittelbarer Vorgang, daß wir ›normalerweise‹ weder auf seine sozialisatorische, noch auf seine historische und mediale Formung achten: Aus der natürlichen Künstlichkeit wird unter der Hand eine künstliche Natürlichkeit, der man das Künstliche kaum anmerkt. So wird das zunehmend instrumentell-medial geformte und geschulte Sehen ›unversehens‹ zum Bestandteil einer ›zweiten‹, medialisierten Wahrnehmungsnatur des Menschen, die auf die ›erste‹ zurückwirkt und diese überformt: Wir sehen die Welt – nach wie vor nicht ausschließlich, aber immer häufiger – in den Perspektiven und Beleuchtungen jener Medien, mit deren Hilfe wir versucht haben, die Wahrnehmungs-, Schneide- und Gestaltbildungsmöglichkeiten des menschlichen Auges (und seines Blicks) zu simulieren.170

Wie kommt es also zu einer möglicherweise notorischen Dominanz des Visuellen in der doch audiovisuellen Welt voller Gerüche und Oberflächen? Indem wir zunächst feststellen, dass die Szene in jedem Fall auch eine solche organisierte Sichtbarkeit ist. Für ihre Organisiertheit aber sind eben jene technisch laufend effektiver simulierten Steuerungen des Sehens stärker verantwortlich als die in dieser Hinsicht unvergleichlich komplexeren des Hörens:

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Es gibt ein absolutes Gehör, aber kein absolutes Gesicht. Zuhören ist versehen mit dem Index der Passivität, dem Eindringen entspricht das bloße Aufnehmen. Das Drehen des Kopfes, das Abwenden von der Szene des Geschehens und die Subjektivität der Perspektive lehrt uns, daß wir selbst es sind, die sehen, daß es ein Subjekt des Sehens gibt. Die Kontrolle des Augenlids stellt das Sehen vor als ein Handeln, abhängig von meinen Bewegungen und meiner Sehkraft. Deshalb ist das Sehen so zentral für die Hermeneutik. Es bildet die Struktur der hermeneutischen Erkenntnis vor, die immer auch eine Selbsterkenntnis der eigenen Positionalität sein will.171

Schnitt und Montage (als scheinbar magische Steuerungen des Blicks172) sind nicht von ungefähr nach der Etablierung der Filmkunst zu synonymen Begriffen für Modernität geworden.173 Magisch wirkt hier der Eindruck, dass weit auseinander liegende Dinge oder Personen plötzlich nebeneinander auf‌tauchen, oder überhaupt auf einer Wand zur Erscheinung gebracht werden: »Da erscheinen einfach Dinge, die dort eigentlich so nichts zu suchen haben.«174 Wolfgang Schivelbusch führt das erneut auf den erstmaligen ›Ausfall der Erfahrung räumlicher Entfernung‹ mit der Etablierung der Eisenbahn als Verkehrsmittel zurück: In der filmischen Wahrnehmung – d. h. der Wahrnehmung montierter Einstellungen verschiedenster Bilder als Einheit – findet die neue Wirklichkeit der vernichteten Zwischenräume wohl ihren deutlichsten Ausdruck. Die Filmmontage bringt die Dinge sowohl dem Zu­ schauer wie einander näher.175

Szenisches Sehen als maschinelles Ensemble

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6. Szenische Kompetenz und direkte Bewegtbildübertragung um 1900 Mattscheibe und Bademode Zwischen 1884 und 1935, d. h. zwischen der grundlegenden Erfindung der (mechanischen) Bildabtastung und dem ersten Fernsehprogramm, liegt das Fernsehen in Deutschland in einem merkwürdigen Dornröschenschlaf. Weil das Fernsehen – ähnlich wie das Radio – ohne große Umwege ein programmförmiges Medium wurde, ist dieser Einschnitt überhaupt erwähnenswert. Die Voraussetzungen für das ›Fern-Sehen‹ schuf der Ingenieur Paul Nipkow (1860–1940). Ihm wird am 6. Januar 1884, ein Jahr nach Einführung der elektrischen Bühnenbeleuchtung in Brünn und wenige Jahre nach Bayreuth, vom Kaiserlichen Patentamt in Berlin das Patent für seine sogenannte Nipkow-Scheibe erteilt. Glühlampe und Selen- oder Fotozelle machten seit 1873 die gegenseitige Kopplung von Licht und elektrischem Strom denkbar. Der Fototelegraf oder das Telektoskop von Constantin Senlecq hatte diese Kopplung als Parallelverdrahtung eines Feldes von Zellen und Lampen gedacht. Er hatte damit eine ältere Idee des schottischen Erfinders Alexander Bain von 1843 aufgegriffen, die Idee, zweidimensionale Bilder oder Oberflächen zeilen- und punktförmig aufzulösen und darzustellen.176 Erst Nipkow konnte mittels seiner spiralig gelochten Scheibe die Fläche des Bildes in schnell abtastbaren Zeilen und Punkten denken und diese als lineare Impulsserien in einem Kanal fernübertragen oder eben am anderen Ende fernsehen lassen. Dazu wurde die natürliche Trägheit des Auges genutzt. Aber aufgrund der mechanischen Trägheit der Scheibe waren der Input und der Output der gerasterten Bildpunktübertragung, als zeitlich gestaffelte Impulsserien per Draht, zum Flackern verurteilt, Geschwindigkeit und Feinheit von Bildabtastung und Bildauf ‌bau technologisch begrenzt. ( Abb. 9) Außerdem bereitete die Synchronisation von Bildabtastung und Bildauf ‌bau zunächst Probleme. Sie war nicht so fein, dass auch bewegte Bilder, sprich: Szenen übertragen werden 90

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konnten. Der Empfänger muss zwischen dem Ende des ersten Bildes und dem Anfang des zweiten Bildes ein (bzw. einfach kein) Signal erhalten, denn Anfang und Ende des Bildes (von der ersten bis zur letzten Zeile) müssen bestimmt sein und beiderseitig erkannt werden, damit sich das Bild korrekt auf ‌baut: »Das Imaginäre der Gestalt­ erkennung, auf die ja bei Nipkows Bildtelefon alles ankam, hätte schweren Schaden genommen«177, resümiert Friedrich Kittler diese frühen Bemühungen. Das Fernsehen spielte sich von Nipkow bis nach dem Ersten Weltkrieg lediglich im Feld der modellhaf‌ten Imagination ab, weil die technischen Qualitäten der erkannten und benötigten Komponenten nicht ausreichten, um diese Modellvorstellungen zu realisieren. Erst die völlig anders gedachte Röhrentechnologie Zworykins und von Ardennes ermöglichte das Wiederaufgreifen der Idee des Fernsehens.178 Kittler beschreibt auch, warum der Ausweg der schon früher verfügbaren Röhrentechnik zunächst verbaut war: Als Alan Archi­ bald Swinton-Campbell 1908 vorschlug, die Braunsche Kathoden­ strahl-­Röhre von 1897 »sowohl auf Senderseite wie auf Empfängerseite eines revolutionären Fernsehenssystem einzusetzen«, scheiterte dieses spätere Erfolgsmodell noch lange Zeit u. a. an den geringen Kanalkapazitäten. »Deshalb blieb man in den zwanziger Jahren bei mechanischen Nipkowscheiben«179. Am 8. Februar 1928 gelang es John Logie Baird mit der mechanischen Technik und drahtlos ein statisches Bild seiner alten »unvermeidlichen Bauchrednerpuppe«180 ( Abb. 10) von London aus über den Atlantik nach Hartsdale / N. Y. zu übersenden. Die Puppe war auch deshalb unvermeidlich, weil das mechanische System so viel Licht benötigte, dass jeder Mensch in der Hitze vor der Kamera Schaden genommen hätte. In Deutschland konzentrierten sich die Tüfteleien weiterhin auf Nipkows Scheibe und auf Berlin, obwohl Manfred von Ardenne am 24. Dezember 1930 das erste vollelektronische Fernsehbild in Europa vorstellte.181 Zuvor hatte Zworykin – schon in den USA –, gleichzeitig mit seinem Konkurrenten Philo Taylor Farnsworth, die Grundlagen für diese Lösung gelegt. Einem anderen Fernsehpionier, Dénes von Mihály, war es gelungen, »über zwei TelefonSzenische Kompetenz und direkte Bewegtbildübertragung

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leitungen von seinem Studio in der Hildegardstraße in Wilmersdorf zu dem 2,5 Kilometer entfernten Privathaus seines Mäzens Kressmann in der Hardenbergstraße«182 Bilder zu senden. Die Reichspost kauf‌te ihm 1929 einen 30-Zeilen-Filmabtaster ab und installierte diesen im Maschinenkeller des Berliner Rundfunksenders Witzleben zu Füßen des Funkturms im neu eingerichteten Fernsehlaboratorium. Von diesem Ort aus wurden ab 1929 regelmäßig Testfilme gesendet, seit September 1929 sogar täglich. Zu Beginn nutzte man Frequenzen des Radios, was bedeutete, daß während sendefreier Zeiten (9–10 und 13:05–13:25 Uhr) von Ton auf Bild umgeschaltet wurde. Nachdem 1928 das erste Mal auf der Funkausstellung in Berlin Fernsehen der Öffentlichkeit, wenn auch nur briefmarkengroß, präsentiert worden war, kam bereits 1929 ein Bausatz auf den Markt, der sogar abwechselnd Ton und Bild empfangen konnte.183

Daran wird deutlich, dass es mit dem Beginn des mechanischen Fernsehens ebenfalls um die Einführung eines massentauglichen Konsum­ artikels ging, da auch in England Bairds Televisor unter genau diesen Aspekten zur gleichen Zeit getestet und eingeführt wurde. Ende des Jahres 1929 produzierte die Reichspost eine die männliche Bastlerwelt wohl ansprechende Test-Filmsequenz mit zwei jungen Damen mit Bubikopf, die in »den kommenden Monaten und Jahren als Schleife immer wieder über die verschiedenen mit Fernseh-Bildsig­ nalen modulierten Berliner Sender ging«184, die aber als Demonstration einer Übertragungsleistung von Bewegtbild und Ton nur bedingt funktional war. Der andere Testfilm – Schiffseinfahrt in einen Kanal – ist nicht weniger sprechend. Die beiden Damen aus dem Strip Wochenende, Schura von Finkelstein und Imogen Orkutt, sahen – wie ihre für Kontrasteffekte geweißten Gesichter – ein wenig unbewegt aus.185 Einige Jahre später, am 22. März 1935, startete wiederum in Berlin, »aus einem winzigen, völlig abgedunkelten Studio aus der Rognitzstraße Nr. 8 in Berlin Charlottenburg das erste reguläre Fernseh-

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programm der Welt montags, mittwochs und samstags von 20.30 bis 22.00 Uhr«.186 Erst ab 1936 wurde die Fernsehtechnik zu ausgeklügelten Propa­ gan­ dazwecken wie der Übertragung der nationalsozialistischen Olympiade in Berlin genutzt. Hierbei wurde allerdings auch deutlich, dass die Manipulierbarkeit von Live-Bildern im Hinblick auf Propa­ gan­dawirkung problematisch ist. Die Live-Übertragung im Ü-Wagen brachte zwar eine Verzögerung von mehreren Minuten mit sich, dennoch war die technische Möglichkeit manipulativer Schnitte aufgrund der senderseitig recht umständlich zu handhabenden Technik kaum gegeben. Alle Versuche, mechanische Bildabtaster von hinreichender Präzision und Schnelligkeit zu entwickeln, wurden schließlich 1938 eingestellt.187 Nur als Filmabtastungstechnologie, als teure Präzisionstechnik im Funkhaus, fand die Nipkow-Scheibe noch einige Zeit Verwendung. Mit Kriegsausbruch wurde die militärische Verwendung des Fernsehens forciert. Die unterschwellig vorhandene feindselige Ebene der Television kam hier in der Form perfektio­nierter Fernsteuerung zum Tragen. Den Raketen wurde ein Fernsehauge eingesetzt. Das Fernsehbild diente nun der Steuerung von Lenkwaffen. In Großbritannien wurde es direkt auf die lichtimpuls- und bildschirmgestützte Radartechnik des Militärs beschränkt, die bis auf Weiteres das sofortige Ende einer zivilen Nutzung bedeutete.188 Das reichsdeutsche Fernsehen sendete gleichzeitig (in Lazaretten, Postämtern und anderen Behörden) »bis zur Zerbombung fast aller deutschen Sender« 189 Unterhaltung. So bleibt es dabei: Das Fernsehen fiel als Bewegtbildmedium nach seiner prinzipiellen Erfindung in einen langen Dornröschenschlaf – gemessen an seinen theoretischen Möglichkeiten. Der Erfinder, Paul Nipkow, ging auf Nummer sicher und als Signaltechniker zur Eisenbahn. Nipkow überlebte aber als Protagonist einer kanonischen Szene der Erfindung des Fernsehens: Er sitzt am Weihnachtsabend des Jahres 1883 einsam in einem Berliner Hinterhaus und starrt – im Scheine einer Petroleumlampe – auf den illuminierten Weihnachtsbaum einer Familie im Vorderhaus. Wie könnte ihn bloß ein Bild der

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eigenen, um den Baum versammelten Familie im pommerschen Lauenburg erreichen? Nipkows Blick fällt auf die regelmäßigen Zeilen gleichgroßer Steinchen eines an der gegenüberliegenden Wand hängenden Mosaiks. Wenn ihm jemand die Positionen solcher Steinchen aus einem weit entfernten Zimmer durchgeben würde, könnte er das Bild vor seinen Augen mit einer ausreichenden Menge von Steinchen identisch zusammensetzen. Die prinzipielle Lösung schien gefunden. Soweit die Auf‌taktszene. Und jetzt die Schlussszene: Gegen Ende seines Lebens ist Nipkow ein verbitterter und verspätet geehrter Mann. Sein Patent musste er nach einem Jahr verfallen lassen, da er über Mittel für die fällige Gebühr nicht verfügte. Als er schließlich 1928 die Funkausstellung besuchte, sah er andere mit ›seiner Erfindung‹ reüssieren. Trotz Ehrendoktor, Ehrensold und nach ihm benannter Sendestation, hatte Nipkow sich mit seiner Erfindung nicht ausgesöhnt. Viel nationaler Erfinderheroismus schwingt in der folgenden Genre-Szene mit: Und Paul Nipkow? Er lebte weiterhin in sehr bescheidenen Verhältnissen. Ein Greis, den ein Leben harter Arbeit und Pflichterfüllung hart gemacht hat. Sein Erfolg war ihm Freude und Qual zugleich – denn er kam ein Menschenleben zu spät. Ab und zu fuhr Paul Nipkow hinaus in den Westen Berlins. Dorthin, wo der Funkturm steht. Dort in der Rognitzstraße stand auch ›sein‹ Sender.190

Technisch ist die Erklärung einfacher: All das geschah nur, weil die szenische Kompetenz des späteren Massenmediums Fernsehen aufgrund der mechanischen Trägheit der Nipkowscheibe auf dieser Basis nicht weiterentwickelt werden konnte: »Anderen ging es nicht besser als dem Patentinhaber. Mit Nipkow’schen Scheiben ist so gut wie keine Echtzeitverarbeitung bewegter Bilder gelungen.«191 Nur jene andere technische Erfindung, die modifizierte Braunsche Röhre als Bildabtaster, verhalf dem Fernsehen zu ausgereif‌teren szenischen Fähigkeiten – und damit langfristig zum Durchbruch. Fähigkeiten übrigens, die der Kinematograf dann schon längst hatte.

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Am Meeresstrand mit Grabbe und Strindberg Aber es fehlt ja noch die zweite Geschichte, um aus ihr die aufschlussreiche Szene über die Szene zu komplettieren. Sie handelt von einem zunehmend an den technischen Beschränkungen seines Mediums, der Theaterbühne, verzweifelnden Dramatiker namens August Strindberg – und steht in einer anderen berühmten Mediengeschichte. Wir müssen uns für diese, aus wissenschaftlichen Büchern arrangierte Szene vorstellen, dass Nipkow/Dornröschen und Strindberg auf je einer Hälf‌te der Bühne – nur getrennt und füreinander unsichtbar durch einen zerbrechlichen Paravent – vom Publikum aus zu sehen sind: Nipkow scheint versunken über den lohnenderen Problemstellungen der mechanischen Signaltechnik an einem mächtigen Schreibtisch (in seinem Rücken an einer Wand vielleicht die vergilbte Patenturkunde), Strindberg hingegen sucht händeringend nach einer technischen Lösung für seine dramaturgischen Neuerungen. Der Hintergrund aber ist folgender: Schon das Theater des 19. Jahrhunderts hatte das szenische Potenzial der Bühnenmaschinerie mehrfach bewusst an ihre Grenzen geführt. Christian Dietrich Grabbe etwa eröffnete seinen Erstling Herzog Theodor von Gothland von 1822 mit einer grandiosen Szene Am Meeresstrand, die nur noch mühsam mit dem antiken Konzept der Mauerschau abzufangen war: Er ließ ganz einfach »die finnische Flotte« unter dem Oberkommando – der Text will es eben so – eines ›Negers‹ am Ostseestrand anlanden: (Erster Akt. Erste Scene). BIÖRN. / Was gibt’s / Am Ostseestrand? / SOLDAT. / Der Finne landet! / BIÖRN. Landet? / Hoho, hörst du das sturmgeschlagne Meer / An jenen Felsenufern branden? / Den möcht ich sehn, der jetzo wagt zu landen! / SOLDAT. / Der Finne wagts! Blickt nordwärts! / BIÖRN. Ja, fürwahr! / Dort steu’rt die Finnenflotte! – ha, sie scheitert! / Der Wind treibt sie zur Küste! ihre Masten, / Die sturmzerfetzten Segel schwingend, wanken / Hoch zwischen Meer und Himmel! […] BJÖRN. / Was war das? / SOLDAT./ Die Finnenfeldherren commandiren!/ […] BJÖRN. / Ist / Das nicht der Ruf des blutbefleckten Negers?192 Szenische Kompetenz und direkte Bewegtbildübertragung

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Grabbes Stück – wen wundert’s – wurde zu seinen Lebzeiten niemals aufgeführt. Erst 1896 erschloss die stählerne Drehbühne dem Theater eine neue Dynamik des Szenenwechsels.193 Der Einsatz projizierter Filmstreifen ist 1919 am Staatstheater Berlin zu verzeichnen. Der berühmtere Strindberg hingegen thematisierte schon in der Vorbemerkung seines späten Traumspiels von 1902 auch die von ihm über jede Möglichkeit der Bühnenmaschinerie weit hinausgetriebenen Szenen. Im Entstehungsjahr von Georges Méliès’ sechszehnminütiger filmischer Reise zum Mond war auch dem letzten Leser Strindbergs klar, dass schlicht die Grenzen der Theater-Apparatur erreicht waren: Der Verfasser hat in diesem Traumspiel versucht, die unzusammenhängende, aber scheinbar logische Form des Traums nachzubilden. Die Gesetze von Raum und Zeit sind aufgehoben; die Wirklichkeit steuert nur eine geringfügige Grundlage bei, auf der die Phantasie weiter schafft und Muster webt: ein Gemisch von Erinnerungen, Erlebnissen, freien Erfindungen, Ungereimtheiten und Improvisationen. Personen spalten sich, verdoppeln sich, vertreten einander, gehen in Luft auf, verdichten sich, zerfließen, treten wieder zusammen.194

Max Reinhardt inszenierte Strindbergs Stücke in Berlin seit 1901 in seinem Kleinen Theater und – erfolgreicher – ab 1912 im Deutschen Theater. Populär wurden diese Stücke aber bezeichnenderweise erst, nachdem etwa Rausch 1917 von Ernst Lubitsch mit Asta Nielsen in der Hauptrolle verfilmt wurde.195 Auch Reinhardt erarbeitete zwischen 1910 und 1914 bzw. 1935 Theaterstoffe mit dem Film und für den Film. Fügen wir also nun die beiden Stories endgültig zu einer Szene zusammen, indem wir erneut die wissenschaftliche Quelle dieser zweiten Geschichte aufdecken – und damit auch den Paravent zwischen Nipkow und Strindberg entfernen: Dass die Apparatur für Strindberg als Fernsehen und als Kinematograf bereit lag, ist nämlich eine der vielen Pointen aus Raymond Williams’ Studie Television. Technology and Cultural Form von 1974. Williams braucht nur wenige Zeilen für die conclusio, auf die es ankommt:

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Eines der besten Beispiele für die komplexen Beziehungen zwischen neuen Formen der Erfahrung und neuen Medientechniken ist die Tatsache, dass Strindberg in demselben Jahrzehnt mit bewegten dramatischen Bühnenbildern experimentierte, in dem auch – in gänzlich anderer Umgebung – die Filmpioniere die technischen Mittel entdeckten, die diese Art dramatischer Bildwerke möglich machen würden – bis sie am Ende sogar eine Selbstverständlichkeit waren.196

Die Szene war tatsächlich um 1900 auf dem Sprung aus der Umgebung des Theaters, der Oper, des Dioramas oder des Fortsetzungsromans in die neue Umgebung des Kinos. Warum es zunächst nicht das Fernsehen war, haben wir gesehen. Es hing nicht nur mit Nipkows späterem Desinteresse am Fernsehen zusammen, dessen Patent er vor allem aus finanziellen Gründen nicht halten konnte, sondern auch noch mit jenem gleichgearteten Desinteresse Ferdinand Brauns an der Funktion der von ihm 1897 erfundenen Röhre als einer zentralen technischen Komponente der Bewegtbildübertragung. Beide waren weder Unternehmer noch Unterhalter. Doch der Fernseher hatte nach dem Zweiten Weltkrieg gegenüber dem Kino schnell aufgeholt. Es konnte nun aus einer kriegsbedingt massiv fortgeschrittenen Radartechno­logie wieder in eine zivile Unterhaltungsmaschinerie zurückverwandelt werden. In den Vereinigten Staaten von Amerika ist das Fernsehen als network bis heute das Synonym für umfassende technische Infrastrukturen schlechthin.197 Als komplexe serielle Erzählinstanz hat es im Zeitalter von The Wire, den Sopranos, Lost, Homeland, Game of Thrones oder Breaking Bad dem Kino zeitweise den Rang abgelaufen. August Strindbergs Ein Traumspiel wurde endlich 1959 für das deutsche Fernsehen und 1963, von Ingmar Bergmann, für das schwedische Fernsehen verfilmt. Dies war genau die Zeitspanne, in der das Fernsehen mittels Eurovision bzw. mittels des Nachrichtensatelliten Telstar weltumspannend, in jedes Wohnzimmer und in guter (Schwarzweiß-) Bildqualität endlos Szenen von Krönungsfeierlichkeiten oder gefeierten Kosmonauten für alle zu senden begann.198 Die Gesetze von Raum und Zeit schienen tatsächlich aufgehoben. Die Zeit der technischen Kritik des Fernsehens als Flimmerkiste ging zu Ende. Szenische Kompetenz und direkte Bewegtbildübertragung

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7. Einfahrende Züge. Die kinematografische Urszene Auf‌tritte und Abgänge: Szene und Raum In der Tragödie sind die Szenen von Auf- und Abtritten begrenzt, sie realisieren bühnentechnisch vorläufige Ein- und Ausgänge im Stück. Die Szene in ihrer reduziertesten Ansicht ist – ich befrage ein älteres Wörterbuch – eine »Unterabtheilung der Handlung, des Acts, Actus eines Schauspiels, in welchem sich was verändert, jemand auf‌tritt«199. Daran lässt sich unmittelbar die Frage anschließen, ob nur »das Geschehen zwischen zwei ›Auf‌tritten‹ sprechender Akteure oder alles, was durch ein gleichbleibendes ›Bild‹ des Schauplatzes zusammengehalten wird«200, als Szene gilt. Es scheint sich zunächst um eine relativ abstrakte technische Frage zu handeln. Zu beantworten ist sie aber nur historisch, erst mit einem Blick in die Begriffsgeschichten von ›Bild‹ und ›Gemälde‹ im theatralen Kontext, die ein anderes Lexikon überzeugend anführt: Um 1800 etabliert sich in der deutschen Dramatik der Ausdruck ›Bild‹ als Alternativbezeichnung für eine Szene im Sinne einer unveränderlichen Bühnendekoration. Dadurch wird deutlich, dass der visuelle Gesamteindruck an die Stelle der Personenkonfiguration als Gliederungskriterium tritt.201

Natürlich sind beide Komponenten – Bühnenbild und Personenkon­ stellation – ineinander verschränkt. Doch auch die weniger visuelle, an der wechselnden Personenkonstellation orientierte Ansicht der Szene generiert ihre eigenen Deutungsspielräume. Der Bühnenraum als auf‌führungstechnisches Setting ist immer schon symbolisch so stark codiert, dass beispielsweise die Anzahl, bzw. das Wie und das Wo der Auf‌tritte und Abgänge, über den Inhalt und die Tendenz des Stücks zu gebieten scheinen. Einen seltsamen, in diese Richtung weisenden Reformvorschlag für das Theaterwesen unterbreitete der seit dem Winter 1918 an der Universität Leipzig lehrende, 98

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niederländisch-deutsche Archäologe, Kunsthistoriker, Volkskundler und Komparatist André Jolles. Sein Vorschlag zur Einführung von »Volks- oder Gemeinschaftsbühnen« – in einem Buch über Schillers Wilhelm Tell – basiert ganz auf der Annahme einer vorrangigen, raumtechnisch-symbolischen Logik der Szene gegenüber der vordergründigen Bühnenbildlichkeit ( Abb. 11): Der ideale Raum, den die Bühne darstellen soll, ist durch eine Wand und ein Tor in allen seinen konkreten und abstrakten Dimensionen begrenzt. Das einzig Brauchbare in einem modernen Theater ist das Tor, das Anfang und Ende bedeutet: der Vorhang – und auch dieser ist meistens verdorben und im Grunde entbehrlich. Ein einziges Tor bedeutet ein Schicksal, einen Zustand. Man füge ein zweites hinzu, und das Neue ist gekommen: die Handlung. Der Gegensatz der Aus- und Eingänge erweckt in unserem Innern die Erwartung eines Geschehens. Das Ganze, das wir Drama nennen, läßt sich durch die Mehrzahl der Aus- und Eingänge andeuten. Nun fügen wir ein drittes Tor hinzu. Aus der Handlung wird Verwicklung. Zwei dramatische Fäden lassen sich nur umeinander drehen, aus dreien bildet sich ein Geflecht. Zu dem Gegensatz gesellt sich die Möglichkeit des Ausgleichs und des Gleichgewichts.203

Woher aber rührt diese Betonung der Auf- und Abtritte, genauer: der Durchgänge und Schwellen?204 Vor welchem Hintergrund und nach welchem Maßstab unterbreitet Jolles diese Vorschläge für eine neue Gemeinschaftsbühne? Das wird erst gegen Ende der kleinen Schrift deutlicher: Das 15. Jahrhundert suchte die malerische Darstellung des Raumes und fand die Perspektive – das 19. Jahrhundert suchte die malerische Darstellung der Zeit in der Bewegung und fand den Kientopp!205

Aus dieser merkwürdigen Einlassung zur Mediengeschichte eines akademischen Theaterreformers in spe ist etwas sehr Allgemeines zu lernen: Was eine Szene zu ihrer Zeit jeweils ist oder sein kann – ein Die kinematografische Urszene

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Gemälde, eine Bewegung, eine Raumflucht, eine personelle Konstellation – hängt entscheidend von den technischen Standards desjenigen Mediums ab, in oder vor dem wir uns gerade befinden und vor allem von der medialen Konkurrenzsituation und Umgebung, in der dieses Medium technisch zu wirken gezwungen war oder ist. Konkret: Als der französische Fotograf Roger Pic eine Auf‌führung von Brechts Mutter Courage in Paris 1957 mit lauter Szenenfotos dokumentierte und diese Fotos in einem eigenen Band veröffentlicht wurden, schrieb Roland Barthes 1960 einen ausführlichen Kommentar zu dieser Unternehmung. Faktisch geht es hier um die Neubestimmung der Szene im medialen Konkurrenzfeld von Literaturkritik, Tableaux vivants, den lebenden Bildern des 19. Jahrhunderts206, Fotografie und Theater – nicht um eine gültige Definition der Theaterszene. Das Ergebnis verschränkt gewissermaßen die Phänomenologie von Bühne, Malerei und Fotografie und gewinnt so ein neues Konzept der Szene. Dabei geht es auch um die Frage, welches Medium zur angemessenen Repräsentation der Szene am geeignet­ sten ist, welches Medium die Substanz der Szene am besten hervorbringt. Der Kritiker schließlich weist den Künsten und Medien ihre Rangfolge, aber auch ihren Platz in der Geschichte zu: Das Brechtsche Bild ist beinahe ein lebendes Bild; wie die narrative Malerei präsentiert es eine Geste, die in der Schwebe verharrt und virtuell im fragilsten und intensivsten Moment ihrer Bedeutung verewigt wird (das könnte man als ihr ›numen‹ bezeichnen unter Bezugnahme auf diese antike Geste, mit der die Götter ihre Zustimmung bekundeten oder ein Los verweigerten). In dem Maß, in dem die Photographien von Pic das Stück als eine Abfolge von Gemälden offenbaren, erzeugen sie eine ebenso große Erkenntnis wie die Malerei.207

Gaslight Die Erfindungen und Impulse aber, die schließlich zur Vollform des Kinos als einer tönenden mechanischen Bewegtbildprojektion auf eine Leinwand vor einem im Dunkeln sitzenden Publikum führten, 100

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sind weder vollständig zu versammeln, noch in eine plausible kausale Abfolge zu bringen: Guckkastenbühne, Laterna Magica, Fotografie, Daumenkino oder Diorama gehören auf jeden Fall dazu. Aber auch Verstärkerröhren und Heeresfunktechnik aus dem Ersten Weltkrieg spielen als Konkurrenzerfindung eine Rolle.208 Ganz unzweideutig handelt es sich beim Kino aber auch um ein neues Lichtregime (P. Virilio). Es verdankt seine entscheidenden Fortschritte der Bühnenbeleuchtungstechnik – von Wachskerzen über Gasbeleuchtung in London (1822) zum elektrischen Strom in Brünn (1883).209 Mit diesem Regime wurde das Publikum – unabhängig von Rang und Namen – in eine alle umhüllende Dunkelheit versenkt. Aber das war nicht alles: Das künstliche Licht veränderte den Stellenwert der Inszenierung als solche. Es gibt nun, schreibt Jacques Rancière, eine Tendenz, »dem Licht die Macht des Dramas, das es erhellte, zu übertragen«210. Die Inszenierung wandelt sich von einer höheren Kunst der Requisite zu einer Deutung des Stücks oder des Textes: »Die Stimmen der Seele haben keine Ästhetenbehausungen als Schauplatz, sondern sie lassen sich in der Stille der Türen und Fenster und in der feinen Stimme des Lichts eines beliebigen Zimmers vernehmen.«211 Friedrich Kittler sieht schon das von Richard Wagner konzipierte Festspielhaus in Bayreuth als den entscheidenden Einschnitt an, der das Filmerlebnis als räumliches und beleuchtungstechnisches Arrangement präfigurierte: Kurz und bündig gilt, daß Wagners Neugründung Bayreuth den Über­ gang von traditioneller Kunst zur Medientechnologie wahrhaft vollzogen hat. Ich verweise nur auf die vielen Regieanweisungen, die im Ring für filmisch gleitende Szenenübergänge und am Ende der ganzen Tetralogie für den Brand der ganzen theatralischen Götterburg Walhall. Neben solchen Einfärbungen von Szenen durch Scheinwerfer gab es in Bayreuth schon bei der Urauf‌führung 1876 auch eine virtuelle Automobilität: Die neuen Walküren ritten nur im Libretto auf altmodisch-urgermanischen Pferden, in technischer Positivität dagegen projizierte eine bewegliche Laterna magica automobile Phantome von Walküren auf die hintere Kulisse. So steigerte Die kinematografische Urszene

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sich in den Hallu­zi­nationsszenen die erst durch Gaslicht gegebene Aussteuerbarkeit des Theaterlichts zur Aussteuerbarkeit der Laterna-­ magica-Effekte.212

Intermediale Modularisierung und antikisierendes Volkstheater Das Theater versuchte sich in der Konkurrenz mit dem Kino neu zu erfinden. Vsevolod E. Mejerchold nannte eine kleine Theaterneugründung einfach das Intermedienhaus. Es hatte nur eine Saison lang (1910 bis 1911) Bestand. Im Intermedienhaus wurde »die Rampe abgerissen und Stufen errichtet, die von der Bühne in den Zuschauerraum hinabführten; die Schauspieler traten durch den Zuschauerraum auf und ab.«213 Die erste Projektion von Bildern und Filmstreifen in einer Theaterauf‌führung erlebte Deutschland 1919 in einer Inszenierung des Wilhelm Tell von Leopold Jessner am Staatlichen Schauspielhaus Berlin.214 Alfons Pacquets Revolutions-Stück Sturmflut ( Abb. 12) wurde 1926 von Erwin Piscator an der Berliner Volksbühne unter konsequentem Einsatz von filmischem Material inszeniert.215 Walter Gropius und Erwin Piscator entwarfen 1927 – ganz im europäischen Trend – ein Total-Theater, das »wie eine Maschine«216 funktionieren sollte. Bei all dem handelte es sich aber nicht einfach um eine Art Friedensschluss konkurrierender Medien, nicht um eine Art offizielle Intermedialität von Theater und Kino. Was sich hier etabliert, hat seine Vorgeschichte in dem neuen Lichtregime seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Es machte die Materialität der Bühne, ihr inszenatorisches Potenzial, zum elementaren Bestandteil der Deutung und Aneignung des Stoffs, wie Jacques Rancière gezeigt hat: Das neue Drama hat immer mehr die Tendenz, seine sinnliche Wirklichkeit mit der materiellen Wirklichkeit zu verschmelzen; dem Licht die Macht des Dramas, das es erhellte, zu übertragen; und der Anordnung der Türen und Fenster die dramatische Intensität zu verleihen, die einst den Figuren anvertraut war, die sie öffneten, um Botschaf‌ten von außen zu bringen.217

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Auch im Anschluss an solche neuen Möglichkeiten der Ausleuchtung durch Elektrifizierung ergeben sich neue Auf‌führungs- und Ausstattungsprinzipien, neue Theorien des Theatralen, neue Funktionen der Szene. André Jolles’ nur scheinbar antikisch reduziertes Volkstheater ist tatsächlich auch ein weiterer Schritt in Richtung Modularisierung des Theaterraumes und des Theatergeschehens im Zeichen des Szenischen. Brecht wird sie schließlich als »mobile und offene Handlung«218 (und mit anderer Programmatik) konsequent umsetzen. Vor der volks­­tümelnden Neo-Antike von André Jolles und vor Bert Brechts ›Straßenszene‹ liegt das ›Theater ohne Fluchtpunkt‹ (G. Brandstetter) von Adolphe Appia auf den Bühnen von Hellerau bei Dresden. Die neue Aussteuerbarkeit des Theaterlichts hatte der Genfer Architekt und Bühnenbildner Appia, inspiriert von einer Parsifal-­Auf‌führung 1882 in Bayreuth, seit 1895 zusammen mit Hugo Bähr in Dresden endgültig durchdacht und in theoretischen Schrif‌ten formuliert.219 In Hellerau, dessen Häuser auf die geometrische Neo-Klassik des Albert Speer-Lehrers Heinrich Tessenow zurückgehen, betrieb Appia seine szenische Modularisierung des Theaters zwischen 1911 und 1914 konsequent weiter. Indem er die gemalte Theaterkulisse perspektivischer Bühnen zu szenischen Elementen eines von diesem Blickregime emanzipierten geometrischen Theaterraums umformte, nahm die Modularisierung Gestalt an.220 Die Auseinandersetzung des Schweizers Adolphe Appia mit dem Werk Richard Wagners und der Idee des Gesamtkunstwerks wurde entscheidend befördert durch seine Freundschaft mit dem britisch-­ deutschen Antisemiten und Kulturtheoretiker Houston Stewart Chamberlain. Dieser verschaff‌te ihm – wie später auch Jakob von Uexküll – einen exklusiven Zugang zu Wagners Werk. Betrachtet man Tes­ senows und Jolles’ dezidiert volkstümliche und antiurbane Neoklas­sik, und nimmt dann noch die Auskunft hinzu, dass der Nieder­länder Jolles gegen Ende des Zweiten Weltkriegs an einer Auf­‌tragsstudie zur Geschichte und Symbolik des Freimaurerordens im 18. Jahr­hundert für den Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers-SS arbeitete, ahnt man, welchen Komplikationen in diesem Feld die naive Gewinnung eines Begriffs von Moderne oder Modernität noch ausgesetzt sein sollte. Die kinematografische Urszene

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Shifter II: Durchdringung und Durchlässigkeit bei Roman, Theater und Film Eine in der Luft liegende gesteigerte Durchlässigkeit medialer Welten für die gegenseitige szenische Durchdringung kann langfristig immer nur eine neue Maschine, eine Neuorganisation der technischen Distribution des Szenischen leisten. Die Romanmaschine liefert dieser neuen Maschine schließlich zunächst den Stoff: Es ist kein Zufall, wenn hinsichtlich struktureller und motivischer Eigenheiten zahlreiche Kontinuitätslinien sowohl von der dominierenden bürgerlichen als auch von der trivialen Literatur des 19. Jahrhunderts zum großen populären Erzählkino gezogen werden können.221

Das Theater, die Oper und der Zirkus liefern der neuen Maschine zunächst die grobe Form der Abspielstätte und die Abspieleinheit. Das ist im übrigen früh und vielfach bemerkt worden und bedarf mehr der erneuten Illustration als noch der grundlegenden Erläu­ terung oder des Beweises. 1895 tritt der szenische Apparat schlechthin – der Kinematograf – gleich an drei verschiedenen Orten der Welt auf den Plan.222 Das hat auch damit zu tun, dass das szenische Potenzial des 19. Jahrhunderts – noch ungleichmäßig aufgeteilt auf das Theater, die Oper, den Roman, die Panoramen, die Malerei, die Laterna-­Magica-Programme223 und die Fotografie – nun einem neuen technischen Aggregatzustand unauf‌haltsam zustrebt. Von der Gegenwart aus sieht es fast nach einem Prozess aus, der phasenweise auf erhöhte technische Konvergenz angelegt ist, um dann wieder in eine Phase der gerätetechnischen Differenzierung überzugehen. Das Medium des Films jedenfalls begann also auf recht unbeholfene Weise genau dort, wo es das Theater schon längst zu einiger Virtuosität gebracht hatte. Da verwundert es nicht, dass die ersten Filmabspielstätten ›Filmtheater‹ genannt wurden und anfänglich die Architektur des Theaters einfach wiederholten. Der Filmpionier Georges Méliès war Besitzer eines Varieté- und Magietheaters224, die ersten Schauspielergenerationen stammten meist aus der Welt des 104

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Theaters und hatten dort eine Schauspielausbildung genossen. Die gesamte Anlage und Natur des Stummfilms führten dazu, dass die Ausdrucks- und Körpersprache des Theaters häufig – in einer übersteigerten stummen Variante – auf den Film übertragen wurden.225 Georges Sadoul formuliert es so: Um aus dem Engpaß herauszukommen, mussten die Filmleute lernen, eine Geschichte zu erzählen, wobei sie die Mittel einer benachbarten Kunst anwandten: der Kunst des Theaters. Dies tat als erster Georges Méliès.226

Die Länge der Filme entsprach schnell in etwa der Länge von Theaterauf‌führungen (abgerechnet der Pausen) – bevor dann spezifische technisch-apparative Parameter den Spielfilm auf ca. 90 Minuten fest­legten.227 Was sprach also dagegen, auch die Zeit-, Raum- und Bedeutungseinheiten der Theaterwelt zu übernehmen? Bevor man aber die Künstlichkeit der Filmszene hervorhebt, sollte man zunächst an die enorme Künstlichkeit der Theaterszene und die stillen Übereinkünf‌te unter den Zuschauern erinnern: Mit dem Besuch einer modernen Auf‌ führung eines Shakespeare-­ Stücks zum Beispiel akzeptieren die Zuschauer fraglos die Gewohnheit, derzufolge eine Proszenium- oder Guckkastenbühne mit drei Wänden (oder wenn es eine Rundbühne ist, ganz ohne Wände) einen Raum mit vier Wänden darstellt. Es akzeptiert auch die Gewohnheit der in Versen statt in Prosa sprechenden Akteure und diejenige, dass die Akteure ihre intimen Gedanken als Selbstgespräche und als Beiseite­sprechen äußern, genauso wie sie die Gewohnheit akzeptieren, dass die Handlung – dargeboten in weniger als drei Stunden auf ein und derselben Bühne – Ereignisse darstellt, die sich an vielen verschiedenen Orten abspielen und über einen Zeitraum von vielen Jahren erstrecken.228

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Schnitte Die Filmwissenschaft hat die Unterteilungen dieser künstlichen Welt des Theaters aus Rezeptionsübereinkünf‌ten und Kulissenzauber weitgehend übernommen. Der Schnitt allerdings ist eine radikale technische Weiterentwicklung des blitzartig herabstürzenden Vorhangs, hinter dem die Kulissen dann – als Drehprismen oder Drehbühne beispielsweise – schon recht schnell wechseln konnten. Es waren erst die Schnitte durch sequenziertes fotografisches Material, die die Verhältnisse radikal geändert haben. Mit der Möglichkeit, eine zweite filmische Haut von den Dingen und Menschen abzunehmen229, wurden im 20. Jahrhundert rasante Bühnenbild- oder Kulissenwechsel mittels geschnittener, projizierter, laufender Bilder auf einer Leinwand alltäglich. Deren Dynamik konnten weder die bloß rhetorisch aktivierten Vorstellungs- und Assoziationskräf‌te der Zuschauer vor einer frühneuzeitlichen Plattformbühne je erreichen, noch die modernsten Drehbühnen um 1900 in München oder Berlin.230 Das Kino war so gesehen auch eine »radikale Desorganisation«231 der szenischen Ordnungen. Der Film darf in noch viel höherem Maße die Übereinkunft voraussetzen, dass das Publikum die mit Schnitten aneinandergefügten Orte der Handlung in seiner Vorstellung in der simulierten Abfolge belässt und als verschiedene, aber geordnet und absichtsvoll so aufeinander folgende Orte einer Gesamthandlung versteht. Bekanntlich können aber aufgefundene Dokumentarszenen, nachgedrehte Spiel­ szenen usw. in den Film geschnitten werden, so dass die zeitliche und räumliche Abfolge, die der Film vorgibt, eine bis ins Irreale gesteigerte Leistungsschau des Mediums ist. Diese Abfolge entspricht dann keiner realen Chronologie oder Ordnung von Elementen des Films in der außerfilmischen Welt mehr. Das ist zwar ein Effekt, mit dem das Erzählen generell arbeiten kann, es ist aber auch ein spezieller Unterschied zwischen Theater und Film, auf den Susan Sontag in ihrem klassischen Essay von 1966 schnell zu sprechen kommt:

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Gewiß, Filme sind Bilder (gewöhnlich Photographien), die sich bewegen. Aber der spezifische Kern des Films ist nicht das Bild, sondern das Prinzip, nach dem die einzelnen Bilder miteinander verknüpft sind, die Beziehung, die zwischen einer ›Aufnahme‹ und der vorhergehenden bzw. nachfolgenden Aufnahme besteht. Das Theater ist allein auf einen logischen oder kontinuierlichen Raum angewiesen. Der Film hat (durch den Schnitt, das heißt durch den Wechsel der Einstellung, die die Grundeinheit des Filmauf ‌baus ist) die Möglichkeit einer alogischen oder diskontinuierlichen Verwendung des Raumes.232

Es soll aber nicht so aussehen, als wäre damit nur bewiesen, dass die Szene technisch noch einmal einen entscheidenden Sprung macht. Die Szene bleibt sich – trotz aller Sprünge – vielmehr in einer hier ebenfalls immer mit zu bedenkenden Weise treu.233

Eisenkoloss II In vielen populären Filmgeschichten kann man trotz gegenteiliger Forschungsergebnisse und Wahrscheinlichkeiten bis heute nachlesen, dass die Filmgeschichte 1895 mit Louis Lumière begann. Tatsächlich wurde der Film genauso wie die Fotografie oder der Rundfunk an verschiedenen Orten durch die systematische Kombination und Manipulation vorhandener Technologien von verschiedenen Personen gleichzeitig erfunden. Erst die teilweise nur Tage auseinanderliegende Anmeldung staatlicher Patente bringt eine scheinbar klarere Chronologie in die moderne Mediengeschichte. Die Erklärung dieses Tatbestands jenseits nationaler Inanspruchnahmen bahnbrechender Erfindungen hat viel mit dem Charakter der Szene zu tun. Das Buch vom Film etwa, das sich über sogenannte Buchclubs in den 1950er Jahren hunderttausendfach verkauf‌te, schildert diesen Beginn so wie fast alle anderen auch: Dies war wirklich etwas ganz Neues, etwas Ungeheures! Ununter­bro­ chen wechselten die Bilder. Jetzt sah man eine Szene mit Arbeitern, die eine Steinmauer abtrugen, darauf‌hin eine Ankunft eines Express­zuges Die kinematografische Urszene

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auf dem Bahnhof. Einige Damen schrien entsetzt auf, andere vor Begeisterung, als der Zug angebraust kam. Gleich darauf lächelte alles zufrieden über Auguste Lumière, der mit Frau und Kind im Garten frühstückte. Der zuletzt vorgeführte Sketch wurde mit großem Beifall aufgenommen: Ein anspruchsloses Situationsbild, das jedoch im Gegensatz zu den übrigen keine Augenblicksreportage darstellte, sondern mit Bedacht arrangiert war. Diese erste ›dramatische‹ Filmszene hieß ›Der begossene Rasensprenger‹ (L’arroseur arrosé, 1895).234

Das Buch vom Film erzählt die Anfänge so, dass beim Leser der Eindruck entsteht, ein Augenzeuge würde sie erzählen, der seinerzeit Film und Publikum gleichermaßen – von einem höheren Sitz aus – im Blick hatte. Das ist eine erzählerische Anordnung, die solche Filmgeschichten aus zeitgenössischen Berichten übernehmen und ihrerseits szenisch montieren – ohne den Nachweis eigens zu führen. Eine der Vorlagen für eine solche spezifische filmgeschichtliche Berichtsform lieferte Maxim Gorki in seinen Flüchtigen Notizen von 1896. Er beschreibt darin seine Eindrücke nach dem ersten Besuch einer Vorstellung des Lumièreschen Kinematografen in Nishnij Novgo­rod, indem er sich direkt an den Leser als potenziellen Zuschauer wendet: Die Kutschen aus dem Hintergrund fahren direkt auf Sie zu in die Dunkelheit, in der Sie sitzen. Menschen erscheinen irgendwo aus der Ferne und werden größer, wenn sie sich Ihnen nähern. Alles bewegt sich, lebt, brodelt, kommt in den Vordergrund des Bildes und verschwindet aus ihm irgendwohin. Doch plötzlich klickt etwas, alles verschwindet und auf der Leinwand erscheint ein Eisenbahnzug. Er rast wie ein Pfeil direkt auf Sie zu – Vorsicht! Es scheint, dass er direkt auf die Dunkelheit zustürzt, in der Sie sitzen, und aus Ihnen einen zerfetzten Sack aus Haut macht, angefüllt mit zerquetschtem Fleisch und zermahlenen Knochen, und dass er diesen Saal in Schutt und Asche verwandelt und dieses Haus zerstört, das voll ist von Wein, Weibern, Musik, Laster. Doch auch dies ist ein Eisenbahnzug aus lauter Schatten. Die Lokomotive verschwindet geräuschlos über den Rand des Bildes, der Zug hält an und graue Figuren steigen schweigend aus den 108

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Waggons, lautlos begrüßen sie sich, schweigend lachen sie, unhörbar gehen, laufen, hasten sie aufgeregt hin und her und verschwinden.235

Die Lokomotive steht offenbar schon sehr früh für eine filmgeschichtliche Urszene, in der das Publikum durch die angeblich panische Reaktion auf die Bilder eines in den Bahnhof einfahrenden Zuges zum Mitakteur wird. Die Szene beweise, so wird es viel später in der Filmwissenschaft heißen, wie sich der filmische Raum auf einzigartige Weise in den Raum des Zuschauers verlängere. Fortan wird der knochenzermalmende Eisenkoloss aus den Anfängen – direkt oder indirekt – in verschiedenen Disziplinen immer wieder seine Szene bekommen: Ob bei Walter Benjamin oder bei Siegfried Kracauer, ob bei Susan Sontag, Thomas Elsaesser oder bei Vivian Sobchack, immer wieder werden die »materiellen Elemente« der Illusionstechnik und die »materiellen Schichten des Menschen«236 (S. Kracauer) im ›Chock‹ (W. Benjamin) oder in der ›leiblichen Intersubjektivität‹ (V. Sobchak) so aufeinandertreffen, dass der Film eine Geburtsstunde hat: Kino begann in dem Moment, vor 100 Jahren, als der Zug in den Bahnhof einfuhr. Die Leute nahmen den Film so in sich auf wie das aufgeregt aufschreiende Publikum, sich tatsächlich duckend, als der Zug auf es zuzufahren schien.237

Martin Loiperdinger hat das alles detailliert widerlegt und eine genaue Genealogie dieser Szene geliefert.238 Die Panik-Legende folgte vielmehr einem frühen populärwissenschaftlichen Illustriertenbericht. Die Zugeinfahrten hat Lumière in drei verschiedenen Bahnhöfen gefilmt und die spezielle Einfahrt in La Ciotat gab es auch in drei Versionen. In der berühmtesten Version von 1897 hat Lumière offenbar diverse Mitglieder seiner Familie als Akteure vor der Kamera eingesetzt und dirigiert. Der Beginn der Filmgeschichte, der so immer wieder als Abfolge unzusammenhängender kürzester Szenen vorgestellt wird, lässt sich aber seinerseits offenbar wiederum nur szenisch schildern. Dass vor allem Lumières Szenen durch die Filmgeschichtsschreibung geistern, verwundert nicht. Für VerwunDie kinematografische Urszene

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derung sorgt eher ihre genauere Charakterisierung in den Filmgeschichten: In der erweiterten deutschsprachigen Ausgabe (der 1955 erschienenen vierten Auf‌lage) von Georges Sadouls berühmter Histoire de l’art du Cinéma des origines à nos jours wird im Falle Lumières vor allem betont, dass der Schöpfer des Cinématographe auf die Mittel des Theaters verzichtet: er inszenierte nicht, er verwendete niemals Schauspieler, seine Szenarien wurden von seinen Verwandten, seinen Angestellten oder seinen Freunden dargestellt.239

Auch mit Blick auf das Gemeinte, die berühmte Kaffee-Szene im Garten des Industriellen Lumière in Repas de bébé von 1895, bleibt Georges Sadouls Bemerkung zur gänzlichen Abwesenheit theatraler Elemente in der Frühgeschichte des Kinos irritierend: Die Filmgeschichte beginnt seiner Meinung nach unter konsequentem Verzicht auf die Mittel des Theaters – und produziert dennoch nur Szenen und kann offenbar auch nur szenisch geschildert werden. Es könnte aber sein, dass sich die Form der Szene bei Eintritt in ein neues, effektiveres Medium kurzzeitig stark naturalisiert und dann selbst wie eine physiologisch initiierte Wahrnehmung wirkt. Dann muss über die überlieferten technischen Voraussetzungen dieser neuen Medialität zunächst wieder aufgeklärt werden. Die Szene ist zeitweise ein so wahrnehmungsaffiner shifter zwischen den Medien, dass man sie mit der Wahrnehmung selbst zu verwechseln geneigt ist, wenn ihr Inhalt nur natürlich, dynamisch oder realistisch, in summa: lebendig genug ist.

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8. Von der Straßenszene zum Straßentheater Brechts Umweg: Vom Film zum Theater Brecht hatte ein feines Gespür für die Unzulänglichkeiten theoretischer Festlegungen und Klimata. Er setzte ganz auf die Qualitäten des Szenischen, als er Ende der 1920er Jahre damit begann, das Theater als politisch-pädagogische Anstalt und als Medium neu zu konzipieren. Seine intimen Kenntnisse des Films und der szenischen Arbeitsweise kamen ihm bei dieser Anstrengung zweifellos zugute. Brecht hatte bekanntermaßen gegen Ende der Weimarer Republik mehrere prominente Auf‌tritte im Zusammenhang mit dem Film: Er prozessierte gegen die Verfilmung seiner Dreigroschenoper durch Georg Wilhelm Pabst. Pabst hatte 1931 Brechts Stoff verfilmt, aber Brecht erkannte sein extra verfasstes Film-Drehbuch – Die Beule genannt – in dem Produkt nicht wieder. Er versuchte dann mit dem für die Weimarer Republik legendären Film Kuhle Wampe von Slatan Dudow von 1932 so etwas wie ein kreatives Filmproduktionskollektiv zu etablieren. Gleichzeitig setzte er sich publizistisch für den Scherenschnitttrickfilm Die Abenteuer des Prinzen Achmed von Lotte Reiniger ein. Dieser Film, den Lotte Reiniger mit ihrem Team, dem u. a. Walter Ruttmann angehörte, zwischen 1923 und 1926 herstellte, war der erste abendfüllende Trick- oder Animationsfilm der Filmgeschichte. Schließlich schuf Brecht – zusammen mit Karl Valentin – gegen Ende dieser so produktiven Periode den Groteskfilm Abenteuer in einem Frisiersalon.240 Doch interessanter scheint mir hier diejenige Phase, die in einem ganz anderen Exponat der Filmgeschichte ihren genialischen Abschluss fand: Zwischen 1921 und 1923 schrieben Bertolt Brecht und Arnolt Bronnen – getrennt oder gemeinsam – Drehbücher, besuchten Filmvorführungen und diskutierten den Film als neues Medium. Brecht, Sohn eines Augsburger Fabrikanten mit Neigung zum Proletariat, war schon in Augsburg fleißig ins Kino gegangen und hatte viel rezensiert. Mit 23 Jahren kam er 1921 nach Berlin, um seinen unbändigen Ehrgeiz zu befriedigen, erfolgreiche Theaterstü111

cke zu schreiben und diese gewinnbringend auf die Bühne zu bringen. Doch auch der Film forderte ihn sofort heraus, wie wir am folgenden Bericht sehen: 1921 hatte die Althoff-Ambos-Film-AG aus zwei mißglückten Filmen mit einer Hauptdarstellerin den Film ›Der Totenkopf‹ zusammengeschnitten, und zwar derart, daß die Hauptfigur Elga im Mittelteil erdolcht wird, im Schlußteil aber als Goldgräberin in Alaska auf‌taucht. Zweifellos aus Werbegründen wurde ein 50 000-Mark-Preisausschreiben angehängt. Gesucht wurden die besten Antworten auf die Frage: Wie kommt Elga lebendig nach Alaska? In der langen Gewinnerliste, die der Kinematograph am 5. März 1922 veröffentlichte, ist auch der ›stud. Med. Bert Brecht‹ zu finden. Seine Antwort wurde mit einem der fünfzig Trostpreise bedacht.241

Die erste Begegnung zwischen den so gegensätzlichen Charakteren Brecht und Bronnen fand in einer Berliner Villa statt: Unter lauter Bohemiens und Möchtegern-Bohemiens saß Bert Brecht, zupf‌te ein Lied auf seiner Gitarre und war schon hier der Mittelpunkt der Gesellschaft. Die beiden verabredeten sich noch am selben Abend und trafen sich wenig später in der Wohnung eines Freundes, wo Brecht untergeschlüpft war. Aus dieser zufälligen Begegnung entwickelte sich eine intensive Freundschaft, die den Film zum Mittelpunkt haben sollte, obwohl hier zwei Literaturehrgeizlinge erster Güte aufeinandertrafen: Brecht hatte die Trommeln in der Nacht am Start. Im Dickicht der Städte – das Stück, das in einem imaginären Chicago von einem mythischen Zweikampf zwischen Garga und Shlink berichtet – war ebenfalls auf dem Papier fertig. Bronnen befragte ihn zu diesem Stück: ›Was wolltest du sagen?‹ Brecht meinte: ›Den letzten Satz.‹ Der hieß: ›Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die beste Zeit.‹ Aber das Chaos war immer noch da. Selbst Chicago war noch da. Vielleicht einen Film schreiben, um dieses Chicago loszuwerden? Das schien Brecht auch eine Gelegenheit, Bronnen, der nach den ›Exzessen‹, nach der 112

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›Septembernovelle‹ in unproduktiver Flaute lag, in eine Zusammenarbeit einzuspannen.242

Brecht willigte ein, aber nicht, weil es sich um eine genial-verrückte, spontane Idee handelte, sondern weil beide den Film längst als schnelle und kollektive Kunst der Zukunft wahrnahmen. Unmittelbar nach dieser verrückten Idee outeten sich die beiden nämlich als Kinogänger auf dem neuesten internationalen Stand: Sie sahen damals, nach den unvollendeten deutschen Experimenten, nach dem ›Kabinett des Dr. Caligari‹, nach Paul Wegeners ›Golem‹, die ersten großen Amerikaner, ›Zwei Waisen im Sturm der Zeit‹, die ›Geburt einer Nation‹.243

Die beiden hatten etwas vor mit dem Film und fanden sich nach einem Osterspaziergang 1921 bei dem Publizisten Stephan Großmann im märkischen Dorf Geltow ein, der seinerseits Ernst Rowohlt zu Gast hatte und aufgrund seiner schwedischen Ehefrau auch die Elite des schwedischen Films. Dieser war gerade auf dem deutschen und dänischen Markt sehr erfolgreich – nicht nur wegen Asta Nielsen –, sondern vor allem auch, weil er vom kriegsbedingten Importverbot für ausländische Filme ausgenommen war.244 Henrik Galeen, ebenfalls Gast bei Großmann, hatte 1915 den Golem (nach Gustav Meyrink) geschrieben und gedreht. 1920 schrieb er das Drehbuch für Nosferatu. Der Schauspieler und Regisseur John Gottow war ebenfalls zugegen. Er hatte 1913 Das schwarze Los abgeliefert und im selben Jahr unter der Regie von Urban Gad im Studenten von Prag mitgespielt. Die Filme, um die es hier ging, kannten Brecht und Bronnen genau und man sieht sofort, wie intensiv sich die beiden vorbereitet hatten. Als Großmann hier ein gegenseitiges Interesse verspürte, nahm er, ehrliches Helfenwollen und gutmütige Korruption geschickt mischend, die beiden jungen Gäste geheimnisvoll bei Seite und eröffnete ihnen: der Filmregisseur und Produzent Richard Oswald werde demnächst, um Literatur wie Film zu fördern, in einem großen Preisausschreiben Von der Straßenszene zum Straßentheater

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100 000 Papiermark für das beste und modernste Film-Expose aussetzen. Er, Großmann, wäre in der Jury, und er könnte dafür garantieren, daß die beiden den ersten Preis erhalten würden, falls sie sich an dem Preisausschreiben beteiligten.245

Mit Richard Oswald nun waren die beiden bei einem der wichtigsten Drahtzieher des deutschen Films gelandet. Oswald drehte, produzierte und schrieb seit 1914 für die Vitascope und die Projektions-­AG-­ Union in Berlin-Weißensee (PAGU ) vor allem Detektivfilme nach Arthur Conan Doyle und anderen Vorlagen, aber auch Auf‌klärungsfilme, Historienfilme, Theaterklassikeradaptionen und die bekannten Mysterythriller nach literarischen Vorlagen: wie z. B. Hoffmanns Erzählungen. 1921 kündigte Oswald einen mehrteiligen Nibelungen-­ Film an, 1923 schließlich einen aufwendigen Groß-Film mit dem Titel Margarete. Die Sage vom Doktor Faust.246 Von Augsburg aus hatte Bertolt Brecht Oswalds sogenannten ›Auf‌­klärungsfilmen‹ schärfste Verrisse gewidmet. Er hatte beispielsweise Die Prostitution von 1919 als ›Schweinerei‹ in Grund und Boden rezensiert. Aber das war jetzt nebensächlich und Brecht war beweglich. 1920 eröffnete jener Oswald die Richard-Oswald-Lichtspiele in der Berliner Kantstraße mit 800 Plätzen und plante einen Film über Friedrich den Großen und Die Nibelungen. Es blieben Projekte, aber Oswald wird das Filmgeschäft der 20er Jahre in Deutschland (mit wenigen anderen) dominieren. Kurzum: Bronnen und Brecht waren eindeutig an der Quelle und bekamen neben dem Architekten Bruno Taut, dem Lyriker Hans Roselieb und dem Dramatiker Walter Petry den Richard–Oswald–Preis für das beste Filmexposé. Brecht erneuerte das Theater also erst nachhaltig, nachdem er die Zukunft des Films begriffen hatte. Er erneuerte das Theater in Auseinandersetzung mit dem Film: »Der Film zieht den Boden weg, immerzu, zieht aus Leibeskräf‌ten seit Monden.«247 Brecht zog allerdings Chaplins Alkohol und Liebe von 1914 dem deutschen Expressionismus noch vor. Er lobte an Chaplin – wie an Karl Valentin – »den fast völligen Verzicht auf Mimik und billige Psychologismen«.248 Chaplins Gesicht ist immer »unbewegt, wie gewachst, eine einzige 114

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mimische Zuckung zerreißt es, ganz, einfach, stark, mühevoll«.249 Gerade ›billige Psychologismen‹ wird er später am Theater kritisieren. Schließlich kam es 1922 zu einer Umfrage des Berliner Börsen-Couriers, die die Frage nach der Zukunft des Films auch an Brecht herantrug. Seine Antwort war eine Polemik gegen den Kitsch, die in einem genialen Bonmot gipfelte: Der Irrtum der Dichter aber, die Filme für Kitsch halten und Filme schreiben, ist unverzeihlich. Es gibt wirksame Filme, die auch auf Leute wirken, die sie für Kitsch halten, aber wirksame Filme, die von Leuten stammen, die sie für Kitsch halten, gibt es nicht.250

Das heißt: Die Möglichkeiten des Mediums auf die Geschmacksurteile der Macher zu beschränken, ist die größte Naivität, die man gegenüber dem neuen Unterhaltungsmedium Film an den Tag legen kann. Brecht war alles andere als naiv und hielt viel vom Film. Und bevor er unter anderem aus Chaplins Filmen die richtigen Schlüsse zog und das Theater revolutionierte, hatte er auch viel für wirksamen Kitsch übrig. Nur erfolgreich war er damit nicht. Seit 1920 legte er im neuen Medium Film manisch los und notierte Titel, Kurzinhalte, Projektskizzen, Exposés. Hier einige Kostproben, wie z. B. der erste Filmtitel, der sich in seinen Aufzeichnungen findet: »Die Tochter Indras, Notiz dazu: Geht auf schwarzen Wassern. Fährt zum Himmel. Tanzfilm. Expressionismus.«251 Wir staunen: Brecht plante genau den expressionistischen Film, der ihn angeblich nicht interessierte, wie die Brecht-Forschung bis heute betont, um das Epische Theater in seiner Reinheit zu retten. Höchstens Chaplin war erlaubt. Eine andere frühe Notiz zu einem weiteren Projekt kleidete sich in eine Frage: »Warum sollte man hier beispielsweise einen in einen geschlossenen, ausweglosen Hof gejagten Verfolgten nicht einfach senkrecht davonfliegen lassen?«252 Am expressionistischen Stumm-Film wurden die tricktechnischen Möglichkeiten des neuen Mediums ausgetestet, die manchmal auch ganz alleine Pate für eine Filmidee standen.

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Film-Kolportage Aber Brecht tendierte schnell in eine andere Richtung: Eine Balzac-Verfilmung erschien ihm attraktiv, dann plant er einen Märchenfilm, es folgen Filmvorschläge und Einfälle wie Die Königskinder oder Maras Tochter, ein Film über Kakao und das Verbrennen der Ernte in Südamerika, weitere exotische, chinesische Sujets, schließlich deutlich groteske Kurzangaben. Doch lesen Sie selbst: B. B.s Wiederbelebungsfilm, Erotik für Heimapparat, Kleider machen Leute, Kakao / Die Ernte, die in S Amerika verbrennt, Dschiu Dschitsu / Die drei Mörder mit vollen dummen, lächelnden Backen, Der Bursche im Zug, der immer frißt.253

Dann folgt Kolportage: Mädchenhändler, Diebe, Räuber, Detektive, Mormonenpäpste bevölkern Brechts Filmideen. 1921 gibt er zu Protokoll, dass er aus Liebeskummer und einhergehender Geldnot »wie ein Verrückter Filme schreibt«. Er plant Seeräuberfilme und geht »noch um den ganzen Globus herum mit lauter Filmen«. Von all dem liegt zu Lebzeiten Brechts kaum etwas vor, kaum etwas wird ruchbar. Erst als 1969 die zweibändige Edition Brecht, Texte für Filme von Wolfgang Gersch und Werner Hecht erschien, sah man weiter und mehr. Was aber boten Brecht und Bronnen schließlich gemeinsam an, um den Wettbewerb zu gewinnen? Wofür bekamen sie den (Trost-)Preis? Denn der Hauptpreis wurde nicht vergeben. Sie reichten ein gemeinsames Exposé ein unter dem Titel Robinsonade auf Assuncion. Der Titel war von Bronnen, Brecht hatte einen anderen im Sinn: Die zweite Sintflut. Brecht war fürs große Wegspülen, Bronnen mochte den Unterhaltungswert der literarischen Tradition. Das Exposé entstand bereits auf der Heimfahrt im Rattern der Vorort­ bahn. Brecht nannte es knapp und sachlich Die zweite Sintflut, während Bronnen mit dem romantischen und plakathaf‌ten Titel Robinsonade auf Assuncion daherkam. Sie hatten einen glücklichen Abend, hockten

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noch lange in der Nacht, Brecht probierte an dem Stoff herum, während sich Bronnen in geographischen und meteorologischen Visionen erging.254

Das veröffentlichte, knapp sechs Seiten lange Exposé Robinsonade auf Assuncion. Filmspiel in 5 Akten sei wenigsten mit Anfang und Ende zitiert, um einen Eindruck vom Duktus dieses Teams zu vermitteln: Im stillen Ozean, abseits von den großen Schif‌fahrtsstraßen der Welt, liegt das heitere Eiland Assuncion, gekrönt durch den erloschenen Vulkan Marga. In der Stadt gibt es einen neuen Kommandanten, den schwarzen Schotten Mac O’Keen, der bei einem wilden Fest mit einer Frau mit heller Maske eine Jolle besteigt. Er hält die Maske für die junge Schwägerin des Gouverneurs, aber es ist seine Frau. Sie hat die Maske mit der ihrer Schwester getauscht. Jedoch kommt der Gouverneur hinzu, dem man merkwürdige atmosphärische Störungen vom Hafen gemeldet hat. Er erkennt die Frau und segelt mit hinaus. In derselben Nacht beginnt der Ausbruch des Vulkans Marga, welchen jeder für erloschen gehalten hat und welcher drei Tage und drei Nächte dauert. – Denn in dem Augenblick, wo Angela ihre Maske abreißt, kommt ein heller Schein von oben in ihr Gesicht. Eben noch sind Flieger wie rötliches Nachtgewölk um den Krater geschwebt. Jetzt geht kilometerhoch ein steiler Feuerpflock aus ihm, der sie frißt. Feuer rast aus der Luft an das Land. Heftige Wellen reißen die Jacht jäh auf. In der Stadt eine wilde Jagd. Wasser steigt auf, Feuer fällt, Häuser und Türme stürzen.255

Der »schwarze Schotte Mac O’Keen« erinnert ein wenig daran, dass auch Grabbe dereinst »einen Neger« zum Kommandeur der finnischen Flotte machte. Die Brecht-Forschung tut diese Filmprojekte häufig als Parodien auf den Expressionismus ab. Zwei unauf‌findbare Exposés Brechts lauten übrigens Preisfilm Jagd und Liebesmatch. Dass Brechts Engagement beim Film ernst gemeint war, kein temporärer Jux, deutet auch Bronnen mehrfach an:

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Brecht hatte, enttäuscht über die zögernde Haltung der Theater ihm gegenüber, noch an zwei anderen Filmen gebosselt, wozu ihn Hans Kyser, filmbegeisterter Dramatiker, der gerade an einer Verfilmung von Lessings ›Nathan dem Weisen‹ beschäftigt war, angeregt hatte. Diese beiden Manuskripte sandte Brecht gleichfalls nach Berlin.256

Bronnen hat offensichtlich an allen Brecht-Drehbüchern der frühen zwanziger Jahre mitgearbeitet. Nur drei Drehbücher aus dieser Zeit sind von Brecht überliefert, sie heißen: Drei im Turm, Der Brillantenfresser, Das Mysterium der Jamaika-Bar. »Filme als Bücher schreiben«257, notiert sich der ehrgeizige Brecht auf einem Zettel. Das nicht verwirklichte Drehbuch Drei im Turm hat große Ähnlichkeit mit der Robinsonade. Motivisch lehnt sich die Geschichte an August Strindbergs Drama Totentanz an, dem seinerseits das »Senkrecht-Davonfliegen« so gefiel. Wolfgang Gersch hebt ganz auf die Überlegenheit von Brechts Expressionismus-Parodie ab: Drei im Turm ironisiert das Prinzip des deutschen Filmexpressionismus, der das Unbehagen an der Realität ins Irrationale transponierte. Irrationalität stellt sich ein als Folge von Unwissen, Angst, wenn die arg verwirrte Frau beständig vom ›schwarzen Kapitän‹ heimgesucht wird. Die vom expressionistischen Film mit hohem Ernst und ungebrochen vorgetragene Dämonisierung wird schon im Verlauf der Handlung ironisiert, durch das Banale des Geruchs, den die im Schrank steckende Leiche verbreitet.258

Es ist aber nicht sicher, ob das den Kern trifft. Brecht hat sich so intensiv mit dem Film beschäftigt, dass sein Verständnis der Szene nur von hier aus ganz zu begreifen ist. Das zweite Filmbuch Brechts – Der Brilliantenfresser – lehnt sich unmittelbar an den zweiten Teil von Fritz Langs Die Spinnen von 1920 an, der den Titel Das Brilliantenschiff trug. Auch hier liegt vermutlich eine literarische Vorlage – Hebbels Komödie Der Diamant – zugrunde. Andererseits waren gerade die Kraftmeier-, Willens- und Übermenschen-Filme à la Nietzsche in Mode. Die Haupt­figur – der von Fritz Kortner zu spielende Ganove 118

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Orangenlatte – vertilgt in einer Hafenkaschemme auf der Suche nach einem Brillanten tonnenweise Orangen. Das Drehbuch Mysterien der Jamaika-Bar passt sich in die bereits laufende Serienproduktion der Stuart-Webb-Company-­Detektiv­filme ein. Gedreht wurde nur der Robinsonade-Film – aber unter einem wiederum abweichenden Titel: SOS. Die Insel der Tränen – 1923 von Lothar Mendes mit Paul Wegener und Rudolf Forster in den Hauptrollen. Als der Film fertig war, wollten Brecht und Bronnen nichts mehr damit zu tun haben. Bronnen hatte zwar noch offiziell das Drehbuch verfasst, doch auch er wandte sich voller Grausen von dem Ergebnis ab, nachdem die ihm zur Seite gestellte Drehbuch-Assistentin Ruth Götz auch noch Hand angelegt hatte: Schließlich sah Bronnen an den Plakatsäulen die Ankündigung eines Films ›Insel der Tränen‹ – Manuskript: Arnolt Bronnen; es waren, wie sich nach einer Besichtigung herausstellte, die bis zu völliger Unkenntlichkeit verstümmelten Leichenteile jener Filmidee ›Robinsonade auf Assuncion‹, die vor Jahrhunderten preisgekrönt worden war.259

Brechts Engagement beim Film hatte zwar kein Happyend, aber einen gewichtigen Auf‌takt und Mittelteil.

Die Straßenszene Was wir an Brechts Arbeit wahrnehmen, seine Neuinterpretation der Bühnenkunst, verdankt sich seiner Begegnung mit dem Film. Liest man seine neuartigen Anweisungen in diesem Licht, erscheinen sie plötzlich wie Reflexe auf die Bedingungen der Leinwand: Die großen modernen Stoffe müssen in einer mimischen Perspektive gesehen werden, sie müssen Gestencharakter haben. Sie müssen geordnet werden nach Beziehungen von Menschen oder Menschengruppen zueinander. Aber die bisherige große Form, die dramatische, ist für die jetzigen Stoffe nicht geeignet.260

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Es komme bei der Szene darauf an, schreibt also kurz nach dem Krieg Bertolt Brecht im Rückgriff auf die aristotelische Poetik, »daß lebende Abbildungen von überlieferten oder erdachten Geschehnissen zwischen Menschen hergestellt werden, und zwar zur Unterhaltung«261. Hier finden wir auch die Unterhaltung wieder. Vordergründig öffnete Brecht das klassische Theater nur für die volkstheaterlichen Elemente oder Stoffe und das Varietéhaf‌te, indem er die Aktstruktur der Nummernrevue annäherte.262 Aber was hier noch nach Kulturkampf klingt, war tatsächlich eine umfassende Emanzipation und Analyse der Szene, wie sie der Film vorgemacht hatte. Die von der Forschung oft herangezogene Revue als neue anorganische Form des Theaters wurde von Brecht selbst ausdrücklich ausgeschlossen.263 Was steckt also noch hinter der Emanzipation der Szene im Theater? Immer wieder bringt Brecht seine theoretischen Ausführungen ab 1931 in die Form einer Auf‌listung von gegenstrebigen Merkmalen der »dramatischen Form des Theaters« gegenüber der »epischen«. Im etablierten Drama sei »eine Szene für die andere geschrieben«, im neuen epischen hingegen gelte »jede Szene für sich«264. Wie hat man sich das jenseits der Revue vorzustellen? Die dialektische Methode, soviel ist klar, verlangt immer ein drittes Moment. In diesem Fall ist es die totalisierbare Alltagsszene, deren von Brecht entwickelte spezielle Didaktik Kunst und Leben verbindet. Wenn die Szene nicht einfach als Ausschnitt des Alltags gezeigt wird, muss man über den Grad an Nachahmung nachdenken, den man den Alltagsausschnitten, die auf die Bühne gebracht werden, zumutet. Brecht weiß genau, dass ein Gelingen der Imitation nur am Maßstab der immer auch unterhaltsamen Nacherlebbarkeit, d. h. des erlebnishaf‌ten-emotionalen Mitgenusses der reproduzierten Szene, bemessen werden kann. Doch die Bannkraft einer solchen Darbietung gilt es genau zu vermeiden. Denn gerade die gelungene Illusion hebt auch den Unterschied von Kunst und Leben auf, und der lehrhaft-demonstrierende Charakter der Szene geht damit verloren. Der Vorgang – »der Augenzeuge eines Verkehrsunfalls demonstriert einer Menschenansammlung, wie das Unglück passierte«265 – ist »kein Kunstvorgang«266 im hergebrachten Sinne. Nicht nur Vollstän120

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digkeit und Geschlossenheit der Imitation rufen das Staunen des Publikums hervor: »Unser Demonstrant braucht nicht alles, nur einiges von dem Verhalten seiner Personen zu imitieren, eben soviel, daß man ein Bild bekommen kann.«267 Brecht entwickelt eine Theorie der Imitation oder Nachahmung, die sich zunächst an der Struktur der Filmkomik orientiert, bei der nur diejenigen Züge einer Person hervorgetrieben werden, die sich zu einem scharfen Bild fügen. Die Szene wird als ein selektives Konstrukt begründet – und nicht als möglichst vollständiger Ausschnitt. Unser Nachbar (oder unsere Nachbarin) mag uns das habgierige Verhalten unseres Hauswirts ›zum besten geben‹. Die Imitation ist eine Zusammenfassung oder ein Ausschnitt, wobei sorgsam solche Momente ausgelassen sind, in denen der Hauswirt unserem Nachbarn als ›ganz vernünftig‹ erscheint, welche Momente es doch natürlich gibt. Er ist weit entfernt, ein Gesamtbild zu geben; das würde gar keine komische Wirkung haben.268

Die paradoxe Einsicht, dass gelungene Imitationen gerade keinen vollständigen, sondern selektive Darbietungen sind, ist aber noch nicht Lö­­ sung für den Übergang der Straßenszene von der Straße auf die Bühne. Hier ist ja nicht Komik, sondern Kritik der Verhältnisse das Ziel: Die Straßenszene, die größere Ausschnitte geben muß, kommt hier in Schwierigkeiten, die nicht unterschätzt werden dürfen. Sie hat ebenso tüchtig Kritik zu ermöglichen, aber sie muß das besorgen für viel komplexere Vorgänge. Sie muß positive und negative Kritik ermöglich­en. Und zwar in ein- und demselben Verlauf.269

Benjamin nannte das eine Poetik der »Unterbrechung«270. Diese Behauptung wird von Brecht entfaltet: Die Konzeption des Theaters und der Oper als zusammengesetzte Spektakel aus autonomisierten Künsten, aus Musik oder Gesang, Bildwerk oder Projektion, Bühnenbild oder Text bedeutet eine größere inszenatorische Komplexität der kleineren Handlungssegmente. Aus dieser Zusammenballung Von der Straßenszene zum Straßentheater

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resultiert eine gesteigerte immanente Kommentarstruktur unterhalb der Größe des Aktes. Frühzeitig reflektiert Brecht deshalb auch die Projektion von Bildern in den Bühnenraum: Die Neherschen Projektionen nehmen Stellung zu den Vorgängen auf der Bühne, derart, daß der wirkliche Vielfraß vor dem gezeichneten Vielfraß sitzt. Die Szene wiederholt gleichermaßen von sich aus im Fluß, was im Bild steckt.271

Für Brecht ist spätestens 1940 die Szene ganz offiziell »ein Grundmodell für episches Theater«272 geworden.

Szene und Apparat Der Vorteil dieses bühnengeschichtlichen Vorgangs wird wiederum in eine Gegenüberstellung gefasst. Erst die ›Wiederholbarkeit‹ der kleineren Einheit der Szene ermöglicht diesen Wechsel der Vor­ zeichen: Völlig entscheidend ist es, daß ein Hauptmerkmal des gewöhnlichen Theaters in unserer Straßenszene ausfällt: die Bereitung der Illusion. Die Vorführung des Straßendemonstranten hat den Charakter der Wiederholung. Das Ereignis hat stattgefunden, hier findet die Wiederholung statt. Das Geprobte am Spiel tritt voll in Erscheinung, das auswendig Gelernte am Text, der ganze Apparat.273

Das Apparathaft-Wiederholbare der Szene verweist auf den Film. Seit seinem Aufsatz Das moderne Theater ist das epische Theater von 1931 steht neben der Szene auch ›der Apparat‹ im Mittelpunkt von Brechts Interessen. Die »großen Apparate wie Oper, Schaubühne, Presse usw.«274 verteilen die Szenen. Sie werden in dem Maße wichtiger, wie es mit dem »Einbruch der Methoden des epischen Theaters«275 zu einer »radikalen Trennung der Elemente«276 kommt. Die in Umlauf gebrachten szenischen Elemente sind die molekulare Basis der Gesellschaft: »Die Gesellschaft nimmt durch den Apparat auf, was sie braucht, um sich 122

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selbst zu reproduzieren.«277 Es ist kein größerer Abstand zur neuesten medienphilosophischen Authentifizierung und Transzendierung der Szene denkbar als Brechts Eintreten für dieselbe im Namen der Wiederholung und des Apparats. Die Stärke von Brechts Überlegungen liegt ganz einfach darin, dass er überraschenderweise den Apparat – und damit die gesamte Medientechnik – gerade nicht mit einer angeblich der großen Kunst abträglichen Kulturindustrie identifiziert. Hier sieht man, dass die sich später noch etablierende Kulturindustrie-­ Schelte einen nicht-technischen Kunst-Begriff zur Voraussetzung hat. Der technikfeindliche Kulturindustrie-Diskurs kann überhaupt nur mittels eines philosophisch-ästhetischen Ereignis-Begriffs in Stellung gebracht werden. Brecht stellt sein Konzept der szenischen Demonstration stattdessen von Anfang an in den Rahmen einer positiv aufgefassten technischen Reproduzierbarkeit.

Anthropologie der Kunstformen Brecht geht aber noch einen Schritt weiter und entwickelt entlang einer Chronologie der Kunstformen in dem Aufsatz Literarisierung des Theaters im selben Jahr auch eine Anthropologie. Ausformuliert wird sie in aller philosophischen Deutlichkeit und im expliziten Rückgriff auf Freuds zeitgenössische Theorie vom Unbehagen in der Kultur – soweit ich sehe – von Brecht nur ein einziges Mal: Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist zu schwer für uns, es bringt uns Schmerzen, Enttäuschungen, unlösbare Aufgaben. Um es zu ertragen, können wir Linderungsmittel nicht entbehren. Solcher Mittel gibt es vielleicht dreierlei: mächtige Ablenkungen, die uns unser Elend gering schätzen lassen, Ersatzbefriedigungen, die es verringern, Rauschstoffe, die uns für dasselbe unempfindlich machen. Irgend etwas dieser Art ist unerläßlich.278

Die Parole dieser Anthropologie ist eine geschickte Paraphrase der Schillerschen Leitformel aus den Ästhetischen Briefen: »Nirgends, wenn nicht in der Oper, hat der Mensch die Gelegenheit, ein Mensch Von der Straßenszene zum Straßentheater

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zu bleiben!«279 Diese Anthropologie, die also durchaus den ganzen Menschen kennt, wird erst durch den elementaren, d. h. szenisch strukturierten Charakter des epischen Theaters zu einer zeitgenössischen und adäquaten: – während der spätbürgerliche Roman wenigstens die Psychologie ausgearbeitet hat, wie er glaubt, um das Individuum analysieren zu können –, als ob nicht das Individuum schon lang einfach auseinandergefallen wäre.280

Brechts episches Theater setzt das Individuum insofern wieder zusammen, als gerade die neue epische Dramatik entscheidend dazu beiträgt, am beliebigen, alltäglichen szenischen Material Statik und Spannung, »die unter ihren Einzelteilen herrscht und diese gegenseitig lädt«281, bewusst zu machen. Dem Auseinanderfallen auf der individuellen Ebene wird durch den multisensoriellen Nachweis einer überspannenden Interessenlage entgegengewirkt.

Szenisches Arbeiten Der Ausdruck ›Theaterarbeit‹, den verschiedene Lexikonartikel in der Nachfolge Brechts im Zusammenhang mit der Szene benutzen,282 nähert eine Kunstform dem sogenannten Arbeitsprozess an. Dieser Prozess stand wiederum von Anfang an im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sozialistischer Gesellschaf‌ten. Der Ausdruck ›Theaterarbeit‹ nimmt bis heute dem Theater programmatisch das Elitäre, Hierarchische, aber auch Esoterische seiner bürgerlichen Existenz und höfischen Herkunft. Gleichzeitig betont er die human-universelle Dimension des Theaters. ›Theaterarbeit‹ ist ein Arbeiten mit Menschen im kommunikativen Zusammenhang der Gruppe, die zum künstlerischen Kollektiv auf Zeit wird. – So will es zumindest das Programm. Das Szenische des Theaters verkörpert und ermöglicht nun überhaupt erst diese Form des Arbeitens. Man kann genaugenommen nur Szenen erarbeiten, nicht aber ganze Stücke. Man hat seine Szenen, seinen Auf‌tritt, seine Rolle, in die man sich über- oder 124

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hineinsetzt, über die man sich mit sich selbst gemeinsam mit anderen auseinandersetzt. Monolog und Dialog werden als Formelemente sozialer Interaktion und individueller Artikulation bewusst erlernt und eingesetzt. Theaterarbeit ist dann (proto-)künstlerische Arbeit in einer oft zu gleichförmigen Arbeitswelt. Gleichzeitig ist sie eine Humanisierung dieser Arbeitswelt, indem sie den einzelnen Vertreter herausnimmt und zur Förderung seiner kreativen, d. h. humanen Anlage und Bestimmung in den andersartigen Prozess der Theaterarbeit integriert.283 In der explizit sozialistischen Lesart festigt Theater­ arbeit das Bewusstsein für die in dieser Gesellschaft angestrebten übergeordneten emanzipatorischen Ziele der Werktätigen und schärft den Sinn für die Widersprüche der überwundenen Gesellschaftsform. Theaterprojekte gehören heute auch zum festen Repertoire von Resozialisierungs-, Rehabilitations- und Wiedereingliederungsmaß­ nahmen. Theaterarbeit versucht die Betroffenen aus ›ihrer Szene‹ gerade herauszuführen, indem sie ihnen szenisch, im Medium der Kunst, die Möglichkeit einer neuen und anderen gesellschaftlichen Arbeit am Gerüst ihrer Identität auferlegt. Theaterarbeit ist schließlich – genau aus diesem Grund – in vielen westlichen Gesellschaf‌ten Bestandteil der therapeutisch-pädagogischen Kultur, die man ihrerseits gelegentlich als eigene Szene bezeichnet findet.

Volkspädagogik und Straßentheater In der Theatertheorie selbst wird sich die Szene zwischen Brecht und Handke im spontanistischen Medium des Straßentheaters von 1968 bis zur angepeilten Unkenntlichkeit mit der sozialen Wirklichkeit vermengen. Aber diese Vermengung ist auch ein Anlass für Peter Handke, die kritische Lebendigkeit (oder Baumgartensche vividitas) der Szene ein weiteres Mal zu retten: Statt lebendige Bilder, die die mechanisch gewohnten Bilder der Leute vom Funktionieren des Laufs der Dinge erschrecken, zu produzieren und damit auch zu provozieren, bietet das Straßentheater, wie es sich seit kurzem richtig gebildet hat, dadurch, daß es sich deklariert Von der Straßenszene zum Straßentheater

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und die ältere Theaterdramaturgie blindlings verwendet (nur eben im Freien), nichts anderes als die alten lebenden Bilder vom Lauf der Dinge. Dieses Straßentheater bietet lebende Bilder, die tot sind.284

Die wiederum von der Theaterarbeit Brechts beeinflusste Literaturdidaktik und Pädagogik nutzen die Form der Szene bis heute für den Versuch, soziale Konflikte und ihre Faktoren aus dem Fluss der Ereignisse als lehrbare Einheiten herauszupräparieren und in einem spezif‌isch pädagogischen Arrangement von Nachahmung und Distanznahme verstehbar zu machen. Hier nur eine einzige Kostprobe: Der Text wurde als Partitur verstanden, als Spielmaterial für Inszenierungen im Kopf und im Klassenraum, für die Einfühlung, die Identifikation, das Handeln in vorgestellten Rollen und Szenen und damit für das Erproben und Reflektieren fremder und eigener Haltungen und Verhaltensmöglichkeiten. Der Text konnte durch die szenischen Handlungen der Schüler gedeutet werden. Ausgangspunkt für die Entwicklung szenischer Interpretationsverfahren waren Spielversuche mit Brechts Lehrstücken.285

Die reine Literaturdidaktik hat es – ähnlich wie der Kanon selbst – indes schwer: Die ihr aufgesattelte Medienpädagogik schreibt vielfach schon die technische Aufzeichnung solcher Übungen vor, damit sie wiederholbar und verwertbar sind. Damit treten auch diese improvisierten Szenen in die mediale Distribution oder Zirkulation ein. Daran anschließend nähert sich die Szene als didaktisches Verfahren auch schon zügig der berufspraktischen Vororientierung – und damit der Probe aufs systemnähere Bewerbungsgespräch.

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III. Metaphorik und Rhetorik der Szene

Jeglicher Begriff ist die Beschreibung einer Lebens­szene. José Ortega y Gasset

1. Vor Augen stellen. Alltag und rhetorische Tradition Am Küchentisch Ein namhafter Journalist einer renommierten deutschen Tageszeitung, von der Ausbildung her Jurist, war nie in der Küche des amtierenden Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts der Bundesrepublik Deutschland. Das war einmal eine skandalträchtige Information. – Aber warum? Weil der Journalist folgende Passage in ein Porträt des ihm offenbar sympathischen obersten deutschen Richters eingebaut hatte: Man muss ihn am Küchentisch erleben. Man muss erleben, wie er ein großes Essen vorbereitet. Eine Einladung beginnt in der Küche: Der eine Gast putzt die Pilze, der andere die Bohnen, der dritte wäscht den Salat. Zu diesem Arbeitsessen gibt es ein Arbeitsweinchen. Natürlich hat der Gastgeber alles sorgfältig vorbereitet, natürlich steht die Menüfolge fest; aber es entsteht alles gemeinsam. Jeder hat seinen Part, jeder hat was zu schnippeln, zu sieden, zu kochen, jeder etwas zu reden: Es geht um die Nudel, die Küchenrolle und um die Welt. Voßkuhle selbst rührt das Dressing. Man ahnt, wie er als oberster Richter agiert.1

Nach dem Erscheinen des Artikels sah sich der Porträtierte umgehend veranlasst, durch eine Gerichtssprecherin ausrichten zu lassen, dass der Journalist seine Küche noch nie von innen gesehen habe. Was war geschehen? Der Journalist hatte vordergründig nur ein wenig zu eifrig an einem gastrosophischen Gleichnis gefeilt: Porträt des obersten Richters als Paul Bocuse der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit oder auch der Drei-Sterne-Richter Voßkuhle bei der Arbeit. Mit Weinchen im Angebot, plaudernd, integrativ, aber die Menüfolge und das Ergebnis fest im Blick – ebenso souverän als Chef de Cuisine wie als Herr aller Verfahren.

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Nun löste aber nicht das mehr oder weniger originelle und tragfähige Gleichnis die Empörung aus, sondern die poetische Tatsache, dass der Journalist ein sozusagen abendfüllendes Stück journalistischer Reportage-Kunst ›Der oberste Richter‹ ablieferte und dabei die private Schlüsselszene, die das Porträt insgesamt erst beglaubigen und lesbar machen sollte, als Produkt der teilnehmenden Beobachtung oder Augenzeugenschaft ausgab, wo sie doch nur eines der Imagination war. Mit diesem Trick stand der Journalist in der langen und ehrwürdigen Tradition des europäischen Theaters, wie schon ein flüchtiger Blick in die entsprechende Literatur belegt: »Wiederholt bat Shakespeare sein Publikum, den Teil für das Ganze zu nehmen, in der Vorstellung zu ergänzen, was physisch nicht auf die offene Bühne gebracht werden konnte.«2 Mit ein wenig Abstand kann man also sagen, dass der Journalist nur die Logik und die Gesetze eines bis heute wirksamen theaterhistorischen Elements für seine Zwecke zu nutzen suchte. Szenen spielen sich, wenn sie nicht vor unseren leibhaftigen Augen ablaufen, nach dem Willen der Rhetorik während der Lektüre oder eines Vortrags vor unserem inneren Auge ab. Die Phrase ›Man muss ihn am Küchentisch erleben‹ suggeriert immerhin, dass der Erzähler in der physischen oder wenigstens emotionalen Nähe des Geschehens gewesen ist und sich dieses Geschehen jetzt noch einmal vor Augen führt, um es gleichzeitig einem größeren Kreis oder einem Gegenüber zu schildern. Damit kommt diese Rhetorik der Szene zu ihrem Recht.

Bühne im Kopf Man kann den Szenen erzählend große oder kleine Bühnen im Vorstellungsvermögen bereiten, wenn man diese Bühnen nicht materiell errichtet. Der Erzähler hat oder hatte etwas erinnernd oder sogar wiederdurchlebend im Sinn, in diesem Fall vor Augen, das er nun auch anderen erzählend oder spielend ›vor Augen stellen‹ will. Auch das hat seine Geschichte: Die Rhetorik kennt seit ihren Anfängen die Anlage eines die Gegenstände der Rede anordnenden räumlichen Pfades (oder Örter-Parcours) vor dem inneren Auge des Redners. Der 130

Kapitel III: Metaphorik

Ursprung dieser Technik wird ebenfalls szenisch erinnert: Der griechische Dichter Simonides rief sich um 500  v. Chr. – nach dem Einsturz eines Festsaals – noch einmal die Sitzordnung der Festtafel ins Gedächtnis, um die Toten nach ihrer Lage im Raum zu identifizieren.3 Diese szenische Erinnerung eines Augenzeugen wurde zu einer ganzen Mnemotechnik ausgebaut. Mit dem schleichenden Kursverlust der Auswendigkeit etablierten sich rhetorische Figuren als Elemente von Texten, die ein Ins-Gedächtnis-Rufen vor allem als ein solches Vor-Augen-Stellen konservierten. Das rhetorisch aufwendige Vor-Augen-­Stellen war ein im Medium des Textes simulierter Medien­ wechsel: Beim Erzählen geht es um den medialen Wechsel vom Sprachlichen zum Optischen, der in unterschiedlicher Weise mit figurativer Ersetzung zusammenfällt. Erst durch das rhetorische Vor-Augen-Stellen gibt es das Konzept und die Techniken von Aktualität und Wirkung.4

Die Hypotypose des Aristoteles, jenes Vor-Augen-Stellen, ist längst ein Stück Rhetorikgeschichte für Fachleute, sie hat es – anders als die Evidenz (evidentia) und die Fantasie ( phantasia) – nicht in die gehobene Alltagssprache geschafft. Aber nicht nur dem Vorstellungsvermögen eines Gegenübers oder Gesprächspartners wird ein solches Schauspiel rhetorisch natürlich immer noch bereitet, schon die eigene Wahrnehmung, die sich erst noch in den geordneten Bahnen sprachlicher Bilder artikulieren muss, scheint dergestalt theatral organisiert zu sein.

Gymnastik und Rhetorik Hier liegt eine Antwort auf die Frage nach den Ursachen der Dominanz des Augensinns über das Gehör. Die Frage schließt den Tatbestand mit ein, dass wir in (und an) audiovisuellen Szenen zunächst reflexhaft die Ebene der Visualität thematisieren. Die ersten Festlegungen in diese Richtung liegen weit zurück: Michael Cahn hat gezeigt, dass schon die antike Rhetorik die an sich endlos und unsichtbar ergehende mündliche Rede mittels der Schrift, genauer, Alltag und rhetorische Tradition

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mittels der Unterteilung der verschriftlichten Rede in rhetorische Figuren, sichtbar und (gegen Entgelt) auch lehrbar machte: Die Rhetorik fängt an, die Sprache zu sehen. Rede, zunächst ohne Hand und Fuß, gewann für die Rhetorik Kopf und Glieder, sie Unterschied Anfang, Ende und Mittelteil der Reden und warnte vor der Konfusion ihrer Gliedmaßen. Aber wie sieht man die Gelenke eines Textes? Die Rhetorik fand in der Sprache jene Verdickungen und Verdichtungen, die wir Figuren nennen und die als Bildlichkeit in den Dienst der Überredung gestellt werden konnten. Sie nennt diese sprachlichen Figuren Schemata, nach den Haltungen der Turner und Tänzer, nach den Schritten und Figuren aus dem gymnastischen Unterricht.5

Diese figurale, eigentlich szenische Sichtbarmachung der Sprache in der Rhetorik aber hatte es von Anfang an sozusagen auf zweifache Weise in sich: Die Sichtbarkeit, die die Rhetorik der Sprache zuwachsen ließ, tendierte zur Geometrie und den starren Positionen der Gymnastik. Ihre Begriffe beziehen sich nicht so sehr auf eine visuelle Unmittelbarkeit, sondern zitieren die stets schon disziplinär vermittelten Schemata der Geometrie und des Turnunterrichts. Das bezeugt die Mehrdeutigkeit solcher Begriffe wie Hyperbel, Parabel, Ellipse und Parallelismus, die sich Rhetorik und Geometrie teilen.6

Wie können wir schließlich sicher sein, dass uns der Ton nicht doch noch aus diesem Dilemma herausführt? Es gibt deshalb kein Heraus, weil uns auch die Töne nur über die ›strenge Sichtbarkeit der musikalischen Notation‹ und die mathematisch komplexe Harmonielehre zugänglich sind. Weil uns die Gegenüberstellungen, Überkreuzstellungen, (verdrehten) Reihenfolgen und Leerstellen der Gymnastik (der Schriftsprache) so nachhaltig bis in unsere Wahrnehmung geprägt haben, dass wir höchstens das imaginierte Gegenteil ihrer visuellen Vorgaben noch als Utopie identifizieren können. Es gibt für 132

Kapitel III: Metaphorik

uns kein ›ganz anderes‹ dieser gymnastischen Figuren mehr – nur die Beschreibung ihrer schematischen Variation und Negation mittels derselben Sprache der Sichtbarkeit.

Porträtkunst Ein geschriebenes Porträt hat als ein im weitesten Sinne geschichtenförmiges Genre schon vieles von einem zu inszenierenden Stück. Wenn die Inszenierung abgeschlossen ist, wenn sie mit einem Mindestmaß an Geschlossenheit gelingt, dann kommt es auf die Schlüsselszenen an. Nur von den Schlüsselszenen aus ist so etwas wie ein Gesamteindruck, eine Pointe, eine Interpretation, ein Kern der dargestellten Person usw. ermittelbar. Unser Beispielautor hatte fast alles richtig gemacht: Er wählte einen Stoff, fertigte ein Stück – der Journalist sagt bezeichnenderweise zu seinen Produkten bevorzugt ›Stücke‹ –, indem er in einer demokratisierenden Küchenkulisse eine Schlüsselszene anlegte. Damit hatte er die Kommunikation und die Bewegung ihrer Träger im Raum vor Augen gestellt und durch die anti-aristokratische Kontextualisierung der obersten Rechtsprechung in einer Küche auch die interpretatorische Pointe für das Ganze mehr als nahe gelegt. Die Küche war als Bühne bekanntlich lange dem Personal vorbehalten: Außer in den bescheidensten Häusern warfen die Herrschaf‌ten nur selten einen Blick in die Küche. Sie wußten nur aus zweiter Hand, unter welchen Bedingungen ihre Bediensteten lebten.7

Nur die Kollision der universalen Poetik der Szene mit der jour­na­­ lis­ti­schen Ethik wurde übersehen, welche das überwiegende Vor­­ han­ d­­ en­ sein unpoetischer Tatsachen zur Voraussetzung hat. Ein nach­gereichtes, halb entschuldigendes, halb findiges ›Ich-­habe-­­ja-mit-­­ keiner-­Silbe-­mein-Dabeisein-im-Text-behauptet‹ konnte den jour­­ na­­listischen Ruf des Autors angesichts einer mit fast 500 000 Lesern geteilten, bloß imaginierten Schlüsselszene nicht sofort retten.

Alltag und rhetorische Tradition

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2. Das kulturkritische Funktionsspektrum der Szene Sprachspiele. Die Szene im philosophischen Sprachgebrauch Es geht in diesem Buch auch um die Theoriesprachen der Psychoanalyse, der philologischen Formengeschichte, der Gestaltphilosophie, der Soziologie oder der Kulturkritik. Allen Feldern gemeinsam sind Begriff und Gebrauch der Szene. Zu den erwähnten technischen Gebrauchsformen der Szene gehört – neben allen denkbaren medientechnischen im engeren Sinne – eben auch der Sprachgebrauch, den Ludwig Wittgenstein als Sprachspiel bezeichnete und folgerichtig immer wieder in szenischen Anweisungen erläuterte. Man betrachte nur seine posthumen Philosophischen Untersuchungen: Ich schicke jemand einkaufen. Ich gebe ihm einen Zettel, auf diesem stehen die Zeichen: ›fünf rote Äpfel‹. Er trägt den Zettel zum Kaufmann (usw.)8

Selbst wenn wir es also nicht mit materialiter sichtbaren und/oder hörbaren Szenen zu tun haben, ist dennoch keine noch so metaphorische oder scheinbar technikferne begriff‌liche Anverwandlung der Szene in der Lage, die Konkurrenzsituation mit den harten Medientechniken der szenischen Vergegenwärtigung ganz zu vermeiden. Der philosophische Diskurs bringt eine Bühne, auf der sich die Gegenstände des Erkennens und Erlebens erst konstituieren, immer dann ins Spiel, wenn sich etwas aus dem Wust der gleichzeitigen Eindrücke herausindividualisiert, wenn der Mensch als verstehendes Wesen auf‌tritt.9 Der Wittgenstein-Text rekurriert als Sprachspiel offensichtlich auf Techniken und Formate des Schauspiels und seiner strukturellen Verlängerung in den Alltag. Mit dem Begriff der Szene in einem Text wird deshalb immer auch ein spezifischer medientechnischer Standard aufgerufen, ein Standard des plastischen Vor-Augen-Führens kleinerer, doch strukturierter Geschehenseinheiten. In einer Theoriesprache, wie beispielsweise der philosophischen, die in der Regel auf terminologische Genauigkeit und systematische Abgestimmt134

Kapitel III: Metaphorik

heit und Nüchternheit der Begriff‌lichkeit angelegt ist, evoziert der Begriff der Szene zunächst ein Moment des Fabulösen und Vielfältigen: Es wird scheinbar zwischen die papiernen Gedanken ein lebendigeres Geschehen oder Erleben geschaltet. Davon wiederum muss sich nun eine philosophische Begriff‌lichkeit entweder rhetorisch absetzen, um weiterhin als ein solches, denkerisch-präzises, nicht-medientechnisch gestütztes Instrument reiner Geistesarbeit zu gelten, oder sie muss diesen medientechnischen Standard der Szene annehmen und sich sein Leistungsspektrum als sprachliches Tool aneignen, kurz: Sie muss anschaulich werden. Das ist ein Problem, das die Philosophie selbst immer wieder durchdacht hat. Um 1900 gab es unter anderem in Philosophie und Psychologie hierüber unzählige Dispute und Abhandlungen. Der Greifswalder Ordinarius Hermann Schwarz, ein späteres Aushängeschild der nationalsozialistischen Weltanschauungsphilosophie, hat 1918 in einer intensiven und erstaunlich wohlwollenden Auseinandersetzung mit dem zweiten Band von Edmund Husserls Logischen Untersuchungen von 1901 eindrucksvoll vorgeführt, auf welches Mittel eine philosophische Argumentation unweigerlich zurückgreifen muss, wenn sie in diesem Sinne anschaulich Von unanschaulichem Wissen, so der Titel seiner Abhandlung, handeln und einem so komplexen Thema gerecht werden will: Jemand ist beim Nüssepflücken. Er hat an einer bestimmten Stelle eine Nuß gesehen, inzwischen andere nähere gepflückt und will auch noch nach der betreffenden Nuß greifen. Er sieht sie nicht mehr und beginnt sich nach ihr umzublicken, indem er die Zweige auseinanderfaltet. Denn er weiß, daß sie da war. Um dieses Wissen handelt es sich. Es ist keine Anschauung. Es enthält nur das Moment, daß da eine Nuß war. Weder wo sie war, noch wie sie war, ist darin vergegenwärtigt. Aber dieses Wissen fordert eine Anschauung. In sich selbst ist es reine Erinnerung. Aus früherem Erlebthaben entwickelt sich ein Gegenstandsbewußtsein, dem doch kein Gegenstand, sondern nur vergangenes Erleben inhaltsvoll gegenwärtig ist. In unserem Falle verschafft sich der Nüssepflücker die zugehörige Anschauung durch UmherbliDas kulturkritische Funktionsspektrum der Szene

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cken und Suchen. Er bringt sich die Nuß, von deren Gegenwart er weiß, zur Wahrnehmung. Im anderen Falle, wenn er inzwischen weggegangen ist, und ihm nun der Gedanke an die noch ungepflückte Nuß einfällt, entstehen in ihm allerlei Vorstellungen, in denen er sich Ort und Größe der Nuß mehr oder weniger bestimmt versinnlicht.10

Wenn die verschiedenen Termini der philosophischen oder psychologischen Debatten und ihre Streitpunkte außerhalb der Disziplin längst vergessen oder vertauscht sein werden, denkt man vielleicht noch an den umherblickenden, ›die Äste auseinanderfaltenden Nüssepflücker‹, der als kleine gedruckte szenische Prosavignette einer vergessenen Abhandlung weiterzirkuliert. Diese Szene kann weiter durch unsere natürlichen und künstlichen Gedächtnisse, unsere medialen Umgebungen wandern – wie Wittgensteins Äpfel, Husserls ›auf‌fliegender Sperling‹ oder jenes vom selben Autor häufig zitierte ›unbeschriebene Blatt Papier vor einem‹. Neben dem Exempel11 übernimmt diese Aufgabe der Veranschaulichung häufig die etymologische Spekulation, die mit ihren historischen Wortherkunftsfluchten Vorstellungsräume und Bedeutungshöfe der Wörter vor dem inneren Auge der Leser eröffnet. Auf eine solche szenische Potenz alltäglicher Wörter hatte auch José Ortega y Gasset seine unvollendete Vorlesung Der Mensch und die Leute gebaut, die im Folgenden betrachtet wird.

Szene und Begriff Als die Kulturwissenschaf‌ten noch Geisteswissenschaf‌ten hießen, waren sie auch mehrheitlich noch von Szenen bevölkert. Der Wechsel von einem begriffsförmigen Tool namens Szene zu lauter wechselnden Theoriekonzepten der Gegenwart ist erklärungsbedürftig. Die folgenden Kapitel führen ein breites Funktionsspektrum der Szene in verschiedenen, geisteswissenschaftlich geprägten Disziplinen zwischen 1895 und 1985 vor, in dem kulturkritische Töne dominieren. Unter dem schönen Titel Der Mensch und die Leute wurde 1957 posthum ein unvollendetes Vorlesungsmanuskript des spanischen Essayisten und Kulturphilosophen José Ortega y Gasset (1883–1955) 136

Kapitel III: Metaphorik

herausgegeben. Diese dezidiert soziologische Spätschrift blieb zwar Fragment, aber ihr zentraler Gedanke und ihr methodisches Konzept fanden sich in der aus dem Nachlass herausgegebenen Fassung klar formuliert und auch mehrfach zur Anwendung gebracht: »Jeglicher Begriff ist die Beschreibung einer Lebensszene.«12 Nach dieser Maxime versuchte Ortega die aus seiner Sicht allzu verfestigten kulturwissenschaftlichen Begriff‌lichkeiten zu vorstellbaren Szenen zu verflüssigen, um vor den Augen der Leser wieder eine Verbindung zwischen Theorie und ›Leben‹ herzustellen.13 Faktisch wurde dieses Verbindungs- und Verflüssigungsversprechen Ortegas nur durch mehr oder weniger überraschende historische Herleitungen von Wörtern eingelöst – durch Etymologie. Es war dies also eher ein Ersetzen der abstrakteren Begriff‌lichkeiten der Kulturwissenschaf‌ten durch scheinbar konkretere, zumeist aber einfach sprachgeschichtlich motivierte Erzählungen über Wörter. Löste Ortega deshalb sein Versprechen auch nicht gänzlich ein, so gehörte dieser gelehrte Kniff gleichzeitig doch zu den Vorzügen seiner späten Soziologie. In der zitierten Bemerkung vom ursprünglich szenischen Charakter der Begriffe finden wir – neben einer Selbstbeschreibung von Ortegas Vorgehensweise – noch eine andere traditionelle Opposition wieder, die die angeblich so belebenden Auslegungen der Wortgeschichte überhaupt erst notwendig zu machen schien: Es ist die polemische Gegenüberstellung von abstrakter Statik wissenschaftlicher Begriff‌lichkeiten bzw. Medien und konkreter Lebendigkeit der Szene. Es ist die Parole ›Buch oder Leben‹, wie sie zur selben Zeit auch Rudolf Borchardt (in Büchern) ausgab: »Leben heißt das große Wort, Leben, nur Leben, nicht Buch.«14 Somit fügt sich die jüngere Antinomie von Szene und Begriff in die wesentlich ältere Darstellungstradition gut ein, die seit dem 17. Jahrhundert mit Bildern der antiken Säf‌te- und Temperamentenlehre operierte, d. h. mit dem nur leicht modifizierten Topos einer gefährlichen Austrocknung der Lebenssäf‌te. Die ältere Topik erlaubte unter anderem auch eine erfolgreiche Kritik der angeblich lebensfeindlichen Berufsgelehrsamkeit, ihrer Methoden und ihrer Gegenstände – und damit schließlich auch der Wissenschaft im allgemeinen.15 Ortegas umfangreiches Werk ist dem Feld Das kulturkritische Funktionsspektrum der Szene

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einer forcierten geistesgeschichtlichen Hermeneutik um 1900 ohne Probleme zuzuordnen, die wahlweise im Namen des Lebens, des Konkreten oder des Erlebens auf‌trat. Immer wieder beruft er sich deshalb nach seinem Studium an deutschen Universitäten in Marburg, Leipzig und Berlin (1905–1911) in zahlreichen Schrif‌ten auf ganz ähnlich argumentierende oder lautende Texte und Äußerungen von Friedrich Nietzsche, Wilhelm Dilthey oder Georg Simmel.16 Originell wird Ortegas Ansatz gegenüber diesen denn auch eher durch die Erzählart und Auswahl seiner Beispielfälle: Ein Knirps tritt auf einen Erwachsenen zu, und, um ihn aufs Glatteis zu führen, fragt er ihn: Was ist eine Rätsche? Der Erwachsene, der nicht gleich die notwendigen Worte bereit hat, um diesen Gegenstand zu definieren, beschreibt fast instinktiv mit seiner Hand die Kreisbewegung, die man mit der Rätsche ausführt, und weil die Gebärde etwas komisch wirkt, fängt der kleine Frechdachs zu lachen an. In Wahrheit aber ist diese Bewegung das gleiche wie ein mimisches Rätsel, bei dem auf etwas hingedeutet wird, das ›für‹ das Umdrehen da ›ist‹, also dafür, daß mit ihm etwas ›getan‹ wird. Schlösse sich hieran aber eine regelrechte mündliche Definition der Rätsche, so würde diese lediglich in Worte fassen, was bereits durch die Bewegung ausgedrückt worden war; und der Inhalt der Worte bestünde und besteht in nichts anderem als in der Kundgabe dessen, was der Mensch mit einem Ding tut oder durch ein Ding erleidet. Mithin ist jeglicher Begriff die Beschreibung einer Lebensszene.17

Jeder Begriff als Bezeichnung eines Dings oder Sachverhalts lässt sich nach Ortegas Überzeugung – jenseits einer strengen und aufwendigen Definition – viel schneller und besser mimisch zurückübersetzen in eine Szene des Gebrauchs, damit aber auch zurückübersetzen in das Leben.

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Szene und Ruf Doch dem Mimischen muss noch das Dialogische oder Akustische hinzugefügt werden, um die Rekonstruktion einer wirklichen, audio­visuellen Bedeutungsszene zu komplettieren, die dann – als spannende Erzählung – nicht mehr nur eine im Feld der Theorie abgezirkelte, vom vollgültigen Sein abgetrennte Existenz der Dinge repräsentiert. Diese Komplettierung leistet die ›Anrufung‹ oder ›Berufung‹ des Dings unter seinem Namen: Wir sehen also: wenn man den Namen einer Sache weiß, so kann man sie nennen; sie vernimmt unsern ›Ruf‹ und folgt ihm, will sagen, setzt sich in Bewegung, reagiert auf unsern Akt der Nennung.18

Nun lassen sich in analoge Texte – ohne die Reproduktion von Kupferstichen oder Fotografien, ohne Buchmalereien oder typografische Experimente – weder mimisch-visuelle noch akustische Elemente einbauen, um eine Szene zu evozieren. Es sei denn, der Text greift auf rhetorische Verfahren zurück, die diese Elemente simulieren. So wird folgerichtig bei Ortega das Szenische ausdrücklich als Erkenntnismodus für einen wissenschaftlichen Text reklamiert, aber die Grenze zwischen wörtlicher und metaphorischer Rede im Falle des ›Rufs‹ gerade nicht problematisiert. Hier folgt er vielmehr einer weit verbreiteten Rhetorik: Sicherlich sind die Namen den Sachen nur zugeordnet. Aber diese werden doch dadurch bestimmt, so daß man sie geradezu unter ihren Namen kennt, sie gleichsam ›beruft‹ darin.19

Die Tradition, in der Ortega y Gasset und Hans Lipps (1889–1941) hier stehen, wurde im Zusammenhang mit den Werken Martin Bubers, Franz Rosenzweigs oder Eugen Rosenstocks auch als ›dialogischer Existenzialismus‹ bezeichnet. Benjamin spricht 1928 von der »magischen Exponierung des Namens«20, Florenski um 1920 von den »Namen genannten imaginären Brennpunkten für die Energien der Das kulturkritische Funktionsspektrum der Szene

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gesellschaftlichen Umgebung«21. Heidegger bestreitet 1927 gerade das dialogische Moment des ›Rufs‹ apodiktisch: Dem Ruf als ursprünglicher Rede des Daseins entspricht nicht eine Gegenrede – etwa gar im Sinne eines verhandelnden Beredens dessen, was das Gewissen sagt.22

Georg Stanitzek hat diese Tradition als ›Poetik des Rufs‹ – die ja den Ruf auf einen Lehrstuhl immerhin einschließt – als eine spezif‌isch deutsche Tradition schon 1992 glänzend beschrieben und ausgedehnt: Hier ist allerdings von einer deutschen Tradition zu reden. Mit dieser Poetik des Rufs hat es insofern eine eigene Bewandtnis, als sich an ihr fast schulbuchmäßig die ganze vertrackte Logik rhetorischer Amplifikation im Kommunikationsprozeß studieren läßt.23

Es kann etwas tatsächlich lediglich rhetorisch, aber eben nicht faktisch, außerhalb der Kommunikation angesiedelt werden. Genauso wenig kann etwas von der Wissenschaft zunächst außerhalb oder gar vor ( je-)der Wissenschaft – in der Existenz, dem Alltag, der Akustik, dem Dialog oder dem Leben beispielsweise – platziert werden. Sowohl der Akt der Aussiedlung als auch die nähere Bestimmung dieser Orte sind Verhältnisse, die die Wissenschaft erst einrichtet. Wenn also von Ruf, Nennung oder Dialog die Rede ist, meint der wissenschaftliche Diskurs eine Direktkommunikation jenseits des Textes mit den Gegenständen, die Wissenschaft und Philosophie per se nicht leisten können. Wie nahe liegt es nun, diese Wunschliste um die synästhetische Szene zu erweitern. Hans Blumenberg hat das in seinem Fragment Zu den Sachen und zurück am Beispiel des Terminus ›Leibhaftigkeit‹ vorgeführt. Fast gegen Ende dieses nachgelassenen Buchs taucht der Lösungsvorschlag Blumenbergs für das Problem unter der Überschrift Sätze über Sätze auf. Gleichzeitig vermehrt Blumenberg die spezif‌isch deutsche Terminologie des Rufs um weitere Juwelen: Mit dem hier vorweggenommenen, einzig möglichen Ergebnis, dass

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die Rhetorik selbst die zeitgebundene Antwort einer Generation von Kulturwissenschaftlern auf ein epistemologisches Problem ist: Zur Sache zu kommen, endlich und endgültig, ist der Funktion nach ein Zwischenruf, in eine Suada hinein, gegen die Verselbständigung des Mediums, Kampfruf gegen die Rhetorik und ihre Hilfsmittel. Als Ordnungsruf hat das Programm, das doch nicht die Phrase eines einzelnen war, die präzise Stelle im Pathos der Jahrhundertwende, deren der Kalenderkontingenz ein höheres Recht verleihender intellektueller Ansatz zur Nutzung der ›Gelegenheit‹ auch Gegenrhetorik als Rhetorik war: Bekehrung zu einem noch unbekannten Heil.24

Endgültig verständlich wird diese methodisch-rhetorische Wendung aber erst, wenn die gesamte hermeneutische Tradition um 1900 – entweder geistesgeschichtlich oder phänomenologisch erneuert – als szenische Antwort auf eine Krise des hermeneutisch-philologischen Umgangs mit Textstellen analysiert wird. Diese Stellen wachsen nämlich beständig an, unterliegen aber weiterhin dem Ethos gründlicher und vergleichender Auslegung.25 Die intensive Befragung und Berufung der Wendungen und Worte als Namen (für die Sachen) in den Geisteswissenschaf‌ten ist der vergebliche Versuch, mit einem Geist direkt zu kommunizieren, der so viele Stellen transzendieren hilft. Oder es handelt sich um eine textuelle Simulation von Direktdenken (ohne Lesen) angesichts einer faktischen Überhäufung des einzelnen Gelehrten mit Daten oder Belegstellen und angesichts einer or­ ganisierten, disziplinär-geschlossenen Fachkommunikation, die ohne permanentes Lesen wohl nicht auskommt.

›Data sind immer falsch.‹ Der Philologe, Übersetzer, Publizist und Lyriker Rudolf Borchardt (1877–1945) hat diese Positionen immer wieder aus der klassischen Philologie heraus und gegen sie geschärft und variiert. In einem denkwürdigen Gespräch über Formen aus dem Jahr 1905 rechtfertigt er in einem gelenkten mäeutischen Gespräch ausgerechnet seine ÜberDas kulturkritische Funktionsspektrum der Szene

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setzung von Platons frühem Dialog Lysis ins Deutsche. Borchardt ver­sammelt – in jener szenisch-platonisierenden Gesprächsform – seine Kritik der Altphilologie vollständig. Er tat dies auf eine Weise, dass man geneigt ist, auf der ganzen Nietzsche-Linie bis zu Ortegas spätsoziologischen Etymologie fortan eher von einer Lebensphilologie als von einer Lebensphilosophie zu reden. Der Begriff der Lebensphilosophie verschleiert den Entstehungsort und die Umstände der entsprechenden Positionen nur. Zunächst werden das Antiquarische, die Sammelwut, die Stellen- und Beleggläubigkeit der Philologie von Borchardt erneut scharf attackiert, indem ihnen eine generelle Irrelevanz und der mangelnde Bezug ihrer zahllosen Belege zur Realität in schneidender Kürze vorgehalten wird: »Data sind immer falsch, oder wenn sie richtig sind, bezeichnen sie die uninteressanten Stadien.«26 Die Antwort ist wiederum ein Paradoxon: Die gesteigerte, zur Einmaligkeit verdichtete Einfühlung in die Entstehungsbedingungen einer je speziellen Form soll es richten. Form wird dabei als Erlebnis und nicht als Abstraktionsleistung von Wissenschaft verstanden: Die Formen als freie Erscheinungen wollen als das, was sie sind, nicht als das, wozu sie angeblich dienen, ergriffen sein, und wer überhaupt reich genug ist, sie zu erleben, wird sie so erleben, wie kein anderer vor ihm und nach ihm es kann.27

Welche kritische Konstellation aber war es genau, die diese Rhetorik der Verlebendigung des Toten oder Langweiligen provozierte, die den toten Buchstaben der Texte laufend eine scheinbar lebendigere und direkte Dialektik von Ruf und Schweigen unterschob, die vom Paradigma zum Sprechen gebrachter Sprache ausging? Seit wann wurde einer Prosa, die als abgekühlt-umständlich und bloß versammelnd abgestempelt wurde, wieder ein explizit szenischer Charakter der Entdeckung und des Erlebnisses eingeschrieben? Man kennt diese, rhetorisch auf Ausschließlichkeit angelegte Entgegensetzung von toten Buchstaben und lebendigem Geist seit sehr langer Zeit.28 Seit 1900 taucht sie auch in der Kritik der sogenannten Lebensphilosophie an der antiquarisch-positivistischen Gründlichkeit der Textwis142

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senschaften29 oder an den (zu) fein abgestimmten philosophischen Begriffs­gebäuden des Deutschen Idealismus auf. Friedrich Nietzsche und Henri Bergson habe Pate gestanden für diese Angriffe auf die vermeintlichen Nach­folger der frühauf‌klärerischen trockenen Schulphilosophie. Den Geistes­wissenschaf‌ten wurde von der Lebensphilosophie nach an­geblichen idealistischen Höhenflügen oder positivistischen Graben­kämpfen eine neue Nähe zum Leben abgefordert. Das Leben wurde zu einem attraktiven semantischen Kristallisationspunkt, der unterschied­ lichste, meist eher diffuse Kritiken an den mentalen, diskursiven und institutionellen Verfaßtheiten und Verfestigungen des feudal-­bürger­ lichen status quo im Kaiserreich ermöglichte.30

Worin genau aber besteht nun das Diffusse der Kritik am Kaiserreich im Namen des Lebens? Der wichtigste Gewährsmann Ortegas und seiner ganzen Generation war zweifellos der Klassische Philologe Friedrich Nietzsche. Er hatte dieser neuen deutschen Hermeneutik oder Verstehenslehre mit Rücksicht auf das konkrete Leben schon zwei Jahrzehnte vor der Wende zum 20. Jahrhundert mit einer grund­ legenden Kritik der Begriffe Ausdruck verliehen: Das Nachahmen ist darin der Gegensatz des Erkennens, daß das Erkennen eben keine Übertragung gelten lassen will, sondern ohne Metapher den Eindruck festhalten will und ohne Consequenzen. Zu diesem Behufe wird er petrificirt: der Eindruck durch Begriffe eingefangen und abgegränzt, dann getödtet, gehäutet und als Begriff mumisirt und auf ‌bewahrt.31

Seine epochemachenden Unzeitgemäßen Betrachtungen starteten dieses Programm nicht zufällig mit dem Angriff auf die Auslegungskunst eines Theologen und endeten auch nicht zufällig mit der unvollendeten Darstellung einer neuen Philologie. Kritisiert wurden in diesen Betrachtungen die angebliche Vereinbarkeit aller philologisch versammelten Belege mit den Anforderungen der Gegenwart, der Impetus Das kulturkritische Funktionsspektrum der Szene

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des allumfassenden Versammelns selbst, der mangelnde Respekt vor der Eigengesetzlichkeit vergangener Epochen und Formen, schließlich das Zutrauen in die universale Übersetzbarkeit vergangener Mentalitäten und Wertungshinsichten in den Horizont der Zeitgenossen. Der Kampf gegen eine ›Uebermasse von Historie‹ (F. Nietzsche) wurde explizit im Namen einer zurückzugewinnenden Plastizität der schrift- und druckbasierten Erkenntnisprodukte eröffnet. Denn diese besondere Plastizität schienen die im engeren Sinne technischen und abbildenden Medien immer schon spielend zu erringen – wenn man ihnen nicht gerade ihre Technizität als Unnatürlichkeit oder Ahistorizität zum Vorwurf machte. Dass ausgerechnet der demissionierte Altphilologe Nietzsche, demzufolge »unser Schreibzeug mit an unseren Gedanken arbeitet«32, dann diese disziplinär-methodische und gleichzeitig medientechnische Krise als eine existenzielle vorformulierte oder auswitterte33, überrascht nicht: Um diesen Grad von historischem Sinne, bei dem das Lebendige zu Schaden kommt, und durch ihn dann die Grenze zu bestimmen, an der das Vergangene vergessen werden muss, wenn es nicht zum Todten­grä­ ber des Gegenwärtigen werden soll, müsste man genau wissen, wie gross die plastische Kraft eines Menschen, eines Volkes, einer Cultur ist, ich meine jene Kraft, aus sich heraus eigenartig zu wachsen, Vergangenes und Fremdes umzubilden und einzuverleiben, Wunden auszuhei­len, Verlorenes zu ersetzen, zerbrochene Formen aus sich nachzuformen.34

Eine Gültigkeit beanspruchende neue Deutungs- und Darstellungstechnik von Daten meldet nun also ihren Anspruch mit jener ›Poetik des Rufs‹ an, von der Georg Stanitzek spricht, oder als ›dialogischen Existenzialismus‹. Schließlich wird dieser Anspruch als gesteigerte plastische Kraft des eigenen Sprechens inszeniert.35

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Der kleine Frechdachs Eine – medientechnisch betrachtet – auf‌f ällig unspezifische Rede von der Szene verleiht dieser im Text eine scheinbar unbegrenzte Kraft zur Verlebendigung des Geschriebenen. In diesen Kontext gehören auch Details, die an der Vorgehensweise des eingefleischten Nietzscheaners Ortega besonders bemerkenswert sind. Die entsprechende Poetik stattete sich selbst in wohlkomponierten Abständen und Abschnitten rhetorisch mit Bild und Ton und mit einer überschaubaren Dramaturgie aus. Es sind mithin in Texten rhetorisch hervorgerufene visuell-akustische Szenen, die die Einbildungskraft des Lesers gezielt in den Text hineinschalten. Die Plastizität der Szene und ihre gleichzeitige Qualität als Form ist geeignet, den behaupteten Gegensatz zwischen bloßen Worten, Begriffen oder Stellen aus der Vergangenheit und dem Leben der Gegenwart zu überbrücken. Dieses Leben droht in den alten Kategorien und Termini philosophischer Systeme laufend und zunehmend verfehlt zu werden.36 Mit der Veranschaulichung durch szenische Intermezzi wäre aber eine neue Legitimationshöhe der Interpretation gegenüber den zu vielen Data erreicht – worum es letztlich in den Kulturwissenschaf‌ten, die sich nicht als Digital Humanities verstehen, immer nur gehen kann. – Wenn nicht die Digital Humanities selbst schon die neueste Antwort auf ein altes Darstellungsproblem sind. Deshalb gehe ich noch ein letztes Mal zurück zu Ortega y Gasset, der den Gedankengang zumindest hier anstieß: Ist es in dem ausführlicheren Beispiel Ortegas mit der Rätsche auch ein Kinderscherz, der das Prinzip der Inszenierung vorführt, so sind es nach Ortegas eigentümlicher etymologischer Methodik zunächst scheinbar willkürliche Assoziationen im Wortumfeld, die den szenischen Rahmen abstecken. Die Hinführung eines Haupt- oder Eigenschaftswortes durch ein komplexes Wortfeld auf die ›ursprüngliche‹ Bedeutung eines Tuns erfüllt dann den genauen Zweck der szenischen Vergegenwärtigung. Die Szene wird auf dem schnellsten Wege skizziert37, statt in wissenschaftlicher Gründlichkeit hergeleitet zu werden. Ein zweites, sehr nietzscheanisches Beispiel soll genügen: Das kulturkritische Funktionsspektrum der Szene

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Gefährlich. Dieses Wort (spanisch peligroso) ist großartig: es drückt in aller Exaktheit den Sachverhalt aus, der mir vorschwebt. Probe, Versuch aber ist die ursprüngliche Bedeutung des lateinischen Wortes periculum, dessen unähnliches Kind das spanische peligro ist. Man beachte zugleich, daß die Wurzel per in periculum die nämliche ist, die auch in den Worten Experiment und Experte steckt. Ich habe hier leider keine Zeit, um mit zünftiger etymologischer Methode nachzuweisen, daß beim Wort ›Erfahrung‹ (spanisch experiencia) die Bedeutung ›durch Gefahr hindurchgegangen sein‹ zugrunde liegt.38

Die zu gründliche Herleitung wird nach Meinung Ortegas dem Ver­stehen gefährlich. Sie macht dem Ding zu viele Umstände und nimmt ihm dadurch seinen Sitz im Leben, der einzig Konkretheit verbürgt. So dient die kurze verlebendigende mimisch-verrätselte oder etymologisch-dialogische Szene dem Verstehen umso mehr. Gerade am Beispiel des Kinderscherzes mit der Rätsche aber wird die doppelte Auf‌hängung dieses Manövers deutlich: Die Szene als methodisches Konzept wird selbst szenisch eingeführt. Erst der Auf‌tritt des kleinen Frechdachses macht uns das Verhältnis von Begriff und Szene nach Ortega, macht uns seine Theorie scheinbar ganz ohne Theorie plausibel.

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Kapitel III: Metaphorik

3. Die Szene, der Sitz im Leben und die formengeschichtliche Methode Szene und Sitz im Leben Die theologische Formengeschichte fügte die Szene ihrem Begriffsrepertoire nach dem Ersten Weltkrieg hinzu. Der Hintergrund dieser Erweiterung war eine theoretische Innovation des 19. Jahrhunderts in der Erforschung der Geschichte literarischer Gattungen, die wir bis heute als Sitz im Leben kennen. Diese längst geflügelte Formulierung vom Sitz im Leben geht ursprünglich zurück auf Notizen Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers aus dem Jahr 1805 zu einer lateinisch verfassten Auslegungshilfe von 1761 zum Neuen Testament aus der Feder Johann August Ernestis: »Das Ganze wird ursprünglich verstanden als Gattung – auch neue Gattungen entwickeln sich nur aus einer größeren Sphäre, zuletzt aus dem Leben.«39 Der Aphorismus Schleiermachers wird zwischen 1906 und 1921 in formengeschichtlichen Untersuchungen zum Neuen und Alten Testament von Hermann Gunkel bis Rudolf Bultmann aufgegriffen und zu einer Theorie ausgebaut: »Jede alte literarische Gattung hat ursprünglich ihren Sitz im Volksleben Israels an ganz bestimmter Stelle«40, schreibt Hermann Gunkel 1906. Der Ausdruck meint den institutionellen Gebrauch und Gebrauchsort einer später kanonischen Textgattung – etwa der Predigt, der Wundergeschichte oder der Lehrsprüche und ihrer Ursprünge in und vor der Gemeinde, auf dem Markt- oder Richtplatz oder in der Schule als spezifische Publika: Wer dem nachgehen will, muß sich über die P r o d u k t i o n a n o ­n y ­­m e r K r e i s e , der religiösen Gemeinden oder des Volks­mundes Gedanken machen. Eine der ersten Entdeckungen in dieser Hinsicht war, daß in der Regel mündlich nur kurze Überlieferungen weitergegeben werden41,

heißt es noch 1964 in einem Buch »für den Anfänger im theologischen Studium«42. In der Zeitschrift für Evangelische Theologie resümiert 147

Gerhard Sellin dann 1990 die darüber unter Theologen lange geführte Debatte mit einer lapidaren Bemerkung: »Der Begriff ›Sitz im Leben‹, der die Brücke schlagen soll, ist leider außerordentlich unscharf. Die Hauptschwierigkeit liegt dabei in dem ungeklärten Verhältnis von Text und Leben.«43 Dass das Verhältnis von Literatur und Leben sich komplizierter gestaltet als es das Bild vom Sitz suggeriert, gehört unterdessen zu den wenigen, allen Kulturwissenschaf‌ten gemeinsamen Überzeugungen. Damit ist das Problem aber noch nicht gelöst. Heute geht man gemeinhin von einem Wechselspiel von Literatur und Leben oder Literatur und Gesellschaft aus, ohne allerdings Start und Ziel oder Strukturen und Regeln dieses Spiels befriedigend analysiert zu haben. Auch von den Theologen wird dabei die lebensphilosophische Wendung des Begriffs vom Sitz im Leben irgendwann fallen ge­lassen. Ein Beispiel für die ehedem lebensphilosophische Verwendung: Das Leben, so darf man nur allgemein behaupten, gestaltet diese Formen immer wieder, sie sind unliterarisch und volkstümlich. Die Tatsache, daß sie ihren Ursprung nicht einem Schriftsteller, sondern dem Leben selbst verdanken, besteht also, und insoweit hat das Schlagwort vom ›Sitz im Leben‹ sein Recht.44

Doch scheint mir die Pointe dieser so erfolgreichen Theorie-Metapher auch nicht in der Frage ihrer Richtigkeit oder Haltbarkeit zu liegen. Wenn man die Argumentationen rekonstruiert, die der Metapher vorausgegangen sind, sieht man schnell, dass darin vor allem die Erwartungen an die Wissenschaft Gestalt annahmen, den Abstand zwischen Literatur und Leben zu verringern – konkret: zwischen den komplexen theoretisch-ästhetischen Strukturen der einen und den womöglich handfesteren sozialen und politischen Gegebenheiten des anderen. Es ging also um eine Verlebendigung und Simplifizierung der Theorie unter den Stichwörtern ›Stimmung‹, ›Situation‹ oder ›Wirkung‹: Wer die Gattung verstehen will, muß sich jedesmal die ganze Situation deutlich machen und fragen: wer ist es, der redet? Wer sind die 148

Kapitel III: Metaphorik

Zuhörer? Welche Stimmung beherrscht die Situation? Welche Wirkung wird erstrebt?45

Die Geisteswissenschaf‌ten wollten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr – wie im Falle der philologischen Arbeit – endlos Belegstellen heranschaffen, sie wollten aber auch nicht – wie im Falle der philosophischen Arbeit – noch weiter unübersichtlich-verschachtelte Begriffsgebäude oder ›Systeme bauen‹. Sie wollten lieber plastisch-lebendige Ansichten ihrer Gegenstände gewinnen, die im Feld neuerer Medien konkurrenzfähig waren. Was lag da näher als der Versuch, ihre so verstreuten Belegstellen für ihre so abstrakten Gegenstände (der literarischen Gattungen) als lebendig-soziale Entstehungsorte mit spezifischen Entstehungsbedingungen zu reinszenieren? Der Sitz im Leben ist – einmal ausformuliert – eine bestimmte Szene aus dem Leben der Texte als mündliches Geschehen. An diesem neuerlichen Evidenzgewinn hatten all diejenigen Disziplinen ein Interesse, in deren Mittelpunkt der versammelnde und gleichzeitig interpretatorische Umgang mit den zahllosen Stellen stand. Man muss nur einen einzigen Blick auf die konkordanzförmigen Ergebnisse der synoptischen Studien werfen, um dieses Interesse als ein ihrerseits vitales zu begreifen. ( Abb.  13/14) Als Beispiel dieses neuen interdisziplinären Vor­gehens mag die Situierung der spätantik-christlichen Missionspredigt bei Eduard Norden dienen: Wenn irgendetwas, so erfordert die Exegese einer auf athenischem Boden sich abspielenden Szene des großen weltgeschichtlichen Dramas die gemeinsame Arbeit des Theologen und des Philologen. Der Philologe, der eine antike Rede analysiert, pflegt zu fragen: erstens, welches war das vom Verfasser übernommene Gedanken- und Formenmaterial, und zweitens, wie hat er dieses der bestimmten Situation angepaßt. Diese Gesichtspunkte lassen sich auch auf die Analyse der Areopagrede anwenden. Dies also war der Typus religiöser Propagandarede in Worten, verbindlich für jeden, der als Missionsprediger auf‌trat. Ein oratorischer Typus wird individualisiert durch die Persönlichkeiten des Redners selbst und des Publikums, zu dem er spricht.46 Der Sitz im Leben und die formengeschichtliche Methode

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Eduard Norden beruft sich hierbei wiederholt auf Nietzsches Basler Kollegen Franz Overbeck.47 Eine voraussichtlich glänzende Karriere an deutschen Universitäten hatte sich dieser mit einer erbitterten Kritik an Adolf von Harnacks Epochenbuch Das Wesen des Christentums (1900) verbaut.48 Stattdessen arbeitete er zeit seines akademischen Lebens privat an einem nie veröffentlichten, nie beendeten Kirchenlexikon. Es war die gelehrt-polemische Summa eines toten christlichen Glaubens, es war Overbecks Antwort auf das letztlich unlösbare, periodisch auf‌tretende Problem einer durch Verwissenschaftlichung profanierten Theologie: Man erkennt, wie nun das weltliche Wissen über die Theologie hinauswächst. Diese Tatsache ist bereits bedeutsam: der alte Rahmen des Wissens wird durch den bloßen Umfang neuen Wissens gesprengt.49

Aber Overbeck hatte auch der Verlebendigung seines Gegenstands einen wichtigen philologischen Dienst erwiesen. Um dem Sitz im Leben seinen so erfolgreichen Weg durch die Disziplinen zu bahnen, musste nämlich zunächst vor allem der formale, ästhetisch-mediale Sonderstatus von bestimmten literarischen Texten der biblischen Überlieferung kassiert werden, so dass sich die Strecke zwischen Kunst und Leben überhaupt erst rhetorisch effektiv verkürzen ließ. Overbeck leitete diese Verkürzung ein, indem er 1869 in einer Vorlesung in Jena und Basel für die patristische Literatur folgendes Bonmot festhielt: »Form ist nicht blos bewußte Form und auch nicht blos schöne Form.«50 An anderer Stelle fasste er dasselbe Problem in den begriff‌lichen Gegensatz von (ästhetischer) Kanonisirung und (historischer) Ursprünglichkeit von Gattungen.51 Eduard Norden zitierte später Overbecks Abhandlung Über die Anfänge der patristischen Literatur von 1882 als ›formgeschichtlichen‹ Ansatz, um den Briefen des Paulus genau diese Art von Ursprünglichkeit zu attestieren.52 Norden war zudem (in Overbecks Worten) überzeugt, dass in den Briefen ›das geschriebene Wort, ohne als solches etwas bedeuten zu wollen, weiter nichts als das kunstlose Surrogat des gesprochenen ist. Paulus schrieb 150

Kapitel III: Metaphorik

an seine Gemeinden nur um ihnen schriftlich zu sagen, was er ihnen mündlich gesagt hätte, wenn er an Ort und Stelle gewesen wäre.‹ Das ist richtig; Paulus selbst hat auf seine schriftstellerische Thätigkeit gewiß noch weniger Wert gelegt als Plato.53

So wurde die Formengeschichte in der Bibelphilologie des 19. Jahrhunderts eingeführt, um dann in der Theologie und Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts durch Hermann Gunkel, Hugo Greßmann54, Rudolf Bultmann55, Eduard Norden, Karl Ludwig Schmidt56 und Martin Dibelius57 vervollkommnet zu werden und irgendwann auch den offiziellen Namen ›Formengeschichte‹ bzw. ›Formgeschichte‹ zu erhalten. Das Stichwort ›Form‹ liefert angeblich 1905 Julius Wellhausen in seiner Einleitung in die ersten drei Evangelien: »Die mündliche Tradition überliefert den Stoff keineswegs formlos, und sie verbessert allmählich die Form, bis sie so bleiben kann.«58 Rückblickend erscheint das wie ein Paradigmenwechsel der Politik in aestheticis, genauer: wie eine Ersetzung des Epos durch die Szene. Denn das Epos war gegen Ende des 18. Jahrhunderts ebenfalls ein aus dem idealisierten Altertum in die Gegenwart hinein-imaginierter Medienstandard, der auf politische Einheit von nationalen Terri­ torien durch die Annahme von Kollektivlektüren abzielte. Es hatte den Buchmarkt und das Volk als ideales Leservolk zur Voraussetzung. Seit 1735 hatte die schottisch-englische Homer-Philologie (Thomas Blackwell) eine Ilias herauskonturiert, die, geschrieben von einem Originalgenie, als zusammenhängendes Wiegenlied des Abendlandes betrachtet wurde und auch die Theologen inspirierte. Baugleiche Abhandlungen zur hebräischen Poesie als Volksepik (Bischof Robert Lowth) folgten, volkstümliche gälische Nationalepen und Barden (Hugh Blair) wurden gleich ganz dazu erfunden.59 Die Abkühlung dieser philologisch-politischen Forschungsmotivation lief dann auf eine Verabschiedung der Vorstellung hinaus, dass Texte aus einem Guss, Texte eines genialen Autors – gelesen oder gehört von einer ganzen Bevölkerung – spiegelbildlich die Kraft haben, die Einheit und Ursprünglichkeit politisch-theologischer Gebilde zu erklären und zu garantieren. Der Sitz im Leben und die formengeschichtliche Methode

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Neue Medien und neue Vertriebswege wie die Historienmalerei, das Panorama oder die Fotografie, das Volkstheater oder die lithografisch illustrierten Unterhaltungsbücher aus der Schnellpresse hatten dann die Erwartungen an die Medien wie an die Wissenschaft umgekrempelt.60 Walter Benjamin beschrieb diese Popularisierung einfach als Moment der Industrialisierung: Popularisierung war noch vor wenigen Jahren ein bedenkliches Grenz­land der Wissenschaft. Seit kurzem hat sie mit Hilfe der großen Ausstellungen, das heißt aber mit Hilfe der Industrie, sich emanzipiert. In der Tat: die außerordentlichen Verbesserungen, die in die Technik der Veranschaulichung eingeführt wurden, sind nur die Kehrseite der Reklame.61

Dem übersteigerten Konzept des Individuums, dem Geniekult, folgte eine Auseinanderfaltung desselben in anonyme Einflüsse, Anlagen, Klassen oder Milieus. In diesem langen Moment der Mediengeschichte wurde in den klassischen, biblischen und nationalen Philologien die kleinteiligere Einheit der Szene interessant, weil sie zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu vermitteln schien. Die Szene ermöglichte eine plastische Situierung von literarischen Kleingattungen in den Textkonglomeraten der Bibel. Dieselbe Lösung bot sich bei der zerstreuten epischen Überlieferung angeblich erwachender Nationen und schließlich auch im Falle der nur fragmentarisch überlieferten Literatur der ›Alten‹ (Griechen) an. Die Szene ermöglichte in allen Fällen einen situativen Anschaulichkeits- und Lebendigkeitsbonus ohne einen politisch und ästhetisch überdeterminierten Einheitsanspruch.

Die volkskundliche Poetik der Szene Diese Innovation der pseudo-mündlichen Kleingattungen hatte viele Ursprünge und stammte auch aus der 178262 oder 178763 erstmals so genannten Volkskunde, die hier noch der in Staatskunde und Landeskunde untergliederten Statistik zugehörte. Aus diesem geografisch-­ 152

Kapitel III: Metaphorik

nationalkundlichen Zusammenhang heraus entwickelte sich also die Volkskunde. Sie klassifizierte mit solchen Kleingattungen später die angeblich mündlichen Überlieferungen jenes zunächst mehr imaginierten als bestehenden Volkes. Dessen wiederentdeckte Zeugnisse sollten einem zukünftigen Staatsvolk als Orientierung aus der Vergangenheit dienen: »Vom Volkslied bis zum Volksschauspiel, vom Sprich­­wort bis zum Rätsel, vom Volksmärchen bis zur Volkssage, vom Necknamen bis zur Volkssprache«.64 Die Formengeschichte wurde tatsächlich aus einem Problembewusstsein heraus entwickelt, das unmittelbar mit der Erwartung an die Philologie im ausgehenden 18. Jahrhundert zusammenhing, wie sie einleitend geschildert wurde. Die Kehrseite dieser so erwartungsfrohen Einheitsphilologie war nämlich die progressive Anhäufung deutungstechnisch nur noch schwer integrierbarer Belege oder Stellen, kurz – ihre vergleichende Methodik: »Die Volkskunde ist ihrem Begriff nach vergleichend«, vermerkte Wilhelm Heinrich Riehl 186265, in ihrem Zentrum stand ein ›philologisch-historisches Interesse an den populären Daten der Kultur‹ (H. Bausinger)66. Zu solcher Datensammlung hatte 1815 schon Jacob Grimm selbst, von Wien aus, mit einem denkwürdigen Zirkular an »interessierte Forscher aus ganz Mitteleuropa«67 aufgerufen, das er wenige Jahre später für Westfalen wiederholte.68 Der Theologe und Philologe Karl Bernhardi hatte 1841 zur Erstellung einer umfassenden deutschen Sprachkarte gefordert, dass »die Forscher von Dorf zu Dorf, von Feldstein zu Feldstein wandern«69. In England prägte 1846 William John Thoms den Begriff der ›Folklore‹ für die Volksüberlieferung, der sich schnell ausbreiten sollte.70 Hans-Harald Müller hat darauf hingewiesen, dass solche empiriegesättigte Märchen- und Mythenforschung der Brüder Grimm, der Indologie und der englischen Anthropologie die Kenntnis der europäischen und überseeischen Märchen im 19. Jahrhundert auf ein unüberschaubares Maß anwachsen ließen und damit neue Mittel für deren Vergleichung zu einer Voraussetzung für die weitere Forschung wurden.71

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Die Lage im deutschsprachigen Raum war folgerichtig noch etwas spezieller, da hier die überseeischen Ursprungs-Ressourcen durch kontinentale ›pangermanisch-bäuerliche‹ ersetzt werden mussten. Wilhelm Mannhardt initiierte 1865 eine gigantische Fragebogen­ aktion für seine Sammlung der Ackergebräuche, er verschickte 100 000 oder sogar 150 000 davon in »Deutschland, Österreich, Ungarn, Polen, Litauen, Skandinavien, Holland, Frankreich, der Schweiz«72, um diese Völker zu ermuntern, nun Gau für Gau jene Dinge, welche im Leben untergehen und untergehen sollen, für den Gebrauch der Wissenschaft zu retten, da die alten Traditionen unter dem Sturmschritte der modernen Kultur in schnellwachsender Proportion verschwinden73.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts trennt sich in Deutschland dann diese Volkskunde endgültig von der Völkerkunde ab. 1891 wurde die 1859 von Moritz Lazarus und Heyman Steinthal gegründete Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft durch Karl Weinhold als Zeitschrift für Volkskunde fortgesetzt. Weinhold hatte ein Jahr zuvor auch den Berliner (und damit ersten deutschen) Verein für Volkskunde gegründet.74 In den ohnehin recht pauschal als ›germanisch-bäuerlich‹ adressierten Staaten Finnland, Dänemark, Norwegen oder Schweden wurden gleichzeitig volkskundliche Forschungsansätze entwickelt, die gerade im deutschsprachigen Raum auf große Resonanz stießen. 1907 schließlich begann »die organisierte internationale Arbeit mit dem ›Folkloristischen Forscherbund‹ mit Sitz in Helsinki«75. Auch »die vergleichenden Rätselforschungen, in der das Haupt der finnischen Schule Antti Aarne ein gewaltiges Material zusammengebracht hat«76, wären hier zu nennen. Die Mittel für solche Vergleichungen waren nun einerseits jene motivisch-formale Charakterisierung der einzelnen Elemente des Genres, zu denen auch die Szene gehörte, wie der dänische Volkskundler Axel Olrik sie 1909 – immer noch in Grimmscher Kleinschreibung – zusammenfassen konnte:

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das gesetz des einganges und des abschlusses, die widerholung, die dreizahl, die scenische zweiheit, das gesetz des gegensatzes, das zwillingsgesetz, das achtergewicht, die einsträngigkeit, die schematisierung, die plastik, die logik der sage, die einheit der handlung (die epische und die ideale einheit), die concentration um die hauptperson (sowol die vollkommene als in gewissen fällen die formale concentration).77

Der für die Märchenforschung zentrale Aarne-Thompson-Index gliedert nicht nur, aber auch nach Szenen.78 Andererseits ist es die Zu­ordnung innerhalb eines neuen, immer differenzierteren Genrekanons aus Märchen, Sage, Epos usw., wie sie ihren vorläufigen Höhepunkt dann 1930 in André Jolles (fast schon wieder abschließendem und enzyklopädischem) Klassiker Einfache Formen. Legende / Sage /­ Mythe /  Rätsel / Spruch /  Kasus / Memorabile / Märchen /  Witz findet. Man kann deshalb sagen – und damit haben wir auch eine neue Aussicht auf die Szene gewonnen –, dass die eigentliche Innovation dieser Entwicklung aus der Volkskunde darin bestand, dass die Genres nicht kleiner, sondern dass die kleinen Genres in ihrer Entstehung (wieder) situativer und plastischer vorgestellt wurden: Witz, Anekdote, Rätsel, Spruch – hier lag die Mündlichkeit als Ursprungsszenario scheinbar mehr als nahe. Damit war eine vermeintliche Alltags- oder Lebensnähe der Literatur und Wissenschaft zurückgewonnen, welche dem bloßen Versammeln der Belege wieder eine gewisse soziale oder kommunikative Relevanz – jenseits von systematischer Begriff‌lichkeit, Grammatik und Etymologie – einzuhauchen versprach. Die Wissenschaf‌ ten rückten wieder an die Medienstandards des ausgehenden 19. Jahrhunderts heran. Gerade als ein Maßstab für Evidenz in den Wissenschaf‌ten sind die Leistungen medialer Unterhaltungsumgebungen nicht zu unterschätzen. Natürlich werden sie nicht explizit übernommen, denn das wäre unwissenschaftlich, aber sie diffundieren – schon ob ihres permanenten Erfolgs – in den Diskurs über ›relevante‹ Wissenschaft, der wiederum bis heute öffentlich geführt wird.

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Volkskunde und Theologie Erich Fascher paraphrasiert 1924 in seiner Darstellung und Kritik der formgeschichtlichen Methode einfach Axel Olriks schon angeführte »Gesetze der epischen Volksdichtung«, um dann ihre Anwendung bei »Gunkel, Dibelius und Bultmann«79 zu konstatieren: Das Gesetz der szenischen Zweiheit (zwei Personen treten handelnd auf, Parteien werden als Individuen behandelt, z. B. die Pharisäer). Dem entspricht das Gesetz des Gegensatzes (Reicher – Armer, Guter – Böser; Jakob – Esau, Maria – Martha), Spieler und Gegenspieler stehen einander gegenüber. Jede Eigenschaft von Personen oder Dingen wird handelnd dargestellt, nicht beschrieben. Diese Handlung ist einsträngig, d. h. sie wird erst zu Ende erzählt und nicht von einer anderen unterbrochen (die Erzählung gleicht der Plastik, nicht der Malerei). Plastische Situationen von gewisser Dauer kommen häufig vor (z. B. Simson zwischen den Säulen des Tempels). Sie gleichen Skulpturen und haben festes Einprägen ins Gedächtnis zur Folge.80

Zwischen philologisch-historistischer Atomisierung in Stellenkonkordanzen oder Registern und Ur-Evangelium lagen jedenfalls um 1900 ganz folgerichtig nun die scheinbar lebensnahen mündlichen Kleinformen urchristlicher oder urkirchlicher81 Verhältnisse, die mindestens in Wechselwirkung mit der entstehenden Volkskunde entwickelt worden waren. Später hat sich die theologische Formengeschichte dann selbst – mit der sogenannten neutestamentlichen Einleitungswissenschaft um 1800 – ex post zur Quelle der formgeschichtlichen Methode erhoben: In der Tat ist wichtig, daß diese Methode bereits in der klassischen Philologie und der sogenannten folkloristischen Forschung erprobt ist. Sie hat aber dort nicht ihren Ursprung, sondern es wird gezeigt werden, daß sie auf dem Gebiete der synoptischen Forschung zu Hause war und nach langer Abwesenheit in benachbarten Gebieten der Wissenschaft gleichsam in ihre alte Heimat zurückkehrte.82 156

Kapitel III: Metaphorik

Doch erst nachdem die theologische Formengeschichte am Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Urevangelium, das am Wunschbild eines Nationalepos ausgerichtet worden war, ansatzweise jenes szenische Urchristentum gemacht hatte, konnten nunmehr vor allem in die Evangelien auch rein mündliche Ursprungsverhältnisse einkehren. Sie verdankten ihre Entstehung angeblich »– von den Redaktoren und ihren noch nachweisbaren Spuren abgesehen – der mündlichen Tradition«83. Dieser merkwürdige Begriffsgebrauch und die ihm zugrunde liegende Vorstellung nachträglich (redaktionell) ergänzter »einmal existierender Szenen«84 sind ein vorläufiger Höhepunkt all dieser Debatten im Zeichen der Szene. Entscheidend ist dabei – von der Ebene der Medienstandards aus betrachtet – nicht mehr die unifizierende Gemeinschaftsidylle nationaler Buchmärkte um 1800. Entscheidend ist die anderen, neuen Medien abgeschaute vermeintliche Plastizität (Skulptur) und Lebendigkeit kleinteiligerer, szenischer Ansichten in überschaubaren ur­kirchlichen Verhältnissen. Rudolf Bultmann führte 1921 schließlich die Unterscheidung von ›idealen‹ und ›biographischen‹ Szenen in den Texten der Evangelien ein, um die Kontroverse innerhalb des szenischen Konzepts auszutragen. Franz Overbeck, jener enge Studienfreund Heinrich von Treitschkes und Kollege Nietzsches, hatte in seinem frühen Hauptwerk Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie von 1873 noch eine unüberbrückbare Kluft zwischen Urchristentum oder Urkirche und Theologie konstatiert. Jetzt ist es genau diese Kluft, die ab 1924 der Harnack- und Gunkel-Schüler Rudolf Bultmann als neue dialektische Theologie zum Quellpunkt der Möglichkeit des Glaubens aus dem ›Geist der Szene‹ erklären sollte.

Szene und kleine Formen Wie in der Bibelphilologie des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts werden in der Germanistik zunächst die kleinen Alltagsformen mit einem Sitz im Leben ausgestattet und zur methodischen Neubesinnung herangezogen: Robert Petsch versuchte schon 1898 diese Probleme mit dem sich langsam in der evangelisch-philologischen KirchengeDer Sitz im Leben und die formengeschichtliche Methode

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schichte schärfenden Instrumentarium aus der Volkskunde heraus zu lösen.85 Erst zwei Jahrzehnte später wird er die Methode in die Neugermanistik transferrieren – allerdings nicht ohne 1912 eine ausführliche Rezension zu Gunkels und Greßmanns AT-Kommentar verfasst zu haben.86 Die Problematik, ja die Fächerkonstellation, die Robert Petsch so einzigartig verkörpert, blieb dem Fach (oder sollte man sagen: den Fächern) lange erhalten: André Jolles widmete – das wurde schon vermerkt – 1930 den einfachen Formen eine bis heute bedeutende, immer wieder rezipierte formengeschichtliche Studie.87 Der 1874 ge­borene Niederländer Johannes Andreas Jolles war ein in Freiburg (i. Br.) promovierter und habilitierter Kunsthistoriker, Privatdozent in Berlin, 1914–16 eingebürgerter Kriegsfreiwilliger der Reichswehr, ab 1916 Professor für Archäologie und Kunstgeschichte im besetzten Gent, ab dem WS 1918/19 Professor für flämische und nordniederländische Literatur an der Universität Leipzig, ab 1923 auch für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft. Sein volkskundliches Werk Einfache Formen von 1930 wurde in viele Sprachen übersetzt. Jolles trat 1933 der NSDAP bei und arbeitete gegen Ende des Zweiten Weltkriegs an einer Auf‌tragsstudie zur Geschichte und Symbolik des Freimaurerordens im 18. Jahrhundert für den Sicherheits­dienst (SD) des Reichs­führer-­SS. Anfang 1946 beging er in Leipzig Selbstmord.88 Jolles’ berühmte Studie benennt die Formengeschichte in aller Deut­lichkeit als das, was sie in allen Fällen sein wollte – ein Ausweg aus dem hermeneutischen Problemlage der zu vielen Data (Herder89), der notorisch uninteressanten Data (R. Borchardt), oder auch der übermässigen Historie (F. Nietzsche). Diese Historie im Übermaß schien lange Zeit den Weg zu einer schlüssigen und gegenwartsrelevanten Deutung der Gegenstände zu versperren, die ihnen einen offenen Entwicklungshorizont einräumte und nicht unfreiwillig zu einem honorigen Begräbnis unter Troja-artig nummerierten Belegschichten verhalf. Jolles konstatiert wie seine Vorgänger einen schlichten, aber fundamentalen Widerspruch zwischen dem Wissen, das man intuitiv und situativ hat, und dem Wissen, das man mithilfe der Wissenschaft mühsam gewinnt. Diesen Widerspruch gilt es für ihn zunächst zu beschreiben und dann aufzulösen: 158

Kapitel III: Metaphorik

Was Rätsel und was Rätselraten heißt, wissen wir – allerdings wissen wir es meistens aus den bezogenen Formen, in denen es auch in unserem Leben eine Rolle spielt; wir kennen sie aus den kindlichen Aufgaben, aus den Rätselecken unserer Zeitungen. Eine mustergültige Veröffentlichung auf diesem Gebiete ist der Band Rätsel, den Richard Wossidlo 1897 publizierte. ›Das Deutsche Volksrätsel‹ hat Robert Petsch behandelt. Mit diesem sehr großen Material wird der Versuch unternommen, historisch und geographisch den Punkt zu bestimmen, wo ein solcher Typus entstanden sein kann. Da sich das rein historisch meist nicht genau feststellen läßt, wird ›vergleichend‹ vorgegangen, das heißt man schließt aus einer Anzahl Varianten desselben Datums auf die Urgestalt, die allen Varianten desselben Typus zugrunde liegen muß. Weiter versucht man, wieder historisch-geographisch, den Weg zu verfolgen, den diese Typen durch Zeiten und Völker genommen, und die Wandlungen zu beobachten, die sie auf ihrem Wege von Kultur zu Kultur durchgemacht haben. Die Gefahr, sich hier in einem Kreis zu bewegen, ist groß: man schließt aus historisch-geographischen Daten auf eine Urform; die Wandlungen dieser hypothetischen Urform werden dann wieder durch die gleichen historisch-geographischen Daten erklärt. Aber auch wenn dieser Kreis vermieden wird, bleibt die aus zahllosen Vergegenwärtigungen abgeleitete Urform selbst immer noch im besten Falle eine gegenwärtige Form, im ungünstigsten eine bezogene Form oder Kunstform.90

Dass die einfache Teleologie der Urformen – trotz aller Urvorsilberei – unweigerlich in der Gegenwart verharrt, hat Jolles gnadenlos nachgewiesen. Noch deutlicher wird das in einer durchaus positiven Rezension von Jolles’ Monografie durch Robert Petsch formuliert: So wenig wie es eine Urform des Dramas gibt, aus der sich alle seine späteren Erscheinungsformen ableiten ließen, so wenig eine Urerzählung, die den eben umrissenen Typus mit einer gewissen Reinheit und Vollständigkeit darstellte.91

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Die Lösung dieses Dilemmas kommt scheinbar aus jener Gegenwart und dem Alltag. Die zunächst zufällig erscheinende Relevanz des Gegenstandes, die sich aus der einfachen Tatsache seines Vorhandenseins in Lebenswelt und Alltag ergibt, wird überführt in die historische Situation und den Kontext einer Herkunft und Entstehung. Wie der gegenwärtige, fraglose kindliche Relevanzkontext (Rätselecke) mit der puren Zeitgenossenschaft scheinbar von selbst in den Blick kommt, und dadurch seine Selbstverständlichkeit erhält, wird nun auch nach einem verschollenen historischen Relevanzkontext anderer Gegenstände in der Vergangenheit gesucht. Es wird eine kommunikative Szene der Form- oder Gattungsentstehung konstruiert. Die Formen der Formengeschichte sind Entstehungs-Szenen von Stellenmassen, die damit in eine soziologisierende Topik des Konkreten oder Situativen überführt werden können: von der beliebigen Stelle zum historischen Ort oder Sitz.

Topik und Szene: das Beispiel der acclamatio Damit ist der Punkt erreicht, an dem auch Sitz, Szene und Topos zueinander ins Verhältnis gesetzt werden müssen. Ein Blick in den Anmerkungsapparat von Carl Schmitts Buch vom Nomos der Erde zeigt, dass sich der ›Sitz im Leben‹ und seine szenischen Qualitäten an die Topik, dieses deutlich ältere Programm der abendländischen Geistesgeschichte, problemlos anschließen lassen: Die Lehre von den ›Topoi‹ ist von Aristoteles entwickelt worden, und zwar als Teil der Rhetorik. Sie ist die Dialektik des öffentlichen Platzes, der Agora, zum Unterschied von der Dialektik des Lyceums und der Akademie. Was ein Mensch dem andern sagen kann, ist diskutabel, plausibel oder überzeugend nur im rechten Rahmen und am rechten Ort. So gibt es auch heute noch unentbehrliche ›Topoi‹ der Kanzel und des Katheders, des Richterstuhls und der Wahlversammlung, der Konferenzen und Kongresse, des Kinos und des Rundfunks. Jede soziologische Analyse dieser verschiedenen Orte müßte mit einer Darstellung ihrer verschiedenen ›Topoi‹ beginnen.92 160

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Was Hermann Gunkel 1906 im Rückgriff auf die romantische Philologie für bestimmte mündliche Gattungszugehörigkeiten biblischer Textteile zuerst ausgemacht haben wollte, entpuppte sich seinerseits als ein Topos – ein bloß metaphorischer Sitz der Literatur im Leben. Der Staatsrechtslehrer Carl Schmitt selbst, dem zeitweise die »theologische und iuristische Interpretation ohne weiteres dasselbe«93 zu sein schien, hat den wohl entscheidenden Theorie-Begriff seiner gesamten Staatsrechtslehre nach den Vorgaben der Formengeschichte um 1900 entwickelt. Die alles entscheidende Szene echter Demokratie, ihr Kern, ist für Schmitt die acclamatio. Diese acclamatio nun wirkt als Konzept nur, wenn der Begriff einen angeblichen Sitz im Leben szenisch aufrufen kann. Der Sitz kommt genau wie der konstruierte einfache mündliche Gattungsursprung der Theologen ins Spiel, wenn die Politik als zu kompliziert, zu kleinteilig, d. h. als schon abgetrennt vom Volk erscheint94: Nur von solchen einfachen und elementaren Erscheinungen aus läßt sich der ziemlich verdunkelte, aber für die moderne Demokratie wesentliche Begriff der Öffentlichkeit wieder in seine Rechte einsetzen und das eigentliche Problem der modernen Demokratie erkennen. Die Methode der geheimen Einzelabstimmung ist nicht demokratisch. Geheime Einzelabstimmung bedeutet, daß der abstimmende Staatsbürger im entscheidenden Augenblick isoliert wird. Die Versammlung des anwesenden Volkes und jede Akklamation ist auf diese Weise unmöglich geworden, die Verbindung von versammeltem Volk und Abstimmung völlig zerrissen.95

Um den tatsächlichen Sitz im Leben der acclamatio, vulgo: der echten Demokratie, wird bei Schmitt gestritten. Wenn es nicht das moderne Parlament ist, kann man ihre reinere Form wohl nur in der Vergangenheit – und dort an überraschender Stelle – ausfindig machen, folgert er: Je stärker die Kraft des demokratischen Gefühls, um so sicherer die Er­kenntnis, daß Demokratie etwas anderes ist als ein Registriersystem Der Sitz im Leben und die formengeschichtliche Methode

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geheimer Abstimmungen. Vor einer, nicht nur in technischen, sondern auch im vitalen Sinne unmittelbaren Demokratie erscheint das aus liberalen Gedankengängen entstandene Parlament als eine künstliche Maschinerie, während diktatorische und zäsaristische Methoden nicht nur von der acclamatio des Volkes getragen, sondern auch unmittelbare Äußerungen demokratischer Substanz und Kraft sein können.96

Wenn es nun die ganze Zeit um einfachere urkirchliche Kommunikationsverhältnisse und ihre Korrespondenzen mit römisch-zäsaristischen Verhältnissen oder gar der Diktatur geht, dann verwundert es nicht, dass die theologische Formengeschichte selbst sich intensiv mit dem Problem der acclamatio auseinandergesetzt hat. Schließlich hatte Adolf von Harnack schon 1905 eine umfangreiche Monografie zur Militia Christi: Die christliche Religion und der Soldatenstand in den ersten drei Jahrhunderten herausgebracht und Carl Schmitt 1921 seine Studie über Die Diktatur veröffentlicht. Die eigentlichen Experten unter den Kirchen- oder Rechtshistorikern in dieser Sache waren aber weder Martin Dibelius, immerhin der erste Historiker der Formgeschichte des Evangeliums (1919), der die Akklamation als abschließendes Stilelement von ›Wundergeschichten‹97 herausarbeitete, noch der Mandarin Adolf von Harnack.98 Zu nennen ist hier an erster Stelle Erik Peterson. Peterson hatte in Göttingen studiert und war dort von 1921 bis 1924 Kollege von Karl Barth, dem Mitbegründer der Dialektischen Theologie. Er veröffentlichte zum Thema 1926 seine riesenhaf‌te, erweiterte Habilitationsschrift: Heis Theos. Epigraphische, formgeschichtliche und re­li­­gionsgeschichtliche Untersuchungen zur antiken ›Ein-Gott‹Akkla­­mation. Nach dem berufenen Urteil von Roland Kany begann diese Schrift »als religionsgeschichtliche Spezialuntersuchung über einen antiken Inschriftentyp und endete als profunde Studie über das Phänomen der Akklamation«99. Erik Peterson war vor seiner Konversion zum Katholizismus im Jahr 1930, die ihn umgehend sein Amt kostete, von 1924 bis 1929 Ordinarius für Neues Testament und Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Damit war er Kollege (und Freund) von Carl Schmitt100,

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welcher der Iuristischen Fakultät der Universität Bonn als Nachfolger von Rudolf Smend von 1922 bis 1928 angehörte: Als Peterson 1924 in Bonn begann, hatte er von Schmitt schon im Münchner Kreis um Theodor Haecker (1879–1945) gehört, wo sie sich vielleicht sogar begegnet waren. In Bonn wurde er ein enger Freund Schmitts. Sie trafen sich bald jede Woche und Schmitt bat Peterson, als Trauzeuge bei seiner zweiten, nichtkirchlichen Eheschließung anwesend zu sein.101

Nur kam Peterson in Sachen acclamatio zu einem völlig anderen Ergebnis als Schmitt. Seine Stellensammlung zum Thema ließ sich auf keinen einfachen Nenner bringen, fand keinen passenden Sitz im Leben, aus dem sich vielleicht noch eindeutigere politische Schlüsse ziehen ließen. Im Gegenteil: Peterson ordnete die Materialien »gerade nicht in eine Entwicklungsreihe ›von der Religion in die Politik‹ ein«102. Auch wenn sich Schmitt in diesem Sinne mehrfach auf die Studie des ehemaligen Kollegen berief, ja, sich in einer umfangreichen Nachschrift zu der von 1926 und 1936 zwischen ihnen geführten Debatte sogar bemühte, Petersons Schrif‌ten im Sinne seines eigenen Konzepts von Charisma, acclamatio und Demokratie zu lesen, blieb es bei dieser grundsätzlichen Divergenz.103

Vom Volkston zum Hörspiel Überlebt hat die Formengeschichte – neben der Verwendung in der Theologie – wohl nur in der aus heutiger Sicht relativen Verborgenheit der volkskundlichen Alltagsgeschichte104 und in Seitenarmen der iuristischen Fachliteratur.105 Das hat unter anderem den Hintergrund, dass die Grimmsche Methode schon von den Grimms selbst auf die Historische Rechtsschule ihres Lehrers Friedrich Carl von Savigny – als vergleichende Auslegung der römischen Rechtsaltertümer – zurückgeführt worden ist.106 Wilhelm und Jacob Grimm hörten bei von Savigny 1802/03 hermeneutische Methodologie107. Das Faible für

Der Sitz im Leben und die formengeschichtliche Methode

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mündliche Verhältnisse ergab sich unter anderem auch daraus, dass die durch Savigny vermittelte Kenntnis (frisch produzierter) romantischer Lieder als »Übung im Hören mittelalterlicher Poesie«108 genutzt wurde. In der Medienwissenschaft machte die Formengeschichte ebenfalls eine eher apokryphe Karriere: Eugen Kurt Fischer (1892– 1991) hatte das Konzept 1916 mit einer Arbeit zur Stoff- und Formengeschichte des neueren Volkslieds aus der Volkskunde in die Germa­nistik überführt: Wie dem naiven mittelalterlichen Maler eine biblische Szene Anlaß gab zur Wiedergabe zeitgenössischer Menschen und Bräuche, so gibt dem Volksdichter ein beliebiges Lied, das noch oder auch nicht mehr Kunstlied ist, Anlaß, es dem Bedürfnis der eigenen Zeit und Bildungsschicht in Form und Auf‌fassung des Inhalts mundgerecht zu machen. Wer also die Geschichte der Form kennt, der kennt schon einen Teil der Geschichte des Volkes, soweit es sich im Liede offenbart.109

Von dort aus brachte Fischer das Konzept über die Theatergeschichte110 zur Rundfunktheorie111 und zur Hörspielforschung. 1964 erschien dann seine inzwischen klassische Arbeit Das Hörspiel. Form und Funktion. Dass für einen ehemaligen Volkskundler gerade die Formen medientechnisch simulierter Mündlichkeit von Interesse sind, überrascht dabei nicht. Bei den früh einsetzenden Volksliedsammlungen entstand sogar als Arbeitshypothese eine akustische Idylle, ein idealer Volkston, den zu treffen, sich Erforscher der nationalen Vergangenheiten wie Künstler der Gegenwart bemühten. Gemeint war »der Schein des Ungesuchten, des kunstlosen, des Bekannten«, wie ein Komponist 1782 erstmals notierte112, und das galt für die Musik, aber auch für den richtigen Predigtton113. Volkslied und Volkston wurden zu einem idealen Ort der Verbindung von Volk und Kunst.114 Dieser tönenden Volksutopie machten – wissenschaftsgeschichtlich – erst die vergleichenden Liedforschungen John Meiers und ihr erstmaliger Vortrag auf dem Dresdner Philologentag von 1897 den Garaus: »Mit philologischer Akribie erbrachte er den Beweis seiner Theorie durch die systematische Ermittlung der Herkunft von 336 bekann164

Kapitel III: Metaphorik

ten Volksliedern aus der Individualdichtung vergangener Zeiten.«115 Seine späteren Volkslied-Sammlungen versetzten diese Arbeitshypo­ thesen endgültig in das Reich der Legenden, da Meiers Editionen unmissverständlich das Kunstlied als Ursprung des Volksliedes ergaben und die polykontexturalen künstlichen Entstehungsstufen und multimedialen Überlieferungstechniken den natürlich-anonymen Herkünf‌ten des angeblichen Volksgutes vorzogen. Diese Ernüchterung wirkte nicht sofort, vor allen Dingen nicht politisch, aber sie definierte einen wissenschaftlichen Standard, hinter den man nur mit viel Mühe und Ignoranz zurückkehren konnte. Eugen Kurt Fischer, der John Meiers Forschungen natürlich kannte und auch zitierte116, verlegte sich zehn Jahre später auf die theatrale Laienbühne und schließlich auf die Dramaturgie des Rundfunks117. Man könnte nun meinen, dass spätestens mit dem Rundfunk die Szene als Kategorie keine Rolle mehr spielt, aber wenn Fischer 1949 die »akustischen Formgesetzlichkeiten des Rundfunks« erklärt, dann ist ihm ein Aspekt besonders wichtig: In der Erinnerung wird die Nachricht unter Umständen mit dem Raumerlebnis – Zimmer, Wirtsstube, Garten, Straße, Bahnhofshalle, Arbeitsstätte –, das wir beim Empfang der Sendung hatten, verschmolzen sein. Natürlich kann ich im Konzertsaal eine Weile die Augen schließen und tue es wohl auch bisweilen, wenn dann aber etwa ein Cellosolo sich aus dem Stimmengewirr der Geiger und Holzbläser herauslöst, dann ›lokalisiere‹ ich es doch wohl in der Regel, sofern ich nicht sogar die Gestalt des Spielers vor meinem ›inneren Auge‹ habe, wie ich ihn eben noch sah. Es gibt Rundfunksendungen, deren Sinn nur erfüllt wird, wenn es dem Sprecher gelingt, durch seine Worte dem Hörer das visuelle ›Dabeisein‹ in der Phantasie zu ermöglichen.118

Hier haben wir alles wieder versammelt, was wir aus den formengeschichtlichen Ansätzen der verschiedenen Disziplinen schon kennen: Verschiedene topische Rezeptionssituationen oder ›Raumerlebnisse‹ – und die Notwendigkeit ihrer szenischen Imagination. Fünfzehn Jahre später wird Fischer zwar »gegenüber dem Theater und dem Der Sitz im Leben und die formengeschichtliche Methode

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Film den Wegfall der Szene«119 beklagen, aber nur um diesen wenige Zeilen später zu relativieren und die Szene wieder zu einem zentralen Moment des Hörerlebnisses zu erklären: Außerdem aber hat die Hörerschaft mit der Zeit gelernt, dort, wo die sichtbare Welt eine Rolle spielt, die Phantasie zu Hilfe zu rufen und das Hörerlebnis durch optische Vorstellungen zu ergänzen.120

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Kapitel III: Metaphorik

Abbildungen

Abb. 1: Kinobestuhlung nach Bode (1957) [−› S. 31]

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Abb. 2: Sigmund Freud, Urszene aus dem »Wolfsmann« (1918) [−› S. 46 ]

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Abb. 3: Peter Steins Inszenierung des »Agamemnon« in Ostia/Rom (1984) [−› S. 56 ]

Abb. 4: »Kinder mit einer Zauberlaterne spielend«, Kupferstich von Schellenberg (ca. 1780) [−› S. 62 ] 170

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Abb. 5: Englische Renaissance-Bühne nach Johannes de Witt (1596) [−› S. 64 ]

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Abb. 6: Skizzen zur Technik des Kulissenwechsels von Fabrizio Carini Motta (1688) [−› S. 66 ]

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Abb. 7: Fußstellung der ›crux scenica‹ nach Franz Lang (1727) [−› S. 68 ]

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Abb. 8: Der Bänkelsänger Ernst Becker auf dem Jahrmarkt in Goslar (1946) [−› S. 83 ]

Abb. 9: »Paul Nipkows Grundidee des Fernsehens«, Illustration aus »Wunder der Wellen« (1935) von Eduard Rhein [−› S. 90 ]

Abb. 10: John Logie Baird mit seinen Dummy-Puppen »James« und »Stooky Bill« vor dem »Televisor« (1928) [−› S. 91]

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Abb. 11: André Jolles, Entwurf eines idealen »Volkstheaters« (1919) [−› S. 99 ]

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Abb. 12: Szenenphoto aus der Berliner Inszenierung des Stücks »Sturmflut« von Alfons Paquet unter der Regie von Erwin Piscator (1926) [−› S. 102 ]

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Abb. 13: Stellenregister aus Rudolf Bultmanns »Geschichte der synoptischen Tradition« (1921) [−› S. 149 ] 178

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Abb. 14: »Paulus lehrt auf dem Richtplatz zu Athen«, Illustration aus Julius Schnorr von Carolsfelds »Die Bibel in Bildern« (1860) [−› S. 149 ]

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Abb. 15: Szene aus dem DEFA-Kinderfilm »Dornröschen« (1971) [−› S. 215]

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Abb. 16: Der Philosoph Vilém Flusser in einem Interview mit dem Filmemacher Harun Farocki, Filmstill aus »Schlagworte – Schlagbilder« (1986) [−› S. 255]

Abbildungen

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4. Die Szene in der Literaturwissenschaft Ein unbekannter Aufsatz von einem unbekannten Autor Der Volkskundler und Germanist Robert Petsch (1875–1945) ist bis heute der einzige Kulturwissenschaftler, der – mit eigenem Vokabular – eine explizite und ausführliche Theorie der Szene entworfen hat.121 Man muss nicht unbedingt von der analytischen Qualität seiner Theorie überzeugt sein, um diesen Versuch dennoch in einer Geschichte des Gegenstands zu würdigen. Die Szene gibt den Berichten und den Erlebnissen der Menschen sehr früh schon eine technisch unterschiedlich realisierte Form. Das ist jedenfalls eine der Pointen in dem bis heute einzigen kulturwissenschaftlichen Text, der sein Thema wirklich beibehält und – in einer eigenwilligen Diktion – auch umfassend zu ergründen sucht. Robert Petsch beschreibt die Szene als einen Gradmesser der Vitalfunktionen und setzt sie dadurch unmittelbar zum Leben ins Verhältnis: Die erlebte Szene bedeutet, nach einer gewissen Richtung hin, die kräftigste Steigerung jener ›Vorgänge‹, zu denen wir die in der Zeit unablässig an uns vorüber und durch uns hindurch rauschende Menge der Eindrücke zusammenzufassen suchen. Wenn nun schon im Leben der Vorgang, den wir wahrnehmen, sich immer wieder zu Szenen aufgipfelt oder doch an scenische Auf‌tritte erinnert, so versteht es sich, daß auch die Dichtung immer irgendwie zum Szenischen hinstreben wird, auch wo sie keine eigentliche Szene darstellt.122

So versteht sich in Robert Petschs Beitrag zu einer Theorie und Geschichte der Szene etwas von selbst, was hier gerade zum Thema gemacht wird: Das Verhältnis von Lebensvorgängen und Literatur, von Dasein und künstlerisch-technischer Form, und das ihnen scheinbar gemeinsame ›Streben zum Szenischen hin‹. Dem Titel seines Aufsatzes Von der Szene zum Akt von 1933 entsprechend ist bei Robert Petsch mit der »eigentlichen Szene« zunächst die historische, theaterförmige Szene gemeint, die aber auch auf geheimnisvolle 183

Weise eine Form für die (dann) uneigentlichen Szenen der epischen Dichtung und schließlich für die Vorgänge des Lebens selbst liefert.

Begegnungsraum Wilhelminisches Gymnasium Robert Petsch ist heute ein in fachwissenschaftlicher Hinsicht vergessener Germanist, einer der nur noch in fachhistorischer Hinsicht in Erinnerung bleibt. Dem gesamten wissenschaftlichen Werk von Robert Petsch ist unübersehbar eine völkisch-lebensphilosophische Tendenz eingeschrieben und diese verführte ihn auch folgerichtig zu einer umfassenden Kooperation mit dem Nationalsozialismus in seinem letzten Lebensabschnitt. Aber Petsch war kein Hardliner – wie etwa sein Kollege Hans Naumann.123 Petsch zitierte gerade 1933 anerkennend angelsächsische Fachliteratur, er mied in Rede und Schrift – anders als Hans Naumann – die kompromisslos antisemitische und antidemokratische Diktion, das »Auf‌hetzerische«124 – wie er es 1927 nannte –, und beließ es bei »Fingerübungen«.125 Als Petsch sich 1925 mit einem programmatischen Aufsatz in der noch jungen Geschichte der Volkskunde verortete, grenzte er sich ausgerechnet von einem »volkstümelnden«126 und einem »geographisch, sprachlich und überhaupt kulturgeschichtlich bestimmten Begriff des Einzelvolkes und vor allem des Einzelstammes«127 ab, wie ihn August Sauer128 und Josef Nadler129 als Vorreiter einer völkisch-nationalen Literaturwissenschaft als wahre Volkskunde formuliert hatten. Petsch hingegen favourisierte das Konzept des internationalen Verkehrs: Nehmen wir aber alles zusammen, was Sauer gefordert und was Nadler geleistet hat, so berührt es sich doch nur streckenweise mit dem, was wir hier unter Volkskunde verstehen! Wir aber haben es hier zunächst doch mit denjenigen dichterischen Äußerungen volkstümlichen Geisteslebens zu tun, die dem gemeinen Manne auf der ganzen Welt und besonders innerhalb der Kulturvölker Europas und seiner großen Kolonialgebiete mehr oder weniger gemein sind. Der Märchen- und Volksliedforscher, der Kenner von Rätseln und Sprichwörtern weiß längst, daß er es mit internationalen Kulturgütern zu tun hat, die im 184

Kapitel III: Metaphorik

Verkehr zwischen den Völkern ebenso gut ›abgeschliffen‹ werden, wie im Austausch zwischen den Angehörigen des einzelnen Volkes.130

Vermutlich milderten seine rein wilhelminische Sozialisation und seine Jahre als Lektor in Liverpool vor dem Ersten Weltkrieg völkische Tendenzen ab. Ab 1922 hatte Petsch ein Ordinariat für Neugermanistik – bis zu seiner zwangsweisen Versetzung in den Ruhestand durch die Alliierten 1945 – an der neu gegründeten Universität Hamburg inne.131 Während des Ersten Weltkrieges bekleidete er eine Professur in der damaligen preußischen Provinzhauptstadt Posen, die er durch die Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages 1918 verlor – ein Umstand der ihn in seiner gemäßigten völkisch-nationalen Weltsicht wiederum bestärkt haben dürf‌te. Bemerkenswert im Zusammenhang mit der Kulturgeschichte der Szene ist vorderhand die Tatsache, dass der einzige umfassende Beitrag zum Thema ausgerechnet von diesem Neugermanisten mit einem so zweifelhaf‌ten Portfolio verfasst wurde. Man hätte diese Leistung, deren konkrete Ergebnisse noch vorgestellt werden müssen, vielleicht von einem liberalen Germanisten mit Hang zur Thea­ ter­geschichte erwartet, aber dieser Schwerpunkt lag bei Petsch so nicht vor. Petsch entstammte dem Umkreis der Formengeschichte. Die umfangreiche Bibliografie seiner Schrif‌ten, die 1949 von seinem Ham­­burger Schüler und Assistenten Paul Böckmann zusammengestellt wurde, dokumentiert das eindrucksvoll.132 In dieser Bibliografie finden sich volkskundliche Monografien, lange Abhandlungen zu den Erzählformen, verschiedene gattungsgeschichtliche Untersuchungen, Rezensionen zu den Arbeiten Hermann Gunkels bzw. seiner formengeschichtlichen Mitstreiter und eine umfangreiche Auseinandersetzung mit André Jolles’ Schrift Einfache Formen.133 Dort wird dann auch der Text Von der Szene zum Akt für 1933 angekündigt. Wie konnte es zu dieser bemerkenswerten Nachbarschaft oder Konstellation kommen? Dafür gibt es zwei gewichtige Gründe. Erstens lagen die Fächer Kirchengeschichte, Volkskunde und Germanistik schon gut 40 Jahre vor Bultmanns Geschichte der synoptischen Tradition von 1921 – als Die Szene in der Literaturwissenschaft

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einem Höhepunkt der Formengeschichte – für eventuelle methodische Transfers näher zusammen als es vielleicht in den Augen der Gegenwart zunächst den Anschein haben mag. Aus deren Wahrnehmung sind zumindest Kirchengeschichte und Volkskunde praktisch verschwunden. Die Kirchengeschichte und die nicht nur klassischen Philologien waren schon bezüglich ihres Voraussetzungsreichtums im Falle der alten Sprachen einander verschwägert, sie waren im Wilhelminischen Deutschland über den Sprach- und Religionsuntericht an den Gymnasien eng miteinander verbunden. Die Kirchengeschichte war darüber hinaus dem Bildungsbürgertum als prestigeträchtige und wichtige intellektuelle Arena bestens vertraut. Der Kirchenrechtler Rudolph Sohm oder der Kirchenhistoriker Adolf von Harnack beispielsweise waren – neben dem Mediziner Rudolf Virchow oder dem Physiker Hermann von Helmholtz – überragende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens im Kaiserreich. Dieses war preußisch und protestantisch geprägt und die Ausstrahlung dieser Heroen reichte bis weit in die bürgerlichen Bildungsanstalten hinein. Ihr wissenschaftliches Werk und ihre öffentlichen Ämter lagen mitten im Spannungsfeld jener Fragen nach der Verwissenschaftlichung der Theologie und der Säkularisierung des Christentums. Berührt wurden sie auch von der konfessionellen Ausrichtung bzw. Lesart reichspolitischer Fragen wie derjenigen nach der Sendung des Preußentums, der Nietzsche sich schon 1873 mit seiner David-Friedrich-Strauß-Streitschrift polemisch gewidmet hatte. Aber diese Ansätze gingen nicht nur schnell zwischen Volkskunde, klassischer Philologie, Bibelphilologie und Kirchengeschichte hin und her, sondern wanderten auch ebenso schnell in die Neugermanistik ein, besonders wenn Bibelphilologie, Volkskunde und Neugermanistik – wie etwa im Falle von Robert Petsch – noch in Personalunion betrieben wurden.134 Robert Petsch, der die Formengeschichte nach dem Ersten Weltkrieg im Fach Neugermanistik entscheidend etablieren sollte, beschreibt seinen eigenen institutionellen und fachlichen Bildungsgang im Rückblick so, dass man jene Nähe von Kirchengeschichte und Philologien in den Gymnasien, die den methodischen Transfer der Formengeschichte wahrscheinlich machte, schon in einer einzelnen Biografie 186

Kapitel III: Metaphorik

bestens nachvollziehen kann. Auch hier ist die Furcht vor der Profanisierung und Petrifizierung des Wissens, die schon Overbeck, Nietzsche, Borchardt oder später Ortega antrieb, als Leitmotiv erkennbar: Viel weniger klar war mir die hohe Bedeutung eines anderen Unterrichtsfachs für meinen späteren Studiengang. Ich hatte früher den Gedanken gehegt, dem Wunsch meiner Mutter entsprechend, Theologe zu werden, hatte mich also seit meiner Sekundanerzeit mit dem Hebräischen beschäftigt und wurde allmählich durch einen jüngeren tatkräftigen Lehrer, C. Ilzig, in diesem Fache so weit gefördert, daß ich neue Anregung für sprachgeschichtliche Beobachtungen empfing: war doch das Hebräische die erste Sprache, die ich, an der Hand von Stracks nicht gerade schulmäßig angelegtem Lehrbuch, mehr wissenschaftlich, an der ich vor allem feinere Lautübergänge beobachten und (nicht zuletzt) die moderne linguistische Terminologie gebrauchen lernte. In ganz andere Richtung wurde meine Aufmerksamkeit dann durch den eigentlichen Religionsunterricht in den obersten Klassen des Sophiengymnasiums gedrängt, der durch O. Seyffert (einen Schüler Ritschls) in mehr rationalistischem Sinne, mit schärfster Betonung der Quellenkritik und der geschichtlichen Wertung der Dinge erteilt wurde. Ich las mit Hingabe die biblischen Schrif‌ten und drang an einzelnen Punkten in die Kirchengeschichte ein, konnte mich aber dann doch nicht entschließen, den geistlichen Beruf zu wählen, weil mich die heftigen parteipolitischen Kämpfe, die damals schon die evangelische Kirche erschütterten, wie eine Profanierung anmuteten. Meinen religiösen Neigungen bin ich als Student treu geblieben, ohne jemals theologische Vorlesungen zu hören, und erst viel später entdeckte ich, wie nahe sich diese Interessen, zusammen mit der früh erweckten Liebe zur griechischen Philosophie, mit meinem eigensten Studiengebiet berührten.135

Als Petsch das Studium dann aufgenommen hatte, wurde schnell klar, welche methodischen Ergänzungen zur Formengeschichte er mit einigen anderen vornehmen sollte: Der lebensphilosophisch inspirierte reload der Bibelphilologie – gepaart mit preußisch-protestanDie Szene in der Literaturwissenschaft

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tischem, d. h. politischem Historismus – wird in einem neuen Fach Neugermanistik ab 1922 wiederholt. Das Fach hatte sich über zahlenmäßig erhebliche, explizite Lehrstuhleinrichtungen erst ab etwa 1890 klar als solches konturiert.136 Den gattungsphilologischen Ausgangspunkt der alttestamentarischen Formengeschichte Gunkels verbrämte Petsch mit einer ebenso politischen Ideengeschichte des (deutschen) Volksgeistes zur erfolgreichsten Neugermanistik der ersten Hälf‌te des 20. Jahrhunderts: So entschied ich mich denn schon vom ersten Semester an, Germanist mit Leib und Seele zu werden, und ließ alle anderen Interessen einstweilen ruhen, um mich ganz dem Studium der germanischen Sprachen, vor allem der älteren und neueren Literatur Deutschlands und Englands zu widmen. Persönlich hat unter allen meinen damaligen Lehrern kein einziger so starken Eindruck auf mich gemacht als Heinrich von Treitschke, in dem ich aber weniger den wissenschaftlichen Lehrmeister als den gewaltigen Prediger und Seelenführer sah, der mich die lebendige, geschichtliche Welt, kurz gesagt, ›mit Preußenaugen‹ ansehen lehrte. Wissenschaftlich aber schloß ich mich ganz und gar an meine Lehrer Karl Weinhold und Erich Schmidt, weiterhin an Max Herrmann, Max Rödiger und Andreas Heusler an.137

In der Germanistik aber war es nach Petschs eigenen Aussagen jener spezifische Zweig volkskundlicher Studien, der die direkte Verbindung der Formengeschichte und der Bibelphilologie mit der Neugermanistik ermöglichte: »Das Hauptgewicht der eigentlich ›germanistischen‹ Studien lag auf der Altertumskunde oder, wenn man will, der Volkskunde im weitesten Sinne des Wortes.«138

Volkskunde und Medienwissenschaft Der zweite Grund ist dagegen scheinbar simpel und zumindest institutionengeschichtlich zunächst unerheblich: Anders als viele seiner neugermanistischen Kollegen kannte sich Robert Petsch mit den neuen Medien seiner Zeit aus und kommentierte und analysierte sie 188

Kapitel III: Metaphorik

ausführlich. Petsch interessierte sich für das Theater genauso wie für das Kino, für das klassische oder moderne Drama genauso wie für das Stummfilmmelodram und das Hörspiel139 bzw. die Funkreportage140. Wie Carl Schmitt oder Franz Kafka war Robert Petsch ein fleißiger Kinogänger und schrieb regelmäßig für die Rubrik Neues vom Film im Hamburger Fremdenblatt.141 Etwa zur gleichen Zeit wie diese Feuilletons und Essays veröffentlichte Petsch aber auch einen sehr umfangreichen Aufsatz im renommierten Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts und fragte hier ganz grundsätzlich und offen nach dem Verhältnis von Drama und Film. Schnell wird deutlich, dass er das Kino nicht – wie viele Volkskundler – für den Untergang des Abendlandes, eine »Seuche«142, »den Untergang des Dramas oder doch des dramatischen Theaters« hält. Im Gegenteil: Der Film hat vielen vieles zu sagen, auch wenn manchem erst gleichsam das innere Auge für seine wahre Schönheit eröffnet werden muß. Das Wunderbare aber ist, daß diese ungeheuerliche Entwicklung der Lichtspielbühne das Theater nicht verdrängt, sondern daß in den letzten Jahrzehnten eine wahre innerliche Erneuerung der Bühnenkunst im weitesten Sinne stattgefunden hat, daß die rasche Entwicklung des Films das Theater eher gefördert als geschädigt hat.143

Petsch zeigt sich beeinflusst von Hans Naumanns Thesen von den ›primitiven Gemeinschaftsformen‹, die Naumann in zwei Publikationen um 1920 entdeckt haben wollte. So haftet für Petsch der Stummfilm noch stärker im »Mutterboden mimischer Darstellung«144, nahe an »primitiven Übungen mimischer Art«145. Das Theater hingegen transformiere die Körperbewegung zugunsten des Wortes häufig schon »als ›gesprochene Bühnenanweisung‹ in den Dialog mit ein«146 und löse »die rohe Tatsächlichkeit, die substantielle Schwerfälligkeit der Dekoration, der Requisiten und des Lichtes auf«147. Die »Erfindung der Kinematographie«148 gebe – so argumentiert Petsch – einem modernen Hang zur primitiveren, aber globalen Gebärdensprache nach. Sie trete aber erst dort ganz in Erscheinung, »wo an die Stelle einzelner realistischer und grotesker Auf‌tritte ganze Szenenfolgen, Die Szene in der Literaturwissenschaft

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Märchendramen und ausgeführte ›Handlungen‹ aus der Geschichte und aus dem Leben der Gegenwart traten«.149 Es ist zunächst die szenische Kompetenz, die die Kinematograpfie für Petsch interessant werden lässt. Dann ordnet er sie in das System der Künste ein. Als ausgesprochene »Schwarz-weiß-Kunst«150 erscheint sie ihm dem Holzschnitt und der Radierung verschwägert, als stummes Ausdrucksgeschehen erkennt er in ihr – mit Balász – eine »sinnlich erfaßbare, höchst ausgearbeitete Bewegungsphysiognomik«151‌. ›Bewegung‹ ist auch das Stichwort für eine spezifische Charakterisierung des Stummfilms: Es ist, als ob die Bewegung der Hand an der Kurbel, als ob Rhythmus und Tempo des Apparates, der ja nicht selten mit rasendem Automobiltempo an die Gegenstände herangeschleudert wird, den ganzen Vorgang beherrschten.152

Die Zerlegbarkeit der Bewegung mittels »Zeitlupe und Zeitraffer«153 ist für Petsch eine der zentralen Leistungen des Films. So fällt seine Abgrenzung vom Theater auch mehr als mühsam aus: Die »feinsten Regungen der Seele, die letzten Entscheidungen der Persönlichkeit, die tiefsten Beweggründe des Denkens«154 seien mit dem Film (dann doch) nicht darstellbar. Bemerkenswert ist nun, dass Petsch diese Argumentation im selben Aufsatz streckenweise völlig aufgibt und eine erstaunlich optimistische und unkonventionelle Einschätzung der Filmkunst liefert, die sich der technisch-apparathaf‌ten Seite der filmischen Ästhetik schon erstaunlich bewusst ist155: Wie die einzelnen Bilder gespenstisch vorüberhuschen, zwingen sie uns, vom einzelnen Moment abzusehen. Indem wir auf die ganze Folge hingewiesen werden, aus der heraus das Einzelne erst gleichsam erläutert, in der es aber auch zugleich innerlich gesteigert und fortwährend weiter ausgetieft wird, fühlen wir uns an Hintergründe der Erscheinungen erinnert, deren wir uns der krassen Wirklichkeit gegenüber kaum bewußt werden; die eigentümliche Wucht, ja die menschliche Bedeutsamkeit der Vorgänge, tritt hier viel klarer hervor als in der bühnenmäßig ›geschauten‹ Szene.156 190

Kapitel III: Metaphorik

So ist man kaum mehr überrascht, wenn Petsch gegen Ende seiner Ausführungen die Möglichkeit diskutiert, dass der Film vielleicht »mit der gründlichen Ausschöpfung seiner Lebensgebiete den Übergang zu einer ›höheren‹ Kunstübung besser vorbereitet als das Theater selbst«157. In der Frage der Verfilmung von Dramen ist Petsch überzeugt, dass »von einer unberührten Umschmelzung keine Rede sein kann«158. Hier kommen für ihn die Eigengesetzlichkeit der Künste und ihrer unterschiedlichen medialen Strukturen voll zum Tragen: Man denke sich die köstliche Typen-Revue der Osterspaziergangs-­ Szene in einer Reihe von Filmaufnahmen spazierender und schwadronierender Philister übersetzt und wir haben eine freie filmische Phantasie über ein Goethesches Thema, aber keine Faustszene mehr.159

Robert Petsch hatte das Volksbuch vom Doktor Faust mehrfach ediert bzw. kommentiert160 und kannte den kurz vor Erscheinen seines Aufsatzes am 14. Oktober 1926 uraufgeführten Film Friedrich Wilhelm Murnaus Faust – eine deutsche Volkssage sicherlich ganz genau. Die »knappe, vielleicht wuchtige oder im besten Sinne rätselhaf‌te Fassung«161 der Zwischentitel oder Tafeln im Stummfilm gefielen dem Rätsel-Fachmann aus Hamburg überdies gut. Die gesamte Wirkung des Films aber machte er an der Szene fest, die hier im Mittelpunkt steht: Nun steht aber die Erfahrung fest, daß Zuschauer von gutem Ge­ schmack und hoher Allgemeinbildung von einzelnen Filmstücken, vielleicht besser von einzelnen Filmszenen Wirkungen erfahren haben, die denen des eigentlichen hohen Dramas sehr ähnlich waren und fast gleichkamen.162

Fünf Jahre später machte Robert Petsch dann einen umfangreichen und einsamen Versuch, zu zeigen, »was die Szene eigentlich ist«163. Erstaunlich bleibt, dass Petsch schon 1927 – sicherlich geschult durch den vergleichenden Blick auf Literatur, Theater und Film – eine Idee der Szene zart konturierte, die sie als Verbindungsglied und Die Szene in der Literaturwissenschaft

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Transportband zwischen den verschiedenen Medien und Künsten zu sehen half: Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, welche große Rolle bei der ›Deutung‹ der Filmvorgänge unsere stets wache Erinnerung an das Drama spielt. Der Zuschauer fühlt sich durch tausend Assoziationen an dramatische Handlungen erinnert, die er von der Bühne her und weiterhin durch Lektüre (mit begleitender innerlich-dramatischer Vorstellung) in sich aufgenommen hat und die ihm allmählich eine sehr starke bühnisch-dramaturgische Schulung gegeben haben. Der kluge Regisseur und Filmdichter rechnet bewußt damit und scheint damit die Grenzen der Filmdarstellung zu überschreiten.164

Endlich: Eine Theorie der Szene Die Schwierigkeit, die Szene an ihrem Anfang genauso grundsätzlich wie differenziert zu betrachten, sie also nicht einfach zur quasi-­ natürlichen Keimzelle der Künste oder des Sozialen zu erklären, hat Robert Petsch offensichtlich gesehen. Er nimmt deshalb eine solche Differenzierung des Anfangs über die Unterscheidung von kultischem Tanz und Drama vor: Der Mutterboden aller mimisch-dramatischen Dichtkunst ist die Szene. Aus dem Tanz, aus dem mimischen oder kultischen Tanz allein hätte sich nimmermehr etwas entwickelt, was wir als unserm ›Drama‹ wesensverwandt ansprechen dürf‌ten. In der ›Szene‹ aber stecken alle fruchtbaren Keime dramatischen Lebens und ihre volle Entfaltung läßt schon alle Ausdrucksmittel auf‌treten und wirken, mit denen später eine hochentwickelte dramatische Dichtkunst arbeitet.165

Sind einmal Kult und Tanz von der Anfangsgeschichte der Szene abgeschieden, kann diese als »fruchtbarer Keim dramatischen Lebens« ihrerseits noch einmal in Szene gesetzt werden. Dabei ist zu beachten, dass Petsch – ähnlich wie Jolles mit der ›Rätselecke der Zeitungen‹ –

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Kapitel III: Metaphorik

eine alltägliche (Gegenwarts-)Szene wählt, um die Szene als BasisTool komplexerer Kunst- und Sozialformen zu präsentieren: Man sagt wohl im Leben, daß eine Frau einem Manne ›eine Szene macht‹, daß sich auf der Straße oder im Hause ein ›bewegter Auf‌tritt abgespielt‹ habe. Solche Szene entfaltet ihren eigentümlichen Reiz für den Mitspieler und für die Zuschauer (ohne die sie nicht ganz leicht zustande kommt) eigentlich nur dann, wenn sie selten ist. Es muß sich erst Zündstoff angesammelt haben, der sich hernach mit zerstörender Gewalt – oder als eine Art Feuerwerk entladet. Es müssen dazu auch wohl die geeigneten Personen oder Parteien zusammentreffen, denen beiden die Szene eine gewisse wohltätige Befreiung und Entladung versteckter Energien bringt. Dabei schwebt ein Abschluß mit Tätlichkeiten als ›natürlicher‹ Ausgang den Streitenden wohl immer vor, wirkt formbildend auf den gesamten Vorgang zurück und macht sich in Anspielungen, Fragen und höhnischen Antworten, wie in der steten Verschärfung der Tonart geltend, von denen noch die Rede sein soll; aber eine wirkliche Schlägerei am Schlusse bedeutet eigentlich einen Übergang in ein anderes Gebiet. Die Szene ist im Grunde doch eine menschliche ›Sprechform‹, d. h. eine Möglichkeit, menschliches Erleben in Sprache umzusetzen und eben damit innerlich zu vollenden.166

Zunächst verblüfft die konsequente pyro-soziale Zurichtung der Szene: Energie, Zündstoff, Feuerwerk, Entladung, Zerstörung. Hier liegt Petschs Aufsatz auf einer lebensphilosophischen Linie mit Werken Nietzsches, Freuds oder Musils und ihrer Rezeption der physikalischen Lehren von Wärmegesetz und Energieerhaltung bzw. der Energieauslösung bei Julius Robert von Mayer und Hermann von Helmholtz.167 Populär wurden diese Lehren unter anderem durch die heroisierende Wissenschaftsgeschichtsschreibung des antisemitischen Privatgelehrten Eugen Dühring, die unter dem gewöhnungsbedürftigen Titel Robert Mayer der Galilei des 19. Jahrhunderts und die Gelehrtenunthaten gegen bahnbrechende Wissenschaftsgrößen zwischen 1880 und 1895 gleich in mehreren Bänden erschien.

Die Szene in der Literaturwissenschaft

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Aber das zweite zeitgenössische Theoriereservoir, aus dem Petsch schöpft, soll hier mehr interessieren: Petsch bringt ganz offensichtlich die formgeschichtliche Kategorie vom Sitz im Leben für seine »Straßenszene« (B. Brecht) dramentheoretisch in Anschlag. Robert Petsch schreibt also 1933 einen grundlegenden neugermanistischen Aufsatz zu Akt und Szene, in dem die ältere formgeschichtliche Kritik an der übermässigen Historie und der Wunsch einer kategorialen Überwindung dieser Tendenz mit einer Kategorie des Konkreten, Situativen oder Lebendigen in seltener Klarheit ausformuliert worden sind. Bemerkenswert daran ist, dass er fast sämtliche Akzente der Szene, die bisher versammelt werden konnten, schon berücksichtigt. Er begreift die Szene konsequent als Formelement (auch bei der Beschreibung des Sozialen) und er siedelt sie – ohne große Wertungen – von Anfang an auf einer Skala zwischen ›großer Szene‹ und populärer Fiktion an: Aus diesem Kern entfaltet sich der große Auf‌tritt als eine besondere Form des gesteigerten Erlebens mit eigenen Reizen, die auf einer gewissen Kulturhöhe als eine Art wilder Schönheit empfunden wird und die anderwärts an Räuberromantik und an die Schauerwirkungen des Hintertreppenromans heranstreift. Diese Wirkung aber entstammt weniger dem Inhalt, dem zufälligen Anlaß und Gegenstand der doppelseitigen Erregung, als der Abgrenzung, dem Verlauf und der Gliederung des Vorgangs selber, d. h. also seiner inneren Form.168

Das alltägliche Erleben wird so zu einer halbbewussten Umformung unzähliger Eindrücke zu abgrenzbaren plastischen Szenen – mit Steigerungs- oder Intensivierungspotenzial. Hier zeichnet sich zu guter Letzt noch ein Modell des Sozialen als szenisches Geschehen ab, dem Petsch das zeitgenössische Qualitätsprädikat Ur dann doch noch allzu gerne zuschreibt: Je ursprünglicher die Erzählkunst ist, um so deutlicher verrät sich darin jene Urpolarität zwischen dem Streben nach möglichst anschaulicher Darstellung des Augenblicks und dem Drängen nach der Ent194

Kapitel III: Metaphorik

faltung des Lebendigen in der Zeit. So wird die ›Linie‹ immer wieder durch Gespräche, durch Bilder und durch mehr oder weniger ausgeführte Szenen unterbrochen, die freilich eine andere Bedeutung haben und andere Formen bevorzugen als im Drama.169

Der Medizinanthropologe Rudolf Bilz (1898–1976) wird gerade diese »weniger ausgeführten Szenen« einige Jahre später zum Zentrum seiner eigenen Theorie machen. Interessant an Petschs Ansatz ist die Tatsache, dass er sich nicht entscheidet, dass er immer wieder philologische, philosophische und soziale Kontexte der Szene miteinander abwechseln lässt – ohne die Kategorie aufzugeben. Philologisch bedeutet diese »unterbrochene Linie«, dass bedeutsame Textstellen vor dem inneren Ohr und Auge des Lesers verlebendigt wurden. Sie wurden so aus dem Text-Kontinuum herausgehoben. Dieses ›VorOhr-und-Auge-Stellen‹ ist sowohl auf die Schützenhilfe der älteren Rhetorik und Dramentheorie angewiesen, als auch auf die neuen medialen Umwelten des modernen Theaters. Bevor Petsch sich ganz dem Drama zuwendet, unterscheidet er die Szene der Epik noch – sozusagen streng physikalisch – von der dramatischen Szene. Petschs Beispiel ist Arnold Zweigs Roman Der Streit um den Sergeanten Grischa von 1929: Überall finden wir eine gewisse freiwillige Beschränkung in der Schärfe der Umrisse, in der aufgewendeten Energie, im Tempo und in der Temperatur der Darstellung; im letzten Augenblick wird das ›Szenische‹ im dramatischen Sinne irgendwie abgekappt, um der erzählenden Wirkung willen.170

Als Dramentheorie gelesen, die – wie später bei Brecht – tatsächlich zu einer reinen Theorie der Szene wird, hat sich Petschs Text dann ganz dem Pars-pro-toto-Modell von Bilz verschrieben: Getreu dem Wesen des Dramas, das eine in sich geschlossene, aber durchweg von Kraftwirkungen erfüllte Welt mit ihrer Allbezogen-

Die Szene in der Literaturwissenschaft

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heit vor uns entwickelt, ist jede Szene ein Stück dramatisch geformten Lebens für sich und steht in gewissem Sinne für das Leben selbst.171

Man sieht mit diesem »in gewissem Sinne« auch den blinden Fleck dieser Theorie ein wenig aufgehellt. Wie konnte er überhaupt entstehen? Mit Petschs eigener Theorie könnte man sagen, dass er von einer ›Unterbrechung der Linie‹ – durch Gespräche, Bilder und mehr oder weniger ausgeführte Szenen – herrührt. Diese Unterbrechungen sind ganz eigener Natur. Petsch wählt bewusst »sprachliche Neubildungen«172, um das Neue auch formulieren zu können: So nämlich, daß der bildliche Name schon das Letzte, Unaussprechliche, Irrationale, was all diesen Vorgängen innewohnt, andeutet und unsere Phantasie in eine bestimmte Richtung zwingt.173

Petsch schildert genaugenommen – wie Ortega – etymologische Szenen. Sie heißen »Ballung«, »Knotung«, »Aufsteilung«, »Umschläglichkeit«, »Szenengipfel«, »Großszene« oder »Szenengruppe«. Es soll keine Einschätzung mehr folgen, was diese Neologismen für die Dramentheorie gebracht haben oder bringen könnten, da diese Ambition nicht zur Themenstellung gehört. Aber wir halten fest, dass auch diese Theorie der Szene selbst szenisch wird, um ihr Neues noch artikulieren zu können.

Formengeschichte und Neugermanistik Der in der Wissenschaftsgeschichtsschreibung übereinstimmend als Hauptvertreter der neugermanistischen Formengeschichte geführte Petsch-Schüler Paul Böckmann hat zwei Jahre nach Jolles’ volkskundlichem Buch über die Einfachen Formen174, seinerseits eine neugermanistische Studie über den Witz vorgelegt. Paul Böckmann hatte ab 1919 bei Ernst Cassirer und Rudolf Petsch an der Universität Hamburg gehört und war seit April 1928 Assistent bei letzterem in der Hansestadt.175 Dort hielt er am 14. Mai 1930 auch seine Antrittsvorlesung. Die Studie über den Witz wird zur exemplari196

Kapitel III: Metaphorik

schen Untersuchung zentraler Kategorien der Formengeschichte wie ›Leben‹, ›Form‹ oder ›Gegenwart‹: In jeder geschichtlichen Lebenssituation, aus der Bewegung des Geistes heraus, kommt es immer von neuem darauf an, für die jeweiligen Anliegen die Form zu finden, die ihnen gemäß ist, neue Möglichkeiten des sprachlichen Verhaltens zu entdecken. Gewiß entsteht mit neuen Fragen und Lebensproblemen nicht ohne weiteres eine neue Dichtung. Aber es besteht die Auf‌forderung für jede neue Situation, durchzustoßen durch die überkommenen Formen und eine Formensprache mit eigenen ästhetischen Möglichkeiten zu finden, die der geschichtlichen Lage entspricht. Also nicht eine Relativierung des ästhetischen Bereichs steht in Frage, seine Auf‌lösung in Geistesgeschichte, Soziologie oder Kulturkunde, sondern eine Erforschung seiner wechselnden Möglichkeiten im geschichtlichen Zusammenhang und damit eine Dichtungsgeschichte als Geschichte der literarischen Formensprache.176

Man sieht hier deutlich die ganze Problemlast einer um Legitimation ringenden Philologie, die die Sicherheit der einen Methode gerade nicht hat: Das Allgemeine muss vom wechselnden konkreten Fund korrigiert werden können, die Ansprüche der Gegenwart müssen gegenüber der Geschichte geltend gemacht werden können, die Geschichte darf sich nicht gegenüber der Dynamik eines pulsierenden Lebens in vermeintlich ewige Gesetze und Maßstäbe des Schönen einkapseln. Gleichzeitig muss eine neue Theorieadresse angegeben werden: Geschichte der literarischen Formensprache. Es hat zumindest einen symbolischen Stellenwert, dass die Formengeschichte auch mit Paul Böckmanns Aufsatzsammlung zur Formensprache177 im ›Schicksalsjahr‹ 1966 der Neugermanistik wieder aus den Kulturwissenschaf‌ten entlassen wurde. In diesem Jahr fand – unter maßgeblicher Beteiligung von Karl Otto Conrady, Peter von Polenz, Eberhard Lämmert und Walther Killy – die erste umfangreiche Jahrestagung des Germanistenverbandes statt, die die Geschichte der Germanistik und die Verstrickung ihrer wichtigsten Repräsentanten und Theorien in der nationalsozialistischen Ära aufzuklären begann. Der opportune Paul Die Szene in der Literaturwissenschaft

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Böckmann wurde in den nachfolgenden Untersuchungen – gemeinsam mit Benno von Wiese und Gerhard Fricke – als einer der belasteten Strippenzieher der Nachkriegsgermanistik wahrnehmbar. Der Vorschlag, den Sitz im Leben verschiedener Gattungen formengeschichtlich zu bestimmen, wird dann erst 1978 wieder von dem ostdeutschen Romanisten Erich Köhler in seinem Aufsatz Gattungssystem und Gesellschaftssystem mit neuem Schwung aufgenommen.178 Der Text Köhlers beginnt mit der Forderung, den Ort einer Gattung im dynamischen System der Gattungen »in einer bestimmten bzw. jeweils erst zu bestimmenden Beziehung zu einem spezifischen ›Sitz im Leben‹ der Gattung«179 zu analysieren. Für Köhler kann die Stellung einer Gattung im hierarchischen System der Gattungen korreliert, wohlgemerkt nicht gleichgesetzt werden mit den Stellungen sozialer Gruppen im Gattungssystem. Er prägt deshalb das merkwürdige Bild des Seismografen für den Funktionsort des Höfischen Romans: »An den Höfen, an diesem ›Sitz im Leben‹ des höfischen Romans sind die Seismographen der politisch-sozialen Entwicklung installiert.«180 Mit dem ausgehenden 20. Jahrhundert, in dessen Verlauf so viele Seismografen versagt hatten oder gar ›zerschlagen‹ wurden181, wurde auch der Sitz im Leben vorerst nicht wieder eingenommen. Allerdings gibt es gegenwärtig – nach so vielen und schwierigen Theorien über die Gegenstände – Bemühungen, wieder die verlockende szenische Rufund Hörweite ins Spiel zu bringen. Ein Teil der Theorieszene verständigt sich erneut auf kürzere Anläufe und kleinere mediale settings. Überschaubare Sitz-Verhältnisse und aufwendige begriff‌liche Einkreisungen entschwindender Gegenstände scheinen sich theoriegeschichtlich schlicht abzuwechseln.

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5. Umweltlehre, Affektpathologie und szenisches Verstehen Umwelt und Umgebung im Werk Jakob von Uexkülls Spätestens seit der Gründung und Leitung des Instituts für Umweltforschung in Hamburg182 durch Jakob von Uexküll und Adolf MeyerAbich183 hatte von Uexkülls Arbeit zur Umwelt von Tier und Mensch den Umwelt-Begriff allgemein bekannt werden lassen. Von Uexküll hatte ihn zwar ursprünglich an den sogenannten Wirbellosen (wie z. B. den Seeigeln) entwickelt, dehnte den Begriff dann aber – nach Streifzügen durch die Umwelten von Tieren und Menschen184 – zuletzt auch auf seinen Freundeskreis185 aus. Frühzeitig konzipierte er damit seine »neue Umweltlehre« als »ein Bindeglied zwischen Natur- und Kulturwissenschaf‌ten«186. Konrad Lorenz führte den Begriff in die vergleichende Verhaltensforschung ein – ohne allerdings seine Herkunft zu kennzeichnen.187 Seit Beginn der 1970er Jahre wird er auch auf mediale Verhältnisse angewendet. Kein geringerer als Neil Postman übernahm das Konzept – als Medienökologie – und gründete zusammen mit Marshall McLuhan 1971 einen gleichnamigen Fachbereich an der New York University.188 Im Zentrum der Begriffs- und Forschungsarbeit von Uexkülls stand seit 1909, mit der Veröffentlichung von Umwelt und Innenwelt der Tiere, der Gedanke voneinander unabhängiger Umwelten: »Jedes Tier trägt seine Umwelt wie ein undurchdringliches Gehäuse sein Lebtag mit sich herum.«189 Dieser Gedanke beginnt sich in den 1920er Jahren auch jenseits der Biologie durchzusetzen: Martin Heidegger wird sich in seinen Vorlesungen zu den Grundbegriffen der Metaphysik aus dem Wintersemester 1929/30 mehrfach auf von Uexküll beziehen: »Das Tier ist in seiner Umwelt in der Dauer seines Lebens wie in einem Rohr, das sich nicht erweitert und verengt, eingesperrt.«190 Die früheste philosophische Adaption dieses Umwelt-Konzepts findet sich aber bei José Ortega y Gasset. In dem 1921 veröffentlichten Essay Ideas para una concepción biológica del mundo schreibt er rückblickend: »Ich muss sagen, dass diese biologischen Meditationen [von 199

Uexkülls, H. C.] seit 1913 einen großen Einfluß auf mich gehabt haben.«191 Von Uexkülls Konzept sieht schon frühzeitig eine Differenzierung von Umwelt und Umgebung vor, die in den gegenwärtigen Debatten immer noch häufig vernachlässigt wird: Die Gesamtheit aller Faktoren und Komplexe der Umgebung eines Tieres, die auf dasselbe in obengenannter Weise einwirken und auf welche das Tier seinerseits einwirkt, stellen, vom Tiersubjekt aus betrachtet, eine Einheit dar, welche die Umwelt genannt wird.192

Hiermit scheint sich in der Gegenwart auf überraschende Weise eine bahnbrechende Annahme der frühen biologischen Umweltlehre auf dem Gebiet der medialen Infrastrukturen zu bestätigen. Den Leitgedanken dieser Lehre hatte von Uexküll seit 1907 denn auch nur dahingehend relativiert, dass er dem Menschen als einzigem Lebewesen zugestand, diese Umweltverhältnisse verändern zu können, indem der Mensch seinen natürlichen Wahrnehmungsorganen Werkzeuge anbietet. Von Uexküll griff ältere sinnesphysiologische Arbeiten Theodor Fechners, Ernst Heinrich Webers und Hermann von Helmholtz’ auf und radikalisierte sie. Damit rückten in seiner Theorie Lebensraum und Wahrnehmung enger zusammen: »Alle Sinneswahrnehmungen werden, sobald sie auf‌treten, von uns nach außen gelegt; sie werden dadurch zu Eigenschaf‌ten unserer Umwelt.«193 Diese Spezifizierung macht deutlich, dass die Frage nach der Umwelt primär eine Frage nach ihrer Wahrnehmbarkeit ist und schon an dieser frühen Stelle der Untersuchungen mediale Bedingungen ins Spiel kommen, die natürlicher oder selbstgeschaffener Art sein können. Die Entstehung dieser Ideen schilderte von Uexküll dann in einer autobiografischen Notiz. Ähnlich wie Rousseau oder Hamann machte er daraus eine Offenbarungsszene, die sich während eines Spaziergangs in einem Wald bei Heidelberg ereignet haben soll: Dies ist nicht eine Buche, sondern meine Buche, die ich in allen Einzelheiten mit meinen Sinnesempfindungen aufgebaut habe. Was ich 200

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von ihr sehe, höre, rieche oder taste, sind nicht die Eigenschaf‌ten, die ausschließlich der Buche zueigen sind, sondern es sind die von mir hinausverlegten Merkmale meiner Sinnesorgane.194

Das Erlebnis fasst folgende sukzessive Erkenntnisse dramatisch zusammen: Werkzeuge, die die Leistungen der Sinne verändern, verändern auch die Umwelt als einer je spezifischen Summe möglicher Weltbezüge.195 Der Gebrauch solcher Mittel wird folgerichtig zum zweiten Schlüsselbegriff in von Uexkülls Umweltlehre: Die subjektive Gebrauchsregel ist es, die all unsere Gebrauchsgegenstände und Maschinen erst zu dem macht, was sie sind. Der Plan, der die Teile zusammenfügt und zu einer gemeinsamen Leistung verbindet, macht das Wesen all unserer menschlichen Erzeugnisse aus. Ohne die Kenntnis dieses Planes sind sie für uns in unserer Umwelt einfach nicht vorhanden, sondern bilden nur ein materielles Hindernis. Ja was ist ein biologisches Subjekt anderes als ein sich selbst auswirkender Eigenplan? Ein Naturfaktor, der sich seine eigene Umwelt schafft, während unsere Maschinen keine eigene Umwelt besitzen und niemals zu Subjekten werden, sondern stets als Objekte der menschlichen Umwelt angehören.196

Bauplan, Lebensstoff, Melodie Doch dieser konsequenten Instrumentalisierung und Mediatisierung steht der dritte Schlüsselbegriff des ›Plans‹ tatsächlich seltsam entgegen. Wenn nämlich nicht erst der (z. B. mehrheitliche) Gebrauch über den Charakter und den Erfolg der gemeinsamen Leistung entscheidet, dann stellt sich die Frage, wer den Plan macht und überwacht bzw. wie er sich konstituiert und gegebenenfalls korrigiert. Eine Anekdote – im Kolonialstil –, die von Uexküll von seinem baltischen Forscher-Kollegen und Vorbild Karl Ernst von Baer197 übernimmt, gibt Aufschluss über diese Frage:

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Ein plattes, viereckiges, getupftes Ding wird in Afrika von einem Neger gefunden, der es für die Rinde eines unbekannten Baumes hält. Er bringt es seinem Häuptling, der es als Kopfschmuck benutzen will. Sein Hofzauberer warnt ihn davor, weil dies ein Zauberding sei, das eine Beschwörungsformel trage. Ein schwarzer Händler erklärt den mysteriösen Gegenstand für ein Verständigungsmittel der Europäer. Um dies festzustellen, nimmt er es an die Küste mit, wo es einem Organisten in die Hände fällt, der sich an die Orgel setzt und vom Blatt spielend ›Nun danket alle Gott‹ ertönen läßt. So wandelte sich das gleiche materielle Substrat in jeder neuen Umwelt in eine neue subjektive Wirklichkeit.198

Mit dem Bachschen Choral wurde nicht zufällig ein musikalischer Zielpunkt als Pointe dieser politisch unterdessen etwas zweifelhaf‌ten Anekdote avisiert. Der Begriff des Bauplans199 bzw. der Planmäßigkeit200 lieferte offensichtlich eine letztlich ästhetische Vorstellung von einem besonderen Lebensstoff, der das gestalthaf‌te Ganze jedes einzelnen Lebewesens (und der ihm allein zugehörigen Umwelt) rhythmisch durchpulst. Dieser immaterielle Lebensstoff musste nach von Uexkülls Überzeugung in jedem beliebigen Ausschnitt oder Teil als Impulsgeber für rhythmisierte oder geordnete Aktionen, »als Melodie in der Abfolge der Hormone, die von der Natur selbst gespielt wird«201, nachweisbar sein – oder es gab ihn nicht. Der zirkulierende Stoff war (als Kraft, Aether oder Plasma) eine ältere Vorstellung202, aber das unverkennbar ästhetisch-akustische Ideal des Rhythmus und der Melodie, das Stoff und Plan vertreten konnte, entstammte dem nur wenige Jahre jüngeren Begründungsszenario der neueren Gestaltphilosophie in Christian von Ehrenfels’ Text Über Gestaltqualitäten von 1890. Von Ehrenfels hatte am Beispiel der Liedmelodie zu erörtern versucht, warum eine bloße Summierung von Elementen die sinnhaf‌te Struktur eines Ganzen vernachlässigen musste, warum »die Melodie oder Tongestalt etwas anderes ist, als die Summe der einzelnen Töne, auf welchen sie sich auf ‌baut«.203 Dieses Theorem, das einen ästhetisch-harmonischen Mehrwert der melodiösen Ganzheit vor einem bloß mechanisch-additiven Zusammenwirken von Kräf‌ten 202

Kapitel III: Metaphorik

postuliert, wird bei von Uexküll in eine Quasi-Harmonie-­Lehre ›Von der Umwelt‹ transformiert204: Eine jede Umwelt erstreckt sich in einem anderen Raum und in eine andere Zeit. Die Umwelten überschneiden sich in der mannigfachsten Weise, ohne sich zu stören. Sie wirken aber nicht mechanisch aufeinander ein und sind doch planmäßig miteinander verwoben, wie die Töne eines Oratoriums miteinander harmonisch verbunden sind. So sind es musikalische und nicht mechanische Gesetze, nach denen man forschen muß, wenn man die Gesetze des Lebens ergründen will.205

Von Uexküll wie auch von Ehrenfels beriefen sich hierbei gerne auf eine aristotelische Beispielformel aus dem VII. Buch der Metaphysik, aus der nur ein umgekehrter Schluss gezogen wurde: »Das, was in der Weise zusammengesetzt ist, dass das Ganze Eines ist, ist nicht wie ein Haufen, sondern wie eine Silbe.«206

Umweltlehre und szenische Schau Die Gestalt-Theorie, der von Uexküll implizit und explizit folgte207, sah vor allem vor, dieses entscheidende Momentum der Sinngebung und Sinnhaftigkeit – den Plan – nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar zu machen. »Noch der Gestaltpsychologie des 20. Jahrhunderts lag das Szenische näher als das Narrative«208, schreibt Albrecht Koschorke in seinen Grundzügen einer Allgemeinen Erzähltheorie. Dafür gibt es gute Gründe. Der Zoologe und Philosoph Hans Driesch, der wie von Uexküll seit den frühen 1890er Jahren Experimente an See­ igeln in der Stazione Zoologica Anton Dohrn in Neapel durchgeführt hatte (und lebenslang mit von Uexküll befreundet blieb209), forderte genau diese Form der szenischen Evidenz programmatisch in seiner Leipziger Antrittsvorlesung vom 19. November 1921: Was Ganzheit ist, das wird, um einen heutzutage allzu beliebten, hier aber in der Tat an seinem Platze stehenden Ausdruck zu gebrauchen, geschaut; ja, die Schau der Bedeutung Ganzheit in einer besonderen Umweltlehre, Affektpathologie und szenisches Verstehen

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Form steht sogar am Urbeginne alles Philosophierens, so daß man sagen kann, es sei das gesamte Unternehmen der Philosophie, ja auch aller Wissenschaft, ohne die Schau der Bedeutung Ganzheit grundsätzlich unmöglich.210

In seinem Aufsatz Die Rolle der Intuition in der Philosophie übte Driesch zehn Jahre später scharfe Kritik an der Phänomenologie, berief sich dabei u. a. auf von Uexküll, und formuliert sein Credo von der szeni­ schen Schau noch einmal deutlicher: Wenn ich das Wort ›Schauen‹ oder ›Intuition‹ auf diese empirischen Sachverhalte anwenden will, so darf ich ja freilich, in bildhafter Ausdrucksform, sagen, dass ich in dem mir gegebenen Material, d. h. in der Fülle der von mir erlebten Daten die genannten Begriffe als verwirklicht oder sach­lich erfüllte Bedeutungen ›schaue‹, und beim genialen Ordnungsentdecker geht solches Schauen in der Tat oft ›blitzartig‹.211

Von Uexkülls eigene Adaption des blitzartigen oder fotografischen Schauens wird schon im nächsten Absatz ausführlich rekonstruiert werden. Vorher soll noch darauf hingewiesen werden, wie frühzeitig von Uexküll auch den heuristischen und illustrativen Wert der Schauspiel- und Bühnenmetaphorik erkannte. Ein Königsweg der Popularisierung hochspezialisierter naturwissenschaftlicher Forschung war und ist schließlich ihre Verbrämung mit ästhetischen Problemen, die es erlaubten, das Publikum schneller in voraussetzungsarme Wertungsfragen und -aktivitäten (wie z. B. Geschmacksäußerungen) zu verwickeln. Nachdem mich ein jahrzehntelanges Studium darüber belehrt hatte, daß es keine allen Tieren gemeinsame objektive Welt gibt, sondern daß jedes Tier in seiner ihm allein zugehörigen Welt lebt, konnte ich mich der Erkenntnis nicht mehr verschließen, daß die Lehre von der konventionellen Welt, in der alle Menschen wie auf einer gemeinsamen Bühne ihre Lebensrolle spielen, falsch ist. Auch für jeden Men-

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schen müssen wir seine Spezialbühne aufsuchen, um seine Handlungen zu verstehen.212

Die weitere Unterscheidung von Schauspiel, Akt und Szene unterteilt den Gegenstand fast von selbst in unterschiedliche Qualitäten und Ansichten. Dass die lebendige, aber überschaubare – idealiter dialogische – Szene dabei im Vorteil ist, liegt wiederum auf der Hand: Jetzt befinden wir uns im großen Theater der Natur, wo sie als unsäglich vornehme Dame sich an einem Schauspiel ergötzt, das sie selbst geschrieben und dessen Akteure sie selbst geschaffen hat. Alle Lebewesen entspringen einem Zwiegesang. Das Mann-Weibchenduett ist das Thema, das in abertausend Variationen die ganze Partitur der lebenden Welt durchzieht. Oft erweitert sich das Duett zu einem Trio, wenn eine weitere Stimme nötig ist, um die Mann-Weibverbindung zustande zu bringen.213

Am Beispiel des Zoos, in dem seit Menschengedenken per definitionem »lebende Tiere wild lebender Arten zwecks Zurschaustellung«214 gehalten werden, macht von Uexküll deutlich, warum er von der Umwelt – wenn nicht gar auf den Hund215 – so doch irgendwann auf die lebendige Szene kommen musste: Vom Standpunkte der Umweltforschung aus wäre es ein Irrtum, wenn man denkt, die eingesperrten Tiere dann in eine natürliche Umwelt gebracht zu haben, wenn man etwa Polartiere vor weiß angestrichene Kulissen setzt und dem Publikum dadurch die natürliche Umgebung vortäuscht. Wie wir oben sahen, ist die Umwelt gar kein reales Gebilde. Sie kann nicht bildhaft dargestellt werden. Sie muß uns unsichtbar bleiben, weil sie vom Tiersubjekt aufgebaut wird und wir niemals durch die Rezeptoren eines andern Ich in die Welt schauen können. Aber etwas anderes können wir sichtbar werden lassen. Hier gelingt es, eine Funktion zur Schau zu stellen. Dabei sieht man etwas mehr als die reine Tiergestalt, wir bewundern die tätige Tiergestalt.

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Der Sprung des Löwen, das Tauchen der Tauchvögel und Wassersäugetiere, die Rudelbildung der Weidetiere, alles das sind Funktionen, die im Leben der Tiere eine Rolle spielen und die zur Schau gestellt werden können.216

Umweltlehre und frühe Kinematografie Die geschilderten Tiergestalten und szenischen Arrangements waren der alten Renaissance-Emblematik oder dem Physiologus sicherlich stärker verpflichtet als den aktuellen Medienstandards um 1900. Der Biologe von Uexküll nutzte deshalb zusätzlich die noch junge Kinematografie für seine eigenen Versuche, um den angenommenen gestalthaf‌ten Sinn der Tiere szenisch effektiver zu verdeutlichen. Mit Blick auf die heutigen Verhältnisse ist an seinen Forschungen besonders bemerkenswert, dass er den Umwelt-Begriff in Abhängigkeit von intensiven Versuchen mit der Chronofotografie und der Kinematografie entwickelt hat – und zwar genau in dem Augenblick, »als sich diese Umwelt unter eben diesen medialen Bedingungen radikal veränderte«217. Schon 1899 erwarb er einen kostspieligen Kinematografen aus Cambridge. In die Chronofotografie ließ er sich gar von ihrem Erfinder, Étienne-Jules Marey, in dessen Pariser Forschungslabor einführen. Lange nach Mareys Tod schließlich wendet von Uexküll sich persönlich, um die Flügelbewegung des Kohlweißlings analysieren zu können, an »die Firma Zeiß in Jena und bat sie, mir einen Apparat zu konstruieren, der die stereoskopische Aufnahme auf feststehender Platte ermöglichte«.218 Von Uexküll arbeitet mit einer schienengeführten Stereoskop­ kamera und mit einem Stroboskop. Er nannte das Verfahren »stroboskopisch-stereoskopische Photographie auf feststehender Platte«219. Es war ein technisch anspruchsvolles Arrangement von Licht und Schatten, von »lichtschwachem Hintergrund« und »möglichst hellem, bewegtem Objekt«220 im Vordergrund – in diesem Fall dem Kohlweißling: »Deshalb wurde das Objekt vor einen innen mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Kasten gestellt.« 221 Die Versuche von Uexkülls unterlagen offensichtlich allgemeinen technischen und ästhetischen 206

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Gesetzen der Zeit um 1900. Was aber trieb den Biologen bei seiner Forschung an, den engen Kontakt mit den jeweils eine Zeit lang neuesten Medien und szenischen Apparaturen zu suchen? Von Uexküll wollte von Anfang an mit dem Einsatz der filmischen und fotografischen Verfahren, vor allem mit der filmischen Verlangsamung und der fotografischen Phasenüberblendung, szenische Beweise liefern, dass schon in den Einzelaktionen und Einzelfunktionen der einfachsten Lebewesen die umfassendere, gesamt-sinnhaf‌te Struktur – oder der immaterielle Bauplan – jeder Spezies vorhanden sei. Ohne Probleme erkennt man nun auch in Hans Drieschs ›blitzartiger‹ (oder eben: kinematografisch-stroboskopischer) »Schau der Bedeutung Ganzheit«222 das Ideal der Szene wieder, die stellvertretende szenische Vergegenwärtigung eines umfassenderen Zusammenhangs nach der hermeneutischen Formel pars pro toto. Vor dem Hintergrund dieser Nähe der Szene zu den ältesten und neuesten Medientechniken bekommen von Uexkülls Ideen zur Umweltlehre oft einen merkwürdigen Doppelsinn: »Die Erscheinungswelt eines jeden Menschen gleicht ebenfalls einem festen Gehäuse, das ihn von seiner Geburt bis zum Tode dauernd einschließt«223, schrieb er 1921, in der zweiten Auf‌lage von Umwelt und Innenwelt der Tiere – und es klingt wie der Bericht aus einer medientechnisch modernisierten Höhle Platons. Das Problem oder Konstrukt der Szene – als Vertreterin eines sinnhaf‌ten Ganzen – steht nicht nur am Beginn allen Philosophierens des 20. Jahrhunderts, sondern scheint auch viel profanere Wahrnehmungs- und Erkenntnisbemühungen der Menschen bis in die Gegenwart zu organisieren.

Rudolf Bilz und Jakob von Uexküll Wenn Rudolf Bilz dieses Theorem 1940 in den schlagenden Titel seiner Habilitationsschrift Pars pro toto 224 überführt und die fallweise Darstellung der spezifischen sozialen Umwelt des Menschen mit dem Vokabular von Szene, Bühne und Rolle dort gründlich ausdiffe­ ren­ziert, ist daran vor allem ein Aspekt bemerkenswert: Dass der Begriff der szenisch strukturierten Umwelt von Uexkülls bei der Umweltlehre, Affektpathologie und szenisches Verstehen

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gründlichen Ausarbeitung durch Rudolf Bilz wieder gänzlich in die ältere bühnentechnisch-theatrale Fassung zurückübersetzt wurde, deren Gewährsleute – statt Marey oder Lumière – für lange Zeit nun die griechischen Tragiker oder Schiller bleiben sollten.225 Aber Bilz machte eine einzige Ausnahme. Diese Ausnahme nimmt bezeichnenderweise explizit Bezug auf von Uexküll. Die Rückwand der platonischen Höhle wird sozusagen in den Bauch der schwangeren Mutter, den Uterus, verlegt: Kaleidoskopartig erscheint in den ersten Monaten unseres intrauterinen Seins Form über Form. Ein Gestaltwandel löst den anderen ab! Das jeweils gegenwärtige Erscheinungsbild eines Menschen ist also nur pars pro toto, ist Teilbild des ganzen Films. So wäre das Subjekt, wie es in diesem Augenblick vor uns steht, ein Partizipant seiner selbst. (v. Uexküll spricht von der Zeitgestalt aller Kreatur, was jedoch nicht von der Maschine gilt.).226

Rudolf Bilz hatte von Mai bis Dezember an den Staatskrankenanstalten Hamburg-Langenhorn als Assistenzarzt gearbeitet und wurde dort zum Facharzt in Nervenheilkunde ausgebildet. Abends besuchte er »im Institut für Umweltforschung die Vorlesungen über Umwelt und Innenwelt der Tiere von Jakob von Uexküll«227. Das einzige Treffen von Rudolf Bilz mit Jakob von Uexküll, der dem jungen Arzt 1944 noch einen anerkennenden Brief von der Insel Capri übersandte, ist von seltener Tragikkomik: Bilz und v. Uexküll trafen einander einmal zufällig an einer Hambur­ ger Straßenbahnhaltestelle in einer kalten klaren Winternacht. Die Straßenbahn hatte Verspätung. Bilz erkannte v. Uexküll, traute sich jedoch nicht, ihn anzusprechen. V. Uexküll fror sehr und begann, sich mit gymnastischen Übungen aufzuwärmen. Auch Bilz war es kalt, er mußte aber erst seine Hemmungen überwinden, um sich dann ebenfalls zu bewegen. Schließlich sprangen der Biologe und der Nervenarzt an der Haltestelle bibbernd umher. V. Uexküll fand die Situation anscheinend erheiternd. Endlich kam die Straßenbahn.228 208

Kapitel III: Metaphorik

Intermezzo: Die ärztliche Szene Viktor von Weizsäckers Rudolf Bilz hatte von Uexkülls Umweltlehre in seinem Hauptwerk Pars pro toto zu einer szenischen Pathologie umgearbeitet. Das Ausmaß dieser Adaption und Umarbeitung wird der nächste Abschnitt noch erweisen. Voraussetzung dafür war seine Bekanntschaft mit Viktor von Weizsäcker in Heidelberg, wo er Ende der 1920er Jahre die letzten Semester seines Medizinstudiums absolvierte. Von Weizsäcker gab Bilz »ein Thema für seine Dissertation zur Bearbeitung, das den Zusammenhang zwischen verdrängten seelischen Konflikten und organischen Krankheitssymptomen zum Inhalt hatte«229, und er gab auch die Schriftenreihe zur Deutschen Medizinischen Wochenschrift heraus, in der Bilz’ Studie Pars pro toto später erscheinen sollte. Von Weizsäcker, der mit Freud in persönlichem Kontakt stand, suchte einen Weg zwischen Psychoanalyse und Gestaltphilosophie in der Medizin. Rudolf Bilz, der 1926 das Wiener Psychoanalytische Institut besuchte, sich 1926 und 1927 einer Analyse in Wien und Berlin unterzog und sogar eine Ausbildung zum Psychoanalytiker begann, schloss sich dieser Suche bereitwillig an. Ab 1930 beginnt sein Engagement für die Psychoanalyse zu erlahmen. Es ist das Jahr der endgültigen Neuorientierung. Viktor von Weizsäcker beschreibt seit der Mitte der 1920er Jahren das Verhältnis zwischen Arzt und Patient konsequent als ein szenisches. Unter der freudianischen Kapitel-­Überschrift Urszene deutet er in seinem Aufsatz Die Schmerzen. Stücke einer medizinischen Anthropologie von 1926 dieses Verhältnis neu, indem er das empathe­ tisch-kindliche Berühren einer den Bruder schmerzenden Stelle durch die Schwester als eben jene Urszene dieses Verhältnisses zwischen Arzt und Patient betrachtet: Zuerst müssen wir den Tatbestand der kindlichen Szene noch näher bezeichnen, um das Bleibende im Wandel der ärztlichen Szene zu umschreiben. Die Heilhandlung besteht ja nur in einer Berührung zweier Menschen, und wie viele solcher Berührungen gibt es in Spiel, Streit und Liebe.230

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Von Weizsäcker konzipiert in kritischer Auseinandersetzung mit psychoanalytischen Thesen ein »anthropologisches Verständnis menschlichen Krankseins«231. Sehr ähnlich wie in Freuds phylogenetischer Ergänzungs- oder Auf‌füllungstheorie der Urfantasien – und der späteren Paläoanthropologie von Bilz – wird die Szene als theoretischer Operator dieser Anthropologie zu einer Idealszene, die verschiedene Zeithorizonte und Entwicklungsstufen der Menschheit vereint.232 Zur »methodischen Urszene«233 ernennt sie von Weizsäcker schließlich 1926. Was hier als Anthropologie im Namen der Szene konzipiert wird, ist medientechnisch genau jene Überblendung verschiedener fotografischer Aufnahmestadien von Bewegung, wie sie von Uexküll der kinematographisch-stroboskopischen Technik Mareys verdankte. »Teilbilder des ganzen Films« – wie es an anderer Stelle und in anderem Zusammenhang schon hieß –, werden nun übereinander geblendet, um ein allgemeineres Strukturbild zu erhalten. Die medizinische Anthropologie der Schmerzen von Weizsäckers mündet scheinbar gänzlich untechnisch in ein theoretisches Credo, das formgeschichtliche und umwelttheoretische Elemente auf bemerkenswerte Weise kurzschließt: Der Schmerz hat nicht immer einen deutlichen ›Ort‹ im optisch vorstellbaren Raum, aber immer hat er einen präzisen Sitz, eine genaue Beziehung zu etwas in uns, zu einem Punkt an uns, einem Stück von uns. Ist er, der Schmerz, ein Ich-Zustand oder ein Es-Zustand? Gehört er mir oder der Umwelt? Bezeichnet er mich oder ein Nicht-Ich? Ja, wir möchten sagen, er sei recht eigentlich der Ursprung und Vater dieser Entwindung, der Anfanger aller Entdeckung der Umwelt.234

Bilz’ Affektpathologie oder Nicht zu Ende geführte Szenen Zuerst seien hier die Übergänge von der Umweltlehre der Tiere zur Lehre von einem zur Abstraktion fähigen Menschen und schließlich zur szenischen Affektpathologie nach Rudolf Bilz bezeichnet. Rudolf Bilz, der sich in Pars pro toto unzählige Male direkt auf von Ehrenfels’ Melodiegleichnis235, von Uexkülls Umweltlehre, Drieschs 210

Kapitel III: Metaphorik

Gestaltbegriff und von Weizsäckers szenische Anthropologie beruft, beginnt mit der Beschreibung der Welt der Tiere als ein Szenarium. Wir werden auf die Unterscheidung der Szene vom Szenarium (oder später: Szenario) im letzten Kapitel dieses Buchs ausführlich zurückkommen. Interessant ist zunächst vor allem, dass Bilz ganz offensichtlich gerade den komplexen Kunstcharakter des Theaters ignoriert, um dann in dessen Metaphorik ausgerechnet das Instinktleben der Tiere alternativ zu beschreiben. Von Uexkülls Begriff des Plans, der ein expliziter Gegenbegriff zum Begriff der Kausalität ist, spielt dabei eine zentrale Rolle: Wir vergleichen das planvolle Zusammenspiel der Partner mit einer Theaterszene und ihre Affekte mit Rollen, die auf ein Stichwort hin, das gewisse spezifische Sinnessignal, sich manifestieren. Der Vergleich mit der Theaterszene drängt sich uns darum auf, weil die Präformierung des vitalen Geschehens sowohl in der im Textbuch vorgesehenen Parnerschaft, als auch in den festliegenden Dialogen und vorgeschriebenen Gesten und Bewegungen der Kontrahenten zum Ausdruck kommt. Daß auch ein gewisser persönlicher Stil bei der Darstellung einer biologischen Rolle sich ausprägen kann, ändert nichts an der Tatsache einer planvollen Präformierung des Ganzen. Mit einem festen Repertoire, so scheint es, tritt die Kreatur in die Welt ein, in das Szenarium ihres Lebens. Im vitalen Plan eines Hundes sind Blumen als Partner nicht vorgesehen, wohl aber in dem der Biene. Die sind ›für einander‹. Im großen Spielplan der Natur stehen sie als Kontrahenten verzeichnet, szenisch vorbestimmt füreinander. Wir sehen in der Szene eine wichtige Einheit des Lebens, nicht im Individuum, ganz zu geschweigen der Zelle Virchows. Affekt ist, von außen gesehen, Bewegung, das aber setzt Raum voraus. So wäre nun die Frage der Bühne zu untersuchen! Noch bevor eine Szene überhaupt in Gang kommt, kann schon das Repertoire der Gattung die Plätze bestimmen, auf denen die Affekte einander begegnen sollen. Grundsätzlich gilt für das Scenarium vitale der Tiere, daß es auf der Wahrnehmungsebene spielt, d. h. in der Gegenwart.236

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Im Verlauf der Argumentation seines Buches verlässt nun Bilz die Koordinaten der Umweltlehre von Uexkülls und überträgt das Modell auf die Innenwelt des Menschen. Aus der auf das Tier ausgerichteten Biosemiotik wird eine Soziosemiotik des Menschen, die sich dem »szenisch-affektiven Fluß der Erscheinungen« zu entziehen beginnt: Denken in unserem Sinne heißt, von dem szenisch-affektiven Fluß der Erscheinungen bis zu einem gewissen Grade emanzipiert sein, ›sich‹, wenn man so sagen darf, draus’ halten können aus dem Konkretismus physischer und damit emotioneller Art. Wenn man schon Akteur ist, ganz läßt es sich ja bekanntlich nicht vermeiden, so ist man doch wenigstens zugleich Zuschauer seiner selbst. Man sieht das Szenarium seines eigenen Lebens von einer Tribüne aus. Wir haben gelernt, unsere Zuwendung zu den Kontrahenten der Umwelt zurückzubiegen oder zurückzuwenden auf uns selbst. So setzt man sich in der Reflexion selbst als Objekt einer Betrachtung und zieht zugleich seine Beziehungen zu den Partnern ›in Betracht‹, herausgelöst vom Wellenschlag primordialen, nur-emotionellen Erlebens.237

Erst die Szene – und mit ihr die Bühnenmetaphorik – bricht den »Fluß der Erscheinungen«, von dem auch Petsch schon 1933 spricht. Es ist die Kraft der ästhetischen Szene als Form, die die Reflexion erst ermöglicht, indem sie das Erleben portioniert und proportioniert: Da wir das lebendige Dasein als szenisch geordnet ansehen, wollen wir im Folgenden die Ausdrücke Trieb und Instinkt zurückstellen gegenüber dem Begriff der theatralischen Szene.238

Diese theatralische Szene ist eine quasi-lebendige Form, eine eigene Kraft, hat eine so hohe Attraktivität, dass sie sich zu verselbständigen scheint: »Die Szene ist gleichsam ein lebendiges Wesen. Ihre Dynamik drängt auf Beendigung der jeweils ins Stocken geratenen Exekutive.«239 Die »Beziehungen zu den Partnern« aber, von denen Bilz hier spricht, werden nun rein szenisch analysiert. Bilz war Arzt, Psycho212

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loge, Medizinanthropologe und in Wien ausgebildeter Psychoanalytiker. All diese Rollenanteile wurden zu einem Zuschauer des Lebens in aestheticis: Gleichviel, welche Ausdrücke wir gebrauchen, ob wir den Terminus ›Trieb‹ verwenden oder ›urszenische Rollen‹ sagen, von unserer Zuschauertribüne aus nehmen wir Bewegungen wahr.240

So ist es kein Wunder, dass sich diesem wissenschaftlichen Beobachter zuletzt alles zu Szenen eines allumfassenden Spiels fügt: ›Unszenisch‹ ist für Bilz schließlich nur noch eine Stoffwechselstörung oder eine isolierte elektrische Reizung241. Die unvollendete Szene wird schließlich zum zentralen Formelement des Sozialen: Trotz unseres emanzipierten Geistes, der nicht mehr nur nachplappert und bestätigt, was wir mittels unserer Affekte erleben, trotz unseres kritischen Intellekts, sind auch wir nicht frei von dem Phänomen einer Affektübertragung. So kommt der Buchhalter des Morgens mißmutig in das Büro, weil er zu Hause mit seiner Frau ›eine Szene‹ hatte, die nicht beendet ist. Grimmig, in ihm wallt noch der Zorn, fährt er den Lehrling an, auf den er nun seinen Affekt überträgt. Der Jüngling wird nun im wahrsten Sinne des Wortes ein ›Lückenbüßer‹, denn er wird in den freien Platz einer bestimmten Szene hineingezwängt und muß für einen anderen Partizipanten stehen.242

Conclusio? Rudolf Bilz und Robert Petsch Vielleicht war das aber auch eine genaue Reaktion von Rudolf Bilz auf den Aufsatz von Robert Petsch Von der Szene zum Akt und der dort verhandelten Idee der Szene als einer »menschlichen Sprechform«, »d. h. eine Möglichkeit, menschliches Erleben in Sprache umzusetzen und eben damit innerlich zu vollenden«.243 Denn gerade die Vollendbarkeit der Szene ist im Sozialen ein größeres Problem als in den Künsten, wie Petsch schon in jenem bemerkenswerten Aufsatz von 1933 mit doppelter Begründung betont. Im Sozialen führt der hohe Umweltlehre, Affektpathologie und szenisches Verstehen

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energetisch-emotionale Aufwand, welchen die szenische Form als dramatische in der Regel zur Voraussetzung hat, häufig genug zum Verlassen der eigentlichen Sprechform – und zum Einsatz schlagkräftigerer Mittel. Oder anders gesagt: Eine Schlägerei auf der Bühne folgt nur dem Stück oder seiner Inszenierung, ist Handlungskalkül und folgt ästhetischen Regeln, eine Schlägerei im richtigen Leben aber bricht aus, bedeutet einen Kontrollverlust, der dem Vollenden der Szene als Sprechform diametral entgegensteht. Gleichwohl steht dieser tätliche Ausgang andererseits drohend – als ein Maximum – die ganze Zeit über der Form. Die zentrale Stelle aus Bilz’ Studie sei deshalb ein zweites Mal zitiert: Man sagt wohl im Leben, daß eine Frau einem Manne ›eine Szene macht‹, daß sich auf der Straße oder im Hause ein ›bewegter Auf‌tritt abgespielt‹ habe. Solche Szene entfaltet ihren eigentümlichen Reiz für den Mitspieler und für die Zuschauer (ohne die sie nicht ganz leicht zustande kommt) eigentlich nur dann, wenn sie selten ist. Es muß sich erst Zündstoff angesammelt haben, der sich hernach mit zerstörender Gewalt – oder als eine Art Feuerwerk entladet. Es müssen dazu auch wohl die geeigneten Personen oder Parteien zusammentreffen, denen beiden die Szene eine gewisse wohltätige Befreiung und Entladung versteckter Energien bringt. Dabei schwebt ein Abschluß mit Tätlichkeiten als ›natürlicher‹ Ausgang den Streitenden wohl immer vor, wirkt formbildend auf den gesamten Vorgang zurück und macht sich in Anspielungen, Fragen und höhnischen Antworten, wie in der steten Verschärfung der Tonart geltend; aber eine wirkliche Schlägerei am Schlusse bedeutet einen Übergang in ein anderes Gebiet.244

Bilz wird genau diesen Punkt später aufgreifen und den Schritt zur »Urszene eines wirklichen Kampfes als ultima ratio«245 des Sozialen bezeichnen. Es ist im Übrigen verblüffend, wie genau das Grimm’sche Märchen vom Dornröschen diese Sachlage trifft: Nachdem der Prinz mit seinem Kuss für Dornröschen das Mädchen (und mit ihm den ganzen Hofstaat) wieder zum Leben erweckt hat, erhält der Küchenjunge vom Koch umgehend diejenige Strafe, vor der ihn nur jener 214

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schlaf ‌bringende Stich Dornröschens mit der Spindel für lange Zeit bewahrt hatte.246 Die Bestrafungsszene vollendet sich gleichzeitig mit dem Märchen. ( Abb. 15) Ein zweiter Grund für die Problematik der seltenen Vollendbarkeit der Szene im ästhetischen Sinne in der sozialen Wirklichkeit ist aber auch der Umstand, dass Szenen von Szenen überlappt oder unterbrochen werden247, und dass mit dieser Interferenz ein Kampf um die Wertigkeit oder Dringlichkeit der Situation oder der Akteure zum Ausdruck kommt: An Stelle des kaum erledigten Gegenstandes erscheint plötzlich ein anderer, anscheinend von größerem Belange; der Streit geht zuletzt gar nicht mehr um den Gegenstand, sondern um die Wertung oder Abwertung der Personen.248

Robert Petsch sah deshalb in der romanesk-verschachtelten epischen Szene – mehr als in der dramatischen – ein eindrucksvolles Muster für die komplexe Dynamik sozialer Interaktion. Sein Beispiel war Arnold Zweigs Antikriegsroman Der Streit um den Sergeanten Grischa von 1923: Die Auseinandersetzung nähert sich den Verhältnissen des wirklichen Lebens, insofern sie nicht aus einer scheinbaren Ruhelage und einem geringfügigen Anlaß plötzlich und mit unauf‌haltsamer Zwangsläufigkeit emporwächst (wie im Drama), sondern absichtlich herbeigeführt und deutlich vorbereitet wird. So läßt sich auch die Linie des Gesprächs selbst trotz aufregender Momente, mit einer gewissen Gemächlichkeit verfolgen.249

Rudolf Bilz war 1930 bzw. von 1934 bis 1938 gleichzeitig mit von Uexküll und Petsch in Hamburg tätig. Vielleicht haben ihn dieser Aufsatz und die ihm vorausgehenden Vorlesungen von Robert Petsch bestärkt, den technisch-maschinellen Weg nicht weiter zu beschreiten, sondern sich auf buchgestützte Dramenliteratur und Dramenanalyse bei der Auskonturierung der szenischen Affektpathologie zu beziehen.250 Petsch hatte die soziale Dimension der Literatur bzw. Umweltlehre, Affektpathologie und szenisches Verstehen

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die literarische Dimension des Alltagslebens in dieser Hinsicht schon skizziert. Dass Bilz von Mai bis Dezember 1930 in Hamburg von Uexkülls Vorlesungen im Institut für Umweltgeschichte hörte, ist sogar überliefert.251 Ob er im Wintersemester 1930/31 zusätzlich von Ok­­ to­ber bis Dezember bei Petsch hörte, der dreimal die Woche über Wesen und Formen des Dramas las252, ist zumindest denkbar – und hatte in Hamburg Tradition. Hamburg hatte bis 1919 – statt einer Universität – seit 1764 ein bedeutendes öffentliches Vorlesungswesen, das 1895 noch einmal grundlegend reformiert wurde, und bei dem dann gerade die Neugermanistik eine hervorragende, publikumswirksame Rolle spielte.253 Der Neugermanist Petsch und der Medizinanthropologe Bilz jedenfalls hätten sich glänzend verstanden, wenn sie sich über die Materie ausgetauscht hätten. Bei manchen Passagen ihrer disziplinär doch so weit entfernten Arbeiten wüsste man – im Falle einer Anonymisierung – kaum noch, wem von beiden man sie zu­ schreiben sollte: Unsere Schauspieler auf der Bühne treten mit einer gebundenen Marschroute in die Szene. Die Kreatur dagegen ringt um eine echte Ent­scheidung. Da sind zahlreiche Zwischenfälle und Modifizierungen möglich, die im Theater sorgfältig vermieden werden und, erfolgen sie doch, von den Darstellern ignoriert werden müssen.254

Schluss? Szenisches Verstehen bei Alexander Mitscherlich und Alfred Lorenzer Die eigenwillige medizinische Anthropologie, die Rudolf Bilz und Viktor von Weizsäcker in Auseinandersetzung mit Jakob von Uexkülls Umwelt-Begriff, Hans Drieschs Gestalt-Philosophie und Freuds Psychoanalyse (und in Konkurrenz zu und Koexistenz mit den medientechnischen Standards der Zeit) entwickelten, scheint auf den ersten Blick so eingebunden in die deutschsprachigen kultur­ kritischen Diskurse der 1920er und 1930er Jahre, d. h. in die Geisteswissenschaf‌ten, dass man sich eine Fortsetzung nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges nur schwer vorstellen kann. Aber die merk216

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würdige gegenstrebige Fügung von konservativer Gestaltganzheit und progressivem Partikulartrieb im Zeichen der Szene hält über­ raschenderweise noch viel länger und wird schon im Wintersemester 1946/47 an prominenter Stelle fortgesetzt: Der Trieb ist für uns nicht so sehr ein Grenzbegriff zwischen Psychischem und Organischem als vielmehr unausweichliches Erlebnis, indem das Miteinander von Leib und Seele als eine Ganzheit erfahren wird. Aber nicht nur dies; auch das Bezogensein auf die Welt und zwar auf die Umwelt wie die Mitwelt (die Mitmenschen also) wird in ihm erfahren.255

Der entscheidende Mittler ist hier das Werk von Alexander Mitscherlich. Der spätere Psychoanalytiker und Publizist Mitscherlich war ein enger Freund der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger und des Nationalbolschewisten Ernst Niekisch. Mitscherlich betätigte sich als neunationalistischer Publizist in ihren Zeitschrif‌ten, bevor er 1941 eine Dissertation Zur Wesensbestimmung der synästhe­ tischen Wahrnehmung bei Viktor von Weizsäcker anfertigte und 1943 seine erste eigenständige Monografie Freiheit und Unfreiheit in der Krankheit abschloss. Eine seiner philosophischen Hauptreferenzen war dabei das antimechanistische Lebenswerk von Hans Driesch.256 Eine lebenslange Freundschaft verband ihn ebenfalls mit dem gleichaltrigen Thure von Uexküll, dem Sohn Jakob von Uexkülls. In seiner psychotherapeutischen Praxis beschäftigte er sich – wie die Habilitationsschrift später dokumentiert – mit Fällen von Alkoholsucht. Das ist ein Thema, dem sich zeitgleich auch Rudolf Bilz immer wieder zugewandt hatte. Ein Wechsel Mitscherlichs, 1941, an das Deutsche Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie in Berlin, wo Bilz schon arbeitete, scheiterte im letzten Moment. Es ist ein Schüler Mitscherlichs, der ab den 1970er Jahren ausgerechnet den Begriff der Szene zum zentralen begriff‌lichen Vehikel seines Fusionsversuchs zwischen Psychoanalyse und Sozialwissenschaft macht: Alfred Lorenzer. Lorenzer arbeitete zwischen 1960 und 1969 intensiv – in Heidelberg und Frankfurt – mit MitscherUmweltlehre, Affektpathologie und szenisches Verstehen

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lich zusammen und entwickelte schließlich in dezidierter Auseinandersetzung mit Werken der Kunst und Texten der Literatur eine (hermeneutische) Metatheorie der Psychoanalyse, die er als ›szeni­ sches Verstehen‹ oder auch als ›Tiefenhermeneutik‹ bezeichnete. Ein Schelm, wer hier ausgerechnet die Tiefe als spezif‌isch deutsche Auszeichnungs­kategorie wiedererkennt.257 Warum aber wird diese Kontinuität systematisch übersehen und Lorenzers Werk eher als ein Neubeginn oder ein Sonderfall der psychoanalytischen Theoriebildung eingeordnet? Warum wird ihm häufig sogar die Erfindung des szenischen Verstehens gutgeschrieben? Lorenzer entwickelte das szenische Verstehen offiziell – von der Psychoanalyse aus betrachtet – als sozialisationstheoretische Erweiterung dieser Methodik. Aber die Verhältnisse sind weniger additiv oder aufeinander auf ‌bauend als sie scheinen. Aus medizinischer und affektpathologischer Perspektive kam in Lorenzers Werk zunächst vor allem ein generelles Merkmal philosophischer Reflexion zum Tragen: Die technisch-medialen Verhältnisse als konkurrierender Kontext der Theorie wurden anthropologisiert. Fotografische Phasenüberblendung wurde zu Gestalt, Interpretation zu fallgeschichtlich organisierter Literatur mit Anspruch. Freud rechtfertigte sich nicht zufällig frühzeitig fürs »Novellenschreiben«.258 Ein zweiter Grund: Die sogenannte Frankfurter Schule der Sozial­ wissenschaf‌ten, der Mitscherlich und Lorenzer seit dem Beginn der 1960er Jahre zuzurechnen waren, schien sich dieser philosophisch-anthropologischen Grundierung wieder zu entwinden, in­dem sie gesellschaftlich determinierte Prozesse anstelle technischer Medialität oder philosophisch-anthropologischer Perspektiven einführte. Medientechnik diente nun nicht mal mehr unterschwellig der Begriff‌lichkeit als Ansporn für mehr Anschaulichkeit der Prosa, sondern wurde recht pauschal als kulturindustrieller Verblendungszusammenhang der Gegner thematisiert. Die Gesellschaft hingegen – und damit abgeschwächte marxistische Theoreme über ihre idealen Verläufe – wurde zum eigentlichen (begriff‌lichen) Medium einer systematischen Reflexion und Essayistik im Zeichen der Kritik bestehender Verhältnisse. 218

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Aber spätestens als sich Lorenzer 1981 mit der Konzilsschrift (wieder) der Literatur programmatisch zuwendete259, wurde deutlich, welche konzeptuellen Implikationen der dramatischen Szene sich durch all jene, hernach eingeführten Theoriesprachen von der Psychoanalyse bis zum Marxismus wieder ans Licht drängten. Doch Lorenzers konzeptuelle Bemühungen gingen noch einmal weit darüber hinaus: Er versuchte den klassischen hermeneutischen Zirkel der Psychoanalyse – mit Sprache in das Terrain der Sprachlosigkeit (Unbewusstes) einzudringen – auszuhebeln. Zu diesem Zweck kritisierte er Freuds ›Sachvorstellungen‹ aus der Traumdeutung als schon zu hoch organisierte Vorstellungen, welche gar nicht in die Wurzelzone der unbewussten Triebstruktur reichten. Lorenzer betont, dass »diese Einzeichnungen vergangenen Lebens zugleich dynamische Entwürfe, ja, virulente Faktoren zukünftiger Lebenspraxis bilden«.260 Er spricht fortan von Ursituationen, geronnenen Interaktionsformeln, Situationsrepräsentanzen und schließlich von »szenischen Modellen«.261 Der Freudsche Begriff der ›Sachvorstellung‹ gewinnt bei Lorenzer »eine neue Auslegung im Sinne des Gefüges szenischer Erlebnisstrukturen«262. Wenn dann die späteren ›Wortvorstellungen‹ Freuds wieder aufgenommen werden, können sie dem szenischen Modell integriert werden: Die Einführung von Sprache erfolgt in konkreten Situationen, die dadurch ihren ›Namen‹ erhalten. Andersherum gesehen: Die ›Bedeutung‹ der Sprachfiguren ist die aktuell konkrete Szene. Die Bedeutung des Wortes ist in ihrem Kern szenisch. Ihr Bezug ist kein abgegrenzter Gegenstand, sondern ein szenisches Gefüge. Der Name bezieht sich auf die Szene.263

Eigennamen werden also von Lorenzer als »Repräsentanten eines komplexen szenischen Gefüges« aufgefasst, »nicht bloß einer Sache«264. Wie dicht sind wir hier wieder an den Ausführungen von José Ortega y Gasset und Hans Lipps. Wie nahe erscheint diesen Überlegungen im Nachhinein auch Freuds Gedanke, dass »Wortreste wesentlich von akustischen Wahrnehmungen abstammen, so daß Umweltlehre, Affektpathologie und szenisches Verstehen

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hierdurch gleichsam ein besonderer Sinnesursprung für das Vorbewußte gegeben ist«.265 Lorenzer wiederholt nicht nur die Zentralstellung der Namen und des Benennens oder das intrauterine Ka­leidoskop (vulgo: modernisiertes Höhlengleichnis) von Bilz266, auch das kleinkindliche Erlernen der Sprache und des Sprechens ist für Lorenzer ein rein szenisches Geschehen. Hier komplettiert das Kind – ab einer bestimmten Entwicklungsstufe – lediglich »in Eigenregie Szenen mimetisch«267, die ihm die sprechende Mutter als Interaktionselement in einer gemeinsamen Szene schon vorgelebt hat. Die unvollendete, zu vollendende Szene – hier ist sie wieder, aber auch die ärztliche Urszene von Weizsäckers scheint durch. Am Ende hat Lorenzer konsequent die Freud’sche Psychoanalyse, insbesondere die Traumdeutung, in eine szenische (Tiefen-)Hermeneutik umformuliert. So jedenfalls resümiert er seine eigene Arbeit: Von der Traumerzählung bis zum unbewußten Originalerlebnis für die via regia durch Szenen hindurch. Das psychoanalytische Erkennen ist das Verstehen von Szenen.268

Es ist kein Wunder, dass sich immer wieder – gerade wenn Lorenzer am konsequentesten vorgeht –, Reminiszenen an das Filmische einstellen. Es spielt im Übrigen keine Rolle, ob die Anekdote darüber, dass Freud schon 1909 in Amerika mit Sándor Ferenczi und Carl Gustav Jung im Kino war269, sich noch bewahrheiten lässt. Vermutlich war der neue Medienstandard, der die Einführung der Psychoanalyse begleitete, von Anfang an ein unumgängliches Maß vieler Dinge. Die Nähe von filmischer Ästhetik und Traumdeutung muss und kann deshalb auch hier einfach angemerkt werden: Beim Traum steht nicht eine Szene für die OriginalSzene (dem Erlebnis des Kommens und Weggehens der Mutter z. B.) vielmehr sammelt die Verschiebung im Netz der Erinnerungsspuren allerlei szenische Formeln zu mehr oder weniger widerspruchsvollen Komplexen zusammen.270

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Doch dies ist noch nicht die ganze Pointe. Die Pointe muss gewissermaßen geteilt werden, obwohl das diese Metapher gerade nicht vorsieht. Lorenzer verlässt nämlich auch in dieser Hinsicht die Argumentation der bisher besprochenen Autoren nicht. Wie Petsch, von Uexküll oder von Weizsäcker markiert er die Herkunft der Szene aus dem Theater. Es ist der Moment, wenn der Theoretiker zurücktritt, wenn er die Dynamik der Szene als Thema verlässt und ihre Einbettung in einen größeren Beobachtungszusammenhang metatheoretisch formulieren will, dem er selbst angehört. Dann bietet das Theater offenbar theoriearchitektonisch mehr Sicherheit als die Leinwand: Der Analytiker steht nicht in beschaulicher Distanz zum Patienten, um sich – wie aus einer Theaterloge – dessen Drama anzusehen. Er muß sich aufs Spiel mit dem Patienten einlassen, und das heißt, er muß selbst die Bühne betreten. Er nimmt real am Spiel teil.271

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6. Neue Wortgeschichten. Von Szenegängern, Szenetreffs und Partyszenen Die Emanzipation der unteren Vermögen Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm – das kann man ex negativo schließen – siedelt die Etablierung der Form und des Begriffs der Szene speziell für das Theater im deutschen Wortschatz irgendwo zwischen Gryphius und Gottsched an: HANS SACHS und AYRER zerlegten ihre schauspiele zwar in actus, diese aber noch nicht in einzelne scenen, sondern begnügten sich die zugehenden personen zu nennen. auch bei OPITZ sind nur acte angegeben und dann die auf‌tretenden personen genannt. bei GRYPHIUS heiszen die acte abhandlungen (bei SCHOCH handlungen), die scenen eingänge. im 18. jh. drang seit CHRIST. WEISE und GOTTSCHED für scene auf‌tritt durch.272

Anders als man 1854 vermutete, verschwand der Begriff der Szene aber nicht und wurde auch nicht einfach von dem universalisierten Gebrauch des deutschen Begriffs ›Auf‌tritt‹ verdrängt.273 Im Gegenteil: Die theateraffine Szene organisiert und portioniert vielmehr seitdem für uns immer umfassender den gesamten Konsum höherer Kunstwerke ebenso wie den Genuss der als niedrig eingestuf‌ten Unterhaltungen. Man kann dem Grimmschen Wörterbucheintrag allerdings auch entnehmen, dass der Begriff der Szene und die Technik der Szene als Untergliederung größerer Geschehenszusammenhänge nicht gänzlich synchron auf‌treten. Das aus dem Lateinischen und dem Französischen eingedeutschte Wort Szene stand lange in einer Begriffskonkurrenz.274 Das Folgende ist eine Emanzipationsgeschichte: Es geht darum, etwas hervorzuholen, um es für eine Mehrheit sichtbar und akzeptabel zu machen. Es geht auch darum, die Vorstellung von einer Mehrheit überhaupt erst hervorzurufen, indem man ihr – quer zur gesellschaftlichen Schichtung – eine übereinstimmende Wahrnehmung unterstellte. Es geht um die sogenannten niederen Vermögen, Anla222

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gen, kreatürlichen Herkünf‌te, Antriebe und (Sehn-)Süchte des Menschen, Vermögen, die angeblich alle teilen. Emanzipiert werden sie ausgerechnet von der Theorie. In der ersten Hälf‌te des 18. Jahrhunderts verhilft zunächst wiederum Alexander Gottlieb Baumgartens Ästhetik von 1735 auch dem niederen Erkenntnisvermögen, der sinnlichen Wahrnehmung des einzelnen Menschen, trotz ihrer obskur-­ konfusen Verankerung im fundus animae, wie die zeitgenössische Theorie es nennt, zu ihrem Recht.275 Gegen Ende dieses Jahrhunderts folgt der Abbé Sieyès mit der Emanzipation einer mächtigen unteren Schicht (noch nicht Unterschicht) der Gesellschaft. Mit den freudianischen Urszenen um 1900 und den anonymen Drogenszenen um 1970 geht es weiter. Zwischen Baumgartens schulästhetischer Emanzipation der unteren sinnlichen Vermögen, Freuds clanistischen bzw. familialen Urszenen und der Frankfurter oder Zürcher Drogenszene gibt es nämlich Gemeinsamkeiten. Alle drei Phänomene gehören dem Untergrund an, sind Begehrensanteile, die in tiefere Stockwerke verdrängt wurden. Alle drei Phänomene sind unterschwellige Kreuzungspunkte vorderhand nutzloser kollektiver und individueller Anlagen, wie Thomas Mann sie 1924 beschrieb: Eine innerlich bis zur Unreinlichkeit verwickelte Erscheinung, ein Mischprodukt ganz-, halb- und unbewußter Elemente, der wunsch­ ge­­triebenen Nachhilfe einzelner und des geheimen Einverständnisses lichtloser Seelenschichten der Allgemeinheit, eines unterirdischen Zu­ sammenwirkens zu scheinbar fremden Ergebnissen, an denen die Dunkelheiten des Einzelnen mehr oder weniger beteiligt sein würden.276

Die Unterschiede liegen in Niveau- oder Verbreitungsfragen: Baumgarten unterläuft die strenge und gelehrte Systematik der lateinischen Schulphilosophie. Das Freudianische Arzt/ Therapeut-Patient-­ Verhältnis wirkt wie ein modernisierter platonischer Dialog im geschützten großbürgerlichen Wohnzimmerhain (neuerdings auch: serielles Treatment).277 Die gesellschaftliche Szene oder scene am Rande (der Delinquenz) gleicht im Auge des Betrachters, der nicht dazugehört, einem Tableau vivant, einem »überhöhten Momentbild«278, das Von Szenegängern, Szenetreffs und Partyszenen

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genau in dem Moment erstarrt, wenn dem Betrachter – bei zugegeben schlechter Beleuchtung – ein kurzer Blick darauf gewährt wird. Die entscheidenden Akteure und Handlungsfäden sind nicht sofort zu erkennen, die Bewegung schien bis gerade groß, die Kulisse hingegen wirkt schon ein wenig schäbig.

Milieu als Szene Nachdem das Vertrauen in die sinnliche Wahrnehmung, in den bürgerlichen Stand und in die therapeutische Begleitung in jeder Lebenslage längst zum guten Ton gehörten, wird dann zur Gegenwart hin auch die ›härtere‹ Szene gesellschaftsfähig. Es gibt schicke und Mode-Drogen, es gibt salonfähige Formen der Prostitution, die nicht mehr in der Nähe von Bahnhöfen, von Rotlicht ausgeleuchtet, angesiedelt werden müssen, sondern wie eine sportlich-solide Automarke klingen: Eskort. Der Umstand, dass der Szenetreff schließlich weder der Vernetzung oder dem Kennenlernen der Therapeuten, noch dem verbotenen Umschlag heißer Ware, harter Drogen oder nackter Körper dient, sondern nur noch dem exklusiv-gehobenen Amüsement, fördert eine weitere Gemeinsamkeit in dieser scheinbar abwegigen Konstellation zutage: Es ist – neben der unausweichlichen Verbreitungslogik – der Insiderstatus der Parti(y)zipienten. Der Szenegänger ist – wie der Patient oder Dealer – Akteur, nicht Zuschauer, aber ein traumwandlerischer. Der Szenetreff ist – jedenfalls seinem rhetorischen Anspruch nach – immer noch die dem Normalbürger verschlossene, exklusive, nicht-alltägliche Ansicht einer Rand- oder Schattengesellschaft, die sich erst nach dem Eintreten, genauer: dem Übertreten einer unsichtbaren Schwelle, dem Durchschreiten einer Nebelwand, dem sprichwörtlichen Normalo oder Otto Normalverbraucher279 nur ausschnitthaft eröffnet: Weil Szenen keine Türen haben, weder hinein noch hinaus, bewegt man sich in einer Szene eher wie in einer Wolke oder in einer Nebelbank: Man weiß oft nicht, ob man tatsächlich drin ist, ob man am Rande mitläuft, oder ob man schon nahe am Zentrum steht.280 224

Kapitel III: Metaphorik

Wer die Szene hingegen regelmäßig bevölkert, gehört zu einem einigermaßen festen Ensemble mit überschaubaren Auf- und Abtritten an wenigen, auserwählten Orten. Das Ensemble zerstreut sich – nur um sich erneut zu versammeln. Szenen nennen wir Gesellungsgebilde, in denen sich symptomatischerweise hochindividualisierte Menschen in einer prinzipiell labilen Form vergemeinschaf‌ten.281

Das ändert sich erst mit der Spaßgesellschaft, die sich auf etwas bedrohliche Weise am liebsten für das Ganze ausgeben möchte. Zu ihr gehört auch die mittlerweile zur Partymeile mutierte Partyszene. Diese zeigt sich – dauerbevölkert des Tags wie des Nachts – offen für jeden. Allerdings spielen sich auch diese Szenen letztlich in einem Theater ab: Es gibt ein Publikum für die Szenegänger wie für die Dauerparty­ flaneure. Wie hat man sich die Sitzordnung vorzustellen? Die Sitzreihen des Theaters erstrecken sich bis an die Bar oder Tanzfläche. Im Falle der Partymeile kann sogar jeder angrenzende Tisch eines Straßencafés plötzlich zur ersten Reihe dieses postbarocken Welttheaters im Zeichen des kollektiven (und gleich eimerweisen) Konsums von billig-süßem Rotwein werden. Schließlich: Wie erhält man Einblick in die ›echte‹ oder ›harte‹ Szene, deren Territorien noch als rote Gefahrenzone illuminiert werden?282 Die Antwort ruft ausnahmsweise eine dritte Instanz auf: Zwischen Darsteller oder Ensemblemitglied und dem Zuschauer muss hier immer ein Sou‌ffleur der besonderen Art den Kontakt herstellen: Als Teil der Szene gilt man nämlich als unglaubwürdig oder zu verschwiegen, als Produzent von Fiktionen, mindestens als unzuverlässig. So muss ein Dritter, ein als Ausgestiegener ebenfalls etwas zweifelhafter Cicerone, ein Kenner der Szene – oft aus der Anonymität von Stimmverzerrern und hochgeschlagenen Mantelkrägen oder Kapuzen – uns berichtend erst heranführen. Seine Schilderungen und Kommentare, die uns die Szene schließlich in Ausschnitten von Ausschnitten zugänglich machen sollen, müssen zumeist zusätzlich von einer weiteren Instanz (z. B. einer kriminologischen Expertise), Von Szenegängern, Szenetreffs und Partyszenen

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beglaubigt werden. Diese holt auch en passant jene ihrerseits zweifelhaf‌te und übertriebene bürgerliche Wissbegierde auf den Boden der Solidität zurück. Wir sind beruhigt – ein Fenster oder Vorhang zum Echten hatte sich für eine Vorstellung geöffnet. Im Zeichen der Szene vertauschten sich kurzzeitig die Zuschreibungen von Authentizität und Illusion: ›Das spielt sich wirklich hinter den Kulissen ab!‹ Erreicht die Szene im soziologischen Sinne aber einen Punkt maximaler Bekanntheit, Verbreitung oder Zugänglichkeit, dann sind es nur noch das Stroboskoplicht der angesagten Discos, das Dämmerlicht berühmter Bars oder die Ladenzeilen bestimmter Viertel, die die Szene (auf dem Dancefloor, dem Boulevard oder einfach Downtown) definieren. Schlaglicht wird Normallicht. Erlebnisgesellschaft und Gesellschaft kommen zur Deckung – wie es ein Klassiker der Soziologie am Begriff schon entwickelt hat: Das ständige Zusammenströmen und Auseinanderlaufen der Menschen bliebe sozial folgenlos, wenn das Entstehen und Zerfallen von Publika nicht in übergreifende Strukturen eingebettet wäre. Darauf bezieht sich der Begriff der Szene. Eine Szene ist ein Netzwerk von Publika, das aus drei Arten der Ähnlichkeit entsteht: partielle Identität von Personen, von Orten und von Inhalten. Eine Szene hat ihr Stammpublikum, ihre festen Lokalitäten und ihr typisches Erlebnisangebot. Aus individualisierten Publika können keine Szenen entstehen.283

Oder die Szene wird sogar selbst zum Akteur: Die Szene wandert nach London (oder Tokyo). Soll man ihr noch folgen? Verträgt die Szene die großflächige Kongruenz mit frei zugänglichen Metropolen? Kann eine Szene überhaupt angesagt sein oder verliert sie genau dadurch ihr szenisches, ausschnitthaftes Potenzial? Vielleicht verträgt sie einen leicht anstößigen Cicerone, aber keinen aufdringlichen Conférencier? Endet sie gar als Normcore ?

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Alltagsszenen und Rollentheorie ›Die Veralltäglichung ist schuld.‹ Der graue Alltag ist ein kritisches Kalkül auf Routinen und Wiederholungen, denn er rechnet mit der Langeweile von Durchschnittstypen und Normalabläufen. Um diesen Alltag auszuleuchten – und um ihm vermeintlich einmal zu entkommen – braucht man die grellen wie die abgelegenen Szenen. Es sind sozusagen korrespondierende Aussichten, die man hier pflegt. Als Mitte der 1970er Jahre das »hochgemute Schwadronieren über ›die Gesellschaft‹ stockte«284, vermutet Michael Rutschky, kam in den Subkulturen endgültig das Gespräch auf den Alltag. Auch wenn dieses Konzept des Alltags eng an den Husserlschen Begriff der ›Lebenswelt‹ angelehnt sein will, so wird daraus doch fast immer eine Kritik der ›ästhetisch korrumpierten Alltäglichkeit‹285, eine (oft mehrbändige) Kritik des Alltagslebens286. Die Szene hat sich in der Soziologie längst als eigenständiges Theorie- und Darstellungsformat etabliert: Man findet Szenen deutscher Normalität genauso gut wie ritualtheoretisch ausgelegte ›zwei Szenen‹287 der Weltpolitik. Dabei haben wir es allerdings mit Restbeständen älterer soziologischer Großtheoriebildung zu tun. Als Erving Goffman 1959 seine Studie The Presentation of Self in Everyday Life veröffentlichte, die zehn Jahre später unter dem noch schöneren Titel Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag auch auf Deutsch erschien, war scheinbar die neue Elementarkategorie der Soziologie zeitgleich in Amerika und Deutschland gefunden worden. Ralf Dahrendorf hatte gleichfalls 1959 seinen Homo Sociologicus als einen Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle aus der Taufe gehoben. Hans Freyer bezeichnet schon 1956 den »sozialen Kodex als dem Inneren der Menschen im plastischen Sinne ›eingebildet‹ und seine Phantasie als ›mit eingebildeten Zuschauern und Zuhörern bevölkert‹, die die Gesellschaft vertreten«288. Heinrich Popitz und Helmut Plessner unterzogen den Begriff der ›Rolle‹ sofort einer scharfen Kritik – ohne dass diese seinen Sieges­ lauf noch irgendwie verhindern konnte.289 Fügt man diese Kategorien – Szene, Bühne, Rolle, Zuschauer – zusammen, eröffnet sich Von Szenegängern, Szenetreffs und Partyszenen

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ein ästhetisches Feld, dass auch die Entstehung der soziologischen Szene-Kategorie weitaus früher zu datieren hat, als bei ihrer offiziellen Einführung durch Goffman oder Dahrendorf in den 1950er Jahren.290 Man hat zu bedenken, dass Nietzsche der Inspirator einer kulturkritischen deutschen Soziologie war, dass seine »aesthetische Wissenschaft«291 in der Geburt der Tragödie von 1872 schon mannigfache quasi-analytische Ver­­­wendungen der ›Scene‹ kannte. Der korrespondierende (soziologische) Rollenbegriff wird sogar mancherorts direkt auf einen Passus in Nietzsches Fröhlicher Wissenschaft zurückgeführt: »Die Lebensfürsorge zwingt fast allen männlichen Europäern eine bestimmte Rolle auf, ihren sogenannten Beruf. (§ 356).«292 Obwohl der Rollenbegriff wohl erstmals bei dem Nietzsche-Leser293 Georg Simmel explizit in der Soziologie auf‌taucht294, bevor er sich dann bei Karl Löwith295 und in 1930er Jahren bei George Herbert Mead296, Ralph Linton297 und Jacob Levy Moreno298 verfestigt, und obwohl ihm seitdem immer neue Monografien gewidmet werden299, hält sich genauso hart­näckig die Klage über seine völlige »Uneinheit­ lichkeit«300. Heute ist die vermeintliche Elementarkategorie in der unvermeidlichen, computergestützten Allgegenwart freizeitlichen Rollenspielens – Massively Multiplayer Online Role-Playing Game – aufgegangen. Dass wir es hier natürlich wieder mit einer neuen Szene zu tun haben, versteht sich fast schon von selbst. Die ›totale Verszenung‹ der gesamten Gesellschaft ist deshalb auch vorerst die letzte Prognose der Soziologen mit Bezug auf unseren Gegenstand.301 Sie hat den Begriff damit auch an die nächsten Disziplinen – Kulturwissenschaft und Medienwissenschaft – durchgereicht: Unser Begriffsangebot ist die Idee, Szenen und allgemeiner: posttraditionale Vergemeinschaftungen als eine Form von Benutzeroberflächen für die funktional differenzierte Gesellschaft zu beschreiben.302

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Kapitel III: Metaphorik

7. Szene, Name, Gestalt. Zur Poetik der Dokumentation Materialmengen (C. Lanzmann) Claude Lanzmanns Dokumentarfilm Shoah behandelt 540 Minuten lang die Geschichte der Vernichtung der europäischen Juden in Interviews mit Überlebenden und porträtiert währenddessen die Orte und Wege dieses Geschehens in langen ruhigen Kamerafahrten. Lanzmann begann 1974 mit der Arbeit und brachte den Film 1985 zur Ur­auf‌führung. Anders als die meisten anderen Filme zum Thema fand Archiv­material in Lanzmanns Werk keine Verwendung, Lanzmann richtete auch keine Kommentarebene ein. Er beschränkte sich hierbei auf die für die neuere Filmgeschichte einigermaßen unübliche Praxis der Texttafeln, die wir eher aus den Anfängen des Kinos kennen. Man weiß nun aus ähnlich umfänglichen und ambitionierten Projekten, dass bei einer solchen Arbeit weitaus mehr Material anfällt als schließlich in den fertigen Film eingegangen ist. Die heutige, im Zeichen der DVD übliche Director’s Cut- und Bonusmaterial-Praxis weist sogar explizit darauf hin. Man weiß auch von und über Lanzmann, dass er den Film durch enorme Recherche- und Lektürearbeit vorbereiten musste, damit er die Überlebenden einer damals schon 40 Jahre zurückliegenden verdrängten, beschwiegenen und vergessenen Vergangenheit kompetent und ausführlich befragen konnte. So fragt man sich schon angesichts der Menge des Materials und der Länge der Produktionszeit (und auch der Regisseur selbst fragt sich genau dies): Wie konnte der Film überhaupt zustande kommen? Technisch gesprochen: Wie ergab sich aus dem Material die Notwendigkeit des Films? Oder konkreter: Wie erfand man dem Film ein Ende, eine Mitte und einen Anfang – um in den aristotelischen Kategorien zu sprechen? Wie konnte das Team oder der Regisseur überhaupt den nächsten Arbeitsschritt erkennen? Wie bekam der Film seine endgültige Gestalt – um das zentrale, gesperrt gedruckte deutsche Wort bei Lanzmann für diesen Punkt zu zitieren?303

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Antworten auf diese Fragen gab Claude Lanzmann viel später selbst. In seinen 2009 zuerst in Paris erschienenen Erinnerungen Der patagonische Hase widmete er sich erwartungsgemäß auf mehreren hundert Seiten seinem filmischen Hauptwerk. Man darf nun aber nicht die in den literarisch hochambitionierten Erinnerungen mitgelieferte Filmpoetik Lanzmanns mit abgeklärter Filmwissenschaft verwechseln. Dennoch steht im Mittelpunkt von Lanzmanns filmischer Poetik jener unübersetzte und unübersetzbare Gestalt-Begriff der deutschen Philosophhietradition, der in dem verwandten filmischen Konzept der Szene all seine Implikationen ebenso gut zu entfalten vermag. Claude Lanzmann behandelt und beschreibt in seinen (angeblich diktierten) Erinnerungen anlässlich von Gedanken zur Entstehung von Shoah die zentrale Schwierigkeit der künstlerisch-kreativen und künstlerisch-dokumentarischen Tätigkeit: Es ist dies die Schwierigkeit, vom Sammeln und Vorbereiten des Materials zum Schreiben oder Drehen des Eigentlichen zu kommen. Es geht in jeder Poetik letztlich um den Sprung aus dem bloßen Material in das sogenannte Werk. Das Werk aber – sei es als begonnenes oder abgeschlossenes – etabliert sich als solches erst, wenn es sich von Gefundenem oder Versammeltem explizit abzuheben beginnt, wenn es jenen, den Künstler vom Handwerker abhebenden Anspruch auf Eigenheit und Kreativität erheben kann. Dem Kunstwerk ist erst mit dieser Absetzbewegung, die einfach auch – das wissen wir schon seit Georg Simmel – ein Rahmen sein kann, etwas eingeschrieben, das mehr ist als seine Umgebung und deren Ordnung oder Unordnung. Das Kunstwerk entsteht also zuallererst in der Verweigerung gegenüber einer Frage, die Lanzmann als die so »zentrale, aber falsche Frage nach dem Warum mit all den endlosen, akademischen Frivolitäten und schäbigen Kunstgriffen, die sie mit sich bringt«304, formuliert. Auch Simone de Beauvoir, die einen der ersten ausführlichen Texte über Shoah schrieb, hielt in ihrer Besprechung ausgerechnet am Kunstcharakter dieses Films fest und betonte, dass Claude Lanzmanns Gestaltung keiner chronologischen Ordnung un­ter­worfen ist, ich würde eher sagen, daß wir es mit einer poetischen 230

Kapitel III: Metaphorik

Konstruktion zu tun haben – wenn diese Bezeichnung bei einem solchen Thema angewendet werden darf. Es bedürf‌te einer ausführlichen Untersuchung, um auf die Resonanzen, Symmetrien, Asymmetrien und Harmonien hinzuweisen, auf denen diese Konstruktion beruht.305

Kunst behauptet und signalisiert, einfach mehr zu sein als bloßes Material. Woraus aber besteht dieses Mehr? Es besteht – neben eventuellen Rhythmisierungen, Assonanzen und Symmetrien – aus der Behauptung und Schilderung von Momenten, die es ermöglichen, der hoffnungslosen Zeitlichkeit und Verstreutheit des Materials entscheidend vorauszueilen.

Name und Szene Damit aber sind wir funktionsgeschichtlich bei der Szene angelangt, denn Claude Lanzmann selbst inszeniert diesen Moment im Produktionsprozess von Shoah rückblickend mit größtem schriftstellerischem Geschick im Namen der Szene. Zunächst geht es Lanzmann um das Zurückweisen des rein sammelnden Intellekts, der mit Gelehrsamkeit den Zugang zum Werk nur versperrt: »Tatsächlich war ich vollgestopft mit dem Wissen, das ich mir in den vorangegangenen vier Jahren durch Lektüre, Nachforschungen und sogar beim Drehen angeeignet hatte.«306 Anschließend muss dann der Moment gekennzeichnet werden, der dem Autor kurzzeitig die Macht verleiht, die umgebungshaf‌te Gleichförmigkeit des Materials zu überwinden und neu zu ordnen. Das genau geschieht bei Lanzmann angeblich mit dem ersten Anblick des Ortsschildes von Treblinka: Die Begegnung mit einem Namen und einem Ort fegte mein Wissen hinweg, zwang mich, wieder bei null anzufangen, auf radikal andere Art zu betrachten, was mich bis dahin beschäftigt hatte, alles umzuwerfen, was mir als absolut gewiss erschienen war. Treblinka wurde so wahr, dass es nicht länger warten konnte; eine Dringlichkeit packte mich, die mich nicht mehr loslassen würde; ich musste drehen, so schnell wie möglich drehen, das war der Auf‌trag, den ich an diesem Tag erhielt.307 Zur Poetik der Dokumentation

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Genau an dieser Stelle, an der Stelle, an der Lanzmann den Schaffensprozess als höheren Auf‌trag beim Namen nennt, versucht er ihn aber auch als eine Praxis zu erläutern – und kommt zu folgendem Ergebnis: Polen, davon bin ich überzeugt, wäre eine Art Dekor geblieben, und niemals hätte ich die Explosion erlebt, die mich am ersten Tag dort förmlich zerriss und mich auf einen Blick die Szenen erkennen ließ, die ich drehen, für deren Realisierung ich mit Hartnäckigkeit, Überzeugung und Erfindungsgeist auch die größten Schwierigkeiten überwinden musste.308

Dieses Bild und diese Philosophie oder Poetik des Schaffens beharrt darauf, dass das spätere mehrstündige filmische Kunstwerk in einem privilegierten und privilegierenden Moment schon als Ganzes aus wenigen Szenen und nach dem Vorbild der Literatur erschienen war.309 Aber Stopp! Filmszenen, das weiß heute jedes Kind, entstehen an Schneidetischen und Schnittcomputern – und nicht in explosiven Visionen. Die Szenen haben natürlich eine visuelle Dimension als belichtetes Fotomaterial, aber eben nicht als mystisch-metaphysische Schauinsland-Technik. Der sogenannte Schnitt findet auch noch Anfang der 1980er Jahre – ziemlich metaphysikfern und profan – an einem solchen Schneidetisch statt und ist eine Material­schnipselarbeit, die viel Zeit und Geduld erfordert. Ganz ähnlich wie die Recherche und Lektüre, die den Künstlerkopf mit Wissen vollstopft, ist der Schnitt eine Arbeit im und am überbordenden Material. Lanzmann meistert auch diese Hürde zunächst rhetorisch. Er verwandelt den Schnitt, die handwerkliche Produktion der Szenen und ihre Anordnung, ex post in ein genialisches Geschehen, das sich von den Notwendigkeiten und Gesetzen des Materials gerade abhob. Die geschnittenen Szenen verdankten, so schildert es uns jedenfalls Lanzmann, ihre Abfolge einem Moment der Einsamkeit: Es gibt keine Stimme, die ankündigt, was geschehen wird, die sagt, was man denken soll, die die einzelnen Szenen von außen miteinander verbindet. Solche für den klassischen Dokumentarfilm typischen 232

Kapitel III: Metaphorik

Hilfsmittel sind in Shoah nicht erlaubt. Das ist ein Grund, weshalb sich der Film der Einordnung zwischen Dokumentarfilm und Fiktion entzieht. Der Schnitt war eine lange, schwierige, heikle Arbeit, die viel Feingefühl erforderte. Ich war oft völlig blockiert, wie bei einer Berg­ be­steigung, wenn man den Durchgang nicht findet, der einen weiter nach oben führt. Meist gibt es nur einen, einen einzigen richtigen.310

Die Geburt des Films aus dem Erlebnis der Szene könnte man formulieren, um die Szene als zentrale Untereinheit der Gestalt des Films kenntlich zu machen. Doch hiermit endet es nicht. Als wäre nicht schon genügend belegt, dass die Szene eine Basisgröße aller Überlegungen Lanzmanns ist, beschließt er seine Autobiografie mit einer Art Universalisierung genau dieser Kategorie, mit einer Art Rückgewinnung der Szene vom Film für das Leben. Die Szene wird wieder aus ihrem visuellen Grundcharakter herausgeschält, den ihr die Filmgeschichte verordnet hatte, und ihr wird der Charakter einer anders gearteten sinnlichen Erfahrung zurückgegeben: Auch wenn ich zu sehen vermag, ja mit einem seltenen visuellen Gedächtnis begabt bin, stehen Ausdrücke wie ›das Schauspiel der Welt‹ oder ›die Welt als Schauspiel‹ nach meinem Empfinden immer für eine uns arm machende Dissoziation, eine abstrakte Trennung, die Staunen und Begeisterung unmöglich macht, weil sie sowohl das Objekt wie das Subjekt um seine Wirklichkeit bringt. Als ich zwanzig war, ich habe es schon erzählt, ist Mailand erst wahr für mich geworden, als ich auf dem Weg über die Piazza del Duano für mich selbst die ersten Zeilen der ›Kartause von Parma‹ laut zu rezitieren begann. Das ist ein Beispiel von vielen. Es gab die furchtbare Erschütterung in Treblinka mit ihren endlosen Konsequenzen, ausgelöst durch das Zusammentreffen eines Namens und eines Ortes, die Entdeckung eines fluchbeladenen Namens auf gewöhnlichen Ortsschildern, auf dem Bahnhofsschild, als sei dort nichts geschehen.311

Die Szene wird wieder ein akustisches Phänomen. Die auswendige Rezitation eines Textes von Stendhal, von Literatur, verleiht dem Zur Poetik der Dokumentation

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Erleben Mailands bei Claude Lanzmann erst seine Konturen. Nicht mehr die visionäre momentane Berg-Schau über die Welt produziert das Kunstwerk als szenisches Arrangement, sondern diese Rezitation einer kanonischen Buchpassage haucht den Kulissen Leben ein. Erst die akustische Ergänzung eines visuellen Eindrucks ergibt vor Ort auch die Realität und Wahrheit dieses Ortes als Szenerie. Im Falle Treblinkas, genauer: im Falle von Shoah, ist es – ganz analog – der fluchbeladene, laut gefluchte Name, der die Szenen des Films blitzartig schneidet und in eine Ordnung bringt. Diese filmische Mytho-­ Poetik lässt die Arbeit am und mit dem Material vergessen, genauer: lässt die Idee noch einmal über das Material obsiegen.

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Kapitel III: Metaphorik

IV. Die Szene in der postmodernen Medien- und Kulturwissenschaft

Wir sehen in der Szene eine wichtige Einheit des Lebens, nicht im Individuum, ganz zu geschweigen der Zelle Virchows. Rudolf Bilz

1. Theatralität, Inszenierung, Sprachszene Theatralität der Gesellschaft Die Verbreitung des Begriffs der Szene ist unterdessen so allgemein, dass er als eigener Terminus technicus von den zuständigen wissenschaftlichen Hand- und Wörterbüchern kaum mehr behandelt wird. Viele Grundlagenwerke der Theaterwissenschaft, der Psychoanalyse oder der Soziologie haben zwar umfangreiche Unterkapitel oder Einträge zu den »Grundelementen des Dramatischen«1, den »Urphantasien«2 oder zur »Geschichte des Rollenbegriffs«3, aber dort dann keinen eigenständigen Abschnitt zur Szene, obwohl die Szene doch dem Drama, der Fantasie oder der Rolle als interessanter Komplementärbegriff problemlos zugeordnet werden kann. Das ist keinesfalls ein Beleg dafür, dass wir es im Falle der Szene mit einem gänzlich überkommenen Problem zu tun, mit einer Frage, die sich heute in den Kulturwissenschaf‌ten so gar nicht mehr stellt. Im Gegenteil: Gerade wenn die Kategorie der »Szenenhaftigkeit«4, oder die Begriffe ›Szene‹ bzw. ›Urszene‹ explizit zum Titel von Veröffentlichungen erhoben werden, bleiben Erläuterungen dazu in der Regel aus.5 Wird die Szene – speziell in der Theaterwissenschaft – doch einmal mit einem eigenen Eintrag versehen, fällt dieser vergleichsweise knapp aus und wird häufig mit dem Hinweis beschlossen, dass »es bislang kaum Einzeluntersuchungen innerhalb der Theatralitätsforschung zur besonderen begriffsgeschichtlichen Entwicklung der Szene gibt«6. Das ist eine kleine Überraschung, da doch unter jener Überschrift der ›Theatralität‹, aber auch unter denjenigen der ›Performativität‹, ›Szenographie‹ oder ›Szenologie‹, seit zwei Jahrzehnten zur Theorie der Inszenierung intensiv geforscht wird.7 Was könnte den erforderlichen Einzel- oder Gesamtuntersuchungen im Weg gestanden haben? Warum entgeht der Theatralitätsforschung ausgerechnet die Szene? Ein potenzielles Hindernis deutet sich mit der Beobachtung an, dass die zweifellos zahlreich vorhandenen verdienstvollen theoretischen Bemühungen um die Fragen der Inszenierung und Inszeniertheit – oder eben der Theatralität – häufig 237

dem »ontologischen und epistemologischen Status«8 des Gegenstands gewidmet sind.9 Theatralität ist offensichtlich mehr als eine Form- oder Gegenstandsbenennung. Theatralität ist gleichzeitig ein Konzeptbegriff, der anzeigt, wie ganze Fächer ihre Gegenstände auf‌fassen sollen. Es handelt sich um einen methodologischen Rahmenbegriff, der wie an einer Zauberkette auch alle anderen Gegenstände und Themen in seiner Reichweite hinter sich her zieht und die Art ihrer Behandlung vorgibt. Hier liegt der Begriff der ›Theatralität‹ mit dem der ›Performativität‹, der ›Ritualität‹ oder der ›Korporalität‹ auf einer Ebene. Die Konkurrenzen lassen sich präzise aus der folgenden Aufzählung herauslesen: Es geht mit und ›in den Medien‹ ganz offensichtlich und wesentlich um Bühnen, Inszenierungen, Performanzen / (cultural) performances, Events, Korporalität (einschließlich Abwesenheit von Korporalität), Skripts, Images, Rituale, strategische Informationspolitiken, Publika usw.10

Die Impulse kommen aus einem Fach wie der Soziologie (E. Goffman)11 oder der Ethnologie (V. Turner), sie werden aufgegriffen – und sollen auf andere Fächer überspringen. Ein Begriff wie derjenige der Theatralität tritt damit als methodischer Meta-Begriff in Konkurrenz zum Diskurs-Begriff (auch wenn weiterhin Kombinationen wie ›Diskurse des Theatralen‹ nicht ausgeschlossen sind): Wie immer diese im Einzelnen schwer zu durchschauenden Verhältnisse ausfallen und einzuschätzen sind, sie sind Momente nicht nur einer Figuration oder Institution neben anderen, sondern vielmehr einer sozusagen überragenden Figuration, die gleichzeitig als eine Art sozio-kultureller Überbau der (Welt-)Gesellschaft und der (Welt-) Ver­­gesellschaftung fungiert.12

Nicht zufällig ist häufig einfach von Theatralitätsforschung die Rede. Hier steht ganz offensichtlich mehr auf dem Spiel als mit dem kleinen Begriff und Thema der Szene angezeigt und bearbeitet werden kann: 238

Kapitel IV: Postmoderne

eine Anthropologie oder auch eine meta-disziplinäre Neugründung. Eine Hypothek des Ursprungs in der Soziologie ist unter Umständen auch ein Begriff von Medialität der – etwa als ›Massenmedientheatralität‹ – nicht nur Tautologien zulässt, sondern auch klassische Formen und Topoi der Kultur- und Medienkritik pflegt. Hier kommt es dann zu Gleichungen wie ›Politik = Parteitag = zustimmungssüchtige Eventkultur = Niedergang der Demokratie‹.

Performativität der Kunst Das Verdienst der Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte ist es, in zahlreichen Veröffentlichungen die historischen Bedingungen dieser Erweiterungen und ihre begriff‌lichen Verschiebungen oder Hierarchien immer wieder ins Gedächtnis gerufen zu haben. Auf der Folie einer historischen Semiotik des Theaters werden die neueren Entwicklungen beschrieben und eingeordnet. Dabei steht – anders als bei der historischen Semiotik13 – nicht mehr der gestische Code, die Bühnenarchitektur oder die Affektenlehre im Mittelpunkt, sondern die Auf‌führung als performativ-künstlerische Praxis: Theater als Modell für die Kulturwissenschaf‌ten vorzuschlagen, heißt daher, den spezifischen Auf‌führungscharakter von Kultur in den Blick zu bringen. Das Innovationspotential der Theatralitätsforschung für die Kulturwissenschaf‌ten besteht gerade in dem Insistieren auf dem Auf‌ führungscharakter kultureller Handlungen. Ins Zentrum der Thea­tralitäts­forschung tritt damit der Auf‌führungsbegriff. Mit ihm sind unlöslich die Begriffe Inszenierung, Körperlichkeit und Wahrnehmung verbunden. Von Theatralität reden wir, wenn die im Hinblick auf eine spezifische Wahrnehmung vorgenommene Inszenierung von Körperlichkeit zur Auf‌führung gelangt.14

Ihre Ästhetik des Performativen nimmt eine künstlerische Auf‌führung, eine aktionskünstlerische Live-Performance zum Anlass, um mit der minutiösen Auslegung des Geschehens die Konstituenten einer solchen Inszenierung zu bestimmen. Die Performance Lips of Thomas Theatralität, Inszenierung, Sprachszene

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der serbischen Aktionskünstlerin Marina Abramovic, aufgeführt am 24. Oktober 1974 in der Galerie Krinzinger in Innsbruck, ist auch eine Art Urszene der kulturwissenschaftlichen Theatralitätsforschung.15 Immer wieder wird an diesem Beispiel von Fischer-Lichte jenes Zusammenspiel oder Zusammentreffen von Körper, Bühne und Blick des Publikums geschildert und überprüft. Die historischen Codes gelten nicht mehr, doch auch die reine Kreatürlichkeit und Re­flexhaftigkeit des Körpers liefert keine Erklärung für das Gesehene: Als Zuschauern der Atem in dem Augenblick stockte, da Marina Abramovic mit dem Rasiermesser in ihre Haut schnitt und das Blut hervorquoll, so geschah dies nicht als ein physiologischer Reflex. Es stellte vielmehr eine Reaktion auf ein gesellschaftliches Tabu dar. Die Zuschauer waren schockiert und wollten nicht wahrhaben, was sie sahen; andererseits jedoch waren sie fasziniert. D. h. der Atem stockte, weil die Wahrnehmung einer Handlung, die nichts anderes bedeutete, als was sie tat, nämlich Selbstverletzung, ihrerseits im Kontext von bestimmten kulturell oder auch biographisch bedingten Bedeutungen vollzogen wurde, auch wenn diese Bedeutungen im Augenblick, in dem der Atem stockte, nicht bewußt waren. Die Wirkung war hier also auf eigentümliche Weise mit Bedeutung verbunden, ohne daß beide zusammengefallen wären. Es hat den Anschein, als wenn dies gerade die Vorbedingung dafür ist, daß eine Wirkung als ein Ereignis eintreten kann.16

Der Kern dieser Art von Inszenierung ist nach Fischer-Lichte also eine Art Rückgewinnung des Ereignishaf‌ten, des Ereignisses durch diese Kunst – und die erst dadurch gegebene Theoretisierbarkeit dieser Ereignishaftigkeit. Hier liegt die Frage nahe, was das für Gesellschaf‌ten bedeutet, deren Gegenwarten zunehmend stärker von technischer Medialität, aber nicht von »leiblicher Ko-Präsenz« geprägt sind. Ereignishaftigkeit und Kopräsenz, die für Fischer-Lichte auch ein Mehr an Leiblichkeit und Fühlbarkeit bedeuten17, könnten gegen ›Medialisierung‹ ausgespielt werden. Einwände, dass solche Auf‌führungen sich immer Elemente der sie jeweils umgebenden techni240

Kapitel IV: Postmoderne

schen Medialität integrieren, sind formuliert worden. Fischer-Lichte widerspricht und geht hier noch einen anderen Weg: Gerade das, was ihre Eigenart [der Performances, H. C.] jeweils ausmacht, läßt sich durch Reproduktionstechnologien nicht bewirken. Daß sie nach dem Modell medialisierter Auf‌führungen gebildet sind, ist auch bei großzügigster Auslegung dieses Modells nicht nachzuweisen. Wie bereits angedeutet, sind die Auf‌führungen der sechziger und siebziger Jahre auch als Reaktion auf die zunehmende Medialisierung der Kultur entstanden, wenngleich sie sich keineswegs in dieser Funktion erschöpfen. In den vierziger und fünfziger Jahren hatte sich der Unterschied zwischen ›live‹ und medialisierten Auf‌führungen noch kaum profiliert.18

Es wird noch einmal eine Reserve gegenüber ›den Medien‹ ins Spiel gebracht und gleichzeitig indirekt eine Erkundung der historischen Semantik von Liveness nahegelegt.19 Ob der performative turn die Reinheit des Ereignishaf‌ten (zurück-)gebracht hat, oder ob das Ereignis den Regeln und Modalitäten gehorcht, die ›die Medien‹ oder ›der Markt‹ weiterhin mit sich bringen, wird nicht endgültig geklärt: Die performative Wende in den Künsten, mit der diese sich vom kommerzialisierten Artefakt, vom Werk als Ware abwandten und zunehmend flüchtige, nicht fixier- und tradierbare Auf‌führungen schufen, steht mit dieser Entwicklung zweifellos in einem Zusammenhang. (Dabei will ich hier nicht diskutieren, inwiefern natürlich auch ›Live‹-­ Auf‌führungen zur ›Ware‹ werden können.)20

Sprache als Sprachszene Roland Barthes entwickelte erste Ansätze einer Theorie der Sprach­ szene unmittelbar nachdem er 1954 im Pariser Théâtre Sarah-Bernhardt ein Gastspiel des Berliner Ensembles mit Brechts Mutter Courage gesehen hatte. Gerhard Neumann beschreibt, dass

Theatralität, Inszenierung, Sprachszene

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Roland Barthes aus dem Bühnenereignis des Brechtschen Theaters die Idee von einer ›Instanz‹ des Theatralen, die Vorstellung eines ›impliziten‹, nach ›innen gewendeten‹ Theatermodells ableitet, das eher dem Text und seinen internen Zeigestrukturen als der Szene und der Rampe angehört.21

Dies geschah parallel oder in Auseinandersetzung mit der Weiterentwicklung der strukturalen Analyse von Claude Lévi-Strauss und Roman Jakobson in der französischen Sprachwissenschaft bei Algir­ das J. Greimas und Lucien Tesnière. Dort beginnt, wie Gerald Wildgruber erläutert, »die Erklärung der Struktur des Satzes mit der Übertragung in den Phänomenbereich des Theaters und der Szene«22. Jeder Satz stellt demnach »als geschlossene Abbildung einer Handlung ein Drama mit Prozeß, Personen und Umständen dar«23. Für Greimas heißt das später (in seiner Sémantique structurale von 1972), dass »jeder Bedeutungskomplex als eine Aktantenstruktur beschrieben werden kann (die Szene stellt demnach die elementare Struktur von Bedeutung dar)«24. Dieses Modell überträgt Barthes frühzeitig auf den literarischen Text und die Ökonomie des Erzählens: Die Funktion der Erzählung liegt nicht in der Repräsentation, sondern vielmehr in einem Schauspiel, das uns noch weitgehend rätselhaft bleibt, aber sicher nicht mimetischer Natur sein wird.25

In seinen späteren Werken wird daraus bei Barthes ein theatrales Modell von nicht integrierter Vielstimmigkeit, eines »Abbaus der integrativen Funktion des Erzählers«26. Gerhard Neumann knüpft hier an und begründet eine szenische Anthropologie der Kultur, welche Sprache, Handlung und Institutionen schließlich übergreift: Sprache wird also, wenn man diese theoretischen Vorgaben in Rechnung stellt, nicht erst auf Schaubühnen ›theatral‹, sondern ist, als sie selbst, immer schon theatrales Geschehen – eine inszenatorische Praxis der Herstellung von sozialem Sinn, an der die fiktiven Rollenspiele der Literatur ebenso teilhaben wie die Rituale und Institutionen des 242

Kapitel IV: Postmoderne

öffentlichen Lebens, als die in jeder Gesellschaft konsolidierend wirksamen Zeremonien.27

Es ist nur konsequent und produktiv, dass Neumann später Kultur vor allem als ein elementares Set von kulturellen Szenen beschreibt.28

Theatralität, Inszenierung, Sprachszene

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2. Szenario: Zur Verbindung von antikem Theater und postmoderner Medienphilosophie Kommunikologie und die Szene (V. Flusser) Die von ihm selbst Kommunikologie genannte Medientheorie des tsche­ chisch-deutsch-brasilianischen Medienphilosophen Vilém Flusser (1920–1991) kann problemlos auf drei Momente des Szenischen gebracht werden. Zuerst ist festzuhalten, dass die Szene einen zentralen Platz in dem hat, was man – etwas verkürzt – Vilém Flussers Geschichtsphilosophie und Geschichtsteleologie nennen kann. Flusser wurde nämlich schnell grundsätzlich und unterteilte die Menschheitsgeschichte entweder in drei oder in fünf Perioden. Das einfachere triadische Modell sah das bisherige Auf‌treten des Menschen als eine ›magische‹ Periode vor, die in eine ›historische‹ überging. Mit der Gegenwart und dem Erscheinen des Computers begann für Flusser die von ihm so genannte ›telematische‹ oder ›nachgeschichtliche‹ Periode. Das magische Zeitalter reichte für Flusser als ein (erstes) Zeitalter der Bilder von den Höhlenbildern in Lascaux vor 35 000 Jahren bis zu den ersten Schriftfunden in der alteuropäischen Donau-Vinča-­ Zivi­lisation aus dem 6. vorchristlichen Jahrtausend.29 Das eigentliche Zeitalter der Schrift und der Geschichte aber erstreckte sich von der Erfindung und Vorbereitung der Alphabetschrift, die in einem Austauschprozess zwischen dem heutigen Syrien, dem heutigen Griechenland und der kleinasiatischen Türkei zwischen 1200 und 800 vor Christus entstand, bis zur Etablierung der Fotografie. Das ›telematische‹ Zeitalter begann mit der breiten zivilen Nutzung des Computers, das – in den Worten Flussers – ein Zeitalter der kalkulierten und computierten elektronischen Bilder ist. Alle digitalen bzw. apparativen Aufnahme- und Sendeverfahren – wie die Videotechnik oder digitale Fotografie – gehören nach Flusser in dieses Zeitalter. Die Szene ist als Terminus technicus bei Flusser nun diesem ›magischen‹ Zeitalter zugeordnet:

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Kapitel IV: Postmoderne

Der szenische Charakter der zweidimensionalen Codes hat eine spezifische Lebensweise der von ihnen programmierten Gesellschaf‌ten zur Folge. Man kann sie die ›magische Daseinsform‹ nennen. Ein Bild ist eine Oberfläche, deren Bedeutung auf einen Blick erfaßt wird: Es ›synchronisiert‹ die Sachlage, die es als Szene bedeutet. Und die solcherart kodifizierte Welt, die Welt der Bilder, die ›imaginäre Welt‹, hat die Daseinsform unserer Ahnen während ungezählter Jahrtausende programmiert und geformt: Für sie war die Welt eine Menge von Szenen, welche magisches Verhalten fordern.30

Flusser hat die Höhlenbilder vor Augen gehabt, ihre »Zauberreihen oder -ketten«31, von denen zu Beginn dieses Buchs ausführlich die Rede war. Warum nun aber ausgerechnet die lineare Schrift dieses magische Weltbild ablöste – und damit die Szene aus ihrer Schlüssel­position verdrängte –, erläutert Flusser in einer Art zeitgemäßer medienhistorischer Variation über Baumgartens Ästhetik und Ortegas Diktum, dass »jeglicher Begriff die Beschreibung einer Lebens­szene«  32 sei: Die Zeile reißt die Dinge aus der Szene, um sie neu zu ordnen, nämlich sie zu zählen, zu kalkulieren. Sie rollt die Szene auf und verwandelt sie in eine Erzählung. Sie ›erklärt‹ die Szene, indem sie jedes einzelne Symbol klar und deutlich (clara et distincta perceptio) aufzählt. Daher meint die Zeile (der ›Text‹) nicht unmittelbar die Sachlage, sondern sie meint die Szene des Bildes, welche ihrerseits die ›konkrete Sachlage‹ meint. Texte sind eine Entwicklung von Bildern, und ihre Symbole bedeuten nicht unmittelbar Konkretes, sondern Bilder. Sie sind Begriffe, welche Ideen bedeuten.33

Mit der textförmigen Linearisierung der Bilder setzte sich nach Flusser das historische Bewusstsein durch, das nachweislich im 19. Jahrhundert einen Höhepunkt erlebte, insofern in Westeuropa die natio­nale Geschichtsschreibung zu einer Königsdisziplin an den Universitäten und zu einer diskursiven Wegbereiterin der Politik werden

Szenario

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konnte. Doch das sei kein allgemeiner Prozess, betont Flusser, denn die lineare Programmierung der Massen setzte spät ein und konnte nicht als vollständig angesehen werden: Erst im Lauf der Jahrhunderte begannen Texte (Homer und die Bibel) die Gesellschaft zu programmieren, und das historische Bewußtsein blieb, im Lauf der Antike und des Mittelalters, Kennzeichen einer kleinen Elite von Literaten. Die Masse wurde weiter von Bildern programmiert, obwohl diese Bilder von Texten zunehmend infiziert wurden. Die Erfindung des Buchdrucks verbilligte die Manuskripte und erlaubte einem aufsteigenden Bürgertum, zum historischen Bewußtsein der Elite vorzudringen. Und die Industrierevolution, welche die ›heidnische‹ Dorfbevölkerung aus ihrem magischen Dasein riß, um sie als Masse um Maschinen zu ballen, programmierte diese Masse dank Volksschule und Presse mit linearen Codes.34

Szenische Darstellungen und lineare Programmierungen sind aber genaugenommen in Flussers Darstellung für den Westen medientechnische Signets vergangener Zeitalter. Das neue Zeitalter hat seine eigene Programmierung. Das Neue, das Zeitalter der Telematik, ist dabei das forcierte alte: Die Telematik erlaubt uns, die Geschichte abzuberufen, sie auf Knopf­­ druck gegenwärtig zu machen, auch, sie mit einem weiteren Knopfdruck wieder verschwinden zu lassen. Wir sind in eine neue Lage versetzt, in der wir alle möglichen Geschichtsabläufe miteinander zu neuen kombinieren und arrivieren können, auch solche, die wir selbst erfinden.35

Das Machen oder Gemachtsein der Geschichte durch den Einsatz von Medien ist seit einer besonderen Aufmerksamkeit verschiedenster Fächer für das Pergamentene der mittelalterlichen Chroniken, für das Buchförmige des Historismus im 19. Jahrhundert oder das Funkwellenartige des Radios im 20. Jahrhundert fast schon ein Gemeinplatz. Im Sinne der Flusser’schen Telematik scheint aber die 246

Kapitel IV: Postmoderne

totale mediale Bedingtheit von Geschichte zunächst eher eine Vision des Autors zu bleiben. Seine radikale These von der völligen Auf‌hebung einer an Kausalitätsverhältnissen orientierten linear-schriftlichen Geschichtsschreibung durch die Gleichzeitigkeit und größere Manipulierbarkeit der technischen Bilder in der Nachgeschichte fand außerhalb akade­mischer Kreise wenig Anhänger. Bedenken kommen allerdings auch einem Durchschnittszuschauer, wenn er an die so eindeutig TV-­ge­stützte ›Rumänische Revolution‹, an den sich an fragwürdigen militärischen Auf‌klärungsfotos entzündenden ersten ›IrakKrieg‹, an ›9/11‹ oder an ähnliche medial-instantane Auf ­‌bereitungen politischer Großereignisse der letzten Jahrzehnte erinnert wird. Auch wenn man die netzgestützten Verschwörungstheoretiker einmal außen vor lässt, schleicht sich doch der Verdacht ein, dass die politische Deutungshoheit von der textförmigen Geschichtsschreibung auf die Deutung der massenhaft-ephemeren, oft direkt übertragenen, technischen Bilder übergegangen ist. Diese Schwierigkeiten hat Flusser durch­aus bedacht: Es hat Jahrhunderte nach der Erfindung der Schrift erfordert, bevor die Schreiber lernten, daß Schreiben erzählen bedeutet. Zuerst haben sie wohl nur aufgezählt und Szenen beschrieben. Es wird ebenso lange dauern, bevor wir die Virtualitäten von Techno-Codes erlernen: bevor wir lernen, was Fotografieren, Filmen, Videomachen oder analoges Programmieren bedeutet. Vorläufig erzählen wir noch TV-­ Geschichten. Aber diese Geschichten haben doch schon ein posthisto­ risches Klima.36

Von der Szene zum Szenario Die Zukunft ist ungewiss. Wie sollten wir sie auch beobachten können? Wie sollten wir unmittelbar auf unsere eigene medientech­ nisch bedingte Programmiertheit reagieren können? Gerade weil diese Zukunft ungewiss ist, weil wir in unserem Programmiertwerden in neuen sozio-medialen Umgebungen noch am Anfang stehen, könnte man sagen, taucht die Szene in neuer Bedeutung oder Position im Szenario

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telematischen Zeitalter wieder auf. Denn die Szene hat eine zukunftssüchtige Schwester – das Szenario. Flusser wusste ganz genau, dass ihm nur diese ›dichterische‹ Möglichkeit einer Auf‌lösung der Gegenwart in zukünftige Szenen blieb, um seine Analysen über diesen Punkt hinauszutreiben. Futurologie ist ein Begriff, den Ossip K. Flechtheim 1943 geprägt hat und der in den 1960er und 1970er Jahre konzeptuell zündete.37 Für Flusser ist die fröhliche Medientheorie mit prognostischem Mehrwert dann eine echte Herausforderung, da er 1972 aus Brasilien nach Europa zurückkehrte. Ihre Konjunktur machte Hermann Lübbe schon 1983 rückblickend an der paradoxalen Zunahme von »Zukunftsungewißheit« in den Kernländern von Auf‌klärung und Industrialisierung fest: Mit der Dynamik zivilisatorischer Entwicklung nimmt die Menge der Ereignisse und Vorgänge, die unsere Lebenssituation strukturell verändern, pro Zeiteinheit zu, und komplementär dazu nimmt die Voraussehbarkeit unserer künftigen Lebenssituation ab.38

Stanislaw Lems Futurologischer Kongreß von 1971 war längst weltberühmt.39 Flusser baute die Futurologie mit einer Theorie des Szenarios aus und in seine Theorie ein. Die Szenario-Technik ist heute ebenfalls längst ein eigener Zweig der Wissenschaft und durchquert viele Fachbereiche, in denen dann auch ganze Lehrbücher zur Szenario-Technik erscheinen. Der Begriff des Szenarios wurde 1967 zuerst von den Futurologen und Kybernetikern Hermann Kahn und Anthony J. Wiener als ein Instrument systematischer Zukunftsforschung eingeführt.40 Aber natürlich übernahm Flusser nicht einfach diese Szenario-Technik, denn mit den gemeinen Futurologen und Kybernetikern mochte er sich nicht auf eine Stufe stellen, sie langweilten ihn. Er baute in ihr zukunftsseliges Konzept vielmehr das medienferne Moment der endlichen Existenz und die Dialogform als szenische Basisstruktur der Kommunikation wieder ein, er kreuzte Futurologie, Kybernetik und Dialogischen Existenzialismus:

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Kapitel IV: Postmoderne

Die hier eingeleitete Serie von Szenarios klammert den Tod nicht aus, das heißt, sie verzichtet nicht auf Selbsterkenntnis und Anerkennung des anderen. Demzufolge wird sie auf exakte Kalkulationen verzichten. Dieser Verzicht hat weitere Gründe. In der grauen Zukunft des Futurologen geht es um Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Der Mensch aber ist ein Vieh, das sich von Unwahrscheinlichem nährt. Und darum ist für ihn die salzlose Suppe der Futurologie ungenießbar. Die hier eingeleitete Serie von Szenarios verspricht, schmackhaft zu sein. Sie wird Unwahrscheinlichkeiten projizieren.41

Was genau ist nun ein Szenario? Eine Berechnung von Unwahrscheinlichem oder von Wahrscheinlichem in der Zukunft? Flusser schreibt, dass Szenarien verbessert werden, wenn »immer weitere Möglichkeiten hineingefüttert werden«42. Das leuchtet ein und lässt doch offen, in welcher Form Möglichkeiten in etwas hineingefüttert werden können. Welche Antwort gibt Flusser auf das Problem? Liegt die Lösung vielleicht im Charakter der Szene selbst, die den Szenarios ihren Namen gab? Die angenommene Zukunft ist ein Möglichkeitsfeld, das um die Gegenwart gestreut ist. In ihm werden die einzelnen Möglichkeiten von der Gegenwart angezogen, um Wirklichkeit zu werden. Sein Aussehen gleicht auf den ersten Blick einem Feld mit Magnet und Eisenspänen. Das Möglichkeitsfeld ähnelt eher einem Gespenster­ kongreß: einige materialisieren sich, andere paktieren miteinander oder verschwören sich gegeneinander, wieder andere lösen sich in nichts auf.43

Das erscheint uns wie ein fliegender Szenenwechsel. Um der Sache nun auf den Grund gehen zu können, landen wir bei Flussers letzter Zusammenfassung seiner kommunikologischen Überlegungen: Es sind die Bochumer Vorlesungen von 1991 mit dem Titel Kommunikologie weiter­denken. Lange nach Flussers tragischem Unfalltod 1991 erscheinen diese Vorlesungen an der Ruhr-Universität Bochum 2009 in einer sorgfältig edierten, etwas gekürzten schriftlichen Version der Szenario

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Tonbänder. In diesen Vorlesungen greift er das Bild für das Szenario wieder auf: Ich will versuchen, diese Grundlage der von mir vorgeschlagenen Anthropologie in dem Bild des magnetischen Feldes zu vermitteln. Wer mein Buch Angenommen gelesen hat, wird sich erinnern. Wir sind in der Situation des Magneten. Das ist eine Metapher, und sie hinkt. Alles um uns herum nähert sich von allen Seiten und von allen Zeiten. Dafür fehlt uns die Grammatik, weshalb ich gesagt habe, dass man mathematisch denken muss. Das sprachliche Denken steht vor dem Bankrott. Alles kommt heran. Von einer Linie kann jetzt keine Rede mehr sein. Fortschritt, Rückschritt, all das ist sinnlos. Es kommt heran. Es nähert sich, nicht unendlich, aber auch nicht eigentlich chaotisch. Es gibt diese Tendenz zum Wahrscheinlicher-Werden, der durch Tendenzen zum Unwahrscheinlicher-Werden widersprochen wird. Virtualitäten treffen aufeinander, und dadurch, dass sie akzidentiell aufeinandertreffen, werden sie noch virtueller. Einzelne setzen sich durch. Eins ist schon beinah da. Im letzten Moment verschwindet es wieder. Ich weiß nicht, ob ich das genügend dramatisch geschildert habe.44

Es beschleicht einen hier das Gefühl, dass die Zukunft im ganz ästhetischen Sinne, wie ein Theaterstück, dramatisch eben, vom permanenten Szenenwechsel geprägt ist. Das Szenario kompensiert seinen Mangel an Normativität, schreibt Jules Buchholtz, ästhetisch durch die Verschneidung verschiedener Materialitäten, wie die Verschmelzung von wissenschaftsnahen Darstellungsformaten mit künstlerisch­er Ausgestaltung, die dem Panorama und Diorama nicht unähn­liche Hybridform der spektakulären Darstellung historisch-wissenschaftlicher Wissensgehalte und die zum Teil emotionsintensive Codierung semantischer Gehalte45.

Dieser Verdacht erhärtet sich, wenn man in der Mitte der Bochumer Vorlesungen, die Flussers Lebenswerk zusammenfassen, den Satz liest: »Ich halte das Theater für die Grundlage der Kommunikation.«46 250

Kapitel IV: Postmoderne

Das Theater, dem wir die Szene verdanken, strukturiert auch unsere Kommunikation über die Zukunft. Die Szene verschwindet also – laut Flusser – nicht mit dem magischen Zeitalter oder mit dem historischen Bewusstsein und drängt sich sogar mit Macht wieder in den Vordergrund, wenn die technischen Bilder eine Vormachtstellung über die Texte zu gewinnen suchen: Man hatte die Bilder zerstört, um das Geschichtsbewußtsein zu er­ möglichen, um sich von der Magie zu befreien. Nun wird aus der Geschichte eine Phase, ein Prozess heraufgesogen und in eine Szene verwandelt.47

Lektüre-Szene Woher aber stammt die Macht der Szene? Die Macht der Szene be­ steht – wie schon einmal angedeutet – in ihrem Changieren zwischen Bild und Prozess. Dieses Changieren liegt eigentlich im Auge des Betrachters. Das aber heißt nichts anderes, als dass die Lektüre der Bilder ständig den Rand oder die Begrenzung des Bildes und die dargestellten Objekte ändert, oder besser: ihre Verhältnisse untereinander, ihre Stellung. Jedes Bild ist schon ein mit der Lektüre in Bewegung gesetztes Bild auf einem Schirm, eine Szene. Wenn aber die Be­we­gung der Szene in unserem Auge, die durch die Kreuzung der synchronen und der diachronen Wahrnehmung dort entsteht, schon wieder in unseren nächsten Blick auf das Bild, unsere nächste Lektüre des Bildes, Eingang findet, dann sehen wir deutlicher, was Flusser mit dem Magisch-Sein der techno-imaginären Szene gegenüber der aufgezählten Geschichte meint: Der Maler steht vor einer leeren Leinwand oder vor dem Computerschirm. Er tritt davon zurück, sieht etwas, geht zur Leinwand hin, hält das Ersehene fest, und zwar so, dass andere es entziffern können. Er hat Imagination. Auf dieser Bildoberfläche ist die Information synchronisch. Sie ist wie auf einem Teller vor mir aufgelegt. Indem ich sie entziffere, diachronisiere ich diese synchronische Information. Ich teile Szenario

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die Gleichzeitigkeit in ein Nacheinander. Ich bewege meine Augen auf der Bildoberfläche, ich scanne die Bildoberfläche. Eigentlich sollte ich der Intention des Malers folgen. Ich sollte so scannen, wie der Maler die Linien gezeichnet hat, die Formen der Information. Seltsamerweise habe ich die Fähigkeit, nach meiner eigenen Intention zu entziffern. Ich kann beides, der Intention des Malers folgen und meiner eigenen. Es kommt zu einer Synthese der Intentionen, einer Interpretation.48

Das Problem der Lektüre von Bildern wird von Flusser am Begriff der bewegten Szene und des Szenarios vorgeführt. Die Szene macht diejenige Bewegung sichtbar, die die Lektüre in die Bilder ohnehin hereinbringen muss, wenn sie als Lektüre fungiert. Es ist ihre komplizierte Grundstruktur aus Dia- und Synchronisation des Bildes und der Re- oder Mehrfachlektüre, in die die vorangegangene Lektüre schon (re-)strukturierend eingeht, ohne die aber keine kommunizierbare Lektüre möglich ist. Die ersten beiden Stationen der Szene (und Reduktionen der kommunikologischen Medientheorie auf den Begriff ) heißen also magische Epoche und Lektüre-Szenario. Es ist durchaus sinnvoll, das strukturelle Problem der Szenarios – also die Deutung der Zukunft ihre Extrapolation aus dem Vorhandenen – in ein Lektüreproblem umzuformulieren, da nur die Lektüre aus etwas Vorhandenem neue Möglichkeiten generiert. Wie wir bei Lübbe gesehen haben, generiert aber die steigende Menge an Vorhandenem auch gesteigerten Lektüre-, d. h. Vorausdeutungsbedarf.

Skene: Wand Was ist nun die reduktionistische dritte Station des Begriffs der Szene im Durchgang von Flussers kommunikologischer Medientheorie? Station drei ist zugleich der medienkulturgeschichtliche Ausblick auf die Szene. Zu Flussers ehrgeizigen Zielen gehörte auch eine kategoriale Einteilung der Kommunikation in Kommunikationsarten. Um eine wissenschaftlich überprüf ‌bare Einteilung zu erreichen, machte sich Flusser Gedanken über die Kriterien solcher Einteilungen.

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Kapitel IV: Postmoderne

Nimmt man ›semantische‹ Kriterien, dann wird man die Kommuni­ kationsarten nach der übermittelten Information einteilen, zum Beispiel in die drei Hauptklassen: ›faktische‹ Information (Indikative), ›nor­mative‹ Information (Imperative) und ›ästhetische‹ Information (Optative). Es läßt sich jedoch zeigen, daß ›syntaktische‹ Kriterien, welche die Kommunikationsarten nach ihren Strukturen ordnen, geeignet sind, das Feld für spätere ›semantische‹ Analysen vorzubereiten. Sie bieten sozusagen Landkarten der kommunikologischen Lage, in welche später die semantischen ›Inhalte‹ eingezeichnet werden können. Darum soll in den folgenden Abschnitten ein Katalog der Kommuni­kationsformen vom strukturalen Standpunkt aus vorgeschlagen werden.49

Für diese Kommunikationsarten findet Flusser Modelle und Modell­ orte, um sie dann auf seiner Karte einzutragen. Er wählt das Theater, die Pyramide, den Baum und das Amphitheater als Modelle der verschiedenen Kommunikationsstrukturen aus. Alle Modelle bearbeiten aus Flussers Sicht auf je eigene Art zwei spezifische Probleme der Kommunikation – ohne sie endgültig zu lösen: die Erhaltung (›Informationstreue‹) der ursprünglichen Information und ihre Einlagerung in Gedächtnissen zum Zweck der Weitersendung (›Informationsfluß‹) der Information. Gleichzeitig nennt er diese Kommunikationsarten auch ›Diskursarten‹, da sie mit Macht zu tun haben: Die Verteilung und Lagerung von Informationen ist eine Machtfrage und generiert eine Machtstruktur. Es gibt Verteilungskämpfe und Monopole bei der Einlagerung. Der Theaterdiskurs ist das erste der von Flusser erörterten Modelle – und das für uns interessanteste, insofern die Szene auch in der Kommunikationstheorie Teil des sogenannten Theaterdiskurses sein dürf‌te. Theaterdiskurse setzen sich laut Flusser aus den Komponenten Wand, Sender, Kanal und Empfänger zusammen: Beispiele für diese Struktur sind nicht nur das Theater selbst, sondern auch das Klassenzimmer, der Konzertsaal und vor allem ein bürgerliches Wohnzimmer. In diesen und vielen anderen Beispielen sind die

Szenario

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angegebenen Strukturelemente zu erkennen (wenn auch nicht immer auf den ersten Blick): eine konkave Wand im Rücken des Senders und Kanäle, welche den Sender mit den im Halbkreis (oder mehreren Halbkreisen) verteilten Empfängern verbinden. (1) Die konkave Wand dient als Schirm gegen äußere Geräusche und als Trichter für die Sendung. (2) Der Sender ist das Gedächtnis, in dem die zu verteilende Information gelagert ist. (3) Die Kanäle sind die materiellen Träger der Codes, in denen die Information verteilt wird (im traditionellen Theater die schalltragende Luft). (4) Die Empfänger sind die Gedächtnisse, in denen die verteilte Information gelagert wird, um später weitergegeben zu werden. Die ganze Struktur hat, schematisch betrachtet, die Form eines antiken Theaters.50

Flusser liefert tatsächlich eine stark abstrahierte, im Zeichen von Kommunikation abstrahierte Version der abendländischen Kulturgeschichte in epochalen Ausschnitten. Die Kulturgeschichte wird deshalb auch herangezogen, um die Vermutung zu äußern, dass Thea­ ter­diskurse die ältesten Kommunikationsarten repräsentieren und beschreibbar machen: Theaterdiskurse sind die Struktur unserer Paideia. Die Kinder empf‌ingen im Halbkreis, waren der Mutter gegenüber offen, bildeten kommentierende Chöre, die pseudo-dialogischen Charakter besaßen, und die Botschaft durchlief den politischen Raum der Familie, um von den Kindern privatisiert zu werden. Theoretisch kommt der Familie aufgrund des patriarchalischen Aspekts eine Pyramidenstruktur zu (mit Autorität, Hierarchie, Tradition usw.), in welche die Mutter-­ Kinder-­Struktur des Theaters nur eingebaut ist. In der Praxis jedoch ist der Vater ein Fremdkörper in der bürgerlichen Familie, eine ideologische Figur, die nur sporadisch in die Wirklichkeit einbricht, wie der Gott in der griechischen Theatermaschine.51

Man kann nun bestimmter sagen, dass die Modelle Flussers keine Modelle sind, sondern eher spielerische Abstraktionen kulturgeschichtlicher Funde und Beobachtungen. Es sind allesamt Szenen, 254

Kapitel IV: Postmoderne

die sich eng an die Form des antiken Theaters anlehnen. In seinem letzten Buch Gesten.Versuch einer Phänomenologie von 1991 nähert sich Flusser den fundamentalen technischen Gesten des Menschen – in diesem Fall dem Denken und dem Fotografieren –, indem er sie in entsprechenden Szenen vorführt, indem er die Geste in eine Szene übersetzt und diese Szene aus verschiedenen Blickwinkeln schildert. Erst eine autobiografische Szene ( Abb. 16) veranschaulicht beispielsweise auch Flussers Grundgedanken einer Beziehung zwischen Philo­sophie und Fotografie: In der Philosophie wie in der Fotografie ist die Suche nach einem Standort der offensichtliche Aspekt. Die Suche nach einem Standort fällt an den Körperbewegungen des Fotografen auf. Den Mittelpunkt des Motivs bildet in unserem Beispiel ein Mann, der Pfeife rauchend in einem Salon auf einem Stuhl sitzt. Dieser Satz ist selber eine Beschreibung der Situation, so wie sie von einem bestimmten Standort aus gesehen wird, nämlich dem eines Beobachters, der von irgendeinem metaphysischen Kran über den Salon gehievt und aus der Zeit, in der das Ereignis stattfindet, herausgehoben wurde. Die Gesten des Fotografen zeigen, daß er nicht glaubt, ein solcher Standort sei erreichbar.52

Zwei grundlegende Tools des antiken Theaters kommen hier zum Einsatz: Bühnenkran (oder deus ex machina) und die skene. Flussers Modellkommunikationen oder Gesten sind ineinander eingelegt oder eingelassen – wie die unvollendeten Szenen des Alltags. Die Kulturgeschichte wird von Flusser immer wieder herangezogen, um dem Modell wieder zu einer konkreten Verortung zu verhelfen. Man könnte fast sagen, dass Flusser seine Medientheorie als Geschichte der Szene erzählt: Zur genaueren Erklärung der theatralischen Medien kann das griechische Theater als Modell dienen. Vor der Wand befindet sich ein Halb­kreis, die Skene. Es ist der Ort des Senders. Das Senden selbst ist eine Tätigkeit (Drama), und der Sender ein Akteur (Drontes). Über ihm hängt eine Maschine, aus der ein Gott auf die Szene herabstürSzenario

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zen wird, um die Sendung entscheidend zu beenden. Um die Skene herum befindet sich ein weiterer Halbkreis (Proszenium), auf dem sich die Chöre befinden. Sie sind eine Art Mittelwelt zwischen Sender und Empfänger: Sie begleiten die Sendung mit Kommentaren, welche zwar auf die Sendung selbst keinen Einfluß haben, aber vom Empfänger mitempfangen werden. Die Chöre haben Führer (Koryphäen) und sind in zwei Strophen gespalten: die Anastrophe und die Katastrophe. Die Empfänger sitzen in konzentrisch aufsteigenden Erweiterungen des Proszeniums, sind also erweiterte, aber gegen den Horizont immer stummer werdende Chöre und können sich dementsprechend mit ihnen, und zwar entweder mit dem anastrophischen oder dem katastrophischen Aspekt der Sendung, identifizieren. Das griechische Thea­ ter ist ein Ort der Betrachtung (Theoria) im spezifischen Sinn einer beteiligten Beobachtung eines Dramas.53

Skene: Zelt Mit der Beantwortung der Frage, ob Flusser auch noch den ominösen Ursprung des Zeltes im Nahen Osten in seine Medientheorie einbauen konnte, soll dieses Flusser-Kapitel und dieses Buch schließen. Wunderbarerweise war es ausgerechnet eben das Zelt, auf das Flusser in seinem letzten Vortrag einging. Flusser nobilitiert die Szene – bzw. die vor der Sonne schützende Zeltwand – zum zentralen Tool der Mediengesellschaft. Das hier vorgelegte Buch folgt ihm nicht nur in dieser Grundsätzlichkeit gerne: Daß die Zeltwand ein Netz ist, nämlich ein Gewebe, und daß auf diesem Netz Erfahrungen prozessiert werden, ist im Wort ›Leinwand‹ enthalten. Es ist eine Textilie, die für Erfahrungen offen steht (sich dem Wind, dem Geist öffnet) und diese Erfahrungen speichert. Seit uralter Zeit speichert die Zeltwand in Form von Teppichen Bilder, seit der Erfindung von Ölfarben speichert sie gegen Mauerwände aufgestellte Bilder, seit der Erfindung des Films fängt sie entworfene Bilder auf, seit der Erfindung des Fernsehens dient sie als Schirm für elek­tromagnetisch entworfene Bilder, und seit der Erfindung 256

Kapitel IV: Postmoderne

von Computerplottern erlaubt die immateriell gewordene Zeltwand das Verzweigen und Verästeln von Bildern dank Prozessierung ihres Gewebes. Die sich im Wind blähende Zeltwand sammelt die Erfahrungen, prozessiert sie und sendet sie aus, und ihr ist zu verdanken, daß das Zelt ein kreatives Nest ist.54

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Anmerkungen I.  Form und Funktion der Szene in der Gegenwart 1 Mike Sandbothe, Theatrale Aspekte des Internet, in: Herbert Willems /Martin Jurga (Hg.), Inszenierungsgesellschaft. Ein einführendes Handbuch, Opladen (1998), S. 583–595, hier: S. 586. 2 Moritz von Uslar, Die Lust am Krass-Sein. Wie viel Pop steckt im Terrorkrieg des ›Islamischen Staates‹? Ein Erklärungsversuch, in: Die Zeit, 29.  1. 2015, Nr. 5, S. 42. 3 Johannes Boie, Masse und Macht. Zehn Jahre Youtube, in: Süddeutsche Zeitung, 14./15.  2.  2015, Nr.  37, S.  18. 4 Christian Eichler, Der Tanz um den Gold-Ball, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 11.  1.  2015, Nr.  2, S.  9. 5 »In dem betreffenden Jahr stieg die Zahl der bei der Bundespost angemeldeten Fernsehgeräte von 11.658 im Januar auf 84.278 im Dezember.« Lothar Mikos, Fernsehsport zwischen Repräsentation und Inszenierung – Das Beispiel Fußball, in: Herbert Willems (Hg.), Theatralisierung der Gesellschaft, Bd. 2: Medientheatralität und Medientheatralisierung, Wiesbaden (2009), S. 137–156, hier: S. 139. 6 Auf den Begriff der Granularität bringt der Soziologe Christoph Kucklick die vorläufigen Ergebnisse der Digitalisierung. Vgl. C. Kucklick, Die granulare Gesellschaft. Wie das Digitale unsere Wirklichkeit auf ‌löst, Berlin (2014). 7 Peter Sloterdijk, Die schrecklichen Kinder der Neuzeit. Über das anti-genealogische Experiment der Moderne, Frankfurt/M. (2014), S. 225. 8 Vgl. André Jolles, Einfache Formen. Legende /Sage /Mythe / Rätsel /Spruch /Kasus /Memorabile /Märchen / Witz (1930), 2. unveränd. Aufl., Darmstadt (1958) und – daran anschließend – als neuere Publikation: Kleine literarische Formen in Einzeldarstellungen, Stuttgart (2002). 9 Zu diesem Begriff vgl. Shoshana Zuboffs Studie In the Age of the Smart Machine. The Future of Work and Power, New York (1988), die ausgerechnet die amerika­ nische Zellstoffmühlenindustrie für ihre frühe Fallgeschichte der Automatisierung auswählt. 10 Im Sinne der Formulierung, die Ted Striphas für den Aufstieg der bookmar-

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kets in den USA benutzt: »It catered to people who, for a variety of reasons, desired to incorporate large quantities of books into their daily lives and everyday surroundings.« T. Striphas, The Late Age of Print. Everyday Book Culture from Consumerism to Control, New York (2009), S. 69. Vgl. Roman Jakobson, Verschieber, Verbalkategorien und das russische Verb, in: ders., Form und Sinn. Sprachwissenschaftliche Betrachtungen, München (1974), S. 35–54, hier: S. 35–38. Dazu unter einem anderen Oberbegriff Limor Lifman, Meme. Kunst, Kultur und Politik im digitalen Zeitalter, Frankfurt/M. (2014). Jan Küveler, Trailer gesehen, geweint, in: Welt am Sonntag, 28. 12. 2014, Nr. 52, S. 47. Hellmut Flashar, Inszenierung der Antike. Das griechische Drama auf der Bühne. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, 2. überarb. u. erw. Aufl., München (2009), S. 24. Walter Goetz, Die Entwicklung des Wirklichkeitssinnes vom 12. zum 14. Jahr­­ hundert, in: ders., Italien im Mittelalter II, Leipzig (1942), S. 3–61, hier: S. 46. Heiner Wilharm macht dieselbe Entwicklung an der Hardware bzw. neuen Raumordnungen fest: »Der medialisierte ›urbane Raum‹ steht heute anstelle der ›Bretter‹, die einmal ›die Welt‹ bedeuteten, und der ›Wunder‹ der Dinge, die einst in den dafür errichteten ›Kammern‹ bewahrt wurden. Von den Quellen werden wir hingelenkt zu Gewässern raumgreifender Bedeutung, weniger von hermeneutischem denn von medial universellem, funktionalem Tauschwert. Entsprechend entfalten sich die Transpositionen und Transformationen der Begriffe, wenn sie die Gegenwart erreicht haben: ›Auf‌führung‹ wird performance, ›Bühne‹ wird screen oder display und ›Mythos‹ wird message.« H. Wilharm, Die Ordnung der Inszenierung, Bielefeld (2015), S. 20. Vgl. Aristoteles, Poetik 1459a, zit. n. Poetik. Griechisch /Deutsch, übers. u. hg. v. Manfred Fuhrmann, Stuttgart (1993), S. 77. (Art.) Szene, in: Christoph Trilse / Klaus Hammer / Rolf Kabel (Hg.), Theater-­ Lexikon, Berlin-Ost (1978), S. 532. Roland Barthes, Über den Film. Interview mit Michel Delahaye und Jacques Rivette (1963), in: ders., Die Körnung der Stimme. Interviews 1962–1980 (1981), Frankfurt/M. (2002), S. 17–31, hier: S. 23. Zu einem Theatrum morum, Theatrum Europaeum, Theatrum Chemicum oder Thea­ trum Insectorum beispielsweise, wie Erika Fischer-Lichte (viel genauer als hier) belegt. Vgl. E. Fischer-Lichte, Inszenierung und Theatralität, in: Willems / Jurga (Hg.), Inszenierungsgesellschaft, S. 81–90, hier: S. 81. Giovanni Pico della Mirandola, Über die Würde des Menschen (1486), zit. n. Claus Langbehn, (Art.) Theater, in: Ralf Konersmann (Hg.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern, 3. erw. Aufl., Darmstadt (2011), S. 449–463, hier: S. 449. Zur Geschichte diesen beiden Wendungen mit wechselnden Konjunkturen vgl. Ernst Robert Curtius Kapitel zu den ›Schauspielmeta-

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phern‹, in: ders., Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter (1948), 11. Aufl., Tübingen /Basel (1993), S. 148–154, hier: S. 150. Als dritte Kategorie im Bunde – neben der Bühne und der Szene – ist die Rolle zu nennen, um den theatralen Begriffsrahmen zu komplettieren. Ruth Mayer, Early Post-Cinema: The Short Form, 1900/2000, erscheint in: Shane Denson / Julia Leyda (Hg.), Post-Cinema: Theorizing 21st-Century Film (2015), Typoskript, 28 S., hier [meine Pag. u. Übers., H. C.]: S. 8. Mayer, Post-Cinema, in: Denson /Leyda (Hg.), Post-Cinema, S. 4. Ruth Mayer stützt ihre Überlegungen, deren Komplexität ich hier nicht wiedergeben kann, u. a. auf die Arbeiten von Henry Jenkins, Max Dawson und André Gaudreault. Nic Leonhardt, Theater und visuelle Kultur im 19. Jahrhundert. Modi der Relation aus historischer Perspektive, in: Kati Röttger /Alexander Jackob (Hg.), Theater und Bild. Inszenierungen des Sehens, Bielefeld (2009), S. 233–254, hier: S. 253. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Euripides Herakles, Bd. 1: Einleitung in die Attische Tragödie, Berlin (1889), S. 43ff. Zit. n. Carl Schmitt, Hamlet oder Hekuba, Der Einbruch der Zeit in das Spiel (1956), Stuttgart (1985), S. 72. Pierre Legendre, Die Narbe. An die Jugend, die begierig sucht … Rede vor Studenten über Wissenschaft und Unwissen (2007), in: ders., Vom Imperativ der Interpretation ( = Schrif‌ten 1), hg. v. Georg Mein /Clemens Pornschlegel, Wien / Berlin (2010), S. 11–64, hier: S. 32. Vgl. Horst Turk, Schlüsselszenarien: Paradigmen im Reflex literarischen und interkulturellen Verstehens, in: Doris Bachmann-Medick (Hg.), Übersetzung als Repräsentation fremder Kultur, Berlin (1997), S. 281–307. Vgl. Uwe Japp, Hermeneutik. Der theoretische Diskurs, die Literatur und die Konstruktion ihres Zusammenhanges in den philologischen Wissenschaf‌ten, München (1977), S. 16. Alexandra Schneider, ›Das Kino ist das Theater, die Schule und die Zeitung von morgen‹: Eingänge zu einer Mobilitätsgeschichte des Kinos, in: Martin Stingelin /Matthias Thiele (Hg.), Portable Media. Schreibszenen in Bewegung zwischen Peripatetik und Mobiltelefon, München (2010), S. 214–226, hier: S. 219. Schneider, Kino, in: Stingelin /Thiele (Hg.), Portable Media, S. 221. Vgl. insgesamt Jan Distelmeyer, Das flexible Kino. Ästhetik und Dispositiv der DVD & Blue-ray, Berlin (2012). Vgl. die entsprechenden Artikel von Harun Maye in Verf. /Matthias Bickenbach  /Nikolaus Wegmann (Hg.), Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs, Weimar /Köln /Wien (2015). Erkki Huhtamo, Elements of Screenology: Toward an Archaeology of the Screen, in: Navigationen, H. 2, 6. Jg. (2006), S. 31–64, hier: S. 32 [übers. v. Verf.] Grundlegende Studien dazu u. a. von Anna McCarthy, Ambient Televi­ sion. Visual Culture and Public Space, Durham / London (2001); Anne Fried­ berg, The Virtual Window. From Alberti to Microsoft, Cambridge /Mass.

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(2009); Nanna Verhoeff, Mobile Screens. The Visual Regime of Navigation, Amsterdam (2012). Außerdem: Samuel Weber, Scene and Screen: Electronic Media and Theatricality, in: ders., Theatricality as Medium, Fordham University Press (2004), S. 97–120 u. (mit vielen Hinweisen und Anregungen) Sabine Wirth, To interface (a Computer). Aspekte einer Mediengeschichte der Zeigeflächen, in: Fabian Göppelsröder /Martin Beck (Hg.), Sichtbarkeiten 2: Präsentifizieren. Zeigen zwischen Körper, Bild und Sprache, Zürich / Berlin (2014), S. 153–168. Eine genaue Beschreibung des Experiments findet sich unter: www.edgarreitz.com/kurz-und-experimentalfilme/170-variavision-unendliche-fahrtaber-begrenzt.html [letzter Zugriff: 8.  1.  2014]. Edgar Reitz, Die Wiedergeburt des Epos aus den Netzwerken, in: ders., Bilder in Bewegung. Essays. Gespräche zum Kino, Reinbek b. Hamburg (1995), S. 269–279, hier: S. 276f. C. W. Ceram, Eine Archäologie des Kinos, Reinbek b. Hamburg (1965), S. 147. Rudolf Harms, Philosophie des Films. Seine ästhetischen und metaphysischen Grundlagen (1926), Hamburg (2009), S. 76. Roger Caillois, Der Krake. Versuch über die Logik des Imaginativen (1973), München (1986), S. 139. Harms, Philosophie des Films, S. 78. Eugen Rosenstock-Huessy, Des Christen Zukunft oder Wir überholen die Moderne, München (1955), S. 51. Mit dem bezeichnenden Titel The Future of Storytelling. Phase 1 [übers. v. Verf.]. Vgl. etwa Julia Löhr, Werbung wie ein Grippevirus. Witzige Werbespots laufen nicht mehr im Fernsehen, sondern im Internet, in: Frankfurter Allgemei­ne Zeitung, 26.  3.  2014, Nr.  72, S.  22. Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgen­ reichen Konzepts (1983), erw. Ausgabe, Berlin (1998), S. 37. Wirth, To interface, in: Göppelsröder /Beck (Hg.), Sichtbarkeiten, S. 157. Vgl. Andrei Tarkowskijs Definition: »Worin besteht das Wesen der Autorenfilmkunst? In einem bestimmten Sinne könnte man sie als ein Modellieren der Zeit bezeichnen. Ähnlich wie ein Bildhauer in seinem Innern die Umrisse einer künftigen Plastik erahnt und entsprechend alles Überflüssige aus dem Marmorblock herausmeißelt, entfernt auch der Filmkünstler aus dem riesengroßen, ungegliederten Komplex der Lebensfakten alles Unnötige und bewahrt nur das, was ein Element seines künftigen Films, ein unabdingbares Moment des künstlerischen Gesamtbildes werden soll.« A. Tarkowskij, Die versiegelte Zeit. Gedanken zur Kunst, zur Ästhetik und Poetik des Films (1984), München (2002), S. 67. Vgl. Wolfram Hogrebe, Riskante Lebensnähe. Die szenische Existenz des Men­ schen, Berlin (2009), S. 62. Vgl. Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben (1958), München (2008), S. 226ff.

Anmerkungen

49 Wilhelm Schapp, Philosophie der Geschichten, Leer /Ostfriesland (1959), S. 12. 50 Heinrich Bosse, Geschichten, in: ders./Ursula Renner (Hg.), Literaturwissenschaft. Einführung in ein Sprachspiel, Freiburg/Br. (1999), S. 299–320, hier: S. 300. 51 Wilhelm Schapp, In Geschichten verstrickt. Zum Sein von Mensch und Ding (1953), Frankfurt/M. (2004), S. 124. 52 Hans Lipps, Die menschliche Natur ( = Frankfurter wissenschaftliche Beiträge. Kulturwissenschaftliche Reihe Bd. 8), Frankfurt/M. (1941), S. 145. 53 Jürgen Frese, Prozesse im Handlungsfeld, München (1985), S. 149. 54 Albrecht Koschorke, Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie, Frankfurt/M. (2012), S. 71. 55 Ralf Bohn und Heiner Wilharm geben die für unseren Zusammenhang wichtige Schriftenreihe ›Szenografie & Szenologie‹ heraus. Das Zitat stammt aus H. Wilharm, Magische Effekte oder vom Verschwinden der Endlichkeit, in: dies. (Hg.), Inszenierung und Effekte. Die Magie der Szenografie, Bielefeld (2013), S. 347–401, hier: S. 365. 56 Wilharm, Effekte, in: ders./Bohn (Hg.), S. 365. 57 Wilharm, Ordnung, S. 22. 58 Wilharm, Ordnung, S. 23. 59 Wilharm, Ordnung, S. 22. 60 Vgl. Claus Pias, Welt im Raster. Historische Szenen strategischer Interaktivität, in: Ästhetik & Kommunikation 115 (2001/2), 32. Jg., S. 39–50 oder Friedrich Kittler, Fiktion und Simulation, in: Ars Electronica (Hg.), Philosophien der neuen Technologie, Berlin (1989), S. 57–79, hier: S. 71–74.

II.  Umrisse einer Medien- und Kultur­geschichte der Szene 1 Vgl. Leo Frobenius, Hadschra Maktuba. Urzeitliche Felsbilder Kleinafrikas, München (1925) u. United Nations Educational, Scientific and Cultural Orga­­ nisation (Hg.), Australische Eingeborenen-Malereien. Einführender Text von Charles P. Mountford, München (1964). 2 Joseph Gregor, Das Zeitalter des Films, 3. Aufl., Wien /Leipzig (1932), S. 14. 3 Simon Rothöhler, Rückkehr in die dritte Dimension, 3.  11.  2011, in: Die Tageszeitung online, unter: www.taz.de/!5108505 [letzter Zugriff: 8.  1.  2014]. 4 José Ortega y Gasset, Notizen einer Sommerfahrt: Die Schatten des Zauberstöckchens (1925), in: ders., Signale unserer Zeit. Essays, Stuttgart /Salzburg (o. J.), S. 9–56, hier: S. 50. 5 Vgl. Jared Diamond, Kollaps. Warum Gesellschaf‌ten überleben oder untergehen, Frankfurt/M. (2011). 6 Ein sehr schönes Gespräch über Fackeln, die Höhle als Ort der Kunst und Ort des Lebens führten Manfred Bauschulte, Horst Bredekamp und Luca Guliani

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mit und in: Klaus Heinrich, Über unseren Ausstieg aus den Höhlen, in: Zeitschrift für Ideengeschichte VII/2 (2013), S. 63–82. Georges Bataille, Die Höhlenbilder von Lascaux oder die Geburt der Kunst (1955), Zürich (1985), S. 13. Sigmund Freud, Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker (1912/13), in: ders., Kulturtheoretische Schrif‌ten, Frankfurt/M. (1986), S. 287–444, hier: S. 424ff. Katja Rothe, Soul-Staging. Der Scenokasten und die systemische Therapie, in: Céline Kaiser (Hg.), Szeno-Test: Pre-, Re- und Enactment zwischen Theater und Therapie, Bielefeld (2014), S. 28–43. Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916–17). 13. Vorlesung: ›Archaische Züge und Infantilismus des Traumes‹, in: ders., Studienausgabe Bd. 1, Frankfurt/M. (1969/1997), S. 33–445, hier: S. 204. Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916–17). 23. Vorlesung: ›Die Wege der Symptombildung‹, in: ders., Studienausgabe Bd. 1, Frankfurt/M. (1969/1997), S. 33–445, hier: S. 362. Freud, Vorlesungen, ›Symptombildung‹, in: ders., Studienausgabe Bd. 1, S. 362. Vgl. die Artikel Szene, Urphantasie und Urszene in: Jean  Laplanche / Jean-Bertrand Pontalis (Hg.), Das Vokabular der Psychoanalyse (1967), Frankfurt/M. (1994) u. die Beiträge von Döring, Ott u. Zumbusch in: Michael Ott  / Tobias Döring (Hg.), Urworte. Zur Geschichte und Funktion erstbegründender Be­ griffe, München (2012). Sigmund Freud, Aus den Anfängen der Psychoanalyse 1887–1902. Briefe an Wilhelm Fließ. Abhandlungen und Notizen aus den Jahren 1887–1902, Frank­ furt/M. (1962), S. 169. Zum gleichen Schluss kommt Céline Kaiser, Ursprungsszenarien in der Nervositätsdebatte um 1900, in: dies./Marie-Luise Wünsche (Hg.), Die ›Nervo­ sität der Juden‹ und andere Leiden an der Zivilisation, Paderborn (2003), S. 89–109, hier: S. 105. Sigmund Freud, Aus der Geschichte einer infantilen Neurose. ›Der Wolfsmann‹ ( 1914 [1918] ), in: ders., Zwei Krankengeschichten. ›Rattenmann‹. ›Wolfs­ mann‹. Einleitung von Carl Nedelmann, 3., unveränd. Aufl., Frankfurt/M. (2008), S. 131–244, hier: S. 158f. Juliane Vogel, Die Furie und das Gesetz. Zur Dramaturgie der ›großen Szene‹ in der Tragödie des 19. Jahrhunderts ( = Reihe Litterae, Bd. 94), Freiburg/Br. (2002), S. 11. Die schauspielerische Vorgeschichte der ›großen Szene‹ in den ›Anstalten‹ um 1800 erzählt: Céline Kaiser, Spiel und Rahmen in der Thea­ tro­therapie um 1800, in: Regine Strätling (Hg.), Spielformen des Selbst. Das Spiel zwischen Subjektivität, Kunst und Alltagspraxis, Bielefeld (2012), S. 151–166; C. Kaiser, Rahmenszenen. Zur Dramaturgie des Erstkontaktes zwischen Arzt und Patient als Element der Psychotherapie 1796/1988, in: dies./ Walter Bruchhausen (Hg.), Szenen des Erstkontakts zwischen Arzt und Patient, Göttingen (2012), S. 73–88.

Anmerkungen

18 Stefan Andriopoulos, Besessene Körper. Hypnose, Körperschaf‌ten und die Erfindung des Kinos, München (2000), S. 75–97, hier: S. 81. Außerdem: Vogel, Furie, S. 349–396. 19 André Leroi-Gourhan, Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst (1964/65), Frankfurt/M. (1984), S. 247. 20 Claude Lévi-Strauss, Rasse und Geschichte (1952), Frankfurt/M. (1972), S. 54f. 21 Hans Blumenberg, Höhlenausgänge, Frankfurt/M. (1989/1996), S. 29. Vgl. a. ebd. S. 53 u. 68. 22 Vgl. Jean-Louis Baudry, Das Dispositiv: Metapsychologische Betrachtungen des Realitätseindrucks (1975), in: Claus Pias et al. (Hg.), Kursbuch Medien. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard, München (1999/ 2002), S. 381–404. 23 Arnolt Bronnen, A. B. gibt zu Protokoll. Beiträge zur Geschichte des modernen Schriftstellers (1954), Berlin / Weimar (1985), S. 18f. 24 Bernd Ulrich, (Art.) Sigmund Freud, in: Gerhard Hirschfeld et al. (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn (2003), S. 505f. 25 Klaus Bachmann, Ein Herd der Feindschaft gegen Rußland. Galizien als Krisenherd in den Beziehungen der Donaumonarchie mit Rußland (1907–1914), Wien (2001), S. 135. 26 Michel de Certeau, Theoretische Fiktionen. Geschichte und Psychoanalyse (1987), Wien (1997), S. 66. 27 Karl Otfried Müller, Geschichte der griechischen Literatur bis auf das Zeitalter Alexanders, Breslau (1841), S. 29. Hinweis bei Juliane Vogel, ›Who’s there?‹ Zur Krisenstruktur des Auf‌tritts in Drama und Theater, in: dies./ Christopher Wild (Hg.), Auf‌treten. Wege auf die Bühne, Berlin (2014), S. 22–37, hier: S. 24. 28 Vgl. Alois Walde / Johann Babtist Hofmann, (Art.) scaena, in: dies., Lateinisches Etymologisches Wörterbuch, 5. Aufl., 2. Bd., Heidelberg (1982), S. 485 u. Peter G. W. Glare, (Art.) scaena, in: ders., Oxford Latin Dictionary (1982), Oxford (1996), S. 1697. 29 Vgl. August Frickenhaus, (Art.) Skene, in: W. Kroll /K. Mittelhaus (Hg.), Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (1929), Neue Bearbeitung, 2. Reihe, 5. Halbbd. Silacenis bis Sparsus, Stuttgart /Wien (1992), Sp. 470–492. 30 Pierre Chantraine, Dictionnaire étymologique de la langue grecque, Paris (1980–1983), Sp. 1015–1016 u. 1022, zit. n. Pierre Legendre, Die be­völkerte leere Bühne. Notizen zum kinematographischen Emblem, in: Rüdiger Campe /­ Man­fred Niehaus (Hg.), Gesetz. Ironie. Festschrift für Manfred Schnei­der zum 60. Geburtstag, Heidelberg (2004), S. 43–56, hier: S. 47. 31 Vilém Flusser, Kommunikologie weiter denken. Bochumer Vorlesungen 1991, Frankfurt/M. (2009), S. 305, 309. 32 August Lewald, In die Szene setzen, in: Klaus Lazarowicz /Christoph Balme (Hg.), Texte zur Theorie des Theaters, Stuttgart (1991), S. 307. Vgl. zur Wort­

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geschichte von ›Inszenierung‹ u. ›inszenieren‹ unbedingt: Erika Fischer-Lichte, Inszenierung und Theatralität, in: Herbert Willems /Martin Jurga (Hg.), In­sze­nierungsgesellschaft. Ein einführendes Handbuch, Wiesbaden (1998), S. 81–90, hier: S. 81–84. Vgl. Frickenhaus, (Art.) Skene, in: Kroll /Mittelhaus (Hg.), Paulys Realencyclopädie, Sp. 470–492. Vgl. Walter Burkhart, Die Griechen und der Orient. Von Homer bis zu den Magiern, 2. Aufl., München (2004), S. 9–23. »In der Nähe des Dionysosheiligtums und des Theaters ist ein Gebäude, das eine Nachahmung des Zeltes des Xerxes sein soll. Es ist aber das zweite; das ursprüngliche verbrannte der römische Feldherr Sulla, als er Athen einnahm.« Paus. 1, 20, 4. »Das Odeion soll ein Abbild und eine Nachahmung des persischen Königszeltes gewesen sein.« Plutarch, Per. 13.1. Vgl. Ernst-Richard Schwinge, (Art.) Skene, in: Lexikon der Alten Welt, Bd. 3: Rabbi bis Zypresse (1965), Zürich /München (1990), Sp. 2810: »Spielhintergrund der Tragödie war ursprünglich vielleicht ein persisches Königszelt, vor dem der König, Hauptfigur der Tragödie, in persischer Tracht auf‌trat.« Andreas Alföldi, Gewaltherrscher und Theaterkönig. Die Auseinandersetzung einer attischen Ideenprägung mit persischen Repräsentationsformen im politischen Denken und in der Kunst bis zur Schwelle des Mittelalters, in: Kurt Weitzmann (Hg.), Late Classical and Mediaeval Studies in honor of Albert Mathias Freind, Princeton/N. J. (1955), S. 15–55, hier: S. 29. Vgl. auch Andreas Alföldi: Die Geschichte des Throntabernakels, in: Nouvelle Clio, Nr. 1/2 (1950), S. 537– 566. Vgl. Jean-Luc Nancy, Theaterereignis, in: Nikolaus Müller-Schöll (Hg.), Ereig­ nis. Eine fundamentale Kategorie der Zeiterfahrung. Anspruch und Aporien, Bielefeld (2003), S. 323–330. Vgl. Hellmut Flashar, Inszenierung der Antike. Das griechische Drama auf der Bühne. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, 2., überarb. u. erw. Aufl., München (2009), S. 16. Vgl. Theo Girshausen, Ursprungszeiten des Theaters. Das Theater der Antike, Berlin (1999), S. 316–392, hier: S. 379. Derrick de Kerckhove, Schriftgeburten. Vom Alphabet zum Computer, Mün­ chen (1995), S. 86. Vgl. Hans-Christian von Herrmann, Das Theater der Polis, in: Archiv für Mediengeschichte, Nr. 3 (2003), S. 37. Frickenhaus, (Art.) Skene, in: Kroll /Mittelhaus (Hg.), Paulys Realencyclopädie, Sp. 470. Alföldi, Gewaltherrscher, in: Weitzmann (Hg.), Mediaeval Studies, S. 32f. Vgl. Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters, 1. Bd., Stuttgart /Weimar (1993), S. 40. Alföldi, Gewaltherrscher, in: Weitzmann (Hg.), Mediaeval Studies, S. 33. Alföldi, Gewaltherrscher, in: Weitzmann (Hg.), Mediaeval Studies, S. 33.

Anmerkungen

48 Vgl. Oscar Broneer, The Tent of Xerxes and the Greek Theater, in: University of California Publications in Classical Archaeology, Bd. 1, Nr. 12, Berkeley u. a. (1944), S. 305–312. 49 Alex Stock, Kultbild – Bilderverbot, in: Cai Werntgen (Hg.), Szenen des Heiligen. Vortragsreihe in der Hamburger Kunsthalle, Berlin (2011), S. 58. 50 Stock, Kultbild, in: Werntgen (Hg.), Szenen, S. 58f. 51 Alföldi, Gewaltherrscher, in: Weitzmann (Hg.), Mediaeval Studies, S. 19. 52 Vgl. etwa Korana Deppmeyer: Die Architektur hypostyler Gebäude am Beispiel des Odeion des Perikles in Athen. In: Frankfurter elektronische Rundschau zur Altertumskunde, Nr. 4 (2007), S. 18–32. 53 Ethel Matala de Mazza /Clemens Pornschlegel, Einleitung, in: dies. (Hg.), In­szenierte Welt. Theatralität als Argument literarischer Texte, Freiburg/Br. (2003), S. 9–26, hier: S. 13. 54 Vgl. zur Periodisierung Reinhart Meyer, Schrif‌ten zur Theater- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, hg. v. Matthias J. Pernerstorfer, Wien (2012). 55 Vgl. dazu Johannes Bemmann, Die Bühnenbeleuchtung vom geistlichen Spiel bis zur frühen Oper als Mittel künstlerischer Illusion, Weida i. Thür. (1933) u. Erika Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters Bd. 2, Tübingen (1983/2007), S. 79f. Hier auch der Hinweis auf eine zeitgenössische Schrift von Nicola Sabbattini, Practica di fabricar Scene e Macchine (1638), übers. u. hg. v. Willi Flemming, Weimar (1926). 56 Vgl. Wolfgang Schivelbusch, Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert (1983), Frankfurt/M. (1986), S. 179–209, hier: S. 191 u. Friedrich Kittler, Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999, Berlin (2002), S. 233–238. 57 Vgl. William Boddy, Frühes Kino und frühe Werbetheorien in den USA, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft 2 (2013), S. 20–30. 58 Vgl. Lotte H. Eisner, Die dämonische Leinwand (1952), Frankfurt/M. (1980), S. 45ff. u. 295ff. Hinweis und Explikation bei Burkhardt Lindner, Stummfilm­ expressionismus oder die Popularisierung des Unheimlichen durch das Kino, in: Jessica Nitsche /Nadine Werner (Hg.), Populärkultur, Massenmedien, Avant­­garde 1919–1933, München (2012), S. 295–306. 59 Paul Virilio, Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung, München (1986), S. 23. 60 Zit. n. Philip Mason Palmer  / Robert Pattison More, The Sources of the Faust Tradition. From Simon Magus to Lessing, New York (1936), S. 108–110. 61 Hogels Chronik aus dem 17. Jahrhundert geht zurück auf die ältere Reichmann-Wambach-Chronik. Vgl. Palmer /More, Faust, S. 108. 62 Moshe Idel, Der Magus und seine Geschichte(n), in: Anthony Grafton /ders. (Hg.), Der Magus. Seine Ursprünge und seine Geschichte in verschiedenen Kulturen, Berlin (2001), S. 1–26, hier: S. 23f. Der englische Faust, der Vorlesungen in Oxford und Paris hielt, hieß John Dee. Vgl. Neil MacGregor, Shakes­peares ruhelose Welt, München (2013), S. 131–139.

Zu Kapitel II

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63 A. Kircher, Ars magna luci et umbrae in mundo, Rom (1645). Kircher führte seinen Apparat ein Jahr später das erste Mal hohen kirchlichen Würdenträgern vor. 64 Vgl. dazu F. Paul Liesegang, Vom Geisterspiel zum Kino, Düsseldorf (1918). 65 Rune Waldekrenz /Verner Arpe, Das Buch vom Film, Darmstadt /Berlin (1956), S. 16. 66 Zur Geschichte von camera obscura und laterna magica ausführlich Kittler, Optische Medien, S. 52–154. 67 Vgl. dazu Joachim Castan, Max Skladanowsky oder der Beginn der deutschen Filmgeschichte, Stuttgart (1995) u. Martin Loiperdinger, Die Anfänge des Films, in: Joachim-Felix Leonhard (Hg.), Medienwissenschaft. Ein Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen, Teilband 2, Berlin /New York (2001), S. 1161–1166, hier: S. 1163. 68 Vgl. Das Volksbuch vom Doctor Faust. (Nach der ersten Ausgabe, 1587), hg. v. Robert Petsch, 2. Aufl., Halle (1911). 69 Dazu Alan C. Dessen, Elizabethan Audiences and the open Stage: Recovering Lost Conventions, in: The Yearbook of English Studies, H. 1, 10. Jg. (1980), S. 1–20, hier: S. 3. 70 Vgl. Peter W. Marx (Hg.), Handbuch Drama. Theorie, Analyse, Geschichte, Stuttgart (2012), S. 131f. 71 Andrew Gurr, The Shakespearean Stage 1574–1642, Third Edition, Cambridge (1992), S. 180 [übers. v. Verf.]. 72 Die Vorgeschichte dieser Playhouses (mit vielen Zeichnungen) liefert Richard Hosley, The Playhouses and the Stage, in: Kenneth Muir (Hg.), A new Companion to Shakespeare Studies, Cambridge (1971), S. 15–34. 73 »Die Bühne war eine Plattform, maß etwa 40 Fuß quer herüber und erstreckte sich von einer Seite bis zur Mitte des Hofs.« Gurr, Stage, S. 122 [übers. v. Verf.]. 74 Vgl. Robert Greene, A Groats-worth of Wit (1592). 75 Vgl. auch den entsprechenden Absatz ›Fahrendes Volk‹ in Kittler, Optische Medien, S. 99f. 76 Dazu Peter J. Brenner, Das Drama, in: Albert Meier (Hg.), Die Literatur des 17. Jahrhunderts ( = Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart Bd. 2), München (1999), S. 539–574, hier: S. 564. 77 Herbert Junkers, Niederländische Schauspieler und niederländisches Schauspiel im 17. und 18. Jahrhundert in Deutschland, Haag (1936), S. 56. 78 Als neuere Forschungsarbeit vgl. James Andrew Parente, Religious Drama and the Humanist Tradition. Christian Theater in Germany and in the Nether­lands 1500–1600, Leiden /New York (1987). 79 Andreas Kotte, Theatergeschichte. Eine Einführung, Köln /Weimar /Wien (2013), S. 241. 80 Kotte, Theatergeschichte, S. 246. 81 Kotte, Theatergeschichte, S. 284.

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Anmerkungen

82 Willi Flemming, Andreas Gryphius und die Bühne, Halle a. d. Saale (1921), S. 24–33. 83 Flemming, Gryphius, 1921, S. 202. 84 Kotte, Theatergeschichte, S. 164. 85 Kotte, Theatergeschichte, S. 166. 86 Kotte, Theatergeschichte, S. 225. 87 Kotte, Theatergeschichte, S. 226. 88 Ob diese Fokussierung auf ›Zentralfiguren mit Defekten‹ – wie den Geizigen oder den Lügner – insgesamt eine Art Fortschritt in Richtung modernes Theater ist, bezweifelt Andreas Kotte. Vgl. Kotte, Theatergeschichte, S. 227. Dazu auch Hans Robert Jauss, Der Menschenfeind als Menschenfreund. Ein ›Charakter‹ im Horizontwandel des Verstehens (1985), in: ders., Probleme des Verstehens. Ausgewählte Aufsätze, Stuttgart (1999), S. 7–39. 89 Heinz Kindermann, Bühne und Zuschauerraum. Ihre Zueinanderordnung seit der griechischen Antike, Wien (1963), S. 29. 90 Viktoria Tkaczyk, Himmels-Falten. Zur Theatralität des Fliegens in der Frühen Neuzeit, München (2011), S. 208. Die Arbeit von Tkaczyk weist auf den Trattato sopra la struttura de’teatri e scene von 1676 hin, in dem diese Technik be­ schrieben und illustriert wird. 91 Annette Kappeler, Les Lois de La Pesanteur. Auf‌trittsformen in Glucks Pariser Opern, in: Juliane Vogel /Christopher Wild (Hg.), Auf‌treten. Wege auf die Bühne, Berlin (2014), S. 93–112, hier: S. 97. Dort auch der Hinweis auf Frederick Paul Tollini, Scene Design at the Court of Louis XIV. The work of the Vigarani Family and Jean Berain, Lewiston /Queenston (2003). 92 Jan Lazardzig, Theatermaschine und Festungsbau. Paradoxien der Wissens­ pro­duktion im 17. Jahrhundert, Berlin (2007), S. 39. 93 Vgl. insgesamt Peter Jehle, Zivile Helden. Theaterverhältnisse und kulturelle Hegemonie in der französischen und spanischen Auf ‌klärung, Hamburg (2010), S. 44. 94 Kotte, Theatergeschichte, S. 240. 95 Vgl. Richard Alewyn, Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste (1959), München (1985), S. 47. 96 Günther Heeg, Szenen, in: Heinrich Bosse /Ursula Renner (Hg.), Literaturwissenschaft. Einführung in ein Sprachspiel, Freiburg/Br. (1999), S. 251–269, hier: S. 256. 97 Vgl. Johan Jakob Tikkanen, Die Beinstellungen in der Kunstgeschichte, Helsingfors (1912). 98 Franciscus Lang, Dissertatio de Actione Scenica /Abhandlung über die Schauspielkunst (1727), übers. u. hg. v. Alexander Rudin, Bern /München (1975), S. 174 u. 175f. Erika Fischer-Lichte erläutert umfangreiche Zitate aus Langs Dissertatio. Vgl. E. Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters Bd. 2, Tübingen (1983/ 2007), S. 42–59. 99 Alexander Rudin, Nachwort, in: Lang, Abhandlung, S. 327.

Zu Kapitel II

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100 Lang, Abhandlung, S. 245. 101 Lang, Abhandlung, S. 245. 102 Lang, Abhandlung, S. 246. Vgl. zu den Flugmaschinen im Barock Tkaczyk, Himmels-Falten, S. 146–156. 103 Flemming, Gryphius, S. 22. 104 Flemming, Gryphius, S. 23. 105 »Den Dialog habe ich ein Gespräch ohne Handlung genannt.« Lang, Abhandlung, S. 216. 106 Flemming, Gryphius, S. 267. 107 Volker Klotz, Komödie. Etappen ihrer Geschichte von der Antike bis heute, Frankfurt/M. (2013), S. 16. 108 Manfred Tietz, Das Theater im Siglo de Oro, in: Hans-Jörg Neuschäfer (Hg.), Spanische Literaturgeschichte, Stuttgart (2006), S. 152–184, hier: S. 163. 109 Tietz, Theater, in: Neuschäfer (Hg.), Literaturgeschichte, S. 164. 110 Tietz, Theater, in: Neuschäfer (Hg.), Literaturgeschichte, S. 165. 111 Vgl. dazu MacGregor, Shakespeares, S. 9f. u. 50. 112 Florian Nelle, Künstliche Paradiese. Vom Barocktheater zum Filmpalast, Würz­­burg (2005), S.  38. 113 Die Dissertatio wurde im 18. Jahrhundert kaum rezipiert. Selbst in seinem eigenen Orden wurde in den gymnasialen Studienordnungen lieber auf die Schrift des Franzosen Jouvancy hingewiesen. Erst durch einen Hinweis Karl von Reinhardstöttners tritt die Schrift 1889 wieder ans Tageslicht. Vgl. zur Geschichte von Langs Abhandlung allgemein Rudin, Nachwort, S. 313–332. 114 Lang, Abhandlung, S. 225. 115 Armin Schäfer, Nachrichten aus dem Off. Zum Auf‌tritt im barocken Trauerspiel, in: Vogel /Wild (Hg.), Auf‌treten, S. 216–232, hier: S. 216. 116 Nelle, Paradiese, S. 38. 117 Kindermann, Bühne, S. 28. Dazu auch Ute Daniel, Hof‌theater. Zur Ge­ schichte des Theaters und der Höfe im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart (1995), S. 21–112. 118 Kotte, Theatergeschichte, S. 234. 119 Kotte, Theatergeschichte, S. 239. 120 Kotte, Theatergeschichte, S. 236. 121 Vgl. Herbert Schöff‌ler, Deutscher Osten im deutschen Geist. Von Martin Opitz zu Christian Wolf, Frankfurt/M. (1940), S. 45f. u. 103. 122 Vgl. Volker Meid, Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Vom Spät­ humanismus zur Frühauf‌klärung 1570–1740, München (2009), S. 375ff. und Kotte, Theatergeschichte, S. 228. 123 Alexander Gottlieb Baumgarten, Ästhetik (1750–58), übers., mit einer Einführung, Anmerkungen und Registern hg. v. Dagmar Mirbach, Bd. 1, Lateinisch – Deutsch, Hamburg (2007), S. 607 ( = § 619). 124 Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysik (1739), ins Deutsche übers. v. Georg Friedrich Meier (1766). Nach dem Text der 2., von Johann August

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Anmerkungen

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Eberhard besorgten Ausgabe 1783. Mit einer Einführung, einer Konkordanz und einer Bibliographie der Werke, Jena (2004), S. 118 ( = § 393). Zur Gegenwart der vergangenen Säftelehre vgl. in aller Kürze und Kompetenz Barbara Duden, Kapitel aus der Säftelehre, in: DU, H. 4 (1998), S. 45–48 u. 94. Vgl. Manfred Fuhrmann, Rhetorik und öffentliche Rede. Über die Ursachen des Verfalls der Rhetorik im ausgehenden 18. Jahrhundert, Konstanz (1983). Vgl. Birgit Recki, ›Lebendigkeit‹ als ästhetische Kategorie. Die Kunst als Ort des Lebens bei Cassirer, Goethe und Kant, in: Barbara Naumann /dies. (Hg.), Cassirer und Goethe. Neue Aspekte einer philosophisch-literarischen Wahlverwandschaft, Berlin (2002), S. 197–218. Bettina Brandl-Risi, BilderSzenen. Tableaux vivants zwischen bildender Kunst, Theater und Literatur im 19. Jahrhundert ( = Reihe Scenae, Bd. 15), Freiburg/Br. (2013), S. 40. Die ästhetischen Aspekte und Kontroversen dokumentiert in ganzer Breite Peter Brandes, Leben die Bilder bald? Ästhetische Konzepte bildlicher Lebendigkeit in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, Würzburg (2013). In einem wichtigen Aufsatz würdigt Anselm Haverkamp Baumgartens Aesthe­ tica – er findet in ihren ›logischen Dispositionen‹ sogar die ›Urszene der Tran­ szendentalphilosophie‹. Dass ich seinem strengen Maßstab nicht gerecht werde, muss ich sofort eingestehen: »Nur der begriff‌lich präzise Nachvollzug des komplizierten technisch-terminologischen Apparats, nicht die Gemeinplätze, auf die dieser Apparat in der Folge heruntergewirtschaftet wurde, helfen die Frage lösen, was es mit der Sinnlichkeit bei Baumgarten, unbeschadet Meiers deutscher Populärvision und fern von Herders deutsch-griechischem Sonderweg, auf sich hat.« Anselm Haverkamp, Wie die Morgenröthe zwischen Tag und Nacht: Baumgartens Begründung der Kulturwissenschaf‌ten, in: ders., Latenzzeit. Wissen im Nachkrieg, Berlin (2004), S. 91–119, hier: S. 97. Vgl. insgesamt Günther Heeg, Das Phantasma der natürlichen Gestalt. Körper, Sprache und Bild im Theater des 18. Jahrhunderts, Frankfurt/M. (2000). Als Stellennachweis und geistesgeschichtliche Kontextualisierung der vividitas s. immer noch Alfred Baeumler, Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft (1923), Darm­ stadt (o. J.), S. 200. Albrecht Koschorke, Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie, Frankfurt/M. (2012), S. 21. Kappeler, Auftrittsformen, in: Vogel / Wild (Hg.), Auf‌treten, S. 93–112, hier: S. 99. Die Phrase ›Gesunkenes Kulturgut‹ findet man bei Hans Naumann, Grundzüge der deutschen Volkskunde, Leipzig (1922), S. 5. Die ganze Debatte darüber in der Volkskunde gibt resümierend wieder: Hermann Bausinger, Folklore und gesunkenes Kulturgut, in: Deutsches Jahrbuch für Volkskunde 12 (1966), S. 15–25.

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135 Zusammenfassend dazu Petr G. Bogatyrev, Was ist Folklore?, in: ders., Funktional-strukturale Ethnographie in Europa. Texte aus den 1920er und 1930er Jahren zu Brauchtum, Folklore, Theater und Film, hg. u. eingel. v. K.-H. Ehlers u. M. Nekula, Heidelberg (2011), S. 136–138. 136 Rainer Leschke, Medien und Formen. Eine Morphologie der Medien, Konstanz (2010), S. 133. 137 Zur neueren Geschichte der Populärkultur vgl. auch Kaspar Maase, Die Kinder der Massenkultur. Kontroversen um Schmutz und Schund seit dem Kaiserreich, Frankfurt/M./New York (2012). 138 Nicolas Pethes, Vom Einzelfall zur Menschheit. Die Fallgeschichte als Medium der Wissenspopularisierung zwischen Recht, Medizin und Literatur, in: Gereon Blaseio et al. (Hg.), Popularisierung und Popularität, Köln (2005), S. 63–92, hier: S. 75. 139 Pethes, Einzelfall, S. 79. 140 Pethes, Einzelfall, S. 81. 141 Rudolph Genée, Die Entwicklung des Scenischen Theaters und die Bühnenreform in München, Stuttgart (1889), S. 57, zit. n. Nic Leonhardt, Piktoral-­ Dramaturgie. Visuelle Kultur und Theater im 19. Jahrhundert (1869–1899), Bielefeld (2007), S. 159. 142 Lothar Müller,Weiße Magie. Die Epoche des Papiers, München (2012), S. 199f. 143 Vgl. für die deutschsprachige Literatur Rudolf Helmstetter, Die Geburt des Realismus aus dem Dunst des Familienblattes. Fontane und die öffentlichkeitsgeschichtlichen Rahmenbedingungen des Poetischen Realismus, München (1997). 144 Friedrich von Blanckenburg, Versuch über den Roman. Faksimiledruck der Originalausgabe von 1774, Nachwort v. Eberhard Lämmert, Stuttgart (1965), S. 99 u. 516. 145 Juri Michailowitsch Lotman, Theater und Theatralik in der Kultur zu Beginn des 19. Jahrhunderts (1973), in: ders., Kunst als Sprache. Untersuchungen zum Zeichencharakter von Literatur und Kunst, Leipzig (1981), S. 269–294, hier: S. 277. 146 Vgl. Andreas Graf, Literarisierung und Kolportageroman. Überlegungen zu Publikum und Kommunikationsstrategie eines Massenmediums im 19. Jahrhundert, in: Ursula Brunhold-Bigler /Hermann Bausinger (Hg.), Hören. Sagen. Lesen. Lernen. Bausteine zu einer Geschichte der kommunikativen Kultur, FS f. Rudolf Schenda z. 65. Geb., Bern (1995), S. 277–291, hier: S. 289. 147 Juliane Vogel, Die Furie und das Gesetz. Zur Dramaturgie der ›großen Szene‹ in der Tragödie des 19. Jahrhunderts ( = Reihe Litterae, Bd. 94), Freiburg/Br. (2002), S. 31. 148 Vogel, Furie, S. 31. 149 Hans-Otto Hügel, Eugène Sues Geheimnisse von Paris wiedergelesen. Zur Form­geschichte seriellen Erzählens im 19. und 20. Jahrhundert, in: Frank Kelleter (Hg.), Populäre Serialität: Narration – Evolution – Distinktion. Zum

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seriellen Erzählen seit dem 19. Jahrhundert, Bielefeld (2012), S. 49–73, hier: S. 54ff. u. (als von Hügel abweichende Position) Norbert Bachleitner, Fiktive Nachrichten. Die Anfänge des europäischen Feuilletonromans, Würzburg (2012), S. 22ff. Vgl. jetzt Johanna Richter, Literarische Ästhetik und Materialität der Medien. Transformationen des Romans im Zeitalter der Presse: Paris & London 1836– 1881 (unveröffentl. Diss.-Schrift), Potsdam (2012). Vgl. Leander Petzoldt, Bänkellieder und Moritaten aus drei Jahrhunderten, Frankfurt/M. (1982), S. 9–24. Hans Naumann, Studien über den Bänkelgesang, in: ders., Primitive Gemeinschaftskultur. Beiträge zur Volkskunde und Mythologie, Jena (1921), S. 168– 190, hier: S. 187ff. Friedrich Kittler, Die Laterna Magica der Literatur: Schillers und Hoffmanns Medienstrategien, in: Athenäum. Jahrbuch für Romantik 4 (1994), S. 219– 237. E. T. A. Hoffmann, Prinzessin Brambilla. Ein Capriccio nach Jakob Callot. Mit 8 Kupfern nach Callotschen Originalblättern, hg. v. W. Nehring, Stuttgart (1971/1995), S. 3. Bertolt Brecht, Glossen zu Stevenson (19. Mai 1925), in: ders., Schrif‌ten zum Theater 2, Frankfurt/M. (1963), S. 218–220, hier: S. 218. Jörg Jochen Berns, Film vor dem Film. Bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der Imaginationssteuerung im Mittelalter und Früher Neuzeit, Marburg (2000), S. 30. Berns, Film, S. 7. Berns, Film, S. 10. Vgl. Mirjam Schaub, (Art.) Skizzieren, in: Verf./Matthias Bickenbach /Nikolaus Wegmann (Hg.), Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs, Weimar /­Köln /Wien (2015), S.  521–534. Richter, Ästhetik, S. 117. Vgl. a. Martina Lauster, Sketches of the Nineteenth Century, European Journalism and its ›Physiologies‹, 1830–50, New York (2007). Vgl. Heinz Buddemeier, Panorama – Diorama – Photographie: Entstehung und Wirkung neuer Medien im 19. Jahrhundert. Untersuchungen und Dokumente, München (1970). Stephan Oettermann, Das Panorama. Geschichte eines Massenmediums, Frank­­ furt/M. (1980), S. 54f. Vgl. Richard Balzer, Peepshows. A Visual History, New York (1998). C. W. Ceram, Eine Archäologie des Kinos, Reinbek b. Hamburg (1965), S. 65. Michel Foucault, Eugène Sue, wie ich ihn liebe (1978), in: ders., Schrif‌ten in vier Bänden – Dits et Ecrits 3: 1976–1979, Frankfurt/M. (2003), S. 633–637, hier: S. 634. Wolfgang Schivelbusch, Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert (1977), Frankfurt/M. (1989),

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S. 58 u. 40. Vgl. dazu auch Joachim Paech, Die Ankunft des Zuges, in: epd Film, H. 6 (1984), S. 16–23, hier: S. 19. Schivelbusch, Eisenbahnreise, S. 31. Ausgearbeitet wird dieses Konzept des ›maschinellen Ensembles‹ (ebenfalls am Gegenstand des Reisens) bei Susanne Müller, Die Welt des Baedeker. Eine Medienkulturgeschichte des Reiseführers 1830–1945, Frankfurt/M./New York (2012), S. 151–153. »Der Menschheit organisiert sich in der Technik eine Physis, in welcher ihr Kontakt mit dem Kosmos sich neu und anders bildet als in Völkern und Familien.« Walter Benjamin, Einbahnstraße (Zum Planetarium), Berlin (1928/1983), S. 82. Dazu Helmuth Plessner, Die Einheit der Sinne. Grundlinien einer Ästhesiologie des Geistes (1923), in: ders., Gesammelte Schrif‌ten III. Anthropologie der Sinne, hg. v. G. Dux et al., Frankfurt/M. (1980), S. 7–315, hier: S. 259ff. Hans-Georg Soeffner, Sehtechniken. Die Medialisierung des Sehens: Schnitt und Montage als Ästhetisierungsmittel medialer Kommunikation, in: ders., Auslegung des Alltags – Der Alltag der Auslegung. Zur wissenssoziologischen Konzeption einer sozialwissenschaftlichen Hermeneutik, 2., durchges. u. erg. Aufl., Konstanz (2004), S. 254–284, hier: S. 267. Michael Cahn, Die Augen der Rhetorik. Wie eine Wissenschaft ihren Gegenstand konstituiert, in: Tumult. Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, H. 14 (1990), S. S. 72–80, hier: S. 77. Vgl. zum ›Magischen des Blicks‹ Gert Mattenklott, Gefräßige Augen oder Ikonophagie, in: ders., Der übersinnliche Leib, Reinbek b. Hamburg (1983), S. 78–102. Vgl. zu einer Medienkulturgeschichte der Montage in diesem Sinne: Bernd Stiegler, Montagen montieren, in: Jessica Nitsche /Nadine Werner (Hg.), Populärkultur, Massenmedien, Avantgarde 1919–1933, München (2012), S. 136–160. Erik Barnouw, The Magician and the Cinema, New York /Oxford (1981), S. 87 [übers. v. Verf.]. Schivelbusch, Eisenbahnreise, S. 43. Vgl. dazu insgesamt Albert Kümmel-Schnur /Christian Kassung (Hg.), Bildtelegraphie. Eine Mediengeschichte in Patenten (1840–1930), Bielefeld (2012). Kittler, Optische Medien, S. 294. Ich folge hier dem Kapitel ›Psychic Television‹ in Stefan Andriopoulos, Ghostly Apparitions. German Idealism, the Gothic Novel, and Optical Media, New York (2013), S. 139–157. Kittler, Optische Medien, S. 296. Gerhard Eckert, Knaurs Fernsehbuch, München /Zürich (1961), S. 43. Vgl. immer noch Walter Bruch, Kleine Geschichte des deutschen Fernsehens ( = Buchreihe des SFB 6), Berlin (1967), S. 14–50. Birgit Schneider, Die kunstseidenen Mädchen. Test- und Leitbilder des frühen Fernsehens, in: Stefan Andriopoulos / Bernhard J. Dotzler (Hg.), 1929.

Anmerkungen

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Beiträge zur Archäologie der Medien, Frankfurt/M. (2002), S. 54–79, hier: S. 61. Schneider, Mädchen, S. 61. Schneider, Mädchen, S. 59. Abbildungen dazu in dem Katalog von Heide Riedel, Fernsehen – Von der Vision zum Programm, Deutsches Rundfunk-Museum, Berlin (1985). Eckert, Fernsehbuch, S. 57. Vgl. Bruch, Geschichte, S. 30. Kittler, Optische Medien, S. 303. Kittler, Optische Medien, S. 301. Eduard Rhein, Wie Paul Nipkow seinen Fernsehsender erfand, in: ders., Wun­der der Wellen (1935), Berlin (1954), S. 305–317, hier: 317. Vgl. auch Walter Bruch, Die Fernseh-Story, Stuttgart (1969), S. 43–49. Vgl. Kittler, Optische Medien, S. 294f. C. D. Grabbe, Herzog Theodor von Gothland (1827), in: ders., Werke, 1. Bd., Dramen 1, hg. v. Roy C. Cowen, München (1975), S. 17. Jürgen Kühnel, Mediengeschichte des Theaters, in: Helmut Schanze (Hg.), Handbuch der Mediengeschichte, Stuttgart (2001), S. 248–346, hier: S. 324ff. August Strindberg, Meisterdramen, Gütersloh (o. J.), S. 304. Vgl. Angelika Gundlach, Der andere Strindberg. Materialien zu Malerei, Photographie und Theaterpraxis, Frankfurt/M. (1981), S. 299ff. Raymond Williams, Television. Technology and Cultural Form (1974), London /New York (2003), S. 53 [übers. v. Verf.]. Zur Frühgeschichte des amerikanischen Fernsehens vgl. Erik Barnouw, Tube of Plenty. The Evolution of American Television (1975), New York /Oxford (1990), S. 89ff. Bruch, Geschichte, S. 88f. Johann Friedrich Schütze (Hg.), Satirisch-ästhetisches Hand- und Taschenwörterbuch für Schauspieler und Theaterfreunde beides Geschlechts (1800), unveränderter Nachruck, Berlin-Ost (1984), S. 138. Vgl. Heeg, Szenen, in: Bosse /Renner (Hg.), Literaturwissenschaft, S. 251–269. Christopher Balme, (Art.) Szene, in: Erika Fischer-Lichte /Doris Kolesch / Matthias Warstat (Hg.), Lexikon Theatertheorie, Stuttgart (2005), S. 320f. André Jolles, Von Schiller zur Gemeinschaftsbühne, Leipzig (1919), S. 49. Jolles, Schiller, S. 74f. Dazu auch die Beiträge in Juliane Vogel /Christopher Wild (Hg.), Auf‌treten. Wege auf die Bühne, Berlin (2014). Jolles, Schiller, S. 120. Vgl. dazu Brandl-Risi, BilderSzenen u. Norbert Miller, Mutmaßungen über lebende Bilder. Attitüde und ›tableau vivant‹ als Anschauungsformen des 19. Jahrhunderts (1972), in: ders., Von Nachtstücken und anderen erzählten Bildern, München (2002), S. 201–220. Roland Barthes, Kommentar (Vorwort zu Brechts ›Mutter Courage und ihre

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Kinder‹ mit Photographien von Pic), in: ders., ›Ich habe das Theater immer sehr geliebt, und dennoch gehe ich fast nie mehr hin‹. Schrif‌ten zum Theater, Berlin (2001), S. 228–252, hier: S. 244. Vgl. Friedrich Kittler, Das Werk der Drei. Vom Stummfilm zum Tonfilm, in: ders./ Thomas Macho (Hg.), Zwischen Rauschen und Offenbarung: Zur Kultur- und Mediengeschichte der Stimme, Berlin (2002), S. 357–370. Jürgen Kühnel, Mediengeschichte des Theaters, in: Helmut Schanze (Hg.), Handbuch der Mediengeschichte, Stuttgart (2001), S. 248–346, hier: S. 324. Jacques Rancière, Aisthesis. Vierzehn Szenen (2011), Wien (2013), S. 154. Rancière, Aisthesis, S. 153. Kittler, Optische Medien, S. 235f. Petr G. Bogatyrev, Spiel und Bühne (1937), in: ders., Ethnographie, S. 181–186, hier: S. 185. Vgl. Kühnels, Mediengeschichte, in: Schanze (Hg.), Handbuch, S. 248–346, hier: S. 329. Hinweis und ausführliche Erörterung bei Robert Petsch, Drama und Film, in: Jahrbuch des freien Deutschen Hochstifts (1927), S. 266–298, hier: S. 292– 296. Piscators ›Sturmflut‹-Inszenierung war 1924 schon eine vergleichbare In­szenierung des Pacquet-Stücks ›Fahnen‹ vorausgegangen. Kindermann, Bühne, S. 43. Rancière, Aisthesis, S. 154. Raymond Williams, Drama in Performance, London (1968), S. 148 [übers. v. Verf.]. Vgl. Adolphe Appia, La Mise en Scène du Drame Wagnerien, Paris (1895) und ders., Die Musik und die Inscenierung, München (1899). Der erste Text ist erneut veröffentlicht in Richard C. Beacham, Adolphe Appia. Künstler und Visionär des Modernen Theaters, Berlin (2006). Vgl. Gabriele Brandstetter /Birgit Wiens, Ohne Fluchtpunkt: ›Szenische Module‹ und der Tanz der Teile. Anmerkungen zu Szenographie und Choreographie nach Appia, in: dies. (Hg.), Theater ohne Fluchtpunkt. Das Erbe Adolphe Appias: Szenographie und Choreographie im zeitgenössischen Theater, Berlin (2010) , S. 7–36. Jörg Schweinitz, Zur Erzählforschung in der Filmwissenschaft, in: Eberhard Lämmert (Hg.), Die erzählerische Dimension: eine Gemeinsamkeit der Künste, Berlin (1999), S. 73–87, hier: S. 73. Vgl. dazu immer noch unbedingt C. W. Ceram, Eine Archäologie des Kinos, Reinbek b. Hamburg (1964), S. 141–153. Ihren Einfluss auf das Kino betont die Arbeit von Bruno Grimm, Tableaus im Film – Film als Tableau. Der italienische Stummfilm und Bildtraditionen des 19. Jahrhunderts, München (2015). Vgl. Barnouw, Magician, S. 12 u. Ulrich Gregor / Enno Patalas, Geschichte des Films 1: 1895–1939 (1973), Reinbek b. Hamburg (1986), S. 14. Vgl. Kittler, Werk, in: ders./Macho (Hg.), Rauschen, S. 357–370, hier: S. 363.

Anmerkungen

226 Georges Sadoul, Geschichte der Filmkunst (1955), Frankfurt/M. (1982), S. 30. Vgl. aber auch das Kapitel ›Tonfilm = Theater?‹ in: Rudolf Arnheim, Film als Kunst (1932), Frankfurt/M. (1979), S. 233–237. 227 Vgl. insgesamt Geoffrey Nowell-Smith (Hg.), Geschichte des internationalen Films, Stuttgart /Weimar (1998), S. 3–88. 228 (Art.) Conventions, in: M. H. Abrams (Hg.), A Glossary of Literary Terms, 10. Aufl., Wadsworth (2012), S. 64 [übers. v. Verf.]. 229 Zur etwas vernachlässigten Etymologie von ›Film‹ und ›filmen‹ vgl. Jörg Sternagel, (Art.) filmen, in: Verf./ Bickenbach / Wegmann (Hg.), Wörterbuch, S. 241–252, hier: S. 241–244 u. Wolfgang Schivelbusch, Das verzehrende Leben der Dinge. Versuch über den Konsum, München (2015), S. 39. 230 Auf den spanischen corrales und den englischen Plattformbühnen der Renaissance umstanden die Zuschauer die Bühne an drei Seiten und wurden – statt mit aufwendigen Bühnenmechanismen – mit Hinweisschildern und lauten Ansagen blitzschnell in neue Räume (der Einbildung) versetzt. 231 Manfred Schneider, Das Kino und die Architektur des Wissens, in: Georg Tholen /Michael O. Scholl (Hg.), Zeit-Zeichen. Aufschübe und Interferenzen zwischen Endzeit und Echtzeit, Weinheim (1990), S. 281–295, hier: S. 292. 232 Susan Sontag, Theater und Film (1966), in: dies., Gesten radikalen Willens. Essays, Frankfurt/M. (2011), S. 127–153, hier: S. 133. 233 Aus anderer Perspektive dazu Andre Gaudreault, From Plato to Lumière: Nar­ ration and Monstration in Literature and Cinema (1988), Toronto (2009). 234 Waldekrenz /Arpe, Buch vom Film, S. 12. 235 I. M. Pacatus, d. i. Maxim Gorkij, ›Flüchtige Notizen‹ (1896), in: Nizegorodskij listok, Niznij-Novgorod, Nr. 182 v. 4.  7.  1896, zit. n. Kintop 4 (1995), S. 13f. 236 Zit. n. Jürgen Felix, Moderne Filmtheorie, Mainz (2003), S. 254. 237 Susan Sontag, A Century of Cinema (1995). 238 Vgl. Martin Loiperdinger, Lumières Ankunft des Zugs. Gründungsmythos eines neuen Mediums, in: Kintop. Jahrbuch zur Erforschung des frühen Films, Bd. 5: Auf‌führungsgeschichten, Basel (1996), S. 37–70. Ergänzend dazu noch Isabell Otto, Einfahrende Züge. Frühes Kino als Reflexion über filmische Kommunikation, in: Martin Roussel (Hg.), Eingrenzen und Überschreiten: Ver-fahren in der Moderneforschung, Würzburg (2005), S. 171–190 u. Lynne Kirby, Parallel Tracks. The Railroad and Silent Cinema, Duke University Press (1997). 239 Georges Sadoul, Geschichte der Filmkunst (dt. 1957), Frankfurt/M. (1982), S. 29. Die erste Auf‌lage erschien schon 1940 – als Antwort auf Robert Brassi­ lachs und Maurice Bardeches’ Histoire du Cinéma von 1935. 240 Dazu Klaus Gronenborn, Karl Valentin. Filmpionier und Medienhandwerker, Leipzig (2007), S. 50–83. 241 Wolfgang Gersch, Film bei Brecht. Bertolt Brechts praktische und theoretische Auseinandersetzung mit dem Film, Berlin-Ost (1975), S. 317.

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242 Arnolt Bronnen, Tage mit Bertolt Brecht. Geschichte einer unvollendeten Freundschaft (1960), München (1998), S. 38. 243 Bronnen, Tage, S. 38. 244 Vgl. z. B. Waldekranz /Arpe, Buch vom Film, S. 77– 90 oder Sadoul, Filmkunst, S. 89–96. 245 Bronnen, Tage, S. 40. 246 Um 1930 sollte er Ärger mit der Zensur bekommen aufgrund ›pazifistischer Tendenzen‹ in seinen Kriegs-Filmen wie 1914 oder Der Hauptmann von Köpenick. Als Oswalds erfolgreichster Tonfilm – die Musikkomödie Ein Lied geht um die Welt – Premiere hatte, musste er Deutschland verlassen. 247 Bertolt Brecht, Schrif‌ten zum Theater 2. 1918–1933. Aus Notizbüchern. An­ merkungen zu den Stücken. Über Film. Über Kritik. Anhang: Protokolle von Gesprächen, Frankfurt/M. (1963), S. 20. 248 Bertolt Brecht, Schrif‌ten zum Theater 1. 1918–1933. Augsburger Theater­kri­ tiken. Über das alte Theater. Der Weg zum zeitgenössischen Theater, Frankfurt/M. (1963), S. 173. 249 Brecht, Schrif‌ten zum Theater 2, S. 31. 250 Berliner Börsen-Courier, 5.  9.  1922, zit. n. Gersch, Film bei Brecht, S. 17. 251 Bertolt Brecht, Brecht-Archiv, Mappe 435, Bl. 44. 252 Zit. n. Gersch, Film bei Brecht, S. 20. 253 Zit. n. Gersch, Film bei Brecht, S. 20. 254 Bronnen, Tage, 40f. An der Genauigkeit von Bronnens Erinnerungen werden immer wieder Zweifel angemeldet, da sie fast vierzig Jahre nach den geschilderten Ereignissen verfasst wurden. Vgl. deshalb den sehr detaillierten Kommentar von Klaus-Dieter Krabiel zu ›Robinsonade auf Assuncion‹ in: Jan Knopf (Hg.), Brecht-Handbuch Bd. 3: Prosa, Filme, Drehbücher, Stuttgart / Weimar (2002), S. 45–50. 255 Bertolt Brecht, Texte für Filme Bd. II: Exposés. Szenarien, Redaktion: Wolfgang Gersch und Werner Hecht, Berlin /Weimar (1971), S. 7f. 256 Bronnen, Tage, S. 43. Die genauesten Angaben zu Brechts und Bronnens Filmprojekten finden sich mit Abstand bei: Günter Helmes, ›Die neue Robinso­ nade, eine technische; die neue Wildnis, eine zerstörte Stadt‹. Bertolt Brechts und Arnolt Bronnens Filmfabel Robinsonade auf Assuncion, in: ders./Ada Bieber /Stefan Greif (Hg.), Angeschwemmt – Fortgeschrieben. Robinsonaden in den Künsten des 20. und 21. Jahrhunderts, Würzburg (2009), S. 9–35. 257 Gersch, Film bei Brecht, S. 21 u. 318. 258 Gersch, Film bei Brecht, S. 26f. 259 Bronnen, Tage, S. 105. 260 Bertolt Brecht, Letzte Etappe: ›Ödipus‹ (1929), in: ders., Schrif‌ten zum Theater 1: 1918–1933. Augsburger Theaterkritiken. Über das alte Theater. Der Weg zum zeitgenössischen Theater, Frankfurt/M. (1963), S. 205–208, Hier: S. 207.

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Anmerkungen

261 Bertolt Brecht, Kleines Organon für das Theater (1948/49), in: ders., Schrif‌ten zum Theater. Über eine nicht-aristotelische Dramatik, Frankfurt/M. (1957), S. 128–173, hier: S. 130. 262 Vgl. dazu Marianne Kesting, Das epische Theater. Zur Struktur des modernen Dramas (1959), 2. Aufl., Stuttgart (1962), S. 64f. 263 Vgl. Bertolt Brecht, Literarisierung des Theaters. Anmerkungen zur Drei­ gro­schen­oper (1931), in: ders., Schrif‌ten zum Theater, S. 29–36, hier: S. 35: »Diese Form ist also alles andere eher als eine revuehaf‌te Aneinanderreihung.« 264 Bertolt Brecht, Das moderne Theater ist das epische Theater. Anmerkungen zur Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagony (1931), in: ders., Schrif‌ten zum Theater, S. 13–28, hier: S. 20. 265 Bertolt Brecht, Die Straßenszene. Grundmodell einer Szene des epischen The­ a­ters (1940), in: ders., Schrif‌ten zum Theater, S. 90–105, hier: S. 90. 266 Brecht, Straßenszene, in: ders., Schrif‌ten zum Theater, S. 91. 267 Brecht, Straßenszene, in: ders., Schrif‌ten zum Theater, S. 93. 268 Brecht, Straßenszene, in: ders., Schrif‌ten zum Theater, S. 95. 269 Brecht, Straßenszene, in: ders., Schrif‌ten zum Theater, S. 95. 270 Walter Benjamin, Was ist das epische Theater? (1931), in: ders., Versuche über Brecht. Neu durchgesehene und erw. Ausgabe, hg. u. mit einem Nachwort versehen v. Rolf Tiedemann, Frankfurt/M. (1978), S. 17–29, hier: S. 20. 271 Brecht, Schrif‌ten zum Theater, S. 22. 272 Brecht, Schrif‌ten zum Theater, S. 90. So argumentiert auch Joachim Fiebach, erweitert dann aber die Perspektive auf eine »allgemeine dialektisch-materialistische Theorie des Theaters«. Joachim Fiebach, Brechts ›Straßenszene‹. Versuch über die Reichweite eines Theatermodells, in: Weimarer Beiträge 2 (1978), S. 123–147, hier: S. 140. 273 Brecht, Schrif‌ten zum Theater, S. 92. 274 Brecht, Schrif‌ten zum Theater, S. 13. 275 Brecht, Schrif‌ten zum Theater, S. 20. 276 Brecht, Schrif‌ten zum Theater, S. 20. 277 Brecht, Schrif‌ten zum Theater, S. 15. 278 Brecht, Schrif‌ten zum Theater, S. 27. 279 Brecht, Schrif‌ten zum Theater, S. 27. Vgl. Schillers Formel aus dem 15. Brief Über die ästhetische Erziehung des Menschen von 1795: »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.«. 280 Brecht, Schrif‌ten zum Theater, S. 29. 281 Brecht, Schrif‌ten zum Theater, S. 35. 282 Vgl. etwa (Art.) ›Szene‹, in: Albert Wilkening (Hg.), Kleine Enzyklopädie Film, Leipzig (1966), S. 864. 283 Vgl. nur Marianne Kesting, Das epische Theater. Zur Struktur des modernen Dramas (1959), 2. Aufl., Stuttgart (1962), S. 74. 284 Peter Handke, Für das Straßentheater gegen die Straßentheater (1968), in:

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Ru­dolf Sievers (Hg.), 1968. Eine Enzyklopädie, Frankfurt/M. (2004), S. 239– 243, hier: S. 239f. Vgl. dazu insgesamt Dorothea Kraus, Theater-Proteste: Zur Politisierung von Straße und Bühne in den 1960er Jahren, Frankfurt/M. / New York (2007). 285 Ingo Scheller, Szenische Interpretation von Dramentexten. Materialien für die Einfühlung in Rollen und Szenen, Baltmannsweiler (2008), S. 1.

III.  Metaphorik und Rhetorik der Szene 1 Zit. n. Ulrike Simon, Porträt, in: Frankfurter Rundschau, 30.  7.  2012, S. 3. 2 Alan C. Dessen, Elizabethan Audiences and the open Stage: Recovering Lost Conventions, in: The Yearbook of English Studies, H. 1, 10 Jg. (1980), S. 1–20, hier: S. 5 [übers. v. Verf.]. 3 Ausführlich dazu Anselm Haverkamp, Auswendigkeit. Das Gedächtnis der Rhetorik, in: ders. / Renate Lachmann (Hg.), Raum – Bild – Schrift. Studien zur Mnemotechnik, Frankfurt/M. (1991), S. 25–52. 4 Vgl. Rüdiger Campe, ›Vor Augen Stellen‹: Über den Rahmen rhetorischer Bildgebung, in: Gerhard Neumann (Hg.), Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft, Stuttgart/Weimar (1997), S. 208–225, hier: S. 219f. 5 Michael Cahn, Die Augen der Rhetorik. Wie eine Wissenschaft ihren Gegenstand konstituiert, in: Tumult. Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, H. 14 (1990), S. 72–80, hier: 72f. 6 Cahn, Augen, in: Tumult S. 79. Ausführlich: ders., Kunst der Überlistung. Stu­ dien zur Geschichte der Rhetorik, München (1986). 7 Bill Bryson, At Home. A Short History of Private Life (2010). Hier zitiert nach der deutschen Übersetzung ›Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge‹, 3. Aufl., München (2011), S. 126f. 8 Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen (1953), Frankfurt/M. (2003/2013), S. 12. 9 Vgl. Claus Langbehn, (Art.) Theater, in: Ralf Konersmann (Hg.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern, 3. Aufl., Darmstadt (2011), S. 449–463. 10 Hermann Schwarz, Von unanschaulichem Wissen, in: Festschrift für Johannes Volkelt zum 70. Geburtstag, München (1918), S. 104–128, hier: S. 109. 11 Vgl. Mirjam Schaub, Das Singuläre und das Exemplarische. Zu Logik und Praxis der Beispiele in Philosophie und Ästhetik, Zürich (2010). 12 José Ortega y Gasset, Der Mensch und die Leute. Nachlasswerk, Stuttgart (1957), S. 110. 13 Zur organischen Kategorie der ›Verflüssigung‹ im Zusammenhang mit kultur­ wissenschaftlichen Konzepten bzw. ›den Medien‹ vgl. Aleida Assmann, Fest und Flüssig: Anmerkungen zu einer Denkfigur, in: dies. / D. Harth (Hg.), Kultur als Lebenswelt und Monument, Frankfurt/M. (1991), S. 181–199 u.

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Matthias Bickenbach / Harun Maye, Metapher Internet. Literarische Bildung und Surfen, Berlin (2009). Rudolf Borchardt, Das Gespräch über die Formen und Platons Lysis deutsch (1905), Stuttgart (1987), S. 31f. Vgl. Gunter E. Grimm, Letternkultur. Wissenschaftskritik und antigelehrtes Dichten in Deutschland von der Renaissance bis zum Sturm und Drang, Tübingen (1998). Dazu Verf., (Art.) Ortega y Gasset, in: Ansgar Nünning (Hg.), Lexikon literatur- und kulturwissenschaftlicher Grundbegriffe, 2. überarb. u. erw. Ausg., Stuttgart (2001), S. 486f. u. ausführlich: Rosemarie Winter, Ich bin ich und mein Umstand … . Grundlegung der Philosophie von José Ortega y Gasset, Marburg (2013), S. 33–58. Ortega, Mensch, S. 110. Ortega, Mensch, S. 148. Hans Lipps, Die menschliche Natur, Frankfurt/M. (1941), S. 73 [Kursivierung v. Verf.]. Walter Benjamin, Vom Glauben an die Dinge, die man uns weissagt (Einbahnstraße-Nachtragsliste), in: ders., Einbahnstraße (1928), ( = Kritische Gesamtaus­ gabe. Werke und Nachlaß Bd. 8), S. 234–39, hier: S. 236. Pawel Florenski, Die Magie des Wortes, in: ders., Denken und Sprache ( = Werke in zehn Lieferungen. Dritte Lieferung), Berlin (1993), S. 207–236, hier: S. 226. Martin Heidegger, Sein und Zeit. Erste Hälf‌te (1927), unveränd. 4. Aufl., Halle a. d. Saale (1935), S. 296. Georg Stanitzek, Talkshow – Essay – Feuilleton – Philologie, unveröffentl. Mskt., Köln (1992), 28 S., hier: S. 8 u. 17. Hans Blumenberg, Zu den Sachen und zurück. Aus dem Nachlass, hg. v. Man­ fred Sommer, Frankfurt/M. (2002), S. 347. Dazu Verf., Theorie oder Theologie der Namen? Anmerkungen zu Eugen Rosenstock, Johann Georg Hamann und Vilém Flusser, in: Stefan Börnchen (Hg.), ›Ich habe dich beim Namen gerufen.‹ Metaphern der Welt- und Selbstreferenz, München (2012), S. 73–89. Borchardt, Gespräch, S. 11. Borchardt, Gespräch, S. 35. Erst sechs Jahre später wird Georg Lukács dieser Rhetorik und diesem Gedanken der lebendigen Form zu einer prominenteren Formel verhelfen: »Theoretisch ist der ganze Konflikt unfaßbar. Wenn wir über die Form nachdenken und dem Worte eine Bedeutung geben wollen, so kann es nur dies sein: der kürzeste Weg, die einfachste Art zum stärksten, bleibendsten Ausdruck.« G. Lukács, Die Seele und die Formen (1911), mit einer Einl. v. J. Butler ( =  Werkauswahl in Einzelbänden Bd. 1), Bielefeld (2011), S. 161. »Denn der buchstaben tödtet / aber der Geist machet lebendig.« 2. Korinther, 3, 6. Hier zitiert nach dem schönen Kapitel zum Thema ›Der eine Geist und

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die vielen Buchstaben‹ bei Jochen Hörisch, Die Wut des Verstehens. Zur Kritik der Hermeneutik, Frankfurt/M. (1988), S. 32–42. Vgl. insgesamt auch Nikolaus Wegmann, Im Reich der Philologie. Vom Sammeln und Urteilen, in: Christoph König /Eberhard Lämmert (Hg.), Konkur­ renten in der Fakultät. Kultur, Wissen und Universität um 1900, Frankfurt/M. (1999), S. 260–272. Konrad Ehlich, Der ›Sitz im Leben‹ – eine Ortsbesichtigung, in: Martin Huber  /Gerhard Lauer (Hg.), Nach der Sozialgeschichte: Konzepte für eine Literaturwissenschaft zwischen Historischer Anthropologie, Kulturgeschich­te und Medientheorie, Tübingen (2000), S. 535–549, hier: S. 537. KSA 7, 491. Vgl. auch Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister. Zweiter Band. Neue Ausgabe mit einer einführenden Vorrede (1886), München (1988, KSA 2), S. 547: »Durch Worte und Begriffe werden wir jetzt noch fortwährend verführt, die Dinge uns einfacher zu denken, als sie sind, getrennt von einander, untheilbar, jedes an und für sich seiend.« Brief an Peter Gast von Ende Februar 1882, zit. n. Friedrich Kittler, Grammophon Film Typewriter, Berlin (1986), S. 293. Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben. 1  Abs. (1874), in: ders., Kritische Studienausgabe 1: Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Be­trachtungen I – IV. Nachgelassene Schrif‌ten 1870–1873, München (1988), S. 243–334, hier: S. 254. Nietzsche, Betrachtungen, in: ders., Studienausgabe 1, S. 251. Vgl. zur Plastizität als Wert eine erste Skizze von Lothar Müller, Jenseits des Transitorischen: zur Reflexion des Plastischen in der Ästhetik der Moderne, in: Hartmut Böhme / Klaus R. Scherpe (Hg.), Literaturwissenschaft und Kultur­ wissenschaf‌ten. Positionen, Theorien, Modelle, Reinbek b. Hamburg (1996), S. 134–160. Edmund Husserls dadurch motivierten Wettlauf mit der Fotografie beschreibt Iris Därmann, Husserls Extrablatt: Bild special, in: Michael Wetzel (Hg.), Der Entzug der Bilder. Visuelle Realitäten, München (1994), S. 67–77. Vgl. Mirjam Schaub, (Art.) Skizzieren, in: Verf. / Matthias Bickenbach  /Nikolaus Wegmann (Hg.), Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs, Weimar / Köln / Wien (2015), S.  521–534. Ortega, Mensch, S. 221. F. D. E. Schleiermacher: Hermeneutik. Nach den Handschrif‌ten neu hrsg. u. eingel. v. H. Kimmerle, 2. verbess. u. erw. Ausg., Heidelberg (1974), S. 47. Hermann Gunkel, Grundprobleme der israelitischen Literaturgeschichte (1906), wieder abgedr. Reden und Aufsätze, Göttingen (1913), S. 29–38, hier: S. 33. Hinweis und Kommentar zu dieser Stelle bei Ehlich, Sitz, in: Huber / Lauer (Hg.), Sozialgeschichte, S. 540. Zu H. Gunkel vgl. Werner Klatt, Her-

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mann Gunkel. Zu seiner Theologie der Religionsgeschichte und zur Entstehung der formgeschichtlichen Methode, Göttingen (1969). Klaus Koch, Was ist Formgeschichte? Neue Wege der Bibelexegese, Neukirchen (1964), S. 78. Koch, Formgeschichte, S. XXII. Gerhard Sellin: ›Gattung‹ und ›Sitz im Leben‹ auf dem Hintergrund der Problematik von Mündlichkeit und Schriftlichkeit synoptischer Erzählungen, in: Evangelische Theologie. Zweimonatsschrift, 50. Jg. ( = 45. Jg. der NF), München (1990), S. 311–331, hier: S. 312. Erich Fascher, Die formgeschichtliche Methode. Eine Darstellung und Kritik, Gießen (1924) S. 213. Gunkel, Grundprobleme, in: ders., Reden, S. 33. Auch diese Stelle verdanke ich Konrad Ehlichs zentralem und äußerst anregendem Aufsatz. Vgl. Ehlich, Sitz, in: Huber /Lauer (Hg.), Sozialgeschichte, S. 541. Ehlich betrachtet allerdings ›Sitz‹‚ ›Situation‹‚ ›Stimmung‹ und ›Stand‹ (›wandernder Volkserzähler‹) als ›pragmatische Faktoren‹. Eduard Norden, Agnostos Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte reli­­giöser Rede, Leipzig /Berlin (1913), S. 1 u. 10. Vgl. Andreas Urs Sommer, Der Geist der Historie und das Ende des Christentums. Zur ›Waffengenossenschaft‹ von Friedrich Nietzsche und Franz Overbeck, Berlin (1997). Die Kritik hatte er 1903, in der zweiten Ausgabe seiner Schrift Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie (von 1873) formuliert. Walter Goetz, Die Enzyklopädien des 13. Jahrhunderts (1936), in: ders., Italien im Mittelalter II, Leipzig (1942), S. 62–107, hier: S. 79. Vgl. Einleitung zu ›Drei patristische Schrif‌ten‹ in: Franz Overbeck, Werke und Nachlaß Bd. 3: Schrif‌ten bis 1898, hg. v. Hubert Cancik, Stuttgart (2010), S. 1–17. Franz Overbeck, Zur Geschichte des Kanons. Zwei Abhandlungen, Chemnitz (1880), S. 1. Vgl. Johann-Christoph Emmelius, Tendenzkritik und Formengeschichte. Der Beitrag Franz Overbecks zur Auslegung der Apostelgeschichte, Göttingen (1975). Zit. n. Overbeck, Werke Bd. 3, S. 12f. Hugo Greßmann, Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie, Göttingen (1905). Rudolf Bultmann, Der Stil der paulinischen Predigt und die kynisch-stoische Diatribe, Göttingen (1910) u. ders., Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen (1921). Karl Ludwig Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu: literarkritische Unter­suchungen zur ältesten Jesusüberlieferung, Berlin (1919). Martin Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen (1919).

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58 Zit. n. Rudolf Smend, Julius Wellhausen. Ein Bahnbrecher in drei Disziplinen, München (2004), S. 40. 59 Vgl. Verf., Der Traum vom Epos. Romankritik und politische Poetik in Deutsch­­land (1750–2000), Freiburg/Br. (2004), S. 29–174. Schon in Ausein­ an­dersetzung damit: Charlton Payne, The Epic Imaginary. Political Power and its Legitimations in Eighteenth-Century German Literature, Berlin /­ Bos­ton (2012). 60 Vgl. Hans-Otto Hügel, Belehrung und Unterhaltung. Die Diskussion um das populäre Sachbuch in den ›Blättern für literarische Unterhaltung‹ (1818– 1895), in: Michael Simon et al. (Hg.), Bilder. Bücher. Bytes. Zur Medialität des Alltags, Münster (2009), S. 200–210. 61 Walter Benjamin, Jahrmarkt des Essens. Epilog zur Berliner Ernährungsaus­ stellung (1931), in: ders., Gesammelte Schrif‌ten IV. 1/2, hg. v. Tillman Rex­ roth ( = Werkausgabe Bd. 11), Frankfurt/M. (1980), S. 527–533, hier: S. 527. 62 Vgl. Uli Kutter, Volks-Kunde – Ein Beleg von 1782, in: Zeitschrift für Volkskunde 74 (1978), S. 161–166. 63 Hermann Bausinger, Volkskunde. Von der Altertumsforschung zur Kultur­ analyse (1971), Tübingen (1987), S. 29. 64 Bausinger, Volkskunde, S. 7. 65 Nach Gerhard Heilfurth, Volkskunde, in: René König (Hg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung Bd. 4: Komplexe Forschungsansätze (1962), 3. umgearb. u. erw. Aufl., Stuttgart (1974), S. 162–225, hier: S. 167. 66 Bausinger, Volkskunde, S. 41. 67 Heilfurth, Volkskunde, S. 173. 68 Vgl. Ingeborg Weber-Kellermann, Deutsche Volkskunde zwischen Germanis­ tik und Sozialwissenschaf‌ten, Stuttgart (1969), S. 20. 69 Zit. n. Bausinger, Volkskunde, S. 53. 70 Vgl. Heilfurth, Volkskunde, S. 167. 71 Hans-Harald Müller, Formalistische und strukturalistische Theorieansätze um 1910, in: ders. /Marcel Lepper /Andreas Gardt (Hg.), Strukturalismus in Deutschland: 1910–1975, Göttingen (2010), S. 217–228, hier: S. 218. 72 Nach Heilfurth, Volkskunde, S. 173 bzw. Bausinger, Volkskunde, S. 49. 73 Wilhelm Mannhardt, Roggenwolf und Roggenhund, Danzig (1865), zit. n. Heilfurth, Volkskunde, S. 168. 74 Bausinger, Volkskunde, S. 50 u. Weber-Kellermann, Volkskunde, S. 46. 75 Heilfurth, Volkskunde, S. 170. 76 André Jolles, Einfache Formen (1930), 2. Aufl., Tübingen (1958), S. 126f. 77 Axel Olrik, Epische Gesetze der Volksdichtung, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 51 (1909), S. 1–12, hier: S. 11. Hinweis bei Müller, Theorieansätze, in: ders. / Lepper /Gardt (Hg.), Strukturalismus, S. 219. 78 Der Index wurde von Antti Aarne unter dem Titel Verzeichnis der Märchentypen mit Hülfe von Fachgenossen 1910 in Helsinki begonnen und von Antti Aarne

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und Stith Thompson als The types of the folktale. A classification and bibliography 1961 fortgesetzt. Fascher, Methode, S. 40. Fascher, Methode, S. 40. Vgl. Roland Kany, Urkirche. Von der Karriere eines Urwortes religiöser Ideenpolitik, in: Urworte. Zur Geschichte und Funktion erstbegründender Begriffe, hg. von Michael Ott u. Tobias Döring, München (2012), S. 175–193. Fascher, Methode, S. 4. Fascher, Methode, S. 2. Rudolf Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen (1921), S. 32. Robert Petsch, Studien über das Volksrätsel, Würzburg (1898). Robert Petsch (Rez.), Die Schrif‌ten des Alten Testaments, hg. v. Greßmann, Gunkel, Haller u. a. (1910/11), in: Zeitschrift für deutsche Volkskunde 22 (1912), S. 320–323. Mit exklusivem Bezug auf Richard Wossidlos volkskundlicher Rätsel-Sammlung von 1897 und Robert Petschs zweiter Monografie zum gleichen Gegenstand. Vgl. R. Petsch, Das deutsche Volksrätsel VI ( = Grundriss der deutschen Volkskunde 1), Straßburg (1917). Vgl. Brigitte Emmrich, (Art.) Jolles, André (eigentl. Johannes Andreas, Pseudo­ nym: Karl Andres), in: Sächsische Biografie, hrsg. v. Institut für Sächsische Ge­ schichte und Volkskunde e. V., bearb. v. Martina Schattkowsky, Online-­Aus­ gabe: www.isgv.de/saebi [letzter Zugriff: 2.  1.  2014]. Vgl. Matthias Bickenbach /Nikolaus Wegmann, Herders ›Reisejournal‹: Ein Datenbankreport, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 71 (1996), H. 3, S. 397–420. Jolles, Formen, S. 126f. Robert Petsch, Die Lehre von den ›Einfachen Formen‹, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 10 (1932), S. 335–369, hier: S. 360. Carl Schmitt: Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum (1950), 2. Aufl., Berlin 1974, S. 20f. (= Anm. 1). Schmitt bezieht sich dabei frühzeitig zustimmend auf »Lang, Beiträge zur Hermeneutik des römischen Rechts, 1857, S. 64, der sich dabei auf den ›geistreichen theologischen Hermeneuten‹ G e r m a r beruft.« C. Schmitt: Gesetz und Urteil. Eine Untersuchung zum Problem der Rechtspraxis (1912), München (1969), S. 24. Helmut Lethen hat schon früher darauf hingewiesen, dass bei Schmitt die Hör- und Rufverhältnisse eine große Rolle spielen. Vgl. H. Lethen, Der Habi­ tus des Horchens. Carl Schmitts ›Glossarium‹: Die Welt als akustischer Raum, Typoskript, o. J., 23 S., hier: S. 8ff. Carl Schmitt, Verfassungslehre (1928), Berlin (1983), S. 244f.

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96 Carl Schmitt, Vorbemerkung (über den Gegensatz von Parlamentarismus und Demokratie), in: ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923), 5. unveränd. Aufl. der 2. Aufl. v. 1926, Berlin (1979), S. 5–23, hier: S. 22f. 97 Martin Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums (1919). Zweite neubearbeitete Auf ‌lage, Tübingen (1933), S. 55. 98 Vgl. Fritz K. Ringers klassische Studie ›Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890–1933‹ von 1969. Zu Harnack: Dt. Ausgabe, Mün­­chen, 1983/1987, S. 124f. u. 178f. 99 Roland Kany, Hoch soll der Einzige leben! = Rez. zu Peterson, Heis Theos, 2. Aufl., Würzburg (2012), in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.  10.  2012, Nr. 233, S. L32. 100 Zu ihrem Austausch s. a. Barbara Nichtweiß, Apokalyptische Verfassungslehren. Carl Schmitt im Horizont der Theologie Erik Petersons, in: Bernd Wacker (Hg.), Die eigentliche katholische Verschärfung: Konfession, Theologie und Politik im Werk Carl Schmitts, München (1994), S. 37–64. 101 György Geréby, Political Theology versus Theological Politics: Erik Peterson und Carl Schmitt, in: New German Critique, Nr. 105 (2008), S. 7–33, hier: S. 14 [ übers. v. Verf.]. 102 Kany, Einzige, in: FAZ, S. L32. 103 Vgl. Carl Schmitt, Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie, Berlin (1970). 104 Vgl. Walter Dexel, Deutsches Handwerksgut. Eine Kultur- und Formgeschichte des Hausgeräts, Berlin (1939), S. 13: »Der Begriff der Form schließt aber noch mehr und Wesentlicheres in sich ein, nämlich ein Rückerinnern an die Entstehung eines Dinges.« Oder: Annemarie Bönsch, Formengeschichte europäischer Kleidung, Wien /Köln /Weimar (2001). 105 Vgl. Christoph Gieschen, Die Geschichte des Grundbuches in Lüneburg. Zur Formengeschichte des Liegenschaftsverkehrs, Lüneburg (1967), S. 11. 106 Bausinger, Volkskunde, S. 42. 107 Steffen Martus, Die Brüder Grimm. Eine Biographie, Berlin (2010), S. 76. 108 Martus, Brüder, S. 84. 109 Eugen Kurt Fischer, Zur Stoff- und Formengeschichte des neueren Volksliedes: Das Lied von der Amsel, Straßburg (1916), S. 2f. 110 Vgl. Eugen Kurt Fischer, Die Laienbühne als Gesinnungstheater ( = 210. Flugschrift zur Ausdruckskultur des Dürerbundes), München (1926), S. 1–36. 111 Vgl. Eugen Kurt Fischer, Dramaturgie des Rundfunks ( = Studien zu Weltrund­ funk und Fernsehrundfunk Bd. 4), Heidelberg / Berlin / Magdeburg (1942) u. ders., Der Rundfunk. Wesen und Wirkung, Stuttgart (1949). 112 Johann Abraham Peter Schulz, Lieder im Volkston, bey dem Klaviere zu singen (1782). 113 Vgl. Carl Friedrich Bahrdt, Briefe über die Bibel im Volkston (1782). Beide Belege in: Reinhart Siegert, ›Im Volkston‹. Zu einem Phantom in Literatur,

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Musik und Bildender Kunst, in: Ursula Brunhold-Bigler /Hermann Bausinger (Hg.), Hören. Sagen. Lesen. Lernen. Bausteine zu einer Geschichte der kommunikativen Kultur. FS f. Rudolf Schenda z.  65. Geb., Bern (1995), S. 679–694, hier: S. 680f. Dazu ausführlich Armin Schulz, (Art.) Volkslied, in: Jan-Dirk Müller (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 3: P–Z, Berlin  /New York (2007), S. 794–797. Weber-Kellermann, Volkskunde, S. 48f. Fischer zitiert Meiers Vortrag Kunstlied und Volkslied in Deutschland von 1906. Vgl. Fischer, Formengeschichte, S. 4f. Eugen Kurt Fischer, Dramaturgie des Rundfunks ( = Studie zum Weltrundfunk Bd. 4), Berlin (1942). Eugen Kurt Fischer, Der Rundfunk. Wesen und Wirkung, Stuttgart (1949), S. 46. Eugen Kurt Fischer, Das Hörspiel. Form und Funktion, Stuttgart (1964), S. 8. Fischer, Hörspiel, S. 9. Vgl. dazu Christina Bartz, MedienUmstellung. Vom Hör- zum Fernsehspiel, in: Irmela Schneider /  Peter  M.  Spangenberg (Hg.), Medienkultur der 50er Jahre. Diskursgeschichte der Medien nach 1945, Bd. 1, Wiesbaden (2002), S. 205–209. Eine Ausnahme ist hier zu nennen: Unter dem alternativen Begriff und Konzept des ›Auf‌tritts‹ hat vor allem Doris Kolesch in jüngster Zeit einen un­bedingt bedenkenswerte Untersuchungsweise skizziert. Vgl.  D. Kolesch, Auf‌trittsweisen. Überlegungen zur Historisierung der Kategorie des Auf‌tritts, in: Juliane Vogel  /Christopher Wild (Hg.), Auf‌treten: Wege auf die Bühne, Berlin (2014), S. 38–53, dem dieses Buch viele Anregungen verdankt – u. a. auch den Hinweis auf den Artikel ›Auf‌tritt‹ im Grimmschen Wörterbuch. Robert Petsch, Von der Szene zum Akt, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft  und Geistesgeschichte 11 (1933), S. 165–199, hier: S. 167. Zum gleichen Ergebnis kommt auch Hans-Harald Müller, Robert Petsch. Sein akademischer Werdegang und die Begründung der Allgemeinen Litera­ turwissenschaft in Hamburg, in: Myriam Richter  / Mirko Nottscheid (Hg.), 100 Jahre Germanistik in Hamburg. Traditionen und Perspektiven, Berlin / Hamburg (2011), S. 107–124. Robert Petsch, Drama und Film, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (1927), S. 266–298, hier: S. 298. Vgl. Gerhard Kaiser, Grenzverwirrungen – Literaturwissenschaft im National­ sozialismus, Berlin (2008), S. 339f. Robert Petsch, Volkskunde und Literaturwissenschaft, in: Jahrbuch für historische Volkskunde 1 (1925), S. 139–184, hier: S. 140. Petsch, Volkskunde, S. 146. Vgl. August Sauer, Literaturgeschichte und Volkskunde. Rektoratsrede, ge­halten in der Aula der k. k. deutschen Karl-Ferdinands-Universität in Prag am

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18. November  1907, Prag (1907). Die Rede wurde im Jahr von Petschs Programm-Text ein zweites Mal aufgelegt. Josef Nadler war Schüler Sauers und veröffentlichte ab 1912 eine dreibändige Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaf‌ten, die unter anderem auch von Rudolf Borchardt ausführlich rezensiert wurde. Petsch, Volkskunde, S. 146 Vgl. Klaus Weimar, Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, München (1989), S. 437. Bibliographie Robert Petsch. Zusammengestellt von Paul Böckmann, Heidel­ berg, in: Fritz Martini (Hg.), Vom Geist der Dichtung. Gedächtnisschrift für Robert Petsch, Hamburg (1949), S. 381–409. Robert Petsch, Die Lehre von den einfachen Formen, in: Deutsche Vierteljahresschrift für die Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 10 (1932). Vgl. etwa seine schon genannten Studien zum Volksrätsel oder Robert Petsch, Formelhaf‌te Schlüsse im Volksmärchen, Berlin (1900). Außerdem rezensierte Petsch – neben seiner eigentlichen umfangreichen neugermanistischen Forschung – Bücher zur Brauchtumsforschung, zu den Brüdern Grimm, zur angelsächsischen Romantheorie, zum Alten Testament, zum liturgischen Spiel oder zur Sagenforschung. Robert Petsch, Zur Einführung, in: ders., Gehalt und Form. Gesammelte Ab­ handlungen zur Literaturwissenschaft und zur allgemeinen Geistesgeschichte, Dortmund (1925), S. 1–20, hier: S. 4f. Vgl. Klaus Weimar, Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, München (1989), S. 436–38. Petsch, Einführung, in: ders., Gehalt, S. 7. Petsch, Einführung, in: ders., Gehalt, S. 7. Vgl. Robert Petsch, Der Dialog im Rundfunk, in: Rufer und Hörer. Monatshef‌te für Rundfunk und Fernsehen 1 (1931), S. 229–235. Vgl. Robert Petsch, Der Hörbericht, in: Rufer und Hörer. Monatshef‌te für Rund­funk und Fernsehen 2 (1932), S. 346–353. Robert Petsch, Tonfilme? in: Hamburger Fremdenblatt, 15.  9.  1928, S. 37 u. ders., Der Film als Erzähler? In: Hamburger Fremdenblatt, 23.  11.  1928, S. 9. Vgl. Hans Naumann, Primitive Gemeinschaftskultur, in: ders., Primitive Ge­ meinschaftskultur. Beiträge zur Volkskunde und Mythologie, Jena (1921), S. 3–17, hier: S. 15. Petsch, Drama, S. 266f. Petsch, Drama, S. 269. Petsch, Drama, S. 269. Petsch, Drama, S. 270. Petsch, Drama, S. 270. Petsch, Drama, S. 274. Petsch, Drama, S. 266. Petsch, Drama, S. 276.

Anmerkungen

151 152 153 154 155 156 157 158 159 160

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Petsch, Drama, S. 276. Petsch, Drama, S. 275. Petsch, Drama, S. 274. Petsch, Drama, S. 280. In einer Fußnote gibt Petsch seine Orientierung an Béla Balázs’ Buch Der sichtbare Mensch von 1924 auch klar zu erkennen. Vgl. Petsch, Drama, S. 298. Petsch, Drama, S. 283. Petsch, Drama, S. 284. Petsch, Drama, S. 289. Petsch, Drama, S. 289. Vgl. nur Robert Petsch (Hg.), Das Volksbuch von Dr. Faust (nach der ersten Ausgabe von 1587), Halle (1911); ders. (Hg.), Der Urfaust. Goethes ›Faust‹ in ursprünglicher Gestalt, Leipzig (o. J.); ders. (Hg.), Doktor Johannes Faust. Puppenspiel in 4 Aufzügen, hergestellt von K. Simrock. Nach der Ausgabe von 1872, Leipzig (1923). Die Bibliografie Böckmanns zu Petschs Schrif‌ten weist allein 32 Aufsätze zum Faust-Stoff nach. Petsch, Drama, S. 290. Petsch, Drama, S. 290. Petsch, Szene, in: DVJS 11, S. 165. Petsch, Drama, S. 291. Petsch, Szene, in: DVJS 11, S. 165. Petsch, Szene, 1933, S. 165f. Vgl. auch die Fortsetzung bei Petsch: »Solche Vorgänge erinnern tatsächlich an jene, die der Mechaniker als ›Auslösungen‹ bezeichnet und die durch das scheinbare Mißverhältnis zwischen Anlaß und Wirkung u. U. besonders überraschend, ja erschütternd wirken.« Petsch, Szene, in: DVJS 11, S. 166. Dazu ausführlich Christian Kassung, Entropiegeschichten. Robert Musils ›Der Mann ohne Eigenschaf‌ten‹ im Diskurs der modernen Physik, München (2001), S. 132–172. Petsch, Szene, in: DVJS 11, S. 166. Petsch, Szene, in: DVJS 11, S. 168. Vgl. Petsch, Szene, in: DVJS 11, S. 169. Petsch, Szene, in: DVJS 11, S. 170. Petsch, Szene, in: DVJS 11, S. 170. Petsch, Szene, in: DVJS 11, S. 170. Vgl. Jolles, Formen, S. 247–261 (zum ›Witz‹). Vgl. Christa Hempel-Küter, Germanistik zwischen 1925 und 1955. Studien zur Welt der Wissenschaft am Beispiel von Hans Pyritz, Berlin (2000), S. 142. Paul Böckmann, Das Formprinzip des Witzes in der Frühzeit der deutschen Auf‌klärung, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (1930), S. 52–130, hier: S. 53f. Paul Böckmann, Formensprache. Studien zur Literaturästhetik und Dichtungsinterpretation, Hamburg (1966).

Zu Kapitel III

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178 Erich Köhler, Gattungssystem und Gesellschaftssystem (1977), in: ders., Literatursoziologische Perspektiven. Gesammelte Aufsätze, hg. v.  H. Krauss, Heidelberg (1982), S. 11–25. 179 Köhler, Gattungssystem, in: ders., Perspektiven, S. 11. 180 Köhler, Gattungssystem, in: ders., Perspektiven, S. 15. 181 Köhler nimmt eine Metapher Ernst Jüngers auf: »Nach dem Erdbeben schlägt man auf die Seismographen ein. Man kann jedoch die Barometer nicht für die Taifune büßen lassen, falls man nicht zu den Primitiven zählen will.« E. Jünger, Vorwort (1949), in: ders., Strahlungen. Erster Teil ( = Werke 2. Tagebücher II), Stuttgart (o. J.), S. 11–24, hier: S. 13. 182 Vgl. Jakob von Uexküll /Friedrich Brock, Das Institut für Umweltforschung, in: Ludolf Brauer et al. (Hg.), Forschungsinstitute, ihre Geschichte, Organisation und Ziele Bd. 2, Hamburg (1930), S. 233–237. 183 Zu Meyer-Abich s. Felix Brahm, (Art.) Meyer-Abich, Adolf, in: Franklin Kopitzsch /Dirk Brietzke (Hg.), Hamburgische Biographie Bd. 3, Göttingen (2006), S. 254f. 184 Jakob von Uexküll, Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen: Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten, Berlin (1934). 185 Vgl. Jakob von Uexküll, Niegeschaute Welten. Die Umwelten meiner Freunde. Ein Erinnerungsbuch, Berlin (1936). 186 Vgl. Jakob von Uexküll, Die neue Umweltlehre. Ein Bindeglied zwischen Natur- und Kulturwissenschaf‌ten, in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur und Erziehung in Wissenschaft und Leben 13/5 (1937), S. 185–199. 187 Vgl. dazu Florian Mildenberger, Umwelt als Vision. Leben und Werk Jakob von Uexkülls (1864–1944), Stuttgart (2007), S. 216ff. Eine Korrektur (an Uexkülls Umwelt-Begriff ) nimmt Lorenz z. B. in seinem Aufsatz Psychologie und Stammesgeschichte von 1954 vor. Vgl. K. Lorenz, Vom Weltbild des Verhaltensforschers. Drei Abhandlungen, München (1968), S. 35–95, hier: S. 73. 188 Vgl. dazu Rainer Höltschl, (Art.) Medienökologie, in: Alexander Roesler / Bernd Stiegler (Hg.), Grundbegriffe der Medientheorie, München (2005), S. 176–181. 189 Jakob Johann vonUexküll, Umwelt und Innenwelt der Tiere (1909), 2. verm. u. verb. Aufl., Berlin (1921), S. 219. 190 Martin Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, Frankfurt/M. (2010), S. 292. Zur Rezeption Uexkülls bei Heidegger s. Giorgio Agamben, Das Offene. Der Mensch und das Tier, Frankfurt/M. (2003), S. 49–88. 191 Zit. n. Rosemarie Winter, ›Ich bin ich und mein Umstand …‹. Grundlegung der Philosophie von José Ortega y Gasset, Marbug (2013), S. 78. Insgesamt dazu: Diego Jordano Barea, Ortega y la ecología de Jacobo von Uexküll, in: Boletín de la Real Academia de Córdoba 105 (1983), S. 107 – 111. 192 J. v. Uexküll /Friedrich Brock, Das Institut für Umweltforschung, in: Ludolf

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Anmerkungen

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Brauer et al. (Hg.), Forschungsinstitute, ihre Geschichte, Organisation und Ziele Bd. 2, Hamburg (1930), S. 233–237, hier: S. 233. Jakob von Uexküll, Welt und Umwelt, in: Deutsches Volkstum. Monatsschrift für das deutsche Geistesleben 10, H.1 (1929), S. 21–36, hier: S. 26. Zit. n. Anne Harrington, Die Suche nach Ganzheit. Die Geschichte biologisch-psychologischer Ganzheitslehren: Vom Kaiserreich bis zur New-Age-Bewegung (1996), Reinbek b. Hamburg (2002), S. 92, dort zit. n. Jutta Schmidt, Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Vergleichenden Verhaltensforschung, Diss. Marburg (1980), S. 10. Ausführlich dazu Jakob von Uexküll, Der Organismus und die Umwelt, in: Hans Driesch (Hg.), Das Lebensproblem im Lichte der modernen Forschung, Leipzig (1931), S. 189–224. Das Konzept ist in gewisser Weise schon populär: »Leben heißt, in eine Umwelt von bestimmten Möglichkeiten hineingestellt sein.« J. Ortega y Gasset, Der Aufstand der Massen (1930), in: ders., Signale unserer Zeit. Essays, Stuttgart /Salzburg (o. J.), S. 151–304, hier: S. 178. Uexküll, Welt, in: Deutsches Volkstum 10, S. 25. Vgl. Mildenberger, Umwelt, S. 19ff. Uexküll, Welt, in: Deutsches Volkstum 10, S. 24. Dazu Peter Berz, Biologische Ästhetik. (A)Symmetrie und (Un)Sichtbarkeit im Erscheinen des Bauplans, in: Trajekte. Zeitschrift des Zentrums für Litera­ tur- und Kulturforschung 8, H. 17 (2008), S. 17–24. Vgl. Jakob von Uexküll, Biologische Briefe an eine Dame, Berlin (1920), S. 63. Jakob von Uexküll, Das Problem des Lebens, in: Deutsche Rundschau 193 (1922), S. 235–247, hier: S. 242. Vgl. Ivan Illich, H 2O und die Wasser des Vergessens, Reinbek b. Hamburg (1987), S. 7–9 u. 71–81. Christian von Ehrenfels, Über Gestaltqualitäten, in: Vierteljahrsschrift für wis­ senschaftliche Philosophie 14 (1890), S. 249–292, hier: S. 259. Zu von Ehren­­ fels vgl. Annette Simonis, Gestalttheorie von Goethe bis Benjamin. Dis­kurs­­ge­ schichte einer deutschen Denkfigur, Köln /Weimar /Wien (2001), S. 129–149. Jakob von Uexküll folgte Christian von Ehrenfels nicht nur in der Neigung zu vermeintlich sinnvolleren, weil gestalthaft-ganzheitlichen Gebilden, sondern war wie dieser auch mit dem Wagnerianer und einflussreichen antisemitischen Ideenhistoriker Houston Stewart Chamberlain befreundet. Vgl. nur v. Uexkülls Herausgabe und umfangreiche Kommentierung von Chamberlains Buch ›Natur und Leben‹, München (1928). Uexküll, Umweltlehre, in: Erziehung 13, S. 192. Aristoteles, Metaphysik. Schrif‌ten zur Ersten Philosophie, VII. 1041 b (11), übers. u. hg. v. Franz F. Schwarz, Stuttgart (1970/2013), S. 205. Vgl. das Kap. Fünf‌ter Brief.  (Gestalt) in Uexküll, Briefe an Dame, S. 46–54. Albrecht Koschorke, Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie, Frankfurt/M. (2012), S. 72.

Zu Kapitel III

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209 Von Uexküll lieferte u. a. 1927 einen Beitrag (Die Rolle des Psychoids) für eine Festschrift für Hans Driesch. 210 Hans Driesch, Das Ganze und die Summe, Leipzig (1921), S. 4f. [die Hervorhebungen sind im Text so gestaltet]. Zu Hans Driesch, der – anders als von Uexküll – weder Antisemit noch Nationalist war, u. seinem Verhältnis zu von Uexküll s. insgesamt Anne Harrington, Die Suche nach Ganzheit. Die Geschichte biologisch-psychologischer Ganzheitslehren: Vom Kaiserreich bis zur New-Age-Bewegung (1996), Reinbek b. Hamburg (2002), S. 80–144 u. S. 337–343. 211 Hans Driesch, Die Rolle der Intuition in der Philosophie, in: Gunnar Aspelin /­­ Elof Akesson ( Hg.), Studier tillägnade Efraim Liljequist den 24. September 1930, Lund (1930), S. 113–123, hier: S. 116f. [Hervorhebungen v. Verf.]. 212 Jakob von Uexküll, Was heißt Umwelt?, in: ders., Niegeschaute Welten. Die Um­welten meiner Freunde. Ein Erinnerungsbuch, Berlin (1936), S. 11–21, hier: S. 20. 213 Uexküll, Umweltlehre, in: Erziehung 13, S. 193f. 214 Bundesnaturschutzgesetz §42. 215 Vgl. Jakob von Uexküll, Die Hundewelt kennt nur Hundedinge, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 172 (1935), S. 9. 216 Von Uexküll /Brock, Institut, S. 236. 217 Vgl. Katja Kynast, Kinematografie als Medium der Umweltforschung Jakob von Uekülls, in: Kunsttexte.de, Nr. 4 (2010), S. 1–14, hier: S. 1 ( =  Kurzfassung der gleichnamigen Magister-Arbeit). 218 Jakob von Uexküll, Die Flügelbewegung des Kohlweißlings, in: Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, Nr. 202 (1924), S. 259–264, hier: S. 259f. 219 Uexküll, Flügelbewegung, in: Pflügers Archiv, S. 264. 220 Uexküll, Flügelbewegung, in: Pflügers Archiv, S. 260. 221 Uexküll, Flügelbewegung, in: Pflügers Archiv, S. 260. 222 Hans Driesch, Das Ganze und die Summe, Leipzig (1921), S. 4f. 223 Jakob Johann von Uexküll, Umwelt und Innenwelt der Tiere (1909), 2. verm. u. verb. Aufl., Berlin (1921), S. 219. 224 Rudolf Bilz, Pars pro toto. Ein Beitrag zur Pathologie menschlicher Affekte und Organfunktionen, Leipzig (1940). 225 Vgl. Rudolf Bilz, Rolle und Szene im menschlichen Dasein, in: Psychologische Rundschau. Überblick über die Fortschritte der ‚Psychologie in Deutschland, Österreich und der Schweiz, H. 4, 3. Jg. (1952), S. 281–290, hier: S. 283. 226 Bilz, Pars, S. 279. 227 Sven-Karsten Peters, Rudolf Bilz (1898–1976). Leben und Wirken in der Medizinischen Psychologie, Würzburg (2003), S. 31f. 228 Peters, Bilz, S. 34. 229 Peters, Bilz, S. 33. 230 Viktor von Weizsäcker, Die Schmerzen. Stücke einer medizinischen Anthropo­

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Anmerkungen

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logie, in: Die Kreatur. Eine Zeitschrift /  Viermal im Jahr erscheinend  / hg. v. M. Buber, J. Wittig, V. v. Weizsäcker, 1. Jg. (1926/27), S. 315–335, hier: S. 315. Rainer-M. E. Jacobi, Erzählung und Heilung. Krankheit und Krankengeschichte bei Viktor von Weizsäcker, in: Céline Kaiser /Marie-Louise Wünsche (Hg.), Die ›Nervosität der Juden‹ und andere Leiden an der Zivilisation, Paderborn (2003), S. 181–205, hier: S. 182. Freud konzediert, dass »wir für die Erinnerungsspuren in der archaischen Erbschaft derzeit keinen stärkeren Beweis haben als jene Resterscheinungen der analytischen Arbeit, die eine Ableitung aus der Phylogenese erfordern«. S. Freud, Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939), in: ders., Gesammelte Werke XVI, Frankfurt/M. (1950/1993), S. 103–246, hier: S. 207; vgl. auch schon ders., Über Deckerinnerungen (1899), in: ders., Gesammelte Werke I, Frankfurt/M. (1952/1991), S. 530–554, hier: S. 546. Viktor von Weizsäcker, Der Arzt und der Kranke (1926), in: ders., Gesammelte Schrif‌ten Bd. 5, Frankfurt/M. (1987), S. 9–26, hier: S. 25f. Weizsäcker, Schmerzen, in: Die Kreatur 1. Jg., S. 320. Bilz, Pars, S. 226. Bilz, Pars, S. 25f. Bilz, Pars, S. 79f. Bilz, Pars, S. 35. Bilz, Pars, S. 61. Bilz, Pars, S. 30f. Rudolf Bilz wird diesen Ansatz mit den Koordinaten Um­welt, Rolle und Szene später noch mehrfach erläutern und ausbauen. Vgl. nur R. Bilz, Über das emotionale Partizipieren. Ein Beitrag zu dem Problem des Menschen in seiner Umwelt, in: Studium generale, H. 10, 3. Jg. (1950), S. 552–565 u. ders.,  Rolle und Szene im menschlichen Dasein, in: Psychologische Rundschau, H. 4, 3. Jg. (1952), S. 281–290. Vgl. Bilz, Pars, S. 222. Bilz, Pars, S. 81. Petsch, Szene, in: DVJS 11, S. 166. Petsch, Szene, in: DVJS 11, S. 165f. Bilz, Pars, S. 250. Vgl. Brüder Grimm, Kinder und Hausmärchen, hg. v. Heinz Rölleke, Bd. 1: Märchen Nr. 1–86, Stuttgart (2007), S. 258f. Das ist eine genaue Entsprechung zu Wilhelm Schapps Theorie einer ›Lebenswelt in und aus Geschichten‹. Vgl. W. Schapp, In Geschichten verstrickt. Zum Sein von Mensch und Ding, Hamburg (1953). Petsch, Szene, in: DVJS 11, S. 166. Petsch, Szene, in: DVJS 11, S. 168. Vgl. Peters, Bilz, S. 34f. Peters, Bilz, S. 31f. Vgl. Hamburgische Universität. Verzeichnis der Vorlesungen Wintersemester 1930/31, Hamburg (1930), S. 38.

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253 Vgl. Myriam Richter, Zwischen Allgemeinem Vorlesungswesen und Kolonialinstitut. Zur Vorgeschichte eines Deutschen Seminars, in: dies./Nottscheid (Hg.), 100 Jahre Germanistik, S. 37–64. 254 Bilz, Pars, S. 37. 255 Alexander Mitscherlich, Einführung in die Psychoanalyse II (Wintersemester 1946/47), in: ders., Gesammelte Schrif‌ten IX: Vorlesungen 1, hg. v. M. Looser, Frankfurt/M. (1983), S. 83–137, hier: S. 115. 256 Alle Informationen über Mitscherlich entnehme ich der hervorragenden Mono­grafie von Martin Dehli, Leben als Konflikt. Zur Monographie Alexander Mitscherlichs, Göttingen (2007). 257 Eine Kritik der Tiefenhermeneutik als Methode liefert Ulrich Oevermann, Die objektive Hermeneutik als unverzichtbare methodologische Grundlage für die Analyse von Subjektivität: zugleich eine Kritik der Tiefenhermeneutik, in: Thomas Jung /Stefan Müller-Dohm (Hg.), Wirklichkeit im Deutungsprozeß: Verstehen und Methoden in den Kultur- und Sozialwissenschaf‌ten, Frankfurt/M. (1993), S. 106–189. 258 Sigmund Freud, Studien über Hysterie (1895), in: ders., Gesammelte Werke I, Frankfurt/M. (1952/1991), S. 75–312, hier: S. 227. 259 Alfred Lorenzer, Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik, Frankfurt/M. (1981). 260 Alfred Lorenzer, Sprache, Lebenspraxis und szenisches Verstehen in der psychoanalytischen Therapie, in: Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen 37 (1983), S. 97–115. Wiederabdruck in: Alfred Lorenzer, Szenisches Verstehen. Zur Erkenntnis des Unbewußten, hg.  v. Ulrike Prokop / Bernard Görlich, Marburg (2006), S. 13–37, hier: S. 17. 261 Lorenzer, Sprache, in: Psyche 37, S. 18. 262 Lorenzer, Sprache, in: Psyche 37, S. 24. 263 Lorenzer, Sprache, in: Psyche 37, S. 19f. 264 Lorenzer, Sprache, in: Psyche 37, S. 20. 265 Sigmund Freud, Das Ich und das Es (1923), in: ders., Gesammelte Werke XIII, Frankfurt/M. (1940/1987), S. 246–255, hier: S. 248. 266 Dazu Bernard Görlich, Das Szenische oder: Die Sozialität des Triebes, in: J. Bel­grad u. a. (Hg.), Sprache – Szene – Unbewußtes. Sozialisationstheorie in psychoanalytischer Perspektive, Gießen (1998), S. 15–68, hier: S. 46f. 267 Das ist ein passender Ausdruck des Lorenzer-Schülers Bernard Görlich. Vgl. Ders., Szenische, in: Belgrad (Hg.), Sprache, S. 56. 268 Lorenzer, Sprache, in: Psyche 37, S. 31. 269 Vgl. Karl Sierek, Assoziieren, verketten, montieren. Montage als verbindendes Moment zwischen Psychoanalyse und Film, in: Kristina Jaspers / Wolf Unterberger (Hg.), Kino im Kopf. Psychologie und Film seit Sigmund Freud, Berlin (2006), S. 38–45, hier: S. 40. 270 Lorenzer, Sprache, in: Psyche 37, S. 29. 271 Lorenzer, Sprache, in: Psyche 37, S. 34.

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Anmerkungen

272 Vgl. den Artikel ›Auf‌tritt‹, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 1, Leipzig (1854), Sp. 765f. 273 »Gleich dem franz. scène fieng nun auf‌tritt an ein einzelnes, wechselndes bild oder abenteuer auch auszerhalb dem schauspiel, jeden auf‌fallend herbeigeführten hergang und handel zu bezeichnen.« ›Auftritt‹, in: Grimm, Sp. 765. 274 Bei den lateinsprachigen Stücken der Jesuiten »bedeuten scenae stets Kulissen«, bemerkt etwa Willi Flemming, Andreas Gryphius und die Bühne, Halle a. d. Saale (1921), S. 429. 275 Dazu Hans Adler, Fundus animae – Der Grund der Seele. Zur Gnoseologie des Dunklen in der Auf ‌klärung, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 62 (1988), H. 2, S. 197–220. 276 Thomas Mann, Der Zauberberg (1924), Stuttgart /Hamburg /München (o. J.), S. 831. 277 Vgl. die einer israelischen Produktion folgende, amerikanische TV-Serie In Treatment (USA 2007–2010, HBO) und Walter Bruchhausen /Céline Kaiser (Hg.), Szenen des Erstkontakts zwischen Arzt und Patient, Bonn (2012). 278 Norbert Miller, Mutmaßungen über lebende Bilder. Attitüde und ›tableau vivant‹ als Anschauungsformen des 19. Jahrhunderts (1972), in: ders., Von Nachtstücken und anderen erzählten Bildern, München (2002), S. 201–220, hier: S. 205. 279 Zur Herkunft dieser Figur vgl. Götz Aly, Hitlers Volksstaat – Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt/M. (2005). Zur Fortsetzung dieser Figürlichkeit vgl. Jürgen Kaube, Otto Normalabweicher, in: ders., Otto Normalabweicher. Der Aufstieg der Minderheiten, Springe (2007), S. 10–24. 280 Ronald Hitzler /Arne Niederbacher, Leben in Szenen: Formen juveniler Vergemeinschaftung heute, 3., überarb. Aufl., Wiesbaden (2010), S. 16. 281 Ronald Hitzler /Michaela Pfadenhauer, ›Vergesst die Party nicht!‹ Das Tech­ no-­­Publikum aus der Sicht der Szene-Macher, in: Herbert Willems (Hg.), Theatralisierung der Gesellschaft, Bd. 1: Soziologische Theorie und Zeitdia­ g­­nose, Wiesbaden (2009), S. 377–393, hier: S. 377. 282 Man spricht ebenfalls verkürzend vom ›Rotlicht-Milieu‹. Auch hier liegt ur­­ sprünglich ein ausgedehntes soziologisch-historiografisches Theoriefeld (des 19. Jahrhunderts) vor, das diesen populären Begriff erst ermöglicht. 283 Vgl. das Kapitel Theorie der Szene in: Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt/M./New York (1992), 8. Aufl. (2000), S. 459–494, hier: S. 463. 284 Michael Rutschky, Das Interesse am Alltag. Anläßlich von Rolf Schwendters ›Kultur- und Sittengeschichte, in: Der Alltag, Nr. 75: ›Die arroganten Geräte‹ (1997), S. 177–190, hier: S. 178. 1967 erscheint der erste Band von Fernand Braudels Sozialgeschichte des 15.–18. Jahrhunderts mit dem Titel Der Alltag. 285 Darauf weist Ina-Maria Greverus, Kultur und Alltagswelt. Eine Einführung in Fragen der Kulturanthropologie, Frankfurt/M. (1978) hin. 286 Henri Lefebvre, Kritik des Alltagslebens, 3 Bde., München (1974/75). Lefeb-

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vres Kritik geht auf Arbeiten aus den 1940er Jahren zurück. Vgl. dazu I.-M. Greverus, Über die Poesie und die Prosa der Räume. Eine Einführung (2007/08), in: dies., Gedanken zu einer Anthropologie des Raums, Münster (2009), S. 11–47, hier: S. 13–16. Vgl. Kaube, Normalabweicher, S. 43 u. Hans-Georg Soeffner, Die Ordnung der Rituale. Die Auslegung des Alltags 2, Frankfurt/M. (1992), S. 180. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart (1956), S. 49. Vgl. Helmuth Plessner, Soziale Rollen und menschliche Natur (1960), in: ders., Diesseits der Utopie, Düsseldorf /Köln (1966), S. 23–35. Vgl. Peter L. Berger, Einladung zur Soziologie, Olten (1969), S. 154 u. neuer­ dings Kurt Röttgers, ›Ich bin eine Illusion‹. Die Bühne als Modell postmo­ der­ner Sozialtheorie, in: Zeitschrift für Kulturphilosophie 7 (2013), H. 1, S. 147–169. Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie, in: ders., Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen I – IV. Nachgelassene Schrif‌ten 1870– 1873, Kritische Studienausgabe 1, München (1988), S. 9–156, hier: S. 25. Zit. n. (Art.) Rolle, in: Raymond Boudon /Francois Bourricaud, Soziologische Stichworte. Ein Handbuch (1982), Opladen (1992), S. 435–440, hier: S. 435. Einen guten Überblick zur Geschichte des Rollenbegriffs bieten Dieter Claessens, Rolle und Macht, München (1968/1974), S. 12–22 u. Frigga Haug, Kritik der Rollentheorie und ihrer Anwendung in der bürgerlichen deutschen Soziologie, Frankfurt/M. (1972), S. 17–27. Dazu Klaus Lichtblau, Kulturkrise und Soziologie um die Jahrhundertwende. Zur Genealogie der Kultursoziologie in Deutschland. Frankfurt/M. (1996). Vgl. Uta Gerhardt, Georg Simmels Bedeutung für die Geschichte des Rollenbegriffs in der Soziologie, in: Hannes Böhringer /Karlfried Gründer (Hg.), Ästhetik und Soziologie um die Jahrhundertwende, Frankfurt/M. (1976), S. 71–89. Karl Löwith, Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen (1928). G. H. Mead, Mind, Self and Society (1934). R. Linton, The Study of Man (1936). J. L. Moreno veröffentlicht 1934 (im amerikanischen Exil) ›Who Shall Survive?‹ Er gründet seit 1921 mehrere Stegreif-Theater und entwickelt eine als Psychodrama bezeichnete gruppentherapeutische Methode. Vgl. etwa Ursula Coburn-Staege, Der Rollenbegriff. Ein Versuch der Vermitt­ lung zwischen Gesellschaft und Individuum, Heidelberg (1973) o.  Günter Wiswede, Rollentheorie, Stuttgart u. a. (1977). Hartmut M. Griese, (Art.) Rolle, in: Günter Endruweit /Gisela Trommsdorff (Hg.), Wörterbuch der Soziologie, 2. völlig neu bearb. u. erw. Aufl., Stuttgart (2002), S. 458–462, hier: S. 458. Vgl. insgesamt auch das Kapitel ›Der Mensch als Rollenspieler‹, in: Uri Rapp, Rolle. Interaktion. Spiel. Eine Einführung in die Theatersoziologie, Wien (1993), S. 45–54 u.  die ausgezeichnete kommentierte Bibliografie ebd., S. 273–289 und das Kap. ›Von der Rolle zur Sen-

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dung‹ in: Hans Urs v. Balthasar, Theodramatik. Erster Band: Prolegomena, Einsiedeln (1973), S. 453–603. Vgl. Winfried Gebhardt, Die Verszenung der Gesellschaft und die Eventisierung der Kultur. Kulturanalyse jenseits traditioneller Kulturwissenschaf‌ten und Cultural Studies, in: Udo Göttlich /Clemens Albrecht /ders. (Hg.), Populäre Kultur als repräsentative Kultur. Die Herausforderung der Cultural Studies, Köln (2003), S. 287–305. Katharina Sessler / Florian Süssenguth, Wer ist Helga? Vom Suchen und (Er-) Finden der Szenen in der Soziologie, in: Michael Heinlein  / Katharina Seßler (Hg.), Die vergnügte Gesellschaft. Ernsthaf‌te Perspektiven auf modernes Amüsement, Bielefeld (2012), S. 173–192, hier: S. 186 [Hervorhebungen v. Verf.]. Vgl. Claude Lanzmann, Der patagonische Hase. Erinnerungen, Reinbek b. Hamburg (2010), S. 544. Claude Lanzmann, Hier ist kein Warum, in: ders., Shoah. Mit einem Vorwort von Simone de Beauvoir, Reinbek b. Hamburg (2011), S. 9. Simone de Beauvoir, Das Gedächtnis des Grauens, in: Lanzmann (Hg.), Sho­ah, S. 11–15, hier: S. 14. Lanzmann, Hase, S. 603. Lanzmann, Hase, S. 603. Lanzmann, Hase, S. 615. Ich möchte betonen, dass meine Ausführungen zu Lanzmann eine Fallgeschichte darstellen, denn diese (metaphysische) ›Beharrlichkeit‹ Lanzmanns kennzeichnet auch unzählige andere Filmemacher, Regisseure und Dokumentaristen – unter anderem Andreij Tarkowskij. In seinen zwischen 1976 und 1984 festgehaltenen filmpoetologischen Notizen und Essays finden sich nahezu identische Ausführungen und Begriffe, die ich der Einfachheit halber in Großbuchstaben geschrieben habe: »Wenn ein Filmer selbst von seinem ausgewählten DREHORT berührt wird, wenn der sich ihm ins Gedächtnis einschreibt und Assoziationen vielleicht sogar höchst subjektiver Natur weckt, dann springt so etwas auch auf den Zuschauer über.« (32) Dann: »Die künstlerische Einsicht und Entdeckung entsteht dagegen jedesmal als ein neues und einzigartiges Bild der Welt, als eine Hieroglyphe der absoluten Wahrheit. Sie präsentiert sich als Offenbarung, als ein jäh AUFBLITZENDER leidenschaftlicher Wunsch des Künstlers nach intuitivem Erfassen sämtlicher Gesetzmäßigkeiten der Welt.« (43) Oder: »Filmregie beginnt vielmehr in jenem Moment, da das Bild des Films vor dem inneren Auge jenes Menschen entsteht, der diesen Film machen wird und den man einen Regisseur nennt. […] Einen Filmemacher kann man nur dann als Regisseur bezeichnen, wenn er seinen ENTWURF klar vor sich sieht und diesen dann bei seiner Arbeit mit dem Filmteam tatsächlich unbeschadet und genau umzusetzen versteht.« (63f.) Schließlich findet sich im entscheiden Passus über die gelungene Szene aus dem Filmischen selbst nur ein negatives Beispiel (aus Giuseppe

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De Santis ›Ein Mann für Anna Zaccheo‹ von 1953), um dann einfach (zur Illustration der gelungenen Szene) in die Literatur zu wechseln: »Was also ist eine Mise-en-scène? Wenden wir uns besseren Literaturwerken zu. Noch einmal sei an die erwähnte Schluß-SZENE aus Fjodor Dostojewskijs ›Der Idiot‹ erinnert (…) Friedrich Gorenstein schrieb beispielsweise in einem Drehbuch: ›Im Zimmer roch es nach Staub, vertrockneten Blumen und ausgetrockneter Tinte.‹ Das gefällt mir gut, weil ich mir so die GESTALT und die ›Seele‹ des Interieurs vorzustellen beginne.« (78f.) Alle Zitate aus Andreij Tarkowskij, Die versiegelte Zeit. Gedanken zur Kunst, zur Ästhetik und Poetik des Films (1984), Berlin (2002). 310 Lanzmann, Hase, S. 622. 311 Lanzmann, Hase, S. 666.

IV. Die Szene in der postmodernen Medien- und Kulturwissenschaft 1 Vgl. z.  B. Peter W. Marx (Hg.), Handbuch Drama. Theorie, Analyse, Geschichte, Stuttgart (2012), S. 105–144 oder Hans Urs v. Balthasar, Theodramatik. 1. Bd.: Prolegomena, Einsiedeln (1973), S. 239–449. 2 Vgl. J. Laplanche  /J.-B. Pontalis (Hg.), Das Vokabular der Psychoanalyse (1967), Frankfurt/M. (1994), S. 573–576. Viel kürzer fällt der Eintrag ›Urszene‹ aus. 3 Vgl. z. B. Dieter Claessens, Rolle und Macht. Grundfragen der Soziologie, München (1968/1974), S. 9–69. 4 Vgl. das schöne Buch von Christian Kiening /Ulrich Johannes Beil, Urszenen des Medialen. Von Moses zu Caligari, Göttingen (2012), S. 7–17, hier: S. 12. 5 Vgl. Constantin von Barloewen, Szenen einer Weltzivilisation. Kultur – Technologie – Literatur, o. O. (1994). 6 Erika Fischer-Lichte (Hg.), Lexikon Theatertheorie, Stuttgart (2005), S. 321. 7 In den performative turn der Kulturwissenschaf‌ten führt ein: Doris Bachmann-­ Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaf‌ten, Rein­bek b. Hamburg (2006), S. 104–143. 8 Josef Früchtl / Jörg Zimmermann (Hg.), Ästhetik der Inszenierung. Dimensio­ nen eines gesellschaftlichen, individuellen und kulturellen Phänomens, Frank­ furt/M. (2001), S. 29. 9 Daneben ist das Gesamtwerk von Pierre Legendre zu nennen, dessen zentraler Begriff des Emblems als diskursiv-mediale Montage des Subjekts von ihm selbst immer wieder wahlweise auch als Szene bezeichnet worden ist. Vgl. dazu Verf., Topik, Etymologie, Emblematik. Überlegungen zu einer Medienanthropologie nach Pierre Legendre, in: Manfred Schneider (Hg.), ›Die Zivilisation des Interpreten‹. Zum Oeuvre Pierre Legendres, Wien (2011), S. 119–153. 10 Herbert Willems, Zur Einführung: Medientheatralität und Medientheatrali-

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sierung, in: ders. (Hg.), Theatralisierung der Gesellschaft. Bd. 2: Medientheatralität und Medientheatralisierung, Wiesbaden (2009), S. 13–38, hier: S. 13. Dazu Herbert Willems, Theatralität als (figurations-)soziologisches Konzept: Von Fischer-Lichte über Goffman zu Elias und Bourdieu, in: ders. (Hg.), Theatralisierung der Gesellschaft. Bd. 1: Soziologische Theorie und Zeitdiagnose, Wiesbaden (2009), S. 75–110. Willems, Einführung, in: ders., Theatralisierung, S. 14. Vgl. E. Fischer-Lichtes (historische) ›Semiotik des Theaters‹ in 3 Bänden, Tübin­ gen (1983ff.). E. Fischer-Lichte, Theatralität als kulturelles Modell, in: dies. et al. (Hg.), The­atralität als Modell in den Kulturwissenschaf‌ten, Tübingen /Basel (2004), S. 7–26, hier: S. 10 Vgl. etwa E. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, Frankfurt/M. (2004), S. 9–22. E. Fischer-Lichte, Performativität und Ereignis, in: dies. et al. (Hg.), Performativität und Ereignis, Tübingen /Basel (2004), S. 11–41, hier: S. 28f. »Die Akteure erscheinen stets in ihrem leiblichen In-derWelt-Sein. Aufgrund ihres spezifischen phänomenalen Leibes geht eine je besondere Ausstrahlung von ihnen aus, welche die anderen Teilnehmer /Zuschauer ihrerseits leiblich erspüren. Der phänomenale Leib von Akteuren und Zuschauern ist der existentielle Grund für jede Art von Auf‌führung.« Fischer-Lichte, Theatralität, in: dies. et al. (Hg.), Theatralität, hier: S. 19. Fischer-Lichte, Ästhetik, S. 118. Fischer-Lichte hat immer wieder zentrale Beiträge zur historischen Semantik des Wortfelds erarbeitet. Fischer-Lichte, Ästhetik, S. 119. Gerhard Neumann, Theatralität der Zeichen. Roland Barthes’ Theorie einer szenischen Semiotik, in: ders./Caroline Pross  /Gerald Wildgruber (Hg.), Szenographien. Theatralität als Kategorie der Literaturwissenschaft, Freiburg /Br. (2000), S. 65–112, hier: S. 67. Gerald Wildgruber, Die Instanz der Szene im Denken der Sprache, in: Neumann /Pross /Wildgruber (Hg.), Szenographien, S. 35–63, hier: S. 41. Wildgruber, Instanz, in: Neumann /Pross /Wildgruber (Hg.), Szenographien, S. 40. Wildgruber, Instanz, in: Neumann /Pross /Wildgruber (Hg.), Szenographien, S. 44. Roland Barthes, Introduction à l’analyse structural des récits, in: Communi­ca­ tions 8 (1966), S. 1–27, hier: S. 26, zit. n. Wildgruber, Instanz, in: Neumann / Pross /Wildgruber (Hg.), Szenographien, S. 52. Wildgruber, Instanz, in: Neumann /Pross /Wildgruber (Hg.), Szenographien, S. 58. Gerhard Neumann, Einleitung, in: ders./Pross /Wildgruber (Hg.), Szenographien, S. 11–32, hier: S. 14. Vgl. auch ders., Die Instanz der Szene im Denken

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der Sprache. Argument und Kategorie der ›Theatralität‹ in der Literaturwissenschaft, in: Fischer-Lichte et al. (Hg.), Theatralität, S. 139–197. Vgl. als nur ein Beispiel Gerhard Neumann, Die Welt im Fenster. Erkennungs­ szenen in der Literatur, in: Hofmannsthal Jahrbuch. Zur Europäischen Mo­ derne 18 (2010), S. 215–257. Daneben gibt es ›Wahrnehmungsszenen‹ und ein­ ige mehr. Vgl. dazu Harald Haarmann, Das Rätsel der Donauzivilisation: Die Entdeck­ ung der ältesten Hochkultur Europas, München (2012). Vilém Flusser, Die kodifizierte Welt (1978), in: ders., Schrif‌ten Bd. 1: Lob der Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie der Medien, hg. v. S. Bollmann u. E. Flusser, Bensheim / Düsseldorf (1993), S. 63–70, hier: S. 66. José Ortega y Gasset, Notizen einer Sommerfahrt: Die Schatten des Zauber­ stöckchens (1925), in: ders., Signale unserer Zeit. Essais, Salzburg (o. J.), S. 9–56, hier: S. 52. José Ortega y Gasset, Der Mensch und die Leute. Nachlasswerk, Stuttgart (1957), S. 110. Flusser, Welt, in: ders., Schrif‌ten Bd. 1, S. 67. Flusser, Welt, in: ders., Schrif‌ten Bd. 1, S. 68. Vilém Flusser, Angenommen. Eine Szenenfolge, Göttingen (1989), S. 83. Flusser, Welt, in: ders., Schrif‌ten Bd. 1, S. 69. Vgl. auch Ossip K. Flechtheim, Der Kampf um die Zukunft. Grundlagen der Futurologie, Bonn /Berlin (1980). Vgl. H. Lübbe, Zukunftsverhältnisse, in: ders., Zeit-Verhältnisse. Zur Kulturphilosophie des Fortschritts, Graz (1983), S. 33–48, hier: S. 34. Vgl. auch Stanislaw Lem, Phantastik und Futurologie I u. II (1964), Frankfurt/M. (1984). Vgl. H. Kahn /A. J. Wiener, The Year 2000: A Framework for Speculation on the Next 33 Years, Toronto (1967). Flusser, Angenommen, S. 9. Flusser, Angenommen, S. 8. Flusser, Angenommen, S. 7f. Vilém Flusser, Kommunikologie weiter denken. Die Bochumer Vorlesungen 1991, Frankfurt/M. (2009), S. 225. Jules Buchholtz, Was ist aus der Zukunft geworden? Wissen und Wahrheit im Szenario. Vortrag, gehalten am 26.  9.  2014 auf dem 12. Kongress der Ge­sellschaft für Theaterwissenschaft ›Episteme des Theaters‹, unveröffentl. Typo­ skript, S. 2f. [meine Paginierung, H. C.]. Flusser, Kommunikologie, S. 175. Flusser, Kommunikologie, S. 165. Flusser, Kommunikologie, S. 99. Vilém Flusser, Umbruch der menschlichen Beziehungen? (1973–74), in: ders., Schrif‌ten Bd. 4: Kommunikologie, hg. v. S. Bollmann u. E. Flusser, Mannheim (1996), S. 7–231, hier: S. 18f.

Anmerkungen

50 Flusser, Umbruch, in: ders., Schrif‌ten Bd. 4, S. 21. 51 Vilém Flusser, Vorlesungen zur Kommunikologie (1977), in: ders., Schrif‌ten Bd. 4, S. 233–351, hier: S. 282f. 52 Vilém Flusser, Gesten. Versuch einer Phänomenologie, Düsseldorf (1991), S. 137f. 53 Flusser, Vorlesungen, in: ders., Schrif‌ten Bd. 4, S. 280f. 54 Vilém Flusser, ›Wie schön sind deine Zelte, Jakob‹ (1990), in: ders., Von der Frei­heit des Migranten. Einsprüche gegen den Nationalismus, Berlin /Wien (2007), S. 71–77, hier: S. 72 u. 74f.

Postskriptum Zwei umfangreiche und wichtige Monografien erschienen unmittelbar nach Fertigstellung des Typoskripts und konnten leider nicht mehr berücksichtigt werden. Ich möchte dennoch nicht versäumen, auf Ralf Bohns ›Hermeneutik der Szene‹ und Francesco Casettis ›The Lumière Galaxy‹ wenigstens hinzuweisen.

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Literatur (Auswahl) Alewyn, Richard: Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste (1959), München (1985). Alföldi, Andreas: Die Geschichte des Throntabernakels, in: Nouvelle Clio, Nr. 1/2 (1950), S. 537–566. Alföldi, Andreas: Gewaltherrscher und Theaterkönig. Die Auseinandersetzung ei­ner attischen Ideenprägung mit persischen Repräsentationsformen im politischen Denken und in der Kunst bis zur Schwelle des Mittelalters, in: Kurt Weitzmann (Hg.), Late Classical and Mediaeval Studies in honor of Albert Mathias Freind, Princeton/N. J. (1955), S. 15–55. Barnouw, Erik: The Magician and the Cinema, New York/Oxford (1981). Bataille, Georges: Die Höhlenbilder von Lascaux oder die Geburt der Kunst (1955), Zürich (1985). Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik (1750 –58), übers., mit einer Einführung, Anmerkungen und Registern hg. v. Dagmar Mirbach, Bd. 1, Lateinisch – Deutsch, Hamburg (2007) Baumgarten, Alexander Gottlieb: Metaphysik (1739), ins Deutsche übers. v. Georg Friedrich Meier (1766). Nach dem Text der 2., von Johann August Eberhard besorgten Ausgabe 1783. Mit einer Einführung, einer Konkordanz und einer Bibliographie der Werke, Jena (2004). Bemmann, Johannes: Die Bühnenbeleuchtung vom geistlichen Spiel bis zur frühen Oper als Mittel künstlerischer Illusion, Weida i. Thür. (1933). Bilz, Rudolf: Pars pro toto. Ein Beitrag zur Pathologie menschlicher Affekte und Organfunktionen, Leipzig (1940). von Blanckenburg, Friedrich: Versuch über den Roman. Faksimiledruck der Originalausgabe von 1774, Nachwort v. Eberhard Lämmert, Stuttgart (1965). Borchardt, Rudolf: Das Gespräch über die Formen und Platons Lysis deutsch (1905), Stuttgart (1987). Bosse, Heinrich: Geschichten, in: ders./Ursula Renner (Hg.), Literaturwissenschaft. Einführung in ein Sprachspiel, Freiburg/Br. (1999), S. 299–320.

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Literatur

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Schapp, Wilhelm: Philosophie der Geschichten, Leer/Ostfriesland (1959). Schivelbusch, Wolfgang: Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert (1977), Frankfurt/M. (1989). Schivelbusch, Wolfgang: Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert (1983), Frankfurt/M. (1986). Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frank­ furt/M. / New York (1992), 8. Aufl. (2000), S. 459–494. Tikkanen, Johan Jakob: Die Beinstellungen in der Kunstgeschichte, Helsingfors (1912). Tkaczyk, Viktoria: Himmels-Falten. Zur Theatralität des Fliegens in der Frühen Neu­zeit, München (2011). von Uexküll, Jakob: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen: Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten, Berlin (1934). von  Uexküll, Jakob: Umwelt und Innenwelt der Tiere (1909), 2. verm. u. verb. Aufl., Berlin (1921). Vogel, Juliane  /Christopher Wild (Hg.): Auf‌treten.Wege auf die Bühne, Berlin (2014). Vogel, Juliane: Die Furie und das Gesetz. Zur Dramaturgie der ›großen Szene‹ in der Tragödie des 19. Jahrhunderts ( = Reihe Litterae,  Bd. 94 ), Freiburg/Br. (2002). von Weizsäcker, Viktor: Der Arzt und der Kranke (1926), in: ders., Gesammelte Schriften Bd. 5, Frankfurt/M. (1987), S. 9–26. von Weizsäcker, Viktor: Die Schmerzen. Stücke einer medizinischen Anthropolo­ gie, in: Die Kreatur. Eine Zeitschrift / Viermal im Jahr erscheinend / hg. v. M. Buber, J. Wittig, V. v. Weizsäcker, 1. Jg. (1926/27), S. 315–335. Werntgen, Cai (Hg.), Szenen des Heiligen. Vortragsreihe in der Hamburger Kunst­ halle, Berlin (2011). Wilharm, Heiner: Die Ordnung der Inszenierung, Bielefeld (2015). Wirth, Sabine: To interface (a Computer). Aspekte einer Mediengeschichte der Zei­­ ge­flächen, in: Fabian Göppelsröder /Martin Beck (Hg.), Sichtbarkeiten 2: Prä­­ sen­­t­ifizieren. Zeigen zwischen Körper, Bild und Sprache, Zürich / Berlin (2014), S. 153–168.

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Literatur

Namenregister Aarne, Antti  154 Abramovic, Marina  240 Adorno, Theodor W.  21 Aischylos  56 f. Alberti, Leon Battista  62 Alföldi, Andreas  57–59 Anderson, Benedict  35 Appia, Adolphe  103 von Ardenne, Manfred  91 Aristophanes 70 Aristoteles  22  f., 131, 160

Brecht, Bertolt  51, 84, 100, 103, 111–126, 194 f., 241 Broneer, Oscar  58 Bronnen, Arnolt  51 f., 111–119 Buber, Martin  139 Bultmann, Rudolf  147, 151, 156 f., 185

von Baer, Karl Ernst  201 Bain, Alexander  90 Baird, John Logie  91 f. Balász, Béla  190 Barthes, Roland  23, 100, 241 f. Bataille, Georges  50 Baumgarten, Alexander Gottlieb  76 f., 223, 245 Benjamin, Walter  15, 87, 109, 121, 139, 152 Bergson, Henri  143 Bilz, Rudolf  195, 207–217, 220, 235 Blackwell, Thomas  151 Blair, Hugh  151 von Blanckenburg, Friedrich  80 Blumenberg, Hans  50, 140 Böckmann, Paul  185, 196–198 Borchardt, Rudolf  137, 141 f., 158, 187 Braun, Ferdinand  97

Caillois, Roger  32 Calderón de la Barca, Pedro  71 f. Cassirer, Ernst  196 Ceram, C. W.  85 de Certeau, Michel  53 de Cervantes, Miguel  72 Chamberlain, Stewart  103 Chaplin, Charlie  114 f. Charcot, Jean-Martin  48 Chauvet, Jean-Marie  43 Cicero 76 Corneille, Pierre  75 Dahrendorf, Ralf  227 f. Diamond, Jared  44 Dibelius, Martin  151, 156, 162 Dickens, Charles  82, 85 Dilthey, Wilhelm  138 Doyle, Arthur Conan  114 Driesch, Hans  31, 203 f., 207, 210, 216 f. Dudow, Slatan  111 Dühring, Eugen  193 von Ehrenfels, Christian  202 f., 210 Ernesti, Johann August  147

Namenregister

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Farnsworth, Philo Taylor  91 Fascher, Erich  156 Fechner, Theodor  200 Ferenczi, Sándor  220 Fischer, Eugen Kurt  164 f. Flechtheim, Ossip K.  248 Flemming, Willi  72 Fließ, Wilhelm  47 Florenski, Pawel A.  139 Flusser, Vilém  54, 244–256 Fontane, Theodor  82 Forster, Rudolf  119 Foucault, Michel  86 Frese, Jürgen  38, 39 Freud, Sigmund  44–52, 123, 193, 209 f., 216, 218–220, 223 Freyer, Hans  11, 227

Heidegger, Martin  140, 199 von Helmholtz, Hermann  186, 193, 200 Herder, Johann Gottfried  158 Herzog, Werner  43 f. Heusler, Andreas  188 Hoffmann, E. T. A.  84 Homer 61 Husserl, Edmund  37, 135 f.

Gad, Urban  113 Galeen, Henrik  113 Genée, Rudolph  79 von Goethe, Johann Wolfgang  77 Goffman, Erving  227 f., 238 Gorki, Maxim  108 Gottow, John  113 Gottsched, Johann Christoph  222 Grabbe, Christian Dietrich  95 f., 117 Greimas, Algirdas J.  242 Greßmann, Hugo  151, 158 Grimm, Wilhelm und Jacob  153, 163, 222 Gropius, Walter  102 Großmann, Stephan  113 f. Gryphius, Andreas  65, 70, 74, 222 Gunkel, Hermann  147, 151, 156 f., 161, 185, 188 Gunning, Tom  24 Haecker, Theodor  163 Handke, Peter  125 Harms, Rudolf  31–33 von Harnack, Adolf  150, 157, 162, 186 Hebbel, Friedrich  118

308

Jakobson, Roman  19, 242 Janet, Pierre  48 Jessner, Leopold  102 Jolles, André  19, 31, 99, 103, 155, 158 f., 185, 192, 196 Jung, Carl Gustav  220 Jünger, Ernst und Friedrich Georg  51, 217 Kafka, Franz  189 Kant, Immanuel  77 Kindermann, Heinz  73 Kircher, Athanasius  62 Kittler, Friedrich  84, 91, 101 Köhler, Erich  198 Kortner, Fritz  118 Kracauer, Siegfried  109 Kurosawa, Akira  70 Lang, Franciscus  67–69, 72 Lang, Fritz  118 Lanzmann, Claude  229–234 Lazarus, Moritz  154 Legendre, Pierre  26, 54 Lem, Stanislaw  248 Leroi-Gourhan, André  49 Lévi-Strauss, Claude  49, 242 Linton, Ralph  228 Lipps, Hans  37 f., 139, 219 von Lohenstein, Caspar  74 Lorenzer, Alfred  216–221 Lotman, Juri M.  81 Löwith, Karl  228

Namenregister

Lowth, Robert  151 Lübbe, Hermann  248, 252 Lubitsch, Ernst  96 Lumière, Louis und Auguste  107, 109 f., 208

Pausanias 55 Peterson, Erik  162 f. Petsch, Robert  157–159, 183–196, 212 f., 215 f., 221 Pic, Roger  100 Piscator, Erwin  102 Platon  142, 207 Plautus 70 Plessner, Helmut  88, 227 Plutarch 55 Popitz, Heinrich  227 della Porta, Giambattista  62 Postman, Neil  199

Mannhardt, Wilhelm  154 Mann, Thomas  223 Marey, Étienne-Jules  206, 208 Marlowe, Christopher  62 f. McLuhan, Marshall  11, 199 Mead, George Herbert  228 Meier, John  79, 164 f. Mejerchold, Vsevolod E.  102 Méliès, Georges  96, 104 f. Meyer-Abich, Adolf  199 Meyrink, Gustav  113 von Mihály, Dénes  91 Mitscherlich, Alexander  216–218 Molière  65, 73 Moreno, Jacob Levy  228 Murnau, Friedrich Wilhelm  191 Musil, Robert  193

Quintilian 76

Nadler, Josef  184 Nancy, Jean-Luc  56 Naumann, Hans  79, 184, 189 Niekisch, Ernst  217 Nietzsche, Friedrich  138, 142–144, 157 f., 186 f., 193, 228 Nipkow, Paul  90–97 Norden, Eduard  149–151 Oettermann, Stephan  85 Olrik, Axel  154, 156 Ortega y Gasset, José  44, 127, 136–143, 145 f., 187, 196, 199, 219, 245 Oswald, Richard  113 f. Otto, Rudolf  58 Overbeck, Franz  150, 157, 187 Pabst, Georg Wilhelm  111 Pacquet, Alfons  102

Raabe, Wilhelm  82 Rancière, Jacques  101 f. Rathenau, Walter  41 Reinhardt, Max  61, 96 Reitz, Edgar  30 f. Riehl, Wilhelm Heinrich  153 Ripa, Cesare  72 Rosenstock, Eugen  33, 139 Rosenzweig, Franz  139 Rousseau, Jean-Jacques  200 Rowohlt, Ernst  113 Rutschky, Michael  227 Ruttmann, Walter  111 Sadoul, Georges  105, 110 Sauer, August  184 von Savigny, Friedrich Carl  163 f. Schapp, Wilhelm  8, 37 f. Schenda, Rudolf  81 Schiller, Friedrich  62, 99, 208 Schivelbusch, Wolfgang  87, 89 Schleiermacher, Friedrich  147 Schmitt, Carl  26, 40, 160–163, 189 Schwarz, Hermann  135 Scott, Walter  82, 86 Senlecq, Constantin  90 Shakespeare, William  63, 66, 105, 130

Namenregister

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Abbé Sieyès  223 Simmel, Georg  138, 228, 230 Simonides 131 Skladanowsky, Max und Emil  62 Sloterdijk, Peter  19 Smend, Rudolf  163 Sobchack, Vivian  109 Sohm, Rudolph  186 Sontag, Susan  106, 109 Steinthal, Heyman  154 Stendhal 233 Strindberg, August  95–97, 118 Sue, Eugène  81 f., 86 Swinton-Campbell, Alan Archibald  91 Taut, Bruno  114 Tessenow, Heinrich  103 Thoms, William John  153 von Treitschke, Heinrich  157, 188 Turner, Victor  238 von Uexküll, Jakob  10, 103, 199–217, 221 Valentin, Karl  111, 114 Vietta, Egon  26 da Vinci, Leonardo  62 Virchow, Rudolf  186 Virilio, Paul  101 Volkelt, Johannes  31 Wagner, Richard  101, 103 Weber, Ernst Heinrich  200 von Weizsäcker, Viktor  209–211, 216 f., 220 f. Wellhausen, Julius  151 Williams, Raymond  96 Wittgenstein, Ludwig  134, 136 Wossidlo, Richard  159 Zweig, Arnold  195, 215 Zworykin, Vladimir  91

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Namenregister

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Paul Bode, Kinos, München (1957), S.  104. © Verlag Georg D.  W.  Call­­­­wey, München. Abb. 2: Sigmund Freud, Zwei Krankengeschichten, Frankfurt/M. (1996), S. 155. Abb. 3: Der Wächter – Ostia Antica 1984, © Ruth Walz. Veröffentlicht in: Bernd Sei­den­sticker (Hg.), Die Orestie des Aischylos, übers. v. Peter Stein, München (1997), S. 15. Abb. 4: Johann Rudolf Schellenberg (1740–1806), Kupferstich, ca. 1780 o. T., mit An­gabe »p. 85«; Kupferstichkabinett SMB/SPK Inv. 382–130. © bpk. Abb. 5: Johannes De Witt, Zeichnung des Swan Theatre London (1596), aus: Karl Theodor Gaedertz, Zur Kenntniß der altenglischen Bühne nebst an­dern Beiträgen zur Shakespeare-Litteratur, Bremen (1888), S. 14. Original in der Bib­l io­­thek der Universität Utrecht, Niederlande. Abb. 6: Fabrizio Carini Motta, Construzione de Teatri e Machine Teatrali (1688), Tab. 4, 5, 6, 7, aus: Viktoria Traczyk, Himmels-Falten, München (2011), S.  209. © Wilhelm Fink Verlag München. Original des unveröffentlichten Manu­skripts von Motta in der Biblioteca Estense, Modena, Italien. Abb. 7: Franz Lang: Abhandlung über die Schauspielkunst [Dissertatio de Actione Scenica], München (1727), Fig. III, IV, IV[=VI], VIII, aus dem Nach­druck übers. und hg. von Alexander Rudin, Bern/München (1975), S. 29 ff. Abb. 8: Foto des Bänkelsängers Ernst Becker aus: Uwe Meiners (Hg.), Ein Künst­ lerle­ben im Biedermeier, Jever (1991), S. 48. © Schlossmuseum Jever. Abb. 9: Eduard Rhein, Wunder der Wellen, Berlin (1935), S. 227. Illustration: Hel­mut Zimmermann. Abb. 10: Baird demonstrating his television. Coloured photograph of the Scot­tish engineer John Logie Baird (1888–1946) Original photograph published in Television (Dinsdale, 1928). Dinsdale, A., ed. (November 1928). © AKG. Abb. 11: André Jolles, Von Schiller zur Gemeinschaftsbühne, Leipzig (1919), S. 63. Abb. 12: Foto aus einer Berliner Tageszeitung, Februar 1926, von: www.alfonspa quet.de/galerie/g12_Sturmflut01.html. Abb. 13: Rudolf Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göt­­tingen (1921), S. 9. © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Abb. 14: Julius Schnorr von Carolsfeld: Die Bibel in Bildern, Leipzig (1860), S. 233. Abb. 15: Filmstill aus dem Kinderfilm »Dornröschen«, DDR 1971, Regie: Walter Beck. © DEFA-Stiftung. Abb. 16: Filmstill aus dem Dokumentarfilm »Schlagwörter/Schlagbilder« von Harun Farocki, BRD 1986. © Harun Farocki GbR.

Abbildungen

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Danksagung Ich möchte den Kolleginnen und Kollegen danken, die es auf sich genommen haben, das Manuskript oder Teile davon zu lesen und zu kommentieren. Drei von ihnen haben die ersten Entwürfe so gründlich gelesen und so behutsam kritisiert, dass ich den Mut nicht verlor, es mit dem Buch weiter und eigentlich wieder neu zu versuchen: Stefanie Diekmann (Hildesheim), Knut-Martin Stünkel (Bochum) und Joel Lande (Princeton) gehört mein ganz besonderer Dank. In einer späteren Phase haben Nikolaus Wegmann (Princeton), Judith Pietreck (Berlin), Kai Steffen Knörr (Potsdam) und Luis Muniz (Köln) mich noch einmal vor alten Fehlern bewahrt. Dafür, dass ich stattdessen neue beging, können sie nichts. Ruth Mayer (Hannover) hat mir großzügig das Typoskript eines noch ungedruckten Vortrags zur Verfügung gestellt, der es mir erlaubte, auf meine eigene Sache gegen Ende noch einmal einen fremden Blick zu werfen. Jules Buchholtz (Hamburg) gönnte mir sogar – mit demselben Effekt – Ein­ blicke in ihre noch unveröffentlichte Dissertation zum ›Szenario‹. Einzelne wertvolle Hinweise gaben mir in Potsdam Jan Distelmeyer, Daniela Döring, Julian Drews, David Duck, Winfried Gerling, Andreas Müller, Ulrich Richtmeyer, Harald Sack, Jochen Zehner und Rüdiger Zill. Aus dem vertrauten Köln halfen Dietz Bering und Wilhelm Voßkamp. Joshua Ben Klein, Anna Rittinghausen und Katja Zanger unterstützten mich bei der Beschaffung von Texten und Bildern. Katharina Weber (Berlin) und Alena Braun (Potsdam) sorgten für unzählige stilistische Bereinigungen, Hans Kannewitz (Berlin) brachte das Ganze in Form. Für inhaltliche und praktische Hilfestellungen danke ich schließlich Matthias Bickenbach (Köln), Markus Krajewski (Basel), Philipp Theisohn (Zürich) und Josef Ulbig (Berlin). Potsdam, Frühjahr 2015

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