Roms orientalische Steppengrenze: Palmyra – Edessa – Dura-Europos – Hatra. Eine Kulturgeschichte von Pompeius bis Diocletian 3515116818, 9783515116817

Die Levante, eine Zone politischer, kultureller und ethnischer Fragmentierung, schuf stets Konfliktstoff im Übermaß – que

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German Pages 464 [466] Year 2018

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Table of contents :
INHALT
VORWORT
PROLOG
I. EINLEITUNG
Übergänge
Zeitgeist – Reichsgeschichte – Regionalgeschichte
Paradigmenwechsel: Globalisierung, Créolité – oder doch Romanisierung?
Der römische Orient: Prämissen für eine Geschichte der Steppengrenze
II. VOM ORONTES BIS ZUM TIGRIS
Grenzen
Formenwandel: Großräumige Prägungen des Landschaftsbildes
Großlandschaften
Wasser
Anthropogene Veränderungen
III. MACHT
Herrschaft
Imperium
Frontier
Ausgangssituation: Rom und die hellenistischen Staaten
Direkte und indirekte Herrschaft: Stratigraphie der Macht an der Steppengrenze
Rom und Iran: Konfrontation und Koexistenz an der Frontier
IV. INSTITUTIONEN
Polis
Subsistenz und globale Verflechtung: Von der Konsumenten- zur Produzentenstadt
Stadt – Kulturland – Steppe: Integrierte Stammesgesellschaften
V. KULTURELLE IDENTITÄTEN
Zeichen und symbolische Sinnwelten
Große Tradition – Kleine Tradition: Akkulturation in asymmetrischen Machtbeziehungen
Gebaute Umwelt
Sprache
Religion: Ritual und Mythos
Sakrale Topographie: Die Biqāʿ-Ebene in der frühen Kaiserzeit
Herrscherkult
VI. PALMYRA UND DIE SYRISCHE WÜSTE
Das Venedig im Wüstensand
Tadmur – Palmyra: Ein rasanter Aufstieg
Odainat und Zenobia: Palmyras Griff nach der Weltmacht
»Cité grecque«?
Zwischen Stadt und Stamm: Die Palmyrener und ihre Kulte
Monumentalisierte Rivalität: Die Nekropolen und ihr Ort im patrimonialen Sozialgefüge
Von Indien nach Palmyra: Der Fernhandel und seine Organisation
Šoʿadū, Yarḥai, Odainat: Palmyras Elite im Wandel
VII. EDESSA UND OSRHOENE
Von der makedonischen Kolonie zur römischen colonia
Zwischen Tradition und Innovation: Edessas Weg ins römische Imperium
Osrhoene in den Vertragsurkunden aus Dura-Europos und vom mittleren Euphrat: Dokumente einer Zeitenwende?
VIII. DURA-EUROPOS UND DER MITTLERE EUPHRAT
›Das Pompeji des Orients‹: Archäologie eines Mittelzentrums im römisch-parthischen Grenzland
Going local: Dura-Europos unter Seleukiden und Parthern
Unter dem Adler: Der mittlere Euphrat als Militärgrenze
Grenzgänger des Rechts
Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit: Wandbilder und ihr sakraler Kontext
IX. HATRA UND DAS ›KÖNIGREICH DER ARABER‹
Die runde Stadt: Hatras materielle Kultur
Vom nomadischen Lagerplatz zur Stadt des Sonnengottes
Das ›Königreich der Araber‹ und die großen Mächte
Hatra als religiöses und kommerzielles Zentrum
Hatra und die Steppengrenze
X. SCHLUSS: DIE ROMANISIERUNG DER STEPPENGRENZE
Eine imperiale Alternative?
Firnis?
Romanisierung
Integration
LITERATURVERZEICHNIS
Quellenregister
Ortsregister
Personenregister
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Roms orientalische Steppengrenze: Palmyra – Edessa – Dura-Europos – Hatra. Eine Kulturgeschichte von Pompeius bis Diocletian
 3515116818, 9783515116817

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Michael Sommer

Roms orientalische Steppengrenze Palmyra – Edessa – Dura-Europos – Hatra. Eine Kulturgeschichte von Pompeius bis Diocletian

Alte Geschichte Franz Steiner Verlag

Michael Sommer Roms orientalische Steppengrenze

Michael Sommer

Roms orientalische Steppengrenze Palmyra – Edessa – Dura-Europos – Hatra. Eine Kulturgeschichte von Pompeius bis Diocletian

2., vollständig überarbeitete Auflage

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: Sculpture of a dead woman © Arkady Chubykin/stock.adobe.com (Bild Nr. 73688158)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. 2., vollständig überarbeitete Auflage, Stuttgart 2018 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2005 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11681-7 (Print) ISBN 978-3-515-11683-1 (E-Book)

INHALT Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Prolog

11

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übergänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitgeist – Reichsgeschichte – Regionalgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paradigmenwechsel: Globalisierung, Créolité – oder doch Romanisierung? . . . Der römische Orient: Prämissen für eine Geschichte der Steppengrenze . . . . . .

15 15 17 25 30

II. Vom Orontes bis zum Tigris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37 37 38 40 46 49

Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formenwandel: Großräumige Prägungen des Landschaftsbildes . . . . . . . . . . . . . Großlandschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anthropogene Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III. Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Imperium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frontier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgangssituation: Rom und die hellenistischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Direkte und indirekte Herrschaft: Stratigraphie der Macht an der Steppengrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rom und Iran: Konfrontation und Koexistenz an der Frontier . . . . . . . . . . . . . .

IV. Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Polis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subsistenz und globale Verflechtung: Von der Konsumenten- zur Produzentenstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stadt – Kulturland – Steppe: Integrierte Stammesgesellschaften . . . . . . . . . . . . .

53 53 55 58 62 65 74 87 87 96 103

6 · Inhalt

V. Kulturelle Identitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeichen und symbolische Sinnwelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Große Tradition – Kleine Tradition: Akkulturation in asymmetrischen Machtbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebaute Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Religion: Ritual und Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sakrale Topographie: Die Biqāʿ-Ebene in der frühen Kaiserzeit . . . . . . . . . . . . . Herrscherkult . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VI. Palmyra und die Syrische Wüste . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Venedig im Wüstensand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tadmur – Palmyra: Ein rasanter Aufstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Odainat und Zenobia: Palmyras Griff nach der Weltmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . »Cité grecque«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Stadt und Stamm: Die Palmyrener und ihre Kulte . . . . . . . . . . . . . . . . Monumentalisierte Rivalität: Die Nekropolen und ihr Ort im patrimonialen Sozialgefüge . . . . . . . . . . . . . . . . Von Indien nach Palmyra: Der Fernhandel und seine Organisation . . . . . . . . . . Šoʿadū, Yarḥai, Odainat: Palmyras Elite im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII. Edessa und Osrhoene

107 107 111 118 123 131 136 140 145 146 155 164 175 187 196 205 215

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der makedonischen Kolonie zur römischen colonia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Tradition und Innovation: Edessas Weg ins römische Imperium . . . . Osrhoene in den Vertragsurkunden aus Dura-Europos und vom mittleren Euphrat: Dokumente einer Zeitenwende? . . . . . . . . . . . . . . .

227 230 252

VIII. Dura-Europos und der mittlere Euphrat .

273

›Das Pompeji des Orients‹: Archäologie eines Mittelzentrums im römisch-parthischen Grenzland . . . . . . . Going local: Dura-Europos unter Seleukiden und Parthern . . . . . . . . . . . . . . . . . Unter dem Adler: Der mittlere Euphrat als Militärgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzgänger des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit: Wandbilder und ihr sakraler Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX. Hatra und das ›Königreich der Araber‹

. . . . . Die runde Stadt: Hatras materielle Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom nomadischen Lagerplatz zur Stadt des Sonnengottes . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259

274 297 310 321 335 361 362 373

Inhalt · 7 Das ›Königreich der Araber‹ und die großen Mächte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hatra als religiöses und kommerzielles Zentrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hatra und die Steppengrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

X. Schluss: Die Romanisierung der Steppengrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

380 388 392

Eine imperiale Alternative? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Firnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Romanisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

395 395 396 398 402

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

407

Quellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

453

OrtsRegister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

457

Personenregister

461

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VORWORT Vor wenigen Monaten bekundete der Franz Steiner Verlag sein Interesse, meine Habilitationsschrift Roms orientalische Steppengrenze in zweiter Auflage herauszugeben . Das Ansinnen ist bemerkenswert, und das gleich in doppelter Hinsicht: Erstens widerfährt diese Ehre Qualifikationsarbeiten, die ja normalerweise in kaum wahrnehmbaren Auflagen erscheinen, höchst selten . Zweitens, und das ist vielleicht noch wichtiger, galt die geographische wie chronologische Grauzone zwischen ›Altem‹ Orient und ›klassischer‹ Antike selbst noch vor einem Jahrzehnt im deutschsprachigen Raum als ein Thema, mit dem man sich als Althistoriker leicht ins akademische Abseits katapultieren konnte . Dass sie das nicht mehr ist, verdankt sich dem Engagement eines wachsenden Kreises innerhalb der Fachgemeinde, ohne den die Levante, aus althistorischer Sicht, ein unentdecktes Land geblieben wäre . Syrien und Mesopotamien sind heute fest im kollektiven Bewusstsein der disziplinären Öffentlichkeit verankert, wie die Fülle der Publikationen beweist, die seit der ersten Auflage dieses Buches erschienen ist . Die Region, auch ihr kulturelles und gerade antikes Erbe, ist zugleich in den Gesichtskreis einer breiteren Öffentlichkeit gerückt . Der Grund dafür liegt in den politischen Konvulsionen, die fast alle Länder des Vorderen Orients seit dem sogenannten Arabischen Frühling heimgesucht haben . Das mediale Echo auf die Verwüstungen, die längst nicht nur die Terrormilizen des ›Islamischen Staates‹ in Syrien und im Irak angerichtet haben, traf überall in Europa auf Menschen, die kaum etwas über Orte wie Palmyra, Apameia oder Hatra wussten . Im Schulunterricht findet Antike jenseits von Athen und Rom kaum statt, und wer nicht das Glück hatte, Bildungsreisen nach Syrien oder in den Irak unternommen zu haben, hatte bis vor relativ kurzer Zeit kaum Möglichkeiten, sich über einen Raum zu informieren, der auch für die europäische Geschichte genauso bedeutsam ist wie Griechenland oder Italien . Das hat sich zum Glück geändert . Und auch die Wahrnehmung vieler Altertumswissenschaftler hat sich gewandelt . Sie haben gelernt, ihren Blick auf andere Regionen zu richten als das Mittelmeer und ihre mentale Karte neu zu zentrieren: auf Persien zum Beispiel, auf die Steppen Südrusslands, die Sahara, das Horn von Afrika, das Rote Meer und, immer stärker, den Indischen Ozean als große Drehscheibe des schon quasi-globalen Fernhandels in den ersten 300 Jahren unserer Zeitrechnung . Mit Netzwerken und Landschaftsräumen entdecken sie neue Paradigmen, die bis dato verborgene Zusammenhänge offenlegen . Ich durfte an mehreren dieser aufregenden Entwicklungen teilhaben .

10 · Vorwort Zu verdanken ist das vor allem vielen Freunden und Kollegen, die umtriebig dafür gesorgt haben, dass Wissenschaftler mit unterschiedlichen Erfahrungen und Interessensgebieten zusammenkommen, um sich auf die große intellektuelle Reise zu neuen, nicht eurozentrisch verengten Ufern zu begeben . Sie haben bewiesen, dass Netzwerke auch heute noch eine große Wirkung entfalten . Von den vielen Kollegen, von denen zu lernen ich in den letzten Jahren das Glück hatte, möchte ich nur Ted Kaizer, Eivind Heldaas Seland und Miguel John Versluys nennen . Sie haben mir für so vieles die Augen geöffnet, dass es nicht in Worte zu fassen ist . Verpflichtet ist das Buch noch immer mehr als jedem anderen Fergus Millar, der vor über 25 Jahren der Zunft bewies, wie lohnend es ist, sich mit dem römischen Orient zu befassen . Fergus Millar sowie Marlies Heinz und Hans-Joachim Gehrke wirkten 2005 als Gutachter der Habilitationsschrift . Sie halfen mir damals, so manchen Irrtum zu vermeiden . Gelernt habe ich aber auch von vielen anderen, deren Forschung seit dem ersten Erscheinen dieses Buches unser Wissen über die Steppengrenze beträchtlich vermehrt hat . Hoffen kann ich nur, dass sich möglichst viel davon in dieser Neuauflage wiederfindet und dass sie vor denen bestehen kann, denen sie alles verdankt . Dass große Teile dieses Buches völlig umgeschrieben werden mussten, ist weder überraschend noch bedauerlich . Auch wenn die Arbeit an der Neuauflage ein anfangs völlig unterschätzter Kraftakt war, habe ich es nicht bereut, die Steppengrenze einer Generalüberholung unterzogen zu haben, statt nur das vom Verlag vorgesehene Nachwort zu schreiben . Ich habe mich bemüht, Fehler zu korrigieren und dem rasanten Wissenszuwachs der letzten Jahre Rechnung zu tragen . Da, wo ich es für nötig hielt, habe ich Urteile und Bewertungen neu justiert . Statt des Quellenanhangs, den ich für verzichtbar hielt, verfügt die Neuausgabe über ein Quellenregister . Ganz herzlich danke ich Susanne Henkel vom Steiner-Verlag, auf deren Anregung die Neuauflage zurückgeht, und meinem Freund Alfred Klemm sowie Julia Aparicio Vogl, die Lektorat und Umbruch besorgten . Die Register erstellte Peter von Danckelman . Wenn dieses Buch nicht mehr den zweifelhaften Charme der Do-it-yourself-Herstellung versprüht, verdankt es das ihrem kundigen Wirken .

PROLO G Roms Kaiser lebten gefährlich im 3 . Jahrhundert n . Chr . Viele von ihnen nahmen ein schreckliches, gewaltsames Ende . Sie versanken in den Sümpfen des Balkans, siechten in der Glut Mesopotamiens dahin oder wurden kurzerhand von ihren eigenen Soldaten erschlagen . Ein unter diesen Umständen vielleicht durchschnittlich grausiges Schicksal ereilte den noch jugendlichen Bassianus Avitus, besser bekannt unter dem Namen des syrischen Gottes, dem er als Priester diente: Elagabal . Er wurde im Prätorianerlager der Hauptstadt festgesetzt und auf einer Latrine niedergemacht, manche sagen, in den Armen seiner Mutter . Den Leichnam schleifte man durch die Straßen Roms, um ihn sodann, nach dem vergeblichen Versuch, ihn in einer Kloake zu versenken, in den Tiber zu werfen . Elagabal starb so, wie er gelebt hatte, als Archetypus des ›schlechten‹ Kaisers: ehrlos, weibisch, verkommen . Darüber, wer als ›guter‹ und wer als ›schlechter‹ Kaiser in die Geschichte Roms einging, befand die Geschichtsschreibung, die seit den Tagen der Republik fast exklusiv in senatorischer Hand war . Zur Charakterisierung des ›schlechten‹ Kaisers hatte die römische Historiographie ein über Jahrhunderte erprobtes Arsenal von Invektiven hervorgebracht . Feste Bestandteile kanonischer Tyrannentopik waren Hang zum Luxus, exzessives Sexualleben, Grausamkeit . Es sind genau dies die Versatzstücke, derer sich die ElagabalPorträts des bithynischen Senators Cassius Dio und der nicht gerade zum Zuverlässigsten antiker historiographischer Literatur zu rechnenden Historia Augusta bedienen . Elagabal war, schenkt man ihnen Glauben, ein schwachsinniger Wollüstling, die debile Brut des severischen Kaiserhauses: perverser als Commodus, exzentrischer als Nero, grausamer als Domitian, wahnsinniger als Caligula . Elagabal wäre, hätten wir nur diese beiden Porträts, nichts als ein weiteres Kapitel in der Geschichte pathologischer Fälle im Purpur, fleischgewordener Caesarenwahn und in seiner Substanz ein Konglomerat aus Stereotypen . Bemerkenswert ist allein das Elagabal-Bild Herodians . Der Verfasser von acht Büchern ›Zeitgeschichte‹, der unter den Gordianen schrieb, schildert am Rande auch sexuelle Perversionen und berserkerhafte Grausamkeit . Die nüchtern dargebrachten Notizen dienen aber nicht, wie die Berichte Dios und der Historia Augusta, der Befriedigung eines notorisch sensationslüsternen Publikums, auch nicht der Charakterisierung des jungen Kaisers als eines irren Imperators . Sie sind Bausteine einer narrativen Komposition, deren roter Faden die Religion des Emeseners ist . Herodians Elagabal ist, bei aller Verderbtheit, ein planvoll agierender Überzeugungstäter, der sich zielstrebig aus der Vormundschaft seiner

12 · Prolog Mutter und Großmutter befreit, in Rom Schritt für Schritt seinen heimatlichen Gott installiert und die römische Monarchie in ein Priesterkönigtum orientalischer Prägung zu verwandeln droht . Herodians Elagabal bleibt unverständlich ohne Wissen um die Kindheit des Kaisers, modern gesprochen, seine primäre Sozialisation als Priester im Elagabal-Tempel von Emesa . Mit der ersten Erwähnung des jungen Bassianus, noch bevor er als Usurpator gegen Macrinus antritt, befinden wir uns in Emesa, in jenem Tempel, in dem der nachmalige Potentat Priester war, und bei jenem Sonnengott, »den die Einheimischen verehren und in phönikischer Sprache Elaiagabalos nennen« .1 Dieses Emesa ist anders, ist nicht mit den Maßstäben griechisch-römischen Denkens zu messen, und seine Andersartigkeit äußert sich in der Religion, konkret: in der Verehrung eines Steines, nicht eines anthropomorphen Kultbildes . Anikonismus ist Chiffre für eine unüberwindliche kulturelle Kluft . Die »Barbarentracht«, die Herodian detailliert beschreibt, die exotische Anmut, die er dem jugendlichen Priester zugesteht, sie erhöhen nur die bedrohliche Befremdlichkeit des Anderen .2 Damit ist der Leser im Bilde: Bassianus-Elagabal kann, seiner Herkunft und seiner Bestimmung nach, kein Römer sein . Was immer der Baetyl, der im Tempel verehrt wurde, wirklich war, wie immer der Kult aussah, der dort praktiziert wurde: Für Herodian liegt die syrische Heimat des Kaisers hinter einer imaginären Demarkationslinie, unerreichbar für die kulturelle Sendung Roms . Die Demarkationslinie gewinnt an Kontur durch den direkten Vergleich mit Rom . Die Gegenüberstellung flicht Herodian ingeniös in seinen Handlungsstrang ein: Elagabal hat sich im Frühjahr 218 gegen Macrinus durchgesetzt, den folgenden Winter hat er in Nikomedeia verbracht, nun befindet er sich auf der Reise nach Rom . Bevor er den Bestimmungsort erreicht, lässt er – darauf bedacht, »dass der Senat und das Volk von Rom sich an seinen Anblick gewöhnten«3 – ein großes Bild von sich malen, es nach Rom voraussenden und in der curia über dem Viktoriaaltar anbringen . Größer könnte der Gegensatz kaum sein: das Bild des Kaisers in seiner »vollkommen barbarischen«4 Ausstaffierung über dem Allerheiligsten des römischen Senats, das noch im Zeichen der Christianisierung das Objekt eines erbitterten Rückzugsgefechts war . Kaum in Rom angekommen, macht sich Elagabal einer ganzen Serie religiöser Tabubrüche schuldig, die Herodian nüchtern schildert, nicht wie Dio und die Historia Augusta mit unverhohlenem Voyeurismus . Die Schilderung gewinnt stetig an Dynamik und kulminiert in einem regelrechten innerfamiliären Kulturkampf zwischen dem Kaiser und seiner Tante Iulia Mamaea, der Mutter des von ihm zum Caesar ernannten Alexianus . Gegenstand des Streits ist die Erziehung dieses jungen Mannes, der 222 als Severus Alexander selbst Kaiser werden soll . Als Elagabal auch aus seinem Cousin einen Priester 1 2 3 4

Herodian . 5,3,4 . Ebd ., 3,6f . Ebd ., 5,6 . Ebd ., 5,5 .

Prolog · 13 machen will, widersetzt sich Mamaea, entzieht den Knaben dem kaiserlichen Einfluss und stellt ihn unter die Obhut von Lehrern, die ihn, getreu dem Geist der παιδεία, in σώφροσις schulen, im Ringkampf trainieren und im Lateinischen wie Griechischen unterweisen sollen . Elagabal bekommt einen Wutanfall, entfernt die Lehrer vom Hof und betraut mit der Erziehung »Wagenlenker, Komödianten und Mimen« .5 Die Demarkationslinie ist nun in Rom angekommen, durchzieht den kaiserlichen Hof und trennt Elagabal von seinem Nachfolger Severus Alexander . Herodians Elagabal-Bild ist innovativ, ja revolutionär . Die Denkfigur einer kulturellen Scheidewand, die das Reich spaltet und παιδεία von Barbarei trennt, ist in der historiographischen Literatur Roms ohne Präzedenzfall . Dieser Elagabal ist in seiner irritierenden Fremdartigkeit, in seiner Anti-παιδεία, Herold eines Zeitalters, in dem die kulturelle Einheit des Mittelmeerraums, der Rom politisch Gestalt gegeben hatte, nichts als Fassade war . Die Figur verdichtet in sich die bösen Vorahnungen eines auf seine Bildung stolzen Griechen, dass der griechische Blick auf die Welt im Reich nicht alternativlos war, dass es kulturelle Gegenentwürfe gab, die eines Tages die von Hellas verkörperte Tradition als imperiale ›Leitkultur‹ ablösen würden . Noch freilich war dieser Tag nicht gekommen .

5

Ebd ., 7,7 .

I. EINLEITUNG Emesa, Elagabals Heimatstadt, liegt am Rand eines Gebiets, das die englischsprachige Forschung gern als Rome’s desert frontier bezeichnet . Der Begriff trifft es nicht ganz: Das Gebiet zwischen Orontes und Tigris, auf das er sich grob bezieht, ist keine ›Wüste‹ im strengen Sinne, kein vollkommen unfruchtbarer Landstrich, sondern eine Steppe, wo Landwirtschaft zwar kaum subsistenzsichernd, doch in bescheidenem Umfang immerhin möglich und dort, wo Wasser für künstliche Bewässerung zur Verfügung steht, sogar ausgesprochen ertragreich ist . Der Begriff ist, der leichten Unschärfe zum Trotz, glücklich gewählt . Roms ›Steppengrenze‹, wie sie hier heißen soll, prägen im Wesentlichen zwei Faktoren: notorische Wasserknappheit und die allmählichen, kaum merklichen Übergänge, wie sie charakteristisch sind für eine wandernde Siedlungs- und Eroberungsgrenze; Übergänge zwischen Kultur- und Nomadenland, zwischen verschiedenen politischen und kulturellen Formationen, zwischen ›Okzident‹ und ›Orient‹ .

Übergänge Übergänge sind Gegenstand dieses Buches, Übergänge in Raum und Zeit . Das Bild des geographischen Formenwandels, von den Bruchfaltengebirgen der Levante bis zu den Schwemmlandebenen Südmesopotamiens, bietet sich als idealtypische Blaupause auch für die Kulturgeschichte der Steppengrenze an: Eingebunden in größere Zusammenhänge und doch distinkt, strukturell vielgestaltig und doch unverkennbar eine Einheit, entzieht sich die Region in ihrer Ambivalenz jeder vorschnellen Etikettierung . Mit dem Land sind seine Bewohner nur schwer zu fassen . Die folgenden Kapitel fragen deshalb nach ökologischen Gegebenheiten, politischen und sozialen Institutionen, Strukturen sozialer Ungleichheit, Prägungen der longue durée in Kultur und Religion . Sie alle haben dem Leben an der Steppengrenze seinen Rhythmus gegeben . Zu den synchronen Übergängen des Raumes treten jene diachronen der Zeit . Die Jahrhunderte zwischen Augustus, dem Begründer des Prinzipats, und Diocletian, mit dem, wenigstens nach traditionellem Verständnis, eine Epoche zu Ende ging und eine neue begann, waren für Vorderasien im Allgemeinen und die Steppengrenze im Besonderen eine Epoche dynamischen Wandels, ja revolutionärer Umbrüche . Am Anfang der Entwicklung, um die Zeitenwende, stand ein in zahllose Territorien, kleine Königreiche, Phylar-

16 · I. EInlEItung chien und Tetrarchien, zersplittertes Machtvakuum, in das Rom von seinem nordsyrischphönikischen Brückenkopf aus, der von Pompeius eingerichteten Provinz Syria, allmählich seine Fühler vorstreckte . Am Vorabend der Christianisierung des Imperiums, am Ende des 3 . Jahrhunderts, beherrschte Rom ganz Syrien und Nordmesopotamien bis jenseits des Tigris . Doch nicht nur politisch brachten die ersten drei Jahrhunderte unserer Zeitrechnung dramatische Veränderungen, auch sozial und kulturell war manches im Fluss . Die Urbanisierung erreichte ein bis dahin nicht gekanntes – und hernach nie wieder erreichtes – Niveau . Landstriche, die bis dahin jeder Besiedlung getrotzt hatten, kamen unter den Pflug . Und der Fernhandel ließ Städte selbst jenseits dieser Grenze wachsen, dort, wo Wasser so knapp war, dass auch die aufwendigsten Maßnahmen keine regelmäßigen Ernten garantieren konnten . Neue Zentren wie Hatra und Palmyra profitierten von dem immensen Markt, den das Imperium darbot, und der relativen Sicherheit, die seine Legionen gewährten . Am Ende des 3 . Jahrhunderts jedoch war die Epoche der ›Karawanenstädte‹ bereits vorüber: Hatra und Dura-Europos lagen in Trümmern, Palmyras Gastspiel auf der Bühne der Weltgeschichte war beendet . Die gesellschaftliche und kulturelle Dynamik in den Jahrhunderten zwischen der urbanen Soziogenese und der rapiden Deurbanisierung an der Steppengrenze bildet deshalb den zweiten Schwerpunkt dieses Buches . Zu fragen ist hier selbstverständlich nach der Rolle Roms, dessen Präsenz stetig massiver und fühlbarer wurde . Welche Bedeutung kam dem enger werdenden Kontakt zwischen Zentrum und Peripherie zu? Und mit welchen Paradigmen lässt sich Kulturkontakt analytisch fassen? Die Menschen an Roms Steppengrenze haben uns Zeugnisse ihrer materiellen Kultur in einer Dichte hinterlassen, die wir in den meisten Teilen der römischen Mittelmeerwelt, mit Ausnahme Nordafrikas und Kleinasiens, vermissen . Ihre Tempel, Bilder, Wohnhäuser, Inschriften, Papyri, Münzen und viele andere Dokumente geben Einblicke in unterschiedlichste Lebensbereiche . Dennoch bleiben diese Menschen in einer Hinsicht stumm und teilen so das Schicksal der meisten Provinzialen, ob in West oder Ost: Eine eigene Literatur, die diese Bezeichnung verdient, haben sie nicht hervorgebracht . Einige wenige Werke wie der Lukian von Samosata zugeschriebene, um die Mitte des 2 . Jahrhunderts entstandene Traktat De Dea Syria stehen als erratische Blöcke, praktisch beziehungslos und kaum sicher zu deuten, in einer sonst nahezu leeren Landschaft . Die syrische Literatur setzt erst im 3 . Jahrhundert ein, zögerlich und tastend, unter der Ägide des die Region abermals von Grund auf umstülpenden Christentums und des nicht weniger revolutionären Manichäismus . Selbstzeugnisse, denen sich unmittelbar entnehmen ließe, als was sich Individuen und Kollektive an der Steppengrenze fühlten, wie sie ihre Identität definierten und auf die römische Macht blickten, sind unter solchen Umständen kaum zu erwarten . Deshalb teilten Roms Orientprovinzen auch in der Forschungsgeschichte das Los anderer Reichsteile, mit der signifikanten Ausnahme Judäa-Palästinas: Das Bild, das sich Gelehrte von ihnen und ihren Bewohnern machten, war zu allen Zeiten davon überprägt, wie sie sich jeweils das Imperium insgesamt vorstellten . Und das Bild des Römischen Reiches in der Forschung

Zeitgeist – Reichsgeschichte – Regionalgeschichte · 17 variiert mit dem jeweiligen historischen und politischen Erfahrungsschatz, mit vorwissenschaftlichen Dispositionen und Trends des intellektuellen Zeitgeists .

Zeitgeist – Reichsgeschichte – Regionalgeschichte Römische Reichsgeschichte, Regionalgeschichte und Zeitgeist sind deshalb unentwirrbar miteinander verwoben . Keine Regionalgeschichte, die nicht das jeweils zeitgemäße Bild vom Imperium reflektiert, keine Reichsgeschichte, auf die nicht der aktuelle regionalgeschichtliche Forschungsstand zurückwirkt . Beide folgen grosso modo den Zyklen intellektueller Konjunkturen, politischer und historischer Paradigmen . Wer, wie Herder, tief in der postnapoleonischen deutschen Nationalbewegung verwurzelt war, konnte in Rom nichts anderes sehen als die »Räuberhöhle«, aus der die Henker großer Völker auszogen, die der Welt nichts anderes hinterließen als »verwüstete Nacht« .1 Das größte aller Völker waren, natürlich, die Germanen, Referenzpunkt nationaler Mythen der nach der historischen Identität des jungen Deutschland fahndenden Intellektuellen im Vormärz . Rom, in dessen Kontinuität sich Napoleon so ostentativ gesehen hatte, war seine Rolle als »Räuberhöhle« vorherbestimmt . Ein anderes Paradigma bestimmte die Auseinandersetzung in den Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich, die ihren Herrschaftsanspruch in Übersee in wachsendem Maße mit einer kulturellen Mission der zivilisierten Nationen Europas begründeten, namentlich natürlich der eigenen . Historiker wie Robert Seeley und Charles Dilke sahen im 19 . Jahrhundert das British Empire in seiner Rolle als zivilisierende Weltmacht explizit in der Nachfolge Roms, das so im Umkehrschluss zum Vorläufer im Geiste des europäischen Sendungsbewusstseins avancierte . Mit dem Zivilisationsbringer Rom identifizierten sich Schreibtischimperialisten in London und Paris nur allzu gerne .2 Die ideologische Kehrseite des europäischen Primats im kolonialen Denken war die Reduktion des Fremden, Nichteuropäischen auf Gemeinplätze . Betroffen war besonders jener Teil der kolonialen Welt, der den europäischen Mächten mehr entgegenzusetzen hatte als die ›Primitiven‹ in Afrika und Ozeanien: der ›Orient‹ von Marokko bis China . Hier gab es gefestigte kulturelle und religiöse Entwürfe, die, so sehr sie sich von ihnen unterschieden, denen Europas in ihrer Komplexität ebenbürtig waren . In ihrer Stereotypisierung zum ›Morgenland‹ gerieten Asien und Nordafrika dem europäischen »Orientalismus« (Edward Said) freilich zur plakativen Gegenwelt all dessen, was man als spezifisch ›abendländisch‹ empfand . 1 2

Herder 1966, 365 . Zum kolonialen Denken des 19 . Jahrhunderts als Schablone für die Konzeption des römischen »Imperialismus« Werner 1971, mit Bezug auf die Vordenker eines britischen kulturellen Imperialismus, die sich auf Rom und seine Sendung beriefen (Dilke 1868; Seeley 1884; Dilke 1899) . Zum kulturellen Imperialismus französischer Prägung und seiner Bezugnahme auf Rom Werner 1971, 517f .

18 · I. EInlEItung Noch mehr prägte den Zeitgeist indes der sich aus dem Ideal der Französischen Revolution (la nation une et indivisible) speisende Nationalismus . Gleichsam das nach innen gerichtete Äquivalent zum kolonialen Denken, wandte er sich gegen das Fremde im eigenen Land, gegen das kulturelle Anderssein von Minderheiten, die als Bedrohung für die Homogenität – und damit die Existenzfähigkeit – des Nationalstaats empfunden wurden . Das Modell des unter Roms Führung politisch und kulturell geeinten Mittelmeerraums, das die Spezifika imperialer Strukturen, die per definitionem immer polyethnisch, multikulturell und multireligiös sind, geflissentlich übergeht, verdankt dem nationalstaatlichen Denken seine Entstehung . In ihrer reinen Ausformung begegnen beide Perspektiven, die koloniale und die nationalstaatliche, in Mommsens Idealisierung römischer Herrschaft im Einleitungskapitel des 1885 veröffentlichten fünften Buch seiner Römischen Geschichte . Zwar sei der »Hauptstamm« des Baumes, mit dem Mommsen das Reich vergleicht, in der Kaiserzeit »im Absterben begriffen« gewesen, doch seien allenthalben »mächtige Nebentriebe« hervorgesprossen .3 Rom, »die gewaltige Erscheinung […], die in Alexanders Spuren die Welt unterwarf und civilisierte«,4 sei eine Weltmacht mit kultureller Sendung gewesen: Nicht nur zu zivilisieren sei dem Reich bestimmt gewesen, sondern auch »unter seiner Ägide den Frieden und das Gedeihen der vielen vereinigten Nationen länger und vollständiger [zu hegen] als es irgend einer anderen Vormacht je gelungen ist .«5 Doch habe es Rom nicht überall gleichermaßen vermocht, seiner Mission gerecht zu werden . Romanisierung sei dort an ihre Grenzen gestoßen, wo fundamentale Andersartigkeit der kulturellen Durchdringung und Nivellierung im Wege gestanden habe . Das Kriterium der Fremdheit ist bei Mommsen die »Nation«: Der semitische Stamm steht inmitten und doch auch außerhalb der Völker der alten klassischen Welt . Der Schwerpunkt liegt für jenen im Osten, für diese am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die Grenze verschoben und die Stämme durcheinanderwarfen, immer schied und scheidet ein tiefes Gefühl der Fremdartigkeit die indogermanischen Völker von den syrischen, israelitischen, arabischen Nationen .6 Damit war für Mommsen eine Grenze gezogen zwischen der römischen Mittelmeerwelt und dem semitischen Osten, eine Demarkationslinie, ähnlich, wie sie schon bei Herodian begegnet . Rom sei mit seiner Mission nicht nur gescheitert, es sei seinerseits in den Bann des Fremden gezogen worden:

3 4 5 6

Mommsen 1902–2004, Bd . 5, 3 . Ebd ., 5 . Ebd ., 4 . Ebd ., Bd . 1, 485 .

Zeitgeist – Reichsgeschichte – Regionalgeschichte · 19 Unter den mannichfaltigen Bastardformen, welche der Hellenismus in seiner zugleich civilisirenden und degenerirenden Propaganda angenommen hat, ist die syrohellenische wohl diejenige, in welcher die beiden Elemente am meisten im Gleichgewicht standen, vielleicht aber zugleich diejenige, die die Gesammtentwickelung des Reiches am entschiedensten beeinflußt hat . Die Syrer empfingen wohl die griechische Städteordnung und eigneten sich hellenische Sprache und Sitte an; dennoch hörten sie nie auf sich als Orientalen zu fühlen, oder vielmehr als Träger einer doppelten Civilisation . […] Diese Durchdringung des Orients und des Hellenismus, die nirgend so vollständig wie in Syrien sich vollzogen hat, tritt uns überwiegend in der Gestalt entgegen, daß in der Mischung das Gute und Edle zu Grunde geht .7 »Träger einer doppelten Civilisation«: Roms Osten war für Mommsen und viele nach ihm, bis heute, eine »Mischkultur«8, der griechisch-römischen zwar oberflächlich verwandt, im Kern aber zutiefst fremd geblieben . Der Osten habe im Reich insgesamt eine Sonderstellung eingenommen: Während die gallischen, spanischen und selbst die nordafrikanischen Provinzen der kulturellen Mission Roms bald erlegen seien, habe sich »der Orient« in den ersten drei Jahrhunderten christlicher Zeitrechnung sukzessive des römischen Weltreichs bemächtigt, besser: es im Stillen unterwandert . Oriens captus ferum victorem cepit . Oder, mit den Worten Ernest Renans: »Il était inévitable que la civilisation la plus vieille et la plus usée domptât par sa corruption la plus jeune .«9 Das von Mommsen und Renan gezeichnete Bild suggeriert genaue Kenntnis der Verhältnisse . In Wirklichkeit waren, als beide schrieben, die Geschichten achaimenidischer, hellenistischer und römischer Herrschaft im Nahen Osten Gleichungen mit einer Serie unbekannter Parameter, gleichsam eine einzige Kette von black boxes . Man wusste ungefähr, was sich bis zu der Zeit, da das Neubabylonische Reich Vorderasien beherrscht hatte, zugetragen hatte, und man hatte eine ungefähre Vorstellung von dem, was seit der Spätantike aus der letzten black box, dem Reich der Caesaren, hervorgegangen war . Man verfügte über einige verstreute Informationen, kannte die literarischen Berichte über Elagabal, Zenobia und die mehrfache vergebliche Belagerung Hatras . Auch kannte man die Hauptwerke der syrischen Literatur, welche die Region seit der Spätantike beleuchteten und das ›orientalistische‹ Modell einer fremden Kultur nachdrücklich zu bestätigen schienen . Man kannte die Ruinen von Palmyra, ohne sie genau erforscht zu haben . Hatra und Dura-Europos hingegen harrten noch ihrer Entdeckung, die systematische Erforschung der materiellen Kultur setzte allenthalben erst in der Zwischenkriegszeit ein, als die Mandatsmächte England und Frankreich sich der Region bemächtigten; viele der heute bekannten Inschriften sowie alle Pergamente und Papyri schlummerten noch 7 8 9

Ebd ., Bd . 5, 454 . So Hartmann 2001, 62; ähnlich im Prinzip Yon 2002, 233f . Renan 1873, 130 .

20 · I. EInlEItung im Sand der Steppe .10 Gewiss wusste man von Aussagen wie jener des Heliodorus von Emesa, der sich als »Phöniker« aus Emesa beschrieb, oder der von Photius übermittelten Selbstcharakterisierung des Iamblichus, der sich als Babylonier mit griechischer παιδεία betrachtete . Womöglich kannte man auch jene Marginalglosse, die ein anonymer antiker Redakteur in der ältesten erhaltenen Photius-Handschrift angebracht hat und die Iamblichus beschreibt als einen »Syrer nicht im Sinne der Griechen, die sich in Syrien niedergelassen haben, sondern der Einheimischen, die mit der syrischen Sprache vertraut sind und nach ihren angestammten Sitten leben .«11 Das ist bestürzend wenig . Wenn Mommsen also feststellte, dass die »Orientalen« ihrem Wesen nach »Orientalen« geblieben seien, die als solche gedacht und gefühlt hätten, verließ er sich hauptsächlich auf seinen gesunden Menschenverstand . Quellen, gar Selbstzeugnisse, die Auskunft darüber geben konnten, als was sich die Bewohner der Orientprovinzen tatsächlich wahrnahmen, lagen in so geringem Umfang vor, dass zu Mommsens und Renans Zeiten an ein qualifiziertes Urteil nicht zu denken war . Seither hat die Archäologie Roms Steppengrenze intensiv und extensiv erschlossen . Einige weiße Flecken sind dennoch geblieben: Elagabals Heimatstadt Emesa, die unter dem modernen Homs liegt, gibt für archäologische Feldforschung wenig her; dasselbe gilt für das immer wieder von Überschwemmungen heimgesuchte und modern überbaute Edessa (Urfa) . Planmäßige Grabungen an vielen kleineren und größeren Orten haben aber unser Bild von der materiellen Kultur des römischen Vorderasien in vielen Aspekten revolutioniert . Palmyra, Dura-Europos und Hatra sind fraglos die spektakulärsten von ihnen . Doch leisteten gerade auch kleinere Expeditionen wie die Erforschung der römischen Euphrat-Festungen ihren eigenen, unverzichtbaren Beitrag . Extensive Oberflächenbegehungen (»Surveys«) in vielen Gegenden Vorderasiens, zuletzt in der Palmyrene, haben unser Bild von der Siedlungs- und Bevölkerungsstruktur unterschiedlicher Epochen, darunter eben auch der römischen Kaiserzeit, völlig verändert . Sind wir damit der Beantwortung unserer Frage nähergekommen, wer die Menschen waren, die an Roms Steppengrenze lebten, und als was sie sich fühlten? Sicher: Wir wissen, wie sie sich kleideten, was sie aßen und welches Geschirr sie benutzten, wie sie ihre Toten bestatteten, ihre Häuser bauten, sie dekorierten und ausstatteten . Wir haben eine Vorstellung davon, welche Götter sie verehrten und in was für Tempeln sie dies taten . Schließlich wissen wir, welche Sprache sie für wert hielten, in Stein gemeißelt zu werden, was für Namen sie trugen, mit was für Geld sie bezahlten, nach welchem Recht sie Kaufverträge abschlossen, heirateten, sich scheiden ließen . Das ist eine ganze Menge, und es ist eine Menge mehr, als Mommsen und Renan wissen und jemals zu wissen hoffen konnten .

10 Zur Geschichte der Erforschung Palmyras: Sommer 2017b, 8–16; zu Dura-Europos: Brody 2016; zu Hatra: Dirven 2013 . 11 Vgl . Millar 1993, 489–491 .

Zeitgeist – Reichsgeschichte – Regionalgeschichte · 21 Aber wir wissen nicht, welche Bedeutung die Zeitgenossen alledem beimaßen . Wenn ein Palmyrener sich in einem Stil kleidete, den wir, faut de mieux, ›parthisch‹ nennen, können wir daraus schlussfolgern, dass er sich als Parther fühlte? Gewiss nicht . Prachtvoll dekorierter Kaftan, Reithose und Stiefel sind Kleidungsstücke, die Vertreter der Oberschicht beiderseits der parthisch-römischen Grenze zu tragen pflegten . Wenn dieser Kleidungsstil in der Literatur unter der Rubrik ›parthische Tracht‹ geführt wird, dann offenbart sich darin, nicht anders als in dem Begriff ›parthische Kunst‹ für das künstlerische Schaffen zwischen Palmyra und Nordostiran, die Hilf- und Ratlosigkeit moderner Forschung im Angesicht allgegenwärtiger politischer und kultureller Uneindeutigkeit . Aber selbst, wenn wir mit Sicherheit sagen könnten, woher die ›parthische‹ Tracht ursprünglich stammt, wäre damit noch nichts über das Lebensgefühl ihrer Träger ausgesagt . Ob die entsprechenden Kleidungsstücke als Bekenntnis zu einer bestimmten Kultur oder gar einer bestimmten politischen Formation zu lesen sind (wie etwa analog die toga in Rom), entzieht sich schlicht unserer Kenntnis . Einem auf seine παιδεία stolzen Griechen wie Herodian erschien der Kaiser Elagabal in all der seidenen Pracht seines Priesterornats als Verkörperung des Antigriechen und damit auch des Antirömers schlechthin . Aber wie ein Emesener, wie der Kaiser selbst darüber dachte, ist nicht überliefert . Der chronische Mangel an Selbstzeugnissen macht Geschichte und Kulturgeschichte der römischen Peripherie – und zumal der Orientprovinzen – zu einer Herausforderung eigener Art . Mit gutem Grund bemerkte schon im Epochenjahr 1968 Fergus Millar: »No subject in the history of the Roman Empire has more significance or more pitfalls than that of the local cultures of the provinces .«12 Anfällig dafür, mit anachronistischen Paradigmen aus dem Erfahrungsschatz des 20 . und 21 . Jahrhunderts überfrachtet zu werden, reflektiert jede Studie unweigerlich in einem hohen Grad vorwissenschaftliche, lebensweltliche Erfahrungen des jeweiligen Verfassers . Auch die Konzeption des römischen Imperiums insgesamt unterlag und unterliegt ja, wie wir gesehen haben, bis heute Konjunkturen, die untrennbar verwoben sind mit den Volten, die Zeitgeschichte und Zeitgeist schlagen . Anders als Mommsen sah A .H .M . Jones, dessen epochale Studie The Greek City zuerst 1940 erschien, in der Urbanisierung seit der hellenistischen Periode kein oberflächliches Phänomen, keinen Firnis, sondern einen tiefgreifenden Strukturwandel der langen Dauer, in dem die Römer gleichsam zu Testamentsvollstreckern der hellenistischen Monarchien geworden seien . Die Siedlungskolonisation von Griechen und Makedonen habe den orientalischen Untertanen des Seleukidenreichs ein Vorbild vor Augen geführt, dem es nachzueifern galt: »living models to imitate .«13 Jones brachte damit die Denkfigur der Hellenisierung von unten auf .14

12 Millar 1968, 126 . 13 Jones 1940, 50 . 14 Ebd .: »The motive force which produced the vast majority of the cities of the East was the ambition of the native upper class to adopt the Greek way of life .« Analog hatte bereits 20 Jahre vor Jones Francis Haverfield die

22 · I. EInlEItung The Greek City war sorgfältig vorbereitet: In einer monumentalen Grundlagenarbeit hatte Jones das damalige Wissen über die Poleis des gesamten römischen Ostens zusammengetragen und erstmals archäologische Befunde und Textquellen zu einer großen Synthese gebündelt,15 er übersah jedoch geflissentlich, dass es in weiten Teilen Vorderasiens bereits eine vorhellenistische urbane Tradition gegeben hatte . Indem er künstlich den kulturellen Graben zwischen ›Ost‹ und ›West‹ vertiefte, konnte er den Siegeszug der Polis in ein besonders strahlendes Licht rücken . Dennoch griff das Buch mit seiner These der Selbsthellenisierung bzw . -romanisierung von unten der herrschenden communis opinio der 1970er und 80er Jahre um Jahrzehnte vor . Einen anderen, demjenigen von Jones diametral entgegengesetzten Zugang zum Problem der Urbanisierung suchte und fand bereits in den 1920er Jahren Michail Rostovtzeff, der nachmalige Schreibtisch-Ausgräber von Dura-Europos . Er betrachtete die Polis im römischen Osten weniger als kulturelles, denn als ökonomisches Phänomen, entsprungen aus der Notwendigkeit, dem west-östlichen Fernhandel Stützpunkte zu verschaffen . Urbanisierung sah er weder, wie implizit Mommsen, als Ausdruck planmäßiger Romanisierung von oben an, noch, wie Jones, als kontingente Adaption von unten . Roms Rolle war für Rostovtzeff auf die Funktion einer Garantiemacht für Frieden, Rechtssicherheit und ökonomische Prosperität beschränkt – gleichsam die eines antiken Nachtwächterstaates . Unter dem Strich überwogen für Rostovtzeff bei Weitem die Kontinuitäten zu den vorhellenistischen Perioden .16 Noch radikaler als zuvor Mommsen und Renan negierte er jede Wandlung, ja Wandlungsfähigkeit, der orientalischen Gesellschaften, gab Kontinuität einseitig den Primat vor Innovation . Obwohl in seinem Fortschrittsoptimismus zurückhaltender als manche Zeitgenossen, zog auch Rostovtzeff damit eine Demarkationslinie zwischen ›West‹ und ›Ost‹: hier Dynamik, Neuerung, Befreiung von der Konvention, dort statisches Beharren, Tradition, Immobilismus . Die kulturelle Kluft zwischen Orient und Okzident war Leitthema auch für Franz Cumonts noch heute lesenswerte, ursprünglich als Vortragsserie für das Collège de France entstandene Studie Les religions orientales dans le paganisme romain .17 Wie vor ihm Mommsen und Renan und wie nach ihm Rostovtzeff bestritt Cumont, für das engere Feld der Religion, jegliche tiefgreifende Einflussnahme Griechenlands und Roms auf die orientalischen Provinzen . Und wie Mommsen und Renan konstatierte er in der lan-

Romanisierung Britanniens als einen Vorgang beschrieben, der maßgeblich von den lokalen Eliten ausging (Haverfield 1923, 14) . 15 Jones 1971 (zuerst 1937) . 16 Rostovtzeff 1971, Bd . 1, 272: »Urbanization made no striking progress, nor did the land become hellenized . A few new half-Greek cities arose, and some elements of the rural population settled in the cities . But the mass lived on in the old fashion, devoted to their gods and to their temples, to their fields and to their flocks, and ready at the first opportunity to slaughter the men of the cities and to return to the life of peasants and shepherds under the rule of native priest-kings and sheikhs .« 17 Zuerst Paris 1906, künftig zitiert nach der deutschen Ausgabe: Cumont 1959 .

Zeitgeist – Reichsgeschichte – Regionalgeschichte · 23 gen Dauer einen Prozess der Orientalisierung des Imperiums, der es in den ersten drei Jahrhunderten der römischen Kaiserzeit von Grund auf umstrukturiert habe . Bereits mit Cumont deutete sich aber auch ein Abrücken von kolonialen Paradigmen an . Es war auf einmal möglich geworden, das Zentrum durch die Brille der Peripherie zu betrachten . Obgleich auch seine Darstellung ›orientalistisch‹ eingefärbt war und wiewohl viele seiner Thesen schon angesichts des damaligen Wissensstandes unhaltbar waren: Für Cumont war ›der Orient‹ doch ein Rom zumindest gleichrangiges Gegenüber, das obendrein den zivilisatorischen Primat für sich beanspruchen konnte . Die ›Orientalisierung‹ des Imperiums war damit nicht mehr ein von dämonischen Mächten gesteuerter bzw . von Roms Versäumnissen begünstigter Prozess des kulturellen Verfalls, sondern eine Transformation, die dem Imperium religiös neue Horizonte erschloss und zur conditio sine qua non für seine Christianisierung wurde . Der zutiefst katholische Cumont avancierte so gleichsam zum Erben im Geiste des Erzprotestanten Droysen, für den die welthistorische Errungenschaft des Alexanderreichs und seiner Nachfolgestaaten die »Einheit der geschichtlichen Welt in der hellenistischen Bildung« gewesen war .18 Jones’ Greek City war der letzte synthetische Annäherungsversuch, der von dem Optimismus getragen war, man könne auf Basis der vorhandenen Quellen zu einem kohärenten Gesamtbild gelangen . Danach dominierten Einzelstudien, die, zunächst ohne dass es an der Oberfläche sichtbar wurde, die älteren Konzeptionen ins Wanken brachten . Besonders zeigte sich nun, je mehr man wusste, wie frustrierend eng die Grenzen potentiellen Wissens gezogen waren . Vor allem verlegte die Forschung sich auf die Rekonstruktion der Ereignisgeschichte, ein Gebiet, auf dem sie auf der Grundlage neuentdeckten Materials erhebliche Fortschritte erzielen konnte .19 Der Preis, der für diese Hinwendung zur politischen Geschichte zu zahlen war, war freilich die auf Jahrzehnte anhaltende Dominanz einer extrem quellenpositivistischen Optik, die kulturgeschichtliche Fragestellungen automatisch in den Hintergrund drängte . Unterdessen wandelte sich aber das Bild vom Römischen Reich insgesamt . Die idealistischen Visionen Mommsens und noch Jones’ wichen einem skeptischeren, um nicht zu sagen: negativen Bild vom römischen Imperium . Mit dem Niedergang der europäischen Kolonialmächte verblasste auch die Strahlkraft Roms als jener antiken Großmacht, deren manifest destiny darin bestanden hatte, einer barbarischen Welt gütig die Zivilisation zu bringen . In den Mittelpunkt des Interesses rückten die vermeintlich singuläre Aggressivität 18 Droysen 1877–1878, Bd . 2/2, 358 . Zu Droysen und seinem Hellenismus-Konzept: Gehrke 1989b; Gehrke 1995, 132; Nippel 2008, 34–40 . 19 Viel Beachtung hat der knappe Artikel von Rey-Coquais 1978 gefunden . Wichtige Beiträge lieferte auch der kurz zuvor erschienene ANRW-Band zur politischen Geschichte der »Provinzen und Randvölker« (Bd . 2, 8, 1977) . Relevant für die ›Steppengrenze‹ ist vor allem der ausführliche Beitrag von Drijvers 1977 . Die politische Geschichte steht auch im Zentrum mehrerer Monographien des französischen Historikers Maurice Sartre: Sartre 1997; Sartre 2001 . Ein eigener Forschungszweig ist inzwischen die Militärgeschichte des römischen Ostens, einschließlich der Limesforschung: Hellenkemper 1977; Isaac 1990, besonders 408–418; Konrad et al . 2001; Wheeler 2007; Edwell 2008, sowie die Beiträge in French/Lightfoot 1989 .

24 · I. EInlEItung der römischen Gesellschaft und ihr Hang zu Kriegsverherrlichung und Militarismus .20 Das politisch korrekte Paradigma im Zeichen der Dekolonisierung war ›Widerstand‹ gegen die oppressiven Mechanismen imperialer Macht . Und ›Widerstand‹ fand man, in oft haarsträubendem Anachronismus, überall dort, wo man nach ihm suchte . So war zwar ein Paradigmenwechsel erfolgt, das Inventar der Stereotype aber das alte geblieben . Dort, wo Gelehrte noch eine Generation zuvor im Überleben eines bestimmten Keramikstils das Scheitern der kulturellen Sendung Roms zu sehen meinten, mussten nun dieselben Scherben dafür herhalten, Widerstandsnester gegen imperialistische Aggressoren zu lokalisieren .21 Damit aber war für eine zeitgemäße Deutung römischer Herrschaft und Romanisierung wenig gewonnen . Die Römer, lange Zeit die euphorisch gefeierten good guys altertumswissenschaftlicher Forschung, waren nun zwar wieder Herders Henker . Aber ob Henker oder Prometheus – das Modell, nach dem die Forschung ihr Bild vom Römischen Reich formte, war noch immer das des auf Homogenität bedachten Nationalstaats, das Kulturkonzept, auf dem es beruhte, durchdrungen vom Essentialismus des 19 . Jahrhunderts . Der Impuls für eine gründliche konzeptionelle Neubewertung ging ab den 1980er Jahren von Regionalstudien aus, und zwar bezeichnenderweise von solchen, die sich mit den westlichen Provinzen befassten . Spektakuläre Neufunde wie die Vindolanda-Tafeln aus dem Hinterland des britannischen Limes halfen, einen neuen Interpretationsrahmen für das Verhältnis zwischen Imperium und lokalen Traditionen zu finden .22 Ab den 1990er Jahren fand auch das Theorieangebot sogenannter postcolonial studies Berücksichtigung, mit vielfältigen Ansatzpunkten zum Verständnis asymmetrischer kultureller Kontakte .23 Zugleich ist das Modell der Romanisierung ›von unten‹ in die Kritik geraten . Neuerdings nimmt die Bereitschaft ab, für den römischen Westen, und hier wieder besonders für die Nordwestperipherie Galliens und Britanniens, ›römische‹ Kultur und ›lokale‹ Kulturen als binäre Wirklichkeiten zu akzeptieren . Vielmehr habe die gegenseitige Durchdringung imperialer und lokaler Elemente etwas von Grund auf Neues geschaffen: ein Kaleidoskop provinzialer Zivilisationen aus eigenem Recht .24 Der Versuch, darin überhaupt noch einen Kern genuin ›römischer‹ Identität ausfindig zu machen, sei zum Scheitern verurteilt .25 Das römische Imperium wird so als ein Universum begriffen, in dem unterschiedliche Identitäten koexistieren, teilweise auch miteinander konkurrieren konnten und ›Kultur‹ stets im Plural zu denken war . Zwar sei Rom, so hat etwa jüngst die britische Althistorikerin Mary Beard resümiert, ein Lebensmodell gewesen, dem gerade die Eliten in den Provinzen allenthalben nachgeeifert hätten; es sei daraus aber nicht eine homo20 So etwa Harris 1979; ähnlich Raaflaub 1996 . Contra aber, mit guten Argumenten, Eckstein 2006; Eckstein 2008 . 21 Siehe die Beiträge in Pippidi 1976 und noch etwa Elsner 1997 . 22 Birley 1978; Bowman 1994; Bowman 2003 . 23 Grundlegend Webster/Cooper 1996 . Vgl . Mattingly/Alcock 1997; Hingley 2010; Mattingly 2010; Hingley 2015 . 24 So für Gallien etwa Woolf 1998 . 25 Wie der nicht in jeder Hinsicht überzeugende Versuch von Revell 2009 gezeigt hat .

Par adigmen wechsel · 25 gene Reichskultur oder gar -identität erwachsen, vielmehr hätten sich unzählige lokale Varianten des Römischseins auf dem Boden des Imperiums ausgebreitet .26

Paradigmenwechsel: Globalisierung, Créolité – oder doch Romanisierung? Das Mommsen’sche und noch Haverfield’sche Paradigma der Romanisierung ist damit hinfällig . Die angelsächsische Forschung hat darauf reagiert, indem sie den Begriff auf der Deponie ausgedienter Idealtypen entsorgt hat . Wer ihn jenseits von Ärmelkanal und Atlantik dennoch benutzt, läuft Gefahr, sich dem Vorwurf politischer Unkorrektheit oder zumindest mangelnden Methodenbewusstseins auszusetzen . Um die Transformationen auf nahezu allen Gebieten, die römische Herrschaft für die Provinzen bedeutete, zu beschreiben, hat man sich von anderen Disziplinen neue Denkfiguren ausgeliehen, deren Bezug zur Gegenwart unverkennbar ist . Großer Beliebtheit erfreut sich seit einiger Zeit das Konzept der ›Globalisierung‹ . Seit den 1960er Jahren dient der Begriff dazu, die zunehmende Verflechtung zwischen weit entfernten Weltgegenden zu beschreiben, samt dramatisch anwachsender Mobilität von Menschen, Gütern und Ideen . Selbstverständlich war weder das römische Imperium noch der Einzugsbereich antiker Zivilisationen im Wortsinn ›global‹: Große Teile des Globus – Amerika und Australien – lagen entweder gänzlich außerhalb der Reichweite eines antikmediterranen Beobachters oder sie standen – wie Afrika südlich der Sahara, der Ferne Osten, Russland und Nordeuropa – nur in so losem Kontakt zum Mittelmeerraum, dass von gegenseitiger Verflechtung keine Rede sein kann . Ebenso selbstverständlich fehlten der Antike sämtliche Errungenschaften moderner Kommunikation und Infrastruktur, die ›Globalisierung‹ überhaupt erst zu dem machen, was sie in der Moderne ist .27 Solche Einwände kontern die Verfechter von Globalisierung als einem analytischen Prisma auch für vormoderne Gesellschaften mit einer gleichsam abgespeckten Version des Idealtypus: Als ›Welt‹ könne man im Prinzip jeden halbwegs integrierten Raum definieren, vom antiken Mittelmeer mit seinen Randgebieten bis hin zum eurasischen Großkontinent, den bereits die in der römischen Kaiserzeit sprunghaft anwachsende Mobilität dramatisch schrumpfen ließ . Außerdem sei das entscheidende Kriterium die Vernetzung an sich, gleichgültig, welchen Technologien und Medien sie ihr Zustandekommen verdanke . Die Herausgeber eines Globalisation and the Roman world betitelten Sammelbandes haben unlängst drei Kriterien für historische Globalisierungsprozesse benannt: Erstens müsse überregionale Interaktion signifikant zunehmen, zweitens sozialer Wandel mit der

26 Beard 2015, 497 . 27 Rehbein/Schwengel 2008; Nederveen Pieterse 2015, 225–228 .

26 · I. EInlEItung Herausbildung einer ›globalen‹ Kultur einhergehen und drittens müssten solche Vorgänge von den Zeitgenossen als einschneidende Veränderung wahrgenommen werden .28 Der hermeneutische Charme einer solchen Betrachtungsweise liegt auf der Hand: Anders als herkömmliche Paradigmen wie ›Hellenisierung‹ oder ›Romanisierung‹ in ihrer traditionellen Lesart verabschiedet sich ›Globalisierung‹ von essentialistischen Kulturbegriffen und nimmt stattdessen Akteure, kollektive wie individuelle, in den Blick . Zugleich verschiebt sich der Fokus der Betrachtung vom Mikrokosmos einzelner Regionen auf das große Ganze . Binäre Deutungsraster des Typs ›römisch‹ vs . ›lokal‹ machen der Betrachtung von Netzwerkstrukturen Platz, die in ihrer Dichte und Intensität analysiert werden können . ›Area Studies‹ und ›Reichsgeschichte‹ stehen nicht mehr unverbunden nebeneinander, sondern tragen wechselseitig bei zum Verständnis des Imperiums als eines Universums mit höchst diversen, horizontal differenzierten und vertikal geschichteten kulturellen Identitäten . Schließlich erschließt das Globalisierungsparadigma verschiedene Dimensionen des Wandels, denen unterschiedliche Quellengattungen entsprechen: ›Globalisierung‹ erfasst die materielle Kultur ebenso wie das imaginaire, lässt sich also an Objekten so gut festmachen wie an Texten .29 Bei allen analytischen Vorzügen bildet das Paradigma die Verhältnisse im römischen Imperium indes nur teilweise akkurat ab . Zwar spielen selbstverständlich auch im Globalisierungsprozess der Gegenwart Disparitäten und Asymmetrien eine Rolle . Dass etwa die USA, Europa, China und die Staaten Afrikas bei der Erschließung von Rohstoffen und Märkten nicht auf Augenhöhe operieren, bedarf keiner Diskussion . Allerdings bewegen sich solche Asymmetrien auf einer informellen Ebene, während im römischen Imperium Ungleichheit in den Machtbeziehungen zwischen Zentrum und Peripherie das hervorstechende Merkmal schlechthin war . Der formalisierten Asymmetrie in imperialen Herrschaftssystemen gibt ein anderes Modell besser Ausdruck als das der ›Globalisierung‹: ›Kreolisierung‹ bzw . Créolité .30 Den Begriff sollte man dabei nicht ohne die gebotene Vorsicht verwenden . Wie so viele kulturwissenschaftliche Kategorien entstammt das Begriffspaar Créolité/›Kreolisierung‹ ursprünglich der Linguistik und ist für historische und vergleichend-kulturwissenschaftliche Untersuchungen mit entsprechender Reserve heranzuziehen . ›Kreolisierung‹ bezeichnet im strengen sprachwissenschaftlichen Sinne die Verfestigung vereinfachter Mischidiome (›Pidgins‹) und ihre Etablierung als autonome Sprachen . Schauplätze der Herausbildung von Kreolsprachen waren die Plantagen der spanischen und postspanischen Kolonialzeit mit ihren Scharen von entwurzelten Sklaven und ihren spezifischen Kommunikationsbedingungen . Der Zwang, ein simples 28 Pitts/Versluys 2015, 17f . Auch der Verfasser hat mehrfach das Erklärungspotential des Paradigmas für die Altertumswissenschaften auszuloten versucht: Sommer 2013a; Sommer 2015b . 29 Dazu etwa Hingley 2005, 105–115; Isayev 2015; Laurence/Trifilò 2015; Pitts 2015; Versluys 2015 . 30 Zum Anwendungspotential in der Altertumswissenschaft: Webster 2001 . Als Erklärungsrahmen für Akkulturationsprozesse im römischen Vorderasien hat das Konzept die erste Auflage dieses Buches benutzt: Sommer 2005d, 25–28 .

Par adigmen wechsel · 27 Verständigungswerkzeug zu schaffen für asymmetrische Gruppen unterschiedlicher Muttersprache, getrennt durch ein rigides Macht- und Sozialgefälle, schuf erst Pidgins, dann in den Folgegenerationen oft Kreolsprachen, wobei Elemente einer Sprache in die jeweils andere integriert wurden .31 Semantisch verbreitert und bezogen nicht nur auf die Sprache, sondern auf die Kultur der Plantagengesellschaften insgesamt, bezeichnet Créolité ein neues kulturelles Substrat, das sich aus der Fremdheit der in die neue Welt gekommenen Gruppen speist und aus der rechtlichen wie sozialen Dominanz der einen Gruppe über die andere .32 Die historisch singuläre Grundbedingung von Créolité ist die zwangsweise Verpflanzung ganzer Bevölkerungen im Zuge des transatlantischen Sklavenhandels, ihr Schauplatz die Plantage mit unfreier Massenarbeit . Die middle passage war für Generationen von schwarzen Sklaven die Einbahnstraße ohne Rückkehr, die sie in eine ihnen fremde Welt versetzte, mit deren Gegebenheiten sie sich, wiederum unter Zwang, sprachlich und kulturell zu arrangieren hatten . Créols waren zunächst die sich allmählich indigenisierenden weißen Siedler; erst allmählich, mit dem Verschwinden bzw . der Absorption dieser Gruppe, diente der Begriff zur Bezeichnung der farbigen Bevölkerungsmehrheit . Beide Gruppen von Neuankömmlingen, weiße Siedler wie farbige Sklaven, waren klassische Vertreter eines Grenzgängertums, wie es allen kolonialen Gesellschaften eigen ist . Entwurzelt und in einer ihnen fremden Umwelt angekommen, hatten sie sich darin einzurichten . ›Kreolisierung‹ ist der idealtypische Fall einer ›Transkulturation‹, einer in alle Lebensbereiche vordringenden Akkulturation, unter Zwang und unter dem Vorzeichen extrem asymmetrischer Machtverhältnisse .33 Das alles klingt nicht danach, als eigne sich ›Kreolisierung‹, universalisiert und abstrahiert zum Idealtypus, als Analysekategorie für akkulturative Prozesse in einem vormodernen Imperium wie dem römischen, auch nicht an dessen östlichem Rand . Linguistisch zeichnete sich die Steppengrenze gerade dadurch aus, dass Aramäisch und Griechisch, zumindest als Schriftsprachen, klar unterscheidbare Sprachen blieben, von Latein ganz zu schweigen . Für Pidgins oder gar Kreolsprachen gibt es keine Belege, was freilich nicht heißt, dass es sie – als gesprochene Idiome – nicht gab . Allenfalls konserviert der epigraphische Befund lexische, auch vereinzelte grammatikalische Kontaminationen . 31 Grundlegend zu Kreolisierung in der Karibik: Brathwaite 1971 32 Ebd ., 296: »[…] a ›new‹ construct, made up of newcomers to the landscape and cultural strangers to the other; one group dominant, the other legally and subordinately slaves .« Historisch waren Creols freilich primär die in Amerika geborenen, ›reinrassigen‹ Kolonialspanier, sekundär in den Kolonien geborene Menschen afrikanischer Abstammung . 33 Den glücklich gewählten Begriff transculturation hat Hall 2003 in die Debatte um Kreolisierung eingebracht, in Anlehnung an Pratt 1992, 6: »Ethnographers have used this term [transculturation] to describe how subordinated or marginal groups select and invent from materials transmitted to them by a dominant or metropolitan culture .« Den Begriff brachten ursprünglich lateinamerikanische Soziologen in den 1940er Jahren auf, um die Perspektive des Zentrums, wie sie im Akkulturationskonzept vorherrscht, um die Sichtweise der Peripherie zu ergänzen .

28 · I. EInlEItung Wichtiger noch: Man kann die Städte und Landschaften der römischen Orientprovinzen nicht im Entferntesten mit dem soziokulturellen Milieu extrem oppressiver, auf Rassentrennung fußender Plantagengesellschaften im kolonialen Amerika vergleichen . In den Quellen begegnen fast nur Freie, sie gehörten mittleren bis gehobenen sozialen Schichten an und waren, im Gegensatz zu den aus Afrika verschleppten Opfern des transatlantischen Sklavenhandels, beileibe keine Entwurzelten . Ihnen gegenüber zeigte das Römische Reich nicht die Fratze eines unterdrückerischen Sklavenhalterregiments; sie hatten Handlungsspielräume, von denen die in die Karibik deportierten Afrikaner nur träumen konnten . Sklaverei, ohnehin nicht im Marx’schen Sinne das die antiken Gesellschaften zusammenhaltende Prinzip, war im römischen Orient, mehr als sonst irgendwo im Reich, ein randständiges Phänomen . Das Rückgrat der regionalen Landwirtschaft bildeten, wie sich im Umland von Dura-Europos zeigt, der kleine bäuerliche Betrieb, das spezialisierte Landgut von bescheidener Größe und die kaiserliche Domäne auf der Basis freier Arbeit . Nirgends gibt es Hinweise auf Plantagen karibischer Prägung, und nicht einmal villae rusticae und Latifundien nach dem Modell des römischen Westens sind zwischen Mittelmeer und Tigris in nennenswerter Zahl zu belegen . Die Verhältnisse an der imperialen Peripherie Roms scheinen mit der kolonialen Realität des modernen Weltsystems nicht viel gemein gehabt zu haben . Die Parallelen erschließen sich denn auch erst dem zweiten Blick . ›Kreolisierung‹ ist das Paradigma einer spezifischen Annäherung an ein dominantes Kulturmodell, der Entwicklung neuer Kulturmodelle aus dem Bestand des Alten, durch Re-Interpretation .34 Nicht der Schauplatz, die traurigen Tropen der Karibik, und der unmittelbare, in Deportation und Plantagensklaverei sich niederschlagende Zwang sind die entscheidenden Kriterien, sondern die Asymmetrie in den Machtbeziehungen35 und der durch sie und die Massenmigration gleich zweier Gruppen – der Sklaven und der Herren – geschaffene »Dritte Raum« .36 Die Vorstellung vom »Dritten Raum« impliziert das in-Kontakt-Treten und die Vermengung (mindestens) zweier kultureller Formationen und im selben Atemzug ihre radikale Umformung . Im »Dritten Raum« findet, wenn man so will, keine bloß physikalische Amalgamierung, sondern eine echte chemische Reaktion statt . Das Produkt hat, um auf der naturwissenschaftlichen Sprachebene zu bleiben, gegenüber den Edukten völlig neue Eigenschaften, und die Edukte lassen sich durch Umkehrung der Reaktion nicht wiederherstellen oder in den Ausgangszustand zurückversetzen . »Dritte Räume«

34 Chaudenson 2001, 194–197 . 35 Hall 2003, 31: »Creolization always entails inequality, hierarchization, issues of domination and subalterneity, mastery and servitude, control and resistance .« 36 Ebd ., 30: »[…] a ›third space‹ – a ›native‹ or indigenous vernacular space, marked by the fusion of cultural elements drawn from all originating cultures, but resulting in a configuration in which these elements, though never equal, can no longer be disregarded or restored to their originary forms, since they no longer exist in a ›pure‹ state but have been permanently ›translated‹ .«

Par adigmen wechsel · 29 sind Kontaktzonen, in denen einander fremde Kulturen sich begegnen, aufeinanderprallen und miteinander ringen .37 Den »Dritten Raum« füllten in der Karibik, mit den Worten Stuart Halls, zwei ›Gegenwarten‹: die présence africaine der deportierten Sklaven und die présence européenne der eingewanderten Herren . Obwohl die présence africaine mit kaum vernehmbarer, die europäische ›Gegenwart‹ hingegen mit unüberhörbarer Stimme sprach, blieb keine der Stimmen im Original erhalten . Sie beide sprechen, ob in der Literatur, der oral tradition oder den Artefakten, nur über eine ›Übersetzung‹ zu uns . Die Neuankömmlinge füllten indes kein Vakuum . Erst eine dritte ›Gegenwart‹, die présence américaine, das lokale Milieu der Karibikinseln mit ihrer spezifischen Umwelt und indigenen Bevölkerung, gab den Schauplatz ab, auf dem ›Übersetzung‹ möglich wurde . Was Hall mit ›Übersetzung‹ meint und was sich im ›Niemandsland‹ der présence américaine zutrug, war das alltägliche, unmerkliche ›Herüberschwappen‹ von Bedeutungsinhalten von einem Zeichensystem in ein anderes . So brachten die Europäer ihre Religion, das Christentum, mit . Man könnte nun sagen, dass das Christentum mit den aus Afrika mitgebrachten Religionen der Sklaven zu einem Synkretismus ›verschmolz‹ . Bei Licht besehen sind Phänomene wie die karibische Santeria, die aus der kolonialen Vergangenheit in die Gegenwart hineinragen, aber keine Synkretismen . Eher gingen Elemente des Christentums im Niemandsland der pré­ sence américaine in ein symbolisches Rahmenwerk ein, in dem sie, gelöst von ihren ursprünglichen Kontexten, neuen Deutungen zugänglich wurden . Ihre Fähigkeit, Zeichen und Zeichensysteme verschiedener Herkunft zu integrieren, umzuformen und zu neuen Systemen zusammenzufügen, ist es, die ›Dritte Räume‹ wesentlich ausmacht . Kreolisierung ist nichts anderes als dieser Prozess irreversibler ›Übersetzung‹ . Natürlich sollte mit der Universalisierung von historischen Typen zum Idealtypus grundsätzlich vorsichtig umgegangen werden . Zwar ist ›Kreolisierung‹ irgendwie überall (wie der aus Martinique stammende Schriftsteller Édouard Glissant unlängst im Angesicht der Globalisierung bemerkte), doch droht mit der Abstrahierung unweigerlich der Verlust kategorialer Trennschärfe . Andererseits besitzt der Begriff der ›Kreolisierung‹ gegenüber den konventionellen Paradigmen von Akkulturation unschätzbare Vorteile: Keine andere Kategorie nimmt so explizit den Aspekt der Ungleichverteilung von Macht in den Blick, keine stellt so deutlich das Grenzgängertum von Gruppen und Individuen an Kreuzungspunkten divergenter Zeichensysteme in den Mittelpunkt . So geht es nicht darum, die Créolité der Karibik der Würde ihrer historischen Individualität zu berauben . Aber die ›inversive Logik‹, mit der die Kreolen die dominante Sphäre der présence euro­ péenne umformten und auf eigene Bedürfnisse zuschnitten, bietet sich als Denkfigur für die Untersuchung anderer ›Dritter Räume‹ jenseits der Karibik und des modernen Weltsystems unmittelbar an .38 37 Pratt 1992, 6 . 38 »Inversive Logik«: Enwezor 2003, 15 .

30 · I. EInlEItung ›Globalisierung‹ und ›Kreolisierung‹ sind als Idealtypen das intellektuelle Destillat der Auseinandersetzung mit Phänomenen, die ihren Sitz in spezifischen Epochen haben . In beiden Fällen sind Überschneidungen mit Prozessen zu beobachten, welche die römische Expansion in West wie Ost einleitete . Hundertprozentige Passgenauigkeit wird sich, wie das bei Idealtypen nun einmal so ist, nicht herstellen lassen . Dennoch lässt sich von beiden Konzepten eine Menge lernen, das auf analoge Prozesse in anderen Epochen übertragbar ist: von der Bedeutung, die Vernetzung, Verflechtung und Mobilität gewinnen, über die Entstehung eines ›globalen‹, regionale Grenzen sprengenden Wahrnehmungshorizonts, die Bedeutung ›Dritter Räume‹ und von Techniken des ›Übersetzens‹ bis hin zur kreativen Aneignung von als vorbildhaft empfundenen Kulturtechniken durch jene, die in asymmetrischen Machtbeziehungen die Schwächeren sind . Weitgehend unbemerkt von der englischsprachigen Forschung hat sich unterdessen das Romanisierungskonzept auf dem europäischen Kontinent weiterentwickelt . Es ist gleichsam von dem ihm ursprünglich innewohnenden essentialistischen Kulturbegriff befreit und um etliche der Facetten, für die Globalisierung und Kreolisierung stehen, erweitert worden .39 So möchte auch diese Untersuchung ›Romanisierung‹ verstehen und – gegenüber der ersten Auflage – gleichsam rehabilitieren: als Idealtypus, der Raum lässt für ungezählte lokale Sonderwege und für die Dialektik kultureller Transformationsprozesse im imperialen Rahmen . Mochten aus Griechen, Galliern, Puniern und Syrern ›Römer‹ werden: Gerade das Römischsein versetzte sie in die Lage, ihren eigenen Standort in der weiten Welt des Imperiums zu finden – ihre eigene ›Identität‹ .

Der römische Orient: Prämissen für eine Geschichte der Steppengrenze Die Diskussion über die Paradigmen, mit Hilfe derer sich Kulturkontakt und Identitäten  im  römischen Imperium auf einen begrifflichen Nenner bringen lassen, hat ihre Nahrung lange überwiegend aus einschlägigen Untersuchungen zum römischen Westen bezogen .40 Dabei steht die Frage nach der kulturellen Identität der römischen Orientprovinzen seit rund einem Vierteljahrhundert im Raum . Bezugspunkt für die Regionalgeschichte der römischen Orientprovinzen ist seit 1993 Fergus Millars The Roman Near East . Millar stellte die Frage nach einer regionalen Identität – oder besser: regionalen Identitäten – auf der Basis einer grundlegend veränderten Material- und Forschungslage 39 Und das trotz der Polemik von Naerebout 2013, 265f .: »In fact, it [the concept of Romanization] is vulgar, ugly, anachronistic and misleading .« Für den Stand der Romanisierungsforschung siehe die Beiträge in Schörner 2005 und Rubel 2013 . 40 Wie Hingley 2005 deutlich macht, dessen Entwurf einer »globalisierten« römischen Welt paradoxerweise allein die lateinische Westhälfte des Reiches zum Gegenstand hat .

Pr ämissen für eine Geschichte der Steppengrenze · 31 völlig neu .41 Skeptisch gegenüber den großen Entwürfen, die bis dato das Feld beherrscht hatten, ging er mit einer kleinschrittigen Analyse, aber mit weitem Blick auf die Quellen zurück . Die Ereignisgeschichte deutete er als sukzessives Fußfassen Roms im Nahen Osten, als allmähliche Intensivierung römischer Herrschaft von indirekten zu immer direkteren Formen . Sodann klopfte Millar den Befund, Region für Region, auf Beweise für das Fortwirken einer, wie auch immer gearteten, ›orientalischen‹ Tradition hin ab und fand – nichts . Millars ernüchterndes Fazit lautete: »If we think of a ›culture‹ in the full sense, as a tradition, an educational system, a set of customs and above all a collective understanding of the past, then we can find in the Roman Near East only two established cultures: Greek and Jewish .«42 The Roman Near East hat, wie jedes einflussreiche Buch, viel Beifall gefunden, aber auch viel Widerspruch provoziert . Faktisch setzten sich die Diskussionen der ersten Jahrhunderthälfte fort, nun freilich auf höherem Reflexionsniveau und verbesserter Quellenbasis . Millars Anhänger verwiesen auf die fortschreitende Integration indigener Eliten ins Reichsganze, die – am epigraphischen Befund abzulesende – Marginalisierung des Aramäischen, das Fehlen von Zeugnissen, die auf ein ›orientalisches‹ Selbstverständnis der Zeitgenossen schließen lassen würden; seine Kritiker monierten die Konzentration auf schriftliche, vor allem epigraphische Zeugnisse und machten sich auf die Suche nach Details, mit denen sie Millars implizite Generalthese einer ›kulturellen Amnesie‹ – Verlust der Erinnerung an vorhellenistische Traditionen – ins Wanken bringen konnten .43 Unbestreitbar ist die Behauptung, ›kulturelle Amnesie‹ habe sich der Region bemächtigt, ein Argumentum ex silentio . Dessen aber ist sich Millar auf jeder Seite seines Buches bewusst . Dennoch verengte sich die Diskussion, provoziert auch durch das Amnesie-Paradigma und Millars zugespitzte Fragestellung,44 im Gefolge abermals auf die Dichotomie OrientOkzident . Heute wie damals wird der griechisch-römische Einfluss entweder als so übermächtig empfunden, dass von vorhellenistischen Traditionen im Malstrom allgemeiner ›Amnesie‹ nichts überlebt habe, oder er wird als ›Firnis‹ hinwegdisputiert . Die Zuspitzung auf vermeintliche Antagonismen, ›Ost‹ vs . ›West‹, ›Amnesie‹ vs . ›Firnis‹, lässt noch immer den langen Schatten des kulturellen Essentialismus erkennen . Obendrein erwies sie sich in ihrer Einseitigkeit mehr und mehr als Hindernis auf dem Weg zu einer versachlichenden Zugangsweise . Wiederum gilt: Das Ausfindigmachen wirklicher oder scheinbarer 41 Millar 1993 . 42 Ebd ., 517 . Vgl . auch Millar 1987a . In der Sache sind Millar seither die meisten Arbeiten gefolgt, auch tiefergehende Detailstudien . Genannt seien nur die Beiträge in Bowersock 1994a . 43 Für Vorderasien vor allem Ball 2000 . 44 Millar 1993, 489–532, fragt im »Epilogue« zuerst unter der Überschrift »East?« nach Indizien für eine wie auch immer geartete »orientalische« Identität der Orientprovinzen und ihrer Bewohner, um dann unter dem Stichwort »West?« zu argumentieren, das Handeln von Individuen wie Elagabal und Zenobia werde allein dann begreifbar, wenn man als Beobachter eine dezidiert römische Perspektive einnehme . Freilich sind Millars Schlussfolgerungen in jeder Beziehung sehr vorsichtig und zurückhaltend .

32 · I. EInlEItung Kontinuitäten oder Diskontinuitäten hilft nur bedingt weiter, solange wir nicht wissen, welchen Sinn die Zeitgenossen ihnen unterlegten .45 Eine Kulturgeschichte des römischen Vorderasien lässt sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit verschiedenen Erkenntniszielen schreiben . Die vorliegende Darstellung zielt auf die Orientprovinzen als Raum extremer kultureller Diversität, auf die Genese kultureller Identität und die Berührung zwischen unterschiedlichen kulturellen Milieus – und das alles unter dem politischen Dach der römischen Herrschaft . Identität, Integration und Romanisierung sind deshalb zentrale hermeneutische Kernkategorien dieser Studie . Wie ›Romanisierung‹ werden auch die Begriffe ›Integration‹ und ›Identität‹ in der Forschung unterschiedlich benutzt, weshalb einige Klarstellungen angebracht sind . Als ›Integration‹ soll hier der Prozess verstanden werden, der Territorien, Kollektive und Individuen von der Außenarena des Imperiums allmählich in sein Zentrum ›wandern‹ ließ . Die Menschen konnten dazu mobil sein und sich physisch von der Welt außerhalb des Reiches in seine Provinzen begeben . Doch auch wenn sie es nicht waren, konnten sie sich von außen nach innen bewegen, mitsamt ihrer Umwelt, in der die Präsenz des Imperiums immer manifester, seine Herrschaft intensiver wurde . ›Integration‹ ist im imperialen Rahmen kein von der Zentrale gesteuerter Prozess, sondern geschieht weitgehend ohne ihr Zutun . Sie kommt nicht ohne ein gewisses Quantum Homogenisierung aus; Integration bedeutet immer auch die Herstellung eines Mindestmaßes an Konvergenz, auf den unterschiedlichsten Feldern: sprachlich, infrastrukturell, sozial, ökonomisch, rechtlich, mental .46 Doch anders als im modernen Nationalstaat, der große Anstrengungen unternimmt, um solche Konvergenzen herzustellen, geschieht all das in Imperien weitgehend ungeplant . Das heißt nicht, dass Imperien ihren Bevölkerungen keine Integrationsangebote unterbreiten, materielle wie ideelle . Nur ergeben auch sie sich kontingent aus der Geschichte; sie sind nicht, oder doch in den seltensten Fällen, intentional gelenkt, um Integration zu erreichen . Je stärker das Echo auf die Integrationsangebote, desto geringer werden die Durchsetzungskosten für Herrschaft ausfallen: Langfristig entscheiden sich darüber Stabilität, Dauer und Erfolg eines Imperiums . Integration und Konvergenz lassen sich an objektiven Gegebenheiten ablesen: der Zirkulation von Waren, der materiellen Kultur, dem rechtlichen Status von Individuen und Kollektiven . Schwieriger verhält es sich mit ›Identität‹ als einer Sache des imaginaire: Sie lebt in den Köpfen, nicht in Steinen, Töpfen, Bildern, Tüchern und Buchstaben . Das scheint sich als unüberwindliches Hindernis vor der Untersuchung von Individual- und Kollektividentitäten in solchen Gesellschaften aufzutürmen, die keine literarischen Zeugnisse im eigentlichen Sinne hinterlassen haben . Wie lässt sich aus der post-festum-Pers45 Seit geraumer Zeit hat indes die Bereitschaft zugenommen, binäre Zuspitzungen zu vermeiden und die Forschung zum römischen Orient Anschluss an methodische Entwicklungen in der Altertumswissenschaft insgesamt finden zu lassen: Butcher 2003; Veyne 2005, 259–344; Andrade 2013 . 46 Naerebout 2013, 268 .

Pr ämissen für eine Geschichte der Steppengrenze · 33 pektive des Historikers die Bedeutung von Dingen rekonstruieren, wenn die Quellen fehlen, die darüber Auskunft geben könnten, welchen Sinn ihnen die Zeitgenossen beimaßen? Einen Ausweg aus dem Dilemma weist die folgende Prämisse: Situationen forcierten Kulturkontakts sind nicht nur geeignete Konstellationen für die Konstruktion, sondern auch für die historische Rekonstruktion von Identitäten . Die Gegenwart von alternativen, mit dem Eigenen rivalisierenden kulturellen Modellen ruft den Beteiligten immer wieder Relativität und Grenzen des ihnen vertrauten ›Sinnuniversums‹ ins Gedächtnis . Wer mit dem Anderen, dem Fremden konfrontiert ist, nimmt die Welt, in der er lebt, nicht mehr als selbstverständlich hin . Die Erfahrung von Alterität macht Identität zum Problem: Kulturkontakt wird so nachgerade zur Grundbedingung für das Entstehen kollektiver Identitäten . Er markiert zugleich Identitätsgruppen und die Grenzen zwischen ihnen in historischen Befundlagen, die normalerweise, auf das imaginaire bezogen, stumm bleiben – eine einzigartige Chance für die historische Forschung, die lernen muss, solche Markierungen als codierte Identitäten zu lesen . Das Neben-, Gegen- und Miteinander verschiedener ›Sinnuniversen‹ auf engstem Raum und die daraus erwachsenden Bedingungen für das Werden kultureller Identitäten sind deshalb die Leitthemen dieses Buches . Die Geschichte der römischen Orientprovinzen ist wesentlich eine Geschichte des Dazugehörenwollens und der Abgrenzung in einem kulturell buntscheckigen Milieu .47 Um sie schreiben zu können, ist der Horizont zunächst weit zu fassen, chronologisch, räumlich und systematisch über die eigentliche Steppengrenze hinausgreifend . Akkulturation und die Genese kultureller Identitäten bleiben unverständlich ohne Wissen um all jene Faktoren, die sich der Kontrolle des Einzelnen entzogen, seine Existenz aber doch auf vielfältigste Weise beeinflussten . Solche Faktoren sind die natürliche Landschaft, die besondere Anforderungen an die hier Siedelnden stellte, aber ebenso die politische Landschaft – beide als weitgehend gegebene, durch die Menschen vor Ort hinzunehmende und nur in Nuancen veränderbare Größen . Insbesondere gilt es, eine Vorstellung von Rom als Imperium zu gewinnen, die nationalstaatsbezogene Leitbilder hinter sich lässt, zugleich jedoch die ungeheure, auch ideell verwurzelte Integrationskraft des Reiches erklärt .48 Dem Einfluss von Individuen entzogen sich zu allen Zeiten aber auch Systeme gesellschaftlicher Organisation, Institutionen und kulturelle Zeichensysteme, wie ›Kunst‹,49 Architektur, Sprache, Religion . Sie alle sind Grundstrukturen, »irreduzible Grundbedingungen des Menschseins überhaupt«,50 und prägen jeden einzelnen von uns: Wir alle 47 Das Dazugehörenwollen betont, mit Verweis auf den Wettbewerb um Rang und Prestige im regionalen Rahmen, Andrade 2013 . 48 Dazu etwa Ando 2000; Wallace-Hadrill 2008; Bang 2013, 439–441; Lavan 2016 . Siehe unten, S . 57 . 49 Die Vielschichtigkeit des Begriffs kann hier nicht erschöpfend diskutiert werden, der Gebrauch von Anführungszeichen erscheint aber, bezogen auf antike Gesellschaften und ihre Rezeptionen von Bildern, angebracht . Eine ›Kunstanthropologie‹ als eigenständige Disziplin steckt noch in ihren Anfängen . Zur Problematik aber einleitend: Belting 2004 . 50 Assmann 1997, 133 .

34 · I. EInlEItung partizipieren an ihnen, selbst – wie Jan Assmann so treffend bemerkte – der Eremit, im »Gestus der Negation« .51 Erst aus dem Verständnis für Möglichkeiten und Beschränkungen, Zwänge und Konventionen heraus erhalten die historischen Hinterlassenschaften der Zeitgenossen, ihr Handeln und Schaffen, ihren Sinn . Solange Individuen in vermeintlich einfach strukturierten Milieus leben, in segmentären Stammesgesellschaften oder dörflichen Face-to-face-Gemeinschaften, bleiben Grundstrukturen unter der Oberfläche und werden als selbstverständlicher Teil der Umwelt hingenommen . Sie drücken, ohne unser Zutun und ohne dass wir es verhindern könnten, unserem Leben ihren Stempel auf, schaffen Koordinatensysteme, in denen wir unseren Standort bestimmen, wirken als Wahrzeichen zur Orientierung . Doch bleiben sie zunächst unbewusst, wirksam nur im Verborgenen . Ethnische, politische und kulturelle Formationen sind in diesem – freilich kaum in der Wirklichkeit, sondern bloß im akademischen Laborversuch vorkommenden – Stadium kongruent .52 Erst mit wachsender sozialer Komplexität, vor allem in der Berührung mit dem Anderen, weicht die Kongruenz einer zunehmenden Differenzierung . Kulturelle Systeme, ethnische Zugehörigkeiten und politische Ordnungen beginnen auseinanderzuklaffen, die Unterscheidung von eigen und fremd rückt auf die Tagesordnung, Identität wird zum Problem . Die Grundstrukturen müssen dazu der »Unsichtbarkeit vollkommener Selbstverständlichkeit und Implizität«53 entrissen und an die Oberfläche des Bewusstseins gezerrt werden . Die Steigerung von Grundstrukturen durch Reflexivwerden ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass sich Kollektive als zusammengehörig und von anderen Kollektiven durch imaginäre Grenzen geschieden begreifen können . Die Möglichkeit dazu ist am ehesten im steten, engen Kontakt mit dem Anderen gegeben, mit alternativen Realitätsentwürfen . Der Logik kollektiver Identitäten und ihrer Genese folgt hier die Logik der Darstellung . Stets vom Allgemeinen zum Besonderen voranschreitend, lotet sie aus, welche Räume für Sozialisation und Akkulturation für die Menschen an der Steppengrenze bestanden, welche Möglichkeiten Individuen und Kollektive hatten, Definitionen des Eigenen und Fremden zu kreieren und so kulturelle Standortbestimmungen vorzunehmen . Den physischen Rahmen für diesen Prozess steckt die Geographie ab (Kapitel II) . Der Raum ist die Bühne, auf der sich menschliches Handeln und mit ihm historische Prozesse entfalten . Das gilt zumal, wenn der Untersuchungsgegenstand, die Steppengrenze, maßgeblich geographisch definiert ist, mehr noch dann, wenn ein Raum so herausfordernd ist und so enge Grenzen setzt, so kleinräumig, aber auch so vielgestaltig ist wie die Zone zwischen Orontes und Tigris . Nicht minder zentral ist für diese Studie das Verständnis historischer Abläufe und größerer, übergeordneter Strukturen von Macht (Kapitel III) . Roms politisches Agieren im Nahen Osten war, wie die jüngere Forschung überzeugend dargelegt hat, nicht von ei51 Ebd ., 133f . 52 Ebd ., 144 . 53 Ebd ., 135 .

Pr ämissen für eine Geschichte der Steppengrenze · 35 ner »Grand Strategy« geprägt, sondern vielmehr vom kleinschrittigen Taktieren des trial and error . Charakteristisch für Machtstrukturen an einer imperialen Eroberungsgrenze, blieb indirekte Herrschaft über autonome Vasallen stets ein unverzichtbares Instrument imperialer Politik, der Römer im Westen wie der Parther, später der Sasaniden, im Osten . Kontinuität überwog im Verhältnis der Großmächte zueinander und zu ihren jeweiligen Vasallen, über die Jahrhunderte und selbst über den Dynastiewechsel im Osten hinweg . Schuf die politische Großwetterlage Fakten nach außen, so setzte das Gefüge überkommener sozialer und politischer Institutionen Grenzen nach innen (Kapitel IV) . Als Kernstück antiker sozialer Organisation gilt gemeinhin die autonome, einen urbanen Kern und ein ländliches Umland integrierende Stadtgemeinde (Polis), deren Siegeszug im Osten mit Alexander dem Großen begann . Doch setzte sich die Polis erkennbar nicht überall in derselben Dichte und Intensität durch . Zu fragen ist deshalb, wie nahe die Städte an Roms Steppengrenze ihrem Institutionengefüge nach dem Idealtypus Polis wirklich kamen . Schließlich wirkte, wie zu sehen sein wird, auch die nomadische Vorgeschichte langfristig nach und steuerte ihr institutionelles Erbe zum Urbanisierungsprozess bei . Zur Kernfrage, wie Grundstrukturen im imaginaire einer Gesellschaft verankert sind, stoßen Überlegungen über kulturelle Identitäten vor (Kapitel V) . Das methodische Problem besteht seit Millars Initialzündung unverändert fort: Wie lassen sich aus einem historischen Abstand von fast 2000 Jahren für Gesellschaften, aus denen kein Corpus literarischer Texte auf uns gekommen ist, Muster kollektiver Identität rekonstruieren? Sprache, bildende ›Kunst‹, Architektur und Religion sind wie Wahrzeichen in der Landschaft des Imaginären . Doch erschließt sich ihr Sinn nicht unmittelbar . Isoliert stehende Monumente bleiben, mit Blick auf die ›Sinnuniversen‹, in denen ihre Erbauer lebten, stumm . Einen möglichen Zugang erschließt die Semiotik, die Sprache, Religion und visuelle Formen der Kommunikation als Zeichensysteme deutet und so dabei hilft, vermeintlich isolierte Relikte zueinander in Beziehung zu setzen . Die methodische Annäherung an kulturelle Identitäten und die paradigmatische Analyse von Feldern, auf denen sie manifest wurden, leitet über zur Untersuchung des Phänomens selbst . Dazu ist die Betrachtungsebene zu wechseln, der Maßstab zu verfeinern . Treten die Grundstrukturen gerade auf der mittleren Ebene einer Region an die Oberfläche, die ungefähr das römische Großsyrien unter Einschluss Mesopotamiens umfasst – und somit größer ist als die eigentliche Steppengrenze –, und in einer Analyse von Prozessen der langen Dauer, die ansetzt, bevor Rom als Machtfaktor am Horizont Vorderasiens auftauchte, so wird das in-Kontakt-Treten divergenter kultureller Formationen besonders gut sichtbar in einer kleinräumigen Betrachtung, auf der Mikro-Ebene von Städten und überschaubaren Landschaften . Vier lokale ›Fallstudien‹ nehmen deshalb die Städte Palmyra (Kapitel VI), Edessa (Kapitel VII), Dura-Europos (Kapitel VIII) und Hatra (Kapitel IX) sowie ihr jeweiliges geographisches Umfeld in den Blick . Die vier Räume stehen für vier Verlaufsformen des Kontakts zwischen imperialem Zentrum und imperialer Peripherie, sie sind durch divergente Naturräume geprägt und gerieten zu unterschiedlichen Zeitpunkten und unter

36 · I. EInlEItung unterschiedlichen Voraussetzungen in den Bannkreis Roms . Rom bemächtigte sich ihrer auf je andere Weise – Intensität, Art und Dauer des Kontakts variierten von Fall zu Fall . Schließlich hat jeder der vier Räume – bedingt durch sein historisches Schicksal und naturräumliche Bedingungen – einen je individuellen Bestand von Quellengattungen hinterlassen: Palmyra die monumentale Architektur von Kult-, Profan- und Grabbauten; Edessa seine syrischsprachige Literatur; Dura-Europos die urbane Matrix eines ›Pompeji des Orients‹; Hatra die gewaltigste Tempelanlage der römisch-orientalischen Welt und zugleich ein ergiebiges Corpus aramäischer Inschriften, das einzigartige Rückschlüsse auf seine Gesellschaft zulässt .

II. VOM ORONTES BIS ZUM TIGRIS Der Mensch hat eine Geschichte, da er die Natur verändert . Maurice Godelier

Vom Orontes bis zum Tigris spannt sich eine Zone naturräumlicher Vielfalt, die durch allmähliche Übergänge und ein kleinräumiges Wechselspiel gekennzeichnet ist . Allmähliche Übergänge, weil von West nach Ost langsam und kaum merklich das Gesicht der Landschaft verändernd – geologisch, geomorphologisch, hydrologisch: Der Geograph spricht von ›Formenwandel‹ . Wasser ist ein Gut, das, knapp schon im noch mediterran geprägten Westen Syriens, nach Osten hin nur immer knapper wird . Kleinräumig, weil in der Übergangszone des Formenwandels Gebirge und Wasserläufe inselartig Gebiete schaffen, die ganz andere Voraussetzungen für menschliche Besiedlung bieten als ihr unmittelbares Umland . Großräumige, regionale und lokale Prägungen des Landschaftsbildes verschränken sich deshalb in Vorderasien zu einem verwirrenden Vexierbild der Vielfalt, der idealen Szenerie für komplexe historische Abläufe, wie sie für die Region, seit es Zivilisation gibt, charakteristisch sind .

Grenzen Grenzen gliedern Räume . Es gibt künstliche Grenzen, die, ohne Rücksicht auf die Natur, wie mit dem Lineal gezogen sind . Es gibt natürliche Grenzen, die durch Bergkämme oder Flüsse markiert sind . Und es gibt Grenzen, die keine Linien sind, sondern Säume, breite Zonen und weite Räume allmählichen Übergangs . Roms Steppengrenze war ein klassischer Grenzraum,1 in sich uneinheitlich und gegenüber den Nachbarregionen unklar abgegrenzt, typischerweise assoziiert mit Gegensatzpaaren: das Eigene vs . das Fremde, Zivilisation vs . Wildheit/Barbarei, Kulturland vs . Wüste . Für Machtzentren waren Grenzräume an der Peripherie immer auch Zonen, wo Angst und Schrecken herrschten .

1

Zu Grenzen als Räumen: Gehrke 1999 .

38 · II. Vom orontEs bIs zum tIgrIs Das Land zwischen Orontes und Tigris ist trocken, aber beileibe keine Wüste . Wasserknappheit ist dennoch ein verbindender Faktor: Die Steppengrenze gehört zu den semiariden Regionen . Bei einer jährlichen Niederschlagsmenge zwischen 150 und 240 mm ist Ackerbau nur mehr unter Zuhilfenahme künstlicher Bewässerung möglich, extensive Weidewirtschaft aber subsistenzsichernd . Alles Land zwischen beiden Isohyeten, das nicht bewässert wird, ist Steppe . Entsprechend hatte Landwirtschaft an der Steppengrenze immer einen schweren Stand, weithin dominierten Viehzüchternomaden . Die Grenze zwischen Kultur- und Nomadenland war aber nie nur eine naturräumliche Scheidelinie, stets spielten politische Konstellationen eine Schlüsselrolle . Die pax imperii großer Territorialstaaten konnte die Viehzüchter, oft über Jahrhunderte, weit zurückdrängen oder für ein Maximum an friedlichem Einvernehmen zwischen Nomaden und Sesshaften sorgen . Die ›Steppengrenze‹ ist deshalb kein für alle Zeit fest umrissener geographischer Begriff, sondern eine von soziopolitischen Faktoren abhängige Variable . Roms Steppengrenze bildete, zur Zeit seiner äußerlich größten Machtentfaltung in den 230er Jahren, ungefähr ein Fünfeck, mit Edessa als nördlichem, Apameia als nordwestlichem, Palmyra als südwestlichem, Dura-Europos als südöstlichem und Hatra als nordöstlichem Eckpunkt . Die natürlichen Grenzen, die diesen Raum einfassen, treten unterschiedlich markant hervor: Die Gebirgsmassive von Taurus und Zagros im Norden und Nordosten sowie die nicht mehr von Flussoasen unterbrochene Arabische Wüste im Süden sind unübersehbare, fast schon unüberwindlich scheinende Barrieren . Im Westen hingegen geht die Steppengrenze allmählich ins mediterran geprägte Westsyrien über, nach Osten und Südosten hin, entlang der Flusstäler von Euphrat und Tigris, entschied die politische Geschichte darüber, was noch die Bezeichnung ›römische Steppengrenze‹ verdient . Über der östlichen Ǧazīra mit Hatra ragten, wenn auch nur für ein gutes Jahrzehnt, Roms Legionsadler auf; nicht anders über dem Tal des mittleren Euphrat, hier immerhin – je nachdem, ob man direkte oder indirekte Herrschaft zugrunde legt – für 50 bzw . fast 100 Jahre . Beide Landschaften markieren mithin den östlichen bzw . südöstlichen Rand der Steppengrenze .

Formenwandel: Großräumige Prägungen des Landschaftsbildes Nicht nur kleinräumige Faktoren machen die Steppengrenze zu einem geographisch uneinheitlichen Raum . Praktisch von allen Seiten greifen größere geologische und geomorphologische Strukturen auf sie über und determinieren ihre landschaftliche Gestalt .2 Das Relief ist durch das Aufeinandertreffen gleich dreier großer tektonischer Platten geprägt: Im Südosten drängt die Kontinentalmasse Arabiens nordwärts gegen die Platten Anatoliens und des Iran; der Grenzsaum reicht vom Persischen Golf bis zur Levante . Nördlich davon entstanden in einem Gebiet mit beträchtlicher seismischer Aktivität seit dem 2

Wirth 1971; Mensching/Wirth 1977, 166–169; Fisher 1978, 15 .

ormen wandel: Grossr äumige Pr ägu ngen des �andschafts�ildes · 39 Mesozoikum die alpidischen Gebirgsketten von Taurus und Zagros mit Höhen von über 4000 Metern . Entlang der kontinuierlich sich fortsetzenden Depression Rift-Valley – Rotes Meer – Golf von Akaba – Totes Meer – Jordangraben – al-Ġaur-Falte – BiqāʿEbene – al-Ġab-Falte (Orontestal) driften afrikanische und arabische Platte auseinander . Gebirge säumen den Grabenbruch zu beiden Seiten: im Westen die Bruchfaltengebirge des Libanon, des Ǧabal al-Anṣārīya und des Nurgebirges, des antiken Amanus, sowie die Hügel Galiläas, im Osten der Ǧabal az-Zawīya, der Antilibanon, der Hermon und das jordanische Hügelland . Im Übrigen bilden arabische und nordafrikanische Platte eine alte Kontinentalmasse mit stark verhärtetem, kristallinem Gesteinssockel, über dem sich Schicht für Schicht ablagerte, wodurch die weiten, lediglich von einzelnen Hügelzonen  unterbrochenen Ebenen des arabischen und nordafrikanischen Tafellandes entstanden . Die Levante, in die der westliche Rand der Steppengrenze übergeht, ist die Übergangszone zwischen Anatolien und Iran mit ihren Bergmassiven einer-, dem arabisch-nordafrikanischen Festlandssockel mit den Ebenen Mesopotamiens, Arabiens und Nordafrikas andererseits . Alle Faktoren gemeinsam prägen das Landschaftsbild Syrien-Palästinas und machen seine Vielgestaltigkeit aus: die Nähe der Gebirgsketten des Nordens, die weiten Ebenen, der Grabenbruch und die küstenparallelen Bruchfaltengebirge . Dieses Relief – Übergang von den Gebirgszügen des Westens zum nur noch von Schichtstufenformationen unterbrochenen Tafelland der syrischen Wüstensteppe – bedingt die Niederschlagsmenge mit einer praktisch kontinuierlichen Abnahme der Regentätigkeit von West nach Ost und damit zugleich den grob in West-Ost-Richtung3 verlaufenden Formenwandel .4 Die feuchten Luftmassen des Mittelmeerraums regnen sich größtenteils bereits an den küstennahen Bergen ab; ein drastischer Rückgang von Luftfeuchtigkeit und Niederschlagsmenge Richtung Osten ist die Folge . Idealtypisch schließt sich so an das stark mediterran bestimmte Gebirgsland im Westen ein Streifen bereits flacherer Ackerfluren an, der östlich in die noch Regenfeldbau gestattenden Steppenebenen übergeht, auf die wiederum die breite, in die nordmesopotamische Ebene einmündende Zone der syrischen Wüstensteppen- und Wüstentafel folgt, wo Ackerbau nur mehr in den bewässerbaren Flusstälern möglich ist .5

3 4 5

Korrekt wäre eigentlich WNW-ESE, genau quer zur SSW-NNE-Achse der Küste und der küstenparallelen Gebirgszüge und Täler . Wirth 1971, 17f . Die durchschnittliche Jahresniederschlagsmenge geht von 600 bis 1000 mm an der Küste auf 400 mm in den Ackerfluren, 250 mm im Steppengürtel und unter 200 mm im ariden Wüsten- und Wüstensteppengebiet zurück; ebd ., 19–21 .

40 · II. Vom orontEs bIs zum tIgrIs

Großlandschaften Zu den großräumigen treten eine Fülle regionaler und lokaler Faktoren und strukturieren das Landschaftsbild . Höhenzüge wie das südsyrische Basaltland schaffen isolierte Zonen mit höherer Niederschlagsmenge inmitten der Steppe, Flusstäler und Oasen grüne Inseln intensiver Bewässerungswirtschaft in arider Umgebung, Wadis immerhin noch günstige Transportwege mit sporadischen Restwasservorkommen . Entsprechend vielgestaltig sind die Steppe und ihre Nachbarregionen, als Natur-, Lebens- und Wirtschaftsräume für die in ihnen lebenden Menschen . Acht ihrem Charakter nach sehr unterschiedliche Großlandschaften heben sich in Großsyrien, vom Mittelmeer bis zum Tigris, voneinander ab . Von allen syrischen Großlandschaften geographisch am weitesten dem Westen zugewandt und klimatisch vollmediterran geprägt ist Westsyrien, das grob in die Küstenebene, die dahinter aufsteigenden Bergketten (Ǧabal al-Anṣārīya, Ǧabal al-ʾAqraʿ, Amanus) und den wiederum östlich daran sich anschließenden Grabenbruch der al-Ġab-Falte zerfällt . Der syrische Küstensaum verläuft nördlich des noch im Libanon liegenden Tripoli nahezu gerade in Nord-Süd-Richtung, springt nur bei Latakia (arabisch al-Lāḏiqiyya bzw . griechisch Laodikeia) mehrmals in spornartigen Vorgebirgen westwärts vor und beschreibt dann, nun bereits auf türkischem Staatsgebiet, hinter dem tiefen Einschnitt des Golfes von Iskenderun einen weiten Bogen nach Westen . Die Küstenebene ist von recht unterschiedlicher Tiefenausdehnung: Nördlich von Tripoli und im Bereich von Latakia erreicht sie für die Levante beachtliche räumliche Tiefen von bis zu 20 Kilometern, im Ebenen Kilikien, das historisch noch zu Syrien zählt und nach Anatolien hin die Verlängerung Westsyriens bildet, sogar weitaus mehr: an die 80 Kilometer . An anderen Stellen fallen Ǧabal al-ʾAqraʿ und Amanus steil zur Küste hin ab, nur einem schmalen ebenen Streifen Raum gebend . Naturräumlich nimmt die Cilicia campestris, das Ebene Kilikien, nicht nur innerhalb der Großlandschaft Westsyrien, sondern bezogen auf ganz Großsyrien einen absoluten Sonderstatus ein:6 Es ist die einzige Alluvialebene von nennenswerter Größe, das Schwemmland bietet vorzügliche Bedingungen für Bewässerungsbau . Infolge massiver Sedimentablagerung bei fortgesetzter Erosion im bergigen Hinterland hat sich die Küstenlinie seit der Antike im durch die Flüsse Pyramus und Sarus gebildeten Delta merklich verschoben: Tarsos, das noch in römischer Zeit eine Küstenstadt war, liegt heute weit im Binnenland . Das milde, vollmediterrane Klima zieht sich in Kilikien weit die Berghänge hinauf und bildet eine gute Grundlage für Ackerbau . Weniger günstige Voraussetzungen bot stets, obschon gleichfalls vollmediterran geprägt, die Küstenebene des heutigen Syrien .7 Sie ist stellenweise sehr schmal, zwischen Bāniyās und Ṭarṭūs im Südabschnitt nur rund 1 Kilometer breit, und wird erst in jüngerer Zeit für bewässerte Intensivkulturen genutzt . Viele Gebiete litten bis in die französische Mandatszeit unter Versumpfung und damit unter Malaria . Dennoch ist auch hier grund6 7

Banse 1919, 174–179 . Wirth 1971, 369–373 .

Grosslandschaften · 41 sätzlich, bei entsprechender Be- und Entwässerung, ein hohes Potential für agrarische Nutzung vorhanden, das in der Antike vermutlich besser ausgeschöpft wurde als in der osmanischen Periode: Gerade für die Anlage mediterraner Hain- und Gartenkulturen herrschten hier insgesamt günstige Bedingungen . Vielgestaltig ist das Landschaftsbild in den binnenwärts gewandten Regionen Westsyriens . Sie werden beherrscht von Höhenzügen und den tiefen Depressionen des syrischen Grabensystems . Bei entsprechenden Be- und Entwässerungsmaßnahmen gedeihen hier Getreide, Garten- und Hainkulturen; sumpfige Niederungen werden heute mit Reis bebaut . Im östlich anschließenden Karstgebiet im Bereich der ›Toten Städte‹ hat sich dagegen die Degradierung der Landschaft verheerend ausgewirkt: Die in der Antike noch starke Schicht lockeren Bodens ist heute weggespült, fast überall tritt der nackte Fels hervor .8 Dennoch gedeihen selbst in dieser verkarsteten Landschaft auf dünnster Bodenkrume bis heute Feigen, Ölbäume und Wein . Der Küstenraum Westsyriens geht südlich des Ǧabal al-Anṣārīya, jenseits der AkkarEbene, in den Libanon über, dessen heutiges Staatsgebiet mit seinen zahlreichen auch naturräumlichen Besonderheiten eine eigene Großlandschaft bildet .9 Weit stärker als Westsyrien ist der Libanon reliefbedingt in küstenparallele Räume untergliedert . Die Gebirge des Bruchschollenlandes (Libanon, Antilibanon, Hermon) erreichen hier weitaus größere Höhen . So ist Phönikien, die libanesische Küstenebene, nahezu in seiner ganzen Länge durch die bis über 3000 Meter aufragende Barriere des Libanon von seinem Hinterland getrennt . Nur ganz im Norden und ganz im Süden ist der Gebirgsriegel durchbrochen, gestatten Akkar- und Jesreel-Ebene einen leichten Zugang zur Küste . Dazwischen erleichtern allenfalls einige Pässe und die von den zahlreichen Flussläufen gegrabenen, zerklüfteten Täler die Passage . Die Küstenebene ist ausgesprochen fruchtbar – heute gedeihen hier neben Getreide alle Arten von Agrumen, Oliven und sogar Bananen –, gibt aber der Landwirtschaft ihrer geringen Breite wegen nur wenig Raum . Da andererseits die Küste über vorzügliche Häfen und Schiffslandeplätze verfügt, war die Orientierung ihrer Bewohner nach Westen, in Richtung Mittelmeer, durch die naturräumlichen Bedingungen faktisch vorgezeichnet . Die Höhen des Libanon waren bis zum Einsetzen des Raubbaus an den natürlichen Waldbeständen durchaus nicht dicht mit Zedern bewachsen . Vorherrschend waren Koniferen unterschiedlicher Spezies (Wacholder, Tannen, Pinien, Zedern), die, nach Höhen gestaffelt, das Vegetationsbild des Libanon prägten .10 Die Zedern waren speziell in mittleren Höhenlagen heimisch . Durch Kahlschlag wurden die Mischwälder so weit dezimiert, dass nur mehr inselartig spärliche Reste erhalten blieben . Verkarstung und Verödung durch Erosion war damit Tor und Tür geöffnet . 8 Ebd ., 374 . 9 Grundlegend noch immer: Vaumas 1954 . 10 Ebd ., 286, Abb . 46 .

42 · II. Vom orontEs bIs zum tIgrIs Unterlag also auch der Naturraum des Libanon – und analog des Antilibanon und des Hermon – bereits seit frühester Zeit einem anthropogenen Degradationsprozess, so blieb die Biqāʿ-Ebene, das Mittelstück des in Nord-Süd-Richtung sich spannenden großen Grabenbruchs, von dessen Auswirkungen weitgehend unberührt . Die Ebene hat eine durchschnittliche Höhe von knapp 1000 Metern über dem Meeresspiegel . Sie mündet nach Norden hin ins Orontestal, nach Süden in den Jordangraben . Sie ist daher, zumal zahlreiche Seitentäler und Pässe die Passage nach Ost und West erleichtern, prädestiniert als Transitregion für den Fernhandel zwischen Syrien und Palästina, aber auch für den transkontinentalen Fernhandel zwischen Vorderasien und Afrika sowie zwischen Vorderasien und dem Mittelmeerbecken . Da zudem die Höhenlage erträgliche Klimabedingungen schafft, das mediterrane Klima, jedenfalls im Süden, auf die Hochebene übergreift und die Biqāʿ-Ebene über fruchtbare Alluvialböden verfügt, tritt als weiterer eminenter Gunstfaktor ein hohes agrarisches Nutzpotential hinzu . In der Zentral-Biqāʿ, im Raum Baalbek, entspringen die auch im Sommer Wasser führenden Flüsse Orontes (Nahr al-ʿĀṣī) und Leontes (Nahr al-Līṭānī), die das Rückgrat weitgespannter Bewässerungssysteme bilden . Noch heute ist die Biqāʿ mit intensiven Bewässerungs- und Regenfeldkulturen (Weizen, Gerste, Obst, Gemüse, Zuckerrüben, Tabak, Mais) sowie Weinanbau in den westlichen Randzonen der wichtigste Agrarraum des modernen Libanon .11 Mit den Graten von Hermon und Antilibanon, welche die Biqāʿ-Ebene nach Osten hin abschließen, endet der mediterrane Klimaeinfluss und macht einem ariden Wüstensteppenklima Platz . Der Kamm, an dem sich fast immer die letzten feuchten Luftmassen vom Mittelmeer abregnen, bildet damit logisch auch die Grenze der Großlandschaft Libanon – wie auch des modernen Staates . Auf Hermon und Antilibanon wiederholen sich ungefähr die Vegetationsformen des Libanon, nur dass hier, in einem insgesamt trockeneren Klima, Wacholder und Pinien gegenüber anderen Nadelbäumen dominieren . Die in allen Bergzonen des Libanon häufigen Karstquellen garantieren eine ganzjährige Wasserversorgung und speisen auch hier zahlreiche kleinere Flüsse . Einen breiten Streifen vom Mittellauf des Orontes über die Ebene von Aleppo bis zur heutigen syrisch-türkischen Grenze am Euphrat bilden die Ackerfluren Nordsyriens .12 Geologisch weitgehend homogenes Tafelland, ist die Großlandschaft im Westteil klimatisch noch die Fortsetzung des mediterranen Westsyrien, nach Osten zur Wüstensteppe hin dagegen bereits deutlich trockener und Jungsiedelland, mit einer Niederschlagsmenge unter 400 Millimetern . An der Grenze zwischen beiden Bereichen verläuft, teilweise entlang des Orontes, die alte Nord-Süd-Achse (Aleppo – Biqāʿ-Ebene), noch heute die wichtigste Verkehrsachse der Region, die zugleich die ertragreichen Ackerebenen um Aleppo, Homs und Hama verbindet . Für landwirtschaftliche Nutzung eignen sich nur die tiefer gelegenen Regionen, in denen sich die größeren städtischen Zentren gebildet haben . Am Mittellauf des Orontes 11 Mensching/Wirth 1977, 210, Abb . 229 . 12 Wirth 1971, 378–387 .

Grosslandschaften · 43 bewässerten bereits in der Antike große Wasserschöpfräder die Flussebene um Hama und Homs . Bewässerungsbau ermöglicht auch der Aleppo-Fluss (Quwayq) im Umland der gleichnamigen Stadt . Großflächig umgeben ist es von Gebieten mit Regenfeldbau im Fruchtwechsel Wintergetreide-Sommerfrucht .13 Günstige Verkehrslage und beträchtliches Agrarpotential machten die Niederungen Nordsyriens auch in der Antike schon zu einem dichtbesiedelten Landstrich . Wesentlich ungünstigere Bedingungen herrschen dagegen heute in den größtenteils verkarsteten, höher gelegenen Gebieten vor . In römischer Zeit mit Hilfe von Zisternen bewässert und erschlossen, ist das wasserarme Kalksteinplateau mit seinen ›Toten Städten‹ heute von zur Sesshaftigkeit übergegangenen ehemaligen Nomaden besiedelt; auf den von Erosion betroffenen, flachgründigen und steinigen Böden lassen sich indes kaum noch Erträge erzielen, die an das antike Niveau heranreichen .14 Östlich an den Libanon schließt sich Mittelsyrien15 mit einer Folge fast paralleler Gebirgszüge an, deren Kammhöhe von der Linie Hermon-Antilibanon nach Osten hin stetig abnimmt . Das Hochland mit über 1000 Metern über dem Meeresspiegel fällt im Süden, zum Becken von Damaskus hin, auf deutlich unter 1000 Meter ab . Da sich die mediterranen Zyklone überwiegend an den Kammhöhen von Libanon und AntilibanonHermon abregnen, erhält Mittelsyrien deutlich weniger Niederschlag als die vorwiegend mediterran geprägten Großlandschaften West- und Nordsyrien sowie der Libanon: Die Wüstensteppe ragt hier weit nach Westen vor, stellenweise bis an den Gebirgsrand . Dass die Region Damaskus, und mit ihr kleinere Bewässerungsoasen, dennoch zu den fruchtbarsten Landstrichen Syriens gehört, verdankt sie den zahlreichen Karstquellen, die reichlich und vor allem ganzjährig Wasser spenden . Von zwei Flüssen gespeist, ist durch Aufbrechen der Schutttrichter am Gebirgsrand und sukzessive Anlage künstlicher Beund Entwässerungskanäle eine großflächige Bewässerungsflur (Ġūṭa) entstanden . Das Wasser der Ġūṭa ergießt sich im Osten in zwei Endseen . Reguliert durch Wasserangebot, Bodenqualität und -preis sowie die Entfernung zum städtischen Markt in Damaskus, hat sich, seit der Erschließung der Ġūṭa um Christi Geburt, ein Zentrum-Peripherie-System des Anbaus verschiedener Feldfrüchte herauskristallisiert: Es reicht von Gemüseanbau im Kernbereich um Damaskus über Mischkulturen (Nuss- und Aprikosenbäume, Hülsenfrüchte, Klee, verschiedene Getreide) bis zu Öl- und Weinkulturen am äußersten, nur noch spärlich bewässerten Rand . Die Fragilität des Ökosystems zeigt sich auch hier in der Überbeanspruchung der Wasserressourcen, in diesem Fall durch die Metropole Damaskus und die immer intensivere Bewässerungswirtschaft mit Motorpumpen .16 Dieser Prozess ist jedoch rezent: Unter den demographischen Bedingungen der Antike ließen sich in den Ġūṭa kontinuierlich 13 14 15 16

Ebd ., Karte 10 . Ebd ., 390f . Ebd ., 397–408 . Ebd ., 403 .

44 · II. Vom orontEs bIs zum tIgrIs hohe Überschüsse erwirtschaften, ohne das Potential der Landschaft über Gebühr zu strapazieren . In etwa der antiken Landschaft Batanaia (hebr . Bāšān) entspricht Südsyrien,17 das mit seiner vulkanischen Prägung geologisch deutlich vom restlichen Syrien absticht . Die Großlandschaft umschließen im Westen die Randzonen des Hermon, im Südwesten die seit 1967 von Israel besetzten Basalthöhen des Ǧawlān (Gaulanitis) mit einer Höhe von 700 bis 1000 Metern, im Osten der vulkanische, bis zu 1800 Meter hohe Ǧabal adDurūz und im Norden die Trachonitis (›die Steinige‹) . Im Zentrum Südsyriens liegen, als rings von Höhenzügen umschlossene Mulde, die Ebenen des Ḥaurān (Auranitis) mit 500 bis 700 Metern Höhe . Insgesamt wenig fruchtbar, hat Südsyrien nur im Ḥaurān, wo die Basaltdecken stärker verwittert sind, gute, für Ackerbau geeignete Böden: Hier lag denn auch bereits in der Antike die Kornkammer Syriens . In den übrigen Teilen Südsyriens verhindert die Bodenbeschaffenheit eine flächendeckende Nutzung: In Zonen mit jüngeren Lavaergüssen, wo der Basalt nur wenig verwittert ist, beherrschen sterile Lavablockfelder und Felswüsten das Landschaftsbild . Obwohl hier die Niederschläge reichhaltiger ausfallen als in den durch hohe Gebirgsriegel vom Mittelmeer abgeschnittenen Teilen Südsyriens, sind landwirtschaftlich nutzbare Gunsträume auf wenige Inseln beschränkt . Fehlende oder sehr tief liegende Grundwasservorräte erschweren die Lage zusätzlich: Die wenigen Quellen versiegen im Sommer und lassen eine jahreszeitunabhängige künstliche Bewässerung nicht zu .18 Die Besiedlung Südsyriens war daher eine überragende römische Pionierleistung . Durch Anlage eines planmäßigen Netzes von Wegen und Bewässerungsanlagen, gestützt vor allem auf Zisternen, wurden der Ḥaurān, die Randzonen des Ǧabal ad-Durūz und – zu militärischen Zwecken – sogar die Felswüste der Trachonitis erschlossen . Noch heute folgen Siedlungsmuster und Wegestruktur vielerorts den römischen Vorgaben; römische Architektur, Bewässerungsanlagen und Zisternen werden stellenweise bis auf den heutigen Tag genutzt .19 Nirgends in Großsyrien ragt das Altsiedelland mit günstigen Bedingungen für vormoderne Landwirtschaft so weit nach Osten vor wie in Nordostsyrien .20 Von der Wüstensteppe durch den in west-östlicher Richtung verlaufenden Gebirgsriegel des Ǧabal ʿAbd al-ʿAzīz und des Ǧabal Sinǧar (um das antike Singara) geschieden, erstrecken sich die Ackerebenen dieser, ungefähr mit dem antiken Osrhoene identischen Großlandschaft links des Euphrat auf heute türkischem und syrischem Staatsgebiet bis zur Grenze des modernen Irak . Das nördlich angrenzende anatolische Bergland mit dem Taurus-Massiv sorgt regelmäßig für Niederschläge über 300 Millimeter – hinreichende Grundlage für Regenfeldbau . Nordostsyrien ist damit nicht mehr Steppengrenze im strengen Sinne, 17 18 19 20

Ebd ., 408–421 . Ebd ., 411 . Ebd ., 412, Abb . 53 . Ebd ., 421–429 .

Grosslandschaften · 45 wohl aber naturräumlich und verkehrstechnisch in Richtung Steppe so weit geöffnet, dass kulturgeographisch eine Grenzziehung wenig Sinn ergibt . Die Hürde des Taurus sorgte dafür, dass Nordostsyrien sich stets stärker nach Mesopotamien als nach Anatolien hin orientierte . Bereits in der Bronzezeit war der nördliche Gebirgsrand, dank der Verfügbarkeit von Wasser und der Praktikabilität von Regenfeldbau, dicht besiedelt . Mit seiner günstigen Verkehrslage entlang der überregionalen Fernhandelsrouten von Mesopotamien in den Westen avancierte das Gebiet zu einer Zone intensiver Urbanisierung . Fruchtbare Lössböden sind ein weiterer Gunstfaktor, zu dem im Bereich der Ḫābūr- und Balīhquellen noch die Möglichkeit künstlicher Bewässerung – bis heute mit Göpelrädern – kommt . Einen Naturraum eigenen Gepräges bilden im Tafelland der Syrischen Wüste die Flusstäler von Euphrat und Ḫābūr .21 Gegenüber der Umgebung um 80 bis 250 Meter eingetieft, werden sie im Frühjahr regelmäßig von den Hochwassern der Flüsse überflutet . Am ehesten hier finden sich in Syrien naturräumliche Bedingungen, die denen Babyloniens gleichkommen . Nicht zufällig sind die Flussoasen seit prähistorischer Zeit ein Gebiet intensiven Bewässerungsbaus und zugleich Rückgrat der großen Fernhandelsrouten . Frühe Zentren wie Habuba Kabira, Mari und Emar lagen am Mittel- bzw . Oberlauf des Euphrat . Mehr als alle übrigen Landschaftstypen Syriens sind die Flussoasen von anthropogenen Eingriffen und, als Folge, erheblicher Degradation betroffen: Bereits frühe Bewässerungsmaßnahmen bewirkten auf lange Sicht Bodenversalzung durch Sedimentablagerung . Die Liste der Großlandschaften komplettieren die ausgedehnten Wüstensteppen,22 auf die ca . 60 Prozent des heutigen syrischen Staatsgebiets entfallen . Obwohl mit weniger als 200 Millimeter Niederschlag arid und weitaus trockener als der Rest Syriens, fallen fast überall im Jahresmittel noch mindestens 70 bis 80 Millimeter Niederschlag . Weitgehend frei von Flugsand und durchgängig eben, sind die Wüstensteppen zudem für Nomaden und Handelsverkehr verhältnismäßig gut passierbar .23 Das Flusstal des Euphrat teilt die Syrische Wüste in zwei ungleiche Teile: die Ǧazīra (›Insel‹, d .h . zwischen Euphrat und Tigris) links und die Šāmīya rechts des Euphrat . Durch Höhenzüge, namentlich die Palmyraketten und die Kreidehöhen, und ein Wadisystem östlich von Palmyra in seinem Relief gegliedert, gestattet dieser Teil Innersyriens in Grenzen Ackerbau . Entlang der südwestlichen Ausläufer der Kreidehöhen zieht sich eine aus Karstquellen gespeiste Reihe von Oasen .24 Nirgendwo differieren antikes und modernes Siedlungsbild so auffällig wie im westlichen Teil der Šāmīya, nördlich der Palmyraketten, wo während der römischen Herrschaft 21 Ebd ., 429–437 . 22 Ebd ., 438–449 . 23 Ebd ., 438: »Sie erscheinen in vieler Hinsicht zumindest randlich noch in den Lebensraum der Menschen mit einbezogen, gehören also mehr der Subökumene als der Anökumene zu .« 24 Ebd ., 442–447 .

46 · II. Vom orontEs bIs zum tIgrIs und bis in umayyadische Zeit die Erfordernisse des Fernhandels und der Grenzsicherung bzw . Sicherung von Handelswegen gegen Nomaden den beträchtlichen Aufwand bei der Urbarmachung und Kolonisierung ihrer Natur nach siedlungsfeindlicher Gebiete rechtfertigten . Die Bewässerung erfolgte hier durch unterirdische Wasserstollen (Qanate bzw . Foggara) und Zisternen . Die Siedlungsfläche war dementsprechend weit in die Wüstensteppe vorgeschoben . Zentren agrarischer Produktion, neben Palmyra eine Reihe weiterer Siedlungen vor allem in Innersyrien, konnten sich dauerhaft aber nur in den Oasen behaupten . Naturräumlich waren, bis in jüngste Zeit, die Oasen, auf der Grundlage intensiver Bewässerungswirtschaft, prädestiniert für ihre Rolle als Drehscheiben des Handels zwischen Nomaden und Sesshaften und Tauschzentren der Nomadensammelwirtschaft . Eine besondere Bedeutung als Umschlagplatz erhielt in römischer Zeit das günstig an der kürzesten passierbaren Landroute zwischen Persischem Golf und Mittelmeer gelegene Palmyra . Mit fortschreitender Bevölkerungsverdichtung in den großen Oasen (Palmyra, Qaryatain) entsteht auch hier das Problem der Störung natürlicher Kreisläufe durch den Menschen: durch vermehrte Wasserverunreinigung und -entnahme, mancherorts schon mit einem bedrohlichen Absinken des Grundwasserspiegels und einsetzender Verödung .

Wasser Aller geomorphologischen und daraus erwachsenden klimatischen Uneinheitlichkeit zum Trotz ist der Grenzsaum zwischen den nördlichen Gebirgsmassiven und dem Tafelland der Arabischen Halbinsel, der wegen seiner Form so bezeichnete Fruchtbare Halbmond (Abb . 2 .1), relativ der am meisten begünstigte Raum Vorderasiens . Das liegt vor allem an der Verfügbarkeit der Schlüsselressource schlechthin: Wasser . Regenfeldbau im mediterranen Westen und Bewässerungswirtschaft im kontinental geprägten Osten garantieren Ackerbauern ein hinreichendes Auskommen und ermöglichen zudem in nennenswertem Umfang die Produktion agrarischer Überschüsse . Während im Bogen zwischen Sinai und Šaṭṭ al-ʿArab in einem breiten Streifen bereits frühzeitig urbane Siedlungen entstanden und auf der Basis sesshafter Landwirtschaft eine hohe Bevölkerungsdichte erreicht wurde, blieb die von nur wenigen Oasen unterbrochene Arabische Wüste bis in unsere Tage Nomadenland . Aus anderen Gründen war das Gebirgsland des östlichen Anatolien und des Iran landwirtschaftlicher Nutzung bis in die jüngste Vergangenheit praktisch entzogen .25

25 Im ariden Wüsten- und Wüstensteppenklima der arabischen Halbinsel (Niederschlagsmenge im langjährigen Mittel in Dubai: 112 mm) ist Landwirtschaft nur inselartig in Oasen und Bewässerungsfluren möglich . Nur 4000 Quadratkilometer oder 0,2 Prozent der Staatsfläche Saudi-Arabiens etwa sind heute landwirtschaftliche Nutzfläche . Die Hochebenen des östlichen Anatolien wurden erst jüngst für den Ackerbau erschlossen, die

Wasser · 47

Karte 2.1: Der ›Fruchtbare Halbmond‹

Großsyrien ist auch klimatisch ein Raum des Übergangs, geprägt von gemäßigt-mediterranen Einflüssen einer-, ariden Wüsten- und Wüstensteppenklimaten andererseits . Der entscheidende Indikator ist die Niederschlagsmenge: Während an der syrischen Küste (Latakia) im langjährigen Mittel mit 790 mm Niederschlag zu rechnen ist, sinkt dieses Quantum in den Ackerfluren des Binnenlandes bereits auf knapp die Hälfte (Aleppo: 365 mm, Hama: 345 mm), um sich in Mittelsyrien abermals deutlich zu reduzieren (Damaskus: 210 mm) . In Innersyrien, im Bereich der Steppe und Wüstensteppe, liegt die Niederschlagsmenge im langjährigen Mittel allenthalben deutlich unter 200 mm (Dair azZaur: 150 mm, Palmyra: 125 mm) .26 Erschwerend kommt hinzu, dass ein ausgeprägter Wechsel zwischen mehrjährigen Dürre- und Feuchtigkeitsperioden teilweise erhebliche Abweichungen vom langjährigen Mittel bewirkt: Gerade in den Trockenzonen Innersyriens reduzierte sich die Regenmenge etwa in den Dürrejahren zwischen 1957/58 und 1960/61 auf 55 (Hama), 57 (Dair az-Zaur) bzw . 65 (Aleppo, Palmyra) Prozent des langjährigen Mittels . Damit fallen in Trockenjahren weite Teile sonst durchaus regenreicher Gebiete unter die kritische Grenze Hochgebirgszonen sind bis heute weitgehend unbesiedelt . Vgl . Mensching/Wirth 1977, 187–201; Fisher 1978, 323–362 . 26 Wirth 1971, 92 . Die Zahlen basieren auf Berechnungen von Wirth .

48 · II. Vom orontEs bIs zum tIgrIs von 250 Millimetern, die bei Regenfeldbau im Allgemeinen einen befriedigenden Ertrag garantiert .27 Das bedeutet für die Landwirtschaft, dass in diesem Sektor nur Betriebe überlebensfähig sind, die periodische Missernten verkraften können . Auch die über das Jahr zu beobachtenden klimatischen Gegensätze sind in Syrien beträchtlich . Hauptjahreszeiten sind der – beständig heiße, überall sehr niederschlagsarme – Sommer und der – namentlich in der Küstenregion recht unbeständige, dort sehr niederschlagsreiche und in Höhenlagen kühle – Winter, während Frühjahr und Herbst nur den Charakter von Übergangsjahreszeiten haben . Ursache dieses Witterungsverlaufs ist die Verlagerung der planetarischen Zirkulationsgürtel: Während im Winter, alternierend mit Schönwetterzonen, Tiefdruckgebiete in West-Ost-Richtung auf mehreren Bahnen über das Mittelmeer ziehen und Syrien erreichen, greift im Sommer die subtropische Trocken- und Passatzone auf die Levante aus und sichert ihr einen beständigen Hochdruckeinfluss . Im Sommer ist daher das Klima in der gesamten Region, abgesehen von einer höheren Luftfeuchtigkeit in der Küstenzone, einheitlich: Niederschläge sind äußerst selten – selbst in Latakia fallen zwischen Juni und August jeweils nur wenige Millimeter –, die Temperaturen grundsätzlich sehr hoch, mit Temperaturmaxima zwischen knapp 35 (Küstenregion, Höhenlagen) und 45 (Innersyrien) Grad .28 Große klimatische Unterschiede zwischen mediterran geprägten und ariden Zonen Syriens klaffen hingegen im Winter auf, wenn sich die feuchten Luftmassen der mediterranen Tiefdruckgebiete an den küstennahen Gebirgen abregnen, während östlich der Hauptkämme deutlich weniger, in Trockenjahren selbst in den Monaten Dezember bis Februar stellenweise nahezu kein Regen niedergeht .29 Die reliefbestimmte Differenz in Bezug auf die Niederschlagsmenge ist der Hauptgrund für die grobe klimatische Zweiteilung Syriens – mit tiefgreifenden Folgen für den regionalen Wasserhaushalt, für die Bodennutzung und damit letztlich für Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Existenz . Entsprechend zerfällt Syrien in drei große Klimaregionen: die mediterran geprägten Küstenrandbereiche im Westen (Niederschlagsmittel 400–700 Millimeter), die einem bereits wesentlich trockeneren Steppenklima, mit allerdings immer noch fühlbarem mediterranen Einfluss, unterliegende Übergangszone (Niederschlagsmittel 250–600 mm) und schließlich die aride, vollkontinentale Wüstensteppe im Osten (Niederschlagsmittel unter 200 Millimeter . Dazu gesellen sich die – je nach Küstennähe – überwiegend ozeanischen bzw . überwiegend kontinentalen Höhenklimate in den über 1000 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Bereichen von Libanon, Antilibanon, Ǧabal al-Anṣārīya, Amanus, Hermon, Antilibanon, Palmyraketten und Ḥaurān, mit niedrigeren Temperaturen und einer merklich erhöhten Niederschlagsmenge von bis zu 1200 Millimetern .30

27 28 29 30

Ebd . Ebd ., 73–76, mit Diagrammen (Abb . 14) . Ebd . Ebd ., 99–106 .

Anthropogene Ver änderu ngen · 49 Insgesamt ist das Klima die wichtigste Determinante der Bodennutzung in Großsyrien . Die für die mediterrane Landwirtschaft so typischen Hain- und Gartenkulturen mit Ölbaum, Feige und Wein sowie anderen Sommerfrüchten gedeihen vorzüglich in der vollmediterranen Küstenebene . Dasselbe gilt eingeschränkt noch für den binnenwärtigen, trockenmediterranen Streifen, der sich von den Ǧawlān-Höhen über die Biqāʿ-Ebene bis ins Orontestal spannt . Östlich davon ist Ackerbau meist, so er einen regelmäßigen, befriedigenden Ertrag gewährleisten soll, auf Bewässerung angewiesen . Von praktisch identischen klimatischen Verhältnissen ist für die hellenistisch-römische Zeit auszugehen .31 Wenn also in der Zeit der römischen Herrschaft die landwirtschaftliche Nutzfläche Syriens eine größere Ausdehnung erreichte als selbst heute, ist dies gewiss auch einer optimierten Bewässerungswirtschaft zuzuschreiben . Die ausschlaggebende Rolle für das Schrumpfen des Kulturlandes dürften aber fraglos die seither erfolgten massiven anthropogenen Veränderungen im Naturhaushalt gespielt haben .

Anthropogene Veränderungen Der gravierendste menschliche Eingriff in das empfindliche ökologische System Syriens war der massive, bereits in der frühen Bronzezeit mit den ersten Großreichen (Ägypten, Akkad-Reich) einsetzende, über die gesamte Antike anhaltende und bis in die Moderne fortgesetzte Raubbau an den Waldbeständen Syriens .32 Er bewirkte eine fortschreitende Erosion und Degradierung,33 die bis heute die meisten ehedem bewaldeten Höhenzüge speziell der westlichen Zonen in »öde und verkarstete Kalktriften«34 verwandelt haben, mit äußerst nachteiligen Folgen für Wasserhaushalt und Bodennutzung in der gesamten Region . Kaum weniger folgenschwer ist bis in die Gegenwart die intensive Nutzung der Steppe durch viehzüchtende Nomaden und Halbnomaden . Die ursprünglich auch hier vorhandenen, schütteren Waldbestände mitsamt dem Unterwuchs von Steppengräsern gingen durch sukzessive Degradierung zugrunde, durch Holzeinschlag, Beweidung und Wurzelrodung, ergänzt durch das erodierende Wirken von Wasser und Wind, und wichen 31 Ebd ., 98 . 32 Zum Problem der Entwaldung: Fisher 1978, 98; Meiggs 1982 . Noch während des Ersten Weltkriegs dienten die Bergwälder dem Einschlag von Feuerholz . 33 Zu den Degradierungsstufen mediterraner Vegetation: Wagner 2001, 229 . Der gerodete mediterrane Wald macht zunächst einer hohen Macchia Platz . Sie weicht – bei fortgesetztem Holzschlag zur Gewinnung von Brennholz und Ackerland – einer artenärmeren niederen Macchia, die bei fortgesetzter Degradierung in Garrigue und Phygana übergeht . Am Ende bleiben niedere Pflanzen wie Felsheide und Pelouse, bei weiterer Beweidung nur der nackte Fels . Ist dieser Zustand erreicht, so ist der Prozess der Degradierung unumkehrbar, eine Regeneration durch Aufforstung unmöglich . 34 Wirth 1971, 98 . Aufforstungsprogramme, selbst in großem Umfang wie heute im Libanon, können dem Problem nur punktuell abhelfen . Die Verkarstung der levantinischen Gebirge ist insgesamt irreversibel .

50 · II. Vom orontEs bIs zum tIgrIs einer äußerst kargen Flora von Moosen, Flechten und Riccia, stellenweise völlig kahlem Boden . Zugleich wurde der Boden durch Verfestigung zunehmend wasserundurchlässig, der Grundwasserspiegel sank ab . Beide Degradierungsvorgänge setzten bereits im Altertum ein . Wesentliche Triebkräfte waren die Gewinnung neuen Ackerlands durch Binnenkolonisation und, im Zusammenhang damit, die Vertreibung der Nomaden aus den vegetationsreicheren Steppenzonen . Dadurch wurden die Viehzüchter in die Trockensteppe abgedrängt, die als Folge massiv überweidet wurde . Der Prozess gewann am Ende der Antike nochmals an Dynamik, als die Küstenbevölkerung mehrheitlich in Rückzugsgebiete vertrieben wurde und sich die Rodungen in den unzugänglichen Montanregionen intensivierten .35 Von einer großflächigen, auf anthropogene Einflüsse zurückgehenden Veränderung des Boden- und Vegetationsbildes seit der Antike ist also unbedingt auszugehen . Sie hat die natürlichen Determinanten der Bodenbildung (Ausgangsgestein, Klima- und Witterungseinflüsse) lokal überlagert .36 Entsprechend ist das Vorkommen guter, humusreicher Böden ein weiterer Bedingungsfaktor für Landwirtschaft, der heute das Nutzungspotential einschränkt . Natürliche Eignungsräume haben bestenfalls Inselcharakter: Relativ gute Böden korrespondieren vor allem in Nordsyrien, um Aleppo, bei Latakia und im Hinterland von Antakya sowie im äußersten Nordosten, im türkisch-irakisch-syrischen Grenzgebiet, mit hinreichenden Niederschlagsmengen und einem günstigen Relief . Die bei Weitem größten zusammenhängenden Eignungsräume aber sind das Schwemmland des Ebenen Kilikien, die libanesische Küstenebene und die Biqāʿ-Ebene, verlängert um das Orontestal . Vermutlich haben sich gerade die Voraussetzungen für Ackerbau seit der Antike vielerorts – so im Kalksteinmassiv im Bereich der ›Toten Städte‹ und vor allem im noch mediterran geprägten Steppengürtel – nachgerade dramatisch verschlechtert .37 Anthropogene Veränderungen des Ökosystems bewirkten teilweise auch nachhaltige Veränderungen der Hydrologie . In jüngster Zeit gilt dies namentlich für die großen Flusssysteme Vorderasiens: Hier ist es die Türkei, die mit ihren forcierten Staudammprojekten an Euphrat und Tigris (in der sogenannten GAP-Region38) ihren Nachbarn Syrien und Irak buchstäblich das Wasser abzugraben droht . Die verbliebenen Bewässerungsfluren Mesopotamiens sind dadurch unmittelbar gefährdet, eigene Bewässerungsprojekte Syriens und des Irak in Frage gestellt . Eine Überbeanspruchung der Wasserreserven kennzeichnet bis heute auch den Umgang mit Seen, Grundwasser und fossilen Wasservorkommen . Verstädterung, gepaart mit Überdehnung der Bewässerungsflächen und dem Einsatz 35 36 37 38

Wagner 2001, 228 . Wirth 1971, 115 . Ebd ., Karte 5 . Güneydoglu Anadolu Projesi (Südostanatolien-Projekt), vgl . Wagner 2001, 266 und Karte Abb . 283 . Das Staudammsystem verschlingt rund ein Drittel aller jährlichen Abflüsse von Euphrat und Tigris . Die Bewässerungsflächen der Türkei wuchsen zwischen 1971 und 1996 um mehr als 100 Prozent an . Vgl . ebd ., 269, Tab . 20 .

Anthropogene Ver änderu ngen · 51 moderner Schöpftechniken (Motorpumpen), hat vielerorts bereits die Leistungsfähigkeit natürlicher Reservoirs überfordert, ihre Regeneration unmöglich gemacht . So sind seit dem 19 . Jahrhundert alle natürlichen Seen Syriens, namentlich die großen Endseen bei Damaskus und Aleppo, verschwunden . Das ohnehin längst nicht überall verfügbare Grundwasser ist stellenweise bedrohlich abgesackt oder bis auf stark salzhaltige Restbestände zusammengeschmolzen .39 Auch die Bodenversalzung, Grundproblem jeder Bewässerungswirtschaft seit ihren Anfängen, ist eine Folge unsachgemäßen Umgangs mit Grund- und Flusswasser . Gerade die technische Aufrüstung der Bewässerungswirtschaft hat unterm Strich die Degradierung des Naturraums eher gefördert .40 Hat sich also alles in allem durch die Überbeanspruchung des Naturraums durch den Menschen seit der Antike, beschleunigt durch das demographische Wachstum der Moderne, auch die hydrologische Situation in der Region signifikant verschlechtert, so gibt es doch einige Konstanten, die Syrien innerhalb Vorderasiens nach wie vor als relativ begünstigten Raum erscheinen lassen: Mit Ḫābūr und Orontes verfügt es über zwei mittelgroße, aus Karstquellen gespeiste Flüsse, die zuverlässig Wasser führen und seit alters – mittels großer Schöpfräder – zur Feldbewässerung herangezogen werden . Die westsyrischen und libanesischen Bergmassive sowie die Zagrosrandgebiete im Nordosten begünstigen ferner die Bildung von Karstquellen in großem Umfang . Quellwasser steht hier somit perennierend in größerer Menge zur Verfügung und bildet die Grundlage der Ġūṭa .41 Insgesamt haben sich Boden, Wasserhaushalt und Vegetation Syriens unter dem Einfluss der jahrtausendelangen Nutzung durch den Menschen dramatisch zum Schlechteren verändert . Überall ist eine massive Degradierung des Naturraumes, der in seiner Regenerationsfähigkeit und Stabilität Vergleichen mit Mitteleuropa nicht standhalten kann, zu verzeichnen . Entsprechend waren die Voraussetzungen für jedwede Landnutzung in der Antike ungleich besser als heute: Eine – nach allem, was wir wissen – auch nach heutigem Maßstab vergleichsweise große Bevölkerung konnte mit einfacheren Mitteln und mit geringerem Risiko besser ernährt werden als die Einwohner des modernen Nationalstaates Syrien . Auch den naturräumlichen Bedingungen verdankten sich der relativ wie absolut beträchtliche Wohlstand und die politisch-ökonomische Bedeutung Großsyriens für das römische Imperium .

39 Wirth 1971, 111–114 . 40 Zu dieser Einschätzung gelangt jetzt Wagner 2001, 264f ., mit Verweis vor allem auf die mentalen Verwicklungen, die sich aus der scheinbar unbegrenzten Verfügbarkeit von Wasser in einem Wassermangelgebiet ergeben . 41 Vgl . Wirth 1971, 108f .

III. MACHT Der Fundamentalbegriff in der Gesellschaftswissenschaft heißt Macht Bertrand Russell

›Roms Steppengrenze‹, das ist kein mit dem Lineal gezogener Strich in der Landschaft, keine Demarkationslinie, schon gar kein ›Eiserner Vorhang‹ . Es ist eine Zone des Übergangs, zwischen zwei politischen Formationen, dem Imperium der Römer im Westen und dem Arsakiden- bzw . Sasanidenreich im Osten; des Übergangs auch zwischen Lebensweisen, der sesshaft-urbanen entlang der Flusstäler, am Fuß von Gebirgen, in Oasen, und der des Viehzüchternomaden der ariden Steppen- und Wüstenzone . Übergang impliziert Uneindeutigkeit, politisch wie kulturell, und kulturelle Hybridität ist, so wird zu sehen sein, so etwas wie das Markenzeichen der Steppenzone zwischen Orontes und Tigris . Doch wird kulturelle Hybridität versteh- und erklärbar erst auf der Folie politischer Uneindeutigkeit, wie sie sich im Verhältnis Roms zu seinen Klientelstaaten und zu seinem Rivalen im Osten, dem Parther- bzw . Sasanidenreich, äußerte . Zuvor sind allerdings einige den Weg der Analyse weisende Fundamentalbegriffe zu diskutieren, durch die die Steppengrenze erst Konturen erhält: ›Herrschaft‹, ›Imperium‹, ›Frontier‹ .

Herrschaft Das Römische Reich fußte zuallererst auf Macht . Mit dem Raum gehört Macht zu den großen, menschliche Existenz prägenden historischen Konstanten .1 Die gesamte Weltgeschichte lässt sich, allen historischen Paradigmenwechseln zum Trotz, auch heute noch sehr wohl als Machtgeschichte deuten, als Aufstieg und Niedergang großer und kleiner Mächte, mit Machtvakuen, die am Rande alter Machtzentren allmählich zu neuen Machtzentren heranreiften .2 Mindestens bleibt jede Darstellung von Geschichte ohne Analyse 1 2

Grundlegend: Popitz 1999; Geiss 2005 . Mann 1990, 1–63; Mann 1991 . Vgl . Geiss 1994, 31: »Power fluctuates through history, at times widely, between the extremes of power centre and power vacuum . As ideal types in the Weberian sense, they can be roughly

54 · III. macht von Machtstrukturen fragmentarisch . Macht ist offensichtlich omnipräsent, wenn auch so wandelbar wie ein Chamäleon . »Macht bedeutet«, der berühmten Definition Max Webers zufolge, »jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht .«3 Damit ist die Frage nach den Quellen angeschnitten, aus denen Macht sich speist . Macht beruht grundsätzlich auf der Verletzbarkeit des Individuums; Verletzung geschieht per Gewalt .4 »Nackte Gewalt« ist gleichsam die Grundform von Macht .5 Macht ist aber steigerungsfähig, institutionalisier- und intensivierbar . Sie speist sich aus verschiedenen Quellen und hat viele Gesichter: Aktions­ macht entspricht dem Typus der nackten Gewalt . Sie ist strikt handlungsgebunden, die Ausübung der Macht auf einen einzelnen, isolierten Akt beschränkt .6 Aktionsmacht setzt keine eindeutige und dauerhafte Überlegenheit einer Seite voraus . Instrumentelle Macht ist die Macht des Drohens und Belohnens . Sie beruht auf der Errichtung einer Drohkulisse, die idealiter Sanktionen überflüssig macht: »Jeder, der erfolgreich droht, spart die Kosten der Ausführung der Drohung .«7 Bedrohungsmacht stabilisiert die Erträge von Aktionsmacht – Macht wird teilweise handlungsunabhängig und zeigt nun die Tendenz, sich in einem Prozess der Rückkopplung zu verstärken . Mit jeder erfolgreichen Drohung sinken die Aussichten der Bedrohten, sich erfolgreich zu widersetzen . Belohnungen sind die Kehrseite des Drohens: Dadurch, dass sie entzogen und verweigert werden können, schwebt über ihnen stets eine implizite Drohung . Autoritative Macht hat sich, im Gegensatz zur instrumentellen Macht, ganz von konkreten Handlungssituationen gelöst . Die Objekte autoritativer Macht haben sich ihr ganz und gar ergeben: Sie sind so vollständig vom Urteil der Autoritätspersonen bzw . -gruppen abhängig, dass sie deren Urteile, Wertmaßstäbe, Orientierungen willig übernehmen . Die autoritative Variante überführt Macht in einen neuen Aggregatszustand: Sie wird zur Herrschaft .8 ›Herrschaft‹ und ›Autorität‹ sind zwei Begriffe für dieselbe Sache: ›Herrschaft‹ ist institutionalisierte Macht; anders als schiere Macht ist sie nicht »soziologisch amorph«, sondern richtet auf bestimmte, in Verbänden organisierte Personen .9 Autorität, wie auch immer sie begründet wird, verleiht

3 4 5 6 7 8 9

defined, although, in reality, they could be mixed . A power centre is a region with a central government, armed forces, and internal peace, waging wars outside its own territories . A power vacuum is the very opposite – a region without central government and armed forces, politically fragmented, in constant warfare amongst its components […], the battleground of intervening and expanding powers .« Weber 1981, 89 . Popitz 1999, 43f . Russell 2001, 34; vgl . auch Arendt 1987 . Popitz 1999, 43, definiert Aktionsmacht als »die Macht, anderen in einer gegen sie gerichteten Aktion Schaden zuzufügen, – anderen ›etwas anzutun‹ .« Ebd ., 94 . Weber 2005, 157: »Ein bestimmtes Maß an Gehorchenwollen, also: Interesse (äußerem oder innerem) am Gehorchen, gehört zu jedem echten Herrschaftsverhältnis .« (Hervorhebungen im Original) . Weber 1981, 89 .

Imperium · 55 Legitimität . Datensetzende Macht schließlich ist »objektvermittelt« .10 Sie beruht auf den Eingriffsmöglichkeiten des Menschen in seine natürliche Umwelt: Der Mensch übt Macht damit nicht nur gegenüber der Natur, sondern auch gegenüber seinen Mitmenschen aus . Datensetzende Macht ist deshalb vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet angesiedelt, bezieht sich, im weitesten Sinne, auf die Aneignung knapper Güter und Produktionsmittel .11 Die Typologie impliziert eine gewisse Stadienabfolge der Verfestigung und Vertiefung von Machtverhältnissen, sie ist aber keinesfalls als genetisches, gar evolutionistisches Modell zu deuten . Alle Machtformen bedingen einander gegenseitig, koexistieren und sind, als echte Weber’sche Idealtypen, kaum trennscharf gegeneinander abzugrenzen . Fast jede Macht bedient sich aller Grundformen, aber in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung . Der Vorzug der Typologie liegt in ihrer Offenheit gegenüber Machtfaktoren, die gewöhnlich nicht als solche erkannt werden und besonders subtile Formen der Macht hervorgebracht haben . Neben den klassischen Machtfeldern Krieg und Diplomatie (Aktionsmacht und instrumentelle Macht) sowie Ökonomie (datensetzende Macht) ist eben auch die Deutungshoheit über Symbole ein ergiebig sprudelnder Quell von Macht . Im modernen Nationalstaat sind die Wirkungskreise der verschiedenen Machtformen weitgehend kongruent, auch wenn Globalisierung und das Entstehen supranationaler Machtfaktoren (Konzerne, internationale Organisationen) gerade andere, gleichsam postnationale Realitäten schaffen .

Imperium Weder Rom noch das Parther- oder das Sasanidenreich waren Staaten im modernen Sinne . Wir sind gewohnt, in den Kategorien des ethnisch und kulturell homogenen, von wenig variablen, klar definierten Grenzen eingefassten Nationalstaates zu denken, der aber erst das Produkt der Französischen Revolution ist . Großreiche, vom Reich der Dynastie von Akkad bis zum Roten Imperium der Sowjets, stellen aber das genaue Gegenteil dar: Nicht von vertraglich fixierten Grenzen umgeben, beherbergen sie in ihrem Innern ein Konglomerat unterschiedlichster Ethnien, sprachlicher und kultureller Gruppen, untereinander abgegrenzt durch eine klare Zentrum-Peripherie-Struktur, idealtypisch in konzentrischen Kreisen – in der Mitte, wo sich die administrativen und ökonomischen Funktionen konzentrieren, eine Hauptstadt, ein Kernland, ein ›Reichsvolk‹, das sich sprachlich und kulturell von den übrigen Ethnien unterscheidet . Seine Sprache ist (meist, nicht immer) Lingua franca im Reich, seine Kultur (immer) normsetzende ›Leitkultur‹ .12 10 Popitz 1999, 31: »Sie wird gleichsam in materialisierter Form auf die Betroffenen übertragen .« 11 Ebd ., 164f . 12 Als vergleichende Untersuchung Münkler 2005 . Münkler (ebd ., 16–21) definiert ›Imperium‹, indem er es typologisch abgrenzt (1 .) vom Nationalstaat, den klare Grenzen gegen andere Nationalstaaten kennzeichneten,

56 · III. macht Das Zentrum zielt in Imperien, im fundamentalen Unterschied zu Nationalstaaten, nicht bewusst auf die vollständige politische, soziale und kulturelle Durchdringung, gar Rekonfigurierung der Peripherie ab . Homogenität liegt außerhalb des Interesses wie der Reichweite imperialer Mächte . Sie gewähren ihren Randgebieten stattdessen – in unterschiedlicher Dosis und in je eigentümlicher Ausgestaltung – Autonomie, die (wiederum idealtypisch) vom Zentrum Richtung Peripherie zunimmt . Entsprechend nimmt, schon aus Gründen der Geographie, die Intensität von Herrschaft ab: Zum Rand hin ist sie immer weniger fühlbar, in jeder Beziehung . Das Imperium muss sich, um am Rand seines Herrschaftsgebiets überhaupt noch Kontrolle ausüben zu können, auf lokale Eliten und Machthaber stützen – direkte geht in indirekte Herrschaft über .13 Die lokalen Herrscher werden als Vasallen- oder Klientelkönige vertraglich an das Imperium gebunden, sind zu Tributen und Heeresfolge verpflichtet, während das Zentrum – außer in eine effektive Drohung – praktisch nicht zu investieren braucht . Mit der Herrschaftsintensität nimmt auch die soziale und kulturelle Strahlkraft des Imperiums in der Peripherie immer weiter ab . Die Lebensbedingungen der lokalen Bevölkerung verändern sich unter indirekter Herrschaft meist nicht oder nur schleichend: Lokale Gemeinschaften behalten ihren einheimischen Herrscher als Bezugspunkt von Loyalität und Identität . Natürlich ist in der historischen Realität eine schier unendlich große Vielfalt möglicher Ausprägungen des einen Grundtypus imperialer Herrschaft denkbar . Im Detail unterscheiden sich alle, bilden British Empire, Osmanisches, Perser- und Akkadreich, Ägypten und China in ihren diversen Machtentfaltungen, das Heilige Reich des Mittelalters und eben das römische Imperium, das Parther- und das Sasanidenreich je Varianten aus eigenem Recht, aber alle über den gemeinsamen Nennern hierarchischer Zentrum-PeripherieBeziehungen, ungleichmäßiger Verteilung von Herrschaftsintensität und variabler, nicht klar bestimmter Außengrenzen, die in einer Fülle von Autonomieformen in indirekter Herrschaft ausfransen . Alle Imperien entstehen durch gewaltsame Eroberung, aber auf Dauer bewähren sie sich über ihre Fähigkeit, Differenz zu integrieren . Gewaltsame Unterdrückung von Widerstand ist nur eine der Optionen . Langfristig wirkungsvoller sind ›weiche‹ Instrumente der Herrschaftssicherung: Wenn die Lebensverhältnisse innerhalb des Imperiums als besser wahrgenommen werden als die Zustände jenseits seiner Grenzen, wenn dazuzugehören als Privileg gilt, unterstreicht das die Autorität der Herren . Die Römer, Erbauer des größten und dauerhaftesten Reiches im eurasischen Westen, waren wahre Virtuosen im (2 .) gegen die Hegemonie, welche die Vorherrschaft eines Akteurs über prinzipiell Gleiche bezeichne, und (3 .) gegen den Imperialismus des 19 . und 20 . Jahrhunderts, der den »Willen zum Imperium« (ebd ., 20) voraussetze und sich mit Ideologie paare . Zur historischen Morphologie von Imperien instruktiv auch: Doyle 1988; Osterhammel 2009, 603–616 . 13 Erstmals exemplifiziert als indirect rule durch den britischen Kolonialbeamten F . Lugard an der britischen Herrschaft in Indien, wo das British Empire in weiten Teilen lokale Fürsten in der Herrschaft beließ . Grundsätzlich ist indirekte Herrschaft aber als Paradigma universalisierbar . Lugard hat seine Kolonialdoktrin in einer hochinteressanten Schrift festgehalten: Lugard 1893 . Vgl . Geiss 1994 .

Imperium · 57 Integrieren: Ihnen gelang das Kunststück, aus unterworfenen Untertanen Teilhaber ihrer Herrschaft zu machen – und das fast überall und meist im Verlauf weniger Generationen .14 Über drei große Erzählungen unterbreitete Rom den Bewohnern der Provinzen ein Integrationsangebot:15 1 . Bürgerrecht, Partizipation und sozialer Aufstieg: Die epochale Innovation des archaischen und klassischen Griechenland war das Bürgerrecht gewesen . Die Bewohner der griechischen Poleis waren nicht Untertanen, sondern Teilhaber am und Mitgestalter des Staates . Anders als die Griechen handhabten die Römer ihr Bürgerrecht nicht exklusiv, sondern entkoppelten es territorial von ihrer Stadt . So kamen mit der Zeit immer weitere Kreise in den Genuss des Bürgerstatus, der zwar an politischer Bedeutung verlor, aber als soziales Distinktionsmerkmal weiter eine zentrale Rolle spielte . Wen Rom unterwarf, der besaß die Perspektive, dass er selbst oder seine Kinder dereinst als römische Bürger in den Genuss der imperialen Dividende kommen, vielleicht gar als Angehörige des Ritter- oder Senatorenstandes zur Elite gehören würden .16 2 . Zivilisation: Das Imperium war seiner Außenwelt haushoch überlegen, in nahezu jeder Beziehung: Es bot eine Infrastruktur, Rechtssicherheit, physische Unversehrtheit und einen Lebensstandard, der in jeder Hinsicht besser war als die Existenz der zahllosen Barbaren, die in seinem Umfeld lebten – oder besser: dahinvegetierten . Dieser Erzählung konnten die Römer hohe Plausibilität verleihen: Römische Bauingenieure überwanden Gebirge, Flüsse und Schluchten; Roms Soldaten hielten die Feinde des Imperiums, seine Flotten Piraten in Schach; Wasserversorgung und Kanalisation machten das Leben angenehm; Fenster sorgten dafür, dass man im Winter nicht fror . Der Redner Aelius Aristeides, selbst gebürtiger Grieche, bemerkte, die Römer hätten eine Verheißung Homers erfüllt und die Welt mit ihrem Wissen, ihrem Recht und ihrer Sprache »in einen einzigen Haushalt« verwandelt .17 3 . Mythos: Mythos ist der Reim, den sich eine Gesellschaft auf ihre Vergangenheit und das Werden ihrer Gegenwart macht . Mythos beantwortet die großen Menschheitsfragen: Wer bin ich? Woher komme ich? Als die Griechen ab dem 8 .  Jahrhundert v . Chr . die Küsten des Mittelmeers kolonisierten, brachten sie ihren Schatz von Geschichten mit, der bald jeden Ort mit den großen Erzählsträngen verknüpfte, aus denen der Mythos bestand, und so die Mittelmeerwelt regelrecht kartierte . Spätestens ab dem Hellenismus wurde aus dem Mythos ein überregionales ›Kommunikationsmedium‹, an dem die gesamte bekannte, zivilisierte Welt, 14 Zu Herrschaftsorganisation und Integration in Italien: Hantos 1983; Sommer 2016b, 123–133 . 15 Sommer 2017b, 90–95 . 16 Die Querbezüge zwischen Integration und Bürgerrecht behandeln: Vittinghoff 1980; Mastino 1984; Linke 2006; Marotta 2009; Ando 2016 . Zur Wirksamkeit des Bürgerrechts siehe unten, S . 113 . 17 Ael . Arist . or . 26 .101f .

58 · III. macht die Oikumene, partizipierte: Er war das universelle Bezugs- und Standortbestimmungssystem, in dessen Koordinaten sich jeder wiederfinden konnte . Über die Identität eines Ortes und seine Beziehung zur Welt gab für alle, die über die entsprechende Bildung, παιδεία, verfügten, der Mythos zuverlässig Auskunft .18 Das römische Imperium wurde damit noch nicht zur imaginierten Gemeinschaft, die man auf eine Stufe mit modernen Nationen stellen könnte .19 Dazu fehlte es an Medien und gezielter Steuerung . Aber das Integrationsangebot ging doch weit über das hinaus, was andere Imperien denen zu bieten hatten, die von ihnen unterworfen worden waren . Wenigstens die Oberen Zehntausend der römischen Welt, von den lokalen Eliten der zahlreichen Städte aufwärts, verstanden sich als Schicksalsgemeinschaft, kurz: als ›Römer‹, für die ihre Zugehörigkeit zum Imperium eine, wenn nicht die wesentliche Facette ihrer Identität war . Die drei Erzählungen – Bürgerrecht, Zivilisation, Mythos – korrespondieren grob mit drei Ebenen der Romanisierung: mit dem Bürgerrecht die rechtliche Romanisierung, mit der Zivilisation die technologisch-kulturelle Romanisierung einschließlich der Ausbreitung des Lateinischen oder Griechischen, mit dem Mythos die Romanisierung des imaginaire . Die drei Ebenen von Romanisierung wiederum schlagen sich in Quellen unterschiedlicher Gattung nieder: Für die rechtliche Romanisierung genügt schon ein Eigenname, denn der dreigliedrige römische Name ist Ausweis des römischen Bürgerrechts; die technologisch-kulturelle Romanisierung schlägt sich in materieller Kultur jeder Art, einschließlich Inschriften, nieder; um die Romanisierung von Individuen und ihren Innenwelten zu diagnostizieren, bedarf es komplexer Selbstzeugnisse – im Allgemeinen werden das Texte sein . Die dritte Ebene von Romanisierung ist letztlich die entscheidende, denn hier geht es darum, wie Menschen dachten, fühlten und handelten – um ›Identität‹ .20

Frontier Dass Rom trotz allem ein Imperium und kein Nationalstaat war, lehrt ein Blick auf seine Grenzen . Obwohl Grenzen, etwa am Hadrianswall oder am mitteleuropäischen Limes, scheinbar klar definierte Linien waren, endeten doch an einer solchen Markierung nirgends römische Herrschaftsbestrebungen . Vielmehr ließ rings um das Reich die Intensität römischer Herrschaft nach außen hin immer mehr nach, bis sie nur noch homöopathisch dosiert war . Nur scheinbar im Widerspruch dazu stand der proklamierte Universalismus Roms und seiner imperialen Sendung . Nach dem Selbstverständnis der Kaiser erstreckte sich ihre Herrschaft nicht auf dieses oder jenes Territorium, sondern auf den gesam18 Rüpke 2016, 120 . Vgl . Assmann/Assmann 1992; Gehrke 1994; Hübner 2000; Gehrke 2011 . 19 Anderson 1996 . 20 Siehe dazu unten, Kapitel V .

rontier · 59 ten Globus, wenigstens die zivilisierte Welt, die Oikumene .21 Dass der Anspruch nur der Theorie nach bestand, war den Römern wohl bewusst . Dennoch bleibt festzuhalten, dass Rom sein Imperium erst sekundär territorial definierte; primär war es ein Weltreich, dessen Kaiser über allen anderen Herrschern stand .22 Der Uneindeutigkeit politischer Grenzen entsprach hier die Uneindeutigkeit des Naturraums . Wo in Vorderasien die Grenze zwischen Kulturland und Steppe verläuft, war immer wesentlich eine politische Frage . Politische Fragmentierung und Machtvakuum leisten der Ausbreitung des Nomadismus Vorschub, auf Kosten sesshafter Ackerbauern, die politische Hegemonie einer imperialen Großmacht umgekehrt der Ausbreitung des Kulturlandes . Der imperiale Zyklus Vorderasiens, mit Expansion, Kulmination und Kollaps einer Kette von Großreichen, korrespondiert in einer oszillierenden Kurve mit Expansion und Kontraktion des Kulturlandes: Ausbreitung agrarischer Produktionsweise in den Machtperioden Akkads, der Dritten Dynastie von Ur, des Altbabylonischen Reichs, der alt-, mittel- und neuassyrischen Großmacht, des Neubabylonischen Reiches, des Achaimeniden- und schließlich des Seleukidenreiches; Expansion des Viehzüchternomadentums in imperialen Schwächephasen und Machtvakuen . Roms Expansion in Vorderasien stieß, ebenso wie die parthische, in ein solches Machtvakuum vor: in jenes des in seinen letzten Zügen liegenden Seleukidenreichs, in dem sich bereits weite Landstriche in Nomadenland verwandelt hatten .23 In römischer Zeit erreichte die Erschließung von Ackerland im Nahen Osten ein vielerorts bis heute historisches Niveau . Auch hydrologisch weniger begünstigte Zonen wie das Basaltland des Ḥaurān, das nordsyrische Kalksteinmassiv und die Steppe östlich davon, um Chalkis ad Belum, Teile der Palmyrene und sogar der östlichen Ǧazīra kamen unter den Pflug . Vorstellbar ist eine solch massive Veränderung, weg von extensiver Weide- hin zu intensiver, oft von künstlicher Bewässerung abhängender Landwirtschaft, nur als Binnenkolonisation, ökonomisch ausgedrückt: als »Heranführung der mobilen Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital an standortgebundene Ressourcen .«24 »Heranführen« ließen sich sesshafte Ackerbauern auf zwei Wegen: durch Sesshaftwerdung vor Ort befindlicher Nomaden und durch Peuplierung durch Siedler von außen . Vorderasien zwischen Orontes und Tigris wurde seit der frühen Kaiserzeit Schauplatz beider Varianten: Die Stationierung römischer Legionen erst in Syrien und später in Mesopotamien mündete in die dauerhafte Niederlassung von Veteranen und ihrer Familien im Umfeld der Garnisonsorte, beginnend schon in augusteischer Zeit .25 Quantitativ bedeutsamer war wohl die Sedenarisation ganzer Stämme, ob zwangsweise (wie bei 21 Zur intellektuellen Grundierung: Mehl 1990 . Vgl . Sommer 2014c . 22 Zur starken personalen Komponente des römischen Herrschaftsverständnisses jetzt: Sommer 2017c . 23 Ein recht gut dokumentiertes Beispiel ist die Biqāʿ-Ebene, wo nomadische und sesshafte Populationen bis zur Zeitenwende blutige Händel austrugen . Vgl . Aliquot 1999–2003; Sommer 2001 . 24 Osterhammel 1995, 10 . 25 Isaac 1990, 60f .

60 · III. macht den Ituräern in der Biqāʿ-Ebene) oder freiwillig (wie wahrscheinlich bei den Palmyrenern in der Palmyrene, bei nomadischen Gruppen im Ḥaurān, im Kalksteinmassiv, in Kommagene und Osrhoene sowie, jenseits der Reichsgrenzen, bei den Hatrenern in der östlichen Ǧazīra) . Rom steuerte, vermutlich primär aus Sicherheitskalkül heraus, beide Prozesse: mit Gesetzen, die als rechtliche Grundlage für die Aneignung unbebauten Ackerlands dienten, und mit Anreizen für Veteranen, sich im Grenzland anzusiedeln .26 Das Imperium sorgte auch sonst für günstige Rahmenbedingungen: Es schuf eine Infrastruktur (großräumige Bewässerungsmaßnahmen und Straßen) und garantierte Sicherheit, militärisch wie rechtlich . Im Ergebnis liefen Roms Maßnahmen auf eine wandernde Eroberungs- und Siedlungsgrenze im Orient hinaus: eben eine ›Frontier‹ ähnlich der des amerikanischen Westens . Die amerikanische Frontier hat zuerst der Historiker Frederick Jackson Turner 1893 prägnant beschrieben . Strukturell ist sie in mancher Hinsicht mit jener römischen des Orients vergleichbar .27 Namentlich schuf die Frontier, bei allen Unterschieden im Detail, hier wie dort einen kognitive Dissonanzen überbrückenden middle ground, auf dem Individuen und Gruppen mit unterschiedlichsten Hintergründen, Erfahrungen und Lebensweisen eine tiefgreifende Neuprägung erfuhren und – im Fall der USA – überhaupt erst zu ›Amerikanern‹ wurden . Gewiss ist die amerikanische Frontier ein mächtiger, sinnstiftender und tief im kulturellen Gedächtnis der USA (und Kanadas) verwurzelter nationaler Mythos . Doch war die offene Grenze im Westen auch realhistorisch über alle Maßen wirkungsmächtig, indem sie zum eigentlichen Movens im Prozess der amerikanischen Soziogenese wurde . Zum Idealtypus universalisiert,28 ist die amerikanische Frontier das Paradigma für unzählige ähnliche historische Phänomene, speziell die wandernden Siedlungs- und Eroberungsgrenzen vormoderner, polyethnischer, von ›barbarischen‹ Peripherien umgebener Imperien . Anders als die moderne Staatsgrenze trennt die Frontier nicht zugleich politische, wirtschaftliche, kulturelle und sprachliche Räume voneinander ab . Imperiale Frontiers sind ein »Geflecht«, mit unscharfen, nicht zusammenfallenden politischen, ökonomischen und sprachlich-kulturellen Grenzen .29 Wie die Frontier Frederick Jackson Turners schaffen solche Grenzsäume spezifische Existenzbedingungen für die in ihnen lebenden Menschen und bringen so spezifische Formen politischer, sozialer und ökonomischer Organisation hervor . Eine dieser Formen ist die gateway city, ein von Geographen in die Debatte um die amerikanische Frontier und andere wandernde Grenzen eingebrachter Idealtypus, der 26 Tate 1997, 55–71; Butcher 2003, 140f . 27 Wieder abgedruckt in Turner 1920, 1–38 . Eine intensive Diskussion der ursprünglich in einer Rede vor der American Historical Association am Rande der Weltausstellung in Chicago (1893) vorgetragenen TurnerThese bieten die Beiträge in Taylor 1972 . 28 Zu den Möglichkeiten der Universalisierung: Webb 1952 und jetzt Osterhammel 2009, 465–564 . 29 Münkler 2005, 18 .

rontier · 61 das Modell der Thünen’schen Kreise modifiziert .30 Der Begriff bezeichnet Städte, die dank ihrer Lage über ein hohes Potential verfügen, Waren- und Menschenströme zu kanalisieren und zu kontrollieren . Das gilt besonders für Siedlungen an natürlichen oder künstlichen Verkehrswegen: Flüssen, Straßen, Eisenbahnen . Sie liegen an der Grenze eines Wirtschaftsraums, in der Kontaktzone zwischen Gebieten mit unterschiedlichen Produktionsstrukturen, entlang oder in der Nähe von ökonomischen Scheidelinien . Ihre Grenzlage unterscheidet sie vom Zentralort, der, wenigstens der Theorie nach, im Mittelpunkt eines homogenen Wirtschaftsraums liegt . Gateway cities hingegen bilden Nadelöhre, Engpässe durch ein Hindernis . Oder anders ausgedrückt: Sie stoßen, im wortwörtlichen Sinne, ein Tor zu einem sonst kaum zu erreichenden Raum auf . Gateway cities profitieren von ihrer strategischen Lage an der Frontier, der allein sie ihre Gründung und ihr Gedeihen verdanken . Oder sie entstehen an Grenzsäumen zwischen Zonen unterschiedlicher Produktivität . Klassische gateway cities sind Häfen, aber auch Städte am Rand von Wüsten oder Gebirgen .31 Kaum gegründet, reifen sie zu wahren Boomtowns am Rande des großen Nichts heran . Städte wie Philadelphia, Baltimore, Pittsburg, Cincinnati waren in den Vereinigten Staaten der beginnenden Expansionsphase Speerspitzen und organisatorische Schaltzentralen einer vorwärtsdrängenden Siedlungsgrenze .32 Doch holte sie stets unweigerlich ihr eigener Erfolg ein . Die Frontier ging buchstäblich über sie hinweg, aus vorgeschobenen Bastionen der ›Zivilisation‹, die Avantgarde verkörperten, wurden Städte wie andere auch, mit mäßigeren Wachstumskurven und konservativerer Grundprägung . Neue Siedlungen an einer neuen Siedlungsgrenze übernahmen ihre ursprüngliche Funktion .33 Während Zentralorte gewöhnlich Umschlagplätze lokalen Gütertransfers sind, fungieren gateway cities als Drehscheiben des Fernhandels . Gateway cities entlang der amerikanischen Frontier profitierten vom allmählichen Einsickern von Trappern ins Indianerland . So entstanden, idealtypisch trichterförmige, Einzugsbereiche im Vorfeld der Frontier, das die gateway city mit dem produzierenden Hinterland verband . Im Prinzip ist eine gateway city das Bindeglied zwischen zwei verschiedenen ›Matrices‹ von Verkehrsverbindungen . Die römische Steppengrenze bot ideale Wachstumsbedingungen für gateway cities: Sie war die Peripherie des größten einheitlichen Wirtschafts-, Rechts- und Verkehrsraums der Antike, Transitzone für ein Gutteil der aus dem Orient importierten Prestigegüter, Grenze zwischen zwei Naturräumen, zwei Lebensweisen und zwei politischen Formationen, zwischen denen gateway cities nur die Tür aufzustoßen brauchten . Tatsächlich verwandelte eine Stadt fast im Alleingang eine geschlossene Tür in eine open door des transkontinentalen Fernhandels der Antike: Palmyra . In den Ruinen Palmyras nimmt die Uneindeutigkeit der Frontier Gestalt an . Teil der Provinz Syria, beherrschten 30 31 32 33

Grundlegend Burghardt 1971, 269–285 . Ebd ., 272 . Ebd . Ebd ., 282 .

62 · III. macht die Palmyrener doch für mindestens ein halbes Jahrhundert ihre eigene Machtsphäre an der römischen Peripherie . Obwohl von römischem Reichsboden aus operierend, waren sie in den parthischen Städten entlang von Euphrat und Tigris wohlgelittene Gäste . Im Gegenzug flossen unerhörte Reichtümer in die Oasenstadt . Ihr ungefähres Pendant auf parthischer Seite war Hatra, dessen Lage es gleichfalls zur gateway city prädestinierte .

Ausgangssituation: Rom und die hellenistischen Staaten Den Beginn römischer Herrschaft setzt die Forschung gewöhnlich 64 v . Chr . mit der Liquidierung der Restbestände des Seleukidenreichs und der Einrichtung der Provinz Syria durch Pompeius Magnus an .34 Roms direkte Präsenz in Syrien war aber die Endstufe eines längeren Prozesses, der bereits im 3 . Jahrhundert v . Chr . mit der Anbahnung vorsichtiger Kontakte zwischen Römern und Ptolemäern seinen Anfang nahm und der sich wie eine Illustration des Popitz’schen Modells der institutionellen Verfestigung von Macht ausnimmt .35 Ausdruck einer Zeitenwende in Vorderasien war der römische Sieg bei Magnesia am Sipylos (189) mit dem anschließenden Frieden von Apameia (188), wo den Seleukiden auf dem Höhepunkt ihrer äußeren Macht die Rechnung für ihren Konfrontationskurs gegen Rom präsentiert wurde . Die Frontstellung hatte sich seit der Eroberung Koilesyriens durch Antiochos III . im 5 . Syrischen Krieg (202–200) angekündigt, nach der sich die Augen des Seleukiden auf Kleinasien gerichtet hatten, wo sich die römischen Alliierten Pergamon und Rhodos massiv bedroht fühlen mussten . Die Römer hatten mit der Freiheitsproklamation für die Städte Griechenlands (196) gekontert, die ihnen das Tor zur Intervention geöffnet hatte .36 Periodische Gewaltanwendung kennzeichnete das Verhältnis Roms gegenüber der Staatenwelt des hellenistischen Ostens: Seine Legionen errangen eine Serie beeindruckender Siege (Kynoskephalai, Magnesia, Pydna), die aber alle nur unterstrichen, dass sich Roms Macht in der Region noch nicht strukturell verfestigt hatte . Drohungen wurden, wie von Antiochos III . im Vorfeld des Antiochoskrieges,37 nicht ernst genommen: Vorläufig verfügte Rom im Orient nicht über genügend instrumentelle Macht, sein Mittel blieb daher vorerst die nackte Gewalt .

34 Rey-Coquais 1978, 44–73; Millar 1993, 27; Sartre 1997, 13; Sartre 2005, 37–44 . 35 Erster amicus Roms unter den Herrschern im hellenistischen Osten war Ptolemaios II . Adelphos, der offensichtlich 273 v . Chr . Kontakte knüpfte . Eutr . II 2,15: […] a Romanis amicitiam quam petierant obtinuerunt . Zu den diplomatischen Beziehungen zwischen Ptolemaios II . und Rom: Gruen 1984, 62; Huß 2001, 287–304 . 36 Antiochos III . stieß nach der Niederlage Philipps V . bei Kynoskephalai (197) ins Machtvakuum um die Meerengen vor und war im Begriff, nach Makedonien zu expandieren . Zu den Zusammenhängen: Gehrke 1995, 116–118; Pfeilschifter 2005 . 37 Antiochos ließ sich von den römischen Forderungen (Rückzug aus Europa) nicht beirren und fuhr, vor allem im Bündnis mit den Aitolern, unbeeindruckt fort, seine Interessen in Griechenland zu verfolgen .

Rom u nd die hellenistischen Staaten · 63 Das änderte sich mit einem Schlag, als der römische Gesandte C . Popillius Laenas den ägyptischen Siegeszug Antiochos’ IV ., des Sohnes und Nachnachfolgers Antiochos’  III ., mit reiner Drohungsmacht zum Stehen brachte und den Seleukiden zur Umkehr zwang . Der berühmte Tag von Eleusis im Juli 168 markiert sinnfällig die Wende in Roms Beziehungen zu den hellenistischen Staaten: Laenas präsentierte, ohne die Begrüßung des Königs zu erwidern, Antiochos IV . die ultimative Aufforderung des Senats, Ägypten zu verlassen, nahm eine Weidenrute und zog einen Kreis um den Seleukiden . Er müsse sich entscheiden, bevor er aus dem Kreis heraustrete .38 Schlimmer hätte die Demütigung eines hellenistischen Monarchen nicht ausfallen können . Antiochos gab klein bei .39 Fortan konnte Rom sich fast durchgängig auf die Wirksamkeit seiner Drohungen – respektive Belohnungen – verlassen: Nur Makedonen und Achaier (149–146) sowie Mithradates VI . Eupator von Pontos (88–64) widersetzten sich noch der ansonsten unangefochtenen römischen Hegemonie . Vorderasien war, längst bevor Rom Pergamon als Provinz Asia seiner direkten Herrschaft unterstellte (133), kraft instrumenteller Macht fest in die römische Interessensphäre hineingewachsen . Umgekehrt war aber, mit allen Implikationen, Rom auch mit der hellenistischen Welt verwachsen . Bereitwillig machten die Monarchen von den Angeboten Roms Gebrauch, die sie in ihrem Sinne interpretierten und für ihre Zwecke nutzbar machten . So zogen sie Rom letztlich immer weiter in die spezifischen Politikmuster40 des Ostens hinein, ohne die strukturelle Andersartigkeit der res publica wahrzunehmen . Sie machten Rom zum Schlichter ihrer Streitigkeiten41 und bezogen ein Gutteil ihrer Legitimität aus dem Status als φίλοι (amici) der Römer .42 Was den Anschein eines symmetrisch-reziproken Verhältnisses (›Freundschaft‹) hatte, war aber in Wahrheit eine Beziehung zwischen Ungleichen .43 Die φιλία besaß ihr Gegenstück in der genuin römischen Institution der fides,

38 Polyb . 29,27,1–7; Morgan 1990 . 39 Zur Frage nach den Alternativen: Sommer 2002, 509 . 40 Gehrke 1982 . Strukturprägend für das labile Gleichgewicht zwischen Rom und den hellenistischen Staaten war von Beginn an das stark charismatisch aufgeladene Königtum der hellenistischen Monarchien . Es setzte die Herrscher unter starken Erfolgsdruck und provozierte immer wieder außenpolitischen Aktionismus . Vor allem machte es die Herrscher unfähig, sich gegen gemeinsame Bedrohungen zu solidarisieren . 41 Zu den römischen Schiedssprüchen: Gruen 1984, 96–131, besonders 129: »Greeks sought out the senate to render decisions and sit in judgement; Roman legates they described as judges, the senate as a court of appeal .« (Hervorhebung M . S .) . Problematisch dagegen die Interpretation von Cimma 1976, 132, als »strumento di controllo e di sorveglianza .« 42 Zur amicitia/φιλία Gruen 1984, 54–95, besonders 95: φιλία als »a solid Greek institution .« 43 So sind in der Tat Bezeichnungen wie ›Klientelkönig‹, ›Klientelkönigtum‹ etc . Konstrukte der modernen Altertumswissenschaft, aber nicht unbedingt, wie Gruen, ebd ., 199, meint, »unsuited to the facts as we know them .« Zwar maß auch hier die griechische Seite mit ihrer Elle, und stets ging die Initiative von ihr aus (»Theirs was the initiative, theirs the ends that were served«, ebd ., 194) – aber die Römer hatten eben ihre eigene Sicht der Dinge und legten ihre eigenen Maßstäbe an (fides) . Dass, wie von Badian 1958 vorgeschlagen, die römische Klientel – das Nahverhältnis des patrocinium – eine sinnvolle Kategorie ist, um indirekte Herrschaft

64 · III. macht einer »Garantie im weitesten Sinne« .44 Fides übte der patronus seinem cliens gegenüber, sie war zu beantworten mit pietas . Fides war ein Angebot des Stärkeren an den Schwächeren; sie lud den Schwächeren zu einem geregelten Modus vivendi ein und setzte der ungezügelten Macht des Patrons Schranken . Das Angebot der fides spendete den außeritalischen Partnern Roms die Anerkennung, derer sie bedurften: Auf Roms fides ließ sich eigenes Prestige aufbauen . So wurden die hellenistischen Herrscher zu willfährigen Handlangern Roms und meinten doch, im eigenen Interesse zu agieren . Im Extremfall empfingen sie als reges dati ihr Königtum als donum populi Romani .45 Die Akzeptanz, auf die Roms Schiedssprüche stießen, war Symptom, die fides Medium jener Autorität, die sich die Römer, vor allem der römische Senat, im Osten erworben hatten . In dem mit den Begriffen nackte Gewalt, Drohung und Autorität abgesteckten Koordinatensystem entfaltete sich Roms Macht im großsyrischen Raum bis zu ihrem endgültigen Zusammenbruch unter dem Ansturm islamischer Heere . Zwei Prozesse wurden in der langen Dauer besonders wirkungsmächtig und entwickelten eine die Region tief prägende Dynamik: die Beziehungen Roms zu den orientalisch-hellenistischen Klientelkönigtümern und die auf Dauer angelegte Auseinandersetzung mit dem Nachbarn Iran in Gestalt des Parther- bzw . Sasanidenreiches . Beide haben, gerade in jüngerer Zeit, die Altertumswissenschaft vielfach beschäftigt; eine Fülle von Studien hat die Grenzzone in Ostanatolien, Syrien und Mesopotamien zum Gegenstand . Wenn dennoch der Grenzsaum zwischen den Imperien des Okzidents und des Orients bis heute keine klaren Konturen gewonnen hat, dann auch deshalb, weil meist allzu unscharfe Kategorien zur Anwendung kamen . Die folgenden Überlegungen dienen der definitorischen Klärung und fußen auf zwei Prämissen: 1 . Die ›Grenze‹ an der imperialen Peripherie Roms im Osten lässt sich, ebensowenig wie in anderen Reichsteilen (Nordafrika, Germanien) und für vergleichbare Imperien (Parther-, Sasanidenreich), keinesfalls strikt im Sinne von ›Staatsgrenze‹ fassen . Die Grenzzone war vielmehr eine Frontier, mit allen darin enthaltenen Bedeutungen: Variabilität, Uneindeutigkeit, Offenheit, und mit (meist) ungeregeltem oder schwer zu regulierendem osmotischen Austausch zwischen Hüben und Drüben .46 2 . ›Frontier‹ impliziert immer und überall ein Gefälle in der Intensität von Herrschaft, ausgehend vom Zentrum in Richtung Peripherie, von direkten zu immer indirekteren Formen . Ihm entspricht ein nach außen hin zunehmender Grad an inan der römischen Peripherie begrifflich auf einen Nenner zu bringen, wird jetzt allgemein wieder akzeptiert: Kaizer/Facella 2010; Schörner 2011; Baltrusch/Wilker 2015; Wendt 2015 . Contra Burton 2003 . 44 Fraenkel 1916, 187 . Zu den definitorischen Problemen jetzt Ganter 2015, 3–15 . Vgl . auch Deniaux 2007 . 45 Tac . ann . 4,5,3; 12,45,5 über die Einsetzung des Tiridates als König von Armenien durch Nero . 46 Den Frontier-Charakter der römischen Ostgrenze betont zu Recht Isaac 1990, 408–418; Isaac 1998 .

Str atigr aphie der Macht · 65 nerer Autonomie der Peripherie, idealiter in konzentrischen Kreisen, von den Kernregionen über Provinzen, Klientel- und Vasallenstaaten bis zu noch loseren Formen der Abhängigkeit .47

Direkte und indirekte Herrschaft: Stratigraphie der Macht an der Steppengrenze Beide Faktoren prägten in den rund 300 Jahren nach Pompeius die Struktur der römischen Herrschaft über den Vorderen Orient . Die Frontier rastete jedesmal für längere Zeit ein, wenn Rom durch Expansion dauerhaft größere Geländegewinne erzielt hatte: das erste Mal durch Pompeius 64 v . Chr ., das zweite Mal durch L . Verus 166 n . Chr . und das dritte Mal durch Septimius Severus ca . 198 n . Chr . Sie blieb aber im Grundsatz variabel . Der Extensivierung von Herrschaft folgte stets die Intensivierung, durch allmähliche, manchmal schubweise Annexion von Klientelstaaten, die bei der nächsten Expansionsrunde durch ein neues Glacis autonomer Königreiche weiter östlich ersetzt wurden . So wurde die Politik zwischen Mittelmeer und Tigris bestimmt von einer so komplizierten wie dynamischen Stratigraphie der Macht, deren Hauptmerkmal ihre sorgsam abgestufte Herrschaftsintensität war . Nachdem der nachmalige Triumvir Pompeius gleichsam im Vorübergehen Syrien als Provinz dem Imperium einverleibt hatte, bestand die regionale Ordnung, die sich in spätseleukidischer Zeit herauskristallisiert hatte, in ihren Grundzügen nahezu unverändert fort .48 Sie war freilich eine Ordnung des Übergangs: In das Machtvakuum Syriens waren im 2 . Jahrhundert Nomaden aus der Arabischen Wüste vorgedrungen, die in der Zeit der römischen Eroberung teilweise bereits sesshaft wurden .49 Wo schon zuvor Nomaden gelebt hatten, nahm der Druck auf die sesshafte Bevölkerung zu . Damit wiederholte sich ein Vorgang, der das Miteinander von Sesshaften und Nomaden in Vorderasien seit den frühesten auf uns gekommenen Berichten bestimmte: Stets in Zeiten einer politisch schwachen Zentralmacht gewinnen Nomaden in der historischen Befundlage an Prominenz – Berichte über Schutzgelderpressungen, Unsicherheit von Kommunikations- und Handelsverbindungen sowie Razzien räuberischer Nomaden häufen sich .

47 Näheres bei Geiss 1994; Geiss 1996; Münkler 2005, 18 . 48 Zur spätseleukidischen Phase: Honigmann 1932, 1618–1622; Rostovtzeff 1955, Bd . 1, 664–685; Millar 1987b; Sherwin-White/Kuhrt 1993, 20f .; Funke 1996, 221f .; Sartre 2005, 32–37 . Zur eigentlichen Phase der Besetzung Syriens durch die Römer: Downey 1951; Rizzo 1963; Gebhardt 2002, 22–26; Sartre 2005, 37–44 . 49 Strab . 16,2,18 über die Ituräer des Biqāʿ-Gebiets (Massyas): τὰ μὲν οὖν ὀρεινὰ ἔχουσι πάντα Ἰτουραῖοί τε καὶ Ἄραβες, κακοῦργοι πάντες, οἱ δ᾽ ἐν τοῖς πεδίοις γεωργοί (›Die gesamten Bergregionen halten jetzt Ituräer und Araber, allesamt Übeltäter, während die Leute in der Ebene Bauern sind‹) .

66 · III. macht Der Begriff ›Aribi‹ bezeichnete bereits in assyrischer Zeit offenbar nomadische Gruppen in Arabien und der syrischen Wüstensteppe .50 Als Ἄραβες galten auch griechischen Autoren nicht sesshafte Bevölkerungsgruppen, in pointiertem Gegensatz zu den sesshaften Bauern (Ἀραμαῖοι) .51 Es ist also keine spezifische ethnische Identität angesprochen . Vielfach hielt man deshalb Begriffe wie ›Arab‹ und ›Araber‹ für Bezeichnungen einer spezifischen Lebensweise, eben der nomadischen .52 Doch nicht einmal diese Rechnung geht völlig auf, denn seit den Assyrern hing immer wieder auch Gruppen, die ohne jeden Zweifel sesshaft waren, die Bezeichnung ›Araber‹ an .53 Die zur Zeit des Pompeius noch halbnomadischen Stämme hatten, nach erfolgter Landnahme, gleichwohl bereits frühstaatliche Organisationen nach hellenistischem Vorbild (›Tetrarchien‹) ausgebildet .54 Die arabo-hellenistischen Stammesstaaten lassen sich zu einer ersten Kategorie römischer Klientelstaaten zusammenfassen . Ihnen gemeinsam war die, im Einzelnen wie auch immer ausgeprägte, sich in genealogischen Welterklärungssystemen spiegelnde Fiktion einer gemeinschaftlichen Abstammung und eine nomadische oder semi-nomadische Tradition, oft mit um urbane Zentren sich herausbildenden ›polymorphen‹ Strukturen .55 Herrscher trugen noch unterschiedlich lange ihre semitischen Namen .56 Die Dynastien waren ethnisch-kulturell in der Bevölkerung verwurzelt . In die Kategorie der arabo-hellenistischen Stammesstaaten fielen (mit ihren jeweiligen Zentren), neben den Ituräern (Chalkis), die benachbarten Emesener (Emesa), die Nabatäer (Petra), die Palmyrener (Palmyra) und die Osrhoener (Edessa) . Einen Sonderfall stellten die bereits in der Hasmonäerzeit zwangsjudaisierten Idumäer dar, die in römischer Zeit der kultischen Oberhoheit Jerusalems unterstanden .57 50 Wie die Korrespondenz zwischen Sargon II . und assyrischen Provinzstatthaltern offenbart . Vgl . Merkel 1964, 164; Ephʿal 1982, 36–39 . Allgemein Macdonald 2009 und jetzt Macdonald 2015 . 51 Strab . 16,2,11: […] καὶ πᾶσα ἡ πρὸς νότον τοῖς Ἀπαμεῦσιν, ἀνδρῶν σκηνιτῶν τὸ πλέον: παραπλήσιοι δ᾽ εἰσὶ τοῖς ἐν τῇ Μεσοποταμίᾳ νομάσιν: ἀεὶ δ᾽ οἱ πλησιαίτεροι τοῖς Σύροις ἡμερώτεροι καὶ ἧττον Ἄραβες καὶ σκηνῖται (›[…] und das gesamte Land südlich der Apameier gehört den Skenitai . Diese Skenitai ähneln den Nomaden in Mesopotamien . Und stets sind sie umso zivilisierter, je näher sie den Syrern [sind], die Arabes und die Skenitai sind es aber recht wenig‹) . 52 So vor allem Dussaud 1955, 14, und nach ihm u .a . Gawlikowski 1997, 51f .; Toral-Niehoff 2001, 114–116 . 53 So mit Recht Macdonald 2003, besonders 314–318 . 54 Der nabatäische König Aretas III ., bei dem Damaskus Schutz vor den expandierenden Ituräern suchte (84– 72), ließ Münzen prägen und versah sie mit der Legende ΦΙΛΕΛΛΗΝ; Schottroff 1982, 134 . Auch die Ituräer prägten bereits in der ersten Hälfte des 1 . Jahrhunderts Münzen (Legende: ΤΕΤΡΑΡΧΗΣ ΚΑΙ ΑΡΧΙΕΡΕΥΣ): ebd ., 138 . 55 Zum Begriff des Polymorphismus siehe unten, S . 103 . 56 Bei den Ituräern in Chalkis erfolgte der Übergang zu griechischen Namen schon in der ersten Generation: Begründer war Ptolemaios (85–40 v . Chr .), Sohn des Mennaios (nur der Name des Vaters ist noch aramäisch); Ios . ant . Iud . 14,7,4 . In Palmyra dagegen trugen noch die berühmten Herrscher des 3 . Jahrhunderts n . Chr . aramäische bzw . arabische Namen: btzby = Bat-Zabbai = Zenobia, ͗dynt = Odainat = Odaenathus, wblt = Waballat = Vaballathus . 57 Zum Idumäer-Problem, das hier nur am Rande erörtert werden kann, umfassend: Kasher 1988 . Zu den arabohellenistischen Dynastien Obermesopotamiens: Yon 2003b, 197f .

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Karte 3.1: Der römische ›Brückenkopf‹ in Vorderasien (64 v. Chr.). Auf dem Territorium des liquidierten Seleukidenreichs hat Pompeius die Provinz Syria (1) eingerichtet. Nördlich davon liegen die Provinz Cilicia (2), das Königreich Kappadokien (3), das Territorium von Hierapolis Kastabala (4) und das Königreich Kommagene (5). Wie ein Kranz umgeben autonome Territorien die Provinz auch im Osten: Emesa (6), die Tetrarchie der Ituräer (7) und das Königreich der Hasmonäer (8). An die Satrapien des Partherreichs (9) grenzen im Norden und Westen autonome Fürstentümer und regna, deren genaue Ausdehnung sich nur näherungsweise abbilden lässt: Media Atropatene (10), Adiabene am Ostufer des mittleren Tigris (11), MesopotamienParapotamien am mittleren Euphrat (12) sowie Osrhoene (13) mit der Hauptstadt Edessa. Hatra liegt als Siedlung gegen Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. noch in seinen Anfängen.

Als zweite Gruppe von Klientelstaaten hoben sich Kommagene und das aus dem Hasmonäerstaat hervorgegangene Königreich des Herodes deutlich von den arabo-hellenistischen Scheichtümern ab . Beide konnten, im Gegensatz zu den Tetrarchien, auf älteren Traditionen staatlicher Organisation aufbauen: die Hasmonäer unmittelbar auf der Vergangenheit des davidisch-salomonischen Reiches,58 die Dynastie von Kommagene immerhin noch auf ihrer – wenigstens subjektiv geglaubten – Abstammung von den Achaimeniden59 und einer seleukidischen Satrapie, die ab ungefähr 163 v . Chr . den ter58 Zum Hasmonäerreich: Bickerman 1962; Schürer 1973, Bd . 1, 125–242; Hengel 1976; Hengel 1988; Maier 1989, 43–58; Bringmann 2005, 113–160 . 59 Die Dynastie leitete sich, wie ihre ›Ahnengalerie‹ auf dem Nemrud Dağı kundtut, von den Achaimeniden her: Facella 2006, 79–83; Versluys 2012; Jacobs 2017 .

68 · III. macht ritorialen Rahmen für ihre nun autonome Herrschaft abgab .60 Anders als in den Stammesgebieten war hier bereits ein starkes Königtum hellenistischer Prägung verwurzelt und standen entsprechende Mittel zur dynastischen Selbstdarstellung bereit, besonders prägnant im zoroastrisch beeinflussten Herrscherkult von Kommagene auf dem Nemrud Dağı .61 Wenn sich überhaupt von einer römischen Strategie gegenüber dieser peripheren Staatenwelt in ihrer ganzen Heterogenität sprechen lässt, dann lief sie in ihrer ersten Phase auf strikte Bewahrung von Autonomie hinaus . Roms direkte Herrschaft beschränkte sich auf jenen Teil Syriens, der strukturell am ehesten in den Verband des Imperiums zu integrieren war: die syrische Tetrapolis mit den vier ehemals seleukidischen Hauptstädten (Antiocheia, Laodikeia, Apameia, Seleukeia) und die stark urbanisierte phönikische Küstenebene .62 Die Provinz erfüllte für Rom in dieser Konstellation die Funktion eines ›Brückenkopfs‹, einer Schalt- und Operationszentrale zur Kontrolle der abhängigen Königreiche an der Peripherie (Abb . 3 .1) .63 Nach Osten hin lief sie in einem breiten Grenzsaum mit graduell nachlassender Penetration durch die imperiale Macht, eben in der Frontier, aus . Rom vergrößerte sogar in augusteischer Zeit durch Landschenkungen an Herodes dessen territoriale Verfügungsmasse, am ehesten auf Kosten der Provinz Syria, die ab 27 v . Chr . als militärisch exponiertes Terrain zu den sogenannten kaiserlichen Provinzen zählte .64 Die augusteische Politik setzte auf die klassischen Instrumentarien des Drohens und Belohnens sowie des Spendens autoritativer Anerkennung: Territorien wechselten den Besitzer, willfährige Potentaten erfreuten sich der besonderen Gunst des Princeps . Herodes als der gefügigste und Augustus gegenüber loyalste unter den lokalen Machthabern konnte sich ihrer sicher sein . Eine Wende, welche die zweite Phase im römischen Verhältnis zu den syrischen Klientelstaaten einläutete, kündigte der Tod des Herodes (4 v . Chr .) an . Unversehens geriet die indirekte Herrschaft Roms in eine Krise, die sich aus mehreren Faktoren speiste . Der Tod des Herodes setzte das auch in hellenistischen Staaten stets kritische Nachfolgeproblem auf die Tagesordnung: In Iudaea brachen Rebellionen aus, während die Nachfolger in Rom um die Erbmasse stritten .65 Die Unwägbarkeiten lokaler Politik wogen hier die Vorzüge indirekter Herrschaft zu einem Gutteil auf und konfrontierten Rom mit den riskanten Seiten autonomer Peripheriemächte . Nicht weniger Bedeutung dürfte dem sozialen Wandel na60 Zu Kommagene: Sherwin-White/Kuhrt 1993, 226 . Ausführlich die Beiträge in: Wagner 2000b . 61 Die politische Geschichte Kommagenes ausführlich bei: Facella 2006; zum Heiligtum Antiochos’ I . von Kommagene auf dem Nemrud Dağı: Jacobs 2000 . 62 Jones 1971 . Die Provinz Syria ist im Einzelnen kaum genau einzugrenzen . Zum Beispiel muss die Frage offenbleiben, wo die genaue Nordgrenze des herodianischen Königreichs zu ziehen ist, zumal einige Städte im Grenzbereich mehrfach den Besitzer wechselten: Schürer 1973, Bd . 1, 289; Millar 1993, 31 . Die Städte der Tetrapolis wie Phönikiens mit ihren jeweiligen Territorien machten aber sicher den Kern der Provinz aus . 63 Millar 1993, 27: »Bridgehead« . 64 Ebd ., 31 . 65 Ios . ant . Iud . 17,9,1–3 .

Str atigr aphie der Macht · 69 mentlich in den arabo-hellenistischen Tetrarchien beizumessen sein . So machte das Gebiet der Ituräer spätestens seit der Zeitenwende einen zügigen Prozess der Urbanisierung durch . Die Phylarchie zerfiel, und es entstand eine Reihe kleiner Nachfolgestaaten mit städtischen Zentren (Arka – Laodikeiea am Libanon, Chalkis, Abila), die in julisch-claudischer Zeit teilweise zu Sekundogenituren Iudaeas wurden .66 Der Rest fiel an die umliegenden Städte Tyros, Sidon, Damaskus und (vermutlich) Berytus .67 Damit waren die Rahmenbedingungen nicht nur für die Tempelbauten der Biqāʿ-Randzone, sondern auch für die langfristige politische Integration der Region in die Provinz Syria gegeben . Wenn also Rom in spätaugusteischer Zeit von seinem Kurs der indirekten Herrschaft in Vorderasien sanft auf eine annexionistische Linie einschwenkte, lagen die Beweggründe dafür allenfalls sekundär in seinem Sicherheitskalkül,68 zumal es an der Ostgrenze gerade in dieser Periode vergleichsweise ruhig war .69 Ausschlaggebend war vielmehr die innere Struktur der Klientelstaaten, mit den Unwägbarkeiten hellenistischer Herrschaft und der strukturellen Transformation von Nomadengesellschaften im Übergang zur urbanen Sesshaftigkeit .70 Mit der Annexion verschob sich die Frontier sukzessive weiter nach Osten, wo Rom auf immer neue integrierte Stammesgesellschaften traf, die es meist zunächst indirekter Herrschaft unterwarf . Gleichwohl kann von einer konsequent vorgetragenen Annexionspolitik Roms ebensowenig die Rede sein wie von einer exakten Abgrenzung des römischen ›Staatsgebiets‹ . Das römische Vorgehen war ad hoc auf die verschiedenen Herausforderungen zugeschnitten, reaktives Krisenmanagement, geleitet von trial and er­ ror eher als von vorausschauender Planhaftigkeit .71 66 Jones 1931, 266f . 67 Zur territorialen Ausdehnung der Städte Ios . ant . Iud . 18,6,3 . 68 So aber Braund 1984, 188–190 . Gewiss lag ein beträchtlicher Teil der Verantwortung für die Grenzsicherung nach Osten in den Händen der reges amici . Ihre Territorien bildeten in dem von Pompeius begründeten System – bei völligem Fehlen von Grenztruppen auf römischer Seite – einen militarisierten cordon sani­ taire gegenüber den Parthern, der seit Pompeius immer wieder seine Funktionsfähigkeit unter Beweis stellte . Über die Motive der meisten Annexionen verlautet nichts in den Quellen . Tacitus gibt als Grund für die Provinzialisierung von Kappadokia lapidar an, sein König Archelaos sei invisus Tiberio gewesen: »Tiberius mochte ihn [den König Archelaos von Kappadokia] nicht . […] Sein Königreich wurde zur römischen Provinz gemacht .« (Tac . ann . 2,42) . Hier schlägt die taciteische Aversion gegen Tiberius durch, die wohl den Blick auf wirkliche Motive verstellt . Allein die (dritte) Einziehung Kommagenes (72) durch Vespasian ist sicher aus sicherheitspolitischem Kalkül erfolgt . 69 Nach dem erfolglosen Persienfeldzug des M . Antonius und dem anschließenden parthischen Vorstoß ins römische Syrien (41–38) blieb das römisch-parthische Verhältnis für 100 Jahre, bis zu den Feldzügen des Cn . Domitius Corbulo und den Verwicklungen um Armenien (54–62), relativ konfliktfrei: Ziegler 1964, 45–67 . 70 Zum Fall der Ituräer in der Biqāʿ-Ebene und der Umformung der Tetrarchien in Provinzialgebiet, begleitet von Koloniegründung und Urbanisierung: Sommer 2001, 84–86; Sartre 2005, 76f . 71 Anders Wagner 1985, 19: »Mit Augustus setzt eine erste, in sich kohärente Phase kaiserzeitlicher Orient- und Grenzpolitik ein, die das gesamte 1 . Jahrhundert n . Chr . Bestand hat . Ihr Bestreben liegt im wesentlichen darin, durch eine Folge von Annexionen die Gebiete unter direkter römischer Herrschaft, also die Provinzen, auf die gesamten Territorien unter indirekter römischer Herrschaft auszudehnen, wie sie von Pompeius in seiner Neuordnung des Orients durch die Einsetzung zahlreicher Klientelfürsten eingerichtet wurden .« Das

70 · III. macht Roms Schlingerkurs wird exemplarisch veranschaulicht von seiner Politik gegenüber der Dynastie in Iudaea, dessen Status vielfach wechselte: Iudaea war autonomer Teil der Provinz Syria mit dem Hohepriester Hyrkan II . als Ethnarch (63/55–40 v . Chr .), wurde autonomes Königreich unter Herodes dem Großen und seinen unmittelbaren Erben (40/37 v . Chr . – 6 n . Chr .), dann erneut autonomer Teil der Provinz Syria unter einem praefectus aus dem ordo equester (6–41 n . Chr .), wiederum autonomes Königreich unter Herodes Agrippa I . (41–44), ein drittes Mal Teil der Provinz Syria, jetzt unter einem procurator (44– 66), teilautonomes Königreich mit Agrippa II . als König (ab 52) und schließlich Provinz Iudaea (ab 66) .72 Nicht anders verfuhr Rom mit Kommagene, das auf Betreiben des Germanicus nach dem Tod des Königs Antiochos III . unter tumultuarischen Umständen der Provinz Syria angeschlossen wurde (17 n . Chr .),73 nur um zwei Jahrzehnte später durch Caligula restauriert zu werden (38),74 der das Königreich abermals einzog (vor 41) .75 Unter Claudius wieder autonom geworden (41),76 wurde Kommagene in flavischer Zeit gewaltsam annektiert und verschwand als autonomes Königreich endgültig von der Landkarte des Vorderen Orients (72) .77 Zwischen Annexion und Restauration schwankte Rom allenthalben, so auch im Bereich der kleineren Tetrarchien im Libanon und in Südsyrien, die in julisch-claudischer Zeit mehrfach den Besitzer wechselten .78

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mag stimmen für das östliche Kleinasien, besonders für Kappadokien, das Germanicus 17 n . Chr . zur Provinz machte, für Syrien-Palästina ist eine solche Kohärenz nicht erkennbar . Mit Recht hat Isaac 1990, 416, auf das Moment der Kontingenz in der römischen Orientpolitik hingewiesen: »The paradox implicit in the notion of a Grand Strategy is that no Roman source formulates any clear-cut aims that this strategy was supposed to achieve . […] The mechanism of decision-making was influenced primarily by the interests of the emperor in safeguarding his position and enhancing his glory .« Schürer 1973, Bd . 1, 243–557; Maier 1989, 74–82; Bringmann 2005, 161–237 . Zur Frage der Romanisierung: Berlin 2002 . Sullivan 1977b 785; Millar 1993, 52f .; Tac . ann . 2,42,7; 2,56,2; Strab . 14,2,3; besonders Ios . ant . Iud . 18,53: ἐτελεύτησεν δὲ καὶ ὁ τῆς Κομμαγηνῆς βασιλεὺς Ἀντίοχος διέστη δὲ τὸ πλῆθος πρὸς τοὺς γνορίμους καὶ πρεσβεύουσιν αφ᾽ ἑκατέρου μέρους, οἱ μὲν δυνατοί μεταβάλλειν τὸ σχῆμα τῆς πολιτείας εἰς ἐπαρχίαν ἀξιοῦντες, τὸ πλῆθος δὲ βασιλεύεσθαι κατὰ τὰ πὰτρια (›Es starb nun aber der König Antiochos [III .] von Kommagene und es erhob sich ein Aufruhr der Masse gegen die Notabeln und sie schickten wechselseitig Gesandtschaften: Die Notabeln forderten die Wiederherstellung der politeia als [römische] Provinz, die Masse aber gemäß traditioneller Sitte, dass ein König herrsche‹) . Man beachte den Interessengegensatz zwischen Bevölkerung und lokaler Elite: Facella 2006, 316 . Den Thron erhielt Antiochos IV ., Sohn Antiochos’ III .: ebd ., 318–320 . Millar 1993, 59 . Ebd .; Facella 2006, 323f . Ebd ., 336–338 . Angeblich drohte eine proparthische Konspiration des Königshauses von Kommagene . Die gewaltsame Annexion ist auch archäologisch, durch Zerstörungshorizonte, belegt: Wagner 2000a, 17 . Zum Kriegsgeschehen Ios . bell . Iud . 7,7,1–3 . Millar 1993, 63; Gebhardt 2002, 83–86; Sartre 2005, 76f . Politische Inkohärenz ist, zwischen Pompeius und den Flaviern, auch im Bereich der Dekapolis festzustellen, wo die Annexion schrittweise, aber nicht geradlinig erfolgte: Isaac 1981, 71–74 .

Str atigr aphie der Macht · 71

Karte 3.2: Vorderasien in der flavischen Periode (ca. 80 n. Chr.). Die vom einstigen ›Brückenkopf‹ Roms im Nahen Osten, der Provinz Syria (1), kontrollierten autonomen Klientelstaaten sind verschwunden: Der Tempelstaat Hierapolis ist der Provinz Cilicia (2) einverleibt worden, Kommagene und die westsyrischen Tetrarchien endgültig der Provinz Syria, das Königreich Kappadokien ist zur Provinz Cappadocia (3) geworden. Eine nicht ganz klar zu definierende Sonderrolle behauptet Palmyra, das weite Gebiete der Syrischen Wüste jenseits der Provinzgrenzen kontrolliert (Schraffur). Im Verband des Partherreichs (4) bestehen Media Atropatene (5), Adiabene (6), Mesopotamien-Parapotamien (8) und Osrhoene (9), nunmehr als regnum, in den alten Grenzen fort, neu hinzugekommen ist das Fürstentum Hatra (7).

Eine nun wirklich expansionsorientierte dritte Phase in Roms Agieren im Orient leitete erst die flavische Periode ein (Abb . 3 .2) . Gebietszuwächse für die Provinz Syria brachte nicht allein die Annexion Kommagenes; als autonomer Herrschaftssprengel hörte nun, nach 72, aber vor 78, auch Emesa auf zu bestehen, das Rom noch kurz zuvor (ab 66) bei der Niederschlagung des Jüdischen Aufstands und bei der Intervention in Kommagene unterstützt hatte .79 Ihm folgte, ebenfalls nach 72 und wohl 92, Chalkis .80 Noch im selben Jahr fie79 Ebd ., 84; Sullivan 1977b, 218; Sartre 1997, 36, gestützt auf Ios . bell . Iud . 7,7,1 über die römische Annexion Kommagenes: συνεμάχουν […] βασιλεῖς αὐτῷ [Caesennius Paetus] τῆς μὲν Χαλκιδικῆς λεγουμένης Ἀριστόβουλος τῆς Ἐμέσης δὲ καλοθμένης Σόαιμος (›Könige kämpften mit ihm, Aristoboulos aus der Region Chalkidike und Soaimos aus Emesa‹) . Zum archäologischen Bild, das der Raum Emesa zu dieser Zeit bot: Konrad 2014 . 80 Für 72 n . Chr . als Terminus post quem: Jones 1971, 283 und Anm . 275 . Chalkis als autonomes Königreich fand ebenfalls letztmalig bei Ios . bell . Iud . 7,7,1 Erwähnung . Es kam ebenfalls zur Provinz Syria, offenbar nun als

72 · III. macht len die Territorien Agrippas III . in Südsyrien mit dessen Tod an die Provinz Syria .81 Damit reichte die Provinz bis zum Euphrat, der gemeinsamen Grenze mit den Parthern . Das Paradigma eines indirekt beherrschten, breiten Grenz- und Puffersaums zum östlichen Rivalen wich durch Intensivierung der Herrschaft einer trennschärferen, straff organisierten Militärgrenze . Ausdruck der veränderten strategischen Lage war der nun erfolgende Ausbau der Grenze im östlichen Syrien zu einem regelrechten Limes, mit Anlagen, welche die permanente Stationierung von Legionen, deren rasche Mobilisierung und eine zügige Kommunikation erlaubten .82 Gleichwohl stützte sich die römische Orientpolitik auch weiterhin auf indirekte Herrschaft, selbst als mit dem Nabatäerreich (Provinz Arabia, 106) und dem Restkönigreich von Osrhoene um Edessa (Provinz Mesopotamia, 212/213) die letzten veritablen Klientelstaaten der Region erloschen waren . Weite Teile des Nahen Ostens waren für Rom, wenn überhaupt, nur indirekt zu beherrschen . Die Gründe lagen in der engen Verzahnung von Kultur- und Nomadenland vornehmlich in Südsyrien und Arabia, aber auch im Bereich der Flusstäler des Euphrats und seiner Zuflüsse . Ohne geregelte Beziehungen zu den im römischen Herrschaftsgebiet lebenden Nomadenstämmen war der urbanen Lebensform, auf die Rom sich nun überall stützte, jede Basis entzogen, war an einen florierenden Fernhandel nicht zu denken . Nomadische Stammesgruppen wuchsen, wirtschaftlich wie militärisch, sukzessive in die jeweilige Reichsorganisation hinein, ohne doch je ihren autonomen Status zu verlieren .83 Die effektivste Möglichkeit, tribale Großgruppen dauerhaft unter Kontrolle zu halten, hatten integrierte Stammesgesellschaften mit urbanem Kern geboten . Sie waren im Grenzsaum der römisch-parthischen Frontier die eigentliche Alternative zur Polis gewesen, die hier kaum geeignete Existenzgrundlagen fand . Zentren wie Hatra und Palmyra, vermutlich aber auch Edessa, hatten mit einem Minimum an Aufwand das Potential nomadischer Bevölkerungen gebunden . Die Vernichtung bzw . Annexion vieler städtischer Zentren im syrisch-mesopotamischen Raum – erst Hatras (240 n . Chr .), dann der Stadt Dura-Europos (256/257 n . Chr .), schließlich Palmyras (273 n . Chr .) – hatte die Stammesgesellschaften ihrer Kristallisationspunkte beraubt und sie noch unberechenbarer gemacht . Beide Imperien waren so mittelfristig mit einer Steppengrenze konfrontiert, in der die Ordnung dem Chaos Platz gemacht hatte, mit Nomaden, die sich nur unter größtem Aufwand und auch dann immer nur auf Zeit pazifizieren ließen . Die Trennlinie zwischen indirekter und direkter Herrschaft folgte entlang der römischen Steppengrenze nur selten dem strategischen Primat langfristiger Planung . AusSaltus Gonaiticus (Georg . Cypr . 981) . Mit dem Jahr 92 begann in Chalkis die Zählung einer neuen Ära: Sartre 1997, 36 . 81 Ebd . 82 Wagner 1985, 42f .; Isaac 1990, 40f . 83 Auf römischer wie auf sasanidischer Seite: Isaac 1998, 411–417 . Zur Fortdauer indirekter Herrschaftsverhältnisse auch: Isaac 1990, 417 .

Str atigr aphie der Macht · 73 schlaggebend war meist das taktische Kalkül des Augenblicks . Annexionen boten Gelegenheit zu triumphaler Selbstdarstellung, selbst wenn, wie im Fall der trajanischen Eroberungen, der wirkliche Ertrag nicht der Rede wert war .84 Eine kaum zu überschreitende, wenn auch bedingt variable Grenze war aber stets der Graben zwischen Oikumene und Nomadenland . Die urbane »Küstenkultur«85 des Römischen Reiches war schlicht unfähig, jenseits des bebaubaren, Städte tragenden Kulturlandes direkte Herrschaft, auch nicht in ihrer spezifisch römischen Variante über den Umweg von poleis, zu etablieren . Mehr als alle strategisch-militärischen Faktoren setzte die harte ökonomische Realität der Agrargeographie Vergils imperium sine fine Grenzen . Über Organisation und Struktur des Reichs der Arsakiden wissen wir viel weniger . Die historischen Bedingungen, unter denen das Reich entstand, als sekundäres Machtzentrum an der Peripherie eines alten, des Seleukidenreichs, die spezifische Sozialstruktur der Parther als einer ursprünglichen Nomadengesellschaft und schließlich die Fragmentierung des von den Parthern eroberten Territoriums noch in der Agonie des Seleukidenreichs, verhinderten offenbar, dass sich jemals eine starke Zentralgewalt ausbilden konnte . Indirekte Herrschaft besaß hier schon deshalb einen höheren Stellenwert als im rivalisierenden Imperium der Römer, weil dort, wo sich das Partherreich ausdehnte, vielfach bereits etablierte Dynastien herrschten . Die lokalen Machthaber, in Charakene im äußersten Süden Mesopotamiens etwa oder in der Persis, verblieben auch unter den neuen Herren in ihren Positionen und bildeten einen starken partikularen Gegenpol zur arsakidischen Reichsdynastie .86 So war der Partherkönig im Wortsinn ein ›König der Könige‹, wie die traditionelle iranische Herrschertitulatur mit gutem Grund lautete . Das Reich gliederte sich in Satrapien und Territorien mit unterschiedlichem Autonomiestatus . Von diesen Territorien spricht der ältere Plinius,87 wenn er insgesamt 18 »Königreiche« (regna) des Partherreichs nennt . Die Parther beließen den Territorien ihre innere Autonomie, jedenfalls solange die lokalen Herrscher grundsätzlich loyal blieben: Die Regelung der Nachfolgefrage oblag den Dynastien, die Herrscher prägten lokale Münzen mit ihrem Bildnis, sie hatten in Bezug auf die wirtschaftliche Organisation ihrer Staaten weitgehend freie Hand . Sprachlich und kulturell war und blieb das Partherreich, wie alle Imperien, ein Konglomerat heterogener Gruppen . 84 Zu denken ist nicht nur an die Überdehnung der militärischen Kräfte durch die großräumigen Eroberungsund Plünderungszüge in Mesopotamien . Schwerer noch wogen die Annexionen des Nabatäerreichs und Armeniens nach innen: Sie ließen namentlich unter der jüdischen Bevölkerung der östlichen Diaspora eine Art Endzeitstimmung aufkommen und provozierten die großen Aufstände des Diaspora-Judentums in Nordafrika, Ägypten, Zypern und Mesopotamien: Longden 1931; Guey 1937; Lepper 1948, 91f .; Barnes 1989; Maier 1989, 98–106; Horbury 2014, 164–277 . 85 Weber 1924, 292 . 86 Zum Partherreich und seiner Herrschaftsorganisation: Fowler 2010; Hartmann 2015; Gregoratti 2017; Sommer 2017b, 66–70 . 87 Plin . nat . 6,112 .

74 · III. macht Zugleich besaß auch das Partherreich die für Imperien so typischen Zentrum-Peripherie-Strukturen, hierarchisch abgestuft von direkter Herrschaft im Zentrum zu immer lockerer werdenden Formen indirekter Herrschaft zum Rand hin: Das Reich gruppierte sich um einen vergleichsweise engen Kern direkt beherrschter Provinzen bzw . Satrapien, Tacitus nennt sie praefecturae .88 Hier setzte der Partherkönig Statthalter ein, die ihm unmittelbar unterstellt waren . Die Provinzen lagen, soweit erkennbar, hauptsächlich im babylonischen Kernland des Reichs, um die Hauptstadt Ktesiphon . Die autonomen Territorien lagerten sich um diesen relativ kleinen Kern direkter Herrschaft . Einen Teil der regna – an der besonders exponiert liegenden äußeren Peripherie – verwalteten die Parther als Sekundogenituren: Die Dynastien waren, mehr oder weniger weitläufig, mit dem Königshaus der Arsakiden verwandt (so etwa in Armenien und Medien) . Die verwandtschaftliche Bindung, ursprünglich ein Instrument der Kontrolle und Sicherstellung von Loyalität, erhöhte das Prestige der betreffenden Dynastien – und damit auf lange Sicht deren politischen Bewegungsspielraum .

Rom und Iran: Konfrontation und Koexistenz an der Frontier Das Verhältnis des Imperiums zu seinen orientalischen Klientelstaaten war geprägt von der allmählichen Verfestigung der römischen Herrschaft: von der unmittelbar handlungsbezogenen Aktionsmacht über eine Phase des Drohens und Belohnens, wie sie sich in der augusteischen Politik widerspiegelt, hin zu einer immer tiefer wurzelnden autoritativen Bindung der indigenen Bevölkerung an die Zentrale . Wenn auch im Einzelfall, wie gegen Kommagene, wie immer wieder in Iudaea, das brutale Gesicht der römischen Herrschaft im Orient zum Vorschein kam und Aktionsmacht sich in blutigen Kriegen entlud, so war doch insgesamt, selbst unter den Nomaden der römischen Sphäre, die pax Romana in Vorderasien als Garantin von Sicherheit und Wohlstand allgemein akzeptiert; die drei integrativen Erzählungen des Imperiums bewiesen auch zwischen Mittelmeer und Euphrat, dass sie glaubwürdig waren .89 Roms Beziehungen zu seinen östlichen reges amici und den entsprechenden lokalen Bevölkerungen bewegten sich im Rahmen des imperialen Universalismus und seines Anspruchs, den gesamten orbis terrarum zu beherrschen . Von offensichtlich anderer Art war das Verhältnis zu Iran, wo mit dem Parther- und dem Sasanidenreich die einzigen imperialen, selbst expansive Kraft unterschiedlicher Intensität entfaltenden Spiegelbilder, mit denen das kaiserzeitliche Rom je konfrontiert war, ihr Zentrum hatten . Der universelle Herrschaftsanspruch des imperium sine fine stieß hier an manifeste äußere Grenzen, 88 Tac . ann . 6,24 . 89 Die Integration von Nomaden in die pax Romana funktionierte vor allem dort relativ reibungslos, wo integrierte Stammesgesellschaften mit urbanen Kernen (wie Palmyra) die tribalen Kräfte banden . Zu polymorphen Stammesgesellschaften siehe unten, S . 103 .

Konfrontation u nd Koexistenz · 75 an denen auch die wiederholten militärischen Vorstöße Roms, namentlich unter Trajan, L . Verus, den Severern und Diocletian, im Grundsatz nicht rütteln konnten . Ab dem ersten nachchristlichen Jahrhundert setzte sich in Rom allmählich die Einsicht durch, dass mit Iran eine zweite imperiale Sphäre existierte, dass Parther- bzw . Sasanidenreich prinzipiell gleichrangige Großreiche waren . Der Widerspruch zum imperialen Universalismus, der sich hier auftat, war nicht aufzulösen .90 Wie die Römer waren auch die Parther Erben des politischen Hellenismus .91 Und wie ihre westlichen Nachbarn setzten auch die Arsakiden die kulturelle Tradition des Hellenismus modifiziert fort .92 Grundsätzlich war das von Iran aus beherrschte Mesopotamien für Rom ein lohnendes Expansionsziel: Dicht besiedelt, urbanisiert und mit fortgeschrittener Landwirtschaft, war es durch jene strukturellen Merkmale gekennzeichnet, welche die Integration in den Verband des Imperiums erlaubt hätten .93 Umgekehrt strebten die Sasaniden, aber vor ihnen auch schon die Parther, an die Mittelmeerküste . Aus den widerstreitenden territorialen Interessen erwuchs nachgerade zwangsläufig jene Erbfeindschaft, die das Verhältnis beider rivalisierender Großreiche über Jahrhunderte prägte . Beide Seiten konnten in der Auseinandersetzung lediglich auf Aktionsmacht und allenfalls – in besonders günstigen Situationen – instrumentelle Macht zurückgreifen, auch wenn in Dokumenten beider Seiten immer wieder das Gegenteil behauptet wird .94 Die Geschichte des Kontakts zwischen Iran und dem römischen Okzident ist folglich eine Geschichte des Krieges und der Diplomatie . Am Anfang der beiderseitigen Beziehungen stand indes die Neutralität der Parther im Konflikt zwischen Rom und Mithradates von Pontos, mit drei bekannten Verträgen zwischen den Großmächten .95 Sie erst ermöglichte die beispiellose römische Expansion im Orient, zunächst unter Lucullus, dann unter Pompeius, und manövrierte schließlich Tigranes von Armenien an die Seite Roms . In der Folge war Armenien unter seiner Arsa90 Plin . nat . 6,41; 6,112; implizit erkennt auch Mon . Anc . 33 eine souveräne Stellung der Parther an . Grundsätzlich ähnlich auch Strab . 6,4,2: Παρθυαῖοι δὲ, ὅμοροὶ τε ὄτες καὶ μέγιστοι δυνάμενοι […] . Der Partherexkurs des Pompeius Trogus (41–43) ist im Exzerpt bei Iustinus erhalten; vgl . Wickevoort Crommelin 1998 . Danach ist Rom caput mundi, aber die Parther beherrschen den oriens (43,1,2; 1,13) . Cass . Dio 80,3 betrachtet selbstverständlich die Machtergreifung der Sasaniden als »innere Angelegenheit« der Perser . Allgemein zur Frage der Gleichheit zwischen Rom und den Parthern: Lerouge 2007, 144f . 91 Zur parthischen Frühgeschichte: Lerner 1999 . 92 Zur materiellen Kultur: Schlumberger 1960; Colledge 1977; Wiesehöfer 1993, 115–165; Jacobs 2014 . 93 Isaac 1998, 411: »Babylonia was wealthy and urbanized . One point we may note is that the Parthian and Sassanian periods witnessed a spectacular growth in settlement as compared with the Achaemenid Period when Alexander conquered the area .« 94 Immer wieder in den Texten angeführtes Paradigma ist, nicht erst seit dem römisch-iranischen Dualismus, die Kategorie der ›Tributsoberherrschaft‹, welche die Ausübung autoritativer Macht über die jeweils gegnerische Seite suggeriert . Für die iranische Seite vgl . die sogenannten Res Gestae Divi Saporis (ŠKZ) in Back 1978, besonders 293: »[…] der Kaiser Philippus kam zu Uns um Fürbitte und er zahlte Uns für ihr Leben 500 .000 Denare Lösegeld und er trat in Tributpflichtigkeit zu Uns [griech . Fassung: εἰς φόρους ἡμεῖν] .« 95 Schippmann 1980, 33–74; Keaveney 1981; Bivar 1983, 21–99; Isaac 1990, 19–53 .

76 · III. macht kidendynastie (149 v . – 428 n . Chr .) auf Jahrhunderte Zankapfel zwischen Rom und Iran, mit der immer wiederkehrenden und nie an Brisanz verlierenden Frage, wer Suzerän des armenischen Königs sein sollte . Den ersten Waffengang läutete zwar kein Konflikt um Armenien ein, sondern die Offensive des Crassus von Syrien aus (54–53), die meisten Folgekriege aber entbrannten um das Königreich zwischen Euphrat und Kaspischem Meer .96 Eine sich anbahnende Konfrontation nach dem Tod Tigranes’ III . von Armenien (1 v . Chr .) konnte durch das Treffen zwischen Gaius Caesar und dem parthischen König Phraates V . auf einer Euphratinsel gerade noch abgewendet werden (1 n . Chr .), mit für Rom günstigem Ergebnis . Erneut stand die armenische Frage mit dem Tod des Königs Artaxes (35) auf der Tagesordnung . Die Parther versuchten, einen Arsakiden zu installieren, Rom hielt mit einem eigenen Prätendenten dagegen . Wie schon 1 n . Chr . verfingen auch diesmal massive römische Drohungen: Die Parther zogen sich aus Armenien zurück und sandten einen Angehörigen ihres Königshauses – Meherdates, den die Römer später (47–49 n . Chr .) erfolglos als Nachfolger des verstorbenen parthischen Königs Vardanes zu installieren versuchten – als Geisel nach Rom (36) . Unter Vologaises I . (ca . 51–77/79) unternahmen die Parther abermals den letztlich erfolglosen Versuch, aus Armenien eine arsakidische Sekundogenitur zu machen . Zwar konnte Vologaises im armenischen Machtvakuum nach der Ermordung des römischen Klientelkönigs Mithridates (52) seinen Bruder Tiridates auf den Thron manövrieren, die römische Reaktion zeitigte aber Erfolge, wenn auch erst nach einigen Anlaufschwierigkeiten .97 Als auch die Römer in Bedrängnis gerieten, vor allem weil parthische Reiter das entblößte Syrien bedrohten (62), einigten sich beide Seiten als Kompromisslösung darauf, dass Tiridates das Diadem aus der Hand Neros empfangen sollte . Mit ihrer erneuten Einmischung in die dynastischen Angelegenheiten Armeniens 98 lieferten die Parther den Vorwand für Trajans großangelegten Partherkrieg (114–117), der die Römer bis an den Persischen Golf führte, letztlich aber keine Veränderung des Status quo bewirkte .99 Aspirationen auf Armenien und Syrien veranlassten die Parther zur kurzzeitigen Invasion in Armenien (155) und zur Kriegserklärung an Rom (161), das nach parthischen Anfangserfolgen100 mit mehrfachen Gegenoffensiven unter dem nominellen 96 Zum Feldzug des Crassus und der römischen Niederlage von Karrhai: Timpe 1962; Arnaud 1998; MatternParkes 2003 . 97 Cn . Domitius Corbulo fand bei seinem Eintreffen im Orient die römischen Truppen in einem desolaten Zustand vor . Er konnte aber die inneren Probleme der Parther nutzen, um Armenien zu erobern und dort Tigranes V . als römischen Vasallen einzusetzen (ca . 58–60), den er seinerseits zu einer Offensive gegen die Parther ermuntern konnte (60/61) . Rom stationierte eine Garnison in Armenien (Tac . ann . 15,3,5): Schur 1923a; Schur 1923b; Momigliano 1931; Hammond 1934; Wheeler 1997; Salvo 2008–2009; Sommer 2008/2009 . 98 Der Partherkönig Osroes setzte den legitimen armenischen König Exedares ab (110–112) und installierte statt seiner Parthamasiris . 99 Hadrian erkannte bei einer Zusammenkunft mit Osroes den Euphrat als gemeinsame Grenze an (123) . 100 Die Parther eroberten Armenien und besiegten die römischen Truppen in Syrien unter Attilius Cornelianus . Syrien war daraufhin akut von parthischen Beutezügen bedroht . Cass . Dio . 71,2: [Οὐολογαίσος] καὶ τῆς

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Karte 3.3: Vorderasien nach dem Partherkrieg des L. Verus (163–166 n. Chr.). Der Westen mit Syria (1), Cilicia (2) und Cappadocia  (3) präsentiert sich unverändert. Römische Truppen stehen im östlichen Obermesopotamien, der neuen Provinz Mesopotamia (4), mit Nisibis als Garnison. Osrhoene (5) ist auf wohl leicht reduziertem Territorium autonom geblieben, nun als römisches Klientelkönigreich. Unter römischer Suzeränität steht auch Armenien (6), wo ein arsakidischer rex datus regiert. Autonome Territorien des Partherreichs (7) sind Hatra (8), Adiabene (9) und Media Atropatene (10).

Oberkommando des L . Verus, aber der tatsächlichen Führung durch Avidius Cassius antwortete (163–165, Abb . 3 .3), die römische Truppen ein weiteres Mal nach Seleukeia am Tigris und Ktesiphon führten und in die Einsetzung eines Rom gewogenen Prätendenten in Armenien mündeten . Der Vorstoß brachte den König von Osrhoene, Maʿnū, erstmalig dicht an die Seite Roms .101 Zum Status Osrhoenes und damit Obermesopotamiens in der Συρίας ταῖς πόλεσι πολὺς ἐπῄει καὶ φοβερός (›Und [Vologaises] marschierte nun Furcht verbreitend gegen die syrischen Städte‹); Amm . 23,6,23–24; H .A . Ver . 8,3–4; Oros . hist . 7,15,2; Front . 2,209 . Bemerkenswert ist, dass die Parther offensichtlich auf Unterstützung in der syrischen Bevölkerung bauen konnten . Nicht sicher allerdings ist, ob die römischen Darstellungen in Bezug auf die von den Parthern ausgehende Gefahr übertreiben: Sommer 2017a . 101 Der König hatte sich nach Ps .-Dionys . 2154 während der Feldzüge des Avidius Cassius auf römisches Territorium geflüchtet (ca . 162/163–164/165) und amtierte dann erneut für 13 Jahre in Edessa . Siehe dazu unten, S . 240 . Der Vorgang – wie übrigens auch die Bedeutung, die noch immer der armenischen Frage beigemessen wurde – verdeutlicht, dass Rom das Instrument indirekter Herrschaft über Klientelstaaten keineswegs

78 · III. macht Grenzzone zwischen Rom und Partherreich lassen sich für die Zeit zwischen Trajan und L . Verus allerdings mangels Quellen kaum klare Aussagen treffen . Vermutlich brachte Rom jedoch das als Handelsweg wichtige Flusstal des Ḫābūr unter seine mehr oder wenige effektive Kontrolle .102 Ohne dass wir genauere Kenntnis von den Einzelheiten hätten, ist sicher, dass ein Thronstreit in Armenien wenige Jahre später abermals für Konflikte sorgte (172) . Eine neue, für die Parther letale Dynamik erhielt die römisch-iranische Konfrontation in severischer Zeit . Indirekt griff das Partherreich in den römischen Thronstreit zwischen Septimius Severus und Pescennius Niger ein und unterstützte eine zeitlich in etwa parallel liegende antirömische Revolte in Osrhoene (192–194), so einen ersten von zwei aufeinanderfolgenden römischen Feldzügen gegen Nordmesopotamien provozierend (194/195) .103 Noch weiter holte Severus, der mit Clodius Albinus den letzten innenpolitischen Rivalen ausgeschaltet hatte (197), in einer zweiten Kampagne aus, nachdem eine parthische Offensive gegen Nisibis abgewehrt worden war: Babylon und Seleukeia gerieten kampflos in römische Hände, Ktesiphon wurde nach schweren Kämpfen zum vermutlich dritten Mal von römischen Soldaten geplündert . Nachschubprobleme verhinderten indes, dass die Römer ihren militärischen Sieg in eine dauerhafte Beherrschung Untermesopotamiens ummünzen konnten . Ohnehin scheiterte Severus, wie schon Trajan, vor Hatra . Der Friede (198 oder 199) trug Rom nicht mehr als den dauerhaften Besitz des größten Teils Obermesopotamiens ein, das etwas großsprecherisch als neue Provinz Mesopotamia organisiert und durch die neuen Legionen I–III Parthicae gesichert wurde . Das faktisch zum Stadtstaat um die Hauptstadt Edessa reduzierte Osrhoene blieb römische Klientelmonarchie unter Abgar VIII ., ›dem Großen‹ (Abb . 3 .4) .104 zugunsten eines kompromisslosen Annexionismus aufgegeben hatte . Nach wie vor waren für das Imperium weite Landstriche, wenn überhaupt, allenfalls indirekt zu beherrschen . 102 Millar 1993, 114; Edwell 2008, 23–26; Sommer 2017b . 103 Cass . Dio 76,9,3–4, besonders 9,3: […] ταχέως τήν τε Σελεύκειαν καὶ τὴν Βαβυλῶνα ἐκλειφθείσας ἔλαβε . καὶ μετὰ τοῦτο καὶ τὴν Κτησιφῶντα ἑλὼν ἐκείνην τε πᾶσαν διαρπάσαι τοῖς στρατιώταις ἐφῆκε, φόωον τε ἀνθρώπων πλεῖστον εἰργάσατο, καὶ ζώντας ἐς δέκα μυριάδες εἷλεν (›Schnell nahm er die verlassenen Städte Seleukeia und Babylon ein . Als er anschließend Ktesiphon einnahm, gestattete er den Soldaten, die gesamte Stadt zu plündern, und er tötete eine große Zahl von Menschen und nahm 10 .000 Gefangene‹) . Ähnlich H . A . Sept . Sev . 16,1 sowie Herodian . 3,9,9–12 . Als Quellen von großer Bedeutung auch die Reliefs am Severusbogen in Rom . In dieser ersten Kampagne erzielte Severus Erfolge bei der Eroberung von Osrhoene, das vermutlich Gebiete an Rom abtreten musste, aber als Königreich erhalten blieb, und, gegen arabische Stämme, in Adiabene, musste sie aber wegen der Usurpation des Clodius Albinus vorzeitig abbrechen (195) . Die Quellen erschweren wegen der vielfach gleichen Schauplätze die Trennung zwischen den Ereignissen der beiden Feldzüge des Severus . Jedenfalls legte Severus sich nach der ersten Kampagne die Titel Parthicus Adiabenicus und Parthicus Arabicus zu . Osrhoene unter Abgar VIII . behielt den Status eines abhängigen Königtums bei . Vgl . Millar 1993, 125; Ross 2001, 46–53 . 104 Nach Drijvers 1977, 879–882; Millar 1993, 144, 151 und 473–478; Luther 1999b, 189f ., folgte Abgar VIII . im Rumpfstaat Edessa wohl ein anderer Abgar (IX . Severus) nach (ca . 211/212), der schon wenig später (212/213) durch Caracalla abgesetzt wurde, während Edessa den Status einer colonia erhielt (Cass . Dio 78,12,1a–12) . Edessa prägte daraufhin Münzen mit griechischer Legende . Unter Gordian III . wechselte die Legende zum

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Karte 3.4: Vorderasien 211 n. Chr. Beim Tod des Septimius Severus beherrschte Rom fast das gesamte Gebiet zwischen Mittelmeer und Tigris direkt. Syria ist in die neuen Provinzen Syria Coele (1) im Norden und Syria Phoenice (2) im Süden geteilt. Zu Syria Phoenice gehören vermutlich auch die römischen Grenzforts am nun stark befestigten mittleren Euphrat. Die Provinz Mesopotamia (5) ist auf Kosten des Königreichs Osrhoene (6) erheblich erweitert worden. Armenien (7) ist nach wie vor römisches Klientelkönigreich. Das ›Königreich der Araber‹ um Hatra (9) untersteht wie die regna Adiabene (10) und Media Atropatene (11) weiterhin der Suzeränität des Partherreichs (8).

Unter Caracalla setzte Rom seine Expansionsanstrengungen fort: Die Könige von Osrhoene (213/214) und Armenien (214) wurden in Rom gefangengesetzt, ihre Staaten annektiert . In Armenien brach daraufhin ein antirömischer Aufstand aus . Unter allerlei Vorwänden nahm Caracalla auch die Offensive gegen die Parther wieder auf und besetzte Adiabene (216), fiel jedoch bereits im folgenden Jahr dem Anschlag des Prätorianerpräfekten Macrinus zum Opfer, der den ererbten Krieg fortsetzte .105 Am Ende (218) war der Status quo ante faktisch wiederhergestellt, der letzte Konflikt Roms mit dem Partherreich, aramäischen Ortsnamen Orhai (ʾWRHY) zurück (239/240), als König firmierte erneut ein Abgar (X .) . Zur Chronologie Luther 1999b, 197 . Laut Millar 1993, 152, konnte sich der König nicht über Oktober 242 hinaus halten, da er in einem der syrischen Dokumente vom mittleren Euphrat nicht mehr auftaucht . Ob, wie Millar, ebd ., 151, vermutet, die römische Seite bei der Rückkehr Edessas zur Autonomie »had been forced to tolerate a fait accompli«, lässt sich anhand der Quellen nicht entscheiden . 105 Zu den politischen Implikationen Timpe 1967 . Die Ergebnisse des Krieges behandelt Edwell 2008, 29 .

80 · III. macht das fast unmittelbar im Anschluss der expansiven Dynamik der Sasaniden erlag, beigelegt . Am 28 . April 224 verlor der parthische König Artabanos IV . gegen den rebellierenden Ardaxšīr Schlacht und Leben, wenig später (vielleicht 226, mit der Einnahme Ktesiphons) nannte sich Ardaxšīr gemäß der persischen Tradition ›König der Könige‹ .106 In den Sasaniden erwuchsen Rom im Osten ungleich expansivere Rivalen, als es zuvor die Parther gewesen waren . Mit frappierender Energie und enormem Tempo setzten sich die Sasaniden, nachdem sie das Partherreich und die meisten seiner autonomen Teilkönigreiche erobert hatten, weitere Expansionsziele .107 Zwangsläufig gerieten sie mit den Römern in Konflikt, zunächst um deren neue mesopotamische Territorien, vor allem die Städte Karrhai, Nisibis und Hatra, den äußersten südöstlichen Vorposten der römischen Verteidigungslinie seit den zwanziger Jahren des 3 . Jahrhunderts (Abb . 3 .5) .108 Hatra fiel 240/241 und mit ihm die Schlüsselstellung zur Verteidigung des römischen Obermesopotamien .109 Das Heer, mit dem Gordian III . zum Gegenschlag ausholte (242), konnte zwar Karrhai und Nisibis zurückerobern und an Euphrat und Ḫābūr auf Ktesiphon vorrücken, wurde aber bei Mišīk (griech . Mesiche, dann umbenannt in Pērōz-Šābuhr), nordwestlich der persischen Hauptstadt, von den Sasaniden geschlagen .110 Deren neuer König Šābuhr griff nach 106 Zum Herrschaftswechsel von den Parthern zu den Sasaniden: Sartre 2005; Wiesehöfer 2008, 531–539 . 107 Herodian . 6,2,2 und Cass . Dio 80,4,1–2 behaupten, der Anspruch auf Vorderasien westlich des Euphrat habe sich aus dem bewussten Rückgriff der Sasaniden auf das Achaimenidenreich ergeben . Die Historizität dieser Behauptung ist in der Forschung umstritten . Pro Winter 1988, 31–44; Winter/Dignas 2001, 75–85, contra aber, mit überzeugenden Argumenten, unter anderen: Edwell 2008, 156–160; Wiesehöfer 2008, 537; Wiesehöfer 2017, 387–390 . 108 Wiesehöfer 1982; Wiesehöfer 2008, 536–538 . Erste, von Rom abgewehrte Angriffe auf Hatra begannen noch vor 230, auf Nisibis um 230 . Severus Alexander reagierte mit Verstärkung der römischen Truppenpräsenz in Syrien, ordnete den Ausbau der militärischen Infrastruktur an und leitete eine Gegenoffensive ein . 233 kehrte er nach Rom zurück (Herodian . 6,2–7) . Laut Millar 1993, 149 (»[…] there is no good evidence that they crossed into Syria .«), war Syrien vor persischen Angriffen sicher . Für eine persische Eroberung immerhin der mesopotamischen Städte Nisibis und Karrhai spricht sich, gestützt auf die ŠKZ, Kettenhofen 1982, 30f ., aus . Zur Inschrift Huyse/Loriot 2006 . Zu Hatra unter römischer Herrschaft Drijvers 1977, 827, der plausibel den Aufstieg der Sasaniden und die Stationierung einer römischen Garnison in Hatra in denselben Zusammenhang einordnet: »[…] es liegt nahe, daß Hatra und Rom einander gegen den gemeinsamen Feind gefunden haben .« Ähnlich zu den Motiven der Hatrener, mit Betonung ihrer Sorge um die Autonomie zwischen Rom und Iran, Winter/Dignas 2001, 185; Sommer 2003a, 18; Sommer 2003b, 397f .; Luther 2008a, 501–503 . Siehe dazu unten, S . 380 . 109 Zur Belagerung Hatras durch Ardaxšīr (ca . 229) Cass . Dio 80,3,2: Ἀρταξέρξης γάρ τις Πέρσης τούς τε Πάρηους τριςὶ μ´χαις νικήσας καὶ τὸν βασιλέα αὐτῶν ἐπὶ τὰ Ἄτρα ἐπεστράτεθσεν, ἐπιβασίαν ἀπ᾽ αὐτῶν ἐπὶ τοὺς Ῥωμαίοθς ποιούμενος (›Denn Artaxerxes, ein Perser, führte, nachdem er die Parther in drei Schlachten besiegt hatte und sogar ihren König, Artabanos, getötet hatte, einen Feldzug gegen [H]atra, um es zum Stützpunkt gegen die Römer zu machen‹) . Εinen Anhaltspunkt für das Datum der Einnahme gibt der griechische Mani-Codex (P . Colon . 4780) . Mani erlebte seine zweite Offenbarung am 23 . April 240, in dem Jahr, in dem Hatra erobert wurde: Drijvers 1977, 827 . 110 So jedenfalls der Bericht der ŠKZ: »Und an den Grenzen Babyloniens bei Mišīk [m(šyk)] kam es gegeneinander zu einer großen Schlacht . Und Kaiser Gordianus [gwrtnyws] fand den Tod, und Wir vernichteten das

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Karte 3.5: Vorderasien 240–260 n. Chr. Zur Jahrhundertmitte geraten die Provinzen Syria Coele (1), Syria Phoenice (2) und Mesopotamia (5) unter erheblichen Druck des expandierenden Sasanidenreichs (8). Hatra (9) wechselt auf die römische Seite, das Königreich Osrhoene (6) wird kurzzeitig wiederbelebt. Sasanidische Vorstöße richten sich gegen zahlreiche römische Siedlungen: Kifrin (240?), Hatra (241) und Dura-Europos (256) werden dauerhaft zerstört und aufgegeben. Lokale Milizen können einen Angriff auf Emesa (253) abwehren, während in Nordsyrien zahlreiche Städte von sasanidischen Überfällen heimgesucht werden.

dem für ihn günstigen Friedensschluss (244) nach dem strategischen Glacis Armenien, das die Römer hatten preisgeben müssen . Šābuhr installierte eine Sekundogenitur unter seinem Sohn Hormizd (252) und rückte dann direkt gegen römisches Territorium vor . Die Invasionen Šābuhrs in drei großen Wellen111 (252–260) markieren historisch und archäologisch die wohl schärfste Zäsur in Vorderasien seit der römischen Eroberung . Die Perser besiegten das Aufgebot des Statthalters von Syria (Frühjahr 253), eroberten und plünderten zahlreiche syrische Städte, darunter Antiocheia, erlitten aber eine Niederlage bei Emesa und zogen sich noch 253 in südöstlicher Richtung zurück . Obwohl die persischen Vorstöße eher razzienartigen Überfällen als planmäßiger territorialer Expansion glichen, römische Heer . Da wählten die Römer Philippus [plypws] zum Kaiser . Und der Kaiser Philippus kam zu Uns und er zahlte Uns für ihr Leben 500 .000 Denare Lösegeld und er trat in Tributpflichtigkeit zu Uns . Und aus diesem Anlaß gaben wir Mišīk den Namen Pērōz-Šāpūr [prgwzšhypwhr] .« (Übers . Back 1978, 291–294) . Vgl . auch Kettenhofen 1982, 31–37; Winter/Dignas 2001, 96f . 111 Chronologie nach ebd ., 88f .; Sartre 2005, 348–350; Edwell 2008, 184–200; Mosig-Walburg 2009, 43f .

82 · III. macht waren die Folgen für Wirtschaft und Infrastruktur Syriens doch einschneidend .112 Weitere Kampagnen Šābuhrs richteten sich gegen das römische Kleinasien (253–255), bevor er erneut zum Angriff auf Obermesopotamien und Syrien ansetzte (260) . Die Schlacht von Edessa endete mit der denkwürdig-verheerenden Niederlage der Römer und der Gefangennahme Kaiser Valerians durch die Perser (260) .113 Die durch die sasanidischen Einfälle und insbesondere die Niederlage Valerians heraufbeschworene Krisenstimmung gab das Szenario ab für die explosive, freilich den imperialen Gedanken Roms nie in Frage stellende Expansion Palmyras . Palmyras ephemerer Griff nach der Weltmacht unter Odainat und vor allem seiner Witwe und Nachfolgerin Zenobia gehört typologisch in eine Reihe mit anderen regionalen Selbsthilfeaktionen in bedrohten Teilen der römischen Peripherie, namentlich dem angesichts endemischer Barbareneinfälle an der Rheinfront in Gallien proklamierten ›Sonderreich‹ des Postumus (ab 257) . Beiden Quasi-Sezessionen setzte eine von innen wie außen konsolidierte Reichszentrale unter Aurelian ein Ende (271–273) .114 Die sasanidischen Erfolge in Mesopotamien und Syrien waren, vor allem dank der effektiven Defensivarbeit Odainats von Palmyra, abermals nicht von Dauer, zumal der überragende sasanidische Herrscher Šābuhr I . nur wenig später, um 271–273, starb und Iran in eine Phase innerer und äußerer Krisen abglitt, mit Thronwirren und Konflikten am Ostrand des Reiches .115 Wie das Schadensbild nach den drei Invasionen Šābuhrs und, ab 271/272, die römischen Maßnahmen zur Behebung der Schäden im Einzelnen aussahen, lässt sich mangels aussagekräftiger Quellen nicht entscheiden . Ein unmissverständlicher Hinweis auf schwerwiegende, über die Invasionsschäden hinausreichende strukturelle Veränderungen besteht allerdings in der Tatsache, dass etliche der von Šābuhr zerstörten Siedlungsplätze (Hatra, Dura-Europos, Gindaros) aufgegeben und nie wiederbesiedelt wurden .116 112 Die landwirtschaftlich sonst so produktive Provinz Syria war schon nach der ersten Kampagne Šābuhrs auf Getreideimporte aus Ägypten angewiesen, wie P . Oxy . 3109 belegt . Dura-Europos wurde wenig später zerstört und nicht mehr besiedelt: Millar 1993, 163f . 113 Näheres bei: Kettenhofen 1982, 97–99; Goltz/Hartmann 2008, 248–254; Mosig-Walburg 2009, 44–53; Glas 2014, 319–330 . ŠKZ nach Back 1978, 312f .: »Und bei Karrhae und Edessa schlugen Wir mit dem Kaiser Valerian [parth . Fassung: wʾlrnyws] eine große Schlacht . Und den Kaiser Valerian nahmen Wir selbst mit eigenen Händen gefangen .« 114 Zum gallischen ›Sonderreich‹ des Postumus, Victorinus und Tetricus: Lafaurié 1975; König 1981; Drinkwater 1987; Luther 2008a; Eck 2012 . Mit der Grenzabwehr verquickte Usurpationen flackerten auch andernorts im Reich auf: Ingenuus in Pannonien (260), Macrianus und Quietus in Samosata (260/261), Regalianus in Carnuntum (260) . Die Vergleichbarkeit der beiden kurzlebigen peripheren Machtzentren unterstreicht mit Recht Christ 1995, 667–671, ausführlicher Sommer 2014a, 98–108 . 115 Wiesehöfer 2008, 541–544 . Der genaue Hergang der Ereignisse ist ungewiss . Sicher ist ein Dynastiewechsel; zu vermuten ist ein Feldzug gegen Sogdiane . 116 Ammianus (25,8,5) sah die Ruinen des »seit Langem verlassenen« (olimque desertum) Hatra auf dem Perserfeldzug Iulians (363); zu Dura-Europos siehe unten, S . 334; Gindaros: Kramer 2004, 290–292 . Relevant in diesem Zusammenhang sind auch eine Inschrift aus Trier, nach der Diocletian erfolgreich gegen Saraceni

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Karte 3.6: Vorderasien nach dem römisch-sasanidischen Friedensvertrag (298). Die Klientelstaaten auf römischer Seite sind beseitigt, die Provinzen neu gegliedert: Syria Coele (1), Phoenicia (2), Arabia (3), Augusta Libanensis (4), Cilicia (5), Augusta Euphratensis (6), Cappadocia (7), Osrhoene (8), Mesopotamia (9). Armenien (10) untersteht römischer Verwaltung, Rom kontrolliert auch Territorien nicht näher bekannten Umfangs auf dem Ostufer des mittleren Tigris. Die Zone südlich der Provinz Mesopotamia lässt sich politisch nicht näher zuordnen, vermutlich bildet sie, nach Zerstörung der städtischen Zentren, ein Art Niemandsland zwischen Rom und dem Sasanidenreich (11), in dem tribale Gruppen weitgehend unbehelligt von den Großreichen leben.

Rom gewann gegenüber Iran rasch die Initiative zurück . Zwar fiel Aurelian noch bei der Vorbereitung eines groß angelegten Perserkriegs Verschwörern zum Opfer (275), doch schon Carus konnte die Kampfhandlungen wiederaufnehmen, südwärts nach Untermesopotamien vordringen und Ktesiphon einnehmen (283) . Carus starb nahe Ktesiphon unter ungeklärten Umständen; die eilends nach Westen zurückgeführte Truppe rief in Nikomedeia Diocles, den nachmaligen Diocletian, zum Kaiser aus (17 . November 284) . Abermals entbrannte ein römisch-persischer Konflikt um Armenien . Dort hatte Rom den Arsakiden Tiridates 286/287 als Klientelkönig installiert, der die Schwächephase der Sasaniden für wiederholte Einfälle in deren Nordwestprovinzen nutzte . Der persi(erstmalige Erwähnung des Wortes) bzw . nationes »an der Grenze zu Syria« vorging: Millar 1993, 177, sowie entsprechende Passagen in den Paneg . Lat . 3,5,4f . Die Erwähnung von Saraceni macht verstärkte, die sesshafte Bevölkerung Syriens gefährdende nomadische Aktivität wahrscheinlich .

84 · III. macht sche König Narseh erklärte daraufhin Rom den Krieg, der sich in drei Phasen117 entrollte: (1 .)  Die Mesopotamien verteidigende römische Armee erlitt – unter gemeinsamer Führung des Augustus Diocletian und seines mit der Kriegführung betrauten Caesars des Ostens Galerius118 – zwischen Karrhai und Kallinikon eine Niederlage gegen die angreifenden Perser (296); die Truppen beider Seiten zogen sich daraufhin in ihre Winterquartiere zurück; (2 .) Galerius eroberte nach Verstärkung der römischen Truppenpräsenz durch Vexillationen Nisibis119 zurück und führte im Gegenstoß seine Legionen über den Tigris, durch Armenien nach Adiabene und südwärts nach Ktesiphon,120 wobei er sich des persischen Harems bemächtigte (297/298); (3 .) Verhandlungen mündeten schließlich in einen förmlichen Friedensvertrag121 (298, Abb . 3 .6) . Wesentlich an dem Abkommen war die sogenannte Nisibis-Klausel, ein Passus, der den Fernhandel zwischen Römer- und Sasanidenreich verbindlich über die obermesopotamische Stadt leitete .122 Mit der strata Diocletiana von Bostra über Palmyra bis Sura erhielt die östliche Verteidigungslinie des Reiches ein neues strategisches Rückgrat, das an die Stelle der nun ihrer urbanen Zentren beraubten integrierten Stammesgesellschaften trat . Zahllose neue Fortifikationen sollten die militärische Präsenz Roms in den Außenposten auf absehbare Zeit zementieren: vom Golf von Aqaba im Süden bis zum Euphrat im Nor117 Mosig-Walburg 2009, 91–148 . Von einiger Bedeutung ist die Frage, ob Diocletian selbst an der ersten Kampagne teilnahm . Mit Berufung auf P . Argent 480,1 verso 1–11 Barnes 1976, 183: Ζεὺς [Iovius, also Diocletian] ὑπὲρ Ὄρθυν, ὁ [δ᾽] ἐς Πάγγαιοω Ἀπόλλων [Apollinus, also Galerius] . Den Beleg ignoriert Kuhoff 2001, 171, der die Niederlage allein Galerius anlastet . 118 Berühmt ist die Anekdote, dass Diocletian sich nach der Niederlage in einer Sänfte tragen ließ, während Galerius zu Fuß gehen musste (Amm . 14,11,10; Eutr . 9,24) . 119 Wobei unklar bleibt, wie lange Nisibis zuvor in sasanidischer Hand war . 120 Zur Frage, ob Galerius Ktesiphon erreichte, mit guten Gründen affirmativ: Barnes 1976, 184 . 121 Zum Friedensschluss: Aur . Vict . 39,35f .; Fest . 14,25 sowie vor allem der in sich widersprüchliche Passus bei Petros Patrikios in FGH IV 188f .: »Der Hauptinhalt der Botschaft war folgender: dass die Römer in der östlichen Region [östlich (!) des Tigris, M . S .] Ingilēnē zusammen mit Sōphēnē, Arzanēnē zusammen mit Karduēnē und Zabdikēnē erhalten sollten und dass der Tigris die Grenze zwischen beiden Staaten sein sollte […] .« Vgl . auch Winter 1989, 555–571; Mosig-Walburg 2009, 125–148 . Das Abkommen überließ Rom neun Regionen auf dem linken (östlichen) Tigrisufer, die aber nicht Teil einer Provinz wurden, sondern lokale Autonomie behielten, insofern also dem Muster indirekter Herrschaft über Klientelstaaten glichen . Römisches Militär wurde in den Gebieten jenseits des oberen Tigris nicht stationiert, stattdessen das rechte Tigrisufer zum Limes ausgebaut . Die römische Provinz Mesopotamia erhielt mit der Ausdehnung bis zum Tigris ihre endgültige territoriale Gestalt . Einer Klärung harrt noch die Frage, warum Galerius seinen so erfolgreichen Feldzug nicht fortsetzte: Gab, wie Aur . Vict . 39,35f . vermeldet, Diocletian kraft seiner auctoritas die Weisung zum Abbruch? Spielte unter Umständen, wie die Sänftenepisode andeutet, Eifersucht zwischen den rangungleichen Herrschern eine Rolle? Oder gab strategisch-politische Opportunität – das Ziel eines Friedens, der die Perser nicht brüskierte – den Ausschlag? Den Widerspruch bei Petros Patrikios, dass Rom die transtigritanischen Gebiete erhielt, der Tigris aber Grenze blieb, versuchen Winter/Dignas 2001, 150–155, mit der nur bedingt überzeugenden Konstruktion einer lediglich formellen Oberhoheit Roms über den Raum östlich des Tigris aufzulösen, der grundsätzlich bei Armenien verblieben sei . 122 Millar 1993, 179; Mosig-Walburg 2009, 125 und 129–130 .

Konfrontation u nd Koexistenz · 85 den .123 Dem neu errichteten Diocletianslager in Palmyra war eine besonders wichtige Funktion vorbehalten: Die Stadt in der Oase hatte als Handelszentrum ausgedient; jetzt war sie der zentrale Schlussstein des römischen Festungssystems .124 Am nördlichen Ende der strata wurde Kirkesion an der Ḫābūr-Mündung zum stark befestigten römischen Vorposten ausgebaut .125 Erkennbar sind darin die Anstrengungen der Tetrarchen, die römische Verteidigungslinie gegen die von Iran und nomadischen Gruppen diesseits und jenseits des Limes ausgehende Bedrohung zu reorganisieren . Weitere Grenzbefestigungen sind epigraphisch bezeugt, durch Meilensteine auf der strata Diocletiana .126 Schließlich nahmen die Tetrarchen bedeutende quantitative Veränderungen an der Dislokation der Grenztruppen vor: Von den vermutlich 28 neuformierten Legionen der tetrarchischen Epoche entfielen allein 13 auf die Ostgrenze mit Kleinasien, aber ohne Ägypten; damit waren von den insgesamt wohl 66 gegenüber vorher verkleinerten Legionen immerhin 23 am orientalischen Limes stationiert – das militärische Schwergewicht Roms hatte sich deutlich nach Osten verschoben .127 Der Überblick über fast 400 Jahre konfliktgeladener Nachbarschaft zwischen Rom und Iran offenbart das durchgängig reaktive Verhalten beider Seiten . Von einem langen politischen Atem, gar einer »Grand Strategy«,128 kann, zumindest für den römischen Osten, keine Rede sein . Dennoch gibt es sich wiederholende Strukturmuster: Insgesamt waren die Aktionen von Parthern und Sasaniden hier und den Römern dort in hohem Maße vorhersagbar, so sich das post festum sagen lässt . Brandgefährlich war vor allem der ständige Streit um Armenien, um das – mittel- oder unmittelbar – von 15 dokumentierten Konfliktfällen zwischen 54 v . und 298 n . Chr . allein neun entbrannten . Jede Seite tolerierte die Hegemonie des Gegners nur, solange sie sich in der schwächeren Position wähnte . Sobald sie erstarkte, war die nächste Intervention fällig, und damit meist der nächste Krieg: Die Parther unternahmen sechs Anläufe, Armenien der indirekten Herrschaft Roms zu entreißen (1 v . Chr ., 35 n . Chr ., 52, 114, 155), oft unter Ausnutzung armenischer Thronstreitigkeiten und Sukzessionskonflikte . Armenien war Objekt schlecht dokumentierter Konflikte in den 170er Jahren, in deren Zusammenhang auch die Usurpation des Avidius Cassius gehörte . Caracalla versuchte Armenien direkter Herrschaft zu unterwerfen (214); Šābuhr nutzte die Gunst der Stunde und machte Armenien zur sasanidischen Sekundogenitur (252); Narseh reagierte auf die offensiv-prorömische Politik des armenischen Königs Tiridates (286/287) . Allerdings ließ die Sprengkraft der armenischen Frage gegenüber anderem Konfliktpotential schließlich spürbar nach: Während bis 227 noch sieben von zehn römisch-par123 Kennedy/Riley 1990, 30 . 124 Wagner 1985, 69; Kennedy/Riley 1990, 181–184; Kuhoff 2001, 646 . 125 Amm . 23,5,2: quod [Cercusium] Diocletianus exiguum antehoc et suspectum, muris turribusque circumdedit celsis […] .; Prok . 2,5,2f .: […] Κιρκήσιον ἐπικαλείται, ἐχυρὸν ἐς τὰ μάλιστα ὄν […] . 126 Kuhoff 2001, 648 . In den genannten Lagern waren jeweils Kohorten (Fuß- und Reitertruppen) stationiert . 127 Ebd ., 464, gestützt auf die Notitia Dignitatum . 128 Das Konzept stammt von Luttwak 1976 .

86 · III. macht thischen Konflikten um Armenien entflammten, waren es bis 298 nur noch zwei von fünf römisch-sasanidischen Kriegen . Mindestens seit severischer Zeit ist ein Trend zur Eigendynamik von Rivalität zu beobachten: Die rivalisierenden Nachbarn waren regelrecht zu Erbfeinden geworden . Die sukzessive Zunahme des beiderseitigen Aggressionspotentials dokumentiert sich auch im Erlahmen diplomatischer Anstrengungen: Während noch drei der vier Konfliktfälle bis zu Trajan wesentlich durch Kompromissformeln beigelegt wurden, mündeten ab 114 alle Konfrontationen in Krieg – vielleicht mit Ausnahme der unzureichend belegten Auseinandersetzung des Jahres 172 .129 Vergleichsweise kümmerlich waren hingegen die oft nur ephemeren Früchte, die militärische Offensiven beiden Seiten einbrachten . Viermal, unter Trajan, L . Verus, Septimius Severus und Galerius, wurde Ktesiphon zur Beute römischer Legionen – in keinem Fall ließ sich darauf eine selbst nur zeitweilige Herrschaft über Unter- und Mittelmesopotamien aufbauen . Auch die Kampagnen der Gegenseite, selbst das in drei massiven Wellen vorgetragene Unternehmen Šābuhrs, erschöpften sich in Raub- und Plünderungszügen und mündeten nirgends in dauerhafte Geländegewinne für die persische Seite . Wenn Rom seit der Provinzwerdung Syriens 64 v . Chr . langfristig dennoch seinen Herrschaftsraum beträchtlich erweitern konnte, verdankten sich diese Zuwächse dem Wechselspiel von Extensivierung und Intensivierung der Herrschaft: Rom schob die politische Wasserscheide im Laufe der Jahrhunderte von der Euphrat-Libanon-Linie bis zum Tigris und sogar darüber hinaus vor . Am äußeren Rand dominierte stets indirekte Herrschaft, die sich sukzessive intensivierte, sobald die Eroberungen konsolidiert waren . So blieb die Steppengrenze vom 1 . Jahrhundert v . Chr . bis zur Tetrarchenzeit in dauernder Bewegung .

129 Die Armenische Frage erlangte punktuell immer wieder ihre Brisanz zurück: Feindseligkeiten zwischen Rom und den Sasaniden entzündeten sich um das christlich gewordene Armenien (337); erneut wenige Jahre nach der Kapitulation Iovians (371) . Bezeichnenderweise brachte die (die Sasaniden begünstigende) Teilung Armeniens unter beiden Mächten die längste Friedensphase der römisch-iranischen Doppelgeschichte (377–502), bevor Armenien im 6 . Jahrhundert erneut mehrfach zum Zankapfel wurde (541, 556, 572): Winter/ Dignas 2001, 51–65 .

IV. INSTITUTIONEN The social history of the whole marginal zone between the steppe and the cultivable land remains to be written, if it ever can be . ergus Millar

Sozial, ökonomisch und administrativ war das römische Imperium eine Föderation autonomer lokaler Bürgerverbände mit urbanem Siedlungskern, je nach Reichsteil Civitates oder Poleis . Die Kombination von lokaler Autonomie und provinzialem Regiment war die spezifisch römische Variante direkter Herrschaft, gleichsam direkte Herrschaft in ihrer denkbar indirektesten Spielart . Sie erlaubte es dem Imperium, mit einer – jedenfalls bis zur Tetrarchie – geradezu minimalistischen Verwaltungsstruktur ein immens großes Territorium effizient zu beherrschen . Die folgenden Seiten fragen nach Grundformen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Organisation in der Antike . Ausgangspunkt der Überlegungen ist die urbane griechische Bürgergemeinde, die Polis, die sich mit dem Hellenismus über weite Teile Vorderasiens ausbreitete und mit Roms Ankunft in der Region zur Grundeinheit der Verwaltung wurde . Welche Entwicklung nahm die Polis in den römischen Orientprovinzen? Und welche Entwicklungsmöglichkeiten hatte sie? Setzte sie sich tatsächlich flächendeckend durch? Schließlich: Welche Alternativen zum hellenischen Gemeindemodell gab es im östlichen Imperium für lokale Bevölkerungen, die sich auf dem Weg zur Staatlichkeit befanden?

Polis Existenzgrundlage der lokalen Gemeinschaften war im Normalfall die Landwirtschaft, das Bürgerrecht in den meisten Poleis, jedenfalls anfänglich, an Grundbesitz geknüpft . Entsprechend rekrutierten sich die Eliten meist aus jenen, die mehr Grundbesitz hatten als andere, nicht selbst auf ihm arbeiten mussten und deshalb ›abkömmlich‹ waren: eine leisure class von ›Honoratioren‹, die sich ganz dem politischen Leben ihrer Gemeinschaft verschreiben und unbezahlte Ehrenämter versehen konnten . Obwohl die Städte des antiken Mittelmeerbeckens auch Orte gewerblicher Produktion waren, lebten sie doch in der

88 · IV. InstItutIonEn Regel von den agrarischen Überschüssen ihres Umlands . Sie entsprachen mehr Webers Idealtypus der »Konsumentenstadt« als deren Gegenteil, der »Produzentenstadt«: Ihre eigene materielle Existenzgrundlage erwirtschafteten die wenigsten der zahllosen Städte in der römischen Welt .1 Dasselbe hatte schon für die meisten Städte des Alten Orients gegolten . Sie waren um ›große Organisationen‹ herum entstanden: Palast- oder Tempelhaushalte, die, gleichsam als Super-Oikoi, zugleich als patrimoniale Verteilungszentren im redistributiven Wirtschaftskreislauf des ›Staates‹ fungierten . Spezialisten unterschiedlicher Profession standen gleichsam auf der ›Gehaltsliste‹ der Großhaushalte und wurden als Gegenleistung für ihre Arbeit mit Rationen aus den vom Umland erwirtschafteten agrarischen Überschüssen bedacht . Als elementaren Institutionen, die das physische Überleben einer auf großen organisatorischen Gemeinschaftsleistungen beruhenden Gesellschaft sicherstellten, kam Palast und Tempel eine überragende ökonomische wie politisch-soziale Bedeutung zu . Ihre Funktion erfüllten sie mithilfe eines Bündels integrativer Mechanismen, das tief im System sozialer Normen verankert war und – anstelle der Marktmechanismen rezenter Gesellschaften – den Austausch von Gütern innerhalb von und zwischen sozialen Hierarchieebenen regelte: Reziprozität und Redistribution .2 Austausch war unter den Bedingungen des durch die Großhaushalte verwalteten Handels stets nur »Beschaffung von Gütern aus der Ferne«, aber nie Existenzgrundlage und Broterwerb ganzer sozialer Gruppen .3 In Vorderasien standen nur die phönikischen Städte ihrer inneren Struktur nach dem Typus der griechischen Polis so nahe, dass sie, als mit Alexander der Westen in den Osten kam, fugenlos in die politische Ordnung des Seleukidenreichs hineinwachsen konnten, während auf die übrigen Reichsteile das griechische Stadtmodell erst ab frühseleukidischer Zeit übergriff . Poleis entstanden zunächst vor allem als Siedlungskolonien häufig militärischen Charakters (κατοικίαι), mit teilweise, mehrheitlich oder vollständig im Zuge einer weitgespannten und anhaltenden Migrationswelle aus Griechenland und Makedonien nach Vorderasien importierter Bevölkerung . Später, bis weit in die römische 1

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Grundlegend, trotz aller inzwischen laut gewordenen Kritik an dem Modell: Finley 1977 . Vgl . Quass 1982; Osborne 1991; Quass 1993 . Zur Definition des ›Honoratioren‹ Weber 2005, 215: »›Honoratioren‹ sollen solche Personen heißen, welche 1 . kraft ihrer ökonomischen Lage imstande sind, kontinuierlich nebenberuflich in einem Verband leitend und verwaltend ohne Entgelt oder gegen nominalen oder Ehren-Entgelt tätig zu sein und welche 2 . eine, gleichviel worauf beruhende, soziale Schätzung derart genießen, daß sie die Chance haben, bei formaler unmittelbarer Demokratie kraft Vertrauens der Genossen zunächst freiwillig, schließlich traditional, die Ämter inne zu haben .« Polanyi 1979, 219–227, besonders 219: »Reziprozität bezeichnet Bewegungen zwischen einander entsprechenden Punkten symmetrischer Gruppierungen; Redistribution verweist auf übernehmende Bewegungen auf ein Zentrum hin und wieder heraus […] .« Zur Kritik der Polanyi’schen Integrationsmechanismen Reziprozität und Redistribution und zu ihrer Koexistenz mit Marktmechanismen mit Blick auf das klassische Griechenland Nippel 1990, 128–135 . Zitat bei: Polanyi 1979, 229 . Vgl . Polanyi 1977, 124: »[…] to import, not to export was the prime impetus« . Vgl . auch Dalton 1975 .

Polis · 89 Zeit hinein, ersetzte institutionelle Assimilation indigener Siedlungen an das griechische Vorbild Immigration als Polis-bildenden Faktor . Schwerpunkte der griechisch-makedonischen Siedlungskolonisation lagen im äußersten Westen Syriens (Tetrapolis), in Mesopotamien (Seleukeia am Tigris, Dura-Europos, Edessa) und Iran . Weite Gebiete des Seleukidenreichs blieben indes gänzlich ausgespart, namentlich Südmesopotamien und Innersyrien .4 Damit gelangte eine politische Organisationsform nach Vorderasien, die im griechischen Mutterland auf eine lange Entwicklungsgeschichte zurückblicken konnte und regional sehr unterschiedliche Ausprägungen erfahren hatte . Wesentlich an der Polis und ohne wirkliches historisches Vorbild war die politische Integration und Partizipation von Bevölkerungsgruppen, die in den meisten altorientalischen Gesellschaften ausgeschlossen und politisch rechtlos gewesen waren: Bauern, Gewerbetreibende, Händler . Neu war vor allem aber die Verschränkung von Stadt und Land zu einem einheitlichen politischen Organismus .5 Erst so konnte die Polis zum Bürgerverband der Freien und Gleichen werden; erst so konnte sich ein politisches »Könnens-Bewußtsein« (Christian Meier) artikulieren, das sich im bewussten Experimentieren mit der Form politischer Organisation, eben einer politischen ›Wissenschaft‹, Bahn brach .6 Der politischen Einheitlichkeit der Polis entsprach ihre kulturelle und soziale Integrationsleistung . Lebensbedingungen und Möglichkeiten der politischen Teilhabe variierten zwar zwischen Stadt- und Landbevölkerung, blieben aber dank der territorialen und demographischen Überschaubarkeit der Polis so homogen wie nirgendwo in der außergriechischen Welt . Die markante sakrale Verknüpfung von Stadt und Land durch Kultplätze und -handlungen seit der archaischen Zeit gab der realen wie vorgestellten Einheit der Polis sinnfälligen religiösen Ausdruck . Signifikante Ausnahme blieb Sparta, dessen lakedaimonische Herrschaftssphäre gerade auf dem Prinzip extremer Ungleichheit aufbaute .7 Was unterscheidet die Polis typologisch von anderen Städten? Die Antwort findet sich in einem Steckbrief, den vor geraumer Zeit das Kopenhagener Polis Center erarbeitet hat . 4 5 6

7

Zur seleukidischen Kolonisation: Rostovtzeff 1955, Bd . 1, 368–394; Jones 1971, 1–26; Briant 1978; Cohen 1978; Sherwin-White/Kuhrt 1993, 141–187; Scharrer 2006 . Die griechische Stadt als Ehr-, Solidar-, Kult-, Rechts- und Schicksalsgemeinschaft definiert prägnant: Gehrke 2003a, 237 . Zum Bürgerrecht als Instrument der Teilhabe: Walter 1993; Meyer-Zwiffelhoffer 2003 . Meier 2001, 40f .: »Auf Grund bestimmter Bedingungen der Vorgeschichte wurde […] die Problematik der Gemeinwesen ins Politische, in das Verhältnis zwischen den Bürgern (polîtai) transponiert . Die Polis wurde mit der Bürgerschaft identisch, der Begriff für Bürgerschaft (politeía) wurde zum Begriff rechter Verfassung, an dem sich der spezifisch normative Sinn von politisch (als polis-gemäß) orientierte . In dieser fast totalen Ausrichtung auf die Polis lag zugleich die Voraussetzung für Aristoteles’ Konzeption der Politik: daß er sie als Wissenschaft vom höchsten durch menschliches Handeln zu erreichenden Gut zur wichtigsten und grundle­ gendsten Wissenschaft erklären konnte . In solcher und so verstandener Politik ging es für die Einzelnen wie für die Gesamtheit um das Ganze .« Die territoriale, soziale und politische Einheit der Polis betont Finley 1977, 311 . Ähnlich Hansen 1993; Hansen 2013, 263; zur religiösen Verknüpfung von Zentrum und Peripherie in der Polis: Polignac 1984; Polignac 1995 und die Beiträge in: Alcock/Osborne 1994 .

90 · IV. InstItutIonEn Eine Polis ist demnach ein hochgradig institutionalisierter und zentralisierter Mikrostaat, der aus einer Stadt und ihrem unmittelbaren Umland besteht und über folgende Merkmale verfügt:8 ȣ eine stratifizierte Gesellschaft aus Bürgern, Ausländern und (bisweilen) Sklaven, ȣ ein übersichtliches Territorium, dessen Zentrum von überall in normalerweise einem Tagesmarsch erreicht werden kann, ȣ eine Elite, die so klein ist, dass sie als face-to-face-Gesellschaft funktioniert, ȣ eine Bevölkerung, die sich ethnisch umliegenden Stadtstaaten verwandt fühlt, ihre politische Identität aber aus der Zugehörigkeit zu ihrem Stadtstaat bezieht und ȣ zu einem bedeutenden Teil in der Stadt selbst, im Übrigen auf dem Land in Dörfern und Streusiedlungen lebt, ȣ eine arbeitsteilige Wirtschaft, wobei der städtische Markt eine zentrale Rolle bei der Bedürfnisbefriedigung weiterer Bevölkerungsteile spielt . Dieser Stadttypus wurde im Verband des Seleukidenreichs, das seinerseits in einer langen Reihe patrimonialer Großreiche altorientalischer Prägung stand, zu einer Zelle imperialer Herrschaft auf lokaler Ebene . Er stand in dieser Funktion neben anderen lokalen Zellen – Städten, die ihre indigene Organisationsform beibehielten, autonomen Stämmen (ἔθναι) und dem sogenannten Königsland (χώρα βασιλική) – und musste sich in die gewachsenen Strukturen, mit denen er nur bedingt kompatibel war, einfügen . Das setzte zunächst die Unterordnung der – idealiter souveränen – Polis unter die imperiale Ordnung voraus, freilich nicht von Ungefähr nicht auf rechtlicher, sondern auf rein machtpolitischer Grundlage: Die Bürger der Polis blieben Bürger und wurden nicht zu Untertanen der hellenistischen Monarchie, sondern zu deren Bundesgenossen im Kriegsfall . Die Macht des Königs in den Städten stützte sich weniger auf eine formalisierte Befehlskette – obwohl es das Amt des königlichen Statthalters, ἐπιστάτης, gab und Könige sich bisweilen ein Ernennungsrecht städtischer Beamter vorbehielten –, als vielmehr auf häufig ad hoc zustande gekommene Bündnisse mit internen Bürgerkriegsparteien der Poleis .9 Einschneidender als der Verlust realer politischer Souveränität wirkte sich denn auch der Umstand aus, dass Griechen und Makedonen nicht, wie meist in der ›großen‹ Koloni8 9

Sommer 2017b, 209, auf der Grundlage von Hansen 2000, 19 . Heuss 1937, 172–254: »Man begreift jetzt, daß die griechische Gemeinde für den hellenistischen Herrscher nicht zu einer Verwaltungseinheit des Territoriums wurde . Ihre Aufgabe lag anderswo, im Kriege« (ebd ., 215) . Und: »Wenn der griechischen Polis bei der Unterwerfung unter den Herrscher die formale Integrität der sich selbst regierenden, nach außen hin abgeschlossenen Stadtgemeinde gewahrt bleiben sollte, so mußte das Fundament der Herrschaft in die Stadt selbst verlegt werden . Ein System externer Regierung und Verwaltung erübrigte sich, wenn ihr Erfolg auch anders erreicht wurde, nämlich dadurch, daß die Bürgerschaft von sich aus den Willen des Monarchen zu ihrem eigenen machte« (ebd .) . Vgl . Jones 1940, 95–112 . Zu den – epigraphisch bezeugten – ἐπιστάτεις und ihren Funktionen: Rostovtzeff 1955, Bd . 1, 379; Sherwin-White/ Kuhrt 1993, 165f .

Polis · 91 sation der archaischen Zeit, in fast menschenleere, unterentwickelte Peripherien vorstießen, deren Bewohner sich leicht entweder vertreiben oder assimilieren ließen . Sie fanden vielmehr eine Bevölkerung vor, die ihre eingelebten Formen des politischen und ökonomischen, sakralen und kulturellen Lebens hatte und ihrerseits über eine mehrtausendjährige Tradition sesshaften Ackerbaus verfügte . Wenn die politische Zentralmacht schwach war – und Schwäche zeigte das Seleukidenreich nur allzu bald –, drohten überdies nomadische Gruppen zur Gefahr zu werden . Die Polis hatte sich insoweit in diese Strukturen einzupassen, als sie nun gleichsam kollektiv den überkommenen patrimonialen Großhaushalt ersetzte . Mit anderen Worten: Die sesshafte indigene Bevölkerung wurde weder vertrieben noch in den Polisverband integriert, sondern sie wurde dienstbar gemacht, genauer: blieb dienstbar, nunmehr aber neuen Herren gegenüber . Regional schälten sich verschiedene Muster der Abhängigkeit heraus, insgesamt aber gilt: Indigene Dorfgemeinschaften erwirtschafteten mit ihrer Überschussproduktion ganz oder zum Teil die Subsistenzgrundlage der Polis bzw . individueller Grundbesitzer; sie blieben rechtlich minderprivilegiert und standen außerhalb des Politenverbandes .10 Bereits im spätklassischen Griechenland, bevor an die Beherrschung Vorderasiens ernsthaft zu denken war, hatten die Intellektuellen die Vision von der Eroberung der asiatischen Weiten und ihrer Kolonisierung samt de-facto-Helotisierung der ortsansässigen Bevölkerung hervorgebracht .11 Die dürftigen literarischen Zeugnisse, die von der Kolonisierungsphase berichten, sprechen von der indigenen Bevölkerung im ländlichen Umfeld der Alexanderstädte als περιοίκοι oder πρόσκωροι .12 Das Vokabular ist nicht eindeutig, lässt aber keinen Zweifel am Status der Einheimischen als gegenüber Griechen und Makedonen minderberechtigten Untertanen der Polis . Wie mit den einheimischen Bewohnern existierender städtischer Siedlungen verfahren wurde, die zu Poleis umgeformt wurden, ist nicht überliefert . Doch vermutlich gelangten auch sie nicht in den Genuss des vollen Bürgerrechts . So erklärt sich die Hegemonie von Griechen und Makedonen im öffentlichen Leben von Dura-Europos bis weit in die parthische Periode hinein .13 10 Grundlegend Bikerman 1938, 161: »Les paysans indigènes labourèrent maintenant la terre pour les nouveaux maîtres, à des conditions qui nous restent inconnus et qui, probablement, n’étaient pas les mêmes partout« . Vgl . Briant 1978; Kreißig 1978, 104–109 . Die Befundlage für Syrien ist insgesamt mangelhaft . Es gibt aber keinen Grund anzunehmen, dass die dortigen Verhältnisse signifikant von dem aus Anatolien und Mesopotamien Bekannten abwichen . 11 Isokr . or . 4,166: ἀσφαλῶς τὴν Ἀσίαν καρπωσόμηθα (›um ganz Asien unter Vermeidung jeglichen Risikos auszuplündern‹) . Eine genauere Konzeption entwickelt Isokrates für die Eroberung Thrakiens . Er schlägt (Pax 24) ein umfassendes Programm zur Kolonisierung vor, um Bevölkerungsüberschuss nach außen abzuleiten . Xenoph . Anabas . 6,4,6 denkt an die Gründung griechischer Städte und die Abhängigmachung der indigenen Landbevölkerung . Vgl . Mossé 1970; Fuks 1972, 84–85; Briant 1978 . 12 Arr . an . 2,27,7; 4,22,5 bzw . Arr . an . 4,24,7; 4,29,3 . 13 Siehe dazu unten, S . 307 . Über Möglichkeiten, durch Anpassung und Assimilation an den Greek way of life doch in den Kreis der Polisbürger zu gelangen: Gehrke 2003a 248f .

92 · IV. InstItutIonEn Die ursprüngliche Einheit von Polis und Territorium war damit gesprengt . Viel stärker als je im griechischen Mutterland setzte sich die Stadt von ihrer χώρα ab, gingen politische und soziale, nicht zuletzt auch ethnische und kulturelle Identität von Stadt- und Landbewohnern auseinander, zerrissen auch durch einen linguistischen Graben zwischen der zumindest der Schriftsprache nach hellenophonen Stadt und dem aramäischsprachigen Umland .14 Nicht anders als indigene Städte und Tempel wurden Poleis zu lokalen administrativen, ein Territorium kontrollierenden Zellen des patrimonialen Reichsverbands . Trotz ihrer formellen Immunität hatten sie dabei erhebliche direkte und indirekte Abgaben aufzubringen . Faktisch wandelten sich die griechischen Städte also doch, ungeachtet des Freiheitspostulats und ihrer theoretischen Autokephalie, zu »passiven leiturgischen Zweckverbänden« und näherten sich so dem Typus der orientalischen Stadt an .15 Lebensbedingungen und politischer Aktionsradius des Bürgers einer seleukidischen Polis in Kleinasien, Syrien oder Mesopotamien wichen so grundlegend von allem ab, was den klassischen Politen ausgemacht hatte, dass mit der hellenistischen, in römischer Zeit noch immer flurprägenden Polis im Machtgeflecht patrimonialer Großreiche eine neue Organisationsform entstanden war .16 Wir finden den Typus der vorderasiatisch-hellenistischen Polis am reinsten repräsentiert und für die römische Periode am besten dokumentiert am westlichen Rand der Steppengrenze: im syrischen Apameia mit seiner immensen, nach Osten weit in die Steppe hineinragenden χώρα . Apameia, mit seinen öffentlichen Bauten und Räumen, der Agora und dem streng hippodamischen Stadtplan, erweckt schon äußerlich den Eindruck einer hellenistischen Stadt wie aus dem Baukasten . Die Kolonnadenstraße, mit über 2 Kilometern Länge und 40 Metern Breite zusammen mit der von Antiocheia die monumentalste der römischen Welt, verankert Apameia zugleich in seiner lokalen Umwelt und damit der nahöstlichen Spielart des Hellenismus .17 Unmittelbar auf die grandiose Vergangenheit des hellenischen Mutterlandes, dem sich die Apameier noch der Kaiserzeit zugehörig wussten, verweisen die Skulpturenprogramme des Nymphäums18 und der Thermen .19 Apameia, dessen materielle Kultur hellenistische Traditionen stärker widerspiegelt als die jeder anderen Stadt der gesamten Region, wusste sich auch in der römischen Kaiserzeit erkennbar noch dem Erbe der einstigen griechisch-makedonischen Siedlungskolonie ver14 Die Stadt zumindest des hellenistischen Ostens tendierte damit zum contado-Typus des italienischen Mittelalters mit gleichfalls ausgeprägt hierarchischer Zentrum-Peripherie-Struktur . Zum Gegenmodell des klassischen Stadtstaats Raaflaub 1991 . Zur mittelalterlichen Stadt Chittolini 1991 . Frappierend ähnlich auch das Stadt-Land-Gefälle in der phönikischen Stadt: Sommer 2000, 253–257; Sommer 2005b, 192–203 . 15 Weber 2005, 950: »Passive leiturgische Zweckverbände« . 16 Zu Besteuerung und Abgabenbelastung von Städten Jones 1940, 108–110 . 17 Über Kolonnadenstraßen als architektonisches Inventar römisch-orientalischer Städte: Segal 1997, sowie Tabaczek 2002 . 18 Schmidt-Colinet 1985 . 19 Rey-Coquais 1973, Nr . 2 .

Polis · 93 pflichtet . Seine Münzprägung wich in ihrer Programmatik in nichts von jener anderer griechischer Städte ab .20 Apameia war Schauplatz einer Reihe von wichtigen Spielen und konkurrierte als Austragungsort mit dem nahen Antiocheia . Die politisch-institutionelle Organisation der Stadt entsprach, zumindest ihrer Terminologie nach,21 dem aus dem griechischen Reichsteil Geläufigen . Wenigstens die lokalen Oberschichten trugen griechische und römische Namen, sprachen Griechisch und fühlten sich intellektuell als Teil der griechischen Koine . Apameia wetteiferte mit den übrigen Poleis des vorderasiatischkleinasiatischen Raums um Prestige und Ehrungen .22 Und auch innerhalb der Polis hatte der Wettstreit um Ruhm und Anerkennung offensichtlich einen hohen Stellenwert . Der euergetische Impetus, der das soziale Klima in den Griechenstädten Kleinasiens dominierte, war auch in Apameia aufs Höchste präsent .23 Die Stadt, die, zusammen mit Antiocheia, im Winter 115/116 ein verheerendes Erdbeben heimgesucht hatte, wurde in den darauffolgenden Jahrzehnten prächtiger denn je wiederaufgebaut, auf Initiative und auf Kosten ihrer ökonomisch potenten Bürger, die sich so öffentliche Anerkennung sicherten . Einer von ihnen, L . Iulius Agrippa, erwarb sich Verdienste auf vielen Gebieten: Er stiftete großzügige Bäder samt einer Säulenhalle und schmückte sie mit Bronzestatuen, finanzierte Öl- und Getreideverteilungen, übernahm kostenintensive Ehrenämter und die Finanzierung eines größeren Teilabschnitts des gigantischen, die Stadt mit Wasser versorgenden Aquädukts .24 Interessant an dem Mann ist vor allem seine Familiengeschichte: Er entstammte einer der zahllosen Lokaldynastien, die in späthellenistischer und frührömischer Zeit das politische Gesicht Westsyriens prägten, und war vermutlich entfernt mit dem Haus Herodes’ des Großen verwandt .25 Das Beispiel Agrippas sollte gegen eine zu voreilige Trennung der Region in zwei hermetisch gegeneinander abgeschlossene Sphären, eine ›griechisch-römische‹ und eine ›orientalisch-indigene‹, immunisieren . Austausch war, in Elitenkreisen, nicht nur möglich, sondern vermutlich die Regel . Vor allem aber illustriert die Episode um Agrippa und seine ostentative Freigebigkeit eben, dass nicht nur zwischen den Städten ein permanenter Wettstreit um Ehre herrschte; auch die Polis selbst war eine Bühne, auf der betuchte Bürger um Anerkennung buhl20 Millar 1993, 257, in grundlegendem Unterschied zu den Emissionen Palmyras . Vgl . dazu Kaizer 2007 . 21 Ebd ., mit Nennung von βουλή, ἀγορανόμος und γραμματεύς . Wie am Beispiel Palmyras zu sehen sein wird, führt die Terminologie für sich genommen allerdings noch nicht sehr weit . Wie für Palmyra fehlt auch für Apameia jeder Hinweis darauf, dass sich hinter der Nomenklatur Institutionen verbargen, die denen der griechischen Polis entsprachen . Im Fall Apameias liegen die Dinge jedoch ein wenig anders als in Palmyra: Die Stadt entstand nicht gleichsam aus dem Nichts, sondern wurde als griechische Siedlungskolonie gegründet . Sie funktionierte, in seleukidischer Zeit, über Jahrhunderte als Polis, bevor Rom die Tetrapolis annektierte; Gebhardt 2002, 227 . 22 Den Wettbewerb zwischen Poleis als wichtige Komponente syrisch-griechischer Identität skizziert Andrade 2013, 186f . Den Wettbewerb um Ehre als Merkmal hellenistischer Stadtkultur beschreibt anschaulich für Kleinasien Stephan 2002, 115–178 . 23 Andrade 2013, 154–160 . 24 Rey-Coquais 1973, Nr . 2 . 25 Zur Abstammung Agrippas: Gebhardt 2002, 226f .

94 · IV. InstItutIonEn ten . Kalkulierte Großzügigkeit, Euergetismus, war das Mittel der Wahl für Angehörige der städtischen, grundbesitzenden Eliten, um eine Ressource – Geld – gegen etwas noch viel Wertvolleres einzutauschen: Prestige . Wer Euergetismus praktizierte, löste damit die Eintrittskarte in die Honoratiorenschaft seiner Stadt oder sicherte sich doch wenigstens die Anwartschaft darauf . Der Euerget schichtete so auch Ressourcen vom Land in die Stadt um . Dazu kamen die Leiturgien, die reiche Bürger zwangsweise zu entrichten hatten, und Aufwendungen, die an das Bekleiden der politischen Ehrenämter gekoppelt waren . Ohne den steten Zufluss solcher Naturalien und Geldmittel, die aus den Erträgen großer landwirtschaftlicher Betriebe stammten, wären die Städte der römischen Mittelmeerwelt kaum lebensfähig gewesen . Um sich ausschließlich auf dem Markt einzudecken, dafür mangelte es der Stadtbevölkerung schlicht an Kaufkraft . Die Ökonomie der Ehre war deshalb nicht bloß ein Schaulaufen um Rang und Prestige, sie sicherte zugleich das wirtschaftliche Überleben der Stadt .26 Anders sah freilich die Realität unterhalb der Ebene lokaler Führungskreise aus . Wir wissen nicht nur über Apameia, sondern auch über sein Umland vergleichsweise viel aus archäologischen und epigraphischen Quellen . Der römische Zensus des Jahres 6 n . Chr . erbrachte für die civitas Apamenorum eine Einwohnerschaft von nicht weniger 117 .000 Personen, von denen sicher die allermeisten in Dörfern lebten .27 Die χώρα Apameias war, wie das Hinterland jeder antiken Stadt, ob in Ost oder West, eine Welt der Dörfer . Wie die Menschen, die dort wohnten, dachten und als was sie sich fühlten, entzieht sich trotz der günstigen Quellenlage vollständig unserer Kenntnis . Was etwa hat es zu bedeuten, dass die meisten Ortsnamen die Erinnerung an ihren aramäischen Ursprung bewahrt haben? Steht dazu im Widerspruch, dass bislang im Umland Apameias keine einzige aramäische Inschrift gefunden wurde, wohl aber einige Hundert griechische (und dazu ein paar lateinische)?28 Trotz dieses epigraphischen Befunds spricht vieles dafür, dass zwischen Stadt und Land (und zwischen städtischen Ober- und Unterschichten) ein linguistischer Graben klaffte, den für gewöhnlich keine der beiden Seiten überschritt .29 Dorfbewohner, die periodisch das urbane Zentrum aufsuchten, um dort im Theater attische Tragödien – und sei es in popularisierten Fassungen30 – zu verfolgen, gehören schon allein deshalb wohl ins Reich der Legenden . Im gut erforschten Kalksteinmassiv, östlich von Apameia, dessen spätantike und byzantinische Siedlungen zu den erstaunlichsten ›Dörfern‹ des Altertums gehören,31 unterscheiden Inschriften zwischen ›Dörfern‹ und ›Domänen‹ . Während die ›Dörfer‹ durch die sie bewohnende Gruppe spezifiziert 26 Hoffmann-Salz 2011, 482–486; Colpaert 2014 . Ein extremes Beispiel bietet das euergetische Wirken des Opramoas im kleinasiatischen Rhodiapolis: Kokkinia 2000 . 27 Unklar ist, ob nur die freien (männlichen) Bewohner oder auch Sklaven, Frauen und Kinder erfasst wurden: Millar 1993, 250 . 28 Ebd ., 251 . 29 Taylor 2003, 300–303 . 30 So aber Millar 1993, 262 . 31 Für einen Überblick Strube 2000 .

Polis · 95 werden, verweisen die Domäneninschriften stets auf Grundbesitzer, zweifellos stadtsässige Grundherren, wie sie uns später, im späten 4 . Jahrhundert n . Chr ., in einer Passage aus Theodorets Kirchengeschichte begegnen: Berichtet wird von einem Antiochener Ratsherrn (βουλευτής), der ein Dorf inspizierte, dessen Besitzer (δεσπότης) er war .32 Wenigstens ein Teil der χώρα war damit in der Hand von Grundherren . Die Bevölkerung dieser Domänen stand in Abhängigkeit zu ihnen, war politisch ohne Zweifel rechtlos und besaß keinen Status als Vollbürger . Die griechische Stadt Vorderasiens blieb, so lässt sich folgern, auch unter römischer Ägide die politische Gemeinschaft von Eroberern, die über ein Territorium herrschten, dessen Bevölkerung sie mehrheitlich als Unterworfene, nicht als Mitbürger ansahen . Bezeichnenderweise fasste das Modell der Polis, der sonst so erfolgreiche Exportartikel der griechischen Welt, in Nordmesopotamien und Innersyrien nie richtig Fuß, auch nicht in seiner vorderasiatischen, von Apameia und Antiocheia repräsentierten Variante . Im Raum, den diese Studie behandelt, Roms Steppengrenze zwischen Orontes und Tigris, blieben Edessa und Dura-Europos die einzigen Städte, die in der hellenistischen Periode die Bezeichnung ›Polis‹ wirklich verdienten . Die vermutlich erst spät zu Städten herangewachsenen Siedlungen Palmyra und Hatra wichen, wie zu sehen sein wird, mit ihren Institutionen signifikant vom Polis-Typus ab . Edessa und Dura-Europos hingegen waren in der frühen Seleukidenzeit zum Ziel größerer Einwandererströme aus dem Westen geworden . Auch sie waren freilich keine kompletten Neugründungen, sondern lehnten sich an indigene Siedlungen an, deren Bevölkerung als minderprivilegierte Mehrheit weiter in der Stadt wohnen blieb . Beide Städte bildeten, obwohl wenigstens in DuraEuropos das griechische Element deutlich fühlbar blieb, in parthischer Zeit dann politische Organisationsformen aus, die mit der Polis noch nicht einmal mehr den Namen gemein hatten . Die Gründe für das Fehlen von echten Poleis dürften auch in den spezifischen naturräumlichen Bedingungen der Zone zwischen Orontes und Tigris zu suchen sein, die von jenen des Mittelmeerbeckens in nahezu jeder Hinsicht abwichen . Die Polis war, der Idee wie der Praxis nach, die Gemeinschaft der Grundbesitzenden . Die Voraussetzungen für einen solchen Bürgerverband waren im mediterranen Küstenland Syriens und, wie das Beispiel Apameias zeigt, noch östlich des Orontes ohne Weiteres gegeben . Im arideren Steppengürtel östlich davon lagen die Dinge anders: Größere Siedlungen hatten hier kaum realistische Chancen, sich aus einem agrarisch genutzten Umland zu ernähren . Der Verdacht keimt also auf, dass ökologisch-ökonomische Rahmenbedingungen, die im Westen für das Gedeihen von Poleis vorteilhaft waren, ihm weiter östlich entgegenwirkten . Sesshafte, Ackerbau treibende Gesellschaften hatten hier, wollten sie als solche überleben, nach anderen Organisationsmodellen Ausschau zu halten .

32 Theod . hist . eccl . 14,4 . Vgl . zum Hergang Millar 1993, 253 .

96 · IV. InstItutIonEn

Subsistenz und globale Verflechtung: Von der Konsumenten- zur Produzentenstadt Dass ökonomische Strukturen und Prozesse mit ihren einschneidenden Wirkungen auf die Lebensverhältnisse vieler Menschen sich unmittelbar nicht nur im politischen Leben, sondern auch in Überzeugungen, Mentalitäten und Identitäten niederschlagen, bedarf kaum der Erwähnung . Kapitalvernichtung durch zwei Inflationskrisen und eine Weltwirtschaftskrise haben tiefe Spuren in der kognitiven Prägung ganzer Generationen im Deutschland des 20 . Jahrhunderts hinterlassen . Entsprechend lehrten die Ökonomen der Historischen Schule, seit Karl Bücher und Werner Sombart, dass wirtschaftliches Handeln, vor allem, aber längst nicht nur, in sogenannten vormodernen Gesellschaften, nicht in einer autonomen Sphäre – rein zweckrational bedingt – geschieht, sondern vielfältig eingebettet ist in die tiefere Schicht sozialer und normativer Strukturmuster .33 Der beherrschende Typus urbaner Siedlungen im orientalischen wie klassischen Altertum war die Konsumentenstadt . Dennoch bildeten sich, gerade in der Levante, wo die mediterranen Seehandelswege in die kontinentalen Karawanenrouten Vorderasiens übergingen, schon früh urbane Zentren, klassische gateway cities, die einen wesentlichen Teil ihrer materiellen Existenzgrundlage durch Mittlertätigkeit im Fernhandel erwirtschafteten . Im bronzezeitlichen System erfüllten Stadtstaaten wie Mari, Ugarit und das frühe Assur Dienstleistungsfunktionen im Güteraustausch . Zum strukturgebenden Paradigma avancierten aber die eisenzeitlichen Städte der phönikischen Küstenebene, allen voran Sidon und Tyros . In Etappen stieg namentlich Tyros zwischen ca . 1000 und 700 v . Chr ., drei Phasen ökonomischer Organisation durchlaufend, zum komplexen ökonomischen Zentrum eines den gesamten Mittelmeerraum und Vorderasien umfassenden »Weltsystems« auf:34 1 . Die phönikischen Städte monopolisierten noch vor 1000 v . Chr . den Handel mit Edelhölzern im östlichen Mittelmeer . Der reziproke, zeremoniell und politisch ein33 Für diesen Strang der wirtschaftshistorisch interessierten Altertumswissenschaft Finley 1993 . Der Begriff des ›Eingebettetseins‹ (embeddedness) stammt von Polanyi 1977, 47–55 . Der Mainstream der Disziplin hat sich mittlerweile vom ›Primitivismus‹ der Historischen Schule, Polanyis und Finleys verabschiedet und sich wieder angewöhnt, die Wirtschaft antiker Gesellschaften als autonomes, mit modernen Volkswirtschaften kommensurables System zu beschreiben . Die Revision des Finley’schen ›Primitivismus‹ stützt sich vor allem auf archäologische Daten, die allerdings interpretationsbedürftig sind . Eine besondere Rolle spielen der Austausch von Gütern und die Frage, inwieweit sich antike Ökonomien quantifizieren lassen . Die Frage, welche Reichweite etwa Märkte hatten und welche Rolle daneben redistributiver und reziproker Austausch spielte, ist deshalb noch immer umstritten . Das Spektrum der heute vertretenen Positionen geben anschaulich, mit je individuellem Zungenschlag, wider: Morley 2007, 2–6; Bowman/Wilson 2009; Wilson et al . 2012 . Für die eigene, eher den ›Primitivisten‹ zuneigende Position: Sommer 2013b, 15–19; Rohde/Sommer 2016, 24–27 . 34 Zur Debatte um das von Wallerstein 1986 geprägte Konzept und seine Relevanz für vormoderne Gesellschaften die Beiträge in Frank/Gills 1993 . Vgl . Sommer 2005b, 103–105 .

Su�sistenz und glo�ale Verflechtu ng · 97 gebettete Austausch mit Ägypten, der in der Bronzezeit vorgeherrscht hatte, kam zum Erliegen . Der Stadtkönig von Byblos, Sekerbaal, erlaubte sich um 1075 gegenüber dem um Holz nachsuchenden ägyptischen Gesandten ein mehr als selbstbewusstes Auftreten: Das von den Ägyptern so dringend benötigte Holz gab es, entgegen traditionellem Brauch, nur gegen reguläre Bezahlung .35 Die Kategorien der Reziprozität waren damit hinfällig, die Ökonomie war in einem sich ausdifferenzierenden sozialen System zum autonomen Sektor geworden .36 2 . Die Phöniker beließen es nicht bei der Ausbeutung und dem Verkauf heimischer Rohstoffe . In den großen Zentren, vor allem in Tyros und Sidon, entstand ein leistungsfähiges Gewerbe, das sich auf die Produktion von Prestigegütern für überseeische und vorderasiatische Märkte spezialisierte . Phönikische Seefahrer erschlossen ab etwa 1000 v . Chr . die Randgebiete des Mittelmeerraums, von Zypern bis zu den Säulen des Herakles, auf der Suche nach neuen Rohstoffen und Absatzmärkten für Fertigerzeugnisse .37 3 . Zwischen Levante und mediterraner Peripherie etablierten die Phöniker ein Netz des Transithandels, welches das vorhandene Komplexitäts- und Preisgefälle ausnutzte und ihren Städten ein zusätzliches ökonomisches Standbein verschaffte . Entsprechend formten die Fernhändler in den phönikischen Städten ein oligarchisches Machtkartell, das – in ungefährer Analogie zu den Städten des europäischen Mittelalters – die Richtlinien der Stadtpolitik diktierte . Sie wurden die »Kaufleute, die wie Fürsten auftraten .«38 Gewerbliche Produktion für auswärtige Märkte und merkantile Aktivität hatten in den Phönikerstädten der Eisenzeit einen grundsätzlich neuen Stellenwert erlangt: Sie wurden fundamental für die Existenz ganzer Gesellschaften, und die Gesellschaften lebten im Bewusstsein der ökonomischen Mechanismen, denen sie ihren Wohlstand verdankten, aber auch der Abhängigkeit von den Lebensadern des Fernhandels . Motor der Entwicklung war die relative Komplexität der Levante gegenüber einer vergleichsweise rückständigen Umwelt, von der Ägäis, über Italien und Spanien bis nach Nordafrika . Was sich in Tyros als gewöhnlicher Gebrauchsartikel produzieren ließ, mochte anderswo Prestigegut sein . Träger der Entwicklung war die private Initiative vornehmlich großräumig operierender Fernhändler, die das Korsett des patrimonialen Großhaushalts sprengten und folge35 Die Geschichte des Wenamun ist eine vermutlich fiktionale Erzählung aus der Spätzeit des Neuen Reiches, die aber reale Strukturen widerspiegelt . Wenamun wird vom Nildelta nach Byblos geschickt, um Zedernholz zu beschaffen, das er nicht bekommt . Er muss daraufhin nach Ägypten zurückkehren, um Silber zu beschaffen, und ein zweites Mal, verfolgt von Piraten, nach Byblos reisen, wo er von Sekerbaal das Holz erhält . Der Text bei Goedicke 1975 . Vgl . Schipper 2005 . 36 Sommer 2000, 262 . 37 Die phönikische Kolonisation ist Gegenstand intensiver Forschungstätigkeit: Niemeyer 1995; Aubet 2001; van Dommelen 2005; Sommer 2012 . 38 Jes 23:8 .

98 · IV. InstItutIonEn richtig seinen Repräsentanten, den König, politisch an den Rand drängten . Sie schufen sich ihre Institutionen, Magistraturen und Gremien, in denen die politische Entscheidungsfindung entsprechend ihren ökonomischen Interessen gebündelt wurde, und nahmen so wesentliche Strukturelemente der Polis typologisch, womöglich auch historisch-genetisch, vorweg . Die phönikischen Städte gingen in der Anpassung ihrer ökonomisch-politischen Strukturen auf die Erfordernisse des Fernhandels sogar noch weiter als die einer traditionsgebundenen, strikt autarkistischen Agrarideologie verhafteten Griechen jemals gelangten . Sie schufen den Modellfall für andere antike Handelsstädte wie das von Tyros gegründete und später mit Rom rivalisierende Karthago – und lieferten damit die Initialzündung für einen Prozess, der sich als erste Globalisierung der Weltgeschichte bezeichnen ließe . Zuerst schrumpfte das Mittelmeer vom großen Meer der Wunder, wie es in der Odyssee begegnet, zum sprichwörtlichen »Teich«, um den die Griechen wie »Frösche« saßen .39 Mit dem Aufstieg erst der hellenistischen Mächte, dann Roms zur den gesamten Mittelmeerraum beherrschenden imperialen Macht wuchsen ökonomische Netzwerke allmählich zu politisch, sozial und rechtlich integrierten Räumen heran .40 Das gesamte Imperium wurde zum gigantischen, selbst die hellenistischen Territorialstaaten weit in den Schatten stellenden Markt für Luxusartikel, deren Quell hauptsächlich Süd- und Ostasien waren: Seide, Gewürze (Pfeffer, Zimt und viele andere), Parfüms und Salben, Edelsteine, Perlen, Elfenbein und nicht zuletzt das lebendige Inventar für immer aufwendigere Zirkusspiele (Tiger, Strauße) . Daneben erfreuten sich Heilkräuter und auch, aber nicht nur, für religiöse Zwecke genutztes Räucherwerk in Rom und seinen Provinzen großer Beliebtheit . Möglich wurde der ab dem Hellenismus dynamisch expandierende Orienthandel durch die Entdeckung der Monsunwinde und damit eines vergleichsweise preiswerten und sicheren Seewegs zur indischen Westküste .41 In späthellenistischer Zeit gewann auch der Weihrauchhandel mit Südarabien, der Arabia Felix, stetig an Bedeutung . Von ihm profitierten die Nabatäer und ihr Zentrum Petra, das zur Hauptstadt eines in die Phase der Staatenbildung übergehenden Königreichs aufstieg . Das Nabatäerreich blieb, bis zur Einrichtung der Provinz Arabia durch Trajan (106 n . Chr .), autonome Klientelmonarchie an Roms Ostperipherie . Die nabatäischen Fernhändler blieben auf den Weihrauchhandel spezialisiert, traten also kaum in Konkurrenz zu anderen Handelszentren, die im Indienhandel tätig waren .42 Ausgangspunkt des Indienhandels waren, seit der Entdeckung der Monsunpassage, die ägyptischen 39 Plat . Phaid . 109b . 40 Sommer 2015b . 41 Zum Handel mit Süd- und Ostasien, dessen Volumen erst allmählich begreiflich wird: Young 2001; Whittaker 2004, 163–180; Seland 2008; Seland 2011; Cobb 2013; Cobb 2014; Cobb 2015a; Cobb 2015b; Evers 2016 . Zur Entdeckung der Monsunpassage bereits Warmington 1928, 35–83 . 42 Young 2001, 19; Gupta 2007 . Zu den Handelsgütern Warmington 1928, 145–260 . Allerdings ist dessen Rekonstruktion (ebd ., 272–318) eines überwiegend einseitigen Handels, in dem fast nur Edelmetalle von West nach Ost flossen, inzwischen überholt; vgl . Seland 2007 .

Su�sistenz u nd glo�ale Verflechtu ng · 99 Häfen am Roten Meer: Kleopatris, Leuke Kome, Berenike und Myos Hormos, deren Handelsvolumen nach der römischen Annexion Ägyptens noch einmal deutlich zunahm .43 Ergänzend zu dieser maritimen Südroute – und teilweise in Konkurrenz zu ihr –, gewann seit dem 1 . Jahrhundert n . Chr . ein alternativer Handelsweg nach Indien an Bedeutung . Zwar behauptete sich der politisch unproblematische Weg über das Rote Meer und Ägypten, doch bot die Nordroute durch den Persischen Golf und entlang von Euphrat und Tigris nach Syrien und Obermesopotamien viele Vorteile, obgleich sie durch das Partherreich und damit durch ein Rom in herzlicher Feindschaft verbundenes Imperium führte . Die logistischen Kosten waren im Vergleich zur ungeheuer voraussetzungsreichen Durchquerung der ägyptischen Ostwüste überschaubar . Ein Netz von Handelsstraßen überzog bald ganz Vorderasien . Die vermutlich wichtigste berührte bei Spasinou Charax in Charakene den Persischen Golf, folgte dem Lauf des Euphrat bis Hīt und durchquerte die Syrische Wüste, bis sie bei Emesa an den Orontes stieß . Ihre Lage entlang dieser Route, auf halbem Weg zwischen Euphrat und Orontes, verhalf der Oase Tadmur (Palmyra) zu ihrer exzeptionellen merkantilen – und bald auch politisch-strategischen – Bedeutung . Von Emesa führten mehrere Straßen zum Mittelmeer, nach Nordwestsyrien sowie, durch die Biqāʿ-Ebene und über die Pässe des Libanon, zu den phönikischen Küstenstädten . Die Palmyra-Route war aber nicht der einzige Zweig der Nordroute . Alternative Verkehrswege folgten dem Tigris bis Seleukeia bzw . Ktesiphon und durchquerten das Hügelland des Diyālā-Gebiets und Assyriens, um dann bei Nisibis ein Territorium zu erreichen, das seit dem 2 . Jahrhundert n . Chr . römisch war .44 Wieder ein anderer, nicht weniger wichtiger Weg folgte parallel zum Tigris dem Wādī aṯ-Ṯarṯār, durchquerte, Hatra passierend, die östliche Ǧazīra und den Ǧabal Sinǧār und verzweigte sich sodann in Obermesopotamien, Nisibis, Rhesaina, Edessa und Karrhai erreichend .45 Auf den ersten Blick erstaunliches Merkmal des Ost-West-Handels entlang dieser neuen Routen war, dass er in weitgehender Unabhängigkeit von der politischen Großwetterlage florierte: Grenzen und krisenhafte Zuspitzungen im Verhältnis der Großreiche waren für das Fließen des Warenstroms von allenfalls sekundärer Bedeutung . Die Bedeutung von gateway cities als offenen Nadelöhren nahm im Zeichen politischer Eiszeiten sogar noch zu .46 43 Young 2001 . 44 Es war diese Straße, die der Friedensvertrag zwischen den Tetrarchen und dem Sasaniden Narseh zur verbindlichen Route für den gesamten persisch-römischen Handel erklärte . 45 Zu den Routen des palmyrenischen Orienthandels: Young 2001, 141, Karte 144 .141; Seland 2016, 45–61; Sommer 2017b, 200–209 . Rückschlüsse auf die Bedeutung der Hatra-Route lassen sich möglicherweise aus der Funktion ziehen, die Nisibis später erhielt . 46 Die Unabhängigkeit des römischen Fernhandels von politischen Grenzen diagnostiziert, unter Verweis auf den Raumcharakter von Frontiers: Whittaker 1983, 114 . Whittaker arbeitet heraus, wie Grenzen ursprünglich zusammengehörige Räume zerschnitten, die aber als wirtschaftliche Einheiten fortbestanden . Um Grenzen hätten sich zudem, entlang des Fernhandels, symbiotische Wirtschaftskreisläufe gebildet, »and the free passage through the frontiers necessary to maintain such symbiosis, generates a ›frontier pull‹ which is stronger than any ideology« (ebd ., 121) . Whittakers Beobachtungen gipfeln in der Feststellung: »[…] frontiers are by

100 · IV. InstItutIonEn Unmittelbare Folge des Fernhandels und seiner Wiederbelebung durch den immensen römischen Markt war die Urbanisierung der Steppe, in einem bis dahin ungekannten und auch später niemals wieder erreichten Ausmaß .47 Die Wertschöpfung durch Mittlerdienste im Gütertransfer erlaubte es den Produzentenstädten in ihren ökologischen Nischen, Lebensmittel in großem Stil zu importieren . Zwar hatten auch Städte wie Hatra und Palmyra durchaus ihr agrarisch genutztes Hinterland . Surveys in der östlichen Ǧazīra konnten dörfliche Siedlungen und Ackerbau im Wādī aṯ-Ṯarṯār nachweisen .48 Wie wir aus dem palmyrenischen ›Steuergesetz‹, das den lokalen Güteraustausch zwischen Palmyra und seinem näheren Umland regelte, wissen und wie Surveys der letzten Jahre vor dem Bürgerkrieg gezeigt haben, wurde auch die Palmyrene agrarisch intensiv genutzt . Archäologisch ließ sich in der nordwestlichen Palmyrene ein umfangreiches System zur Bodenbewässerung nachweisen, das womöglich den Betrieb größerer Landgüter ermöglichte .49 Das Umland der makedonischen Siedlungskolonien Edessa und Dura-Europos bot noch weitaus günstigere Bedingungen für landwirtschaftliche Bodennutzung: Edessa lag im nordsyrischen Hügelland, am Fuß des Taurus, wo die jährliche Niederschlagsmenge ausreichte, um risikolos Regenfeldbau zu betreiben, Dura-Europos im Flusstal des mittleren Euphrat, das zwar schmal und flächenmäßig begrenzt, aber leicht zu bewässern und immens fruchtbar war . Mit dem angrenzenden Ḫābūrtal bildete es, wie die Papyri und Pergamente aus Dura-Europos und vom mittleren Euphrat belegen, eine Zone intensiver agrarischer Nutzung . Dennoch gibt es grundsätzlich wenig auszusetzen an der Etikettierung der Städte an Roms Steppengrenze als »Karawanenstädte«, wie Michail Rostovtzeff seinen zuerst 1932 erschienenen Klassiker betitelte . An der Bedeutung von Dura-Europos für den interkontinentalen Fernhandel mag man Zweifel anmelden; Edessas Rolle darin bleibt obskur . Palmyra und Hatra aber waren Karawanenstädte par excellence .50 Palmyra verdankte nicht nur sein Entstehen und seinen rasanten Aufstieg der Lage in der strategi-

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their marginal nature necessarily agents of change« (ebd ., 116) – und mithin Zonen besonderer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Dynamik . Für Palmyra bestätigt diese Annahme jetzt: Sommer 2017b, 83–87 . Grundlegend Woolf 1997, besonders 8f . und 12, über die Ausbreitung urbaner Netzwerke im römischen Orient und die Interdependenz zwischen verschiedenen Faktoren . Mit Recht hebt Woolf die Eigendynamik von Urbanisierungsprozessen hervor . Hauser 2000, 187–189; Sommer 2003a, 12f . Schlumberger 1951 . Auf landwirtschaftliche Nutzung verweist anhand des Steuergesetzes vor allem Matthews 1984 . Für Young 2001, 137f ., war die Landwirtschaft sogar Palmyras primäre Existenzgrundlage, zu der sich erst später der Fernhandel gesellt habe . Diese Hypothese hat jetzt Meyer 2013, 276, widerlegt, der nachweist, dass der Fernhandel der landwirtschaftlichen Nutzung der Palmyrene chronologisch vorausging . Rostovtzeff 1932 . Das gilt jedenfalls dann, wenn man unter ›Karawanenstädten‹ urbane Siedlungen versteht, die in ihrer wirtschaftlichen Existenz maßgeblich vom landgestützten Fernhandel abhingen . Anders Millar 2006, der den Begriff enger fasst und die Bedeutung des Karawanenhandels in den Quellen (vor allem den Inschriften) zum Kriterium macht . Millars Definition ist selbstverständlich legitim, hat aber deshalb ihre Tücken, weil das massive Auftreten von ›Karawaneninschriften‹ in Palmyra nicht nur der prominenten Rolle des Karawanenhandels, sondern auch einem besonderen epigraphic habit und damit einer spezifischen sozialen Konstellation zu verdanken ist .

Su�sistenz u nd glo�ale Verflechtu ng · 101 schen Oase Tadmur . Es gab auch, wie die 34 erhaltenen ›Karawaneninschriften‹ erkennen lassen, Organisation und Sicherheit des Fernhandels auf seiner politischen Agenda höchste Priorität . Nichts sagt mehr über den Stellenwert des Fernhandels aus als das Prestige, das erfolgreichen Händlern und Karawanenführern zuwuchs . Anders als in Rom hatte es nichts Anrüchiges, sein Geld in merkantile Unternehmungen zu investieren . Aus Hatra ist nichts Entsprechendes überliefert . Das Fehlen von ›Karawaneninschriften‹ ist aber noch kein Beweis dafür, dass Hatra nicht als Handelsstadt Bedeutung erlangt hatte . Die ökologischen Bedingungen in der östlichen Ǧazīra waren vor 2000 Jahren nicht viel günstiger als heute . Der Bau eines so gigantischen Tempelkomplexes wie des Bait Alaha und die Sicherung der Subsistenzgrundlage einer gewiss nicht unbedeutenden Bevölkerung erforderten ohne Frage mehr, als sich in der Wüstensteppe der östlichen Ǧazīra mit Ackerbau erwirtschaften ließ . Woher also stammte das Kapital? Warf die Viehzucht im Raum Hatra genügend Überschüsse ab, um den in wenigen Jahrzehnten erfolgten Ausbau der Stadt zum Kultzentrum ersten Ranges zu ermöglichen? Oder waren auswärtige Herrscher, am Ende gar die arsakidischen Könige, potente Geldgeber des ehrgeizigen Bauprojekts? Keine dieser Erklärungen vermag recht zu überzeugen . Nur wenn die Stadt eine prominente Rolle im transkontinentalen Fernhandel spielte, wird ihr kometenhafter Aufstieg im 2 . Jahrhundert n . Chr . erklärbar . Womöglich fungierte sogar das Heiligtum selbst, wie später vielerorts im islamischen Orient, als Warenumschlagplatz .51 Ein Grenzfall ist Dura-Europos, das seine Existenz nicht dem Handel, sondern dem Sicherheitsbedürfnis der Seleukiden verdankte . Es verfügte über eine fruchtbare χώρα und lag gewiss abseits der Hauptroute zwischen Palmyra und dem Persischen Golf .52 Die erst palmyrenische, dann römische Garnison in Dura mag als lokaler Großabnehmer für den in der römischen Periode erkennbaren wirtschaftlichen Aufstieg der Stadt mitverantwortlich gewesen sein . Dennoch sind die engen Bindungen der Stadt an Palmyra unübersehbar, und das bereits lange vor der Machtübernahme der Römer am mittleren Euphrat . Die Palmyrener hätten kaum eine Handelskolonie in Dura unterhalten und, nach dem Partherkrieg des L . Verus, der Stadt am Euphrat auch militärisch so viel Beachtung geschenkt, wenn die alte makedonische Kolonie für ihren Fernhandel völlig bedeutungslos gewesen wäre . Vermutlich entfaltete sich zwischen beiden Städten ein intensiver regionaler Handel .53 Denkbar also, dass Dura mit seinem agrarischen Hinterland die Ernährung der Oasenbewohner sicherstellte, für die das Umland Palmyras nicht mehr genug hergab . Private Archive, die sich vereinzelt erhalten haben, liefern Schlüsselinformationen für das Verständnis solcher ländlichen Räume und ihrer wirtschaftlichen und sozialen 51 Zu dieser in der Forschung umstrittenen Frage unten, S . 392 . 52 Der Euphrat war flussaufwärts nur bis Hīt schiffbar . Vermutlich verlief die Hauptroute durch das Wādī Ḥaurān, unter Umgehung des mittleren Euphrat, nach Palmyra: Gawlikowski 1983a; Gawlikowski 1994b, 27– 33; Gawlikowski 2007; Seland 2016, 45–52 . 53 So überzeugend Dirven 1999, 34 .

102 · IV. InstItutIonEn Organisation .54 Aus der Zeit zwischen 94 und 132 n . Chr . stammen die Dokumente des Babatha-Archivs aus dem Dorf Maoza im Raum Petra, benannt nach einer verwitweten Grundbesitzerin, deren diverse Rechtshändel das Archiv zum Thema hat .55 Die Schriftstücke beleuchten ökonomische Transaktionen und die Möglichkeit der Dorfbewohner, das Recht für ihre Interessen geltend zu machen . So enthüllen sie den beachtlichen, gerade auch ökonomischen und rechtlichen, Handlungsspielraum einer Frau und die Möglichkeit, Grundstücke wie Ernteerträge nach Belieben zu veräußern . Vor allem verdeutlichen sie, wie sehr auch Dörfer Bezugspunkte kollektiver Identität sein konnten .56 Die Dokumente bilden in gewissem Sinne das Gegenstück zum Modell der ›hegemonialen‹ Polis, die ihr Umland politisch beherrschte und ökonomisch ausbeutete . Wie komplex und verwirrend vielschichtig Stadt-Umland-Beziehungen und Strukturen ländlicher Räume im römischen Vorderasien waren, erhellen auch Quellen aus DuraEuropos und seiner näheren Umgebung . Pergamente und Papyri, die teils aus der Stadt selbst, teils von einer unbekannten Fundstelle am mittleren Euphrat stammen, legen nahe, dass sich traditionelle soziale Abhängigkeiten im neuen Gewand römischen Rechts vielerorts ungebrochen hielten . Eine gewisse Autonomie dörflicher Gemeinschaften wird allerdings auch in ihnen spürbar . Zugleich tritt in den Texten ein neues Element in Erscheinung, das mit seinem relativen ökonomischen Gewicht die soziale Stratigraphie der Region zu transformieren begann, sobald sich Rom am mittleren Euphrat militärisch festsetzte: Veteranen, die nach ihrer Entlassung aus der Armee am Garnisonsort verblieben und dort Grundbesitz erwarben . Wie anderswo im Imperium koexistierte offenkundig auch in Vorderasien eine Fülle von Bewirtschaftungs- und Eigentumsformen . Die freie Dorfgemeinschaft mit indigenen, auf eigene Rechnung wirtschaftenden Kleinbauern existierte neben dem Großbetrieb des stadtsässigen Grundherrn; das mittelgroße, auf die Produktion hochwertiger, für lokale Märkte bestimmter Agrarprodukte spezialisierte Landgut des römischen Veteranen, das einige Sklaven beschäftigte, neben der kaiserlichen Domäne; vermutlich in wachsender Zahl Kolonenbetriebe neben freien Kleinbauern und mit Sklaven wirtschaftenden Großgütern . Wie der antike Mittelmeerraum, so waren fruchtbare Landstriche (Bergrandzone in Osrhoene, Flusstal des mittleren Euphrat und Ḫābūr) auch der Steppengrenze Zonen agrarischer Produktion, die das Rückgrat der Wirtschaftstätigkeit bildete, von dem die Städte, wenn nicht vollständig, so doch weitgehend abhängig waren . Wenigstens mit Hatra und Palmyra zeichnet sich indes ein Gegenmodell zur mediterranen Konsumentenstadt ab . Beide Städte hingen auch, aber eben nicht hauptsächlich, von der agrarischen Produktion ihres jeweiligen Umlandes ab . Das Gros ihrer Subsistenz bestritten sie, als echte Produzentenstädte, aus den Gewinnen des Fernhandels, indem sie schlicht das Gefälle von Angebot und Nachfrage ausnutzten . Aber mit den beiden als 54 Als verlässlicher Wegweiser zu den Quellen empfehlenswert: Cotton et al . 1995 . 55 Goodman 1991; Bowersock 1994b; Cotton/Greenfield 1995 . 56 Alle Beteiligten geben, ohne Ausnahme, mit ihrem Namen das Dorf ihrer Herkunft an .

Stadt – Kulturland – Steppe · 103 merkantile Dienstleister reich gewordenen Karawanenstädten waren auch andere urbane Siedlungen, wie Dura-Europos, in den Fernhandel eingeflochten und mittelbar von ihm abhängig .

Stadt – Kulturland – Steppe: Integrierte Stammesgesellschaften Der Nahe Osten bildet in seiner ökologischen Vielschichtigkeit ein einzigartiges Konglomerat divergenter Natur- und Lebensräume; er bietet, oft auf kleinster Fläche, Raum für extrem unterschiedliche Lebens- und Wirtschaftsweisen: Nomadenland und Kulturland der Sesshaften lagen stets in unmittelbarer Nachbarschaft, griffen ineinander über und waren, wenn überhaupt, nur durch unscharfe Grenzen voneinander getrennt . Besonders intensiv überschnitten sich durch alle Epochen hindurch urbane Staatlichkeit, sesshafter Ackerbau und nomadische oder halbnomadische Viehzucht im Grenzsaum zwischen Wüstensteppe und Kulturland, in jener Zone, die zwischen der 200- und der 400-Millimeter-Isohyete liegt und die sich vom Nordwesten Jordaniens über einen Streifen östlich der Linie Damaskus-Homs-Aleppo, die nordostsyrischen Taurusrandgebiete, die Ǧazīra und schließlich bis Mesopotamien östlich des Tigris, einschließlich des DiyālāGebiets, spannt . In dem schmalen, aber viele Hundert Kilometer langen Streifen bieten Regenfeldbau und nomadische Viehzucht gleichermaßen ausreichende Subsistenzvoraussetzungen, aber nur in wechselseitiger Kooperation und einander ergänzend . Entsprechend oft schlägt das Pendel zwischen sesshafter und nichtsesshafter Lebensweise hin und her, entsprechend eng sind Interaktionen zwischen Nomaden und Ackerbauern . Aktionsraum und Weidewechsel der Nomaden sind, analog der bestehenden ökonomischen Abhängigkeiten und ganz anders als beim rezenten Beduinen-Nomadismus, eng an die Sphäre der Sesshaften gebunden (»enclosed nomadism«) .57 Schauplätze ähnlich intensiven Kontakts waren sonst nur die großen Oasen, in denen eine sesshafte, intensiven Bewässerungsbau nutzende Bevölkerung auf engem Raum mit Nomaden koexistierte . Die Konturen der in der Randzone beheimateten Gesellschaften lassen sich mit den traditionellen Antinomien ›Nomadismus‹ vs . ›Sesshaftigkeit‹ bzw . ›Stammesgesellschaft‹ vs . ›Staat‹ kaum angemessen fassen: In ihrer ökonomischen und politisch-organisatorischen Ambivalenz waren sie »dimorphe« oder »polymorphe« Gesellschaften – mit sesshaften und nomadischen ›Sektionen‹ jeweils desselben Stammes .58 57 Der Begriff stammt von Rowton 1974 . Hierbei handelt es sich keineswegs um ein orientalisches Proprium . Das Nebeneinander von halbnomadischer Viehzucht und sesshaftem Ackerbau war auch in der griechischen Polis und selbst noch im kaiserzeitlichen Italien allgegenwärtig . Zur südlichen Balkanhalbinsel: Hodkinson 1988; Skydsgaard 1988; zu Italien Gabba 1985 . 58 »Dimorphic societies«, zuerst bei Rowton 1973 . Dort (248f .) auch der Begriff »enclosed nomadism« . Der Begriff des »Polymorphismus«, der die gleitenden Übergänge besser berücksichtigt, stammt von Finkelstein 1995 . Die Bedeutung der Zone zwischen der 200- und der 400-Millimeter-Isohyete hebt die grundlegende

104 · IV. InstItutIonEn Hier und im Folgenden sollen sie, entsprechend ihrer Stadt, Kulturland und Steppe umspannenden tribalen Binnenstruktur, ›integrierte Stammesgesellschaften‹ heißen . Die ökonomische Symbiose zwischen sesshaften Ackerbauern und nomadischen Viehzüchtern als materielle Grundlage integrierter Stammesgesellschaften setzt Sesshaftigkeit der einen Gruppe zwingend voraus . Die viehzüchtenden Nomaden und Halbnomaden der Steppe hängen von den Sesshaften ebenso ab wie diese umgekehrt von den Viehzüchtern . Im symbiotischen Verhältnis zwischen sesshafter und mobiler Gesellschaft herrschte stets, wiederum über alle Epochengrenzen hinweg, ein sensibles Gleichgewicht, das durch Umweltveränderungen oder politische Ereignisse leicht zu stören war . Kooperation schlug immer wieder in Konflikt um, wobei jedes der beiden Elemente – die staatliche Organisation der Sesshaften und die Nomadenstämme – versuchte, das jeweilige Gegenüber politisch zu dominieren . Immer dann, wenn Großreiche ihre integrierende Kraft verloren – vom Akkad-Reich bis zum Osmanischen Reich der jüngeren Geschichte  –, neigte sich die Waagschale zugunsten der mobilen Stämme, waren Umschwung von der Sesshaftigkeit zum Nomadismus, Deurbanisierung und Zurückweichen der Siedlungsgrenze oft weit hinter bereits erreichte Marken unabwendbare Folgen . Im imperialen Zyklus des Vorderen Orients behauptete die polymorphe Zone zwischen Kulturland und Steppe ihre epochale Bedeutung als Frontier zwischen Oikumene und Steppe .59 Doch entstanden gerade in der polymorphen Zone immer wieder Städte, die der Absorption durch benachbarte expansive Großreiche widerstanden: Mari ist das früheste Beispiel einer polymorphen Soziogenese aus dem Herzen der Frontier . Idealer Nährboden für autonome polymorphe Stadtstaaten war eine machtpolitische Konstellation, in der sich an der Steppengrenze rivalisierende imperiale Machtblöcke unmittelbar gegenüberstanden, wie sie seit dem Vordringen der Parther nach Mesopotamien im 2 . Jahrhundert v . Chr ., noch verstärkt seit der Einflussnahme Roms im Vorderen Orient, und bis in frühsasanidische Zeit für eine Zeitspanne von ca . 400 Jahren gegeben war . Nicht anders als schon Mari zu seiner Blütezeit bildeten die polymorphen Gesellschaften um ihren urbanen Kern Strukturmuster aus, die sie typologisch zu einer sozialen Organisationsform Studie von Rowton 1976b, 20f ., hervor: »Because of this [Ertragsunsicherheit im Regenfeldbau, M . S .], within that zone a stable economic base could be achieved only by irrigation agriculture, where that was possible, or else by means of symbiosis between rain agriculture and pastoral nomadism . When the harvest failed there would be the sheep and goat to fall back on .« 59 Cribb 2004, 24f ., dort bezeichnet als »dimorphic oscillation« . Die verwirrende Komplexität polymorpher Gesellschaften hat jüngst, seit dem 11 . September 2001, durch die Ereignisse in und um Afghanistan abermals Schlagzeilen geschrieben . Auch in den paschtunischen Siedlungsgebieten Afghanistans erlaubt der Naturraum, wie in der dimorphen Zone des Fruchtbaren Halbmonds, nur eingeschränkt Regenfeldbau, unter erheblichen Unwägbarkeiten . Bei den Paschtunen koexistieren deshalb Viehzüchternomaden in engster Symbiose mit der sesshaften Bevölkerung; paschtunische Stammeseliten sind – auch in der aktuellen Friedensregelung für Afghanistan – in die staatliche Struktur eingebunden, die ihrerseits zahlreiche tribale Elemente enthält; auch die paschtunischen Nomaden entwickelten ein erhebliches Engagement im Fernhandel, bis hin zu rezenten, von Nomaden betriebenen LKW-Karawanen . Über den paschtunischen Tribalismus Dessart 2001, 180–234 .

Stadt – Kulturland – Steppe · 105 sui generis machen: Hervorstechendes Merkmal jeder polymorphen Gesellschaft ist die ökonomische, politische, soziale, normative und nicht zuletzt verwandtschaftliche Koppelung nomadischer an urbane Gruppen unter dem Vorzeichen gemeinschaftlich geteilter tribaler Identität . Stammesmäßige, verwandtschaftliche oder fiktiv-verwandtschaftliche Strukturen ragten in die städtischen Siedlungen hinein, wie umgekehrt staatliche, bürokratisch institutionalisierte Herrschaft in die Steppe ausstrahlte . Ein urbaner Nukleus war meist nicht nur mit einem einzelnen Stamm, sondern mit einer oder gar mehreren Stammeskonföderationen verbunden, mit allen dadurch gegebenen inneren Brüchen und Konflikten . Bindeglied zwischen Sesshaften und Nomaden wie zwischen den Stämmen untereinander waren, gleichsam als sesshafteste Nomaden bzw . als mobilste Sesshafte, die tribalen Eliten, die als Stadtresidenten wie Stammesangehörige in beiden Sphären gleichermaßen das Regiment führten . Nicht von ungefähr können in polymorphen Gesellschaften städtische Institutionen ihre tribale Herkunft nur unzureichend hinter der Fassade staatlicher Ordnung verbergen . Der polymorphe Charakter einer integrierten Stammesgesellschaft gewann Gestalt in der Person des Herrschers, der zugleich Stadtkönig und Anführer einer tribalen Gruppe war .60 Neben Mari, aufgrund der Chronologie wie der Dokumentationslage Archetypus polymorpher Gesellschaften im alten Vorderasien, gibt es zahlreiche weitere Beispiele ähnlich dichter Interaktionsnetze zwischen Nomaden und Sesshaften bis in subrezente und sogar rezente Zeit: Syrien-Palästina um 1200 v . Chr .; das Diyālā-Gebiet im östlichen Mesopotamien (8 . Jahrhundert v . Chr . und wieder 16 .–20 . Jahrhundert n . Chr .), al-Ḥīra in Südwestmesopotamien unter den Sasaniden, im al-Ḥiǧāz noch im 20 . Jahrhundert, Hirtenstämme in Luristan und Belutschistan sowie Kurden im Osmanischen Reich . Nicht zufällig erlebte nomadisch-sesshafter Polymorphismus in der hier interessierenden Epoche, unter dem Vorzeichen römisch-parthischer bzw . römisch-sasanidischer Konfrontation, seinen einsamen Höhepunkt: Palmyra, Hatra und Petra, in kleinerem Maßstab auch die Siedlungen im Ḥaurān, sind die monumentalen Zeugen einer sozialen Organisation, die sich gängigen Typologien entzieht und deshalb in den materiellen und textlichen Quellen so schwer zu fassen ist .

60 Vgl . Rowton 1976a, 243, zur Figur des Königs . Zur Ambivalenz städtischer politischer Institutionen siehe die folgenden Abschnitte zu Palmyra und Hatra . Zu Mari: Kupper 1957; Klengel 1972, 49–67; Liverani 1988, 372–402 . Die aus den Mari-Texten gewonnenen Erkenntnisse über Interaktionen zwischen sesshafter und mobiler Bevölkerung haben das traditionelle Bild vom vorderasiatischen Nomadismus grundlegend verändert . Bereits die Stämme im Umfeld von Mari (Hanäer, Sutäer, Jaminiten) können als integrierte Stämme gelten: Ihre Oberhäupter waren in Personalunion in die proto-staatliche Bürokratie von Mari eingebunden, Nomaden wurden zu Kriegsdienst und Arbeiten herangezogen . Über Palmyra (Tadmur) in der Zeit der MariArchive mit ausführlicher Diskussion der Mari-Texte Scharrer 2002 .

V. KULTURELLE IDENTITÄTEN »Pots are pots, not people«, lautet eine Binsenwahrheit der Archäologie, bis zu deren angemessener Würdigung allerdings ein langer Weg zurückzulegen war .1 Die scheinbar simple Weisheit legt den Finger auf einen wunden Punkt altertumswissenschaftlicher Hermeneutik: Was fangen wir mit Menschengruppen an, die zwar eine reiche materielle Kultur, aber, von größtenteils eher dürren Inschriften und Papyri einmal abgesehen, so gut wie keine schriftlichen Selbstzeugnisse hinterlassen haben? Auf der Basis materieller Befunde kann ein Archäologe ›Geographien‹ ermitteln, eine Geographie der Kleidung, der Kochkunst, Architektur, Sprache . Doch was heißt es, wenn an dieser oder jener Stelle ein Stein in der und der Sprache beschriftet wurde? Archäologische Quellen helfen bei dem Bemühen, eine Geographie des Sinns zu erstellen, offensichtlich nur bedingt weiter . Das folgende Kapitel versucht, einen Weg zu weisen, wie man sich dem Problem vielleicht doch annähern kann: über den Umweg grundlegender methodischer Erwägungen . Einen Zugang eröffnet hier die Semiotik, die dabei hilft, die großen, immens komplexen Bedeutungssysteme menschlicher Gesellschaften in ihre Bausteine, ›Zeichen‹, zu zerlegen . In einem zweiten Schritt ist zu fragen, was passiert, wenn Gesellschaften in Kontakt zueinander treten, die zunächst in einem vermeintlich luftleeren Raum existierten . Schließlich gilt der Blick selektiv einigen Zeichensystemen, die in der materiellen Kultur, wie sie sich erhalten hat, privilegierte Plätze innehaben: Architektur, Sprache, Religion .

Zeichen und symbolische Sinnwelten Überall sind Zeichen .2 Zeichen sind aber nicht a priori vorhanden, sondern das Ergebnis eines kulturellen Prozesses, der Gegenständen erst Sinn und Bedeutung verleiht: Wir produzieren Zeichen, indem wir ihnen Sinn zuweisen . Ein blau-weiß-rot gestreiftes Tuch wird 1

2

Jones 1997 . Jones geht weit in die archäologische Forschungsgeschichte zurück und führt (ebd ., 137) die Identifikation von ethnischer Identität und materieller Kultur zurück auf »striking similiarities between the representation of culture in nationalistic discourses and the conceptualization of ›culture‹ and ›society‹ in academic theory and practice, where they have been regarded as well-integrated, bounded, continuous entities, occupying exclusive spatio-temporal positions .« Zusammenfassend zur Einführung Schneider et al . 1979 .

108 · V. KulturEllE IdEntItätEn dadurch zum Zeichenträger, dass wir es mit Frankreich verbinden und in ihm die Trikolore erkennen . Das Wort ›Freund‹ (φίλος, amicus) bezeichnet vor dem Hintergrund unterschiedlicher sozialer und kultureller Bezugsgrößen jeweils etwas Grundverschiedenes: Was in der westlichen Zivilisation der globalisierten Moderne mit einem Freund verbunden wird, hat nur bedingt etwas mit den Attributen von Freundschaft in einer hellenistischen Gesellschaft oder in Rom zu tun, was weniger eine Frage der Sprache als der kulturund gesellschaftsspezifischen Semantik ist . Über die Deutung des Zeichens ›Freund‹ mit allen Konnotationen entscheidet jeweils ein kultureller Code .3 Dasselbe gilt, folgt man Pierre Bourdieu, für ihrer Struktur nach komplexere Zeichen, für ›Kunstwerke‹ .4 Sie formieren sich im Ensemble, vielfältig aufeinander bezogen, zu Zeichensystemen, wie Literatur, Musik oder bildender Kunst . Auch sie müssen decodiert werden, und über das Ergebnis, zu dem die Decodierung führt, entscheidet der soziale und kulturelle Hintergrund des Betrachters . Wie ›lesbar‹ ein Kunstwerk ist, hängt ab von der Differenz zwischen der Komplexität des Werks (level of emission) und dem Grad, bis zu welchem der Betrachter den erforderlichen Code meistert (level of reception) . Für alle Kunst gilt: »Die Fähigkeit des Sehens bemißt sich am Wissen .«5 Übersteigt die Komplexität die Möglichkeiten des Betrachters, so erreicht die Botschaft nicht ihren Empfänger, das Resultat ist Unverständnis . Künstlerische Ästhetik ist, so betrachtet, ein subtiles Mittel sozialer Differenzierung, ihre Sprache ist zutiefst undemokratisch: Sie schafft ein wohlfeiles Distinktionsmerkmal zwischen ästhetischem Genießertum einer- und »barbarischem Geschmack« (Kant) andererseits . Um jene »sakrale Schranke« entstehen zu lassen, »die legitime Kultur zu einer separaten Sphäre werden läßt«,6 muss das Zeichensystem komplex sein . Je mehr eine Ästhetik ihrem Rezipienten abverlangt, desto prestigereicher ist sie auch . Erst ein Zeichensystem, das nicht von jedermann gelesen werden kann, erfüllt die Funktion eines Statusmerkmals . Besonders effektiv zur Abgrenzung sind Zeichensysteme, die von einer Mehrheit überhaupt nicht als solche wahrgenommen werden . Der ›Erfolg‹ einer Ästhetik beruht nicht zum Mindesten auf der sozialen Distanz, die sie schafft zwischen denjenigen, die an ihr teilhaben, und den anderen, denen sie auf ewig verschlossen bleibt . Sozialer Status, Bildung und Ästhetik verflechten sich zu einer unentwirrbaren Gemengelage . Die Eintrittskarte zur Welt der Kenner ist ein ganzes Bündel formaler Kenntnisse . Echte Kennerschaft erweist sich erst in der Fähigkeit, subtile und der Alltagserfahrung weitgehend entzogene Codes wahrzunehmen und zu entschlüsseln . Sie steht im schroffen Gegensatz zur ›populären Ästhetik‹, die stets den unmittelbaren Bezug zum Leben sucht und dem Inhalt den Primat vor der Form, dem Dargestellten den Primat vor der 3 4 5 6

Eco 1988, 85–101; Eco 1991, 99–101, besonders 100f .: »Die Anerkennung der Existenz dieser kulturellen Einheiten […] involviert eine Auffassung der Sprache als eines sozialen Phänomens .« Grundlegend zum Folgenden: Bourdieu 1991; Bourdieu 1993, 215–237 . Bourdieu 1991, 19 . Ebd ., 26 .

Zeichen u nd sym�olische Sin n welten · 109 Darstellung gibt .7 Der mit den entscheidenden Formenrepertoires vertraute Ästhet weiß sich in seiner Kennerschaft einem exklusiven Club verbunden, den Jüngern des »reinen Blicks« .8 Zeichensysteme, in denen sich Kennerschaft erweisen kann, konstituieren ihrerseits nur noch komplexere »symbolische Sinnwelten«, die mit Gesellschaften und ganzen Zivilisationen eine nicht aufzulösende Wechselbeziehung eingehen: Symbolische Sinnwelten kodieren die Identität sozialer Gruppen bzw . sozio-kultureller Subjekte, seien es nun Nationen, Stämme, Handwerkerzünfte, die Arbeiterschaft, Universitäten oder Fußballvereine .9 Symbolische Sinnwelten schaffen Ordnung und Orientierung,10 weisen disparaten Wahrnehmungen, Reizen, Gefühlen ihren unverrückbaren Platz zu, verknüpfen sonst isolierte, unzusammenhängende ›Bedeutungsprovinzen‹ zu einem dichten Gewebe . Komplexe Realitätsdefinitionen wie Ideologien, Kosmologien, das Recht, aber auf niedrigerer Ebene auch Satzungen, Ehrenkodizes und Firmenphilosophien, haben normierende Kraft und legitimieren das Festhalten an Institutionen über Zeit und Raum, selbst dann, wenn die Institutionen in der Praxis dysfunktional werden . Sie breiten einen »schützenden Baldachin«11 aus über institutionellen Ordnungen, die sonst fortwährendem Wandel und stetiger Erosion ausgesetzt wären . Dem Individuum geben sie Halt bei der Verarbeitung widersprüchlicher Eindrücke und Erfahrungen . Symbolische Sinnwelten entscheiden darüber, was als real wahrgenommen wird und was nicht, was relevant ist und was nicht . Die normierende Wirkung solcher Realitätsdefinitionen ist entscheidend: Sie setzen Maßstäbe dafür, was gut ist oder böse, schön oder hässlich, prestigereich oder verachtenswert . Nicht zuletzt verleihen sie der Geschichte, vergangenem, gegenwärtigem und künftigem Geschehen, Bedeutung . Die Sinnwelt ordnet die Menschen in die Ahnenreihe ihrer Vor- und Nachfahren ein und überbrückt so die Endlichkeit des eigenen Seins . Symbolische Sinnwelten, verlängert in die Vergangenheit und in die Zukunft, konstituieren Traditionen, die ganzen Gesellschaften, Kulturen und Zivilisationen erst ihre Bedeutung 7 8

Ebd ., 60–63 und 100 . Ebd ., 62: »[…] beinhaltet der reine Blick einen Bruch mit der alltäglichen Einstellung zur Welt und bezeichnet darin auch gerade einen Bruch mit der Gesellschaft .« 9 Assmann 1997, 139: »Das Bewußtsein sozialer Zugehörigkeit, das wir ›kollektive Identität‹ nennen, beruht auf der Teilhabe an einem gemeinsamen Wissen und einem gemeinsamen Gedächtnis, die durch das Sprechen einer gemeinsamen Sprache oder allgemeiner formuliert: die Verwendung eines gemeinsamen Symbolsystems vermittelt wird . Denn es geht dabei nicht nur um Wörter, Sätze oder Texte, sondern auch um Riten und Tänze, Muster und Ornamente, Trachten und Tätowierungen, Essen und Trinken, Monumente, Bilder, Landschaften, Weg- und Grenzmarken . Alles kann zum Zeichen werden, um Gemeinsamkeit zu kodieren . Nicht das Medium entscheidet, sondern die Symbolfunktion und Zeichenstruktur .« Berger/Luckmann 1966, 114: »The symbolic universe is conceived as the matrix of all socially objectivated and subjectively real meanings .« 10 Der Grundgedanke findet sich bei Durkheim 1998, 566, für den die »wirkliche Gesellschaft« durch die »ideale Gesellschaft« überhaupt erst denkbar wird . Klassische Ordnungssysteme, deren Ziel es sei, »die Welt auszudrücken« (ebd ., 573), seien Kulte, Feste und Riten . Vgl . auch Bourdieu 1992, 163–170, besonders 165 . 11 Berger/Luckmann 1966, 120: »They are sheltering canopies over the institutional order .«

110 · V. KulturEllE IdEntItätEn verleihen . Ihr Erfolg besteht gerade darin, dass sie in ihrem Wesen unsichtbar sind, nicht als das wahrgenommen werden, was sie sind, Konstrukte, sondern als authentisch, echt, unwandelbar, ewig . Sie machen vergessen, dass jede soziale Realität unweigerlich prekär, jede Gesellschaft eine »Konstruktion im Angesicht des Chaos ist« .12 Ihre normierende Kraft verleiht Gruppen und Individuen, welche die Definitions- und Deutungshoheit über symbolische Sinnwelten haben, unerhörte datensetzende Macht .13 Sie können, im Prinzip ohne einen Finger zu rühren, auf jeden Fall aber ohne Anwendung von Gewalt oder Zwang, das Verhalten anderer determinieren . Dazu genügt der Erlass eines Gesetzes, das Verfassen eines theologischen Traktats, die Kreation einer neuen Frühjahrskollektion . Wer datensetzende Macht hat und symbolische Sinnwelten produziert oder auslegt, bestimmt darüber, was andere für richtig, erstrebens- und nachahmenswert halten . Die wenigsten historischen Sinnwelten sind das Ergebnis bewusster Entscheidungsprozesse oder Strategien, doch jede Realitätsdefinition bringt automatisch Personenkreise hervor, die an ihrer Ausarbeitung und Ausdeutung arbeiten, sich ihr besonders verbunden fühlen und mithin zu Hütern des ›reinen Glaubens‹ avancieren . Je komplexer eine Gesellschaft strukturiert ist, desto eher wird die Hüter-Aufgabe von Vollzeitspezialisten wahrgenommen, die eine entsprechend privilegierte Position in der sozialen Hierarchie für sich reklamieren .14 Nur der Theorie nach sind symbolische Sinnwelten unproblematisch und so von allen akzeptiert, dass sie monopolartig die ultimativ gültige Realitätsdeutung leisten . In einer hypothetischen ›primitiven‹ Gesellschaft mit nur einer einzigen, durch keinerlei Hybridisierung verunklarten symbolischen Tradition bedeutet Zugehörigkeit zur Gesellschaft Akzeptanz der Tradition . Die Definition von Realität ist das Monopol nur einer homogenen Gruppe .15 Das aber ist nirgends der Fall . Jedes symbolische Universum wird früher oder später für die Menschen, die in ihm leben, zum Problem: dann nämlich, wenn es mit anderen, konkurrierenden Realitätsentwürfen in Kontakt kommt . Sozialer Konflikt und Kulturkontakt ziehen unweigerlich symbolische Pluralisierung nach sich . Innerhalb der Gesellschaft entstehen häretische Gruppierungen, die sich an Sinnuniversen orientieren, die von der reinen Lehre abweichen; oder die Gesellschaft als Ganze trifft auf andere Gesellschaften, die ihre eigenen Entwürfe haben . In beiden Fällen geraten die Sinnwelten und die institutionellen Ordnungen, die sie schützen, unter Druck, werden zum Problem . Konkurrierende Realitätsdefinitionen machen noch dem letzten Bewohner eines Sinnuniversums unmissverständlich deutlich, dass die Realität, in der er lebt und mit der er sich eingerichtet hat, nicht alternativlos ist, dass es andere – unter Umständen für ihn oder andere Mitglieder seiner Gesellschaft attraktivere – Entwürfe gibt . Gleichviel, ob die Alternativen innerhalb der eigenen Gruppe existieren oder im Kontakt mit an12 13 14 15

Ebd ., 121: »All societies are constructions in the face of chaos .« Siehe oben, S . 55 . Berger/Luckmann 1966, 135–137 . Ebd ., 138 .

Grosse �r adition – Kleine �r adition · 111 deren sichtbar werden: Wo immer konkurrierende Sinnwelten auftreten, stellt sich die Machtfrage .16 Vor allem aber modifiziert Sinnpluralismus die Sinnwelten selbst und den Bezug der jeweiligen ›Bewohner‹ zu ihnen . Er gebietet als Mechanismus zur Bewahrung des eigenen symbolischen Inventars dessen theoretische Ausarbeitung und Durchdringung .17 Menschen beginnen die Traditionen, in und mit denen sie leben, nicht mehr nur hin-, sondern bewusst wahrzunehmen . Erst die Präsenz des als fremd Wahrgenommenen, Alterität, setzt Fragen auf die Tagesordnung wie: »Wer bin ich?« oder »Wohin gehöre ich?« Alterität und Identität sind zwei Seiten derselben Medaille . Zeichen und ihre Konnotationen erhalten in diesem Spannungsfeld, horizontal und vertikal, die Funktion von Unterscheidungsmerkmalen, von Identitätsausweisen . Eine sozial differenzierte Ästhetik, wie Bourdieu sie untersucht hat, ist ein möglicher Ausdruck von Sinnpluralismus . Eine pluralisierte Gesellschaft, in der die Definition von Realität demonopolisiert und konkurrierenden Einflüssen ausgesetzt ist, verfügt noch über ein gemeinsames »Kern-Universum«, das von allen ›Bewohnern‹ akzeptiert wird . Jenseits dessen ist sie in »Sub-Universen« aufgespalten, die jeweils nur für einen Teil des gesellschaftlichen Ganzen Gültigkeit haben .18 Eine komplexe Gesellschaft war ohne Frage auch das römische Imperium . Es ist illusorisch, anzunehmen, dass alle seine Bewohner, unabhängig von ihrer geographischen und sozialen Herkunft, dieselben Realitätsdefinitionen und Wahrnehmungsmuster teilten . Obwohl sie in einer Welt lebten, die ›hellenisiert‹ bzw . ›romanisiert‹ und daher von einer gewissen Uniformität der Artefakte geprägt war, ist durch nichts bewiesen, dass sie, vom Sklaven bis zum Senator, von Britannien bis nach Ägypten, den Artefakten jeweils auch denselben Sinn beimaßen . Selbst noch den Mikrokosmos der römischen Welt, die einzelne Stadt mit ihrem Territorium, durchzogen derart vielfältige soziale Gräben, gekoppelt mit einer solchen Fülle verschiedener Realitätswahrnehmungen, dass sich auch auf dieser unteren Ebene kaum von einem Sinnmonopol dieser oder jener Gruppe sprechen lässt .19

Große Tradition – Kleine Tradition: Akkulturation in asymmetrischen Machtbeziehungen Wie lassen sich Koexistenz und Konkurrenz divergenter Sinnuniversen in einem Imperium mit asymmetrischen Machtbeziehungen zwischen Zentrum und Peripherie angemessen abbilden und analysieren? Einen gangbaren Weg eröffnet die Differenzierung zwischen verschiedenen Ebenen von Sinnwelten: jener, die ihren Ursprung im Zentrum hat und 16 17 18 19

Ebd ., 127: »He who has the bigger stick has the better chance of imposing his definitions of reality .« Ebd . Ebd ., 142 . Siehe zur Debatte um das Phänomen der Romanisierung oben, S . 58 .

112 · V. KulturEllE IdEntItätEn von dort ausstrahlt, und jener anderen, die ihren Ort in den diversen Peripherien hat . Zwei Traditionen stehen sich dort gegenüber, wo die Soldaten eines großen Reiches ihren Fuß hinsetzen: die ›große‹ des Imperiums, die in sich vielfach hybrid, komplex und ausdeutungsfähig ist, und die ›kleine‹ der Peripherie, die nur dort gepflegt und verstanden wird .20 Natürlich ist die binäre Zuspitzung auf zwei Traditionen grob vereinfachend: In der Wirklichkeit mögen noch viel mehr Traditionen im Spiel sein als nur zwei; auch können sie möglicherweise zum Zeitpunkt der Eroberung schon auf ein längeres Wechselspiel von gegenseitiger Befruchtung und Durchdringung, vielleicht auch Abgrenzung zurückblicken . Für das Modell aber ist eine einfache Versuchsanordnung zweckdienlich . Imperiale Große Traditionen tendieren dazu, mit den Weltdeutungsmustern, die sie transportieren, und den Normen, die sie setzen, Druck auf die Kleinen Traditionen auszuüben, sie zu durchdringen und umzuformen . Kleine Traditionen verschwinden so zwar von der Oberfläche, werden aber in den seltensten Fällen mit der Wurzel ausgerissen . Etwas anderes ist die Frage, ob sie sich in literarischen, epigraphischen und materiellen Quellen aufspüren lassen oder von der Großen Tradition völlig verschüttet wurden . Nebeneinander, Berührung und partielle Durchdringung Kleiner und Großer Traditionen sind die spezifisch imperialen Erscheinungsformen von Sinnpluralismen, resultierend aus dem Kontakt zwischen mindestens zwei Kollektiven, deren Mitglieder dasselbe symbolische ›Kern-Universum‹ ›bewohnen‹ . Sie sind im Wesentlichen das, was asymmetrische Akkulturationsprozesse von der Art, wie es Hellenisierung und Romanisierung sind, ausmacht . Wie sich die Traditionen gegenseitig beeinflussen und worauf Akkulturation letztlich hinausläuft, hängt von einer Fülle von Variablen ab: Im Extremfall kann eine lokale, Kleine Tradition völlig ausradiert werden, etwa dann, wenn ihre Träger physisch vernichtet oder so radikal umerzogen werden, dass ihre eigenen Wurzeln vollständigem Vergessen anheimfallen . Die Große Tradition kann aber auch ein symbolisches Inventar liefern, das der Kleinen Tradition überhaupt erst zu Sichtbarkeit verhilft . Wahrscheinlichste Resultanten von Akkulturierungsprozessen sind Hybridbildungen, die aber stets mehr sind als bloße Amalgame: Praktisch immer entsteht aus der Synthese der Traditionen etwas Neues . Selten ist die Ausbreitung der Großen Tradition als Einbahnstraße zu denken, womöglich gar als imperiales ›Programm‹ kultureller Homogenisierung . Es ist gerade das Quantum »struktureller Toleranz«,21 das Imperien von Nationalstaaten unterscheidet, die – theoretisch legitimiert durch das Gedankengut der Französischen Revolution – nach Realisierung der nation une et indivisible streben . Ein Imperium kann im Normalfall, was der Nationalstaat nicht kann: mit kultureller Differenz zwischen diversen, das Reich bevölkernden ethnischen, sprachlichen, religiösen Gruppen leben . Wenn es also nicht

20 So in einer glücklichen Wortwahl: Redfield 1955, 40–59, aufgegriffen von Eisenstadt 1973 . 21 Osterhammel 2001, 233, der einschränkt: »strukturelle (nicht unbedingt auch gesinnungsmäßige) Toleranz« .

Grosse �r adition – Kleine �r adition · 113 das Zentrum ist, das seine Weltdeutungsmuster mit brachialer Gewalt in der Peripherie durchsetzt, wer trägt dann zur Verbreitung der Großen Tradition bei?22 Der Erfolg Großer Traditionen beruht maßgeblich auf ihrem Prestige . Obwohl Große Traditionen, im Sinne von Berger und Luckmann, nicht ›missionieren‹, üben sie doch eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf Angehörige peripherer Gesellschaften aus . Das gilt, mehr als für alle anderen, für lokale Eliten, die über bessere Möglichkeiten verfügen, Bildung zu erwerben, mit imperialen Traditionen in Kontakt zu treten und ihre Sinnwelt zu decodieren, als die breite Masse . Wer in seiner Heimat bessergestellt ist, ist deutlich empfänglicher für die Integrationsangebote, die Imperien ihrer Peripherie unterbreiten, als der sprichwörtliche ›kleine Mann‹ . Obwohl auch Rom nicht aktiv ›missionierte‹, waren die drei Erzählungen, die sich mit seiner imperialen Sendung verbanden – Bürgerrecht, Zivilisation und Mythos –, durchaus überzeugende Angebote für jeden, der ihre Bedeutung verstand . Gut illustrieren lässt sich das am Beispiel des Bürgerrechts – für das Imperium ein besonders wohlfeiles, da vollständig aufwandsneutrales beneficium . Das doppelte, auf Rom wie auf die jeweilige Heimatstadt bezogene Bürgerrecht im Reich bildete, gemeinsam mit dem abgestuften Stadtrecht – römisch, latinisch, peregrin –, eine ausdifferenzierte Rangund Prestigeskala, die Römer von Nichtrömern abgrenzte, zugleich aber Nichtrömern die Tür offen hielt . Ihre Kinder oder Kindeskinder konnten, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllten, Römer werden . Mochte auch das römische Bürgerrecht in der Sphäre praktischen Rechts fast bedeutungslos geworden sein, so bewahrte es doch seinen symbolischen Nimbus . Wer wie Paulus sagen durfte: civis Romanus sum,23 gehörte, wenigstens der Theorie und dem Selbstverständnis nach, zur Gruppe derer, die im Imperium herrschten . Das Bürgerrecht war symbolische Schranke zwischen Herrschenden und Untertanen, zwischen Rom und Nicht-Rom, zwischen Zentrum und Peripherie . Aber es war eine durchlässige Schranke . Jeder Untertan konnte in der Hoffnung leben, eines Tages die Seiten zu wechseln und schließlich als Römer zu sterben .24 Einer der Wege zum römischen Bürgerrecht führte über die Armee, genauer: die Hilfstruppen (auxilia) . Die römische Armee war, in vielerlei Hinsicht, eine Körperschaft, die in der klassischen Antike ihresgleichen suchte . Sie war die einzige Institution, die ihren Abhängigen ein festes Gehalt zu bieten hatte; sie verfügte, gleichgültig, wo der Einzelne diente, über ein geregeltes Ausbildungssystem und eine zentrale Rang- und Kommandostruktur; ihre Mitglieder hatten einen ausgeprägten Korpsgeist, der die Armee zusammenschweißte; und sie war die einzige wirklich bewusst romanisierende und latinisierende Kraft im Imperium . Die Legionäre mochten ein anderes Rom im Herzen tragen als ein römischer Senator oder Ritter; entscheidend ist, dass sie sich mit jeder Faser ihres Körpers 22 Zum Rom als Imperium siehe oben, S . 55 . In der Frage des push oder pull in der römischen Welt hat MacMullen 2000, besonders 134–136, deutlich zugunsten des pull Stellung bezogen . 23 Die Episode um das Bürgerrecht des Paulus schildert Apg 22:24–28 . 24 Siehe oben, S . 57 .

114 · V. KulturEllE IdEntItätEn mit dem Imperium identifizierten, für das sie kämpften und oft genug starben .25 Wer als Angehöriger einer peripheren Ethnie des Imperiums in die auxilia eintrat, verließ sie nicht nur als römischer Bürger; er war auch in seinem tiefsten Innern zum Römer mutiert . Der Korpsgeist der Truppe ließ ihn nicht mehr los: Noch als Veteran fühlte er sich der Armee zutiefst verbunden . Die römische Armee war eine Gesellschaft in der Gesellschaft . Als solche war sie ihr eigenes symbolisches Universum, das für aktive Soldaten wie Veteranen hochgradig handlungsleitend war und blieb . Es war dies die Grunderfahrung, die zahlreiche junge Männer auch aus den Orientprovinzen teilten . Als spezialisierte Auxiliarsoldaten – meist, wie die Palmyrener und Osrhoener, als hochmobile Bogenschützen – dienten sie an den Außengrenzen des Reiches, im vergleichsweise nahen Dura-Europos oder in entlegenen Regionen, den militärischen Brennpunkten Roms vom Donauraum über Germanien und Britannien bis nach Nordafrika . Wohl brachten sie ihre Sprache und ihre Religion mit und blieben so – anders als Soldaten aus vielen anderen Reichsteilen – im Befund deutlich unterscheidbar, doch nahmen die angestammten Götter in der Armee zum Teil völlig neue Bedeutungen an, wie der palmyrenische Gott Malakbēl, der in der Militärdiaspora von Dura-Europos – unter dem Einfluss anderer, im Militär höchst populärer Sonnengottheiten – einen solaren Aspekt erhielt . Der Status der Armee als Körperschaft mit eigener Sinnwelt offenbart ihre Möglichkeiten und Grenzen als romanisierende Kraft: Zwar war sie ein Durchlauferhitzer, der Nichtrömer wie die Palmyrener in großer Zahl zu Römern machte, doch blieb ihre Außenwirkung relativ begrenzt . Zu weit lagen die Realitätswahrnehmung eines Soldaten und die eines peregrinen Reichsbewohners an irgendeiner von Roms entlegenen Außengrenzen auseinander; zu stark war, jedenfalls bis in die Severerzeit, die institutionelle Abschottung der Armee von der Außenwelt . Anders stand es mit den Veteranen: Sie siedelten sich oft an ihrem letzten Garnisonsort an, gründeten Familien, heirateten in indigene Familien ein, erwarben mehr Land und avancierten zu angesehenen Notabeln im agrarisch-dörflichen oder kleinstädtischen Milieu ihres Wohnortes .26 Eine Schlüsselrolle bei der Ausbreitung der Großen Tradition Roms über die Peripherien des Imperiums spielten, neben den Veteranen, lokale Eliten, die, auf der Suche nach Geltung, Prestige oder einfach den Annehmlichkeiten urban-luxuriösen Lebens, dem Beispiel Roms nacheiferten . Die Initiative ging, wie gesagt, von unten aus, nicht von oben: Romanisierung war stets eine Frage des pull, nicht des push . Die lokalen Eliten waren die Ersten, die der Überzeugungskraft der Großen Tradition erlagen . Doch was genau 25 James 2013b, 184–188, hat dieses militärische Rom prägnant als »drittes« Rom beschrieben – neben dem »ersten« Rom (der Stadt) und dem »zweiten« (universalen, zivilen) Rom . 26 Die Rolle von Veteranen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben der römischen Orientprovinzen erörtert jetzt auf breiter Grundlage Stoll 2015, der die fortdauernde Eingebundenheit der Veteranen in den Korpsgeist der Armeeangehörigen betont, zugleich aber darauf verweist, dass die Veteranen mit ihrem epigra­ phic habit durchaus auch die lokale Bevölkerung zu Adressaten machten . Zur Region um mittleren Euphrat und Ḫābūr Sommer 2004a .

Grosse �r adition – Kleine �r adition · 115 geschah mit den lokalen Sinnuniversen? Ihrem Schicksal gilt ein Gutteil der folgenden Überlegungen dieses Buches . Deshalb seien hier nur hypothetisch einige Möglichkeiten angedeutet . 1 . Denkbar ist, dass die lokalen Eliten sich das Sinnuniversum des Zentrums vollständig zueigen machen, sich assimilieren, also gleichsam zu Überläufern von der Kleinen zur Großen Tradition werden . In diesem Fall wird die Große Tradition und die Beherrschung ihrer Codes zum sozialen Statusmerkmal, zum Mittel der Abgrenzung . Wer zur Elite zählt, assimiliert sich an die Große Tradition, schon allein des Prestiges wegen, das mit ihr verbunden ist . Im Extremfall hört die lokale Gesellschaft auf, als Einheit zu funktionieren . Die Elite koppelt sich von der Bevölkerungsmehrheit ab, die an der kleinen, nunmehr vollständig marginalisierten Tradition festhält . Je durchlässiger die Grenzen bleiben, je höher die vertikale Mobilität, desto eher werden auch Kreise, die nicht den Eliten zuzurechnen sind, sich an die Große Tradition assimilieren . Die Kleine Tradition stirbt dann allmählich ab . 2 . Vorstellbar ist auch, dass die Eliten die Große Tradition nur adaptieren, ohne sich zu assimilieren . So können ihre Angehörigen die Große Tradition nur oberflächlich, etwa zu Zwecken von Repräsentation und Selbstdarstellung, annehmen, ohne doch in der fremden Sinnwelt wirklich heimisch zu werden . Sie bleiben dann in der lokalen Tradition verwurzelt . Die Zeichenwelt der Großen Tradition ist in diesem Fall nichts als Firnis . Eine solche Konstellation wird kaum dauerhaft Bestand haben . Entweder drängen, früher oder später, die nur mühsam verschütteten Kleinen Traditionen wieder an die Oberfläche, oder aber die fremde Sinnwelt nimmt eine neue Bedeutung an und transformiert, gleichsam von der Oberfläche in tiefere Schichten durchsickernd, die lokalen Traditionen in ihrem Kern . 3 . Die Elitenangehörigen können aber auch zu ›Bewohnern‹ beider Sinnuniversen, zu prototypischen Grenzgängern, werden und, je nachdem, wie es Situation und Rolle erfordern, stärker die lokale oder die imperiale Tradition herauskehren . Ihre Verwurzelung in beiden Traditionen versetzt sie in die Lage, selektiv Elemente herauszugreifen und so nach ihren Bedürfnissen gewissermaßen ein Patchworkuniversum zu kreieren, das wiederum offen dafür ist, von unterschiedlichsten Akteuren mit Bedeutung gefüllt zu werden . Mögliches Ergebnis dieser Entwicklung ist ein fragmentiertes Sinnuniversum mit zahlreichen heterodoxen Strömungen, Subkulturen, das sich in einer Fülle von Synkretismen äußert .27 27 Ein gutes subrezentes Beispiel ist die Santeria auf Kuba, die ihren Anfang mit der selektiven Propagierung des Katholizismus spanischer Prägung durch lokale Eliten nahm . Die urban poor der Kolonie adaptierten, in einem Prozess fortgesetzter Selektion, wiederum Elemente davon (die Heiligen und ihre Ikonographie) und füllten sie mit aus Westafrika mitgebrachten Inhalten: den Gottheiten der Yoruba . Christliche Ikonographie wurde so angereichert mit der Symbolik afrikanischer Religion: Brandon 1993, 43 .

116 · V. KulturEllE IdEntItätEn Von besonderem Reiz ist die dritte Variante . Die Schaffung neuer symbolischer Sinnwelten aus dem Inventar Großer und Kleiner Traditionen setzt ein Bewusstsein für kulturelle Differenz voraus . Das Eigene ist, mit der Ankunft des Fremden, nicht nur zum Problem geworden, sondern auch zum Gegenstand von Spiel und Experiment . Wenn Individuen zum Ausdruck bringen, dass sie die Codes beider Sinnwelten beherrschen, und beginnen, die Grenzen zwischen den Universen spielerisch zu überschreiten, ist das ein untrügliches Indiz dafür, dass Identität und Alterität aus den Tiefen des Unbewussten an die Oberfläche bewusster Wahrnehmung emporgestiegen sind . Die Personen werden dann zu Grenzgängern zwischen zwei Sinnwelten . Augenfälliges Beispiel für eine solche Konstellation ist jener Grabherr aus Palmyra, der sich auf seinem Sarkophag zweimal abbilden ließ, einmal als opfernder togatus und dann als Magnat seiner Heimatstadt mit Kaftan und Reithosen . Nicht viel anders, in tödlich ernstem Spiel, überschritt der vierzehnjährige Elagabal die Grenze zwischen den Sinnuniversen Roms und seiner Vaterstadt Emesa, als er, bei seiner Reise von dort nach Rom, das Bild von seiner kaiserlichen Person im Priesterornat des Gottes seiner Heimat voraussandte und seine Anbringung in der Kurie anordnete . Das Beispiel Elagabals und seines Bildes zeigt, dass in der Antike Bildern eine Funktion zukommen konnte, ja im Normalfall zukam, die mit unserer modernen kunsthistorischen Wahrnehmung inkompatibel ist . Das Bild, das der Kaiser nach Rom sandte, bezog seinen Sinn nicht aus seinem ›künstlerischen‹, sondern aus seinem dokumentarischen Wert . Die Episode sollte uns daran erinnern, dass wir uns hier in einem »Zeitalter der Bilder« bewegen, das dem »Zeitalter der Kunst« vorausging .28 Erst der kunsthistorische Blick er- bzw . verklärte jedes ›Bild‹ zu ›Kunst‹ und beraubte es so seiner originären Macht . Man sollte sich aber auch hier vor Verallgemeinerungen hüten . Die Antike kannte sehr wohl den erlesenen Geschmack, das geschulte Auge des Ästheten . Ließ man es daran fehlen, war man in bestimmten Kreisen sozial disqualifiziert, wie unzählige Texte belegen: Petrons unter Nero entstandener Roman Satyricon, der sich im Gestus der Überlegenheit über die Halbbildung des Protagonisten Trimalchio mokiert, ist vielleicht der wichtigste von ihnen . Es sollte daher auch legitim sein, moderne kunstsoziologische Kategorien anzulegen, besonders dann, wenn wir uns im Kontext von Eliten bewegen . Gut illustrieren dieses Spannungsfeld und zugleich die Wirkungsweise des Mythos als Integrationsangebot an die Peripherie die Mosaiken vornehmer Häuser von Antiocheia am Orontes, die praktisch alles sind, was sich von der einstmals reichen materiellen Kultur der syrischen Metropole erhalten hat .29 Sie überschreiten gleich in doppeltem Sinne eine Grenze . Vordergründung sind ihre Bilder, die Emblemata, ›Fenster im Boden‹, 28 Belting 2004, 11–19 . Auf die Erforschung der antiken Perzeptionsästhetik und Kunstrezeption sind in jüngerer Zeit erhebliche Energien verwandt worden: Zanker 1991; Hölscher 2001; Hölscher 2004 . Grundlegende Bedeutung für Rom hat das Konzept des decorum, das ›Kunstwerke‹ bzw . visuelle Medien in Beziehung zu ihrem räumlichen Umfeld und dessen Bedeutung setzt: Bravi 2010; Bravi 2014, 15–22 . 29 Zu den Mosaiken: Levi 1947; Hales 2003, 179–186 .

Grosse �r adition – Kleine �r adition · 117 illusionistischer Blickfang und Aussichtspunkte in die Welt des imaginaire der lokalen Eliten . Weniger unmittelbar sind sie Zeugnisse des Grenzgängertums dieser Eliten zwischen zwei Sinnwelten, der lokalen von Antiocheia und der Großen Tradition des römischen Imperiums . Obwohl die Mosaiken sich grosso modo derselben Ausdrucksmittel bedienen wie pompeianische Wandbilder, stellen die meisten von ihnen Antiocheia in einen entschieden lokalen Kontext . Das Daphne-Mosaik im ›Haus des Menander‹ zeigt die Metamorphose der vor Apollon fliehenden Daphne – wohl jeder dachte dabei unwillkürlich an den gleichnamigen Vorort von Antiocheia, den einst Seleukos I . gegründet hatte . In einer Darstellung der Legende von Pyramos und Thisbe im ›Haus der Portiken‹ erscheint Pyramos als kilikischer Flussgott . Mythos und Realhistorie definierten, wo der Platz der Antiochener innerhalb der griechischen Oikumene war . Den physischen Raum Antiocheias und seines Hinterlands belebten die Gestalten des Mythos; er wurde so zu einem klar bestimmbaren Ort in der kulturellen Landschaft der Oikumene .30 Die Mosaiken symbolisierten Status, und das gleich doppelt: Sie verankerten Antiocheia in der altehrwürdigen Tradition der griechischen Welt und verwiesen auf die dynastische Gründung durch die Seleukiden; und sie waren Botschafter der griechischen Bildung, παιδεία, des Hausherrn . Die römische Gegenwart scheint in diesem Koordinatensystem keinen Platz gehabt zu haben . Und doch ist sie präsent . Das Kalender-Mosaik im Empfangssaal des ›Hauses des Kalenders‹ beginnt, in seinem Januar-Segment, mit der Amtseinführung der Konsuln . Römischer als der reichsweit, von Britannien bis Ägypten, gültige Kalender konnte ein Motiv kaum sein . Die Grenze zwischen den durch griechische παιδεία und römische Macht konstituierten Sinnwelten ließ sich, für die lokalen Eliten, offensichtlich leicht überschreiten . Mit anderen Worten: Man war ebenso Römer wie Grieche und hatte kein Problem damit . Die eigentlich ›Anderen‹ waren ohnehin nicht die Römer . Hatte der Eintretende im Empfangssaal Platz genommen, fiel sein Blick auf eine Figur, die außerhalb der durch den Kalender abgegrenzten Ordnung, und damit außerhalb der Oikumene, stand: einen dunkelhäutigen Fischer mit überdimensionalem Phallus . Der Fischer ist sozusagen ein auf die unterste Stufe der sozialen Hierarchie transponierter Kaiser Elagabal . Außerhalb der Ordnung stand der Barbar, und die Barbarei begann für den auf seine παιδεία so stolzen Antiochener im ersten aramäischsprachigen Dorf jenseits der Stadtgrenzen .31

30 Die Aufladung des Raums mit Sinn, die Transformation von space in place behandelt einprägsam Tuan 2002 . 31 Hales 2003, 184f . Grandios illustriert die kulturelle Barriere, die zwischen der Orontesmetropole Antiocheia und ihrem unmittelbaren Hinterland bestand, auch die Sottise des Satirikers (Iuv . 3,61–63): iam pridem Syrus in Tiberim defluxit Orontes, stellt der Dichter fest und beklagt larmoyant, wie »griechisch«, Rom, die Urbs, längst sei . Doch wie viele dieser faex seien eigentlich Griechen, fragt Juvenal weiter . Juvenals »Orontes« ist offensichtlich nicht der Fluss, der durch Antiocheia fließt, sondern sein kulturell ganz anders geprägter Oberlauf .

118 · V. KulturEllE IdEntItätEn

Gebaute Umwelt Ein anderes Medium, in dem sich Grenzgängertum und sein kreativer Umgang mit den Traditionen besonders dauerhaft visuell Ausdruck verschafften, ist die gebaute Umwelt des Menschen, Architektur . In ihr sind Erfahrungen, Deutungsmuster und Normen einer Gesellschaft gleichsam zu Stein verdichtet . Architektur ist, wie alle Zeichen und Zeichensysteme, auf Funktionen hin ausgelegt, die teils unmittelbar aus ihr ersichtlich, an ihr erleb- und erfahrbar sind (und entsprechend denotiert werden), teils erst mit einschlägiger kultureller Kompetenz, einem Code, les- und verstehbar (und somit konnotiert) werden .32 Die Doppelfunktion von Architektur bemisst sich an ihrem Gebrauchswert als bewohn- und begehbare, schützende, eingrenzende und umhegende künstliche Umwelt einer-, ihrem Symbolwert als mit unzähligen Konnotaten belegter Teil der Sinnwelt andererseits . Gebäude erhalten über ihre bloße utilitas hinaus einen kulturell unterlegten Sinn: Sie sind Kommunikationsmittel par excellence – persuasiv, psychagogisch, subtil und uneindeutig .33 Architektonische Ordnungen – vom Baudekor bis zum Stadtplan – sind niemals Produkte schieren Zufalls; sie sind in ein Geflecht aus denotativen und konnotativen Funktionen eingelassen und mithin einer historisch-analytischen Betrachtung zugänglich .34 Architektur als Zeichensystem weist gegenüber anderen ähnlichen Systemen, vor allem der Sprache, eine Reihe von Besonderheiten auf: Sie ist auf Dauer angelegt, monumental und an den Raum gebunden . Wie kein anderes Zeichensystem verkörpert sie – steingewordene – longue durée . Sie ist, darin Texten durchaus ähnlich, grundsätzlich offen für verschiedene Modi der Interpretation, ist auf unterschiedliche Weise mit Inhalt zu füllen . Gerade die »Mißverständnisse aus der Distanz«, zeitlich wie räumlich, sind bei ihr buchstäblich im Bauplan angelegt und von immenser kulturgeschichtlicher Relevanz .35 Die Stellung von Architektur im Koordinatensystem von Raum und Zeit ist dabei ambivalent: So wie sie, als konkretes Monument, Raum und Zeit verhaftet ist, sind ihre Elemente 32 Zum kulturellen Code in der bildenden Kunst: Bourdieu 1974, 159–201; Gombrich/Gombrich 1986, besonders 19–47; Mukařovský 1986; Eco 1988 . 33 Ebd ., 332f . Der ›Benutzer‹ von Architektur muss sich der sanften Gewalt des Architekten fügen, der Räume gestaltet und Benutzungsmöglichkeiten vorgibt . Die Wirkung ist subtil, weil Architektur im Allgemeinen als gegeben angesehen und ohne größere Aufmerksamkeit wahrgenommen wird . Sie ist uneindeutig, denn »die Botschaft der Architektur kann sich mit falschen Signifikaten füllen, ohne daß der Empfänger merkt, daß er damit Verrat übt .« Ebd ., 333 . 34 Preziosi 1979a, besonders 12: »The built environment – the architectonic system – is the instrumentality par excellence among the set of activities constituiting the ›tool kit‹ of homo sapiens . There is nothing elsewhere in the animal world to compare with this system of communication, representation and expression in power, subtlety, flexibility, and comprehensiveness .« Vgl . auch Norberg-Schulz 1974; Rapoport 1976; Preziosi 1979b . Mukařovský 1989, 109–128, besonders 116f ., verweist mit Nachdruck auf die nicht-utilitären Funktionen von Bauwerken und die Abhängigkeit der Architektur vom »Kanon« . 35 Eco 1988, 15 .

Ge�aute Umwelt · 119 als Zeichen über alle zeitlichen und räumlichen Grenzen hinweg nahezu beliebig kopier-, adaptier-, kombinier- und integrierbar .36 Die prinzipielle Offenheit, Uneindeutigkeit und Interpretierbarkeit der Architektur macht das Phänomen der Grenzüberschreitung besonders virulent . Was für alle Kunst gilt, gilt für die Architektur erst recht: »Die Fähigkeit des Sehens bemißt sich am Wissen .«37 Was also, wenn architektonische Form- und Stilelemente von einer kulturellen Formation in die andere gleiten, dort mit neuem Sinn aufgeladen werden und eine neue Semantik erhalten? Wenn, um den Preis des authentischen Sinns, eine kulturelle Kluft überwunden wird? Die Rolle von Architektur an der Schnittstelle zwischen Großen und Kleinen Traditionen muss neu überdacht werden: Die Übernahme eines architektonischen Stils, und sei sie noch so vollständig, besagt für sich genommen nicht viel . Wer garantiert, dass die Rezipienten den gleichen semantischen Maßstab anlegten wie jene, von denen sie übernahmen? Die römische Architektur der Orientprovinzen, im strengen Sinne also Syriens, Palästinas, Arabiens und Mesopotamiens, ist auf den ersten Blick die stilreine Umsetzung vitruvischer Normen in fremder Umwelt . Auf den zweiten Blick ist sie ein in seiner Komplexität verwirrendes Konglomerat heterogener Elemente, die zusammengefügt wurden, obwohl sie eigentlich nicht zueinander passen wollen, dazu so zweckentfremdet, dass ein Gebäude, dem jeder Mittelmeerbewohner ohne Zögern die Funktion ›Tempel‹ zugeschrieben hätte, in Palmyra als Grab dienen konnte . Kaum anders steht es um viele Bauten, die wir spontan als Theater oder Thermen identifizieren: Ob in den Theatern von Palmyra oder Bostra jemals Aufführungen im klassischen Sinne stattfanden, entzieht sich schlicht unserer Kenntnis; ob der Besuch von Thermen in den Städten Syriens ein Äquivalent zur römischen Badekultur war, ist unbekannt . Warum also eigneten sich die Bauherren eine Architektur an, deren Funktionen in ihrer eigenen Lebenswelt zumindest nicht primär nachgefragt wurden? Was wir heute als klassische antike Architektur zu sehen gewohnt sind, ist bereits Produkt einer Unzahl von Übernahmen, Anleihen, Transformationen und Modifikationen . Die griechisch-römische Architektur der Kaiserzeit bewahrt unverkennbar Traditionen, die weit in die griechische Vergangenheit zurückweisen . Aber wie weit und wohin genau? Bereits die Architektur des Hellenismus war, zumal im Osten, ein Konglomerat aus griechischen und nichtgriechischen Einflüssen .38 Und gerade die Urbanistik und Architektur der griechischen Klassik war vielfältig von – nicht zuletzt aus Vorderasien – importierten Traditionen durchdrungen .39 Andererseits: So sehr römische Architekten den von 36 37 38 39

Ebd ., 312–314; Bourdieu 1974, 174 . Bourdieu 1991, 19 . Lauter 1986, 285, bemerkt, dass »das Griechische deutlich und je länger, je mehr ins Hintertreffen gerät .« Vgl . etwa zum hippodamischen Stadtplan und seiner möglichen Beeinflussung durch die Urbanistik persischer Königsstädte Ball 2000, 249–255 . Ball verweist mit Recht darauf, dass zwischen Mittelmeer und Iran von jeher geplante, rasterförmige Stadtpläne neben solchen existierten, die auf den ersten Blick keinerlei Planung erkennen lassen . Dazu Heinz 1997, mit zahlreichen Beispielen . Zur politischen Semantik der hippodamischen Urbanistik Gehrke 1989a .

120 · V. KulturEllE IdEntItätEn den Griechen übernommenen Formenschatz Schicht für Schicht anderen Bedürfnissen, Techniken und Baumaterialien anpassten, so sehr bewahrte der Code doch stets seine unverwechselbare Eigenheit . Und doch entstand mit dem Imperium in erstaunlicher Geschwindigkeit eine in ihrem ›Vokabular‹, von Iberien bis Mesopotamien, betörend einheitliche Architektursprache, die es fast unmöglich macht, die Herkunft dieser oder jener Tradition sicher zu benennen .40 Römische Architektur ordnete konsequent, fast schon brachial, jedes Detail dem Ganzen unter . Das klassizistische Vokabular, das sich mit dem Imperium im gesamten Mittelmeerraum ausbreitete, erlaubte keine Extravaganzen: Jedes Ornament hatte dem Gesamteindruck des Gebäudes zu dienen, jedes Gebäude sich den Erfordernissen von Funktion und urbanistischem Gesamtzusammenhang zu beugen . So entstanden, über das gesamte Reich verteilt, Städte, die einander glichen wie ein Haar dem anderen, mit Gebäuden, die wie Module ihre Funktion im urbanen Kontext erfüllten . Roms imperiale Architektur zielte nicht auf Originalität, sondern auf Funktionalität ab, vor allem aber darauf, dass die Städte stilistisch aufeinander bezogen waren und visuell wie symbolisch ein kohärentes Erscheinungsbild darboten .41 Damit schuf Rom in eklektischer Manier eine Architektursprache, die nicht nur in hohem Maße selbstreferentiell und kanonisch war, sondern in ihrer Funktionalität auch leicht adaptierbar . Hier lag der Grund für ihren phänomenalen Erfolg .42 Ein Aquädukt ist ein Aquädukt und konnte, war das technische Know-how einmal erlernt, auch von Personen gebaut werden, die sonst alles andere als ›romanisiert‹ waren . Architektur indes hat, wie gesagt, nicht nur einen Gebrauchs-, sondern auch einen Symbolwert . Gerade ihre Einheitlichkeit, ihre Konzentration auf einige wenige markante, kopier- und adaptierbare Formen machte imperiale Architektur im ganzen Reich, für praktisch alle Reichsbewohner, zu einem Symbol für dieses Imperium, für seine Eliten und für die Werte und das Prestige, für die es stand . Die Adaption imperialer Architektur durch lokale Gruppen, im Normalfall Eliten, war daher mehr als die bloße Aneignung von Techniken und Funktionen . Sie signalisierte, dass sich die Bauherren mit dem Imperium identifizierten und einen Teil ihres Prestiges als Elite davon ableiteten, dass sie den imperialen Stil beherrschten .43 Imperiale Architektur avancierte überall im Reich zum Standessymbol selbstbewusster lokaler Eliten . Besonders im hellenisierten Osten, mit seiner hochgradig kompetitiven Ethik, wurde sie zum Gegenstand forcierten Wettbewerbs, in wie zwischen den Poleis . Städte wetteiferten um das größte Theater, das prachtvollste Caesareum, das raffinierteste Nymphaeum, so wie sie bei der Austragung von Wettkämpfen und mit klangvollen Titeln konkurrierten . Konkurrenz belebte aber auch innerhalb der Mauern das Geschäft: Unter den Auspizien reger Munifizenztätigkeit der städtischen Oberschichten waren Bauwerke 40 41 42 43

Segal 2003, 32 . MacDonald 1986, 250f .; Owens 1991, 121–148 Ebd ., 252–255 . Über Architektur als subtiles Mittel von Macht: Sommer 2002, 517f .; Sommer 2008a .

Ge�aute Umwelt · 121 Wahrzeichen, die den Status und das Römischsein des jeweiligen Euergeten repräsentierten . Nichts anderes gilt für Grabbauten, die Wohlstand, Macht und Geschmack ganzer Familienclans ein Denkmal setzten . Bemerkenswert ist deshalb jede Abweichung vom Kanon im Detail, suggeriert sie doch, dass angestrebt wurde, den Eindruck perfekter Form zu erwecken, ohne damit die von der Form eigentlich codierten Inhalte zu übernehmen . Das ist augenfällig bei den palmyrenischen Tempelgräbern . Natürlich ging es den Grabherren nicht darum, ihre letzten Ruhestätten zu Sakralbauten zu machen . Sie nutzten aber die Möglichkeiten zur Selbstdarstellung, die Tempelfassaden mit ihrem reichen Baudekor boten, und bedienten sich so eines Zeichens, das von jedermann gelesen werden konnte . Gebäude, die wirklich eine sakrale Bestimmung hatten, fallen durch ihr unverwechselbar regionales Erscheinungsbild auf: Die Tempel Syriens und Mesopotamiens umgab fast immer ein ausgedehnter Temenos, oft eingerahmt von Portiken und zu betreten durch monumentale Propyläen . Die Tempel selbst spiegeln äußerlich den imperialen Formenschatz sakraler Architektur wider, als Peripteroi, Prostyloi, Prostyloi in antis . Auf den zweiten Blick enthüllen sie aber Besonderheiten, die so gar nicht in das klassische Schema passen wollen . Die Tempel, oft flankiert von Ecktürmen, haben vielfach begehbare, über Wendeltreppen erreichbare Flachdächer, sind häufig von Zinnen bekrönt und haben immer gegenüber der Cella erhöhte und über Treppen erreichbare Adyta .44 Dass diese eigentümliche Bauweise, die oft mit der Lage auf einer Anhöhe korrespondiert, die mesopotamische Tradition von Kultorten als ›hohen Plätzen‹ spiegeln könnte, wie sie die Ziqqurat sinnfällig verkörpert, ist ein interessantes Gedankenexperiment, aber letztlich kaum zu beweisen .45 Unleugbar dienten die Tempel funktional einem Ritus, der sich in wesentlichen Aspekten von den Kulten der griechisch-römischen Welt unterschied . Zu denken geben auch solche architektonischen Strukturen, die zwar unzweideutig die imperiale Formensprache zitieren, aber kein Gegenstück im römischen Westen haben, an erster Stelle die Kolonnadenstraßen, die das Stadtbild praktisch aller größeren Städte des römischen Vorderasien, einschließlich des südlichen Kleinasien, prägen . Ihre Länge variiert zwischen wenigen hundert Metern (Petra, Hippos) und mehr als 2 Kilometern (Antiocheia, Apameia) .46 In der Regel sind die öffentlichen Gebäude auf die Säulenstraße hin ausgerichtet, die so zum Fluchtpunkt des urbanen Raums wird . Ausnahme ist Palmyra, wo die Kolonnade wie eine Schneise durch den älteren Stadtkern geschlagen wurde, was für sich genommen schon signifikant ist . Bauweise und Stil sind fast überall identisch: Säulen mit korinthischen Kapitellen krönt ein Architrav, der wiederum eine 44 Am eindrucksvollsten repräsentiert im Bēl-Tempel von Palmyra . Demselben Schema folgen aber auch alle größeren Tempel der Biqāʿ-Randgebirge und des Hauran . 45 So aber Ball 2000, 344–356 . 46 Instruktiv das Schaubild in Butcher 2003, 105 (Abb . 130), mit einem Längenvergleich der wichtigsten Kolonnadenstraßen . Weiterführend Segal 1997 und vor allem die ausführliche Studie von Tabaczek 2002, besonders 250–262 .

122 · V. KulturEllE IdEntItätEn Überdachung trägt, die den darunter liegenden Bürgersteig überschattet . Kolonnaden wurden selten aus einem Guss errichtet . Oft bestehen sie aus mehreren Bauabschnitten, die in Stil und Ausführung nicht einheitlich sein müssen . Verlängerungen und Umbauten sind auch Ausdruck des Wettbewerbs zwischen den Städten, in dem Länge, Breite und Monumentalität der Kolonnadenstraßen offenbar eine wichtige Rolle spielten . Über die Ursprünge der Säulenstraßen lässt sich wieder trefflich spekulieren . Sind sie tatsächlich das Derivat altorientalischer Prozessionsstraßen?47 Oder vielleicht doch Bazare, Sūqs?48 Mehr verspricht ein Nachdenken über ihre Funktion im Stadtbild . Kolonnadenstraßen strukturieren nicht nur den öffentlichen Raum, sie erzwingen geradezu die Öffentlichkeit der Straße . Die Straße ist ein Ort der Rivalität zwischen öffentlichen und privaten Interessen um Kontrolle und Dominanz . Die Kolonnade drängt privaten Raum von der Straße zurück und zwingt private Bauten, ihr ein einheitliches Gesicht zuzuwenden .49 Ist dem so, dann ist ihr Auftreten in Roms Orientprovinzen womöglich kein Zufall: Dort wo öffentlicher Raum im urbanen Gesamtkonzept keine Tradition hatte, wo er folglich stets prekär war, hatten kommunale Autoritäten ein vitales Interesse daran, ihn mit architektonischen Mitteln unmissverständlich zu markieren und so regelrecht zu erzwingen . Gewiss verselbständigte sich die Kolonnadenstraße als städtebaulicher Entwurf im Handumdrehen . Sie wurde kanonisch und brachte ihre eigene Formensprache hervor, in Palmyra etwa mit einem monumentalen, römischen Triumphbögen nachempfundenen Bogen und dem Tetrapylon als überwölbendem Kreuzungspunkt im Einmündungsbereich von Querstraßen . Dass dieses Vokabular sich seinerseits verselbständigte, aus dem Kontext der Kolonnade heraustrat und alsbald neue Funktionen erhielt (wie das Tetrapylon im nordsyrischen Dana, das ein Grab markierte), kann, angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, Bedeutung zu konnotieren, kaum noch überraschen .50 War die vermeintlich griechisch-römische Architektur im römischen Orient also bloß »imperialer Firnis« auf einer im Stillen übermächtigen lokalen Tradition?51 Alle Indizien sprechen gegen diese Behauptung, so verführerisch sie – vor dem Hintergrund postkolonialer Geschichtsbetrachtung – auch klingen mag . Die These geht von fundamental falschen Voraussetzungen aus . Sie ignoriert, dass – obwohl Architektur immer und überall ein in höchstem Maße datensetzendes Machtmittel ist – die Initiative hier nicht von Rom, sondern von lokalen Eliten ausging . Sie wollten, indem sie in imperialem Stil bauten, ihr 47 Wie Ball 2000, 256–261, vorschlägt . 48 So etwa Will 1992, 127f .; Tabaczek 2002, 255–261, macht plausibel, dass sich unterschiedliche – politische, kultische, wirtschaftliche und städtebauliche – Funktionen nicht gegenseitig ausschließen mussten . 49 Butcher 2003, 247, treffend: »[…] rather than functioning merely as an extended economic zone of shops and markets, the colonnaded street also becomes a medium for ceremonial assertions of power by a highly coordinated social hierarchy . It is one extreme version of the public strategy overcoming private ones .« 50 Ball 2000, 277 (Abb . 284) . Interessant ist die Rückwirkung auch auf den Westen: Das Tetrapylon gelangte unter M . Aurelius nach Oea und in severischer Zeit nach Lepcis Magna, beide in Nordafrika; ein Tetrapylon ist auch der Galeriusbogen in Thessaloniki (ebd .) . 51 So am deutlichsten ebd ., 246–396 (» imperial veneer«) .

Spr ache · 123 Römischsein und ihre Zugehörigkeit zum exklusiven Club all jener, die das ästhetische Empfinden einer Avantgarde teilten, unter Beweis stellen . Damit erfüllten sie kein wie auch immer geartetes imperiales Programm der Romanisierung, sondern dienten eigenen Interessen, vor deren Karren sie das Entliehene spannten . Wenn also hinter fast jedem korinthischen Kapitell, jeder Säulenreihe lokale Kleine Traditionen hervorscheinen, wenn der Sinn einer architektonischen Struktur sich dem ›klassisch‹ geschulten Blick verschließt, liegt das nicht daran, dass Adaption nur an der Oberfläche wirksam war . Im Gegenteil: Der Einfluss Roms veränderte die Sehgewohnheiten fast überall in den Orientprovinzen . Und nicht nur sie: Es waren andere, in ihrer inneren Struktur von Grund auf rekonfigurierte – oder, wie in Palmyra, wie in Hatra, regelrecht ›neue‹, gleichsam aus dem Nichts auftauchende – Gesellschaften, die sich das kulturelle Angebot des Imperiums zu eigen machten und durch die Adaption wiederum zu anderen wurden . Schließlich waren es nicht, oder doch nicht ausschließlich, politische Grenzen, die über Adaption und Nichtadaption entschieden, im Bereich der Architektur ebenso wenig wie bei anderen visuellen Ausdrucksformen . In Hatra griff man, lange bevor römische Herrschaft die östliche Ǧazīra erreichte, den imperialen Formenschatz auf, als man den – nicht völlig zu Unrecht so genannten – ›hellenistischen‹ Tempel baute – und auch viele andere, auf den ersten Blick ›orientalischere‹ Heiligtümer . Darüber, dass man sich der Bedeutung des benutzten architektonischen Vokabulars bewusst war, kann kein Zweifel bestehen .52 Das gilt, mutatis mutandis, auch für jene Bewohner der Arabia Felix, die es, weit jenseits der römischen Grenzen, für angemessen hielten, sich auf ihren Grabmonumenten als römische togati darstellen zu lassen .53 Die kulturelle Strahlkraft des Imperiums reichte offenkundig weiter als sein politischer Arm . Umgekehrt erfasste sie nicht alles, was innerhalb von Roms Grenzen lag . So bauten die Bewohner von Dura-Europos nach der römischen Machtübernahme unverdrossen so weiter, wie sie seit Generationen gebaut hatten: Hofhäuser in Lehmziegelbauweise, deren Tradition weit ins vorhellenistische Mesopotamien zurückreicht . Die Stadt gewann nichts von ihrem ursprünglichen, hellenistischen Erscheinungsbild zurück – eine absolute Ausnahme im architektonischen Befund des römischen Orients, die fraglos der Erklärung bedarf .54

Sprache Natürlich reflektieren und bestimmen nicht nur visuelle Codes unsere Sicht von den Dingen . Viele der Paradigmen trendig gewandeter Kulturwissenschaften stammen ursprünglich aus der Linguistik, und tatsächlich sind Sprache, Sprachkontakt und Sprachwandel her52 Womöglich griff man sogar auf Architekten und Handwerker aus dem römischen Syrien zurück . 53 Avanzini 2004, 557 . 54 Zu erklären jedenfalls nicht durch die angebliche Drittrangigkeit Duras als urbaner Siedlung . Die äußerst innovativen Bildwerke sprechen in dieser Hinsicht eine klare Sprache: Siehe unten, S . 335 .

124 · V. KulturEllE IdEntItätEn vorragend geeignet, um Prozesse von gesamtgesellschaftlicher Tragweite zu illustrieren . Sprachgruppen sind heute als Kerne des modernen Nationalstaats Kristallisationspunkte nationaler Identität . Wir projizieren diese Bedeutung gerne auf vormoderne Gesellschaften zurück, obwohl in multiethnischen Imperien die Dinge meist komplexer lagen: Imperiale Eliten hoben sich fast immer ethnisch und sprachlich vom Rest ab, ihre Sprache aber strahlte bis an die Peripherie aus – so auch im römischen Imperium, wo die Spannung zwischen lateinischem Westen und griechischem Osten noch komplizierend hinzukam, mit Griechisch als faktisch zweiter imperialer Lingua franca . Wie in anderen Großreichen hielten sich aber auch in Rom neben und unter der jeweiligen Lingua franca indigene Sprachen, wie marginalisiert auch immer . Wie gingen die Zeitgenossen mit dem Sprachenpluralismus um? Wie schlug sich die Sprachgeographie Vorderasiens in der materiellen Kultur nieder? Und vor allem: Welche Zusammenhänge bestanden an der imperialen Peripherie zwischen Sprache und Identität? 55 Sprache war auch in den multiethnischen Imperien der Antike ein Distinktionskriterium ersten Ranges . Ihr Gebrauch qualifizierte soziale wie ethnische Gruppen, und sie war, man denke nur an das klassische Gegensatzpaar Griechen-Barbaren, ein zentraler Faktor bei der Konstruktion von Kollektividentitäten und, mehr noch, -alteritäten . Indes werfen die erhaltenen Sprachzeugnisse, je nachdem, in welchem Kontext sie stehen, ihre eigenen, teilweise nur schwer zu überwindenden Erkenntnisprobleme auf . Der Aussagewert von Sprachdokumenten geht gegen Null, wenn, was zu erwarten ist, die imperiale Lingua franca im Sprachzusammenhang offizieller Kommunikation Verwendung findet . Ohnehin ist es meist unmöglich, in die tieferen Schichten der Alltagssprache vorzudringen . Von privater Kommunikation und alltäglichem Sprachgebrauch künden allenfalls verstreute Hinweise in literarischen Zeugnissen, im epigraphischen Fundgut und – noch am ehesten, weil jeder Monumentalität am unverdächtigsten – in Graffiti . Sprache allein ist daher in den seltensten Fällen ein hinreichendes Kriterium, um Aussagen über ethnische und kulturelle Identitäten antiker Akteure zu treffen . Generell sind Imperien Räume nahezu allgegenwärtigen Sprachkontakts, mit offenem Resultat . Wo immer sich Elemente unterschiedlicher Sprachen überlagern, sind den Möglichkeiten für Sprachentwicklung praktisch keine Grenzen gesetzt .56 Übernahmen und Mischungen sind eher die Regel als die Ausnahme und können im Extremfall in die Bildung neuer Sprachen, von Pidgin- und Kreolformen, münden . Gemessen an politischen Kategorien nimmt Sprachentwicklung oft einen unerwarteten Verlauf, wenn nämlich 55 Zum Verhältnis zwischen Sprache und (ethnischer) Identität Fishman 1977, 25: »[…] it becomes clearer why language is more likely than most symbols of ethnicity to become the symbol of ethnicity . Language is the recorder of paternity, the expresser of patrimony and the carrier of phenomenology . Any vehicle carrying such precious freight must come to be viewed as equally precious, as part of the freight, indeed, as precious in and of itself . The link between language and ethnicity is thus one of sanctity-by-association .« Die Dialektik des Verhältnisses zwischen Identität und Sprache, die Grenzen überwindet und schafft, hat anschaulich Raible 1999, 468f ., herausgearbeitet . 56 Dazu als gedankenreiche, breit angelegte Untersuchung Ostler 2010 .

Spr ache · 125 etwa eine imperiale Lingua franca sich auf lange Sicht nicht durchzusetzen vermag, sondern stattdessen lokalen Sprachen und Dialektformen weicht .57 Das Problem des Sprachkontakts veranschaulicht exemplarisch alle Aspekte der Akkulturation in Imperien und des Spannungsfeldes zwischen Großen und Kleinen Traditionen . Deutlich wird, warum Milieus, in denen keine Einheitlichkeit herrscht, so viel Stoff hergeben für die historische Rekonstruktion kultureller Identitäten . Sprachliche Heterogenität ist in Imperien die Regel: Das ›Reichsvolk‹ spricht eine andere Sprache als die Gruppen an der Peripherie, und die wiederum gehören einer Fülle von Sprachgruppen an . Die Sprache des ›Reichsvolkes‹ erhält, schon weil ein für alle Funktionsträger verbindliches Kommunikationsmittel zur Administration unverzichtbar ist, den Rang einer Lingua franca . Für periphere Gruppen und Individuen, die in die Chargen der ›Reichseliten‹ aufsteigen möchten, ist das Erlernen der Lingua franca stets unerlässlich . So entstehen biund multilinguale Strukturen, die aber in aller Regel asymmetrisch sind: Während die Angehörigen des ›Reichsvolkes‹ monolingual bleiben, richtet sich in der mehrsprachigen Peripherie der Gebrauch einer Sprache nach dem situativen Kontext . Man bezeichnet diese Form der Mehrsprachigkeit als Diglossie bzw . funktional differenzierten Bilingismus . Im offiziellen Verkehr wird auf die Lingua franca zurückgegriffen, während in der Domäne privater Kommunikation lokale Sprachen ihre Bedeutung behalten .58 Der Gebrauch von Sprachen richtet sich aber nicht ausschließlich nach funktionalen Erfordernissen . Entscheidend ist auch die Einstellung der Sprecher zu den verwendeten Sprachen, die sich nach ihrer ethnisch-regionalen sowie sozialen Herkunft richtet und nach dem Prestigewert, der einer Sprache (oder Sprachvariante) beigemessen wird . In bi- und multilingualen Gesellschaften kristallisieren sich gewöhnlich früher oder später Hochsprachen (H­varieties) und Dialekte (L­varieties) heraus, gleichsam als linguistische Äquivalente zu Großen und Kleinen Traditionen . Die Prestigeskalen müssen, um das Bild noch komplizierter zu machen, nicht bei allen Gruppen gleichgerichtet sein; sie können, je nach ethnischer Herkunft und sozialem Status der Sprecher, stark voneinander abweichen . So kann eine Sprache, die reichsweit oder bei statushohen Gruppen kaum Ansehen (overt prestige) genießt, bei bestimmten anderen Gruppen an der Peripherie oder am unteren Ende der sozialen Rangskala durchaus ein ›verdecktes‹ (covert) Prestige besitzen .59 Beide Faktoren – Funktion und Prestige – entscheiden in Kombination über das Schicksal peripherer Sprachen in der Konkurrenzsituation des Sprachkontakts . Verliert die Sprache jegliches Prestige und wird sie auch in der privaten Kommunikation dysfunktional, so wird sie immer weiter marginalisiert, bis der Sprachtod eintritt oder sie als 57 Mehl 1998, 215, erläutert am Beispiel zweier Sprachen, zu denen eine dritte tritt, die »sich gegenüber den beiden vorhandenen in annäherndem Gleichgewicht miteinander befindlichen Sprachen durchsetzen [mag] und […] dies mit einiger Wahrscheinlichkeit auch tun [wird] .« 58 Am Beispiel des Englischen ausführlich bei Hansen/Carls/Lucko 1996, 17–20 . 59 Ebd ., 20f .: »Das höchste ›covert prestige‹ genießt oft die Muttersprache der Sprecher (auch wenn sie offiziell nicht anerkannt ist) und hier die Sprachvariante, die sie von Hause aus verwenden und die sie mit ihrer Gruppe verbindet sowie gegenüber anderen Gruppen abgrenzt .«

126 · V. KulturEllE IdEntItätEn bloßer, sozial deklassierter und seine Sprecher deklassierender Dialekt in ein Verhältnis der Unterordnung zur dominierenden Lingua franca tritt . Verfügt die Sprache indes über ein kritisches Potential an covert prestige, so kann sie, ihrer Verbannung aus der offiziellen Kommunikation zum Trotz, die private Domäne meist unangefochten behaupten . Sie kann sogar, wie das Katalanische in Nordostspanien, zum Rückgrat einer gestärkten regionalen Identität werden und im Konflikt mit der Lingua franca gleichsam zum Gegenschlag ausholen . Im Extremfall wird sie dann auch die Domäne offizieller Kommunikation zurückerobern und möglicherweise ihrerseits, die alte Lingua franca ablösend oder verdrängend, zur neuen Amts- und Verkehrssprache werden .60 Ein Musterbeispiel für die zwischen H­ und L­variety hin- und heroszillierende Funktion einer Sprache ist Aramäisch, das westsemitische Idiom von Bevölkerungsgruppen, die in der Levante der Eisenzeit zur Sesshaftigkeit übergingen und Staaten bildeten . Die Westexpansion des Neuassyrischen Reiches ab dem 8 . Jahrhundert v . Chr ., mit systematischen Massendeportationen ganzer Ethnien, wurde zur Geburtsstunde einer über ganz Vorderasien verstreuten aramäischen Diaspora . Von der Sprache einer unterworfenen, in der Zerstreuung lebenden Minderheit stieg Aramäisch allmählich zur Verkehrssprache im gesamten Raum zwischen Ägypten und der Persis auf . Höhepunkt dieser einzigartigen linguistischen Erfolgsgeschichte wurde das Reich der Achaimeniden, die als neue Herren Vorderasiens im 6 . Jahrhundert v . Chr . nicht ihr angestammtes iranisches Idiom, sondern Aramäisch zur offiziellen Reichs- und Kanzleisprache bestimmten, wenn auch die Königsinschriften noch immer in den prestigereicheren Sprachen Altpersisch, Elamisch und Babylonisch abgefasst wurden .61 Die neue Funktion erzwang, bereits ab ca . 700 v . Chr ., die Standardisierung des bis dahin in zahlreiche Dialektvarianten aufgespaltenen Aramäischen . Das ›offizielle‹ Aramäisch setzte sich als H­variety und Schriftsprache durch und marginalisierte die lokalen Formen als L­varieties . In seleukidischer Zeit ersetzte dann Griechisch in offiziellen Texten und im Bannkreis der Städteneugründungen das Aramäische, das sich aber als Umgangs- und Verkehrssprache in weiten Teilen des Reiches, so in ganz Babylonien, hielt .62 Griechisch drang indes flächendeckend vor . Ein Überblick über die Papyrologie der römischen Orientprovinzen zeigt, dass in der Kaiserzeit in keiner Teilregion, auch nicht auf dem flachen Land, Griechisch gänzlich unbekannt war .63 Vor allem lokale Eliten lernten nun allenthalben Griechisch – in Form der dem Attischen entlehnten und von den hellenistischen Monarchien als Amts- und Verkehrssprache genutzten, gleichwohl in stetem Wandel befindlichen Koine64 – und nahmen griechische Namen an; Aramäisch verlor entsprechend, sukzessive auf die lokalen L­varieties reduziert, seinen Status als Standard-Schriftsprache 60 61 62 63 64

Ebd ., 62–66 . Wiesehöfer 1993, 27–31 . Sherwin-White/Kuhrt 1993, 149 . Den Nachweis führen, in einem nach Regionen gegliederten Survey, Cotton et al . 1995 . Mehl 1998, 199 .

Spr ache · 127 wieder, beeinflusste aber örtlich, durch anhaltenden Sprachkontakt, die Ausformung des Koine-Griechischen – Beleg genug dafür, dass das Aramäische als gesprochene Sprache fortlebte .65 Vermutlich verliefen auch im hier hauptsächlich behandelten Zeitraum vom 1 . bis zum 3 . Jahrhundert n . Chr . in weiten Teilen Syriens die Sprachgrenzen ähnlich wie in der Spätantike: Die virtuelle ›Demarkationslinie‹ zwischen Griechisch und Aramäisch trennte hauptsächlich die Polis von ihrer χώρα, wobei die Unterschichten, vielleicht sogar die Bevölkerungsmehrheit, von so ausgeprägt griechischen Städten wie Apameia und Antiocheia sich vermutlich des Aramäischen als Umgangssprache bedienten, ohne dass das im epigraphischen Befund weiter auffiele .66 So hielt sich Aramäisch, wenigstens als L­variety, in seinen verschiedenen Varianten flächendeckend . Im östlichen Syrien und in Mesopotamien, an der Steppengrenze, nahm die Sprachentwicklung jedoch einen anderen Verlauf: Mit der Etablierung neuer sesshafturbaner Zentren aus der Erbmasse des zerfallenden Seleukidenreichs ab dem 1 . Jahrhundert v . Chr . kamen hier, anders als im westlichen, stärker griechisch geprägten Syrien, die verschiedenen lokalen Dialekte abermals als – epigraphisch monumentalisierte – Schriftsprachen an die Oberfläche, mit eigenen, deutlich distinkten Schrift- und Dialektformen: Palmyrenisch in der Syrischen Wüste, Nabatäisch im heutigen Jordanien und Hatrenisch in der östlichen Ǧazīra sowie später Syrisch in Osrhoene, Mandäisch und das Aramäisch des Babylonischen Talmud im Osten, das samaritanische, jüdisch- und christlich-palästinische Aramäisch (sowie vermutlich einige nicht näher bekannte Dialektformen Nordsyriens) im Westen .67 In den Grenzbereichen zwischen den Dialektzonen ergaben sich folgerichtig Mischformen, in denen sich die Idiome gegenseitig kontaminierten . Eine Schriftform des Aramäischen stand aber keineswegs überall zur Verfügung, sondern lediglich dort, wo sich, wie im Nabatäerreich, in Palmyra und Hatra, urbane Zentren herausbildeten oder wo solche Zentren fortbestanden, wie in Edessa . Hier darf man eine entsprechende Infrastruktur voraussetzen, namentlich Lehrer und Schulen, die Bildung auf Basis des Aramäischen vermittelten .68 Sind die lokalen Sprachen erst einmal im Stadium der Schriftlichkeit angekommen, so verfügen sie in aller Regel über ein höheres Maß an Resistenz gegenüber der Lingua franca als schriftlose Sprachen . Schriftlichkeit kann aber auch als Fremdanleihe von der Großen Tradition des Imperiums oder von außerhalb übernommen werden . Verschriftlichung und die Benutzung als Literatursprache kann Sprachen revitalisieren, die sich bereits im Stadium der Marginalisierung befinden: Sie erhöhen das Sozialprestige der

65 Ebd ., 200 . 66 So Brock 1994, 150, unter Verweis auf Johannes Chrysostomos und Libanios: »[…] even in the polis […] Aramaic was clearly the normal language of the lower classes .« 67 Taylor 2003, 301f . 68 Ebd ., 303 .

128 · V. KulturEllE IdEntItätEn Sprache, ermöglichen großräumige Kommunikationsstrukturen und gestatten intentionale Traditionsbildung durch das Schreiben von Geschichte .69 Das Aramäische stieg mit seiner erneuten Etablierung als offizielle Schriftsprache, wenn auch langsam und zersplittert in Dialektvarianten, auf lokaler Ebene wieder zur H­variety auf . Eine lokale Ausprägung, das in Osrhoene gesprochene und verschriftlichte Syrische, brachte es erheblich weiter . Anders als die benachbarten Varianten, Palmyrenisch und Hatrenisch, aber so wie das weiter südlich gesprochene Nabatäische, überlebte das Syrische als gesprochene und geschriebene Sprache das Ende der autonomen lokalen Staatlichkeit . Es diente, wie ein Corpus von Pergamenten und Papyri vom mittleren Euphrat nahelegt, auf regionaler Ebene als Kommunikations- und Vertragssprache und erfreute sich wachsender Verbreitung, wie Inschriftenfunde aus Nordsyrien belegen .70 Der Durchbruch zu einer neuen, wenn auch nicht imperialen, vielleicht nicht einmal regionalen, sicher aber konfessionellen Lingua franca erfolgte, als im 3 . Jahrhundert n . Chr . der Religionsstifter Mani sich des Syrischen bediente und, etwa gleichzeitig, eine regelrechte Flut von Übersetzungen christlicher griechischer Literatur ins syrische Aramäisch einsetzte . Mit den Jüngern Manis, der sechs seiner insgesamt sieben Werke auf Syrisch schrieb, gelangte das Syrische bis nach China und Sibirien . Es behielt seine Bedeutung als christliche Literatursprache bis tief ins islamische Mittelalter hinein, stellenweise bis in die Moderne .71 Dennoch dauerte es wohl noch längere Zeit, bis sich das Syrische auch den ›öffentlichen Raum‹ der Städte Syriens und Mesopotamiens eroberte . Es blieb bis auf Weiteres auf Liturgie und Schrifttum der Kirchen beschränkt, während sich syrische Inschriften erst ab dem 4 . Jahrhundert langsam ausbreiteten . Noch später, nämlich aus dem frühen 6 . Jahrhundert, datieren die ersten Zeugnisse für eine arabische Schriftsprache in Nordsyrien und Obermesopotamien .72 Sprachliche Relikte, und seien sie noch so eindrucksvoll, sagen wenig über die kulturelle Identität ihrer Urheber aus, solange sie sich in der offiziellen Domäne imperialer Kommunikation bewegen und die Lingua franca Verwendung findet . Wenn die aus Syrien stammenden, auf Bereiche wie staatliche Institutionen, Fernhandel und Recht sich beziehenden epigraphischen Belege durchweg auf Griechisch verfasst sind, ist das grundsätzlich nicht überraschend, hatte sich die Sprache doch als offizielle Amts- und Verkehrssprache mit entsprechend hohem overt prestige seit seleukidischer Zeit fest etabliert . Bemerkenswert an sich ist das Eindringen des Griechischen in die Domäne des privaten Lebens . Nur ist dieser Bereich kaum klar einzugrenzen: Sind etwa Grabinschriften von Personen, die im öffentlichen Leben standen, noch der Sphäre des Privaten zuzurechnen? Eindeutig ist dagegen der umgekehrte Befund, wenn also offizielle Inschriften 69 Anderson 1996, 97f . Zur Bedeutung der durch Schriftlichkeit erinnerten Vergangenheit: Gehrke 2003b; Gehrke 2004 . Zur Medialität von intentionaler Geschichte allgemein jetzt Gehrke 2014, 28–36 . 70 Taylor 2003, 324 . 71 Ebd ., 324–330 . 72 Millar 1998b, 170; mit Verweis auf die epigraphischen Befunde auch Millar 1998c, 81f .

Spr ache · 129 oder Münzlegenden in einer lokalen Sprache abgefasst sind – die Ehrinschriften aus dem kaiserzeitlichen Palmyra lassen in dieser Beziehung an Aussagekraft nichts zu wünschen übrig . In diesem Fall ist von einer außerordentlich hohen Akzeptanz des Palmyrenischen auszugehen, die das normale covert prestige einer marginalen Sprache bei Weitem überstieg . In eine ähnliche Richtung weist die ungewöhnlich lange Verwendung phönikischer Legenden auf tyrischen Lokalprägungen (bis ca . 198 n . Chr .) .73 Die epigraphische Monumentalisierung des Aramäischen setzte in Palmyra um die Mitte des 1 . Jahrhunderts v . Chr . ein – der älteste Text datiert von 44 v . Chr . – und erlosch faktisch mit dem Ende von Palmyras ephemerer Großmachtstellung: Die jüngste erhaltene palmyrenische Inschrift stammt aus dem Jahr 279/280 n . Chr . Der epigraphische Befund sticht, jenseits der schieren Anzahl von Texten,74 schon deshalb vom Rest des römischen Vorderasien ab, weil eine bedeutende Anzahl der Texte (aramäisch-griechische) Bi- oder sogar (aramäisch-lateinisch-griechische) Trilinguen sind .75 Das Griechisch der Inschriften ist durchweg von guter Qualität, der literarischen Norm des 2 . und 3 . Jahrhunderts n . Chr . entsprechend . Die Verfasser der bilinguen Texte waren in beiden Sprachwelten gleichermaßen zu Hause . Die aramäischen Texte sind durchsetzt mit Lehnwörtern griechischer Herkunft, vor allem für den Bereich politischer Organisation .76 Die Terminologie der griechischen Polis ging so in die Institutionensprache der Oasenstadt ein, durch Transkription (bwlʾ = βουλή, ʾsṭrṭg = στρατηγός, grmṭws = γραμματεύς, sdq = σύνδικος usw .), Adaption (nhyrʾ – ›strahlend‹ für clarissimus/λαμπρότατος) oder Angleichung (Rückgriff auf eine im semitischen Sprachraum vorhandene Nomenklatur: špṭ – Sufet/›Richter‹ für duumvir im nordafrikanischen Lepcis Magna) .77 Es hieße jedoch, den Staatsrechtspositivismus auf die Spitze treiben, wollte man aus der bloßen Übernahme einer politischen Nomenklatur auf die detailgenaue Abbildung des politischen Systems schließen . Das Problem liegt gerade darin, dass wir in vielen Fällen überhaupt nicht über die Funktion und Bedeutung der Institutionen unterrichtet sind . Erst wenn wir wissen, was genau eine βουλή entschied, über welche Kompetenzen ein στρατηγός und ein γραμματεύς verfügten, erschließt sich uns die pragmatische Dimension der po73 Zum wenigstens halböffentlichen Charakter von Gräbern als »sepulkralem Grenzbereich« zwischen Diesund Jenseits Bonatz 2000, 89f . Wichtig sei, dass Grabdenkmäler im syrisch-palästinischen Raum – wie ja auch in Rom – traditionell in »öffentliche[n], potentiell einsehbare[n] Bereiche[n]« angelegt worden seien . Grabinschriften gehören demnach bereits der Domäne offizieller Kommunikation an . Mit ähnlicher Tendenz zu klassisch-antiken Grabdenkmälern Ricci 2001 . Hingegen hält Millar 1993, 529, bereits das Tragen ins Griechische übersetzter und dann palmyrenisch transkribierter römischer Amts- und Statusbezeichnungen (wie etwa: PAT 0286: hpqws rḥmh = ἵππευς ῥωμαῖος) für einen Ausdruck kultureller Identität . Zu den tyrischen Münzen Millar 1993, 289 . 74 Die jüngste, noch nicht einmal vollständige Sammlung umfasst allein 652 datierte palmyrenisch-aramäische Texte: Hillers/Cussini 1996 . 75 Auf die Einzigartigkeit des Bi- bzw . Trilingismus im epigraphischen Befund Palmyras hat zuerst Millar 1990, 42, aufmerksam gemacht; vgl . auch Millar 1993, 324; Yon 2002, 24 . Zu den lateinischen Texten ebd ., 24f . 76 Von insgesamt 46 Lehnwörtern 26, nach Cantineau 1935, 154–157; Taylor 2003, 318 . 77 Yon 2002, 28f .

130 · V. KulturEllE IdEntItätEn litischen Terminologie, ohne die jede Rekonstruktion eines Institutionengefüges blutleer bleiben muss .78 Dass den Palmyrenern letztlich die – auch politische – Sinnwelt der Griechen fremd war, wenn sie sich auch gut in ihr zurechtfanden, suggeriert der spezifische Bilingismus ihrer Inschriften . Anders als man vermuten könnte und mehrfach auch vermutet hat, entstanden die aramäische und die griechische Fassung der palmyrenischen Inschriften unabhängig voneinander – keine Fassung diente als Vorlage für die andere, aus der sie dann übersetzt worden wäre .79 In vielen Fällen, und zwar unabhängig von der Länge der Inschriften, schließen signifikante Abweichungen, die nicht auf Unachtsamkeiten oder Fehlern basieren können, schlichte Übersetzung, verbum e verbo, in die eine oder andere Richtung aus .80 Vielmehr bewegten sich die Verfasser offenbar in jedem der beiden (bzw ., im Fall der Trilinguen, drei) semantischen Systeme in einem für sie sicheren Fahrwasser .81 So liefert die aramäische Fassung zuweilen detaillierte Angaben über die Stammeszugehörigkeit der betreffenden Personen, welche die griechische Version verschweigt . Umgekehrt listet eine griechische Inschrift die römischen tria nomina eines Individuums namens Malʾ (Malēs) Agrippa akribisch auf, während die aramäische Fassung derselben Inschrift mehr Wert auf ausführliche Filiationsangaben legt .82 Die ›dynamische Äquivalenz‹ der beiden Fassungen belegt die Vertrautheit der Verfasser mit beiden Sprachen und den entsprechenden normativ-semantischen Systemen . Die Botschaften richteten sich gezielt an zwei Leserkreise: Aspekte, die auf der Werte- und Bedeutungsskala eines gedachten griechischsprachigen Publikums sehr weit oben rangierten, waren für einen aramäischsprachigen Adressatenkreis in den Augen der Verfasser kaum relevant – und umgekehrt . Es liegt

78 Zur Übertragung politischer Terminologien über Zeit und Raum Mehl 2000, 289: »Titel und Bezeichnungen können, vermutlich sogar sehr leicht, unter Verlust ihrer ursprünglichen Bedeutung in neue Verhältnisse übernommen werden .« Wie problematisch die kritiklose Ineinssetzung gleichnamiger Institutionen selbst in einem sprachlich homogenen Gebiet ist, zeigt allein ein Blick auf den deutschen Sprachraum: Ein deutscher Bundespräsident unterscheidet sich in seinen Vollmachten und seiner Stellung im instititionellen System grundlegend von seinem österreichischen Amtskollegen; beide sind nicht vergleichbar mit dem Schweizer Bundespräsidenten . Der Deutsche Bundesrat unterscheidet sich fundamental von der gleichnamigen Institution der Schweiz . Noch weit problematischer werden Vergleiche über Sprachgrenzen hinweg . Konkret zur Adaption des griechisch-römischen institutionellen Vokabulars durch semitische Sprachen Bertinelli Angeli 1970 . 79 Für den generellen Primat der aramäischen Fassung Cantineau 1935, 5; contra und für den Primat der griechischen Fassung: Teixidor 1981; Yon 2002, 36 . 80 Davis/Stuckenbruck 1992, 276; Taylor 2003, 323 . 81 Für eine genaue Stilanalyse der etwa 10 Prozent aller griechischen Inschriften ausmachenden griechischen Ehrendekrete Yon 2002, 13–16, mit dem – über einen Vergleich mit kleinasiatischen Entsprechungen geführten – Nachweis, dass das griechische Formular durchweg dem klassischen Modell entsprach, mit geringen lokalen Besonderheiten . Yon (ebd ., 23) verweist aber auch auf den stereotypen Charakter des Formulars . 82 Taylor 2003, 323 .

Religion: Ritual u nd Mythos · 131 nahe, in den aramäischsprachigen Adressaten einheimische, im griechischsprachigen Leserkreis auswärtige Personen zu vermuten .83 Das Palmyrenische bewahrte sich im lokalen Kontext seinen Platz als H­variety mit erheblichem, nach außen wahrnehmbarem Prestige .84 Der lokale Adressatenkreis dachte und handelte offenbar in Kategorien, die sich in wichtigen Punkten von denen reisender imperialer und also griechischsprachiger Oberschichtangehöriger unterschieden . Die Bilinguen sind, so gelesen, also gerade nicht Belegstücke für die tief reichende hellenistische Akkulturierung der Palmyrener, sondern für fortdauernde Mentalitätsunterschiede, die sich im Sprachgebrauch niederschlugen . Die Palmyrener waren andererseits aber auch nicht resistent gegenüber jedem fremden Einfluss . Sie öffneten sich griechischer παιδεία – wie die Sprachgewandtheit der zweifellos aus Palmyra stammenden Schreiber offenbart – und adoptierten in sensiblen Bereichen griechische Lehnwörter, die sie aber mit eigenen Bedeutungsinhalten füllten .

Religion: Ritual und Mythos Was für Sprache und materielle Kultur gilt, gilt ähnlich auch für die Religion: Sie ist Zeichensystem und Konstituens symbolischer Sinnwelten . Religion steht mit Bedeutungssystemen wie Politik, Institutionen, Kultur und Sprache in vielfältiger Wechselbeziehung . Religion ist aber auch in sich ein komplexes System aus Überzeugungen und Riten . Kennzeichen jeder Religion ist es, dass sie eine Grenze zwischen dem ›Profanen‹ und dem ›Heiligen‹ zieht . Religion entsteht dort, wo heilige Dinge, verknüpft durch Glaubenssätze und Riten, in Beziehung zueinander treten . Für die klassisch-antike Ausprägung von Religion gilt freilich eine Besonderheit: der absolute Primat religiösen Handelns vor religiösen Überzeugungen, des Ritus vor dem Dogma . Religion manifestierte sich zuerst und vor allem in Ritualen, die eine Grenze zwischen Alltäglichem und Außeralltäglichem zogen und die in ihrem Bezogensein aufeinander einen wesentlichen Teil des religiösen Zeichensystems ausmachten .85 Imperien üben, im Gegensatz zu Nationalstaaten mit der ihnen innewohnenden Tendenz zu ethnisch-kultureller Homogenisierung, ›strukturelle Toleranz‹ . Wille und Möglichkeiten des Zentrums, die Peripherie kulturell zu durchdringen, sind begrenzt . Die Peripherie behält daher in Fragen der Konstruktion und Deutung von Symbolen ein 83 Contra aber Yon 2002, 75, der Griechisch für die Sprache mit dem höheren Prestigewert hält und seine Benutzung durch palmyrenische Notabeln für ein Mittel »pour exprimer le rang social« einer Familie . 84 So jetzt auch Andrade 2013, 12f . 85 Definition nach Durkheim 1998, 67 . Vgl auch Eliade 1957, besonders 18: »Das Heilige offenbart die absolute Realität und ermöglicht dadurch eine Orientierung; es gründet also die Welt, indem es Grenzen absteckt und so eine Weltordnung errichtet .« Vgl . Eliade 1954, 19–23 . Zur Symbolik des Sakralen ebd ., 494–517 . Den antiken Primat religiösen Handelns vor religiösen Überzeugungen betont Rüpke 2001, 86–118, und jetzt wieder Rüpke 2016, 23–33 .

132 · V. KulturEllE IdEntItätEn gewisses, in der Regel hohes Maß an Autonomie; Traditionen lagern sich in zwei Schichten  übereinander: Unter der Decke prestigereicherer, großflächig wirksamer imperialer  Sinnwelten bleiben regionale kulturelle Systeme meist intakt, führen Kleine Traditionen ein hartnäckiges Eigenleben . Das gilt auch und gerade für das Feld der Religion als des primäre Sinngebungssystems in allen vormodernen, vorwissenschaftlichen Gesellschaften .86 Die Faustregel der strukturellen Toleranz imperialer Herrschaft in religiösen Dingen gilt aber nicht universell . Konflikte zwischen Herrschaftsanspruch des Zentrums und kultureller Autonomie der Peripherie ergeben sich unvermeidlich dort, wo Religion legitimierend und oft stabilisierend auf Herrschaft wirkt . Mit anderen Worten: Die Toleranz imperialer Machtsysteme gelangt an ihre Grenze, sobald der sensible Bereich der politischen Theologie mit religiösen Vorstellungen oder Praktiken der Peripherie kollidiert . Imperien mit besonders markanter theologischer Fundierung neigen daher immer wieder sehr wohl zu religiösen Homogenisierungsanstrengungen: mit Mission, Bekehrung, Zwangstaufe bis hin zu Verfolgung und physischer Ausrottung heterodoxer Minderheiten . Dabei spielt es keine Rolle, ob sich die Herrschenden der politischen Dimension, die religiöse Weltdeutung stets hat, bewusst sind oder nicht .87 Römische Religion kannte, im Unterschied zum durch die modernen Kolonialreiche verbreiteten Christentum, keine Missionstätigkeit . Sie war daher auf andere Transmissionsriemen angewiesen: etwa das Militär und die in coloniae angesiedelte italische Bevölkerung . Römische Religion war ferner strenggenommen an die Hauptstadt Rom und ihre sakrale Topographie gebunden und deshalb nicht ohne Sinnverlust anderswohin übertrag- oder anderswo praktizierbar . Dem standen aber allerlei Faktoren gegenüber, die den Transfer in die Provinzen begünstigten: die vergleichsweise geringe Ethisierung der römischen Religion und ihre grundsätzliche Kompatibilität mit verschiedenen Normensystemen; die prominente Rolle des Mythos, der recht leicht auch kulturelle Grenzen überspringen konnte; schließlich ihre polytheistische Offenheit: die Möglichkeit, fremde Götter gleichsam durch Adoption ins imperiale Pantheon einzureihen .88 Die Römer waren unfähig, Religion im Plural zu denken: Es gab nur ›Götterverehrung‹, religio, nicht hingegen ›Religion‹ im modernen Sinne als Identitätsgemeinschaft, die gegen andere ›Religionen‹ abzugrenzen wäre .89 Nur scheinbar paradox ist, dass die Integration der Peripherie in ein imperiales Ganzes die stadtrömische Religion gleichsam zur 86 Zu den Kategorien siehe oben, S . 111 . 87 Erstes Beispiel für religiöse Intervention durch das Imperium ist das Anfang 250 n . Chr . erlassene Opferedikt des Kaisers Decius: Rives 1999; Bleckmann 2006 . Die Möglichkeiten und Grenzen römischer ›Religionspolitik‹ erörtert (zurückhaltend) Rives 2007, 182–201 . 88 Zur römischen Religion als Hauptstadtreligion: Beard et al . 1998, Bd . 1, 331; Rüpke 2001, 24–27 . Dort (326–333) auch Näheres zur Rolle von coloniae und Armee . 89 Praktiken, die nicht mit den herrschenden Vorstellungen von der Verehrung der Götter konform waren, galten als das Gegenteil von religio, als superstitio (›regellose Verehrung‹) . Zur Abgrenzung Cic . nat . 2,70–72 . Vgl . Rüpke 2011, 159; Kremer 2016, 83–97 .

Religion: Ritual u nd Mythos · 133 ›Reichsreligion‹ universalisierte und so auch pluralisierte . Das zuvor auf die Stadt Rom und ihre vergleichsweise homogene Einwohnerschaft bezogene Zeichensystem war jetzt Interpretationen durch Menschen mit völlig unterschiedlichen Prägungen ausgesetzt . Die Parameter waren dabei im Osten des Römischen Reichs noch einmal ganz andere als im Westen: Während Gallien, Germanien, Britannien und auch weite Teile Iberiens zum ersten Mal in den Einflussbereich einer imperialen Macht gerieten und dadurch mit völlig neuen Medien und Praktiken des Religiösen konfrontiert wurden, knüpfte die römische Expansion im Orient nur an eine lange Abfolge hegemonialer Großreiche an . Religiöser Pluralismus als Folge der politischen Dominanz eines Machtzentrums war in Roms Ostprovinzen keineswegs ein Novum; immer neue Imperien hatten, ebenso wie die periodischen Wellen nomadischer Einwanderer, unweigerlich auch in der religiösen Stratigraphie der orientalischen Gesellschaften ihre Spuren hinterlassen .90 Religiöser Pluralismus ist ein Phänomen, das auf verschiedenen Ebenen wirksam wird . Lokale Gruppen können unter fremdem Einfluss ihren Göttern neue Namen geben, können, nach dem schönen Wort des Tacitus, per interpretatio Romana ihre eigenen Götter mit denen der neuen Herren identifizieren . Auslöser solcher Akte der Theokrasie werden in aller Regel subjektiv empfundene Entsprechungen, Wesensähnlichkeiten, Ähnlichkeiten auch im Ikonographischen sein . Deshalb verrät das Bemühen um interpreta­ tio auch eine Menge über das Bedürfnis der Akteure nach Zugehörigkeit zur Oikumene: Über Mythen lassen sich die Gottheiten zu anderen Figuren des mythischen Universums in Beziehung setzen, lässt sich mithin, je nach Bedarf, Nähe oder Ferne herstellen; vor allem werden lokale Kulte per interpretatio in das mediale Angebot ›eingepasst‹, das die religiöse Ordnung der griechisch-römischen Welt bereithält: Statuen, Inschriften und die römische Tempelarchitektur stehen jetzt auch den lokalen Göttern zur Verfügung .91 Damit ist noch nichts darüber ausgesagt, wie viel oder wenig von den Vorstellungen, die man in Rom mit einer Gottheit verband, mit der interpretatio übernommen wurden . Nur eines ist klar: Indem verschiedene Götter zueinander in Beziehung traten, wurde das religiöse Universum des Imperiums nicht uniformer, sondern komplexer und vielgestaltiger .92 Auch interpretatio war im römischen Imperium kein von oben gesteuerter Vorgang, sondern Aneignung von unten, durch lokale Akteure . In religiösen Dingen gab es im Reich der Kaiserzeit keine Hierarchien, weder räumlich noch kommunikativ . Horizont religiöser Vorstellungen war meist die Stadt, nur in Ausnahmefällen, etwa beim Mithrasoder Iuppiter-Dolichenus-Kult, eine überlokal organisierte Gruppe wie das Militär . Das galt auch für Praktiken: Rituale . Sie sind Akte der Kommunikation zwischen Göttern und Menschen . Als Kommunikationsakten haftet auch ihnen das Zeichenhafte an, sie sind 90 Zur Differenzierung von Phänomenen religiösen Pluralismus im römischen Westen und Osten Beard et al . 1998, Bd . 1, 342–347 . 91 Rüpke 2011, 173 . Zum Problem der interpretatio: Webster 1995; Spickermann 1997 . Für eine instruktive Fallstudie am Beispiel des Gottes Apollo Grannus in Gallien Woolf 2003 . 92 Rüpke 2011 .

134 · V. KulturEllE IdEntItätEn aber vielfältig in semantische und syntaktische Kontexte eingebunden und daher für uns ›lesbarer‹ als bloße Götternamen: semantisch, weil sich die Erinnerung an ursprünglich einmal vorhandene pragmatische Bezüge bewahrt hat, wenn auch meist nur von ferne – Rituale haben ihren Sitz immer auch irgendwo im diesseitigen, alltäglichen Leben; syntaktisch, weil Rituale mit anderen Zeichenordnungen in systemischer Beziehung stehen, mit sakraler Architektur, mit Mythen, aber auch mit Aspekten der politischen, rechtlichen und ökonomischen Organisation . Rituale sind überdies Teil des harten Kerns sozialer Traditionen . Sie sind per definitionem konservativ und verändern sich, wenn überhaupt, nur sehr langsam oder aber unter großem Druck . Wandeln sich Rituale, so gerät meist auch die Statik gesellschaftlicher Normen aus den Fugen .93 Im Allgemeinen weniger resistent gegen Wandel ist die zweite Ausdrucksform antiker Religionen neben dem Ritual, der Mythos . Mythos kann in einer vielfältigen, doch meist recht lockeren, Wechselbeziehung zum Ritual stehen: Seine Herkunft kann mittels Aitiologie erklärt oder per Exegese hermeneutisch ausgedeutet werden; umgekehrt kann das Ritual den Mythos szenisch darstellen, gleichsam dramatisieren . Im Mythos gerinnen Normen, Werte, Traditionen gleichermaßen zu Text; er erklärt das Herkommen von Institutionen und die Ursprünge der Welt, von der eigenen Gruppe bis zum Kosmos, kurz: Mythos bietet ein, mehr oder weniger kohärentes, Weltbild, aber ohne Anspruch auf ›Wahrheit‹ .94 Anders als bei ›wissenschaftlichen‹ Weltbildern ist der Deutungsanspruch des Mythos jedoch absolut, holistisch, universal . Er strukturiert die Erfahrungswelt nach einem einheitlichen Schema, per Homologie und Stereotypisierung . Die Vielfalt und Kontingenz empirischer Erfahrungen wird, indem sie auf immer wiederkehrende Muster zurückgeführt wird, auf ein erträgliches Niveau zurückgeführt .95 Deutende Mythen beantworten deshalb keine Fragen, »vielmehr kommen sie allen Fragen zuvor .«96 Die Legitimierung einer bestehenden Ordnung ist, neben der Deutung, die zweite Funktion des Mythos . Charter myths sind Geschichten, die gleich Urkunden die Altehrwürdigkeit und mithin unantastbare Heiligkeit von Institutionen, Verhaltensweisen, Macht- und Besitzverhältnissen erklären .97 Gerade die legitimierende Bedeutung von Mythen zeigt, wie sehr Mythos im Hier und Jetzt angesiedelt ist . Mythos ist nicht unabhängig von konkreten historischen Situationen zu denken . Flexibler als Rituale, die ihren pragmatischen Bezug teilweise verloren und sich verselbständigt haben, passt sich der Mythos 93 Fundamental Burkert 1999, 56–63 . In kritischer Distanz zu Burkerts biologisch-anthropologischem Ansatz aber Rüpke 2001, 86–96 . Rüpke 2016, 25, hält Rituale auch für wandelbarer als allgemein angenommen . 94 Burkert 1985, 8; Rüpke 2016, 174–180 . 95 Assmann/Assmann 1992, 192: »Solche Muster erschließen im Kampf gegen die auf Vergehen und Vergessen gerichtete Zeit die Chance einer unerschöpflichen Wiederkehr des Gleichen .« 96 Ebd ., 186 . 97 Malinowski 1926, 38 . Nicht überzeugend ist die Schlussfolgerung von Assmann/Assmann 1992, 185, der zufolge legitimierende Mythen »in der griechischen Mythologie, gegenüber oralen Kulturen, signifikant weniger sind« . Das exzessiv häufige Bemühen des Mythos durch Poleis, immer dann, wenn es um Territorium und Prestige geht, suggeriert das Gegenteil .

Religion: Ritual u nd Mythos · 135 aktuellen Entwicklungen an . Gründungsmythen etwa reflektieren, sollen sie funktionieren, immer zuerst die Situation der Gegenwart . Sein Gegenwartsbezug ist die pragmatische Dimension des Zeichensystems Mythos .98 Der griechische Mythos konstituiert ein Sinnuniversum sui generis . Seine Besonderheit liegt in der wundersamen Offenheit und Adaptionsfähigkeit, die es in der Antike, vor dem Siegeszug der Offenbarungs- und Erlösungsreligionen, praktisch jeder Gemeinschaft erlaubten, ihren Raum, ihre Nische im Gebäude des Mythos zu reklamieren . Das Geheimnis liegt darin, dass der panhellenische Mythos im Grunde genommen ein Super-Universum war, das eine Fülle von kleinräumigen, der fragmentierten Struktur des politischen Kosmos Griechenlands angepassten Filialuniversen beherbergte, jedes davon autonom und doch vielfältig mit dem olympischen Dachverband verzahnt . Die panhellenischen, bei Hesiod und Homer kanonisierten Mythen fanden ihre Entsprechung (oder besser: Fortsetzung auf einer anderen Ebene) in unzähligen Legenden und Erzählungen, die olympische Götter auf lokale Gegebenheiten bezogen . Götter hatten ihre panhellenische und ihre lokale Erscheinungsform, die in zentralen Aspekten erheblich voneinander abweichen konnten . Kohärenz war ohnehin kein Gebot des Mythos .99 Panhellenischer und lokaler Mythos waren nicht lediglich zwei ›Auflösungsstufen‹ desselben Universums, sondern blieben autonome, wenngleich aufeinander bezogene Sphären . Rom als, in seiner östlichen Hälfte, faktische Föderation von Poleis hielt die plurale Struktur des griechischen Mythos am Leben und förderte seine Ausbreitung . Die Offenheit des Mythos, ergänzt um die Möglichkeit zur interpretatio, war ein Angebot an (noch) nicht hellenisierte Gemeinschaften, ins Boot der griechischen Koine einzusteigen . Alles, dessen sie bedurften, war ein gewisses mythologisches Minimalwissen . Sie bezogen ihr lokales Pantheon, auf wie abenteuerliche Weise auch immer, auf die olympischen Götter und wurden – Griechen . Das Problem ist, dass die lokalen Mythen des römischen Vorderasien fast ausnahmslos verloren sind . Sie hatten wohl ihren Ort durchgängig im weiten Feld der oral tradition, und kein Pausanias besuchte je die Städte Innersyriens und Mesopotamiens, um Legenden dem Vergessen zu entreißen . So haben sich nur bruchstückhafte Reflexe des Mythos erhalten, per Zufall monumentalisiert in Stein . Aber was bedeutet es, wenn lokale Ikonographie einen olympischen Gott vereinnahmt? Oder wenn eine Inschrift Nergal, von dem wenigstens der Name in einer vorhellenistischen mesopotamischen Tradition wurzelt, mit Herakles identifiziert? Zu einem Ausweis dieser oder jener ›Identität‹ wird man solche Informationssplitter kaum stilisieren wollen . 98 Ebd ., 186f .; Gehrke 1994; Gehrke 2000; Rüpke 2001, 129–132 . Gehrke 2003b; Gehrke 2004; Gehrke 2005 hat für konstruierte Vergangenheit, wovon Mythos die primäre Erscheinungsform ist, den Begriff der »intentionalen Geschichte« geprägt . 99 Den Sinnpluralismus erklärt eingängig, anhand zahlreicher Beispiele, Price 1999, 19–25 . Wie Mythos in der Frühphase der klassischen Antike dazu diente, interkulturelle Begegnungen und Ethnizität zu konzeptionalisieren, analysiert, am Beispiel der heimkehrenden Helden (νόστοι), meisterlich Malkin 1998 . Malkin (ebd ., 5) hebt vor allem die aktive Rolle von Mythen hervor, »in filtering, shaping, and mediating cultural and ethnic encounters .«

136 · V. KulturEllE IdEntItätEn

Sakrale Topographie: Die Biqāʿ-Ebene in der frühen Kaiserzeit Einen möglichen, wenngleich eher modellhaften Zugang zu den mentalen Strukturen, die bei ihrer Erschaffung Pate standen, bieten die monumentalen Überreste antiker Religion dennoch – auch dann, wenn wir von den Mythen und rituellen Praktiken, die den Kontext bildeten, nichts wissen . Wie das antike Griechenland und Italien ist auch der Vordere Orient der römischen Periode voll von Landschaften mit unmittelbar ins Auge stechenden ›sakralen Topographien‹ . Unübersehbar ist der Zusammenhang zwischen Heiligtümern, Raum und Identität in der Biqāʿ-Ebene, deren Besucher sich noch heute von – in beherrschender Lage auf den umgebenden Gebirgszügen errichteten – Heiligtümern förmlich eingekreist sieht . Die Biqāʿ-Ebene und ihre Heiligtümer illustrieren mustergültig, welch entscheidenden Einfluss veränderte historische Bedingungen auf Raumwahrnehmung, religiöses Empfinden und das Gefühl ethnisch-kultureller Zugehörigkeit von Gruppen hatten .100 Raum ist, als Objekt menschlicher Sinngebung, eine erstrangige Bezugsgröße für Identität: »Niemand pflegt ›irgendwo zu leben .«101 Nicht wenige menschliche Gruppen hielten oder halten ihren Siedlungsraum für den Mittelpunkt der Welt .102 Gesellschaften leiten ihr Zusammengehörigkeitsgefühl, nebst einer konstruierten gemeinschaftlichen Abstammung, einer gemeinsamen Sprache und von allen geteilten Sitten und Traditionen, vom Anspruch auf dasselbe Territorium ab .103 Sie greifen ordnend ein, gliedern ihre Umwelt real und symbolisch, grenzen ihr Territorium ein, mit Stadtmauern und limi­ tes . Menschen konstruieren ihre gewohnte Umgebung als Heimat, machen sie zu einem Identifikationsraum, in dem sie sich geborgen fühlen . Königswege für alle vormodernen Gesellschaften zur symbolischen Aneignung des Raums sind Kult und Religion; sie finden ihren Niederschlag in der Errichtung einer sakralen Topographie .104 Beziehungen zwischen dem Menschen und seiner Umwelt – dem Raum bzw . der durch ihn gestalteten und wahrgenommenen Landschaft – sind keine Einbahnstraße: Weder determiniert der Raum allein oder auch nur wesentlich den historischen Prozess, noch ist die Landschaft bloßes Objekt menschlichen Handelns . Beide verbindet vielmehr ein komplexes Beziehungsgeflecht, mit vielfältigen Parametern: Ohne Frage wirkt der Raum, erstens, direkt determinierend auf den Menschen: Gunst- und Ungunstfaktoren verteilen sich unterschiedlich im Raum, der menschlicher Entwicklung hier enge Grenzen setzt, sie dort stark begünstigt . Der Mensch greift aber, zweitens, auch direkt in den Raum ein: Er verändert die natürlichen Bedingungen, schafft sich durch physische Eingriffe ›Kulturlandschaft‹ . Der Mensch geht eine enge Verbindung mit dem Raum ein und tut so 100 101 102 103 104

Zum Folgenden ausführlicher: Sommer 2003c; Sommer 2004b . Müller 1987, 3 . Ebd ., 47; Tuan 2002, 149f . Müller 1987, 46 . Egli 1975, 189–201, besonders 190; Wirth 1979, 288; Tuan 2002, 149–160 .

Sakr ale �opogr aphie · 137 den ersten Schritt zur Bildung eines »sozialen Käfigs« .105 Raum und Landschaft sind, drittens, Bezugspunkte für Sinnkonstruktionen: Maßstab für die Wahrnehmung sind stets soziale und kulturelle Normen, kurz: Tradition .106 Mensch und Gesellschaft eignen sich so den Raum innerlich an: Sie überziehen ihn mit gedachten und wirklichen Grenzen, schaffen sich symbolische Räume im realen Raum . Der vom Menschen sinnhaft aufgeladene Raum wirkt schließlich abermals auf den Menschen zurück, indem er Kristallisationspunkte für individuelle wie kollektive Identitätskonstruktionen schafft . Natürlich koexistierten und rivalisierten in einer komplexen, sozial hochgradig differenzierten Gesellschaft – wie dem römischen Kaiserreich – eine Fülle verschiedener Raumwahrnehmungen . Der gallische Bauer stand zu seiner Umwelt in einer anderen Beziehung als der reisende Händler; dieser wiederum hatte einen anderen Raumbegriff als der Steppennomade, der Berufsmilitär oder gar der römische Kaiser in Person . Raumerfahrung korrespondiert, jedenfalls in Gesellschaften mit begrenzten medialen Möglichkeiten, nachgerade zwangsläufig mit dem Wirkungsradius individueller Akteure .107 Verschiedene Fragen drängen sich in diesem Zusammenhang auf, denkt man an die provinziale Gesellschaft des römischen Syrien: Welche Bezugsgrößen boten sich den Menschen für ihr Raumempfinden? Wer hatte die Möglichkeit, über – reale wie symbolische – Strukturierungen des Raums zu befinden? Wo lagen gleichsam die Deutungshoheiten in Bezug auf kulturelle Raumaneignung und räumliche Sinnkonstruktionen? Eine, wenn nicht die elementare Raumerfahrung der Menschen im Vorderen Orient war seit der Sesshaftwerdung die Unterteilung des Raums in Kulturland und Steppe . Noch heute ist ein wesentlicher Teil der Region Syrien-Libanon Steppe bzw . Wüstensteppe . Aber, diese Erfahrung machten die Menschen mit der Zeit, die Grenze zwischen Kulturland und Steppe war nicht naturgegeben, sie war durch den Menschen variierbar: Ackerbauern konnten, meist mit unerhörtem Aufwand an Arbeit und Material, die Grenze des agrarischen Nutzlandes in die Steppe vorschieben, die sich, bei veränderten Konstellationen, immer wieder ihr Recht zurückholte .108 Ein Naturraum wie derjenige Syriens bietet Sesshaften vielfach nur prekäre, äußerst voraussetzungsreiche Existenzmöglichkeiten . Entlang der räumlichen Grenze zwischen Kulturland und Steppe (bzw . Bergland) spielte sich ab dem Neolithikum die sich verschärfende militärisch-kulturelle Auseinandersetzung zwischen Sesshaften und Nomaden ab, die dokumentiert ist allein durch die schriftliche Überlieferung einer Seite, der sesshaften Stadtbewohner: Seit Beginn der 105 Mann 1990, 71f ., meint mit »sozialem Käfig« die »Einschließung von Menschen in Räume mit klar definierten, engen sozialen und territorialen Grenzen .« Der Käfigeffekt ergab sich ursprünglich seit der Sesshaftwerdung mit wachsendem Investitionsbedarf in das Produktionsmittel Boden (ebd ., 88) . 106 Hirsch 1995, 6 . 107 Tuan 2002, 76–79 . 108 Klengel 1972, 28–31, besonders 28: »Für die Grenzlinie zwischen Steppe und Kulturland kommen als mitbestimmend [zum Faktor Naturraum, M . S .] politische Faktoren hinzu; sie muß in ständigem Kampf mit der Natur verteidigt werden, und sind die politischen Verhältnisse im Kulturland nicht günstig und nicht stabil, so vermag die Steppe ihren Bereich weiter vorzuschieben .«

138 · V. KulturEllE IdEntItätEn schriftlichen Überlieferung prägen die Stigmatisierung der Nomaden als Räuber und Briganten und die buchstäbliche Dämonisierung der nomadischen Lebensform das Bild . ›Nomadenmauern‹ und rituell gezogene Linien grenzten das Siedlungsland strategisch wie symbolisch gegen die von bösen Geistern bevölkerte Steppe ab .109 Wie fast alle frühen Gesellschaften unterschieden auch die Bewohner des mesopotamischen Alluviums akribisch zwischen Endosphäre (der von Sesshaften bewohnten und gestalteten Oikumene) und Exosphäre (dem als feindlich empfundenen Nomadenland) .110 Die gleiche Qualität hatten Konflikte zwischen Sesshaften und Nomaden erkennbar noch im hellenistischen und römischen Syrien . Die Bewohner Palmyras zogen in ihren Inschriften dieselbe Grenze zwischen sich und den Steppenbewohnern wie einst Sumerer und Akkader .111 Doch selbst im unmittelbaren Hinterland Phönikiens, in der Biqāʿ-Ebene und den angrenzenden Gebieten, musste sich die ackerbautreibende Bevölkerung aus der Ebene noch in der Zeit um Christi Geburt durch Nomaden bedroht fühlen, die Strabon »Ituräer und Araber« nennt, Ἰτουραῖοί τε καὶ Ἄραβες . Sie machten sich, so Strabon weiter, als »Übeltäter«, κακοῦργοι, einen Namen und operierten von befestigten Plätzen, ἐρυμνά, im Libanon aus .112 Selbst Pompeius konnte die Unruhezonen offenbar nur unzureichend befrieden .113 Ein gutes Jahrhundert nach der Eroberung Syriens durch Pompeius und rund 50 Jahre nach Strabon setzte rings um die Biqāʿ-Ebene, in den Hang- und Gratlagen von Libanon, Antilibanon und Hermon, eine rege Bautätigkeit ein: Nacheinander entstanden um 50 v . Chr . in großer Zahl Heiligtümer an besonders exponierten Standorten, die alle im Wesentlichen vitruvischen Vorbildern folgten, allerdings im Detail markante regionale Besonderheiten aufwiesen .114 Genau dort, wo nach Strabon noch ein halbes Jahrhundert zuvor nomadische Gruppen ihr räuberisches Unwesen getrieben hatten, wuchs jetzt ein Tempel nach dem anderen empor . Viele dieser Heiligtümer, gerade die späteren, wurden mit großem Aufwand begonnen, indes nie fertiggestellt .115 Anders als die großen Heiligtümer an den syrischen Karawanenstraßen waren die Tempel in den Biqāʿ-Randgebirgen kaum als zentralörtliche Stationen des Fernhandels

109 Ebd ., 32f . Erstmals schützten die Herrscher der III . Dynastie von Ur Mesopotamien im späten 3 . Jahrtausend v . Chr . fortifikatorisch mit einer »Landesmauer« gegen Nomaden (ebd ., 45) . 110 Müller 1987, 51 (Grafik) . 111 Millar 1993, 332f . 112 Strab . 16,2,18 . Vorsicht ist insofern angebracht, als von »Übeltätern« und Nomaden terrorisierte Bauern zu den strabonischen Gemeinplätzen für den Nahen Osten und Kleinasien gehören . Der Passus zur Biqāʿ-Ebene wird aber in diesem Fall durch Ios . ant . Iud . 14,40 inhaltlich bekräftigt . Siehe auch oben, S . 66 . 113 Strab . 16,2,18 . 114 Zur Datierung Krencker/Zschietzschmann 1938, Bd . 1, 273 . Krencker und Zschietzschmann unterscheiden nach stilistischen Kriterien zwei Bauphasen: eine ältere um 50 n . Chr . und eine jüngere (2 . und frühes 3 . Jahrhundert n . Chr .) . 115 Ebd ., 272 .

Sakr ale �opogr aphie · 139 gedacht .116 Ihre Funktion scheint vielmehr in Abgrenzung bestanden zu haben: Der Tempelbau bot den sesshaften Bewohnern der Ebene die sichtbarste und sinnfälligste Möglichkeit zu dokumentieren, dass sie das Bergland, dereinst Heimstatt der die Oikumene bedrohenden Nomaden, den Dämonen abgerungen hatten . Sie hatten ihren Göttern genau dort neue Wohnsitze gegeben, wo zuvor böse Geister gewaltet hatten . Steppe war, auch symbolisch, in Kulturland verwandelt, der Endosphäre einverleibt worden . Nicht anders verfahren im Prinzip rezente und subrezente Gesellschaften, die Architektur, vorzugsweise sakralen Charakters, zur Abgrenzung gegen das Fremde, zur Markierung eigenen Territoriums und zur Untermauerung ihres Anspruchs benutzen: Serbien ist noch immer dort, wo serbische Gräber und serbische Klöster sind; Moscheen und Kirchen in den Dörfern des modernen Libanon künden weithin sichtbar von den religiösen Überzeugungen ihrer Bewohner . Allenthalben wird Endosphäre von Exosphäre abgegrenzt, verlaufen unsichtbare Grenzlinien zwischen den Bauwerken, die das eigene Terrain symbolisch einhegen .117 Die Initiatoren der Tempelbauten waren ohne jeden Zweifel indigene, in den Tälern beheimatete Gruppen, die sich des universellen Ausdrucksmittels hellenistischer Architektur bedienten und es für ihre eigenen Bedürfnisse modifizierten: Die Tempel entsprechen weitgehend den geläufigen Mustern von Anten-, Prostyloi-, Peripteros- und Pseudoperipterostempeln .118 Die verehrten Gottheiten sind überwiegend traditionelle lokale, den Bewohnern der Ebene vertraute Wesen, teilweise in der interpretatio Graeca oder Romana (Bzizos, Atargatis, Baʿal-Markod, Deus Mifsenus, Hadaranus, Aphrodite Aphakitis, Iuppiter Heliopolitanus) .119 Mit der durch die Tempel formierten sakralen Topographie entstand, umhegt durch die gedachte Linie zwischen den Heiligtümern als rempart symbo­ lique, zugleich ein Identitätsraum: Die Aneignung des Raums konnte nur funktionieren, wenn man ihn als Bezugspunkt gemeinschaftlicher Identität begriff . Dass symbolische und naturräumliche Grenze (Gebirge, Gebirgskamm) im Fall der Biqāʿ-Ebene nahezu passgenau kongruieren, ist mehr als schierer Zufall: »Was wem gehörte, mußte zweifelsfrei sein .«120 116 Freyberger 1998, 44f . 117 Müller 1987, 128f . Auch im archaischen Griechenland war der Gedanke, eigenes Territorium durch Heiligtümer zu markieren und durch gedachte Linien dazwischen abzustecken, weit verbreitet . Tempel entstanden an den Grenzen der χώρα bzw . des Polisgebiets, als Ausdruck territorialer Souveränität und zur Abwehr von Eindringlingen . Vgl . dazu die präzisen Ausführungen bei Polignac 1984, besonders 42–49 . Auch das Phänomen von Heiligtümern in Gebirgsrandzonen war in Griechenland geläufig (ebd ., 42f .) . 118 Alle Tempel weisen die Charakteristika lokaler römischer Sakralarchitektur auf, vor allem das erhöhte Adyton und die Umfriedung jedes einzelnen Tempels . Viele Tempel verfügen ferner über eine Krypta, einige haben ein Flachdach; Krencker/Zschietzschmann 1938, Bd . 1, 275–297 . 119 Ebd ., 296 . Zumindest die in Der el-Kala und Qalaʿat Faqrā verehrte Atargatis (Dea Syria), die in Afqa verehrte Aphrodite Aphakitis und Iuppiter Heliopolitanus mit Kultstätte ebenfalls in Qalaʿat Faqrā verweisen direkt auf die in Baalbek verehrte Göttertrias (Iuppiter Helipolitanus/Hadad, Aphrodite/Astarte/Atargatis und Merkur) und geben damit einen Hinweis auch auf mögliche kultische Bezüge zwischen den Heiligtümern . 120 Gehrke 1999, 28 . Zum Modell des sakralen rempart symbolique Polignac 1984, 53f .

140 · V. KulturEllE IdEntItätEn Historische Voraussetzung für den Tempelbau und die mit ihm verknüpfte Konstruktion einer sakralen Topographie war der imperiale Zyklus, der sich im Vorderen Orient stets wiederholte und mit der Agonie des Seleukidenreichs in eine neue Phase trat . Das spätseleukidische Machtvakuum füllten nomadische Stämme, im Fall der Biqāʿ-Ebene die Ituräer, die ihre auf Verwandtschaftskonstruktionen basierenden ethnischen Identitäten in den Raum mitbrachten . Die Besonderheit des Raums veranlasste die Ituräer der Ebene zur Sedentarisation, während jene des Berglands der nomadischen Lebensweise verhaftet blieben . Mittelfristige Folge war die Aufspaltung der Ituräer in zwei Identitätsgruppen, jetzt entlang der naturräumlichen Grenzen . Erst die neuerliche pax imperii der Römer pazifizierte, aus der Sicht der Sesshaften, auch die Bergzonen soweit, dass von ihnen keine Gefahr für die Bewohner der Ebene mehr ausging .121 Mithilfe der Tempel demonstrierten lokale Akteure mit den Mitteln sakraler Architektur unübersehbar den Triumph ihrer Götter über die Dämonen der Bergwelt . Sie reklamierten so die Deutungshoheit über den – von römischen Truppen befriedeten – Raum und konstruierten sich ihre Landschaft neu . Anders lagen die Dinge in solchen Fällen von Raumaneignung, in denen das Militär in die Planung und Ausführung von Großbauten involviert war . Hier handelte es sich um die unmissverständliche Demonstration zentralstaatlicher Souveränität . Straßen und Fortifikationen dienten in Syrien der Abwehr innerer wie äußerer Feinde, waren imperiale Gemeinschaftsaufgaben . Auch sie strukturierten den Raum, trennten oder verbanden . Vollständig dem Einfluss lokaler Bevölkerungen entzogen, dürften sie dennoch deren Raumempfinden nachhaltig beeinflusst haben: Nachbarn waren plötzlich durch einen Limes voneinander getrennt, Entfernungen schmolzen durch Straßen dahin, Mobilität wurde kanalisiert und durch staatliche Organe kontrollierbar .122 Auch Investitionen in die militärische Infrastruktur dürften ihren Beitrag zur symbolischen Aneignung des Raums und damit zur Konstruktion von Landschaft geleistet haben .123

Herrscherkult So wie die sakrale Topographie Raum mit Sinn überzieht, tut es der Herrscherkult mit der Sphäre politischer Institutionen . Von dem römischen Kaiserkult zu sprechen, ist strenggenommen irreführend . Kaiserkulte gab es so viele, wie es religiöse Bezugssysteme gab, in 121 Wie genau man sich die ›Befriedung‹ vorzustellen hat, bleibt im Dunkeln: Möglich ist eine zwangsweise Sedentarisation oder Vertreibung der Nomaden; möglich ist auch sukzessive Absorption durch die Sesshaften . Dazu genauer Sommer 2003c, 209–212 . 122 So Olshausen 1991, 163–168, in einer Fallstudie über die römische Erschließung des Alpenraums . 123 In dieser Disziplin waren die Römer wahre Meister . Zur symbolischen Aneignung durch Landvermessung und Katastrierung Schubert 1996 .

Herrscherkult · 141 die der Kaiser zu integrieren war .124 Ihnen gemeinsam war die Idee, dass Kollektive und Individuen durch kultische Verehrung in ein reziprokes Nahverhältnis zum Herrscher traten . Sie vergalten beneficia des Kaisers durch ein klassisches officium: indem sie ihm Opfer darbrachten . Teilweise sammelten sie so auch Kapital für künftige, vom Kaiser erwartete Wohltaten . Und sie demonstrierten die Anerkennung des sozialen Grabens, der zwischen ihnen selbst und dem Herrscher klaffte: Göttlichkeit war eine relative Qualität, die Abstand symbolisierte; sie war eine Frage des Status-, nicht des Substanzunterschieds . Wer opferte, zog eine Grenze zwischen sich und dem Objekt der Verehrung . Die Frage, ob die Opfernden an die Divinität des Herrschers ›glaubten‹, erledigt sich so von selbst .125 Die neue, mit der Aufrichtung des Prinzipats durch Augustus geschaffene politische Ordnung erhielt nicht von ungefähr zuerst im hellenistischen Osten eine sakrale Dimension: Die Bewohner der Provinzen Asia und Bithynia suchten bereits 29 v . Chr . um Erlaubnis nach, dem Sieger von Actium geheiligte Bezirke in Nikomedeia und Pergamon weihen zu dürfen . Syria folgte auf dem Fuß .126 Bald wuchsen in der gesamten griechischen Reichshälfte Tempel zu Ehren der Kaiser wie Pilze aus dem Boden; dazu gesellten sich Spiele und Feste . Die Griechen schufen sich auf diese Weise einen Weg zur Integration des römischen Herrschers in ihr eigenes Sinnuniversum .127 Die kultische Verehrung des Princeps erfolgte nicht ex nihilo, nicht ohne dass eine entsprechende symbolische Substanz bereits vorhanden gewesen wäre . Sie wurzelte in der Wertschätzung und den Ehrungen, die Wohltäter (εὐεργέτεις), Beschützer (προστάτεις) und Retter (σωτήρες) seit alters in der griechischen Welt reklamieren konnten und die griechische Städte selbstverständlich den hellenistischen Monarchen entgegenbrachten . So konstitutiv Euergetismus und kultische Verehrung für das Verhältnis zwischen Polis und hellenistischem Herrscher waren, so leicht ließ sich beides mit veränderter Semantik auf die neuen Herren übertragen: In der Republik waren es römische Magistrate und einflussreiche Angehörige der Nobilität, die als Patrone in den Genuss von Ehrungen kamen . Lokalen Eliten, welche die Mittel für Kultstätten und Priesterschaften aufbrachten, stand so ein effektives Mittel zur Verfügung, um ihre romfreundliche Gesinnung und persönliche Loyalität gegenüber den Exponenten Roms publik zu machen .128 124 Das Verdienst einer Oxforder Dissertation ist es, auf die semantischen Unterschiede zwischen dem offiziellen Kaiserkult des römischen Staates und privaten stadtrömischen Kaiserkulten sowie wiederum kommunalen Kaiserkulten in den Munizipien aufmerksam gemacht zu haben: Gradel 2002 . 125 So mit innovativem Ansatz die Argumentation ebd ., 25f . 126 Zu Asia und Bithynia Cass . Dio 61,20,7 . Vgl . Bowersock 1978, 394 . Die Einrichtung eines Augustus-Kultes und entsprechender Spiele in der Provinz Syria hält fest: AE 1976, Nr . 678 (ohne Datierung) . Vgl . Beard et al . 1998, Bd . 1, 352 . 127 Price 1984, 235 . 128 Bowersock 1978, 391 . Zu Euergetismus und Herrscherkult im Hellenismus: Habicht 1970; Gauthier 1985; Walbank 1987; Gehrke 1995, 80f .: »Die von griechischen Poleis beschlossenen ›Vergöttlichungen‹ sind Ausdruck extremer Dankbarkeit aus durchaus realistisch-politischen Gründen und bringen dem Herrscher gottgleiche Ehrungen […] . Wieweit sich […] mit dem Herrscherkult – jedenfalls in der griechischen Welt – echte

142 · V. KulturEllE IdEntItätEn Im Prinzipat hatte der Kaiser das sakral unterfütterte Patronatsverhältnis nur noch zu monopolisieren und in einen »politisch motivierten Staatskult« umzufunktionieren:129 Noch unter Tiberius wurden – zum letzten Mal – einem nicht zum Kaiserhaus gehörenden Römer im Osten, dem praefectus Aegypti Cn . Vergilius Capito, göttliche Ehren zuteil . Für die griechischen Städte war die Divinisierung des Kaisers ohnehin das Nächstliegende: Sie bewältigten so das Problem der von außen über sie hereinbrechenden Herrschaft . Durch Vergöttlichung glichen sie den römischen Kaiser der ihnen vertrauten politischen Symbolik an und schufen zugleich einen Kommunikationsstrang zwischen Peripherie und Zentrum, der faktisch immer dann von Bedeutung war, wenn es um Bittgesuche, die Verleihung von Privilegien, den Wettkampf der Städte untereinander um Status und Prestige und die Frage der Kaisernähe lokaler Eliten ging .130 Es griffe aber zu kurz, wollte man hellenistischen Herrscherkult und römischen Kaiserkult ausschließlich im Kontext der politischen Beziehungen der griechischen Städte zu ihrem Suzerän deuten . Schon die kultische Verehrung Alexanders des Großen enthielt unverkennbar ein Angebot an alle Untertanen, längst nicht nur Griechen-Makedonen . So wie sich Alexander – in Siwa, bei der Korrespondenz mit Dareios nach Issos und in Babylon – in die politisch-theologische Tradition Ägyptens, Persiens und des alten Mesopotamien stellte, so akzeptierten ihn die einheimischen Eliten weitgehend vorbehaltlos als Teil ihrer politischen Theologie und damit ihres ureigenen Sinnuniversums: Alexander trat, ob bewusst oder unbewusst, in Siwa als Sohn des Amun-Re das Erbe der Pharaonen an; er nahm nach Issos das Persische Reich aus den Händen Ahura-Mazdas entgegen, und er zollte in Babylon dem Stadtgott Marduk seine Reverenz . Alexander hatte, die Grenzen zwischen Gottesgnadentum, Gottessohnschaft und eigener Göttlichkeit verwischend, für alle sichtbar seinen Platz an der Schnittstelle zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre gefunden .131 Freilich musste die Semantik des Herrscherkults für die ihrer je spezifischen politischen Theologie verhafteten Ägypter, Babylonier und Perser eine ganz andere sein als für die Griechen: Für sie war der Herrscher schlicht Repräsentant einer göttlichen Ordnung . Religiosität verband, ist sehr fraglich .« Mit deutlich anderer Akzentuierung für den römischen Westen Clauss 1996, 428: »Mit einem entsprechenden Kult des princeps als deus praesens konnte die ungeheure Machtfülle des Herrschers in den Augen der Reichsbevölkerung einen adäquaten Ausdruck finden . Insofern lassen sich Religiosität und Loyalität nicht säuberlich voneinander trennen . Religiosität schafft und fördert Loyalität, Loyalität mündet in Religiosität .« Vgl . auch Clauss 1999 . 129 Weber 2005, 889 . 130 Zum Aspekt der Monopolisierung durch den Princeps Bowersock 1978, 397–401 . Die Semantik des Kaiserkults aus Sicht der griechischen Städte behandelt für das gut bezeugte Kleinasien Price 1984, 234–248, besonders 247f ., der in der Ritualisierung von Herrschaft eine Strategie zur Lösung der durch sie aufgeworfenen Probleme sieht . 131 Zu den Quellen des hellenistischen Herrscherkults Gehrke 1995, 80f . Die in Siwa attestierte Gottessohnschaft Alexanders reflektiert die ägyptische Variante repräsentativer politischer Theologie, das in der Korrespondenz mit Dareios und der Marduk-Ehrung in Babylon sich äußernde Gottesgnadentum die vorderasiatische . Zur politischen Theologie der Repräsentation Assmann 2002, 37–45 .

Herrscherkult · 143 Ihn kultisch zu verehren, hieß, sich in die Ordnung, in Ägypten sinnfällig verkörpert durch die Göttin Maat, zu fügen . Vermutlich hatte also der Herrscherkult als religiöse Praxis für die indigene Bevölkerung einen ganz anderen Stellenwert als für die griechischen Polisbewohner . Denn was für Griechen und Römer galt, galt grundsätzlich für die indigenen Bewohner der römischen Ostprovinzen nicht minder, vielleicht sogar erst recht: Sie fanden nichts Besonderes dabei, einen Menschen als Gott zu verehren . Während allerdings für die Griechen seit der Klassik und ähnlich auch für die Römer die Vergöttlichung die höchste Form der Ehrung für erwiesene Leistungen und Wohltaten war – und damit prima facie ein Akt der politischen Kommunikation –, firmierte der orientalische Herrscher, ob als Gott oder als Mensch, im traditional-theokratischen Weltbild Ägyptens wie Vorderasiens per definitionem als Element der sakral fundierten universalen Ordnung .132 Wie überall im Reich, so praktizierten auch die Menschen an Roms Steppengrenze den Kaiserkult . Wieder einmal ist allerdings die Quellenlage äußerst dürftig . Syrien verfügte, analog zu den kleinasiatischen Provinzen, seit den Tagen des Augustus über ein κοινόν . Das κοινόν war, ebenfalls wie in Anatolien, in regionale Einheiten, ἐπαρχίαι, gegliedert . Die Hauptstädte der Eparchien lagen fast alle im Westen der Provinz: Tarsos, Antiocheia, Tyros; mit der Annexion Kommagenes kam vermutlich Samosata als vierter Sitz einer Eparchie hinzu, unter Hadrian noch Damaskus . Für Mesopotamien ist eine entsprechende organisatorische Struktur des Kaiserkults nicht überliefert, obwohl er nahezu sicher praktiziert wurde .133 Palmyra verfügte, laut einer Inschrift aus dem Jahr 171 n . Chr ., über ein Caesareum, das eine andere Inschrift den »Tempel der Sebastoi« nennt .134 Eine dritte Inschrift (166 n . Chr .) notiert möglicherweise die Bekleidung eines Priesteramts der Sebastoi durch einen Unbekannten .135 Doch mehr Informationen als den Beleg für die schiere Existenz eines dem römischen Kaiser geweihten Heiligtums, das bisher noch nicht einmal sicher identifiziert werden konnte, und vielleicht einer entsprechenden Priesterschaft geben die Inschriften nicht her . Immerhin trugen die Palmyrener – im südmesopotamischen Vologesias ansässige Kaufleute aus der Oasenstadt – den römischen Kaiserkult weit ins rivalisierende Arsakidenreich hinein . Schon die Gründung eines Kaiserkult-Tempels in einer parthischen Stadt an sich ist bemerkenswert . Doch wieder steht die Nachricht völlig isoliert da . Die Semantik des Kaiserkults im Palmyra des 2 . Jahrhunderts erschließt sich 132 Zur Frage der politischen Theologie allgemein ebd ., besonders 35 (zu Ägypten, aber auf Vorderasien übertragbar): »In Ägypten haben wir es mit den Bedingungen primärer Religion zu tun . Unter diesen Bedingungen ist die Unterscheidung zwischen politischer und religiöser Ordnung nicht möglich, weil alle Ordnung als solche religiös fundiert und heilig ist . Das ist eine Einheit, die nicht durch dogmatische Ineinssetzung hergestellt, sondern durch Nichtunterscheidung vorgegeben ist .« 133 Eine erste Diskussion des Materials zum syrischen κοινόν bei Gebhardt 2002, 305–316 . 134 Kaizer 2002, 149, mit Bezug auf PAT 2769, und Michałowski 1960–1984, Bd . 1, 208 (Nr . 202) . Vgl . jetzt Bru 2011, 101f . 135 Kaizer 2002, 151 .

144 · V. KulturEllE IdEntItätEn nicht aus den Dokumenten . Sie erschließt sich, wie für andere Orte der Steppengrenze, überhaupt nicht . Über der Frage, ob Palmyrener und Edessener den Kaiser als göttlichen Wohltäter (wie die Griechen), als Repräsentanten einer göttlichen Ordnung (wie Ägypter, Babylonier und Perser) oder einfach als überwältigend Ranghöheren (wie die Römer) verehrten, steht ein bedauerliches non liquet .

VI. PALMYRA UND DIE SYRISCHE WÜSTE Die Handelsstadt Palmyra (Tadmur) verdankte ihren kometenhaften, bis in severische Zeit anhaltenden ökonomischen Aufstieg seit dem frühen Prinzipat ihrer einzigartigen geographischen wie geostrategischen Lage in der gleichnamigen, durch die schwefelhaltige Efqa-Quelle gespeisten Oase und an einer der wichtigsten, den Persischen Golf und das Mittelmeer verbindenden Fernhandelsrouten zwischen der führenden Macht des Westens, Rom, und der des Ostens, dem Partherreich . Die Stadt lag auf halber Strecke der Geraden zwischen dem Euphratknie bei al-Būkamāl und Emesa, der – verlängert um die Senke von Homs, die eine bequeme Passage zwischen Orontestal und Mittelmeerküste erlaubt – kürzesten passierbaren Verbindung zwischen Persischem Golf und Mittelmeer .1 Tadmur gehört zu einer Kette von Oasen (Menader) am Südwestausläufer der innersyrischen Kreidehöhen . Die Senke zwischen Kreidehöhen und Palmyraketten bildet eine abflusslose, mit Sedimenten angefüllte Synklinalmulde, das Tadmurbecken . Diese Senke, die eine verkehrstechnisch günstige Passsituation zwischen den beiden Gebirgszügen schafft, verhalf Palmyra zu seiner die übrigen Oasen weit in den Schatten stellenden wirtschaftlichen Bedeutung .2 Das umfangreiche Ruinenfeld der Oase machte zuerst eine Expedition britischer Händler aus Aleppo um den Geistlichen William Halifax (1691) mit der Publikation des Reiseberichts in den Philosophical Transactions der Royal Society (1695) in Europa bekannt .3 Inschriften- und Münzfunde regten zur historischen Beschäftigung mit der Wüstenstadt an und ergänzten das durch die antiken Gewährsleute vermittelte Bild . Doch schon vorher hatte Palmyra einen festen Platz in der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte: Petrarca setzte im Trionfo della Fama Palmyras Herrscherin Zenobia ein literarisches Denkmal (1370), sein Landsmann Boccaccio folgte wenige Jahre später mit einer Biographie Zenobias in De mulieribus claribus (1374) . Die geheimnisvolle Wüstenkönigin blieb in der europäischen Literatur präsent: Chaucer (vor 1400), William Painter (1566/67), Calderón (1636), der Abbé d’Aubignac (1645) machten sie zur Protagonistin ihrer Werke . 1

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Rostovtzeff 1932, 7–10 und 20f .; Wirth 1971, 442–447; Schachinger 1987; Sommer 2017b, 24–28 . Allerdings war die kürzeste Route nicht der Haupthandelsweg zwischen Mesopotamien und Palmyra; der zweigte weiter südlich, bei Hīt, vom Euphrat ab . Wirth 1971, 13; Sommer 2017b, 27f . Halifax 1695 .

146 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Im 19 . Jahrhundert erlebte der historische Palmyra-Roman eine wahre Blüte, und mehrere Opern setzten seit dem Barock den Stoff musikalisch in Szene .4

Das Venedig im Wüstensand Die Ruinenstadt in der Oase dehnt sich über eine Fläche von rund zwölf Quadratkilometern aus .5 Die ältesten Siedlungsspuren sind erst unmittelbar vor dem Syrischen Bürgerkrieg freigelegt worden, in einer Serie von Kampagnen von 1997 bis 2011 . Die archäologischen Arbeiten konzentrierten sich auf ein dreieckiges Areal im Südwesten, das vom Wadi im Norden, der Nekropole im Westen und der Straße nach Damaskus im Süden begrenzt wird . Die Geschichte des Vierteils reicht mindestens bis ins 3 . Jahrhundert v . Chr . zurück . Aus dieser Zeit stammen Architekturreste, die im nördlichen Teil des Areals freigelegt wurden . Etwas später datieren Funde, die auf eine rege Handelstätigkeit des frühen Palmyra mit Mesopotamien und dem Westen hindeuten . Vor allem ab ca . 150 v . Chr . scheint sich der Kontakt mit Mesopotamien deutlich intensiviert zu haben . Das Viertel nahm allmählich einen städtischen Charakter an und beherbergte mehrere große Hofhäuser, die offenbar zugleich Wohn- und Wirtschaftszwecken dienten . Vermutlich waren hier schon in vorchristlicher Zeit wohlhabende Fernhändler ansässig .6

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Sommer 2017b, 238–240 . Einen ersten Überblick über die Archäologie Palmyras geben die Beiträge in Schmidt-Colinet 2005 . Weiterführende Informationen sind den einschlägigen Abschnitten in Starcky/Gawlikowski 1985, 113–133; Will 1992, 120–166; Freyberger 1998, 74–87, zu entnehmen . Als erste Dokumentation Wood 1753 (Neudruck 1971) . Die systematische archäologische Erforschung begann 1902 mit einer ersten, von Otto Puchstein geleiteten deutschen Mission; eine zweite folgte mitten im Ersten Weltkrieg 1917 unter der Leitung Theodor Wiegands; Carl Watzinger und Karl Wulzinger erkundeten 1928 das Fahnenheiligtum im Diocletianslager; vgl . dazu die Beiträge in Wiegand/Krencker 1932 . Seit den 1930er Jahren arbeiteten französische Archäologen im Bēl-Tempel, der zunächst auf Anordnung der Mandatsmacht von rezenter Bebauung gereinigt wurde; vgl . Seyrig et al . 1975 . Die beiden anderen großen Heiligtümer waren in den 1950er (Baʿal-Šamen-Tempel) und 60er (Nebu-Tempel) Jahren Gegenstand schweizerischer bzw . syrischer Grabungsarbeiten; vgl . Collart/Vicari 1969–1975 . Syrische Archäologen arbeiten seit den 1950er Jahren auch in verschiedenen Teilen der inneren Stadt (Säulenstraße, Agora, sogenanntes Caesareum, Nymphäeum, Thermen): Bounni 2005 . Eine polnische Mission ist seit 1959 in Palmyra tätig: Michałowski 1960–1984; Gawlikowski 2005 und die regelmäßig erschienenen Grabungsberichte in Polish Archaeology in the Mediterranean . Wiederholt Gegenstand archäologischer Forschung sind auch die zahlreichen Turm- und Tempelgräber der Umgebung Palmyras gewesen: Watzinger/Wulzinger 1932a; Watzinger/Wulzinger 1932b; Gawlikowski 1970; Henning 2001; Henning 2003; Schmidt-Colinet 2004; Kaizer 2010 . Die Arbeiten werden im Rahmen eines syrisch-deutsch-österreichischen Gemeinschaftsprojekts fortgesetzt . Einen auch nach über 40 Jahren noch nicht veralteten Überblick über die Sakralbauten gibt Gawlikowski 1973 . Zur Forschungsgeschichte Sommer 2017b, 8–16 . Zur sogenannten Hellenistischen Stadt die Beiträge in Schmidt-Colinet/al-Asʿad 2013, mit detaillierten Berichten zu den Befunden aus den beiden Sondagen, der geomagnetischen Prospektion und der Fernerkundung durch die Satelliten WorldView 2 und TerraSAR-X sowie zu den verschiedenen Fundkategorien .

Das Venedig im Wüstensand · 147

Abb. 6.1: Palmyra: archäologischer Plan. Ovaler Platz (1), Transversalkolonnade (2), quadratischer Platz (3), Hauptkolonnade (4), Tetrapylon (5), Nymphäum (6), Peristylbau (7), Baʿal-Šamen-Tempel (8), Theater (9), Wohngebäude (10), Agora (11), NebuTempel (12), Tripylon (13), Saal (14), Nymphäum (15)

Ein zweiter, ebenfalls in vorchristliche Zeit zurückreichender Siedlungskern befand sich, abseits des geographischen Zentrums der Ruinenstätte, an der Stelle des Bēl-Tempels, für dessen Bau wahrscheinlich Teile des Tells abgetragen und eingeebnet wurden . Trotz seiner exzentrischen Lage beherrschte der Bēl-Tempel die urbanistische Gesamtanlage Palmyras wie kein anderes Gebäude (Abb . 6 .1) . Vielleicht in der Tradition altorientalischer Sakralbauten entstand er an der zum Bauzeitpunkt höchsten Stelle der Stadt . Weithin sichtbar prägen die Mauern noch heute das Panorama der Oase . Die Cella des Heiligtums oder aber nur das Nordadyton wurde ausweislich einer Bauinschrift am 6 . April 32 n . Chr . geweiht .7 Im Tempel überkreuzen sich die Traditionsstränge mesopotamischer und hellenistischer Sakralarchitektur: Unverkennbar mesopotamischen Ursprungs ist das weite Karree des Temenos, den ein Peribolos aus vier Portiken mit doppelten Kolonnaden von je über 200 Metern Seitenlänge einfasst . Der Besucher trat durch großzügige Propyläen an der Westseite des Komplexes ein, von wo aus sich ihm der Blick auf die in axialer 7

PAT 1524 . Dafür, dass die Cella in mehreren Bauphasen entstand, argumentiert Pietrzykowski 1997 .

148 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Verlängerung der Propyläen zur Cella emporführende Rampe eröffnete . Im Hof befanden sich der Hauptaltar und einige Nebengebäude, darunter ein langgestreckter Saal für Opferbankette . Der gewaltige, 62 auf 37 Meter messende Pseudodipteros der Cella strahlt mit seinem reichen Dekor, der weiten Säulenhalle und den schlanken, kanellierten Säulen den Eindruck lichter Leichtigkeit aus . Er ist kein eigentlich originelles Werk, sondern bis in viele Details dem Artemision von Magnesia am Mäander nachempfunden . Dieses um 200 v . Chr . von dem Architekten Hermogenes geschaffene Heiligtum galt schon den Zeitgenossen als bautechnische und ästhetische Meisterleistung . Als wie vorbildhaft der kleinasiatische Tempel noch in der römischen Kaiserzeit empfunden wurde, illustriert nichts besser als der 250 Jahre später geschaffene palmyrenische Bēl-Tempel .8 Und doch war der Tempel alles andere als eine Kopie seines berühmten Vorbilds . Die Rampe und der prachtvolle, von einer offenen Portikus aus korinthischen Säulen flankierte Cellaeingang mit zwei massiven Pylonen befanden sich, wie beim babylonischen Breitraumtempel, auf der westlichen Langseite des Tempels und nicht in deren Mitte, sondern südwärts verschoben . So war dem Eintretenden zunächst der Blick auf die beiden Thalamoi im Norden bzw . Süden der Cella verwehrt . Die korinthischen Säulen der Peristasis besaßen ursprünglich metallummantelte Kapitelle . Beide Thalamoi waren über Treppen zu erreichen, das Allerheiligste mithin gegenüber dem Rest der Cella abermals erhöht . Die Nischen der Thalamoi nahmen nicht die gesamte Breite der Cella ein, so dass jeweils rechts und links kleine Räume entstanden, in denen drei – die Nordostecke blieb frei – Wendeltreppen bis zum Dach der Cella führten, wo sie in zinnenbekrönten Türmen endeten .9 Mit Palmetten verzierte, dreieckige Stufenzinnen zierten auch die Dächer der Cella und der – etwas niedrigeren – Peristasis . Zwei mit Akroteren versehene Scheingiebel mit Tympana an den Schmalseiten gaben dem in seiner Konzeption, allen Anleihen bei Hermogenes zum Trotz, gänzlich unklassischen Heiligtum etwas vom Aussehen eines griechischen Tempels zurück .10 Am besten erschließt sich die Stadtanlage Palmyras vom Bēl-Tempel aus . Im spitzen Winkel führt das östliche Teilstück der großen Kolonnadenstraße, die Palmyra von Nordwest bis Südost durchquert, auf die Propyläen des Heiligtums zu . Die im 2 . Jahrhundert n . Chr . errichtete, rund 1200 Meter lange und wohl als monumentaler Prozessionsweg zum Bēl-Tempel konzipierte Kolonnadenstraße bot, mit den zahlreichen, an den Säulen 8 Zum Artemis-Heiligtum von Magnesia Lauter 1986, 185–188 . 9 Ein vierter Turm ohne Treppe ergänzte das Rechteck der Türme, vermutlich aus Symmetriegründen . 10 Zum Bēl-Tempel: Seyrig et al . 1975; Starcky/Gawlikowski 1985, 116–120; Pietrzykowski 1990; Will 1992, 134– 140 . Will 1995, 29, wertet den Tempel als Ausdruck einer regionalen syrischen Architekturtradition und »le seul monument d’inspiration hellénistique conservé [en Syrie], bien que de date romaine .« Zur stilistischen Datierung Freyberger 1998, 74–77, mit der, nicht unumstrittenen, These (77): »Die Planung und zumindest ein Teil der Ausführung gehören in das letzte Drittel des 1 . Jhs . v . Chr .« Die auffällige Ausrichtung des Tempels mit Eingang an der westlichen Langseite könnte, wie Seyrig et al . 1975, Bd . 1, 161f ., meinen, dem mesopotamischen Konzept des Knickachstempels geschuldet sein . Anderer Meinung ist aber Freyberger 1998, 78 .

Das Venedig im Wüstensand · 149 angebrachten Statuenkonsolen, Raum für die fast schon exzessive Selbstdarstellung der städtischen Oberschicht . Entlang der Kolonnadenstraße, besonders in ihrem mittleren Abschnitt, fanden sich die meisten der zahlreichen bilinguen Ehrinschriften, die den Statuen beigegeben waren . Die Kolonnade macht in ihrem Verlauf zwei Biegungen, die sie in drei Teilstücke einteilen: eine markante beim Nebu-Heiligtum und eine weniger merkliche in der Nähe des sogenannten Caesareums .11 Beide Biegungen markiert je ein monumentales Torgebäude, ein Tripylon12 und ein Tetrapylon .13 Beim Tetrapylon, dem ungefähren geographischen Stadtzentrum, verzweigt sich die Kolonnade südwärts und eröffnet so den Zugang zur südlich der Hauptstraße gelegenen Agora;14 in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft liegen wichtige Repräsentations- und Nutzbauten: neben dem Caesareum15 der sogenannte Agora-Annex, vermeintlich das Gebäude der βουλή,16 das

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Der östliche Abschnitt zwischen Tripylon und Bēl-Tempel ist deutlich breiter als die westlichen Teile der Straße, enstanden zwischen ca . 150 und 250 n . Chr . Die die Straße säumenden Portiken sind teils in die angrenzenden Bauten integriert, teils separate Baukörper . Die in die Kolonnadenstraße einmündenden Querstraßen münden meist im spitzen Winkel und sind daher im Verlauf durchweg älter als die Hauptstraße: Tabaczek 2002 . Die Datierung des dreitorigen, die Biegung der Straße wie ein Scharnier ausgleichenden Bogens bereitet, wie die chronologische Zuordnung der gesamten Kolonnadenstraße, Probleme . Vermutlich entstand er ungefähr gleichzeitig mit dem Ostabschnitt der Straße, zwischen ca . 150 und 250 n . Chr . Der mittlere Bogen ist fast doppelt so hoch wie die Seitenbögen, die den Zugang zu den Portiken der Kolonnadenstraße eröffnen; der Grundriss des Bogens ist keilförmig . Vor den Seitentoren stand je ein Podest, das eine Ehrenstatue trug . Eine davon war dem Septimius Herodianus, Sohn des Odainat, gewidmet, der im Text der erhaltenen griechischen Inschrift (Inv . III 3,3, 263/264) den Titel βασιλεύς βασιλέων trägt . Das Standbild datierte ins Jahr nach den Persersiegen des Odainat (260–262): Gawlikowski 1985, Nr . 10; Hartmann 2001, 114, Anm . 198; Tabaczek 2002, 36f . Jeder Pfeiler des Tetrapylons bestand seinerseits wieder aus vier schlanken korinthischen Säulen, so dass die Bögen förmlich zu schweben schienen . Die Datierung bereitet große Schwierigkeiten; vgl . ebd ., 167f . Die Agora (84 mal 71 Meter) umgeben allseits Portiken, in denen wie in der Kolonnadenstraße (sämtlich verlorene) Statuen mit Ehrinschriften angebracht waren, darunter auch solche für die kaiserliche Familie, Septimius Severus, Iulia Domna und Iulia Maesa . Epigraphisch induzierter Terminus ante quem ist die flavische Periode . Im Bereich der Agora wurde das berühmte Steuergesetz von Palmyra gefunden . Östlich grenzt ein weiterer, vermutlich unfertig gebliebener Hof unbekannter Bestimmung an (sogenannter AgoraAnnex, früher als »Serail« bezeichnet), der von einer 10 Meter hohen Quadermauer umgeben war und 75,5 auf 37,5 Meter maß: Gawlikowski 1973, 24; Bounni 2005, 18; Delplace/Dentzer-Feydy 2005 . Will 1992, 128f ., hält den Agora-Annex ohne nähere Angabe von Indizien für das Büro von »autorités locales« zur Kontrolle des Markthandels . Der Name Caesareum findet sich auf einer Weihinschrift im Baʿal-Šamen-Tempel . Auf die Funktion eines dem Kaiserkult dienenden Sakralbaus deuten in dem Peristylgebäude mit Portikus gefundene Statuensockel und eine Inschrift hin, die nahelegt, dass die Sockel einst Bilder römischer Kaiser trugen . Allerdings ist unsicher, ob der Bau wirklich ein Heiligtum für den römischen Kaiserkult beherbergte, wie Bounni 2005, 19, mutmaßt . Skeptisch Genequand 2013, 98f . Die Zuweisung ist rein spekulativ: Das Peristylgebäude ähnelt in Form und Abmessungen den kaiserzeitlichen Wohnbauten Palmyras, weist aber einen Saal mit hufeisenförmig angeordneten Stufen, wohl also einen Versammlungsraum, auf . Unklar ist, ob der Raum eine ähnliche Bestimmung hatte wie die sogenannten salles

150 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Theater17 und, auf der Nordseite der großen Kolonnade, ein Nymphäum .18 Gemeinsam mit den östlich anschließenden Gebäuden, den sogenannten Diocletiansthermen19 und dem Nebu-Tempel,20 bildet die Gebäudegruppe um die Agora das eigentliche Stadtzentrum . Die meisten Gebäude sind, mit der signifikanten Ausnahme des wesentlich älteren NebuTempels, auf die große Kolonnade hin ausgerichtet, also nach einem gewissen Plan angelegt, ohne dass allerdings das für hellenistische und römische Städte charakteristische Straßenraster erkennbar wäre . Der unregelmäßige, nur mittelbar auf das Hauptheiligtum des Bēl-Tempels bezogene Verlauf der Kolonnadenstraße legt vielmehr nahe, dass die Straße sich organisch gewachsenen älteren Strukturen – wie dem Nebu-Tempel – fügen musste . Den ungeraden Verlauf der Straße kaschierten die an den Knickstellen errichteten monumentalen Torbögen .21 Auffällig ist neben dem gewachsenen Charakter des Stadtzentrums sein relativ geringer Grad an funktionaler Differenzierung: Auf klei-

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aux gradins in Dura-Europos: Balty 1991, 591–593, reiht das Gebäude ein in die »monuments insuffisament publiés, d’identification douteuse ou à réjeter« . Von einem der einstmals größten Theater des römischen Syrien ebenfalls aus severischer Zeit stehen noch ein Dutzend Sitzreihen der Cavea, ein Teil der Skene sowie die Parodoi . Um die Cavea lief ein von Portiken gesäumter, hufeisenförmiger Platz, der wiederum in eine östlich des Agora-Annex südwärts verlaufende Straße mündete . Östlich des Theaters befand sich ein Peristyl-Wohnhaus: Frézouls 1959, 214f . und 224; Balty 1991, 591; Bounni 2005, 16f .; Fourdrin 2009 . Rostovtzeff 1932, 129f ., hielt das Gebäude fälschlich für das politische und religiöse Zentrum Palmyras, für einen Ort mitten in der Wüste, an dem Tragödien des Euripides und Komödien Menanders aufgeführt wurden . Ball 2003, 305, macht zu Recht darauf aufmerksam, dass das Theater nach römischem, nicht nach griechischem Vorbild errichtet ist – ein Befund, der angesichts des sonst sehr ostmediterranen Timbres überrascht, das der palmyrenischen Architektur im Allgemeinen anhaftet . Eines von zwei ähnlichen Nymphäen der Stadt: ein Apsidialbau mit Statuennischen und Treppenstufen, über die sich in Kaskaden das Wasser ergoss: Bounni 2005, 17f . Der 85 auf 51 Meter messende Badekomplex geht tatsächlich in seiner erhaltenen Form auf die severische Zeit zurück (vor 200) . Er erfuhr in diocletianischer Zeit eine gründliche Umgestaltung und wurde um eine bis auf die Straße reichende Plattform mit vier Säulen aus rotem Granit erweitert: ebd ., 18 . Dass es sich bei diesem Gebäude in vortetrarchischer Zeit um den Palast Zenobias gehandelt haben könnte, ist pure Spekulation . So aber Fellmann 1987 . Der zwischen 80 und 180 errichtete Nebu-Tempel teilt zahlreiche Charakteristika mit dem ungleich größeren und älteren Bēl-Heiligtum: Der eigentliche Tempel steht in einem von Portiken gesäumten Hof, der allerdings trapezförmig ist (und zudem an seinem nördlichen Ende dem Durchbruch der Kolonnadenstraße weichen musste) und zu dem aufwendig in Szene gesetzte Propyläen auf der Südseite den Zugang eröffnen . Die Cella besaß ein von Stufenzinnen und zwei Treppentürmen gekröntes Flachdach . Zinnen und Scheingiebel bewehrten das Dach des Peristyls mit seinen korinthischen Säulen . Der Tempel stand auf einem Podium, Rampe und Cella-Eingang lagen allerdings – in Verlängerung der Propyläen – an der südlichen Stirnseite, so dass der Tempel nicht dem mesopotamischen Knickachs-, sondern einem klassischen Axialschema folgte . Wie der Bēl-Tempel verfügte auch der Nebu-Tempel über ein erhöhtes, von der Cella aus über Stufen zugängliches Adyton: Kaizer 2002, 89–99 . Im gesamten Stadtzentrum ist der Versuch deutlich wahrzunehmen, die gewachsene Stadtstruktur dem Modell der griechisch-römischen Stadt anzupassen, vor allem als ab dem 2 . Jahrhundert n . Chr . die Kolonnadenstraße und ein Großteil der Profanbauten entstanden . Starcky/Gawlikowski 1985, 114: »Il n’en pas moins vrai que le plan de la ville exprime un effort d’adaption à l’urbanisme géco-romain, même si l’on a pu dire que chaque secteur est traité séparément et sans vision globale de la ville .« Freilich zogen sich die Bauarbeiten

Das Venedig im Wüstensand · 151 ner Fläche bilden Wohn-, Geschäfts-, Repräsentations- und Kultbauten ein heterogenes Ensemble .22 Von ganz anderem Zuschnitt war das nördlich an den Westabschnitt der Kolonnade angrenzende Quartier, das im rechten Winkel sich schneidende, insulae bildende Straßen durchzogen . Es wurde in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten anscheinend in einem Zug angelegt . Das bisher kaum erforschte, auf hippodamischem Plan errichtete Stadtviertel lehnte sich an einen älteren suburbanen Siedlungskern um den Baʿal-ŠamenTempel im Norden der Stadt an . Grundlinien des Rasters bildeten der westliche Abschnitt der Kolonnadenstraße und die schmale, beim zentralen Nymphäum zum Baʿal-ŠamenTempel hin abzweigende Straße . Das Quartier spannte sich über 15 insulae bis zur die große Kolonnadenstraße im rechten Winkel kreuzenden sogenannten Transversalkolonnade .23 Den Charakter des seit dem 2 . Jahrhundert n . Chr . entstandenen Viertels bestimmten großzügig bemessene Wohnhäuser, überwiegend mit einem oder mehreren Peristylen, die durchweg dem Muster griechischer Wohnbauten folgten . Erst in byzantinischer oder frühislamischer Zeit kamen vier Kirchen hinzu . Zur Blütezeit Palmyras im 2 . und 3 . Jahrhundert bildete das rasterförmige Wohnquartier ein, in auffälligem, vermutlich gewolltem Gegensatz zum Stadtzentrum, durchgängig geplantes, funktional homogenes Stadtviertel .24 Der Baʿal-Šamen, dem ›Herrn des Himmels‹, geweihte Tempel war möglicherweise ursprünglich ein Stammesheiligtum . Nicht von ungefähr liegt hier einer der Siedlungskerne der Stadt . Der Tempel wurde – Hinweis auf einen möglichen Ahnenkult – auf dem Areal einer hellenistischen Begräbnisstätte errichtet und erhielt seine endgültige Struktur im 2 . Jahrhundert n . Chr .: Die 131 n . Chr . geweihte Cella war im Norden (67 n . Chr .) und Süden (Mitte des 2 . Jahrhunderts n . Chr .) von zwei weiteren Portiken eingerahmt . Der Sakralbau gehorcht äußerlich den Konventionen eines italischen Prostylos, mit Pilastergliederung der Cella . Charakteristisch für den römisch-orientalischen Kontext sind die Konsolen an über extrem lange Zeiträume hin . Die planerische Herausforderung beleuchtet anschaulich Tabaczek 2002, 240–244 . 22 Die Gebäude des Stadtzentrums sind bisher unzureichend erforscht und publiziert . Sie scheinen in ihrer Bauweise keine augenfälligen Besonderheiten aufzuweisen, zeichnen sich aber durch einen typisch palmyrenischen Baudekor aus . Will 1992, 127: »Il ne semble pas, au reste, que ces édifices se signalent par une originalité particulière dans leur conception . C’est leur décor architectural qui, frappant par ses formes et par sa richesse, devrait faire l’objet d’études systématiques .« 23 Die Transversalkolonnade ist deutlich älter als die Hauptstraße und stammt vom Anfang des 2 . Jahrhunderts . Die allmähliche Fortführung der Hauptachse bis zum Bēl-Tempel verdeutlicht die sukzessive Erweiterung der Kolonnade und damit des Korridors von Repräsentativbauten in Richtung des Hauptheiligtums; ebd ., 123 und 127f . Die Transversalkolonnade bildet die Fortsetzung der Handelsstraßen nach Emesa (Süden) bzw . Soura am Euphrat (Norden), die Verlängerung der Hauptachse führt nach Dura-Europos (Osten) . Dennoch ist Wills spekulative Interpretation (ebd ., 127), die Kolonnaden hätten als Umschlagplatz für die Karawanen gedient, etwas weit hergeholt, sein Argument keineswegs zwingend, es gebe in Palmyra sonst kein Gebäude, das explizit dem Haupterwerbszweig der Stadt gewidmet sei . 24 Zu den Wohnhäusern des Viertels Sommer 2017b, 184 . Zu den Kirchen Sommer 2014b, 867–872 .

152 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE den korinthischen Säulen, die der Anbringung von Statuen dienten, die Fensteröffnungen im Baukörper der Cella und das begehbare Dach . Einzigartig nicht nur in Palmyra, sondern im gesamten römischen Syrien ist das gegenüber der Cella nicht erhöhte Adyton in Form einer Exedra, das mit seiner Architektur aus Säulen, Nischen und Türen geradezu lehrbuchartig der römischen Norm entspricht . Den Zugang zum Adyton krönt ein Türsturz mit dem gut erhaltenen Relief eines die Schwingen ausbreitenden Adlers, Symbol des Himmelsherrn Baʿal-Šamen . Das Allerheiligste selbst beherbergte offenbar ein monumentales Kultbild des Gottes .25 Sondierungen unter dem Baʿal-Šamen-Tempel des 2 . Jahrhunderts erbrachten einen vermutlich frühkaiserzeitlichen Vorgängerbau, der aus einer zentralen quadratischen Cella und zwei an drei Seiten umlaufenden Korridoren bestand und entsprechend mesopotamischer Tradition in seinen Diagonalen an den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet war .26 Auch andere Siedlungskerne der Stadt gruppierten sich zunächst um Tempel . Südlich der Agora, im Bereich der später entdeckten Hellenistischen Stadt, konnte 1980 das Arsu-Heiligtum ̣ identifiziert werden, vielleicht ebenfalls ein Stammesheiligtum . Ein dritter primärer Siedlungskern lag am Schnittpunkt der sich in Palmyra schneidenden, von Sura, Dura Europos und Emesa kommenden Fernstraßen, im Bereich des späteren Diocletianslagers . Auch hier stand ein Heiligtum, der seit ca . 50 v . Chr . bezeugte und später in das Lager integrierte Tempel der Göttin Allat, die Bezüge zur Dea Syria von Hierapolis/ Bambyke aufweist27 und später mit Athena identifiziert wurde . Der Tempel aus dem späten 2 . Jahrhundert n . Chr ., in Gestalt eines klassischen römischen Prostylos-Tempels, schloss in seinem Inneren ein wesentlich älteres und kleineres Heiligtum lokaler Bauweise ein, einen mit Kalksteinplatten verkleideten Breitbau aus Bruchsteinmauerwerk .28 Mit dem Neubau des Tempels wurde auch das Kultbild erneuert: Das von orientalischen Vorstellungen bestimmte Idol der auf einem Löwenthron sitzenden Göttin verschwand, an seine Stelle trat die Marmorkopie einer klassischen griechischen Athena-Statue .29 Nicht lokalisierbar 25 Starcky/Gawlikowski 1985, 120f .; Will 1992, 140f . Zur mutmaßlichen Funktion des Tempels in der palmyrenischen Stammesgesellschaft Gawlikowski 1973, 48f . 26 Zu Bauphase 1 des Tempels Freyberger 1998, 83–86 . Die zentrale quadratische Cella mit umlaufendem Korridor verweist auf orientalisch-iranische Traditionen: Vergleichbare Bauten standen in Hatra und Seeia sowie in Susa und Nourabad . »Der zentral gelegene Schrein mit umlaufenden Gängen leistete den kultischen Erfordernissen lokaler Stammesverbände vollauf Genüge, weshalb er auf breiter Basis aufgenommen und zu einem allgemeinen Formengut sakraler Architektur im Osten wurde .« Ebd ., 85 . Inschriften zeigen, dass das Heiligtum auch von Bewohnern der Wüstensteppe besucht wurde und Weihungen an lokale Gottheiten, so von Soura am Euphrat, beherbergte . 27 Laut einer Inschrift auf einer das Heiligtum bewachenden Löwenskulptur sollte die Göttin denjenigen segnen, der in ihrem Tempel kein Blut vergoss . Das Opferverbot in Hierapolis/Bambyke erwähnt Lukian . Syr . Dea 57 . Auch Wiedergaben des Kultbildes erinnern, wie Gawlikowski 1997, 25, anmerkt, an die Darstellungen der Dea Syria . Die genaue Dokumentation des Befunds bei Gawlikowski 1977 . Zur komplexen Chronologie des Allat-Tempels und den fünf Bau- und Zerstörungsphasen Gawlikowski 1983b . 28 Ebd . 29 Vgl . ebd ., 26, Abb . 31 .

Das Venedig im Wüstensand · 153

Abb. 6.2: Turmgrab des Yamliko, von Nordosten

ist das Heiligtum einer vierten Stammesgruppe, das des ›Heiligen Hains‹ bzw . der göttlichen Brüder ʿAglibōl und Malakbēl . Es mag sich im Bereich des Bēl-Tempels oder des Diocletianslagers befunden haben .30 Ein fünfter tribaler Tempel und Siedlungskern könnte das bislang nicht identifizierte Heiligtum der Atargatis gewesen sein .31 Den westlichen Teil der Ruinenstätte beherrscht heute das Diocletianslager, das als Teil der strata Diocletiana und Quartier der legio I Illyricorum primär der Befriedung der nun nicht mehr durch Palmyra kontrollierten nomadischen Stämme diente . Beim Bau der Befestigungsanlage wurden zahlreiche Spolien, wohl vor allem aus den monumentalen Grabbauten der Umgebung, verwendet, wie namentlich die Bauornamentik des Hauptgebäudes, der principia, nahelegt . Die Anlage des Lagers folgte, ohne dass hier lokale Spezifika erkennbar wären, dem gängigen Bauschema von Armeelagern der Tetrarchenzeit .32 Mit der Einrichtung des Legionslagers ging die Befestigung eines gegenüber 30 Will 1983, 78f . 31 Gawlikowski 1973, 52 . 32 Vorgegeben war der Bauplan mit den principia, die einem umfangreichen Fahnenheiligtum Platz boten, und dem Kreuz von via praetoria und via principalis, deren Schnittpunkt ein seinem Gegenstück in der Stadt sehr ähnliches Tetrapylon krönte . In das Lager wurde der ältere Bau des Allat-Tempels integriert, der weiter benutzt wurde . Zur Archäologie des Lagers, auf das hier nicht ausführlich eingegangen werden kann:

154 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE der Blütezeit Palmyras deutlich reduzierten Stadtgebiets einher: Ausgehend vom Diocletianslager umspannte eine um das rasterförmige Stadtviertel und den Bēl-Tempel herumgeführte und im Süden hart den Nebu-Tempel und die Agora schneidende, mit zahlreichen Befestigungstürmen armierte Stadtmauer (die sogenannte Diocletiansmauer) die auf ihren Kern reduzierte Siedlung .33 Jede Darstellung der Archäologie Palmyras bliebe unvollständig ohne Erwähnung der Gräber, die das Stadtgebiet entlang der Ausfallstraßen in mehreren Nekropolen umgeben . Die Palmyrener der frühen Kaiserzeit ließen sich teils in Turmgräbern, teils in unterirdischen Sepulkralbauten, den Hypogäen, bestatten . Auch hierin finden womöglich die verschiedenen, in Palmyra sich überkreuzenden Traditionslinien ihren Niederschlag, ohne dass sich Genaueres über die Akteure dahinter sagen ließe . Beide Typen – Hypogäen wie Turmgräber – waren aber in Syrien seit hellenistischer Zeit weit verbreitet und kommen in Palmyra als lokale Varianten vor . Aus den hellenistischen Turmgräbern formte sich im 1 . Jahrhundert n . Chr . ein einheitlicher Typus heraus, mit über Wendeltreppen zu erreichenden Dachterrassen sowie sparsamem Außen- und reichem Innendekor, der ab dem 2 . Jahrhundert zunehmend stadtrömischen Einfluss verrät (Abb . 6 .2) . Die palmyrenischen Turmgräber datieren zwischen 9 v . und 128 n . Chr . Das Repertoire griechisch-römischer Sakralarchitektur griff das Tempel- oder Hausgrab auf, das ab dem 2 .  Jahrhundert die traditionellen Hypogäen und Turmgräber ablöste . Das erste erhaltene Exemplar stammt aus dem Jahr 143, das letzte ist gut 100 Jahre jünger und wurde 253 eingeweiht . Mit seinem kanonischen Flachdach, Scheingiebeln und Zinnenkranz setzte es auch lokale Architekturtraditionen fort: die des Turmgrabs und des palmyrenischen Tempels . Es bot aber mit seiner reich gegliederten und ornamentierten Fassade bedeutend mehr Möglichkeiten zur Selbstdarstellung als die herkömmlichen Grabformen .34

Gawlikowski 2005; Juchniewicz 2013 . Zur historisch-vergleichenden Einordnung des Baus Kuhoff 2001, 644–647 . 33 Die Mauer entstand in Wirklichkeit in mehreren Bauphasen; ein Teil datiert auf die byzantinische Epoche, als Iustinian das verwaiste Palmyra abermals zur Festung ausbauen ließ . 34 Zu den Nekropolen: Gawlikowski 1970; Schmidt-Colinet 1987; Parlasca 1989; al-Asʿad/Schmidt-Colinet 2005, 30–52 . Als eingehende Untersuchung des besonders prächtigen Tempelgrabs Nr . 86 Schmidt-Colinet 1992 . Die Traditionslinie der Turmgräber weist unter Umständen ins eisenzeitliche Phönikien und den phönikischen Kolonisationsraum im Mittelmeer, wo – wie im westsyrischen Amrit – aus Grabmalen in CippusForm allmählich turmartige Grabmonumente wurden, meist mit darunter gelagerten Hypogäen . Bisweilen krönte eine Pyramide die Bauten . In seleukidischer Zeit wurde der traditionelle Bautypus teilweise von der Formensprache hellenistischer Mausoleumsarchitektur überformt, blieb aber in Grundzügen erhalten, allerdings ohne Hypogäum (nefeš) . Ein eindrucksvolles Beispiel ist noch heute der große Grabturm von Hermel in der Biqāʿ-Ebene mit seiner Pyramide auf zwei kubischen, mit Pilastern verzierten Etagen . Der nefeš-Typus war im gesamten Levante-Raum (Syrien, Palästina, Nabatäerreich) verbreitet, während sich in Mesopotamien die traditionelle Hypogäenform hielt: Gawlikowski 1970, 9–33, und Henning 2003, mit Betonung der innovativen Elemente, die palmyrenische Turmgräber von ihrem syrischen Umfeld abheben .

�admur – Palmyr a: Ein r asanter Aufstieg · 155

Tadmur – Palmyra: Ein rasanter Aufstieg Palmyras Stunde auf der Bühne der Weltpolitik – ›Welt‹ bezogen auf die Oikumene der Antike – schlug, als sich mit der Niederlage Valerians bei Edessa in den römischen Ostprovinzen ein Machtvakuum auftat, das die Wüstenstadt mit eigenen militärischen Kräften, durch Diplomatie und Reorganisation der verbliebenen römischen Truppen, zu füllen verstand . Das Faszinosum Palmyra verbindet sich unweigerlich mit jenem supernovahaften Aufleuchten und ebenso raschen Verglühen innerhalb von reichlich einem Jahrzehnt, das bereits die spätantiken Autoren anregte und bis heute die historische Forschung beschäftigt . Doch fängt die Geschichte Palmyras weder mit Odainat an, noch hört sie mit Zenobia auf . Die Stadt hatte bereits in frühseleukidischer Zeit einige Bedeutung und war seit Diocletian, erneut seit Iustinian, stark befestigter Vorposten zur Kontrolle nomadischer Stämme . Noch weit vor Alexander dem Großen taucht die Vorgängersiedlung Tadmur in der keilschriftlichen Überlieferung auf .35 Menschliche Siedlungstätigkeit in der Oase wird erstmals im akeramischen Neolithikum (PPNB, ca . 7 . Jahrtausend v . Chr .) fassbar . In mesopotamischen Texten aus der Akkadund Ur-III-Zeit ist von nomadischen MAR .TU/Amurru die Rede, die den Raum westlich des mittleren Euphrat bevölkerten . Explizit Erwähnung findet Tadmur zum ersten Mal in altassyrischer Zeit, bezeichnenderweise im Kontext des Fernhandels mit dem anatolischen kārum Kaniš (Kültepe): In zwei altassyrischen Texten sind Palmyrener (Ta­ad­mu­ ri­im) belegt – möglicherweise handelt es sich in beiden Fällen um dieselbe Person mit dem akkadischen Namen Puzur-Ištar . Spätestens zur Zeit des Palastarchivs von Mari im 18 . Jahrhundert v . Chr ., mit der Verlagerung der Fernhandelsströme vom Persischen Golf zur Levante, war die Wüstenroute vom Euphrat über Tadmur in das mit Mari verbündete Qatna in Gebrauch, die aber akut gefährdet war durch sutäische Nomaden, wie die Mari-Quellen weiter vermelden . Die vermutlich dauernde Anwesenheit mindestens eines Bewohners der Oasenstadt, eines »Mannes von Tadmer« (awil Ta­ad­me­er), in Mari ist ebenfalls bezeugt . Gleichwohl trat die Wüstenroute hinter dem nördlichen, über Emar und Aleppo verlaufenden Handelsweg an Bedeutung zurück . Offenbar warf die Durchquerung der Wüstensteppe noch erhebliche Schwierigkeiten auf, bevor sich Kamel und 35 Die ältere Forschung fassen zusammen: Drijvers 1977, 837–863; Starcky/Gawlikowski 1985; Will 1992; Millar 1993, 319–336, sowie die Beiträge in: Ruprechtsberger 1987a und in dem Sonderband Palmyra and the Silk Road der Zeitschrift Annales Archéologiques Arabes Syriennes 42 (1996) . Den aktuellen Stand der Forschung referieren, aus je unterschiedlicher Sicht: Sartre-Fauriat/Sartre 2008; Sartre/Sartre 2016; Veyne 2016; Sommer 2017b . Die fundierteste Analyse des sogenannten Palmyrenischen Sonderreichs bietet nach wie vor Hartmann 2001 . Die vorhellenistische Geschichte Palmyras behandeln: Klengel 1996, 159–163; Scharrer 2002 . Die spärlichen Informationen zur spätantiken Geschichte Palmyras fassen zusammen: Ruprechtsberger 1987b, 137–148, und jetzt Sommer 2014b . Zur Institutionengeschichte: Sartre 1996, 385–405; Sommer 2005c und, als jetzt ausführlichste und auch methodisch anspruchsvollste Studie, Smith 2013 . Zu den Eliten: Yon 2002; Sommer 2015a . Für die Religion Palmyras ist stets unentbehrlicher Referenzpunkt Kaizer 2002; daneben auch: Teixidor 1979; Kaizer 2008; Kaizer 2016a .

156 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Dromedar allgemein als Lasttiere durchsetzten . Über lange Zeit das letzte Zeugnis für die Existenz von Tadmur als Stadt liefern die Annalen des assyrischen Königs Tiglatpilesar I . (1115–1077), der auf einem seiner zahlreichen Feldzüge gegen die aramäischen Aḫlamu die Nomaden bis zur »Stadt Tadmar des Landes Amurru« zurückdrängte . Die Palmyrene befand sich im ausgehenden 2 . Jahrtausend demnach abermals in der Hand nomadischer Gruppen . Sie blieb auch in neuassyrischer Zeit ein Ort beständiger Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und assyrischen Truppen .36 Vom weiteren Schicksal Tadmurs in vorhellenistischer Zeit ist nichts bekannt . Der einen Siedlungshiatus zwischen dem Ende der Spätbronzezeit (ca . 1200 v . Chr .) und frühhellenistischer Zeit suggerierende archäologische Befund ist am ehesten das Ergebnis von Planierungsarbeiten zum Bau des Bēl-Tempels (bis 32 n . Chr .) . Die höheren, eisenzeitlichen und hellenistischen Schichten des Siedlungshügels wurden so gestört, die Spuren einer ganzen Siedlungsperiode getilgt . Kaum aussagekräftig für die frühe Geschichte Palmyras ist der im 2 . Chronikbuch überlieferte, offensichtlich verderbte Bericht, König Salomo habe mitten in der Steppe die Stadt Tadmur zu einer Festung ausgebaut . Diesen Bericht schmückte Josephus gar zu der – fraglos durch die Bedeutung Palmyras zu seiner eigenen Zeit inspirierten – Geschichte aus, Salomo habe mitten in der Wüste eine »große Stadt« gegründet und befestigt, um so eine Zwischenstation für den Fernhandel zu schaffen . Der Passus aus der biblischen Chronik könnte immerhin darauf hindeuten, dass die Oase um 400 oder kurz nach 300 v . Chr ., als das Buch entstand, eine gewisse Bedeutung besaß .37

36 Starcky/Gawlikowski 1985, 33–35; Haider 1987; Will 1992, 27–29; Klengel 1996 . Zu den archäologischen Funden aus der Frühzeit Palmyras du Mesnil du Buisson 1966; du Mesnil du Buisson 1967, mit einer stratigraphischen Analyse des Tells unter dem Hof des Bēl-Heiligtums . Eine ausführliche Diskussion der Mari-Texte bietet jetzt Scharrer 2002, 301–318, der (ebd . 319) für eine Rolle von Tadmur als »regionalem Wirtschaftszentrum« plädiert und die bronzezeitliche Oase als urbanen Mittelpunkt einer polymorphen Gesellschaft ansieht, freilich auf insgesamt recht schmaler Quellenbasis . Vgl . jetzt auch Sommer 2017b . 37 Zum Podium des Bēl-Tempels und zum Tell du Mesnil du Buisson 1966, 179–185 . Befestigung von Tadmur durch Salomo: 2 Chron 8:4 (»Er baute Tadmur in der Wüste aus […] .«) sowie Ios . ant . Iud . 8,6: ἐμβαλὼν δὲ καὶ εἰς τὴν ἔρημον τῆς ἐπάνω Συρίας καὶ κατασχὼν αὐτὴν ἔκτισεν ἐκεῖ πόλιν μεγίστην δύο μὲν ἡμερῶν ὁδὸν ἀπὸ τῆς ἄνω Συρίας διεστῶσαν, ἀπὸ δ᾽ Εὐφράτου μιᾶς, ἀπὸ δὲ τῆς μεγάλης Βαβυλῶνος ἓξ ἡμερῶν ἦν τὸ μῆκος . [154] αἴτιον δὲ τοῦ τὴν πόλιν οὕτως ἀπὸ τῶν οἰκουμένων μερῶν τῆς Συρίας ἀπῳκίσθαι τὸ κατωτέρω μὲν μηδαμοῦ τῆς γῆς ὕδωρ εἶναι, πηγὰς δ᾽ ἐν ἐκείνῳ τῷ τόπῳ μόνον εὑρεθῆναι καὶ φρέατα . ταύτην οὖν τὴν πόλιν οἰκοδομήσας καὶ τείχεσιν ὀχυρωτάτοις περιβαλὼν Θαδάμοραν ὠνόμασε καὶ τοῦτ᾽ ἔτι νῦν καλεῖται παρὰ τοῖς Σύροις, οἱ δ᾽ Ἕλληνες αὐτὴν προσαγορεύουσι Πάλμυραν (›Hierauf unterwarf er sich die Wüste oberhalb Syriens und gründete auch dort eine große Stadt, die von Syrien zwei, vom Euphrat eine und von dem mächtigen Babylon sechs Tagesreisen entfernt lag . Der Grund, weshalb diese Stadt so weit von den bewohnten Teilen Syriens entfernt angelegt wurde, war der, dass es südlich von ihr kein Wasser gab und nur an dieser Stelle sich Quellen und Zisternen befanden . Diese Stadt, die übrigens mit festen Mauern umgeben wurde, nannte der König Thadamor, wie sie auch heute noch bei den Syrern heißt . Die Hellenen aber nennen sie Palmyra .‹) Gemeint ist vermutlich, anstelle von Tadmur, Tamar, eine Stadt südlich des Toten Meeres . So jedenfalls die ältere Überlieferung bei 1 Kön 9:18 und Ez 47:19: Klengel 1996, 162 .

�admur – Palmyr a: Ein r asanter Aufstieg · 157 Sonst liegt die Geschichte Palmyras vor Alexander dem Großen völlig im Dunkeln . Licht in die spätere Siedlungsgeschichte haben jetzt die Ausgrabungen und Prospektionsarbeiten im Bereich der Hellenistischen Stadt gebracht . Danach ist Palmyra als Siedlung, für die der überregionale Güteraustausch eine wichtige Rolle spielte, ab dem 3 . Jahrhundert v . Chr . nachzuweisen . Das Stadtviertel scheint bis um Christi Geburt einen raschen Aufschwung genommen zu haben . Unklar ist, wie man sich die Stadtwerdung Palmyras vorzustellen hat: als mehr oder weniger kontinuierlichen Aufschwung einer bereits in vorhellenistischer Zeit bestehenden Siedlung oder als schubweises Wachstum, das durch äußere Einflüsse stimuliert wurde .38 Darüber, wie die ab dem 2 . Jahrhundert v . Chr . dramatisch sich ändernde politische Lage – Zerfall und Agonie des Seleukidenreichs, Etablierung der Parther in Mesopotamien, Ausweitung des römischen Einflusses in der Levante, sich abzeichnender Konflikt zwischen Rom und dem Partherreich – die Oasensiedlung beeinflusste, lässt sich nur spekulieren . Nach Auskunft des allerdings erst geraume Zeit später schreibenden Historikers Appian geriet sie bereits kurze Zeit nach Errichtung des römischen Brückenkopfs in Syrien durch Pompeius in den Sog der römischen Expansion: Die Reiterei des M . Antonius, ausgeschickt, um Palmyra zu plündern, soll dort 41 v . Chr . lediglich eine von ihren Bewohnern geräumte Stadt vorgefunden haben – die Palmyrener hätten sich, so Appian, mitsamt ihrer Habe auf parthisches Gebiet jenseits des Euphrats geflüchtet . Doch wie plausibel ist dieser Bericht? Warum konnten sich die Palmyrener mit all ihren Reichtümern über den Euphrat absetzen, wenn die Stadt bereits ein florierendes Handelszentrum war? Und warum weiß der unter Augustus schreibende Geograph Strabon nichts von Palmyra, wenn die Oasenstadt bereits unter Antonius in den Gesichtskreis der Römer gerückt sein soll? Einiges spricht dafür, dass Appians farbiger Bericht freie Erfindung ist: Antonius war nie in Palmyra .39 38 Die These, das hellenistische Tadmur/Palmyra sei eine seleukidische Neugründung, vertritt Millar 1993, 320, schränkt aber (321) ein: »The earlier stages of urbanisation on the site cannot be traced .« Für den Aufschwung einer bestehenden vorhellenistischen Siedlung sprechen sich hingegen Starcky/Gawlikowski 1985, 36, aus . Auf einem non liquet beharrt Will 1992, 33f . Zum Handel im Achaimenidenreich Rostovtzeff 1955, Bd . 1, 61, mit Verweis auf die fortdauernde Bedeutung der großen Handelswege an Euphrat und Tigris mitsamt den Verzweigungen nach Süden, Norden und Westen (Levante) und die im Ruheraum des Reiches erhöhte Sicherheit des Fernhandels . Vgl . auch Rostovtzeff 1932, 20–23; Gnoli 2007a, 184–186; Sommer 2017b, 81–87 . 39 App . civ . 5,9: ἀποπλευσάσης δὲ τῆς Κλεοπάτρας ἐς τὰ οἰκεῖα, ὁ Ἀντώνιος ἔπεμπε τοὺς ἱππέας Πάλμυρα πόλιν, οὐ μακρὰν οὖσαν ἀπὸ Εὐφράτου, διαρπάσαι, μικρὰ μὲν ἐπικαλῶν αὐτοῖς, ὅτι Ῥωμαίων καὶ Παρθυαίων ὄντες ἐφόριοι ἐς ἑκατέρους ἐπιδεξίως εἶχον ›ἔμποροι γὰρ ὄντες κομίζουσι μὲν ἐκ Περσῶν τὰ Ἰνδικὰ ἢ Ἀράβια, διατίθενται δ᾽ ἐν τῇ Ῥωμαίων‹, ἔργῳ δ᾽ ἐπινοῶν τοὺς ἱππέας περιουσιάσαι . Παλμυρηνῶν δὲ προμαθόντων καὶ τὰ ἀναγκαῖα ἐς τὸ πέραν τοῦ ποταμοῦ μετενεγκάντων τε καὶ ἐπὶ τῆς ὄχθης, εἴ τις ἐπιχειροίη σκευασαμένων τόξοις, πρὸς ἃ πεφύκασιν ἐξαιρέτως, οἱ ἱππέες τὴν πόλιν κενὴν καταλαβόντες ὑπέστρεψαν, οὔτε ἐς χεῖρας ἐλθόντες οὔτε τι λαβόντες (›Nachdem Kleopatra heimwärts gesegelt war, schickte Antonios seine Reiter gegen die Polis Palmyra, unweit des Euphrat, um zu plündern, indem er sie einer unbedeutenden Verfehlung bezichtigte: Aufgrund ihrer Grenzlage zwischen Römern und Parthern arbeiteten sie mit beiden Seiten zusammen – als Händler beschafften sie indische und arabische Güter von den Persern und verkauften sie im

158 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Ein halbes Jahrhundert später, unter Tiberius, befand sich Palmyra hingegen tatsächlich im politisch-militärischen Bannkreis des römischen Imperiums: Minucius Rufus, Befehlshaber der legio X Fretensis, weihte im Bēl-Heiligtum zwischen 14 und 19 n . Chr . eine Statuengruppe des Kaisers und seiner Neffen Drusus und Germanicus,40 und der Palmyrener Alexandros, der in Spasinou Charax bereits eine Faktorei unterhielt, wirkte 18/19 n . Chr . im Auftrag des Germanicus während dessen Orientmission als Gesandter im parthischen Teilkönigreich Charakene .41 Die Verbindungen zu den Parthern waren also, trotz wiederholter Konflikte zwischen den Nachbarn Rom und Parthien, keineswegs abgerissen . Beide Großmächte hatten Interesse an einem geregelten Austausch und bedurften dazu der palmyrenischen Händler, die sich offenbar völlig ungehindert zwischen den Machtblöcken bewegen konnten . Eine Oasenstadt Palmyra mit eigenem politischen Handlungsspielraum, wenn nicht Äquidistanz, zwischen den Großmächten war angesichts eines fragilen Mächtespiels, zu dem als Akteure neben den Schwergewichten Rom und Ktesiphon eben auch die als Warenumschlagplätze unverzichtbaren autonomen Akteure Palmyra und Charakene gehörten, die sicherste Garantie für den nicht versiegenden Warenfluss .42 Über Wohl und Wehe des palmyrenischen Fernhandels entschied nicht allein die politische Großwetterlage, sondern gleich eine ganze Reihe von Parametern: (1 .) das Verhältnis der Großmächte untereinander; (2 .) das Verhältnis der Großmächte zu den gateway cities; (3 .) das Verhältnis der gateway cities untereinander; (4 .) das Verhältnis der  Großmächte und der gateway cities zu den nomadischen Gruppen der Steppengrenze .  War das wechselseitige Verhältnis der Großmächte – wie meist – angespannt oder herrschte gar Krieg, so konnte der Warenaustausch zwischen den gateway cities den Konflikt auf einer politisch niedrigeren Ebene unterlaufen . Wichtigste Ressource in diesem Spiel war Vertrauen . Frappanter Beweis für das Vertrauen, das zwischen der Oasenstadt und Ktesiphon herrschte, und Palmyras wenigstens potentiellen Beitrag zur Entspannung zwischen den Großmächten ist die Errichtung eines templum Augusti durch den Palmyrener Šoʿadu im parthischen Vologesias 140/147 n . Chr .43 Ein weiterer Puffer

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Gebiet der Römer . In Wirklichkeit beabsichtigte er nur, seine Reiter zu bereichern . Als die Palmyrener im Voraus von seinen Plänen erfuhren und ihre Habe auf die andere Seite des Flusses beförderten, wobei sie sich mit Bögen ausrüsteten – mit denen sie von Natur aus glänzen –, für den Fall, dass sie jemand angriffe, machten die Reiter, nachdem sie die leere Stadt eingenommen hatten, kehrt: Niemanden hatten sie angetroffen, nichts mitgenommen‹) . Den fiktionalen Charakter des Textes unterstreichen mit guten Argumenten Hekster/ Kaizer 2004 . Vgl . Sommer 2017b, 78–81 . AE 1933, 204 . Vgl . Gebhardt 2002, 35; Sommer 2017b, 81 . PAT 2754 . Vgl . Dirven 1999, 20; Sommer 2017b, 86 . Anders aber Teixidor 1984, 10; Starcky/Gawlikowski 1985, 37–40; Will 1992, 40; Sartre/Sartre 2016, 37f ., die alle behaupten, Palmyra sei durch Germanicus annektiert worden . Die Frage, ab wann Palmyra zum Römischen Reich gehörte, ist jedoch angesichts der politischen Uneindeutigkeit und der Frontier-Situation an der Steppengrenze falsch gestellt; vgl . Sommer 2017b, 105 . Ähnlich Gebhardt 2002, 35f .; Edwell 2008, 34–42 . PAT 1062 . Vgl . Bru 2011, 106 .

�admur – Palmyr a: Ein r asanter Aufstieg · 159 waren Nomaden, die ihre Position zwischen den Blöcken für eigene Handelsaktivitäten nutzen konnten .44 Die exakte Vermessung von Palmyras lokaler Autonomie bereitet indes Schwierigkeiten . Auf der einen Seite stehen das Wirken römischer Steuerpächter in Palmyra seit ca . 50 n . Chr ., das Edikt des Legaten von Syria, C . Licinius Mucianus, das als Teil des Steuergesetzes von Palmyra die Amtsgewalt des römischen Funktionsträgers in der Oasenstadt dokumentiert, und ein lateinisch beschrifteter, das palmyrenische Territorium gegen Emesa absteckender Grenzstein, datierend aus der Amtszeit des Statthalters Creticus Silanus . Die Dokumente zeigen, wie spürbar die Präsenz Roms auch in Palmyra geworden war, aber sie erwähnen mit keinem Wort, dass die Stadt von Rom annektiert und damit dem Jurisdiktionsbereich des Statthalters von Syria zugeschlagen worden wäre . Auf der anderen Seite steht das Zeugnis des Plinius, nach dem Palmyra ungefähre Äquidistanz zu den Großmächten wahrte . Die Steppengrenze war eine Zone der Grautöne, auch für politische Karten genügen nicht die Kontraste zwischen schwarz und weiß .45 Die Glanzzeit des palmyrenischen Fernhandels über Mesopotamien und die Golfregion leitete allerdings erst das letztliche Scheitern von Trajans ambitionierten Expansionsplänen gegen das Partherreich ein . An den Krieg schloss sich eine längere Friedensphase in den römisch-parthischen Beziehungen an, die erst der Partherkrieg des L . Verus 163 n . Chr . unterbrach .46 Relativ gewann der Handelsweg über Palmyra gegenüber der Seeroute von den ägyptischen Häfen nach Indien offenbar an Bedeutung .47 Palmyra war spätestens jetzt, im zweiten Viertel des 2 . Jahrhunderts n . Chr ., zur wichtigsten Drehscheibe im profitablen Handel mit orientalischen Luxusgütern aufgestiegen; seine Händler unterhielten nicht nur Faktoreien in den südmesopotamischen Handelszentren Spasinou Charax, Forāt und 44 So sind palmyrenische Karawanenaktivitäten epigraphisch durch Ehrendekrete auch für notorisch konfliktträchtige Perioden der politischen Großwetterlage bezeugt; vgl . Sommer 2017b, 135 . Den Tempel in Vologesias belegt die erhaltene Weihinschrift (SEG VII 135) . Zur Inschrift auch: Teixidor 1984, 29; Schuol 2000, 383 und 395–397 . Zu den über Palmyra vermittelten Beziehungen Roms zur Golfregion: Gawlikowski 1994b; Gawlikowski 2007; Gawlikowski 2016; Seland 2016, 38–40; Schörle 2017, 149–151 . Die souveräne Stellung Palmyras zwischen Rom und dem Partherreich noch im 1 . Jahrhundert n . Chr . bekräftigt Plin . nat . 5,88: Pal­ myra urbs nobilis situ divitiis soli et aquis amoenis, vasto undique ambitu arenis includit agros, ac velut terris exemta a rerum natura, privata sorte inter duo imperia summa Romanorum Parthorumque, et prima in discor­ dia semper utriumque cura . Diese Darstellung ist grundsätzlich plausibel; vgl . Sommer 2017b, 105–107 . 45 Isaac 1990, 147: »All this should make it clear that Palmyra could never have been – and never was – an ordinary provincial town, whatever its formal status .« Vgl . Isaac 1998, 415; Sommer 2017b, 106 . 46 Vermutlich hatte, anders als Rey-Coquais 1978, 54–56, und Starcky/Gawlikowski 1985, 74, meinen, die Annexion des Nabatäerreichs unter Trajan (106), wenn überhaupt, nur eine nachgeordnete Bedeutung für den Aufschwung des palmyrenischen Fernhandels . Erstens war die Domäne der Nabatäer von jeher der Weihrauch- und Gewürzhandel mit Südarabien (Nabatäer und Palmyrener hätten sich also kaum gegenseitig Konkurrenz gemacht), zweitens brach der nabatäische Arabienhandel mit Errichtung der Provinz Arabia keineswegs ab: Young 2001, 138 . 47 Sidebotham/Wendrich 1999, 454–456 . Die Gründe für den relativen Bedeutungszuwachs der Palmyra-Route dürften in der kürzeren Beförderungsdauer und dem geringeren logistischen Aufwand gelegen haben . Zu den Herausforderungen der Rotmeerroute bereits Warmington 1928, 16–17, sowie Sidebotham 1989; Seland 2011 .

160 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Vologesias, in Seleukeia am Tigris und Babylon sowie im ägyptischen Koptos, sondern auch geregelte Beziehungen zu den umwohnenden Nomadenstämmen . Schließlich wurden deren Angehörige noch immer als Stammverwandte wahrgenommen, auch wenn sich zwischen ihrer nomadischen und der eigenen sesshaften Lebensweise längst eine Kluft auftat . Faktisch dürften die Kontakte in den meisten Fällen friedlich gewesen sein .48 Wo gegenseitiges Vertrauen und die Solidarität unter Stammesgenossen nichts fruchteten, scheuten die Palmyrener aber auch vor Gewalt nicht zurück . Die Inschriften suggerieren, dass die Karawanen mit bewaffneter Eskorte unterwegs waren . Als Rom nach dem Partherkrieg des L . Verus die Kontrolle über Dura-Europos und den Streifen am mittleren Euphrat zufiel, rückten hier nicht römische Legionäre, sondern palmyrenische Bogenschützen ein . Der Karawanenweg zwischen der Oase und dem Euphrat war seitdem nach Norden, Osten und Süden hin durch palmyrenische Garnisonen geschützt . Erst in severischer Zeit übernahmen hier römische Offiziere das Kommando .49 Die Palmyrener nahmen damit wichtige Kontrollfunktionen für Rom wahr . Aber nicht nur das: Palmyrenische Soldaten dienten in verschiedenen Teilen des Reiches in Auxiliarverbänden, als Reiter, Bogenschützen und dromedarii – und das bereits seit dem frühen 2 . Jahrhundert n . Chr . Wer waren diese Bewaffneten? In der Forschung werden sie meist als Angehörige einer »Miliz« oder »Wüstenpolizei« bezeichnet;50 Modell dafür stehen wahlweise die Bürgermilizen klassischer griechischer Poleis und des frühen Rom sowie die Méharisten, die indigene Kolonialtruppe der Franzosen in ihren Territorien im Maghreb . Doch wer sagt, dass das militärische Aufgebot Palmyras im Sinne einer Miliz institutionalisiert gewesen sein muss? Warum besaß die Stadt in der Oase – anders als jede andere römische Stadt – überhaupt militärische Kapazitäten? Was Palmyra von allen anderen Städten unterschied, war das nahezu unerschöpfliche Reservoir an nomadischen Stammeskriegern, das die Syrische Wüste bereitstellte . Die Palmyrener konnten dieses Potential offenbar problemlos für das gemeinsame Interesse mobilisieren: die Sicherheit der Handelswege . Das Kommando führten, wie sich Inschriften entnehmen lässt, lokale Persönlichkeiten, die den nicht mit dem gleichnamigen Amt der colonia Palmyra zu verwechselnden Titel στρατηγός trugen . Einer von ihnen, Aelius Boraʾ, ein römischer Bürger, hatte das Amt mehrfach inne, unter zwei aufeinanderfolgenden Statthaltern von Syria:51 Es handelte sich also offenbar um eine Funktion von befristeter Dauer . Geehrt wurde Boraʾ, laut der pal48 Die Handelsniederlassungen Palmyras behandeln Matthews 1984, 165f .; Teixidor 1984, 31f .; Isaac 1990, 144–146; Schuol 2000, 381–384; Young 2001, 139–149, und jetzt Seland 2016, 34–45; Schörle 2017 . Hinweise auf Konflikte zwischen Fernhändlern und Nomaden geben unter Umständen einzelne Passagen der Karawaneninschriften, wenn von »Rettung« der Karawanen die Rede ist, zum Teil »aus höchster Gefahr« PAT 0197; 0282; 0288; 0294; 1378; 1397 . Generell dürfte aber gegolten haben, was Gawlikowski 1994b, 31, bemerkt: »[…] the success of each caravan and the general security of the route depended entirely on relations with the nomad tribes .« 49 Sommer 2017b, 142 . 50 So etwa: Rostovtzeff 1932, 11; Will 1992, 52–55; Elton 1996, 93–94; Hartmann 2001, 54–56; Hartmann 2016, 55 51 PAT 1063: στρατηγήσαντα πλειστάκις .

�admur – Palmyr a: Ein r asanter Aufstieg · 161 myrenischen Fassung des bilinguen Dokuments, dafür, dass er »auf dem Gebiet der Stadt« Frieden gestiftet habe .52 Weiter gibt die griechische Fassung der Inschrift Auskunft darüber, dass Boraʾ von Manilius Fuscus und Venidius Rufus, zwei römischen Statthaltern Syriens, »aufgestellt« (κατασταθέντα) worden sei: ein Anhaltspunkt dafür, dass Rom das militärische Engagement Palmyras nicht gleichgültig war . Doch gibt es auch Hinweise darauf, dass die römische Armee unmittelbar vor Ort präsent war: Zwei Ehrendekrete – das eine für den Zenturio Iulius Maximus (vermutlich Nichtpalmyrener),53 das andere, aus dem Bēl-Tempel stammende, für den ἔπαρχος C . Vibius Celer (ebenfalls vermutlich ein Nichtpalmyrener) – stellen römische Offiziere wenigstens lose in Zusammenhang mit dem Fernhandel .54 Die Präsenz römischer Offiziere und ihr Wirken bei der Sicherung der Karawanenstraßen östlich Palmyras sind damit nachgewiesen, doch die genauen Umstände bleiben erneut völlig im Dunkeln . Epigraphische Hinweise auf weitere palmyrenische Strategen fanden sich an so entlegenen Orten wie der Euphratfestung Gamlaʾ bei ʾĀna, südlich von Dura-Europos55, und dem Wādī Ḥaurān, das, ebenfalls südlich von Dura-Europos, rechts in den Euphrat einmündet .56 Sie zeigen, worauf es den Palmyrenern bei der Dislozierung ihrer Truppen ankam: Kontrolle der Handelswege, Sicherung des interregionalen Warenverkehrs . Nichts unterstreicht die exzeptionelle Autonomie Palmyras besser als seine kontinuierliche militärische Präsenz an Orten wie dem Wādī Ḥaurān und dem mittleren Euphrat, die bis in  die 160er Jahre parthisch, danach römisch waren . Palmyrenische Politik agierte in einer Grauzone immenser, für die Stadt außerordentlich profitabler Uneindeutigkeit: Palmyra, das selbst an der römischen Peripherie lag, war entlang der autonomen Peripherie des Partherreichs nicht nur kommerziell aktiv, es übte hier auch militärische Kontrolle aus . Doch auch als die Region um Dura-Europos nach dem Partherkrieg des L . Verus 166  n . Chr . endgültig ins römische Lager überwechselte, änderte sich an Palmyras Sonderrolle am mittleren Euphrat zunächst nichts . Dura und sein Umland unterstanden nicht dem imperium des syrischen Statthalters, sie waren frei von regulären römischen Truppenverbänden . Stationiert waren in der Euphratstadt, wie in der gesamten Region, palmyrenische Bogenschützen, unter dem Kommando palmyrenischer Offiziere . Erst seit Commodus ergänzte sie eine kleine römische Garnison, bis sie in severischer Zeit – wohl um 208 n . Chr . – durch einen regulären römischen Verband abgelöst wurden, dessen Kern freilich wiederum die aus den Bogenschützen hervorgegangene cohors XX Palmyrenorum 52 Ebd .: ʿbd šlmʾ btḥwmy mdytʾ wlʾ ʾh[y]s npšh | ʿl mdyth dy ʾqymw lh bny kmrʾ nwyt šʾ wr | pḥzʾ (›aufgestellt von der bny kmrʾ und den übrigen Phylen, weil er auf dem Gebiet der Stadt den Frieden gesichert hat und sein Leben nicht schonte‹) . 53 PAT 1397 (ca . 135 n . Chr .), in der palmyrenischen Fassung: ywl ys mksms qṭrynʾ dy lgywnʾ (›Für Iulius Maximus, Zenturio der Legion ---‹) . 54 AE 1933, 207 = Inv . IX 23 (ca . 150 n . Chr .) . 55 Cantineau 1933, 179, Nr . 174, datiert auf 225 n . Chr . 56 Starcky 1963, 47; Safar 1964, Nr . 1 (98 n . Chr .) .

162 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE bildete . Über 40 Jahre lang hatte Palmyra, gleichsam als Subunternehmer der imperialen Macht Roms, die Hand über seine eigene Einflusssphäre im parthisch-römischen Grenzgebiet gehalten . An Palmyras Mittlerposition und seinem gateway-Status hatten unterdessen der Besuch Hadrians (129/130) und die aus diesem Anlass erfolgte Verleihung des ehrenden Beinamens Hadrianē nichts geändert . Unmissverständliche Anzeichen für eine jetzt forciert einsetzende Integration der Stadt in den Reichsverband waren aber die bei Ulpian für 212 verzeichnete Zuerkennung des ius Italicum in severischer Zeit, verbunden mit dem Status einer colonia, vermutlich noch vor der constitutio Antoniniana, und, im Zusammenhang damit, der Aufstieg erster Vertreter der palmyrenischen Notabelnschicht in die römische Reichselite .57 Hatten schon seit dem frühen 2 . Jahrhundert vereinzelt Palmyrener das römische Bürgerrecht erhalten,58 so wurden mit der Erhebung zur colonia alle Palmyrener zugleich römische Bürger – Gradmesser für die rapide fortschreitende Verflechtung der Oasenstadt mit dem Imperium . Bereits eine Generation später, für die Provinzen des römischen Ostens freilich bemerkenswert spät, brachte Palmyra mit Odainat den ersten römischen Konsul hervor .59 Die Severerzeit kann für die Geschichte Palmyras mit gutem Recht als Wasserscheide gelten . Inkorporation der Bogenschützen in Dura als reguläre Truppenverbände, Beseitigung der palmyrenischen Autonomie am mittleren Euphrat und Erhebung der Oasenstadt zur colonia civium Romanorum lassen sich, ohne viel Phantasie, als Bestandteile desselben Maßnahmenpakets zur Eindämmung der Autonomie lesen, welche die selbstbewusste Handelsmetropole bis dahin genossen hatte . Ebenfalls in severische Zeit fällt die vollständige Verwandlung der politischen Szenerie des Nahen Ostens, die der Sturz der Arsakidendynastie durch die Sasaniden einläutete . Grundlegend änderten sich damit auch die Parameter des Orienthandels, dem Palmyra seine Existenz verdankte . Die Sasaniden gaben der gesamten Grenzzone zwischen okzidentaler und orientalischer Großmacht ein neues Gepräge, wenn auch nicht flächendeckend und keineswegs sofort . Vor allem zwangen sie viele der von den Parthern indirekt beherrschten kleinen Königreiche der westlichen Peripherie, darunter Charakene, unter ihre direkte Herrschaft . Die engere politische 57 Dig . 50,15,1: sciendum est esse quasdam colonias iuris Italici […] . est et Palmyra civitas in Provincia Phoenice prope barbaros gentes et nationes collocata . 58 PAT 1423 (C . Iulius Elabelus bzw . ḥyrn, Angehöriger der tribus Fabia, 108 n . Chr .) . Vgl . Teixidor 1984, 94; Will 1992, 31; Hartmann 2001, 50 . 59 Der erste Senator aus Asia ist für das Jahr 15 n . Chr . belegt, der erste Konsular aus Syrien diente 89/90 n . Chr . in Bithynia et Pontus als Prokonsul; vgl . Bowersock 1994a, 142 . Die Bürger Palmyras trugen etwa seit der colonia-Erhebung den Gentilnamen Iulius Aurelius, statt wie erwartbar schlicht Aurelius . Der Grund dafür dürfte darin bestehen, dass die Palmyrener schon vor dem Erlass der constitutio Antoniniana römische Bürger waren . Möglicherweise verbirgt sich hinter dem Gentilnamen Iulius Aurelius eine Ehrung Iulia Domnas; vgl . Drijvers 1977, 845f .; Hartmann 2001, 59 . Zur Namenspraxis der constitutio Antoniniana Sherwin-White 1973, 386f . Zur Karriere Odainats, der als Erster den römischen Konsulat – oder zumindest den Status eines consularis – erreichte: Hartmann 2001, 68–108; Sommer 2008b, 309–312; Sommer 2017b, 154–160 .

�admur – Palmyr a: Ein r asanter Aufstieg · 163 Anlehnung Palmyras an Rom ist, wie jene Hatras, wohl auch in diesem Zusammenhang zu sehen .60 Die These, der Orienthandel Palmyras sei durch den politischen Umbruch schwer in Mitleidenschaft gezogen, wenn nicht zum Erliegen gebracht worden, ist daher zunächst einmal plausibel .61 Sie stützt sich hauptsächlich auf den signifikanten Rückgang der Karawaneninschriften in sasanidischer Zeit: Nach 211 datieren nur noch drei Inschriften; Vologesias als Ziel palmyrenischer Karawanen ist letztmalig für das Jahr 247 belegt . Tatsächlich dürften häufige Kriege und die generell in der Region sich breit machende Unsicherheit das Klima für Palmyras Fernhandel nicht verbessert haben . Eine zusätzliche Hypothek war, dass die Oasenbewohner in den Augen der Sasaniden – anders als zuvor den Parthern – als Repräsentanten des römischen Imperiums erscheinen mussten, dessen Bürger sie schließlich waren und in dessen Heer viele von ihnen dienten .62 Dennoch sind Zweifel an der These von der vermeintlich durch den Machtwechsel im Osten ausgelösten ökonomischen ›Krise‹ Palmyras angebracht . Der frontier pull, der das Gebiet beiderseits der Reichsgrenze zu einer Zone intensiver ökonomischer Symbiose und Dynamik gemacht hatte, erlahmte mit dem Machtwechsel in Ktesiphon keineswegs .63 An einem Versiegen des profitablen Transithandels dürften zuletzt die Sasaniden ein Interesse gehabt haben . Die Kontakte und Handelsposten, die Palmyrener auf jetzt sasanidischem Territorium unterhielten, waren durch den Dynastiewechsel nicht mit einem Schlag wertlos geworden . Dafür, dass gerade auch im konfliktträchtigen 3 . Jahrhundert der Handel zwischen den feindlichen Nachbarn blühte, ist die berühmte Nisibis-Klausel des von Diocletian diktierten Friedens (298) ein unzweideutiger Beleg .64 Wenn aber der Handel insgesamt nicht aussetzte, wird Palmyra seine kommerzielle Schlüsselposition auch nicht eingebüßt haben . Der Rückgang der Karawaneninschriften wird schwerlich den Zufällen der Überlieferung geschuldet sein . Er kann aber sehr wohl auf eine innere Umstrukturierung der palmyrenischen Gesellschaft hinweisen, die das Klima für ehrende Inschriften nachhaltig verschlechterte . In diesem Kontext an den Aufstieg Odainats und seiner Sippe zu denken, liegt durchaus nahe . Monopolisierung von Macht bedeutet immer auch Ausschluss potentieller Konkurrenten von den Medien der Macht . 60 Zur Annexion von Charakene durch die Sasaniden: Schuol 2000, 368–378 . 61 So äußert sich fast unisono die Literatur: Drijvers 1977, 846; Teixidor 1984, 96; Winter/Dignas 2001, 190; Young 2001, 173–775, besonders Hartmann 2001, 76: »Mit der Machtübernahme der Sasaniden und dem Beginn der krisenhaften Situation des Römischen Reiches geriet die Handelsmetropole Palmyra in den 30er und 40er Jahren des 3 . Jahrhunderts in eine tiefe, innere Krise, die schließlich zum Aufstieg der Familie des Odaenath führte .« Anders, mit Verweis auf die militärische Potenz Palmyras im 3 . Jahrhundert, nur: Isaac 1990, 147; Seland 2016, 85 . 62 Sommer 2017b, 167 . 63 Whittaker 1983, 121 . 64 Dig . 4,63,4 . Der Vertrag sollte der grassierenden Spionagetätigkeit von Kaufleuten einen Riegel vorschieben . Er ist sinnvoll nur vor dem Hintergrund regen, bis dahin weitgehend unkontrollierten Grenzhandels . Siehe dazu oben, S . 84 .

164 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Es sieht so aus, als hätten die neuen Machthaber im wohlverstandenen Eigeninteresse zu verhindern gewusst, dass andere Sippen den öffentlichen Raum für ihre Selbstdarstellung nutzten .65

Odainat und Zenobia: Palmyras Griff nach der Weltmacht Darüber, wie die Ereignisse zu interpretieren sind, die sich nach Valerians Niederlage bei Edessa in Palmyra zutrugen, herrscht seit einiger Zeit weitgehend Konsens . Galt der älteren Forschung – im Einklang mit den spätantiken und byzantinischen Gewährsleuten – die imperiale Machtentfaltung der Oasenstadt mindestens in ihrer letzten Phase, mit der Aneignung des Augustus-Titels durch Waballat, als los-von-Rom-Bewegung einer in ihrem tiefsten Innern orientalisch gebliebenen Wüstenperipherie, so wird nunmehr besonderes Gewicht darauf gelegt, dass die palmyrenischen Akteure innerhalb des Koordinatensystems Roms und seiner Traditionen handelten . Mit anderen Worten: Der »Griff nach der Weltmacht«, von Odainat vorbereitet und von seiner Gemahlin Zenobia vollzogen, sei verständlich erst, wenn man die profunde Romanisierung Palmyras wie der beteiligten Individuen in Rechnung stelle . Er habe sich nach der Logik innerer römischer Machtkämpfe des 3 . Jahrhunderts vollzogen: umschlagend von einer erfolgreichen militärischen Rettungsaktion an der bedrohten Flanke des Reiches in eine veritable Usurpation .66 Erklärbar wird der kometenhafte Aufstieg Palmyras zu einem politischen Faktor allein aus dem Machtvakuum, in das sich der römische Osten mit den sasanidischen Invasionen seit dem Sieg Šābuhrs über Gordian III . 244 erst allmählich und dann, seit der Schlacht bei Edessa, rasant verwandelte . Angesichts der eigenen Handlungsunfähigkeit verließ sich die Zentralmacht notgedrungen auf einen potenten lokalen Machthaber, Odainat, der, ausgestattet mit den Titeln ἔξαρχος und dux und gestützt auf das militärische Potential der Stämme, einen Beitrag zur Stabilisierung der Grenze und zur Abwehr der Nomaden zu leisten versprach . Die Regionalisierung der Verteidigung im Orient erlaubte 65 Allein die Antike ist reich an Beispielen . Pars pro toto sei auf die Zurückdrängung der republikanischen Eliten aus der Bilderwelt des römischen Forums unter Augustus verwiesen . Der Princeps und seine Familie beanspruchten jeden Freiraum für die eigene Selbstdarstellung: Zanker 1990, 87 . 66 Der ›revisionistischen‹, auf der Interpretation epichorischer Quellen (Inschriften, Münzen) fußenden Sichtweise des Geschehens in Palmyra hat zuerst Millar 1993, 335, scharfsinnig Ausdruck verliehen: »The movement came from a Roman colonia whose upper classes publicly emphasised their Roman ranks, as equites and senators . The facts suggest that it was not a separatist movement, designed to detach Syria, or the whole Near East, from Roman rule, but an abortive claim to the Empire .« Die Interpretation kann seit der materialreichen Untersuchung von Hartmann 2001 kanonischen Rang beanspruchen . In einem völlig anderen Licht, als Feinde Roms und Barbaren, zeichnen hingegen die spätantik-byzantinischen Quellen die palmyrenischen Herrschergestalten . Die einschlägigen Historia­Augusta-Viten (Valerianus, Claudius Gothicus, Aurelianus, Odainat, Zenobia) werden in dieser Tendenz von späteren Autoren wie Zosimos, Johannes Malalas, Synkellos, Petros Patrikios und dem Continuator Dionis noch weit in den Schatten gestellt . Zu einer Diskussion dieser literarischen Zeugnisse ebd ., 16–39 .

Odainat und Zeno�ia: Palmyr as Griff nach der Weltmacht · 165 es den Kaisern, sich auf die übrigen, das Reich ebenfalls in seiner Existenz bedrohenden Krisenherde zu konzentrieren, namentlich die Grenze entlang von Rhein und Donau .67 Wenn Valerian und Gallienus jemals große Erwartungen in den ἔξαρχος Odainat gesetzt hatten, enttäuschte er sie jedenfalls nicht: Wenn nicht der Palmyrenerfürst Odeanathus nach der Gefangennahme Valerians, als die Kräfte des römischen Staates erschöpft waren, die Herrschaft übernommen hätte, wäre der Osten verloren gewesen . So aber brach dieser, nachdem er zum ersten Mal den Titel ›König‹ angenommen und ein Heer ausgehoben hatte, mit seiner Frau Zenobia, seinem ältesten Sohn, der Herodes hieß, und mit den jüngeren Söhnen Herennianos und Timolaos gegen die Perser auf . Er brachte zuerst Nisibis und weite Teile des Ostens sowie ganz Mesopotamien in seine Gewalt und zwang dann den besiegten König selbst zur Flucht . Letztendlich verfolgte er Šābuhr und dessen Kinder bis nach Ktesiphon, nahm seine Konkubinen gefangen und machte auch sonst große Beute .68

Mag auch an der Berichterstattung der Historia Augusta manches verworren und unzusammenhängend erscheinen – die Königserhebung des Odainat erfolgte nicht vor 263 und damit erst nach den ersten erfolgreichen Kampagnen gegen Šābuhr (260–262), die Teilnahme Zenobias am Feldzug dürfte legendenhafte Ausschmückung sein –, im Wesentlichen trifft sie den Kern: Der von Gallienus zum dux Romanorum (260)69 und corrector totius Orientis (261)70 erhobene Exarch und Konsular Odainat mobilisierte, in Absprache mit Gallienus, einen – offenbar aus palmyrenischen und den verbliebenen römischen Einheiten zusammengewürfelten – Truppenverband,71 organisierte Ende 260 die 67 Zu den inneren und äußeren Krisenherden unter Gordian III ., Philippus Arabs, Decius und Trebonianus Gallus Huttner 2008 . Zur Regionalisierung militärischer Verantwortung in der Soldatenkaiserzeit Sommer 2014a, 98–108 . 68 H .A . tyr . trig . 15 .1–4 . […] adsumpto nomine primum regali cum uxore Zenobia et filio maiore, cui erat nomen Herodes, minoribus Herenniano et [a] Timolao collecto exercitu contra Persas profectus est . Nisibin primum et orientis pleraque cum omni Mesopotamia in potestatem recepit, deinde ipsum regem victum fugere coegit . Postremo Ctesifonta usque Saporem et eius liberos persedutus captis concubinis, capta etiam magna prae­ da […] . 69 Als dux Romanorum ist epigraphisch und numismatisch erst Waballat (270) belegt . Er benutzte den Titel auf drei lateinisch beschrifteten Meilensteinen an der via nova Traiana, zwischen Bostra und Philadelphia und in Syria Palaestina: Isaac 1998, 70; Hartmann 2001, 248; Sommer 2017b, 173 . Der Titel geht aber, wie Hartmann 2001, 147, anhand von Synk . 466,25f . und Zon . 12,23 einleuchtend darlegt, am ehesten auf eine Verleihung durch Gallienus an Odainat zurück . 70 Mit der palmyrenischen Entsprechung wmtqnnʾ dy mdnḥʾ klh (›Wiederaufrichter des gesamten Ostens‹) wird Odainat auf einer postumen Ehrinschrift des Jahres 271 bezeichnet (PAT 0292) . Zur Bedeutung des Titels Swain 1993 . Zur Datierung der Ernennungen Hartmann 2001, 151 . Den Titel hatte bereits Philippus Arabs seinem Bruder Priscus verliehen . Wie jener versah auch Odainat auf diese Weise ein imperium maius in den Ostprovinzen, ohne gleich, wie Hartmann (ebd ., 146) meint, formell zum Stellvertreter des Kaisers aufzurücken . 71 Zos . 1,39,1 . Dazu Millar 1993, 168 .

166 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Gegenwehr am Euphrat,72 warf im Herbst des Folgejahres die Rebellion des MacrianusSohnes Quietus in Emesa nieder,73 eroberte im Frühjahr 262 Rhesaina, Edessa, Karrhai und Nisibis zurück74 und erreichte, freilich ohne sie einzunehmen, zum Jahreswechsel die sasanidische Residenz Ktesiphon .75 Nach dem Persersieg erhielt Odainats Sohn Ḥairan ein Reiterstandbild mit Inschrift, die ihn als »König der Könige« (βασιλεύς βασιλέων) ausweist . Den Prestigetitel persischer Provenienz wird kaum nur der Sohn des dux Romanorum beansprucht haben . Odainat selbst hat zweifellos bereits zu Lebzeiten76 als rex regum firmiert und damit an der Stoßrichtung seines expansiven Vorgehens keinen Zweifel gelassen . Die Usurpation des persischen – und im Osten weit verbreiteten – Königstitels, die kaum mit Rom abgestimmt gewesen sein dürfte, zeigt aber auch, dass den palmyrenischen Großen zur Bemessung von Macht und Prestige – neben der römischen – noch eine zweite Skala zur Verfügung stand . Man wird deshalb auch Odainats Handeln, und das seiner Erben, nicht allein nach römischen Kategorien beurteilen wollen . Über die Motive von Odainats zweitem Mesopotamienfeldzug einige Jahre später lässt sich trefflich spekulieren: Neben der offensichtlichen Schwäche des Sasanidenreichs mit seinem alternden Herrscher Šābuhr, der Aussicht auf reiche Beute in Ktesiphon und auf erhebliches Prestige mögen durchaus auch handelspolitische, auf direkte Kontrolle der Karawanenstraßen zum Persischen Golf zielende Erwägungen eine Rolle gespielt haben . Abermals scheiterte die Einnahme Ktesiphons, und der corrector totius Orientis musste die Belagerung abbrechen, weil 267 ostgermanische Stämme ins östliche Anatolien einfielen . Unter kaum je zu klärenden Umständen fiel Odainat gemeinsam mit seinem ältesten Sohn aus erster Ehe, Herodianus (Ḥairān), wohl Ende 267 im bithynischen Herakleia Pontike einem Attentat zum Opfer .77 72 Odainat griff bei Zeugma oder Samosata die mit ihrer syrischen Beute beladenen sasanidischen Truppen an und errang einen, von den spätantiken Quellen womöglich in seiner Bedeutung übertriebenen, Sieg: Synk . 466,24f .; Zon . 12,23; Ioh . Mal . 12 p . 297,4–10 . Zur Bewertung: Hartmann 2001, 139f .; Sommer 2017b, 154–156 . 73 Zon . 12,24; H .A . Gall . 3,5 . 74 H .A . Gall . 10,3; tyr . trig . 15,3; Zos . 1,39,1: Nisibis, dessen Einwohner mit den Sasaniden kollaboriert hatten, zerstörte Odainat . 75 Von einer Belagerung sprechen H .A . Gall . 10,6f . und Zos . 1,39,2 . Laut Fest . 23; Eutr . 9,10; Oros . hist . 7,22,12; H .A . tyr . trig . 15,4; 30,6 erreichte Odainat lediglich die sasanidische Kapitale . Zur Chronologie Hartmann 2001, 172 . 76 Er trägt den Titel auf der postumen, von den Heerführern Zabdaʾ und Zabbai für ihn aufgestellten Inschrift PAT 0292 . Auf einer anderen, am Rande eines Kraters angebrachten Weihinschrift aus der nordwestlichen Palmyrene, die im März 263, also noch zu Lebzeiten Odainats, entstand, wird er lediglich als mlk (›König‹) bezeichnet . Waballat führt in einer palmyrenischen Inschrift hingegen den Titel mlk mlkʾ, in den späteren Inschriften, Münzen und Papyri (nach 270) firmiert er dann wieder lediglich als rex; vgl . ebd ., 179, Anm . 64f . 77 Es ist so gut wie sicher, dass Herodianus und Ḥairan ein und dieselbe Person waren; vgl . ebd ., 115 . Zusammenfassend zum Attentat, mit skeptischer Bewertung der Quellen Kaizer 2005 . Die Version bei Synk . p . 467,7–13, der von einer Einnahme Ktesiphons berichtet, ist kaum glaubhaft . Nichts von einer Eroberung der sasanidischen Hauptstadt wissen Zos . 1,39,2 und die übrigen, den zweiten Feldzug mit der ersten Kampagne vermengenden, Quellen (Eutr . 9,10: usque ad Ctesiphontem; Oros . hist . 7,22,12: usque ad Ctesiphontem) . Laut

Odainat und Zeno�ia: Palmyr as Griff nach der Weltmacht · 167 Stellung und Titulaturen des Odainat gingen nach seinem Tod nahtlos auf Waballat über, den gemeinsamen Sohn mit Zenobia, Ḥairāns jüngeren Halbbruder . Die Nachfolge taucht die außerordentliche Rolle Palmyras im römischen Orient erstmalig in ein helleres Licht: Der unter Zenobias Regentschaft stehende Waballat erhielt im dynastischen Erbgang Titel und Befugnisse, die Gallienus seinem Vater ad personam verliehen hatte; er partizipierte am Charisma des Persersiegers Odainat; er behauptete die territoriale Basis seines Vaters, also wohl Ostanatolien, Syrien und Mesopotamien, und er übernahm dessen Anhängerschaft, die offenkundig stark regional verwurzelt war – neben den palmyrenischen Offizieren der Armee des Odainat vermutlich auch in anderen Städten der östlichen Provinzen ansässige Palmyrener sowie Angehörige regionaler Eliten, die in vielfältiger verwandtschaftlicher Beziehung zueinander standen . Keine Stadt des römischen Orients hatte im 3 . Jahrhundert bessere Voraussetzungen zur Unterhaltung eines weitgespannten, grenzüberschreitend die eigenen Interessen sichernden Netzwerkes als die gateway city Palmyra .78 H .A . Gall . 13,1 ermordete den Odainat ein consobrinus, der in H .A . tyr . trig . 15,5 Maeonius heißt, qui et ipse imperium sumpserat . Einen nahen Verwandten als Mörder benennt auch Zon . 12,24 in seinem allerdings kaum historisch zu nennenden Bericht . Verschiedene Autoren (Ioh . Ant . fr . 152,2; Ioh . Mal 298,12–14) bringen dagegen Gallienus mit dem Mord in Zusammenhang . Gallienus mit Drijvers 1977, 848–850; Hartmann 2001, 226, als Hintermann einer Verschwörung ausmachen zu wollen, ist Spekulation, aber angesichts der politischen Lage nicht völlig aus der Luft gegriffen . 78 Verwandtschaftliche Bindungen zwischen Dynasten und Eliten verschiedener Städte, auch zu Nomadenscheichs, haben in Syrien eine lange zurückreichende Tradition . Über entsprechende dynastische Verbindungen zwischen den Zentren der Mittelbronzezeit Klengel 1992 passim . Sie spielten auch in römischer Zeit eine große Rolle . Im 1 . Jahrhundert v . und n . Chr . waren die Herrscher von Armenien, Emesa, Iudaea, Kappadokien, Kommagene, Pontos und dem Partherreich alle miteinander verwandt und verschwägert . Die Familie Herodes’ d . Gr . herrschte im 1 . Jahrhundert n . Chr . in vielen der nord- und mittelsyrischen Tetrarchien: Sullivan 1977a . Ein mögliches Indiz für verwandtschaftliche Beziehungen palmyrenischer Familien zur Nachbarstadt Emesa ist das mehrfache Auftauchen typisch palmyrenischer Personennamen wie Odainat (IGLS V 2328, datiert auf 431 SÄ = 119/120 n . Chr .) und Zenobios (IGLS V 2703, undatiert) in Inschriften aus Emesa und der Emesene . Dynastische und andere Verflechtungen könnten Überlappungen in den lokalen Götterhimmeln reflektieren: Bēl und die mit ihm vergesellschafteten Gottheiten treten auch andernorts im römischen Orient auf . So fand sich in Emesa eine Weihung an die Götter Bēl, Yarḥibōl und ʿAglibōl (Plinthe mit griechischer Inschrift: IGLS V 2220), dargestellt war wohl Bēl mit der Verkörperung göttlicher Gerechtigkeit, der Göttin Nemesis . Unmittelbar auf Palmyra verweist ein Relief mit unbekanntem Fundort, aber aus Syrien, das Yarḥibōl und ʿAglibōl darstellt: Drijvers 1976, 12 und Tf . XI . Über ihren Fernhandel und ihre Faktoreien verfügten auch Palmyrener über gute Kontakte zu anderen Städten . So dürften auch verwandtschaftliche Bindungen durchaus üblich gewesen sein . Ferner bekleideten Palmyrener sogar im Partherreich wichtige Positionen: Ein westliches Pendant zu Yarḥai, der ausweislich einer Karawaneninschrift von 131 n . Chr . durch die Herrscher von Charakene als Satrap in Dilmun (Bahrain) eingesetzt wurde (PAT 1374), ist nicht bekannt; die palmyrenischen Kaufleute in Ägypten, die durch mehrere Inschriften nachgewiesen sind, werden aber durchaus über Einfluss verfügt haben . Vgl . dazu und zu möglichen Kontakten der Palmyrener zu den Blemmyern in Ägypten: Hartmann 2001, 275f .; Evers 2016, 154–156 . Zur Beteiligung palmyrenischer Kaufleute am Rotmeerhandel: Young 2001, 80–82; Evers 2016, 167–172, mit epigraphischen Belegen aus Koptos, wo vermutlich eine palmyrenische Diaspora-Gemeinde mit eigener Kultaktivität existierte .

168 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Die Erhebung des Waballat ist als Vorgang um so bemerkenswerter, als die Rechtfertigung für die weitreichende politische Autonomie der Wüstenstadt – die Bedrohung durch Šābuhr – seit den Kampagnen des Odainat hinfällig war . Die für Rom kritische Situation des Jahres 260 war stabilisiert, das Sasanidenreich nicht mehr imstande zur Fortsetzung seiner Kriege gegen Rom . Die Lage im Osten unterschied sich damit von der Situation, mit der das in zeitlicher Parallele sich etablierende – und mit Recht strukturell immer wieder mit Palmyra verglichene – Gallische Reich des Postumus im Westen konfrontiert war . Im Westen konnte 268 von einer Beruhigung an den Grenzen noch keine Rede sein . Das Geschehen in Palmyra und seinem Einflussbereich hatte, spätestens mit dem Herrschaftsantritt des Waballat, vermutlich aber schon vorher, eine Eigendynamik gewonnen, die sich der Kontrolle sämtlicher Akteure entzog . Ihre in der Ausnahmesituation der Jahre nach 260 errungene Machtstellung machte Odainats Angehörige, selbst wenn sie nicht nach dem Purpur gestrebt hätten, für den legitimen Kaiser in Rom zu einer Bedrohung, der er sich zu stellen hatte . Die behauptete Mitwisserschaft des Gallienus bei der Ermordung des corrector Odainat, ob real oder fiktiv, seine Pläne für einen Feldzug gegen Zenobia79 und der Vorrang, den Aurelian der Unterwerfung Palmyras einräumte, beziehen hieraus ihren Sinn . Wie zahllose Usurpatoren vor ihnen, standen Zenobia und Waballat an einem Punkt ohne Wiederkehr, an dem sich die Alternative zum Konflikt mit der legitimen Kaisergewalt nicht mehr ernsthaft stellte . Schließlich lautete sie Unterwerfung auf Gnade und Ungnade .80 Mit geradezu zwingender Logik entrollte sich, in drei Akten, das Drama von Expansion und Kollaps des palmyrenischen ›Teilreichs‹ unter Waballat und Zenobia, die zunächst den Status quo im Orient nach Osten wie Westen hin absicherten (268–270): Syria und das östliche Kleinasien gehörten 268 unangefochten zur Einflusssphäre Palmyras .81 Ohne dass der in Abwehrkämpfen an der Donau stehende Kaiser Claudius II . Gothicus eine Möglichkeit zur Gegenwehr gehabt hätte, besetzten in einem zweiten Schritt palmyrenische Truppen gewaltsam die Provinzen Arabia und Aegyptus (270) . Gleichwohl brachen Zenobia und Waballat auch nach dem Tod des Claudius nicht alle Brücken hinter sich ab . Sie ließen, so weiterhin die Zugehörigkeit zum Imperium und die Superiorität des römischen Amtsinhabers anerkennend sowie die concordia mit ihm demonstrierend, in Antiocheia Münzen prägen mit dem Bild Aurelians auf der Vorder-, Waballats auf der Rückseite .82 Die untergeordnete Stellung des Waballat und die fort79 Laut H .A . Gall . 13,4f . schickte Gallienus tatsächlich seinen praefecus praetorio Heraclianus, um einen Feldzug gegen Zenobia in Syrien zu führen . Der Bericht ist, wie Hartmann 2001, 260f ., nachweist, unhistorisch, enthält aber möglicherweise als wahren Kern die Absicht des Kaisers zu einer solchen Kampagne . 80 Die politische Morphologie der Usurpation im römischen Kaiserreich umreißt hauptsächlich für das 1 . Jahrhundert n . Chr ., aber mit Gültigkeit für die gesamte Prinzipatszeit Flaig 1992 . 81 Zur kontroversen Diskussion in der Literatur Hartmann 2001, 263 . Zu möglichen Kämpfen im Osten ebd ., 266f . Der Grenzsicherung diente die Festung Zenobia, in der Nähe der Mündung des Ḫābūr in den Euphrat: ebd ., 268–270 . 82 RIC V 1,308 .

Odainat und Zeno�ia: Palmyr as Griff nach der Weltmacht · 169 dauernde Selbstbindung an Rom schlug sich auch in dessen neuem, freilich von Rom nicht bestätigtem und damit ursurpiertem Titel vir clarissimus rex consul imperator dux Romanorum nieder .83 Im furiosen Finale griffen schließlich Zenobia und Waballat, unter dem Druck der anrückenden Truppen Aurelians und als Reaktion darauf, nach dem Purpur und usurpierten im Frühjahr 272 den Augustus- bzw . Augusta-Titel .84 In drei größeren Schlachten, bei Antiocheia, Emesa und vor Palmyra, besiegte Aurelian die Palmyrener, nahm Zenobia und Waballat gefangen und schlug 273 eine letzte Erhebung Palmyras zurück, die der προστάτης Septimius Apsaeus und Antiochos, der Vater Zenobias, angeführt hatten .85 So wurde Palmyra innerhalb weniger Jahre zum Ausgangspunkt zweier Erhebungen: des durch Waballat und Zenobia entfachten, für die Reichszentrale eminent bedrohlichen Flächenbrandes und des von Apsaeus inszenierten, über eine lokale Aufstandsbewegung nicht hinausgewachsenen Strohfeuers . Beide entwickelten die für römische Usurpationen typische Eigendynamik, beide provozierten Aurelian zu jeweils erfolgreichen Gegenschlägen . Der Ablauf, in den sich auch die Selbstdarstellung der palmyrenischen Herrscher in Titeln und auf Münzen fügt,86 scheint auf den ersten Blick auf einen »abortive claim to the empire«, eine letztlich gescheiterte Usurpation, zu deuten .87 Usurpationen gehörten mit ihrem geradezu drehbuchartig geregelten Ablauf im römischen Prinzipat mit seinem schier unerschöpflichen Reservoir an kaiserfähigen Persönlichkeiten zum festen Inventar politischer Rituale . Immer wieder forderten Rivalen amtierende Herrscher heraus, bald mit mehr, bald mit weniger Erfolg . Sieg oder Scheitern des Usurpators hing von einer Reihe von Parametern ab, die über die Jahrhunderte bis zur Tetrarchie nahezu unverändert blieben: Voraussetzung für die Usurpation war, ers83 So die Inschrift auf den Meilensteinen entlang der via nova Traiana (siehe oben S . 165, Anm . 69) . Zur Usurpation des Titels Hartmann 2001, 255f . 84 Vaballathos nannte sich fortan Imperator Caesar Lucius Iulius Aurelius Septimius Waballat Athenodorus Per­ sicus maximus Arabicus maximus Adiabenicus maximus pius felix invictus Augustus, dokumentiert auf vier weiteren Meilensteinen der via nova Traiana; ebd ., 355 . Zur Chronologie der Usurpation und zu den Motiven ebd ., 360–362 . 85 Die Münzen bleiben tatsächlich weitgehend in der römischen Matrix . Hinter der Usurpation des Antiochos stand der auch epigraphisch (Inv . III 18) belegte, offenbar von Aurelian als Statthalter in Palmyra eingesetzte προστάτης Septimius Apsaeus, der laut Historia Augusta zunächst vergeblich den rector Orientis Aurelius Marcellinus zur Usurpation gegen Aurelian anstacheln wollte (H .A . Aur . 31; Zos . 1,60f .) . 86 Das gilt vollständig für die Münzprägung, mit Legenden wie ΣΕΒΑΣΤΟΣ, dem griechischen Pendent zu AVG, der Abbildung von Schutzgottheiten in traditioneller Manier, wie Jupiter, Herakles, Helios und Selene, sowie Personifizierungen, wie ΕΛΠΙΣ (SPES) oder ΟΜΟΝΟΙΑ (CONCORDIA) . Es gilt eingeschränkt für die Titulaturen: ὑπατικός (consularis), vir clarissimus, consul, imperator (auf einem syrischen Meilenstein: Bauzou 1989, Bd . 2, 41f ., Nr . 28) . Die lassen sich am ehesten im Rahmen römischer Kategorien erklären . Dux Romanorum (ebd .) kann man, mit Hartmann 2001, 147, mit einigem guten Willen noch als von Gallienus an Odainat verliehenes außerordentliches militärisches Amt deuten . Ἔξαρχος τῶν Παλμυρηνῶν (Inv . III 16) und βασιλεύς βασιλείων (Inv . III 3) bzw . rex (PAT 0313) lassen sich hingegen beim besten Willen nicht mehr im Kanon römischer Titulaturen unterbringen: Sommer 2017b, 171 . 87 So Millar 1993, 335f .; in der Bewertung sehr ähnlich: Hartmann 2001 .

170 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE tens, die schwerwiegende Zerrüttung einer Herrschaft und ihrer Akzeptanz bei den Beherrschten, samt Auflösung der Gehorsamsstrukturen und Entstehung neuer Beziehungsgeflechte zwischen Truppe und Truppenführern,88 zweitens ein erfolgreicher, kaiserfähiger Heerführer mit überragender auctoritas,89 der sodann, drittens, das affektive Vertrauen der Truppe gewann90 und, viertens, die Kaiserakklamation durch die Truppe durch Annahme des imperator-Namens entgegennahm91 sowie, fünftens, ein auf dem politischen Opportunismus individueller Amtsträger (und keinesfalls auf familiären oder freundschaftlichen Bindungen) gründendes Interessenkartell aus Senatoren und Rittern zusammenbringen musste .92 Sechstens hatte er das Vertrauen der plebs urbana zu gewinnen .93 Die Usurpation war, siebtens, irreversibel, denn »das Leben des gescheiterten Usurpators war verwirkt« .94 Nach Flaig galten schließlich, achtens, für Usurpationen in der östlichen Reichshälfte besondere Bedingungen: Die Bevölkerung von Großstädten wie Antiocheia und Alexandreia war ein der plebs urbana vergleichbarer, so in der westlichen Peripherie nicht vorhandener Machtfaktor,95 der zudem besondere Ansprüche an das Charisma des Usurpators stellte, die ihm nachgerade »Qualitäten eines Heilandes« abverlangten .96 Schließlich verstand es mindestens ein Usurpator im Orient, der legatus Syriae Pescennius Niger, ein außerordentliches Maß an Loyalität seitens der lokalen Bevölkerung wie der Garnison herzustellen . Beide Gruppen hielten bis zur dritten Niederlage gegen Septimius Severus zu Niger .97 Wie also verhält es sich mit Zenobias Griff nach der Macht? Wie nah kommt er dem Idealtypus der römischen Usurpation? 1 . Zerrüttung der Akzeptanz des Amtsinhabers: Mit der Niederlage Valerians war die römische Herrschaft im Orient ihrer schwersten Belastungsprobe in 600 Jahren ausgesetzt . Ohne Frage wuchs dem Retter Odainat, dem Bezwinger des großen Šābuhr und »sonnengesandten Löwen« des 13 . Sybillinischen Orakels, bei den Bewohnern der Ostprovinzen unvergleichliches Charisma zu .98 Gallienus vermochte

88 Flaig 1992, 410 . Das Flaig’sche Modell des »Akzeptanzsystems« ist nicht unumstritten . Für einen Versuch, die herrschaftssoziologischen Kategorien für das Verständnis des Prinzipats und seines politischen Systems nutzbar zu machen: Sommer 2011 . 89 Flaig 1992, 286 . 90 Ebd ., 285 und 414 . 91 Ebd ., 284f . 92 Ebd ., 411 . 93 Ebd ., 414 . 94 Ebd ., 237 . 95 Ebd ., 414 . 96 Ebd ., 414f . 97 Ebd ., 563 . Vgl . H .A . Sept . Sev . 8,15; Herodian . 2,7–8 . 98 Or . Sib . 13,164–171 . Vgl . dazu den Kommentar von Potter 1990, sowie: Strobel 1993, 252f .; Hartmann 2001, 194–200; Sommer 2017b, 163f .

Odainat und Zeno�ia: Palmyr as Griff nach der Weltmacht · 171 indes den Palmyrener als dux Romanorum und corrector totius Orientis in sein Legitimitätssystem zu integrieren und so den potentiellen Rivalen zu neutralisieren . Aus der Balance zu geraten drohte diese Konstruktion jedes Mal mit dem Tod eines Partners: nach der Ermordung des Odainat, als Gallienus sich zur militärischen Intervention anschickte; nach der Thronbesteigung des Claudius Gothicus, als Zenobia zur großräumigen Expansion ansetzte, und nach dessen Tod, als Waballat den imperator-Titel usurpierte, wohlgemerkt zunächst nicht als Namensbestandteil . Dennoch prägten Münzstätten im Einflussbereich Palmyras durchgängig, bis 272, Nominale mit dem Bild des römischen Amtsinhabers . Wäre dessen Autorität im Osten nach 260 vollständig zusammengebrochen, hätten sich Odainat und seine Nachfolger diese Geste der Loyalität sparen können . Odainats Sieg untergrub nicht die Loyalität, sondern er stützte sie, weil zwischen dem Kaiser und dem ἔξαρχος, vorläufig wenigstens, keine widerstreitenden Interessen standen .99 2 . Auctoritas und Kaiserfähigkeit des Prätendenten: Odainat war durch seine Erfolge gegen Šābuhr und als römischer Senator und consularis grundsätzlich als kaiserfähig ausgewiesen . Anders stand es um den noch nicht volljährigen Waballat, erst recht um Zenobia . Ein Kindkaiser Waballat wäre nur nach vollständigem Autoritätsverlust des römischen Kaisers vermittelbar gewesen, eine Augusta Zenobia als Trägerin der Herrschaftsgewalt aus eigenem Recht überhaupt nicht .100 3 . Vertrauen der Truppe: Weder Odainat noch Waballat oder Zenobia wurden durch die Truppe erhoben . Odainat nahm, obwohl er ohne Frage beträchtlichen Rückhalt bei den palmyrenischen wie den regulären Truppen besaß, alle Befugnisse und Titel außer dem Königstitel aus der Hand des Kaisers entgegen . Sie gingen über auf Waballat im Zuge dynastischer Erbfolge, jetzt aber ohne Legitimierung durch den Kaiser . Die Truppe unterschied sich signifikant von anderen römischen Heeresverbänden: Zu ihr zählten außer den nach 260 verbliebenen regulären Einheiten Kräfte auf ethnischer Basis, die zur integrierten Stammesgesellschaft Palmyras gehörten . Das zahlenmäßige Verhältnis ist kaum zu beziffern, klar ist aber, dass in diesem Heer noch andere Loyalitätsmomente eine Rolle spielten als in einem gewöhnlichen römischen Großverband . 4 . Kaiserakklamation und imperator-Name: Anders als bei typologisch regelhaften Usurpationen erfolgte keine Akklamation, schon gar nicht in einem Guss . Vielmehr wandelte sich die außerordentliche, aber legitime Gewalt des Odainat erst in mehreren Schritten zur usurpierten Kaisergewalt von Waballat und Zenobia . Kaiserliche Attribute und Titulaturen eigneten sich die Palmyrener erst sukzessive an . Den imperator-Titel nahm Waballat bereits 270 an, machte ihn aber erst mit der 99 Zu den Prägungen in Antiocheia und Alexandreia Hartmann 2001, 251–253 . 100 Zu den Kriterien der Kaiserfähigkeit Flaig 1992, 190f . Freilich veränderten sich vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung im 3 . Jahrhundert die Anforderungen an potentielle Usurpatoren (Zurücktreten der Zugehörigkeit zum ordo senatorius, wachsende Bedeutung professionell-militärischer Eignungen): ebd ., 192 .

172 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Augustus-Erhebung zum Teil seines Namens (272) . Darüber, dass Soldaten an den Usurpationsakten beteiligt gewesen wären, liegen keine Nachrichten vor . 5 . Interessenkoalition römischer Funktionsträger: Über eine Zusammenarbeit mit Vertretern römischer Eliten, insbesondere mit Legionsbefehlshabern, ist ebenfalls nichts überliefert . Statt mit den Macrianus-Söhnen gegen Gallienus zu kooperieren, zerschlug Odainat deren Usurpation; der praeses von Syria Phoenice, Salvius Theodorus, schloss sich 270 gerade nicht den Palmyrenern an;101 der Statthalter von Arabia erkannte Zenobia nicht an,102 und der Präfekt Tenagino Probus stellte sich 270 zwar erfolglos, aber tatkräftig der Eroberung Ägyptens durch Zenobias Truppen entgegen .103 Die Unterstützergruppen entstammten ausschließlich dem lokalen und regionalen Establishment . Odainats wichtigster Gefolgsmann war der Palmyrener Worōd, der seine umfangreiche, lokal verwurzelte Klientel einbrachte .104 Palmyras epigraphisch und literarisch bezeugte Heerführer Zabdaʾ und Zabbai waren zweifellos gleichfalls Palmyrener .105 Die palmyrenische Anhängerschaft in Ägypten setzte sich zusammen aus dort ansässigen palmyrenischen Händlern, der palmyrenischen Garnison in Koptos sowie ägyptischen Händlern, die sich von Zenobia Schutz gegen die Blemmyer versprachen, die immer wieder Inkursionen auf ägyptisches Gebiet unternahmen .106 6 . Plebs urbana: Es handelte sich um eine regionale Erhebung außerhalb Italiens . Deshalb spielte die stadtrömische Plebs keine Rolle, wohl aber die großstädtischen Bevölkerungen Antiocheias und Alexandreias, die in ihrer Bedeutung durchaus äquivalent waren . 7 . Eigendynamik: Zenobia und Waballat, im Grunde genommen aber auch schon Odainat, waren als Exponenten eines quasi-autonomen Machtzentrums zu einer für den römischen Kaiser inakzeptablen Konkurrenz geworden . Eskalation und Niederschlagung waren daher zwingende Konsequenzen der Entwicklung ab 260, besonders ab 270 . 101 Rey-Coquais 1978, 67; Hartmann 2001, 245 . Der Statthalter erwähnte in einer Inschrift aus Tyros nur den Kaiser Claudius Gothicus, aber weder Zenobia noch Waballat . 102 Hartmann 2001, 278 . 103 Ebd ., 289–293 . 104 Zu Person und Laufbahn des ἀργαπέτης und ἀγορανόμος Worōd siehe unten . S . 178 . Septimius Worōd war zugleich von Gallienus eingesetzter ritterlicher procurator Augusti ducenarius und duumvir der colonia Palmyra . Er ist nach der Ermordung des Odainat inschriftlich nicht mehr bezeugt . 105 Inv . III 3,20; 19,3f . Vgl . Hartmann 2001, 301f . 106 Der Ägypter Timagenes entstammte vermutlich diesem kommerziellen Milieu: ebd ., 284 . Zu den Palmyrenern in Ägypten jetzt: Seland 2016, 41–43; Sommer 2017b, 173f . Nicht unproblematisch, weil zum sensationsheischenden Duktus der Sammlung passend, sind die Berichte der Historia Augusta (Prob . 9,5; tyr . trig . 29), nach denen Zenobia den Namen Kleopatra angenommen und Ägyptisch gelernt habe . Plausibel ist aber die Vermutung von Hartmann 2001, 146f ., die Palmyrener hätten sich auf die jüdische Bevölkerung Alexandreias stützen können . Sie erneuerten, wie eine Inschrift (OGIS 129) dokumentiert, die Asylie der örtlichen Synagoge, was als Geste des Dankes interpretiert werden könnte .

Odainat und Zeno�ia: Palmyr as Griff nach der Weltmacht · 173 8 . Regionale Spezifika: Das wohl zur Zeit Odainats in Syrien oder Ägypten entstandene 13 . Sybillinische Orakel malt die Herrschaft des Palmyreners in den leuchtendsten Farben aus .107 Unter dem Eindruck der erfolgreichen Perserabwehr galt der corrector totius Orientis offenbar allen Bevölkerungsgruppen des römischen Ostens als Retter, dessen Charisma sich auf seine Familie übertrug . Bei der kurzfristigen Wiedereroberung Alexandreias durch kaisertreue Truppen unter Probus (270) herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände – ein Indiz dafür, dass ein erheblicher Teil der lokalen Bevölkerung die Palmyrener unterstützte .108 Dagegen konnte der palmyrenische Befehlshaber Zabdaʾ nach dem Sieg Aurelians bei Antiocheia (272) die Ordnung in der Stadt nur aufrechterhalten, indem er die Kunde von einem Sieg der Palmyrener verbreitete und der Bevölkerung einen als Aurelian verkleideten Gefangenen präsentierte .109 Bei seinem Sturm auf Palmyra konnte Aurelian sich möglicherweise auf eine – vielleicht arabische oder proto-arabische – Stammesgruppe im Ḥaurān, die Tanūḫ, stützen . Anders als die aus Südmesopotamien eingewanderten Tanūḫ scheinen aber die seit alters die Syrische Wüste bevölkernden Nomaden, zu denen die Palmyrener geregelte Beziehungen unterhielten, die Oasenstadt unterstützt zu haben . Sollten die Zeltbewohner tatsächlich Verbündete der Palmyrener gewesen sein, würde das den regionalen Charakter der von Zenobia angeführten Interessenkoalition unterstreichen .110 Die Vorgänge in und um Palmyra erhalten damit schärfere Konturen: Zwar war der Aufstieg des Odainat und seiner Familie an eine Herrschaftskrise gekoppelt, doch blieb das Kriterium unerfüllt, dass der Usurpation der Akzeptanzverlust des Amtsinhabers vorausgehen müsse . Odainat – und in Grenzen auch sein Sohn – besaß zwar die für Usurpatoren unabdingbare Statur zum Kaiser; sie usurpierten die Amtsgewalt aber nicht in einem Akt und empfingen sie auch nicht aus der Hand der Soldaten . Sie bauten weder eine pres­ 107 Or . Sib . 13,164–171: τότ᾽ ἐλεύσεται ἡλιότεμπος δεινός τε φοβερός τε λέων πνείων φλόγα πολλήν . δὴ τόθ᾽ ὅ γ᾽ ἆυτ᾽ ὀλέσει πολλῇ καὶ ἀναδεὶ τόλπῃ εὐκεράωτ᾽ ἔλαφόν τε θοὸν καὶ θῆρα μέγιστον ἰοβόλιον φοβερὸν συρίγματα πόλλ᾽ ἀφιέντα τοξοβάτην τε τράγον, ἐπὶ δ᾽ αὐτῷ κῦδος ὀπηδεῖ . αὐτὸς δὴ ὁλόκληρος ἀλώβητος καὶ ἄπλητος ἄργει Ῥωμαίων, Πέρσαι δ᾽ ἔσσοντ᾽ἀλαπαδνοί (›Dann wird kommen der sonnengesandte, fürchterliche und schreckenerregende Löwe, viel Feuer atmend; mit großem, brennendem Mut wird er den gutgehörnten, schnellen Hirsch [Macrianus], das riesenhafte, giftspeiende, fürchterliche und zischende Tier [Šābuhr] und den geschossfüßigen Bock [Ballista] vernichten . Ruhm wird ihn erwarten; unversehrt, makellos und unnahbar wird er über die Römer gebieten, und die Perser werden leicht bezwingbar‹) . Zum Orakel und dessen Entstehung im christlich-jüdischen Milieu Syriens: Potter 1990, 141–157; Strobel 1993, 212; Hartmann 2001, 198 . 108 Die Belagerung des alexandrinischen Stadtteils Bruchium und die internen Konflikte beschreiben Amm . 22,16,15f .; Eus . 7,32,7–11 . Zur Datierung Hartmann 2001, 290f . 109 Zos . 1,51,1–3 . 110 Die Rolle der Tanūḫ schildert at-Tabarī 1,621–627 . Zur Zenobia-Legende in der islamisch-arabischen Tradition: Toral-Niehoff 2014, 49f .; Sommer 2015c . Zur möglichen Parteinahme einzelner arabischer Stämme für Palmyra: Graf 1989, 150–155; Hartmann 2001, 347–349 .

174 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE sure­group römischer Amtsträger auf, noch profitierten sie von einer krisenbedingten Aufweichung der Gehorsamsstrukturen . Sie rückten vielmehr erst allmählich die eigene Person neben dem Kaiser in den Mittelpunkt und gingen auch in der Aneignung von Titeln und Befugnissen schrittweise vor, was sich kein Usurpator hätte leisten können . Massiv fällt, in partieller Parallele zur Usurpation des Pescennius Niger, aber in ungleich stärker ausgeprägt, die regionale Verwurzelung ins Auge: Die Hauptexponenten der palmyrenischen ›Partei‹ entstammten sicher, wie Worōd, oder vermutlich, wie Zabdaʾ und Zabbai, der palmyrenischen Elite oder aber, wie Timagenes, jener der großen orientalischen Städte . Odainat und sein Sohn fanden Rückhalt bei der regionalen Bevölkerung, auch bei nomadischen Gruppen, Juden und Christen . Sie stützten sich schließlich auf die in orientalischen Städten zahlreichen palmyrenischen Händlerenklaven, auf palmyrenische Truppenteile und auf verwandtschaftliche Bindungen zu den urbanen Eliten Vorderasiens . Die Interpretation des Geschehens als »abortive claim to the empire«111 im Sinne einer Usurpation römischer Reichseliten gegen den legitimen Princeps greift, so groß ihre Suggestivkraft ist, ebenso zu kurz wie die von den spätantiken Quellen vermittelte Deutung als separatistische Rebellion Palmyras oder gar ›des Orients‹ gegen das Imperium . Sie geht von der unrichtigen Prämisse aus, dass, wer seine Herrschaft mit römischen Titeln legitimiert und nach imperialen Konventionen propagiert, auch römisch handelt . Der Sinn der epigraphisch und numismatisch vermittelten Kodierung der Macht, von consularis über corrector totius Orientis und dux Romanorum bis imperator und Augustus, erschließt sich nicht über eine allein mit ›staatsrechtlichen‹ Kategorien operierende Deutung .112 Odainat, Zenobia und Waballat in ihrem Agieren schon zu Exponenten des römischen Systems zu machen, nur weil sie römische Titel benutzten, hieße, sich in einem hermeneutischen Zirkel zu verrennen . Ihr Verhalten lässt sich offensichtlich kaum mit dem weitgehend normierten Prozess einer römischen Usurpation in Übereinstimmung bringen . Wenn aber das, was nach 260 in Palmyra geschah, keine Usurpation war, was war es dann?

111 Millar 1993, 335 . 112 Flaig 1992, 182: »Bereits die Ausübung von Herrschaftsbefugnissen war in Rom nicht juridisch kodierbar . Die Gehorsamsweisen, Loyalitätsmodi und Autoritätstypen waren es nicht und konnten es gar nicht sein . Jeder reichsbezogene Sektor hatte demgemäß seine Auffassung von dem, was ›Recht‹ war, damit auch von der Aufgabe der Res publica, d . h . vom richtigen Handeln des Kaisers und der anderen Gruppen, also vom ›Staatsrecht‹; es gab demzufolge so viele ›Staatsrechte‹, wie es maßgebliche Sektoren der politischen Gemeinschaft gab . Ergo gab es kein Staatsrecht .« Die Aporien, in die eine Reduktion des römischen Prinzipats auf staatsrechtliche Begriffe mündet, hebt auch Winterling 2001 hervor . Heuristisch fragwürdig ist daher die wiederum staatsrechtliche Konstruktion eines die höhere Autorität des römischen Kaisers anerkennenden, von Odainat und Zenobia zur Verteidigung des römischen Orients konzipierten und erst spät in eine Usurpation umschlagenden »Teilreichs«, wie Hartmann 2001, 447 und 460 (»konsequente Verwirklichung einer römischen Regionalherrschaft in der Soldatenkaiserzeit«), es vorschlägt .

»Cité grecque«? · 175

»Cité grecque«? Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt im Verständnis der palmyrenischen Eliten . Sie  bildeten den Kern jener Interessen- und Loyalitätsgruppe, auf welche die palmyrenischen Herrscher, von Odainat bis Antiochos, sich stützen konnten und aus der sie, wie noch zu sehen sein wird, ihr Personal hauptsächlich rekrutierten . Die vertikale Erweiterung der Gruppe nach unten bildeten die Angehörigen der palmyrenischen Stämme unter Waffen, ob Nomaden oder nicht, die horizontale Erweiterung die den Palmyrenern verwandtschaftlich und kommerziell verbundenen urbanen und tribalen Aristokratien des Vorderen Orients . Die Sicht auf diese Eliten wird verstellt durch das landläufige Bild von der ›Mischkultur‹, eines kruden Amalgams orientalischer und westlicher Elemente, als dessen Exponenten die palmyrenischen Führungsschichten meist gelten . Das Modell verträgt sich nicht mit der ganz wesentlich ihrem polymorphen Charakter geschuldeten Komplexität der palmyrenischen Gesellschaft, die sich hartnäckig dem Versuch widersetzt, analytisch in ihre vermeintlichen Komponenten ›Orient‹ und ›Okzident‹ seziert zu werden .113 Das Handeln der Palmyrener gewinnt Plastizität erst vor dem Hintergrund der in Palmyra zusammenlaufenden Traditionslinien, ihrer Kontrastierung und Überlagerung in den parallelen Prozessen von Hellenisierung und Romanisierung . Traditionen lassen sich in Palmyra, dank einer vergleichsweise guten Überlieferungslage, auf unterschiedlichen Feldern nachzeichnen: Neben dem Fundamentalkriterium Sprache, das freilich für sich genommen blass und wenig aussagekräftig bleibt,114 erhalten die Bereiche politische Organisation und Institutionen, Ökonomie, Religion und Kult, Bild und Architektur besonderes Gewicht . In ihnen materialisieren sich nicht nur jeweils gültige normative Orientierungen, Weltanschauungen, ästhetische Präferenzen und Gewohnheiten der Menschen, sie erzeugen umgekehrt auch selbst Handlungsmuster, determinieren Verhalten und wirken stil- und strukturprägend .

113 Die Bewertung Palmyras als ›Mischkultur‹ wurde bis vor Kurzem einhellig akzeptiert: Février 1931, 67f .; Starcky/Gawlikowski 1985, 89 (»Toute la civilisation de Palmyre est composite […]«); Will 1992, 114–118; Hartmann 2001, 62; Yon 2002, 233 . Differenzierter aber schon Drijvers 1977, 8; Teixidor 1984, 92–98; Millar 1993, 326f .; Schmidt-Colinet 1997, 159, und jetzt besonders Andrade 2013, 177–187; Sartre/Sartre 2016, 94–103; Veyne 2016, 84–95 . Für den eigenen Standpunkt Sommer 2017b, 215–220 . 114 Hervorstechendes Merkmal der Inschriften aus Palmyra ist ihre fast durchgängige Zwei- oder gar Dreisprachigkeit (Palmyrenisch – Griechisch – Lateinisch), an der bis zur Unterwerfung Palmyras durch Aurelian festgehalten wurde . Singulär ist die Verwendung des Palmyrenischen durch Palmyrener in anderen Reichsteilen, bis nach Dakien, Numidien und Britannien; vgl . Millar 1993, 327–329 . Zu Dakien speziell: Bianchi 1987; Tentea 2011 . Zutreffend aber die Feststellung von Sartre 1996, 397: »[…] le maintien de la langue ancestrale n’implique pas un enracinement superficiel de la culture grecque, la culture n’ayant, comme la religion, rien à faire de la physique des vases communicants .« – Dasselbe gilt freilich auch vice versa, für die Übernahme des Griechischen und Lateinischen .

176 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Palmyra erweckt, beurteilt nach seinen epigraphisch überlieferten Institutionen, auf den ersten Blick den Eindruck einer zutiefst hellenisierten Stadt . Nicht anders als Athen oder Milet gliederte sich die Polis der Palmyrener115 – ein Verband von Bürgern116 – nach Stämmen (pḥz/pḥwz/pḥd),117 waren δῆμος (gbl tdmryʾ bzw . dms/dmws) und βουλή (bwlʾ) die wichtigsten politischen Organe,118 führten jährlich wechselnde Magistrate, die γραμματεῖς (grmṭyʾ/grmṭws)119 und ἄρχοντες (ʿrkwn),120 die Geschäfte, sekundiert von untergeordneten Beamten mit spezifischen Zuständigkeitsbereichen, den ἀργυροταμίαι (ʿnwšt bʿbwšt),121 στρατηγοί (ʾsṭrṭg),122 ἀγορανόμοι (rbnšwqw),123 γυμνασιάρχοι (gmnsyrks)124 und δεκαπρῶτοι 115 PAT 0269 ([Παλμυρη]νῶν ἡ πόλ[ις] bzw . gbl tdmryʾ, 51 n . Chr .) . 116 PAT 1422 ([πολείτη]ν τῆς Παλμυρη[ν]ῷν πόλεως, undatiert, die palmyrenische Fassung ist äußerst fragmentarisch); PAT 2778 (ἀγαθὸν πολείτην, 84 n . Chr .); PAT 1378 (πᾶσαν πολιτείαν bzw . wʿbd plṭyʾ, 199 n . Chr .): Smith 2013, 122–125 . 117 Unter anderen PAT 0191 (pḥd bny mʿzyn, 49 n . Chr .); PAT 0461 (pḥd bny mtbwl); PAT 1378 (αἱ τέσσερες φυλαί); PAT 2282 (pḥdyʾ, undatiert): Schlumberger 1971, mit einem nicht unproblematischen Rekonstruktionsversuch der »vier Stämme« . 118 PAT 0269; PAT 1335 (wgbl tdmryʾ, 35 n . Chr .); PAT 2636 (gbl tdmryʾ, 10 n . Chr .); dms und dmws, in der Regel in der Verbindung bwlʾ wdms bzw . bwlʾ wdmws, in unzähligen Ehrdekreten auf Beschluss von δῆμος und βουλή . Auch das Steuergesetz (PAT 0259) war ein δόγμα βουλῆς: Sartre 1996, 388; Smith 2013, 125–127 . 119 PAT 0259 (Steuergesetz) G 1,3 (γραμματεύς τῆς βουλῆ); P 1,2 (wgrmṭws dy bwlʾ wdms); PAT 1375 (grmṭyʾ) . Zu dem entsprechenden Amt im klassischen und hellenistischen Griechenland: Abbott 2012 . 120 PAT 0187 (ohne Datierung); PAT 0259 (Steuergesetz) G 1,3; 1,12; P 1,2; 1,7; 1,10 . 121 PAT 0337 (ohne Datierung) . Wörtliche Bedeutung: ›Männer des Schatzes‹ . 122 PAT 0278 (ʾsṭrṭg lqlnyʾ = ›Stratege der Kolonie‹, 242 n . Chr .) . Die palmyrenische Strategie stellt uns vor erhebliche heuristische Probleme: Strategen waren, analog zu den duumviri, jeweils die leitenden eponymen Oberbeamten in den coloniae des griechischen Ostens . In dieser Funktion amtierten die Widmungsträger des Ehrendekrets PAT 0278, Iulius Aurelius Zenobius und sein Kollege Zabdilaʾ . Ursprünglich hingegen waren στρατηγοί einfach militärische Befehlshaber zur Sicherung der Karawanenwege . Ein gewisser ʿOgēlu (ʿgylw), Sohn des Maqay (mqy), wird als Stratege wegen erfolgreicher Kommandos gegen die Nomaden (κατὰ τῶν νομάδων στρατηγίας bzw . sṭrṭgwn) geehrt (PAT 1378, 199 n . Chr .) . Der Stratege Aelius Boraʾ erhielt im selben Jahr eine Ehrinschrift, weil er Mut bei der Pazifizierung von Nomaden gezeigt und als ›Friedensstratege‹ bzw . ›Stratege, der Frieden machte‹ (στρατηγός ἐπὶ τῆς εἰρήνης bzw . ʾsṭrṭgʾ dy ʿbd šlmʾ) gedient hatte (PAT 1063, 198 n . Chr .): Teixidor 1984, 25f .; Smith 2013, 130f . Sartre 1996, 391, möchte zwei grundverschiedene Strategenämter, ein militärisches und ein ziviles, unterscheiden: »Il faudrait peut être faire une place aux responsables militaires, chargés de diriger la milice de Palmyre, les stratèges, qui pourraient aussi être des magistrats .« Und ebd ., 394: »Le terme de stratège est ambigu puisqu’il appartient aussi bien au vocabulaire des institutions de la polis qu’a celui des colonies romaines, avec un sens différent comme on l’a vu plus haut .« Plausibler ist, dass die Funktion des Amtes weitaus weniger trennscharf-formalistisch gefasst war . Zum Strategenamt in der hellenistischen Polis Jones 1940, 163–166; im römischen Orient Millar 1993, 327 . 123 PAT 1415 (ohne Datierung) und PAT 1398 (193 n . Chr .) . Mit Funktionen im ökonomisch-administrativen Bereich, ähnlich den aediles der lateinischen civitates . 124 PAT 1406 ([… qr] ṭsṭs wgmnsyrks, ohne Datierung): ›der vortrefflichste Verantwortliche für das Gymnasion‹ . Die schiere Existenz eines Gymnasions in Palmyra ist freilich eine bemerkenswerte Tatsache, handelte es sich doch um die griechische Bildungseinrichtung par excellence . Vor allem gestattete es ethnischen Nichtgriechen Zugang zu griechischer Bildung, παιδεία, und war so gleichsam das Tor ins geistige Vaterland der Hellenen: Mehl 1992, 70, der die bemerkenswerte Adaptionsfähigkeit der Institution Gymnasion hervor-

»Cité grecque«? · 177 (ʿšrt) .125 Mehr noch: Reiche Bürger taten sich wie in Griechenland durch alle erdenklichen Formen von Euergetismus hervor, als Spender von Lebensmitteln, Geldgeber für öffentliche Bauten und Ausrichter von Festen . Sie erhielten im Gegenzug, auf Beschluss von βουλή und δῆμος, die üblichen Ehrungen in Form von Statuen und Ehrinschriften . Die aramäische Begrifflichkeit lässt das Bemühen erkennen, für ein Institutionensystem, für das das Palmyrenische keine Vokabeln kannte, eine Nomenklatur zu schaffen . Drei Möglichkeiten boten sich unmittelbar an: Transliteration griechischer Wörter, Adaption durch Neuschöpfung palmyrenischer Begriffe und Angleichung durch Rückgriff auf vorhandene Begriffe . Die Tatsache allein, dass des Griechischen mächtige – und in der griechischen Art zu denken geschulte – Schreiber in Palmyra die politische Nomenklatur einer griechischen Polis adaptierten und monumentalisierten, ist bemerkenswert . Offenbar waren die Schreiber annähernd bilingual . Das aber besagt noch nichts über die Wirklichkeit hinter den Begriffen . So suggestiv die Vorstellung ist, dass sich hinter der griechischen Terminologie auch eine politische – und soziale – Wirklichkeit verbarg, die derjenigen in Hellas glich, so wenig zwingend ist sie . Welche Bedeutung also hatten die Ämter und Titel im realen Leben der Palmyrener? Zunächst verwundert es, dass nur wenige Verstorbene die Ehrenämter der vermeintlichen Polis Palmyra in ihren Grabinschriften führen . Das gilt auch für Personen, die erkennbar den höheren sozialen Strata entstammten, bei denen man also – wie bei ihren griechischen Zeitgenossen – einen schon fast hypertrophen Stolz auf die innegehabten Ämter voraussetzen sollte .126 Einen weiteren Hinweis gibt die institutionelle Nomenklatur selbst . Eine wichtige Amtsbezeichnung wie στρατηγός war mehrdeutig und konnte zugleich in grundverschiedenen funktionalen Kontexten angesiedelt sein: in der militärischen Sicherung des Karawanenhandels und in der Leitung der colonia Palmyra . Das muss für sich genommen noch nicht viel heißen . Verräterisch ist jedoch die Akribie, mit der die Palmyrener nach terminologischen Entsprechungen für angestammte Ämter suchten, selbst wenn diese in der Welt der Polis beim besten Willen keine Entsprechung hatten . Die Schreiber fanden für den Vorsitzenden einer für die palmyrenische Gesellschaft zentralen Institution, der religiösen Speisegemeinschaft (mrzḥʾ),127 den Titel des συμποσίαρχος128 – und damit einen Begriff, der für Griechen nie mehr als den Vorsitzenden eines Gastmahls

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hebt: Als Reaktion auf den wachsenden Anteil nicht-griechischer Schüler sei der ursprüngliche Kern des Unterrichtskanons, Sport, in vielen Gymnasien des Orients allmählich vom Lehrplan verschwunden . Wörtlich: ›die Zehn‹ . PAT 0259 (Steuergesetz) G 1,8 und P 1,3 . Die δεκαπρῶτοι waren ein Zehnmännerkollegium, verantwortlich für die Steuereintreibung, nicht, wie Teixidor 1984, 62f ., meint, für die Rechtsprechung (decu­ ria): Millar 1993, 325, Anm . 321; Sartre 1996, 392f . Grundsätzlich bedenkenswert der entsprechende Hinweis von Veyne 2016, 54 . Kaizer 2002, 229–234 . PAT 0288 (267 n . Chr .); PAT 0316 (ἀρχιερεὺς καὶ συ[μποσία]ρχος, 203 n . Chr .); PAT 1357 ([ἀ]ρχιερεὺς κ[αὶ] συμποσιάρχης, ohne Datierung); Inv . IX 27 . Die palmyrenische Entsprechung für συμποσίαρχος lautet brbnwt mrzḥwt: PAT 0265 (117 n . Chr .); PAT 0274 (155 n . Chr .); PAT 0316 (203 n . Chr .); PAT 1128 (ohne Datierung); PAT 1358 (272 n . Chr .); PAT 1557 (206 n . Chr .); PAT 2743 (243 n . Chr .); PAT 2812 (273 n . Chr .) .

178 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE bezeichnete, eine Funktion, die Liddell und Scott mit dem schönen Begriff »toastmaster« übersetzen .129 Die Begriffswahl zeigt, wie sehr die Palmyrener um semantische Präzision bemüht waren; dass sie sie nicht – oder doch nicht immer – erreichten, offenbart die wenigstens partielle Inkongruenz, ja Inkompatibilität beider Systeme . Mit den griechischen Institutionen oder besser: solchen, die wenigstens per Nomenklatur ein griechisches Gewand erhielten, koexistierten andere, die mit griechisch-römischen Traditionen überhaupt nicht in Einklang zu bringen sind . Sie tauchen paradoxerweise in den epigraphischen Zeugnissen erst zu einem Zeitpunkt auf, als Palmyra bereits römische colonia war, und konzentrieren sich auf die Person des Septimius Worōd, des Zweiten Manns hinter Odainat in den 260er Jahren . Eine Ehrinschrift von der großen Kolonnade aus dem Jahr 267 bezeichnet Worōd als δικεοδότης (›Rechtsprecher‹) .130 Die sogenannte »Laufbahninschrift« nennt für den Palmyrener nicht weniger als fünf unterschiedliche Funktionen: Worōd habe seiner Vaterstadt, außer als δικεοδότης, auch als στρατηγός, als ἀγορανόμος und als συμποσίαρχος gedient . Außerdem habe er als κράτιστος ἐπίτροπος Σεβαστοῦ δουκηνάριος gewirkt . Die lateinische Entsprechung für diese Funktion lautet egregius procurator Augusti ducenarius . Schließlich wird Worōd auch noch attestiert, er habe Karawanen auf eigene Kosten zurück nach Palmyra geleitet .131 Das Amt des procurator ducenarius ist ab 262 gleich mehrfach bezeugt;132 zwei ältere Inschriften weisen Worōd zudem als Buleuten Palmyras und als römischen Ritter aus .133 Etwas später, im Jahr 264/265, ist für Worōd ein neuer Titel belegt, der des ἀργαπέτης . Die Bedeutung dieser nicht aus dem Griechischen, sondern dem Iranischen stammenden Amtsbezeichnung hat der Forschung noch größeres Kopfzerbrechen bereitet .134 Man hat in diesem schwer zu interpretierenden späten Aufkommen neuer Institutionen unter Odainat, die vermeintlich die älteren, die Polis-Nomenklatur reflektierenden Institutionen ersetzten oder überlagerten, sogar eine »Reorientalisierung« Palmyras erkennen wollen .135

129 Liddell/Scott 1996, 1685 . Angeführte Belege: Xen . an . 6,1,30; Alex . 21; Plut . mor . 2,208b; 620f . 130 PAT 0288: δικεοδότην τῆς μητροκολωνεῖας . Die palmyrenische Fassung der Bilingue ist fast vollständig zerstört . Umstritten ist die Deutung . Der Zusatz τῆς μητροκολωνεῖας legt nahe, dass es sich um eine Funktion der Kolonie handelt . 131 Ebd . 132 PAT 0284 (262 n . Chr .); PAT 0285 (262 n . Chr .); PAT 0286 (264 n . Chr .); PAT 0287 (264 n . Chr .); PAT 0289 (267 n . Chr .): Gnoli 2007c, 103–106, Nr . 103–107 . 133 Ebd . 103, Nr . 1; PAT 0283 (258 n . Chr .) . 134 Millar 1990, 45, hält die Amtsbezeichnung für ein Äquivalent des parthischen Titels ἀργαπέτης, der für Worōd ebenfalls belegt ist (PAT 0286, 262 n . Chr ., und PAT 0453, ohne Datierung) . Die palmyrenische Entsprechung lautet ʾrgbṭʾ . Hartmann 2001, 207, glaubt an ein »neu geschaffene[s], außerordentliche[s] Amt«, das statt von der bisherigen Doppelspitze der Strategen von der »zivile[n] Gewalt in Palmyra« ausgeübt worden sei und später, funktional noch erweitert, durch das gleichfalls neue Amt des Argapeten ersetzt worden sei . Yon 2002, 246, hält das Amt offenbar, ohne nähere Angabe von Gründen, für eine »fonction impériale« . 135 Hartmann 2001, 95; der Begriff (»Reorientalisierung«, »re-oreintalization«) geht auf Schmidt-Colinet 1992, 81, Anm . 203, und 141; Schmidt-Colinet 1997, 163, zurück, der ihn auf das Virulentwerden hierarchisch-klientela-

»Cité grecque«? · 179 In einer gründlichen Studie hat aber Tommaso Gnoli nachgewiesen, dass hinter dem Verwirrspiel mit den von Worōd bekleideten Ämtern etwas ganz Anderes steckt . Gnoli weist darauf hin, dass Worōd hauptsächlich Funktionen bekleidete, die in Palmyra selbst Wirkung entfalteten: Er war Buleute und in mehreren Funktionen Magistrat der Stadt, deren höchstes Amt, die Strategie, er ebenfalls bekleidete . Er war als procurator ducena­ rius auch Diener des römischen Imperiums, und das in einer ganz klar umrissenen Funktion: als Eintreiber von Steuern und Abgaben, die Palmyra selbstverständlich an Rom zu entrichten hatte . Das Amt des ἀργαπέτης bekleidete Worōd aber nicht etwa, wie vielfach angenommen, chronologisch nach dieser Funktion, sondern parallel dazu . Es weist ihn als Diener noch eines anderen Herrn aus, des persischen Großkönigs, der ebenfalls über Abgaben am Karawanenhandel verdienen wollte . Die entsprechende Funktion des ἀργαπέτης spiegelte exakt das Amt des procurator ducenarius, das Worōd für das westliche Imperium bekleidete .136 Trifft diese Deutung zu – und viel spricht dafür –, dann hätte die Stellung Worōds weitreichende Implikationen für unser Verständnis Palmyras und seiner Institutionen um die Mitte des 3 . Jahrhunderts . Erstens würde seine Rolle als Steuereinnehmer für zwei Imperien voraussetzen, dass beide Seiten trotz des fast unausgesetzten Kriegszustandes ein vitales Interesse am Karawanenhandel über Palmyra hatten – und dass dieser Handel trotz Krise weiter betrieben wurde . Zweitens unterstriche eine solche Rolle die gatewayFunktion Palmyras und die Möglichkeiten für seine Bewohner, als Grenzgänger auch in Zeiten des Konflikts das Vertrauen beider Seiten zu genießen . Drittens zeigt das vermeintliche Wirrwarr der Ämter und Titel, dass die Palmyrener sehr wohl imstande waren, sich in unterschiedlichen Koordinatensystemen zu orientieren: In der Karriere des procura­ tor  und ἀργαπέτης Worōd fließen die Rang- und Prestigeskalen gleich dreier Welten – der imperialen Welten Roms und Persiens und der lokalen Welt Palmyras – förmlich ineinander . Wenn überhaupt, dann war die Realität einer Polis nur eine von mehreren Wirklichkeiten, in denen sich Palmyrener wie Worōd ohne Schwierigkeiten zurechtfanden . Wenn dem aber so ist, steht die gesamte cité­grecque-Hypothese zur Disposition: Erster Eckpfeiler dieser Annahme und, aus Sicht ihrer Verfechter, zugleich unverrückbarer Glaubenssatz ist die vermeintliche Umwandlung der ursprünglich tribalen Sozialordnung Palmyras in ein – de facto mit der kleisthenischen Phylenordnung kommensurables – System intentional geschaffener, künstlicher »Bürger-Stämme« irgendwann im 1 . oder 2 . Jahrhundert n . Chr .137 Das gesamte Gedankengebäude ruht im Wesentlichen auf einer einzigen, dazu fragmentarischen bilinguen Inschrift aus dem Baʿal-Šamen-Tempel, datiert ins Jahr 171 n . Chr . Der griechische Text lautet: rer Sozialbeziehungen und ein »revival and redevelopment of ancient local structures of power in the east« (ebd .) bezieht . 136 Gnoli 2007c, 95–113; Gnoli/Muccioli 2007, 191–196 . 137 Yon 2002, 66f . Im Prinzip so auch Dirven 1999, 25–26 .

180 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE [–] im Caesareum, eine Reiterstatue; im Heiligtum des Bēl eine Statue, im Namen der βουλή und des δημος […] . Und die vier Stämme der Polis, jeder in seinem eigenen Heiligtum, haben ihm eine Statue errichtet, um ihn für seine hervorragende Amtsführung zu ehren […] .138

Die »vier Stämme«, die – freilich ohne die Ergänzung »der Polis« – auch noch in zwei anderen Inschriften (datierend in die Jahre 198 und 199)139 Erwähnung finden, erhob die Forschung bald regelrecht in kanonischen Rang .140 Unlängst wurden sie gar expressis verbis zu tribus civiques, ohne jede Verbindung zu der wesentlich größeren Zahl der tribus traditionnelles, erklärt und diesen älteren »Stämmen«, gleichsam dem präurbanen Erbe Palmyras, kontrastiv gegenübergestellt . Die Einrichtung der tribus civiques sei, folgen wir dem Modell weiter, parallel zur und im Zusammenhang mit der Einführung anderer Polis-Institutionen, der βουλή und der Versammlung des δημος, im frühen 1 . Jahrhundert n . Chr . erfolgt, gleichsam als ein großes Maßnahmenpaket in einem Guss .141 Doch nicht nur das: Die Ursachen des Wandels von der Stammes- zur Bürgergesellschaft suchen die Anhänger dieses Modells in Roms Herrschaft über die Oasenstadt . Sie verstehen die Transformation der lokalen Gesellschaft als Akt unmittelbarer Einflussnahme Roms .142 Der Erklärungsversuch spiegelt nicht nur eine eigenartig unzeitgemäße Auffassung von Romanisierung wider – ausschließlich von oben, statt überwiegend von unten –, er trifft sich auch mit einem weiteren Axiom der hauptsächlich französischsprachigen PalmyraForschung, der angeblich in mehreren Stufen erfolgenden »Inkorporation« Palmyras in die Provinz Syrien .143 Die dogmatische Konzeption Palmyras als cité grecque, als Polis unter Poleis im römischen Imperium,144 hat zwei entscheidende Nachteile: Sie ist in den Quellen nirgends explizit belegt und sie ist untauglich, um Palmyras beispiellose politische Rolle im 3 . Jahrhundert zu erklären .

138 PAT 2769 (τ[ῆ]ς π[ό]λε[ω]ς τέσσερας φυλαί) . Die aramäische Fassung hingegen spricht nur von den »[vier] Stämmen« ([ʾrbʿ] pḥzyʾ): Smith 2013, 134 . 139 PAT1063 für Aelius Boraʾ; PAT 1378 für ʿOgēlu: Smith 2013, 134f . 140 Schlumberger 1971, 126: »La cité constituée, les Quatre Tribus, n’en avaient pas moins subsisté, et tout Palmyrenien appartenait par naissance à l’une d’elles .« Für die Existenz zweier unterschiedlicher Typen von »Stämmen« in Palmyra sprach sich zuerst explizit van Berchem 1976, 170–173, aus . 141 Sartre 1996, 386f ., besonders 386: »La tribu civique est un mode de répartition des citoyens indépendant des structures familiales .« Ähnlich schon Gawlikowski 1973, 26–52 . Eher contra Kaizer 2002, 66, und jetzt ebenfalls äußerst skeptisch Smith 2013, 132–143 . 142 Besonders deutlich Sartre 1996, 387: »Rome a donc choisi, dans l’ensemble des groupes tribaux, quatre groupes priviligiés, considérés comme constituifs de la cité nouvelle .« Zurückhaltender Millar 1993, 324: »Whether the Graeco-Roman influences so visible here were transmitted in the concrete form of Roman instructions, or permission, for the constitutional reform of the city is quite uncertain .« 143 Als civitas stipendiaria (1 ./2 . Jahrhundert n . Chr .), civitas libera (seit Hadrian), colonia civium Romanorum (seit ca . 200): Starcky/Gawlikowski 1985, 37–55; Will 1992, 39–46; Sartre 2005, 69f . 144 Etwas vorsichtiger ist, mit Verweis auf die Bilingualität Palmyras, wiederum Millar 1993, 324: »[…] evidence for the crucial transformation which made Palmyra, in a certain sense, into a Greek city like others .«

»Cité grecque«? · 181 Zunächst zur Quellenlage: Für die Annexion Palmyras durch Rom, ob sie nun in einem Stück oder in mehreren Schritten erfolgt sein soll, gibt es keinen gesicherten Anhaltspunkt . Weder erschließt sie sich aus dem Besuch des Germanicus im Jahr 19 n . Chr . noch aus der unleugbaren Präsenz römischer Amtsträger im Palmyra jener Jahre . Auch die Anwesenheit römischer Steuerpächter in der Oase um die Jahrhundertmitte taugt nicht als hinreichender Beweis: Publicani waren auch in etlichen von Roms zahlreichen Klientelstaaten unterwegs . Und selbst der Besuch Hadrians, die Verleihung des Ehrennamens Hadrianē und die Nennung des römischen Statthalters von Syria im Steuergesetz sind noch kein unumstößlicher Beleg für die »Inkorporation« Palmyras durch Rom .145 Überhaupt verträgt sich die Frage, ob und wann genau Palmyra durch Rom annektiert und Teil der Provinz Syria wurde, nicht mit der diffusen Dynamik der Steppengrenze . Nicht wann Palmyra unter römische Herrschaft kam, ist das Problem, sondern bis zu welchem Grad . Unbestreitbar ist, dass die Fühlbarkeit der römischen Präsenz mit wachsender Extensivierung und Intensivierung der Herrschaft entlang der Steppengrenze auch in Palmyra zunahm . Doch geschah das nicht auf einmal und auch nicht in Stufen, sondern als Prozess der langen Dauer, der sich von Germanicus bis ins 3 . Jahrhundert erstreckte . Dass Rom bei einem so weitgespannten Projekt wie der Umwandlung einer Stammes- in eine Polisgesellschaft Pate gestanden haben soll, mag man unter dieser Prämisse nicht recht glauben . Die Belege für den angeblich »bürgerschaftlichen« Charakter palmyrenischer »Stämme« sind, wie zu sehen war, ausgesprochen dürftig . Die vermutete Existenz zweier Typen von Stämmen – traditionellen und Bürgerstämmen – ist nichts als Interpolation . Die »vier Stämme« überzeugend und kohärent zu identifizieren, ist bis dato nicht gelungen, zumal nur ein Stamm, die φυλὴ Χωνειτῶν (bny kmrʾ), explizit als einer der »vier Stämme« genannt ist .146 Da insgesamt elf weitere ›Stämme‹ prinzipiell in Frage kommen, sind über die Identität der verbleibenden drei viele Spekulationen ins Kraut geschossen .147 Ihre Funktion als rational geplante, gleichsam auf dem Reißbrett entworfene Teilgliederung einer Polis legt zunächst die Verwendung des griechischen Begriffs φυλή und dessen aramä145 Sommer 2017b, 105f . 146 PAT 1063 (198 n . Chr .) . 147 Dazu die Übersicht über die verschiedenen, mehr oder weniger stark voneinander abweichenden Rekonstruktionsbemühungen bei Yon 2002, 253 . Insgesamt tauchen im epigraphischen Befund nicht vier, sondern fünf Kollektive explizit als φυλαί auf . In griechischen Fassungen werden genannt: die φυλὴ Χομαρηνῶν bzw . Χωνειτῶν (bny kmrʾ), die φυλὴ Μανθαβωλειῶν bzw . Μαθθαβωλειῶν (bny mtbwl), die φυλὴ Μιθηνῶν (bny mytʾ), die φυλὴ Μαγερηνῶν (bny mʿzyn) und die φυλὴ Κλαυδιάς . Der Stamm namens Κλαυδιάς, der nur in der griechischen Fassung auftaucht, ist rätselhaft . Sartre 1996, 386, meint, hier seien unter Kaiser Claudius alle Palmyrener, die nicht zu den übrigen »drei Stämmen« gehört hätten, eingeschrieben worden . Skeptisch hier mit Recht Kaizer 2002, 66, vage Smith 2013, 137 (»was apparently an artificial tribe and may be discounted in this assessment«) . Außer den in den griechischen Fassungen als φυλή genannten Stämmen gibt es sieben weitere, die mit dem palmyrenischen Äquivalent pḥz bzw . pḥd bezeichnet warden: pḥd bny gdybwl, pḥd bny zmrʾ, pḥd bny ḫnbw, pḥd bny knbt, pḥd bny ʿgrwd, pḥd bny ʿtr und pḥd bny šmʿd .

182 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE ische Transkription als pḥz bzw . pḥd nahe . Traditionell nannten sich die palmyrenischen Stammesgruppen bny (›die Söhne von x‹), womit auf einen gemeinsamen, vermutlich stets fiktiven, Ahnherrn verwiesen war . Das Wort pḥz/pḥd ist aber nicht, jedenfalls nicht nur, griechisches Lehnwort im palmyrenischen Aramäisch . Es bedeutet in den westsemitischen Sprachen ›Glied‹ (eines Ganzen) .148 Die – phonetisch naheliegende – Assoziierung von (griech .) φυλή und (aram .) pḥz/pḥd muss also keineswegs auf den Import eines griechischen Konzepts verweisen . Die Frage lautet nur, was das ›Ganze‹ war, als dessen ›Glieder‹ sich die Stämme betrachteten . Scheinbar plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchen im Jahr 171 n . Chr . die »vier Stämme« im epigraphischen Befund auf, um dann – Laune des Zufalls? – knapp drei Jahrzehnte später, nach 198 n . Chr ., ebenso unvermittelt wieder daraus zu verschwinden . Vermutlich reicht die Tradition aber schon länger zurück . Die »vier Stämme« verfügten ausweislich zweier Inschriften 171 und 198 über je ein Heiligtum .149 Vier aufeinander bezogene Heiligtümer existierten aber bereits 132 n . Chr ., als für einen gewissen Šoʿadū in vier Heiligtümern der Stadt Inschriften aufgestellt wurden: im Zeus-, im Ares- und im Atargatis-Tempel sowie im »Heiligen Hain« .150 In einer weiteren Inschrift aus dem Jahr 144 werden abermals vier Heiligtümer genannt, diesmal aber statt des Zeus- bzw . BaʿalŠamen-Tempels die Kultstätte der Göttin Athena bzw . Allat, wo die Inschrift auch gefunden wurde .151 Zwar werden die Stämme in den Inschriften von 132 und 144 nicht explizit mit den Heiligtümern assoziiert, doch liegt eine Verbindung nahe, die darauf zurückgehen könnte, dass die Stämme schon bei ihrer Sesshaftwerdung Kultorte in Palmyra besaßen, an denen möglicherweise Ahnen verehrt wurden . Diese Kulte könnten später zueinander in Beziehung gesetzt worden sein, am ehesten darüber, dass genealogische Bezüge zwischen ihnen hergestellt wurden . Einen analogen Mechanismus beschreibt Mario Liverani für die Gesellschaften im Vorderen Orient der frühen Eisenzeit, die sich in einer vergleichbaren Situation befanden wie das frühe Palmyra: Hier machten die »Landnahme« und 148 Yon 2002, 89 . 149 PAT 2769; 1063 . Hierzu und zum Folgenden: Kaizer 2002; Smith 2013, 137–141 . 150 PAT 0197, G 16–24: ἡ αὐτὴ συνοδία [ἀρετ]ῆς καὶ μεγαλο|φροσύνης [καὶ εὐσεβείας ἕνεκ]α, αὐτοῦ | ἀνδρ[ιάντας τέσσερας ἀνέστης]ε, ἕν[α] | μὲ[ν ἐ]νταῦθ[α ἐν ἱερῷ Διός], ἕνα δὲ | [ἐ]ν ἱερῷ ἄλσει, ἕνα δὲ [ἐ]ν ἱε[ρῷ] Ἄρεος | καὶ τὸν τέταρτον ἐν ἱερῷ Ἀταργάτειος | διὰ Αγεγου Ιαριβωλεους καὶ Θαιμαρσου | τοῦ Θαιμαρσου συνοδιάρχων·ἔτους | γμυ´μηνὸς Περιτίου (›Diese Karawane errichtete ihm, wegen seines Mutes, seiner Großherzigkeit und seiner Loyalität, vier Statuen, eine hier [im Zeus-Tempel], eine im Heiligen Garten, eine im Ares-Tempel und die vierte im Tempel der Atargatis, unter den Synodiarchen Agegos, Sohn des Iariboleos, und Thaimarsos, Sohn des Thaimarsos . Jahr 443, Monat Peritios [Februar 132 n . Chr .]‹) . Der Zeus-Tempel war das Heiligtum des Baʿal-Šamen, der Ares-Tempel die Kultstätte des Gottes Arṣu, der Heilige Hain war vermutlich ʿAglibōl und Malakbēl geweiht und der Atargatis-Tempel der Göttin ʿAtarʿathe . 151 Kaizer 2002, 62f ., G 61–63: [τὰς ἀνδριάντας τέσσερας χαλκίας ἕνα] τοῦτον τὸν ἐν | [ἱερῷ Ἀθην]ᾶς ἕνα τὸν ἐν ἱερῷ ἄλσει ἕνα δὲ τὸν | [ἐν ἱερῷ Ἄρεο]ς καὶ ἕνα τὸν ἐν ἱερῷ Ἀταργάτειος (›Die vier Bronzestatuen, diese eine im Tempel der Athena, eine im Heiligen Garten, eine im Tempel des Ares und eine im Tempel der Atargatis‹, Juni 144 n . Chr .) .

»Cité grecque«? · 183 allmähliche Sesshaftwerdung mobiler Stämme es erforderlich, das Verhältnis zwischen den verschiedenen Gruppen neu zu definieren . Das naheliegende Medium waren die den Stämmen ohnehin vertrauten Verwandtschaftsstrukturen, mit einem gemeinsamen Ahnherrn für die große Konföderation, dessen Söhnen als Ahnherren der Stämme und Enkeln als Ahnherren von Großfamilien innerhalb der Stämme .152 Dass das Miteinander dieser Stämme keineswegs immer konfliktfrei war, auch als längst die Stadt als Horizont kollektiver Identität mit ihnen rivalisierte, unterstreicht die Inschrift für den »Friedensstrategen« Aelius Boraʾ aus dem Jahr 198 .153 Boraʾ wurde, laut aramäischem Text, vom Stamm der bny kmrʾ »und den restlichen Stämmen (pḥzʾ)« geehrt dafür, dass er »Frieden auf dem Gebiet der Stadt gemacht« (ʿbd šlmʾ […] ʿl mdyth) hatte . Exakt derselben Formulierung bedient sich eine Inschrift aus dem Bēl-Tempel, die auf das Jahr 21 n . Chr . datiert .154 Danach hatte ein gewisser Ḥašaš »Frieden gestiftet« (wʾbd šlmʾ) zwischen den Stämmen der bny kmrʾ und der bny mtbwl . In diesem Fall ging es also explizit nicht um Händel zwischen Nomaden und Sesshaften, sondern zwischen zwei Stämmen, deren Angehörige in Palmyra lebten . Da die Boraʾ-Inschrift von 198 einen Frieden anführt, der »im Gebiet der Stadt« geschlossen wurde, scheint es sich auch hier um einen innerstädtischen Konflikt gehandelt zu haben . Der Verdacht erhält zusätzliche Nahrung durch den Zeitpunkt, zu dem die Inschrift aufgestellt wurde: Er liegt recht nahe an den Kriegen, welche die Region während und nach dem Bürgerkrieg des Vierkaiserjahres 193 erschütterten, der die politischen Karten im Vorderen Orient von Grund auf neu mischte und auch an Palmyra nicht spurlos vorübergegangen sein dürfte . Nicht auszuschließen ist, dass ein Krieg dieser Größenordnung polarisierend auf die lokale Gesellschaft gewirkt haben könnte . In diesem Fall wäre die Inschrift ein Anhaltspunkt für die fortdauernde Bedeutung von Stämmen als echten Identitätsgruppen . Der Ausdruck »die vier Stämme« könnte eine Konföderation bezeichnen, die sich ad hoc, unter konkretem, für uns aber nicht näher zu bezifferndem politischen Druck gebildet hatte und vielleicht nur transitorischen Charakter hatte . Die nur einmal verwendete Formulierung »der Stadt« (τῆς πόλεως) ließe sich hypothetisch als polemische Spitze nach außen verstehen: Die vier verbündeten Stämme betrachteten sich, andere Gruppen ausgrenzend, in der Konfliktsituation als Gesamtheit der »Stadt« . Die ursprüngliche tribale Verwurzelung der Palmyrener reichte, wenn diese Vermutungen zutreffen, zu tief, als dass sich die lokale Gesellschaft durch eine schlichte ›Reform‹ in eine Bürgergemeinde hätte verwandeln lassen . Die Bedeutung tribaler Identitäten unterstreicht auch ihre offensichtliche Wirksamkeit über das Stadtgebiet hinaus . Im Jahr 98 verewigte sich im Wādi Ḥaurān unweit von Dura-Europos ein gewisser Zēbidʾ, Sohn Ḥaumals, anscheinend nach der Manier des »Kilroy was here«, in mehreren Inschriften, darunter aramäisch-safaitische Bilinguen . Zēbidʾs Clan fristete seine Existenz mit halb152 Liverani 1988, 654f . 153 PAT 1063 . 154 PAT 0261 .

184 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE nomadischem Weidewechsel: »Im Monat März des Jahres 409 [SÄ = 98 n . Chr .] lagerte Zēbidʾ, Sohn Ḥaumals, hier in der Amtszeit des Strategen [?] --- und weidete seine Tiere hier in Šaʿdiya . […] .«155 Mutmaßliche Angehörige desselben Clans (bt) Ḥaumal sind gut belegt im Palmyra des 1 . und 2 . Jahrhunderts n . Chr ., einer sogar als Offizier der legio III Gallica in flavischer Zeit .156 Es ist damit zumindest eine Großfamilie namentlich bekannt, deren Aktionsradius Stadt und Steppe umspannte .157 Die verwandtschaftlichen Bande der Palmyrener reichten aber womöglich noch weiter . Wenn die bny tymʾ, die zwei der Inschriften aus dem Wādi Ḥaurān nennen,158 tatsächlich identisch sind mit den aus hatrenischen Dokumenten159 bekannten bny tymw,160 deutet das möglicherweise auf enge, auch familiäre, Beziehungen zwischen den beiden Städten hin, obwohl sich eingestandenermaßen beide Namen hier wie dort größerer Beliebtheit erfreuten . Allerdings fanden sich in Hatra in palmyrenischem Aramäisch abgefasste Inschriften, und das wiederum deutet auf mehr als bloß episodische Kontakte zwischen den beiden Wüstenstädten hin . Vielleicht flossen am Euphrat, ungefähr auf halber Strecke, die verwandtschaftlichen Netzwerke, deren Mittelpunkte die beiden Städte waren, sogar ineinander .161 Die ersichtlich enge Verflechtung von Nomaden und Sesshaften in der Palmyrene wirft unverhofft auch Licht auf die Organisation der sich so hartnäckig allen römischimperialen Kategorien entziehenden ›Miliz‹ oder ›Wüstenpolizei‹, die Palmyra unterhalten haben soll . Die Existenz einer solchen Truppe kann nur aus den Ehrendekreten für Persönlichkeiten, die den Schutz der Karawanen garantierten, und aus der Präsenz palmyrenischer Bogenschützen am mittleren Euphrat abgeleitet werden, belegt ist sie nicht . Bewaffnung, Ausrüstung und Dislozierung der angeblichen ›Miliz‹ lassen indes vermuten, dass sich Palmyras Karawanenbeschützer aus Viehzüchternomaden rekrutierten . Offenkundig waren also die vermeintlichen ›Milizionäre‹ nomadische oder seminomadische Stammverwandte der städtischen Palmyrener . Die Karawaneninschriften, in denen sich Nomaden, in einem Fall explizit,162 in mehreren Fällen zwischen den Zeilen, als ›Fremde‹ und ›Feinde‹ hervortun, zeichnen insofern ein irreführendes Bild, als auch diejenigen, die für die Oasenstadt die Sicherheit ihrer Karawanen garantierten, Nomaden 155 PAT 2732 . Derselbe Zēbidʾ tritt auch in folgenden Inschriften aus dem Wādi Ḥaurān in Erscheinung: PAT 2733–2742 (alle 98 n . Chr . oder undatiert) . 156 Yon 2002, 68f . Belege: PAT 0471 (79 n . Chr .); PAT 0592 (169 n . Chr .); PAT 1833 (ohne Datierung) . 157 Yon 2002, 96 . 158 PAT 2738; 2739 . 159 H 214; H 293 . 160 Wobei zwei Interpretationsmöglichkeiten bestehen: Die bny lassen sich (wörtlich) als ›Söhne‹ deuten oder (im übertragenen Sinne) als fiktive Verwandtschaftsgruppen, die sich jeweils auf einen gemeinsamen Stammvater zurückführen . 161 So hypothetisch Yon 2002, 94 . Auf die geringe Belastbarkeit der Quellen hat unlängst Scharrer 2010, 309, hingewiesen, aber dem Modell nicht grundsätzlich seine Plausibilität abgesprochen . 162 PAT 1378 . Vgl . Scharrer 2010, 310 .

»Cité grecque«? · 185 waren . Ihre Anführer, die στρατηγοί, waren vermutlich ebenfalls Nomaden, wenigstens in Teilzeit: Angehörige der saisonal oder ganzjährig mit ihren nomadischen Stammverwandten das Leben in der Steppe teilenden tribalen Eliten . Sollte Zēbid Ḥaumal aus dem Wādi Ḥaurān tatsächlich selbst als στρατηγός gedient haben, wie es eine der Inschriften anzudeuten scheint,163 dann hätten wir mit ihm genau einen Repräsentanten dieser nomadischen, aber ins Institutionengefüge der Stadt integrierten Führungsschichten vor uns .164 Die ›Wüstenpolizei‹ war also anscheinend keine stehende Streitmacht, sondern bestand aus nicht mehr und nicht weniger als aus den mit Palmyra kooperierenden Viehzüchternomaden der Palmyrene . Von einem institutionellen »Anstaltscharakter«, wie Max Weber es nennen würde, war sie vermutlich weit entfernt . Die polymorph der Stadt verbundenen Nomaden waren aber ein Pfund, mit dem die Handelsmetropole auf dem sensiblen Feld der tribalen Diplomatie in der Wüstensteppe wuchern konnte . Ihre Anführer, die στρατηγοί, hatten eine Doppelfunktion als Angehörige tribaler und urbaner Eliten; sie waren Stammesoberhäupter und ›Beamte‹ in einer Person, ganz im Sinne der polymorphen Eliten des Rowton’schen Modells . Wenigstens einen Teil des Jahres befanden sie sich, wenn die Lesung der Inschriften aus dem Wādi Ḥaurān korrekt ist, auf Wanderschaft mit ihren nomadischen Stammesgenossen . Ein Mann ähnlichen Kalibers dürfte auch der von der Stadt mit einer Reiterstatue geehrte Aelius Boraʾ gewesen sein, der kraft des militärischen Gewichts, das seine Gefolgsleute besaßen, Frieden »auf dem Gebiet der Stadt« stiftete .165 Wenn diese Hypothesen zutreffen, war die verwandtschaftliche Identität der Stammesgruppen zwar fiktiv, aber geglaubt real . Sie leitete sich bruchlos her aus der Herkunft der Palmyrener aus einer segmentären Sozialordnung, die zum Zeitpunkt des Einsetzens unserer Quellen, im späten 1 . Jahrhundert v . Chr ., allenfalls wenige Generationen zurücklag und deshalb noch fest im kollektiven Gedächtnis verankert war . Denn auch im Stadium der Sesshaftigkeit blieben tribale Bindekräfte über alle Maßen wirkungsmächtig, wurden verwandtschaftliche und kommerzielle Kontakte zwischen Nomaden und Stadtbewohnern gepflegt, war offensichtlich viel eher als Konfrontation die politisch-militärische und nicht zuletzt ökonomische Kooperation zwischen beiden Gruppen an der Tagesordnung . Es hat den Anschein, als seien in den palmyrenischen Stämmen und ihren Eliten nomadische und sesshafte Lebensform fugenlos ineinander übergegangen, als hätten nomadische Gruppen gleichsam verwandtschaftliche Brückenköpfe in der Stadt unterhalten – und umgekehrt . 163 PAT 2732 (98 n . Chr): bʾsṭrṭyw [?] . 164 Das labile diplomatische Gleichgewicht in der Wüstensteppe war, wie die Karawaneninschriften deutlich machen, eine zentrale Determinante des palmyrenischen Fernhandels . 165 Diese Hypothese untermauert jetzt Gregoratti 2015 am Beispiel des Šoʿadū . Sein Modell mit durch polymorphe Eliten »dynastisch« kontrollierten Stammeskriegern kommt ebenfalls ohne Konstrukte wie die ›Wüstenpolizei‹ aus .

186 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Die in die Lebensform urbaner Sesshaftigkeit sich fortsetzende, das Erbe einer segmentären Gesellschaft spiegelnde fiktiv-gentilizische Aufteilung der Bürgerschaft, mit Tempeln als Mittelpunkten und Gottheiten als Repräsentanten der Teilgruppen, hätte eine weitere, ebenfalls geographisch naheliegende Parallele in Mesopotamien, wo noch in altbabylonischer Zeit von Familienältesten repräsentierte und als Ver wandtschaftsgruppen organisierte Stadtviertel (akkad . babtum) über erhebliche innere Autonomie verfügten, die sich in der Regel – wie in Palmyra – im Siedlungsbild in räumlicher Separierung niederschlug, bisweilen sogar im Wortsinn untermauert durch Abgrenzung in Form von massiven Lehmziegelwällen und dazwischenliegenden Gassen innerhalb der Stadtmauern . Fiktionale Verwandtschaft blieb, entgegen evolutionistischen Urbanisierungstheorien, auch nach der Entstehung von Stadtgesellschaften ein wichtiger Faktor sozialer Integration .166 Die fortdauernde Existenz verwandtschaftlicher (Familien, Sippen, Clans) und größerer agnatischer (›Stämme‹) Verbände, die in der Stadtgesellschaft ihre Kohäsion bewahrten, ist für Mesopotamien seit der Frühdynastischen Zeit und später auch für Syrien-Palästina vielfach bezeugt . Die mehrfachen Sedentarisationsschübe im Vorderen Orient reproduzierten bei gleichbleibenden Umweltbedingungen immer wieder ähnliche Strukturen – sie verweisen mit allem Nachdruck auf das, mit Hatra geographisch wie historisch naheliegende, Modell der integrierten Stammesgesellschaft, in der eine gemeinsame Stammesidentität Sesshafte und Nomaden verband . Sie ist das ›Ganze‹, als dessen ›Glieder‹ sich die Stämme Palmyras und der Palmyrene buchstäblich betrachteten . Die Ausbildung politischer Institutionen vollzog sich in Palmyra im Rahmen jener Prozesse, die in der Levante immer wieder den Übergang segmentärer nomadischer, halbnomadischer und dörflich-agrarischer Gruppen in den Aggregatszustand urbaner Staatlichkeit begleiteten . Die Verwandtschaft ist wohlgemerkt eher typologisch als genetisch: Unter vergleichbaren politisch-sozialen Bedingungen brachte der Naturraum Vorderasiens immer wieder ähnliche Strukturmuster hervor . Das palmyrenische Institutionengefüge ist deshalb nicht als en-bloc-Übernahme eines wie auch immer gearteten indigenen oder exogenen Traditionsstrangs, auch nicht des griechischen Polis-Typus, zu werten . Das heißt nicht, dass nicht bestimmte Elemente dieses Typus durchaus ihren Weg nach Palmyra gefunden hätten . Die Palmyrener orientierten sich bei der Nomenklatur ihrer Institutionen sehr wohl am Vorbild der Polis, schließlich fand hier eine Gesellschaft im Werden ein fertiges und nicht zuletzt prestigeträchtiges terminologisches Schema vor . Sie füllten es aber mit durchaus eigenen Inhalten und Funktionen . Dass mit der Übernahme von Institutionen punktuell auch politisch-soziale Strukturmuster und sogar konstitutive Elemente des griechisch-hellenistischen Lebensstils auf die Oasenstadt abfärbten, zeigt die Präsenz von Einrichtungen wie dem Gymnasion und dem Theater – auch wenn wir nicht wissen, welchen genauen Platz solche Institutionen im Leben der Palmyrener hatten . Gewiss war auch die soziale Praxis des Euergetismus, verbunden mit der Sitte, verdiente 166 Van de Mieroop 2007, 108–110 .

Zwischen Stadt und Stamm: Die Palmyrener u nd ihre Kulte · 187 Bürger mit Inschriften und Statuen zu ehren, ein Import aus dem Westen .167 Zur cité grec­ que wurde Palmyra damit noch nicht .

Zwischen Stadt und Stamm: Die Palmyrener und ihre Kulte Die Bezüge zwischen religiösem und öffentlichem Leben waren, wie in jeder antiken Gemeinschaft, auch in Palmyra evident und unmittelbar: Religiöse Erfahrungen des Einzelnen waren so gut wie ausschließlich bestimmt von den das kultische Leben einrahmenden Strukturen der städtischen Gesellschaft und ihrer jeweiligen Untergruppen .168 Zwei Inschriften, beide Bilinguen,169 nennen vier anscheinend in irgendeiner Form kanonische Heiligtümer: das der Allat (Athena bzw . Baʿal-Šamen/Zeus), der Atargatis, des Arṣu (bzw . Ares) und des »Heiligen Hains« des ʿAglibōl und des Malakbēl .170 Sie wurden, wie wir bereits sahen, unmittelbar mit den »vier Stämmen« in Zusammenhang gebracht . Auf dieser Hypothese beruht eine Rekonstruktion der sakralen Topographie Palmyras, die bis heute Gültigkeit beansprucht .171 Sie fußt auf der Zuordnung der kanonischen ›vier Heiligtümer‹ zu den kanonischen ›vier Stämmen‹ und postuliert eine Scheidung des sakralen – und nicht nur des sakralen – Raums in zwei Sphären, eine tribale und eine der Polis zugehörige . Der größte Tempel Palmyras, der mit seinem Vorgängerbau bis in die hellenistische Periode zurückreichende Bēl-Tempel, spielt in der Rekonstruktion die Rolle eines »nationalen«, alle partikularen religiösen Identitäten bündelnden Heiligtums .172 Auf der anderen Seite des Grabens stehen die »tribalen« Tempel, natürlich zuvorderst die individuellen Stammesheiligtümer der »vier Stämme« .173 Andere »tribale« Tempel, wie das Šamaš-Heiligtum, das aus dem Schema der »vier Stämme« herausfällt, waren danach gleichsam Überbleibsel einer Gesellschaftsordnung, die zeitlich der Polis voranging .174 Die Bindung 167 So mit Recht Millar 1993, 322: »[…] it may be yet more important that they are honorific inscriptions on statue-bases, a borrowing from a central feature of the life of the Hellenistic and Imperial Greek city, namely the public expression of honour for a benefactor, or euergetēs .« Vgl . jetzt Andrade 2013, 196–204; Sommer 2017b, 132f . 168 So treffend Kaizer 2002, 161 . 169 PAT 0197 (Text siehe oben, S . 182, Anm . 150); Kaizer 2002, 62f . (Text siehe oben, S . 182, Anm . 151) . 170 Die Tatsache, dass die beiden Inschriften nicht dieselben vier Heiligtümer auflisten, sondern in einem Fall voneinander abweichen, sollte davor warnen, ihren kanonischen Charakter überzubewerten . 171 Schlumberger 1971 und, darauf aufbauend, Gawlikowski 1973, 30; Teixidor 1979, 36–39 . 172 Yon 2002, 80: »[…] centre religieux de la cité, unificateur des tribus: une sorte de sanctuaire national .« In die Richtung einer über partikulare Verbände hinausweisenden Bedeutung deuten die Inschriften, die das Heiligtum als Anlaufpunkt von Angehörigen verschiedenster Stämme ausweisen . Auch die Euergeten, die zum Bau des Heiligtums beitrugen, entstammten danach verschiedenen Stämmen – freilich gehörten die prominentesten unter ihnen zur bny kmrʾ und zur bny mtbwl (ebd .) . 173 Ebd . 174 Ebd .

188 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE bestimmter tribaler Gruppen an bestimmte Heiligtümer ist unbestreitbar . Der epigraphische Befund lässt keinen anderen Schluss zu, als dass die meisten Tempel, mindestens bevorzugt, von Mitgliedern jeweils eines Stammes Weihungen erhielten – und somit wohl auch frequentiert wurden .175 Bereits die Zahl der Heiligtümer, die sich mit einzelnen Stämmen in Verbindung bringen lassen, wenigstens fünf, und die notorischen Probleme, die es bereitet, die kanonischen ›vier Heiligtümer‹ zu identifizieren,176 deuten indes auf Schwachstellen des Rekonstruktionsversuchs hin . Tatsächlich erscheint die sakrale Topographie Palmyras, und mit ihr das Pantheon der Oasenstadt, als so haarsträubend kompliziert, dass sie mühelos jedem modernen Systematisierungsversuch widersteht . Während etliche Gottheiten in mehr als einem Heiligtum verehrt wurden, beherbergten praktisch alle Tempel zugleich mehr als einen Kult . Die Benennungen der Heiligtümer als Bēl- oder Arṣu-Tempel sind nichts als Konventionen, die dort klare Strukturen suggerieren, wo in Wahrheit, wenigstens nach heutigem Empfinden, nichts als Verwirrung herrscht .177 Rätsel gibt aber auch auf, dass genealogisch definierte Gruppen wie Großfamilien und Stämme nicht die einzigen für die Organisation der Kulte relevanten Kollektive gewesen zu sein scheinen . Wie in anderen Bereichen auch, geht die Anzahl der Bezüge auf entsprechende Kollektive in den religiösen Inschriften Palmyras, wie allgemein im epigraphischen Befund der Stadt, im 2 . Jahrhundert n . Chr . signifikant zurück .178 Als Kultgemeinden firmieren auch die mrzḥ genannten religiösen ›Gilden‹, die uns im Zusammenhang mit den Symposiarchen, die ihnen vorstanden, bereits begegnet sind, und die nicht klar von ihnen abzugrenzenden, mehrfach bezeugten Berufsgenossenschaften (συντεχνίαι bzw . συμπόσια), die sich, soweit sich erkennen lässt, im 3 . Jahrhundert wachsender Bedeutung erfreuten und offenkundig in engem Zusammenhang mit der Familie des Odainat standen, deren Mitglieder wiederholt als ihre Patrone auftraten .179

175 Der Baʿal-Šamen-Tempel von Mitgliedern der bny mʿzyn, der Tempel der Allāth von Mitgliedern der bny nwr­ bl, der Tempel des Arṣu von Mitgliedern der bny mtbwl, der Tempel des ›Heiligen Gartens‹ von Mitgliedern der bny kmrʾ, der Tempel der Atargatis von Mitgliedern der bny mytʾ, das vermutete Heiligtum von Yarḥibōl und der Efqa-Quelle vielleicht ebenfalls von Mitgliedern der bny mytʾ: Kaizer 2002, 79–148 . Für ein flexibles Konzept des ›tribalen‹ Heiligtums und gegen die ausschließliche Verehrung bestimmter Gottheiten durch bestimmte Verwandtschaftsgruppen ebd ., 214: »It is of course more than likely that certain groups of worshippers will have visited a certain temple more regularly than others . But the freedom, and maybe even the necessity, for a worshipper to enter numerous shrines and sacred places for the performence of religious acts is inherent in a religious system which is fundamentally polytheistic .« 176 Siehe oben, S . 182 . 177 So in aller Deutlichkeit gegen die gesamte ältere Forschung Kaizer 2002, besonders 159f . 178 Ebd ., 54; Yon 2002, 93, mit der Feststellung, dass die Anzahl genealogischer Bezüge in griechischen Inschriften im diachronen Vergleich gleichbleibend gering, die Tendenz in aramäischen Inschriften im 2 . Jahrhundert von hohem Niveau abnehmend, in safaitischen Inschriften dagegen auf hohem Niveau konstant ist . Mit besonderem Bezug auf das Baʿal-Šamen-Heiligtum auch Collart/Vicari 1969–1975, Bd . 1, 241 . 179 Kaizer 2002, 215–234; Kaizer 2008, 187–191 .

Zwischen Stadt und Stamm: Die Palmyrener u nd ihre Kulte · 189 Die Patrone zeichneten sich durch ihren Einsatz auf dem weiten Feld des religiösen Euergetismus aus, sei es als Bauherren von Heiligtümern (oder Teilen von ihnen), als Spender von Sachleistungen oder als Ausrichter religiöser Kultmähler, bei denen die zahlreichen tesserae, eine längst nicht hinreichend untersuchte Quellengattung, offensichtlich als Einlassberechtigungen fungierten .180 Soviel in Bezug auf die Organisation des Kults und die darin involvierten Gruppen noch immer im Dunkeln liegen mag,181 eines lässt sich recht deutlich ablesen: Das Auftreten von die Stammesgrenzen schneidenden und sie überbrückenden kultischen – und vermutlich auch jenseits des Kults relevanten – Kollektiven, die sich um finanzkräftige und sich durch großzügige Munifizenz hervortuende Einzelpersonen und Familien scharten, bedeutete einen tiefen Einschnitt in die traditionell-tribalen Strukturen der palmyrenischen Gesellschaft . Es markiert zugleich den Aufstieg eines neuen Typus ›großer Männer‹, die über entsprechende Finanzmittel, fraglos aber auch über Charisma verfügten . Genauso überraschend wie die Stammesgrenzen überschreitende Organisation des Kults und die augenscheinliche Ubiquität eminenter Gottheiten ist deren ikonographische und onomastische Wandlungsfähigkeit wie Uneindeutigkeit . Was heißt es, wenn Gottheiten, die ihrem Namen nach verschieden sind, jeweils im selben Stil und mit denselben Attributen abgebildet werden? Was hat es zu sagen, wenn Baʿal-Šamen mit dem sogenannten ›Anonymen Gott‹ wichtige Epitheta teilt und offenbar mit ihm identifiziert wird, der Kult des ›Anonymen Gotts‹ aber anscheinend überall in der Stadt, nur nicht im Baʿal-Šamen-Tempel zelebriert wurde? Und was schließlich hat die freizügige Inkonsistenz zu bedeuten, mit der die Palmyrener ihre indigenen Gottheiten denen der Griechen und Römer anglichen?182 Die palmyrenische Götterwelt ist selbst dann, wenn man sich jeglichen griechischrömischen Einfluss wegdenkt, kaum in ein für uns deutbares Raster zu zwängen . Evident ist, dass sie sich aus disparaten Traditionen speiste, die ihre Wurzeln in den verschiedensten Teilen Vorderasiens hatten, ohne dass sie sich als Einflussgrößen näher beziffern ließen . Zweifelhaft ist dagegen, wie für uns offenkundige Kontinuitäten von den Zeitgenossen wahrgenommen wurden . Welche Bedeutung es etwa für die Palmyrener hatte, mit Nebu die lokale Variante des babylonischen Gottes Nabu und mit ihm im selben Tempel andere Gottheiten mutmaßlich mesopotamischer Herkunft zu verehren, bleibt rätselhaft .183 180 Ebd ., besonders 221 . Vgl . Briquel-Chatonnet et al . 2005 und jetzt auch Raja 2016 . 181 So die letztlich ernüchternde Erkenntnis von Kaizer 2002, 259: »[…] the various cultic associations and religious societies, the priests and other religious functionaries, and the benefactors whose contributions helped to shape the religious calendar, served as markers in the way in which the particular cultural system of Palmyrene society was built . A quantification of the interplay and renegotiation of the common, societal and individual values of these markers, however, remains beyond reach .« 182 Wenn sie zum Beispiel am selben Platz in der Palmyrene Bēl und Baʿal-Šamen Weihungen darbrachten, diese mit anderen Gottheiten assoziierten und beide mit »Zeus« gleichsetzten (PAT 1567; 1568): Kaizer 2002, 72–74 . 183 Ebd ., 90 . Erklärungsbedürftig bleibt auch die Benutzung des Nebu-Heiligtums (dessen Benennung wiederum nichts als moderne Konvention ist und sich nicht auf eine ausschließliche Verehrung Nebus im Tempel stüt-

190 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Nichts Anderes gilt für die vermeintlichen syro-phönikischen (Baʿal-Šamen) und ›arabischen‹ (Arṣu) Quellen des palmyrenischen Pantheons . Ungeachtet seiner Inkonsistenzen und gerade wegen der in ihm verschmolzenen verschiedenartigen religiösen Traditionen wirkt das palmyrenische Pantheon wie ein intentionales Konstrukt . Angeordnet um zwei Göttertriaden, mit Bēl und Baʿal-Šamen als Hauptgöttern und ʿAglibōl als beide Triaden verbindendem Scharnier, kann es den Anschein der Künstlichkeit nur mühsam verleugnen . Denkbar ist, dass palmyrenische Priester, im Bemühen, die heterogene Vielfalt der durch die verschiedenen Bevölkerungselemente und den Fernhandel in die Stadt gelangten, teils funktional überlappenden und konkurrierenden Gottheiten zu bewältigen und in ein einigermaßen kohärentes System zu fügen, auf den Kunstgriff der Triaden verfallen sind . Um sie hätten sie dann eine Unzahl sekundärer, teils nur bestimmte Untergliederungen der Gesellschaft ansprechende Gottheiten angeordnet . In einem solchen Schema konnten sich, wenn es so war, in der einen oder anderen Form sämtliche sozialen Gruppen im städtischen Pantheon wiederfinden .184 Idealer Ausgangspunkt für einen virtuellen Rundgang durch die sakrale Topographie bietet die für Palmyra Wasser und Leben spendende Efqa-Quelle . Vom Heiligtum, das man in seiner Nähe vermutet, hat sich nichts erhalten . Was wir über die Rolle der Quelle und Yarhibōls, ihres Hüters (Gad), in der Religion Palmyras wissen, ist sekundärem Material entnommen, mit allen Unwägbarkeiten, die daraus erwachsen .185 Yarhibōl gehörte zu den im Vorgängerbau des Bēl-Tempels, dem sogenannten Hellenistischen Tempel, verehrten Göttern und fungierte als göttlicher Begleiter Bēls . Er war, als Sonnen- und Fruchtbarkeitsgott und Teil einer der beiden palmyrenischen Triaden, in der Oasenstadt eine prominente Gottheit, die von den palmyrenischen Elitenangehörigen gern als ›Zeuge‹ angerufen wurde . Als Schutzgott der die Oase speisenden Quelle war er zuvorderst eine lokale Gottheit, was auch in der altertümlichen Namensform (Bōl als ältere lokale Variante des kanaanäischen Baʿal) zum Ausdruck kommt . Wie viele andere Lokalgottheiten Syriens wurde wohl auch er in Form eines beseelten, anikonischen Steinidols (βαίτυλος) verehrt .186 zen kann) als ›Schaufenster‹ für die Präsentation von Prestige durch Angehörige von Familien, die offenbar bewusst auf die Nennung ihrer Stammeszugehörigkeit verzichteten . Waren die hier Geehrten Repräsentanten eines Typus des homme nouveau, wie Yon 2002, 85, vorschlägt? So interessant dieser Gedanke ist, mangelt es ihm doch an Beweisen . 184 So in unterschiedlichen Varianten: Gawlikowski 1973; Teixidor 1979, 100–142; Starcky/Gawlikowski 1985, 89–111; Will 1992, 104f . Die dominierende Rolle einheimischer Götter bemerkte Seyrig 1950, 2: »Yet the only considerable group of foreign gods in Palmyra is a group of Babylonian gods […] .« Skepsis gegenüber dem – in antiken Zeugnissen nicht direkt belegten – Modell der ›Triaden‹ äußert Kaizer 2002, 56–59, der aber grundsätzlich immer wieder die nicht aufzulösenden Inkonsistenzen im palmyrenischen Pantheon betont . 185 Vgl . Gawlikowski 1973, 112–120; Kaizer 2002, 143f . 186 Daran lässt eine Inschrift aus Dura-Europos denken, in der Yarhibōl der »gute Gott, mṣbʾ [Idol?] der Quelle« genannt wird (PAT 1099): Kaizer 2002, 144–146 .

Zwischen Stadt und Stamm: Die Palmyrener u nd ihre Kulte · 191 Ein anderer lokaler Bōl war ursprünglich der Hauptgott der ersten Göttertrias: Bēl, dessen Tempel am östlichen Ende der Kolonnadenstraße als Hauptheiligtum Palmyras zugleich eine Fülle anderer Götter beherbergte, darunter die nabatäische Göttin Manawat, die babylonische Herta und den kanaanäischen Rešef . Die Portiken im Temenos des Heiligtums waren, vor und nach der Konstruktion des neuen Cella-Komplexes, den verschiedensten Gottheiten geweiht . Der Gott, der wohl noch in vorhellenistischer Zeit im Zuge einer interpretatio Babyloniaca mit dem babylonischen Hauptgott Marduk-Bēl (und später nicht von ungefähr mit Zeus) verschmolz, stieg mit der Etablierung der Trias, die spätestens bei der Weihung des Bēl-Tempels 32 n . Chr . abgeschlossen war, zum alle Bevölkerungsgruppen integrierenden Hauptgott der Stadt auf, theologisch reflektiert in seiner Rolle als Kosmokrator über den Gestirnsgottheiten von Sonne und Mond . Auf Mesopotamien und seine astrologische Tradition weist auch das Kosmogramm, das in der Ikonographie des Tempels einen prominenten Platz einnimmt: Es füllt die Kuppel des nördlichen Adytons .187 Kaum etwas dokumentiert so eindringlich das Virulentwerden mesopotamischer Traditionen in der Oasenstadt wie die Tatsache, dass die Palmyrener den babylonischen Bēl mit den theologisch wie sozial integrierenden – und damit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unabdingbaren – Funktionen einer obersten Gottheit ihres ansonsten primär partikulare Stammes- und Claninteressen spiegelnden städtischen Pantheons betrauten .188 Bezeichnenderweise blieb diese Rolle seinem westlichen Gegenstück Baʿal-Šamen vorenthalten .189 Die gemeinschaftsstiftende Funktion Bēls wird schließlich auch aus seiner Prominenz in palmyrenischen Diaspora-Gemeinden deutlich, wo der Gott gerne im Kreis anderer Götter dargestellt wurde .190 Dritter im Bunde war der Mondgott ʿAglibōl, der mit seinem Bruder Malakbēl in einem ›Heiliger Hain‹ genannten, wiederum nur aufgrund epigraphischer Informationen zu erschließenden Heiligtum verehrt wurde . Auch Malakbēl besaß einen solaren Aspekt, allerdings ausschließlich außerhalb Palmyras, namentlich in der palmyrenischen Diaspora von Dura-Europos .191 Der Tempel stand, angesichts der vielfachen Nennung der bny kmrʾ im Zusammenhang mit dem ›Heiligen Hain‹, offenkundig in enger Beziehung zu dieser Verwandtschaftsgruppe . Wenige palmyrenische Texte dokumentieren den Charakter eines ›Stammesheiligtums‹ derart eindringlich wie das Ehrendekret für Aelius Boraʾ, das schildert, dass die bny kmrʾ, genau wie die übrigen »vier Stämme«, »aus ihrer eigenen Ta187 188 189 190

Dalley 1995; Kaizer 2002, 140, und jetzt Gawlikowski 2015, 250 . Gawlikowski 1973, 121f . Gawlikowski 2015, 250f . Ob es sich bei den Begleitern in den »Bēl-Gruppen« um ›tribale‹ Gottheiten handelt, ist umstritten . Pro Dirven 1999, 97, contra Kaizer 2002, 74 . 191 Dirven 1999, 181–188, führt den solaren Aspekt auf die spezifischen Bedingungen einer Diaspora-Gemeinde zurück . Ähnlich Kaizer 2002, 140: »[…] the undeniable ›solarization‹ can be best explained by the the influence which Palmyrene soldiers underwent from the surrounding army religion with the growing importance of sun gods in this context .«

192 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE sche« eine Statue für Boraʾ aufgestellt habe, »in ihrem eigenen Heiligtum« .192 Der Stamm scheint dieses Heiligtum regelrecht als sein Eigentum betrachtet zu haben: Stimmt das, dann kam, während sich im Kultleben von den Stämmen unabhängige Kollektive etablierten, auch den Stämmen, wenigstens bis ans Ende des 2 . Jahrhunderts n . Chr ., eine erhebliche Bedeutung als religiöse Gruppen zu . Der Mondgott ʿAglibōl ist, zusammen mit seinem Bruder Malakbēl, das Bindeglied zur zweiten, von Baʿal-Šamen, dem ›Herrn des Himmels‹, beherrschten Göttertrias Palmyras . Auch Baʿal-Šamen ist zuerst im phönikischen Raum belegt, in einer Inschrift aus Byblos . In ihm spiegelt sich der alte syrische Wettergott Hadad, Fruchtbarkeitsgott für eine Regenfeldbau treibende Bevölkerung, dem Baʿal-Šamen auch ikonographisch angenähert ist: Er ist, mit der Ausnahme des mit Nebu assoziierten Gottes Šadrafa,193 die einzige bärtig dargestellte Gottheit, hält meist ein Blitzbündel in der Hand und trägt eine korbförmige Krone (κάλαθος) . Wie Bēl wird er als Kosmokrator dargestellt und wie sein babylonisches Gegenstück mit Zeus identifiziert . Was freilich im Bewusstsein der Palmyrener sonst noch von der ursprünglichen Bedeutung dieses Gottes überlebt hat, bleibt rätselhaft .194 Sein im 2 . Jahrhundert n . Chr . errichtetes Heiligtum – das charakteristischerweise auch wieder Kulte anderer Gottheiten beherbergte – entspricht, als einziges in Palmyra, einem weitgehend unverfälschten vitruvischen Bauschema . Ihm musste aber ein älterer, völlig unklassischer Sakralbau aus dem frühen 1 . Jahrhundert n . Chr . weichen . Auch im Fall des Baʿal-Šamen-Heiligtums ist der privilegierte Bezug zu einer der genealogischen Gruppen Palmyras evident, in diesem Fall zur bny mʿzyn . Im Besitz dieses ›Stammes‹ befand sich die Grabstätte, die in den frühkaiserzeitlichen Bau integriert und, vermutlich anlässlich ihrer Einbeziehung in den Tempel, mit einer aramäischen Inschrift versehen wurde . Die Inschrift erinnert an die rituelle Reinigung des Begräbnisplatzes .195 Die patrilineare genealogische Reihe, die zu dem eigentlichen, wegen des fragmentarischen Erhaltungszustandes der Inschrift anonymen Grabherrn hinzuführen scheint, umfasst sechs Generationen und reicht somit ins 2 . Jahrhundert v . Chr . zurück .196 Gleichviel, ob es sich um eine reale oder um eine konstruierte Genealogie handelt, sie dient dazu, die Verwurzelung des ›Stammes‹ am Ort des Tempels und in dem ihn umgebenden Territorium zu markieren und seine Verbundenheit mit diesem Ort zu erklären . Die Inschrift ist somit ein weiterer Anhaltspunkt für eine denkbare ›synoikistische‹ Genese Palmyras aus mehreren tribalen Siedlungsplätzen und zugleich Beleg für die Dominanz genealogischer Gruppen im religiösen Leben der Oasenstadt .197 192 193 194 195

PAT 1063: ἐν ἰδίοις ἱεροῖς . Kaizer 2002, 98f . Ebd ., 83f . Vermutlich, um das Heiligtum errichten zu können . PAT 0208 (11 n . Chr .): »[…] dieses Grab wurde geöffnet und gereinigt, und Waballat [es folgt eine lange genealogische Reihe] öffnete und reinigte es .« 196 »[–] der Sohn des Yedibel Rabba, unser Großer Vater, Frieden .« 197 Die Bedeutung tribaler Einflüsse und eines heterogenen kulturellen Milieus unterstreicht Gnoli 2007a, 171– 178 .

Zwischen Stadt und Stamm: Die Palmyrener u nd ihre Kulte · 193 Palmyras religiöser Pluralismus, nur notdürftig verborgen hinter der Fassade einer scheinbar geordneten Götterwelt, ging dem Kulturkontakt mit der hellenistischen Welt und Rom noch voraus; er hatte seine Wurzeln in der spezifischen Urbanisierungsgeschichte der Stadt, in der Stammesgliederung der Bevölkerung und im Fernhandel . Der auf anderen Feldern durchaus spürbare Einfluss Roms scheint die religiösen Institutionen Palmyras so gut wie gar nicht berührt zu haben . Zwar gibt es einige verstreute Hinweise darauf, dass in Palmyra der Kaiserkult gefeiert wurde, doch deutet nichts auf die Gründung neuer Priesterschaften oder Heiligtümer in größerem Umfang hin .198 Das heißt aber nicht, dass die palmyrenische Religion vom Westen völlig unbeeinflusst geblieben wäre . Zwar war die Gleichsetzung mit griechischen Göttern, wie das Beispiel von Bēl und Baʿal-Šamen illustriert, oberflächlich, doch wurden Ikonographie und Ikonologie der bildlichen Darstellungen offenkundig von westlichen Vorbildern beeinflusst . Wir finden männliche Gottheiten durchweg in römische Offizierstracht gewandet: mit Brustpanzer, paludamentum und caligae; Göttinnen, wie die auf einem Votivrelief aus dem Allat-Tempel als Athena mit Helm und Aigisfell dargestellte Allat, tragen Chiton und Himation . Die Darstellung von Gottheiten im militärischen Ornat knüpfte möglicherweise an Vorbilder aus dem syrisch-aramäischen Raum an, ikonologisch weisen die Darstellungen jedoch unzweifelhaft nach Westen .199 Ebenso eindeutig griechisch-römischen Einschlag verrät, in der Sache kaum überraschend, die Symbolik bürgerschaftlicher Identität, wie sie vor allem in der Darstellung der Gad (Tyche) von Palmyra im sogenannten Tempel der Gaddē in Dura Europos konzentriert Verwendung fand .200 Immer wieder taucht auf den Flachbildern aus palmyrenischen Tempeln der Nimbus als den Kopf umhüllender Strahlenkranz oder (seltener) als einfache Scheibe auf . Dieses Kernelement der christlichen Ikonographie hat seine Ursprünge gleichfalls in den religiösen Vorstellungen Mesopotamiens, ging dort aber erst relativ spät, mit der neuassyrischen Glyptik seit dem 9 . Jahrhundert v . Chr ., in bildliche Darstellungen ein . In den Formenschatz der griechischen Ikonographie wanderte der Nimbus im 5 . Jahrhundert, zunächst als Strahlenkrone für Lichtgottheiten .201 Andere Symbole, welche die palmyreni198 Eine Inschrift (PAT 2769) belegt die Existenz eines Caesareums in Palmyra . Eine weitere Inschrift (PAT 1062) berichtet von der Errichtung eines Tempels für den Kaiserkult im parthischen Vologesias durch Palmyrener . Eine fragmentarische griechische Inschrift (Bowersock 1976) aus dem Umland Palmyras nennt, wenn die Ergänzung durch den Herausgeber korrekt ist, einen ἱερεὺς δὲ καὶ τῶν [Σεβαστῶν]: Kaizer 2002, 148–151 und 239 . Zum Kaiserkult siehe oben, S . 140 . 199 Dazu die Abbildungen in Drijvers 1976: Tafeln III .1 (Yarhibōl und ʿAglibōl); IV .1 (ʿAglibōl und Malakbēl); IV .2, VII (Bēl-Trias); VIII .1 (Bēl?); VIII .2, IX .1 (Bēl-Trias); IX .2 (Yarhibōl mit anderen Göttern); XXI, XII .1 (Yarhibōl); XXXIV, XXXVII .1, XXXVII .2 (Baʿal-Šamen-Trias) . Zur Militarisierung der religiösen Ikonographie in Dura-Europos am Beispiel der Synagoge: Rajak 2011, 150 . 200 Und damit bezeichnenderweise in der palmyrenischen Diaspora . Die Tyche trägt die obligatorische Mauerkrone und wird von einer anderen weiblichen Gottheit (wohl Nikē), die in der linken Hand einen Palmzweig hält, mit einem Siegeskranz geschmückt; vgl . Abbildung in Drijvers 1976, Tafel XX . 201 Zum Nimbus: Willers 2000, 949f .; Keel/Uehlinger 2012, 334 . Generell erfreuten sich Astralsymbole (Mondsichel, achtstrahliger Venusstern, Scheibe für Sonne, Mond, Planeten, Siebengestirn) im eisenzeitlichen

194 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE sche Ikonographie prägen, entziehen sich hingegen ganz der klassisch-antiken Deutung . In diese Kategorie fallen namentlich die zahlreichen Götterattribute, die sich teils an entsprechende, uns bekannte mesopotamische bzw . ägyptische Vorbilder anzulehnen, teils aber auch lokaler Provenienz zu sein scheinen .202 Die sakrale Reliefkunst Palmyras lässt bestimmte Merkmale erkennen, die sie eindeutig in einen lokalen Kontext stellen . Frontalität, Statik, Anordnung von Figuren auf Relieffriesen in ›Registern‹ übereinander und das Zurücktreten individueller Charakteristika bei der Personendarstellung sind Elemente, die als konstitutiv für die sogenannte ›parthische Kunst‹ gelten .203 Problematisch ist vor allem, angesichts der zu beobachtenden dynamischen Entwicklung künstlerischer Ausdrucksformen im römisch-parthischsasanidischen Vorderen Orient, das der Konzeption innewohnende statische Moment . ›Parthische Kunst‹ hat erkennbar eine Fülle lokaler Varianten, die sich über die Jahrhunderte stark wandelten . Die beobachteten Charakteristika sind deshalb kaum mehr als gemeinsame Nenner: In der eben nur vermeintlich ›parthischen‹ Kunst ist die Steppengrenze mit ihrem immensen politischen wie kulturellen Variantenreichtum sozusagen Stein geworden . Noch am ehesten ließe sich ›parthische Kunst‹ als spezifisch-regionale Variante hellenistischer Ausdrucksmittel in der Kunst ansehen, sozusagen als ihr östlicher Spross, der in sich schon wieder uneinheitlich ist, mit gleitenden Übergängen zu anderen Stilen . Auch funktional trug die ›parthische Kunst‹ lokalen Bedürfnissen Rechnung: In der Vorderasien (in Plastik und Glyptik) wie in Palmyra großer Beliebtheit . Mit dem Nimbus (als achtstrahligem, den ganzen Körper umgebendem Venusstern) wurde seit der Eisen-II-Zeit in Assyrien und in SyrienPalästina bevorzugt Ištar dargestellt . Die Symbolik wurde später auf andere Himmels- und Licht-, dann auf alle Gottheiten und schließlich auf den Aspekt des Göttlichen schlechthin übertragen . 202 Auf Ägypten und die traditionellen Kontakte zwischen dem Nilland und der Levante verweist die Schlange als beliebtes Symbol für Licht und Sonne; Anknüpfungen an die religiöse Ikonographie Mesopotamiens verrät die häufige Verwendung der Rosette, dort seit neuassyrischer Zeit Symbol der Ištar; vgl . Black/Green 1992, 156f . Bereits im bronzezeitlichen Syrien häufig bezeugt ist der Baum als Symbol des Lebens, ein auch in Palmyra beliebtes Symbol; vgl . Drijvers 1976, Tafeln XXXVIII, XL . Den engen Bezug zum vorhellenistischen Mesopotamien und dem syrisch-aramäischen Raum unterstreichen auch einige Götterattribute, so der Skorpion mit drohend erhobenem Schwanz (ebd ., XLVIII), Greifen in durchgängig assyrischer Ikonographie (XXIV .1 und 2, XLVI .2), die Standarte mit nach oben geöffneter Mondsichel, an deren Enden zwei Troddeln mit Glöckchen hängen – das Symbol des Mondgottes von Haran in Nordsyrien (LXXIV .1) . Das Motiv des auf einem Löwen sitzenden Adlers (XLVI .2) erinnert zumindest von ferne an den seit frühdynastischer Zeit geläufigen und in der ikonographischen Tradition Mesopotamiens omnipräsenten Imdugud (Anzu), einen löwenköpfigen Adler, der oft auf dem Rücken von Löwen thronend dargestellt wird . Zur Standarte mit Mondsichel im ikonographischen Kontext Nordsyriens seit der Eisen-II-Zeit: Tubach 1986, 196–209; Keel/Uehlinger 2012, 339f .; zum Skorpion als Symbol der Liebesgöttin ebd ., 168f .; zum Baum als Lebenszeichen seit der Mittelbronzezeit ebd ., 32 . 203 Die Diskussion um die Ursprünge der ›parthischen‹ Kunst füllt mittlerweile ebenso Bände wie die Debatte um die Zulässigkeit der Etikettierung . Vgl . aus der Fülle der Literatur nur: Rostovtzeff 1935 (hier taucht der Begriff zum ersten Mal auf); Will 1963; Colledge 1977, 126–130; Pietrzykowski 1985; Jacobs 2014; Dirven 2016 . Eine bestimmte künstlerische Ästhetik mit einer politischen Formation wie dem Partherreich zu verknüpfen, gilt allgemein als überholt . Der Begriff hat sich trotz aller evidenten Probleme in der Literatur behauptet .

Zwischen Stadt und Stamm: Die Palmyrener u nd ihre Kulte · 195 Frontalität manifestierte sich unnahbare Entrücktheit, in der Erstarrung des Individuums zum Typus der Primat der sozialen Rolle vor der Individualität . Was für die religiöse Ikonographie im Besonderen zutrifft, gilt allgemein auch für andere Ausdrucksformen visueller Kommunikation: die Konvergenz vielfältiger Traditionszusammenhänge in neuen Darstellungsmustern . Sie gewann in den monumentalen Bauten der Oasenstadt steinerne Gestalt . Ob Tempel, Theater oder Kolonnaden: Sie alle waren auf den Effekt größtmöglicher Wirkung ausgelegt . Die aber ließ sich im von der imperialen Wirklichkeit Roms abgesteckten Rahmen nur durch Adaption des Formenschatzes erzielen, der eben die Große Tradition verkörperte, mit seinen klassischen Säulenordnungen und seinem Bauschema für Sakralbauten, mit Peristasis, Gebälk und sich in der Seitenansicht als Scheingiebel entpuppenden Giebeln . Alle palmyrenischen Großbauten, ob Tempel oder Profanbauten, aber auch die zahlreichen, strukturell den lokalen Tempeln nachempfundenen Tempelgräber, erwecken so auf den ersten Blick den Eindruck geradezu paradigmatischer Klassizität, der sich, beim Betrachten der Details, jedes Mal unfehlbar auflöst . Wie typischerweise die orientalische Stadt verfügte Palmyra mit dem Bēl-Tempel über ein beherrschendes Hauptheiligtum, das wie der Nebu-Tempel und der Baʿal-ŠamenTempel von einem ausgedehnten Temenos umschlossen war . Ein lokales Element waren auch die begehbaren Dächer der Heiligtümer . Jeder Blick auf die zinnenbekrönten Flachdächer von Bēl- und Nebu-Tempel ließ die Sakralbauten in verblüffend anderem Licht erscheinen, und wer das Hauptheiligtum über die zum Eingang an der Langseite hinaufführende Rampe betrat, befand sich in einem klassisch-mesopotamischen Knickachstempel, in dem das Kultbild Blicken vom Eingang her entzogen war . Wandte er nun den Blick nach rechts oder links zu den symmetrisch angeordneten, erhöhten Thalamoi hin, so lag der Eindruck eines assyrischen, einem Thronsaal nachempfundenen Tempels näher als der eines griechischen Heiligtums . Auch in der visuellen Repräsentation von Religion gelangte das Bestreben lokaler Eliten zum Durchbruch, eigenen Traditionen mit von außen entlehnten Mitteln wirkungsvoll und vor allem prestigeträchtig Ausdruck zu verleihen . Das religiöse Leben der Oase scheint im Kern, in irritierendem Gegensatz zu seiner visuellen Repräsentation, von ›klassischen‹ Einflüssen weitgehend freigeblieben zu sein, was gut zu der transkulturell zu beobachtenden relativen Persistenz religiöser Systeme in Zeiten des Wandels zu passen scheint . Wie freilich die andere materielle Gestalt, die neue Formen künstlerischer und architektonischer Repräsentation den traditionellen religiösen Inhalten gaben, das Bewusstsein der Zeitgenossen beeinflusste, bleibt eine offene Frage . Manches jedenfalls macht glauben, dass die Religion des kaiserzeitlichen Palmyra nicht nur alter Wein in neuen Schläuchen war .

196 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE

Monumentalisierte Rivalität: Die Nekropolen und ihr Ort im patrimonialen Sozialgefüge Was sich mit Blick auf Kulte und Religion der Palmyrener nur vermuten lässt, ist für ihre gesellschaftliche Organisation anhand positiver Fakten zu erhärten: dass, erstens, das 2 . Jahrhundert n . Chr . eine Periode forcierten sozialen Umbruchs war und dass, zweitens, für den Wandel zu einem neuen gesellschaftlichen Aggregatszustand der sich intensivierende Kontakt mit der römischen Welt wenigstens von mitentscheidender Bedeutung war . Palmyra besaß vier große Nekropolen: im Westen, im Südwesten, im Südosten und im Norden der Stadt . Die Städte der Toten reflektierten zu einem hohen Grad die sozialen Verhältnisse in der Stadt der Lebenden, sie waren gleichsam die Verlängerung vertikaler und horizontaler, funktionaler wie verwandtschaftlicher, Differenzierung in die Welt der Toten . Die 150 noch heute sichtbaren Gräber sind, mit ihrer Architektur, ihrem Dekor und ihren Inschriften, Schlüsselquellen für das Verständnis der gesellschaftlichen Organisation der Oasenstadt insgesamt .204 Drei Grabtypen, jeder wieder unterteilt in mehrere, sich in Nuancen der Disposition unterscheidende Subtypen, sind generell voneinander zu trennen:205 unterirdische Gräber (Hypogäen), Turmgräber und Gräber, die äußerlich die Form griechisch-römischer Tempel kopieren (Tempelgräber) . Ihnen allen ist ihre Funktion als kollektive Grablege für größere Gruppen gemein: Ein Grabbau enthielt bis zu 400 Grabnischen (Loculi oder ›Schiebegräber‹); Mehrfachnutzung der Loculi konnte die Kapazität noch erheblich erhöhen .206 Bei allen Unterschieden im Einzelnen folgten die Grabtypen doch alle demselben Schema: kollektive Bestattung unter optimaler Nutzung des Raums . Vermutlich reflektierten also die Grabbauten syn- und diachrone Differenzen in der Wahrnehmung des Jenseits (und damit implizit auch der sozialen Verhältnisse im Diesseits) eher im Detail, während unter dem Strich die konzeptionellen Gemeinsamkeiten bzw . Kontinuitäten überwogen: Die in einem Grabbau bestatteten Personen waren – oder fühlten sich –, unabhängig vom Grabtypus, alle (oder doch: fast alle) miteinander verwandt . Als Grablegen für ganze ›Stämme‹ waren die Hypogäen, Turm- und Tempelgräber der palmyrenischen Nekropolen zu klein wie auch bei Weitem zu zahlreich; als Bestattungsorte für strikt patrilineare Familiengruppen, analog zu den Verhältnissen in Rom, waren sie wiederum 204 Sie bilden, laut al-Asʿad/Schmidt-Colinet 2005, 39, »den größten zusammenhängenden Nekropolenkomplex hellenistisch-römischer Zeit im gesamten Vorderen Orient .« Grundlegend noch immer: Gawlikowski 1970; jetzt auch: Henning 2001; Henning 2003 . Welche Zerstörungen genau die zweimalige Kontrolle Palmyras durch den ›Islamischen Staat‹ angerichtet hat, ist erst im Rahmen einer umfassenden Bestandsaufnahme zu klären . 205 Individualgräber, die auch vorkommen, datieren in nachaurelianische Zeit und sind am ehesten mit der römischen Garnison im Diocletianslager in Zusammenhang zu bringen . 206 Zur Mehrfachnutzung von Loculi vgl . die Übersicht über die Belegung in Saliby 1992, 286–288 . Jeder Loculus war mit bis zu fünf Bestattungen belegt .

Monumentalisierte Rivalität · 197 zu groß . Sie lassen sich, schon bei oberflächlicher Betrachtung, als Dokumente lesen für den hohen Stellenwert, den Verwandtschaft als soziales Gliederungsmerkmal besaß, doch erschließen sich die genauen Strukturen erst dem zweiten, intensiveren Blick . Bereits die ungleiche chronologische Verteilung der drei Grabtypen deutet auf eine prozessuale Dynamik hin, in der sich soziale Umschichtungen auch in der Stadt der Lebenden spiegeln . Als einziger Bautypus ist das Hypogäum der Oasenstadt mehr oder weniger gleichmäßig über alle archäologisch nachweisbaren Perioden verteilt . Hypogäen kamen im 2 . Jahrhundert v . Chr . auf, als lokale Variante einer seit dem Hellenismus in ganz Vorderasien verbreiteten Grabform; das letzte Hypogäum wurde im Jahr 232 eingeweiht .207 Turm- und Tempelgräber hingegen sind, jenseits aller Zufälligkeiten archäologischer Befunde, klar als einander ablösende Grabtypen auszumachen, mit einer markanten chronologischen Wasserscheide in der ersten Hälfte des 2 . Jahrhunderts n . Chr .208 Während sich über die Wurzeln der anhaltenden Bipolarität der Grabformen – subterrane Bestattungen hier, hoch aufragende Gräber dort – nur spekulieren lässt,209 leuchtet der Wandel oberirdischer Grabbauten vom Turm- zum Tempelgrab unmittelbar ein . Wichtigste Ursache dürfte hier das beständig wachsende Repräsentationsbedürfnis palmyrenischer Clans und Einzelpersonen gewesen sein, für das die innovative Form des Tempelgrabs buchstäblich mehr Raum bot . Die spezifische Fassadengestaltung ermöglichte die Anbringung und publikumswirksame Präsentation einer Fülle von Dekorelementen . Damit vollendete sich eine Entwicklung, die sich in den späteren Turmgräbern, mit ihrem reicheren Bauschmuck, bereits angekündigt hatte .210 Bauplastik und -ornamentik ließen sich mit dem neuen Paradigma, zum Nutzen und Frommen des familiären Ruhms, vortrefflich in Szene setzen . Ungeachtet aller Unterschiede im Detail gehorchen die palmyrenischen Tempelgräber einer kanonischen Formensprache, die sie von den kaiserzeitlichen Grabbauten des übrigen Syrien absetzt: Der Grundriss ist annähernd quadratisch, die Fassade weist ein Podium, die Ecken betonende Pilaster, eine horizontale Unterteilung durch ein umlau207 al-Asʿad/Schmidt-Colinet 2005, 42f . 208 Turmgräber sind gleichfalls ein Typus, der seit dem Hellenismus im syrisch-mesopotamischen Raum weite Verbreitung fand und der möglicherweise auf phönikische Vorbilder zurückging . Eine Typologie der Turmgräber bei Gawlikowski 1970, 56–106, mit Zusammenstellung zahlreicher Belege . Gawlikowski (ebd ., 9–43) postuliert auch historisch-genetische Zusammenhänge zwischen älteren Grabbauten in Syrien seit der Eisenzeit und den – in verschiedenen Teilregionen verbreiteten – Turmgräbern: »[…] traditions sémitiques, antécédents naturels de l’architecture sépulcrale palmyrénienne« (ebd ., 10) . Die Errichtung von Turmgräbern ist für Palmyra epigraphisch bezeugt von 9 v . Chr . bis 128 n . Chr . Die Sonderrolle palmyrenischer Turmgräber betont jetzt Henning 2003, 100f . 209 Eine Rolle mögen die in Palmyra zusammenlaufenden unterschiedlichen religiösen Traditionslinien gespielt haben, die vielleicht partiell divergierende Jenseitsvorstellungen und Bestattungsriten begründeten . Die Koexistenz von Turmgräbern und Hypogäen ist auch für die Westnekropole von Dura-Europos belegt . Nochmals sei betont, dass das Hypogäum in seiner grundsätzlichen Konzeption keine markanten Unterschiede zu den übrigen beiden Grabtypen aufweist . 210 Schmidt-Colinet 1987, 214 .

198 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE fendes  Profilband und ein Gebälk aus Dreifaszienarchitrav, Polsterfries und Konsolengeison auf .211 Herausragendes Beispiel für die Architektur der Tempelgräber ist das in den 1980er Jahren ergrabene Tempelgrab Nr . 36, in dem der Ausgräber die Grabstätte Worōds, des zweiten Mannes in Palmyra hinter Odainat in den 260er Jahren, und seiner Familie vermutet .212 In dem Bau, hinter dessen römischer Fassade sich ein komplex zergliederter, ›orientalischer‹ Bau verbirgt, spiegelt sich die Beherrschung divergenter Bautraditionen durch Architekt und Auftraggeber wider: Das römische Vokabular der Fassade reiht sich in eine lokale Syntax ein .213 Im »zur Schau gestellten Romanismus« des Tempelgrabs Nr . 36 spiegelt sich ein weiteres Mal die Rezeptionsfreudigkeit, mit der die Palmyrener ein ihnen ursprünglich fremdes Vokabular, dessen Herkunft sich über Umwege bis nach Rom zurückverfolgen lässt, aufnahmen und mit Eigenem verbanden .214 Der Weg, den die Bildvorlagen aus Italien und anderen Teilen des Reichs an dessen Ostperipherie nahmen, lässt sich verblüffend einfach rekonstruieren: Als ›Brücke‹ fungierten in den syro-phönikischen Küstenstädten ansässige Sarkophagwerkstätten, die nicht nur Sarkophage aus dem Westen importierten, sondern sie auch, entsprechend italischen Stilvorgaben, bearbeiteten . Die lokalen Künstler applizierten die über die Sarkophage vermittelte Ikonographie ihrerseits auf die Architekturplastik, wo die importierten Formen mit einiger Verspätung Eingang fanden . Der Wirkungsradius der syro-phönikischen Werkstätten reichte offensichtlich weit: wenigstens bis nach Palmyra, wo die Oberen Zehntausend sich mit der entliehenen Ikonographie auf der Höhe aktueller Modetrends wähnten .215 211 Schmidt-Colinet 1992, 52 . 212 Dafür sprechen, so Schmidt-Colinet (ebd ., 40–42), die Chronologie des nach der Mitte des 2 . Jahrhunderts anzusetzenden Baus sowie die sich in Architektur und Dekor artikulierende Nähe zur persischen und zur römischen Welt . Zur Frage, ob Worōd wirklich persischer Herkunft war, wie sein Name vermuten lässt: Will 1996; Gnoli 2007c, 111–113; Gnoli/Muccioli 2007, 192 . 213 Schmidt-Colinet 1992, 40 . 214 Frappierendes Beispiel ist die Figur eines kleinen, delphinreitenden Eros mit Sonnenschirm an der Eingangsfassade des Tempelgrabs Nr . 36 (erbaut ca . 210–220 n . Chr .), der sich ganz ähnlich auf einem stadtrömischen Sarkophag antoninischer Zeit findet . Solche Elemente lassen auf die Existenz von Mustervorlagen schließen, die im imperialen Kontext weite Verbreitung fanden: ebd ., 91f .; al-Asʿad/Schmidt-Colinet 2005, 53f ., Abb . 75 . 215 Schmidt-Colinet 1992, 91–104, hebt besonders die für eine Oasenstadt erstaunliche Meerwesen-Ikonographie hervor, die über mehrere Umwege bis nach Rom und Athen weist: »Hinter Entwurf und Ausführung der Bauplastik steht eine kleinasiatisch geschulte Sarkophagwerkstatt der syrischen Küstenregion .« Ebd ., 103 . SchmidtColinet (ebd ., 95–103) gelingt der Nachweis, dass den Ausführenden Mustervorlagen küstensyrischer, wohl in Kleinasien geschulter Sarkophagwerkstätten vorlagen . Die Werkstätten importierten stadtrömische und attische Sarkophage, arbeiteten sie vor Ort nach und organisierten dann den Weitertransport ins Binnenland . Die Motive der Sarkophagplastik gingen über solche Musterbücher alsbald auch in die Bauplastik ein . Motive wie die Meerwesen, tragische Masken (Gorgonen) und die verbreitete Triumphalienikonographie gelangten auch in der Bauplastik des Tempelgrabs Nr . 36 zur Ausführung; vgl . al-Asʿad/Schmidt-Colinet 2005, 53–56; Zitat: Schmidt-Colinet 1992, 41 .

Monumentalisierte Rivalität · 199 Die über Kleinasien vermittelte, letztlich ihrer Herkunft nach italische Bauplastik ist aber nur eine Besonderheit palmyrenischer Tempelgräber und ihres Baudekors . Eindeutig lokalen Ursprungs, den reichen Textilmustern orientalischer Tradition entlehnt, ist der Baudekor . Es ging mit den der griechisch-römischen Sakralarchitektur entliehenen ›vitruvischen‹ Elementen und der Bauplastik eine kongeniale Verbindung ein .216 Die Verpflichtung von mit westlichen Steinmetz- und Architekturtraditionen vertrauten Handwerkern aus der syrischen Küstenregion und die eklektische Aneignung des imperialen künstlerischen Formenschatzes, bei gleichzeitiger Verwendung ausgesprochen ortstypischer Merkmale, sprechen mit Blick auf die Mentalität der Bauherren eine klare Sprache: Für sie war die griechisch-römische Architektur ein Steinbruch, Mittel zum vorrangigen Zweck der Selbstdarstellung . Ähnliches gilt, mutatis mutandis, für das weite Feld der Grabplastik, eine an sich urrömische Gattung .217 Wie Profan-, Sakral- und Sepulkralarchitektur, so zeigt auch die Grabplastik, dass das künstlerische Vokabular der griechisch-römischen Welt zwar in Palmyra Eingang fand, aber in lokaler Manier und nach lokalen Bedürfnissen adaptiert und rezipiert wurde .218 Das – in Palmyra wie in Rom – so beliebte Klinenmahl illustriert die Komplexität dieses Vorgangs: Ob für seine Popularität in Palmyra orientalische (Klinenmahl als Herrschaftssymbol) oder italische (Klinenmahl als Heroenmahl im Jenseits) Paradigmen den Ausschlag gaben – oder ob das Motiv reale Grabriten abbildet –, lässt sich nicht entscheiden . Wohl kaum ist die Frage im Sinne eines klaren Entweder-Oder zu beantworten .219 Insgesamt unterschied sich die Entwicklung in Palmyra aber eher von derjenigen in Italien: Während entlang der Gräberstraßen Roms und Ostias ab augusteischer Zeit, verstärkt ab dem 2 . Jahrhundert n . Chr ., ein neuer Trend zur Wendung nach innen Einzug hielt, der sich in einer Abkehr von auftrumpfenden Bildprogrammen und Fassaden manifestierte, waren es gerade diese Elemente, die sich in Palmyra ungefähr gleichzeitig auf breiter Front durchzusetzen begannen . Dem Desinteresse an einem breiten Publikum, das aus den italischen Grabbauten spricht, stand in Palmyra gerade ein demonstrativer Gang an die Öffentlichkeit gegenüber . Überhaupt stand sepulkrale Repräsentation in der Oase offensichtlich in einem ganz anderen Kontext als in der Hauptstadt .220 216 Schmidt-Colinet 1992, 52: Die Architekturdekoration Palmyras »läßt sich in weiten Bereichen auf die streifenförmig angeordnete und besonders reiche lokale Tradition zurückführen . Dabei ermöglicht gerade die römische Struktur etwa der Pilasterfüllung die Umsetzung streifenförmiger Dekorationssysteme in die Architektur .« 217 Eine Artefaktgruppe, die viele Untergattungen zusammenfasst: Sarkophage, Klinenreliefs, Bankettreliefs, Loculus-Verschlussplatten mit vorn angebrachten rundplastisch modellierten Köpfen, sonstige Rundplastiken; vgl . ebd ., 105 . 218 Zum Aufbau der Gräber Schmidt-Colinet 1987, 214; zur Grabplastik: Parlasca 1985, 350f .; Schenke 2003 und jetzt Raja 2017a . 219 Schmidt-Colinet 1992, 140 . 220 Ähnliches gilt für die Grabmalerei, die ihren Höhepunkt in Palmyra um 200 n . Chr . erreichte und keine von den übrigen Medien unabhängige Motivik entwickelte: Højen Sørensen 2016 . Zur Entwicklung in Italien Hesberg/Zanker 1987f .

200 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE

Abb. 6.3: Palmyrenischer Sarkophag aus dem 3. Jahrhundert, Gesamtansicht

Noch weitaus deutlicher nämlich als in Rom trat im palmyrenischen Grab das Individuum hinter dem Kollektiv von Familie und Sippe zurück . Im Kontrast zu ihren italischen Entsprechungen zielten die palmyrenischen Darstellungen nicht auf die Wiedergabe individueller Züge . Die Person verschwand fast ganz hinter dem Typus: Porträts, die nachweislich ein und dieselbe Person darstellen, zeigen keinerlei physiognomische Ähnlichkeit, und umgekehrt finden sich nahezu identische Büsten verschiedener Individuen . Zwar ließen sich die vornehmen Palmyrener wie ihre römischen und griechischen Standesgenossen als togati oder mit Chiton und Chlamys (Männer) bzw . Peplos (Frauen) abbilden – und stellten so mit ihrer Vertrautheit mit römischen Statussymbolen zugleich ihre Zugehörigkeit zur lokalen Oberschicht zur Schau –, und auch stilistisch lehnten sich die Darstellungen an gängige römische Gestaltungskonventionen an . Doch verzichtete man vollständig auf physiognomische Individualität, wodurch die Dargestellten hauptsächlich als Vertreter verwandtschaftlicher Netzwerke wahrnehmbar wurden .221 221 Laut Raja 2017a, 131f ., und Raja 2017b, 334–343, sind die Porträts vielfältig aufeinander bezogen und danach Abbilder familiärer Netzwerke, aus denen erst sekundär der Status von Individuen hervortritt . Das völlige Zurücktreten der Individualität hat Parlasca 1985, 350, hervorgehoben . Das Urteil Parlascas relativiert Schmidt-Colinet 1992, 139f ., der in einem komplexen Spannungsfeld von Auftraggeberwünschen, kanonischen Elementen und künstlerischen Fertigkeiten der Ausführenden auch andere Mechanismen am Werk sieht .

Monumentalisierte Rivalität · 201

Abb. 6.4: Palmyrenischer Sarkophag aus dem 3. Jahrhundert, Detailansicht

Als solche konnten die porträtierten Grabherren ein ganzes Spektrum divergenter, sehr heterogener, aber aus der Binnenperspektive keineswegs einander ausschließender Rollen einnehmen . Besonders die nur schwer in Einklang miteinander zu bringenden Rang- und Prestigeskalen der lokalen Gesellschaft auf der einen, des Imperiums auf der anderen Seite – der Großen und der Kleinen Tradition – stellten ein Problem dar, dessen  sich  die Künstler auf innovative Weise annahmen . Der 1990 in einem Turm der Stadtmauer gefundene, aus dem zweiten Viertel des 3 . Jahrhunderts n . Chr . und damit aus der Zeit unmittelbar nach Odainats Machtübernahme datierende Sarkophag eines  unbekannten, aber gewiss prominenten Vertreters der palmyrenischen Oberschicht bündelt auf kleinster Fläche die verschiedenen Identitätsmuster, mit denen die palmyrenischen Eliten täglich operierten (Abb . 6 .3 und 6 .4): Auf dem leicht beschädigten Sarkophagdeckel thront, fast schon lässig ausgestreckt auf einer Kline, mitsamt seinem Pferd der Grabherr, bekleidet mit einem knapp knielangen Kaftan, einem über der rechten Schulter mit einer Fibel zusammengehaltenen Mantel, Reithosen und kurzen, knapp über die Knöchel reichenden Stiefeln . Die Kleidung des Mannes, vor allem der Kaftansaum, Matratze und Kissen der Kline sind – wie das Zaumzeug des Pferdes  –  mit  parataktisch zu Ornamenten geformten Dekorelementen (Ranken, Rosetten, Weinranken) überzogen – dieselben Dekorelemente, die sich in der palmyrenischen Bauornamentik von Sepulkral-, Sakral- und Profanbauten wiederfinden . Sie ge-

202 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE hören zum Inventar einheimischer Textilmuster, die in die Architektur Eingang gefunden haben .222 An einem abwechselnd aus Quadraten und Kreisen gebildeten Gürtel hängt ein Schwert mit dekoriertem Knauf . Die mit reichem Dekor überzogene, luxuriöse Kleidung und das von einem Burschen geführte Pferd verraten Reichtum, die ungezwungene Haltung suggeriert ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, das Schwert gemahnt an eine militärische Position des Grabherrn und der ›parthische‹ Stil seiner Tracht deutet darauf hin, dass der Mann sich der lokalen Oberschicht zugehörig fühlte und ihren Lebensstil teilte . Diesem Eindruck scheint die Darstellung auf dem Relieffries des Sarkophagkastens völlig zuwiderzulaufen: Sie zeigt in Frontalansicht sieben männliche Personen . Die mittlere Person trägt, verhüllten Hauptes, eine Toga, die flankierenden Personen etwa knielange Tuniken . Alles dreht sich um die mittlere Person, offenbar den Grabherrn, der, am Altar stehend, in der Hand eine Schale und eine Buchrolle haltend, ein Libationsopfer darbringt . Die Personen zu seiner Linken, erkennbar untergeordneten Rangs, bringen assistierend weitere zu opfernde Gegenstände herbei: einen mit Früchten beladenen Teller, Brot oder einen Opferkuchen, einen kleinen Vogel . Zur Rechten führt ein Mann, in der Hand ein Messer, den Opferstier herbei, die Person neben ihm hält einen Krug und eine Opferschale . Die Opferszene könnte in Rom spielen, wäre da nicht die in den Hintergrund gerückte Priesterhaube, welche die Handlung wiederum in einen eindeutig lokalen Zusammenhang stellt . Der Grabherr wollte sich offenbar als beides zugleich gesehen wissen – als römischer Bürger und als palmyrenischer Edler . Zwar durchdrang die imperiale Kultur der Großen Tradition mit ihrem Wertesystem und ihrer Prestigeskala die Peripherie: Typisch Römisches, von der Toga über die Gattung der Sepulkralplastik bis zur Tempelarchitektur, wurde nachgerade zum unentbehrlichen Attribut einer statusorientierten Oberschicht . Zugleich aber behauptete sich, ohne überlagert oder gar absorbiert zu werden, das symbolische Inventar der lokalen Kleinen Tradition, aus dem sich andere Statussymbole ableiten ließen . Der Sarkophag bezieht seinen Sinn nur daraus, dass er von den Rezipienten in beabsichtigter Weise gelesen, dass die ›Botschaft‹ verstanden wurde . Er setzt ein grundlegend anderes Elitenverständnis voraus, als es Palmyrener des 1 . und noch des frühen 2 . Jahrhunderts n . Chr . hätten haben können . Wie zu sehen war, definierten sich die Oasenbewohner zunächst vornehmlich entlang tribaler Kategorien: aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten, verwandtschaftlich konzipierten Großgruppe (›Stamm‹) und aufgrund ihres Status innerhalb dieser Großgruppe . Tribale Eliten waren durch die Position, die sie im verwandtschaftlichen Gefüge der Großgruppen einnahmen – oder die ihnen darin zugeschrieben wurde –, eindeutig ausgewiesen . Um ihren Elitenstatus kundzutun, genügte

222 Zum Verhältnis von Textilmustern und Bauornamentik Schmidt-Colinet 2005, 42–47 . Dort auch Abbildungen (44f .) und Datierung (42) des Sarkophags; Schmidt-Colinet 2004, 193f .

Monumentalisierte Rivalität · 203 die Angabe des Stammes und der entsprechenden Ahnenreihe . So erklärt sich auch die Beliebtheit langer Genealogien im epigraphischen Befund . Die primäre Standortbestimmung von Identität im Koordinatensystem verwandtschaftlicher Kategorien lässt sich, nicht zuletzt, auch an den Nekropolen ablesen . Ebenso wie sich mutmaßlich bestimmte Stadtviertel aus Siedlungskernen tribaler Gruppen entwickelten, lässt sich eine stammesmäßige ›Viertelbildung‹ auch in den Totenstädten, wenn nicht beobachten, so doch wenigstens plausibel postulieren .223 Hypothetisch ließe sich die Struktur der Nekropolen folgendermaßen skizzieren: Gruppen benachbarter Grabbauten entspricht eine gemeinsame Stammeszugehörigkeit; einzelnen Grabbauten entspricht die gemeinschaftliche Clan- bzw . Sippenzugehörigkeit; Unterteilungen der Grabbauten (etwa die Exedren der Hypogäen) entsprechen der Zugehörigkeit zu engeren, patrilinearen Familiengruppen . Verwandtschaftliche Nähe artikuliert sich in – unterschiedlich gestaffelter – Nähe der Begräbnisplätze zueinander .224 Trifft das zu, dann würde die Grabarchitektur genau wie die Grabplastik der Visualisierung verwandtschaftlicher bzw . fiktivverwandtschaftlicher Netzwerke dienen . Quer zur verwandtschaftlichen Gliederung – und nicht parallel zu ihr – steht in tribalen Gesellschaften die soziale Stratifizierung, deren Ausdruck die hierarchische Disposition der Grabbauten, besonders der Türme, ist .225 In ihnen scheint sich die Hierarchie, freilich auf den Kopf gestellt, zu spiegeln: Während die Hauptgrabkammern im Erdgeschoss durchweg reichen Baudekor, Skulpturenschmuck und sogar Wandgemälde aufweisen, wird die Ausgestaltung von unten nach oben mit jeder Etage schlichter . Den privilegierten Status der untersten Grabkammer unterstreicht noch ihr vom Aufgang zu den oberen Stockwerken separierter Eingang .226 Die bis zu fünf Stockwerke hohen, wohl stets in einem Bauvorgang errichteten Türme sind praktisch auf den Kopf gestellte Gesellschaftspyramiden .227 Doch 223 Verlässliche Daten liegen freilich kaum vor, da zahlreiche Inschriften bereits in der Antike durch Sekundärverwendung aus ihren in-situ-Kontexten gerissen wurden und eine Zuordnung in vielen Fällen nicht mehr möglich ist . Auffällig ist aber, dass sich die Grabbauten der bny kmrʾ auf das ›Tal der Gräber‹, die Gräber der bny mtbwl auf die West- (›Tal der Gräber‹) und die (angrenzende) Nordmetropole konzentrieren: Yon 2002, 218f . 224 Zu dem Modell passt, dass die Gründungsinschriften der Grabbauten nur gelegentlich den Stamm der Grabeigner, fast immer aber den gemeinsamen Stammvater des Clans nennen . Nicht unbedingt zwingend die Schlussfolgerung bei Yon 2002, 208: »C’est un lieu privilégié pour observer comment les vieiles solidarités tribales, claniques avant d’êtres familiales, disparaissent pour laisser la place à une conception de la famille plus proche de celle qu’on connaît à Rome .« 225 Anders scheint dies Yon (ebd ., 221) zu sehen, der nach classes moyennes fahndet . Das von ihm vorgeschlagene Modell eines palmyrenischen ›Klassenkampfes‹ – alte Eliten vs . neue Mittelklassen – steht im Widerspruch zur verwandtschaftlichen Gliederung der Gesellschaft . 226 Die hierarchische Abstufung setzte sich besonders in den späteren Türmen, ab Mitte des 1 . Jahrhunderts n . Chr ., durch . Anschauliches Material bieten die gut erhaltenen Türme Nr . 51 (Turm des Iamblichus, 83 n . Chr ., PAT 0472), Nr . 13 (Turm des ʾElabel, vollendet 103 n . Chr ., PAT 1423) und Nr . 64 (Turm des P . Aelius ʾObyhan, 118 n . Chr ., PAT 0514): Gawlikowski 1970, 81–93; Schmidt-Colinet 1987, 214; Henning 2003, 99 . 227 Gawlikowski 1970, 93–97 .

204 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE nicht nur die architektonische Disposition der Grabbauten ist hierarchisch, auch die Gestaltung der einzelnen Grabstellen ist es . Sie reicht vom namenlosen Loculus über Inschriften und Porträtbüsten tragende Schiebegräber und freistehende Särge bis zu Prunksarkophagen mit Friesen und rundplastisch skulptiertem Deckel .228 Die Vergesellschaftung aller Grabstellentypen im Grabbau eines einzigen Familienclans ist Beleg genug für die klientelaren Strukturmuster, die der Gesellschaft Palmyras über alle Phasen ihrer Existenz hinweg Gestalt gaben . Doch waren solche Strukturmuster, dem häufig tribalen Gesellschaften unterstellten Immobilismus zum Trotz, nicht unwandelbar .229 Was sich im Befund der Nekropolen abzeichnet, ist vielmehr eine Transformation des lokalen Patrimonialismus von einem Aggregatszustand in den anderen . Konkret: Während die tribalen Bindungskräfte, welche die Oasengesellschaft zu agnatischen, aber als Verwandtschaftsgruppen wahrgenommenen ›Stämmen‹ bündelten, erosionsartig an Wirkung verloren, gelangten neue klientelare Integrationsmechanismen an die Oberfläche, die mit den alten nur mehr bedingt kompatibel waren . Die Befunde aus den Nekropolen erhärten den Verdacht, dass im Mittelpunkt des Prozesses Individuen wie der anonyme Grabherr in ›parthischer‹ Tracht standen, um die sich ab dem 2 . Jahrhundert Klientelverbände neuen Typs scharten . Erstes Indiz ist das Verschwinden der tribalen Terminologie aus den Inschriften der Nekropolen wie der gesamten Stadt . Die Nennung von ›Stämmen‹ mit dem Formular ›bny x‹ kam im 2 . Jahrhundert praktisch zum Erliegen .230 Wichtigster Beleg aber ist der Wandel der Grabarchitektur: Die auf den Kopf gestellten Pyramiden hatten schon um 130 n . Chr . ausgedient . Stattdessen wandelten sich die Grabbauten zu medialen Schaufenstern familiären Prestiges, so die, im Verhältnis zu den tribalen Großgruppen, erheblich gewachsene Bedeutung kleinerer Gruppen wie Clans und Sippen offenbarend . Der neue Typus des Tempelgrabs war Ausdruck von deren Rivalität um Prestige und damit auch um soziales Kapital und politischen Einfluss in der Stadt . Weitergehende Schlüsse lässt das Material aus den Nekropolen nicht zu . Insbesondere vermag es keine Antworten auf die drängenden Fragen zu geben, die sich im Zusammenhang mit dem beobachteten sozialen Wandel stellen: Wie organisierten sich die neuen, kleineren Klientelgruppen und wo liegen die Ursachen für den Wandel?

228 Die Anonymität der meisten Bestattungen dürfte das von Yon 2002, 209, beobachtete, scheinbare Verschwinden der »cousins moins fortunés« erklären . 229 Kaizer 2002, 43, hat in anderem Zusammenhang, aber völlig zu Recht, die gängigen Versuche, tribale Gesellschaften zu konzeptionalisieren, als »far too static« kritisiert . 230 Gesamtzahl der Nennungen im 1 . Jahrhundert v . Chr .: 2; im 1 . Jahrhundert n . Chr .: 13; im 2 . Jahrhundert n . Chr .: 3 . Nach Yon 2002, 218 .

Von Indien nach Palmyr a · 205

Von Indien nach Palmyra: Der Fernhandel und seine Organisation Wenn der Idealtypus der ›Karawanenstadt‹ auf eine der von Rostovtzeffs wegweisender Studie behandelten Städte passt, dann gewiss auf Palmyra, dessen ›Karawaneninschriften‹ keinen Zweifel an der existentiellen Wichtigkeit des Fernhandels für die lokale Gesellschaft lassen .231 Die Karawaneninschriften geben, gemeinsam mit vereinzelt entlang der Handelsrouten gefundenen Dokumenten, Aufschluss über Organisation, Entfaltung und Aktionsradius des palmyrenischen Fernhandels . Sie leisten damit zugleich einen gewichtigen Beitrag zur Klärung der Schlüsselfrage nach dem Funktionieren des lokalen Patrimonialismus, wollen aber mit einer gewissen hermeneutischen Spitzfindigkeit gelesen werden . Der palmyrenische Orienthandel entfaltete sich zunächst zwischen dem Mündungsgebiet von Euphrat und Tigris als Ausgangspunkt des Seewegs nach Indien und in die Oasenstadt selbst . Auch der Seehandel im Persischen Golf lag, wenigstens teil- und zeitweise, noch in der Regie von Palmyrenern .232 Die durch Syrien zum Mittelmeer und weiter nach Westen führenden Routen scheinen, mangels Belegen in palmyrenischen Quellen, die Domäne von Händlern aus den syrischen Küstenstädten und vielleicht Emesa gewesen zu sein .233 Der palmyrenische Fernhandel führte damit hauptsächlich durch Territorium, das die Parther und später die Sasaniden entweder direkt beherrschten, wie Babylonien, oder indirekt, wie Charakene und Mesopotamien-Parapotamien .234 Der Euphrat war bis mindestens Hīt auch flussaufwärts schiffbar und, bis zum Eisenbahnbau, die in allen Epochen bevorzugte Handelsroute . Vermutlich nutzten sie auch die Palmyrener, so den eigentlichen Karawanenverkehr mit der erheblich kostengünstigeren Flussschifffahrt verbindend . Zugänge zum Euphrat eröffneten die zahlreichen Wadis der rechten Flussseite, deren Kontrolle für die Palmyrener offensichtlich schon früh Priorität hatte .235 231 Rostovtzeff 1932 . Im Umkehrschluss sollte allein aus dem Fehlen von Karawaneninschriften, etwa in – dem Rostovtzeff damals noch nicht bekannten – Hatra, nicht auf einen geringeren Stellenwert des Fernhandels geschlossen werden . So aber u .a . Gawlikowski 1994b, 27; Young 2001, 192, und zuletzt Dirven 2011, 167 . Enger als Rostovtzeff fasst Millar 2006 den Begriff ›Karawanenstadt‹: Für ihn ist die Prominenz des Karawanenhandels im epigraphischen Befund das entscheidende Kriterium – entsprechend ist für ihn nur Palmyra eine caravan city . Im Übrigen relativiert Millar (ebd .) die Bedeutung des Karawanenhandels insgesamt gegenüber anderen Transportformen über Land . 232 So schon richtig Bowersock 1994a, 276 . Zur Routen und Logistik jetzt: Seland 2011; Seland 2016, 45–61; Sommer 2017b, 200–209 . 233 Einzelne palmyrenische Händler sind aber gut in Ägypten bezeugt, wo sie sich am Rotmeerhandel beteiligten . Vgl . ebd ., 206f .; Evers 2016, 168–172; Seland 2016, 57–59 . 234 Zu Charakene Schuol 2000 . Sonst zu den Aktivitäten der Palmyrener auf parthischem Gebiet Gregoratti 2010 . Zu Mesopotamien-Parapotamien siehe unten, S . 303 . 235 Zu belegen durch die 98 n . Chr . einsetzenden Inschriften aus dem Wādī Ḥaurān . Für die Nutzung des Euphrat für die Flussschifffahrt: Gawlikowski 2007; Seland 2016, 51f . Ein Modell für den Rhythmus des Warenverkehrs von Indien nach Palmyra hat Seland (ebd ., 59–61) vorgeschlagen . Die Bedeutung der Schifffahrt für den palmyrenischen Handel unterstreicht ein in Palmyra gefundenes Grabrelief, das einen Palmyrener mit seinem

206 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Der Handel in einem unwirtlichen, von Nomaden unterschiedlicher tribaler Zugehörigkeit bevölkerten Naturraum, der obendrein im Kraftfeld zweier politisch rivalisierender Imperien lag, war technisch wie diplomatisch gleichermaßen voraussetzungsreich . An technischen Hürden waren die Bereitstellung von Transporttieren und Schiffen sowie die Versorgung von Karawanenpersonal und Tieren mit Nahrung und Wasser zu überwinden . Gravierender noch waren die politischen Probleme, die der Karawanenhandel den Palmyrenern aufgab, mit den Unwägbarkeiten der labilen römisch-parthischen bzw . römisch-sasanidischen Beziehungen . War das imperiale Kräftespiel zwischen Ost und West noch insofern berechenbar, als beide Parteien, unbeschadet ihres politischen Antagonismus, ein vitales Interesse an der reibungslosen Abwicklung des Orienthandels hatten, so war das Lavieren im Minenfeld der Steppendiplomatie ein permanentes politisches Vabanquespiel . Das breite Spektrum der Aufgaben- und Problemstellungen spiegelt sich in den von Palmyrenern ergriffenen organisatorischen Maßnahmen und in den Ehrendekreten: den Karawaneninschriften wider . Sie waren Persönlichkeiten gewidmet, die zur Bewältigung der Probleme beitrugen . Rückgrat des Orienthandels palmyrenischer Händler war ihre Handelsdiaspora in den mesopotamischen Städten des Partherreichs, bis hinab nach Charakene und sogar darüber hinaus, nach Bahrain .236 Die Präsenz einer palmyrenischen Handelsdiaspora mit dort fest ansässigen und nicht nur sporadisch die Städte aufsuchenden palmyrenischen Kaufleuten ist epigraphisch für Seleukeia am Tigris,237 Babylon,238 Spasinou Charax,239 Vologesias,240 Genna241 und Forāt242 belegt . Der Schwerpunkt scheint sich ab 50 n . Chr . zunächst von Nordbabylonien mit Seleukeia und Babylon ins charakenische Spasinou Charax verlagert zu haben, zu dem dann ab dem frühen 2 . Jahrhundert das neugegründete Vologesias in Konkurrenz trat .243 Schiff zeigt: Bowersock 1994a, 180 . Die Rolle von Dura-Europos im palmyrenischen Fernhandel ist nicht klar zu bestimmen . Sicher nachweisbar ist die Präsenz von Palmyrenern ab dem 1 . Jahrhundert v . Chr . Ob der über Dura abgewickelte Handel Fernhandel war oder eher den Charakter eines regionalen Güteraustauschs trug, ist mit bislang offenem Ergebnis diskutiert worden . Selbst wenn die Palmyrener Fernhandel über Dura abwickelten, war die Route über das Wādī Ḥaurān sicher wichtiger . Wenigstens ein Gutteil der Waren wird vermutlich dort umgeschlagen worden sein: Dirven 1996, 43f .; Dirven 1999, 19–28 . 236 Zum Begriff der commercial diaspora Curtin 1984, 3 . Die Rolle der palmyrenischen Diaspora in Mespotamien beleuchten: Teixidor 1984, 46–49; Schuol 2000, 388–397; Gawlikowski 2007; Gregoratti 2010; Gawlikowski 2016; Seland 2016, 35–38 . 237 PAT 0270 (19 n . Chr .) . 238 PAT 1352 (24 n . Chr .) . 239 PAT 1584 (50/51 oder 70/71 n . Chr .); PAT 1374 (131 n . Chr .); PAT 1414 (138 n . Chr .); PAT 1062 (145/146 n . Chr .); PAT 1409 (159 n . Chr .) . 240 PAT 0197 (132 n . Chr .); PAT 1062 (145/146 n . Chr .: Weihung eines Tempels für den römischen Kaiserkult in Vologesias); PAT 0295 (211 n . Chr .) . 241 PAT 1062 (145/146 n . Chr .) . 242 PAT 0295 (211 n . Chr .) . 243 Zu Vologesias: Schuol 2000, 395f .; Seland 2016, 37f .

Von Indien nach Palmyr a · 207 Die in den parthischen Städten ansässigen Palmyrener sind uns nur deshalb, als Kollektive, nie als Einzelpersonen, bekannt, weil – in der Regel in Palmyra – andere Palmyrener sie mit Statuen und Inschriften ehrten, als Gegenleistung für ihnen erwiesene Wohltaten . In den Inschriften erscheinen die offenbar ortsfest operierenden Kaufleute als deutlich von ihren mit den Karawanen umherziehenden Kollegen unterscheidbare Gruppe .244 Die Anwesenheit von Palmyrenern in Städten wie Spasinou Charax und Vologesias ist nur so zu erklären, dass dort Gewinnchancen im Handel lockten, die sich in der Heimat und in den durch die Steppe ziehenden Karawanen so nicht boten . Die palmyrenischen Diaspora-Kaufleute waren und blieben ihrer ethnischen Identität nach eindeutig Palmyrener, hatten aber ihren Lebensmittelpunkt in der Fremde . Ihre kommerzielle Aktivität, daran lassen die Inschriften kaum Zweifel, war eng auf den Karawanenhandel der Oasenstadt bezogen . Welche Funktion konnten im Herzen des Partherreichs fest ansässige Kaufleute erfüllen, die mobile Karawanenhändler nicht wahrnehmen konnten? Die Antwort kann nur lauten: Sie vermittelten zwischen den mobilen Händlern einer-, den lokalen und den arsakidischen Autoritäten andererseits . Und sie leisteten den Warenumschlag an entscheidenden Drehscheiben . Die Arsakiden und nach ihnen die Sasaniden konnten an einem geregelten Handel mit der römischen Machtsphäre nur Interesse haben, wenn sie selbst an ihm verdienten . Und Besteuerung setzt Kontrolle voraus . Die Arsakiden versuchten deshalb von Beginn an, den Fernhandel über bestimmte Warenumschlagzentren zu kanalisieren . Wie Imperien dem Fernhandel Nadelöhre diktieren können, exerzierten, am Ende der hier in den Blick genommenen Periode, die Römer vor, als die Tetrarchen nach gewonnenem Perserkrieg Nisibis zum exklusiven Umschlagplatz des römisch-sasanidischen Warentransfers machten .245 Die über den Persischen Golf ankommenden Waren mussten in Mesopotamien verzollt, gelagert und an die Karawanenhändler übergeben werden . Vermutlich standen die Waren in den parthischen Städten auch, wie in den Stapelplätzen des Mittelalters, zum Verkauf . Die Städte Südmesopotamiens waren somit die ersten Märkte in Vorderasien, welche die Waren, von Osten kommend, sahen . Es lag im unmittelbaren Interesse der arsakidischen Zentrale, die Zahl der Märkte auf ein überschaubares Maß zu begrenzen und zugleich möglichst viele von ihnen direkt zu kontrollieren . Die vermutlich von Plinius festgehaltene Gründung von Vologesias durch Vologaises I . (ca . 51–80 n . Chr .) dürfte als entsprechende Maßnahme zu deuten sein .246 Im politisch-administrativ fragmentierten Partherreich lagen die Dinge freilich komplizierter als auf der römischen Seite: Lokale Herrscher, wie die Könige von Charakene, konnten offensichtlich mit den Arsakiden um 244 Schon in der frühesten Inschrift, PAT 0270 (19 n . Chr .), G 1: [οἱ ἐν Σελευκεία ἔμπ]ο[ρ]οι Πα[λμυρηνοὶ] bzw . P 1: [tdmryʾ] --- wywnyʾ dy bslwkyʾ (›die Tadmuräer und Griechen in Seleukeia‹), und geringfügig anders, aber in der Sache ähnlich, PAT 0295 (211 n . Chr .), G3–5: τῶν ἐμπόρων […] [ἀπὸ Φοράθου] καὶ Οὐλογ[α]ισιά[δο]ς . 245 Siehe oben, S . 84 . 246 Plin . nat . 6,122 nennt Vologesocerta, das vermutlich mit dem – archäologisch bislang nicht nachgewiesenen – Vologesias zu identifizieren ist; vgl . Schuol 2000, 396; Gawlikowski 2016, 26; Seland 2016, 36f .

208 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Profite aus dem Fernhandel wetteifern . Nirgendwo scheinen sich den Palmyrenern so günstige Bedingungen geboten zu haben wie in dem südmesopotamischen Territorium: Die Befundlage für in Spasinou Charax oder Forāt ansässige palmyrenische Kaufleute (die im Einzelfall zu lokalen Funktionären aufsteigen konnten) bzw . diese Städte aufsuchende Karawanen ist dichter als für jeden anderen Teil Mesopotamiens .247 Der Handlungsspielraum der ortsansässigen palmyrenischen Kaufleute scheint, innerhalb des von den politischen Autoritäten gesetzten Rahmens, beträchtlich gewesen zu sein, wobei die auf den ersten Blick irritierende Weihung eines Heiligtums für den römischen Kaiserkult Mitte des 2 . Jahrhunderts in Vologesias, mitten im Arsakidenreich, wohl nur die Spitze eines in seinen Dimensionen nicht klar abzuschätzenden Eisbergs war . Auch scheint ihre kommerzielle Aktivität von der politischen Großwetterlage, der jeweiligen Qualität der parthisch-römischen (und noch sasanidisch-römischen) Beziehungen, relativ unbeeinflusst geblieben zu sein .248 Orte wie Vologesias und Spasinou Charax kamen für die palmyrenischen Kaufleute exterritorialen Zonen gleich, in denen die arsakidische Seite bzw . lokale Autoritäten Abgaben erhoben, sich sonst aber mit direkter Einflussnahme weitgehend zurückhielten . Sie waren, ähnlich den Zentren des assyrischen Anatolienhandels oder den Hansekontoren in Brügge, London, Bergen oder Nowgorod, »Ports of Trade« im Sinne Karl Polanyis: Schutzräume für wirtschaftliche Aktivitäten, die staatlicherseits als nützlich angesehen wurden und in denen deshalb nahezu unabhängig von der politischen Großwetterlage gehandelt werden konnte . Die Palmyrener waren in diesem Spiel ›Funktionsethnie‹: nützlich für beide Seiten und deshalb so weit wie nötig sich selbst überlassen . Schwieriger, weil weniger kalkulierbar, war der Transport der Güter jenseits der parthischen Grenzen, durch das Nomadenland der Syrischen Wüste . Er setzte, anders als das Geschäft mit den Parthern, Frieden als conditio sine qua non voraus . Die Nomaden mussten entweder als Kooperationspartner gewonnen oder gewaltsam pazifiziert werden . Die Forschung sieht seit Langem fast einmütig die »Miliz« oder »Wüstenpolizei« als Instrument der Befriedung an .249 Viel plausibler als solche Konstruktionen ist es aber, die Karawaneninschriften – und die Konflikte, die sie widerspiegeln – im polymorphen 247 Vgl . die Ausführungen ebd ., 462–464, zur wirtschaftlichen Bedeutung von Charakene . 248 Anders zuletzt Young 2001, 173 . In der Tat scheinen die Inschriften in Perioden kriegerischer Konflikte zu verstummen (Kampagnen des L . Verus, Septimius Severus, Caracalla): Sommer 2017b, 135 (Grafik) . Man sollte aber nicht vergessen, dass sich die Ehrungen auf in der Vergangenheit erbrachte Leistungen bezogen, wobei unklar bleibt, wie weit die erwähnten Ereignisse jeweils zurücklagen . Wenn die ʿOgēlu-Inschrift aus dem Jahr 199 n . Chr . (PAT 1378) von wiederholten, den Kaufleuten erwiesenen Wohltaten und »unablässigen Kriegszügen gegen die Nomaden« spricht, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass ʿOgēlus Aktivitäten just in die Periode der beiden Partherfeldzüge des Septimius Severus fielen . Auch während der sasanidisch-römischen Feindseligkeiten der 240er (PAT 0279) und 250er (PAT 0282) Jahre scheint der Karawanenhandel – obwohl die Zahl der Inschriften insgesamt zurückging – weiter funktioniert zu haben . 249 Siehe oben, S . 160 .

Von Indien nach Palmyr a · 209 Kontext einer integrierten Stammesgesellschaft anzusiedeln . Tribale Eliten hatten eine Mittlerfunktion zwischen dem städtischen Kern und der Steppe, zwischen sesshaften und mobilen Stammesgenossen, zwischen ›Staat‹ und ›Stamm‹ . Sie waren, wie das Beispiel Mari lehrt, staatliche Funktionäre und Sippenälteste zugleich . Wenigstens einige von ihnen verbrachten jeweils einige Monate des Jahres mit ihren Sippenangehörigen in der Steppe . Das Erklärungsmodell nimmt Figuren wie dem mutmaßlichen palmyrenischen στρατηγός Zēbid, dem wir gegen Ende des 1 . Jahrhunderts n . Chr . beim Weidewechsel im Wādī Ḥaurān begegnen, manches von ihrer Rätselhaftigkeit . So dürfte auch der Organisation des Schutzes für die Karawanen nach modernem – und römischem – Empfinden ein irreguläres Moment angehaftet haben . Autorität funktionierte im polymorphen Biotop über verwandtschaftliche Beziehungen, die Stadt und Steppe miteinander verflochten . Die Sicherheit in der Steppe war die Domäne der Stämme selbst – und vermutlich nicht nur sie . Die vielen Unschärfen im Beziehungsgeflecht zwischen beiden Wirklichkeiten sollten auch mit Blick auf die Organisation des Fernhandels vor voreiligen Systematisierungsversuchen warnen . Die Existenzberechtigung eines städtischen Zentrums wie Palmyra bestand wesentlich darin, dass es in der fragilen Steppendiplomatie moderieren und dem Fernhandelsstrom einen Markt bieten konnte . Kaum etwas spricht dafür, dass die Steppenbewohner damit zufrieden waren, sich von den Palmyrenern als Kriegsknechte anwerben zu lassen und im Übrigen Wegezoll von den Karawanen zu kassieren . Viel eher hatten sie selbst aktiv Anteil an der Organisation des Handels . Aufgaben, die im Weidewechsel wirtschaftende Halb- und Vollnomaden besser wahrnehmen konnten als Ackerbauern und Städter, gab es genug, auch jenseits militärischer Fragen: Aufzucht und Pflege der Transporttiere, Bewältigung logistischer Probleme beim Transport, Orientierung in den Naturräumen Steppe und Wüste .250 Die insgesamt 34, meist bilinguen, erhaltenen ›Karawaneninschriften‹ aus Palmyra zeichnen vom Karawanenhandel und seiner Organisation ein Bild irritierender Inkohärenz . Natürlich sind die Informationen lückenhaft, erhalten nur dank der Zufälligkeiten der Überlieferung . Außerdem waren sie für Insider bestimmt . Disparat ist nicht nur der Kreis der Geehrten, sondern auch jener der Ehrenden . Heterogen und nur allzu oft frustrierend unbestimmt ist obendrein der Katalog der Leistungen, für welche die Inschriften (samt Ehrenstatuen) als reziproke Gegenleistung bestimmt waren . Neben Palmyrenern finden sich als zu Ehrende auch zwei Personen, die gewiss nicht aus der Oasenstadt stammten: der Zenturio Iulius Maximus251 und der Antiochener Ratsherr Asklepiades .252 In beiden Fällen wüsste man allzu gern, womit sich die jeweilige Person ihre Ehrung verdient hatte . Die Inschriften schweigen sich darüber aus . Die konkreten Hintergründe der Ehrung scheinen hier für Initiatoren, Adressaten und Rezipienten der Inschriften keinerlei Rolle gespielt zu haben . 250 Über die Organisation der Karawanen jetzt mit einem neuen Modell Seland 2016, 63–74 . 251 PAT 1397 (135 n . Chr .) . 252 PAT 1373 (161 n . Chr .) .

210 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Vier der Geehrten sind wegen des fragmentarischen Erhaltungszustandes der entsprechenden Inschriften namentlich nicht bekannt . Die große Mehrheit der Geehrten, 28 von 34 Personen, sind unzweifelhaft Palmyrener – ob Stadt- oder Steppenbewohner, bleibt aber ausdrücklich offen . Nur neun der insgesamt 34 Geehrten sind als Funktionsträger ausgewiesen: 2

5

Inschrift

Jahr

Name des Geehrten

3

Funktion des Geehrten

PAT 1374 131 Schuol Nr . 13 89/188 PAT 1412 140

Yarḥai σατράπην Θιλουανῶν N . n . ἄρχοντα Μαισηνῶν N . n ., Sohn des Alexandros ἄρχοντα Φορατῶν

PAT 0262 PAT 1411 PAT 0294 PAT 1063

142 156 193 198

Nesaʾ Yarḥai Taimarṣu Aelius Boraʾ

PAT 0282 PAT 0288

257/258 Šalamalaṭ 266 (?) Worōd

συνοδιάρχην Synodiarch (?) [bdyl dy qm] συνοδιάρχῃ στρατηγὸν τὸν ἐπὶ τῆς εἰρήνης ἀρχέμπορος [= Synodiarch] diverse Funktionen253

Immerhin drei der Empfänger von Ehrungen waren Funktionäre in fremden, charakenischen und damit indirekt parthischen, Diensten . Die übrigen standen entweder als Synodiarchen – bzw . ›Erzkaufleute‹254 – Karawanen vor oder bekleideten ein, in seiner Bedeutung nicht völlig klares, Strategenamt . 25 Personen, und damit fast drei Viertel der geehrten Palmyrener, erhielten Ehrungen, ohne erkennbar eine Funktion zu bekleiden . Hätten sie ein offizielles oder auch nur offiziöses Amt bekleidet, wäre das vermutlich in den Inschriften auch explizit vermerkt worden . So aber ist davon auszugehen, dass gerade auch Personen, die im Institutionengefüge Palmyras keine gleichsam offizielle Position innehatten, den Karawanen nützlich sein und dafür geehrt werden konnten . Wenn es keine staatlich legitimierte Funktion war, die ihre Macht begründete, dann bleibt als Alternative nur gesellschaftlicher Einfluss . Ähnlich diffus ist das Bild, wenn man die Inschriften auf die Art der geleisteten Dienste hin untersucht .255 In zehn Fällen nennen die Inschriften ein konkretes Verdienst des Geehrten, das die Ehrung rechtfertigt: dreimal wird die »Rettung« bzw . »Rückführung« 253 Siehe oben, S . 178 . 254 Die Begriffe ἀρχεμπορος und συνοδίαρχος bzw . συνοδιάρχης waren offensichtlich synonym; möglicherweise ersetzte der spätere Terminus (ἀρχεμπορος) den älteren . So mutmaßt jedenfalls, gegen Will 1957, Young 2001, 155 . Vgl . Seland 2016, 73f . 255 Oft wurden die Ehren für eine Kombination von Leistungen verliehen . Die Auswertung erfasst jeweils die wichtigste . Zum Folgenden: Sommer 2017b, 211f .

Von Indien nach Palmyr a · 211 von Karawanen als Grund angegeben, je zweimal der Einsatz von Geld und Leistungen für den Bau von Tempeln, je einmal der Einsatz des eigenen Lebens, Kriegführung gegen Nomaden und Hilfe beim »Verzollen« von Waren . In 21 Fällen aber bleibt der konkrete Anlass der Ehrung verborgen: Entweder werden allgemeine Verdienste des zu Ehrenden angeführt (»weil er gefällig war«) oder er wird schlicht mit der Formel »zu seiner Ehre« bedacht . Die Sicherheit der Karawanen und der reibungslose Ablauf des Handels waren ohne Frage die dominierenden Themen der ›Karawaneninschriften‹ wie der öffentlichen Debatte in der Oasenstadt . Wer sich hier Verdienste erwarb, wer Geld aufwendete, Probleme überwinden half oder gar sein Leben aufs Spiel setzte, dem war der Dank des Vaterlandes sicher . Er konnte mit einer angemessenen Ehrung rechnen . Die Adressaten der Ehrendekrete bleiben dennoch als Gruppe eigenartig amorph: Sie waren in der Regel Palmyrener, ohne es sein zu müssen; sie scheinen meist ihren Lebensmittelpunkt in der Palmyrene gehabt zu haben, das war aber nicht zwingend der Fall; sie konnten offizielle Funktionen innehaben, mussten es aber nicht; sie konnten, als Synodiarchen oder Erzkaufleute, mit den Karawanen ziehen, taten es aber längst nicht immer; sie konnten dem Fernhandel spezifische Dienste gewährt haben, aber auch das war keine unabdingbare Voraussetzung für eine Ehrung; sie konnten ihre eigene Person, Geld oder schlicht sozialen Einfluss in die Waagschale geworfen haben, mussten vermutlich aber nicht einmal immer das getan haben, um sich im öffentlichen Raum Palmyras als Geehrte wiederzufinden . So offenbaren die Inschriften zunächst vor allem eines: soziale Asymmetrie zwischen Geehrten und Ehrenden . Wer ehrte, stand auf der sozialen Leiter wenigstens eine Sprosse tiefer als der Adressat . In den Ehrendekreten manifestierten sich keine institutionell oder funktional klar bestimmten Gruppen, sondern lediglich soziale Rangunterschiede . Deshalb konnten, neben Palmyrenern, auch andere hochgestellte (oder von den Palmyrenern als hochgestellt erachtete) Persönlichkeiten in den Genuss eines Ehrendekrets kommen: Männer wie der Zenturio Iulius Maximus und der Antiochener Buleute Asklepiades . Wie wenig von den Geehrten ausgeübte Funktionen den Ausschlag gaben, wird auch daran deutlich, dass immerhin Angehörige einer Gruppe von Funktionären, namentlich die Synodiarchen, in einigen Inschriften als Geehrte, in einer aber auch als Ehrende auftreten .256 Die ›Karawaneninschriften‹ spiegeln den Primat sozialer vor funktionaler Differenzierung, die eminente Bedeutung von Einfluss und Autorität in einer hierarchisch geschichteten, aber nicht restlos von staatlichen Institutionen durchdrungenen Gesellschaft . Wer stand unten, wer oben? 27 der 34 Inschriften nennen als Ehrende Kaufleute, Teilnehmer an Karawanen bzw . deren Vorsteher, Synodiarchen und ἀρχέμποροι . 17 davon stammen wiederum von Kaufleuten, die Teilnehmer an einer bestimmten Karawane waren; 5 stammen von Händlern, die in Städten des parthischen Mesopotamien ansässig waren . Die Kaufleute treten stets als Kollektive auf, nie als (namentlich genannte) Individuen . Weder 256 PAT 0197: Die Karawanenführer Agegos und Taimarṣu ehren den Šoʿadū .

212 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE die mit den Karawanen wandernden noch die in der Diaspora ansässigen Kaufleute standen mithin an der Spitze der sozialen Pyramide .257 Diesen Platz nahmen offensichtlich andere ein . Man denkt unwillkürlich zuerst an die Synodiarchen, die den Karawanen vorstanden . In drei Fällen waren sie wirklich Adressaten von Ehrendekreten: Der Synodiarch Nesaʾ erhielt im Jahr 142 im Temenos des BēlTempels eine Statue, weil er den Karawanen »in allen Dingen« Hilfe geleistet hatte; »zu seiner Ehre« stellten die Kaufleute seiner Karawane dem Taimarṣu 193 n . Chr . eine Statue in der Kolonnade auf, weil er als Synodiarch »300 alte Golddenare aufgewendet« hatte und ihnen »gefällig« gewesen war; dem M . Ulpius Yarḥai, Adressat von nicht weniger als acht ›Karawaneninschriften‹, wurde im Jahr 156 n . Chr . auf der Agora die gleiche Ehrung zuteil, weil er der Karawane »vorgestanden« und ihr »in allen Dingen geholfen« hatte . Der Fall des Yarḥai, ein römischer Bürger und evidentermaßen einer der mächtigen Männer im Palmyra der Jahrhundertmitte, ist besonders interessant: Nur eine seiner acht Ehrungen erhielt er in der Eigenschaft als Karawanenführer, und auch hier wird er nicht explizit als solcher bezeichnet, sondern es wird nur berichtet, er habe ihr »vorgestanden« .258 Eine weitere Inschrift deutet immerhin als Möglichkeit an, dass Yarḥai wenigstens ein weiteres Mal als Karawanenführer aktiv wurde .259 In fünf Fällen war eine andere, namentlich genannte Person Karawanenführer,260 Yarḥai nahm hier vermutlich an den entsprechenden Unternehmungen nicht persönlich teil . Seine Hilfeleistungen werden in den entsprechenden Passagen nur in abstrakten Wendungen beschrieben .261 In einem Fall ist Yarḥais Rolle nicht klar .262 Mit Yarḥai haben wir eine Persönlichkeit vor uns, die im öffentlichen Leben Palmyras in den Jahren nach 150 n . Chr . eine wichtige Rolle spielte . Sein Involviertsein in den Karawanenhandel ist evident . Er agierte bisweilen selbst als Karawanenführer; doch war es kaum diese Funktion, oder wenigstens nicht hauptsächlich sie, die ihn zum Adressaten der Ehrungen durch Kaufleute machte . Ein asymmetrisches, reziprokes Nahverhältnis zwischen Yarḥai und den Kaufleuten erklärt die Position des Magnaten am plausibelsten: Die ihn ehrenden Kaufleute waren von Yarḥai abhängig, er übte eine Form von Patronage über sie aus . Parallel zu den Strukturen der Patronage liefen verwandtschaftliche Netzwerke . So waren etliche von Yarḥais Familienangehörigen ebenfalls in den Karawanenhandel verwickelt: Sein Bruder M . Ulpius ʾAbgar war Synodiarch,263 und Synodiarch war auch 257 So hat es vor 60 Jahren Will 1957, 263f ., völlig zutreffend bemerkt . 258 PAT 1411 . 259 PAT 0306, die in der palmyrenischen Fassung »seine Freunde und die Kaufleute, mit denen er heraufzog«, als Initiatoren der Ehrung nennt . 260 Oder, in zwei Inschriften, die sich auf eine maritime Handelsexpedition nach »Skythien« (Indien) beziehen, Schiffführer (PAT 1400; PAT 1403) . 261 »Weil er ihnen geholfen hat mit allem Eifer und sie unterstützte .« 262 Es handelt sich um eine Inschrift, die auf Veranlassung eines einzelnen Mannes aufgestellt wurde, dem Yarḥai »in Spasinou Charax geholfen« hatte: Schuol 2000, 78f ., Nr . 25 . 263 PAT 1397 (135 n . Chr .) .

Von Indien nach Palmyr a · 213 sein Sohn, der ebenfalls ʾAbgar hieß und einer Karawane vorstand, die Yarḥai ehrte . Dass noch andere Karawanenmitglieder – einfache Kaufleute, die namenlos bleiben – in einem verwandtschaftlichen Nahverhältnis zu ihrem Patron Yarḥai gestanden haben könnten, ist mit dem epigraphischen Material nicht zu belegen, aber durchaus wahrscheinlich . Der Karawanenhandel der Oasenstadt war Hauptfaktor des palmyrenischen Wohlstandes und schon deshalb gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Entsprechend erforderte er die direkte wie indirekte Partizipation eines Großteils der Bevölkerung . Sechs Personengruppen, die am palmyrenischen Fernhandel unmittelbar Anteil hatten und darin ihre je eigene Rolle spielten, heben sich in den Inschriften mehr oder weniger deutlich voneinander ab, freilich nicht ganz ohne funktionale und soziale Unschärfen:264 1 . Eine Gruppe von Kaufleuten bildete die palmyrenische Handelsdiaspora in den mesopotamischen Städten des Partherreichs (und auch in verschiedenen Teilen des römischen Imperiums, darunter Ägypten und Rom) . Meist treten die DiasporaKaufleute als Kollektive auf, die einen höhergestellten Landsmann ehren; sie selbst bleiben namenlos . Das Gros von ihnen wird daher dem merkantilen ›Fußvolk‹ zuzurechnen sein . Es gibt aber Ausnahmen: Zu ihnen könnte jener ʾAqayḥ gezählt haben, der in Vologesias den Tempel für den Kaiserkult stiftete .265 In jedem Fall war der in Dura-Europos ansässige Ḥairan, der die Reliefs der Schutzgötter im Tempel der Gaddē in Dura weihte, eine Persönlichkeit mit Rang und Namen .266 Gewiss gehörten die in Charakene in hohe staatliche Funktionen aufgestiegenen Palmyrener demselben gehobenen Milieu an .267 Die Diaspora-Kaufleute fungierten als Mittler zwischen den Karawanen und den imperialen und lokalen Autoritäten des Arsakidenreichs bzw . von Territorien wie Charakene . Sie nutzten die kommerzielle Autonomie von parthischen »Ports of Trade« wie Spasinou Charax und Vologesias . Vermutlich versorgten sie die Karawanenhändler mit allem Nötigen, boten Lagerkapazitäten an, betrieben vielleicht Äquivalente zu den späteren Karawanserails und bildeten das fehlende Glied zwischen dem transkontinentalen Warenstrom und lokalen Märkten . Sie waren die Netzwerker unter denen, die am Karawanenhandel partizipierten .268 2 . Im Wortsinn die Kärrnerarbeit des palmyrenischen Fernhandels leisteten die Karawanenkaufleute .269 Auch sie bleiben in den ›Karawaneninschriften‹, sofern sie 264 Zum Folgenden: Will 1957; Teixidor 1984, 15–59; Will 1992, 58–66; Seland 2016; Sommer 2016c . 265 PAT 0263 (108 n . Chr .) . 266 Gawlikowski 1985, 260, hält Ḥairan für den gleichnamigen Urgroßvater Odainats . Die These lässt sich, mangels epigraphischer Belege für Ḥairan aus Palmyra, nicht stichhaltig belegen, wie auch Dirven 1996, 52, eingesteht . 267 Die ἄρχοντες von Spasinou Charax bzw . Forāt und der σατράπης von Thilouana (Dilmun) . Siehe oben, S . 167, Anm . 78 . 268 Seland 2016, 83–85 . 269 In den palmyrenischen Inschriften: bny šrtʾ, griechisch: οἱ ἔμποροι .

214 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE nicht als Synodiarchen der Karawane vorstanden, stets namenlos . Die innere Organisation gehört, wie die Frequenz, mit der Karawanen die Palmyrene und Mesopotamien durchquerten, zu den großen Unbekannten des palmyrenischen Handels .270 Der von den Inschriften verwendete griechische Terminus συνοδία271 lässt an eine genossenschaftliche Organisation denken . Das Patronageverhältnis, das offenbar die Kaufleute an die Magnaten als Patrone band, könnte implizieren, dass sie nicht als freie Unternehmer, sondern als nur teilweise auf eigene Rechnung wirtschaftende ›Entrepreneurs‹ handelten . 3 . Einen Sonderstatus unter den Karawanenkaufleuten nahmen die Synodiarchen bzw . Erzkaufleute ein . Ihre Aufgaben lagen vor allem im technischen Bereich: Sie führten die Karawanen und waren für ihre Sicherheit und für viele organisatorische Aspekte verantwortlich . Sie dienten einer gesamtgesellschaftlichen Kernaufgabe an herausgehobener Stelle und besaßen – oder besser: erwarben sich mit der Führung einer Karawane – entsprechendes soziales Prestige . Als Einzige unter den Karawanenkaufleuten treten die Synodiarchen in den Inschriften namentlich hervor . Die in Analogie zu anderen ›Ämtern‹ gebildete palmyrenische Bezeichnung deutet auf eine gewisse Institutionalisierung des Karawanenhandels hin .272 Der palmyrenische Magnat M . Ulpius Yarḥai war vermutlich selbst mindestens zweimal Synodiarch (wenn ihn auch die Inschriften nicht explizit als solchen bezeichnen), sein Bruder und sein Sohn wirkten gleichfalls als Karawanenführer . Männer wie Taimarṣu und Šalamalaṭ wendeten als Karawanenführer jeweils beträchtliche Summen auf . Anscheinend rekrutierten sich also auch etliche der Synodiarchen aus dem Kreis der Oberschicht . Eine strikte Abgrenzung zwischen den Karawanenführern einer- und den Patronen des Fernhandels andererseits lässt sich aus dem Befund jedenfalls nicht ableiten .273 In der Rhetorik der Karawaneninschriften erscheint die Führung einer Karawane als Akt des Euergetismus, Quell individuellen und familiären Prestiges, jener symbolischen Währung, die

270 Aber jetzt Seland 2016, 58–61, mit einem am Monsun und den Trocken- bzw . Regenzeiten in Mesopotamien ausgerichteten Modell für Rhythmen und Frequenz . Danach trafen die mit Gütern aus Indien beladenen Karawanen im März in Palmyra ein; Ende Juli bzw . Anfang August brachen sie wieder von Palmyra in Richtung Euphrat auf . 271 Wie Yon 2002, 103, beobachtet hat, taucht der Begriff in den Inschriften nicht vor Mitte des 2 . Jahrhunderts n . Chr . auf . Vermutlich waren also die συνοδίαι der Inschriften das Produkt eines längeren Evolutionsprozesses . Plausibel wären fortschreitende Koordinierung der Fernhandelstätigkeit und kollektive Bündelung zuvor individueller Initiativen . 272 Palmyrenisch: brbnwt šyrtʾ (›Vorsteher der Karawane“), analog zu brbnwt mrzḥwt (›Vorsteher der Kultgemeinschaften‹ – Symposiarch) und brbnwt ‛yn’ (›Vorsteher der [Efqa-] Quelle‹); vgl . ebd ., 103 . Das heißt freilich noch nicht, wie Yon, ebd ., zu meinen scheint, dass Synodiarchen gleichsam offizielle städtische Magistrate waren . 273 So aber die These von Will 1957 .

Palmyr as Elite im Wandel · 215 sich in Palmyra wie überall sonst in der griechisch-römischen Welt unmittelbar in soziales und politisches Kapital ummünzen ließ . 4 . Unentbehrlich für den reibungslosen Ablauf des Karawanenhandels war militärischer Schutz . Ihn leistete keine ›Wüstenpolizei‹ im Wortsinn, keine Truppe, die auch nur irgendwie als Institution, analog etwa zur römischen Armee, gelten könnte . Grundlage der Karawanensicherheit waren vielmehr die gefühlten Bande verwandtschaftlicher Solidarität zwischen Stadt und Steppe – und die immensen Verdienstmöglichkeiten, die beiden Seiten aus dem profitablen Handel erwuchsen . Brücke zwischen den Welten waren die tribalen Eliten, die Stadtsässigkeit mit periodischen Steppenaufenthalten verbanden und in die institutionelle Hierarchie der städtischen Gesellschaft integriert waren: Persönlichkeiten wie der uns aus dem Wādī Ḥaurān bekannte, mutmaßliche στρατηγός Ḥaumal . 5 . Am Rande konnten auch Nichtpalmyrener im Fernhandel der Oasenstadt Bedeutung erlangen, Figuren wie der römische Zenturio Iulius Maximus und der Antiochener Asklepiades . Ihre Rolle bleibt allerdings mangels detaillierterer Informationen völlig unscharf . Vielleicht beteiligten sie sich an der Finanzierung einzelner Handelsunternehmungen, vielleicht erwirkten sie sich auch nur durch spezifische Gefälligkeiten den Dank der Karawanenkaufleute .274 6 . Zentral für das reibungslose Funktionieren des palmyrenischen Fernhandels war schließlich jener Personenkreis, dem das Gros der ›Karawaneninschriften‹ gilt . Die Adressaten machten Geld locker und ihren Einfluss geltend, um in der Zone unübersichtlicher Steppendiplomatie die Sicherheit der Karawanen zu garantieren . Das Profil, das die Inschriften von den Geehrten zeichnen, ist kaum das von Händlern oder Großkaufleuten, sondern entspricht passgenau dem Bild eines Patrons, der in einer klientelaren Beziehung vertikaler Solidarität finanzielle Hilfe, Schutz und Problemlösungen gewährt . Im Gegenzug dieses Quid pro quo wachsen ihm die Unterstützung seiner Klientel und soziales Prestige zu, das sich auf der politischen Bühne Palmyras in Einfluss für den Benefaktor und seine Großfamilie konvertieren lässt .

Šoʿadū, Yarḥai, Odainat: Palmyras Elite im Wandel Der Fernhandel war eines, ohne Frage das wichtigste, von mehreren Betätigungsfeldern, die Palmyras Elite Gelegenheit gaben, sich in der Gemeinde als Wohltäter in Szene zu setzen . Die Absicht, als Euergeten ins Gedächtnis der Palmyrener einzugehen, war ein zentrales, aber vermutlich nicht das einzige Motiv, das diese Wohltäter dazu brachte, sich für den Karawanenhandel zu engagieren, im Zweifel bis hin zum Einsatz des eigenen Lebens . 274 Die Einbeziehung von ›Ausländern‹ ins System der Ehrungen spricht nicht grundsätzlich gegen Patronage als Strukturprinzip in der Organisation des Fernhandels, wie Young 2001, 152, meint .

216 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Musterbeispiel eines solchen Karawanen-Wohltäters war der im Jahr 138 auf Beschluss der βουλή geehrte Yarḥibōl, Sohn des Lišamšū, der sich nicht nur dadurch auszeichnete, dass er »jederzeit willig mit den in Spasinou Charax lebenden [palmyrenischen] Kaufleuten zusammenarbeitete«, sondern auch »sein Leben und sein Vermögen riskierte« und »freiwillig als Gesandter zu Worōd, König von Elymais, ging« .275 Das Bild, das sich aus diesen eingestandenermaßen bruchstückhaften Informationen zusammensetzten lässt, ist das eines reichen Mannes, der persönlich für die Interessen der Karawanen eintrat und offensichtlich ein kommerziell-diplomatisches Multitalent war . Nicht anders wirkten auch andere Magnaten wie Šoʿadū und eben M . Ulpius Yarḥai zum Wohl der Karawanenkaufleute, deren offenkundige Abhängigkeit von den Patronen den unterschwelligen Grundton der ›Karawaneninschriften‹ bildet . Wer waren diese palmyrenischen Großen des 2 . Jahrhunderts n . Chr ., deren soziales Prestige so augenfällig ist, deren Machtmittel aber so seltsam im Dunkeln bleiben? Woher bezogen sie ihren Einfluss? Welchen Lebensstil pflegten sie? Und wie definierte sich ein solch exklusiver Personenkreis, der in der Forschung meist als ›Notabeln‹ bzw . ›Honoratioren‹276 etikettiert wird, als Elite im Kontext der lokalen Gesellschaft? Reichtum, über den die Magnaten ohne Frage verfügten – sonst hätten sie sich nicht in so großem Umfang als Euergeten betätigen können –, ist sicher eine primäre Quelle sozialer Macht . Aber woher kam der Reichtum? Aus Grundbesitz? Gewiss war die Palmyrene in römischer Zeit weit fruchtbarer als heute . Das ›Steuergesetz‹ kündet von agrarischer Produktion und Viehzucht in erheblichem Umfang . Auch konnten ländliche Siedlungen und Bewässerungsmaßnahmen in der nordwestlichen Palmyrene archäologisch nachgewiesen werden .277 Gewinnchancen in vermutlich weit größerem Umfang eröffnete Palmyras Handelstätigkeit selbst . Es ist kaum denkbar, dass die Magnaten als Euergeten des Fernhandels wirkten, wenn sie nicht selbst davon profitierten . Persönlichkeiten wie Yarḥai und Šoʿadū verfolgten, der in den Inschriften immer wieder hervorgehobenen Rhetorik der Selbstlosigkeit zum Trotz, ganz ohne Frage eigene Interessen, wenn sie sich für die Belange der Karawanenkaufleute engagierten . Gewiss ging es um Prestige und Ehre, doch kann keine Rekonstruktion des Karawanenhandels überzeugen, bei der die Magnaten leer ausgehen würden . Fraglos floss ein Großteil der Erlöse direkt oder über Umwege in ihre Taschen . Nur wie? Die ›Karawaneninschriften‹ stellen den Euergetismus der Magnaten als finanzielle Einbahnstraße dar: Geld strömte von den Patronen zu den Kaufleuten, die im Gegenzug Ehrendekrete veranlassten . Doch gerade diese Inschriften verstellen, 275 PAT 1414 (138 n . Chr .) . 276 Häufig ohne den Begriff in seiner Tragweite näher zu reflektieren . Den Bezug zu den ›Honoratioren‹ in der Definition Max Webers, als ökonomisch »abkömmlichen«, sich ganz politischen Entscheidungsprozessen widmenden Persönlichkeiten, hat Yon 2002, 5, hergestellt . Er betrachtet jedoch, Idealtypus und historische Realität vermengend, die Existenz von ›Honoratioren‹ in Palmyra von vornherein als gegeben und sieht keinen Bedarf, den Honoratiorencharakter der palmyrenischen Eliten nachzuweisen . 277 Schlumberger 1951 und jetzt vor allem Meyer 2013; Mior 2013/2014; Meyer 2016 .

Palmyr as Elite im Wandel · 217 intentional oder nicht, den Blick auf die andere Seite der Medaille: Welche Profite den Geldgebern des Fernhandels aus diesem Geschäft erwachsen konnten, entzöge sich völlig unserer Kenntnis, hätte nicht durch Zufall ein Dokument überdauert, das möglichweise den entscheidenden Hinweis auf den Verbleib der Renditen aus dem Fernhandel liefert . 1984 fanden die polnischen Ausgräber im Turmgrab Nr . 70 im »Tal der Gräber« eine palmyrenische Inschrift mit einem Text, der wohl nur ausnahmsweise, aus uns unbekannten Gründen, den Weg der Monumentalisierung auf unvergänglichem Material ging . Es handelt sich um eine schlichte, auf den ersten Blick wenig aussagekräftige Aufstellung von Geldsummen .278 Die rätselhaften Zahlen, richtig gelesen,279 erlauben die sichere Datierung der Inschrift in die Jahre 238–240 n . Chr ., vor der massiven Abwertung des Denars unter Gordian III ., und die Bestimmung des Zinssatzes, der bei ca . 30 Prozent lag . Das war der bei römischen ›Seekrediten‹, jenen hochspekulativen Darlehen auf maritime Handelsunternehmungen, übliche Zinssatz .280 Sollte es, was das Dokument durchaus glaubhaft macht, ein palmyrenisches Pendant, einen ›Karawanenkredit‹, gegeben haben, wäre damit das Rätsel um die Finanzierung des palmyrenischen Fernhandels und zugleich die Abschöpfung der Erlöse durch die Magnaten gelöst: Sie fungierten als Geldgeber, waren in dieser Eigenschaft aber keineswegs selbstlose Euergeten, sondern gewiefte Unternehmer, die mit ihrem Kapital das Risiko trugen und es sich mit hohen Zinssätzen vergelten ließen . Der Aspekt der Risikoübernahme wurde in den ›Karawaneninschriften‹ in vage Formulierungen gegossen, wie »hat sein Vermögen aufs Spiel gesetzt« .281 So wurde gezielt ein geschäftlicher Deal zum Akt euergetischer Uneigennützigkeit verklärt . Der Karawanenkredit schuf möglicherweise einen juristischen Rahmen für die auch sozial und verwandtschaftlich bedingte Abhängigkeit der Kaufleute, wie sie wiederum in den Inschriften artikuliert wird . All das lässt vermuten, dass die Fäden des Fernhandels in Wahrheit in den Händen der Patrone zusammenliefen, während die Kaufleute selbst, vom finanziellen Risiko befreit, aber auch der exorbitanten Gewinne weitgehend ledig, allenfalls den Status von Subunternehmern hatten . Dieses Modell, das freilich vorläufig nicht mehr als eine Momentaufnahme der Fernhandelsorganisation ist, führt zurück zur Frage nach den Quellen von Macht und Einfluss der Patrone . Die Art und Weise, wie die Inschriften den geschäftlichen Charakter der Beziehung zwischen Kaufleuten und Magnaten vernebeln und sie in die gesellschaftliche Kategorie Euergetismus einbetten, lässt vermuten, dass sich die soziale Macht der Patrone nicht nur auf ihren Reichtum stützte . Hier kommen die Beharrungskräfte einer ursprüng278 PAT 2634 (ohne Datierung) . Vgl . Gawlikowski 1986b, 89: »Vier Geschäftsgänge, auf einmal . Drachmen: Zinsen 2236 und Kapital 9641; in Schekeln: Zinsen 559 und [Kapital] 2405, eine Drachme und zwei Obolen; entspricht 3720 Getreide, ein Schekel und [Kapital] sechs Minen, fünf Schekel, eine Drachme, zwei Obolen .« 279 Zu verdanken der ingeniösen Lesung des Dokuments durch Gawlikowski, ebd ., 92–99 . 280 Ebd ., 98 . Im Fall des Schiffbruchs war der Kreditnehmer von jeglicher Zahlungsverpflichtung befreit . 281 PAT 1414 .

218 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE lich tribalen Gesellschaft ins Spiel und mit ihnen die Bedeutung des Blutes: realer wie fiktionaler Verwandtschaft . Die Patrone waren, wenigstens ihrem Ursprung nach, nichts anderes als Vertreter jener tribalen Eliten, die auch die Bindegliedfunktion zwischen Stadt und Steppe und damit einen gewichtigen Beitrag zur Sicherheit der Karawanen leisteten: Stammesführer, Clanchefs und Sippenoberhäupter, die ihre patriarchale Autorität aus dem Traditionalismus der tribalen Gesellschaft bezogen . Diese Gesellschaft, wie sie uns in ihren Monumenten entgegentritt, war das Produkt eines längeren und relativ rezenten Urbanisierungsprozesses, der – wenigstens in seiner sozialen Dimension – in der ›historischen‹ Phase Palmyras noch längst nicht abgeschlossen war . Verwandtschaft war, in der ersten Etappe palmyrenischer Soziogenese, noch immer das bei Weitem wichtigste strukturgebende Merkmal .282 Tribale Gruppen, Clans und Sippen nahmen sich, ohne Rücksicht auf die Grenze zwischen Stadt und Steppe, als zusammengehörig wahr . In diesem Geflecht hatten Personen, denen aufgrund ihrer Stellung im Verwandtschaftsgefüge natürliche Autorität zukam, eine Scharnierfunktion: Sie geboten über Material wie Menschen, ob sesshaft oder mobil . Sie kontrollierten Grund und Boden und hatten die Verfügungsgewalt über die Lasttiere . In ihren Händen ruhte das militärische Potential der Stämme . Und sie verfügten über weitgespannte, wenn man so will: ›internationale‹, Kontakte . Wer, wenn nicht sie, konnte die nötigen Ressourcen mobilisieren, um Karawanen durch das ökologisch wie politisch schwierige Terrain der Wüstensteppe zu navigieren, ob in Person oder durch Beauftragte?283 Das Hybrid aus Patriarch, Warlord, Bankier und Großhändler, das ein palmyrenischer Magnat aus dem 2 . Jahrhundert verkörperte, spiegelt noch der Lebensstil seiner Nachfahren im 3 . Jahrhundert, wie er dem modernen Betrachter in der monumentalisierten Selbstdarstellung der Grabplastik begegnet . Ein palmyrenischer Großer, der um die Mitte des 3 . Jahrhunderts bestattet wurde, trug Reithosen- und Stiefel, am Gürtel ein Schwert, wie jener Grabherr, der sich, lässig ausgestreckt auf einer Kline, auf dem Deckel seines Sarkophags darstellen ließ . Selbstverständlich begleitete ihn, auch nachdem er das Zeitliche gesegnet hatte, sein Pferd . Er war – oder wollte doch so gesehen werden – ebenso ein Bewohner der Steppe wie der Stadt, nicht weniger Patriarch eines Nomadenstamms als urbaner Funktionsträger . Deshalb vermittelt die Etikettierung als Honoratioren ein völlig schiefes Bild: Palmyras große Männer waren ökonomisch ›abkömmlich‹, ohne Frage, und sie waren in Ansätzen auch eine leisure class, die sich bevorzugt der Pflege eines exklusiven Lebensstils, dem Kampf und der Politik widmen konnte . Das aber war nur die eine Seite ihrer privilegierten Existenz, denn sie waren zugleich als Geldgeber – und immer wieder auch aktiv: als Synodiarchen und als militärische Anführer – in den Fernhandel involviert . Ihr kommerzielles Engagement stellte alle Investitionen in Grundbesitz, wenn sie denn überhaupt eine nennenswerte Rolle spielten, bei Weitem in den Schatten . Wenigstens in 282 Zu belegen durch den hohen Stellenwert von Stammes- und Clanzugehörigkeit in den aramäischen Inschriften bis ins 2 . Jahrhundert n . Chr . 283 Zur Bedeutung der Netzwerke palmyrenischer Großer: Seland 2016, 77–85; Schörle 2017 .

Palmyr as Elite im Wandel · 219 dieser Beziehung stachen sie deutlich vom klassisch-antiken Typus des Honoratioren ab, der per definitionem Grundrentner war, in Hellas wie in Rom .284 Das Sozialgefüge der ersten Periode, in dem Herrschaft vornehmlich traditional verwurzelt war und Eliten zukam, die aufgrund ihrer Position im Verwandtschaftsgeflecht der Stämme über Autorität verfügten, geriet ab dem frühen 2 . Jahrhundert unter Druck . Sichtbarer Ausdruck ist das allmähliche Verschwinden der tribalen und genealogischen Kategorien aus den Inschriften . Ein Hinweis auf die Erosion traditionaler Wertmuster ist auch die sich in den Nekropolen äußernde Rivalität zwischen Familienverbänden: Gräber erhielten, äußerlich Tempeln angenähert, die Funktion von Schaufenstern familiären Ruhms; Geschlechter wetteiferten um den repräsentativsten Grabbau und ersetzten mit forciertem Tempo alte durch neue Anlagen .285 An die Stelle des ererbten Tribalismus mit seinem Vorsorgedenken und den traditional fixierten Autoritäten trat eine Ethik des Wettbewerbs, in der es vor allem darauf ankam, sich zu unterscheiden . Verräterisch ist die wachsende Rolle neuartiger, im Kultleben hervortretender Gemeinschaften, wie die religiösen Speisegemeinschaften (mrzḥ), die sich um prominente Individuen scharten und vermutlich auch in profanen Zusammenhängen, etwa als Berufsgenossenschaften, ihre Bedeutung hatten .286 Von einem Abschmelzen der die palmyrenische Gesellschaft durchziehenden Gefolgschaftsstrukturen mit persönlicher Abhängigkeit als gliederndem Prinzip ist jedoch, bei allen erkennbaren Umbrüchen, nichts zu spüren . Auch das Auftreten einer Klasse von Neureichen ist nicht mehr als das Postulat moderner Gelehrter, das sich am Material nicht erhärten lässt .287 Was hingegen zu diagnostizieren ist, ist die Umstrukturierung der Klientelgruppen und ihre Ablösung von den traditionell-tribalen Mustern . Bei der Formierung neuer bzw . der Restrukturierung existierender Gruppen scheinen herausragende Persönlichkeiten und das von ihnen ausstrahlende Prestige eine Schlüsselrolle gespielt zu haben . Pointiert könnte man sagen, dass Individuen vom Kaliber eines Šoʿadū oder Yarḥai zu Kristallisationskernen einer neuen patrimonialen Ordnung wurden, in der weniger traditionale tribale Solidaritäten als vielmehr das diesen Personen zugeschriebene Charisma ausschlaggebend war . Gegenüber den großen agnatischen Verbänden (›Stämmen‹) gewannen kleinere Verwandtschaftsgruppen (Clans, Sippen, Familien) an Bedeutung . Das Auftreten eines neuen Typus palmyrenischer Magnaten läutete die zweite für uns rekonstruierbare Periode der palmyrenischen Soziogenese ein . Es war vielleicht gekoppelt an die, in den Quellen allerdings nur verschwommen auszumachende, Tendenz zur Institutionalisierung zentraler gesellschaftlicher Bereiche: Karawanenhandel, Kultwesen und militärische Sicherheit . Sichtbarer Ausdruck dieses Prozesses könnte die im 2 . Jahrhundert verstärkt einsetzende Übersetzung lokaler Institutionen in die politische 284 285 286 287

Sommer 2015a, 179–182 . Wie die kurze Nutzungsdauer vieler Grabbauten beweist: Gawlikowski 1970, 182f .; Yon 2002, 209 . Siehe oben, S . 177 . So Yon 2002, 139–142 und passim .

220 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Terminologie der Polis sein, ohne dass klar würde, bis zu welchem Grad die Institutionen, die sich hinter den Begriffen verbargen, epichorische Gewächse blieben . Die Transformation der palmyrenischen Gesellschaft war erkennbar ein Prozess der langen Dauer, mit kaum merklichen Übergängen, auf keinen Fall ein revolutionärer Vorgang, schon gar nicht von außen induziert, und auch keine ›Reorientalisierung‹ unter römischen Auspizien . Das Auftreten charismatischer Führerpersönlichkeiten kündigte sich lange vor dem 2 . Jahrhundert an: Bereits die Ḥašaš-Inschrift aus dem späten 1 . Jahrhundert v . Chr . nennt einen Palmyrener, der dafür geehrt wurde, dass er »an ihrer Spitze stand, zwischen ihnen Frieden gemacht und sich ihrer Angelegenheiten in jeder Beziehung angenommen hat« .288 Die Stammeszugehörigkeit des Ḥašaš bleibt ungenannt . Die Inschrift zeigt, wie das System tribaler Rivalität Raum bot für charismatische Einzelpersönlichkeiten mit großem sozialen Prestige und erheblichem Einfluss, womöglich auch dann, wenn sie außerhalb des Zirkels tribaler Eliten standen .289 Der expandierende Karawanenhandel und die mit ihm verbundenen Verdienstmöglichkeiten schufen immer neue Möglichkeiten der Profilierung und Akkumulation von Reichtum, wovon anscheinend eine wachsende Zahl von Individuen profitierte .290 Wie groß der Wirkungskreis der neuen Patriarchen sein konnte, zeigt das Beispiel Šoʿadūs . Die räumliche Ubiquität dieses Mannes im Zeitraum zwischen 132 und 145/146 n . Chr . ist frappierend: Er entstammte der Palmyrene, half Palmyrenern und Karawanenkaufleuten in Vologesias, weihte dortselbst einen Tempel für den römischen Kaiserkult und erwies sich Kaufleuten in Vologesias, Spasinou Charax und Genna gegenüber gefällig, wofür er insgesamt 17 Ehrenstatuen in sämtlichen dieser Orte erhielt, darunter auf der Agora von Palmyra .291 Unverkennbar spielte Šoʿadū in Palmyra kurz vor der Jahrhundertmitte eine herausragende Rolle . In gewissem Sinne sein Nachfolger als dominierende Gestalt scheint der römische Bürger M . Ulpius Yarḥai gewesen zu sein, für den zwischen 155 und 159 n . Chr . insgesamt acht erhaltene Ehrendekrete erbracht wurden . Das römische Bürgerrecht war zu diesem Zeitpunkt ein neues Statusmerkmal für die Oberschicht, etablierte sich aber mit Yarḥai als nahezu unverzichtbares Attribut von Elitenangehörigen .292 Persönlichkeiten wie Yarḥai und Šoʿadū waren keine ›Könige‹, ihre Macht war in keiner erkennbaren Weise institutionalisiert und schon gar nicht monarchisch . Sie agierten in einer Gesellschaft, die nach wie vor vom Pluralismus der Stämme geprägt war . Dennoch scheinen sie in der Palmyrene, und weit über sie hinaus, eine exzeptionelle Machtposition eingenommen zu haben, jedenfalls auf Zeit: eine Machtposition, die in der institutionellen Terminologie, wie sie überliefert 288 Siehe oben, S . 183 . 289 So plausibel Yon 2002, 80 . 290 Diese Männer müssen nicht unbedingt, wie Yon (ebd ., 149) meint, homines novi gewesen sein . Sie können sich auch aus den alten tribalen Eliten rekrutiert, freilich Charisma als neue Quelle sozialer Macht erschlossen haben . 291 PAT 1062 . Yon 2002, 111, merkt völlig zutreffend an: »comme s’il était en quelque sorte itinérant .« 292 Zur Bedeutung des Bürgerrechts im Palmyra dieser Generation Andrade 2012 .

Palmyr as Elite im Wandel · 221 ist, nirgends ihren Platz hatte . Yarḥai, Šoʿadū und die anderen Großen waren nicht mächtig, weil sie dieses oder jenes Amt bekleideten . Grundlage ihres Einflusses waren vielmehr weitgespannte Netzwerke, die sich um sie als charismatische Führer rankten . Wie die Sarkophage dokumentieren auch die Inschriften gewisse Anklänge an einen ›nomadischen‹, jedenfalls hochmobilen Lebensstil: Yarḥai tritt uns einmal als Synodiarch, dann als Sachwalter der Kaufleute in Spasinou Charax entgegen, dann wieder begegnen wir ihm in Palmyra . Die polymorphe Komponente einer integrierten Stammesgesellschaft scheint, auch unter veränderten Rahmenbedingungen, ihre Wirksamkeit bewahrt zu haben . Mutmaßliche Machtwechsel wie jener von Šoʿadū zu Yarḥai, liest man sie zusammen mit der wachsenden Bedeutung von Repräsentation und Selbstdarstellung, lassen Rückschlüsse zu auf das soziale und politische Klima im Palmyra des 2 . Jahrhunderts . Wie etwa die sich formierende Polis im archaischen Griechenland, so scheint auch die Oasenstadt im Prozess ihrer urbanen Soziogenese Schauplatz ›agonalen‹ Wettstreits um Prestige, Einfluss und Macht gewesen zu sein . Führende Männer wie Šoʿadū und Yarḥai kann man sich gut auch als Oberhäupter aristokratischer Interessengruppen im frühen, vortyrannischen Athen oder Korinth vorstellen . Dass der Konkurrenzkampf sich nicht immer in friedlichen Bahnen halten ließ und analog zur Stasis in Griechenland durchaus den Charakter bürgerkriegsartiger Kämpfe annehmen konnte, deuten Inschriften wie jene für den στρατηγός Aelius Boraʾ an, der dafür geehrt wurde, dass er den Frieden »im Gebiet der Stadt« wiederhergestellt habe .293 Für die palmyrenische Aristokratie neuen Typs war die angemessene Repräsentation von Status und Prestige ein Schlüsselelement ihres Selbstverständnisses . Hierzu gehörte zunehmend auch, dass man lernte, sein Römischsein als integralen Bestandteil der eigenen sozialen Identität – und das heißt vor allem: in Abgrenzung zu den anderen, rangniederen ›Nichtrömern‹ – zu verstehen und entsprechend zur Schau zu stellen . Der Kreis der ›Römer‹ im Palmyra des 2 . Jahrhunderts blieb exklusiv: Drei Familien erwarben das Bürgerrecht unter Trajan, fünf unter Hadrian, der immerhin die Stadt besuchte, vier unter Antoninus Pius .294 Gerade seine Exklusivität begründete die Beliebtheit des Bürgerrechts als Statusmerkmal . Wie die Adaption kultureller Codes der griechisch-römischen Welt diente es als sozialer Marker, als imaginäre, aber höchst wirksame Grenzlinie zwischen oben und unten, zwischen den Magnaten und den breiten Massen, denen jeglicher Zugang zum Römischsein versperrt war . Man blieb unter sich . Bis zum Jahr 212 n . Chr . Es ist schwer abzuschätzen, welche Wirkung die constitutio Antoniniana in einer lokalen Gesellschaft wie Palmyra entfaltete . Für eine Elite, die mit 293 PAT 1063, P 4 (198 n . Chr .) . Das Datum der Inschrift lässt daran denken, dass die lokalen stasis-Kämpfe mit dem Bürgerkrieg zwischen Septimius Severus und Pescennius Niger in Zusammenhang standen . Zu den Auswirkungen der Kampfhandlungen auf den römischen Osten allgemein Millar 1993, 118: »The civil war which followed and Pescennius’ defeat by Septimius Severus, Emperor in 193–211, were to have fundamental consequences for the Near East – and ones whose origins, nature and effects themselves raise difficult questions of how communal and regional identities were understood then or should be analyzed now .« 294 Yon 2002, 124 .

222 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE der Zeit gelernt hatte, sich als römische Palmyrener – im Gegensatz zur breiten Masse lediglich palmyrenischer Palmyrener – zu begreifen, musste ein kaiserliches Edikt, das jetzt praktisch alle freien Reichsbewohner unterschiedslos zu palmyrenischen Römern werden ließ, wie ein Schlag ins Gesicht wirken . Die constitutio Antoniniana brachte die Magnaten von Palmyra um eines ihrer wichtigsten Statusmerkmale . Aus diesem Verlust könnte sich die starke Betonung unterschiedlicher Rollen in einem Bildwerk wie dem nach 212 zu datierenden Sarkophag aus dem Turm der Stadtmauer erklären . Auch die forcierte Rezeption griechisch-römischer Elemente in der künstlerischen Formensprache Palmyras seit dem frühen 3 . Jahrhundert könnte von hier aus mit Sinn gefüllt werden .295 Es gab aber, ab dem frühen 3 . Jahrhundert, noch weitere Faktoren, die nicht ohne Einfluss auf die palmyrenischen Eliten und ihre Rivalität um die Macht bleiben konnten: In severischer Zeit verlor Palmyra seine autonome Hegemonialstellung in Dura-Europos . Die dort stationierten palmyrenischen Bogenschützen wurden in reguläre römische Einheiten umgewandelt und dem Kommando römischer Offiziere unterstellt . Dasselbe geschah, soweit erkennbar, am gesamten Abschnitt des mittleren Euphrat . Allerdings konfrontierte wenig später der Wachwechsel von den Parthern zu den Sasaniden, und damit die neue Lage im für den palmyrenischen Handel so überaus wichtigen Mesopotamien, die Stadt und ihre Magnaten noch einmal mit einer völlig neuen Situation . Über die Wirkungen lässt sich trefflich spekulieren, aber es ist vorstellbar, dass einige der in Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, aufgebauten Netzwerke aufhörten zu funktionieren . Die beginnende sasanidische Westexpansion wird nicht ohne Einfluss auf die fragile Balance der Steppendiplomatie geblieben sein, von der die Karawanensicherheit so entscheidend abhing . Manches spricht dafür, dass sich die tribale Struktur im Raum zwischen Ḥaurān und Euphrat in der ersten Hälfte des 2 . Jahrhunderts wandelte – und mit ihr das Bedrohungspotential, das von nomadischen Gruppen ausging .296 Zwar scheinen die neuen Herren in Mesopotamien den Karawanenhandel keineswegs abgewürgt zu haben, doch änderten sich seine Rahmenbedingungen, und vermutlich für die Palmyrener nicht zum Besseren .297 In den 240er Jahren dann tauchte plötzlich und scheinbar aus dem Nichts, wie ein Deus ex machina, Septimius Odainat auf der politischen Bühne auf, um – noch bemerkenswerter – kaum zehn Jahre später zur beherrschenden Figur erst der Oasenstadt, dann des ganzen römischen Orients aufzusteigen . Seine Vorfahren gehörten offensichtlich nicht 295 Mit Bezug auch auf Cassius Longinus und die Philosophie Yon 2002, 138f . Zum Edikt Caracallas und seinen Auswirkungen: Zecchini 1998; Buraselis 2007; Kracker/Scholz 2012 . 296 Einen möglichen Reflex auf entsprechende Umgruppierungen in der syrischen Wüste könnten arabische Texte enthalten, die von Zusammenschlüssen zu neuen Stammeskonföderationen und von den Konflikten zwischen Palmyra und einer dieser Konföderationen, den Tanūḫ, berichten . Siehe oben, S . 173 . 297 Von einer multifaktoriellen »Krise« spricht Hartmann 2001, 85: »Die Krisensituation Palmyras in den 40er und 50er Jahren wurde also durch die ökonomischen Probleme seit den 20er Jahren, die Bedrohung der Palmyrene durch persische Attacken seit der Mitte der 30er Jahre und die verstärkte Unsicherheit an der Wüstengrenze im Zuge der Wanderungsbewegungen der Nomaden aus dem Inneren Arabiens ausgelöst .«

Palmyr as Elite im Wandel · 223 zu den prägenden Gestalten der palmyrenischen Politik im 2 . Jahrhundert . Erwähnung finden sie jedenfalls einzig in der Grabinschrift des Septimius Odainat .298 Zum römischen Bürgerrecht gelangte die Familie gleichfalls spät: erst unter Septimius Severus, kurz bevor ohnehin alle freien Palmyrener römische Bürger wurden . Doch konnte unter außerordentlichen Bedingungen auch ein Mann mit kleiner Gefolgschaft, der seiner Herkunft nach nicht zum engeren Zirkel der Elite zählte, den Griff nach der Alleinherrschaft wagen, wenn er die politischen und militärischen Qualitäten besaß, auf die es ankam . Odainat, der diese Fähigkeiten in seiner Person verkörperte, entschied, wie die griechischen Tyrannen, den aristokratischen Wettbewerb des Jeder-gegen-Jeden für sich . Odainats faktische Autokratie fror den Wettbewerb ein, für uns sichtbar im Stadtzentrum von Palmyra, wo fortan so gut wie nur noch Ehrinschriften für Odainat und seine Associés in der Herrschaft über Palmyra aufgestellt wurden . Wie mächtig die alten Antagonismen unter der Oberfläche weiterschwelten, sollte sich rasch unter Beweis stellen, als nach Zenobias Niederlage gegen Aurelian der blutige Wettstreit rivalisierender Gruppen erneut aufflammte .299 Odainats kometenhafter Aufstieg fügt sich passgenau in die Zeitläufte . Sie katapultierten einen Mann nach oben, der die Schwierigkeiten, die Rom aus dem Aufstieg der Sasaniden im Osten erwuchsen, virtuos in eigenes politisches Kapital und in Aktionsspielraum für Palmyra ummünzte . Er suspendierte nach innen das, was Palmyra jemals an Polis-Institutionen besessen hatte, und sicherte sich, seiner Familie und seinen Gefolgsleuten die entscheidenden, teils neu geschaffenen Funktionen . Er wurde, als militärisch beherrschende Gestalt im Osten der 260er Jahre, nach außen zum Großmachtpolitiker, dem im Machtvakuum das Prestige dessen zuwuchs, der Syrien gegen die Perser verteidigt und letztlich über die Invasoren triumphiert hatte . Wie das ›System Odainat‹ funktionierte, illustriert auch die Rolle jenes Mannes, der nach ihm den zweiten Platz einnahm und der ebenfalls scheinbar unvermittelt im palmyrenischen Machtzirkel auftauchte: Septimius Worōd . Er findet sich in mehreren Inschriften im Umkreis der Söhne Odainats . Wie Odainat selbst300 und seine Angehörigen, Zenobia und Waballat, und wie andere führende Vertreter seines Regimes – Septimius Zabdaʾ, später die militärisch Rechte Hand Zenobias, Septimius Zabbai, ein anderer General, und Septimius Ḥapsay, προστάτης des Jahres 272 –, verzichtete Worōd in seinen Inschriften auf jegliche Filiationsangabe . Das – und vielleicht sein iranischer Name – lassen vermuten, dass er wirklich ein homo novus war, ohne Verbindung zu den traditionsreichen Clans .301 Die zweite Garnitur der palmyrenischen Elite unter Odainat, Männer wie Worōd, Zabdaʾ,

298 PAT 0558 . 299 Hartmann 2001, 395–410, über die Rebellion des Antiochos in Palmyra und den »Firmus«-Aufstand in Ägypten . 300 Ausnahme ist die Grabinschrift, PAT 0558 . 301 Yon 2002, 149 .

224 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE Zabbai und Ḥapsay, repräsentierte einen neuen Typus von Klientel, der anscheinend nicht auf Verwandtschaft gründete . Vereint waren sie im unbedingten Willen zur Macht . Bemerkenswert ist nun, wie diese Persönlichkeiten, allesamt Kreaturen Odainats, gemeinsam mit der Herrscherfamilie den öffentlichen Raum Palmyras regelrecht zu monopolisieren begannen . Die Stadt erhielt mit dem zentralen Abschnitt der Kolonnadenstraße ein neues Zentrum, das die urbane Struktur völlig veränderte . Durch die Baumaßnahmen wurde, genau genommen, in der bis dato in tribale Siedlungskerne fragmentierten Stadt ein ›öffentlicher Raum‹302 überhaupt erst geschaffen, welcher der Repräsentation der neuen Elite dienen konnte . Wie die Tyrannen im archaischen Hellas schufen die palmyrenischen Dynasten, als kontingenten Nebeneffekt ihrer Selbstdarstellung, architektonische Bezugspunkte bürgerschaftlicher Identität .303 Im exponierten Mittelabschnitt der Kolonnade, zwischen Theater und Tripylon, konzentrieren sich Inschriften, die sich allesamt auf Persönlichkeiten beziehen, die in enger Beziehung zu Odainat und zu seiner Familie zu stehen scheinen, vor allem natürlich auf Odainat selbst .304 Die Zahl der Ehrendekrete schwoll, zumal nach dem ersten Persersieg (260), exponentiell an . Aneignung des Raumes war gleichbedeutend mit Verdrängung der anderen . Es ist kaum ein Zufall, dass die ›Karawaneninschriften‹ mit dem Aufstieg Odainats verebbten .305 Ebenso wenig kann es Zufall sein, wenn die Repräsentanten altehrwürdiger Familien nun als Ehrende statt als Geehrte auftraten .306 Soziale Untergliederungen, wie kultische Speisegemeinschaften und Berufsgenossenschaften, die im 3 . Jahrhundert an Bedeutung gewannen, schufen zusätzliche Möglichkeiten der Patronage, die Odainat und sein Zirkel offenkundig für sich zu nutzen verstanden .307 Weder Odainats großräumige militärische Operationen im orientalischen Machtvakuum noch Zenobias ›Sonderreich‹ lassen sich ernsthaft als antirömische Rebellion orien302 Einschränkend ist zu bemerken, dass wir keine Vorstellung davon haben, was die Palmyrener als öffentlichen Raum ansahen . Die Deutung der Kolonnadenstraße als eines generell vereinheitlichten, ›private‹ Hausfassaden in ein ›öffentliches‹ Korsett zwingenden Elements ist aber durchaus plausibel, wie Butcher 2003, 247, unterstreicht; vgl . Tabaczek 2002, 255–258 . Als ›öffentlicher Raum‹ haben aber wohl auch Basiliken und die Agora zu gelten . 303 Die urbanistische Ausgestaltung des Stadtzentrums unter Odainat und die Chronologie der Kolonnadenstraßen behandelt ebenfalls Tabaczek (ebd ., 230–239) . 304 Vor dem Caesareum und dem Theater zwischen 251 und 271 Inschriften für Odainat, Zenobia und Ḥairan, vor dem Theater, dem prominentesten Platz der gesamten Kolonnade, allein sieben Inschriften für Worōd, das Tripylon zeigte Statuen des Odainat (?) und seines Sohns Herodianus . Vgl . Hartmann 2001, 201; Yon 2002, 149f .: »[…] un phénomène d’appro-priation de l’espace par un group que semble plus se définir par ses relations mutuelles et son influence sur la cité, que par son inscription dans des traditions familiales .« 305 Die Monopolisierung monumentalisierter Erinnerung ist, transepochal, charakteristisch für die Etablierung autokratischer Systeme . Die historisch am nächsten liegenden Beispiele sind die griechischen Tyranneis und die Errichtung des augusteischen Prinzipats in Rom . Vgl . dazu vor allem Zanker 1990 . 306 PAT 0286 (262 n . Chr .), Ehrung des Septimius Worōd durch Iulius Aurelius Septimius Yadeʾ . Vgl . Yon 2002, 149 . 307 Kaizer 2002, 229–234 .

Palmyr as Elite im Wandel · 225 talischer Fürsten, schon gar nicht als Erhebung ›des Orients‹ gegen ›den Westen‹ lesen . Sie passen aber auch nicht, wie zu sehen war, in die Schablone einer römischen Usurpation . Zwar lieferte die Große Politik die Bühne, auf der sich das Drama entfaltete, war Odainats Aufstieg doch an Entwicklungen geknüpft, die ihren Ausgangspunkt außerhalb der Oasenstadt hatten; doch verständlich wird das Geschehen erst vor dem Hintergrund der lokalen Gesellschaft und ihrer Besonderheiten . Da ist zum einen das traditionale Element: weitgespannte tribale Netzwerke, der Stadt und Steppe einschließende soziale Polymorphismus einer integrierten Stammesgesellschaft, die vertikale Solidarität zwischen Patronen und Klienten, die über die Palmyrene hinausgreifende, durch gemeinsame Interessen am Fernhandel zementierte horizontale Solidarität zwischen großen Familien . Odainat und Worōd mögen Magnaten neuen Typs gewesen sein, auf deren tribalen und familiären Hintergrund es weniger ankam als in der Vergangenheit . Dennoch verloren diese über Jahrhunderte strukturprägenden Parameter nicht über Nacht ihre Bedeutung . Odainat und nach ihm Zenobia konnten sich offensichtlich auf entsprechende Netzwerke stützen . Ohne sie wäre zuerst die militärische Reorganisation und dann die rasche Unterwerfung der römischen Orientprovinzen unmöglich gewesen . Zur traditionalen gesellte sich die charismatische Komponente: Sein Persersieg machte Odainat im Handumdrehen zu einem politischen Akteur von überregionaler Bedeutung . Die Orientprovinzen nach jahrelangen Raub- und Plünderungszügen der Perser stabilisiert zu haben, war allein sein Verdienst . In Palmyra und den Städten des römischen Ostens avancierte er zu einem Retter von fast schon messianischer Statur . Wie weit die auf Charisma gegründete Legitimationsbasis des »sonnengesandten Löwen« reichte, verkündet ein Text wie das 13 . Sibyllinische Orakel .308 Die in erfolgreicher Defensive erprobten Kräfte schlugen explosionsartig in Offensive um, und zwar Richtung Osten: Nachdem er bis 260 n . Chr . am Euphrat über Šābuhr triumphiert und bis 262 Mesopotamien zurückerobert hatte, stand Odainat 262/263 vor den Mauern Ktesiphons, ohne bis dahin auf nennenswerte Gegenwehr gestoßen zu sein . Nachdem er die Belagerung der stark befestigten Residenz hatte abbrechen müssen, machte er sich 267 abermals zu einem großangelegten Perserkrieg auf, der ihn wieder bis vor Ktesiphon führte . Ein Einfall der Heruler an der kleinasiatischen Schwarzmeerküste, der den gesamten römischen Osten in Gefahr brachte, berief ihn aus Mesopotamien ab . In Anatolien fand er den Tod, ob durch Mörderhand, ob eventuell gar auf Veranlassung des Gallienus, wissen wir nicht . Denkbar ist auch, dass der Persersieger und corrector totius Orientis einem schnöden Unfall zum Opfer fiel .309 Odainats Erfolg hatte auch mit der evidenten Schwäche der Sasaniden zu tun . Ein von Angriffskriegen ausgelaugtes Reich stand unter der Führung eines alternden Herrschers . Das Machtvakuum, in dem er operierte, lässt Raum für Spekulation und fordert zum kon308 Potter 1990, 141–157 . 309 Die Rekonstruktion der Chronologie nach Hartmann 2001, 162–230 . Mit gesunder Skepsis Kaizer 2005 .

226 · VI. Palmyr a und dIE syrIschE wüstE trafaktischen Weiterdenken der Situation geradezu heraus . Was wäre geschehen, wenn die Heruler nicht in Anatolien eingefallen wären und Odainat dort nicht umgekommen wäre? Ein Zusammenbruch der sasanidischen Herrschaft, wenigstens in Mesopotamien, hätte keineswegs außerhalb des Vorstellbaren gelegen . Odainat, der gegenüber Rom stets Loyalität gewahrt hatte, hätte sich zum Herrscher eines neuen Machtblocks aufschwingen können, der dann weite Teile der römischen Orientprovinzen sowie ganz Mesopotamien umfasst und im Übrigen die von den Palmyrenern benutzten kontinentalen Handelsrouten in einer politischen Formation vereinigt hätte . Die Geschichte hätte einen anderen Lauf genommen . Dazu kam es nicht, Odainat fand ein vorzeitiges Ende . Sein Tod konfrontierte das Gespann seiner Nachfolger, seine Witwe Zenobia und seinen minderjährigen Sohn Waballat, mit der tödlichsten Gefahr, der auf persönlichem Charisma gründende Regime ausgesetzt sind: Herrscherwechsel . Hatte schon Odainat unter permanentem Legitimationsdruck gestanden, so galt dies noch viel mehr für seine Erben . Hinzu kam, dass Odainat aus römischer Sicht durch ihm ad personam verliehene Titel legitimiert war, wenn er auch nach wie vor außerhalb des Rahmens stand, der durch reguläre Ämter abgesteckt war . Dieser Grundlage entbehrten aber Zenobia und Waballat ganz . Es war also absehbar, dass die Kaiser in Rom, sobald sie im Westen die Hände frei, den pandemischen Barbareneinfällen Einhalt geboten und das gallische ›Sonderreich‹ beseitigt haben würden, sich nach Osten wenden würden . Ein Kompromiss mit Rom, so sehr ihn die Verantwortlichen in Palmyra herbeigesehnt haben mögen, lag außerhalb ihrer Möglichkeiten . Zenobia und Waballat konnten aber auch nicht einfach zurücktreten und so das Geschehene ungeschehen machen . Die Autokratie hatte sich, in fast drei Jahrzehnten, in Palmyra zur alternativlosen Herrschaftsform verfestigt . Zenobia, Waballat und den mit ihnen verbundenen Eliten blieb keine andere Wahl, als die Herausforderung anzunehmen, ihr Heil in einer offensiven Verteidigung zu suchen und sich mit ihrer Selbstdarstellung so gut wie möglich als römische Herrscher zu profilieren, die sie schon allein aufgrund ihres Bürgerrechts auch waren . So nahm Palmyras Verhängnis seinen Lauf .

VII. EDESSA UND OSRHOENE Im Unterschied zu Palmyra und Hatra kann Edessa nicht mit spektakulären archäologischen Großfunden aufwarten . Was von der materiellen Kultur der einstigen Hauptstadt Osrhoenes erhalten ist, nimmt sich eher bescheiden aus: einige Grabstelen und -reliefs sowie eine Reihe von, allerdings sehr eindrucksvollen, Mosaiken aus dem 2 . und 3 . Jahrhundert n . Chr . Architektonische Überreste aus vorbyzantinischer Zeit beschränken sich auf den Bereich der sogenannten Zitadelle im äußersten Südwesten der Stadt, in Form zweier freistehender korinthischer Säulen aus dem frühen 3 . Jahrhundert . Eine der beiden Säulen trägt eine Ehrinschrift für die Königin Šelmaṭ, Tochter des Maʿnū .1 Der Mangel an archäologischen Zeugnissen aus Edessa selbst wird allerdings durch anderes Material mehr als aufgewogen . Weitaus zuverlässiger als für die Wüstenstädte Palmyra und Hatra erlauben literarische Quellen die Rekonstruktion der Ereignisgeschichte Edessas . Zu Hilfe kommt hier die über weite Passagen erhaltene lokalgeschichtliche Überlieferung der sogenannten Chroniken . Sie entstanden ab dem 6 . Jahrhundert durch Kompilation älterer Dokumente aus dem Bedürfnis heraus, die Christianisierung Edessas auf einen möglichst frühen Zeitpunkt zu verlegen und sie der jeweils eigenen herätischen Strömung zuzuschreiben . So konstruierte man gewissermaßen eine apostolische Genealogie und bettete sie in die Heilsgeschichte ein . Die Chroniken – namentlich die Chronik von Josua dem Styliten und die anonyme Chronik von Edessa, die beide in die sogenannte Chronik des Pseudo-Dionysios von Tel-Maḥrē eingingen –, aber auch ein Text wie die sogenannte Lehre des Addai, die apokryphe Geschichte der angeblichen Missionsreise des Jesusschülers Addai nach Edessa, bieten trotz ihrer intentionalen Geschichtsdeutung einen chronologischen Rahmen und helfen, Ereignisse der Lokalgeschichte zur Reichsgeschichte in Beziehung zu setzen . Die Texte enthalten außerdem

1

Segal 1970, 19 . Der Text der Inschrift lautet: »Ich, Aphtuḥa, nu[hadra], Sohn des Bars[–], stellte diese Säule und die Statue, die sie trägt, auf für Šelmaṭ die Königin, Tochter des Maʿnū, des pa[ṣ]griba, Gattin des [Königs?], meine Herrin --- .« Zur Archäologie Edessas: Drijvers 1980, 24–28; Sinclair 1987–1990, Bd . 4, 2–28 . Die meisten noch erhaltenen antiken Bauten der Stadt gehen auf die Zeit Iustinians zurück (Zitadelle, Stadtmauern, Stadttore, Kirchen), im Bereich der Zitadelle findet sich vereinzelt älteres Mauerwerk . Außerhalb der ummauerten Stadt befinden sich fünf Nekropolen mit (meist paganen, seltener jüdischen und christlichen) Felsgräbern . Aus den Nekropolen stammen die erhaltenen edessenischen Bildwerke .

228 · VII. EdEssa und osrhoEnE Marginalinformationen, die Aufschluss über Aspekte der sozialen und wirtschaftlichen Organisation Edessas und seines Umlands geben .2 Inschriften, Münzen und aus Surveys gewonnene Daten ermöglichen es, Edessa zu seiner näheren Umgebung in Beziehung zu setzen .3 Ein politisch bedingtes Forschungsdesiderat sind grenzübergreifende landeskundliche Untersuchungen, die das Umfeld Edessas auf türkischer und syrischer Seite berücksichtigen, denn die moderne Staatsgrenze zerschneidet hier ein bis in die Moderne zusammengehöriges Gebiet, mit gemeinsam gewachsenen Traditionen und dichter Vernetzung . Eine vergleichsweise präzise Vorstellung von der Religion Edessas vermitteln einige Sekundärquellen, namentlich die Akten der edessenischen Märtyrer4 und ein durch Iulian5 überliefertes Fragment aus Iamblichus, sowie vor allem die einschlägigen Passagen im Buch der Gesetze der Länder, eigentlich eine stark von klassischen Vorbilden wie Platon und dem Peripathos inspirierte, von einem Schüler Bardaiṣans aufgezeichnete Streitschrift gegen astrologischen Determinismus, und nicht zuletzt die prachtvollen, in einem typisch ›edessenischen‹ Stil gehaltenen Mosaiken mit vielfach religiöser Thematik .6 Edessa, türkisch Urfa bzw . heute meist Şanlıurfa, arabisch ar-Ruhā, armenisch Urha, ist heute eine überwiegend von Kurden bewohnte Provinzhauptstadt in der Südosttürkei, dicht an der Grenze zu Syrien . In sämtlichen modernen Namen scheint deutlich das vorhellenistische Toponym Orhai durch, das fortlebte im Namen des römisch-partherzeitlichen Königreichs Osrhoene und seiner Bewohner, der osrhoenischen Araber (Arabes Orrhoei) .7 Die Stadt geht auf eine Gründung des ersten Seleukiden zurück und erhielt zunächst den Namen Antiocheia an der Kallirhoe (πρὸς Kαλλιρόην) . Folgt man einer späten Überlieferung, so nannte schon der Gründer Edessa »das halbbarbarische Antiocheia«; nach einer Überschwemmung in Edessa soll er den Namen geändert haben, weil die Stadt ihn an das gleichfalls von Überflutungen heimgesuchte makedonische Edessa erinnerte .8 2

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Grundstock der Chroniken waren Archive, die zur Abgaridenzeit in Edessa bestanden und nach Erlöschen des Königreichs in Kirchenbesitz übergingen . Von ihnen berichtet Eus . eccl . 1,13,5 . Die in ihnen enthaltene Königsliste ging in die Kompilation der Chronik von Edessa ein und mit ihr später, im 8 . Jahrhundert, in die Chronik von Zuqnin . Den entscheidenden Impetus erhielt die syrische Chronik-Literatur durch die Christianisierung . Literarisches Vorbild war die Chronik des Eusebius von Caesarea: Witakowski 1987, 59–75 und 124–136 . Den nachfolgenden Überlegungen liegen als Textausgaben zugrunde: Chabot 1927–1949, Bd . 2 (Zählung nach Jahren seit Abraham); Hallier 1892; Howard 1981 . Text und Übersetzung des Buches der Gesetze der Länder . Dialog über das Schicksal Bardaiṣans von Edessa bei Drijvers 1965 . Marfoe 1986; Wilkinson 1989, und die Beiträge in: Bartl/Hauser 1996 . Burkitt 1913; Tubach 1986, 71–74, 4 .4–7; 6 .1–4; 8 .2–7; 16 .7–14 . Iul . or, 4,150cd–154ab . Segal 1953; Segal 1959; Mundell Mango 1982; Balty/Briquel-Chatonnet 2000; Ross 2001, 111–115; Rumscheid 2009 . Jones 1971, 216f .; Drijvers 1977, 866f . Ioh . Mal . 17,418 (Ἀντιόχεια ἡ Μιξοβάρβαρος) . Vgl . auch Plin . nat . 5,86: Arabia supra dicta habet oppida Edes­ sam, quae quondam Antiochia dicebatur, Callirhoem, a fonte nominatam […] . Dazu Rostovtzeff 1955, Bd . 1, 371 und 373; Ross 2001, 8 . Der Beiname πρὸς Kαλλιρόην erscheint auf einer Münze Antiochos’ IV .

Edessa u nd Osrhoene · 229 Von der innerstädtischen Topographie der osrhoenischen Hauptstadt vermittelt die reiche syrische Literatur, trotz des Mangels an archäologischen Zeugnissen, einen lebendigen Eindruck .9 Auf der Akropolis befand sich ursprünglich der Palast der AbgaridenHerrscher, später nur noch die Winterresidenz samt königlichem Palastoikos, zu der die beiden erhaltenen Säulen gehörten .10 In der Unterstadt, im Gebiet der Quellteiche des Daiṣan, befand sich in der römischen Kaiserzeit der Sommerpalast, der 201 n . Chr . durch eine Flut teilweise zerstört, aber sogleich wieder aufgebaut wurde .11 Um den Sommerpalast lagerten sich die Wohnhäuser der edessenischen Eliten, in den Hang der Akropolis war ein Theater eingelassen .12 Ebenfalls im Stadtzentrum befanden sich ein Markt (Agora) und die Kultstätte des Nabu und des Bēl, der Hauptgötter Edessas .13 Der Fluss war von Portiken gesäumt .14 König ʾAbgar V . ʾUkkāmā (der ›Schwarze‹) errichtete in der 1 . Hälfte des 1 . Jahrhunderts n . Chr . im Norden der Stadt ein Amphitheater, das auch als Hippodrom genutzt wurde .15 Die Stadt besaß mehrere Thermen,16 Basiliken17 und vermutlich, wie viele andere Städte der Region auch, eine Kolonnadenstraße .18 Das Stadtgebiet war in Viertel (vici) unterteilt .19 Edessa liegt im weiteren Quellgebiet des Balīḫ (Balissos/Bilecha), unweit der einstigen Hauptstadt des Königreichs Kommagene, Samosata, und des wichtigen Euphratübergangs Zeugma (Seleukeia am Euphrat), am Rand der mesopotamischen Tiefebene . Nördlich von Ḥarrān (Karrhai) hat das Tiefland eine Ausbuchtung, an deren westlichem Ende Edessa liegt . Die Akropolis (Zitadelle) Edessas befindet sich am Rand einer Hügelkette, welche die von mehreren Armen des Flusses Daiṣan (griech . Skirtos), einem Zufluss des Balīḫ, durchflossene Stadt im Süden von der eigentlichen Tiefebene trennt .20 Die Stadt befand sich in römischer Zeit im Schnittpunkt wichtiger Verkehrswege, wie die Tabula Peutingeriana zeigt: Sie verbanden Edessa über das Taurus-Massiv und die Kilikische Pforte mit Anatolien, über Zeugma mit den westsyrischen Städten Antiocheia, Apameia und Emesa sowie dem Mittelmeer, über Nikephorion (Kallinikon) und Sura am Euphrat mit Palmyra und schließlich über Rhesaina mit den mesopotamischen Städten Nisibis,

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Chron . Ed . 12–18 (über den Bau und Ausbau christlicher Kirchen in Edessa); Mich . Syr . 21,4 (Kirchen) und vor allem das Chronicon Anonymum für die Topographie des mittelalterlichen Edessa, die ihrerseits Rückschlüsse auf die Situation in der Antike zulässt: Kirsten 1963, 151f . Chron . Ed . 1 . Ebd . Josua Styl . 27; 29; 46 . Doctrina Addai 23; 32 . Mich . Syr . 10,23; Josua Styl . 27 . Prok . bell . Pers . 2,12,18; 26 .5; Ps .-Dionys . 2024; Josua Styl . 34 . Ebd ., 30; 43; 87 . Ebd ., 30 . Ebd ., 38; 41 . Ebd ., 36; Mich . Syr . 11,3; Ps .-Dionys . 2034 . Zur Topographie Kirsten 1963, 152–154 .

230 · VII. EdEssa und osrhoEnE Singara und Hatra .21 Grundsätzlich sorgen die Löss- und Schwemmlössböden des TaurusVorlandes für günstige Bedingungen für Ackerbau . Mit einer Niederschlagsmenge von ca .  300 Millimetern im langjährigen Mittel – bedingt durch die Taurus-Randlage – befindet sich die Stadt zwar noch unterhalb der 400-Millimeter-Isohyete und damit in der polymorphen Zone, aber bereits in deren regenreicherem Teil .22 Damit lagen in Edessa, nicht anders als in Hatra, die strukturellen geographischen Voraussetzungen für ein dichtes Interaktionsgeflecht zwischen Nomaden und Sesshaften vor .23

Von der makedonischen Kolonie zur römischen colonia Syrische Legenden bringen Edessa mehrfach in Zusammenhang mit dem biblischen Ort Erech (Uruk), der Stadt Nimrods, des »tüchtigen Jägers vor dem Herrn« des Buchs Genesis .24 Von Nimrod war es ein kleiner Schritt zu Abraham, auf den sich wiederum Edessas Nachbarstadt Ḥarrān berief und der auch für das christliche Edessa eine besondere Rolle spielte . Mögen in der legendenhaften, offenkundig intentionalen Überlieferung Anklänge an Edessas vorhellenistische Geschichte mitschwingen oder nicht: Diese entzieht sich vollständig unserer Kenntnis . Erster sicherer Anhaltspunkt ist die bei Johannes Malalas überlieferte Koloniegründung durch Seleukos I . Nikator . Die Gründe für die Ansiedlung makedonischer Kleruchen gerade in Edessa liegen auf der Hand: Unmittelbar an der Stadt vorbei verliefen wichtige Verkehrsadern zwischen Nord (Armenien) und Süd (Syrien-Palästina) sowie West (Euphrat) und Ost (iranisches Hochland) . Wenn schon Seleukos, wie Malalas mitteilt, die Stadt das ›halbbarbarische‹ Antiocheia nannte, dann kann, so denn die Information kein Anachronismus ist, bei der Gründung nur ein Teil der Stadtbevölkerung griechischmakedonischen Ursprungs gewesen sein .25 Für die Zeit nach der Koloniegründung ver21 22 23 24 25

TP s . 10 . Vgl . auch die instruktive Karte in Wagner 1985, 13 . Wirth 1971, zu Geographie (22, Abb . 4), Oberflächenformen (Karte 2), Niederschlag (Karte 3) . Zu Landwirtschaft und Nomadismus in der Region Edessa Dillemann 1962, 68–79 . Gen 10:10 . Damit wäre Edessa beileibe kein Einzelfall . Die meisten seleukidischen Kolonien lehnten sich an vorhellenistische indigene Siedlungen an, deren Bevölkerung nach der Gründung in die griechisch-makedonische Stadt transferiert wurde . Der Primat der griechisch-makedonischen Kleruchen blieb so, trotz ethnisch heterogener Bevölkerung, gewahrt . Anders sah es aus, wenn – wie es im Falle Edessas den Anschein hat – eine indigene Stadt als Kolonie neu- bzw . wiedergegründet wurde . Auch in dieser Beziehung stand Edessa nicht allein: Auch Epiphaneia (Ḥamāh), Beroia (Ḥalab/Aleppo), Nisibis, Dura-Europos und Susa setzten vorhellenistische Städte fort . Zur Bevölkerung der seleukidischen Kolonien: Rostovtzeff 1955, Bd . 1, 383f .; Cohen 1978, 37–41 . Die Passage bei Ioh . Mal . (18,15) ist für sich genommen durchaus glaubwürdig . Anhaltspunkte für einen Anachronismus gibt es jedenfalls keine: Wenn jemals Anlass dazu bestand, die Stadt ›halbbarbarisch‹ zu nennen, dann jedenfalls bei ihrer Gründung; in parthischer Zeit hätte eher das Attribut ›barbarisch‹ gepasst; im 6 . Jahrhundert, zur Zeit des Malalas, wäre die Bezeichnung vollends widersinnig gewesen . Die außerordentliche strategische Bedeutung Edessas unterstreicht Dillemann 1962, 207f ., 224, 296 und 314f .

Von der makedonischen Kolonie zur römischen colonia · 231 stummen die Quellen über Edessa,26 das erst wieder mit dem Herrschaftsantritt der Abgaridendynastie in Osrhoene (133/132 v . Chr .) aus dem Dunkel auftaucht .27 Edessas Wiedereintritt in die dokumentierte Geschichte erfolgte in einem für die gesamte antike Welt außerordentlich ereignisreichen Jahrzehnt: Die Parther warfen in den 140er Jahren im Osten das Gräko-Baktrische Reich nieder und drangen im Westen bis Babylonien vor, das sie um 140 ein erstes Mal eroberten; die Restaurationspolitik Antiochos’ VII . scheiterte nach anfänglichen Erfolgen 129; in etwa gleichzeitig, 133/132, fiel Pergamon im Erbgang an Rom, das damit den Fuß auf asiatischen Boden setzte, und in Rom stürzte im selben Jahr die Ermordung des Ti . Gracchus die Republik in ihre lange, zuletzt letale Krise . Kaum zufällig fiel die Etablierung einer lokalen Dynastie in Osrhoene mit dem endgültigen Zusammenbruch der seleukidischen Herrschaft in Mesopotamien zusammen . Sie steht damit in einer Reihe mit ähnlichen Ablösungsprozessen vom Seleukidenreich, nachdem sich Ptolemaios, der Satrap von Kommagene, 163 selbst zum König, sein Herrschaftsgebiet für souverän erklärt hatte:28 Neue Dynastien, die den seleukidischen Primat allenfalls noch nominell anerkannten, etablierten sich mit dem Makkabäeraufstand, 164–160, in Palästina, wo nach einer Phase der Autonomie 105 das souveräne Hasmonäerreich entstand; um 100 im Ituräerland zwischen Libanon und Antilibanon, und zu einem unbekannten Zeitpunkt, vielleicht um 150, in Emesa .29 Ob bereits in diesem frühen Stadium auch das erst für das 1 . Jahrhundert n . Chr . belegte Königreich Adiabene im assyrischen Tigris-Zab-Dreieck und die kleine, südwestlich von Osrhoene am linken Euphratufer liegende Phylarchie Anthemusias Autonomie erlangten, lässt sich nicht sicher sagen .30 Der allgemeinen Regionalisierungstendenz bei Desintegration des Seleukidenreichs zum Trotz31 war der Aufstieg Edessas zum Zentrum eines autonomen politischen Verbandes doch ein singulärer Vorgang: Die Hauptstädte der neuen Tetrarchien, Phylarchien oder Königreiche waren entweder vollständige Neugründungen wie Emesa, Samosata, 26 Duval 1892, 24: »Cette ville ne semble pas avoir joué pendant cette période un rôle qui l’ait distinguée des autres villes voisines .« 27 Datierung nach Chron . Ed . 2 (180 SÄ) . Das Datum wird durch Mich . Syr . und Jakob von Edessa bestätigt, indirekt auch durch Ps .-Dionys . (Olympiade 161: Olympiade 161, 4 = 133/132 v . Chr .): Luther 1999b, 440 . 28 Der Satrapentitel war in der Familie der Orontiden, die sich von den Achaimeniden herleitete, schon zuvor erblich gewesen, Kommagene verfügte im Seleukidenreich über beträchtliche innere Autonomie . Zur Königserhebung Diod . 31,19a; zur Dynastie von Kommagene und den Umständen der Königserhebung des Ptolemaios: Sullivan 1977b, 742–746; Wagner 2000a, 22; Facella 2006, 199–205 . 29 Siehe oben, S . 65 . 151 v . Chr . vertraute der seleukidische Prätendent Alexander Balas seinen Sohn dem emesenischen Dynasten Iamblichus an . Emesa scheint zu diesem Zeitpunkt als Stadt noch nicht existiert zu haben, doch darf die Stelle als Beleg für tribale Autonomie des Stammes gewertet werden . Zum Zeitpunkt der Vertreibung des armenischen Königs Tigranes aus Syrien (69) besaß Emesa bereits eine etablierte Dynastie (Diod . 40,1a–1b) . 30 Luther 2015, 279f . 31 Jones 1971, 253: »Syria […] eventually became a mosaic of kingdoms, principalities, and free cities, while the kings became little better than rival condottieri .«

232 · VII. EdEssa und osrhoEnE Chalkis, Palmyra und Petra oder seit Langem bestehende vorhellenistische Gründungen wie Jerusalem . Dass griechisch-makedonische Kolonien zur Keimzelle eines autonomen Staates aus der Erbmasse des Seleukidenreichs wurden, ist sonst nur für Spasinou Charax (Alexandreia am Tigris), die Hauptstadt von Charakene, zu belegen – allerdings ging in diesem Fall mit Hyspaosines die Initiative vom Gründer einer stark hellenisierten Dynastie aus .32 Einzig in Edessa ergriff eine Dynastie die Macht, die allem Anschein nach aus Nachkommen von Nomaden bestand – ein Einzelfall, der erklärungsbedürftig ist . War es also die Demographie, die den Ausschlag gab? Drängte das nichthellenische Element der ›halbbarbarischen‹ Bevölkerung Edessas beim Rückzug der Seleukiden an die Oberfläche? Ließe sich gar von einer ›Rebarbarisierung‹ der griechisch-makedonischen Kolonie sprechen? Oder waren es die Parther, die der hellenischen Kleruchenschicht der Stadt den Garaus machten? Andere seleukidische Kolonien auf dem Boden des Partherreichs, vor allem Seleukeia am Tigris und Dura-Europos, aber selbst Susa, bewahrten weitgehend ihre Identität als griechische Poleis, obwohl auch in ihnen die griechischmakedonischen Kleruchen wohl nur eine einflussreiche Minderheit repräsentierten .33 Die parthische Invasion und die ›halbbarbarische‹ Bevölkerung Edessas reichen als Faktoren zur Entstehung einer regionalen ›arabischen‹ – was immer der Begriff in diesem Zusammenhang bedeuten mag – Herrschaft ohne erkennbares hellenisches Element also nicht aus . Edessa beschritt einen singulären Sonderweg, und deshalb liegt die Annahme nahe, dass die politische Entwicklung Osrhoenes mit seiner singulären naturräumlichen Lage zusammenhängt .34 Anders als Dura-Europos, Seleukeia am Tigris und Susa – aber wie Hatra – liegt Edessa in der kritischen Zone zwischen der 200- und der 400-Millimeter-Isohyete . Daher bietet am ehesten Rowtons Modell des sozialen Di- bzw . Polymorphismus den Erklärungsrahmen für Urbanisierung und Soziogenese in diesem Teil Obermesopotamiens . Die wirtschaftliche Existenz der seleukidischen Poleis hing maßgeblich von ihrer χώρα ab, auf der eine unterprivilegierte, nichthellenische Bevölkerung, die sogenannten λαοί, die Überschüsse 32 Schuol 2000, 291–293 . 33 Wiesehöfer 1993, 194–197 . Alle Kolonien hatten beträchtliche lokale Bevölkerungsanteile: Susa und DuraEuropos erwuchsen auf bestehenden orientalischen Städten, vermutlich auch Seleukeia am Tigris, das zudem zu großen Teilen die Bevölkerung Babylons aufnahm (Strab . 16,738; Paus . 1,16,3; App . Syr . 55) . 34 Ohne Belege bringt Ross 2001, 9, die Errichtung der Monarchie und die parthische Eroberung in einen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang (»Simultaneously with the arrival of the Parthians, a new local regime took power: a series of kings or ›toparchs‹ bearing Semitic names that show clear affinities to Arabic […] .«) . Er führt keine Gründe für den Sonderweg Edessas an . Wenig überzeugend konjizieren Duval 1892, 24–26, und Segal 1970, 16, ein Eindringen nomadischer Gruppen von außen . Das Auslauten der edessenischen Herrschernamen in dem Suffix ›ū‹ lasse, so Duval und Segal, auf eine nabatäische Herkunft schließen . Wie in anderen Städten des römischen Vorderasien auch (und wie angesichts des ethnisch-demographischen Hintergrunds nicht anders zu erwarten) herrschte in Edessa ein Nebeneinander verschiedener Ausprägungen des Aramäischen . Gar parthische Ursprünge der Dynastie vermutet (mit Verweis auf den Namen des legendären Dynastiegründers: Orhai/Aryu) Gutschmid 1887, 19 und 48 . Mit guten Gründen verwirft (»aber dieser ist nur ortseponym«) Drijvers 1977, 868, diese Etymologie . Dem folgt Luther 1999a, 448, Anm . 428 .

Von der makedonischen Kolonie zur römischen colonia · 233 produzierte, die das Überleben der Stadt sicherstellten . Die dort ansässigen, fremdstämmigen Kleruchen waren im Wesentlichen eine Militäroligarchie aus grundbesitzenden Honoratioren .35 Diese Strategie der ökonomischen Existenzsicherung agrarisch unproduktiver Bevölkerungsteile war unter den Bedingungen der polymorphen Zone, wie sie in weiten Teilen Osrhoenes herrschten, wenig erfolgversprechend . Die Siedler mussten ihren Nahrungsbedarf entweder durch Viehzucht oder durch Engagement im Fernhandel decken – andere Optionen gab es nicht . Beides setzte ein Arrangement mit den Stämmen des Umlands voraus, die sich durch die Stadt kaum effektiv kontrollieren und beherrschen ließen, zumal mit der seleukidischen Herrschaft ab Mitte des 2 . Jahrhunderts v . Chr . die Sicherheit stiftende pax imperii allmählich zerbröselte . Gleichviel, ob Edessa als Polis im postseleukidischen Machtvakuum – das die Parther erst allmählich auszufüllen begannen – mit einem Schlag kollabierte oder ob die griechisch-makedonische Kolonie schon in seleukidischer Zeit langsamer Auszehrung zum Opfer gefallen war: Der Typus der hellenistischen Polis erwies sich angesichts der Demographie und mangels agrarischer Überschüsse in der Ökologie der Steppe als nicht lebensfähig; sein Scheitern setzte den aus Palmyra und Hatra sattsam bekannten Mechanismus polymorpher Ethnogenese in Gang . Die Stadtbewohner – womöglich unter Einschluss des griechisch-makedonischen Bevölkerungselements – verschmolzen mit den Nomaden des Umlands zu einer Identitätsgruppe, mit der Stadt als politisch-administrativem Kern und mit Viehzucht sowie Fernhandel als wirtschaftlichen Grundlagen .36 Als Edessa mit der Eroberung Syriens durch Pompeius in den Bannkreis des römischen Imperiums geriet, hatte von der griechisch-makedonischen Kolonie augenscheinlich nichts überlebt . Die Institutionen der Polis, Magistraturen, βουλή und die Versammlung des δῆμος, waren verschwunden, eine Monarchie fest etabliert . Die nun allerdings wies – mit der sich wandelnden Herrschertitulatur – enge Parallelen zum nahen Hatra auf, das praktisch in jeder Beziehung das Gegenbild einer Polis war . Die Stadtherren bewohnten einen Palast, der offensichtlich auch als Mittelpunkt einer gelenkten OikosWirtschaft diente . Die Sprache der Inschriften ist durchgängig Syrisch, die lokale Variante des Aramäischen . Nichts hatte sich gehalten von den offiziellen Kulten einer griechischen Polis . Von der seleukidischen Kolonie Edessa zum Edessa des 3 . Jahrhunderts n . Chr ., das zum Zentrum einer auch stark von griechischen Denktraditionen gespeisten syrisch35 Zu den sozialen, ethnischen, sprachlichen und religiösen Differenzen zwischen Polis und χώρα: Jones 1940, 295: »The difference in language between the urban aristocracy and the peasantry implies a deep cultural cleavage, and there was, it would seem, little love lost between them .« Zu Dura-Europos Rostovtzeff 1955, Bd . 1, 381 . Zu den Strukturen der Abhängigkeit: Cohen 1978, 24; Kreißig 1978, 89–123 . 36 Die Entwicklung der seleukidischen Kolonie Edessa illustriert exemplarisch die Probleme von Siedlungen des Polis-Typs unter den naturräumlichen Bedingungen der Steppe . Damit treten auch die Grenzen von Herrschaftssystemen wie dem Seleukidenreich und vor allem dem Römischen Reich zutage, die wesentlich auf Poleis als lokalen Zellen imperialer Herrschaft aufbauten . Selbstverständlich ist diese Rekonstruktion rein hypothetisch . Auf die Unwägbarkeiten hat mit Recht, auch mit Blick auf den Raum Edessa, Scharrer 2010, 301–303, hingewiesen .

234 · VII. EdEssa und osrhoEnE christlichen Literatur werden sollte, führt offensichtlich keine direkte Verbindungslinie – jedenfalls keine, die sich in irgendeinem Befund abzeichnen würde .37 Erst eine eingehende Untersuchung des disparaten Quellenbestands erbrachte den überzeugenden Nachweis dafür, dass das edessenische Königtum nicht bis zur Machtübernahme der Abgariden zurückreichte, sondern, ähnlich wie in Hatra, erst am Ende einer längeren Entwicklung stand .38 Die Chronik des Pseudo-Dionysios berichtet für das Jahr 1960 nach Abraham: Es starb der König von Edessa . Und die Edessener waren wegen eines Streites – aufgrund der Begierde nach Herrschaft – ein Jahr lang ohne Herrn [mrʾ] . Und später herrschte über sie Maʿnū, der Allāhā genannt wurde, 18 Jahre und 5 Monate .39 Das Wort mrʾ (mārā), sonst in den christlich-syrischen Texten stets als Synonym für Gott, Christus oder den Heiligen Geist gebraucht, kann in dem Zusammenhang der Textpassage nur aus einem älteren, vorchristlichen Text übernommen worden sein, in dem das Wort noch die ursprüngliche – politische – Bedeutung hatte .40 Terminus post quem für die Umwandlung Osrhoenes in ein reguläres Königtum – unter parthischer Oberherrschaft – ist das Jahr 34/33 v . Chr ., das Jahr des durch den Thronstreit bedingten Interregnums .41 Die Abgariden regierten, bevor sie nach dem Diadem griffen, ein Jahrhundert lang als einfache Stadtherren mit dem Titel mry’ . Die Gründe für die Aufwertung Osrhoenes zum Königreich dürften nicht unähnlich jenen in Hatra ungefähr 200 Jahre später gewesen sein: Konsolidierung eines polymorphen Verbandes mit urbanem Zentrum, Bedeutungszunahme des Fernhandels, strategische Grenzposition gegenüber dem Nachbarn, dem Römischen Reich . Insbesondere der Kontakt zu Rom hatte sich seit den Tagen des Pompeius stetig intensiviert: Bereits 69 v . Chr . war L . Licinius Lucullus auf seinem Feldzug gegen Tigranes, den Schwiegersohn des Mithradates von Pontos, in einen Konflikt mit Osrhoene verwickelt gewesen, dessen Truppen auf armenischer Seite gekämpft hatten .42 Lucullus’ Legat Sextilius hatte die Osrhoener und ihren Phylarchen ʾAbgar II . Piqā geschlagen .43 Wenige Jahre später (64 v . Chr .) eroberte der nachmalige 37 Die Frage der Kontinuität behandeln, ohne zu klaren Ergebnissen zu kommen, Segal 1970 und Ross 2001, 11–13 . 38 Luther 1999a, 448–453 . Zu Hatra siehe unten, S . 375 . 39 Ps .-Dionys . 1960 . »Nach Abraham«: so die mit zahlreichen Inkohärenzen gespickte Jahreszählung der Chronik . 40 Dahinter mit Luther 1999a, 451, einen Archivtext zu vermuten, der als Quelle für die Chronik diente, liegt zumindest nahe . 41 Ebd ., 446 . 42 Tigranes kontrollierte ab 83 das Rumpf-Seleukidenreich als autonomen Teil des Königreiches Armenien . Im Jahr 69 wurde er von Lucullus geschlagen und zum Rückzug aus Syrien gezwungen . Zur Rekonstruktion des Tigranes-Krieges: Dillemann 1962, 263–268; Marek 2010, 355–357; Hartmann 2015, 309 . 43 Der Terminus φύλαρχος bei Plut . Luc . 25 ist vermutlich die exakte Wiedergabe des aramäischen mryʾ; vgl . Luther 1999a, 451f . Zur Rekonstruktion der Ereignisse: Gutschmid 1887, 33; Duval 1892, 42; Drijvers 1977, 870 .

Von der makedonischen Kolonie zur römischen colonia · 235 Triumvir Pompeius Syrien: Osrhoene geriet spätestens ab diesem Zeitpunkt in ein wenig komfortables Machtdreieck zwischen Rom, dem Partherreich und Armenien, in dem seine Herrscher offensichtlich vorsichtig zu lavieren versuchten – jedenfalls schloss der amtierende Phylarch, der noch immer ʾAbgar II . Piqā hieß, mit Pompeius ein Abkommen, ohne dass wir Näheres über den Status Edessas in den nachfolgenden Jahren wüssten .44 Für die verheerende Niederlage, die der Triumvir Crassus beim nahen Karrhai (Ḥarrān) gegen die Parther erlitt (53 v . Chr .), machen die römischen Quellen einhellig denselben ʾAbgar II . Piqā verantwortlich, der noch ein Jahrzehnt zuvor mit Pompeius am Verhandlungstisch gesessen hatte . Allerdings variieren die Angaben über das Vorgehen Abgars . Während Plutarch den φύλαρχος Ἀράβων die Römer listenreich in die Wüste führen lässt, um sie dort – im Angesicht des parthischen Angriffs – im Stich zu lassen, berichtet Dio, ʾAbgar sei im Rücken der Römer selbst zum Angriff übergegangen .45 Gleichviel: Edessa stand fortan auf parthischer Seite, in welcher Form der Abhängigkeit und mit welchem Grad an Autonomie auch immer .46 Als westlichstem Vorposten des Arsakidenreichs ging von Edessa für Ktesiphon dennoch beständig Gefahr aus . Ein Wechsel auf die römische Seite, herbeigeführt im günstigen Moment, hätte die Herrscher von Osrhoene wenig gekostet . Vermutlich taten also die Parther gut daran, die lokalen Machthaber mit Prestige und weitreichender Autonomie auszustatten und so bei der Stange zu halten . Die Verleihung der Königswürde an die Abgariden erhielte von hier aus, als vorbeugende Maßnahme gegen Absetzbewegungen, einen tieferen machtpolitischen Sinn .47 44 Zur Chronologie der frühen edessenischen Herrscher am überzeugendsten Luther 1999a, 446 . Von dem Abkommen berichtet, als zugegebenermaßen späte Quelle, Cass . Dio 27,5,5 . Mehrere Möglichkeiten einer Existenz Osrhoenes zwischen den Großmächten sind denkbar: 1 . Edessa als armenischer Klientelstaat und Bündnispartner Roms: Armenien war nach der Niederlage gegen Lucullus zu Roms Bundesgenossen avanciert; Edessa als Klientelstaat Armeniens hätte daher sehr wohl Bündnisse mit Rom als Alliiertem Armeniens abschließen können . Der armenische Kirchenschriftsteller Moses von Choren (5 . Jahrhundert n . Chr .) erwähnt eine enge Bindung Edessas an Armenien (Moses Choren . 2,34) . 2 . Edessa geriet mit der Einrichtung der Provinz Syria durch Pompeius in Roms Fahrwasser und wurde autonome römische Klientelmonarchie (wie im Prinzip die Königreiche, Tetrarchien und Stammesgebiete Syriens); der Vertrag mit Pompeius regelte die Modalitäten der Abhängigkeit Edessas . 3 . Edessa blieb oder wurde souveräner Staat in Äquidistanz zu den drei Nachbarn . Da sich unter Pompeius die spätere römisch-parthische Dauerrivalität bereits abzeichnete, spricht wenig für folgende Variante: 4 . Edessa war parthischer Klientelstaat oder (autonomer) Teil des Partherreichs und schloss als solcher einen Bündnisvertrag mit Pompeius . 45 Plut . Crass . 21–22; Cass . Dio 40,20–23 . Die Ablehnung der Darstellung in den Quellen ist in der modernen Forschung einhellig: Gutschmid 1887, 21f .; Duval 1892, 44; Drijvers 1977, 871 . Zurückhaltend Ross 2001f . Wirklich mag bei der Denuntiation ʾAbgars von Edessa ein starkes apologetisches Moment für die römische Seite mitgeschwungen haben . 46 Für Hartmann 2015, 309–314, ist das Geschehen, soweit rekonstruierbar, aber immerhin Beleg dafür, dass die Abgariden »eigenständig[e] agierend[e] Dynast[en]« (ebd ., 314) waren . 47 Vgl . die analoge Situation in Hatra: Sommer 2003b, 392 . Das durch Pseudo-Dyonsios (Chron . Anon . 52/42) für das Jahr 1960 nach Abraham bezeugte osrhoenische Interregnum fällt nach der überzeugenden Rekonstruktion bei Luther 1999a nicht mehr mit der Schlacht von Karrhai zusammen, sondern wird über 20 Jahre später und damit 34/33 v .Chr . angesetzt . Der Zusammenhang, den noch Drijvers 1977, 871, unterstellt (»Liegt

236 · VII. EdEssa und osrhoEnE Vorläufig dankten die edessenischen Könige den Arsakiden die ihnen gewährten Vorrechte anscheinend mit Loyalität . Im Zusammenhang zweier jeweils zu Roms Gunsten entschiedener Nachfolgekonflikte um Armenien (1 v . – 1 n . Chr . und 35 n . Chr .) verlautet nichts über eine Rolle des Königreichs Osrhoene . Nachdem sich allerdings Rom nach dem Tod des parthischen Königs Vardanes (47 n . Chr .) direkt in die Thronnachfolge einmischt und auf Drängen einer parthischen Adelsfraktion den als Geisel in Rom lebenden Meherdates nach Ktesiphon entsandt hatte, mischten auch die Könige von Osrhoene wieder in der Großen Politik mit, als treue Vasallen der Arsakiden . Laut Tacitus48 nahm der osrhoenische König Acbarus, unschwer zu identifizieren mit ʾAbgar V . ʾUkkāmā, eine dezidiert antirömische Haltung ein . ʾAbgar verstieg sich zu der List, Meherdates und sein Gefolge in Edessa zu beherbergen und so lange aufzuhalten, bis dessen Rivale Gotarzes gerüstet war . Kurz vor der entscheidenden Schlacht 49 n . Chr . verließen ʾAbgar und der adiabenische Herrscher Izates mit ihren Truppen Meherdates, der Gotarzes unterlag .49 Tacitus sah in Osrhoene ein zum arsakidischen Machtbereich gehörendes Teilkönigreich: Der von Claudius beauftragte Statthalter Syriens, Cassius Longinus, habe Meherdates bis Zeugma am Euphrat geleitet, dort, auf osrhoenischem Gebiet, habe ihn der Führer der parthischen Adelspartei, Karīn, übernommen .50 Am Euphrat standen sich nur wenig später (61/62 n . Chr .) Römer und Parther gegenüber, nachdem ein diplomatischer Konflikt um Armenien eskaliert war und die Parther das römische Syrien bedrohten . Cn . Domitius Corbulo errichtete, wohl bei Zeugma den Euphrat überschreitend, zur Vorneverteidigung Brückenköpfe auf dem jenseitigen, osrhoenischen Euphratufer, ohne jedoch damit etwas am Status quo zu verändern . Am Ende zogen sich die Römer hinter die Euphratlinie zurück (63 n . Chr .), Osrhoene taucht in den römischen Quellen abermals für längere Zeit es nicht auf der Hand anzunehmen, daß die Parther nach Crassus’ Niederlage auch der Regierung ʾAbgars II . ein Ende bereitet haben, weil er mit Rom verbunden war und den Römern Hilfe geleistet hat?«), kann also nicht bestanden haben . Das Risiko für die Parther fasst bündig Ross 2001, 10, zusammen: »The incident does, however, confirm an early willingness on Edessa’s part to form a friendly relationship with Rome, even while it remained in what was supposedly the Parthian sphere of influence .« 48 Tac . ann . 12,11–14 . 49 Ebd ., 12,12: quod spretum fraude Acbari, qui iuvenem ignarum et summam fortunam in luxu ratum multos per dies attinuit apud oppidum Edessam . Die Verschlagenheit der Edessener hat – man beachte die augenfälligen Parallelen in der Darstellung zur Niederlage des Crassus – geradezu topischen Charakter . In beiden Darstellungen prätendiert ein Herrscher ʾAbgar (bei Tacitus: rex Arabum) zunächst freundliches Entgegenkommen, um sodann die Römer (bzw . im Fall des Meherdates: ihre Verbündeten) vor der Schlacht im Stich zu lassen: Luther 2015, 283 . 50 Tac . ann . 12,11: datum posthac C . Cassio, qui Syriae praeerat, deducere iuvenem ripam ad Euphratis . Die Karīn waren ein in Medien ansässiger Clan der parthischen Grundbesitzeraristokratie: Wiesehöfer 1993, 199 . Aus der Situation geht deutlich hervor, dass es mitnichten um eine etwaige Souveränität Edessas oder Äquidistanz zwischen Ktesiphon und Rom ging . Das aber meint Drijvers 1977, 872: »[…] so daß er die Unabhängigkeit von Edessa behaupten konnte, sowohl Römern als auch Parthern gegenüber .« ʾAbgar V . ʾUkkāmā bezog Stellung in einem innerparthischen Konflikt, der freilich auch eine außenpolitische Dimension hatte . Unverkennbar ist allein, dass die osrhoenischen Herrscher ihren lavierenden Kurs beibehielten und sich die Option offenhielten, im Zweifel auch die römische Karte spielen zu können: Ross 2001, 10f .

Von der makedonischen Kolonie zur römischen colonia · 237 nicht auf, auch nicht im Zusammenhang mit der römischen Annexion des benachbarten Kommagene .51 Die genaue Ausdehnung des parthischen regnum Osrhoene ist kaum sicher zu bestimmen . Ein erheblicher Unsicherheitsfaktor ist die Zuordnung der Städte Ḥarrān und Batnai im Süden sowie von Nisbis im Osten . Waren sie dem König in Edessa untertan, so hatte das parthische Königreich eine Ausdehnung, die in etwa dem Territorium der römischen Provinz, des kurzfristig restaurierten Königreichs im 3 . Jahrhundert und der spätantiken Landschaft Osrhoene entsprach . Andernfalls, wenn man Ḥarrān und Batnai einem anderen parthischen Territorium zurechnet – und damit wohl am ehesten MesopotamienParapotamien, das in Texten aus Dura-Europos auftaucht –, war es zumindest in seiner südlichen Ausdehnung viel kleiner . Nimmt man freilich die Verbreitung der edessenischen (syrischen) Schrift als Indikator für die Ausdehnung Osrhoenes, so scheint sich das Königreich ungefähr über das durch Euphrat und Ḫābūr beschriebene Parallelogramm erstreckt zu haben, unter Einschluss Batnais und Karrhais und vielleicht auch von Nisibis . Südwestlich von Edessa bildete Charax Sidou/Anthemusias eine eigene Phylarchie, ob als Enklave oder – eher – als autonomes Teilterritorium des osrhoenischen Königreichs, ist nicht sicher .52 Ein starkes, zumindest bei Tacitus durchaus ethnisch bestimmtes Ressentiment färbt die Berichte über das Verhalten der osrhoenischen Könige und anderer Dynasten an der parthischen Westperipherie: Untreue, Verschlagenheit und Eigennutz kennzeichnen ihr Agieren und sind Ursache für berechtigtes Misstrauen der Römer .53 Obwohl natürlich solche Schilderungen das Handeln der römischen Seite in ein günstiges Licht tauchen und vor Stereotypen nur so strotzen, wirkt das Verhalten der Akteure vor dem Hintergrund der an der Steppengrenze herrschenden Labilität durchaus rational und strategisch durchdacht . Sie waren angesichts knapper Informationen, auf deren Grundlage sie ihre Entscheidungen zu treffen hatten, und konfrontiert mit der politischen Konturlosigkeit des Raumes fast immer geleitet von sicherem Überlebensinstinkt . Wer sich heute einer römischen Invasionsarmee gegenübersah, die morgen zuschlagen konnte, kam um die geforderten Demutsgesten nicht herum . Und wer übermorgen die Rückkehr der zum Gegenschlag ausholenden Arsakiden fürchten musste, hielt sich – ebenso selbstverständlich – eine Hintertür offen und kündigte im erstbesten Augenblick die gegenüber Rom erklärte Loyalität auf . Die Steppengrenze schuf sich ihre eigene politische Logik, 51 Tac . ann . 15,3; 15,5: Isaac 1990, 29f . 52 Drijvers/Healey 1999, Nr . 2 . Die in Serrin am Euphrat gefundene, auf 73 n . Chr . datierte syrische Grabinschrift eines Maʿnū enthält sonst keinen Hinweis auf Edessa . Dass sich Osrhoene im Westen bis zum Euphrat erstreckte, belegt ebd ., Nr . 1, ebenfalls eine Grabinschrift aus Birtha (Makedonopolis) am Euphrat, unweit von Zeugma (6 n . Chr .) . Zu Anthemusias Tac . ann . 6,41 . Amm 14,3,3 schlägt Batnai der Stadt Anthemusias zu: Batnae municipium in Anthemusia conditum Macedonum manu priscorum . Für eine Zugehörigkeit Ḥarrāns zu Osrhoene schon Mez 1892, 37–40; skeptisch, aber ohne Bezug auf die Inschriften, Green 1992, 46 . Unschlüssig Regling 1901 . 53 Tac . ann . 12,14: levitate gentili .

238 · VII. EdEssa und osrhoEnE die auch das Drehbuch für den Partherfeldzug Trajans schrieb . Noch vor seinem Vormarsch ins Zentrum des Partherreichs54 – der wie alle späteren Feldzüge zunächst durch Obermesopotamien bis zum Tigris führte –, als der Kaiser den Winter 113/114 in Antiocheia verbrachte, sandten ʾAbgar VII . von Edessa, Maʿnū von Hatra und Sporakes von Anthemusias Emissäre mit Geschenken, vermieden es aber, selbst vor Trajan zu erscheinen .55 Die Situation änderte sich völlig, als Trajan, nach erfolgreichem Armenienfeldzug und der Eroberung der mesopotamischen Städte Batnai und Nisibis, Edessa aufsuchte und dort vermutlich sein Winterquartier bezog .56 ʾAbgar war damit aller seiner Optionen beraubt, er musste den optimus princeps in der Stadt willkommen heißen »und wurde entsprechend dem Trajan zum Freund .«57 In Edessa erreichten Trajan abermals Emissäre mesopotamischer Städte und Landschaften: wiederum von Maʿnū aus Hatra sowie von Manisarus, dem Herrscher des transtigridischen Gordiene, denen der Kaiser mit Misstrauen begegnete .58 ʾAbgar indes, so berichtet Dio, sei Trajan vor der Stadt entgegen gegangen, habe sich dafür entschuldigt, dass er ihm bisher nicht persönlich seine Aufwartung gemacht habe, habe ihn auf das Wärmste begrüßt und zu Ehren des Kaisers ein Festmahl veranstaltet, bei dem sein Sohn Arbandes als Tänzer aufgetreten sei .59 Als in Obermesopotamien der Aufstand losbrach, fiel offenbar auch Edessa von Rom ab, das von Lusius Quietus belagert und erobert werden musste .60 In der Furcht, auch im babylo54 Umstritten ist, ob Trajan den Feldzug von Anfang an bis ins Kernland des Partherreichs vorantreiben wollte oder ob dieser Plan erst allmählich in ihm reifte, als beim Durchzug durch Obermesopotamien die Lähmung der Parther offensichtlich wurde . Trajan verbrachte, nach Einrichtung der Provinz Mesopotamia, die im Süden bis Singara reichte, den Winter 115/116 in Antiocheia und nahm erst danach die Kampagne gegen Seleukeia am Tigris und Ktesiphon auf . Zu den Motiven des Feldzugs: Lepper 1948; Angeli Bertinelli 1976, 3–45, hier: 49f . Für eine langfristige militärische Strategie: Mommsen 1992, 389; contra Ross 2001, 31–33 . 55 Zu ʾAbgar Cass . Dio 68,18; ʾAbgar blieb, ἐκεῖνόν τε γὰρ ὁμοίως καὶ τοὺς Πάρθους φοβούμενος (›fürchtend gleichermaßen Trajan wie die Parther‹), fern . Zu Maʿnū und Sporakes ebd ., 68,21: Sommer 2010, 217f .; Hartmann 2015, 329–334 . 56 Cass . Dio 68,21 . Als alternatives Winterquartier käme nur Antiocheia in Frage . Für einen Winteraufenthalt in Edessa aber: Dillemann 1962, 276; Angeli Bertinelli 1976, 14; Chaumont 1976, 137–139; Drijvers 1977, 873; Marek 2010, 429 . 57 Cass . Dio 68,21,3: καὶ ὁ μὲν φίλος τε ἐκ τούτου τῷ Τραϊανῷ ἐγένετο […] . Hartmann 2015, 334, meint, ʾAbgar habe sich dem römischen Kaiser willfähriger als die übrigen Dynasten der Region angedient . Wie man sein Verhalten beurteilt, hängt jedoch mit der Frage zusammen, warum Trajan sein Winterquartier ausgerechnet in Edessa bezog . Kam er auf Einladung ʾAbgars? Dann wäre ʾAbgar in der Reihe der Kollaborateure gewiss ein herausragendes Beispiel für politische Wendigkeit . Wenn allerdings, was eher wahrscheinlich ist, Trajan selbst Edessa zu seinem Aufenthaltsort für den Winter bestimmt hatte, hatte ʾAbgar schlicht und einfach keine Wahl . 58 Cass . Dio 68,22 . 59 Ebd ., 68,21 . 60 Ebd ., 68,30,2 . Quietus ließ, so Dio, Edessa nach der Eroberung plündern und niederbrennen (ἐξεπολιόρκησε καὶ διέφθειρε καὶ ἐνέπρησεν) . Welche Rolle ʾAbgar in der Episode spielte und ob er überhaupt noch am Leben war, wissen wir nicht .

Von der makedonischen Kolonie zur römischen colonia · 239 nischen Kernland des Partherreichs könne eine Rebellion ausbrechen, setzte Trajan dort den Klientelkönig Parthamaspates ein .61 Im Zusammenhang mit dem Aufstand und der Rückeroberung Edessas sowie der Erhebung des Parthamaspates scheinen Herrscherwechsel gestanden zu haben, die dunkel in der Chronik des Pseudo-Dionysios aufscheinen . In der Chronik wird zwar der bei Dio erwähnte ʾAbgar nicht genannt, im Anschluss an ein zweijähriges Interregnum (das stereotyp mit »Kämpfen um die Macht« begründet wird) tauchen aber Namen auf, die nicht ins sonstige Muster edessenischer Königsnamen zu passen scheinen: Ein gewisser ylwd prntspṭ habe demnach drei Jahre und zehn Monate, ein prntspṭ weitere zehn Monate lang regiert .62 Das chronologische Gerüst ist verworren, die Informationen dürftig; dennoch ist klar, dass die Kampagne Trajans die parthische Westperipherie, und mit ihr Edessa und seine Dynastie, in eine tiefe Krise stürzte . Abgar, der ›Freund‹ Trajans, wird die Rebellion kaum überlebt haben . Er wird auch nicht die treibende Kraft hinter der Revolte gewesen sein . Dazu hatte er, da keine parthische Gegenoffensive drohte, keine Veranlassung . Vermutlich hatte er sich aber durch sein Bündnis mit den Römern in den Augen innenpolitischer Gegner kompromittiert und wurde beseitigt; auf ihn folgte möglicherweise ein Interregnum . Indirekt werfen also die spärlichen Quellen durchaus Licht auf die politische Situation im Raum Obermesopotamien: Wie so oft in der Geschichte spiegelte sich die außenpolitische Frontstellung in inneren Parteikämpfen .63 Nach dem Zwischenspiel des offensichtlich iranischen Herrschers Parthamaspates bzw . prntspṭ gelangte in Edessa abermals eine lokale Dynastie an die Macht (ca . 125/126) .64 Die Position Edessas zwischen den rivalisierenden Großreichen lässt sich kaum mit Sicherheit bestimmen . Hatte Rom mit Parthamaspates, der immerhin als parthischer König eine Kreatur Trajans war, auch nach dem von Hadrian angeordneten Rückzug aus Mesopotamien die Oberherrschaft über Osrhoene behalten?65 Oder war Edessa alsbald, vielleicht noch unter Parthamaspates, zu seinem früheren Status als parthisches regnum 61 Ebd ., 38,33,3 . Trajan inszenierte eine Art ›Volksversammlung‹ aller Römer und Parther, die in Ktesiphon anwesend waren, und stellte ihnen, auf einem Podest stehend, den neuen König vor . Vgl . auch Ioh . Mal . 270 und 273f . 62 Drijvers 1977, 875, und Luther 1999b, 191, glauben mit Gutschmid 1887, dass der bei Ps .-Dionys . chron . anon . 2106–2113 genannte König mit dem von Trajan inthronisierten parthischen Klientelkönig Parthamaspates identisch ist . Parthamaspates habe demnach zunächst als parthischer König über Osrhoene mitgeherrscht . Nach der Aufgabe der trajanischen Eroberungen durch Hadrian (H .A . Hadr . 5,4; 21,10) sei Parthamaspates dann durch diesen mit Osrhoene abgefunden worden . Denkbar ist auch, dass ylwd und prntspṭ zwei verschiedene Personen waren . 63 So auch Ross 2001, 34f .; ähnlich schon Drijvers 1977, 875 . 64 Zur Datierung Luther 1999b, 192 . Das Patronym des neuen Königs Maʿnū (bar Izaṭ) verweist möglicherweise auf die Dynastie von Adiabene: Ross 2001, 35 . Denkbar ist aber auch, dass die alte Dynastie der Abgariden restauriert wurde . Für die Restauration spricht die häufige Wiederkehr traditioneller Königsnamen . 65 Luther 1999b, 192: »Vielleicht übte dieser Partherkönig von römischen Gnaden nach der Zerstörung von Edessa 116 oder nach dem Abzug der Römer 117 das Protektorat über die Osrhoene aus .« Ähnlich Drijvers 1977, 874f .

240 · VII. EdEssa und osrhoEnE

Abb. 7.1: Denar, AG, des Königreichs Osrhoene, ca. 163 n. Chr. Av.: Kopf der Lucilla nach rechts. ΛΟΥΚΙΛΛΑ CΕΒΑCΤΗ ΒΑCΙΛΕΥC. Rv.: Athena nach links, mit Szepter und Patera. ΜΑΝΝΟC ΦΙΛΟΡΟΜΑΙ(ος)

zurückgekehrt? Einzige Anhaltspunkte sind die Bronzeprägungen zweier Könige, deren chronologische Zuordnung indes heikel ist . Ein König »Mannos« bezeichnet sich auf der griechischen Legende einer Münzserie, auf der er mit Angehörigen des antoninischen Kaiserhauses (M . Aurelius, L . Verus, der jüngeren Faustina) dargestellt ist, als ΒΑCΙΛΕΥC ΜΑΝΝΟC ΦΙΛΟΡΩΜΑΙ[ος] (Abb . 7 .1) .66 Ein anderer König, Wāʾel, prägte Münzen mit aramäischer Legende, mit der eigenen Büste auf der Rück-, jener des Partherkönigs Vologaises (IV .) auf der Vorderseite (Abb . 7 .2) . »Mannos« war einer von zwei Königen des Namens Maʿnū (Maʿnū VII . bar Izaṭ und Maʿnū VIII . bar Maʿnū), die durch die Chroniken des Elias von Nisibis und des Pseudo-Dionysios nachgewiesen sind; Wāʾels Name taucht nur bei Pseudo-Dionysios auf .67 Zwei Szenarien sind zunächst denkbar: (1 .) Der »Römerfreund« der Münzen ist mit Maʿnū bar Izaṭ identisch . Dann wäre Oshroene bereits vor den Feldzügen des L . Verus 66 Hill 1922, Tf . XIII, 9–13 und 93–96 . 67 Maßgeblich für die Chronologie ist, wie Luther 1999b plausibel dargelegt hat, die Chronik des Elias von Nisibis . Nach Elias regierte Maʿnū bar Izaṭ von 125/126 bis 165/166 n . Chr . (40 Jahre), Maʿnū bar Maʿnū von 165/166 bis 177/178 (zwölf Jahre) . Wāʾel fällt bereits durch seinen in der Königsliste sonst nicht bezeugten Namen aus dem Schema der Abgariden-Dynastie heraus . Man darf in ihm mit einiger Sicherheit einen Usurpator sehen . Von der problematischeren Chronologie des Ps .-Dionys ., die mindestens eine Konjektur erfordert, um Sinn zu ergeben, geht dagegen Ross 2001, 36–45, und schon Drijvers 1977, 875f ., aus . Nach der Konjektur regierte Maʿnū bar Izaṭ von 123 bis 139, Maʿnū bar Maʿnū von 139 bis 163 und dann wieder von 165 bis 177 . Von großer Wichtigkeit ist die Frage, warum der proparthische Usurpator Münzen mit syrisch-aramäischer, der ›Römerfreund‹ Maʿnū hingegen solche mit griechischer Legende prägen ließ .

Von der makedonischen Kolonie zur römischen colonia · 241

Abb. 7.2: Münze, Æ, des Königreichs Osrhoene, ca. 163–165 n. Chr. Av.: Kopf des Partherkönigs Vologaises IV. mit Tiara nach links. Rv.: Kopf des osrhoenischen Königs Wāʾel nach links. wʾl mlkʾ

(163–165) eine Klientelmonarchie Roms gewesen, Wāʾel hätte, am ehesten auf Betreiben des Vologaises, einen proparthischen Umsturz gegen Maʿnū bar Izaṭ angezettelt und wäre seinerseits der römischen Offensive zum Opfer gefallen, die Maʿnū bar Maʿnū auf den Thron brachte . (2 .) Nicht Maʿnū bar Izaṭ, sondern Maʿnū bar Maʿnū ist der φιλορωμαῖος der Münzserie . In diesem Fall ergeben sich wieder zwei Varianten: (a) Die Römer beseitigten im Zuge ihrer Offensive einen proparthischen Maʿnū bar Izaṭ und installierten Maʿnū bar Maʿnū, der zuvor im Exil in Rom geweilt hatte, als neuen König . (b) Die Parther hatten bereits während oder kurz nach ihrer erfolgreichen Kampagne in Armenien, wo Vologaises’ Feldherr Osrhoes das Heer des kappadokischen Statthalters M . Sedatius Severianus geschlagen hatte (161),68 auch im nahen Edessa (das in diesem Szenario zuvor entweder neutral, prorömisch oder in der Gefahr war, zu Rom abzudriften) interveniert und dort mit Wāʾel einen Prätendenten ihrer Wahl auf den Thron gehoben; der legitime Nachfolger Maʿnū bar Maʿnū rettete sich auf römisches Gebiet . Nach dem Sieg des Avidius Cassius über Vologaises und der Überschreitung des Euphrat 163 restaurierten die Römer die Abgaridendynastie und machten Maʿnū bar Maʿnū zum König .69 68 Allerdings stören Dios (71,2,1) Darstellung der Ereignisse, die zum Krieg führten, etliche Widersprüche . Womöglich hatten den Krieg in Armenien nicht die Parther, sondern die Römer selbst vom Zaun gebrochen: Gebhardt 2002, 120–125; Sommer 2017a, 81 . 69 Für die Variante 2a offensichtlich Luther 1999b, 189 . Insgesamt ist dies die am wenigsten überzeugende Lösung, da Wāʾel in ihr kaum unterzubringen ist . Nach der römischen Eroberung Edessas durch Avidius Cassius und M . Claudius Fronto (CIL VI 1377) kann die Usurpation Wāʾels nicht mehr erfolgt sein . Für einen

242 · VII. EdEssa und osrhoEnE Alle Varianten sind grundsätzlich mit der Information von der Rückkehr eines Königs aus römischem Exil und der sekundär überlieferten Erhebung der edessenischen Bevölkerung gegen eine parthische Garnison, noch vor Eintreffen der Römer, zu vereinbaren .70 Logisch die nächstliegende ist Variante 2b, also ein Zusammenhang zwischen der Usurpation Wāʾels und der Niederlage des Sedatius Severianus . Maʿnū bar Maʿnū hätte, so oder so, triftige Gründe gehabt, sich in seiner numismatischen Selbstdarstellung als »Römerfreund« zu bezeichnen . Oshroenes Status als römischer Klientelstaat wurde durch den Friedensschluss 166, diesmal endgültig, festgeschrieben, der edessenische König war faktisch ein rex datus .71 Dennoch besaßen Maʿnū bar Maʿnū und sein Sohn ʾAbgar VIII . bar Maʿnū auch ab 177/178 noch ein vergleichsweise hohes Maß an innerer Autonomie, das sich vor dem Hintergrund der Thronwirren im Vierkaiserjahr 193 und des Konflikts zwischen Septimius Severus und Pescennius Niger 193/194 in beträchtlichen, auch außenpolitischen, Handlungsspielraum ummünzen ließ . Wieder wird die Darstellung – in diesem Fall bei Cassius Dio –, obwohl fragmentarisch und verworren, vom Motiv der notorischen Unzuverlässigkeit, Vertragsbrüchigkeit und opportunistischen Verschlagenheit der orientalischen Dynasten beherrscht . Dio berichtet von einem Krieg des Severus gegen »die Osrhoener, die Adiabener und die Araber« .72 Osrhoener und Adiabener hätten sich erhoben (ἀπόσταντες) und die Stadt Nisibis belagert, die aber von den Truppen des Severus habe entsetzt werden können (ἡττηθέντες ὑπὸ Σεουήρου) . Nach der Niederlage hätten die Geschlagenen behauptet, sie hätten von Anfang an auf Severus’ Seite gestanden und lediglich die Soldaten Nigers vernichtet . Sie hätten Geschenke an den Kaiser gesandt, sich aber geweigert, die eroberten Festungen zu räumen, und den Abzug aller römischen Besatzungen gefordert . So sei es zum Krieg gekommen (διὰ ταῦτα ὁ πόλεμος οὗτος συνέστι) .73 Der Bericht, so undurchsichtig er im Detail ist, sagt einiges aus über die Verhältnisse im Mesopotamien des späten 2 . Jahrhunderts . Die Römer besaßen bereits in vorseverischer Zeit, vielleicht schon seit L . Verus, mit Nisibis eine Garnison im östlichen Mesopotamien, östlich von Edessa . Ihr Einflussbereich erstreckte sich damit bereits bis zum Tigris . Die Herrschaftsintensität in diesem Raum war aber gering,74 denn in der politischen Krise

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Putsch Wāʾels gegen Maʿnū bar Izaṭ ist in dieser Variante beim besten Willen kein sinnvoller Rahmen zu konstruieren, wenn man annimmt, dass der König als proparthisch von den Römern gestürzt wurde . Pseudo-Dionysios zum Jahr 2154 Abr .; Lukian . hist . conscr . 22; Prok . bell . Pers . 2,12,29 . Sommer 2017a, 83f . Cass . Dio 75,1,1–2 . Traditionell wird der Passus im Sinn einer Parteinahme ʾAbgars und der übrigen Dynasten Mesopotamiens für Pescennius Niger gedeutet: Angeli Bertinelli 1976, 34f .; Drijvers 1977, 876f . Davon ist jedoch, näher betrachtet, bei Dio keine Rede . Aus dem Bericht geht nur hervor, dass Adiabener und Osrhoener Nisibis, das über eine römische Garnison verfügte, belagerten und später behaupteten, sie hätten im Dienste des Severus gehandelt . Vorsichtig in der Deutung sind daher Millar 1993, 113, und Ross 2001, 48–50 . Angeli Bertinelli 1976, 30, spricht von einem »Protektorat« Roms über Mesopotamien . Ebd ., 31: »I risultati della vittoria [des L . Verus, M . S .] non si limitarono tuttavia soltanto ad una forma di nominale sovranità: fu

Von der makedonischen Kolonie zur römischen colonia · 243 des zweiten Vierkaiserjahrs erneuerte ʾAbgar sogleich alte Bande zu den Adiabenern und vermutlich auch zu Hatra, auf das sich die Erwähnung von »Arabern« bei Dio beziehen dürfte . Zugleich betrieb er die territoriale Erweiterung seines Königreichs . Dazu bot der Konflikt zwischen Severus und Niger, in dem auch der Partherkönig Vologaises und Barsemias von Hatra für Niger Partei ergriffen, eine vorzügliche Gelegenheit .75 Wäre Niger statt Severus Kaiser geworden, hätte ʾAbgar bereits Fakten geschaffen und vermutlich seinen Herrschaftssprengel und seine Autonomie Rom gegenüber beträchtlich erweitern können . Dass er zu diesem Zweck mit den Parthern, mit dem – parthischen – regnum Adiabene und – dem gleichfalls noch parthischen – Hatra, kooperierte, illustriert ein weiteres Mal die politische Unübersichtlichkeit an der Steppengrenze .76 ʾAbgar hatte aufs falsche Pferd gesetzt . Die Folgen waren für ihn gleichwohl weniger gravierend als für andere Bündnispartner des Niger, namentlich die Städte Byzantion und Antiocheia . Severus richtete zwar die neue Provinz Osrhoene ein und stellte so den größten Teil von ʾAbgars Königreich unter direkte römische Herrschaft .77 Aber ʾAbgar behielt seinen Thron, wenn auch auf erheblich reduziertem Gebiet . Die von Herodian für den zweiten Partherkrieg des Severus vermeldete »Flucht« ʾAbgars, mitsamt Stellung von Geiseln, gehört vermutlich also in denselben zeitlichen und logischen Zusammenhang, in dem Dio von einem Besuch ʾAbgars mit großem Pomp in Rom berichtet .78 ʾAbgar unterstrich so seine Loyalität zu Severus – und er bekräftigte sie mit einem Kontingent

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anche in pratica instaurato un regime militare, con guarnigioni stanziate in varie località del territorio ceduto ai Parti, oltre che a Kainepolis in Armenia, in Mesopotamia a Nisibis, nell’Adiabene […] .« Dass die Römer Adiabene kontrollierten, ist höchst zweifelhaft . Angeli Bertinellis Behauptung kann sich nur auf eine Stelle in der H . A . (Ver . 7 .1–2) stützen, der zufolge römische Truppen den Tigris überschritten hatten und in Adiabene und Media Atropatene eingefallen waren (166) . Freilich nahmen beide Augusti den Titel Medicus an . Doch für eine anhaltende Stationierung von Garnisonen im transtigridischen Raum gibt es keine Anhaltspunkte . Herodian . 3,1 . Angeli Bertinelli 1976, 35, spricht von einem regno vasallo der Römer . Zwar hatte es offenbar in den 180er Jahren Konflikte zwischen Adiabene und den Parthern gegeben, weil sich Narsai, der König von Adiabene, geweigert hatte, die Arsakiden bei einem Feldzug zu unterstützen; doch verschoben sich damit wohl nicht grundsätzlich die politischen Loyalitäten: Luther 2015, 292 . Erster prokuratorischer Statthalter der Provinz wurde C . Iulius Pacatianus, dessen cursus honorum epigraphisch überliefert ist (CIL XII 1856) . Die Provinz sparte aber Edessa und seine unmittelbare Umgebung aus, wie eine weitere Pacatianus erwähnende Inschrift belegt: Ross 2001, 50; ähnlich schon vor Auffindung der zweiten Inschrift Drijvers 1977, 878 . Ḥarrān (Karrhai) wurde, wie seine Münzen bezeugen, unter Septimius Severus römische Kolonie, ebenso wie Nisibis (Septimia Nisibis) und Rhesaina (Septimia Rhesaina) . Zu Nisibis auch Cass . Dio 75,3,2; Jones 1940, 221; Angeli Bertinelli 1976, 40 . Die Abgrenzung zwischen den severischen Provinzen Osrhoene und Mesopotamia ist nicht recht klar, beide Provinzen sind aber sicher bezeugt: Mesopotamia durch die Inschrift CIL VIII 9760, die Sex . Cornelius Honoratus als procurator sexagenarius der Provinz benennt . Nach Angeli Bertinelli (ebd .) umfasste Mesopotamia (»capitale era probabilmente Nisibis«) den östlichen, Osrhoene den westlichen Teil Obermesopotamiens . Die Römer errichteten, obwohl Edessa als autonomes Königreich erhalten blieb, vermutlich noch unter Septimius Severus ein Militärlager in unmittelbarer Nähe der Stadt . Herodian . 3,9,2; Cass . Dio 80,16,2 .

244 · VII. EdEssa und osrhoEnE Bogenschützen, das er ihm zur Verfügung stellte . Severus war unterdessen vollauf beschäftigt mit dem Kampf gegen seinen westlichen Widersacher, Clodius Albinus . Die Loyalität und mehr noch die Bogenschützen ʾAbgars waren ihm gewiss eine willkommene Hilfe . Darin allein dürften die Gründe für die – vorläufige – Schonung des edessenischen Königtums gelegen haben .79 Es war Caracalla, der Mitte Mai 213 die Autonomie des Restkönigreichs aufhob und Edessa in die Provinz Osrhoene integrierte .80 Damit muss Edessa noch nicht zur colonia geworden sein, als die es erst ab der Regierungszeit Elagabals sicher belegt ist .81 Über die Gründe lässt sich nur spekulieren: Möglicherweise offenbarten erneute Expansionsgelüste Edessas und innere Querelen im Königreich die Schwächen im System der indirekten Herrschaft;82 vielleicht bot der Thronwechsel kurz zuvor, von ʾAbgar bar Maʿnū zu dem nur kurz regierenden ʾAbgar Severus,83 eine willkommene Gelegenheit zur Annexion; vermutlich hielt man auch in Rom die Lage an der Ostperipherie für so ungefährlich, dass man der stabilisierenden Wirkung indirekter Herrschaft nicht mehr zu bedürfen meinte und womöglich glaubte, man könne die zunehmend integrierte, vielleicht sich sedenta-

79 Ross 2001, 51: »Loyalty to Severus, at this juncture, was more important than loyalty to Rome .« Zum Besuch in Rom ebd ., 56f . ʾAbgar stellte sich in der Münzprägung in die Tradition der Römerfreunde . Er ließ Münzen prägen mit seinem Bildnis und dem des Kaisers, so die besonderen Bande der Solidarität zwischen Edessa und der severischen Dynastie unterstreichend . 80 Cass . Dio 78,12 .1 . Danach überlistete Caracalla den edessenischen König ʾAbgar IX . Severus (den Nachfolger ʾAbgars VIII .), indem er ihm vorspiegelte, er sei sein Freund, ihn dann aber verhaften ließ . Das nunmehr »königlose« (ἀβασιλεύτον) Osrhoene »brachte er in seine Hände« (ἐχειρωσατο), mit anderen Worten: Er schlug es der bestehenden Provinz zu . Wenig zur Datierung trägt die Chronik des Ps .-Dionys . 2233 bei: »Hier endete das Königreich der Edessener; die Herrschaft ihres Reiches hielt 352 Jahre .« Vom Ende des Königreichs wird nur beiläufig im Anschluss an die Ereignisse um die Ermordung Caracallas, die Herrschaft des Macrinus und Elagabals berichtet . Keinerlei Informationen liefert das Chron . Ed . Die Datierung ist aber aufgrund syrischer Archivdokumente aus der Zeit Gordians III . gesichert, die nach Regierungsjahren des Kaisers, nach Konsuln, SÄ und nach Jahren der »Freiheit« (»Befreiung« von der Königsherrschaft – Eingliederung in die Provinz) Edessas datieren und Eingang in die Chronik des Elias von Nisibis fanden: Luther 1999b, 193; Ross 2001, 58; Luther 2008b, 505 . Der Schluss von Teixidor 1989, 219, mit »Freiheit« sei automatisch auch die Erhebung Edessas in kolonialen Status gemeint, ist alles andere als zwingend . So unbeweisbar wie vage ist aber auch die Behauptung bei Luther 1999b, 192, Edessa habe sich trotz der Eingliederung in die Provinz einen »autonomen Status« bewahrt . 81 Durch Münzen mit der Legende ΜΗΤ ΚΟΛ ΕΔΕΣΣΗΝΩΝ: Hill 1922, 99–112 . Ross 2001, 59, meint, Edessa sei in mehreren Schritten von einem municipium zur colonia und dann zur metropolis aufgestiegen . 82 In einem Dio-Fragment (Cass . Dio 78 12 .1a) ist von der Unterwerfung »verwandter Stämme« (ἐν κράτει τῶν ὁμοφύλων ἐγένετο) und ihrer »Romanisierung« durch ʾAbgar von Edessa die Rede . Der zeitliche Zusammenhang ist unklar, doch stellen sämtliche Texteditionen das Fragment dem Bericht über die Annexion Edessas durch Caracalla voran . 83 Die Regierungszeit des ʾAbgar Severus betrug nach Ps .-Dionys . (2203) nur 1 Jahr und 7 Monate . Das ist vermutlich noch zu hoch gegriffen, da ʾAbgar VIII . bis 212 regierte, ausweislich der Dokumente aus Dura-Europos aber bereits 213 die »Befreiung« (Annexion) Edessas erfolgte: Luther 1999b, 193, der eine Regierungszeit von sieben Monaten annimmt .

Von der makedonischen Kolonie zur römischen colonia · 245 risierende Nomadengesellschaft Osrhoenes künftig direkt, über das zur Polis zurückverwandelte Edessa, kontrollieren und besteuern, statt indirekt über eine lokale Dynastie .84 Wie immer das Kalkül lautete, das Rom mit der Annexion Edessas verband, es ging auf längere Sicht nicht auf .85 Die militärische Lage in Mesopotamien veränderte sich mit dem Auftreten der Sasaniden dramatisch zu Roms Ungunsten .86 Es ist zu fragen, wie sich die Aufhebung des osrhoenischen Königtums in diesem politischen Umfeld auswirkte . Vermutlich ließ sie den bisher von Edessa aus kontrollierten Stämmen nicht weniger, sondern mehr Aktionsspielraum . Dem erst zur freien Polis (wohl unter Caracalla), dann zur colonia (unter Elagabal), schließlich zur μητρόπολις (unter Severus Alexander) avancierten Edessa fehlten alle Voraussetzungen zur wirkungsvollen Integration und Kontrolle der das nördliche Mesopotamien bevölkernden Stämme – die fragile Statik der polymorphen Gesellschaft zerbrach unter dem römischen Expansionsdruck .87 Allzu leicht wird im Kontext der Krise, in welche die römische Herrschaft im Orient mit dem Kollaps des Partherreichs geriet, die Rolle der mobilen Stämme übersehen, die 84 Ross 2001, 62–64 . Ein solches Vorgehen der Römer fügt sich nahtlos in das hier gezeichnete Bild römischer Herrschaft an der Steppengrenze . Rom begegnete den Schwierigkeiten, seine über Städte vom Polis-Typus als Machtzellen vermittelte Herrschaft in der nomadischen bzw . dimorphen Umgebung auszuüben, mit einem trial­and­error-Verfahren, in dem sich vorsichtige Zurückhaltung (mit Präferenz indirekter Herrschaft) und offensiver Annexionismus mehrfach abwechselten . 85 Die innere Struktur Edessas als colonia wird nur in Umrissen deutlich . Sicher ist, dass ein Maʿnū, Vater des späteren Königs ʾAbgar X . und vermutlich Sohn des von Caracalla abgesetzten ʾAbgar IX . Severus, für sich den iranischen Titel paṣgribā behielt . Zu diesem Titel, der so viel wie ›designierter Nachfolger‹ bedeutete, Gnoli 2000b, 74–66; Gnoli 2002, 84 . Vgl . das Dokument P 2 aus dem syrischen Familienarchiv in Dura-Europos, abgedruckt in Teixidor 1989, 220 und 224 . Das Festhalten am Kronprinzen-Titel erinnert frappierend an das Verhalten rezenter, unfreiwillig von der Herrschaft zurückgetretener Dynastien und ist wohl so zu deuten, dass sich die Abgariden nicht mit dem Thronverlust abfinden mochten . Für die Zeit des Alexander Severus ist die Beteiligung osrhoenischer Bogenschützen am Alamennenkrieg des Severus (234) mehrfach bezeugt (Cass . Dio 78,14,1; Herodian . 6,7,8; 7,1,9; 7,2,1; H .A . Sev . Alex . 61,8; Max . duo 11,1; 11, 7f .; CIL XI 3104; XI 3104; XIII 6677a) . Bemerkenswert ist die offensichtliche Rekrutierung des provinzialen Führungspersonals aus lokalen Familien: Der laut Jakob von Edessa »anstelle eines Königs« (282/211) eingesetzte »Aurelianus, Sohn des Ḥabsay« (ʾwryʾlynws br ḥbsyʾ), war, so ist zu vermuten, der Spross einer Familie, die lokale Positionen in Edessa, darunter das eponyme Strategenamt, bekleidete: Ross 2001, 68 . 86 Die Provinzen Mesopotamia und Osrhoene waren seit den 220er Jahren akut bedroht . Vielleicht eroberten die Sasaniden in der Regierungszeit des Maximinus Thrax (235–238) Karrhai und Nisibis (Synk . 681) und wären damit bis auf wenige Kilometer an Edessa herangekommen (wobei fraglich ist, ob die Sasaniden überhaupt, angesichts dessen, dass im fraglichen Zeitraum noch eine römische Garnison in Hatra lag, bis nach Karrhai und Nisibis vorstoßen konnten) . Mit dem Fall Hatras (240) und der Vernichtung von Dura-Europos (256/257) änderte sich die militärische Lage, war das römische Mesopotamien nahezu schutzlos sasanidischen Angriffen ausgesetzt . Gordian III . holte zwar zum Gegenschlag aus (242–244), eroberte wichtige römische Bastionen (Rhesaina, Karrhai?, Nisibis?, Singara?) zurück und drang bis Babylonien vor, konnte aber Mesopotamien nicht dauerhaft stabilisieren: Millar 1993, 150f . 87 Die Chronologie erschließt Ross 2001, 59, aus dem in den Papyrus-Dokumenten vom mittleren Euphrat überlieferten Stadtnamen Edessa Antoniana (= Antoniniana für Caracalla) Colonia Metropolis Aurelia (für Elagabal) Alexandreia (für Severus Alexander) .

246 · VII. EdEssa und osrhoEnE zunehmend der Kontrolle durch Territorialstaaten entglitten und als Freie Radikale mehr und mehr zu einer Größe im politischen Wettbewerb zwischen den rivalisierenden Großreichen wurden . Die Liquidation des Königreichs Osrhoene durch die Römer 212/213 bildete den Auftakt zu einer neuen Annexionswelle von West wie Ost auf Kosten der autonomen Staaten an der Steppengrenze: Den Feldzügen der Sasaniden fielen ab 224 Charakene und Adiabene sowie weitere ehedem parthische regna zum Opfer, später auch Hatra, der aurelianischen Reconquista schließlich Palmyra . Für die so auch hausgemachte Instabilität seiner Ostgrenze bezahlte Rom einen hohen Preis: Mit erheblichem Aufwand zog Diocletian seine Befestigungslinie durch das Nomadenland, ohne jedoch die Stämme wirklich dauerhaft befrieden zu können . Die Option einer indirekten Kontrolle der Frontier hatte Rom ohne zwingende Not selbst aus der Hand gegeben .88 Die Polis und spätere μητρόπολις Edessa verharrte gleichwohl in einem Schwebezustand – jedenfalls die Abgariden-Dynastie war noch nicht vollständig in den neuen Realitäten angekommen und fand sich nicht mit der von Rom verordneten Provinzialisierung ab . Maʿnū, der Sohn ʾAbgars VIII ., hielt, sozusagen als König im Wartestand, an dem Prestigetitel paṣgriba fest und so, in der Sache anderen abgedankten Herrschern aller Epochen vergleichbar, seine Anwartschaft auf die Herrschaft und die Ansprüche seiner Dynastie aufrecht .89 Seinen Sinn konnte der Appell an das politische Gedächtnis, für sich genommen ein Anachronismus, allein aus der Existenz von Gruppen in der Stadt beziehen, die dem Abgariden-Regime nachtrauerten und sich der Dynastie in einer Interessenkoalition verbunden wussten – also jenes Personenkreises, der vordem die politisch-soziale Führungsebene des Königreichs gestellt hatte und seine Hoffnungen auf eine Restauration der Monarchie setzte . Doch gab es ebenso Profiteure des Umbruchs, an deren Loyalität zu Rom kein Zweifel bestehen konnte: Als neue grundbesitzende Elite könnten sich etwa jene Angehörigen der Auxiliarverbände gefühlt haben, die Rom nach Ablauf ihrer Dienstzeit in der Provinz Osrhoene ansiedelte .90 Damit wird die lokalgeschichtliche Dimension der römischen Annexionspolitik deutlich: Sie bedeutete einen Eingriff ins soziale Gefüge und wirkte mittelfristig polarisierend . Unter den prekären Bedingungen des quasi-endemischen Krieges mit den Sasaniden waren die Auswirkungen geradezu verheerend . Edessa, obzwar römische colonia und gar 88 Einen möglichen Nachhall findet die Destabilisierung der römischen Grenzzone Syriens und Obermesopotamiens von innen heraus in einer kryptischen Passage aus dem Schlussabschnitt der Dio-Epitome des Xiphilinos (Cass . Dio 80,3), in der von sich häufenden Meutereien in römischen Garnisonen der fraglichen Region die Rede ist . Dass sich die römischen Verbände, zumal im Konfliktfall, in größerem Umfang aus Angehörigen der lokalen Stämme zusammensetzten, lassen die Nachrichten von den, auch reichsweit eingesetzten, sagittarii Osroeni vermuten, die vielfach das Rückgrat offensiv operierender Truppenteile bildeten (Cass . Dio 78,14,1; H .A . Sev . Alex . 61,8; H .A . Max . duo 11,1; 11,7f .; Herodian . 3,9,2) . 89 Millar 1993, 477: »king in waiting« . Vgl . Gnoli 2002, 85 . 90 In diesem Sinne Ross 2001, 67: »The later-attested titulature of Colonia Edessa makes it plausible that Alexander granted the city metropolitan status at this time, simultaneously with the settlement there of a group of retired Osrhoenian auxiliaries .«

Von der makedonischen Kolonie zur römischen colonia · 247

Abb. 7.3: Münze, Æ, des restaurierten Königreiches Osrhoene, ca. 138–142 n. Chr. Av.: drapierte Büste Gordians III. mit Strahlenkrone nach rechts. ΑΥΤΟΚ(ρατωρ) Κ(αισαρ) Μ(αρκος) ΑΝΤ(ωνιος) ΓΟΡΔΙΑΝΟC CΕΒ(αστος). Rv.: drapierte Büste Abgars X. mit Tiara nach rechts. ΑΒΓΑΡΟC ΒΑCΙΛΕΥC

μητρόπολις, blieb ein unsicherer Kantonist im östlichen Glacis des Imperiums . Nur so lässt sich der abermalige Schwenk verstehen, den Gordian III . um 238/239 vollzog, als er den provinzialen Status Edessas wieder aufhob und Aelius Septimius ʾAbgar (X .), den Sohn des paṣgriba Maʿnū, als König einsetzte . Dessen Herrschaft dauerte nur wenige Jahre: Bereits im September des Jahres 242 war Edessa, jedenfalls dem Namen nach, zum kolonialen Status zurückgekehrt .91 Zu denken gibt auch die Terminologie: Aelius Septimius ʾAbgar sei mit der ὑπατεία (hpṭyʾ) geehrt worden . Mit einem Konsulat – für das der griechische Terminus hypateia die genaue Entsprechung wäre – wird der edessenische Herrscher nicht ausgezeichnet worden sein . Wenig spricht für die Annahme, dass ʾAbgar damit ein consularis, also ein Provinzstatthalter konsularischen Ranges, wurde .92 Möglich wäre, dass er als Reverenz schlicht die ornamenta consularia entgegennahm, was politisch ohne weitere Bedeutung

91 Die Chronologie erhellen die Papyrusfunde vom mittleren Euphrat . P . Euphr . P 2 datiert in den Monat Dezember des Jahres 552 SÄ (240 n . Chr .) und »in das zweite Jahr des Königs Aelius Septimius ʾAbgar, des Sohnes von Maʿnū, dem paṣgriba« – ʾAbgar kann also nicht nach 239 auf den Thron gelangt sein . Wenig später, im September des Jahres 553 SÄ (241 n . Chr .), ist Edessa zur Jahreszählung der colonia zurückgekehrt: »Im Jahr 30 der Freiheit der namhaften Edessa Antoniana colonia mētropolis Aurelia Alexandreia« (P . Euphr . P 3) . Zur Chronologie: Teixidor 1989, 219–222; Brock 1991; Ross 1993; Gnoli 2000a, 67–88; Luther 2008b, 507f . 92 Dann hätte die griechische Entsprechung ὑπατικός, die aramäische Umschrift hpṭq gelautet . So aber Teixidor 1989, 220 .

248 · VII. EdEssa und osrhoEnE

Abb. 7.4: Münze, Æ, des restaurierten Königreichs Osrhoene, ca. 138–142 n. Chr. Av.: drapierte Büste Gordians III. mit Lorbeerkranz. ΑΥΤΟΚ(ρατωρ) Κ(αισαρ) Μ(αρκος) ΑΝΤ(ωνιος) ΓΟΡΔΙΑΝΟC CΕΒ(αστος). Rv.: Gordian III., sitzend nach rechts, überreicht Abgar X., stehend nach links, die Figurine einer geflügelten Nike. ΑΥΤΟΚ(ρατωρ) ΓΟΡΔΙΑΝΟC ΑΒΓΑΡΟC ΒΑCΙΛΕΥC

gewesen wäre .93 Vor dem Hintergrund der umwälzenden Ereignisse jener Jahre ist ein Deutungsansatz plausibler, der mit dem Begriff eine konkrete politisch-militärische Funktion verbindet: In die Defensive gedrängt, setzte Rom wieder verstärkt auf lokale Führer und stattete einen von ihnen, eben ʾAbgar, mit einem imperium maius aus, wie es später Iulius Priscus, der Bruder des Philippus Arabs, und der Sache nach auch Odainat von Palmyra innehatte .94 Fugenlos in diesen Rahmen passt die Selbstdarstellung ʾAbgars auf seinen Münzen, die er im Namen Gordians III . prägte (Abb . 7 .3 und 7 .4) . Bekannt sind insgesamt drei Serien; auf allen prangt das Bildnis des Kaisers auf dem Avers . Auf dem Revers der ersten erkennen wir die Büste ʾAbgars im Königsornat mit Tiara . Deutlicher im militärischen Kontext ist der zweite Typus verankert: Der ΒΑCΙΛΕΥC ΑΒΓΑΡΟC steht auf dem Revers einem (interessanterweise nicht auf einer sella curulis) sitzenden, mit Pfeil und Lanze bewaffneten, aber mit der Toga bekleideten ΑΥΤΟΚΡΑΤ(ωρ) ΓΟΡΔΙΑΝΟC gegenüber und bietet ihm in der ausgestreckten Hand eine geflügelte Nike dar . In jedem Fall demonstrierte ʾAbgar mit beiden Prägungen eine besondere Vertrauensstellung zum römischen Kaiser; dass sie militärischer Natur war, legt die Ikonographie, namentlich die  Überreichung der Nike, unmittelbar nahe . In diese Richtung weist auch der drit93 Gawlikowski 1998, 425; Drijvers/Healey 1999, 240 . Unbestimmt Millar 1993, 478 . 94 In diesem Sinne überzeugend zuerst: Gnoli 2000b, 73 . Vgl . Ross 2001, 80f .; Gnoli 2007c 43f .

Von der makedonischen Kolonie zur römischen colonia · 249 te Typ:  Das Revers zeigt einen reitenden ʾAbgar, offensichtlich in Siegerpose, auf dem Avers ist wiederum Gordian dargestellt . ʾAbgar könnte also vor dem Hintergrund der zweiten sasanidischen Expansionswelle der späten 30er Jahre, die Šābuhr in den kurzzeitigen Besitz von Nisibis und Karrhai brachte und somit Edessa zum letzten römischen Vorposten in Mesopotamien werden ließ, bereits die nachmalige Position des Iulius Priscus als rector Orientis vorweggenommen haben . Die Münzen könnten dann die Übertragung des Kommandos an ʾAbgar und einen möglichen militärischen Erfolg des Königs propagiert haben .95 Sogar noch komplexer wird das Bild, wenn man die lokale historische Überlieferung – in diesem Fall den Bericht des Elias von Nisibis – einbezieht . Danach erlosch das edessenische Königtum nicht mit ʾAbgar X ., und ʾAbgar X . war auch nicht der erste Angehörige der osrhoenischen Dynastie, der in den Genuss der restituierten Königswürde kam . Ein gewisser ʾAbgar Šapirā (›der Schöne‹) habe um 218/219 für wenige Jahre den Thron erklommen, den er bis 220/221 behauptet habe, so die nominelle Herrschaft des ›Kronprinzen‹ Maʿnū unterbrechend . Und erst im Jahr 560 SÄ (248 n . Chr .) lässt Elias von Nisibis das edessenische Königtum enden – freilich, ohne für den verbleibenden Zeitraum Namen von Königen zu nennen .96 Abermals scheint Edessa in einen Schwebezustand zwischen Autonomie und Provinzialisierung geraten zu sein . Eine wirklich kohärente Politik der orientalischen Steppengrenze gegenüber ist aus alledem nicht ersichtlich . Vielmehr setzte sich im 3 . Jahrhundert, angesichts vielfältiger Herausforderungen, jenes trial­and­error-Verfahren fort, das auch schon um die Zeitenwende Roms Agieren seinen östlichen Vasallen und Nachbarn gegenüber beherrscht hatte . Gleichwohl schälten sich in der frühen Soldatenkaiserzeit neue Herrschaftsmechanismen von reichsweit richtungweisender Bedeutung heraus . Vor allem wurden militärische Kommandostellen, weit stärker als zuvor, regionalisiert und zugleich Befehlshabern anvertraut, die lokal verwurzelt waren . So wurde, wie später bei Odainat, die Grenze zwischen lokaler Herrschaft und römischem, vom Kaiser verliehenen imperi­ um verwischt .97 95 Zur Ikonographie der presentation coinage ausführlich Ross 2001, 148–158 . Den eigentümlichen Stuhl, auf dem Gordian III . sitzt, interpretiert Ross (ebd ., 158) als »an idiosyncratic seat on which the emperor sat when he received ʾAbgar in 239: a piece of furniture whose symbolic significance, if any, is irretrievable .« Die außerordentliche regionale Bedeutung des edessenischen Königtums und seiner Wiederbelebung unterstreichen Münzhortfunde aus Dura-Europos: Von insgesamt 1136 gefundenen Münzen stammen 828 aus der Zeit Gordians III ., von denen wiederum 620 (75 Prozent) das Bildnis ʾAbgars tragen, während nur ein Viertel die Tyche der colonia zeigt . Die Münzen ʾAbgars X . fanden also weite Verbreitung in der Frontier-Zone, ein möglicher Anhaltspunkt auch für militärische Verwicklungen . 96 Eine genaue Analyse des textlichen Materials bei: Luther 1999b, 194; Gnoli 2000b, 76–79 . 97 Das imperium maius des Iulius Priscus behandelt ausführlich Körner 2002, 55–63 . Ebd ., 60f ., auch Beispiele für ähnlich provinzübergreifende Sonderimperien im Orient: des Agrippa (23 v . Chr .), des Germanicus (18 v . Chr .), des Domitius Corbulo (63 n . Chr .) sowie des Odainat (260) . Alle früheren Kommanden dieser Art wurden jedoch von Personen aus dem Westteil des Reiches bekleidet . Zur politisch-militärischen Organisation in der späteren Soldatenkaiserzeit und Tetrarchie Kuhoff 2001, 327–483 .

250 · VII. EdEssa und osrhoEnE Nur indirekt fassbar wird die politische Identität der Edessener . Keinesfalls zeugen Texte und Münzen von uneingeschränkter Loyalität der Bevölkerung gegenüber Rom .98 Zunächst sind sie Zeugnisse der Selbstdarstellung eines Herrschers, der als faktischer rex datus seine herrscherliche Autorität von Roms Gnaden bezog . Es war der Situation mehr als angemessen, dass er auf den Münzen sich und sein Königtum zu Gordian in Beziehung setzte . Auf die Erwartungen der Untertanen reagierte ʾAbgar aber mit einer völlig anderen Symbolik: Bewusst und für jeden erkennbar griff er Elemente der lokalen Tradition auf: den ›parthischen‹ Herrscherornat, mit Reithose, Kaftan und vor allem der hohen Tiara, Vollbart und Haartracht, sowie, als subtilere Zeichen, den Huldigungsgestus und die Präsentationsszene mit sitzendem Kaiser und stehendem König, ferner Darreichung der Nike . Selbst die Darstellung des römischen Kaisers – so römisch er in paludamentum und Brustpanzer bzw . Toga auch wirkt – ist in einen ikonographischen Kontext eingebunden, der eklektisch divergierende Traditionen verbindet und verschiedene Erwartungshaltungen bedient . Ähnliche Szenen begegnen erstmals auf neuassyrischen Reliefs, Darstellungen der Investitur von Königen durch eine Gottheit .99 Auf eine ähnliche Komposition griffen parthische Münzen zurück: Sie zeigen den sitzenden König in der Gegenüberstellung mit einer Tyche . Ob von den assyrischen Bildwerken eine direkte Traditionslinie hierher führt, ist fraglich; doch scheint beiden eine Variante des sakralen Königtums zugrunde zu liegen, die im mesopotamischen Raum auf eine lange Geschichte zurückblicken konnte .100 Schließlich gibt es römische Münzbilder, die regna adsignata oder einen rex datus zum Gegenstand haben und einen Kaiser zeigen, der dem eingesetzten König das Diadem überreicht .101 Das edessenische Münzbild ist ohne Präzedenzfall – es folgt offensichtlich keiner etablierten Darstellungskonvention, eignet sich aber vorhandene Muster an und unterlegt ihnen einen neuen Sinn . Die Gründe für Edessas erneute und endgültige Rückkehr zum provinzialen Status liegen vollständig im Dunkeln . Vielleicht erwies sich die Installierung ʾAbgars X . für 98 So aber Ross 2001, 82, der in dem Münzprogramm einen Reflex doppelter politischer Identität zu sehen scheint: »[…] had the dual status of subjects of the king and citizens of the empire .« 99 Ein Relief aus Ninive stellt den assyrischen Herrscher in sitzender Pose mit einem Bogen und einem Bündel aus Pfeilen als Symbolen der Macht dar: Orthmann 1975, Tf . 206 . 100 Prinzipiell mindestens seit der frühdynastischen Zeit, als Könige sich als Erwählte der Götter verstanden . Grundlegend noch immer Frankfort 1948, besonders 238–240 und 243–248 (über die Inthronisierung von Königen) . 101 Zur typologischen Einordnung des Präsentationsmotivs Gesche 1969 und wieder Ross 2001, 155–157 . Keine der drei zum Vergleich herangezogenen Darstellungskonventionen entspricht in ihrer Semantik vollständig dem edessenischen Münzbild . Die assyrischen Reliefs und parthischen Münzen zeigen einen Herrscher, der einer Gottheit gegenübersitzt, die eine Investitur vornimmt bzw . ihn an ihrem Charisma teilhaben lässt . Die römischen Münzen aus der Zeit des Trajan und L . Verus zeigen den Kaiser bei der Investitur: Er ist in diesem Fall der Darreichende, der seinem Gegenüber das Diadem gibt . Die Präsentationsszene zeigt aber ʾAbgar als den, der etwas überreicht – den symbolisch in die Gestalt der Nike gekleideten (errungenen oder erhofften) Sieg über die Sasaniden .

Edessa u nd Osrhoene · 251

Abb. 7.5: Münze, Æ, der colonia Edessa, 142–144 n. Chr. Av.: drapierte Büste Gordians III. mit Strahlenkrone nach rechts. Α(υτοκρατωρ) Κ(αισαρ) Μ(αρκος) ΑΝΤΩ(νιος) ΓΟΡΔΙΑΝΟC. Rv.: Roma, auf einem Schild sitzend nach links, mit geflügelter Nike in der Hand, wird von einer Tyche, nach links, bekränzt. ΕΔΕCCΑΑΙΩΝ

Rom als Fehlschlag; vielleicht zwangen, wenn die Annahme rivalisierender Gruppen in der Stadt richtig ist, interne Konflikte Rom zur Aufhebung des Königtums; denkbar ist schließlich auch, dass ʾAbgar X . als römischer Befehlshaber scheiterte und in einer uns nicht überlieferten Schlacht gegen die Sasaniden fiel . In jedem Fall erschienen noch unter Gordian Münzen mit dem Bildnis der Tyche, Symbol der colonia Edessa und ihrer städtischen ›Freiheit‹, die das Ende von ʾAbgars kurzem Intermezzo auf dem Thron anzeigen (Abb . 7 .5) . Das Revers der Münzen ziert, wie die Münzen der vorherigen colonia, die nun aber stärker stilisierte Tyche als Büste; ihr vis-à-vis befindet sich eine kleine Figurine, die ein nicht näher bestimmbares Objekt in der Hand hält .102 Die Symbolik des Bildes ist schwer zu ergründen: Steht die Rückkehr zu der ja von den Antiochenern abgekupferten Tyche für den Sieg einer antimonarchischen, für das Polis-Modell eintretenden Partei? Oder drückt sich gerade umgekehrt in der Figurine mit dem – so ließe sich mutmaßen – anikonischen Kultgegenstand das Festhalten an epichorischen religiösen Traditionen aus?

102 Ross 2001, 158–161 .

252 · VII. EdEssa und osrhoEnE

Zwischen Tradition und Innovation: Edessas Weg ins römische Imperium An Hinweisen auf eine Lagerbildung innerhalb der edessenischen Gesellschaft, wie sie auch im benachbarten Kommagene erkennbar ist,103 mangelt es nicht, wenn wir den verschiedenen Zeugnissen Beachtung schenken . Da sind zum einen die Veteranen, die ein neues Element in die lokalen Gesellschaften einbrachten . Anders als in der Palmyrene spielte in Osrhoene die Ansiedlung ehemaliger Soldaten eine größere Rolle . Sie in die Struktur des Königreichs zu integrieren bzw . zu reintegrieren, war vermutlich keine leichte Aufgabe . Auch andere Gruppen, vielleicht ein Teil der Elite, mögen sich von der Abschaffung der Monarchie zugunsten des Polis-Modells Vorteile versprochen haben . Aufschluss über die soziale und politische Organisation des Königreichs können, mangels eines nennenswerten archäologischen Befunds für die Stadt Edessa, nur die syrischen Texte – unter Einschluss von Inschriften, Papyrus- und Pergamentfunden – geben, die beiläufig und verstreut Informationen enthalten . Obwohl in ihrer Entstehung weit späteren Datums, hat sich in der Einleitungssektion der Chronik von Edessa ein Text erhalten, der die Topographie der Stadt zu Anfang des 3 . Jahrhunderts genauestens wiedergibt . Es handelt sich um die authentische Schilderung einer Überschwemmungskatastrophe, die Edessa im Jahr 201 n . Chr ., während der Herrschaft ʾAbgars VIII . ›des Großen‹, heimsuchte .104 Der Fluss Daiṣan war über die Ufer getreten . Er hatte große Teile des Stadtgebiets überflutet und zerstört, darunter den königlichen Palast mit seinen Gebäuden und Stoai . Zerstört wurden auch die »schönen und herrlichen Bauten« im Umfeld des Palastes, »das Heiligtum der christlichen Kirche« und die »Buden« der »Handwerker«, die sich längs des Flusses befanden . 2000 Menschen kostete die Flut nach Angaben der Chronik das Leben . ʾAbgar ordnete den Wiederaufbau der Stadt und zu ihrer Repeuplierung einen Steuererlass von fünf Jahren an . Er verbot ausdrücklich die Wiederbebauung flussnaher Stadtbezirke, eine Maßnahme, die ihn selbst, die Aristokraten und vor allem die Handwerker betraf . Der Palast wurde oberhalb der Quelle neu errichtet, nachdem der König zwischenzeitlich seine Sommerresidenz in dem höhergelegenen Stadtteil Bēth Tabārā bezogen hatte . Die Aristokraten (»seine Großen«) siedelten sich in der unmittelbaren Nachbarschaft 103 Hier allerdings, angesichts der wesentlich früheren Absorption ins Imperium, zu einem früheren Zeitpunkt . Bedeutsam ist die Nachricht bei Ios . ant . Iud . 18,2,5 und bell . Iud . 7,7,1–3, dass nach dem Tod des kommagenischen Königs Antiochos III . ein innenpolitischer Konflikt ausbrach: Die »Mächtigen« befürworteten eine Provinzialisierung Kommagenes, die übrige Bevölkerung wollte am Königtum festhalten: Facella 2006, 316–318 . In Osrhoene verlief die politische Lagerbildung dem Anschein nach entlang anderer sozialer Frontstellungen . 104 Chron . Edess . (Chron . Min . 1–3/3–4) . Zu der Authentizität der Quelle und Fragen der nachträglichen Redaktion Ross 2001, 106 . Vermutlich handelte es sich um Dokumente, die in den Archiven von Edessa verwahrt wurden . In Chron . Edess . 1 findet sich der Hinweis, dass Māryabh bar Šemeš und Qāyōmā bar Magarṭaṭ, »edessenische Schreiber«, »auf Befehl des Königs ʾAbgar« für die Aufzeichnung verantwortlich gewesen seien .

Edessas Weg ins römische Imperium · 253 des neuen Palastes an, und die Handwerkerbuden wurden »auf den Rat der Geometer und Weisen hin entsprechend der natürlichen Breite des Flussbetts […] errichtet .« Die Schilderung verrät an einer einzigen Stelle den Einfluss griechischer Architektur auf die mesopotamische Stadt: Zum durch die Flut zerstörten Königspalast gehörten – der Text greift ausdrücklich auf den griechischen Terminus in syrischer Umschrift zurück – Stoai . Die Nachricht korrespondiert mit synchronen Baubefunden aus Hatra, wo im ersten Jahrhundert Portiken als Bauteile von Sakralbauten errichtet wurden . Hellenistische Architektur hatte also in Edessa Fuß gefasst . Die Angaben zur Architektur sind aber so allgemein gehalten, dass sich weitergehende Aussagen über Stileinflüsse nicht treffen lassen . Schon anders steht es um die funktionale Bedeutung des Palastes . Eine wichtige Information enthält die Schlusspassage des Textes, die von dem Steuererlass handelt . ʾAbgar bezieht all jene, die sich »innerhalb der Mauern aufhalten«, also die Bürger der Stadt, sowie diejenigen, die »in den Dörfern und Feldern« wohnen, in die Maßnahme ein . Nomaden werden – bezeichnenderweise – nicht genannt . Stadtbürger wie Bauern hingegen waren gleichermaßen abgabenpflichtig, und zwar jeweils direkt der Krone . Zwar mag es auch Pächter auf Privatgütern gegeben haben – die Formulierung schließt dies keineswegs aus –, doch scheint das Gros der Bauern Land bewirtschaftet zu haben, das der Krone (mit einem anderen Wort: dem ›Palast‹) gehörte . Die Abgaben der Städter und vor allem der Bauern bildeten die Einnahmenseite eines vermutlich redistributiven Wirtschaftskreislaufs . Auf der anderen Seite finden wir die »Handwerker«, die mit ihren »Buden« zu den Anwohnern des Flusses gehört hatten und durch ʾAbgars Verfügung zwangsumgesiedelt wurden . In welchem Verhältnis standen sie zum Palast? Dass sie völlig selbständig agierende Gewerbetreibende waren, ist denkbar, doch wenig wahrscheinlich . Die Quelle suggeriert einen anderen Status: Die Handwerker waren vor wie nach der Flut auf ein Viertel konzentriert (das war in vielen Städten des Westens wie des Ostens so); sie genossen keine Ansiedlungsfreiheit, sondern unterlagen der Direktive des Königs (das ließe sich noch mit dessen Prärogativen in städtebaulichen Fragen erklären), und der Wiederaufbau der Werkstätten geschah nicht auf individuelle Initiative hin, sondern gleichsam nach einem Masterplan des Palastes . Die Handwerker scheinen also in einem bestimmten Abhängigkeitsverhältnis zur Krone gestanden zu haben . Alles spricht dafür, dass sie als königliche Entrepreneurs Glieder eines Redistributionskreislaufs waren, der die Wirtschaft Edessas weitgehend regulierte . Noch enger ins System einer administrierten Wirtschaft eingebunden waren indes die »königlichen Werkleute«, die im oberen Teil der Stadt, dort, wohin ʾAbgar nach der Flut seinen Palast verlegte, wohnten . Damit hatte Edessa zwei Klassen von Handwerkern, die auf je unterschiedliche Weise vom Palast unterhalten wurden . Hierin stand die osrhoenische Hauptstadt, wenigstens solange die Abgariden herrschten, einer Konsumentenstadt altmesopotamischen Zuschnitts mit institutionellem Großhaushalt typologisch wohl näher als einer Polis . Instruktiv ist auch die funktionale Gliederung des Stadtgebiets, soweit sie aus dem Text ersichtlich ist . Die »Buden« der Handwerker, ursprünglich direkt am Fluss gelegen, bildeten ein geschlossenes Viertel für sich . Dasselbe gilt für die Wohngebiete der »Großen«, die

254 · VII. EdEssa und osrhoEnE sich vor der Flut an den Königspalast lagerten und hernach in dessen unmittelbarer Nähe wiedererstanden . Der Unterschied zu Hatra wie Palmyra ist augenfällig: Während dort klientelare Beziehungen und, reale wie fiktive, Verwandtschaftsbeziehungen die räumliche Struktur der Stadt bestimmt zu haben scheinen, herrschte in Edessa offensichtlich ein Gliederungsschema entlang funktionaler und sozialstruktureller Kriterien vor . Die Aristokratie mit ihren »schönen und herrlichen Bauten« suchte offensichtlich die Nähe zum Herrschersitz, während das Gewerbe Wasser benötigte und folgerichtig in Flussnähe angesiedelt wurde . Die Viertelstruktur überdauerte, der umfassenden urbanistischen Neugestaltung zum Trotz, Flutkatastrophe und Wiederaufbau, wurde also allem Anschein nach von den Verantwortlichen als alternativlos oder wenigstens als erhaltenswert erachtet . Damit sind bereits zwei Personenkreise umrissen, die ihr wirtschaftliches bzw . gesellschaftliches Interesse mit dem Erhalt der edessenischen Monarchie verbanden: Die gewerbetreibenden Entrepreneurs waren auf den Palast als institutionellen Großkonsumenten angewiesen, die Aristokratie bezog ihr Selbstverständnis als Führungsschicht aus der, räumlichen wie ideellen, Nähe zum König selbst . Eine späte Quelle, die Lehre des Addai, entstanden um 400 n . Chr . in Edessa, ruft diese Nähe eindringlich in Erinnerung .105 Der fiktive Apostel Addai, von Jesus postum nach Edessa entsandt,106 wird dort am Tag nach seiner Ankunft von König ʾAbgar107 und »seinen Großen«,108 die teilweise mit diesem verwandt sind und den »königlichen Rat« bilden, empfangen .109 Um diesen engeren, stets namentlich genannten Kreis von Aristokraten lagert sich in der Erzählung eine Gruppe, die mit der Formulierung »ihre übrigen Gefährten« umschrieben wird und durchgängig anonym bleibt .110 Die Bedeutung dieser Gruppe liegt, ihre Historizität einmal vorausgesetzt, im Dunkeln .111 Jedenfalls scheint es sich nicht um jüngere Familienangehörige gehandelt 105 Die Quelle wirft natürlich die Frage nach der Authentizität des verwendeten Materials auf . Zum Zeitpunkt ihrer Entstehung lag das erneuerte Königreich ʾAbgars X . über 150 Jahre zurück, für mündlich tradierte Informationen ein sehr langer Zeitraum . Die Verfasser konnten aber in Edessa auf Archive zurückgreifen, was sie vermutlich – in dem Bestreben, ihrem Pamphlet Glaubwürdigkeit zu verleihen – auch taten . Der Text kann also sehr wohl ein realistisches Bild von den sozialen Verhältnissen im Edessa des 1 . und 2 . Jahrhunderts n . Chr . zeichnen . Wie gut die Autoren informiert waren, zeigt die recht detaillierte Auflistung der im vorchristlichen Edessa verehrten Gottheiten und ihrer Heiligtümer (Doctr . Addai f . 15b) sowie paganer Glaubensvorstellungen (f . 22a) 106 Ebd ., 4a . 107 Ebd ., f . 1b . Der Text spricht von ʾAbgar V . ʾUkkāmā . 108 Ebd ., f . 4b . 109 Ebd ., f . 4a . Namentlich genannt werden – neben Augustine, ʾAbgars Mutter, Maʿnū, seinem Sohn, Šalmath, seiner Tochter, und Meherdath, seiner Frau – Paqur, Adšamaš, Šamašgram, Assai, Barkelba, Garmai, Abubai, Avida und immer wieder, an besonders prominenter Stelle, Abdu, der Sohn des Abdu, den Addai von einem Gichtleiden befreit . Avida und Barkelba werden als »Oberste und Beamte, die königliche Tiaras trugen« (f . 21a), charakterisiert . 110 Ebd ., passim . 111 Fraglich ist, ob mit der Wendung überhaupt eine soziale Gruppe umschrieben wird oder ob sie lediglich besagt, dass neben den namentlich genannten Adligen auch weitere, vielleicht weniger bedeutende, anwe-

Edessas Weg ins römische Imperium · 255 zu haben, da sonst wohl auf die im tribalen Kontext gebräuchliche Vater-Sohn-Metapher zurückgegriffen worden wäre . Aggai, Addais Nachfolger in Edessa, gehörte einer anderen, in der Erzählung deutlich von den Aristokraten abgesetzten Gruppe an: Er war Handwerker und mit der Herstellung luxuriöser Seidenstoffe, insbesondere für die königlichen Tiaras, befasst,112 war ein »königlicher Seidenweber«,113 bevor er als Oberhaupt der Christen seine Berufung fand . Spricht schon diese Formulierung Bände, so erst recht eine Begebenheit, die sich kurz nach dem Tod des – angeblich bekehrten – Königs ʾAbgar zuträgt: Dessen »rebellischer Sohn, der von der Wahrheit abwich«,114 verlangt von Aggai, wieder zu seinem ursprünglichen Beruf, der Seidenweberei, zurückzukehren: »Mach für mich Tiaras aus Gold, wie du es früher für meine Vorfahren gemacht hast!«115 Aggai erleidet für seine abschlägige Antwort das Martyrium . Der Bericht illustriert den abhängigen Status eines Handwerkers, der sich gut in den Zusammenhang eines palastwirtschaftlichen Systems fügen würde . Ein weiteres Schlaglicht auf die soziale Organisation des edessenischen Königreichs, diesmal nicht aus Edessa selbst, wirft das in das Jahr 476 SÄ (165/166 n . Chr .) datierende syrische Inschriftencorpus aus der Oase Sumatar Harabesi, ca . 73 Kilometer südöstlich von Urfa und 30 Kilometer ostnordöstlich von Ḥarrān .116 Der Fundplatz der Inschriften liegt auf dem Höhenrücken des Tektek Dağ, zur Zeit des Königreichs Osrhoene ein Ort von herausragender kultischer Bedeutung .117 Entsprechend handelt es sich bei den Inschriften durchweg um Weihungen an die in Sumatar verehrten Gottheiten . Die Onomastik des epigraphischen Befunds vom Tektek Dağ bringt den Ort in enge Verbindung mit dem osrhoenischen Königshaus: Personennamen wie ʾAbgar, Wāʾel und Maʿnū sind in dieser Beziehung eindeutig . »Mein Herr der König« kann daher nur der König von Edessa sein, in diesem Fall der in den 160er Jahren nur kurz regierende, offensichtlich proparthische Wāʾel .118 Die Inschriften sind deshalb wiederholt zur Rekonstruktion des Ereignishergangs herangezogen worden .119

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send waren . Dieselbe Formulierung wird im Zusammenhang mit den Schülern Addais gebraucht, von denen mindestens der Tiara-Hersteller Aggai nicht dem Aristokraten-Milieu zugehörte (ebd ., f . 22a) . Ebd . Ebd ., f . 29b . Ebd ., f . 32a . Ebd . Die Inschriften aus Sumatar Harabesi wurden bereits in den 1950er Jahren entdeckt und publiziert: Segal 1953; Segal 1970, 23, mit knapper Beschreibung der Geographie . Vgl . Ross 2001, 24f . Die Inschriften jetzt zusammengefasst in Drijvers/Healey 1999, 87–139 (As 126–As 155) . As 37,4f .: »[…] wir errichteten diese Säule auf dem heiligen Berg und stellten einen Sitz für den auf, der ihn besitzt .« As 36,4 . Drijvers/Healey 1999, 195, gelangen zu dem naheliegenden Schluss, dass »the region and population referred to here appear to have been under indirect Edessan control in A . D . 165 […] .« Sie entwerfen (ebd .) auch eine Chronologie der ›Statthalter‹ (Drijvers/Healey übersetzen den syrischen Terminus šallīṭā mit governor), die sie zu den politischen Geschehnissen in Edessa in Beziehung setzen: Unter Maʿnū (vor 162) sei Wāʾel (der

256 · VII. EdEssa und osrhoEnE Sie geben aber auch Aufschluss über Institutionen und soziale Beziehungen im osrhoenischen Hinterland sowie, vor allem, über die Lebensweise von dessen Bewohnern . Erwähnt wird mehrfach eine Funktion namens »Chef von Arab« (šlyṭ dʿrb), die Fragen aufwirft: Was genau hat man sich unter einem šlyṭ vorzustellen, wo lagen seine Kompetenzen, in welches Institutionengefüge war das Amt eingebunden? Und vor allem – welche Bedeutung hat »Arab« im Kontext der Inschriften von Sumatar? Immerhin einige Aussagen lassen sich mit Sicherheit treffen: Die Funktion eines šlyṭ wurde zu verschiedenen Zeiten von unterschiedlichen Personen bekleidet, die offensichtlich nicht in einem patrilinearen Verwandtschaftsverhältnis standen und, wenigstens zum Teil, nahe Verwandte des jeweiligen edessenischen Königs waren .120 Schließlich ist das Amt noch aus einer anderen Region des Königreichs epigraphisch überliefert, zudem zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt . In Birta, dem heutigen Birecik am linken Euphratufer, unweit von Zeugma, amtierte im Jahr 317 SÄ (6/7 n . Chr .) ein gewisser Zarbiyan, Sohn des Abgar, als šlyṭ .121 Auch er scheint, so suggeriert schon der Name des Vaters, dem Königshaus nahegestanden zu haben . Er war obendrein »Beschützer« eines Maʿnū bar Maʿnū, wohl des gleichnamigen Königs, der 7–13 n . Chr . regierte . Dem Anschein nach handelte es sich um königliche Amtsträger, die einen Sprengel des Königreichs verwalteten und häufig mit dem Königshaus verwandt waren . Die naturräumlichen Bedingungen in Birta waren aber völlig verschieden von denen auf dem Tektek Dağ . Während der šlyṭ von Birta, vielleicht als eine Art Bürgermeister, einer sesshaften Gesellschaft vorstand, war »Arab« reines Nomadenland . »Arab« wäre dann kein administrativer Bezirk Osrhoenes, sondern eine vage Bezeichnung für die Steppe und ihre Bewohner .122 Deshalb auch bewegten sich unsere »Chefs« in einem Kontext, in dem Genealogien und verwandtschaftliche Beziehungen hochgradig bedeutsam waren . Filiationen über ein Glied sind in den Dokumenten obligatorisch, andere familiäre Beziehungen gelten ebenfalls häufig als erwähnenswert . Tiridates weiht einen Altar »für das Leben« seines Vaters, seiner Brüder und seiner Kinder .123 Eigennamen, die mit bar (›Sohn‹) zusammengesetzt sind, treten in selbst für den Vorderen Orient ungewohnter Konzentration auf . Deutet

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nachmalige König?) šallīṭā gewesen (As 47,3), nach ihm, unter Wāʾel (162–165), Tiridates (As 37,6), sodann, unter der erneuerten prorömischen Herrschaft Maʿnūs (165–176), dessen Sohn ʾAbgar (VIII .) (As 51, 4), unter diesem als König schließlich Barnahar (As 49,1–3; As 52,4) . Mit der Annexion des größten Teils von Osrhoene durch Rom fiel Sumatar an die neue Provinz (ca . 197): Drijvers 1980, 122–134; Gawlikowski 1998; Ross 2001, 40f . Wāʾel war der Sohn eines Wāʾel (dessen Rolle nicht näher spezifiziert wird), für Tiridates ist die Filiation »Sohn des Adona« überliefert, ʾAbgar war der Sohn Maʿnūs, Barnahar der Sohn eines nicht näher bekannten Maʿnū . As 55 . So überzeugend Scharrer 2010, 303 . Anders aber Ross 2001, 26: »The most conservative approach is to conclude that ‛Arab designates a fairly restricted area around Tella and Rhesaina .« Ähnlich auch noch Sommer 2005d, 253–255 . As 36,5 .

Edessas Weg ins römische Imperium · 257 schon die Bedeutung, die Verwandtschaftsbeziehungen beigemessen wird, auf ein tribales Umfeld hin, so verstärkt sich der Eindruck noch bei Berücksichtigung des Fundkontextes: Die Inschriften fanden sich auf einer Bergkuppe, die den Weihenden als ›heilig‹ galt, in der Nähe befindet sich eine Oase, für eine Siedlung gibt es keine Anhaltspunkte – ein nachgerade idealer Kultplatz für periodisch migrierende Hirtennomaden, die auch heute die Steppe um Sumatar Harabesi bevölkern, und vielleicht auch für eine sesshafte ländliche Bevölkerung .124 Unübersehbar sind die »Chefs« in ihr näheres Umfeld integriert . Sie treten, mitsamt ihren Familienangehörigen, in den Inschriften mit anderen Personen in Beziehung, und vielfach sind sie die Adressaten von Weihungen sozial tieferstehender Personen, während sie selbst sich mit ihren Votivinschriften an Gottheiten wenden – mit einer signifikanten Ausnahme, der Weihinschrift für Aurelius Ḥapsay .125 Vor allem ist in einem Fall das enge verwandtschaftliche Verhältnis eines »Statthalters« zum Inhaber eines weiteren Amtes belegt, das im Königreich Osrhoene geläufig war: dem des nūhadrā .126 Die »Statthalter« scheinen somit an der Spitze einer lokalen, verwandtschaftlich definierten Hierarchie gestanden zu haben . Der Befund einer nicht patrilinearen Vererbung des Amtes šlyṭ dʿrb steht nur scheinbar im Widerspruch dazu . Er dürfte sich in erster Linie dem unsteten politischen Klima der Jahre nach 160 n . Chr . verdanken, das auch auf lokaler Ebene seine Kreise zog . Die Einbeziehung des lokalen Kontextes eröffnet eine zweite, andere Perspektive auf die »Chefs«, den »Arab« genannten Raum und die gesamte soziopolitische Struktur des Königreichs: Die Inschriften erhärten den Verdacht, dass auch für Osrhoene die Regeln des sozialen Polymorphismus galten, dass also auch hier nomadische und sesshafte Bevölkerungsgruppen eng miteinander verflochten waren . Die »Chefs« hatten, darin den ἀραβάρχοι in Dura-Europos vergleichbar,127 eine politisch-administrative und zugleich soziale Doppelrolle: Als Funktionsträger des Königreichs waren sie in die bürokratische Organisation des ›Staates‹ integriert, als Clan- und Sippenoberhäupter in die tribale Struktur der Nomadengesellschaft . »Arab« war deshalb mehr als nur ein Ver waltungssprengel des Königreichs – einer unter mehreren –, nicht nur eine klar umgrenzte territoriale Einheit; »Arab« war, in diesem konkreten Fall, auch eine Bezeichnung für die Lebensweise seiner Bewohner, nicht anders als es im »Königreich der Araber« von Hatra, in 124 Zur rezenten Bevölkerungsstruktur knapp: Segal 1970, 23; Ross 2001, 25 . 125 So stellte Wa’ēl, Sohn des Mutru, für »Wa’ēl, Statthalter von Arab, Sohn des Wa’ēl, und für Wa’ēl, seinen Sohn, Kommandant von Šur, seine Herren und Wohltäter« (As 47), Bilder auf . Zu Weihungen der ›Statthalter‹ an die Götter vgl . As 27; As 36 . 126 As 47,5 . Der Titel ist weiterhin belegt durch As 1,2 (Edessa, 1 . Hälfte 3 . Jahrhundert n . Chr .) sowie As 31,2 . Drijvers/Healey 1999 übersetzen mit commander und halten nūhadrā, ein iranisches Lehnwort, für einen Begriff, der einen »military official« bezeichnet (ebd ., 47) . Wirklich handelte es sich wohl um einen dem ›Statthalter‹ nachgeordneten Funktionär . Wenn aber Vater und Sohn diese Ämter in ›Arab‹ jeweils gleichzeitig bekleideten, scheinen sich in der Hierarchie auch gentilizische Strukturen widerzuspiegeln . 127 Siehe unten, S . 301 .

258 · VII. EdEssa und osrhoEnE der Charakterisierung von Palmyrenern und Nabatäern als Ἄραβες oder in der Funktion des ἀραβάρχος in Dura mitschwingt .128 Das Corpus der Sumatar-Inschriften bringt etliche Gemeinsamkeiten zwischen Osrhoene und seinen südlichen Nachbarregionen ans Licht, doch zugleich auch Unterschiede: Die Institutionalisierung des Königreichs erscheint in der Fläche – jedenfalls soweit die Quellen Einblick geben – als weiter fortgeschritten und gefestigter als in Hatra und Palmyra, während das nomadische Element seinem Einfluss nach als etwas schwächer erscheint . Entsprechend offener war Edessa für kulturelle Beeinflussung von Westen aus, entsprechend lohnend auch als Expansionsziel für das römische Imperium . In ihm jedenfalls ging das Königreich schrittweise auf . Seine Hauptstadt kam hernach dem Idealbild einer griechischen Polis und römischen colonia des Ostens augenscheinlich näher als jede andere Stadt der Steppengrenze . Dazu passt das durch landeskundliche Oberflächenerkundungen gewonnene Bild einer für den obermesopotamischen Raum außerordentlich hohen und zur Spätantike hin noch beträchtlich anwachsenden Siedlungsdichte .129 In diesem Zusammenhang erhalten die zu vermutenden Ansiedlungen osrhoenischer und anderer Veteranen besonderes Gewicht . Eine merkwürdige Facette zum Vexierbild sich überlagernder administrativer und gentilizisch-tribaler Strukturen steuert die Beischrift einer Statue bei, die der »Statthalter« Barnahar für Aurelius Ḥapsay, den Sohn des Barkalba und Freigelassenen von Antoninus Caesar, aufstellen ließ .130 Die Inschrift datiert höchstwahrscheinlich ins letzte Viertel des 2 . Jahrhunderts n . Chr ., in jedem Fall nach 176, da Barnahar bereits die Nachfolge ʾAbgars als šlyṭ angetreten hat, und sicher vor der Angliederung Sumatars an die römische Provinz in den 190er Jahren; Antoninus Caesar ist also vermutlich M . Aurelius und nicht etwa, wie man vermuten könnte, Caracalla . Welche Rolle spielte Aurelius Ḥapsay in Osrhoene und warum stellte Barnahar ein Bild für den kaiserlichen Freigelassenen auf, dem in Sumatar noch zwei weitere Inschriften galten?131 Eine Antwort darauf ist schwer zu finden, in jedem Fall handelte es um eine eminent wichtige Persönlichkeit im Königreich, vermutlich osrhoenischer Abstammung und gewiss mit Bezug zum Kultplatz in Sumatar . Aurelius Ḥapsay dürfte ferner ein Mann mit exzellenten Beziehungen nach Rom gewesen sein, ein Mittelsmann zwischen der osrhoenischen Monarchie und dem Imperium . War er ein Vorbote der sukzessiven ›Romanisierung‹ Osrhoenes, gar eine der treibenden Kräfte bei der Umwandlung Edessas in eine Polis und colonia? Wir wissen es nicht . In der Grauzone zwischen ›Tradition‹ und ›Innovation‹ dürfte Ḥapsay freilich dem Konto innovativer Elemente gutzuschreiben sein .

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Ähnlich schon spekulativ Dijkstra 1995, 253, sowie Drijvers/Healey 1999, 105 . Marfoe 1986, 44 . As 49 . As 48; As 50 .

Dokumente einer Zeiten wende? · 259

Osrhoene in den Vertragsurkunden aus Dura-Europos und vom mittleren Euphrat: Dokumente einer Zeitenwende? Insgesamt fünf der in Dura-Europos und an unbekannter Stelle am mittleren Euphrat gefundenen Papyri und Pergamente sind auf dem Territorium von Osrhoene oder in Edessa selbst entstanden, alle um die Jahrhundertmitte . Es handelt sich um eine in syrischer Sprache auf Pergament abgefasste Urkunde über einen Sklavenverkauf,132 die Übertragung einer Verbindlichkeit,133 einen syrischen Pachtvertrag auf Pergament134 sowie eine weitere, in doppelter Fassung erhaltene Urkunde über den Kauf eines Sklaven .135 Durch den Zufallsfund der Texte vom mittleren Euphrat steht also erheblich mehr Material auch für Edessa und seine Umgebung zur Verfügung . Ein ganzes Bündel von Fragen lässt sich an die Dokumente richten: Was sagen Sprache und Onomastik über Ethnizität und kulturelle Zugehörigkeit der Akteure aus? Welche sozialen und ökonomischen Strukturen treten hervor? Und die bei Weitem komplizierteste Frage, aber mit enorm weitreichenden Implikationen: Welcher rechtlichen Instrumentarien bedienten sich die handelnden Personen, um ihre Transaktionen abzuwickeln? Sind etwa die Texte Zeugnisse einer vollständigen Integration, ja Absorption Osrhoenes durch Rom, eines Abreißens der lokalen Tradition unter der Ägide der Provinzialisierung? Oder bezeugen sie umgekehrt die Persistenz des Hergebrachten, die Wirksamkeit exogener Einflussgrößen allenfalls an der Oberfläche? Für beide Annahmen lassen sich durchaus gute Argumente ins Feld führen . Einerseits die Sprache: Von den insgesamt 19 Texten vom mittleren Euphrat sind nur zwei in syrischem Aramäisch abgefasst – beide stammen aus Osrhoene .136 Zwei der vier Texte aus Osrhoene sind, bis auf die Subscriptio, griechisch, doch handelt es sich um zwei Ausfertigungen derselben Urkunde .137 Dagegen sind alle nicht aus Osrhoene stammenden Urkunden ausnahmslos in griechischer Sprache verfertigt . Den Eindruck verstärkt noch die Befundlage für Dura-Europos . Hier stammt das einzige fast vollständig in Syrisch abgefasste Dokument ursprünglich aus Edessa .138 Wie Inschriften und literarische Texte sind die Urkunden ein erstrangiger Beleg für den fortgesetzten Gebrauch des Syrischen in Osrhoene, auch bei privaten Rechtsgeschäften, in markantem Kontrast zur Euphratregion um Dura-Europos .

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P . Dura 28, 243/244 n . Chr . Ebenfalls in Syrisch und auf Pergament, Drijvers/Healey 1999, P 2 (im Folgenden: P 2), 240/241 n . Chr . Ebd ., P 3 (im Folgenden: P 3), 242/243 n . Chr . Griechisch auf Papyrus, P . Euphr . 6/7, 250/251 n . Chr . Die griechischen Texte sind vollständig publiziert in: Feissel/Gascou 1995 (P . Euphr . 1–5); Feissel et al . 1997 (P . Euphr . 6–10); Feissel/Gascou 2000 (P . Euphr . 11–17) . Für die syrischen Texte aber Drijvers/Healey 1999, 232–248 . 136 P 2 und P 3 . 137 P . Euphr . 6/7 . 138 P . Dura 28 .

260 · VII. EdEssa und osrhoEnE Andererseits die Personennamen: Die Texte belegen sehr wohl das für eine colonia typische Vordringen römischer Namen und Namensbestandteile, der tria nomina (Tabelle S . 261) . Ohnehin waren mit der Provinzialisierung – aufgrund der constitutio Antoniniana – alle freien Bewohner Osrhoenes römische Bürger geworden . Das schlägt sich unübersehbar im gehäuften Auftreten von mit »(M .) Aurelius« gebildeten Eigennamen nieder . Von den 37 in den Dokumenten namentlich genannten männlichen Personen tragen mehr als die Hälfte (20) römische Namen oder Namensbestandteile, wobei noch die Väter, mit zwei Ausnahmen, durchgängig rein peregrine Namen getragen hatten .139 Entweder waren die genannten Personen also römische Bürger in erster Generation oder die Nennung römischer Namen wurde bei der Filiationsangabe nicht für relevant erachtet . Fast alle Träger römischer Namen (19) sind Aurelii oder M . Aurelii . Da auch die Personen, deren praenomina nicht genannt werden, vermutlich M(arci) Aurelii waren, erhielten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die allermeisten Familien das römische Bürgerrecht im Zuge der ersten Provinzwerdung Osrhoenes unter Caracalla . Die eine, sehr signifikante Ausnahme ist ein L . Aurelius Tiro aus Karrhai, dessen Bürgerrecht offensichtlich auf die Zeit vor der Provinzialisierung zurückging und am ehesten durch Legionsdienst eines seiner Vorfahren erworben wurde .140 Das Verteilungsmuster römischer Namensbestandteile lässt allerdings chronologisch wie sozial jede Eindeutigkeit vermissen . Auffallend ist allein ihr vollständiges Fehlen im einzigen aus der kurzen Restaurationsphase des Königtums herrührenden Text .141 Unter den zehn in der Urkunde genannten männlichen Personen findet sich kein einziger »Aurelius«; sie alle gebrauchen rein semitische bzw . aramaisierte persische (Worōd) Namen . Einzig der Name des Königs, nach dessen Herrschaftsjahren datiert wird, verweist auf sein römisches Bürgerrecht und die Bindung an das severische Kaiserhaus: Aelius Septimius ʾAbgar . Aber auch in den späteren, nach der Revitalisierung der colonia Edessa abgefassten Texten tragen von 27 männlichen Personen immerhin noch sieben peregrine Namen, in P 2 überwiegen, unmittelbar nach dem Ende des monarchischen Intermezzos (242/243 n . Chr .), sogar die rein semitischen Namen im Verhältnis 4:3 .

139 P . Dura 28: M . Aurelius Antiochus (eponymer Priester und eques Romanus), Sohn des Belšu; M . Aurelius ʾAbgar (στρατηγός, eques Romanus), Sohn des Maʿnū, Enkel des Aggay; L . Aurelius Tiro, Sohn des Barba‛šamin; Aurelius Ḥapsay, Sohn des Šamašyabh; M . Aurelius, Sohn des Kalba; M . Aurelius Belšu, Sohn des Muqimu . P 3: M . Aurelius --- (eponymer Priester), Sohn des ʿAkkay; M . Aurelius Gadda, Sohn des Gadda . P . Euphr . 6/7: Aurelius Qūzā, Sohn des Abbā; Aurelius Lelā, Sohn des Bēlsīn; Aurelius Letaibsīn, Sohn des Marabīlāhā . Die einzigen Personen, die erkennbar bereits in zweiter Generation den dreigliedrigen römischen Namen tragen, sind der ἄρχων M . Aurelius Alexandros, Sohn des Severus, aus Markopolis (P 2,5) und sein Landsmann M . Aurelius Tamarqos, Sohn des Aurelius Šama, der Pächter des Worōd (P 2,9) . 140 Darauf deutet vor allem das lateinische cognomen »of military character« hin . So bereits plausibel Welles 1959, 143 . Die Richtigkeit der Vermutung vorausgesetzt, wäre das ein weiterer Anhaltspunkt für die Ansiedlung von Veteranen im Raum Edessa-Karrhai . 141 P 2 .

Dokumente einer Zeiten wende? · 261 Personenkreis Freie Männer davon mit tria nomina davon (M .) Aurelii davon ohne tria nomina Freie Frauen Sklaven/Sklavinnen Summe

P2

P . Dura 28

P3

P . Euphr . 6/7

Summe

10

10

7

10

27

0

8

5

9

20

0

7

5

9

10

2

2

1

1

1

0

2

0

1

0

2

11

12

7

14

19 7 3 3 33

Hatten die cives Romani der colonia Edessa für die Dauer der restaurierten Abgaridenherrschaft ihr römisches Bürgerrecht verloren? War die Benutzung römischer Namen politisch nicht mehr opportun oder hatten sie ihren Prestigegehalt eingebüßt? Vor allem: Verbirgt sich hinter der Verwendung eines bestimmten Namens in einer Rechtsurkunde bzw . hinter dem Tragen eines Namens überhaupt schon eine bewusste individuelle Entscheidung? Jedenfalls auf die letzte Frage scheint eine Antwort möglich: Der Schlüssel liegt in der überraschenden sozialen Uneindeutigkeit des Verteilungsmusters . Quer zu der Erwartung, dass besonders hochgestellte Persönlichkeiten, vor allem Amtsträger, sich das Prestige römischer Namen zunutze machten, während einfache Leute, speziell auf dem Land, bei der peregrinen Namenspraxis blieben, steht der Befund .142 Von den zwei eponymen Strategen bzw . Archonten der Städte Edessa und Markopolis trägt jeweils einer einen rein semitischen Namen (ʾAbgar, Sohn des Ḥapsay, bzw . Barʿata, Sohn des Šaramsīn) . Dagegen verwenden subalterne Amtsträger und Schreiber,143 die kaum der engeren lokalen Führungsschicht zuzurechnen sind, und selbst Personen, die dem kleinstädtischen Kontext von Markopolis zugehören, ohne irgendein Amt zu bekleiden,144 durchweg römische Namen . Selbst der Vater des Pächters Tamarqos, Šama aus Markopolis, war ein »Aurelius« .145 Da unzweifelhaft auch der στρατηγός ʾAbgar und der ἄρχων Barʿata als freie, noch dazu Einflussreiche Angehörige des Bürgerverbandes ihrer Stadt nicht anders als ihre jeweiligen Kollegen römische Bürger waren, kann der Verzicht auf das Tragen römischer Namen plausibel nur als freiwilliger Akt, mithin als bewusste Entscheidung, zu deu142 So etwa Sherwin-White 1973, 386f .: »But it is apparent from the Egyptian and the few Syrian papyri that the usage of the Aurelius name was far from universal, and that many peasants continued to use the old style of singleton peregrine nomenclature .« 143 So der Schreiber M . Aurelius Gadda, Sohn des Schreibers Gadda (P 3,26f .), M . Aurelius Belšū, Sohn des Muqimu, Schreiber (P . Dura 28,29f .), und Aurelius Šalamsīn, Agent (πραγματευτής) der Archonten in Markopolis (P . Euphr . 6,36) . 144 Personen wie Aurelius Qūzā, Sohn des Abbā und Bruder der Verkäuferin des Sklaven Apselmas (P . Euphr . 6/7) . 145 P 3,9 .

262 · VII. EdEssa und osrhoEnE ten sein . Römisches Bürgerrecht und römische Namen hatten seit Caracallas Edikt von 212 ihre Funktion als juristische und damit à la longue auch als soziale Distinktionskriterien verloren; die Entscheidung für die eine oder andere Form der Nomenklatur war damit aber zugleich zur Option in einem Feld politischer und kultureller Möglichkeiten geworden . ʾAbgar, Sohn des Ḥapsay, muss mit dem Tragen eines peregrinen Namens nicht unbedingt seine monarchische Gesinnung zum Ausdruck gebracht haben; das ist für einen Strategen der colonia sogar gänzlich unwahrscheinlich . Eine politische Dimension der Namenswahl ist, in diesem Fall jedenfalls, auszuschließen . Aber der Kontrast zu den beiden anderen eponymen Amtsträgern der Stadt, die beide nicht nur als M . Aurelii firmierten, sondern Wert auf ihren Status als equites Romani legten, sticht doch ins Auge . Denkbar und durchaus wahrscheinlich ist, dass wir mit ihm immerhin eine – latente oder manifeste – die Gesellschaft Osrhoenes durchziehende kulturelle Konfliktlinie fassen können, die vielleicht quer zur politischen Lagerbildung stand oder sie auch verstärkte . Wenn sich einflussreiche Edessener bewusst für das Tragen rein semitischer Namen entschieden, dann hatten offenbar diese Namen nach wie vor ihren alten guten Klang, wenigstens in bestimmten Kreisen: Abermals entsteht der Eindruck einer zwischen Tradition und Innovation hin- und hergerissenen Gesellschaft . Kaum eindeutiger ist der Befund mit Blick auf die sozialen und politischen Strukturen Osrhoenes . Von besonderem Interesse ist auch hier der diachrone Vergleich zwischen restauriertem Königtum und endgültig etablierter römischer Herrschaft, mithin zwischen P 2 und den übrigen Texten . Bereits die Datierung lässt signifikante Unterschiede, aber auch nicht minder bedeutsame Gemeinsamkeiten erkennen: Während, kaum überraschend, die nach 242 n . Chr . entstandenen Texte nach eponymen Magistraten der colonia Edessa bzw . der Stadt Markopolis datieren, zählt P 2 nach Regierungsjahren des Königs Aelius Septimius ʾAbgar . Wie P . Dura 28 und P 3 (aber anders als P . Euphr . 6/7) greift er daneben auf die Amtszeit des Aὐτοκράτωρ Caesar Marcus Antonius Gordianus zurück und evoziert so, wie die Münzprägungen ʾAbgars, die besonders enge persönliche Verbundenheit des Edesseners mit dem Kaiser . Während alle anderen Urkunden zudem die römischen Konsuln aufführen, unterbleibt deren Nennung in P 2 . Allen Urkunden gemeinsam ist lediglich die Datierung nach der Seleukidischen Ära, in P . Dura 28 und P 3 mit dem Zusatz »nach alter Zeitrechnung« .146 Die durchgängige, wenn auch nicht ausschließliche, Verwendung der Seleukidischen Ära lässt vermuten, dass es sich in der Region nach wie vor um die gebräuchlichste Datierungsvariante handelte . Lediglich die Formulierung »im Jahr x der Befreiung von Antoniana Edessa der Ruhmreichen, colonia, μητρόπολις Aurelia Alexandreia«147 enthält eine unverkennbar antimonarchische Spitze und verweist auf den politischen Bruch in jüngster Vergangenheit . 146 P . Dura 28 datiert in der scriptura interior nicht nach SÄ, sondern ausschließlich nach Jahren der »Befreiung« der colonia Edessa . P 3 datiert in der scriptura interior nach SÄ, die hier »im Jahr x der Griechen« heißt . 147 P . Dura 28,3f .; P 3,3f .

Dokumente einer Zeiten wende? · 263 Was aber ist von der zweimaligen Umbenennung einer Stadt in wenigen Jahren zu halten? Batnai, der einstige Herrschersitz von Anthemusias zur Zeit Trajans, erhielt unter ʾAbgar X . den rätselhaften Namen »Hayklā, neue Stadt der Jagd von ʾAbgar dem König«;148 wenig später, nach der Restauration der Polis Edessa, erhielt die Stadt den Namen Markopolis Thera .149 Angesichts der wenigen Jahre, die ʾAbgar X . regierte, eine bemerkenswerte Entwicklung: Der König hielt es, der akuten Gefährdung durch die Sasaniden zum Trotz, für nötig, Batnai neu zu gründen (»neue Stadt«) und mit seinem Namen zu versehen (»von ʾAbgar dem König«) . Wie seine Münzprägung nutzte ʾAbgar die ›Neugründung‹ zur Selbstdarstellung, aber mit anderem, gleichsam zivilem Zungenschlag (»Stadt der Jagd«) . Nicht minder bemerkenswert ist die umgehende Tilgung des königlichen Stadtnamens, freilich nicht durch Rück-, sondern durch erneute Umbenennung (»Markopolis«) nach dem Ende von ʾAbgars Herrschaft, bereits 243/244 n . Chr . – wobei offenbleiben muss, welcher Markos/Marcus mit dem neuen Namen geehrt werden sollte .150 Überhaupt gibt der politische Status von Batnai/Hayklā/Markopolis Rätsel auf: Im frühen 2 . Jahrhundert Hauptort des Fürstentums Anthemusias, war die Stadt unter ʾAbgar X . Teil des erneuerten Königreichs Osrhoene .151 Die Zugehörigkeit zur colonia Edessa scheint, in der einen oder anderen Form, auch über 242 n . Chr . hinaus Bestand gehabt zu haben, denn der unmittelbar nach dem Ende von ʾAbgars Herrschaft ebenfalls in Markopolis entstandene Pachtvertrag P 3 datiert (unter anderem) nach den Jahren der colonia Edessa, obwohl zugleich von Archonten als eponymen Jahresbeamten der Stadt die Rede ist . Jeder Hinweis auf Edessa fehlt in dem wenige Jahre jüngeren P . Euphr . 6/7: Datiert wird nunmehr (250/252 n . Chr .) allein nach römischen Konsuln und Seleukidischer Ära, die Sprache der Urkunde ist Griechisch und es treten nur noch Funktionsträger der Stadt Markopolis in Erscheinung . Einer der unterzeichnenden Beamten ist »Vorsteher der Archive«;152 Markopolis verfügte also über eine eigene Behörde zur Archivierung von Rechtsurkunden . Verräterisch ist zumal das Abrücken vom Syrischen als Amtssprache zugunsten von Griechisch . Obwohl viele der Zeugen in Syrisch zeichnen, könnte sich gerade hierin symbolisch der Ablösungs- und bewusste Abgrenzungsprozess von der μητρόπολις Edessa äußern, wo Syrisch unverändert in Gebrauch blieb . Wäre dem so, dann wären griechische Sprache und institutionelle Struktur der griechischen Polis den Markopoliten Mittel ausgerechnet zur Konstruktion lokaler Identität im Kontrast zu gewachsener regionaler Tradition gewesen – eine nicht zu verachtende Trumpfkarte im Wettkampf um Rang und Prestige zwischen den Städten . Bei aller Rivalität und dem manifesten Bedürfnis nach gegenseitiger Abgrenzung sind die Texte doch vor allem Dokumente intensiver Verflechtung zwischen den Teilregionen 148 149 150 151 152

P 2,6 . P 3 . Zur Identifizierung der Stadt Batnai mit Hayklā und Markopolis Feissel et al . 1997, 19f . Zu denken wäre natürlich an den Kaiser, M . Antonius Gordianus . P 2 . P . Euphr . 6/7,36 .

264 · VII. EdEssa und osrhoEnE des römischen Mesopotamien und ihren Bewohnern . Mobil waren die Texte selbst: Niedergeschrieben in Edessa und Umgebung, traten sie bald nach ihrer Entstehung, aus nicht näher bekanntem Grund, die weite Reise nach Dura-Europos bzw . an den Mittleren Euphrat an, wo sie in Privatarchiven abgelegt wurden . Die Dokumente bezeugen aber eine beachtliche Mobilität auch von Individuen: Personen zumal, die nicht unbedingt der engeren Führungsschicht zuzurechnen sind . Die Sklavin Amatsin wurde von ihrer Herrin aus Edessa in das nicht allzu ferne Karrhai verkauft, wo der Käufer Tiro seinen Wohnsitz hatte .153 Über wesentliche größere Entfernungen hinweg tätigte Worōd aus Beth Phouraia am mittleren Euphrat Geschäfte . Er besaß Land »in Seḥerta, dem Dorf der Töpfer«, nahe Markopolis, das er an Tamarqos verpachtete .154 Derselbe aus Beth Phouraia stammende, aber in der »neuen Stadt der Jagd« ansässige Worōd hatte kurz zuvor den Schuldschein eines Baʾišu aus Hayklā, dem nachmaligen Markopolis, erworben .155 Zwischen dem Heimatort Worōds und seinem Wohnort bzw . geschäftlichen Tätigkeitsfeld lagen eine Provinzgrenze und nicht weniger als 300 Kilometer Steppe . Worōd besaß damit auch Grundbesitz, der weitab von seiner ursprünglichen Heimat am mittleren Euphrat lag . Es handelte sich um ein Landgut nicht näher bezifferter Größe, einschließlich einiger Gebäude .156 Ob Worōd Großgrundbesitzer war und welche soziale Stellung er in seinem Geburtsort Beth Phouraia ursprünglich innehatte, ist aus der Urkunde unmittelbar ebenso wenig zu ersehen wie sein Status in Markopolis . Er firmiert lediglich als Worōd, Sohn des Philoṭa157 – auffällig daran ist allein, dass Worōd ein aramaisierter iranischer, Philoṭa hingegen ein gut makedonischer Name ist, was immer das für Familie und Person Worōds bedeuten mag . Bemerkenswert genug ist aber die Art, wie Worōd den Besitz in Markopolis erworben hatte: Er hatte ihn als »Pfand«158 von Aurelius Šama, dem Vater des Pächters, erhalten – Tamarqos war Pächter auf dem Land, das, wenigstens nominell, einst seinem Vater gehört hatte . Worōd war also durch den Verfall des Pfandes in das Eigentum des Grundstücks gelangt . Denkbar ist, dass im Fall des Darlehens, das Aurelius Šama von Worōd aufgenommen hatte und wofür das Grundstück als Pfand diente, an eine Rückzahlung von vornherein nicht gedacht war . Dann wäre die juristische Kategorie der ὑποθήκη lediglich gewählt worden, um ein Abhängigkeitsverhältnis zu umschreiben, das vielleicht nach geltendem Recht nicht vorgesehen war .159 Der jährlich erneuerte Pachtvertrag mit genauer Regelung der beiderseitigen Verpflichtungen wäre so gleichsam die Geschäftsgrundlage des Abhängigkeitsverhältnisses gewesen, das vielleicht 153 154 155 156 157 158 159

P . Dura 28,8f . P 3 . P 2,9 und passim . P 3,19 . Ebd ., i . Ebd ., 9 . Hierfür finden sich in den Dokumenten aus Dura Parallelen . Allerdings wurde hier statt Pachtzahlungen eine Dienstverpflichtung des Schuldners vereinbart: Welles 1959, 113, zu P . Dura 20 . Zur griechischen ὑποθήκη und ihrem römischen Gegenstück Harris 2012 .

Dokumente einer Zeiten wende? · 265 in der Tradition parthischer Grundherrlichkeit stand .160 In die gleiche Richtung mag die Übertragung eines Schuldscheins an Worōd durch P 2 im Jahr zuvor deuten, durch die er zum Gläubiger des Markopoliten Baʾišu wurde . Möglicherweise erhielten auch hier Aspekte einer traditionellen Sozialordnung ihr neues rechtliches Gewand . Damit ist die Frage nach den rechtlichen Institutionen angerissen, nach deren Regeln die Akteure ihre Geschäfte tätigten . Festzuhalten ist zunächst, wer diese Akteure waren: P . Euphr . 6/7 und P . Dura 28 sind Urkunden von Sklavenverkäufen . In beiden Fällen ist, bemerkenswert genug, der Verkäufer eine Frau, die als alleinige Besitzerin bzw . Herrin des Sklaven handelt und, in klarem Kontrast zur griechischen und römischen, aber in voller Übereinstimmung mit der lokalen Rechtstradition, unbegrenzt geschäftsfähig ist – sie bedarf zum Abschluss keines κύριος oder tutor .161 Zwar tritt in beiden Urkunden ein naher männlicher Verwandter der Frau auf: der Ehemann in P . Dura 28, der Bruder in P . Euphr . 6/7 – doch lediglich, um anstelle der in beiden Fällen erklärtermaßen des Lesens und Schreibens nicht mächtigen Frau als amanuensis zu zeichnen .162 Im Fall des griechischen P . Euphr . 6/7 ist auch die Käuferin eine Frau; ihr assistiert bei dem Geschäft kein männlicher Verwandter, die Käuferin hatte das Dokument freilich auch nicht zu zeichnen . Man wird das selbständige Agieren von Frauen in Geschäftsangelegenheiten, mangels griechisch-römischer Parallelen, am ehesten einer lokalen Rechtstradition zuschreiben wollen, die vielleicht bis in neubabylonische Zeit zurückreicht .

160 Verräterisch ist in diesem Zusammenhang die Bezugnahme auf die zugrundeliegende Pfandurkunde: »Und er wird sie [die Gebäude] anstreichen und instandhalten, wie es in der Pfandurkunde festgelegt ist […] .« (P 3,18f .) . 161 Zur Geschäftsfähigkeit von Frauen in der römischen Rechtstradition und zur Bedeutung der tutela mulieris für unverheiratete, vaterlose Frauen Gardner 1986, 14–20 . Einzige Befreiung von der tutela bot im kaiserzeitlichen Rom das ›Recht dreier Kinder‹ (ius liberorum), das durch drei Geburten oder durch Verleihung erworben wurde . Es findet in ägyptischen Papyri häufig Erwähnung (vgl . auch P . Euphr . 15) . Männer konnten auch auf informeller Basis Geschäfte für Frauen abschließen, wie die von Cic . Caecin . 4,11–18, kolportierte Episode illustriert: Caesennia, Erbin des bedeutenden Geld- und Grundvermögens ihres Mannes, engagierte Aebutius als Strohmann für den Kauf eines an ihr Gut angrenzenden Anwesens . Zur aktiven Rolle von Frauen als Schiffseignerinnen (ναυκλῆροι) im ägyptischen Rotmeerhandel Young 2001, 52 . Das analoge athenische Rechtsinstitut der ἐπιτροπή für Frauen behandelt Harrison 1968, Bd . 1, 108–115 . Unbeschränkt geschäftsfähig waren Frauen dagegen in der abschließenden Ausprägung der altorientalischen Rechtstradition, im neubabylonischen Recht: Ebeling 1957, 103f . 162 P . Dura 28,20–23: mwdnʾ ʾwrls ḥpsy | br šmšyhb ʾdysyʾ mn pylys dtrtʿsrʾ dktbt ḥlp ʾwrlyʾ | mtrʿtʾ ʾntty bršmʾ dsprʾ lʾ ḥkmʾ dzbnt ʾmtʾ hdʾ dylh | wqblt dmyh ʾyk dktyb mn lʿl (›Ich, Aurelius Ḥapsay, Sohn des Šamašyahb, Edessener des 12 . Stammes, erkläre, dass ich für Aurelia Matarʿata in der Subscriptio unterschrieben habe, weil sie nicht schreiben kann, dass diese ihre weibliche Sklavin verkauft hat und den Preis wie oben angegeben erhalten hat‹) . In der syrischen Subscriptio zu P . Euphr . 6/7 heißt es (32–35): ʾrls qwzʾ br ʾbʾ ktbt ḥlp mtbyn brt ʾbʾ dktb | dsprʾ lḥkmʾ wzbnt bqdmʾ dyly lʿbšlmʾ br | mtsyn ʿbdʾ dylh ylydʾ lmtʿtʾ brt gmymw | bdm h št mʾʾ ʾyknʾ ktyb mn lʿl (›Aurelius Qūzā, Sohn des Abbā, ich habe geschrieben anstelle von Maththabīn, die nicht das Schreiben der Buchstaben versteht, und sie hat in meiner Gegenwart Abšalmā, Sohn von Mathsīn, ihren hausgeborenen Sklaven, an Mathʿatē, Tochter von Gumaymū, verkauft zu ihrem Preis, 600 Denare […]‹) .

266 · VII. EdEssa und osrhoEnE Das Formular der syrischen Verkaufsurkunde P . Dura 28 scheint vorderhand dem zu entsprechen, was wir an griechischen Vertragstexten aus Ägypten kennen, weist aber auch Parallelen zu Kaufverträgen aus dem mesopotamischen Raum und insbesondere zu entsprechenden hebräischen, aramäischen und nabatäischen Texten auf .163 Auf die Datumsangabe folgen Angaben über die Verkäuferin Marcia Aurelia Matarʿata, den Käufer L . Aurelius Tiro, den 700 Denare betragenden Kaufpreis und das Kaufobjekt: die Sklavin Amatsin, von der Verkäuferin aus der Gefangenschaft gekauft, »mehr oder weniger« 28 Jahre alt . Sodann listet das Dokument die genauen Bedingungen für den Verkauf auf; die Rechte des Käufers werden festgelegt; die Verkäuferin gibt eine Garantieerklärung ab . Laut Eviktionshaftungsklausel haftet sie unbefristet bei Ansprüchen Dritter, aber nicht bei Flucht der Sklavin .164 Abschließend enthält der Haupttext Bemerkungen über die Ausfertigungen der Urkunde: Ein Exemplar erhält der Käufer, eines das Archiv der colo­ nia Edessa . Während im ptolemäischen und römischen Ägypten die von Zeugen gezeichnete συγγραφή eine reine Privaturkunde war, war in Edessa also eine öffentliche Behörde mit der Archivierung befasst .165 Und im Gegensatz zur ägyptischen συγγραφή, die praktisch immer einen objektiven Standpunkt einnimmt und über das Vereinbarte in der dritten Person berichtet,166 imitiert P . Dura 28 zwar den Duktus der ὁμολογία, bleibt aber – wie generell aramäische, nabatäische und hebräische Vertragsformulare167 – in der ersten Person168 und wechselt beim indirekten Objekt zwischen zweiter169 und dritter Person170 hin

163 Umfassend zu Theorie und Praxis des griechischen Vertragsrechts Pringsheim 1950 . Das Formular eines Kaufvertrags der altbabylonischen Epoche erläutert Schorr 1913, 111: Kaufobjekt, Übergabeklausel, Vermerk über Zahlung des Kaufpreises, symbolischer Vollzug, Unzulässigkeit der Anfechtung, Eviktionshaftungsklausel, Schwur, Zeugen, Datum . Zu den hebräischen, aramäischen und nabatäischen Vertragstexten aus jüdischen Kontexten Palästinas und Ägyptens siehe unten, S . 267, Anm . 173 . 164 Eine für die Orientprovinzen typische Besonderheit der Eviktionshaftungsklausel ist die καθαροποίησις, in der die Parteien abschließend den Rechtstitel des Eigentums garantieren . Sie findet sich, außer in den Dokumenten aus Dura und vom mittleren Euphrat, noch in Vertragsurkunden aus Palästina – und bereits in parthischen Verkaufsurkunden aus dem 1 . Jahrhundert v . Chr .: Migliardi Zingale 1999, 228 . 165 Zur ptolemäerzeitlichen Sechszeugen-συγγραφή Wolff 1978, 57–64, sowie, mit Beispielen, aber teilweise durch Neufunde überholt, Mitteis/Wilcken 1912, Bd . 2, 1, 52–58 . Die staatsnotarielle συγγραφή der ptolemäischen und römischen Zeit, in amtlichen Archiven aufbewahrt wurde, kam ohne Erklärung von Zeugen aus: Wolff 1978, 81–91 . 166 Ebd ., 57 . 167 Paradigmatisch ein nabatäischer Vertrag aus dem 2 . Jahrhundert n . Chr . vom Toten Meer über die Tilgung einer Schuld, publiziert in Starcky/Milik 1954 sowie der aramäische Vertrag über einen Hauskauf bei Milik 1954, jeweils mit Erläuterungen zur Grammatik des Formulars . Charakteristisch sind der subjektive Standpunkt und das zwischen 2 . und 3 . Person wechselnde indirekte Objekt . 168 P . Dura 28,7: mwdynʾ (›ich erkläre‹) . 169 Ebd ., 11: ʾnt tyrw zbwnʾ wyrtyk (›[…] dass […] du, Tiro, der Käufer und deine Erben […]‹) . 170 Ebd ., 9: wzbnt (›dass ich von ihm empfangen habe‹) .

Dokumente einer Zeiten wende? · 267 und her . Die Garantieerklärung171 verrät den Einfluss der römischen stipulatio, lässt aber deren strengen Formalismus ganz und gar vermissen; sie weist auch keine Parallelen zu aus Ägypten überlieferten βεβαίωσις-Klauseln auf .172 Die Eviktionshaftung des Verkäufers als solche ist ein Instrument, das praktisch allen antiken Rechtskulturen zu eigen ist und auch in Mesopotamien und im jüdisch-aramäischen Bereich auf eine lange Tradition zurückblicken kann .173 Auffällig ist hier allein die Nichterwähnung von Strafgeldern, die der Verkäufer bei nicht erfolgter oder erfolgloser Defension üblicherweise zu entrichten hatte .174 Das seit Commodus in Ägypten bei Sklavenverkäufen verbindliche Instrument der ἀνάκρισις, eines öffentlichen Prüfungsverfahrens, dem der Sklave beim Erstverkauf regelmäßig unterzogen wurde, scheint in Edessa nicht bestanden zu haben, jedenfalls gibt es keinen Beleg dafür .175 171 P . Dura 28, 12–15: wʾn ʾnš ndwn ʾw | nthgʾ ʿm tyrw zbwnʾ ʾw ʿm yrtwhy ʿl ḥšbn ʾmtʾ hdʾ dzbnt lh | ʾqwm ʾnʾ mtrʿtʾ mzbnnytʾ wyrty wʾdwn wʾmrq wʾdkʾ wʾqymyh | bgdh dtyrw zbwnʾ (›Und wenn irgendjemand in einen Rechtsstreit mit Tiro, dem Käufer, oder seinen Erben eintritt oder Klage erhebt wegen dieser Sklavin, die ich ihm verkauft habe, werde ich, Matarʿata, die Verkäuferin, und werden meine Erben aufstehen und eine rechtliche Erklärung abgeben und sie frei von Ansprüchen Dritter und rein [i .e . frei von Rechtsmängeln] erklären und ich werde erklären, dass sie im Besitz von Tiro ist, dem Käufer‹) . 172 Die typische stipulatio beim Sklavenkauf hatte die Form von Frage und Antwort und lautete, schriftlich niedergelegt, folgendermaßen: recte dare stipulatus est x, spopondit y: Mallon et al . 1939, Tf . XVII, Nr . 25 . Seit augusteischer Zeit hatte sich in Ägypten ein knappes Standardformular für Sklavenverkäufe durchgesetzt: τῆς βεβαιώσως πρὸς πᾶσαν βεβαίωσιν ἐξακολουθείσης: Pringsheim 1950, 442; zu Sonderformen: Schwarz 1920, 170–178; Woeß 1924, 278–286 . Zur βεβαίωσιν in kaiserzeitlichen Verkaufstexten aus Ägypten auch Mitteis/ Wilcken 1912, Bd . 2, 1, 188–190 . 173 Die Eviktionshaftungsklausel hebräischer und aramäischer Kaufverträge aus dem jüdischen Kontext Ägyptens hatte einen ganz ähnlichen Wortlaut, wie der folgende Vertrag über den Verkauf eines Hauses aus persischer Zeit (437 v . Chr .), publiziert in Kraeling 1953, Nr . 3, erneut in Porten/Yardeni 1986, Bd . 2, Nr . B 3 .4, zeigt (19–21): »Und wenn eine dritte Person in einen Rechtsstreit mit dir oder mit einem Sohn oder einer Tochter von dir eintritt, werden wir aufstehen und es [sc . das Haus von Rechtsmängeln] bereinigen und es dir innerhalb von 30 Tagen übergeben . Und wenn wir es nicht bereinigen, werden wir oder unsere Kinder dir ein Haus geben, ähnlich deinem Haus und seinen Abmessungen .« Hier wird also für den Fall erfolgloser Defension Vorsorge getroffen . Nur wenig anders auch die Eviktionshaftungs- und Defensionsklauseln hebräischer und aramäischer Kaufverträge vom Toten Meer: Benoit et al . 1961, Nr . 25, 26f . (133 n . Chr ., aramäisch): »Und ich, Ḥanina, Verkäufer, hafte mit allem, was ich besitze und erwerben werde, wenn ich fehle, diesen Verkauf zu verteidigen und seine Gültigkeit gegen jede Behauptung und jeden Anspruch durchzusetzen .« Nr . 26, 3–5 (Datum fehlt, aramäisch): »Und ich ---, Frau des ---, Verkäuferin, hafte mit allem, was ich besitze, wenn ich fehle, die Gültigkeit dieses Verkaufs, zu deinem Vorteil und zu dem deiner Erben, gegen jede Behauptung und jeden Anspruch zu verteidigen --- .« Nr . 30, 23–25 (134 n . Chr ., hebräisch): »Und alles, was ich besitze und erwerben werde, ist Garantie und Sicherheit für die Verteidigung dieses Grundstücksverkaufs […] gegen jede Behauptung und jeden Anspruch, und das für immer .« Die Urkunden vom Toten Meer enthalten also zusätzlich die Klausel, dass der Verkäufer ausdrücklich mit seinem gesamten Vermögen haftet . 174 Üblicherweise war nach dem Recht der ägyptischen Papyri die Rückerstattung des Doppelten, hin und wieder auch des Anderthalbfachen der Kaufsumme als ›Strafgeld‹ (ἐπίτιμιον) fällig, zuzüglich Ersatz des id quod interest und (häufig) Fiskalmulten: Mitteis/Wilcken 1912, Bd . 2, 1, 189 . 175 Die Anakrisis sollte den Status des Sklaven sicherstellen und so vor allem den rechtswidrigen Handel mit Freien unterbinden: Wolff 1978, 255–260 . Allerdings handelte es sich im vorliegenden Fall nicht um einen Erstverkauf .

268 · VII. EdEssa und osrhoEnE Bei oberflächlicher Betrachtung gleicht das Formular des griechischen P . Euphr . 6/7 dem des syrischen P . Dura 28 fast aufs Haar . Der Text folgt einem ganz ähnlichen Schema: Datierung, Nennung der Verkäuferin und des Verkaufsgegenstandes – mit kurzem Steckbrief und Attestierung der Freiheit von Rechtsmängeln – sowie der Käuferin und des Kaufpreises; Kaufbedingungen; Eviktionsklausel und Vorkehrungen bei verborgenen Mängeln; stipulatio; Bestimmungen über Ausfertigungen des Vertrags; Zeugen . Wichtigste Abweichung gegenüber der sieben Jahre älteren Urkunde aus Edessa: ein Passus, der unmittelbar, wenn auch auf nicht ganz römische Art, auf das Rechtsinstrument der stipulatio Bezug nimmt . »Auf die Anfrage der Käuferin, ob dies so rechtens sei [καλῶς γένεσθαι] und in gutem Glauben [πίστει] garantiert werde, erklärte [ὁμολόγησεν] die Verkäuferin in Anwesenheit ihres Bruders Koza [Qōzā]: in gutem Glauben [πίστει] .« – Die Formulierung gibt das Frage-und-Antwort-Spiel der stipulatio wieder, überträgt das lateinische spopon­ dit mit ὁμολόγησεν und greift sogar den urrömischen Gedanken der bona fides (πίστει) auf, die freilich nach römischen Maßstäben in einer stipulatio nichts zu suchen hatte .176 Erkennbar wird das Bemühen, den Vertrag nach einer anderen als der lokalen, aramäischen Rechtstradition zu gestalten, auch im Wechsel von der subjektiven zur objektiven Perspektive, die in der Urkunde konsequent eingehalten wird . Hierin, wie in der Sprache, unterscheidet sie sich von allen übrigen Dokumenten aus dem Raum Osrhoene und steht damit der ägyptischen ὁμολογία-Urkunde wesentlich näher . Andere Unterschiede gegenüber P . Dura 28 betreffen eher Details: Die Verkäuferin verpflichtete sich im Fall einer gescheiterten Defension zu Schadenersatz in Höhe des Kaufpreises, bei schwerer Erkrankung der Sklavin zu Rücknahme und Erstattung . All das harmoniert mit dem bereits diskutierten Interpretationsrahmen lokaler Bestrebungen, die Identität der Bürger von Markopolis gegenüber dem syrischsprachigen, stärker in regionalen Traditionen verwurzelten Edessa zu profilieren . Dennoch blieben die innovativen Elemente auf einer rein symbolischen Ebene . Bis auf den Notar zeichneten alle Zeugen in syrischer Sprache: ein unmissverständlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie nicht über Nacht zu ›Griechen‹ geworden waren, sondern Syrisch im Raum Osrhoene nach wie vor die primäre Verkehrssprache war . Der Übertragung eines Darlehens von einem Gläubiger auf einen anderen war ein nicht erhaltener älterer Darlehensvertrag aus dem Monat Elul (6 . Monat) des Jahres 551 SÄ (239 n . Chr .) zwischen Baʿišu als Schuldner und Šaʿidu vorausgegangen, dessen Bestimmungen in der vorliegenden Urkunde genau referiert werden .177 Die Übertragung des Darlehens von 150 Denaren geschah zum Zeitpunkt seines Fälligwerdens, im Monat Kanun (März) des Jahres 552 SÄ (240 n . Chr .), nachdem – wie die Urkunde178 ausführt – der Schuldner nicht zum vereinbarten Termin erschienen war . Für diesen Fall sah der ursprüngliche Vertrag einen Verzugszins von drei Denaren pro Monat vor . Dokument P 2 verzeichnet nun die Entgegennahme der 150 Denare von Worōd durch einen Baʿišu, 176 Zu Grundgedanken und Entstehung der bona fides: Jolowicz 1952, 152; Migliardi Zingale 1999, 221 . 177 P 2 . 178 Ebd ., 21f .

Dokumente einer Zeiten wende? · 269 den Sklaven des Šaʿidu, der nicht identisch ist mit dem gleichnamigen Schuldner . Worōd erwarb damit die Rechte an dem Schuldschein, den ihm Baʿišu aushändigte, »zu seinem Nutzen oder Schaden, […], damit er es von Baʿišu [dem Schuldner] und von seinen Erben einfordere, wie es zwischen uns vereinbart worden ist .«179 Hervorhebenswert sind eine Reihe von Aspekten: Das Darlehen scheint zunächst, bis zu seinem Fälligwerden, zinslos gewährt worden zu sein; jedenfalls ist von Zinszahlungen keine Rede . Zwar mag es sich, wie bei mehreren Darlehensverträgen aus Dura-Europos, um ein antichretisches Darlehen gehandelt haben,180 die Höhe des Zinses mag auch für den Zusammenhang des Vertrages als irrelevant betrachtet worden sein; das Fehlen von Angaben über Darlehenszinsen fällt aber auf bei der bemerkenswerten Präzision, mit der die Urkunde den ursprünglichen Vertragstext referiert . Sodann waren, für die Zeit nach Fälligwerden, Verzugszinsen in Höhe von 24 Prozent per annum vereinbart worden . Sanktionen für den Fall verspäteter Rückzahlung sind allgemein die Regel .181 Parallelen für zinslose Darlehen, für die aber nach Ablauf Verzugszinsen fällig wurden, liefern die Texte vom Toten Meer .182 Ferner trat Šaʿidu, der Gläubiger, nicht selbst in Aktion, sondern betraute seinen Sklaven Baʿišu als Bevollmächtigten mit dem Abschluss des Geschäfts .183 Schließlich übernahm die Frau des Schuldners die Bürgschaft, trat also, wie die Frauen der beiden Kaufverträge, als sui iuris geschäftsfähige Person in Erscheinung .184 Sinnvoll konnte die Bürgschaft der Ehefrau überhaupt nur dann sein, wenn sie über ein von dem ihres Mannes getrenntes Vermögen verfügte .

179 Ebd ., 23–25 . 180 In diesem Fall wäre die Zinszahlung durch eine Vorleistung des Schuldners erfolgt: Leonhard 1894 . 181 Mit verschiedenen Varianten: Häufig belegt ist die Aufstockung des Rückzahlungsbetrags um die Hälfte (ἡμιόλιον, P . Oxy . 507, 17s) oder gar um 100 Prozent (P . Berlin 23104,8f .); vgl . Porten/Yardeni 1986, Bd . 2, Nr . B 4 .2 . Andere Verträge verweisen für den Fall versäumter Zahlung lediglich auf das Exekutionsrecht des Gläubigers, der das Pfand einbehalten bzw . sich am Vermögen des Schuldners schadlos halten kann (so häufig die Darlehensverträge aus Dura-Europos, vgl . auch ebd ., Nr . B 3 .1, 7–11) . Verzugszinsen hatte bereits im ptolemäischen Ägypten ein δίγραμμα auf 24 Prozent p . a . (τόκοι δίδραχμοι – eine Didrachme pro Mine und Monat) festgesetzt; Mitteis/Wilcken 1912, Bd . 2, 1, 118 . In Ägypten war seit ptolemäischer Zeit und bis in die Spätantike eine Klausel gängig, die Zwangsvollstreckung durch den Gläubiger schon kraft Schuldschein erlaubte: Er selbst könnte »wie nach einem Prozess« (καθάπρ ἐκ δίκης) bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners die Exekution vornehmen; ebd ., 119–121 . Dokument P 2 enthält indes nur indirekt Angaben über das Exekutionsrecht des Gläubigers: Šaʿidu hatte über seinen Sklaven Baʿišu erfolglos versucht, die Vollstreckung vorzunehmen (P 2,21) . 182 Benoit et al . 1961, Nr . 114, 114–116 (griechisch, 171 n . Chr .?) sieht die Zahlung von Verzugszinsen, »festgesetzt durch den Erlaß«, vor, orientiert sich also an einer gesetzlichen Bestimmung . Nr . 18, 6 (aramäisch, 55/56 n . Chr .) setzt einen 20prozentigen Verzugszins fest »bis der Betrag vollständig beglichen ist .« 183 Der Einsatz von Sklaven als Agenten in Privat- und Handelsgeschäften war im gesamten Altertum weit verbreitet, so etwa im römischen Fernhandel auf Delos und im römischen Ägypten . Zu Delos Laidlaw 1933, 201–210 . Zum Einsatz von Agenten im ägyptischen Rotmeerhandel: Young 2001, 48–54; Evers 2016, 112–121 . Zu den Agenten der dort tätigen Nikanor-Familie Sidebotham 1986, 84 . 184 P 2,11 .

270 · VII. EdEssa und osrhoEnE Über die Gründe dafür, dass die Forderung von einem Gläubiger auf einen anderen übertragen worden war, lassen sich nur Vermutungen anstellen . Möglicherweise brauchte Šaʿidu schlicht Geld und veräußerte deshalb seinen Rechtstitel an Worōd . Zu denken gibt indes der Zeitpunkt der Übertragung just beim Fälligwerden des Darlehens und nach ergebnislosem Vollstreckungsversuch . Denkbar ist, dass Šaʿidu, der nicht in Markopolis wohnte, keine Möglichkeit zu effektiver Exekution sah und deshalb Worōd einschaltete . Selbstverständlich ist auch ein politischer oder verwandtschaftlich-tribaler Hintergrund der Transaktion nicht auszuschließen . Der Verdacht, dass mit der Rechtsform des Darlehens lediglich ein bestehendes Abhängigkeitsverhältnis in eine mit römischem Recht kompatible Form gegossen wurde, ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen . Zwar waren entsprechende Zessionen von Schuldscheinen auch im römischen Ägypten vielfach belegte Rechtspraxis, doch meist unter weniger auffälligen Begleitumständen . In jedem Fall wirft das im hellenistischen Orient weit verbreitete Instrument des antichretischen Darlehens Licht auf eine Ökonomie, in der Geld knapp, Arbeit hingegen im Überfluss vorhanden war .185 Wie Dokument P 2 ist auch die andere syrische Urkunde vom mittleren Euphrat, der Pachtvertrag zwischen Worōd und Tamarqos, der Papyrus P 3, aus subjektiver Perspektive aufgesetzt, wobei aber das indirekte Objekt durchgängig in der dritten Person bleibt . Der Pachtvertrag sieht folgende Bestimmungen vor: Worōd überlässt Tamarqos für zwölf Monate ein »bestimmtes Grundstück«, »unbesätes Land«, samt einigen Gebäuden, einer Einfriedung und »zugehörigen Anlagen«; Tamarqos verpflichtet sich, für den Pachtzeitraum das Land zu bestellen und die Ernte einzubringen, die Gebäude in Stand zu halten und die Abgaben, mit denen das Land belastet ist, zu übernehmen . Den Pachtzins hat Tamarqos bereits im Voraus entrichtet, die Höhe wird in der Urkunde nicht genannt . Festgelegt wird aber anscheinend, dass Tamarqos das alleinige Nutzungsrecht am Ernteertrag erhält . Das Dokument schließt mit einer Defensionsklausel, der Festlegung der Unwiderrufbarkeit des Vertrags sowie den Unterschriften Worōds und des Schreibers . Die Pachtdauer von einem Jahr ist auch im kaiserzeitlichen Ägypten seit dem 3 . Jahrhundert n . Chr . der Normalfall .186 Sonst aber weicht Dokument P 3 mehr oder weniger deutlich von den ägyptischen Referenztexten ab . Dort liegen die meisten Pachturkunden in Form von Hypomnemata vor, aufgesetzt formal als Eingaben des Pächters an den Verpächter .187 Während nach den ägyptischen Verträgen der Pächter den Pachtzins, in Naturalien (ἐκφόριον) oder Geld (φόρος), jeweils nach Einbringung der Ernte entrichtete, hat Tamarqos ihn bei Abschluss bereits als Vorleistung erbracht .188 Die Grundsteuer, die nach dem vorliegenden Dokument Tamarqos zu bezahlen hat, entrichtete im römischen 185 Mitteis/Wilcken 1912, Bd . 1, 1, 115f .; Koschaker 1931, 2–68 . 186 In ptolemäischer und frührömischer Zeit galt hingegen meist eine mehrjährige Pachtdauer; ebd ., 197 . 187 In Ägypten wurden seit ptolemäischer Zeit Verpachtungen im Wettbewerb ausgeschrieben . Mehrere Kandidaten richteten ein ὑπόμνημα mit ihrem Angebot an den Verpächter; ebd ., 195f . 188 Ebd ., 197 .

Dokumente einer Zeiten wende? · 271 Ägypten ausweislich der Verträge in aller Regel der Grundherr .189 Schließlich verzichteten die ägyptischen Urkunden auf eine Defensionsklausel, βεβαίωσις, wohingegen Worōd ausdrücklich die Haftung für Rechtsmängel des Grundstücks übernimmt . Sucht man nach Parallelen für die in Dokument P 3 getroffenen Übereinkünfte, so wird man, mangels erhaltener Pachtverträge, im syrisch-palästinischen Raum nicht fündig; Anhaltspunkte für die Pachtregelungen der aramäischen und jüdischen Rechtstradition enthält aber ein Pachtvertrag aus dem ägyptischen Oxyrhynchos aus dem Jahr 515 v . Chr .190 Ein Vergleich ergibt überraschende Übereinstimmungen mit dem über 700 Jahre jüngeren Dokument P 3: Der Pachtzins (pmṭn) war auch hier bereits vor Vertragsabschluss fällig; das Dokument enthält eine Defensionsklausel, eine Erklärung über die Unwiderrufbarkeit der Abmachung durch den Verpächter und Bestimmungen zur vorzunehmenden Aussaat und Ernte . Die insgesamt fünf Urkunden vom mittleren Euphrat und aus Dura-Europos sind ein Spiegel der bewegten Geschichte Edessas und Osrhoenes um die Mitte des 3 . Jahrhunderts n . Chr . Sprache und Datumsangaben, die gewiss offiziellen Vorgaben folgten, geben Zeugnis von den wechselnden politischen Konstellationen und, im Fall von Markopolis nach dem endgültigen Ende der Monarchie, vermutlich von der Suche einer kleinen Stadt nach Identität, in Abgrenzung von ihrer übermächtigen Nachbarin, der colonia Edessa, der Ruhmreichen, und in Ausnutzung der neuen Möglichkeiten, die fremde symbolische Ausdrucksformen dazu boten . Bei allem Wandel künden die Texte aber zugleich von der anhaltenden Wirksamkeit traditioneller Rechtsnormen und althergebrachter sozialer Ordnungen . Mesopotamien präsentiert sich als vergleichsweise homogener Raum, in dem Menschen über relativ große Entfernungen hinweg Austausch pflegten und sich eines im Wesentlichen einheitlichen Kommunikationsmediums bedienten: des Aramäischen in seinen Varianten . Gerade auch einflussreiche Personen stellten sich durch ihr Tragen eines peregrinen Namens bewusst in die sprachliche und kulturelle Tradition der Region . Die Vertragstexte, jedenfalls soweit sie in syrischer Sprache verfasst sind, verraten in Form wie Inhalt deutlich die Patenschaft einer Rechtstradition, die auch in den kaiserzeitlichen Dokumenten vom Toten Meer, aber selbst noch in den erheblich älteren aramäischen Papyri aus Ägypten begegnet . Mehr noch: Die in regionales, aber mit römischen und griechischen Rechtsvorstellungen immerhin kompatibles Recht gegossenen Transaktionen verstellen vermutlich den Blick auf eine soziale Wirklichkeit personaler – vermutlich verwandtschaftlicher und tribaler – Bindungen, die sich eigentlich juristischen Kategorien entzog, aber nichtsdestoweniger auch unter direkter römischer Herrschaft ihr zähes Eigenleben führte .

189 Wiewohl auch der Pächter ins Kataster aufgenommen wurde; ebd . 190 Porten/Yardeni 1986, Bd . 2, Nr . B 1 .1 .

VIII. DURA-EUROPOS UND DER MIT TLERE EUPHRAT Wie Hatra, Palmyra und Edessa, so ist auch Dura-Europos nicht von seinem naturräumlichen Umfeld zu lösen . Und wie die großen Städte des römisch-parthischen Vorderasien war die Stadt am Euphrat Zentralort eines Siedlungssystems . Auch Dura lag in einem ökologischen Milieu, das den Menschen, ihrer Art zu leben und ihre Existenzgrundlage zu erwirtschaften, seinen Stempel aufprägte . Anders aber als im Fall von Hatra, Palmyra und Edessa, die in ihrer – ökonomischen, religiösen und zeitweise auch politischen – Bedeutung je weit über ihr lokales Umfeld hinaus ausstrahlten, erschöpfte sich Duras Funktion in der eines mittleren Zentrums seines unmittelbaren, agrarisch genutzten Hinterlandes .1 Die Struktur dieses Hinterlandes war durch den Flusslauf des mittleren Euphrat vorgegeben . Das Flusstal, dessen Breite zwischen sechs und 14 Kilometern schwankt, ist in mehreren Terrassen tief ins Tafelland der Syrischen Wüste eingeschnitten . Die tiefste, nach-pleistozäne Terrasse bietet mit ihren fruchtbaren Alluvialböden ideale Wachstumsbedingungen für Pflanzen . Der Fluss selbst mäandriert, unter Bildung zahlreicher Inseln und Altarme, in der Talaue . Im Gegensatz zum eher träge dahinfließenden Tigris eignet er sich in seinem Mittel- und Oberlauf nicht als Fernverkehrsverbindung, weder per Schiff noch zu Lande . Der antike Fernhandel folgte daher nicht dem mittleren Euphrat, sondern einer Route quer durch die Ǧazīra und den Tigris entlang . Nur ein großer Zufluss, der Ḫābūr, speist den Euphrat in seinem Mittellauf, doch münden zahlreiche saisonal Wasser führende Wadis in den Strom, alle von rechts kommend . In ihrem Mündungsbereich weitet sich jeweils das Flusstal aus . Hochwasserperiode ist das Frühjahr: Der Pegel steigt dann rund vier Meter über seinen Normalstand, Kulturland und Siedlungen bleiben aber meist vom Wasser verschont . Das Tal bietet, trotz des arid-kontinentalen Klimas 1

Dura-Europos war gewiss keine ›Karawanenstadt‹ von überragender Bedeutung, wie Rostovtzeff 1932, 153–219, unter dem Eindruck der ersten, von der amerikanischen Mission durchgeführten Kampagnen meinte . Wenn Palmyra »la Venise des sables« (Ernest Will) war, so trifft auf Dura fraglos Rostovtzeffs späterer Vergleich mit Pompeji zu: Wie Pompeji war Dura in der Antike keine Stadt von erstrangiger Wichtigkeit; wie Pompeji erhielt es seine überragende Bedeutung hauptsächlich durch einzigartige archäologische Funde, die tiefe Einblicke in die Sozial- und Alltagsgeschichte seiner Bewohner geben: Rostovtzeff 1938a, 2; Dirven 1999, XV; Kaizer 2016b, 1 .

274 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at mit Niederschlagsmengen unter 200 Millimetern im langjährigen Mittel, ausgezeichnete Bedingungen für Ackerbau auf der Grundlage intensiver Bewässerung, allerdings auf weitaus begrenzterer Fläche als in der Flussoase Untermesopotamiens, weil die Taleinschnitte hier tief und fruchtbare Böden auf die unterste Schwemmlandterrasse beschränkt sind .2 Nicht einmal 100 Jahre lang, vom Partherkrieg des L . Verus bis zur Eroberung und Zerstörung durch die Sasaniden, stand Dura-Europos unter der, erst indirekten, später direkten Herrschaft des römischen Imperiums . Es waren kaum die prägendsten Jahre seiner Historie . Dura war wesentlich länger ›römisch‹ als Hatra, aber bei Weitem kürzer als Städte wie Edessa, Palmyra oder Emesa . Dennoch hat Dura seinen unverrückbaren Platz in der Geschichte des römischen Vorderasien und der Steppengrenze: Keine andere Stadt des römisch-parthischen Orients verkörpert, mit ihrer Lage, Geschichte und inneren Organisation, in vergleichbarer Intensität die Ambiguität und Komplexität des syrisch-mesopotamischen Grenzlandes sowie das Auseinanderklaffen zwischen politischen und kulturellen Grenzen; keine andere Stadt gewährt derart tiefe Einblicke in Leben und Alltag von Minderheiten in kulturell, ethnisch und sprachlich disparaten Milieus .

›Das Pompeji des Orients‹: Archäologie eines Mittelzentrums im römisch-parthischen Grenzland Die Ruinen von Dura-Europos liegen, unweit des alten Mari (Tell Harīrī), ca . 50 Kilometer flussabwärts der Ḫābūr-Mündung am rechten Euphratufer, auf einem Felsvorsprung, der das Flusstal und das hier einmündende Wādī Ḥamar beherrscht . Die Steilwände des Plateaus, das geologisch die Fortsetzung des syrischen Tafellandes bildet und gut 40 Meter über dem Niveau des Flusses liegt, fallen nahezu senkrecht zum Wadi und zum Euphrat hin ab . Die Stadt war eine natürliche Festung, wie geschaffen für die Kontrolle des Euphrattals . Das halbkreisförmig vorragende Plateau ist an drei Seiten von tiefen Taleinschnitten begrenzt . Nur nach Westen hin geht es fugenlos in die Wüste über; die Westseite war daher mit besonderem Aufwand zu sichern . Vier Siedlungsperioden heben sich, von der Gründung durch Seleukos Nikator um 300 v . Chr . bis zur Zerstörung 256/257 n . Chr ., deutlich voneinander ab: Auf die durch die Bauaktivität der makedonisch-griechischen Siedler geprägte Phase (›hellenistisch‹, bis ca . 113 v . Chr .) folgte eine erste, noch stark in deren Kontinuität stehende Periode unter parthischer Herrschaft (›parthisch I‹, bis ca . 50 v . Chr .); erst allmählich schlug sich die parthische Herrschaft auch baulich-stilistisch nieder (›parthisch II‹, bis 166 n . Chr .); erstaunlich wenig innovative Elemente schließlich bescherte Dura-Europos die letzte der vier Siedlungsperioden (›römisch‹, bis 256/257 n . Chr .) .

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Wirth 1971, 429–437; Geyer/Monchambert 1987, 295–299; Geyer 1988 .

›Das Pompeji des Orients‹ · 275 1 . Stadtbefestigungen und Wegenetz entstanden alle noch in hellenistischer Zeit, wenn auch nicht unmittelbar nach der makedonischen Stadtgründung . Überreste der vorhellenistischen Stadt konnten bei den bisherigen Grabungsarbeiten nicht ans Licht gebracht werden .3 Der frühhellenistische Stadtplan trägt aber alle Züge einer vollständigen Neukonzeption (Abb . 8 .1) . Das Wegenetz ist die perfekte, lediglich an die topographischen Gegebenheiten angepasste Umsetzung des hippodamischen Stadtplans, mit einer vom Haupttor der Stadt im Westen bis zum Euphrattor im Osten verlaufenden, fast durchgängig geraden Hauptstraße und sie rechtwinklig schneidenden Seiten- und Parallelstraßen, und stammt in seiner endgültigen Form offenbar aus der Schlussphase der Seleukidenherrschaft (ca . 150 v . Chr .) . Das makedonische Europos war aber fraglos von der Stunde seiner Gründung an als griechische Polis konzipiert .4 Stadtmauer und Stadtplan hatten sich, trotz der schon fast prototypischen Treue zum hippodamischen Modell, bestimmten, primär durch die physische Gestalt des Felsplateaus bedingten topographischen Gegebenheiten anzupassen . Unregelmäßigkeiten fallen besonders im dem Euphrat zugewandten Ostteil der Stadt, im Bereich der ›Akropolis‹ (von Cumont und den französischen Archäologen »Redoubt« genannt) und der ›Zitadelle‹, auf . Hier trennt ein in zwei Armen auslaufendes, vom Euphrattal ausgehendes kleines Wadi beide Erhebungen vom Hauptsockel des Plateaus ab . Die Hauptstraße verzweigt sich, von Südwesten kommend, und folgt den beiden Armen des Seitenwadis . Dort, wo das Wadi ins Euphrattal mündet, befindet sich ein Stadttor (»River Gate«) . Die hellenistische Stadt, die bei Weitem nicht den gesamten Mauerring ausfüllte, zerfiel, den Vorgaben des Geländereliefs folgend, in drei ihrer Größe und Bedeutung nach ungleiche Teile . Auf den beiden durch das Wadi abgeteilten Erhebungen der ›Akropolis‹ und der ›Zitadelle‹ befanden sich jeweils große, palastartige Gebäude, deren genaue Zweckbestimmung jedoch nicht ersichtlich ist . Wann das sogenannte Strategeion auf der ›Akropolis‹ entstand, ob unmittelbar nach der Gründung der Stadt im frühen 3 . Jahr3

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Nach der zufälligen Wiederentdeckung der Ruinen nahm ein belgisch-französisches Team unter Leitung von Franz Cumont erste Grabungsarbeiten auf (1922–1923): Cumont 1926 . Es folgte die intensive, in Kooperation zwischen der Yale University und der französischen Académie des Inscriptions et des Belles Lettres durchgeführte Grabungstätigkeit der Jahre 1928–1937, mit Michael Rostovtzeff und Franz Comont als wissenschaftlichen Direktoren und Maurice Pillet als Grabungsleiter . Die Ergebnisse sind in einem umfassenden Grabungsbericht dokumentiert: in neun Preliminary Reports (TEAD I–IX) und den in bislang zwölf Teilbänden erschienenen Final Reports zu systematischen Aspekten des Befundes . In jüngerer Zeit (1989–1993) nahmen syrische und französische Archäologen die Arbeiten in Dura-Europos wieder auf, vor allem, um den aktuellen Zustand der in der Zwischenkriegszeit ergrabenen Architektur zu dokumentieren und Ausbesserungen vorzunehmen . Zur Geschichte der, gerade auch archäologischen, Erforschung von DuraEuropos jetzt eine Fülle neuer Literatur: Baird 2012a; Baird 2012b; Baird 2014, 1–38; Brody 2016; Kaizer 2016b, 2–4 . Cumont 1926, 25–27; Rostovtzeff 1938a, 34–37 . Zur Datierung des Straßenrasters und der Stadtbefestigungen Leriche/al Mahmoud 1997 . Anhaltspunkte für die – gegenüber der von Rostovtzeff vorgeschlagenen deutlich spätere – Datierung von Straßennetz und Befestigungen in die Mitte des 3 . Jahrhunderts lieferte eine Sondage im Bereich der Hauptstraße, die insgesamt fünf Nutzungsphasen ans Licht brachte: ebd ., 16 .

276 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at hundert v . Chr . oder in der zweiten Urbanisierungsphase um 150 v . Chr ., ist unklar .5 Es folgte dem in klassischer Zeit entstandenen Typus des griechisch-makedonischen Peristylhauses . Dass das Gebäude, wie von den Ausgräbern angenommen, den Amtssitz des στρατηγός beherbergte, ist reine Spekulation . Ebenso gut kann es sich um ein üppig dimensioniertes Privathaus gehandelt haben .6 Der südöstlich vom Strategeion gelegene Block beherbergte das große Heiligtum des Zeus Megistos . Der Tempel, der wohl im 2 . Jahrhundert v . Chr . unter Antiochos IV . aus akkurat behauenen Quadersteinen errichtet wurde, verrät in seiner ersten Bauphase einen regionalen, wiederum als ›parthisch‹ missverstandenen Einschlag: Hinter dorischem Propylon öffnet sich ein Hof, in dessen Mitte ein Stufenaltar steht und der den Blick freigibt auf einen dreifachen Iwan: eine nach vorne offene, mit Tonnengewölben überdachte Halle . Der mittlere Iwan ist weitaus breiter als die Seitenschiffe . Neben dem Tempel befand sich ein frei stehendes Zweisäulenmonument .7 Für die ›Zitadelle‹ im Osten der Stadt machte man sich die natürliche Beschaffenheit des Geländes zunutze . Weite Teile ihrer baulichen Struktur sind in den Fels geschnitten . Mauern mit einer Stärke von knapp drei und einer Höhe von über 12 Metern sowie mehrere hohe Türme schirmten den Befestigungshügel vom Rest der Stadt ab . Die hellenistische Bebauung der Zitadelle wurde in parthischer Zeit abgetragen, um einem palastartigen Repräsentationsbau Platz zu machen . Sie beherbergte aber bereits zuvor ein herrschaftliches Gebäude und Unterkünfte für Soldaten, beide unvollendet .8 Dritter Kern der hellenistischen Stadt war die Agora, die nördlich an den mittleren Abschnitt der Hauptstraße grenzt und, mit ihren Randbereichen, eine Fläche von sechs regulären Blöcken des Stadtrasters einnimmt . Den Platz säumten aus orthogonalen Steinquadern aufgeführte Läden . Erhalten sind einige Antefixe der Giebeldächer . Vermittelt die Architektur der Agora soweit einen authentischen griechischen Eindruck, so fällt das 5 6

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Die Ausgräber nannten das vermeintliche Strategeion auch Redoubt Palace . Zum Befund: ebd ., 10f . Teile des in der Zwischenkriegszeit zutage geförderten Materials sind jetzt publiziert bei Leriche et al . 1997, 55– 80 . Die jüngsten syro-französischen Arbeiten beschränkten sich auf eine Rekonstruktion der eingestürzten Nordfassade des Gebäudes sowie einige Sondagen in seinem Inneren, ohne neue Hinweise auf die Funktion des Baus erbracht zu haben . Um das Strategeion lagerte sich ab dem frühen 3 . Jahrhundert eine bescheidene Wohnbebauung in agglutinierender Bauweise: ebd ., 78 . TEAD I, 23f . (über den Zustand vor Beginn der Grabungsarbeiten); Perkins 1973, 13–15 . Zu den Arbeiten des Jahres 1992 Downey 1997, 107–116 . Die Arbeiten der 1980er und 90er Jahre dokumentieren die Entwicklungsgeschichte, sukzessive Umgestaltung und Erweiterung des Heiligtums über fünf Bauphasen: Downey 1988b, 79–83 . In seiner Struktur, mit Antecella, offenem Hof und dreigeteiltem rückwärtigen Kultraum, ähnelt der Zeus-Megistos-Tempel in seiner ersten Bauphase den partherzeitlichen Heiligtümern von Ai Khanoum in Baktrien . Dagegen ist das äußere Erscheinungsbild des Tempels in Dura weitgehend griechischen Vorbildern angenähert (während Ai Khanoum hier in achaimenidischen Bautraditionen zu stehen scheint): ebd ., 84f . Zur Forschungsgeschichte jetzt auch Downey 2016, 201–203 . TEAD I, 26–28; TEAD II, 13–17 . Von den vorparthischen Bauten der ›Zitadelle‹ haben sich nur mehr kümmerliche Reste erhalten . Die anfangs für hellenistisch gehaltenen Strukturen einer Portikus und einer Zisterne erwiesen sich später als Teile des partherzeitlichen palastartigen Gebäudes .

›Das Pompeji des Orients‹ · 277

Abb. 8.1: Dura-Europos. Archäologischer Plan

Fehlen von Stoai auf – ein mögliches Indiz dafür, dass der Platz ausschließlich als Markt und nicht, wie im griechischen Raum üblich, als öffentlicher Versammlungsort diente . Sonst aber entspricht die Anlage des Platzes bis ins Detail den Vorgaben hippodamischer Stadtplanung: Die Agora liegt einen halben Block von der Hauptstraße entfernt; sie ist von einem hufeisenförmigen Gebäudekomplex eingerahmt, die offene Seite der Straßenfront

278 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at zugewandt; auf architektonische Ornamentik wurde weitgehend verzichtet; die Randbebauung beherbergte fast ausschließlich Geschäfte, keine öffentlichen Gebäude .9 Monumentalstes Überbleibsel des seleukidischen Europos ist der Gürtel der Stadtbefestigungen, der das Plateau umschloss und die Stadt bis in die römische Periode schützte . Insbesondere im der Wüste zugewandten Westen, wo die Stadtbefestigungen besonders massiv waren und in römischer Zeit teilweise unter einem zur Verstärkung errichteten Damm verschwanden, war ihr Erhaltungszustand zum Zeitpunkt der Grabungen außerordentlich gut . Die Arbeiten an der Mauer waren offenbar im späten 2 . Jahrhundert v . Chr ., als die Parther Dura-Europos akut bedrohten, noch nicht zum Abschluss gekommen . Im Nordabschnitt der Westmauer, der sogenannten Wüstenmauer, behalf man sich daher mit einer Mauer aus ungebrannten Lehmziegeln, die einem Sockel aus behauenen, mit Gipsmörtel vermauerten Quadersteinen aufgesetzt wurde . Ganz aus Stein waren hingegen Tore, Türme und die Mauern der Zitadelle . Drei Stadttore – im Westen, Süden und Osten – gewährten Zugang zur Stadt .10 Haupttor war das nach Westen, zur Wüste hin gerichtete Palmyrator, bei dem die Hauptachse des hippodamischen Rasters ihren Anfang nahm . Zum Zeitpunkt seines Entstehens war das Stadtgebiet in Tornähe noch unbebaut . Das auf praktisch quadratischem Grundriss, in massiver Bauweise aufgeführte Tor entstand gleichzeitig mit der Hauptstraße, um oder nach 150 v . Chr ., in spätseleukidischer Zeit . Links und rechts der etwa fünf Meter breiten Durchfahrt boten Seitenräume den Torwachen Platz . Etwa 70 Meter südlich des Haupttors befand sich ein weiteres Tor, das während der Bauarbeiten am Palmyrator Zugang zur Stadt gewährte und später vermauert wurde .11 Insgesamt 14 Türme verstärkten allein die Westmauer . Sie entstanden vor Errichtung der eigentlichen Mauer und folgten durchweg einem einheitlichen Bauschema: quadratischer Grundriss und nach oben hin abnehmende Mauerstärke, Erdgeschoss und drei Stockwerke . Die Türme

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TEAD V, 73–97, besonders 78f .; ebd ., 79, aber nur vage Angaben zur Datierung (»may have been […] built very early in [the Parthian] epoch and certainly under Greek architects .«); TEAD IX 1, 3–27; Perkins 1973, 13f ., und bereits Rostovtzeff 1938a, 37 . Bemerkenswert ist das offensichtliche Fehlen von für eine Polis typischen öffentlichen Gebäuden (Gymnasium, Theater bzw . Buleutherion, Hippodrom) in der Stadt überhaupt . Ihr ursprüngliches Vorhandensein kann aufgrund der guten Dokumentationslage für den innerstädtischen Bereich nahezu sicher ausgeschlossen werden; vgl . ebd . 10 Zu den Stadtbefestigungen allgemein: ebd . 11f .; TEAD I, 8–10; TEAD II, 5f .; TEAD V, 1–30; TEAD VII–VIII, 4–51, besonders 18–20 zur Konstruktion des Lehmziegelabschnitts mit Steinsockel . Rostovtzeff deutete den Befund als nicht zu Ende geführten Versuch, eine (ältere) Lehmziegelmauer durch eine (neuere) Steinmauer zu ersetzen . Contra mit der überzeugenden Erklärung eines beschleunigten Mauerbaus Leriche/al Mahmoud 1997, 19 . Vgl . Leriche 1987, 62: »C’est donc bien à l’époque grecque qu’il faut, pour moi, placer l’édification des fortifications de pierre de Doura Europos .« Leriche (ebd .) führt neben archäologischen Gründen vor allem ein historisch einleuchtendes Argument an: »A partir de la conquête parthe, les fortifications de Doura Europos semblent avoir totelement abandonné leur fonction militaire .« 11 Gelin/Leriche/Abdul Massīh 1997 . Zum Seitentor: TEAD VII–VIII, 7–9; Abdul Massīh 1997; TEAD VII– VIII, 12f .

›Das Pompeji des Orients‹ · 279 der übrigen, durch die Steilhänge ohnehin besser geschützten Mauerabschnitte entstanden hingegen erst nachträglich, in der parthischen Periode .12 2 . Die mit der parthischen Eroberung (ca . 113 v . Chr .) einsetzende Periode ›parthisch I‹ brachte zunächst nur wenige Veränderungen in der urbanistischen Struktur und im architektonischen Erscheinungsbild der Stadt . Bei Gebäuden, die in den ersten ca . 60 Jahren unter parthischer Herrschaft neu errichtet oder verändert wurden, folgte man durchgängig den aus seleukidischer Zeit bekannten Mustern – mit einer einzigen, freilich signifikanten Ausnahme: So relativ schlecht die Publikationslage für den Gebäudekomplex ist,13 sicher ist, dass der palastartige Repräsentationsbau auf der ›Zitadelle‹ mit seinen drei monumentalen Iwanen an der dem Euphrat zugewandten Frontseite einem Bauplan entsprach, der in parthischer Zeit in Mesopotamien verbreitet war, während genuin hellenistische Elemente – ein Peristyl mit Impluvium im rückwärtigen Gebäudetrakt – zwar noch Verwendung fanden, aber buchstäblich in den Hintergrund gedrängt waren . Der Bau ersetzte die seleukidische Vorgängerbebauung auf der ›Zitadelle‹ vollständig .14 Das wenige publizierte Material erlaubt kaum Rückschlüsse auf die funktionale Bestimmung des Gebäudes . Bauplan und Lage deuten aber auf eine herausgehobene Funktion im ›öffentlichen‹ Leben der Stadt hin . Speziell die in ihrer Größe mit ähnlichen Strukturen in Hatra und Assur vergleichbaren Iwane – die in kleinerem Format quer durch das parthische Vorderasien auch in Privathäusern zu finden sind – lassen an eine repräsentative Bestimmung wenigstens dieses Gebäudeteils denken . All das würde durchaus in den von Rostovtzeff vorgeschlagenen Deutungsrahmen – Amtssitz des στρατηγός ἐπιστάτης – passen . Der deutlich ›parthische‹ Einschlag der Architektur, der hier erstmals in Dura-Europos zu greifen ist, mag entweder als Machtdemonstration der Zentrale und ihrer Repräsentanten vor Ort aufzufassen sein oder – eher –als Adaptionsversuch lokaler Eliten an einen als vorbildhaft empfundenen, weil mit der parthischen Herrschaft assoziierten Baustil .15

12 Ebd ., 18–20; 60f . 13 Publikation der ›Zitadelle‹ angekündigt in Rostovtzeff 1938a, 143, Anm . 127, aber nicht erfolgt . Dafür jetzt die aus Archivstudien in Yale hervorgegangenen Artikel: Downey 1986; Downey 1988a . Zu den teils abenteuerlichen Rekonstruktionen der frühen Yale-Mission im Bereich der Zitadelle jetzt auch Downey 2016 . 14 Rostovtzeff 1938a, 47, interpretiert das Gebäude, »an imposing palatial house of local type«, als »official residence of the Parthian strategos­epistates« und erlaubt sich, des monumentalen Portals wegen, einen gewagten Vergleich mit der Hohen Pforte in Konstantinopel . Das Mauerwerk weist im Detail Abwandlungen des aus seleukidischer Zeit geläufigen Musters auf, setzt aber grundsätzlich hellenistische Traditionen – mit sorgfältig vermauerten Quadersteinen und geglätteten Oberflächen – fort: Perkins 1973, 14f . 15 Downey 1986, 27, datiert die Neugestaltung der ›Zitadelle‹ noch in seleukidische Zeit, »probably as a result of the earthquake of A . D . 160 .« Sollte diese Datierung zutreffen, müssen andere Erklärungen für das Aufkommen vermeintlich parthischer Einflüsse in der Architektur von Dura-Europos gefunden werden . Downey, ebd ., 33–36, betont die Parallelen (Teilung des Gebäudes in zwei Sektionen: ›privat‹ und ›öffentlich‹; »isolierende« Korridore) zwischen dem ›Palast‹ der ›Zitadelle‹ und repräsentativen, um die Mitte des 3 . Jahrhunderts datierenden Palastbauten aus Ai Khanoum in Baktrien .

280 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at Ungefähr gleichzeitig mit dem Entstehen des parthischen Bauwerks auf der ›Zitadelle‹ erfuhr der zweite palastartige Großbau der Stadt, das sogenannte Strategeion, eine größere Umgestaltung und Erweiterung nach Norden hin (»Bauphase II«) . Ungeachtet einiger kleinerer Umbauten im Gebäudekern blieb der hellenistische Charakter des Bauwerks dabei im Prinzip unangetastet .16 Auch auf den Trümmern alter Heiligtümer neu errichtete Sakralbauten setzten zunächst hellenistische Traditionen fort . Gut dokumentiert ist die Baugeschichte des Artemis-Nanaia-Tempels unweit der Hauptstraße im westlichen Teil der Stadt (Abb . 8 .2) . Wohl Ende des 2 . Jahrhunderts v . Chr . brannte das ursprüngliche Heiligtum, ein Temenos mit dorischer Kolonnade und großem Altar in der Mitte, ohne Cella, ab . Nach dem Brand, also in frühparthischer Zeit, entstand an der Stelle, unter Verwendung älterer Bauelemente, ein Naiskos, der sich nach Osten zu zwei Altären hin öffnete und von einer Portikus umgeben war . Der Peripteros, obwohl von mehr als bescheidenen Dimensionen, wurde offensichtlich nie vollendet .17 3 . Die abermalige, diesmal intentionale, Zerstörung des Heiligtums läutete die dritte Siedlungsperiode (›parthisch II‹) ein, in erstaunlicher zeitlicher Parallele zum Beginn des frühkaiserzeitlichen Baubooms in der nun römischen Mittelmeerwelt – und auch in Palmyra, wo allerdings der eigentliche Urbanisierungsschub erst etwas später einsetzte:18 Der Nachfolgebau, der nun erstmals im Stadtgebiet gründlich mit der hellenistischen Tradition brach, ist durch eine griechische Inschrift, die zur Rechten des Pronaos-Eingangs auf einer Säule angebracht ist und aus dem Jahr 280 SÄ (33/32 v . Chr .) stammt, auf die Zeit nach Mitte des 1 . Jahrhunderts n . Chr . zu datieren . Es handelt sich um einen Hofkomplex mit dreischiffiger Cella (Adyton und zwei Seitenräume, C‘) und Vorcella (C) im hinteren Teil des Hofes . Das kleine, mittig an die Vorcella anschließende Adyton erinnert in der Struktur an mesopotamische Breitraumtempel, wie sie auch aus Hatra geläufig sind . Den Hof umgeben, an die Innenseite des Temenos angrenzend, kleine, annähernd quadratische, von Privatleuten errichtete Oikoi, die nach und nach errichtet wurden und Kultbilder für verschiedene Gottheiten enthielten . Der Tempel wurde noch bis in römische Zeit immer wieder umgebaut und erweitert . Eines der an der Südflanke, wohl im 3 . Jahrhundert n . Chr ., neu errichteten Gebäude enthielt eine im Halbrund theaterartig angeordnete Folge von sieben Stufen (H) . Das von seinem Ausgräber Bellinger so genannte »Buleuterion« findet seine Entsprechung in ähnlichen Räumen anderer Heiligtümer (Atargatis, Azzanathkona) der Stadt, den so genannten salles aux gradins .19 16 Auf ungefähre Gleichzeitigkeit der Umbauten mit dem parthischen ›Palast‹ auf der ›Zitadelle‹ deutet die ähnliche Ausführung des Mauerwerks hin: ebd ., 15 . Zu Umbau und Chronologie des Strategeion auch: Rostovtzeff 1938a, 37; Leriche et al . 1997, 76 . 17 TEAD VI, 407–411 . Zur Datierung Rostovtzeff 1938a, 17 . 18 Die Parallele betont Millar 1998a, 476 . Zu Palmyra siehe oben, S . 157 . 19 TEAD VI, 397–404 . Die Räume mit Bänken oder Stufenfolgen zu beiden Seiten oder umlaufend um drei Raumseiten dienten vermutlich als Versammlungsorte von Kultgemeinschaften und der Abhaltung kultischer Mähler . Ob das Buleuterion tatsächlich als Versammlungsort eines städtischen Gremiums fungierte, ist kaum nachzuweisen, obwohl sich in den angrenzenden Räumen mehrere Inschriften von βουλευταί der Stadt ge-

›Das Pompeji des Orients‹ · 281

Abb. 8.2: Dura-Europos. Tempel der Artagatis mit sogenanntem Priesterhaus (links) und Tempel der Artemis Nanaia (rechts) (Block H2–H4)

Die Raumaufteilung im Stil des Breitraumtempels ist das Grundmuster aller partherzeitlichen Sakralbauten in Dura-Europos . Sie deuten damit – anders als der Repräsentationsbau auf der ›Zitadelle‹ – nicht auf ›parthische‹, sondern auf ältere mesopotamische Bautraditionen, ein Eindruck, den weitere Merkmale noch verstärken: die Ausrichtung des Adytons nach Westen, entsprechend der Vorcella nach Osten; der zentrale, von peripheren Räumlichkeiten eingefasste Tempelhof mit Altar in der Mitte; schließlich der nach Osten orientierte Zugang zum Heiligtum, mit einem kleinen Vorraum und gegenüber dem Eingang der Vorcella versetzter Achse (›Knickachse‹) . Im letzten halben Jahrhundert funden haben: Downey 1988b, 90 . Freyberger 1998, 114f ., hält die Räume mit treppenartig ansteigenden Sitzreihen für Bankettsäle . Dagegen jetzt mit Verweis darauf, dass im Zeus-Theos-Tempel nicht weniger als zwölf von insgesamt 16 Räumen salles aux gradins waren, Buchmann 2016, 117–119 .

282 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at vor Christi Geburt setzte in Dura-Europos ein sakraler Bauboom von bis dahin ungekanntem Ausmaß ein . Fast alle Heiligtümer, die zu dieser Zeit entstanden, orientierten sich, mit nur geringfügigen Variationen, am Schema des Breitraumtempels im von Oikoi gesäumten Zentralhof .20 Doch noch weitere Details der Sakralarchitektur im parthischen Dura weisen mit frappierender Eindeutigkeit ins vorhellenistische Mesopotamien zurück . Viele Heiligtümer schlossen unmittelbar an die Stadtmauer an und bezogen einen Turm in ihren Komplex ein; andere verfügten über hochgelegene, begehbare Flachdächer . Hohe Orte scheinen, mit Ausnahme des Zeus-Theos-Tempels, des Mithräums und des sogenannten ›Tempels der römischen Bogenschützen‹, ähnlich wie in Palmyra und Hatra, für die Kultausübung eine zentrale Rolle gespielt zu haben, wiewohl die architektonische Umsetzung im Detail unterschiedlich ausfiel . Vielleicht eine noch direktere Reminiszenz an die mesopotamische Ziqqurat sind die unzähligen, in den Heiligtümern von Dura gefundenen Stufenaltäre, zu denen sich noch die mit Treppenaufgängen und massiven Pfeilern versehenen Propyla der meisten Tempel gesellen .21 Wichtigstes Beispiel für die Anwendung des Hoftempel-Schemas ist nach dem Artemis-Tempel das unmittelbar benachbarte Heiligtum der Atargatis . Sein Cella-Bereich entstand um 31 v . Chr ., die den Temenos einrahmenden Oikoi sukzessive bis 91/92 n . Chr .22 Die Pflasterung des Hofs mit gebrannten Ziegeln erfolgte erst in römischer Zeit . In der Hofmitte, axial zum sich nach Nordosten hin öffnenden Haupteingang, befindet sich ein großer Stufenaltar aus weißem Stein . Wie im Artemis-Tempel ist die Cella (6‘) dreigeteilt, mit breiter, vorgelagerter Antecella (6) . Ein Raum (salle aux gradins) zur Linken des nach Südosten weisenden Nebeneingangs des Heiligtums (13) war zu beiden Seiten von jeweils vier Stufen gesäumt und enthielt im rückwärtigen Teil drei Pedestale für Götterstandbilder . Vor dem Eingang befand sich ein zweiter großer Altar . Der Hof beherbergte weitere kleine Altäre und Weihungen . Neben dem Eingangsbereich führten Stufen anscheinend zu einer begehbaren Terrasse . Im südwestlich an den Tempel angrenzenden Block befand

20 Ein Vergleich mit den beiden anderen archäologisch eingehend erforschten griechischen Kolonien im orientalischen Kulturbereich, Seleukeia am Tigris (Tell ʿUmar) und Ai Khanoum in Baktrien, ergibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Aneignung unterschiedlicher sakraler Bautraditionen . In Ai Khanoum wie im seleukidischen Dura-Europos griff man bevorzugt auf das Schema iranischer Iwantempel zurück; während sie in Dura (Tempel des Zeus Megistos) jedoch zunächst mit Elementen griechischer Fassadengestaltung eingekleidet wurden und man als Baumaterial statt Lehmziegeln auch behauene Quadersteine benutzte, boten sich die Tempel in Ai Khanoum dem Betrachter von Beginn an in klassisch-mesopotamischer Optik dar, mit Nischenarchitektur in Lehmziegelbauweise . Die Tempel in Seleukeia am Tigris, das zum Teil die Bevölkerung des alten Babylon aufnahm, lehnten sich an die Ziqqurat als weiteres zentrales Element mesopotamischer Sakralarchitektur an . In Dura erfolgte mit der parthischen Eroberung paradoxerweise ein Schwenk vom iranischen hin zum klassisch-mesopotamischen Bauplan des Hof- und Breitraumtempels: Downey 1988b, 175–180 . 21 Downey 1976, 21–39 . 22 Der Tempel enthielt reiches epigraphisches Material . Zur Datierung D 157 (TEAD III, 59f .) .

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Abb. 8.3: Dura-Europos. Tempel des Zeus Megistos auf der Akropolis. Bauphasen III–V (Block C4)

sich ein großes, in seinen repräsentativen Räumen mit Freskenschmuck ausgestattetes Wohnhaus .23 Vielleicht noch etwas früher als der Atargatis- und der Neubau des Artemis-Tempels, um die Mitte des 1 . Jahrhunderts v . Chr ., wurde der Komplex des Zeus-Megistos-Tempels auf der ›Akropolis‹ einer gründlichen Umgestaltung unterzogen (Abb . 8 .3) . Der Iwanbau der hellenistischen Zeit wich nun einem Hoftempel mit Oikoi zu beiden Seiten und einer Cella-Antecella-Einheit, deren Eingang in ›Knickachse‹ gegenüber dem Tempeleingang versetzt war . Zur Rechten der Cella (11) führte von der Vorcella (16) aus eine Treppe aufs Gebäudedach . Nach der Zeitenwende erfolgten mehrfach Anbauten, die das Erscheinungsbild des Heiligtums jeweils deutlich sichtbar veränderten . So wurde der Haupteingang von der Ost- auf die Südseite des Komplexes verlegt, wo ein neuer Hof (8) entstand, in den Besucher durch ein Propylon mit Stufen und massiven Pfeilern zu beiden Seiten eintraten, um zunächst in eine Portikus (5) zu gelangen, die sich dann zum Hof 23 Ebd ., 9–11 und 35f .; Rostovtzeff 1938a, 42f .; Leriche 1997a, 894–896 . Das Wohnhaus war durch zwei parallele, die Straße schneidende Mauern mit dem Atargatis-Tempel verbunden . Laut TEAD III, 25–27, handelte es sich um die Wohnung des Priesters . Das freigelegte Gemälde stellt offenbar ein Totenmahl dar . Zur Terrasse als hohem Kultort Downey 1976, 30 .

284 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at

Abb. 8.4: Dura-Europos. Tempel des Bēl in der Nekropolis

hin öffnete . Ein Teil der älteren Oikoi an der Südseite des nun zum Hinterhof degradierten ersten Hofes machte den Neubauten Platz . Zwei in der Art von Antecella (14) und Cella (12) in Flucht liegende, aber nicht freistehende Kulträume öffneten sich unmittelbar zur Linken; ein unverhältnismäßig großer Stufenalter (17) stand in der nördlichen Ecke des Hofes . Ferner grenzte ein Raum mit umlaufenden Bänken (1) an den nunmehrigen Haupthof an .24 Nur unwesentlich variierte der extramurale Bēl-Tempel in der Nekropolis im Westen, ungefähr 400 Meter westlich des Palmyrators, das Schema des Breitraumtempels (Abb . 8 .4) . Eine rechteckige Vorcella (1) mündete direkt in ein kleines quadratisches Adyton im Westen (1‘), das nicht die sonst üblichen Seitenräume besaß . Die dem Haupthof (3) des Tempels zugewandte Front der Antecella schmückte eine Portikus mit zwei Säulen (2) . Von der Portikus zweigte südwärts eine Tür ab, die den Weg zu einem Durchgang in den zweiten, einer jüngeren Bauphase des Tempels zugehörigen Hof (17) und einen Seitenraum 24 Bei der Finanzierung zeichnete sich laut einer Inschrift der στρατηγός und ἐπιστάτης Seleukos aus, möglicherweise ein Vertreter der makedonischstämmigen Oberschicht . Zu den partherzeitlichen Bauphasen des Heiligtums, gestützt auf unpubliziertes Material der Yale-Archive: Downey 1988b, 92–96 .

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Abb. 8.5: Dura-Europos. Tempel der Azzanathkona (Block E7)

der Cella (10) freigab . Beide Höfe waren von Oikoi unterschiedlicher Form und Größe eingefasst . Ein Hinterhof (18) beherbergte eine Zisterne, der durch kleine Propyläen von Osten aus zugängliche Haupthof eine weitere Portikus sowie einen exzentrisch liegenden Altar vor dem Eingang zur Antecella . An den jüngeren Südhof schloss sich gleichfalls eine Vorcella (11) mit dahinterliegendem Adyton (12) an . Wie die Heiligtümer der Artagatis und der Artemis entstand der nördliche Teil des Bēl-Tempels in der zweiten Hälfte des 1 . Jahrhunderts v . Chr .; der zweite Cella-Komplex wurde vielleicht erst in römischer Zeit angefügt . Teile des Gebäudes mussten nach dem Erdbeben von 161 n . Chr ., in dann leicht veränderter Form, wiederaufgebaut werden .25 Am nördlichen Stadtrand, im Bereich des nachmaligen römischen Militärlagers, befand sich der Tempel der Azzanathkona, einer sonst nicht bezeugten, als Artemis und Atargatis interpretierten Gottheit vermutlich lokaler Provenienz (Abb . 8 .5) .26 Das Heiligtum 25 TEAD VII–VIII, 310–316; Dirven 1999, 209–211 . In seiner Bedeutung ungeklärt ist der extramurale Standort des Tempels (wobei bei den Unwägbarkeiten der Chronologie der Tempel theoretisch auch älter als zumindest ein Teil der Stadtmauer sein könnte) . Möglicherweise weist auch hier die Spur nach Babylonien; dann nämlich, wenn die Vermutung zutrifft, dass in Palmyra das babylonische Akitu-Fest begangen wurde, das Kulthandlungen außerhalb des Mauerbereichs vorsah . Im Tempel wurden palmyrenische Götter verehrt (Bēl und Yarḥibōl sind bezeugt); auch die Dedikanten sind durch ihre Namen als Palmyrener ausgewiesen: Gawlikowski 1973, 81–83; Downey 1988b, 98 . 26 Der Namensbestandteil ›Anath‹ verweist auf die gleichnamige babylonische Göttin und zugleich auf die Dura-Europos benachbarte Siedlung am mittleren Euphrat: Dirven 1999, 9, Anm . 38; Pollard 2000, 51f .

286 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at ist um zwei Zentren im Süden bzw . Norden des Hofs herumgruppiert: eine Cella-Einheit (3D–5D) und eine zweite Raumgruppe (9W–10) . Ein Teil des Komplexes, eine weitere salle aux gradins (9W), datiert auf das Jahr 12/13 n . Chr ., so dass der Tempel vermutlich ein wenig jünger ist als der Neubau des Artemis-Tempels und das Atargatis-Heiligtum . Das Gebäude wurde nach dem Erdbeben des Jahres 161 n . Chr . wiederhergestellt und blieb bei der Umgestaltung des Viertels zum Militärkomplex römischer Zeit unangetastet . Es lehnt sich unmittelbar an die – zum Bauzeitpunkt offenbar bereits vorhandene – nördliche Stadtmauer an .27 In die Südwestecke der Stadtmauer schmiegt sich der ʿAphlad-Tempel, der gleichfalls den Typus des Hoftempels variiert . Als Temenosmauer fungiert im Süden und Westen die Stadtmauer, im Norden eine lose gruppierte Folge von Oikoi . Die Bauten sind größtenteils in Lehmziegelbauweise auf Fundamenten aus Bruchstein aufgeführt . Der Eingang befindet sich, wie üblich, im Osten . Keine Propyläen, sondern schlicht eine Lücke zwischen zwei Räumen gibt den Blick frei auf einen Hof mit einem halben Dutzend Altären . Im hinteren Hofbereich liegt der Cella-Komplex; das Adyton erstreckt sich über die gesamte Breite der Vorcella . Der Schrein ʿAphlads, ein rechteckiger Raum, liegt um einige Meter versetzt nördlich des Cella-Komplexes . Ein Dipinto in roter Farbe, aufgebracht auf den Gipsputz des Innenraums, stellt eine Kultszene dar: Sie zeigt einen schreitenden Mann in ›parthischer‹ Tracht und mit gezogenem Schwert, einen Priester mit zylindrischer Haube und im Zentrum einen Vogel mit Krone, die ihm die geflügelte Siegesgöttin aufsetzt . Von besonderem Interesse ist ein Relief, das ʿAphlad, den Sohn Adads, zeigt, wie er auf zwei Greifen steht . Die Vergemeinschaftung Adads mit Greifen ist ein von assyrischen Rollsiegeln her geläufiges Motiv .28 Ebenfalls an die Stadtmauer, diesmal die westliche, angrenzend entstand im frühen 1 . Jahrhundert n . Chr . das Heiligtum des Zeus Kyrios, identifiziert mit dem levantinischen, aus Palmyra hinlänglich bekannten Baʿal-Šamen . Das Heiligtum, in seiner ersten Bauphase lediglich ein offener Temenos mit monumentalem Altar, lehnte sich an Turm 16 27 TEAD V, 131–200 . Downey 1988b, 99, hält die salle aux gradins für »the real center of worship in this unit«, weil sie das Kultrelief und Altäre enthält . Das Argument ist jedoch angreifbar, weil der Tempel, wie fast alle Heiligtümer der Region, offenbar einer Fülle von Gottheiten und Kulten Raum bot, so dass sich ein eindeutiges ›Zentrum‹ kaum ausmachen lässt . 28 Zum Tempel ebd ., 98–130 . Die Deutung des ʿAphlad-Reliefs in diesem Sinne bei Dirven 1999, 163; Elsner 2007, 264–266 . Hauser 2007, 241, glaubt deshalb, der Tempel sei von einer Diaspora-Gemeinde aus ʾAnā gegründet worden . Sein Hinweis auf eine etwaige arsakidische »Religionspolitik« führt aber sicher in die Irre . Der Tempel mit seinen lose gruppierten Gebäuden ohne eigene Temenosmauer weicht markant von den übrigen partherzeitlichen Tempeln der Stadt ab . Es fällt auf, wieviele Heiligtümer sich in Dura an die Stadtmauer schmiegen, insbesondere an besonders exponierte Türme . Analog zu den Tendenzen in griechischen Poleis und etwa in der Biqāʿ-Ebene kann hier das Bemühen Pate gestanden haben, die Götter mit dem Schutz der Befestigungsanlagen zu betrauen und so, ergänzend zu den Fortifikationen aus massivem Stein, einen rem­ part symbolique zu schaffen . Zu diesem Konzept siehe oben, S . 139 . Ähnlich für Dura schon Armin von Gerkan in TEAD VII–VIII, 35 . Auffällig ist die hohe Zahl von Graffiti im Heiligtum, deren Urheber regelrecht um Raum zu kämpfen hatten: Stern 2014, 143–145 .

›Das Pompeji des Orients‹ · 287

Abb. 8.6: Dura-Europos. Sogenannter Bēl-Tempel bzw. › Tempel der palmyrenischen Götter‹, Bauphasen I–III (Block J3–J5)

der ›Wüstenmauer‹ an . In einer zweiten Bauphase wurde, wenig später, die Einfriedung im Norden um einen überdachten Raum erweitert . Außerdem wurde der Altar als nun wesentlich größerer Stufenaltar neu errichtet . Zerstörung und Wiederaufbau nach dem Erdbeben von 161 n . Chr . markieren den Beginn der dritten Nutzungsphase: Der Tempel erstand in alter, offener Form, aber bedeutend größer neu; der Stufenaltar wurde erheblich verkleinert . Später verschwand der Tempel unter der konservierenden Decke des zur Verstärkung der Westmauer errichteten Damms aus ungebrannten Lehmziegeln . Das Heiligtum weicht in seiner Grundstruktur, in allen seinen Nutzungsphasen, als offensichtlich hypaithraler Kultbau markant von den vorherrschenden Breitraumtempeln mit Zentralhof ab . Zur ersten Bauphase gehört das im Tempelbereich in situ gefundene, die Gottheit Zeus Kyrios bzw . Baʿal-Šamen darstellende Kultrelief aus weißem Kalkstein . Es zeigt eine sitzende männliche Figur, bekrönt mit einem zylindrischen Polos . Der massige Kopf und Rumpf wenden sich frontal dem Betrachter zu; in der rechten Hand hält Zeus Kyrios eine Garbe aus Ähren und Früchten, in der Linken ein Szepter . Eine zweite männliche Figur – der Dedikant Seleukos – trägt in den Armen einen Widder als Weihgabe für den Gott .29 Der sogenannte Bēl-Tempel, früher auch ›Tempel der palmyrenischen Götter‹ genannt, erhielt seinen Namen wegen der in ihm für das 3 . Jahrhundert bezeugten palmyrenischen Kultaktivitäten (Abb . 8 .6) .30 Der Tempel ist aber bedeutend älter: Eine Inschrift liefert als 29 Dirven 1999, 219–222; Niehr 2003, 164–161 . Stil und Ikonographie des akkurat gemeißelten Reliefs weisen eindeutig nach Palmyra . Hergestellt wurde es aus lokalem Sandstein vom mittleren Euphrat . 30 Graffiti und eine Inschrift nennen hingegen »Zeus«, »Zeus Megistos« und »Zeus Sōtēr«: Millar 1998a, 479 .

288 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at Terminus ante quem für die Einweihung das Jahr 50/51 n . Chr . Das Heiligtum fügt sich, gleichsam als Pendant zum ʿAphlad-Tempel, in die Nordwestecke der Stadtmauer ein, die im Norden und Westen auch die Funktion der Temenosmauer hat . Ursprünglich besaß der Tempel eine Einfriedung mit Propylon (Q) im Osten, eine Portikus (E, F) an der Nordseite und eine erhöhte, an die Stadtmauer angebaute Cella (B) mit Seitenraum (C) im rückwärtigen Teil . Später erhielt der Hof eine Pflasterung, der Cella wurde eine Antecella (A) vorgebaut; um den zentralen Hof entstanden Oikoi . In einer dritten Bauphase schloss sich der Ring der Oikoi um den Tempelhof, die Antecella erhielt eine viersäulige Portikus . Ein zugleich mit der Portikus errichteter Oikos (K) war mit einem Wandbild ausgeschmückt, das, in strikter Frontalität und auf schematische Weise, den möglichen Erbauer des Raums, den Eunuchen Otes, bei Opferhandlungen für palmyrenische Gottheiten zeigt . Beim Bau der Stadtmauer war offensichtlich die Anfügung des Tempelkomplexes bereits vorgesehen .31 Unweit des innerstädtischen Wadis und gegenüber der ›Zitadelle‹ wurde im frühen 2 . Jahrhundert n . Chr . auf dem Gebiet eines ehemaligen Wohnviertels, ebenfalls nach dem Schema des mesopotamischen Hoftempels, der Zeus-Theos-Tempel errichtet . Der schlichte Eingang befindet sich im Osten, der Zugang zum freistehenden Cellakomplex liegt achsenverschoben im hinteren Teil des Hofes . Stufen führen zu der erhöht liegenden Vorcella; das Adyton hat dieselbe Breite und ist im Süden flankiert von einem kleinen Seitenraum (›Sakristei‹) . Der Raum beherbergte bei seiner Entdeckung ein ungewöhnlich reiches Inventar, darunter einen runden Altar für Libationsopfer; die Rückwand ziert ein Wandgemälde, das eine Gottheit in ›parthischer‹ Tracht, mit Nimbus und vor einem Streitwagen darstellt . An der Vorderfront des Cellakomplexes ragt – wie in anderen Tempeln der Stadt – eine Ädikula in den Hof vor, geweiht möglicherweise den συνναοὶ θεοί des Heiligtums . Den Hof umgeben Oikoi, einige davon auf den Grundmauern der älteren Wohnhäuser . Anders als die meisten Hoftempel in Dura verfügte der Zeus-Theos-Tempel nicht über einen monumentalen Altar im Hofinnern; auch besaß er kein Propylon mit Pfeilern oder Türmen . Die Identität der Gottheit ›Zeus Theos‹, die in einer auf dem Sturz eines Seiteneingangs zum Hof angebrachten Weihinschrift angerufen wird, bereitet erhebliche Schwierigkeiten: Die griechische Inschrift scheint einer orientalischen Gottheit, vielleicht iranisch-parthischer, vielleicht auch lokaler Provenienz, zu gelten . Die Ikonographie des Wandgemäldes im Cellakomplex weist Parallelen zu den Fresken des Bēl-Tempels auf .32 31 Das Wandgemälde – und damit wohl auch die dritte Bauphase – lassen sich ins 3 . Jahrhundert n . Chr . datieren: Downey 1988b, 107f .; Dirven 1999, 29 . Der Tempel wurde beileibe nicht nur von Palmyrenern besucht . Auch makedonische Einwohner von Dura-Europos (wie Konōn, der für den Tempel ein Bild von sich und seiner Familie anfertigen ließ) und in der Stadt stationierte Soldaten nicht-palmyrenischer Herkunft (wie der Tribun Iulius Terentius) brachten im Tempel Weihungen dar und ließen Bildwerke anbringen . Daneben finden sich zahlreiche semitische Namen, die sich nicht klar einer bestimmten Herkunft zuordnen lassen, deren Träger aber vermutlich der lokalen Bevölkerung angehörten: Downey 1988b, 108f . 32 Zum Tempel ebd ., 112–115; Welles 1970, 60f .; Buchmann 2016, 119 . Die Inschrift wurde im Jahr 114 n . Chr . von einem gewissen Seleukos, der den parthischen Hoftitel τῶν πρώτων trug, angebracht . Der Name »Zeus

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Abb. 8.7: Dura-Europos. Tempel der Gaddē , Bauphase IV (Block H1)

Aus den letzten Jahren der parthischen Herrschaft über Dura datieren zwei weitere Sakralbauten: der nach dem in ihm gefundenen Kultreliefs so genannte Tempel der Schutzgottheiten (Gaddē) von Dura und Tadmur (Palmyra) in seiner vierten und letzten Bauphase sowie der Tempel des Adonis . Die Überreste des Tempels der Gaddē befinden sich in der Nähe der Agora, auf der Südseite der Hauptstraße (Abb . 8 .7) . Dem gängigen Muster des Hoftempels folgend, betrat man das Heiligtum durch ein Propylon an der Westseite, das gegenüber dem Eingang zum Cellakomplex (an der Westseite des Hofes) achsenverschoben lag . Den Eingang mit vorgesetzter Portikus flankierten wuchtige Pfeiler . Der Hof (1) war gepflastert und an beiden Seiten von Portiken eingefasst; der monumentale Altar fehlte . Man trat über mehrere Stufen in den Cellakomplex, durch eine Portikus und gelangte in die Vorcella (2), die den Blick auf das wesentlich schmalere Adyton (3) freigab . Die gesamte Rückwand des Adytons nahmen drei von Säulen eingefasste Nischen ein, die Raum für die Kultbilder der Gaddē boten . Südlich grenzte ein zweiter Schrein (5) an den Cellakomplex an, mit der südlichen, von Bänken eingefassten Portikus (4) als Vorraum . Ein zweiter Hof mit Portikus (10) und einem Cellakomplex (8–9) grenzte, durch Theos« erscheint wieder in einem eindeutig lokalen Kontext, auf dem griechisch beschrifteten Innenrand einer silbernen Opferschale aus dem Jahr 544 SÄ (232/233 n . Chr .), die im »Haus des großen Atriums« in Akropolisnähe gefunden wurde . Sie war ein Weihgeschenk des Settabanus, Sohn des Adadiabus, aus Adatha im Bezirk Behzena, einer Siedlung in der näheren Umgebung von Dura . Die Schale zeigt das Bildnis eines bärtigen Gottes, das griechischen Darstellungskonventionen folgt: TEAD V, 307–310 .

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Abb. 8.8: Dura-Europos. Tempel der Gaddē. Weihrelief mit Darstellung der Gad Tadmur. Links der Dedikant mit Priesterhaube, rechts eine ungeflügelte Nike, einen Siegeskranz haltend

Abb. 8.9: Dura-Europos. Tempel der Gaddē. Weihrelief mit Darstellung des Gad Dura. Links wiederum der Dedikant mit Priesterhaube, rechts der Stadtgründer Seleukos, einen Siegeskranz haltend

eine Kolonnade (7) getrennt, nördlich an den Haupthof an . Das Heiligtum hatte sich über mehrere Bauphasen sukzessive über ein ehemaliges Wohngebiet ausgebreitet . Wie weit seine Anfänge zurückreichen, lässt sich mangels zu datierender Funde nicht ersehen . Die Kultbilder stiftete im Jahr 159 n . Chr ., ausweislich einer palmyrenischen Inschrift auf dem Relief der Gad von Tadmor, »Ḥai[ran], der Sohn des Mālikū, der Sohn des Naṣōr .«33 33 Zur Baugeschichte im Detail: TEAD VII–VIII, 222–283; Downey 1988b, 115–118, und jetzt vor allem Hauser 2007 . Dirven 1999, 232f ., schließt aus der Seltenheit des Namens Naṣōr in Palmyra und der Tatsache, dass er sonst nur für einen entfernten Angehörigen des Septimius Odainat belegt ist, dass beide Träger des Namens derselben Familie angehörten . Ebd ., 233: »The dedicant of the reliefs therefore belongs to an aristocratic Palmyrene family .«

›Das Pompeji des Orients‹ · 291 Das Kultrelief der Gad von Tadmor zeigt, ikonographisch der berühmten Statue der Tyche von Antiocheia nachempfunden, die weibliche Schutzgottheit Palmyras, in der Mitte zwischen zwei männlichen Personen sitzend (Abb . 8 .8) . Die Göttin trägt eine Mauerkrone, Ohrringe, ein Hals- und ein Armband sowie ein griechisches Gewand: Chiton und Himation . Zu ihrer Linken steht ein bartloser Priester, vermutlich Ḥairān selbst, mit der typischen, in Palmyra vielfach bezeugten konischen Priesterhaube, zu ihrer Rechten eine ungeflügelte Nike, die einen Siegeskranz über den Kopf der Gad hält . Der Schutzgott von Dura-Europos hingegen ist männlich, bärtig, in Himation und Tunika gekleidet (Abb . 8 .9) . Es handelt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Zeus Megistos . Zu seiner Rechten steht, ausweislich einer Beischrift, ein jugendlichbartloser Seleukos Nikator als ἥρως κτίστης der Stadt und hält eine Girlande über den Kopf des Gad, links, nur fragmentarisch erhalten, steht der Dedikant, wie auf dem anderen Relief in Priestertracht . Beide offensichtlich aus derselben palmyrenischen Produktion stammenden Reliefs folgen einem Kompositionsschema durchbrochener Frontalität: Die dargestellten Personen sind dem Betrachter zugewandt, interagieren aber begrenzt miteinander . Auch zwei weitere, nur fragmentarisch erhaltene Reliefs, wie die Reliefs der Gaddē aus palmyrenischem Kalkstein, weisen in die Oasenstadt: Sie zeigen den, von zahlreichen Darstellungen aus Palmyra und der palmyrenischen Diaspora in Rom bekannten, jugendlichen Gott Malakbēl, Bruder des Mondgottes ʿAglibōl, und Yarhibōl, den Gad der Quelle .34 Auch der Kern des Adonis-Tempels geht auf die letzten Jahre der parthischen Herrschaft (ca . 150–160 n . Chr .) zurück (Abb . 8 .10) . Das Heiligtum befindet sich im westlichen Stadtviertel, unweit des Palmyrators, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Synagoge, und nimmt die östliche Hälfte eines Blocks im Straßenraster ein . Das Gebäude entstand zum Teil auf den Grundmauern älterer Wohnbebauung . Die Wohnhäuser blieben auf der Westseite des Blocks erhalten; ihre Rückfront ist zugleich die Temenosmauer des Heiligtums . Der Lage angepasst, bildet das Kernstück des Tempels ein langgestreckter Hof, den Oikoi einfassen, die wiederum jeweils, mit einer Ausnahme, mit umlaufenden Bänken ausgestattet sind . Der von Pfeilern flankierte Eingang liegt an der östlichen Langseite und führt zunächst in ein quadratisches Vestibül . Zur Linken des Eingangs führte eine Treppe auf das begehbare Dach . Der Cellakomplex befindet sich an der Südseite des Hofes: Über Stufen gelangte man in eine Vorcella mit anschließendem, schmalerem Adyton, von dem auf beiden Seiten kleine Räume abzweigten . Ein zweiter, vom Hof aus zugänglicher Cellakomplex im Norden, mit einer großen, als salle aux gradins gestalteten Pronaos und kleinem Adyton, war vermutlich der Atargatis geweiht . Das Heiligtum erfuhr in römischer Zeit, vor allem in seinem Nordteil, noch verschiedene Um- und Ausbauten, die aber seine Struktur im Kern nicht veränderten . Mehrere Dedikanten sind inschriftlich überliefert, so Solaias, der Sohn des Boubaios, und Garnaios der δημοφύλαξ, der Sohn des Mēmaraios, die laut einer griechischen Inschrift den Bau eines »Peristyls und Weinkellers« finanzierten . Fast alle in Inschriften, Graffiti und Dipinti genannten Namen sind 34 Ebd ., 245–253 .

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Abb. 8.10: Dura-Europos. Tempel des Adonis (Block L5)

lokalen Ursprungs; lediglich in einer fragmentarisch erhaltenen Inschrift wird der Name Demetrios genannt .35 Ein großes Wandgemälde im primären, südlichen Adyton des Komplexes zeigt eine Opferszene: Zwei bärtige Männer im Himation verbrennen Weihgaben auf einem Thymiaterion, zwei weitere Männer stehen rechts im Bild daneben . Links steht die jugendliche Gottheit auf einem Podest, in ›parthischer‹ Tracht, mit Mantel, Kaftan und Reithosen sowie umgegürtetem Schwert, bartlos und mit langem Haar . Wiederum sind Bezüge zur palmyrenischen Malerei erkennbar; die Darstellung greift aber, in ihrer Behandlung des Opferthemas, auch auf Motive zurück, wie sie aus der kassitischen Reliefplastik und anderen altorientalischen Bildwerken vertraut sind .36 Die Stadt veränderte in parthischer Zeit aber nicht allein durch Errichtung neuer Sakralbauten ihr Gesicht; viel tiefer gingen Eingriffe durch den Bau neuer Wohn- und Geschäftshäuser . Sie schufen sukzessive eine neue Stadtstruktur, die nur mehr grob dem ursprünglichen hippodamischen Bauplan der hellenistischen Stadt folgte . Allenthalben erfolgte die Auffüllung der hellenistischen Straßenblöcke mit unregelmäßiger, agglutinierender Bebauung, die intern durch unzählige Sackgassen erschlossen wurde . Exemplarisch 35 TEAD VII–VIII, 135–179, dort auch eingehende Dokumentation von Graffiti, Dipinti und Ritzzeichnungen . Vgl . auch Downey 1988b, 118–122 . 36 TEAD VII–VIII, 158–163 . Eine instruktive Parallele bietet ein kassitenzeitliches Relief, das eine Opferhandlung des Königs Melišipak vor einer namenlosen Göttin zeigt (12 . Jahrhundert v . Chr .): Orthmann 1975, Tf . 191 . Vergleichbare Darstellungen auch auf zahlreichen altorientalischen Siegeln, etwa eisenzeitlich-phönikischen Stücken: Culican 1968, 59 .

›Das Pompeji des Orients‹ · 293 lässt sich dies im Bereich der alten Agora verfolgen: Das zentrale Stadtviertel behielt zwar seine ursprüngliche funktionale Bestimmung als Markt- und Geschäftsquartier, allerdings unter massiver Veränderung von Baustruktur und Straßenführung . Beginnend mit dem 1 . Jahrhundert v . Chr . sah das Geviert zunächst die Auffüllung des freien Platzes der Agora durch freistehende Gebäude und Anbauten an bestehende Häuser . Sie verbanden sich, unter Freilassung schmaler, unregelmäßiger Gassen und einiger Höfe, zu immer größeren Komplexen . Mit der hellenistischen Baustruktur verschwand auch die zuvor strikt beachtete funktionale Trennung zwischen Wohnen und wirtschaftlicher Aktivität . Mehr und mehr machten sich Wohnhäuser und kombinierte Wohn- und Geschäftsgebäude auf dem Areal breit . Aus der Agora war ein Basar geworden . Auch in römischer Zeit schritt dieser Prozess, bis zur Zerstörung der Stadt, weiter voran; lediglich vereinzelt ist planerisches Wirken zu erkennen, so im Bau monumentaler Bögen über die Straßen und bei der Errichtung eines neuen, kleinen Marktplatzes .37 4 . Das Bild der Wohnbebauung, soweit ergraben und publiziert, spiegelt hauptsächlich den Zustand der römischen Epoche wider . Einige Wohnhäuser datieren aus der parthischen Siedlungsphase und waren noch am Ende der römischen Periode bewohnt . Reste älterer Wohnbebauung fanden sich nur in der Oststadt, im Umfeld der ›Akropolis‹, wo in tieferen Siedlungsschichten die Grundmauern einiger Häuser aus behauenen Quadersteinen freigelegt werden konnten . Freilich sind unsere Kenntnisse der Wohnarchitektur von DuraEuropos mehr als lückenhaft . Vor allem steht einer eingehenden Analyse die, im Vergleich zu den Sakral- und Repräsentationsbauten, wesentlich schlechtere Dokumentations- und Publikationslage entgegen .38 Typologisch entspricht praktisch kein Haus in Dura-Europos griechischen und hellenistischen Vorbildern . Mehr als die Hälfte aller Wohnhaustypen folgt dagegen, unabhängig von der Entstehungszeit, einem aus dem vorhellenistischen Mesopotamien hinlänglich bekannten Bauschema: dem Hofhaus . Es besteht typischerweise aus einem zentralen Hof ohne Peristyl, mit allseits angrenzenden, vom Zentralhof aus zugänglichen Räumen . Einer dieser Räume besitzt stets umlaufende Sitzbänke . Der Zugang zum Hof erfolgt 37 TEAD IX 1, 28–28; Allara 1986, 62–54; Baird 2014, 60 . Leider verraten die Funde wenig über die im BasarBereich getätigten Geschäfte . Außer einigen Installationen und Tongefäßen hat nichts von der merkantilen Aktivität der Bewohner von Dura überdauert, aber: Baird 2007 . 38 Jetzt aber die gründliche Studie von Baird 2014, die sich sowohl der zivilen als auch der militärischen Wohnbebauung widmet . Hellenistisch sind vermutlich aus behauenen Steinen errichtete Wohnhäuser in der Oststadt um ›Zitadelle‹ und Akropolis, dem ältesten Stadtteil: ebd ., 21 . Spätere Wohnhäuser sind aus Bruchsteinen oder Lehmziegeln . Sie wurden in der Schicht unmittelbar unter der Oberfläche gefunden, hatten also in römischer oder parthischer Zeit Neubauten Platz gemacht: ebd ., 62–101, und Allara 1986, 33 . Vier Bauweisen sind für Wohnhäuser in Dura-Europos belegt: (1 .) behauene Quadersteine (»pierre de taille«), gängige Bauweise in der hellenistischen Periode; (2 .) Kombination von behauenen Quadersteinen und vermauerten Bruchsteinen, Übergangsperiode (»technique de transition«), nicht genau datierbar; (3 .) Vermauerung lokaler Bruchsteine (Kalk- und Gipsstein) mit Mörtel (»technique du blocage«), oft als Unterbau von Technik 4; (4 .) Lehmziegelbauweise . Techniken 3 und 4 setzten sich in der Partherzeit durch, ohne dass sich der Übergang genau datieren ließe .

294 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at durch ein Vestibül . Innovationen griechisch-mediterraner Provenienz haben sich dagegen kaum durchsetzen können: Einzig das mit Zierleiste versehene Türgesims hielt sich von der hellenistischen bis zur römischen Zeit . Selbst Iwane, die in der Palastarchitektur von Dura bereits früh Verwendung fanden, kommen, anders als in Hatra und Assur, in den privaten Wohnhäusern der Stadt nicht vor .39 Auch die Bauweise der Wohnhäuser knüpft an ältere lokale Traditionen an: Über einem bis zur Höhe von rund 60 Zentimetern aufsteigenden Unterbau aus vermörteltem Kies erhob sich ein Mauerwerk aus ungebrannten Lehmziegeln . Ecken, Tür- und Fensterhöhlen waren jeweils mit Kiesmauerwerk verstärkt . Die Dachkonstruktion ruhte auf langen, in Kiesmauerwerk eingelassenen Stämmen, über die quer kleinere Balken geführt wurden, auf denen wiederum Schilfmatten auflagen . Die Matten trugen eine Sand- oder Erdschicht, die ein rohes Pflaster aus Lehm und Stroh bedeckte, in das in regelmäßigen Abständen Drainagekanäle eingelassen waren .40 Die in römischer Zeit bewohnten Häuser waren von sehr unterschiedlicher Größe . Wenn die Hausgröße, wie allgemein akzeptiert, ein Indikator für den Wohlstand der Besitzer ist, so lässt sich im Stadtbild eine deutliche Segregation nach sozialen Statuskriterien erkennen: Größere Häuser mit einer Grundfläche von über 400 Quadratmetern und mit allseits von Räumen flankierten Zentralhöfen prägten die östliche Stadthälfte, im Bereich der ›Akropolis‹, während im Gebiet um die Agora und in den Außenbezirken entlang der Stadtmauern Häuser mit deutlich kleinerer Fläche und mit nur teilweise von Räumen flankierten Höfen bei Weitem dominierten . Während also das Siedlungsbild in hellenistischer Zeit, mit der Agora als ausgeprägtem Geschäftsviertel, räumlich nach funktionalen Aspekten differenziert war, prägte hernach das Kriterium sozialer Stratifizierung die Gliederung der Stadt . Dura-Europos unterschied sich damit von Hatra wie von Palmyra, wo jeweils tribal-klientelare Gesichtspunkte über die Muster räumlicher Segregation entschieden zu haben scheinen . Das statushohe Wohnviertel mit vielen palastartigen Häusern befand sich in Dura-Europos genau dort, wo bereits zu Beginn der hellenistischen Periode der makedonische Siedlungskern gelegen hatte – mögliches, partiell von der Onomastik gestütztes Indiz für eine Kontinuität auch in der Elitenstruktur der Stadt .41 39 TEAD VII–VIII, 175f .; Allara 1986; Allara 1987, 67–69; Baird 2014, 40–61 . Das griechische Türgesims besaßen 76 Prozent aller Häuser noch in der römischen Periode . Nur zwei Wohnhäuser haben Kapitelle in griechischem Stil vorzuweisen . Das einzige Haus mit einem echten Peristyl war der sogenannte Palast des dux ripae, der dem Bauplan einer römischen Villa folgte: ebd ., 148–151, und unten, S . 295 . Der palastartige Bau auf der Akropolis verfügte über einen an zwei Seiten von einer Portikus gesäumten Innenhof; ebenso das sogenannte »Haus des Atriums«: Allara 1987, 67 . 55 Prozent aller Wohnhäuser in Dura besaßen einen Hof mit allseits umlaufenden Räumen, die übrigen Höfe, die nur an drei, zwei oder gar einer Seite von Räumen flankiert waren . Generell waren Häuser mit allseitig umlaufenden Räumen größer und besser ausgestattet . 40 Exemplarisch das gut erhaltene christliche Bauwerk ganz im Westen der Stadt, das ursprünglich eine Privatwohnung beherbergte: Kraeling 1967, 7–9; Baird 2011, 239; Baird 2014, 62–101 . 41 Zur Typologie der Wohnhäuser: Allara 1986, 56–59; Allara 1987, 71–73 . Zur räumlichen Kontinuität von Wohnvierteln der Elite Baird 2014, 285–299 .

›Das Pompeji des Orients‹ · 295 Kurz vor ihrer endgültigen Zerstörung wurde die Stadt noch einmal Schauplatz hektischer Baumaßnahmen . Die Feinden gegenüber besonders exponierte, der Wüste zugewandte Westseite wurde durch einen hohen Wall, unter dem zahlreiche Wohn- und Kultbauten verschwanden, zusätzlich befestigt . Zugleich entstanden in anderen Quartieren der Stadt neue Wohnbauten, in einheitlicher Bauweise, möglicherweise um die aus der Weststadt evakuierte Bevölkerung aufzunehmen .42 Die sakrale Bauaktivität hingegen ließ in römischer Zeit deutlich nach . Bezeichnenderweise ist, mit einer einzigen, wenig signifikanten Ausnahme, dem Hausheiligtum in Block M5,43 nur der Neubau von Heiligtümern dokumentiert, die religiösen Minderheiten als Kultstätten dienten: Mithräum, Synagoge und Dolichenum .44 Aufs Engste mit der römischen Garnison verbunden war das Heiligtum des Jupiter Dolichenus, am Nordende der Stadt, in unmittelbarer Nähe zum Palast des dux ripae . Eine lateinische Weihinschrift in der Nähe des Eingangs liefert den Terminus ante quem für die Einweihung: 211 n . Chr . Im Inschriftencorpus des Tempels tauchen fast ausschließlich lateinische und griechische Namen auf . Der Tempel folgte, über mehrere Bauphasen hinweg und als einziges der in römischer Zeit errichteten Heiligtümer, dem Schema des in Dura so verbreiteten Hoftempels, allerdings mit einigen signifikanten Modifikationen: Der Cellakomplex befindet sich nicht als freistehendes Gebäude im Hof, sondern zwei parallel angeordnete Cellae (19, 20) sind als Kapellen, ohne Antecella, an die rückwärtige Temenosmauer angebaut; der Eingang zum Tempel befindet sich im Süden, nicht im Osten; zum Hof führt kein Vestibül, sondern ein langer Eingangskorridor; den Hof säumen der gesamten Länge nach Kolonnaden . Gewisse Parallelen zum Mithrastempel sind unverkennbar: Wie er beherbergte auch das Dolichenum einen – wenigstens aus der Sicht seiner Anhänger – ursprünglich orientalischen Kult, der hauptsächlich über die Armee reichsweite Verbreitung gefunden und sich dabei in seiner Substanz entscheidend verändert hatte; wie im Fall des Mithräums flossen lokale Elemente, hier der Typus des Hoftempels, in die bauliche Gestaltung ein .45 Als solches kaum bemerkenswert ist das ausgedehnte Gebäude in der Nachbarschaft des Dolichenums, das zu Beginn des 3 . Jahrhunderts n . Chr . entstand und nach Ansicht der Ausgräber den Dienstsitz des dux ripae beherbergte (Abb . 8 .11) . Dieser hohe Offizier 42 So die These von Welles 1951, 258 . Skeptischer Baird 2014, 271 . 43 Es handelt sich um den 1993 entdeckten Kellerraum eines Wohnhauses in der Nähe des Palmyrators, in dem ein den Gott Bēl darstellendes Relief mit palmyrenischer Inschrift gefunden wurde, das ursprünglich in einem Arcosolium an der Südwand angebracht war, vor dem ein kleiner Gipsaltar aufgestellt war . Das Relief wurde 173 n . Chr . geweiht, der Kultraum blickte zu diesem Zeitpunkt aber bereits auf drei frühere Bauperioden zurück: Leriche 1997a; Leriche 1997b, 87–93 . 44 Das Mithräum entstand in seiner ersten Bauphase kurz vor 168 n . Chr .; die Synagoge wurde in ihrer spätesten Bauphase 245 n . Chr . vollendet; das Dolichenum wurde 211 n . Chr . vollendet . 45 TEAD IX 3, 97–106; Downey 1988b, 122–124 . Der Iuppiter-Dolichenus-Kult kannte, anders als der Mithraismus, keine starren Konventionen für die Anlage von Heiligtümern . Daher drangen lokale Bautraditionen im Dolichenum von Dura weit stärker an die Oberfläche als im Mithras-Tempel: Winter/Blömer 2005 .

296 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at

Abb. 8.11: Dura-Europos. Palast des dux ripae (Block X3–X5)

fungierte, wie etwa auch in Britannien und Germanien, als lokaler Kommandeur in einem bestimmten Grenzabschnitt, hier dem Tal des mittleren Euphrat . Das Gebäude ähnelt in seiner Konzeption den praetoria anderer römischer Städte, gerade auch des Westens, aber auch spätantiken Palastanlagen, wie dem Diocletianspalast in Split; wie sie ist es ein typisches Beispiel für repräsentative römische Militärarchitektur, mit unterschiedlichen, nach funktionalen Kriterien geschiedenen, in Süd-Nord-Achse ausgerichteten Gebäudebereichen: einem halböffentlichen großen Eingangsperistyl (58) sowie einem privateren Innenhof mit umlaufenden, Büros, Stallungen, Sklavenunterkünfte, Küchen und eine kleine Thermenanlage beherbergenden Nebenräumen (1) . Im Zentrum lag der sich zu einer großen, Aussicht auf das Euphrattal bietenden Terrasse (63) hin öffnende, in sich abgeschlossene Privattrakt mit einem großen überwölbten Apsisraum (2) . Das Anordnungsschema um Peristyl und Innenhof kann sein architektonisches Vorbild, die kaiserzeitliche römische villa, kaum verleugnen . Im Gebäude fanden sich neben griechischen auch einige lateinische Dipinti und Graffiti .46 Ob hier aber tatsächlich der für Dura bezeugte dux ripae seinen Amtssitz hatte, muss dahingestellt bleiben . 46 Zum Palast allgemein: TEAD IX 3, 1–96; Baird 2014, 148–151 . Zu den Inschriften TEAD IX 3, 27–57 . Unter den Inschriften fanden sich unter anderem Anrufe einer lokalen Gottheit (Nr . 954f ., Zeus Kyrios, griechi-

Going local: Dur a-Europos u nter Seleukiden u nd Parthern · 297 Westlich der Stadt, am Übergang zur Wüste, liegt die ausgedehnte Nekropole . Drei Haupttypen von Gräbern bestimmen das Bild: Einzelgräber, Hypogäen und Turmgräber . Einzelgräber fanden sich in großer Zahl im Bereich eines Schutthügels in der Nähe des Palmyrators und vereinzelt auch im Stadtgebiet selbst . Sie bilden die am wenigsten aufwendige Bestattungsvariante in Dura und sind deshalb am ehesten einfachen Bevölkerungsgruppen zuzuschreiben . Hypogäen und Turmgräber beherbergten Gruppenbestattungen, mutmaßlich von Familien- oder Clangruppen . Hypogäen sind über eine enge Treppe zu erreichen; sie führt in einen schmucklosen Raum, der entweder von Klinen wie in zahlreichen unterirdischen Gräbern der phönikischen Küste oder von Loculi wie in Palmyra umgeben ist . Die Toten wurden in einfachen Holz-, später, im 3 . Jahrhundert n . Chr ., auch in Tonsärgen bestattet; die Loculi blieben unverschlossen . Stets bescheidene Grabbeigaben wie Tongefäße, die vermutlich Salben und Parfüms enthielten, und einige kleine Metallgegenstände fanden sich fast ausschließlich bei Frauenbestattungen . Die frühesten Hypogäen datieren ins 3 . Jahrhundert v . Chr ., die jüngsten in die Zeit unmittelbar vor dem Fall Duras; viele blieben über außerordentlich lange Zeitspannen, oft über mehrere Jahrhunderte, in Benutzung . Altbestattungen wurden nicht selten durch Wegschaffen der sterblichen Überreste ›entsorgt‹ . Turmgräber sind gegenüber den Hypogäen eindeutig in der Minderzahl . Anders als in Palmyra befinden sie sich in einem schlechten Erhaltungszustand . Von den meisten Türmen in Palmyra unterscheidet sie auch die Bestattung der Toten in externen Loculi . Die Türme entstanden in nachchristlicher Zeit, ab ca . 50 n . Chr ., und sind damit jüngeren Datums als die meisten Hypogäen .47

Going local: Dura-Europos unter Seleukiden und Parthern Das hellenistische Dura-Europos hatte ähnliche Wurzeln wie das größere Edessa: Es begann als makedonische Kolonie im späten 4 . Jahrhundert v . Chr . Einige Abschnitte seiner Geschichte teilte es mit der osrhoenischen Stadt, in entscheidenden Aspekten aber verlief seine Entwicklung völlig anders . Dura-Europos stieg nach der parthischen Eroberung Ober- und Mittelmesopotamiens nicht zur Hauptstadt eines autonomen regnum auf, und anders als Edessa überlebte es die Vorstöße der Sasaniden in der Mitte des 3 . Jahrhunderts n . Chr . nicht, konnte mithin auch nicht zum spätantiken Zentrum christlicher Gelehrsamkeit werden . Wie Edessa entstand das makedonische Europos auf den Mauern

sche Graffiti aus dem Privattrakt, Raum 13), Haushaltsabrechnungen (Nr . 958, griechisches Graffito aus dem Atriumtrakt, Raum 24) sowie ein Vergilzitat (Nr . 960, Aen . II 1, aus einem Seitenraum des Peristyls, Raum 59) . In der Onomastik dominieren gräzisierte semitische Namensbestandteile, oft mit lateinischen Namen kombiniert . 47 Die archäologischen Befunde der Nekropole sind zusammengefasst in TEAD IX, 2 .

298 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at einer vorhellenistischen Stadt . Vom alten Dura (aramäisch ›Festung‹) ist indes weder archäologisch noch durch sonstige Quellen etwas überliefert .48 So uneindeutig der archäologische Befund für die Frühzeit der Siedlung ist, entstand die Stadt Dura-Europos doch wohl erst allmählich um einen relativ kleinen Siedlungskern auf ›Akropolis‹ und ›Zitadelle‹ herum und keinesfalls, wie Rostovtzeff meinte, aus einem Guss, mit Straßenraster und Mauerring als Elementen einer groß angelegten Koloniegründung .49 Selbstverständlich war das Tal des mittleren Euphrat auch vorher nicht menschenleer gewesen . In Alt-Dura und seiner Umgebung hatte vor der Kolonisation eine aramäischsprachige Bevölkerung gelebt . Möglicherweise ging also die Gründung der griechisch-makedonischen Siedlung zu ihren Lasten . In Analogie zu dem, was wir über andere hellenistische Kolonien wissen, darf man annehmen, dass die indigene Bevölkerung von Europos eine minderberechtigte Unterschicht ohne Bürgerstatus bildete . An den Lebensverhältnissen der Landbevölkerung änderte sich vermutlich wenig: Sie war nach wie vor abgabenpflichtig, jetzt gegenüber den privaten Grundbesitzern bzw . dem Bürgerverband der Polis Europos .50 Die Bewohner von Dura-Europos verehrten als ihren κτίστης naheliegenderweise Seleukos Nikator, den Stammvater der seleukidischen Dynastie .51 Die Gründung von Dura-Europos fällt damit vor das Jahr 292 v . Chr ., als Seleukos seinen Sohn Antiochos zum Statthalter der östlichen Satrapien ernannte . Die vermutlich im 1 . Jahrhundert n . Chr . entstandene Beschreibung der Stationen des Partherreichs (Σταθμοὶ Παρθικοί) des Isidor von Charax führt Dura-Europos auf zwischen der Siedlung Asicha (Tell Ašaraʾ) und dem »befestigten« Dorf Merrha (Tell Ramādī oder Tell Ḥarīrī) .52 Für Dura-Europos änderte sich die Situation entscheidend, als die Parther, westwärts expandierend, Babylonien unter ihre Kontrolle brachten . Seleukeia am Tigris prägte ab 141 v . Chr . Münzen mit dem Bildnis des Partherkönigs Mithradates I . Spätestens zu diesem Zeitpunkt war auch der mittlere Euphrat unmittelbar bedroht . Die Seleukiden scheinen in jenen Jahren erheblich in die Grenzstadt Dura-Europos investiert zu haben: Die Stadt könnte zunächst Ausgangspunkt für Gegenoffensiven gewesen sein und dann

48 Im Stadtgebiet wurde eine Tontafel aus altbabylonischer Zeit gefunden, die »Damara« als Ortsnamen nennt; vgl . Matheson 1992, 133 . 49 Rostovtzeff 1938a, 11; Rostovtzeff 1938b, 105 . 50 Zur hellenistischen Immigration nach Vorderasien siehe oben, S . 88 . Zum hellenistischen Dura jetzt Leriche 2003 . 51 Ιsid . Charac . stath . Parth . 1 hingegen nennt Dura-Europos die »Stadt des Nikanor« (Νικάνορος πόλις) . Sollte es sich um Nikanor, einen General des Antigonos Monophthalmos, handeln? Oder – eher – um Nikanor, einen Neffen Seleukos’ I .? Kosmin 2011, 55f ., spricht sich für Letzteres oder, alternativ, für einen Schreibfehler bei Isidor aus . 52 Isid . Charac . stath . Parth . 1 . Zum Text: Gawlikowski 1983a; Gawlikowski 1988; Kramer 2003; Gregoratti 2016, 18f . Wichtig für das Verständnis der historischen Geographie des Raums am mittleren Euphrat Gaborit/ Leriche 1998 . Zur Identifizierung von Asicha und Merrha ebd ., 181, Abb . 5 .

Going local: Dur a-Europos unter Seleukiden u nd Parthern · 299 Grenzbefestigung gegen die vorrückenden Parther .53 Mit dem Scheitern der seleukidischen Rückeroberungsanstrengungen unter Antiochos VII . 129 v . Chr . war der Süden des Zweistromlands endgültig parthisch, Dura damit faktisch zur Grenzstadt geworden . Ob der Fernhandel am Euphrat, zu dessen Sicherung die Seleukiden die Stadt ursprünglich gegründet hatten, verebbte, ist angesichts der neuen Funde aus Palmyras Hellenistischer Stadt fraglich; zusätzlich war der mittlere Euphrat aber nun von großer strategischer Bedeutung . Dura-Europos, dessen Mauerring sich offenbar in diesen Jahren unter hektischen Anstrengungen schloss, verdankte sein urbanistisches Wachstum in spätseleukidischer Zeit gerade seiner Grenzlage . Unverrückbarer Terminus post quem für die parthische Eroberung Duras ist das Jahr 116 v . Chr .54 Anders als Edessa, wie Dura-Europos eine makedonische Kolonie, stieg die Stadt am Euphrat nicht zur Kapitale eines autonomen Königreichs im Partherreich auf . Sie wurde vielmehr Teil eines parthischen Territoriums, das bereits unter den Seleukiden existiert hatte, in griechischen Texten als Μεσοποταμία καὶ Παραποταμία firmiert und kaum mit dem Raum identisch ist, den Strabon als Μεσοποταμία definiert: die Städte Nisibis, Tigranokerta, Karrhai, Nikephorion, Chordiraza und Sinnaka mit ihren jeweiligen Landgebieten .55 Das Territorium wird nicht bis Tigranokerta gereicht haben; auch gehörten Karrhai und Sinnaka aller Wahrscheinlichkeit nach zum Königreich Osrhoene, nicht zu einer direkt von Ktesiphon beherrschten Satrapie . Osrhoene und – das vielleicht zu Osrhoene gehörende – Anthemusias füllten somit fast das gesamte mesopotamische ›Parallelogramm‹ zwischen Euphrat und Ḫābūr aus . Gewiss zu Mesopotamien-Parapotamien gehörte das meist mit Kirkesion identifizierte Phaliga an der Ḫābūrmündung, wo der Eunuch Phraates vor einem gewissen Mētolbaissa, dem Enkel des lokalen Garnisonschefs (φρουράρχος), seinen antichretischen Darlehensvertrag mit einem gewissen Barlaas abschloss .56 53 Kosmin 2011, 64f . 54 Kosmin, ebd ., 65, datiert »around 113 BCE« . Vgl . aber Edwell 2008, 102: »[…] at some stage in the process of the Seleukid disintegration of the late second/early first century BC .« Das entscheidende Datum liefert P . Dura 34, ein nach Seleukidischer Ära ohne den späterhin obligaten Zusatz »nach der früheren Zeitrechnung« datierter fragmentarischer Vertragstext: Welles 1956, 469; Millar 1998a, 475 . Sicher falsch die Feststellung von Leriche 2003, 182, Dura-Europos sei bereits »une trentaine d’années seulement après sa fondation« von den Parthern eingenommen worden . Zur parthischen Expansion in Mesopotamien: Ehling 1998; Schuol 2000, 298f .; Edwell 2008, 101f .; Gregoratti 2016, 17; Sommer 2017b, 66–69 . Die Verlagerung der Handelswege unterstellt, mit Verweis auf Keramikfunde, Kramer 2003, 126f . Zur Rolle Palmyras im Fernhandel mit Mesopotamien im 2 . Jahrhundert v . Chr . siehe oben, S . 157 . 55 Strab . 16,1,23 . Strabons Kenntnisse des syro-mesopotamischen Raums waren generell lückenhaft; vgl . Kramer 2003, 124f .; Cohen 2013, 84 . 56 P . Dura 20, 1–7: βασιλεύοντος βασιλέω̣ς βασιλέων Ἀρσάκου εὐεργέτου, δικαίου, ἐπιφανοῦς καὶ φιλέλληνος, ἔτους ηξτ´ ὡς ὁ βασιλεὺς βασιλ [̣ έων] | ἄγει, ὡς δὲ πρότερον̣ ̣ βλ̣ [υ]´, ̣ μη̣ νὸς Δαισίου ἕκτηι ἐπʼ εἰκάδι, ἐν Παλίγαι κώμηι τῆς περὶ Ἰάρδαν ὑπαρχείας, ἐπὶ Μητολβαίσσα Μην  [   ̣ ]̣ | τοσδε  ̣ ου ̣ τοῦ Μηναρναίου, φρ[ουρά] ̣ ρχου ̣ καὶ τῶν πρώτων καὶ προτιμωμένων φίλων καὶ τῶν σωματοφυλάκων, καὶ τ[ῶν] ̣ | ὑπογε[γρ]α ̣ μ̣ μένων ̣ μα̣ [̣ ρτύρ]ων . ἐ[δάν]ε ̣ ισεν ̣ Φραάτης εὐνοῦχος, ἀρκαπάτης, τῶν παρὰ Μανήσου τοῦ Φραάτου τῶν βάτησα καὶ τ[ῶν] ̣ | ἐλευθέ[   ̣  ̣  ̣]ρων, παρα̣ [πάτεις] ̣ καὶ στρατηγοῦ Μεσοποταμίας καὶ Παραποταμίας καὶ Ἀραβάρχου,

300 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at Das im Palmyrator gefundene, aus dem Jahr 121 n . Chr . – und also aus der Zeit unmittelbar nach dem römischen Rückzug aus Mesopotamien – datierende Pergament ist ein Schlüsseldokument zum Verständnis der lokalen und regionalen Verwaltung in parthischer Zeit . Der Darlehensgeber Phraates, Eunuch und ἀρκαπάτης, firmiert als »einer der Leute des Manēsos, Sohn des Phraates« (4) . Manēsos ist »βάτησα und einer der ἐλευθέρων« (4f .), παραπάτης,57 στρατηγός Μεσοποταμίας καὶ Παραποταμίας und Ἀραβάρχος (5) . Hier vermengen sich unterschiedliche Funktionen und Titel, dazu verschiedene ›ethnische‹ Deutungsmuster: Als »Freier« (ἐλεύθερος)58 gehörte Manēsos in die, freilich große, Riege parthischer Würdenträger, als βάτησα war er rangmäßig annähernd den autonomen reges und Satrapen des Arsakidenreichs gleichgestellt: Der Begriff ist eine Transkription des iranischen Titels bidaxš, der soviel bedeutet wie ›Markgraf‹ oder ›Vizekönig‹ . Manēsos war also eine hochgestellte Persönlichkeit im Machtgeflecht des Arsakidenreichs .59 Βαρλάαι Θαθαίου τοῦ Ἀβλαίου, τῶν [ἀπὸ] | [τῆς    ̣]   ̣[   ̣]η̣ρακ̣ω̣ν ̣ κώμη[ς    ̣    ̣    ̣    ̣    ̣    ̣    ̣]   ̣[   ̣    ̣]χα̣ ρ̣ αισι, ̣ ἀργυρίου καλοῦ Τυρίου κόμματος δραχμὰς τετρακοσίας ἐπὶ ὑποθήκηι τοῖς ̣ ̣ | [ὑπάρχο]υσιν αὐτῶι π[ᾶσιν ̣ – ca .14 –]ευ̣   ̣ ̣ [ἃ καὶ(?)] ἔσται παρὰ τῶι κυρίωι (›Unter der Regierung des Königs der Könige Arsakes, Wohltäter, Gerechter, erschienener Gott und Griechenfreund, im Jahr 368 nach Rechnung des Königs der Könige, aber 432 nach der alten Ära, am 26 . Tag des Monats Daisios, im Dorf Paliga im Bezirk von Iardas, vor Mētolbaissa, dem Sohn des Man[–] und Enkel des Menarnaios, Garnisonskommandant und Mitglied des Ordens der Ersten und vortrefflich geehrtem Freund und Leibwächter, und vor den Zeugen, die selbst unten zeichnen . Ein Darlehen wurde gegeben von Phraates dem Eunuchen, ἀρκαπάτης, einem der Leute des Manēsos, Sohn des Phraates, Mitglied des Ordens der βάτησα und der Freien, παραπάτης und στρατηγός von MesopotamienParapotamien und Ἀραβάρχος, dem Barlaas, Sohn des Thathaios und Enkel des Ablaios, einem der Leute des Dorfes [–], aber wohnhaft in [–], die Summe von vierhundert Drachmen guten tyrischen Silbers, mit seinem ganzen Besitz als Pfand, das im Besitz seines Eigentümers bleiben soll‹) . 57 Die Lesung des Wortes ist umstritten . Rostovtzeff/Welles 1931, 51, schlagen παρα̣ [λ]ή ̣ ̣πτ̣ ο̣ υ̣ ̣ (›Steuereinnehmer‹) vor und sehen in ihm einen Funktionär »in charge of the collection of revenues in the region which was under his rule .« Hier scheint Rostovtzeffs Idee von der Euphratroute als eines primären Fernhandelswegs auch in parthischer Zeit durch . Der Gedanke, dass ein parthischer Spitzenfunktionär zugleich auch fiskalische Aufgaben an der westlichen Reichsperipherie wahrnahm, erscheint aber bei Licht besehen wenig überzeugend . Vorzuziehen ist deshalb die Lesung von Wolski 1953–1954, 287–289, als παραπάτης (pers . pāragbēdh, griech . bei Philostr . Apoll . 1,27 übertragen als σατράπης ὁ ἐπὶ τῶν μεγάλων πυλῶν), als ›Satrap bei der ›Hohen Pforte‹‹ . Eventuell handelte es sich aber, entgegen Wolski (ebd ., 289), um einen reinen Hoftitel, ohne konkrete Funktion im Palastbereich . 58 Der Titel ist vermutlich die griechische Übertragung von persisch āzādān (›edel‹, ›frei‹) . Er würde damit zugleich auf die unterste der vier Rangklassen parthischer Aristokraten verweisen: Wiesehöfer 1993, 191 . Manēsos war fraglos einer der höchsten Funktionsträger des Partherreichs, die Klassifizierung als ἐλεύθερος ist daher keineswegs unproblematisch . Eine alternative Deutung nur bei Wolski 1953–1954, 291, der, mit Ios . bell . Iud . 1,13,1 in den ἐλεύθεροι eine parthische Kavallerieabteilung sieht – eine Interpretation, die freilich noch mehr Probleme aufwürfe und deshalb Wolski (ebd ., 292f .) veranlasst, statt ἐλευθέρων an dieser Stelle αὐτοκρατόρων zu lesen . 59 Shayegan 2011, 218, der bemerkt, dass die parthische Verwaltung Mesopotamien-Parapotamiens damit die seleukidische Tradition fortsetzte . Für eine erhebliche Autonomie Duras in hadrianischer Zeit spricht auch die von Millar 1998a, 477, beobachtete seltene Erwähnung des arsakidischen Königs in den Dokumenten . Millar

Going local: Dur a-Europos u nter Seleukiden u nd Parthern · 301 Der viel später von Ammianus Marcellinus verwendete Begriff vitaxa ist ebenfalls eine Transkription des persischen bidaxš; Ammian gibt den spätrömischen Rang eines ma­ gister equitum als semantische Entsprechung und denkt hier vermutlich primär an die militärische Funktion eines vitaxa: Führung großer Reiterabteilungen .60 Das griechische Lexikon des Hesychios von Alexandreia nennt, so die Grenze zu den reges verwischend, βασιλεύς als Äquivalent zu βίσταξ . Falls die von Ammianus Marcellinus verwendete Typologie auch für das Partherreich Gültigkeit besaß, was vermutlich zutrifft, unterschieden die Arsakiden, je nach Grad der Autonomie, nicht nur zwischen zwei, sondern sogar zwischen drei regionalen Herrschaftsformen . Satrapen wären dann die, lateinisch prae­ fecti genannten, direkt von Ktesiphon abhängigen Inhaber einer regionalen, in der Regel nicht erblichen Statthalterschaft, vitaxae/bidaxš/βίσταξ erbliche Träger einer autonomen Regionalgewalt unterhalb des Königtums, reges schließlich die zum exklusiven Kreis der 18 parthischen ›Teilkönige‹ mit weitreichender Autonomie gehörenden regionalen Herrscher gewesen . Vermutlich waren also die ›Herren‹ (aramäisch mryʾ) von Edessa und Hatra, die jeweils im Zeichen äußerer Bedrohung zu ›Königen‹ aufstiegen, zuvor Vertreter der parthischen Rangklasse bidaxš gewesen .61 Insofern erscheint die zusätzliche Bezeichnung des Manēsos als στρατηγός Μεσοποταμίας καὶ Παραποταμίας auf den ersten Blick als redundant . Die Begriffe στρατηγός und σατράπης wechseln sich, ohne erkennbaren semantischen Unterschied, in der griechischsprachigen Nomenklatur des Partherreichs ab; für bidaxš gab es offenbar kein gleichsam offizielles griechisches Äquivalent, weshalb Ammianus und Hesychios Zuflucht bei ungefähren Entsprechungen nahmen; die griechischsprachigen Zeitgenossen scheinen deshalb beide Funktionen, die des von den Arsakiden eingesetzten und noch der Sphäre direkter Herrschaft zugehörigen Satrapen und die des weit autonomeren bidaxš, terminologisch in einen Topf geworfen zu haben . Komplizierend kommt hinzu, dass den Titel στρατηγός im Normallfall auch der eponyme Oberbeamte einer griechischen Polis trug und στρατηγός καὶ ἐπιστάτης der parthische Militärgouverneur einer Stadt . Wie passt all das zusammen?62 Die lokale Dimension der Funktion, die Manēsos innehatte, beleuchtet ein weiterer Titel, der auch aus Osrhoene geläufig ist: ἀραβάρχος . In der Titulatur findet möglicherweise das doppelte Eingebundensein ihres Trägers in bürokratische und tribale Strukturen sein Echo, wie es für polymorphe Gesellschaften charakteristisch ist . Der Titel kommt in unterschiedlichen Regionen der weiteren hellenistischen Welt vor und hatte vermutlich völlig unterschiedliche Bedeutungen: Er ist aus Ägypten bezeugt, wo ›Arabarchen‹ unter anderem die Verantwortung für die lukrative Eintreibung von Straßenzöllen zwischen (ebd .) schränkt jedoch ein: »This accidentally-preserved evidence does not allow any conclusions about the real degree of independence enjoyed by Dura […] .« 60 Amm 13,6,14: sunt enim in omni Perside hae regiones maximae, quas Vitaxae id est magistri equitum curant, et reges et satrapae . 61 Zu mryʾ in Edessa siehe oben S . 234; in Hatra unten S . 375 . 62 Zu στρατηγός καὶ ἐπιστάτης vgl . die Inschrift Cumont 1926, Nr . 134, sowie TEAD II, 91–93 (Nr . H 4) . Der gleiche Titel ist für das parthische Babylon belegt (OGIS 254) .

302 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at den Rotmeerhäfen und Koptos am Nil innehatten .63 Ähnlich klingende Titel sind aber auch aus dem parthisch-römischen Mesopotamien hinlänglich bezeugt . In Hatra nannten sich die Fürsten und späteren Könige mrʾ ʿrby (›Herren der Araber‹) bzw . mlk ʿrby (›Könige der Araber‹) . Zwei der Inschriften von Sumatar Harabesi in Osrhoene wurden von Individuen, deren aramäischer Titel šlyṭ dʿrb lautete, zur Ehre des Königs aufgestellt .64 Hier ist der Titel nicht auf eine Personengruppe, sondern auf ein Gebiet (›Arab‹) bezogen . Der šlyṭ dʿrb war also ›Statthalter‹ von ›Arab‹ . Ein solcher Titel ließe sich problemlos mit ἀραβάρχος ins Griechische übersetzen . Die Personen vom Tektek Dağ, die sich šlyṭ dʿrb nannten, gehörten der Oberschicht von Osrhoene an, dessen Königen sie anscheinend verwandtschaftlich verbunden waren . Zugleich war ihr Lebensmittelpunkt offenbar die Steppe im Raum von Ḥarrān, eben in ›Arab‹ . Womöglich war der ἀραβάρχος in DuraEuropos ein Funktionsträger ungefähr dieser Art, wobei offen ist, ob seine Vollmachten territorial oder personal definiert waren: Er könnte Herrscher ›der‹ Araber, Herrscher ›über‹ Araber und Herrscher über ein Gebiet namens ›Arab‹ gewesen sein . Ob dieses Gebiet eine klar definierte geographische Einheit war oder ob es sich um einen vagen, lediglich die Steppe bezeichnenden Begriff handelte, muss dahingestellt bleiben .65 In der Region nur für Dura-Europos und nur durch eine einzige, dazu viel ältere Inschrift ist ein ähnlicher Titel belegt: γενεάρχης . Ihn trug im 1 . Jahrhundert v . Chr . niemand anderer als der erste inschriftlich bezeugte στρατηγὸς καὶ ἐπιστάτης von DuraEuropos: Seleukos, Sohn des Lysias, der hier explizit als στρατηγὸς πόλεως bezeichnet wird .66 Seleukos wiederum war zugleich der Erste einer längeren Reihe von Familienmitgliedern, die das Strategenamt im parthischen Dura-Europos offenbar im Erbgang innehatten:67 ȣ Seleukos [1] (ca . 33/32 v . Chr .) ȣ Seleukos [2], Sohn des Lysias, Enkel des Seleukos, στρατηγὸς καὶ ἐπιστάτης τῆς πόλεως (51/52 n . Chr .) – vielleicht Enkel des Seleukos [1] ȣ Seleukos [3] στρατηγός (Sommer 54 n . Chr .) – vermutlich identisch mit Seleukos [2]

63 Evers 2016, 141–148, zeigt, dass die Träger dieses durch zahlreiche Dokumente über einen extrem langen Zeitraum bezeugten Amtes der Bezeichnung zum Trotz aus der alexandrinischen Oberschicht stammten . Zur Begriffsgeschichte von ἀραβάρχης/ἀλαβάρχης Kramer 2011, 175–184, besonders 181 (»›Herr der Araber‹ bzw . ›Herrscher über Arabien‹«) . 64 Siehe oben, S . 255 . 65 Skeptisch im Hinblick auf die Frage, ob die Titel wirklich vergleichbar sind, Scharrer 2010, 264 und 303 . 66 Cumont 1926, 409, Nr . 452: Σέλευκος Λυσίου | στρατηγὸς πόλεως | γεωεάρχης . Cumont, ebd ., datiert auf vermutlich 33/32 v . Chr . und setzt γενεάρχης mit φυλάρχης bzw . ἐθνάρχης gleich: »Le γενεάρχης devait être une sorte de cheikh .« Ähnlich Arnaud 1986, 137f . Diese Lösung des Rätsels ist insofern unwahrscheinlich, als sich Seleukos zweifellos nicht den lokalen Stämmen zugehörig fühlte, sondern der urbanen griechischmakedonischen Elite . 67 Die Zusammenstellung des epigraphischen Materials bei Frye et al . 1955, 140f .

Going local: Dur a-Europos u nter Seleukiden u nd Parthern · 303 ȣ Seleukos [4], Sohn des Lysias, στρατηγὸς καὶ ἐπιστάτης τῆς πόλεως (61/62 n . Chr .) – wohl identisch mit Seleukos [2–3] ȣ Lysias [1], Sohn des Lysanias, Enkel des Seleukos, στρατηγὸς καὶ ἐπιστάτης τῆς πόλεως (135/136?) – vielleicht Enkel von Seleukos [2–4] ȣ Lysias [2], ἐπιστάτης (gestorben 159 n . Chr .) – vermutlich identisch mit Lysias [1] ȣ Lysanias, Nachfolger von Lysias [2], ἐπιστάτης (159 n . Chr .) . Damit lassen sich vorsichtig Aussagen treffen über das Amt, das in den Quellen bald als στρατηγὸς τῆς πόλεως, bald als στρατηγὸς καὶ ἐπιστάτης (τῆς πόλεως), bald auch nur als ἐπιστάτης auftaucht: Es war auf die Stadt, Dura-Europos, bezogen; nicht an die Beschränkung der Annuität geknüpft; innerhalb einer Familie – über anscheinend sechs Generationen bzw . rund 190 Jahre – erblich, also kein Wahlamt . Es war ferner, was sich aus dem fehlenden Annuitätsprinzip fast von selbst ergibt, kein eponymes Amt . Inhaber des städtischen Strategenamts waren stets Personen, die mit ihren Namen (Seleukos, Lysias, Lysanias) den Anspruch auf Zugehörigkeit zur makedonischen Gründer- und Führungsschicht von Europos bekunden . Sie standen, wenigstens im Fall von Seleukos [1], in einer allerdings nicht näheren Beziehung zu tribal organisierten Gruppen der Stadt oder ihres Umlands . Denkbar, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, ist, dass Seleukos als γενεάρχης, ähnlich den ›Statthaltern‹ von Sumatar Harabesi in Osrhoene, eine Kontrollfunktion über die Nomaden des Umlands ausübte . Eher galten die Griechen den Parthern als eine – unter mehreren – γενεά, deren Oberhaupt Seleukos war, in Personalunion mit dem Strategenamt . Stimmt diese Hypothese, dann wäre die Region wenigstens in der Frühphase parthischer Herrschaft entlang ethnischer Trennlinien organisiert gewesen; jedes Ethnos hätte einen Anführer aus den eigenen Reihen gehabt . Daraus wiederum ließe sich folgern, dass Griechen und Makedonen mit der Zeit einen Anpassungsprozess an lokale Formen sozialer Organisation vollzogen hätten . Wie dem auch sei: Es kann als sicher gelten, dass die führende Rolle der Seleukos-Familie in Dura-Europos durch die Arsakiden sanktioniert war .68 Scheinbar eine andere Funktion hatte Manēsos inne, auch er στρατηγός, aber mit dem Zusatz Μεσοποταμίας καὶ Παραποταμίας . Offenkundig gehörte er nicht der Strategenfamilie von Dura-Europos an, sondern der parthischen Reichselite . Als deren hochrangiges Mitglied weisen ihn sein Name und seine Hoftitel aus . Es liegt also zunächst nahe, zwischen zwei Strategien zu unterscheiden: der lokalen der Seleukos-Familie und einer übergeordneten des Manēsos: Manēsos könnte, als Stratege von MesopotamienParapotamien, der ›Vorgesetzte‹ des in Dura amtierenden στρατηγὸς καὶ ἐπιστάτης gewesen sein . Er wäre dann als bidaxš bzw . vitaxa Statthalter eines zwischen Satrapie und

68 Dafür, dass es zur Zeit des Seleukos »une confusion entre l’administration de la ville de Doura et le gouvernorat de Parapotamie et des tribus arabes« gegeben habe, Arnaud 1986, 138 . Für die Gegenthese Andrade 2013, 220 .

304 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at regnum rangierenden parthischen Territoriums gewesen, als στρατηγὸς καὶ ἐπιστάτης lokaler Magistrat und zugleich parthischer Garnisonskommandant vor Ort . Das wichtigste Argument gegen diese Konstruktion ist ein, freilich beredtes, Argumentum ex silentio: Nur einmal wäre mit Manēsos der Inhaber eines der städtischen Strategie übergeordneten Strategenamts von Mesopotamien-Parapotamien belegt, ein weiterer möglicher, wenngleich keineswegs sicherer Kandidat wäre jener Silakes, der laut Cassius Dio als »Satrap der Region« bzw . nach Festus als praefectus regis im Frühjahr 54 v . Chr . dem vorwärtsdrängenden Crassus bei dessen erster Offensive unterlag .69 Sonst finden sich keinerlei Hinweise auf ein entsprechendes Amt . Weiter ist zu fragen, wo der Amtsbezirk eines solchen, dem städtischen Oberbeamten übergeordneten στρατηγός zu lokalisieren wäre . Zwischen dem Herrschaftsbereich des ›Herrn‹ bzw . Königs von Osrhoene und jenem des ›Herrn‹ von Hatra im Norden, der Palmyrene im Westen und dem parthischen Kernland um Seleukeia und Ktesiphon im Südosten verbliebe gerade das Tal des mittleren Euphrat, das als städtisches Territorium von Dura-Europos gilt .70 Die Strategien eines Manēsos und eines Seleukos aber scheinen nicht nur territorial, sondern auch in ihren Aufgabenbereichen kongruent gewesen zu sein . Die im Fall des Seleukos [1] belegte, wenn auch nicht konkretisierte Einbindung in einen tribal-verwandtschaftlichen Kontext, als γενεάρχης, könnte ihre Entsprechung in dem von Manēsos getragenen Titel ἀραβάρχος gehabt haben . Die Strategie von Dura-Europos und die Strategie von Mesopotamien-Parapotamien wären dann, in logischer Konsequenz, nur vermeintlich zwei Ämter gewesen . So ließe sich auch die scheinbare Redundanz der für Manēsos aufgeführten Ämter erklären . In ihr würden sich die unterschiedlichen Perspektiven auf ein und dieselbe Funktion manifestieren: Στρατηγός wäre Manēsos demnach für die griechisch-makedonischen bzw . entsprechend akkulturierten Bewohner der Stadt DuraEuropos gewesen – und als solcher zugleich regionaler Repräsentant des Arsakidenreichs und städtischer Magistrat; ἀραβάρχος wäre derselbe Manēsos für die tribal organisierte Bevölkerung der Region, für die Nomaden und die Land-, vielleicht auch Teile der Stadtbevölkerung; βάτησα bzw . bidaxš schließlich wäre er in seiner Funktion als imperialer Amtsträger gewesen, als parthischer Statthalter an der Außengrenze des Reiches . Wenn das stimmt, dann bildeten die χώρα von Dura-Europos und der Amtsbereich des bidaxš, Mesopotamien-Parapotamien, ein und dieselbe territoriale Einheit .71 So bleibt die Frage, weshalb mit Manēsos im Jahr 121 n . Chr . ein Vertreter der parthischen Reichselite die Strategie bekleidete und nicht ein Angehöriger der Familie des Seleukos, die zuvor und hernach das Amt monopolisiert zu haben scheinen . Ein möglicher Grund liegt auf der Hand: Erst kurz zuvor war die römische Besetzung Mesopotamiens durch den von Hadrian veranlassten Rückzug aus praktisch allen von Trajan eroberten Territorien zu Ende gegangen; die parthische Herrschaft zwischen Euphrat 69 Cass . Dio 40,12,2 (ὁ τότε τῆς χώρας ἐκείνης σατραπεύων ἡττήθη τε περὶ Ἰχνίας); Fest . 17,2 . 70 Vgl . zur Frage des Territoriums Arnaud 1986, 138f . 71 Zur Ausdehnung der χώρα ebd ., 148 .

Going local: Dur a-Europos u nter Seleukiden u nd Parthern · 305 und Tigris musste sich, nach Jahren von Krieg und Besatzung, erst wieder konsolidieren, ein vermutlich schmerzhafter Prozess .72 In der Übergangssituation mag die Einsetzung eines kommissarischen, wohl nur interimistisch regierenden, aber aus dem Herzen des Reichs  stammenden Statthalters den Verantwortlichen ratsam erschienen sein . Vermutlich 135/136 n . Chr . amtierte dann wieder ein Angehöriger der Familie des Seleukos als στρατηγὸς καὶ ἐπιστάτης . Über die innere politische Struktur der Stadt lassen sich nur Mutmaßungen anstellen . Βουλή und ἐκκλεσία sind für die parthische Periode epigraphisch und papyrologisch nicht belegt und tauchen erst in römischer Zeit (215/216 n . Chr .) auf .73 Daraus auf eine ›Tyrannis‹ der Familie des Seleukos schließen zu wollen,74 hieße, griechische Kategorien voreilig auf eine Gesellschaftsordnung anzuwenden, über die wir fast nichts wissen . Weder lässt sich Genaueres über die Rolle tribaler Gruppen sagen, noch wissen wir, ob nicht trotz des Schweigens der Quellen politische Kollektivorgane überlebt hatten . Immerhin gab es einen klar umrissenen Bürgerbegriff: Bürger von Dura-Europos firmierten in Urkunden als Εὐρωπαῖοι, Personen, die in der Stadt lebten, aber kein Bürgerrecht besaßen, als οἱ ἀπ᾽ Εὐρωποῦ .75 Etwas von der bürgerschaftlichen Identität der einstigen Polis hatte sich also bis in die späte Partherzeit erhalten . Die Verwaltung des Umlands von Dura-Europos hingegen erlebte im gleichen Zeitraum substantielle Veränderungen . Kehren wir noch einmal zu dem antichretischen Darlehensvertrag aus dem Jahr 121 n . Chr . zurück: Ort des Vertragsschlusses ist das Dorf (κώμη) Paliga; als erster Zeuge fungiert Mētolbaissa, Enkel des Phrourarchen Mēnarnaios .76 Paliga, am linken Euphratufer nahe der Ḫābūrmündung gelegen, war der letzte parthische Außenposten vor der Grenze zum Imperium der Römer, also ein Platz von eminenter militärischer Bedeutung .77 In der Verwaltung der Grenzfestung gab offensichtlich ein lokaler Familienclan den Ton an: Mēnarnaios fungierte, mit dem griechischen Titel φρουράρχος, als Garnisonsbefehlshaber; zugleich war er, als φίλος und σωματοφύλαξ, in die parthi72 Hinreichender Beweis für die römische Besetzung Duras ist der gut 1,5 Kilometer westlich der Stadt gefundene Triumphbogen mit (rekonstruierter) Inschrift AE 1937, 0243: Imp(eratori) Ca[es]ari divi N[er]vae f(ilio) Nervae | Traiano [opt(imo) Au]g(usto) Ge[r(manico) D]ac(ico) pont(ifici) m[a]x(imo) trib(unicia) | po[t(estate) XX imp(eratori) XI co(n)s(uli) VI p(atri) p(atriae) le]gio [I]II Cyr(enaica) [------?; vgl . TEAD IV, 56–65 . 73 SEG VII 332: Εὐρωπαίων ἡ βουλή (Ehrinschrift für Iulia Domna) . 74 So Arnaud 1986, 146, mit Berufung auf Plut . Crass 29, der im Zusammenhang mit der Katastrophe des Crassus den lokalen Herrscher von Karrhai, Andromachos, als τύραννος bezeichnet . 75 So ein gewisser Lysias, Sohn des Abbouis, P . Dura 23, 4 (134 n . Chr .) . 76 P . Dura 20,3 . In seinem Kommentar hält Welles 1959, 111, irrtümlich Mētolbaissa selbst für den Phrourarchen; diese Lesung geht jedoch nicht auf, da Mētolbaissa nach ἐπί im Dativ steht, die Apposition φρ[ουρά]ρ ̣ χου ̣ καὶ τῶν πρώτων καὶ προτιμωμένων φίλων καὶ τῶν σωματοφυλάκων hingegen im Genitiv . Sie kann sich mithin nur auf den gleichfalls im Genitiv genannten Großvater des Mētolbaissa, Mēnarnaios, beziehen . Dieser Deutung folgt offensichtlich auch Arnaud 1986, 149, der plausibel feststellt: »[…] le phrourarque Mènarnaïos avait sous ses ordres des membres de son clan chargés de rédiger des actes notariés, qui relevaient du bureau du Trésor Public de Doura .« 77 Zur Lokalisierung: ebd .; Gaborit/Leriche 1998, 180f . (Karte) .

306 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at sche Reichselite eingebunden, im gleichen Rang wie zwei in einem anderen Dokument namentlich erwähnte »Mitglieder des königlichen Gerichtshofs« aus Dura-Europos .78 Mēnarnaios delegierte anscheinend zentrale Aufgaben der lokalen Verwaltung an Familienmitglieder . Mit der Beurkundung des Darlehensvertrags war sein Enkel Mētolbaissa befasst, über dessen Funktion sonst nichts verlautet . Der Sache nach versah Mētolbaissa damit eine Aufgabe, die den Befugnissen der »Schuldenwächter« und der »Mitglieder des Gremiums königlicher Richter« entsprach, wie sie in verschiedenen Dokumenten bezeugt sind .79 Der Text zeigt zweierlei: Erstens unterschieden sich die lokalen Funktionsträger in dem von Dura-Europos aus verwalteten Gebiet ethnisch (und vermutlich auch sprachlich-kulturell) von den noch immer makedonisch dominierten städtischen Eliten . Die semitischen Namen deuten auf eine Herkunft entweder aus dem nomadischen oder aus einem lokalen ländlichen Milieu hin . So liefert der Text auch ein weiteres Beispiel für das Ineinanderfließen tribaler und bürokratischer Organisationsformen, wesentliches Strukturmerkmal des sozialen Polymorphismus an der römisch-parthischen Steppengrenze . Auch wenn man, gegen Rostovtzeff und Welles, eine Personalunion von Ver waltungsspitze und oberster Finanzadministration verwirft, springen Änderungen in der Verwaltung ins Auge, die eine partielle Abkehr von den Strukturen der hellenistischen Polis und einen Trend hin zu vermehrter Bürokratisierung signalisieren . Daneben hatten Institutionen Bestand, die auf die Seleukiden zurückgingen . Eine Bürokratie im eigentlichen Sinne hatte die hellenistische Polis nicht gekannt . Die Finanzverwaltung lag in den Händen subalterner Magistrate, ταμίαι, die Verwahrung öffentlicher und privater Urkunden in der Verantwortung ebenfalls nachgeordneter, teils speziell dafür vorgesehener Funktionsträger: ἐπιστάτεις χρεωφυλακίου in Susa, Seleukeia und Uruk; ἀγορανόμοι im Ptolemäerreich; andernorts γραμματοφύλακες .80 Χρεωφύλακες finden sich noch in den partherzeitlichen Rechtsurkunden aus Dura-Europos als Zeugen von Rechtsgeschäften und vermutlich für die Archivierung zuständige städtische Beamte .81 Doch traten alsbald Institutionen neben die städtischen Amtsträger, die den Rahmen der Polis sprengten . Das αὐτόθι βασιλικὸν δικαστήριον, das ›lokale königliche Gericht‹, schlichtete Rechtsstreitigkeiten und war die zuständige Behörde, vor der Rechtsgeschäfte verhandelt wurden .82 Seine Mitglieder gehörten, wie die übrigen Funktionsträger in Dura und Umgebung, als φίλοι und σωματοφύλακες der parthischen Elite an .83 In die Abwicklung von Transaktionen waren schließlich, in welcher offiziellen Funktion auch immer, Personen wie Mētolbaissa aus Paliga eingebunden, die in einem Verwandtschafts78 P . Dura 18,31f .: Σέλευκος, Ἀδαῖος, τῶν βασιλικῶν δ[ι]κ ̣ α̣ σ̣ τῶ ̣ ν̣ κ[αὶ ̣ τ]ῶ̣[ν π]ρ[ώτω]ν ̣ ̣ [καὶ π]ρ[οτιμωμ]έ ̣ [ν]ω ̣ ν̣ ̣ | φίλ[ων κ]αὶ̣ ̣ τῶν ̣ σωματοφυλάκων . 79 P . Dura 17B,19; 25,35: χρε(ο)φύλακες, Schreibweise sic; P . Dura 18,31: τῶν βασιλικῶν δ[ι]κ ̣ α̣ σ̣ τ̣ ῶ̣ν (ähnlich 19,18) . 80 Zur hellenistischen Polis des Ostens: Bikerman 1938, 206–209; Jones 1940, 236–250 . 81 P . Dura 17B,19; 25,12; 25,35 . 82 P . Dura 18,16; 19,4 . 83 P . Dura 18,31 .

Going local: Dur a-Europos unter Seleukiden u nd Parthern · 307 verhältnis zu lokalen Amtsträgern standen . Ob sich juristische und fiskalische sowie administrative Kompetenzen in den Händen dieser Funktionäre bündelten, kann mangels wirklich stichhaltiger Belege nicht entschieden werden .84 Mit dem Befund von Veränderungen auf der institutionellen Ebene korrespondiert die Beobachtung, dass sich das sprachliche Umfeld sukzessive ›semitisierte‹ . Plötzlich, ab 180 v . Chr ., firmieren die Bewohner Duras auch in griechischen Urkunden als Δουρῆνοι . Signifikant ist auch Isidor von Charax’ Beschreibung der Stadt, in eigenartiger Diktion, als »Dura, Stadt des Nikanor, Gründung der Makedonen, von den Griechen Europos genannt« .85 Das Spannungsverhältnis zwischen Kontinuität und Wandel gewinnt hier scharfe Konturen: Das griechische Erbe hat nach wie vor große Bedeutung, doch schiebt sich langsam ein anderes kulturelles Stratum darüber . Bei Isidor sind die Griechen bereits die »Anderen« .86 Vor allem machte der Trend vor den Griechen und Makedonen von DuraEuropos selbst nicht halt . Zwar blieben sie, wie ihre Namen stolz verkünden, der kulturellen Tradition ihrer einst aus fernen Landen eingewanderten Ahnen treu . Auch scheinen sie darauf bedacht gewesen zu sein, ihren privilegierten Status zu bewahren . Aber sie richteten sich doch im politischen Koordinatensystem des Partherreichs ein . Ihre Stadt war eigentlich keine Polis mehr, und ihr Alltag glich sich, wie die Wohnhäuser zeigen, immer mehr dem der einheimischen Bevölkerung an . Die Region des mittleren Euphrat mit ihrem Zentrum Dura-Europos unterstand vermutlich über die gesamte Dauer parthischer Herrschaft einem aus der Mitte der lokalen Elite rekrutierten Funktionär, der mit lediglich einer kurzen Unterbrechung unmittelbar nach der römischen Okkupation unter Trajan stets derselben Familie entstammte . Das Amt war erblich, die Autonomie des lokalen Herrschers gegenüber der Zentralmacht ging also in jedem Fall weiter als jene der von Ktesiphon eingesetzten Satrapen; es stand aber in Prestige und politischem Handlungsspielraum hinter dem eines rex zurück . Einige wenige Institutionen der hellenistischen Polis, vor allem ihr Bürgerrecht, existierten fort, während sich von den meisten keine Spur mehr findet . Die einstige Polis mit ihrer χώρα wurde, in einem nicht näher zu spezifizierenden Zeitraum, in ein autonomes Territorium des Arsakidenreichs umgewandelt . Die arsakidische Zentralmacht war mit Funktionsträgern vor Ort präsent, die auf vielfältige Weise mit der parthischen Reichselite verflochten waren und aus Ktesiphon die Titel für ihre Autorität bezogen . Sie alle entstammten anscheinend entweder lokalen städtisch-makedonischen oder ländlich-semitischen Oberschichten . Die sich mit der sukzessiven römischen Expansion wandelnde strategische Lage wertete die Region unweigerlich militärisch auf, ähnlich, wie es bereits am Vorabend der Eroberung durch die Parther geschehen war . Der mittlere Euphrat mit seinen Festungen wurde, neben Hatra, zum wichtigsten parthischen Vorposten im Westen . Einen vermut84 So aber Arnaud 1986, 151, unter Verweis auf die achaimenidenzeitlichen »Richter«, »l’un des principaux rouages de l’administration perse .« 85 Isid . Charac . stath . Parth . 1 . Siehe oben, S . 298 . 86 Yon 2003a, 204 .

308 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at lichen Reflex auf die aus parthischer Sicht angespannte Sicherheitslage geben bereits für das 1 . Jahrhundert n . Chr . die › Stationen‹ Isidors von Charax . Sollte Isidor wirklich mit dem von Plinius erwähnten Dionysios von Charax identisch sein, so bestand seine vermutliche Mission darin, auf kaiserlichen Befehl die parthischen Euphratfestungen auszuspähen .87 Dass die Siedlung Dura-Europos also ihre Bedeutung in spätparthischer Zeit, wie schon unter den Seleukiden, maßgeblich ihrer strategischen Lage verdankte, heißt nicht, dass der Fernhandel keine Rolle spielte . Die Route Palmyra-Dura war, wenn schon nicht – wie von Rostovtzeff behauptet88 – die Ost-West-Verbindung schlechthin, so doch wenigstens die kürzeste Gerade zwischen der Oasenstadt und dem Euphrat . Sie war aber auf keinen Fall der bequemste Verkehrsweg . Oberhalb von Hīt war der Euphrat nicht mehr schiffbar, weshalb die Haupthandelsroute durch das Wādī Ḥaurān nach Westen abzweigte . Der Euphrat war aber, nachdem die von Strabon für das postseleukidische Machtvakuum im 1 . Jahrhundert v . Chr . konstatierte Bedrohung durch Nomadenstämme entfallen war, zweifellos die bevorzugte Handelsroute für den parthischen Westhandel neben der im Übrigen erst später zu Bedeutung gelangenden Verbindung über Hatra und das römische Obermesopotamien . Daran änderte auch die politische Situation mit zwei in der Region aneinandergrenzenden rivalisierenden Großreichen nichts .89 Als Zwischenstation für den Fernhandel war Dura-Europos also allenfalls von sekundärer Bedeutung . Es war aber für die Palmyrener ein bedeutender lokaler Markt, auf dem sich Proviant für die Karawanen und Waren für den Weitertransport nach Osten bzw . Westen beschaffen ließen . Das ›Steuergesetz‹ der Oasenstadt sah den Import von Nahrungsmitteln von außerhalb der Palmyrene ausdrücklich vor; in seiner 137 n . Chr . ergänzten Fassung erleichterte es sogar die Einfuhr, indem die entsprechenden Abgaben um die Hälfte gesenkt wurden .90 Die immer wieder behauptete – und angesichts des FrontierCharakters der parthisch-römischen Steppengrenze nicht einmal undenkbare – Stationierung palmyrenischer Bogenschützen in Dura noch vor der römischen Eroberung, etwa

87 Plin . nat . 6,141 . Dass Isidor ein Spion gewesen sein könnte, deutet Kramer 2003, 124, an; für eine Deutung des Itinerars in militärischem Zusammenhang schon Gawlikowski 1983a, 56; partiell contra Young 2001, 7 . 88 Rostovtzeff 1932, 105 . 89 Strab . 16,1,21 . Der Verweis auf Nomaden bei ebd ., 1,27 ist, aller sonstigen ihm unterlaufenden Irrtümer zum Trotz, entgegen Kramer 2003, 124f ., durchaus glaubhaft . Nicht schlüssig ist auch Kramers Behauptung, seit der parthischen Reichsbildung habe »der Ost-West-Austausch über den nun als Grenze zwischen den Großreichen fungierenden Euphrat hinweg größeren Schaden genommen, als gemeinhin angenommen wird« (ebd ., 125) . Die politische Grenze zwischen den Großreichen, ohnehin eher ein breiterer Grenzsaum, konnte den Fernhandel in der Region nie ernsthaft gefährden . Selbst als im 3 . Jahrhundert die Spannungen zwischen Rom und Ktesiphon kulminierten, blieb der Handelsverkehr unbeeinträchtigt . Der beste Beleg dafür ist die anhaltende Blüte von Handelszentren wie Palmyra und Hatra: Young 2001, 198–200, und jetzt Sommer 2017b, 81–87 . 90 PAT 0259 G 89–91; 187–191; P 56–60; 109–113 . Vgl . die überzeugende Rekonstruktion des palmyrenischen Lokalhandels bei Dirven 1999, 34–40 .

Going local: Dur a-Europos unter Seleukiden u nd Parthern · 309 ab Mitte des 2 . Jahrhunderts n . Chr .,91 ist indes anhand von Quellen nicht zu belegen . Der früheste direkte Hinweis auf die Präsenz palmyrenischer Soldaten in der Stadt stammt aus antoninischer Zeit, aus dem Jahr 168 n . Chr .92 Ein Schlaglicht auf die in der Schlussphase parthischer Herrschaft wirksamen Kollektividentitäten werfen die beiden Reliefs der Schutzgottheiten von Dura und Palmyra aus dem nach ihnen benannten Tempel der Gaddē . Auftraggeber war jeweils ein und dieselbe Person, die auf beiden Reliefs in palmyrenischer Priestertracht dargestellt ist . Es handelte sich um einen gewissen Ḥairan, der als Priester im Tempel der Gaddē wirkte, der entweder vornehmlich oder exklusiv der palmyrenischen Diasporagemeinde als Kultort diente . Die Existenz dieser Diaspora erklärt sich sicher nicht militärisch, sondern einfach aus der Bedeutung Duras als Entrepot im Regional- und Fernhandel . Ḥairan ließ als Schutzgöttin und Personifikation seiner Heimatstadt Palmyra eine der Tyche von Antiocheia nachempfundene und mit Astarte, der im Bēl-Tempel in Palmyra verehrten Göttin, identifizierte weibliche Gestalt in Stein meißeln . Er verriet so die Kenntnis hellenistischer Konventionen, denen zufolge weibliche Gottheiten Städte zu verkörpern haben, und stellte sich zugleich in eine lokale Tradition, indem er über den Umweg Astartes Bēl seine Reverenz erwies . Das hellenistische Konzept einer die Stadt verkörpernden weiblichen Gottheit geht in dem Bild mit den im aramäischen Raum, namentlich in Hatra und Palmyra, außerordentlich verbreiteten Schutzgottheiten (Gaddē) eine fruchtbare Verbindung ein . Hingegen ist die Schutzgottheit, die in dem zweiten Relief Dura-Europos repräsentiert, männlich . Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um den Donnergott Baʿal-Šamēn – im Hellenismus identifiziert mit Zeus Megistos –, dem der Gründerheros Seleukos Nikator in militärischem Ornat, einen Siegeskranz haltend, huldigt . Das Relief bietet uns einen Blick aus der Fremdperspektive auf das spätparthische Dura: Aus Sicht der Palmyrener definierte sich die Stadt primär durch ihren seleukidischen Ursprung . Der Gründerheros Seleukos und der Gott, zu dem man Seleukos ein besonderes Nahverhältnis unterstellte – Zeus Megistos im orientalischen Gewand des Baʿal-Šamen –, waren dafür die idealen Repräsentanten . Die Wahrnehmung Duras als – in ihrem Kern – ›griechische‹ Stadt ist erklärungsbedürftig . Sie steht in pointiertem Gegensatz zu der Selbstwahrnehmung 91 Für eine Stationierung palmyrenischer Bogenschützen in Dura vor der römischen Eroberung zuerst Cumont 1926, XL; Isaac 1990; weiter noch geht Rostovtzeff 1938a, 18f ., der eine »neutralisierte« Fernhandelsroute entlang des mittleren Euphrat vorschlägt . Das kategorische Gegenargument von Dirven 1999, 13, lautet: »[…] it is questionable whether Palmyrene soldiers would have been allowed to enter .« Das ist gerade wegen der Durchlässigkeit der Frontier allerdings kein plausibles Argument . Zudem deuten die in dem Ort ʿUqlat Ḥaurān, nahe der Einmündung des Wādī Ḥaurān in den Euphrat, gefundenen palmyrenischen Inschriften auf eine militärische Kontrolle dieses Fernhandelswegs durch Palmyra bereits im 1 . Jahrhundert n . Chr . hin; siehe oben, S . 185 . 92 Palmyrenische Weihinschrift auf dem kleineren der beiden Kultreliefs aus dem Mithräum (TEAD VII–VIII, 83f ., Nr . 845) . Auftraggeber ist »Ethpeni, der στρατηγός, Sohn des Zabdeʾā, der das Kommando über die Bogenschützen, die in Dura sind, führt .« Eine zweite, griechische Weihinschrift (Nr . 846) auf dem größeren der beiden Kultreliefs stammt aus dem Jahr 170/171 n . Chr ., Auftraggeber ist der στρατηγός Zenobios .

310 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at der Palmyrener, die in Gestalt der Tyche eine Symbolfigur für ihre Anleihen beim kulturellen Inventar des Hellenismus gefunden hatten . Während die Palmyrener sich in den Weihreliefs als Adepten einer fremden Kultur präsentierten, sahen sie in den Erben der Makedonen von Dura-Europos die Gralshüter dieser Tradition selbst .93 Die Fremdwahrnehmung durch die Palmyrener korrespondiert wenigstens partiell mit dem, was sich über die Selbstwahrnehmung der Bewohner von Dura-Europos – oder wenigstens der städtischen Eliten – mutmaßen lässt . Vor allem hielten sie am Kult ihres Gründerheros Seleukos Nikator fest, was ein starkes Indiz dafür ist, dass der makedonische Ursprung der Stadt noch immer Referenzpunkt auch für ihre bürgerschaftliche Identität war . Dazu passt, dass man in Dura nach wie vor Griechisch schrieb, offensichtlich auch sprach, und das in einer Variante, die ziemlich lupenrein das Koine-Griechisch der seleukidischen Frühzeit konservierte .94 Ob die Angehörigen der Elite von Dura tatsächlich, wie es ihrem Selbstbild entsprach, genetisch die Nachkommen der griechisch-makedonischen Einwanderer des 4 . und 3 . Jahrhunderts v . Chr . waren oder ob es sich – wie jetzt meist von der Forschung vertreten – um eine konstruierte Identität handelte – und welche Identität ist schon nicht konstruiert? –, ist für ihr Funktionieren in parthischer Zeit völlig ohne Belang .95 Wenigstens der Begrifflichkeit nach lebte man noch immer in einer Polis, auch wenn sich die politischen Realitäten inzwischen gewandelt hatten . Immerhin konnte es auch den Griechen von Europos nicht entgangen sein, dass ihre Stadt in den Jahrhunderten parthischer Herrschaft ein mehr und mehr mesopotamisches Gesicht erhalten hatte . Es gehört zu den vielen Paradoxien der Steppengrenze, dass Dura-Europos, das vielleicht von allen Städten dort die ›griechischste‹ war, äußerlich am Ende der parthischen Periode den unklassischsten Anblick darbot .

Unter dem Adler: Der mittlere Euphrat als Militärgrenze Gut 90 Jahre lang, von 164/165 n . Chr . bis 256/257, war Dura-Europos der südöstlichste Außenposten des römischen Syrien . Obwohl die römische Periode der Dauer nach, verglichen mit der parthischen Herrschaft über Dura, kurz war, ist sie mit der Fülle ihrer Zeugnisse der bei Weitem am besten dokumentierte Abschnitt der Stadtgeschichte .96 Im römischen Dura-Europos kreuzten sich verschiedenste kulturelle und religiöse Einflüsse, 93 Zu den Reliefs Dirven 1999, 102–113 . 94 Ein charakteristisches Merkmal isolierter Sprachgemeinschaften: Mehl 1998, 202 . Zur Sprachentwicklung in Dura-Europos Millar 1998a, 478 . Frye et al . 1955, listen 235 griechische und lateinische Inschriften auf . Die einzigen aramäischen Inschriften aus parthischer Zeit sind auf Palmyrenisch verfasst und der palmyrenischen Diaspora zuzuordnen . 95 Für die tatsächliche Abstammung von den makedonischen Siedlern: Welles 1951, 261; Arnaud 1986, 147f . Dagegen: Pollard 2007, 89–92, und jetzt Gregoratti 2016, 20f . 96 Dirven 1999, 12; Gnoli 2007b; Kaizer 2015; Gregoratti 2016, 16 .

U nter dem Adler: Der mittlere Euphr at als Militärgrenze · 311 die sich in der materiellen Kultur der Stadt niederschlugen; Legionäre aus allen Teilen des Imperiums sicherten den Vorposten am Euphrat erst gegen die Parther, später gegen die Sasaniden; Palmyrener trieben Handel und dienten als Soldaten; neue Kulte hielten Einzug; die jüdische Diaspora-Gemeinde erfreute sich regen Zulaufs . Die veränderte Lage schlug sich unmittelbar im Stadtbild nieder, in einer fast schon hektisch zu nennenden Bauaktivität: Relgionsgemeinschaften wie Juden, Christen und Mithrasanhänger wurden jetzt erstmals im Stadtbild sichtbar, bestehende Heiligtümer zum Teil um- und ausgebaut; weite Teile der Stadt machten Bauten Platz, die den Soldaten der Garnison zum Wohnen, Arbeiten, zum Zeitvertreib und zur Verehrung ihrer Götter dienten; schließlich verschwand die alte Westmauer, mitsamt den angrenzenden Gebäuden, unter einem gigantischen Schutzwall, der die Stadt gegen die bevorstehende persische Belagerung schützen sollte . All das lässt an einen stürmischen Umbruch, eine tiefe Zäsur zwischen parthischer und römischer Herrschaft denken . Der Eindruck könnte falscher nicht sein: Anscheinend herrschte, den neuen Herren in Rom zum Trotz, auf fast allen Feldern zunächst Kontinuität vor . Römische Institutionen und Amtsträger treten in den Quellen, bemerkenswert genug, erst in severischer Zeit, erstmalig im Jahr 208, in Erscheinung .97 Reguläre römische Einheiten sind freilich in Dura eher, für die Zeit des Commodus, bezeugt .98 Für die Zeit davor lässt sich weder die Zugehörigkeit zu einer Provinz noch die administrative oder juristische Zuständigkeit römischer Offizieller irgendwie greifen . Nachweisbar ist allein die Anwesenheit palmyrenischer Soldaten, die anscheinend nicht regulären römischen Verbänden angehörten . Die Weihinschriften aus dem Mithräum nennen die palmyrenischen Bogenschützen unter dem Kommando eines ἰσταρτήγα bzw . στρατηγός .99 Im selben Zeitraum, bis Anfang des 3 . Jahrhunderts, hatten die aus parthischer Zeit bekannten Amtstitel Bestand . Belegt sind ein Seleukos als στρατηγὸς καὶ ἐπιστάτης τῆς

97 Die erste Phase römischer Herrschaft (ca . 165–208) wird durch epigraphische und papyrologische Quellen nur äußerst spärlich erhellt . Um 208 setzte, in chronologischem Zusammenhang mit dem beginnenden Ausbau Duras zur römischen Garnisonsstadt, eine rege Produktion historisch verwertbarer Inschriften ein (bis ca . 217) . Nach 217 verstummen die Quellen abermals weitgehend, um dann in der Schlussphase, kurz vor der Zerstörung der Stadt, – mit den kürzlich am mittleren Euphrat aufgetauchten Dokumenten (P . Euphr . 1–17) – jedenfalls für das Umland wieder reicher zu fließen (ca . 232–256) . Die besser dokumentierte Phase von 208 bis 217 verdankt sich also nicht – oder doch nicht allein – Zufällen der Überlieferung, sondern ist maßgeblich der in diese Jahre fallenden militärischen Bauaktivität zuzuschreiben, unter anderem mit der Errichtung des sogenannten Palastes des dux ripae . 98 Durch einen lateinisch beschrifteten Kalksteinaltar vom Haupttor der Stadt (TEAD I 42–44) . Die Weihinschrift pro salu|te Com(modi) Aug(usti) nennt als Auftraggeber die coh(ors) | II Ulp(iae) P(aphlagonom) eq(uitatae) Com(modianae) . Die Inschrift ist nicht sicher zu datieren, gehört aber vermutlich in die Schlussphase der Herrschaft des Commodus (ca . 190); vgl . Dijkstra 1995, 280 . 99 TEAD VII–VIII 83f . (168 n . Chr .), Nr . 845f . (170/171 n . Chr .) . Man beachte die Falschschreibung von στρατηγός in Nr . 845 . Es handelt sich um eine palmyrenische Inschrift mit vertikaler griechischer Beischrift . Siehe oben, S . 309, Anm . 92 .

312 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at πόλεως,100 ein Heliodoros mit derselben Amtsbezeichnung101 sowie ein Septimius Lusias mit dem, lateinisch transkribierten, Titel str(ategus) Dur(ae) .102 Römische Magistrate und der Kaiser treten vorerst nicht in Erscheinung, nur einmal zwecks Datierung .103 Dass mit dem Strategenamt auch die weitreichende Autonomie überlebte, welche die Region am mittleren Euphrat unter den Arsakiden genossen hatte, ist nicht an Quellen zu beweisen, aber gleichwohl plausibel, angesichts einer kaum mehr mit Zufall zu begründenden Serie von Argumenta ex silentio: Zusammen mit der lange nicht nachweisbaren Stationierung regulärer römischer Truppen und dem forcierten militärischen Ausbau der Stadt in severischer Zeit ist die Kontinuität in der administrativen Terminologie ein Anhaltspunkt dafür, dass Rom sich zur Kontrolle seines neuen Vorpostens am Euphrat zunächst indirekter Herrschaft bediente, mit vorerst nicht römischem Oberkommando unterstehenden palmyrenischen Soldaten als Garnison . In mehreren Etappen intensivierten die Römer ihre Herrschaft und drängten die lokale Autonomie immer weiter zurück: Reguläre römische Truppen rückten unter Commodus in Dura-Europos ein, römische Institutionen traten verstärkt auf den Plan, Dura wurde Garnisonsstadt mit umfangreichen baulichen Einrichtungen zur Beherbergung des Militärs, die Euphratfestungen stromabwärts erhielten römische Besatzungen . Fast alle Maßnahmen fielen, kaum von ungefähr, in die frühe Severerzeit, in die Jahre nach dem siegreichen Abschluss der von Septimius Severus vom Zaun gebrochenen Partherkriege, in denen das Imperium auch seine Herrschaft über die Region Palmyra intensivierte . Bereits aus dem Jahr 180 stammt das erste Dokument, ein Kaufvertrag, das nach den römischen Konsuln und Kaisern datiert ist, daneben aber noch Datierungen nach Seleukidischer Ära – »der alten Zeitrechnung« – und nach den lokalen Priestern des Zeus, des Apollon, der Ahnen und des Gründerheros Seleukos Nikator enthält .104 Jedoch blieben gleichzeitig parthische Hoftitel in Gebrauch .105 Einen deutlichen Einschnitt markiert deshalb ein Scheidungsvertrag aus dem Jahr 204, aus dem vermutlich am unteren Ḫābūr zu lokalisierenden Dorf Ossa:106 Das Dokument datiert nach den Regierungsjahren der Kaiser (Septimius Severus als Augustus, Caracalla und Geta als Caesares), nach Konsuln und nach der, wiederum als »alte Zeitrechnung« bezeichneten, Seleukidischen Ära . Eponyme Oberpriester von Dura-Europos treten nicht mehr in Erscheinung . Ferner ist bemerkenswert, dass sich die Parteien, obwohl ausnahms100 101 102 103 104 105

Frye et al . 1955, Nr . 6 (169/170 n . Chr .) . P . Dura 17A,9; 17C,28 (ca . 180 n . Chr .) . TEAD II 148–151 (ca . 200 n . Chr .) . P . Dura 25 (180 n . Chr .) . P . Dura 25,1–4 P . Dura 17B,13 . Ein Unbekannter, Sohn des Seleukos, Enkel des Theomnestus, trägt in dem Pergament (ca . 180 n . Chr .) den parthischen Hoftitel σωματοφύλαξ . Die Datierung nach Konsuln und Kaisern scheint in dem ungefähr gleich alten, freilich fragmentarischen Vertragstext zu fehlen . Er datiert, soweit erhalten, nur nach eponymen Priestern . 106 P . Dura 31 .

U nter dem Adler: Der mittlere Euphr at als Militärgrenze · 313 los Peregrine, der stipulatio, mithin eines genuin römischen Formulars, bedienen, dazu korrekt in ihrer objektiven Variante, anders als in den Vertragsurkunden aus Osrhoene . Schließlich enthält die Vereinbarung die Klausel, dass die Parteien im Fall eines Verstoßes gegen die Abmachung ein Strafgeld an den Fiskus zu zahlen haben .107 Eine interessante Fußnote zur Kulturgeschichte des ländlichen Umlands von DuraEuropos hat die Onomastik des Vertrags beizusteuern . Die geschiedenen Eheleute Nabusamaos und Akkozis sind durch ihre Namen als Angehörige der semitischsprachigen Bevölkerung des Dorfes Ossa ausgewiesen, der Mann trägt sogar einen theophoren, mit ›Nabu‹ gebildeten Namen . Beider Väter hingegen erfreuten sich bester makedonischer Namen: Der Vater des Mannes hieß Konon, jener der Frau Seleukos . Beide Eheleute waren Enkel eines Abissaios, wobei unklar bleibt, ob sie Nachkommen desselben Großvaters waren oder die Namensgleichheit auf Zufall beruhte . Sollten zwei Familien im Spiel sein, wäre der Befund noch bemerkenswerter: Die Abkehr von semitischen Namen währte nur eine Generation; bereits die nächste Generation wählte für ihre Kinder wieder semitische, in einem Fall gar einen theophoren, Namen . Unterstellt, dass Nabusamaos und Akkozis bei ihrer Scheidung mindestens 20 Jahre alt waren, gehörten sie sicher der ersten nach der römischen Eroberung geborenen Generation an . Besteht hier ein Zusammenhang? Falls ja, wäre es ausgerechnet der römischen Herrschaft zuzuschreiben, wenn erste Ansätze einer griechischen Akkulturierung des ländlichen Raums am mittleren Euphrat versandeten . Der auf den ersten Blick überraschende Befund – der noch dadurch erhärtet wird, dass auch der Schreiber, der das Dokument aufsetzte, einen semitischen Namen trug, aber einen Vater mit griechischem Namen hatte – zeigt wieder, dass politische und kulturelle Prozesse nicht immer und überall im Gleichschritt verlaufen, schon gar nicht in kulturell fragmentierten Grenzräumen .108 Die Intensivierung römischer Herrschaft am mittleren Euphrat stand auch im Zeichen forcierter Militarisierung der Region ab frühseverischer Zeit . Sie erstreckte sich nicht nur auf das Stadtgebiet von Dura selbst, dessen nördliche Stadthälfte durch Garnisonsbauten im frühen 3 . Jahrhundert nahezu komplett umgestaltet wurde . Der gesamte mittlere Euphrat wurde unter den Severern zur stark befestigten Militärgrenze, mit einer dichten Kette von Kastellen . Unterhalb der Ḫābūrmündung passiert der Euphrat beiderseits Wüste bzw . Wüstensteppe, zur Linken die Ǧazīra, zur Rechten die Syrische Wüste . Der schmale Streifen Kulturland entlang des Flusses mit seinen Siedlungen bildete also keine Grenze im eigentlichen Sinne, sondern eher einen Korridor vorgeschobener Außenposten inmitten von Nomadenland . Viele der Siedlungen waren, wie Dura-Europos, Sura und 107 Ebd ., 43: ὡμολόγησαν (stipulatio) bzw . 48: εἰς φύσκον . 108 Ähnlich in der Tendenz schon Welles 1951; Welles 1959, 160 . Der Befund steht in eigentümlichem Widerspruch zu der zeitweisen ›Renaissance‹ makedonischer Institutionen und ›hellenistischer‹ Kulte, wie sie sich für das frührömische Dura-Europos abzeichnet: Namentlich der Kult des Gründerheros Seleukos Nikator scheint sich verstärkten Zulaufs erfreut zu haben . Zur Kontinuität bzw . dem Wiederaufleben der hellenistischen Kulte Dirven 1999, 121 . Zu makedonisch-semitischen Doppelnamen Pollard 2007, 92–99 . Zum Ausbau der Militärgrenze Gnoli 2007b .

314 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at Zenobia weiter stromaufwärts, Endpunkte ausgebauter Straßen, die in Palmyra zusammenliefen . Die Orte fielen in den beiden Partherkriegen des Septimius Severus unter römische Herrschaft und wurden zu befestigten Plätzen ausgebaut .109 Zwei dieser Euphratfestungen waren in den frühen 1980er Jahren Gegenstand von Notgrabungen im Zuge eines Staudammprojekts .110 Die Ausgrabungen in ʾĀna sowie die italienischen Arbeiten in Kifrin und die polnischen in Bīǧān brachten nichts zutage, was in seiner historischen Tragweite auch nur annähernd mit den Funden aus Dura-Europos vergleichbar wäre . Gleichwohl geben sie Aufschluss über die militärische Inbesitznahme und Organisation des Raumes durch Rom . Im Fall von Kifrin stießen die Archäologen immerhin auf eine ansehnliche Siedlung und bedeutende Militärarchitektur . Die Siedlung, die mit keiner der bei Isidor von Charax genannten Stationen, aber offensichtlich mit dem in Dokumenten aus Dura mehrfach erwähnten Bēchchuphrein (Beth Kufrin – Kifrin) zu identifizieren ist,111 besteht aus einer Wohnstadt und einer Zitadelle und überragt das Euphrattal auf einem Felssporn . Die auffälligste Struktur ist ein großer TemenosKomplex im Nordwesten der Wohnstadt, der um ein offenbar sakral genutztes Bauwerk mit drei parallelen Iwanen herum errichtet worden war . Die Anlage gleicht auffallend dem Iwankomplex in Hatra, nur dass die Gewölbe zur Schauseite hin geschlossen waren . Wie in Hatra waren die Wände mit menschlichen Köpfen und Figuren geschmückt . Nach Hatra weisen auch ein echter Iwan, der sich im rechten Winkel auf den Vorplatz des Temenos hin öffnet, und Keramikfragemente mit hatrenischen Graffiti .112 Münzen, Keramik und Kleinfunde lassen das frühe 3 . Jahrhundert als wahrscheinliches Gründungsdatum der Siedlung Kifrin erscheinen . Ob eine parthische Vorgängersiedlung bestand, liegt im Dunkeln . In jedem Fall fällt der massive militärische Ausbau Kifrins als Festung in die Zeit nach den Partherkriegen des Septimius Severus, die Gebäude wurden in römischer Zeit genutzt . Vermutlich lag in der Stadt eine Vexillation der in Dura stationierten cohors XX Palmyrenorum in Garnison;113 der von Dura-Europos aus kommandierte Euphratabschnitt reichte aber, wie wir durch das Rundschreiben des syrischen 109 So überzeugend Invernizzi 1986a, 71 . Contra aber Kennedy/Riley 1990, 114 und 225, die von einer gleichzeitigen Okkupation Duras und der Städte flussabwärts ausgehen . Für eine Kontrolle durch Palmyra, wenigstens von ʾĀna, bereits vor dem Feldzug des L . Verus C . Hopkins in TEAD V, 112, Gawlikowski 1983b, 61 . Zur palmyrenischen Kontrolle des Wādī Ḥaurān noch weiter flussabwärts bereits im späten 1 . Jahrhundert n . Chr . siehe oben, S . 161, Anm 56 . 110 Zu ʾĀna: Gawlikowski 1983a; Kennedy 1983; Kennedy 1987; Gawlikowski 2007 . Funde erstrecken sich auf die vorhellenistische, seleukidische, parthische und römische Periode, mit seleukidischen und spätparthischen Münzhorten . 111 Zum Toponym und zur Identifizierung mit Bēchchouphrein: Invernizzi 1986a, 60; Pennacchietti 1986 . 112 Invernizzi 1986a; Invernizzi 1986b, 367; Valtz 1987, 82–87, der am ehesten im praetorium von Dura-Europos und den principia von Palmyra Referenzpunkte sieht . Nicht auszuschließen ist, dass das Gebäude noch in parthischer Zeit entstand und nach der Annexion durch Rom architektonisch umgestaltet und umfunktioniert wurde . Sollte es erst in römischer Zeit errichtet worden sein, so wäre der Iwan der vorläufig erste auf römischem Boden gebaute Vertreter dieses Bautypus . 113 Invernizzi 1986a, 73; Edwell 2008, 72 .

U nter dem Adler: Der mittlere Euphr at als Militärgrenze · 315 Statthalters Marius Maximus wissen,114 nicht über die Ortschaften Eddana und Biblada hinaus .115 Kifrin gehörte entweder zu einem anderen Kommandobezirk oder es war, wie Dura-Europos, selbst Befehlszentrale eines Euphratabschnitts .116 Die auf einer Euphratinsel gelegene Siedlung Bīǧān war bereits in mittelassyrischer Zeit bewohnt . Aus der neuassyrischen Periode haben sich Reste einer Festungsanlage erhalten, welche die strategische Bedeutung der Insel schon zu dieser Zeit belegen . Im 1 . Jahrhundert n . Chr . war Biǧān dann offensichtlich unter dem Namen Izan νησόπολις eine der Stationen im Itinerar des Isidor von Charax;117 die architektonischen Überbleibsel aus der Partherzeit sind freilich kaum der Rede wert . Eine massive Konzentration severerzeitlicher Münzen, Öllampen und sonstiger Keramik suggeriert, dass die Siedlung mit der römischen Eroberung einen deutlichen Aufschwung nahm . Vermutlich stand auch er im Zusammenhang mit einer militärischen Nutzung .118 Roms Anstrengungen zur Militarisierung des Grenzsaums beschränkten sich nicht auf den mittleren Euphrat, sie veränderten auch das Gesicht des Ḫābūrtals . Die in DuraTexten aus der Herrschaft des Severus Alexander genannten Orte Sacharē und Katnē, jeweils am Unterlauf des Ḫābūr, waren Garnisonsorte römischer Auxiliarkohorten;119 zwei weitere Orte, Castellum Arabionis (?) und Magdala, beherbergten Vexillationen der co­ hors XX Palmyrenorum . Auch der Ḫābūr, dessen Flusstal gegenüber den Stämmen der Hatrene besonders exponiert lag, wurde so in der Severerzeit zu einer strategischen Achse, wie ein Stachel im Fleisch von Parthern wie Nomaden .120 Die schrittweise Integration von Dura-Europos ins Römische Reich wird verständlich nur im Zusammenhang mit der regionalen Entwicklung am mittleren Euphrat und unteren Ḫābūr: Mit einem Schlag verwandelte Rom, das militärisch in dem Raum zuvor 114 P . Dura 60B (208 n . Chr .): Edwell 2008, 71f . 115 Eddana lag ca . 40 km flussabwärts von Dura-Europos, Biblada konnte bislang nicht lokalisiert werden . Sollte Kifrin im Jahr 208 bereits römischer Grenzposten gewesen sein, so gehörte es nicht zum von Dura-Europos aus befehligten Bereich . In diesem Sinne Invernizzi 1986a, 71f .; Edwell 2008, 71f . 116 Für Kifrin als möglicher Residenz eines dux ripae ebd ., 72f . Invernizzi 1986a, 74f ., glaubt wegen der Stationierung von Soldaten der cohors XX Palmyrenorum die Zugehörigkeit zur Provinz Syria Coele annehmen zu können, zu der auch Dura gehörte . Das Argument ist kaum zwingend . Recht spekulativ, wiewohl anregend, sind auch seine Ausführungen zur Rolle Palmyras bei der Inbesitznahme des Euphratstreifens um Kifrin (ebd ., 75–80) . Durchaus plausibel ist die Schlussfolgerung (ebd ., 79): »Da tutte queste iscrizioni risulta chiaro che l’annessione da parte di Settimio Severo del territorio a valle del distretto di Dura può indubbiamente aver rappresentato la premessa e aver aperto la strado a quella politico-militare di Roma .« 117 Isid . Charac . stath . Parth . 1 . 118 Gawlikowski 1983a; Gawlikowski 1986a . Über die in Bīǧān gefundenen Öllampen Krogulska 1987 . 119 P . Dura 26,5f . (227 n . Chr .): ἐν ̣ Σαχάρῃ παρ̣ αχειμασίᾳ | [σ]πείρ(ης) γ Σεβ(αστῆς) Θρᾳκῶν (cohors III Augusta Thracum); P . Dura 30,3f . (232 n . Chr .): ἐν Κάτνῃ παρ[α]χειμασίᾳ σπείρης Δωδεκάτης |    ̣  ̣  ̣εα̣ ̣   ̣ια̣ ν̣ ων ̣ Παλ̣ ̣αι̣ στε ̣ ινῶν ̣ Σεουηρ[ιαν]ῆ̣ ς̣ Ἀλ[ε]ξαν̣ δριανῆς (cohors XII [–]ianorum Palaestinorum Severiana Alexandriana): Edwell 2008, 78f . 120 P . Dura 100 (219 n . Chr .); P . Dura 101 (222 n . Chr .): Luther 2002, 2–4; Edwell 2008, 77f .; zur Identifizierung von Magdala mit Tall Šēḫ Ḥamad: ebd ., 2; Luther 1999b, 80–82 .

316 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at erkennbar nicht – direkt – präsent gewesen war, die Flusstäler in einen massiv befestigten Limes, der freilich nicht parallel zur Grenze mit dem Arsakidenreich verlief, sondern wie ein Sporn in die Steppe ragte, flankiert vom Nomadenland der Ǧazīra und der Syrischen Wüste . Rom sicherte den Vorposten mit einer dichten Kette größerer und kleinerer Garnisonen . Die Besatzungen rekrutierten sich im Kern aus den Soldaten der cohors XX Palmyrenorum sowie – im Fall des Ḫābūr – zweier weiterer Kohorten, zu denen in Dura von Fall zu Fall Vexillationen von Legionen aus Syria Coele (IV Scythica und XVI Flavia Firma) bzw . Arabia (III Cyrenaica) hinzukamen .121 Gewiss bedeutete die Stationierung einer regulären palmyrenischen Einheit ein Moment der Kontinuität: Kontinuität gegenüber der vorseverischen Phase, als Rom seine Kontrolle über die Region Dura-Europos in Form eher lockerer Suzeränität geübt hatte; Kontinuität aber auch gegenüber der noch früheren Periode, als Teile des Euphratabschnitts möglicherweise unter nomineller parthischer Oberherrschaft gestanden, faktisch aber palmyrenische Truppen Schlüsselstellungen, wenigstens entlang der wichtigen Karawanenrouten, kontrolliert hatten . Rom verdankte die sukzessive Stärkung seiner Position am mittleren Euphrat vier Kriegen in genau 100 Jahren, entscheidend mehr noch aber der Initiative der Palmyrener, die mit eigenen Truppen, zunächst unter nomineller parthischer, dann unter lockerer römischer Suzeränität, weite Teile der Region kontrollierten: zum eigenen Nutzen, aber auch zum Vorteil der Römer . Beginnend mit Trajans Partherkrieg vollzog sich der Machtwechsel am Euphrat in drei Etappen: Machtvakuum: Auf Trajans Partherkrieg folgte zunächst der römische Rückzug (117) . Die Parther scheinen ihre Suzeränität über Dura-Europos restauriert zu haben, indem sie interimistisch den mutmaßlichen Iraner Manēsos zum στρατηγός bestellten . Nach kurzer Zeit kehrte die makedonischstämmige Dynastie des Seleukos an die Macht zurück, ob unter römischer oder parthischer Oberherrschaft, bleibt unklar . Andere Teile der Region, vor allem entlang der Fernhandelswege, wurden sicher von Palmyrenern kontrolliert, ohne dass ein römischer Anspruch auf die entsprechenden Gebiete bestanden hätte . Obwohl nominell noch parthisch, war der mittlere Euphrat in dieser ersten Phase Schauplatz erheblicher palmyrenischer Infiltrationsversuche . Das praktisch bereits in der Agonie liegende Arsakidenreich war zu systematischer Gegenwehr, geschweige denn zu einer massiven Befestigung seiner Grenze, vermutlich nicht mehr in der Lage .122 Indirekte Herrschaft: Mit dem Partherkrieg des L . Verus (164/165) endete die ohnehin nur noch nominelle arsakidische Herrschaft am mittleren Euphrat . Die politischen Strukturen blieben zunächst unangetastet, der στρατηγός in Dura blieb in Amt und Würden . Palmyrenische Truppen, die keinem römischen Kommando unterstanden, sicherten die 121 Soldaten dieser Vexillationen waren unter anderem für eine Erweiterung des Mithräums in Dura-Europos verantwortlich; Soldaten der legio III Cyrenaica errichteten dort das Amphitheater (AE 1937, 239; AE 1940, 220): Welles 1959, 24–26; Stoll 2001, 235; Edwell 2008, 139–142 . 122 Anders freilich war die Situation in Hatra, wo erhebliche lokale Anstrengungen mehrfach die Einnahme durch Rom verhinderten .

U nter dem Adler: Der mittlere Euphr at als Militärgrenze · 317 Region . Der mittlere Euphrat war damit Teil des von Palmyra kontrollierten Territoriums, nicht aber einer römischen Provinz: ein weiteres Indiz für die exzeptionelle Sonderrolle der autonomen Oasenstadt an der Peripherie des Imperiums bereits im 2 . Jahrhundert . Palmyra war damit zugleich Sachwalter römischer (vorwiegend strategisch-militärischer) wie eigener (hauptsächlich ökonomischer) Interessen . Bis zum Euphrat konnte es nun selbst die Sicherheit der Karawanenrouten garantieren .123 Annexion: Mit dem doppelten Partherkrieg des Septimius Severus (193–199) und vielleicht dem Partherkrieg Caracallas (216–217) änderte sich die Lage abermals: Rom gliederte den mittleren Euphrat der neugeschaffenen Provinz Syria Coele an, vielleicht auch Teile der Provinz Syria Phoenice, verwandelte das Kontingent der palmyrenischen Bogenschützen in eine reguläre römische Einheit (die cohors XX Palmyrenorum), stationierte Vexillationen anderer Truppenverbände in Dura-Europos und baute die Siedlungen an den Flüssen Euphrat und Ḫābūr zu massiv befestigten Garnisonen aus . Für die Annexionen waren am ehesten militärisch-strategische Erwägungen maßgeblich: Insgesamt drei gescheiterte Anläufe der Severer Septimius und Caracalla, das Arsakidenreich vollständig niederzuringen, machten das exponierte Territorium als Aufmarschbasis für weitere Feldzüge gegen die östlichen Nachbarn interessant . Die starke römische Präsenz am mittleren Euphrat stellte eine eminente Bedrohung für die parthische Hauptstadt Ktesiphon und die Kernlande der Arsakiden dar . Daneben mögen ökonomische Überlegungen durchaus ihre Rolle gespielt haben . Die Sicherheit der Karawanenstraßen war freilich auch ohne im eigentlichen Sinne römische Garnisonen durch die Palmyrener gewährleistet . Die Unterstellung der palmyrenischen Truppen unter das Kommando eines römischen dux ripae sowie des Territoriums unter die Jurisdiktion der syrischen Statthalter veränderte aber einschneidend den Status Palmyras, das nun über keine – aus römischer Sicht – ›exterritorialen‹ Besitzungen mehr verfügte . Hier, in der Beschränkung der palmyrenischen Autonomie, mag ein weiteres Motiv für den severzeitlichen Annexionismus am mittleren Euphrat gelegen haben . Welche Auswirkungen hatte der Gang der politischen Geschichte auf die Menschen, die am mittleren Euphrat lebten? Im Hinblick auf kulturelle Orientierungen ließen sich bereits gegenläufige Tendenzen beobachten: Während das Ende der parthischen Periode im ländlichen Raum – wenigstens im Fall der Familie des Nabusamaos – Bemühungen zur Selbsthellenisierung, wenigstens über die Namenswahl, möglicherweise ein Ende bereitete, lebten in Dura-Europos selbst zunächst ursprünglich makedonische Traditionen wie der Kult des Gründerheros Seleukos Nikator, vielleicht auch bestimmter Götter (Zeus, Apollon) und der πρόγονοι, wieder auf .124 Der kulturelle Einfluss des Imperiums scheint, 123 Sehr allgemein über diese Phase Angeli Bertinelli 1976, 30f ., besonders 30: »[…] nelle regioni oltre l’Eufrate fu applicato ancora una volta il sistema della creazione di stati-clienteli .« Die Vorstellung vom Euphrat als Grenzfluss ist, wenn überhaupt, nur für den westlichen Teil, den Bereich des Euphratbogens, zutreffend . 124 Eine nähere Diskussion bei Dirven 1999, 121, der zufolge »these gods at least partly preserved their Greek character during the period Dura was ruled by the Parthians .« In den Urkunden aus römischer Zeit erschei-

318 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at wenigstens in der Frühphase, uneindeutig und wenig greifbar . Am Vorabend der römischen Eroberung, im Jahr 159, sahen die Palmyrener, die Zeus Olympios als Schutzgott (Gad) von Dura darstellten, die Stadt am Euphrat offensichtlich als Polis im hellenischen Gewand an . Die Außensicht der palmyrenischen Diasporagruppe muss nicht im Einklang gestanden haben mit dem Bild, das die Durener von sich selbst hatten . Es spricht aber auch nichts dagegen, dass die Stadtbewohner, oder doch die Repräsentanten der Elite, sich als Griechen, respektive Makedonen, betrachteten . An dem Bewusstsein, inmitten einer kulturell fremden Umgebung der griechischen Oikumene zuzugehören und bruchlos die Traditionen der makedonischen Gründerväter fortzusetzen, änderte die römische Machtübernahme nichts .125 Zwei Faktoren dürften indes die Lebenswirklichkeit am Strom zwischen den Wüsten dramatisch verändert und bewusstseinsprägend gewirkt haben: römisches Recht und römisches Militär . Die Präsenz des Militärs war schon materiell unübersehbar: Seine Bauten nahmen fast die gesamte Nordhälfte der Stadt Dura-Europos und suggestive Plätze entlang der Flüsse ein; sie führten einen neuen Baustil, den der römischen Militärarchitektur, in die Region ein; schließlich, und ganz wesentlich, war die Armee ein erstrangiger ökonomischer Faktor, der die regionalen Märkte völlig neu strukturierte . Mögen auch die Soldaten in eigenen Werkstätten vieles selbst hergestellt haben: Der Bedarf der immer weiter aufgestockten Garnisonen an Nahrung, Kleidung, Gegenständen und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs dürfte alles gesprengt haben, was lokale Produzenten bis dato zu liefern gewohnt waren . Schließlich waren die Soldaten die einzige Großgruppe im Reich, die über ein nennenswertes und vor allem regelmäßiges Salär verfügte .126 Ausmaß und Wirkung der wirtschaftlichen Stimulation, die von den Garnisonen ausging, lassen sich natürlich nicht genau beziffern . Mangels extensiver Oberflächenerkundungen ist es unmöglich, auch nur näherungsweise Aussagen zu demographischen Entwicklungen im ländlichen Raum zu treffen . Mögliche Zusammenhänge sind dennoch auszumachen: Der sichtbare wirtschaftliche Aufschwung, den die jüdische Gemeinde in römischer Zeit nahm und der ihr die Errichtung einer prachtvollen Synagoge erlaubte, könnte mit Gewinnchancen zu tun haben, die der militärische Markt lokalen Händlern und Produzenten bot und die möglicherweise in größerem Umfang ökonomisch potente Akteure dazu bewogen, ihren Wohnsitz nach Dura zu verlagern . Auch die relativ massive Bauaktivität in den Wohnquartieren Duras – praktisch der gesamte Bestand an Wohnhäusern entstand in den knapp 100 Jahren römischer Herrschaft neu – könnte in diesem

nen als Neuerung dann eponyme Priester der entsprechenden Kulte (P . Dura 25 u . 37) . Die Identität des Gad von Dura (vermutlich als Zeus Olympios, des persönlichen Schutzgottes des Seleukos Nikatōr) behandelt Dirven (ebd ., 111–119) . 125 Ebd ., 122 . 126 Zu den Streitkräften als lokalen ökonomischen Faktoren vor allem Le Bohec 1994, 218–226; als Regionalstudien Pollard 2000 und jetzt, zu den Veteranen, Stoll 2015, 167–194 . Freilich gelten für den bereits urbanisierten mittleren Euphrat partiell andere Maßstäbe als für Roms Nordwestperipherie .

U nter dem Adler: Der mittlere Euphr at als Militärgrenze · 319 Sinne die Folge eines militärisch induzierten Wirtschaftsbooms mit entsprechender Zuwanderung gewesen sein .127 Die Armee war nicht nur Wirtschaftsfaktor, sondern auch kultureller Transmissionsriemen mit freilich, wie zu sehen sein wird, ambivalenter Wirkung . Ganze Provinzen erhielten ihr römisches Gepräge hauptsächlich durch die Präsenz von Soldaten . Für das severerzeitliche Dura ist der militärisch vermittelte Transfer römischer Kulturleistungen fast mit Händen zu greifen: Der mutmaßliche Palast des dux ripae mit seinen zahlreichen lateinischen Graffiti als geradezu archetypisches Beispiel römischer Architektur des frühen 3 . Jahrhunderts, die neuen Kulte des Mithras und des Jupiter Dolichenus sowie der jetzt lateinisch transkribierte Traditionstitel strategus Durae scheinen für sich zu sprechen . Dennoch ist Vorsicht geboten: Das Mithräum entstand noch vor 168, also unmittelbar nach dem Feldzug des L . Verus . Verantwortlich für den Bau waren also vermutlich palmyrenische Soldaten, die zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht unter römischen Feldzeichen dienten . Das Mithräum deutet auf die gefühlte Nähe der palmyrenischen Soldaten zum römischen Militär hin; es beweist, dass auch sie am im Mithraskult gelebten Korpsgeist partizipierten, den sie vielleicht zuerst in Garnisonen in Dakien und Moesien erlebt hatten . Der mit den Legionären geteilte lebensweltliche Erfahrungshorizont war freilich der des vir militaris, gerade nicht der des Römers . Das legt das unbeirrte Festhalten der palmyrenischen Bogenschützen an ihren angestammten Gottheiten nahe . Wie palmyrenische  Soldaten anderswo brachten sie den solaren Gottheiten Yarḥibōl und Malakbēl Weihungen dar und versahen sie mit griechischen und palmyrenischen Inschriften .128 Aus der palmyrenischen Heimat mitgebrachte Kulte koexistierten, ohne jeden Konflikt, in der Garnison der Bogenschützen mit solchen, die sich im Militär besonderer Wertschätzung erfreuten, wie dem Mithras- und später dem wohl kurz vor 211 n . Chr . in Dura etablierten Jupiter-Dolichenus-Kult . Noch später, in den 220er Jahren, kündet das Feriale Duranum von der Bedeutung des römischen Festtagskalenders für die Soldaten aus der Palmyrene .129 Doch ist auch der Eindruck scheinbaren Nebeneinanders heimatlicher und imperial-militärischer Kulte nur wieder einer verkürzten Perspektive geschuldet, die der ganzen Komplexität religiöser Identitäten in der Diaspora nicht gerecht wird . Das prominente Hervortreten von Yarḥibōl und Malakbēl, in Palmyra Gad der Quelle bzw . untergeordnete Gottheit ohne erkennbaren solaren Aspekt, als selbständige Sonnengötter ist für die Oasenstadt selbst ganz und gar untypisch . Die Gottheiten gewannen ihr eigentliches Profil erst in den Weihungen durch in unterschiedlichen Teilen des Reichs dienende palmyrenische Soldaten . Der Aufstieg Yarḥibōls und Malakbēls zu ranghohen Gottheiten des

127 Ruffing 2016, 195 . 128 Dirven 1999, 181–189 . 129 P . Dura 54 .

320 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at palmyrenischen Pantheons war folglich seinerseits ein Teilphänomen der Militärdiaspora und allein in ihrem Kontext verständlich .130 Ein möglicher Grund für die Umschichtungen, welche die Palmyrener in der Militärdiaspora in ihrem angestammten Pantheon vornahmen, könnte in der solaren Konnotation der Götter Yarḥibōl und Malakbēl zu suchen sein; Sonnengottheiten – wie eben auch Mithras – erfreuten sich in der Armee immenser Popularität: Sie könnte auch Yarḥibōl und Malakbēl zu ihrem Sonderstatus verholfen haben .131 In diesem Fall wären mit der faktischen Zugehörigkeit zum römischen Militär jene kultischen Elemente verschwommen, die der kollektiven Identität der Soldaten als Palmyrener Ausdruck verliehen; nicht plötzlich, sondern allmählich, in einem Prozess, dessen einzelne Stadien für uns nicht greifbar sind . Sie wären in typisch militärischen Kulten aufgegangen oder hätten deren Erscheinungsform angenommen . Ein anderer Grund für die Prominenz der Sonnengötter könnte schlicht darin gelegen haben, dass sich die palmyrenischen Truppen – Bogenschützen – nicht aus dem uns im archäologischen Material der Oasenstadt zugänglichen urban-sesshaften Milieu, sondern aus anderen Bevölkerungssegmenten der Palmyrene rekrutierten, die entweder rural-sesshaft oder nomadisch waren . In diesem Fall hätten sie mit der Verehrung von Yarḥibōl und Malakbēl an extraurbanen religiösen Traditionen der Palmyrene festgehalten . Beide Erklärungsvarianten schließen sich nicht notwendig aus . In jedem Fall gilt: Aus Palmyra mitgebrachte religiöse Traditionen setzten sich am mittleren Euphrat fort, ob modifiziert oder nicht . Ihre Pflege in einer durch den militärischen Alltag geprägten Umwelt darf als bewusste Wahl, mithin als Ausdruck personaler und kollektiver Identitäten gelten . Die Identität der Palmyrener als viri milita­ res überlagerte vielleicht partiell ihre angestammte ethnische Identität, ganz verdrängen konnte sie sie nicht . Für die römischen Legionäre und Auxiliarsoldaten war die Armee der primäre Horizont ihrer Sozialisation . Für die einheimische Bevölkerung blieb das, auch nach der Annexion durch das Imperium, ihre Stadt oder ihr Dorf . Die Menschen dort bauten ihre Häuser und Tempel unverändert nach dem Schema, das sich während der langen Partherherrschaft eingebürgert hatte und dessen Wurzeln im Hofhaus-Typus des vorhellenistischen Mesopotamien lagen . Sie verehrten dieselben Götter wie zuvor und behielten dieselben Kultgebräuche bei . Gerade neben der reichsweit standardisierten Militärarchitektur nahm sich der Rest der Stadt geradezu provozierend unklassisch aus . Wiederum gilt: Die Entscheidung für eine traditionelle, lokale Ästhetik ist, angesichts der 130 Die Bedeutung der Militärdiaspora hat Dirven 1999, 175–180, eindrucksvoll nachgewiesen . Weihungen palmyrenischer Händler in Rom lassen keinerlei ähnliche Tendenz erkennen (ebd ., 183): »The popularity of Iarhibol and Malakbēl among Palmyrene soldiers stands in marked contrast to the prevalence of Bēl and his associates among Palmyrene merchants .« Hingegen fanden sich im Kontext der palmyrenischen Truppen in Dura keine Hinweise auf eine Verehrung des Bēl, den Dirven (ebd ., passim) wiederholt als Gott mit »explicit civic connotations« (ebd ., 194) deutet . Gegen die Dichotomie ›civic‹ vs . ›tribal‹ in der Religion Palmyras mit begründeter Skepsis allerdings Kaizer 2002, 43–51, und ähnlich Smith 2013, 132–143 . 131 So Dirven 1999, 194f .

Grenzgänger des Rechts · 321 unmittelbar vor Augen geführten Alternative, als bewusste Wahl zu werten . Die Menschen in Dura bauten Hofhäuser, weil sie in Hofhäusern leben wollten – und das sollten auch ihre Götter . Architektur ist damit noch nicht notwendig Ausdruck von Identität, aber der Gegensatz zur repräsentativen Architektur Palmyras, wo man auf ein völlig andersartiges Zeichenrepertoire setzte, sticht doch ins Auge . Gleichwohl kann die massive Präsenz erst eines palmyrenischen Detachements, dann einer regulären römischen Auxiliareinheit zuzüglich Vexillationen nicht ohne Einfluss auf die kulturelle Identität der Stadtbewohner geblieben sein: In das schon heterogene Milieu der Stadt drängte eine neue, zahlenmäßig bedeutende Diasporagruppe, die vielleicht noch weitere Zuwanderer anzog, wie möglicherweise die Juden, deren Anwesenheit erst für das 3 . Jahrhundert nachzuweisen ist . Die Präsenz der Soldaten mag Anreize zur Anpassung an fremde Gebräuche und Formen geboten haben, die sich für uns nicht sichtbar niederschlugen . Sie mag aber in der schon heterogenen ansässigen Bevölkerung auch Überfremdungsängste geschürt und im Sinne einer Rückbesinnung auf – echte oder fiktionale – eigene Traditionen gewirkt haben . Hier könnte eine Erklärung für die Rückkehr zu semitischen Namen liegen, wie sie im Dorf Ossa zu beobachten war, und zugleich für das Anknüpfen an makedonische Traditionen, wie sie der Befund für Dura suggeriert .

Grenzgänger des Rechts Der zweite Faktor, neben dem Militär, der dem Alltagsleben der Menschen am mittleren Euphrat, wenigstens punktuell, eine neue Wendung gab, war das römische Recht . In Osrhoene war zu beobachten, wie traditional verankerte Nah- und Abhängigkeitsverhältnisse durch das Wirken neuer Rechtsnormen nicht etwa erloschen, sondern lediglich neue rechtliche Gestalt annahmen . Wer zuvor aufgrund von angestammten personalen Bindungen Leibeigener gewesen war, hatte nun auf Basis antichretischer Darlehensverträge einen ähnlichen Status . Viele Details des Vertragsrechts, vom Formular bis hin zum Rechtsstatus der Frauen, blieben in Osrhoene eigentümlich, jedenfalls von Rom aus betrachtet . Am mittleren Euphrat ist die Präsenz Roms in Rechtspraxis deutlicher sichtbar als in Edessa . Zwar wurden auch in Dura antichretische Darlehensverträge gefunden, die offensichtlich eher die rechtliche Fixierung bestehender Abhängigkeitsverhältnisse zum Gegenstand hatten als wirkliche Geldtransaktionen;132 die meisten dieser Dokumente stammen allerdings aus parthischer Zeit, lediglich einen Vertrag datieren die Herausgeber auf ca . 180 n . Chr ., mithin vor Beginn der eigentlichen römischen Herrschaft .133 Eine als Schuldknechtschaft verklausulierte Leibeigenschaft gab es also, jedenfalls in vorrömischer Zeit, auch in Dura . Sonst aber kommen die ausnahmslos in Griechisch abgefass132 P . Dura 17D; 20–24 . 133 P . Dura 17D .

322 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at ten Vertragsurkunden, mit streng formalisierter stipulatio, dem ὁμολογία-Formular in der 3 . Person, Eviktionsklausel mit Festsetzung von Strafgeldern und bona­fide-Erklärung, entsprechenden Texten nahe, wie wir sie aus Ägypten kennen . Damit aber unterscheiden sie sich, bis auf die bona­fide-Klausel und natürlich die Angaben im Präskript, grundsätzlich nicht von analogen Vertragsurkunden aus parthischer Zeit . Die (griechische) ὁμολογία war, ganz anders als in Edessa, fest in der lokalen Rechtstradition verankert . Nach der römischen Machtübernahme waren nur geringfügige Änderungen am Formular erforderlich, um den Maßstäben des römischen Vertragsrechts zu genügen .134 Auffallend hoch ist, wie in Osrhoene, die Zahl der durch Frauen earum iuris abgeschlossenen Verträge . Im Fall einer Schenkungsurkunde tritt die Frau nur als Empfängerin eines Geschenks auf, mithin nicht als zu eigener Leistung verpflichtete vertragschließende Seite .135 Anders in vielen anderen Urkunden, in denen Frauen als regelrechte Vertragsparteien, mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten, agieren . In zwei παραθήκη-Urkunden fungieren Frauen als Verwahrerinnen eines Geldbetrags bzw . eines Nachlasses .136 Der 251 n . Chr . ausgefertigte Papyrus aus Dura beurkundet eine παραθήκη in Höhe von 100 Denaren, die Amaththabeile aus Dura ihrer Mitbürgerin Aurelia Gaia für einen nicht näher bestimmten Zeitraum anvertraut . In dem nur unwesentlich älteren, ins Jahr 244 n . Chr . datierenden und in Beth Phuraia ausgestellten Dokument vom mittleren Euphrat erklärt eine Oda, Tochter des Phallaios, dass sie für eine gewisse Mannaia den Nachlass der verstorbenen Abdia – Schmuck und Gewänder von eher bescheidenem Wert – verwahren und beim Erreichen ihrer Großjährigkeit die Gegenstände an zwei Knaben übergeben wird . Beide Frauen, Oda wie Aurelia Gaia, haben, weil selbst des Schreibens unkundig, einen amanuensis mit der Abfassung der Urkunden beauftragt, treten aber als voll geschäftsfähige Personen auf, ohne Einschaltung eines etwaigen Vormunds . Eine weitere Urkunde, der Ehevertrag zwischen Aurelius Alexander, Soldat einer in Dura stationierten Vexillation, und Aurelia Marcellina aus Katne am Ḫābūr, listet die von Marcellina in die Ehe eingebrachten Besitztümer auf und regelt die Rückgabe für den Fall der Scheidung .137 Die Restitution der Mitgift ist auch Gegenstand des aus der Zeit unmittelbar vor die Zerstörung der Stadt datierenden Scheidungsvertrags zwischen Iulius Antiochos, gleichfalls Soldat einer in Dura garnisonierten Vexillation, und Aurelia Amimma aus Dura,138 während ein zweiter Scheidungsvertrag, der 204 zwischen Nabusamaos und Akkozis aus Ossa geschlossen wurde, materielle Fragen ausklammert 134 Das einzige nicht der Homologie entsprechende Vertragsdokument aus der Region ist P . Euphr . 14, die Annullierung eines Darlehens . Der Gläubiger bescheinigt der Schuldnerin in der Form direkter Anrede, ohne Zeugen, die Tilgung des Darlehens . In den übrigen Dokumenten reicht die Kontinuität bis zur Terminologie: Die Verben ἐσφάγισμαι und ἐπιβάλομαι werden unverändert benutzt, um das Handeln der Zeugen zu beschreiben; vgl . auch P . Dura 18,34; Welles 1959, 140 . 135 P . Dura 17B (ca . 180 n . Chr .) . 136 P . Dura 29; P . Euphr . 12 . 137 P . Dura 30 (232 n . Chr .) . 138 P . Dura 32 (254 n . Chr .) .

Grenzgänger des Rechts · 323 und lediglich feststellt, dass einer Wiederverheiratung beider Parteien nichts entgegensteht .139 In allen Dokumenten ist die Frau, ohne dass dafür besondere Gründe angeführt würden, aus eigenem Recht geschäftsfähig . Unbekannt ist der Gegenstand eines fragmentarischen Papyrus, abgefasst 236 n . Chr . wiederum in Beth Phuraia . Eine der vertragschließenden Parteien ist Aurelia Barabus, Tochter des Abedsautas und Witwe, Inhaberin des ius liberorum .140 Das ›Recht dreier Kinder‹, ob durch die Geburt dreier Kinder erworben oder schlicht verliehen, machte in der römischen Welt seit den Tagen des Augustus Frauen voll erbberechtigt und geschäftsfähig . Wenn also Aurelia Barabus hier in einer Vertragsangelegenheit aus eigenem Recht in Aktion tritt, dann ausdrücklich auf der Grundlage eines römischen Rechtsbegriffs . Die explizite Erwähnung des ius liberorum wirft Fragen auf, gerade weil sie die absolute Ausnahme ist: Erfreuten sich auch die übrigen Frauen, die ihre Geschäfte ohne Vormund tätigten, des ›Rechts dreier Kinder‹? Verzichteten sie auf die Erwähnung ihres Rechtsstatus, weil er ein allgemein bekanntes Faktum war? Oder war die Grundlage ihrer Geschäftsfähigkeit eine ältere lokale Rechtsinstitution, wie sie in Osrhoene offenbar auch lange nach der römischen Eroberung wirksam war? Anscheinend lagen die Dinge am mittleren Euphrat etwas anders als in Osrhoene . Aurelia Barabus ist, genau wie die osrhoenische Sklavenverkäuferin Marcia Aurelia, römische Bürgerin .141 Anders als Marcia aber beruft sie sich explizit auf einen spezifisch römischen Rechtsbegriff und bezeugt damit indirekt die Wirkungskraft römischen Rechts in der kraft constitutio Antoniniana römisch gewordenen lokalen Bevölkerung . Dass die einstigen Peregrinen mit dem römischen Bürgerrecht immer und überall auch das römische Privatrecht übernahmen und angestammte Rechtstraditionen ohne Weiteres aufgaben, ist keineswegs eine ausgemachte Sache . Im Gegenteil: Vielerorts führte lokales Recht ein zähes Eigenleben, fast immer kontaminierte es das römische ius civile .142 Wenn Aurelia Barabus am mittleren Euphrat auf den Rechtstitel des ius liberorum pocht, ihre Mitrömerin Marcia Aurelia aus Karrhai hingegen nicht, dann haben beide ihre 139 P . Dura 31 . 140 P . Euphr . 15: ἐπὶ ὑπάτων Κλ(αυδίων) Σεουήρου καὶ Κουιντιανοῦ, ἔτους πρώτου | τῆς τοῦ κυρίου ἡμῶν Αὐτοκρά(τορος) Καίσαρος Γαίου Ἰουλίου | Οὐήρου Μαξιμείνου Εὐσεβ(οῦς) Εὐτυχ(οῦς) Ἀνεικήτου Σεβ(αστοῦ) ἡγε|μονίας κατὰ δὲ τὸν πρότερον ἀριθμὸν ζμφ μηνὸς Ἀπελλαίου δωδεκάτῃ ἐν Βηθφουραιων κώμῃ . Αὐρηλία | Βαραβους Αβεδσαυτου κώμης Βηθφουραιων οὖσα χήρα | δίκαιον τέκνων (›Unter dem Konsulat des Claudius Severus und des Quintianus, im ersten Jahr der Regierung unseres Herrn, des Kaisers Caesar Gaius Iulius Verus Maximinus Pius Fortunatus Invictus Augustus, im Jahr 547 nach der alten Ära, am zehnten des Monats Apellaios, im Dorf Beth Phuraia, Aurelia Barabus, Tochter des Abedsautas, aus dem Dorf Beth Phuraia, als Witwe und im Besitz des ius liberorum [–]‹) . 141 Zu Marcia Aurelia P . Dura 28 (243 n . Chr .); siehe oben, S . 266 . 142 Das Neben- und Miteinander römisch-imperialer und lokaler Rechtstraditionen gehört nicht zu den ›überforschten‹ Aspekten antiker Rechtsgeschichte . Deshalb noch immer grundlegend: Mitteis 1891; Schönbauer 1931; Sherwin-White 1973, 312 und 392f .; Wolff 1979 . Mitteis 1891, 89, nennt das eklektische Schöpfen aus lokalen und imperialen Rechtstraditionen »multi-legal knowledge« . Mit Bezug auf das Babatha-Archiv Oudshoorn 2007 .

324 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at Gründe, die im jeweils angestammten lokalen Rechtsverständnis mitsamt dem gültigen Inventar sozialer Normen zu suchen sein dürften . Beide sind Grenzgänger zwischen verschiedenen Rechtssystemen, die sich konkurrierender Normsetzungen zu ihrem Vorteil bedienen . Aurelia Barabus’ Beharren auf ihrem ›Recht dreier Kinder‹ fügt sich in den sonstigen Befund einer am mittleren Euphrat vermutlich stärker griechisch geprägten Rechtstradition, die Frauen die Geschäftsfähigkeit generell verwehrte . Wenn im Umland von Dura einstmals eine vorhellenistische Rechtstradition Frauen die Möglichkeit eingeräumt hätte, aus eigenem Recht Transaktionen abzuwickeln, dann war sie in der späten Partherzeit durch jahrhundertelange, fortgesetzte griechische Akkulturierung längst verschüttet . Da nun das römische Privatrecht wenigstens einem Teil von ihnen die Abwicklung von Rechtsgeschäften earum iuris gestattete, konnte es für Frauen unter Umständen ratsam sein, sich konkret auf das entsprechende Rechtsinstrument zu beziehen . In Osrhoene, mit seiner wohl stärker von mesopotamischen und aramäischen Traditionen geprägten Rechtskultur, stellte das ius liberorum indes eher eine Einschränkung der seit alters großzügig gehandhabten und mithin sozial akzeptierten Geschäftsfähigkeit von Frauen dar . Der Bezug auf den Rechtstitel war daher nicht von Nutzen, ja er hätte kontraproduktiv sein können . Das Beispiel führt die relative Reichweite eines vermeintlich absoluten Parameters, des römischen Rechts, in einer uneindeutigen Grauzone wie der Steppengrenze vor Augen . Wie es um die Auswirkungen der constitutio Antoniniana bestellt war, lässt sich, wenn überhaupt, nur indirekt ermitteln . Einen möglichen Zugang eröffnet wiederum die Onomastik der in den Papyri und Pergamenten aus Dura-Europos bzw . seiner Umgebung genannten Personen .143 Das Inschriftencorpus aus Dura-Europos einzubeziehen, ist wegen der häufig unsicheren Datierung nicht sinnvoll . Prämisse der folgenden Überlegungen ist, dass Namen, allen Unsicherheitsfaktoren zum Trotz, Informationen enthalten über die kulturelle Prägung von Individuen . Eltern wählen die Namen ihrer Kinder aus vielfältigen Möglichkeiten aus, wobei sie sich an den Traditionen ihrer Familie, ihres Stammes, ihres Dorfes, ihrer Stadt oder Region orientieren . Personen selbst entscheiden über die Form, die sie ihrem Namen geben, bzw . über die Nennung oder Weglassung bestimmter Namensbestandteile . Relevanz erlangte dies nach Erlass der constitutio Antoniniana: Ab 212 n . Chr . war nahezu jeder Mann am mittleren Euphrat – sofern er nicht dediticus war oder bereits zuvor das römische Bürgerrecht besessen hatte, was nur in sehr seltenen Ausnahmefällen so gewesen sein dürfte – ein M . Aurelius .144 Die in den nach der römischen Eroberung zu datierenden Pergamenten und Papyri genannten Personen lassen sich ihrer Onomastik nach grob in drei Gruppen einteilen: Personen mit lokalen (semitischen bzw . semitisierten iranischen) Namen, Personen mit griechischen und Personen mit rein römischen Namen . Ab 212 n . Chr . führt ein Teil der 143 Die folgenden Überlegungen fußen auf Sommer 2004a . 144 Wie der bereits genannte Strategus Durae, Septimius Lusias . Zu den Modalitäten der constitutio Antoniniana: Kuhlmann 2012; Pferdehirt 2012; Bryen 2016 .

Grenzgänger des Rechts · 325 Personen mit lokalen bzw . griechischen Namen zusätzlich zum angestammten Namen römische Namensbestandteile, meist das nomen Aurelius, manchmal ein praenomen . Einige Personen lassen sich sicher bestimmten Wohnorten zuweisen bzw . haben ein bestimmtes lokales Bürgerrecht, wie die Εὐρωπαῖοι das von Dura-Europos . Wichtige Kriterien sind, neben dem Geschlecht und dem rechtlichen Status als Sklave oder Freier, der Beruf und die eventuelle Bekleidung eines Amtes: Nicht wenige der genannten Personen dienten als Soldaten oder hatten politische Funktionen inne . Zahlreiche Personen schließlich erscheinen lediglich in Filiationsangaben, in ihrer Eigenschaft als Väter und Großväter der Personen, um die es eigentlich geht . Die Dokumente aus Dura-Europos bzw . vom mittleren Euphrat bilden zwei klar voneinander zu scheidende Quellengruppen, geographisch wie chronologisch; sie sind deshalb hier grundsätzlich getrennt zu behandeln . Keine Berücksichtigung finden hochgradig fragmentarische Stücke, Dokumente mit einem anderen Entstehungsort als dem mittleren Euphrat sowie alle Pergamente und Papyri aus dem Umfeld des Militärlagers in Dura . Insgesamt tauchen, soweit sich der Befund von Doubletten bereinigen lässt, in den 23 ausgewerteten Urkunden 138 Personen auf .145 Die absolute Mehrheit von ihnen, 73 Personen, trägt einen indigenen Namen, noch 48 Personen tragen einen griechischen und nur 17 Personen einen rein lateinischen Namen ohne jegliche griechische oder lokale Komponente . Ein fragmentarisch erhaltener Name ist in seiner Herkunft nicht bestimmbar . Ein deutlich unausgewogenes Bild ergibt sich, wenn man die Texte nach Corpora gliedert:

Lokal Griechisch Lateinisch Summe

P . Dura absolut in % 38 37 47 49 13 13 97

100

P . Euphr . absolut in % 36 88 1 2 4 10 41

100

Summe absolut in % 73 53 48 35 17 12 138

100

Während in den Dokumenten vom mittleren Euphrat Personen mit lokalen Namen die bei Weitem größte Gruppe bilden (88 Prozent), verhält es sich bei den Papyri aus Dura genau andersherum: Knapp die Hälfte der genannten Personen (47 Prozent) führt griechische Namen . Jeweils nur eine kleine Minderheit bilden jene Personen, die ausschließlich lateinische Namen tragen . Offensichtlich wirken sich regionale Verteilungsmuster auf die Onomastik aus: Die überwältigende Mehrheit der in den Papyri Euphratenses genannten Personen entstammte mit Gewissheit dem ländlichen Milieu, darunter viele dem Dorf Beth Phuraia . Für etliche der in den in Dura aufgefundenen Papyri und Pergamenten genannten Personen darf man hingegen einen urbanen Hintergrund voraussetzen: 145 P . Dura 17A; 17B; 17C; 25; 26; 27; 29; 30; 31; 32 . P . Euphr . 1; 2; 3; 4; 5; 8; 9; 10; 11; 12; 13; 14; 15 .

326 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at

Χώρα Dura-Europos Summe

P . Dura Absolut in % 28 29 69 71 97 100

Summe absolut in % 69 50 69 50 138 100

P . Euphr . absolut in % 41 100 – – 41 100

Wie zu erwarten, verteilen sich die Sprachgruppen höchst ungleich auf die räumlichen Milieus . Während die meisten Personen, für die Dura-Europos als Wohn- oder Heimatort nachweisbar ist, griechische Namen tragen (58 Prozent), führen die Bewohner der umliegenden Landgemeinden zu drei Vierteln lokale Namen: Χώρα Lokal Griechisch Römisch Summe

Dura-Europos

absolut 52 8 9 69

in % 75 12 13 100

absolut 21 40 8 69

in % 30 58 12 100

Insgesamt nennen beide Inschriftencorpora 29 Personen (19 Prozent) mit römischen Namen (tria nomina) oder Namensbestandteilen, in der Regel Aurelius kombiniert mit einem lokalen oder griechischen Namen . Sie alle finden in Dokumenten Erwähnung, die nach 212 n . Chr ., nach Erlass der constitutio Antoniniana, datieren . Obwohl sich zweifellos auch schon vor 212 römische Bürger am mittleren Euphrat – vor allem als Soldaten – aufhielten, tauchen sie im Befund nicht auf . Auch nach 212, als faktisch alle Bewohner der Region zu römischen Bürgern wurden, bleibt indes, sieht man von den Soldaten einmal ab, das Führen römischer Namen die Ausnahme . Die folgende Tabelle berücksichtigt nur Dokumente, die von 212 oder später datieren (Zeilenprozente): Χώρα tria nomina

Lokal Griechisch Lateinisch

Summe

Mit absolut 9 4 9 22

in % 26 80

Dura-Europos

tria nomina

ohne absolut in % 26 74 1 20

100

27

45

55

mit absolut 2 4 5 11

in % 13 18

ohne Absolut in % 14 87 18 82

100

26

32

74

Grenzgänger des Rechts · 327 Von den im ländlichen Raum beheimateten Personen machte knapp die Hälfte (45 Prozent) und damit ein wesentlich höherer Anteil als in Dura-Europos (32 Prozent) Gebrauch von ihrem Recht, einen römischen Namen zu tragen und so ihrem neu erworbenen Status als römische Bürger sichtbar Ausdruck zu verleihen . Dennoch verzichteten in beiden Kontexten über 50 Prozent der erwähnten Individuen auf eine Nennung der tria nomi­ na, obwohl sie weder Sklaven noch deditici waren und mithin im Besitz des römischen Bürgerrechts, genau wie Soldaten und Veteranen, die hingegen regelmäßig ihre tria no­ mina gebrauchten . Besonders selten war der Gebrauch unter Stadtbewohnern mit lokalen (13 Prozent) und griechischen (18 Prozent) Namen, aber auch in der Landbevölkerung, sofern sie lokale Namen führte (26 Prozent) . Auf den ersten Blick überraschend, ist der Anteil von Personen mit tria nomina auf dem Land deutlich höher als in der Stadt . Relativiert wird dieser Befund, wenn man betrachtet, wer genau auf dem Land die tria nomina führte . Es handelte sich, auch nach der constitutio Antoniniana, fast ausnahmslos um Personen, die sicher als Soldaten oder Veteranen zu identifizieren sind . Im Folgenden sind nur Dokumente, die von 212 oder später datieren, und nur Personen aus der χώρα von Dura-Europos erfasst (Zeilenprozente):

Veteranen, Soldaten

Übrige Summe

mit tria nomina absolut in % 12 92 6 20 18 42

ohne tria nomina absolut in % 1 8 24 80 25 58

Der relativ hohe Anteil von Personen mit tria nomina auf dem Land geht also wesentlich auf das Konto von Soldaten und Veteranen, von denen 92 Prozent in den Dokumenten mit drei Namen firmieren, während die indigene Landbevölkerung offensichtlich den tria nomina einen weitaus geringeren Stellenwert beimaß . Anders als für Osrhoene, wo im recht aufgeheizten Klima des 3 . Jahrhunderts dem Führen oder Nichtführen eines Namens bereits politische Bedeutung zukam, ist ein politischer Hintergrund für den mittleren Euphrat allerdings nicht zwingend anzunehmen . Während in Osrhoene das Verteilungsmuster römischer Namen keine besonderen Merkmale aufweist, vielmehr alle sozialen Gruppen gleichermaßen zwischen Trägern und Nichtträgern römischer Namen polarisiert waren, war es am Euphrat speziell die Stadt, wo sich römische Namen nicht durchsetzten . Der eigentliche Graben aber verlief zwischen Personen, die mit dem römischen Militär in Verbindung standen, und solchen, die der lokalen Zivilbevölkerung angehörten . Die Mehrheit der Einheimischen nahm, so hat es den Anschein, die Zäsur der constitutio Antoniniana überhaupt nicht zur Kenntnis, oder aber sie veranschlagte ihren Stellenwert als so gering, dass sie es bei den herkömmlichen Namen beließ . In einem Wertesystem, in dem römisches Bürgerrecht schlicht keine Bezugsgröße war, verlohnten die tria nomina nicht den zusätzlichen Schreibaufwand .

328 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at War die Entscheidung über Weglassung oder Nennung römischer Namensbestandteile eine individuelle Wahl, die jeweils subjektive Wahrnehmungen spiegelte, so lohnt durchaus ein Blick auf mögliche objektive Einwirkungen der Bürgerrechtsverleihung an die Peregrinen . Interessant ist in diesem Zusammenhang, welche (männlichen) Personen mit welcher Herkunft militärische (auch als Veteranen) oder zivile Funktionen bekleideten (Spaltenprozente) . Zu vergleichen ist die Situation vor 212 mit der nach Erlass der consti­ tutio Antoniniana: vor 212 n . Chr . Funktionäre absolut

in %

Lokal

1

10

Griechisch

8

80

Lateinisch

1

10

Summe

10

100

212 n . Chr . und später

Übrige absolut in % 12 57 9 43 21

100

Funktionäre absolut

in %

6

32

6

32

7

36

19

100

Übrige absolut in % 17 81 3 14 1 5 21 100

Während also vor 212 die überwältigende Mehrheit (80 Prozent) der zugegebenermaßen wenigen Personen, die ausweislich der Dokumente öffentliche oder militärische Funktionen bekleideten, griechische Namen führte, entstammte nach 212 nur noch weniger als jeder dritte Funktionsträger dem griechisch-makedonischen Milieu . Während das gute Drittel von Funktionsträgern mit rein lateinischen Namen hauptsächlich dem Zustrom von Soldaten und Veteranen zu verdanken sein dürfte, fällt umgekehrt auf, dass sich der Anteil der Personen mit semitischen Namen an den Funktionsträgern insgesamt signifikant (von 10 auf 32 Prozent) erhöht hat . So sind nach Erlass der constitutio Antoniniana erstmals überhaupt zivile Amtsträger mit lokalen Namen im ländlichen Bereich belegt . Der Befund lässt, bei insgesamt unbefriedigender Datenbasis, einen leichten Nivellierungstrend erkennen, mehr aber auch nicht . Der Hiatus nämlich zwischen Stadt und Land einer-, indigener und fremdstämmiger Bevölkerung andererseits schloss sich unterdessen keineswegs . Das römische Imperium war zwar als Militärmacht unmittelbar präsent, auch als Rechtsrahmen fand es Akzeptanz, wie die Eingaben von Dorfbewohnern mit indigenen Namen an römische Offizielle belegen . Als den Alltag der lokalen Bevölkerung prägende Größe war es aber offensichtlich noch immer weit entfernt, zu weit jedenfalls, als dass die Einheimischen es als notwendig erachtet hätten, durch Tragen der tria nomina nach außen ihr Römischsein zu demonstrieren . Wie gering die Neigung, römische Namen zu tragen, unter der einheimischen Bevölkerung wirklich war, illustriert die folgende Tabelle, die alle Personen in den Blick nimmt, die in nach 212 datierten Dokumenten auftauchen:

Grenzgänger des Rechts · 329 Gesamt Lokal

ohne

römische(n) Namen

mit Griechisch

ohne

römische(n) Namen

mit Lateinisch Summe

ohne mit

Summe

römische(n) Namen

absolut 26 5 19 7 13 45 25 70

in % 100 100 100 100 100 100 100 100

davon Soldaten/ Veteranen Absolut in % – – 5 100 – – 4 57 8 62 – – 17 68 17 24

Während insgesamt nicht einmal ein Viertel der analysierten Personen Angehörige des Militärs bzw . Veteranen sind, stellen sie unter den Trägern römischer Namen bzw . Namensbestandteile eine klare Mehrheit (68 Prozent) . Personen, die den römischen Namen Aurelius zusätzlich zu einem indigenen Namen führen, sind sogar ausnahmslos Soldaten bzw . Veteranen . Unter den Personen, die rein römische tria nomina führen, machen Militärangehörige noch 62, unter ›Griechen‹ mit römischem Namensbestandteil immerhin noch 57 Prozent aus . Vorausgesetzt, die Wahl von Namen lässt tatsächlich Rückschlüsse auf individuelle Wertorientierungen zu, so ist dieser Befund Indiz für eine kulturelle Kluft, welche die Soldaten der Garnison und in der Region bleibende Veteranen von ihren Nachbarn trennte . Den Soldaten war ihr römisches Bürgerrecht offensichtlich so wichtig, dass sie, mit einer Ausnahme – einem Soldaten mit dem Namen Patroklianus146 – grundsätzlich römische Namensbestandteile führten . Das galt für die griechisch akkulturierte Bevölkerung kaum und schon gar nicht galt es für die nicht griechischsprachige, einheimische Bevölkerung des ländlichen Umlands von Dura-Europos . Die allgemeine Verleihung des römischen Bürgerrechts hatte auf die in der Region ansässigen Menschen praktisch keine Auswirkungen: Weder brachte sie die Neurömer dazu, ihrem Bürgerrecht durch Führen der tria nomina sichtbar Ausdruck zu verleihen, noch nivellierte sie erkennbar die Differenz zwischen einer griechisch-makedonischen urbanen Elite und einer aramäischsprachigen ländlichen Bevölkerung . Die Rückkehr von Familien, die – nach der Onomastik zu urteilen – bereits griechisch akkulturiert waren, zu einer an lokalen Traditionen orientierten Namenspraxis deutet vielmehr auf das Gegenteil hin . Die Analyse der Implikationen, die römische Annexion und constitutio Antoniniana am mittleren Euphrat hatten, führt noch einmal zurück zum Problem des römischen Militärs und seiner Rolle in der Region . Ein Schlüsseldokument für ihr Verständnis ist ein 146 P . Dura 32, ext . v . 1: [Π]ατρ[οκλ]ειανό ̣ [ς] ̣ στρα(τιώτης) .

330 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at Papyrus, der den Grundstücksverkauf an Demetrius beurkundet, den Veteranen (πάλαι στρατιώτης) der zu der Zeit am Mittellauf des Ḫābūr, in Sacharē, stationierten cohors III Augusta Thracum .147 Otarnaios aus Sacharē, der Sohn des Abadabos, verkaufte dem Iulius Demetrius, wohnhaft in Raquqeta (Rhakukaita), das Grundstück in der Gemarkung Zaira-da-Sacharē für den Preis von 175 Denaren . Der Wohnort des Demetrius war wohl ein Dorf am Ḫābūr, von dem wir aber sonst nichts wissen . Der Veteran hatte schon zuvor Grundbesitz in der unmittelbaren Umgebung gehabt, denn die neu erworbene Parzelle grenzte an Land, das ihm bereits gehörte . Als weitere Grenzen des Grundstücks werden der Fluss Ḫābūr sowie der Besitz eines gewissen Abdelath angegeben . Otarnaios hatte die Parzelle von seinem Dorfgenossen Habibas erworben .148 Iulius Demetrius, der Käufer, entstammte offenkundig einem ganz anderen Milieu als das Gros der am mittleren Euphrat in Garnison liegenden Soldaten . Anders als die zahlreichen Palmyrener kam er nicht aus der weiteren Region und gehörte einer Einheit an, die bereits über eine lange Tradition verfügte . Ihre Soldaten gehörten, wie Iulius Demetrius und die das Dokument zeichnenden, jeweils Unteroffiziersränge bekleidenden Zeugen – ein Flavius, ein Claudius, zwei Iulii –, Familien an, die seit Jahrhunderten das römische Bürgerrecht innehatten . Woher die Kohorte ihre Rekruten bezog, ist unklar, fraglich, ob sie noch immer, wie der Name suggeriert, aus Thrakien stammten . Vermutlich war sie 147 P . Dura 26 . (227 n . Chr .), ext . r ., 4–32: ἐπὶ̣ ὑπάτων Νουμμίου Ἀλβείνου καὶ Λαιλίου Μαξίμου, πρὸ ἑπτὰ Καλ(̣ ανδῶν) Ἰουνίων, ̣ | ἐπὶ τῶν ἐπιβεβλημένων καὶ ἐσ̣ φραγισμένων ̣ ἀνδρῶν ἐν ̣ Σαχάρῃ παραχειμασίᾳ ̣ | [σ]πείρ(ης) γ Σεβ(αστῆς) Θρᾳκῶν . ἐπρίατ ο̣ Ἰούλιος ̣ Δημήτριος πάλαι στ [ρ]α ̣ τ̣ ιώτης ̣ σπ̣ είρης ̣ ̣ | τ ῆ̣ [̣ ς προγεγρ(αμμένης)], οἰ̣ κῶν ̣ ἐν Ῥακουκαίθα, παρὰ Ὀταρναίου Ἀβδάβ̣ ο ̣ υ κώμης Σαχ[α]|ρη ̣ -δα-αουαράη τὴν ὑπάρχουσαν αὐτῷ χώραν κειμέν(ην) ἐν ὁρίοις τῆς αὐτῆς | κώμης, ὅσου ἐστὶν μέτρου, ἣν ἐνωται παρὰ Ἁββ̣ ε̣ ι̣ βᾶ ̣ Βωζάνου συνκωμή|τ [ο]υ ̣ ̣ αὐτοῦ, ἐν Ζαιρα-δα-σαχαράη ἐν τόπῳ ἐπικαλουμένῳ Καρκα̣ φθά, ̣ σὺν εἰσόδ[ῳ] ̣ | καὶ ἐξόδῳ καὶ τοῖς ἐνοῦσι δένδρ̣ ο̣ [ι]ς ̣ ̣ καρποφόροις τε καὶ ἀκάρποι[ς] καὶ παντὶ δικαίῳ τῆ[ς] | αὐ[τ]ῆ ̣ ς̣ ̣ χ[ώ]ρ ̣ ας, ̣ τειμῆς ἀρ̣ γ̣ υ̣ ρ̣ ί̣ ο̣ υ̣ δηναρίων ἑκατὸν ἑβδομήκοντ[α] ̣ | πἐ̣ ν̣ τ̣ ε̣ , ἣν τειμὴν ἀπέσχεν ὁ πεπρακὼς παρὰ τοῦ ἐων̣ ημένου ̣ καὶ τὴν ̣ | χώραν ̣ αὐτῷ ἔδωκεν εἰς τὸ ἔχειν αὐτὸν κυρίως καὶ βεβαίως εἰς τὸν ἅπαντα χρό|νον̣ κτᾶσθαι χρᾶσθαι πωλεῖν δι[οι]κεῖν τρόπῳ ᾧ ἂν αἱρῆτ̣ αι, γείτονες τῆς αὐτῆς | χώρ̣ ας ἀπὸ μὲν ἀνατολῶν κανάλιν ̣ ὕδατος καὶ Ἁβού̣ ρα ̣ ποταμός, δυσμῶ ̣ ν̣ ̣ ἄμ|π ̣ ελος ̣ τοῦ ἠγορακότος, νό̣ τ̣ ο̣ υ̣ Ἀβδελάθ, βορρᾶ αὐτοῦ ἐστι τοῦ ἠγορα[κ]ότ̣ [ος] ̣ | κα[̣ ὶ Ἀβδελά]θ,̣ εἰ δέ τις λήθη ἤ̣ ἐσ̣ τ̣ ι̣ ν̣ ἢ ἐγένετο ἐν ταῖς γειτνίαις, οὐκ ἔσ[τ]αι̣ ἀ ̣ ν̣ τ̣ ί̣ [ρ]|ρ ̣ ημα, ̣ ἦν δὲ πρὸ τούτου ἐν τῇ αὐτῇ χώρᾳ στελέχη ἀμπέλων ἑξακόσια · | τοῦ πεπρακότος παρεχομένου τῷ ἠγορακότι τὸ αὐτὸ ἀγόρρσμα ̣ ἀνέπαφον | κ[α]ὶ ̣ ̣ ἀνεπιδά̣ νειστον ̣ καὶ ἀναμφισβήτητον ̣ πάσης ̣ ἀμφισβητήσεω[̣ ς] κ[αὶ] ̣ κ[α]|θαρὸν ̣ ἀπὸ παντὸς ἀντιποι̣ ο̣ [υ]μένου, ̣ ἐὰν δὲ μὴ̣ παράσχητα̣ ι̣ ̣ ἀκ[ολούθως,] ̣ | ἐνποιηθεὶς δέ τις ἐγνεικῆτ̣ α̣ ι̣ ̣ τ ὸ̣ ̣ αὐτὸ ἀγόρασμα ἢ μέρ̣ [ο]ς ̣ ̣ αὐτ[οῦ, ὁ πεπρα]|κ[ὼ]ς ̣ ̣ δ[ι]αδ[ι]κήσει ̣ καὶ καθα̣ ρ̣ [ο]π ̣ ο̣ ι̣ ή̣ σ ̣ ει τῷ ἐωνημένῳ, εἰ δʼ οὐ̣ ,̣ ἐκτείσει̣ α ̣ [ὐτῷ ̣ τὴν] | τ[ι]μ ̣ ὴν ̣ διπλῆν καὶ τὸ βλάβος ὁμοίως· τοῦ ἠγορακότος δειδοῦντος πᾶν [τὸ] | ἐπιβάλλ ̣ [̣ ο]ν ̣ τῇ αὐτῇ χώρᾳ εἰς λόγ[ο]ν ̣κυρ̣ ι̣ α̣ κ[ο]ῦ ̣ καὶ κωμητικῆς ̣ ὑπηρεσίας· | κυρ ̣ ίας οὔσης τῆσδε τῆς ὠνῆ̣ ς̣ πα ̣ ν̣ ταχοῦ ̣ προφερομένης .̣ πίστει ἐπηρώ ̣ τ̣ ησ[̣ εν] | ὁ̣ ἠγ̣ ο ̣ ρ̣ α̣ κ̣ ὼ[ς] ̣ κα̣ [ὶ] ̣ πίστει ὡμολόγησεν Ὀταρναῖος ὁ πε̣ πρ[α]κ ̣ ώ ̣ ς̣ . | vac . ? | (Hand 2) Αὐρῆλις̣ ̣ Σαλμάμες, οὐ̣ ε̣ τ[ρ]α ̣ ν̣ ό ̣ ς̣ ,̣ ἐρ ̣ ωτηθὶς ἔγ ̣ ρ ̣ α̣ ψ ̣ ̣[α ὑπὲρ Ὀταρναίου Ἀβα]|δάβου ἀγρ ̣ α̣ μάτ ̣ ο̣ υ̣ ,̣ ὁμολ[ογουμένου ἀποδόσθαι τὴ]ν̣ ὑ[π]άρ̣ χ̣ [ουσαν ̣ αὐτῷ χώ]|ραν καὶ ἀπ ̣ ε̣ σ̣ κ ̣ εκένε δη̣ [̣ νάρια ἑκα]τ [ὸν ̣ ἑβδομ]ήκ ̣ ον̣ τα ̣ πέν1[τ]ε ̣ ̣ [καὶ εὐδο]|κε̣ ῖ̣ ν̣ ̣ κα̣ τ̣ ὰ̣ ̣ τ ὰ̣ ̣ προγεγρομένα . vac . ?; ext . v .: (Hand 3) Flaṿis Serapẹ io nuntius . | sig[̣ n]ạvi | (Hand 4) Ἰύλιος Δειογένης κορ(νικουλάριος) | μ(α)ρ(τυρῶ) | (Hand 5) Claudius Theodorus op(tio) | signavi | (Hand 6) Iul(ius) Monimus tesṣ(erarius) | (Hand 7) signavi | (Hand 8) Vepo Flavianus t[u]b(icen) | ṣịgn ̣ avi . 148 Zur Identifikation von Sacharē mit dem modernen as-Sičer: Luther 2002, 3; Edwell 2008, 78f .

Grenzgänger des Rechts · 331 ein ethnisch bunt zusammengewürfelter Haufe, denn neben Demetrius und seinen als Zeugen auftretenden Ex-Kameraden – allesamt mit gut griechischen cognomina – findet sich der Schreiber Aurelius Salmanes, ein Veteran, gewiss derselben Kohorte . Salmanes deutet auf einen semitischen, vielleicht lokalen Hintergrund, Aurelius auf ein rezent erworbenes römisches Bürgerrecht hin .149 Auf jeden Fall hatte die Kohorte – und mit ihr Iulius Demetrius, so darf man mutmaßen – in severischer Zeit ihren Posten am Ḫābūr bezogen . Woher auch immer Demetrius stammte, er siedelte sich nach seiner Entlassung in der näheren Umgebung seines vormaligen Garnisonsortes an . Wenn die Zeugen des Demetrius, allesamt Unteroffiziere der unteren Rangklassen (optio, tubicen, tesserarius), seinem Bekanntenkreis angehörten, und alles spricht dafür, dann hatte es vermutlich auch Demetrius selbst zu einem ähnlichen Rang gebracht . Nun war er Grundbesitzer, auf einer Parzelle, die er bei seinem Abschied aus der Armee erhalten oder gekauft hatte . Wie groß das Grundstück war, das Demetrius bereits besaß, als er die hier beurkundete Transaktion vornahm und noch angrenzendes Land dazukaufte, ist nicht zu ermessen . Er brachte für den Kauf des mit Obstbäumen bepflanzten Grundstücks 175 Denare auf, etwa ein Fünftel des Jahressolds eines Legionärs zur Zeit Caracallas .150 Die Größe der so den Besitzer wechselnden Parzelle kann, wie bei den meisten Grundstücksverkäufen der Epoche, nicht nennenswert gewesen sein; legt man das Preisniveau Ägyptens zur selben Zeit zugrunde, so lag sie vielleicht bei einem halben, maximal einem Ar .151 Iulius Demetrius wurde durch den Zukauf des Grundstücks von Otarnaios keinesfalls zum Großgrundbesitzer . Er war es mit Sicherheit auch zuvor nicht . Der Veteran war ökonomisch gleichwohl besser gestellt als das Gros der lokalen Bevölkerung . Er hatte einen Hof im fruchtbaren Flusstal des Ḫābūr; er verfügte über eine Obstplantage und einen Weinberg, produzierte also nicht ausschließlich für den eigenen Bedarf, sondern wenigstens auch für einen lokalen Markt . Er gehörte einer dörflichen Elite an, die sich haushoch über die lokalen, Subsistenzwirtschaft treibenden Kleinbauern erhob . Demetrius fand sein Auskommen; beschäftigte vermutlich Sklaven, vielleicht auch freie Landarbeiter . Bereits recht kurze Zeit nach der Entlassung aus der Armee – mehrere seiner Freunde dienten noch – konnte er es sich leisten, seinen Betrieb zu vergrößern . Männer wie Demetrius veränderten das soziale Gefüge ihrer Umgebung . Sie erschienen gleichsam aus dem Nichts mit einer im Korpsgeist verschworenen Organisation, dem Militär, und schwangen sich unmittelbar zu Herren auf, und sei es im allerkleinsten Maßstab . Allein am Ḫābūr waren, auf vergleichsweise engem Raum, zwei Kohorten mit 149 Zur Onomastik römischer Legionen und Auxiliarverbände Le Bohec 1994, 90–93 . 150 Le Bohec 2001 . Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Sold eines Auxiliarsoldaten um ca . 20 Prozent niedriger lag als der eines Legionärs . Septimius Severus hatte 193 für den Einzug nach Rom ein Donativ von 250 Denaren ausgelobt (Cass . Dio 46,46,7) . 151 Zu den Bodenpreisen dort Drexhage 1991, 127–138 . In Ägypten kostete ein Ar Ackerland im frühen 3 . Jahrhundert zwischen 137 und 400 Drachmen (= Denare), einzelne Extremwerte nicht mitgerechnet . Bepflanztes Wein-, Oliven- und Palmenland war deutlich teurer .

332 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at einer Sollstärke von je 500 bis 1000 Mann152 stationiert . Geht man von quingenaria, also Kohorten mit 500 Mann, und einer durchschnittlichen Dienstdauer von 15 Jahren aus,153 rechnet man eine natürliche Ausfallquote von 20 Prozent während der Dienstzeit mit ein und nimmt man schließlich hypothetisch an, dass nur ein Viertel der Entlassenen sich dazu entschloss, in der Region zu bleiben, so waren es jedes Jahr immerhin noch 13 Veteranen, die sich in einem schmalen Flusstal von rund 200 Kilometern Länge ansiedelten . Die Zahl könnte auch deutlich darüber gelegen haben, denn womöglich war die Quote der sich am letzten Garnisonsort ansiedelnden Veteranen höher als 25 Prozent .154 Mag dieser Zustrom bei oberflächlicher Betrachtung quantitativ unbedeutend erscheinen, qualitativ und als Angehörige einer von starken sozialen Bindekräften zusammengehaltenen Gruppe mit ausgeprägtem Korpsgeist brachten die Veteranen, wenigstens à la longue, das Potential mit, die Ḫābūr-Region ökonomisch und gesellschaftlich regelrecht umzustülpen . Die Modellrechnung ist eingestandenermaßen hypothetisch . Eine Unbekannte ist allzumal, ob Eroberung und Verwüstung großer Teile des Gebiets durch Šābuhr – nach nicht ganz 50 Jahren direkter römischer Herrschaft, gerechnet von 208 n . Chr . an – den Veteranen genug Zeit ließen, um die Ḫābūr-Region umzuformen . Deutlich wird aber, dass die Veteranen in der Region der wichtigste in Frage kommende Transmissionsriemen von Romanisierung waren . Römisches Recht war eine ganz und gar abstrakte Größe, von der die Menschen, je nach ihrem sozialen und kulturellen Hintergrund, sehr unterschiedlichen Gebrauch machten . Eine römische Zivilverwaltung gab es im 2 . und 3 . Jahrhundert n . Chr . nicht . Die aktiv dienenden Soldaten waren, so sie nicht als Palmyrener ohnehin aus der direkten Nachbarschaft stammten und mithin als Akteure von Romanisierung nur bedingt in Frage kamen, zwar ökonomisch ein Faktor ersten Ranges, aber häufig zu isoliert, um mit der Außenwelt in hinreichend engen sozialen Kontakt zu treten .155 Anders die Veteranen, die vor Ort blieben: Sie suchten und fanden ihren Platz in der Mitte der lokalen Gesellschaft, wenn auch in privilegierter Position . Als lokale Elite neuen Typs lieferten sie der einheimischen Bevölkerung Bilder des Handelns, der Weltdeutung und sozialen Kommunikation, die rasch zu Vor-Bildern werden konnten . Veteranen galten im lokalen Umfeld, mit ihrer herausgehobenen sozialen Stellung, als Autoritäten von hohem Rang . In einem Unterschlagungsfall – ein Dorfgenosse hatte nach Angaben der Beschwerdeführer widerrechtlich das Eigentum einer Bathsabbatha aus Magdale an sich gebracht – wurden ein Soldat der legio XVI Flavia Firma und ein 152 Le Bohec 1994, 25 . 153 Ebd ., 63f . 154 Stoll 2015, 70 . Erstens verspürten viele der Veteranen das Bedürfnis, sich im Umfeld ihrer ehemaligen Kameraden anzusiedeln; zweitens war die Ansiedlung loyaler und kampferprobter Veteranen in grenznahen Regionen seitens der römischen Autoritäten gewollt und wurde gefördert . 155 Obwohl auch sie durchaus in lokale Familien einheirateten, wie der Scheidungsvertrag zwischen Iulius Antiochus, Soldat einer in Dura stationierten Vexillation der legio IV Scythica Valeriana Galliena, und der einer Familie aus Dura-Europos entstammenden Aurelia Amimma zeigt (P . Dura 32, 254 n . Chr .) .

Grenzgänger des Rechts · 333 Veteran, ἄνδρες ἀξιόχρεοι, als Zeugen vor den Zenturio geladen .156 Veteranen treten auch in anderen Urkunden als Zeugen auf, wohl ihres besonderen Ansehens und des daraus erwachsenden Gewichts ihres Zeugnisses wegen, auch und gerade dann, wenn die vertragschließenden Parteien rein lokale Namen tragen .157 Veteranen nahmen unter römischer Herrschaft eine Funktion ein, wie sie zuvor städtische und dörfliche Würdenträger innehatten . Bei der Etablierung von Veteranen als einer neuen lokalen Oberschicht samt der von ihnen ausstrahlenden Werte- und Orientierungssysteme, wie sie sich am mittleren Euphrat in Ansätzen beobachten lässt, dürfte es sich um einen Prozess handeln, der in allen stark militarisierten Regionen des Römischen Reiches, auch im Orient, zu beobachten ist . Romanisierung hatte vermutlich in Edessa und Nisibis ein ähnlich militärisches Gesicht wie in Dura-Europos . Palmyra war – vor seiner Eroberung durch Aurelian – niemals Garnisonsort römischer Verbände, Hatra zu kurz in römischen Händen, um in den kulturellen Sog des Militärs zu geraten . Auch im Hinterland – namentlich der Biqāʿ-Ebene mit Heliopolis/Baalbek, wo, wie wir wissen, bereits in augusteischer Zeit zahlreiche Veteranen angesiedelt wurden – mag sich Romanisierung nach einem ähnlichen Drehbuch abgespielt haben . In der Stadt Dura-Europos und mit ihr in zahlreichen Siedlungen des mittleren Euphrat endete dieser Prozess abrupt und gewaltsam . Die Archäologie des westlichen Stadtviertels von Dura und besonders die in der Synagoge entdeckten mittelpersischen Inschriften beleuchten die letzte, dramatische Phase der Stadtgeschichte . Zu Ende des 14 . und Anfang des 15 . Jahres eines nicht genannten Herrschers – als der nur der Sasanidenkönig Šābuhr in Frage kommt, der um 239 zunächst als Mitherrscher seines Vaters Ardaxšīr auf den Thron gelangt war158 – statteten Personen mit dem persischen Titel dipivar (›Schreiber‹) 156 P . Euphr . 5: Ἰουλ(ίῳ) Μαρείνῳ (ἑκατοντάρχῳ) τῷ ἐπὶ τῆς εὐταξίας Σφω|ρακηνῆς vac . ? παρὰ vac . ? Βαθσαββαθα Ἀρσινόης | κώ(μης) Μαγδάλης τῆς Σφωρακηνῆς . vac . ? | ἐπί, κύριε, [σο]ῦ γενομένου ἐν [Ἀ] ππαδάνᾳ παρέσ̣ |̣ τησά σοι Αὐρήλ(ιον) Αβιλααν στρατ(ιώτην) λεγ(εῶνος) ιϛ Φλαουΐας | Φίρμης καὶ Βαρσημεαν οὐετρανὸν ἄνδρας | ἀξιοχρέους οἵτινες ἐπὶ σοῦ ἐμαρτύρησαν | Νισραϊαβον ἀδελφόν μου γενόμενον ὑπʼ ἐμοῦ | ἠλευθερῶσθαι ἀνερεθέντα ὑπό τινων κα|κούργων, vac . ? οὗ τὰ ὑπάρχοντα τὰ ἐμοὶ | ἀνήκοντα Ιαβαθνανεα διακατέχει καὶ | ἑτοίμη εἰμὶ κατηγορεῖν αὐτῆς περὶ τοῦ αὐτοῦ | φόνου, ἐκ τούτου ̣ οὖν ἀξιῶ ὑποσημιω | σέ μου τούτῳ τῷ πιττακίῳ μαρτυρίας χάριν . | (Hand 2) Acceptavi Apadana VI Kal(endas) Iunia{s}s | Ariano et Papo cons(ulibus) (›An Iulius Marinus, Zenturio, betraut damit, die Ordnung in Sphouriakēnē aufrecht zu erhalten, von Bathsabbatha, Tochter der Arsinoe, aus dem Dorf Magdala in Sphouriakēnē . Herr, bei deiner Anwesenheit in Appadana habe ich dir Aurelius Abilaas, Soldat der legio XVI Flavia Firma, und Aurelius Barsemaias, Veteran, vorgestellt, ehrenwerte Männer, die vor dir ausgesagt haben, dass Nisraiabos, mein Bruder, der von mir geborgen [?] wurde, von Übeltätern umgebracht wurde, und da seine Besitztümer, die an mich fallen, in der Gewalt von Iabathnanaia sind und weil ich ihn wegen dieser Untat angezeigt habe, bitte ich dich, meine Bittschrift hier zu unterzeichnen, weil sie als Zeugnis dient . Hand 2: Ich habe in Apadana entgegengenommen am 27 . Mai, als Arianus und Papus Konsuln waren‹) . 157 Siehe den Scheidungsvertrag zwischen Akkozis und Nabusamaos (P . Dura 31) sowie möglicherweise P . Dura 29 . 158 Chaumont 1979, 222; Wiesehöfer 2008, 537 . Zur Chronologie der Ereignisse in Syrien James 1985 .

334 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at der Synagoge einen Besuch ab . Sie hinterließen in Form von mittelpersischen Dipinti und Graffiti ihre Spuren auf den bemalten Wänden des Versammlungsraums . Wenn es sich bei dem Herrscher um Šābuhr handelte, würde das den Besuch der dipivar auf die Zeit um 253 datieren . Offenbar kamen sie auch mit Würdenträgern der jüdischen Gemeinde in Kontakt, vielleicht waren sie sogar explizit auf deren Einladung gekommen .159 Handelte es sich um eine offizielle Delegation der Perser? Dass die dipivar selbst Juden waren, ist aufgrund der Onomastik nicht zu belegen, aber denkbar .160 Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass Dura-Europos im Verlauf von Šābuhrs zweitem Romfeldzug 252 oder 253, als auch Antiocheia seine Tore öffnete, die Waffen streckte . Den Römern gelang es aber, Dura noch einmal zurückzuerobern: Bereits 254 war die Euphratstadt wieder in römischer Hand . Die römische Garnison nutzte die Zeit, um die ohnehin schon schwer einzunehmende natürliche Festung noch weiter zu armieren . Vor allem verstärkten die Soldaten die Westmauer zur Steppe hin, der einzigen Seite, von der sich Feinde bei dem zu erwartenden Angriff der Stadt nähern konnten . Der Angriff erfolgte tatsächlich: Wohl 256 schlossen Šābuhrs Perser den Belagerungsring um DuraEuropos; ein erbitterter Kampf um seine Mauern begann . Erst unlängst hat die Neubewertung der Grabungsbefunde aus den 1920er und 30er Jahren ergeben, dass in den Stollen, die Sasaniden und Römer gegeneinander vorantrieben, um die Stadtmauer zu unterhöhlen bzw . dies zu verhindern, auch chemische Kampfstoffe zum Einsatz kamen: Ein ganzer Trupp römischer Soldaten wurde so offensichtlich das Opfer giftiger Schwaden, die der Feind in ihren Tunnel geleitet hatte .161 Den endgültigen Verlust Duras, der wohl 257, vielleicht auch schon 256 erfolgte, konnte auch das neue Bollwerk nicht abwenden: Seine Verteidiger kämpften, als die Sasaniden von Westen her gegen sie vorrückten, auf verlorenem Posten .162 Die Stadt wurde aufgegeben, ihre Bevölkerung deportiert . Dura-Europos erwachte nie mehr zum Leben .163

159 Das jedenfalls suggeriert Dipinto Nr . 44, nach dem der »Schreiber« Hormizd gemeinsam mit dem »zandak der Juden« die Synagoge besucht hat (TEAD VII–VIII 299) . Ohne genau zu wissen, was ein zandak ist, dürfen wir dahinter wohl »a high representative or the head of the Jewish community« vermuten: Kraeling 1956, 299; Fine 2014, 120f . 160 Kraeling, 336: »[…] the visitors dated their inscriptions by the regnal years of the Persian king, and […] they bore recognizable Mazdean names .« 161 Vgl . die anschauliche Rekonstruktion bei James 2011, 89–99; James 2013a . 162 Zur Datierung des Falls MacDonald 1986, der aufgrund des numismatischen Befunds einleuchtend für 257 plädiert, da im Jahr 256 in Antiocheia geschlagene Münzen erst nach Dura gelangen mussten . 163 Sommer 2016a, 57 . Gleichwohl ist eine sasanidische Verwaltungsaktivität und eine kurzzeitige Weiterbenutzung des Palastes des römischen dux ripae durch persische Offizielle in den ersten Jahren nach der Eroberung wahrscheinlich .

Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit · 335

Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit: Wandbilder und ihr sakraler Kontext Das religiöse Zentrum der jüdischen Gemeinde von Dura-Europos mit seinem Versammlungsraum, dessen Wandgemälde zu einem Gutteil erhalten sind, ist ohne Frage ein erratischer Block . Mehr als jedes andere Gebäude der Stadt, die zahlreichen Kultbauten inklusive, regte es die Phantasie ganzer Forschergenerationen an . Die Synagoge sticht aus mehr als einem Grund hervor: Sie ist das bei Weitem älteste jüdische Gotteshaus, das erhalten ist; sie widerlegt mit ihren jetzt im Museum in Damaskus ausgestellten figürlichen Darstellungen anschaulich das Dogma, bereits das antike Judentum sei strikt bilderfeindlich gewesen; sie ist das östlichste aus der Antike erhaltene Zeugnis jüdischer materieller Kultur und liegt geographisch dem babylonischen Judentum näher als Palästina, und sie beherbergt, sieht man von Mosaiken einmal ab, die bei Weitem komplexesten erhaltenen Bildwerke aus der Osthälfte des römischen Imperiums .164 Ihre exzeptionelle kunsthistorische Bedeutung, kombiniert mit der vorherrschenden Auffassung von der römisch-parthischen Steppengrenze als einer zu originären schöpferischen Leistungen unfähigen Peripheriezone der antiken Welt, verengte die Synagoge bis vor Kurzem auf die ihr zugeschriebene Funktion als fehlendes Glied zwischen einer hypostasierten Kunst der jüdischen Diaspora und der visuellen Kultur des frühen Christentums, wie sie sich in den Wandbildern der römischen Katakomben artikuliert . Bereits um 1900 als Hypothese angedeutet,165 verfestigte sich die Auffassung, jüdische Kunst sei Quelle und Modell für das figurative Kunstschaffen des frühen Christentums gewesen, zur unumstößlichen Lehrmeinung .166 Der Denkfigur des ›Vorläufertums‹ haftet etwas Janusköpfiges an: Zwar wird der jüdischen Kunst bescheinigt, stilistisch (Breasted) bzw . programmatisch (Kessler) Vorlagen für christliches Kunstschaffen geliefert zu haben, doch wird ihr im selben Atemzug künstlerische Originalität abgesprochen . Der ›Orient‹, in dessen Bannkreis die Bildwerke der Synagoge gehörten, sei statisch und zu Entwicklung nicht fähig . Entsprechend wurde der künstlerische ›Wert‹ – was immer das sein mag – der Dura-Bildwerke, ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung zum Trotz, nie allzu hoch veranschlagt .167 Mit der einseitigen 164 Die Literatur zur Synagoge ist ausufernd: Kraeling 1956; Neusner 1964; Gutmann 1983; Gutmann 1988; Weitzmann/Kessler 1990; Wharton 1994; Jensen 1999; Sommer 2006; Noy 2007; Rajak 2011; Rajak 2013 . Für eine ausgewogene Darstellung der älteren Forschungsgeschichte Fine 2011 . 165 Strzygowski 1901, aufgegriffen von Breasted 1924 . 166 Vgl . Weitzmann/Kessler 1990, 174 . 167 Perkins 1973, 33: »As is to be expected in a garrison town located on a frontier, the paintings show both an eclecticism of subject and style, and a provincialism manifested in the generally mediocre level of execution .« Auf den subelitären sozialen Kontext in Dura verweist noch Deleeuw 2011, 196 . Wharton 1994, 5; Wharton 1995, 15–36, verbucht die Geringschätzung der Dura-Bildwerke auf dem Konto eines subtilen, gelehrten Orientalismus . Die Synagoge, von deren Wandgemälden nur alte, in jeder Hinsicht unbefriedi-

336 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at Deutung ihrer Bildkunst als bloßer Vorstufe für die okzidental-christliche Kunst verknüpft sich eine gründliche Fehlinterpretation der Euphratstadt und ihres kulturellen Umfelds: Das ›Pompeji des Orients‹ gilt in der Forschung durchweg als entlegener Außenposten der römischen Welt, als sekundäre Garnisonsstadt, allenfalls noch als Entrepot des palmyrenischen Fernhandels . Diese Vorstellung ist nicht ganz falsch – und doch trifft sie nur einen Teil der Wahrheit . Dura war keinesfalls eine Metropole, die sich mit Palmyra oder gar Antiocheia hätte messen können .168 Andererseits war Dura kein miefiges Provinzkaff, abgeschnitten von allen kulturellen Innovationen, die sich in Ost oder West Bahn brachen . Die Stadt und ihr Umland hatten, wie zu sehen war, von der Stationierung römischer Soldaten erheblich profitiert . Militärische Diaspora und Veteranenansiedlung begannen das soziale und kulturelle Leben der Region erkennbar zu verändern . Vor allem aber waren Stadt und Land eingebettet in einen Kontext stetiger regionaler und überregionaler Interaktion, über Fernhandel, persönliche Netzwerke und allgemein über geographische Mobilität von Individuen, wie sie im papyrologischen Corpus hinlänglich bezeugt ist . Praktisch alle gelehrten Studien über die Wandbilder der Dura-Synagoge sind auf der Suche nach dem geschriebenen Text, der ihnen zugrunde gelegen haben soll . Noch die jüngste Monographie hat die These zum Gegenstand, illustrierte Handschriften des Alten Testaments, die sich, in hellenistischer Tradition, im antiken Judentum großer Popularität erfreut hätten, hätten Pate für die Bildwerke gestanden .169 Was immer von solchen Rekonstruktionsversuchen zu halten ist – von den postulierten Bibelhandschriften fehlt bis heute jede Spur –, sie sind charakteristisch für eine kunsthistorische Schule, die bestrebt ist, jede Ikonographie auf einen kanonischen Text zurückzuführen .170 Der Interpretation der Synagoge und ihrer Wandgemälde stehen auch deshalb so hohe Hürden entgegen, weil das Bauwerk in der Tat ein Solitär ist, schon aufgrund der in DuraEuropos gegebenen einzigartigen Umstände seiner Erhaltung .171 Will man den Bildern und ihrer Einzigartigkeit gerecht werden, muss man sie zunächst wieder in den einzigen Zusammenhang eingliedern, in dem sie sicher zu lokalisieren sind: das Milieu, in dem sie geschaffen wurden und in dem sie standen, bis zu ihrem Abtransport ins Damaszener Museum . Sie gehören in den lokalen Kontext der Stadt Dura-Europos und ihres unmittel-

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gende Reproduktionen im Umlauf sind, sei ferner Opfer rezenter makropolitischer Konstellationen: Die syrische  Seite verhindere systematisch das Abfotografieren der politisch nicht wohl gelittenen Bildwerke (ebd ., 41) . So aber Wharton 1994, 4, in ihrer – unnötigerweise mit politischen Korrektheiten überfrachteten – Generalabrechnung mit der Forschung . Weitzmann/Kessler 1990, 143 . Nach anderen Versuchen, einen ›Text‹ zu rekonstruieren, sind die Bilder Illustrationen eines rabbinischen Midrāš oder schlicht für Illustrationen biblischer Szenen: Gutmann 1983 (Midrāš); Kraeling 1956, 394f . (Altes Testament) . Gutmann 1984, 1315–1322, gibt einen Überblick über die – teilweise erheblich divergierenden – Textzuschreibungen zu den jeweiligen Szenen . Für den Kontext antiker Synagogen die Beiträge in Fine 1996 .

Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit · 337 baren Umlands .172 Es ist sodann das Dogma vom Primat kanonischer, geschriebener Texte vor Bildern aufzugeben und vielmehr das Bild selbst (und mehr noch ganze Sequenzen von Bildern, wie sie die Synagoge bereithält) als komplexer ›Text‹ eigenen Rechts zu begreifen .173 Nicht minder bedeutsam ist das lange vernachlässigte Corpus liturgischer Pergamente, die in der Synagoge gefunden wurden . Diese Texte stehen in einer engen Beziehung zu den Bildern – ohne ihre Vorlage zu sein – und lassen zugleich den Schluss zu, dass die jüdische Gemeinde in Dura-Europos in enger zumindest intellektueller Verbindung zum rabbinischen Judentum sowohl Palästinas wie Mesopotamiens stand .174 Die Synagoge und ihre Bilder lassen sich aber auch nicht gelöst von den übrigen, in Dura-Europos entstandenen Bildwerken lesen . Es wäre naiv anzunehmen, dass die Juden gänzlich abgeschottet von ihrer Umgebung in einer Parallelgesellschaft lebten . Wahrscheinlich waren auch die Juden Duras – wie ihre Glaubensgenossen anderswo in der griechisch-römischen Welt der mittleren Kaiserzeit – bestens in ihre Heimatgemeinde integriert .175 Deshalb war vermutlich auch die Synagoge kein exklusiver sakraler Raum, zu dem nur Juden Zutritt hatten . Ihre Bilder hatten ein Publikum, das größer war als die Gemeinde selbst .176 Ihre Deutung muss all das berücksichtigen, was wir über jüdische Diaspora einer-, über Diasporagruppen in Dura andererseits wissen, schließlich ist die Synagoge – mitsamt ihren Bildern und Inschriften – selbst eine erstrangige Quelle für eine spezifische Diasporagruppe in der Stadt, die jüdische Gemeinde . Sie sollte daher, bei entsprechender Fragestellung, Aufschluss geben über die Zusammensetzung der Gemeinde, über ihre Integration ins gesellschaftliche Ganze der Stadt sowie die soziale Interaktion mit anderen Gruppen und schließlich über mögliche Verbindungen über die Stadt hinaus .177 Den geographisch wie gedanklich nächstliegenden Kontext für die Bildwerke der Synagoge konstituieren die Wandbilder der beiden übrigen Sakralbauten des westlichen Stadtviertels, die sich dank der römischen Versuche, Dura in strategisch immer prekärerer Lage gegen die Sasaniden zu verteidigen, erhalten haben . Im äußersten Nordwesten der Stadt, in der Nähe des sogenannten ›Tempels der palmyrenischen Götter‹, befand sich in der Schlussphase parthischer Herrschaft ein Wohngebiet . Eines der Privathäuser, zum Großteil aus wiederverwendeten behauenen Steinquadern bestehend, wurde kurz nach der römischen Inbesitznahme Duras, durch palmyrenische Soldaten, in ein Mithräum umfunktioniert: Der schlichte Schrein selbst war dreischiffig, mit Klinen zu beiden Seiten 172 Der Ansatz wird erst in jüngerer Zeit verfolgt; vgl . Wharton 1994, 23–33; Elsner 2001; Sommer 2006; Rajak 2011; Rajak 2013 . 173 So grundsätzlich schon Goodenough 1964, Bd . 2, 197–210 . Jetzt mit Nachdruck wieder: Wharton 1994, 21–23; Wharton 1995, 7f . Ähnlich auch Rajak 2011, 145f . 174 Fine 2005, 172–183 . 175 Zur Integration von Juden in der Diaspora allgemein: Gruen 2002, 105–132; Gruen 2006 . 176 So völlig zutreffend Rajak 2011, 148 . 177 So wenigstens die von Jensen 1999 in ihrem Beitrag aufgeworfenen, aber nicht vollständig beantworteten Fragen .

338 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at und einem Altar vor einem nischenartigen Arcosolium im Westen . Zum Kultraum führte ein Vestibül mit kleinem Seitenraum . Zu Anfang und Mitte des 3 . Jahrhunderts wurde das Mithräum weiter ausgestaltet und ausgebaut, auf Kosten benachbarter Gebäudestrukturen; der Kultraum wurde durch Einbeziehung des Vestibüls beträchtlich vergrößert . Das Heiligtum bewahrte aber über alle drei Bauphasen seinen – auch im Vergleich zu anderen Mithräen – einfachen Charakter . Wesentlicher Schmuck des späten Gebäudes waren die beiden ursprünglich farbig bemalten Kultreliefs aus Gipsstein, die im Kultraum gefunden wurden, und die farbige al-secco-Wandbemalung .178 Ein den tragenden Steinen eines Bogens nachgebildeter Zyklus in der Wölbung des Arcosoliums zeigt Szenen der Kosmogonie und aus dem Leben des Mithras . Die naiv gezeichnete Bilderfolge spiegelt die, mit wenigen Ausnahmen, aus allen Mithras-Heiligtümern bekannten Motive und Darstellungskonventionen . In vielen Details ähnelt sie vergleichbaren Bilderzyklen aus dem Westen des Reichs, vor allem der Rhein- und Donauregion, und selbst Abweichungen von der Norm verweisen nicht auf lokale Traditionen, sondern auf parallele Darstellungen in den römischen Nordwestprovinzen und auf dem Balkan .179 Konventionell gehalten ist auch die Darstellung des Zodiakus an der Decke der Arcosoliumsnische . Bemerkenswert sind indes die Gemälde an den Seitenwänden der Nische: Dargestellt ist, in gewohnt frontaler Manier, je ein in einer angedeuteten Nische oder Apsis sitzender bärtiger Mann in ›parthischer‹ Tracht und mit phrygischer Mütze . Beide Personen tragen gemusterte Kaftane, Reithosen, Stiefel und mit Fibeln zusammengehaltene Mäntel . In der Linken hält die eine Person einen Stab, in ihrer Rechten eine Buchrolle .180 Ungewöhnlich für Mithras-Heiligtümer ist auch eine Szene, die den Gott bei der Jagd darstellt – wie178 Untypisch für Mithräen ist die oberirdische Bauweise des Gebäudes . Reliefs wie Wandbilder halten sich an die Regeln strikter Frontalität . Auch sonst weichen sie von den sonst vom Mithraskult gewohnten Darstellungskonventionen ab: Auf den Kultreliefs (ein größeres, ursprünglich oben, und ein kleineres, ursprünglich unten in der Kultnische angebracht) sind die sonst üblichen Büsten von Sol und Luna durch die im syrischmesopotamischen Raum gebräuchlichen Symbole Venusstern und Mondsichel ersetzt . Ein typisch lokales Merkmal ist auch die Darstellung einer Dedikantengruppe im Kontext der Stiertötung auf dem größeren der beiden Reliefs . Die Namen der Dargestellten (Zenobios, Iariboles, Barnaadath) weisen sie als Angehörige der palmyrenischen Notabelnschicht aus . Zenobios fungierte als sτρατηγός der palmyrenischen Bogenschützen in Dura (170/171 n . Chr .) . Während von den Wandgemälden (schon an sich eine Ausnahmeerscheinung in Mithraea) der mittleren Bauperiode nur kümmerliche Reste erhalten sind, sind die gut erhaltenen Bilder des späten Mithräums eine erstrangige Quelle zum Verständnis der Kultur- und Religionsgeschichte der gesamten Region . Zur Architektur, den Bildwerken und Inschriften: TEAD VII–VIII, 62–134; Deleeuw 2011, 192–194; Gnoli 2016 . 179 So ein Mischwesen (halb Mensch, halb Rabe), das von einem Relief aus Konjica (Bosnien) bekannt ist, oder die Bankettszene, die Mithras und den Sonnengott mit dem erlegten Stier statt an einem Tisch darstellt – eine Komposition, die von einem Relief aus Dieburg bekannt ist . Zum Relief von Konjica Klöckner 2011, 213 . 180 Cumont 1975, 184, deutet die Personen hochspekulativ als Zoroaster und seinen Schüler Osthanes, weil einer von ihnen, wie Mani in der Beschreibung der Actra Archelai des Hegemonius, eine Buchrolle hält: »we may assume that in second- and third-century Syria the founder of a religion was so represented .«

Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit · 339 derum ein Motiv, das sich im parthischen Kulturbereich und entlang der gesamten Steppengrenze großer Beliebtheit erfreute .181 Ein stark beschädigtes Wandbild über der Nische zeigt das geläufige Motiv des Mithra tauroctonus mit einem Altar und sieben Zypressen . Zwei auf den Seitenwänden angebrachte Bilder schließlich zeigen Mithras bei der Jagd . Er sitzt zu Pferd, der Oberkörper ist frontal dargestellt . An seiner Seite hängt ein Köcher mit Pfeilen, in der Linken hält er den Bogen; gerade schickt er sich an, einen Pfeil zum Schuss vorzubereiten . Das Pferd ist an den Schultern mit Phalerae geschmückt . Die Tracht des Mithras ist wiederum palmyrenisch-parthisch; auf dem Kopf trägt er die phrygische Mütze . Die Szene ist in Komposition und Ikonographie persischen Darstellungen der königlichen Jagd nicht unähnlich .182 Den Schlussfolgerungen, die bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert Franz Cumont aus seiner eingehenden Analyse des Mithras-Heiligtums zog, ist wenig hinzuzufügen . Für ihn spiegeln der Tempel und seine Wandgemälde originär römisches religiöses Empfinden wider, vermittelt durch die omnipräsente Armee, die stärkste integrierende, romanisierende Kraft des Imperiums .183 Trotz allem war Mithraismus im Reich nicht vollständig uniform . Das Mithräum in Dura-Europos, bis heute eines der wenigen Zeugnisse für die Mithras-Religion im griechischen Osten, steht sinnbildlich für den sich gegen Stereotypisierungen sperrenden Variantenreichtum des Kultes . Wie im Mithraskult der Korpsgeist der römischen Legionen sein religiöses Echo fand, so traten auch lokale Spezifika, in puncto Kleidung, Darstellungskonventionen und religiöse Überzeugungen, an die Oberfläche . Das Mithräum von Dura-Europos repräsentiert nicht mehr und nicht weniger als die spezifisch lokale Variante eines reichsweit verbreiteten Kults, dessen Anhänger eine, wenigstens auf das Römische Reich bezogen, universelle Gottheit verehrten, die im Gegensatz zu den übrigen in Dura verehrten Göttern über keinerlei lokale Basis verfügte . Anklänge an iranische Traditionen verdanken sich mithin nicht einer obskuren, hier möglicherweise stärker gefühlten Nähe zu den zoroastrischen Wurzeln des Mithraismus, sondern schlicht den kulturellen Dispositionen einer Stadt an der Steppengrenze .184 Der proklamierte Universalismus gilt mehr noch für das Christentum, dessen Gemeinde mit der 1931 entdeckten Hauskirche, einer echten domus ecclesiae, über ihr Kultzentrum verfügte (Abb . 8 .12) .185 Wie das Mithräum lag das christliche Gemeindehaus im westlichsten, unmittelbar an die Stadtmauer angrenzenden und später vom Wall verschütteten 181 Elsner 2001, 279 . 182 Ebd ., 192; Gnoli 2016, 141f . Zu persischen Jagddarstellungen (in der Glyptik) Boardman 2000, 159–161 . 183 Cumont 1975, 207: »A military religion, Mithraism was itself like an army .« Vgl . Gordon 2011 . Zum Mithraismus als von ihren Wurzeln im persischen Zoroastrismus losgelöster römischer Militärreligion Beard et al . 1998, Bd . 1, 279f . Zu den persischen Bezügen Gordon 2017 . 184 Elsner 2001, 279f . So ähnlich auch schon Cumont 1975, 205 . Mit Recht betont Cumont (ebd ., 205f .) auch den Gegensatz zwischen Mithraismus und lokaler Religion in Dura-Europos: »This cult had no connection with the religion of the city, whose civil population took little part in its functions .« 185 TEAD V, 238–288; Kraeling 1967; White 1996, Bd . 2, 123–134 .

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Abb. 8.12: Dura-Europos. Baptisterium der Hauskirche, Rekonstruktion (Block M8)

Streifen von insulae, allerdings in dessen südlichem Abschnitt . Und wie das Mithräum war auch die domus ecclesiae ursprünglich ein Privathaus, das sich in nichts von der für Dura charakteristischen Hofhausarchitektur unterschied . Das ursprüngliche Wohngebäude datiert allerdings bereits in die römische Epoche,186 es ersetzte ein älteres Gebäude aus dem 1 . Jahrhundert n . Chr . und wurde, anders als das Mithräum, in einer einzigen Umbaumaßnahme um 241 n . Chr . in den Kultbau verwandelt, der dann keine Wohnungen mehr beherbergte . Kern des Umbaus war, neben einer allgemeinen Verbesserung der Ausstattung, die Zusammenlegung zweier Räume (4A und 4B) im Südwesten des Hauses, wodurch ein Versammlungsraum mit ca . 65 Quadratmetern Grundfläche entstand .187 Gleichzeitig wurde Raum 6 im Nordwesten des Gebäudes in ein Baptisterium verwandelt, mit entsprechenden Installationen, einem Taufbecken aus Ziegeln mit überwölbter Ädikula an der Westseite . Die Bedeutung des heute im Museum in New Haven rekonstruierten Raumes – und damit indirekt der Taufe für die christliche Gemeinde von DuraEuropos – unterstreichen aber vor allem die Wandgemälde . Dass sie sich im Baptisterium 186 Ein Graffito in Raum 4B nennt die seleukidische Jahreszahl 542 (232/233 n . Chr .): Kraeling 1967, 92, Nr . 10 . 187 Ebd ., 1–39 .

Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit · 341 und nicht, wie in der Synagoge und im Mithräum, im Versammlungssaal befanden, ist zweifellos von Bedeutung . Die Lunette der Ädikula nimmt eine Darstellung des Guten Hirten mit seiner Herde ein; eingestreut findet sich in der linken unteren Ecke des Bildes eine Szene mit Adam und Eva mit der Schlange und dem Baum der Erkenntnis: Adam und Eva greifen nach den Äpfeln und bedecken mit Blättern ihre Genitalien .188 Von der ursprünglich narrativen Bildsequenz, die in zwei den Raum umlaufenden Registern visuelle Eindrücke aus dem Leben Jesu vermittelte, haben sich nur kümmerliche Reste erhalten .189 Große Teile des Wandschmucks, besonders im östlichen Teil des Raums, sind um 255 den Abrissarbeiten zum Opfer gefallen, die den Befestigungsarbeiten an der Stadtmauer vorausgingen . Erhalten ist vom oberen Register der Nordwand nur eine multiszenische Darstellung mit der Heilung des Lahmen190 sowie die linke Hälfte eines Bildes, das Jesus und Petrus zeigt, wie sie über das Wasser laufen .191 Die Darstellung der Wundertaten, die vermutlich den gesamten oberen Fries der Nordwand beanspruchten, fiel den von Süden eintretenden Besuchern unmittelbar ins Auge . Sie war daher vermutlich ein zentrales Element in der visuellen Botschaft des Baptisteriums . Das untere Register der Nord- und Ostwand füllt die Darstellung einer Prozession von Frauen . Zu sehen ist, ganz links auf der Nordwand, eine große gebäudeartige Struktur, dargestellt in Weiß mit Satteldach und Weinranken an den Giebeln . Statt Akroteren krönen die Ecken gelbe, elfzackige Sterne . Die Szene setzt sich nach rechts auf der Nord- und Ostwand fort: Neben der weißen Struktur steht, dargestellt in frontaler Perspektive, eine Gruppe von vier Frauen, die in den Händen Fackeln und Gefäße halten . Die Kleidung – langärmelige Chitone ohne Obergewänder – erinnert an Frauenkleider in der palmyrenischen Grabplastik . Den Zug der Frauen unterbricht die fragmentarisch erhaltene Abbildung einer geöffneten, holzgetäfelten Tür, auf der Ostwand sind nur noch die Fußpaare einer Gruppe von fünf weiteren Frauen erhalten . Der Zug wurde in der Forschung meist als Darstellung der Klageweiber am offenen Grab Jesu gedeutet . Allerdings scheitert diese Interpretation an einer Reihe von Widersprüchen: Vor allem wäre das Grab – angenommen bei dem Gebäude handelt es sich wirklich um einen Sarkophag – nicht offen . Wahrscheinlicher ist daher, dass der Fries eine Hochzeitsprozession von Frauen darstellt, wie sie sich in der Vorstellungswelt des frühen Christentums oft mit Taufzeremonien verknüpfte .192 Den Platz neben den beiden Türen in der Südwand füllen Darstellungen Davids und Goliaths sowie, ganz in der Südwestecke des Raumes, der Samaritanerin am Brunnen . Das Bild der Frau am Brunnen ist insofern bemerkenswert, als es die sonst in Dura gülti188 Wharton 1994, 51: »[…] like a marginal note« . 189 Zusammenfassend Peppard 2011 . 190 Matth . 9:1–8: Jesus, in einen Chiton gehüllt, streckt dem auf einem Bett ruhenden Lahmen seine Hand entgegen; der Lahme steht auf und trägt sein Bett auf dem Rücken; vgl . Kraeling 1967, 57–61; Peppard 2011, 171f . 191 Matth . 14:22–33: Im Hintergrund ist ein Schiff zu sehen, dessen Passagiere ungläubig zuschauen: Kraeling 1967, 61–65; Peppard 2011, 171f . Der Erhaltungszustand ist schlecht . 192 Für Kraeling 1967, 72–80, handelt es sich bei den Frauen um Klageweiber . Dagegen jetzt, mit überzeugenden Argumenten, Peppard 2011, 172–178 .

342 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at gen Darstellungskonventionen wenigstens partiell durchbricht: Die Person ist nicht frontal dargestellt, sondern ansatzweise im Profil, bezogen auf das Gefäß, mit dem sie Wasser aus dem Brunnen schöpft . Außerdem heben sich unter dem knielangen Gewand deutlich die Konturen ihres Körpers ab .193 Die einzelnen Bilder trennen Ornamente, die im Dura der Mitte des 3 . Jahrhunderts quasi-kanonische Geltung beanspruchen konnten . Die Fläche wurde, um die narrativen Bilderfolgen anbringen zu können, in Register und einzelne, vertikal voneinander abgetrennte Felder unterteilt . Als Trennlinien fungierten aus drei Elementen zusammengesetzte Bänder, als Rahmen für die Bilder monochrome schwarze und rötlich-braune Bänder, wie sie bei praktisch allen multiszenischen Darstellungen in Dura vorkommen . Anders als in der Synagoge sind aber die Bilder im Baptisterium fast immer nur oben und unten von Bändern eingerahmt .194 Die christliche Gemeinde von Dura scheint in engem Zusammenhang mit der Etablierung des Christentums im nördlichen Mesopotamien auch an anderen Orten entstanden zu sein . In Edessa sind Christen um die Wende vom 2 . zum 3 . Jahrhundert n . Chr . bezeugt, in Arbela, östlich des Tigris, vielleicht sogar noch rund 100 Jahre früher .195 Die Ausbreitung des Christentums auf römischem wie auf parthischem Territorium scheint eine tragende Rolle der römischen Armee als Transmissionsriemen auszuschließen . Offenbar fand das missionarisch äußerst aktive Christentum Mittel und Wege, eine eigene, grenzüberschreitende Infra- und Kommunikationsstruktur aufzubauen . Die Rekrutierungsbasis für ein christliches Proselytentum lieferten möglicherweise die zahlreichen jüdischen Gemeinden der Region . In Dura-Europos scheinen partiell andere Mechanismen am Werk gewesen zu sein . Die dürftigen onomastischen Informationen, die den sicher in die christliche Nutzungsphase zu datierenden griechischsprachigen Dipinti zu entnehmen sind, legen – mit den Namen Paulos und Proklos, die sonst nur in der Garnison vorkommen – nahe, dass Soldaten der Garnison in der christlichen Gemeinde vergleichsweise stark repräsentiert waren . Typisch für das lokale Milieu ist allein der Name Siseos .196 Auf eine nicht wesentlich vom Versammlungsgebäude der Christen sich unterscheidende Baugeschichte blickt das religiöse Zentrum der jüdischen Gemeinde von DuraEuropos zurück . Wie die Hauskirche entstand auch die Synagoge in einem Privathaus, das sich in Block L7 befand, ebenfalls am westlichen Stadtrand (Abb . 8 .13) . Die Konversion in ein Gotteshaus fand hier offenbar kurz nach dem Ende der parthischen Herrschaft statt .197 Ob in Dura bereits zuvor Juden ansässig waren und ob das Haus gar einer jüdischen Familie als Wohnung diente, wie oft gemutmaßt, ist nicht sicher . Die Anfänge des Juden193 194 195 196 197

Kraeling 1967, 67–69 . Ebd ., 45–49 . Die Authentizität der Chronik von Arbela ist umstritten: Kettenhofen 1995 . Kraeling 1967, 89–100 . Eine entsprechende Datierung suggeriert der mit dem Funktionswandel einhergehende Umbau des Gebäudes, mit einer Anhebung des begehbaren Horizonts auf Straßenniveau . Jetzt zusammenfassend White 1996, Bd . 2, 277 .

Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit · 343

Abb. 8.13: Dura-Europos. Synagoge und Haus (Block L7)

tums in Dura liegen, wie jene des Christentums, vollkommen im Dunkeln . Das Haus wies alle typischen Elemente lokaler Wohnarchitektur auf: den zentralen, von der Straße durch ein Vestibül zugänglichen – und bei der Umwandlung zur Synagoge teilweise gepflasterten – Hof und die umlaufenden, vom Hof aus zu erreichenden Räume, darunter ein Raum mit vierseitig umlaufenden Sitzbänken, ein sogenannter Diwan (Raum 4) . Nach der Umgestaltung erhielten die Räume 2 und 7 den Charakter von Versammlungsräumen, gleichfalls mit umlaufenden Sitzbänken; der größere Raum 2 enthielt allem Anschein nach als weitere Installation eine Ädikula mit Toraschrein . Mit dem erneuten Umbau 244/245 n . Chr . machte das ursprüngliche Haus einem Neubau Platz, der aus einem, nun erheblich größeren, Versammlungssaal sowie einem an drei Seiten von Portiken eingefassten rechteckigen, offenen Vorhof bestand . In die Struktur der Synagoge wurde zugleich das westlich angrenzende Haus H einbezogen, das nun den Zugang zum Versammlungssaal samt Vorhof eröffnete . Haus H wurde mit der funktionalen Umwidmung erheblich umgestaltet und zerfiel jetzt in zwei klar voneinander abgetrennte Bereiche: den ›öffentlichen‹ Zugangsbereich zur Synagoge – eine Flucht von mehreren Räumen – und einen ›privateren‹ Bereich abseits dieser Flucht . Inwieweit allerdings Konzepte wie ›öffentlich‹ und ›privat‹ für die Synagoge überhaupt Gültigkeit beanspruchen können, steht dahin . Wie Haus H in den Besitz der jüdischen Gemeinde gelangt war, ist nicht feststellbar . In jedem Fall dokumentieren seine Einbeziehung in

34 4 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at den Kultbereich und die mit ihr verknüpfte erhebliche Vergrößerung der Synagoge das Wachstum der Gemeinde seit Errichtung des ersten Gotteshauses .198 Der Versammlungsraum grenzte unmittelbar an die Straße an, die zwischen Block L7 und der Stadtmauer verlief, und lag, weil sich deren Begehungsniveau seit Errichtung des ursprünglichen Wohnhauses erheblich erhöht hatte, drei Meter tiefer als die Straße – ein Umstand, dem die Wandbilder maßgeblich ihre Erhaltung verdanken . Der gesamte Raum war von Bänken umgeben, in der Westwand war mittig eine Ädikula für den Toraschrein angebracht . Die Decke war mit gebrannten Tonkacheln verziert, mit verschiedenen figürlichen Darstellungen von Menschen, Tieren und Pflanzen . Sechs der Kacheln tragen Inschriften, die an Personen erinnern, die mit der Errichtung der Synagoge in Verbindung standen . Weitaus bemerkenswerter als der Bau an sich ist die reiche Ausschmückung des Versammlungsraums mit figürlichen Wandgemälden, die, wie im Mithräum und in der do­ mus ecclesiae, auf eine Schicht trockenen Gipses aufgetragen wurden . Alle vier Wände des Raums waren ursprünglich mit Gemälden bedeckt, die durchweg in drei Friesen über einem Dado aus geometrischen Feldern mit Masken- und Tierdarstellungen angeordnet und durch Zierleisten voneinander abgetrennt waren . Erhalten sind jene Teile, die durch die Konstruktion des, von West nach Ost abfallenden, Walls zur Verstärkung der Stadtmauer verschüttet wurden: nahezu die gesamte Höhe der Westwand, ungefähr die Hälfte der Figurenfriese der Südwand, Teile des unteren und mittleren Frieses der Nordwand und geringe Reste des unteren Frieses der Ostwand . Angelpunkt der ›Komposition‹ – sofern sich von einer solchen sprechen lässt – ist die Ädikula des Toraschreins in der Mitte der Westwand (Abb . 8 .14) . Auf der Ädikula ist, als korinthischer Prostylos ohne Giebel, der Tempel dargestellt; rechts daneben das Opfer Isaaks . Die zentrale Fläche oberhalb des Schreins schmückte zunächst der in der religiös-ikonographischen Tradition Vorderasiens mit erheblicher Symbolkraft ausgestattete Lebensbaum,199 der indes später einem Darstellungsschema wich, in dessen Mittelpunkt David, und mit ihm die Idee eines einigen Israel, stand . Zwei große, übereinander angeordnete Bilder nehmen den Mittelteil ein, flankiert links und rechts von je zwei Darstellungen von Propheten, respektive Mose, im oberen linken Bildfeld . Wie viele Bilder der Synagoge, so ist auch das untere Feld eine multiszenische Darstellung, in der mehrere Elemente eines Handlungsstrangs verschmelzen . Der untere Bildteil zeigt die Segnung der 12 Söhne und zwei Enkel Jakobs in Ägypten;200 der obere einen Musiker in ›parthischer‹ Tracht, mit phrygischer Mütze, Kaftan, Hose und 198 Die enge architektonische Verflechtung der ›neuen‹ Synagoge mit dem angrenzenden Haus C hat Spekulationen Nahrung gegeben, dass dieses Wohnhaus von Juden bewohnt gewesen sein könnte: ebd, 284 . 199 Das Motiv wurde mehrfach verändert: Zunächst kamen als weitere Elemente ein Löwe und David, der verheißene König Israels, dargestellt auf einem Thron, in ›parthischer‹ Tracht und mit ausgestreckter rechter Hand, hinzu: Kraeling 1956, 217–220 und Tafel XXXIII . 200 Gen . 48–49 .

Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit · 345

Abb. 8.14: Dura-Europos. Versammlungssaal der Synagoge. Systematik der Wandbilder: Westwand (oben), Südwand (unten links), Nordwand (unten rechts). Die Bilder der Ostwand sind überwiegend zerstört.

Stiefeln . Da die persische Tracht in den Darstellungen der Synagoge allgemein Königen und Hohepriestern vorbehalten ist, haben wir in dem Musiker wohl erneut David vor uns, in dessen Person sich die Prophezeiung aus Genesis 49 erfüllte .201 Das obere Bildfeld stellt David in der nämlichen Tracht als thronenden König über Israel dar .202 201 Kraeling 1956, 224 . 202 Ebd ., Tf . XXXV .

346 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at

Abb. 8.15: Dura-Europos. Synagoge. Szene WC 2: Der Triumph Mordechais

Zur zentralen, die staatliche Einheit Israels in den Mittelpunkt rückenden Bildleiste wie zu einem visuellen Kulminationspunkt hinlaufend, entfalten sich auf den Ebenen der drei Friese die übrigen narrativen Darstellungen . Der untere Fries (C) zeigt, zum Toraschrein hin von links nach rechts gelesen, nacheinander (zunächst auf der Südwand) Elias in Zarapeth und Cherith (SC 2), das Opfer der Propheten Baʿals (SC 3) und schließlich Elias’ Gebet (SC 4), sodann (auf der Westwand) die Wiederbelebung des Sohnes der Witwe durch Elias (WC 1) und die Esther-Geschichte mit dem Triumph Mordechais (WC 2, Abbildung 8 .15) . Die politische Signifikanz der Mordechai-und-Esther-Geschichte im Kontext dieser jüdischen Gemeinde in einer Stadt, die Roms Außenposten in seiner letzten Verteidigungslinie gegen das Perserreich der Sasaniden war, ist schwerlich zu ermessen . Der Perserkönig sitzt im kostbaren Ornat auf einem durch mehrere Stufen erhöhten Thron, der siegreiche Mordechai übergibt ihm ein Schreiben (oder empfängt er es?) . Drückt sich hier heimliche Sympathie der Juden für das östliche Reich jenseits der Grenzen Roms aus? Scheint hier ein Bewusstsein imperialer Kontinuitäten auf? Wir wüssten zu gerne, mit welchen Augen die Juden von Dura-Europos die Bilder in dieser Hinsicht betrachteten .203 203 Allerdings stieß der Zyklus offenbar auf das Wohlgefallen der persischen Besucher, wie Graffiti bekunden: Fine 2014, 115 .

Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit · 347

Abb. 8.16: Dura-Europos. Synagoge. Szene WC 3: Die Salbung Davids

Jenseits aller reichspolitischen Brisanz hatte die Episode des Esther-Buchs aber für die Juden von Dura noch eine weitere, ganz konkrete Bedeutung, ruft sie doch eindringlich den Kampf einer religiösen Minderheit um Selbstbehauptung gegenüber einer weltlichen Macht – und die Möglichkeit, ihn siegreich zu bestehen – ins Bewusstsein . Von der religiösen Behauptung des Judentums gegen feindliche Mächte handelt auch die vorausgehende Bildsequenz mit Elias . Man sieht das wirkungslose Opfer der BaʿalsPropheten auf dem Berg Karmel, mit je vier um ihre Fassung ringenden Priestern in griechischen Gewändern zu beiden Seiten des Altars, während eine Schlange zu Füßen des Götterbildes kriecht; sodann das durch Elias’ Gebet entfachte Feuer, welches das Opfertier, einen weißen Stier, einhüllt . Der Fries setzt sich, zur Rechten des Toraschreins, mit einer Szene (WC 3, Abb . 8 .16) fort, in deren Mittelpunkt die Salbung Davids durch Samuel steht; es folgt eine längere Sequenz mit Darstellungen aus der Kindheit Moses, mit der Auffindung des Kindes durch die Tochter von Pharao, und vom Hof Pharaos (WC 4); schließlich (nun auf der Nordwand) die Visionen Ezekiels von der Zerstörung und Wiedergeburt Israels (NC 1, Abb . 8 .17) . Die Bilder auf der Ostwand sind nur fragmentarisch erhalten, stellten aber wohl eine Schlacht (EC 1) und den Fall Babylons (EC 2) dar . Um das zentrale Heiligtum Israels kreisen die Darstellungen des Mittelfrieses (B): die Prozession mit der Torarolle (SB 1, fragmentarisch), der Brunnen von Beʾer (WB 1), die

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Abb. 8.17: Dura-Europos. Synagoge. Szene NC 1: Die Prophezeiung Ezechiels

Weihung der Bundeslade (WB 2), der Tempel (WB 3), die Torarolle im Land der Philister (WB 4) und die Schlacht von Eben-Ezer (NB 1) . Bemerkenswert ist die Darstellung der Bundeslade in den Bildern WB 1 und WB 2: Beide zeigen einen römischen Tempel, am ehesten einen Peripteros, mit Giebel, Satteldach, korinthischen Säulen und Akroteren in Form kleiner geflügelter Viktorien . Neben der Lade steht eine durch ihre Größe herausgehobene Person in ›parthischer‹ Kleidung, die durch die griechische Legende eigens als ΑΡΩΝ ausgewiesen ist . Die Lade umringen vier weitere, kleiner dargestellte Personen, Aarons vier Söhne .204 Der Toraschrein befindet sich in einer Ädikula, die unter dem Giebel der Tempelstirnseite zu schweben scheint . Vor dem Tempel sind eine Menora, zwei Thymiaterien und ein Altar abgebildet . Links unten im Bild führt eine männliche Person in ›parthischer‹ Tracht, offensichtlich ein Priester, mit dem Beil in der Hand einen Stier, das Opfertier, herbei . Fast den gesamten Vordergrund nimmt eine stilisierte, von Zinnen gekrönte Temenosmauer mit drei, je zweiflügligen Toren ein; vor dem mittleren Tor weht ein Vorhang . Auffallend ist die Darstellung des zentralen Heiligtums, gerade nicht als mobiles Bundesheiligtum, wie es das Buch Exodus will, sondern als vitruvischer, wenn auch in vielerlei 204 Exod . 40; Lev . 7f .

Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit · 349 Hinsicht typisch ›orientalischer‹ Temenostempel . Es ist dies der Typus Heiligtum, dessen man im römischen Orient allenthalben ansichtig werden konnte – wiewohl pikanterweise gerade nicht in Dura, wo Heiligtümer nicht dem klassischen, sondern dem lokalen, vorhellenistischen Bauschema folgten . Die Mobilität der Bundeslade war für die Künstler, die denselben Tempel einmal bei der Weihung auf dem Sinai, dann hinter dem Brunnen von Beʾer, im Negev, zeigten, offensichtlich irrelevant; das Kriterium geographischer Logik stand an Bedeutung hinter dem Bemühen zurück, den Betrachtern vertraute Elemente sakraler Architektur zu präsentieren . Bemerkenswerterweise griff man dazu nicht auf die in Dura fest verwurzelte Tradition des mesopotamischen Hofhaustempels, sondern auf das ›imperiale‹, lediglich um einige regionale syrisch-mesopotamische Spezifika angereicherte Modell explizit römischer, vitruvischer Sakralarchitektur zurück, das in Dura nirgends repräsentiert war . Dasselbe gilt, mutatis mutandis, für die Darstellung des Salomonischen Tempels in Jerusalem (WB 3): Auch er ein korinthischer Peripteros mit zinnenbekrönter Temenosmauer und Akroteren in Form geflügelter Viktorien, verkörpert er noch detailreicher die regionale Variante römischen Tempelbaus . Das breitere Interkolumnium vor dem Cellaeingang und der dreitorige Zugang zum Temenos, mit größerem Mitteltor, sind Merkmale, die unmittelbare Parallelen in Sakralbauten in Palmyra, im Ḥaurān und in der Biqāʿ-Ebene haben .205 Die Bilder des oberen, insgesamt am schlechtesten erhaltenen Frieses kreisen, soweit erkennbar, um Schlüsselszenen für die Genese jüdischer Identität: den Traum Jakobs in Beth-el (NA 1), den Exodus aus Ägypten (WA 3) und den Besuch der Königin von Saba am Hofe Salomos (WA 2) . Die Darstellung des Exodus und der Durchquerung des Roten Meeres bildet das größte Einzelbild des gesamten Raumes und nimmt außerdem die prominenteste Stellung ein: direkt gegenüber dem Eingang und unmittelbar neben der ›Mittelleiste‹ über dem Toraschrein . Wieder handelt es sich um eine multiszenische Darstellung, die ein komplexes, mehrere Stationen umfassendes Geschehen wiedergibt . Es reicht von der selektiven Schilderung der Sieben Plagen über den Auszug der Israeliten aus Ägypten, geführt von einem überdimensionalen Mose im Chiton und mit einem Stab in der Rechten, und die Ankunft am Roten Meer bis hin zur Vernichtung der Ägypter unter den sich schließenden Fluten . Um das Finale furioso noch zu betonen, wurde die chronologische Reihenfolge der von rechts nach links sich entwickelnden Sequenz aufgegeben und der Untergang der Ägypter in die Mitte gerückt .206 Zwei Elemente kehren im visuellen Programm der Synagogen-Wandbilder immer wieder: die gemeinsame genealogische und religiöse Basis der Judenheit, verkörpert im ›Bund‹ der Stämme mit Gott wie untereinander, in der Bundeslade, im Tempel, in der monarchischen Tradition des davidischen Reichs sowie in Figuren wie Samuel (bei der Salbung Davids), Mose (in der Durchquerung des Roten Meers) und Abraham (am 205 Sommer 2006, 19f . Vgl . jetzt auch Rajak 2011, 149 . Reiches Vergleichsmaterial bei Ball 2000, 317–356 . 206 Goodenough 1964, Bd . 2, 119f ., hält Mose für einen ikonographisch adaptierten Herakles und daher den Stab für eine Keule; vgl . auch Rajak 2011, 143f .

350 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at Brunnen von Beʾer), und ihre im Monotheismus wurzelnde Andersartigkeit gegenüber ethnisch-religiösen Mehrheiten in der Fremde, manifest in der Elias-Geschichte und im gescheiterten Opfer der Baʿals-Propheten, dem Auszug der Israeliten aus Ägypten und in der Mordechai-und-Esther-Geschichte am Hof des Ahasverus . Das in einer Fülle von Variationen durchgeführte Hauptthema des Zyklus sind demnach Identität und Alterität, die elementaren Grunderfahrungen einer Diaspora-Minderheit: Gegenstand der Bilder ist nicht mehr und nicht weniger als die, in biblische Metaphern transformierte, Alltagswirklichkeit der Juden in Dura-Europos, am mittleren Euphrat und, so darf man hinzusetzen, im römischen Mesopotamien generell .207 Die Wandgemälde konstituieren, in aller Subtilität, einen Kommentar zu biblischen Themen, einen Midrāš eigenen Rechts . Genau wie die gelehrte Literatur der Rabbinen beziehen sie das ›Buch‹, die Tora, bzw . mündlich tradierte Varianten, auf eine bestimmte Lebenswirklichkeit im Kontinuum von Zeit und Raum . Sie bildeten, darin den Wandfresken mittelalterlicher christlicher Gotteshäuser vergleichbar, eine interpretative Brücke zwischen dem Text und der Gemeinde, die sich im Saal versammelte . Die Notwendigkeit, sich (wie Mordechai und Esther) mit säkularen, nicht-jüdischen Autoritäten ins Benehmen zu setzen oder (wie Elias) nicht-jüdischen religiösen Riten einen Platz im Deutungsmuster der eigenen, monotheistischen Religion zuzuweisen, hatte für den Alltag der Juden von Dura-Europos ebenso große Bedeutung wie die Erinnerung an einen gemeinsamen territorialen Bezugspunkt, die verlorene Heimat Israel . So wie die Ausrichtung der Synagoge nach Westen, gen Jerusalem, weist, so deuten ihre Bilder auf Eretz Israel als kollektive, wenn auch konstruierte und allegorisierte Heimat der Juden .208 Die Gemeinde in der Diaspora bedarf der kontinuierlichen Selbstvergewisserung und der Erinnerung an mit anderen in der Zerstreuung lebenden Juden geteilte Traditionen . Sie bedarf nicht minder des fortwährenden Ziehens symbolischer Grenzen zwischen der eigenen Kommunität und der sie umgebenden Mehrheit, und das hieß bei einer monotheistischen Minderheit inmitten einer polytheistischen Gesellschaft hauptsächlich: Abgrenzung von paganen Kulthandlungen, die das religiöse Leben der Mehrheit wesentlich konstituierten . So, wohl nicht als generelle, wiewohl als diffuse Opposition gegen die römischen Herren, erklärt sich die evidente Polemik gegen pagane Opferhandlungen .209 Dass die Polemik gerade nicht auf Rom, sondern auf die Kulte der unmittelbaren Nachbarn vor Ort zielt, legen auch die auf den ersten Blick als widersinnig erscheinende Darstellung 207 Sommer 2006; Sommer 2007, 92f . 208 Fine 2014, 113–115, unterschlägt in seiner sonst interessanten Betrachtung des Frieses diese lokale Dimension der Bilder . 209 Elsner 2001, 299f ., der zutreffend bemerkt, dass die Bildwerke der Synagoge in Dura insofern einzigartig sind, als sie aktiv das Scheitern anderer Kulte im direkten Vergleich mit dem eigenen (Elias-Szenen) zeigen . Ob aber, wie Elsner (ebd ., 300) anmerkt, »Roman dominion […] was the factor underlying the babble of tolerated, conflicting voices whose very capacity to articulate their differences from each other and from the center depended on the center’s strength and well-being«, mag man angesichts der doch starken lokalen Verwurzelung der paganen Kulte in Dura bezweifeln .

Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit · 351 des Salomonischen Tempels entsprechend den Normen römischer Sakralarchitektur und die noch paradoxer anmutende Abbildung der Bundeslade nach den gleichen vitruvischen Konventionen nahe: In einer Stadt, in der kein paganer Tempel der Reinform eines korinthischen Peripteros auch nur nahekam, war gerade die – und wenn nur symbolische – Selbstidentifikation mit der architektonischen Tradition des Zentrums ein Akt der Abgrenzung . Die Betonung von Identität und Alterität – Integration und Abgrenzung – teilt die Synagoge grundsätzlich mit dem Baptisterium in der domus ecclesiae, wo die einzelnen Aspekte indes weniger deutlich zutage treten . Bereits der Ort, wo die Wandbilder im Gemeindehaus der Christen zu sehen sind, verweist auf den Dreh- und Angelpunkt frühchristlicher religiöser Identität: die Taufe . Sie, und nicht wie im Judentum die Genealogie, stiftet Gemeinschaft . So waren es denn für die Christen auch nicht die paganen Kulte, von denen sie sich hauptsächlich abzugrenzen hatten, sondern eben das in Dura so erfolgreiche Judentum . Man mag die auch im fragmentarischen Befund erkennbare klare Dominanz neutestamentlicher Themen im Zyklus des Baptisteriums als Beleg für eine gewisse Reserve gegenüber den heiligen Texten der Juden werten – oder gegenüber dem, was davon in Dura, mündlich oder schriftlich, kursierte . Die Glaubensbasis der Christen bildeten, daran lässt das Bildprogramm des Baptisteriums keinen Zweifel, die Evangelien . Sie sind funktional das Pendant zum Eretz Israel der Juden und so gleichsam das virtuelle Heimatland der Christen, die mit der Fiktion von der Abstammungsgemeinschaft auch die Fiktion eines gemeinsamen geographischen Ursprungs verworfen haben . Anders liegen die Dinge beim Mithräum . Im Unterschied zu Juden und Christen rekrutierten sich – im Wortsinn – die Mithras-Anhänger aus einer beruflich homogenen Gruppe, die per se über ein außerordentlich hohes Maß an Gemeinschaftssinn verfügte, dem Militär . Als Militärreligion hatte der Mithras-Kult, wie Cumont treffend bemerkt, selbst Militärcharakter angenommen . Im Fall der mithrasgläubigen Militär-Diaspora war das virtuelle Heimatland, ganz konkret und jederzeit präsent, die Armee, die Einheit, die Gemeinschaft der Kameraden . Die Lebensbedingungen der Soldaten waren, ob sie nun an Rhein und Donau, im Norden Britanniens oder eben an Euphrat und Ḫābūr stationiert waren, überall, wenn nicht identisch, so doch vergleichbar . Der Bedarf, einen eigens auf die spezifische Situation der Kultanhänger in Dura-Europos zugeschnittenen Zyklus zu entwerfen, war entsprechend gering . Dafür stand, anders als bei Christen und Juden, zur Mitte des 3 . Jahrhunderts bereits ein reichsweit nahezu vollständig kanonisiertes Bildprogramm zur Verfügung . Immerhin schlichen sich aber auch hier bemerkenswert viele Besonderheiten ein, die sich lokalen Traditionen verdankten, man denke nur an den jagenden Mithras . Damit sind wir bei der Ikonologie, den Darstellungsmitteln, den zur Anwendung gebrachten Techniken und schließlich auch den Ausführenden, den Künstlern oder Handwerkern, wie immer man will . Die Bildwerke des Mithräums, des Baptisteriums und der Synagoge standen, wie hier immer wieder betont, in einem lokalen Kontext, dessen Kulte im ikonographischen Befund ebenfalls ihre Spuren hinterlassen haben . Überdies haben

352 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at auch einige wenige nichtreligiöse Bildwerke aus privaten Wohngebäuden überdauert, die für eine vergleichende Betrachtung ebenfalls heranzuziehen sind . Ihre Beziehung unter- und zueinander erschließt sich aber nicht unmittelbar; vielmehr ist jede Analyse eine Rechnung mit vielen Unbekannten, die zwangsläufig auf mehr oder weniger gesicherten Hypothesen aufbauen muss . So ist zu vermuten, dass Bildwerke in polytheistischen Heiligtümern und selbst in Privathäusern in der Regel ›öffentlich‹ waren . Wie diese Öffentlichkeit jedoch im Einzelfall aussah und welche Personenkreise Zugang wozu hatten, lässt sich, bei dem wenigen, was wir über die soziale Organisation der Stadt wissen, nicht hinreichend sicher sagen . Vorsicht dürfte bei Versuchen angebracht sein, aus Pompeji oder Rom bekannte Verhältnisse einfach in den römischen Osten zu transponieren . Auch Bemühungen, über Stil- und Technikanalyse Werkstätten (oder gar einzelne Künstler) zu identifizieren und Rückschlüsse auf die soziale Situation der Produzenten (als ortsfeste bzw . migrierende Künstler) zu ziehen, stoßen – angesichts mangelhafter Abbildungen und des oft problematischen (und nach der Ausgrabung vielfach noch rapide schlechter gewordenen) Konservierungszustandes der Bildwerke – rasch an ihre Grenzen . Vier Bildwerke hat allein der Bēl-Tempel (›Tempel der palmyrenischen Götter‹) beizusteuern . Das Bild in Raum K, im rückwärtigen Teil des Heiligtums, zeigt eine Opferhandlung . Dargestellt ist, in griechischer Kleidung, beim Vollziehen des Opfers und neben einem Thymiaterion stehend, der mutmaßliche Auftraggeber der Arbeit, der Eunuch Otes, laut Beischrift »der Begründer des Raumes« .210 Zu seiner Rechten steht, ebenfalls im Himation, der βουλευτής Iabsymsos . Beide Figuren begleitet je ein – wesentlich kleiner dargestellter – Sklave mit einer Schale in der Hand . Die Adressaten des Opfers, fünf Gottheiten (vier davon männlich, die kaum noch zu erkennende Gottheit ganz links außen vermutlich weiblich) sind im linken Bildteil aufgereiht . Die vier männlichen Gottheiten sind, mit Schilden, Stiefeln, Brustpanzern und Paludamenta, in militärischem Ornat dargestellt und stehen auf Globen . Frontalität der Darstellung, Linienführung, Farbpalette und die Technik, das Bild al secco auf eine Gipsschicht aufzubringen, sind Merkmale, die das Gemälde mit den übrigen Bildwerken aus dem Bēl-Tempel sowie aus Synagoge, Baptisterium, Mithräum und anderen religiösen und privaten Gebäuden teilt . Es ist undatiert, aber sicher dem zweiten Viertel des 3 . Jahrhunderts zuzuordnen .211 Eine Opferhandlung zeigt auch das zweite Bild aus dem als »Pronaos« bezeichneten Raum des ›Tempels der palmyrenischen Götter‹, das den Tribun Iulius Terentius, den Kommandeur der cohors XX Palmyrenorum, inmitten seiner Offiziere und Soldaten an einem Thymiaterion stehend zeigt . Als einzige Figur auf dem Bild ist er durch eine latei210 Cumont 1926, 125, und Pl . 155: Ὀτῆς εὐνοῦχος | ὁ κτίσας τὴν ἐξέδραν . 211 Ebd ., 122–134; Dirven 1999, 300–302 . Zu den Techniken: Colledge 1976, 107; Colledge 1977, 125 . Danach wurde auf die Wand eine einzelne Schicht Gipsmörtel (je nach Region unterschiedlicher Zusammensetzung) aufgetragen . Man ließ den Mörtel trocknen, bevor man die Farben auftrug, die aus pulverisierten Metalloxiden bestanden (während man im Westen, besonders in Italien, Farben aus organischen Materialien al fresco anbrachte) .

Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit · 353 nische Beischrift (Iul . Teren|tius trib .) ausgewiesen; der im Hintergrund stehende Priester Themes und die weiblichen Schutzgottheiten (Tychai) von Palmyra und Dura haben dagegen griechische Beischriften . Die rechte Bildhälfte nehmen die Soldaten ein, in Uniform, aber ohne Panzer, in mehreren Reihen hintereinander angeordnet . Die linke Bildhälfte, vertikal abgetrennt durch einen Standartenträger, ist in zwei Register unterteilt: Unten sitzen die Tychai mit ihren Symbolen212 einander gegenüber . Über ihnen sind nebeneinander, auf zylindrischen Basen stehend, drei weitere Adressaten des Opfers angeordnet, allesamt männliche Gottheiten mit Lanzen und im Militärornat . Das Bild wird eingerahmt von einem einfachen Balken .213 Wie die Kultreliefs des Ḥairān aus dem Tempel der Gaddē bedient sich auch das von Iulius Terentius in Auftrag gegebene Bild der Schutzgottheiten (Tychai bzw . Gaddē), um urbane Identität zu visualisieren . Nur hat die Schutzgottheit von Dura inzwischen Geschlecht und Erscheinung gewechselt; das Modell der Tyche von Antiocheia beherrscht nun beide Personifikationen, der Unterschied, was immer er zur Zeit Ḥairāns bedeutet haben mag, ist aufgehoben . Zur Herkunft und Identität des Iulius Terentius lässt sich wenig sagen; er war Befehlshaber einer hauptsächlich aus Palmyrenern rekrutierten Einheit, aber selbst wohl kaum aus der Oasenstadt stammend . Er wäre sonst der erste Palmyrener mit rein lateinischem Namen . Terentius fiel, wie seine in einem Privathaus in Dura gefundene Grabinschrift verkündet, im Jahr 239 n . Chr .214 Das Bild wird also wohl einige Zeit zuvor entstanden sein . Wieder entsprechen praktisch alle Details der Ausführung dem bereits aus den nur wenig später entstandenen monotheistischen Kultbauten und dem Mithräum Bekannten . Eine, allerdings nicht ganz nebensächliche, Besonderheit ist hier die ›Durchbrechung‹ der Randleiste durch einzelne Bildelemente, namentlich das Feldzeichen des Standartenträgers und die Lanzen der drei Militärgottheiten . Auch die Südwand der sogenannten »Pronaos« ziert ein fragmentarisch erhaltenes Bild . Es stellt eine Opferhandlung dar: Vier Personen, die alle griechische Namen tragen (zwei von ihnen heißen Lysias, einer Apollophanes, ein vierter Zenodotos) und vermutlich miteinander verwandt sind, stehen zwischen spiralförmigen Säulen, vor sich Thymiateria . Der Schöpfer des Bildes, ein gewisser Ilasamsos, hat sich ebenfalls inschriftlich verewigt . Abermals eine Opferszene, doch von ganz anderer Art, ist das vierte Bild aus dem »Naos« genannten Raum des ›Tempels der palmyrenischen Götter‹, das, wie griechische Beischriften erläutern, Konōn, Mitglieder seiner Familie und einige andere Personen darstellt (Abb . 8 .18) .215 Zu sehen ist auf dem 4,25 x 3,80 Meter großen Bild eine Grup212 Die Tyche Palmyras mit der weiblichen Personifikation der Efqa-Quelle und einem Löwen, die Tyche Duras mit der männlichen Personifikation des Euphrat . 213 Breasted 1924, Pl . 21; Dirven 1999, 304–307; Heyn 2011 . 214 TEAD IX 1, 176–185, Nr . 939 . 215 Das Bild wurde unmittelbar nach seiner Entdeckung von James Henry Breasted fotografiert und wenig später unwiederbringlich zerstört . Breasteds nachkolorierte Fotografien sind daher die einzige, keineswegs befriedigende, Grundlage für Arbeiten über das Wandbild .

354 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at

Abb. 8.18: Dura-Europos. Sogenannter BēlTempel. Opferszene: Konōn und seine Familie

pe von elf Personen . Alle Figuren sind in eine pseudo-perspektivische Komposition eingelassen, mit klassischen Architekturelementen wie Architraven und Pilastern als Basis und Hintergrund . Ganz links, an einen Pilaster gelehnt, steht Konōn, Sohn des Nikostratos, bekleidet mit einer langärmeligen weißen Tunika mit rotem clavus, weißen Schuhen und einer roten zylindrischen Kappe . Rechts neben ihm und geringfügig nach vorne versetzt nehmen zwei barfüßige Priester an Thymiateria die Opferhandlung vor . Sie tragen weiße gegürtete Kaftane und konische Kopfbedeckungen . In der Hand halten sie je einen Krug, einen Teller und messerartiges Opferbesteck . Die Aufmachung der Priester gleicht bis auf Haar der einer Gruppe von hatrenischen Statuen, die ebenfalls als Darstellungen von Priestern identifiziert wurden und auch aus dem 2 . Jahrhundert n . Chr . stammen .216 Rechts daneben und wiederum auf einer Ebene mit Konōn sehen wir dessen Gattin, Bithnanaia . Die Frau trägt ebenfalls ein weißes, steif am Körper herabfallendes Gewand, aber reichen Kopf- und Halsschmuck . Von der zylindrischen Kopfbedeckung fällt schleierartig ein roter Mantel herab . Auch hier sind die Bezüge zu Kopfschmuck, wie er aus Hatra,217 Edessa218 und Palmyra219 bekannt ist, unübersehbar . Rechts neben der Göttin 216 Zu den Statuen aus Hatra Dirven 2008 . Unverkennbar auch die Ähnlichkeit mit Darstellungen von Priestern aus Hierapolis-Bambyke (Relief des Priesters Alexander, der ebenfalls barfuß dargestellt ist), aus dem Dorf Babulin nahe Aleppo (Dipinto aus einem Grab) und aus Niha im Libanon (Relief des Priesters Narkisos im Tempel des Hadaranus): Butcher 2003, 330f . (Abb . 151 .2, 151 .3, 152) . Bekanntlich anders ist die Aufmachung palmyrenischer Priester (mit zylindrischen statt konischen Kopfbedeckungen): Raja 2017a . 217 Statue der Abu vor dem Iwan-Komplex; vgl . Sommer 2003a, 25 (Abb . 29) . 218 Sogenanntes »Dreifuß-Mosaik« aus dem 3 . Jahrhundert; vgl . Ross 2001, 95 (Abb . 95 .92) . 219 PAT 0556; Grabrelief der ʾAqmat, Tochter von Ḥagagu: Butcher 2003, 270 (Abb . 118) .

Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit · 355 Abu stehen auf einer Art Podest vier weißgewandete, männliche Personen, alles Söhne Konōns, mit Ölzweigen in den Händen . Vor der Gruppe und außerhalb des architektonischen Rahmens sind drei weitere Figuren, eine davon weiblich, zwei männlich, angeordnet, die aufgrund von Größe und Darstellung leicht als Kinder auszumachen sind . Sie tragen ähnliche Kleidung wie die erwachsenen Angehörigen der Konōn-Familie .220 Der Raum enthält noch andere, nur sehr fragmentarisch erhaltene Wandbilder, darunter die Darstellung eines weiteren opfernden Priesters . Die Datierung des Konōn-Bildes ist umstritten: Während die ältere Forschung das Werk durchgängig in die parthische Herrschaft um 75 n . Chr . datiert,221 setzt die neuere Literatur seine Entstehungszeit erheblich später an, meist im späten 2 . Jahrhundert .222 Eine Datierung ins 2 . Jahrhundert ist angesichts der datierten Parallelbefunde aus Hatra und Palmyra wahrscheinlicher . Wie dem auch immer sei, das Konōn-Bild weist eine Reihe bemerkenswerter Besonderheiten auf und wirft auch ein unverhofftes Schlaglicht auf die späteren Bildwerke aus Dura-Europos . Wie die übrigen paganen Bildwerke unterstreicht es die herausragende Bedeutung des Opfers für die lokalen Religionen . Ikonographie und Ikonologie sind aber grundverschieden – die dunkelhäutigen, fast schon ätherischen Gestalten in ihren weißen Gewändern finden sich sonst nirgends in Dura . Sie verraten aber die konzeptionelle Verwurzelung des Werkes in regionalen Traditionen: Ikonologisch teilt das Bild Elemente mit Rundplastiken aus Hatra und Palmyra, namentlich Bekleidung und Kopfbedeckung hochgestellter Frauen und von Priestern . Das Kunstwerk verrät seine Ursprünge im östlichen Zweig hellenistischer Bildtradition, der vermeintlich ›parthischen‹ Kunst . Mit seinem, freilich nicht konsequent durchgehaltenen, Illusionismus besitzt es allerdings auch Anklänge an geläufige Elemente der westlichen Wandmalerei, man denke an Pompeji . Völlig anders ist freilich der Effekt, der mit den Mitteln perspektivischer Darstellung erzielt werden sollte: Nicht Illusion war offenkundig das Ziel, sondern die adäquate Inszenierung einer Person und vor allem ihres Ranges . Die Perspektive ist nur Mittel zum Zweck und deshalb unvollkommen . Frontalität beherrscht die Darstellung; die Figuren sind auf den Betrachter, nicht aufeinander bezogen . Individualität ist, wie in Palmyra und wie in Hatra, nahezu irrelevant . Die Priester und ihr Opfer stehen buchstäblich im Vordergrund, Konōn selbst tritt ihnen gegenüber etwas zurück, noch weiter nach hinten rückt das Bild die Ehefrau und ganz im Hintergrund stehen die vier jeder Individualität beraubten Söhne . Je weiter hinten die Personen stehen, desto mehr scheinen sie in der Luft zu schweben . Die drei Kinder, in denen man wohl Enkel Konōns sehen darf, sind ganz aus dem hierarchischen Schema, und damit aus der Architektur, herausgelöst . Die Darstellungsabsicht bestimmte die Inanspruchnahme einer bestimmten Ästhetik: Die nicht durchgehaltene Perspektive ist keinesfalls handwerkli-

220 Cumont 1926, 41–54; Wharton 1994, 34–38; Elsner 2001, 276 . 221 Breasted 1924, 92; Cumont 1926, 57 . 222 Perkins 1973, 41; Elsner 2001, 276; Dirven 2016, 80, Anm . 64 . Unentschieden Balty 1989b, 528 .

356 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at chem Unvermögen anzukreiden; ein konsequent illusionistischer Effekt lag schlicht nicht in der Absicht von Ausführenden und Auftraggebern .223 Das Bild ist somit nur ein weiteres Beispiel für die kreative Adaptionsfähigkeit der lokalen Gesellschaft . Sie übernahm ein vorhandenes Repertoire, eignete es sich an und füllte es, entsprechend den eigenen Repräsentationsabsichten, mit neuen Inhalten . Mit der Durchbrechung der Perspektive und ihrer Frontalisierung sowie dem Primat von Rangsymbolen vor individuellen Merkmalen war es aber nicht getan . Das Medium Wandbild bot Spielraum für weitere Anpassungsschritte: Narrative, multiszenische Darstellungen ermöglichten (wie in der Synagoge) die Wiedergabe auch komplexer Handlungsabläufe oder erlaubten es, verschiedene Ebenen – etwa Götter und Opfernde – zueinander in Beziehung zu setzen (wie im Fall des Terentius) . Zugleich wurden letzte Anklänge an veristische Traditionen aufgegeben, Zweidimensionalität wurde nachgerade zum Programm . Damit entfernte sich, ausgerechnet als Rom die Macht am Euphrat übernahm, die Bildersprache Duras endgültig von ihren hellenistischen Wurzeln .224 Die neuen Ausdrucksmittel boten gegenüber ihren Vorläufern unschätzbare funktionale Vorteile: Sie konnten für die Adressaten elementare Botschaften bemerkenswerter Komplexität und Abstraktheit prägnant vermitteln, ohne doch die handwerklichen Fähigkeiten der Ausführenden allzu sehr zu strapazieren . Der nach außen dringende Blick der dargestellten Figuren sprach, und spricht noch heute, den Betrachter und sein Empfinden unmittelbar an . Besonders die religiösen Diasporagruppen machten sich diese Vorzüge im visuellen Wettstreit mit den konkurrierenden Kulten zunutze . Sie nutzten die Wände ihrer Gotteshäuser, um zentrale, Gemeinschaft stiftende Glaubensinhalte visuell mit Grunderfahrungen des lokalen Alltagslebens zu verbinden . So erklären sich möglicherweise auch die Parallelen zu antiker Buchmalerei, auf die Weitzmann hingewiesen hat: Möglichkeiten und Zielsetzungen waren, allen gattungs- und materialbedingten Unterschieden zum Trotz, durchaus vergleichbar .225 Damit stellt sich zwangsläufig die Frage, ob sich der beobachtete Paradigmenwechsel im lokalen, regionalen oder gar im imperialen Rahmen vollzog . Gleichgerichtete Ten223 Als künstlerische Unzulänglichkeit deutet die durchbrochene Perspektive Cumont 1926, 55 . Über die Funktion des Konōn-Bildes im Tempel-Kontext lässt sich natürlich nur spekulieren . Ein privates Bild in einem Heiligtum wirkt, aus der mediterranen Perspektive betrachtet, geradezu verstörend . Im altorientalischen Kontext hingegen hatten, seit dem 3 . Jahrtausend v . Chr ., Beterfiguren und Darstellungen von Opferdarbringern die Funktion, die leibhaftigen Individuen bei der Ausübung des Kults zu ›vertreten‹ bzw . ihre Kulthandlung zu perpetuieren, ohne dass die dauernde Anwesenheit des Auftraggebers erforderlich war . Ohne gleich große transepochale Kontinuitätslinien postulieren zu wollen, mag man hier an eine wenigstens typologische Parallele denken: Orthmann 1975, 175 . 224 Dass, wie von Balty 1989b, 531, hervorgehoben, das Konōn-Bild in elementaren Aspekten – »tant par le contenu que par la forme« – von den späteren Bildwerken abweicht, kann und soll nicht hinwegdisputiert werden . Dennoch ist erkennbar, dass viele der späteren Entwicklungsmöglichkeiten bereits in nuce im Konōn-Bild enthalten waren . Der Illusionismus des Konōn-Bildes überlebte bezeichnenderweise nur im nicht-figürlichen Dekor – dem Marmorintarsien nachempfundenen Dado der Synagoge: Colledge 1977, 120f . 225 Zu den Parallelen auch ebd .

Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit · 357 denzen in der Bildkunst Italiens und des weiteren Mittelmeerraums lassen zunächst an eine reichsweite Entwicklung denken, deren periphere Ausläufer wir in Dura-Europos erahnen können .226 Ein Blick auf die Chronologie beweist indes schlagartig, dass diese Vermutung nicht stimmen kann . In den lokalen Bildprogrammen am mittleren Euphrat hatten sich die von Rodenwaldt benannten Elemente durchgesetzt, lange bevor man in Rom daran dachte, hellenistisch-frühkaiserzeitliche Darstellungskonventionen aufzugeben . Sollte ein Zusammenhang bestehen, dann befand sich der Motor der Entwicklung im Osten, nicht im Westen . Weit wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Künstler in Ost und West, unabhängig voneinander, schlicht mit ähnlichen Mitteln ähnliche Wirkungen zu erzielen trachteten . Auf weniger dünnem Eis als die Konstruktion großräumiger Zusammenhänge bewegt sich eine vergleichende Analyse, die den regionalen Kontext in den Blick nimmt: Erhaltene Bildwerke aus der römischen Kaiserzeit haben, jenseits der Stadtmauern von Dura-Europos, zwischen Orontes und Tigris Seltenheitswert, aber es gibt sie . Die geographisch am nächsten liegenden stammen aus Palmyra, wo von einem mutmaßlich ehemals reichen Corpus nur eine geringe Zahl von Wandgemälden in Gräbern überlebt hat . Dem Genre der Sepulkralkunst entsprechend, stehen in Palmyra rein dekorative, funktional das Prestige der Grabherren herauskehrende Gesichtspunkte im Vordergrund . Das Tonnengewölbe des ›Grabes der drei Brüder‹, eines Hypogäums, ziert ein abstraktes Muster; auf den Pilastern sind Medaillons mit den Porträts von Familienangehörigen, getragen von Viktorien, Tierzeichnungen und Frauengestalten, angebracht . Die frontale Darstellungskonvention durchbricht nur ein großes Bild in der Lünette, das Apollon zeigt: Hier sind die Figuren aufeinander, nicht auf den Betrachter bezogen, Faltenwurf der Gewänder und Plastizität der Körperkonturen verraten mediterrane Einflüsse . Technik, Farbpalette und Ornamentik aber weisen nach Osten .227 Wandbilder haben auch in Hatra überdauert, wo die Turiner Arbeiten in der Wohnstadt sie 1987 ans Tageslicht beförderten . Dem Kontext entsprechend – der Fundort, ›Gebäude A‹, ist ein Wohngebäude mit herrschaftlichen Abmessungen unweit des Bait Alaha –, hat das wohl aus dem 3 . Jahrhundert stammende Bild, von dem zwei Register erhalten sind, den uraristokratischen Sport der Jagd zum Gegenstand . Das Motiv, mit Kompositbogen schießende Reiter auf Pferden in vollem Galopp, findet sich in Dura-Europos in unge226 Rodenwaldt 1940, 43: »Frontalität, Zentralkomposition, Proportionierung nach der Bedeutung der Personen, Herauslösung der Hauptfigur aus der Handlung oder gar Herabdrücken der Handlung zu einem Attribut der Person .« Insgesamt wird die naturalistische Norm des Hellenismus zugunsten einer stark symbolisch aufgeladenen Formensprache aufgegeben . Zum Wandel der römischen Bildkunst in der späteren Kaiserzeit auch Bianchi Bandinelli 1961, 189–233, sowie Rodenwaldt 1939, 558f .; Balty 1989b, 531 . Wichtig ist der bei narrativen Großreliefs vom Typ der Trajans- und Marc-Aurel-Säule sowie des Severusbogens auf dem Forum Romanum zu beobachtende Trend zu frontalen Darstellungen seit ca . 200 n . Chr .: Sommer 2005a, 343–349 . 227 Zum Problem der Perspektive im »Grab der drei Brüder« Colledge 1976, 130f ., besonders 131: »The device is a simplified version of the Hellenistic Greek painters’ system of receding planes usually called ›stage space‹, also seen in the Dura-Europos Synagogue .« Die deutlichsten Abbildungen noch immer in Kraeling 1961/1962 .

358 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at zählten Varianten: als ›Gelegenheitskunst‹ in Form von Graffiti und Dipinti und als veritable Wandmalerei in einem Privathaus im an die Hauskirche angrenzenden Block M7, gleichfalls aus dem 3 . Jahrhundert . Die Jagdszene aus Dura wirkt weniger kunstfertig als ihr hatrenisches Pendant, aber beider Ikonographie entspricht bis ins Detail einem Kanon, der weit bis ins Sasanidenreich hinein verbreitet war und dort geradezu als Hofkunst gepflegt wurde .228 Abermals zeigt sich, welch geringe Bedeutung politische Grenzen für die Verbreitung einer bestimmten Ästhetik hatten . Dasselbe gilt für alle Aspekte kultureller Semantik . Zum Vergleich bieten sich schließlich als verwandte Gattung auch Mosaiken aus der Region an, obwohl aus Dura-Europos keine Mosaiken erhalten sind . Sie zerfallen in zwei Gruppen, die in Stil und Komposition regelrechte Antipoden bilden: Von Antiocheia strahlte ein Typus aus, den eine eingehende Studie als kaleidoskopartige Bandbreite von Reaktionen auf römische Herrschaft beschrieben hat, im Zuge derer die Konzepte von Zentrum und Peripherie immer wieder gebrochen und auf den Kopf gestellt worden seien .229 Die Ikonographie des Bodenschmucks herrschaftlicher Häuser in der nordsyrischen Stadt spannte ein ursprünglich hellenistisches und dann durch die Römer im ganzen Mittelmeerraum verbreitetes Medium, das Mosaik, und griechische Mythen als Inhalte ein für die Repräsentation lokaler Oberschichtidentität . Die polychromen Emblemata, in denen sich ein bildhaftes Mittelstück mit einem ornamentalen Rahmenwerk verbindet, zitieren wörtlich die Formensprache der Vorbilder, die Botschaften und Lesarten, die vermittelt werden, aber sind andere, ›geschrieben‹ und gedeutet für ein lokales Publikum, das ein Gutteil seines Selbstwertgefühls aus der griechischen παιδεία bezog, die örtliche Oberschichtangehörige mit der Muttermilch aufsogen . Die Mosaiken sind, bei aller Ähnlichkeit, die sie reflektieren, Ausdruck der kulturellen Kluft zwischen lateinischem Westen und griechischem Osten, zwischen Italien und der Metropolis des Ostens .230 Die zweite Gruppe syrisch-mesopotamischer Mosaiken hat mit den Stücken aus Antiocheia nur das Medium gemein . Das Hauptmotiv fehlt ganz: Den Mythos als gemeinsame kulturelle Grundlage zitierende Emblemata kennen die östlichen Mosaiken nicht . Hingegen sind die Parallelen zu den Bildwerken aus Dura-Europos unübersehbar, die konstitutiven Elemente wohlbekannt: Verzicht auf Verismus und Zweidimensionalität, strenge Frontalität, Zentralperspektive, nach Bedeutungsgrad variierende Größe der Figuren, Wiedergabe von Konturen als kräftige Linien, multiszenische Darstellungen, Teilung von Bilderzyklen in Register .231 Die Bilderwelt dieser Mosaiken entstammt nicht dem griechischen Mythos, sondern einem Kanon, der in der gesamten Steppengrenze gattungs228 Bekannt ist eine sasanidische Silberschale, die vermutlich Chosroes I . darstellt . Abbildung in von der Osten 1956, 281 . 229 Hales 2003, 190: »[…] a kaleidoscopic range of reactions which reflect a continually changing understanding and manipulation of ideas of centre and periphery .« 230 Ebd ., 182f . Zur Funktion der Emblemata in griechischen Kontexten Vorderasiens Butcher 2003, 316–318 . Allgemein zu römischen Mosaiken in Syrien Balty 1989a, 505–507 . 231 Für eine knappe Würdigung der edessenischen Mosaiken Ross 2001, 111–113, Abb . 5 .1, 5 .2, 5 .3, 5 .4, 5 .6, 5 .7 .

Religiöse Gemeinden im visuellen Wettstreit · 359 übergreifend fest verwurzelt scheint . Das Totenmahl mit dem auf einer Kline ruhenden Grabherrn ist in der Sepulkralplastik Palmyras weit verbreitet;232 die Opferhandlung im Familienkreis233 und das ›Familienporträt‹234 haben unmittelbare Parallelen am mittleren Euphrat . Insofern fällt es leicht sich vorzustellen, wie Mosaiken aus Dura-Europos aussähen, gäbe es sie denn . Der syrisch-mesopotamische Raum zerfällt entlang einer zwar durchlässigen, doch markanten imaginären ikonographisch-ikonologischen Scheidewand in zwei Zonen: hier der von Antiocheia aus beeinflusste Bereich der Emblemata-Mosaiken, dort die regionale Tradition einer thematisch ganz anders ausgerichteten figuralen Frontalität .235 Unschärfen und Überschneidungen ergeben sich von selbst aus der Pluralität der Gattungen: Hätten wir aus Palmyra nur die Mosaiken, erschiene uns seine materielle Kultur weitaus ›mediterraner‹, als es so, mit vielen anderen Artefaktkategorien, der Fall ist .236 Der antiochenische Mosaik-Typus war offensichtlich ein erfolgreicher Exportartikel: Nicht nur in Nordsyrien und Palmyra, sondern auch in Zeugma237 und selbst in der Persis, in Šābuhrs neuer Residenzstadt Bišābuhr,238 förderten Grabungen repräsentative Beispiele ans Licht . Die Technik verbreitete sich vermutlich mit aus Nordsyrien angeworbenen – respektive in den persischen Machtbereich deportierten – Arbeitskräften .239 Die Bilderwelt von Dura-Europos bildet, so viel sollte der knappe Überblick demonstriert haben, die lokale Spielart eines regionalen Kunstschaffens, das in mehr als einer Hinsicht mit über Antiocheia vermittelten griechisch-römischen Paradigmen überlappte, auch mit ihnen in wechselseitiger Beziehung stand, insgesamt aber eine Gegenwelt zum mediterranen Syrien konstituierte . Entsprechend inadäquat ist die Etikettierung als ›parthische Kunst‹ . Das ikonographische Inventar ist weder Ausdruck historisch-kulturel232 Das sogenannte »Funerary Couch Mosaic«, entstanden ca . 277/278 n . Chr . zeigt einen bärtigen Mann auf einer Kline, der von Mitgliedern seiner Familie umringt ist (ebd ., Abb . 5 .1) . 233 Das sogenannte »Tripod Mosaic« datiert gleichfalls aus dem 3 . Jahrhundert . Der ›Dreifuß‹ ist eigentlich ein Thymiaterion wie im Konōn-Bild aus Dura-Europos . Die Personen sind ebenfalls ihrer Bedeutung nach angeordnet, die minderjährigen Kinder stehen vor der Szene . Die Haltung von Hand und Arm des Opfernden entspricht exakt dem Gestus des durenischen Priesters, nur nimmt hier der Familienvater selbst den Ritus vor (ebd ., Abb . 5 .2) . 234 Auch das »Family Portrait Mosaic« aus Edessa (ca . 250 n . Chr .) spiegelt typische Merkmale, die von Bildwerken aus Dura bekannt sind . Ikonographie und Ikonologie der Personen kommen dem Bilderzyklus aus der Synagoge nahe (ebd ., Abb . 5 .7) . 235 Durchlässig dank der offensichtlich beträchtlichen Mobilität von Arbeitskräften . Untrügliche Indikatoren sind wiederum die ›mediterranen‹ Mosaiken in Palmyra und die wenigen Beispiele ›veristischer‹ Grabplastik ebenfalls aus Palmyra: Büstenreliefs zweier Geschwister aus der Mitte des 2 . Jahrhunderts und einige Grabreliefs aus der Zeit des Severus Alexander: Parlasca 1985, 350f . Grenzüberschreitungen des Geschmacks und handwerklich-künstlerisches Grenzgängertum bedingten sich offensichtlich gegenseitig . 236 Colledge 1976, 107, Abb . 138–141 . 237 Butcher 2003, 317, sowie, auch als Nachruf auf das unter dem Birecik-Stausee versunkene Zeugma, Başgelen/ Ergeç 2000 . 238 Ghirshman 1956 . 239 So plausibel Colledge 1977, 118 .

360 · VIII. dur a-EuroPos und dEr mIttlErE EuPhr at ler Kontinuitäten der langen Dauer noch einer, wie auch immer gearteten, Amalgamierung importierter und indigener Elemente . Es artikuliert vielmehr Antworten auf spezifische Herausforderungen, mit denen die lokalen Gesellschaften und die Gruppen, aus denen sie sich zusammensetzten, konfrontiert waren . Dura-Europos war nicht bloß ein steriler Außenposten der griechisch-römischen Welt, der zu eigenständiger künstlerischer Entwicklung nicht in der Lage war . Gerade umgekehrt dokumentiert sich im reichen materiellen Erbe dieser Stadt am Kreuzungspunkt der Traditionen das kreative Potential einer in ihr regionales Milieu eingeflochtenen lokalen Kultur .

IX. HATRA UND DAS ›KÖNIGREICH DER ARABER‹ Hatra war nur für wenige Jahre, etwa von 230 bis 240/241 n . Chr ., römisch, genauer: Es beherbergte in dieser Zeit eine römische Garnison . Viel länger, nämlich seit ihrer Entstehung und bis zu dessen Ende, war die Stadt Teil des mit Rom rivalisierenden Arsakidenreichs – und auch hier ist das Verhältnis zwischen Hatra und seinem Suzerän keineswegs einfach zu bestimmen . Gleichwohl darf man Hatra – als Relaisstation des Fernhandels zwischen Ost und West, als Zentrum der Kulturbegegnung und Kristallisationspunkt eines urban-nomadischen Polymorphismus im Land zwischen Euphrat und Tigris – nicht übergehen: Wenn man, wie es dieses Buch unternimmt, keine scharfe Grenze zwischen den Imperien des Westens und des Ostens ziehen möchte, sondern das gesamte Gebiet zwischen Mittelmeer und Tigris als Zone allmählicher Übergänge begreift, dann bringt gerade Hatra in seinen manifesten politischen, ökonomischen und kulturellen Bezügen zum römischen Syrien, namentlich zu Palmyra, die politische Grenzen überschreitende Bruchlosigkeit des kulturellen Kontinuums zu Bewusstsein . Kürzer als jene Palmyras, aber auch als die der meisten Stätten Mesopotamiens, ist die archäologische Forschungsgeschichte Hatras, der rund 50 Kilometer westlich des alten Assur und gut 80 Kilometer südlich von Ninive liegenden Stadt des Sonnengottes Šamaš in der zentralen Ǧazīra, der ›Insel‹ zwischen oberem Euphrat und Tigris . Erst im 19 . Jahrhundert machten britische Reisende die gut erhaltenen Ruinen in Europa bekannt .1 Die ersten systematischen Erkundungen nahmen von 1906 bis 1911 Mitglieder der deutschen Assur-Expedition unter Walter Andrae vor, denen sich auf einer ihrer Abstecher nach Hatra auch die britische Orientreisende Gertrude Bell anschloss .2 Wenig später wurde die Wüstenstadt auch zum Gegenstand historischer und kunstgeschichtlicher Forschung .3 Systematische Grabungsarbeiten setzten erst nach dem Zweiten Weltkrieg (1951) ein und dauerten, unterbrochen nur durch den Zweiten Golfkrieg (1991), bis zum Dritten Golfkrieg (2003) an . Seitdem liegt die archäologische Stätte brach; sie war 1 2 3

Zuerst der britische Arzt John Ross 1839, mit Planskizze . Vgl . auch Ainsworth 1841 . Detailliert publiziert mit Inschriftenfunden in Andrae 1908 . Vor allem Streck 1912; Herzfeld 1914; Stein 1941 . Zur weiteren Forschungsgeschichte, insbesondere zum Aufenthalt von Gertrude Bell in Hatra: Sommer 2003a, 4–8 .

362 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹ während der Okkupation durch Kämpfer des Islamischen Staats von 2015 bis 2017 erheblichem Vandalismus ausgesetzt .4 Ausgrabungen und Restaurierungen lagen in den Händen irakischer Archäologen,5 die ab 1987 von Wissenschaftlern des Dipartimento di Scienze Antropologiche, Archeologiche e Storico Territoriali der Universität Turin unter der Leitung von Roberta Venco Ricciardi unterstützt wurden .6 Die weithin ebene Ǧazīra weist ein durchaus uneinheitliches ökologisches und agrargeographisches Profil auf . Der nördliche, von zahlreichen Wadis durchzogene und in Form mehrerer Hügelketten zu den westlichsten Ausläufern des Taurus ansteigende Teil ist mit über 500 Millimetern (Ǧabal Sinǧar) bzw . 300–400 Millimetern (Ebene von Sinǧar) Niederschlag im langjährigen Mittel semiarid und damit noch landwirtschaftlich nutzbar; der Süden dagegen hat mit unter 200 Millimetern Niederschlag und großer Regenunregelmäßigkeit ariden Charakter und ist für Regenfeldbau damit grundsätzlich ungeeignet . Die südliche Ǧazīra war daher in der Regel Lebensraum von Viehzüchternomaden, denen die in der Weidesaison reiche natürliche Vegetation eine hinreichende Subsistenzgrundlage bot . Gleichwohl etablierte sich in parthisch-römischer Zeit in der Ǧazīra ein regelrechtes Siedlungssystem, mit Einzelgehöften, castella und dörflichen Siedlungen .7

Die runde Stadt: Hatras materielle Kultur Was unter den spezifischen naturräumlichen Bedingungen der Zentralǧazīra die Gründung der Stadt Hatra veranlasst hat, muss angesichts der unbefriedigenden Befundlage vorerst purer Spekulation überlassen bleiben . Zwei Tiefschnitte im Bereich des zentralen Sakral4 5 6

7

Anderson 2017, 137–139 . Zusammenfassend: Lenzen 1955a; Safar/Mustafa 1974; Ibrahim 1986, 89–140 . Venco Ricciardi 1988; Venco Ricciardi 1990; Venco Ricciardi 1992; Venco Ricciardi 1996; Venco Ricciardi 1998 . Einen guten Überblick geben die Beiträge in Venco Ricciardi 2001 und vor allem Venco Ricciardi 2000 sowie die übrigen Beiträge zum Hatra-Dossier in Topoi 10 (2000) . Die Publikationslage anderer archäologischer Kampagnen, namentlich der Surveys von D . Kirkbride und D . Oates, ist hingegen unbefriedigend: Oates 1968 . Von anderen Surveys liegen nur Kurzberichte vor: Wilkinson/Tucker 1995; Ball 1996; Bernbeck 1996 . Die klimatischen Bedingungen der Ǧazīra sind, abgesehen von den üblichen Degradationserscheinungen in der Vegetation durch Überweidung und Einschlag von Feuerholz, seit römisch-arsakidischer Zeit nahezu unverändert geblieben . Allerdings ließ sich in jüngerer Zeit die Grenze des Regenfeldbaus durch das Sammeln von Regenwasser südwärts bis in die Nähe von Hatra verschieben . Schon zuvor nutzten Nomaden Wadis zum sporadischen Anpflanzen von Getreide . Zur Geographie: Wirth 1962, 169–171; Thalen 1979; Hauser 2000, 187–189 . Dort, 192f ., sowie in Ibrahim 1986, 37–88, auch Details zum Siedlungssystem der parthisch-römischen Ǧazīra . Hauser 2000, 193–195, begründet den Trend zur Sesshaftigkeit, der sich seit dem 1 . Jahrhundert bemerkbar macht, (a) mit dem an Volumen zunehmenden über die Region laufenden Fernhandel, (b) mit der Verschiebung des römischen Limes nach Osten (seit 166, als Osrhoene unter römischen Einfluss geriet) – die nahe Grenze habe, analog zur späteren byzantinisch-sasanidischen Grenze, den Bewegungsspielraum der Nomaden verringert und viele zur Sesshaftigkeit veranlasst – und (c) mit ökologischen Faktoren (Überweidung, Holzeinschlag), welche die Nutzung der Region durch Viehzüchternomaden drastisch einschränkten .

Die runde Stadt: Hatr as materielle Kultur · 363 komplexes erbrachten unter den kaiserzeitlichen Steinbauten des 2 . und 3 . Jahrhunderts n . Chr . (Schicht 1) starkes Lehmziegelmauerwerk und lehmgepflasterte Böden (Schicht 2), darunter eine Erdschicht (Schicht 3, offenbar Hiatus), schließlich über dem gewachsenen Boden eine Ascheschicht und darunter eine Schicht mit groben Lehmziegelmauern und ungepflasterten Begehungsflächen (Schicht 4) . Die Schichten enthielten kein datierbares Material .8 Mehr Glück hatte die italienische Expedition in den 1990er Jahren mit einer Reihe von Sondagen, die im rückwärtigen Bereich des Iwan-Komplexes angelegt wurden . Erstmals zeichnet sich damit in Umrissen eine absolute Chronologie ab . Der Temenos des zentralen Heiligtums hatte offenbar einen Vorgängerbau, der etwas früher anzusetzen ist und damit wohl ins späte 1 . Jahrhundert n . Chr . datiert . Noch älter sind einige größere Lehmziegelbauten; sie stammen aus späthellenistischer Zeit und datieren ins 1 . oder sogar  2 . Jahrhundert v . Chr . Darunter konnten einzelne Keramikfragmente auf gewachsenem Boden geborgen werden, die bis ins 4 . oder 3 . Jahrhundert v . Chr . zurückreichen .9 Ein hypothetischer Erklärungsversuch ordnet die Ascheschicht und die darüber liegende einfache Bebauung bzw . die Keramik auf gewachsenem Boden provisorischen nomadischen Siedlungen zu, die sich allmählich zu dauerhafter Besiedlung verdichteten . Möglicherweise wurden nomadische Gruppen unter dem Vorzeichen politischer Stabilisierung – vielleicht im Zuge der parthischen Eroberung Mesopotamiens – als Söldner oder Fernhändler im Dienst der Arsakiden sukzessive sesshaft und bildeten einen ersten Siedlungskern, der später urbanen Charakter annahm .10 Gegenstand der bisherigen archäologischen Forschung in Hatra war die entwickelte arsakidisch-kaiserzeitliche Stadt des 1 . bis 3 . Jahrhunderts n . Chr . Diese Siedlung auf polygonalem, fast kreisförmigem Grundriss war mit rund zwei Kilometern Durchmesser und einer Fläche von 310 Hektar um ein Vielfaches größer als die einstigen assyrischen Hauptstädte Assur und Ninive und obendrein offensichtlich auf der gesamten Fläche bebaut .11 Die Form der ›runden Stadt‹ sticht markant vom rechtwinkligen hippodamischen Grundriss hellenistischer Stadtanlagen ab, kann aber in Vorderasien auf eine recht lange Tradition zurückblicken (Abb . 9 .1) .12 Sie schuf beste Voraussetzungen für effekti8 Ibrahim 1986, 92–94 . 9 Venco Ricciardi 1999-2000; Peruzzetto/Valentini 2000; Venco Ricciardi/Peruzzetto 2013 . 10 Die modellhafte Hypothese nomadischer Ursprünge geht auf Oates 1968, 63, zurück; vgl . auch Safar/Mustafa 1974, 339 . Beide sehen die Ursprünge Hatras in einem assyrischen Dorf . Dagegen Ibrahim 1986, 93f . Zu Sedentarisationsprozessen vor dem Hintergrund politischen Wandels allgemein-vergleichend Cribb 2004, 59 . Vgl . auch Hauser 1998, 509: »Wenngleich es analog zu Palmyra oder Petra keineswegs unwahrscheinlich erscheint, daß Hatra aus einem temporären Lager zu einem kontinuierlichen Siedlungsplatz wurde, so fehlt dafür, wie für eine Besiedlung vor dem 1 . Jahrhundert n . Chr ., bislang jeder Beleg .« 11 Selbst bei einer vorsichtigen Schätzung von 110 Einwohnern je Hektar ergibt sich so eine Gesamtbevölkerung von über 30 .000, höhere Schätzungen reichen bis zu 55 .000 Einwohnern – eine für die ökologischen Gegebenheiten der Ǧazīra erstaunlich hohe Zahl: ebd ., 193 . 12 Einen kreisförmigen Grundriss hatten auch das aramäische Zincirli (8 . Jahrhundert) in Nordsyrien (heute Südtürkei), Abra bei Ninive, Ekbatana (7 . Jahrhundert), das parthische Ktesiphon und die sasanidischen Städte Shiz (im heutigen Aserbaidschan) und Gur (Iran) . Berühmtestes Beispiel einer islamischen ›runden

364 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹

Abb. 9.1: Hatra. Stadtplan mit Tempelbezirk und peripheren Heiligtümern

ve Verteidigung: Zwei separate Mauerringe umschließen das Stadtgebiet; die innere, aus polygonalen Lehmziegeln errichtete und von elf Kastellen, 28 großen und 163 kleinen Türmen gekrönte Stadtmauer mit vier Toren hatte eine Höhe von zehn und eine Stärke von Stadt‹ ist das abbasidische Bagdad . Creswell 1932–1940, 18, führt das Modell auf die Anlage assyrischer Militärlager zurück; Ghirshman 1962, 34, sieht die Ursprünge gleichfalls in militärischer Architektur, freilich parthischer Provenienz .

Die runde Stadt: Hatr as materielle Kultur · 365 drei Metern . Ihr vorgelagert war ein bis zu fünf Meter tiefer Graben . Anders als Palmyra war Hatra eine stark befestigte Stadt, die Angriffen und Belagerungen trotzen konnte .13 Rätsel hat der Forschung lange ein zweites Befestigungswerk aufgegeben: Ein ›äußerer Wall‹ mit einem Durchmesser von drei Kilometern umgab den inneren Mauerring in einem Abstand von rund 500 Metern . Inzwischen ist klar, dass es sich um einen Teil des Belagerungssystems handelt, das die Sasaniden zur Erstürmung Hatras errichteten .14 Innerhalb des Stadtgebiets sticht das markante Rechteck des zentralen Temenos15 hervor, der – in Abweichung von den sakralarchitektonischen Konventionen des hellenistischen wie Alten Orients – mehrere Heiligtümer beherbergt, deren Bau in unterschiedliche Phasen datiert (Abb . 9 .2) .16 Schwerpunkt der Bauaktivitäten war das 2 . Jahrhundert n . Chr . Das schon in seinen Abmessungen mit 437 auf 321,5 Metern17 und einer Grundfläche 13 Bereits Trajan scheiterte, wie später Septimius Severus, mit seinem Versuch Hatra zu belagern . Die Stadt war also bereits 116/117 n . Chr . von praktisch uneinnehmbaren Befestigungsanlagen geschützt . Vermutlich handelte es sich um die 1990 von Gawlikowski 1994a, 162f ., entdeckte ›innere Mauer‹, die später ersetzt wurde . Die erhaltene ›äußere‹ Stadtmauer existierte, wie H 336 und 343 belegen, bereits 463 SÄ (151/152 n . Chr .) . Die hatrenischen Inschriften sind in aramäischer Sprache und Schrift abgefasst, in einer für den mesopotamischen Osten typischen Variante: Contini/Pagano 2015, 126–129; auch Drijvers 1977, 815; ebd ., 820, auch Näheres zur problematischen Datierung der hatrenischen Inschriften . 14 Die Hauptmauer folgt exakt der 200-Meter-Höhenlinie und vermeidet so das Queren von Senken . Daraus erklärt sich die leicht unregelmäßige Form . Zu den Stadtbefestigungen: Andrae 1908, Bd . 1, 3; Ibrahim 1986, 118–123; Gawlikowski 1994a; Hauser 1998, 497 . Der ›äußere Wall‹, ein Erdwall, ist früher meist als zusätzlicher Verteidigungswall gedeutet worden . Bereits Andrae 1908, Bd . 1, 3, sah in ihm einen sasanidischen oder römischen Belagerungswall . Diese Vermutung stützt jetzt die Entdeckung neuer Mauern östlich von Hatra und eines großen Lagers zwischen Hatra und dem Wādī Ṯarṯār; vgl . Hauser 2013, 119–124, der diese Befestigungswerke überzeugend in einen Zusammenhang mit der Eroberung Hatras 240/241 n . Chr . durch die Sasaniden stellt . 15 Das sogenannte Bait Alaha, von aram . bt ʾlhʿ – ›Haus des Gottes‹ . Die bei Weitem detaillierteste und zuverlässigste Gesamtdarstellung jetzt bei Parapetti/Venco Ricciardi 2000 . Zum Folgenden auch: Lenzen 1955b; Ibrahim 1986, 123f . und Tafel 159; Tubach 1986, 251–254; Hauser 1998, 497f . Die Temenosmauer ist inschriftlich auf 37 (Safar) oder 137/138 n . Chr . (Vattioni) datiert (H 272, Datum der Dedikation), die Trennmauer auf 167/168 (H 380) . Die Bauten im Heiligen Bezirk entstanden vermutlich alle im 2 . Jahrhundert n . Chr .: Tempel A war 128/129 vollendet (H 346), die Iwangruppe (G) entstand ab dem frühen 2 . Jahrhundert (H 108, 110/111 n . Chr .; H 243, 126/127 n . Chr .), die Statuenbasis von Tempel B datiert auf 162/163 (H 363) . Vgl . zur Baudatierung Bertolino 1995, 39–49; Freyberger 1998, 89–101; Hauser 1998, 505 . In Freyberger 1998, 89–93, auch Anmerkungen zur Datierung nach stilistischen Kriterien (Bauornamentik, Skulpturen), die – so Freyberger – übereinstimmend in die frühe Kaiserzeit weisen und somit Safars Lesung »37 n . Chr .« für die Inschrift aus der Temenos-Mauer zu bestätigen scheinen . Freilich ist dieser Lesung und Freybergers Datierung bislang niemand gefolgt . Auch steht sie im Widerspruch zu der Angabe bei Cass . Dio 68,1,1f ., Hatra sei zum Zeitpunkt der Belagerung durch Trajan (116/117) weder groß noch wohlhabend gewesen . Auch möchte man den Bauherrn der Temenosmauer, den »Herrn« von Hatra Naṣrū, nicht ins frühe 1 . Jahrhundert n . Chr . datieren, so dass insgesamt die Lesung »137 n . Chr .« mehr Plausibilität für sich beanspruchen kann: Drijvers 1977, 820f . 16 Man beachte namentlich die großen Heiligen Bezirke in Palmyra, in Qalaʿat Faqrā (Libanon) und Baitokaike, wo immer nur ein Tempel in einem Temenos stand . 17 Der Temenos ist nicht exakt rechteckig: Die Nordwand misst 435, die Südwand 438, die Ostwand 321,5 und die Westwand 310 Meter: Ibrahim 1986, 123 .

366 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹

Abb. 9.2: Hatra. Bait Alaha. Der ›hellenistische‹ Tempel fehlt in der Rekonstruktion.

von 14 Hektar monumentale, für die Stadt vielleicht namensgebende18 Areal gliedert sich in zwei Höfe von unterschiedlicher Größe: einen größeren, annähernd quadratischen im Osten (1) und einen kleineren, rechteckigen im Westen, der seinerseits durch eine Mauer mittig in eine Süd- (2a) und eine Nordhälfte (2b) unterteilt ist . Die den Komplex umschließende Mauer ist in Quaderbauweise errichtet und weist an der Außenseite im Norden und Süden einige kleinere Anbauten auf . Kein Einzelbauwerk der Anlage ist, dem Schema des babylonischen Hofhaustempels folgend, axial auf eines der Tore ausgerichtet .19 Der Besucher betrat das ›Haus des Gottes‹, Bait Alaha, normalerweise durch den dreitorigen, von vier wuchtigen Pylonen flankierten Haupteingang (N) im Osten . Acht Nebeneingänge eröffneten den Zugang auch aus anderen Richtungen, selbst von Westen her, direkt in den hinteren Rechteckhof . Ging der Besucher durch den Haupteingang, so gelangte er in den quadratischen Hof, dessen Süd- und Nordseite teilweise von Portiken gesäumt waren und bei dessen riesigen Ausmaßen die darin stehenden Sakralbauten geradezu verloren wirkten .20 18 Möglicherweise von aramäisch ḥṭrʾ – ›umschlossener Platz‹ . 19 Freyberger 1998, 93; zum Hofhaustempel Heinrich/Seidl 1982, Bd . 1, 15–21 . 20 Parapetti/Venco Ricciardi 2000, 114f .

Die runde Stadt: Hatr as materielle Kultur · 367 Drei einzelne Sakralbauten standen im Hintergrund des Hofes . Der in den 1960er Jahren von irakischen Archäologen rekonstruierte, wegen seiner Portiken so genannte ›hellenistische‹ Tempel (Tempel E) in der Mitte beherrscht, in ungefährer Flucht des Haupteingangs stehend, den Vorhof schon rein optisch .21 Wie bei allen Tempeln des Bait Alaha ist die Zuweisung zu einer Gottheit (in diesem Fall Māran, Hauptgott der hatrenischen Trias) rein hypothetisch .22 Der Tempel befindet sich zwischen den Durchgängen (K, L) zu den beiden Hälften des Rechteckhofs . Er besteht aus einer langrechteckigen Cella mit Podium, zu der an der östlichen Schmalseite, den Propyläen gegenüber, eine breite Treppe emporsteigt . Ihn umgibt eine doppelte Kolonnade aus 24 (innen) bzw . 25 (außen) ionischen (innen) bzw . kompositorischen (außen) Säulen, wobei die innere Kolonnade noch auf dem Podium steht . Die äußere Kolonnade mit dickeren Säulen springt zu beiden Seiten der Treppe vor, ist aber vorne unterbrochen und gibt so den Blick frei auf den die innere Kolonnade krönenden Giebel mit syrischer Archivolte . Das Gesims krönten Akrotere, deren Fragmente sich im Versturz fanden . Der Altar war anscheinend, vorhellenistischen mesopotamischen Traditionen folgend, im Innern der Cella aufgestellt . Von allen Heiligtümern in Hatra entspricht Tempel E am ehesten dem vitruvischen Bauschema . Ähnliche Kultbauten, allerdings älteren Baudatums, fanden sich in Seeia und Selaima im südsyrischen Ḥaurān .23 Weiter befanden sich im Vorhof im Südwesten ein Hypaithralheiligtum (Tempel I)24 und im Nordwesten der sogenannte Allat-Tempel (Tempel B)25 . Der dreischiffige, auf einer großen, über eine Freitreppe zugänglichen Plattform stehende Tempel durchbricht die Trennung zwischen Vor- und nördlichem Rechteckhof . Seine drei parallelen Iwane öffnen sich zum Vorhof hin . An der Rück- und Nordwand des zentralen Iwans befinden sich große Marmoraltäre . Die reich dekorierte Fassade wird vertikal durch Halbsäulen, horizontal durch Blendarkaden und Register gegliedert .26 Unter den Dekorelementen fanden sich Dromedare, von denen sich einige noch in situ befinden, Symboltiere der Göttin 21 Die Restaurierung, ohne Beachtung und Dokumentation der genauen Fundkontexte, macht heute eine Rekonstruktion der einzelnen Bauphasen des Heiligtums unmöglich: ebd . 22 Der Gott findet in vielen der im Tempel gefundenen Inschriften (H 147–188, passim) Erwähnung, was aber noch nicht beweist, dass er in dem Heiligtum gleichsam exklusiv verehrt wurde . 23 Parapetti/Venco Ricciardi 2000, 116f .; Sommer 2003a, 51f . Die Akroter-Statuen stammen aus antoninischer Zeit und sind das einzige sichere Datierungsmerkmal für den Tempel . Sie sind sicher vorderasiatischer Provenienz . 24 Der Tempel besteht aus einer rechteckigen Cella auf einem Podium, mit nach Norden gerichtetem Eingang . Vermutlich besaß das Gebäude kein Dach, dafür aber Kolonnaden . Ein Altar befand sich an der Rückwand . Ein kleines Nebengebäude westlich des Tempels beherbergte eine, für den Tempel namensgebende, Quelle und ein Wasserbassin . 25 Andere Wandfriese zeigen unter anderem einen Prozessionszug mit Musikern und einen König Sanaṭrūq . Außerdem fand sich eine Statue mit Inschrift, die – vorausgesetzt, die Statue wurde nach Fertigstellung des Baus aufgestellt – als Terminus ante quem das Jahr 162 angibt . Vgl . Ibrahim 1986, 127; Parapetti/Venco Ricciardi 2000, 117f .; Sommer 2003a, 50 26 Eine systematische Untersuchung der Fassade liegt vor mit Allara 2000 .

368 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹ Allat und ein möglicher Hinweis auf die Rolle der Stadt im Karawanenhandel . Weitere Bauten im Vorhof, darunter der in großem Abstand Tempel E vorgelagerte Bau J, sind funktional bisher nicht näher bestimmt . Zwei Propyläen (K, L), nördlich und südlich des ›hellenistischen‹ Tempels, verbinden den quadratischen Hof mit dem Rechteckhof, in dem sich die wichtigsten Kultbauten des Bait Alaha befinden . Beide Portale sind dreitorige Bögen, die an eine römische porta tri­ umphalis erinnern .27 Schon ihrer Abmessungen wegen beherrscht die zentrale, sich nach Osten öffnende Iwangruppe (G) den Heiligen Bezirk . Sie erstreckt sich auf einer über eine Freitreppe zu erreichenden Terrasse über eine Breite von über 80 Metern, freilich mit heute rekonstruierter Fassade, und schlägt eine architektonische Brücke zwischen der Nord- und der Südhälfte des rechteckigen Hofes . Kernstück der Anlage sind zwei große, von je zwei kleineren Gewölben flankierte Iwane mit einer Gewölbehöhe von 25, einer Breite von 15 und einer Länge von 34 Metern . Nördlich an diese Gruppe schließen sich, als deutlich davon unterschiedener Baukörper, zwei weitere große Iwane an . Die Iwane enthielten baldachinartige Installationen – wohl Altäre – und umlaufende Sitzbänke . Die Innenwände schmücken Masken, Rundplastiken von Adlern und aufwendig gearbeitete Türstürze .28 Obwohl noch Walter Andrae die Anlage für einen »Palast« hielt,29 handelte es sich ohne Zweifel um einen Gebäudekomplex mit kultischer Bestimmung . Die Fassade ist durch prägnante, oberflächlich an hellenistische Vorbilder angelehnte Dekorelemente gegliedert: Schlanke Halbsäulen mit Kompositkapitellen bilden vertikale Achsen zwischen den Iwanen, deren Archivolten reichen Schmuck tragen, darunter die Masken männlicher und weiblicher Personen im ›parthischen‹ Stil .30 Es ist die Fassade mit ihren Halbsäulen und den an eine Arkadenreihe erinnernden Bögen – die niedrigeren Seiteniwane sind durch Blendbögen künstlich erhöht –, die der Anlage ein mediterranes Gepräge gibt und sie von ihren Pendants im Partherreich, in Assur und Ktesiphon, unterscheidet . Charakteristisch für die Steppengrenze indes waren die ebenfalls die Fassade zierenden Statuen, die wohl Herrscher und einflussreiche Persönlichkeiten darstellten und von denen nur die Konsolen erhalten sind .31 Durch die Fassade erscheint der Komplex, seiner Größe und architektonischen Uneinheitlichkeit zum Trotz, wie aus einem Guss gebaut .32 Tatsächlich entstand die Anlage in mehreren Bauphasen, mit der südlichen Iwangruppe als Kern . Sie wurde, ausweislich der im Gebäude angebrachten datierten Inschriften, im frühen 2 . Jahrhundert n . Chr . als ältestes Gebäude des Bait Alaha errichtet und später um die identische nördliche Iwangruppe ergänzt . Zu diesem Komplex mit zwei Hauptiwanen, 27 28 29 30

Ebd ., 118f .; Sommer 2003a, 60f ., Abb . 75–77 . Ebd ., 70f ., Abb . 93–99 . Ebd ., 5, mit Verweis auf die Tagebuchnotizen von Gertrude Bell . Für sie gelten die Gestaltungskonventionen frühkaiserzeitlicher Plastik in Syrien: rundes Gesicht, aufgeblasen wirkende Wangen, schräg gestellte, weit geöffnete Augen mit stark vorgewölbtem Augapfel und als runde Ritzlinie angedeuteter Iris: Freyberger 1998, 91f . 31 Parapetti/Venco Ricciardi 2000, 121 . 32 Sommer 2003a, 63 .

Die runde Stadt: Hatr as materielle Kultur · 369 die von jeweils zwei kleineren Nebeniwanen flankiert waren, an die sich je noch eine Flucht von zwei Räumen anschloss, trat noch später der nördliche Doppeliwan .33 Westlich an den Südiwan anschließend und mit ihm durch einen Durchgang verbunden findet sich ein Kultbau mit quadratischem Grundriss, der sogenannte Šamaš-Tempel (Tempel  H), den ein umlaufender Gewölbegang umgibt . Der Tempel ist wohl ein späterer Anbau an den Iwankomplex . Im Westen befand sich ursprünglich ein weiterer, später geschlossener Zugang . Von dort ist über den Umlauf die quadratische, wie der Gang mit einem Tonnengewölbe überdachte Cella, deren Abmessungen 11,96 x 11,75 Meter betragen, zugänglich . Der Zugang zur Cella befindet sich an der Ostseite, gegenüber dem Durchgang zum Südiwan leicht versetzt; ein ursprünglich vorhandenes, weiter südlich liegendes, zum Cella-Eingang axiales Portal wurde zugemauert . Bewusst wurde also, nachdem in einer ersten Bauphase die ostentative Präsentation des Idols beabsichtigt war, später Axialität vermieden, um vom Iwan aus den Durchblick auf das Kultbild in der Cella zu verstellen .34 Der Tempel besaß ein auf den Gewölben ruhendes Flachdach . In seinem Innern fanden sich Statuen der Könige von Hatra, eine Inschrift weist Sanaṭrūq I . die Vollendung des Bauwerks zu .35 Drei weitere Kultbauten komplettieren das Tempel-Ensemble im Heiligen Bezirk: Im äußersten Südosten des rechteckigen Hofs steht der ›Tempel der Trias‹ (Tempel A), auch er ein Iwanbau mit einem großen Mitteliwan und zwei kleineren Seiteniwanen, mit Öffnung nach Norden . Benannt ist er nach einem Relief, das die hatrenische Göttertrias aus Māran, Mārtan und Barmarēn zeigt . Ebenfalls im Südteil des Hofes, durch Seitentrakte mit der Trennmauer zum quadratischen Hof verbunden, befindet sich der Samya-Tempel (Tempel C), der in seinem Grundriss Tempel A entspricht .36 Von anderer Bauart ist Tempel D, der sogenannte ›Tempel des Šaḥīru‹ . Seine architektonische Disposition kombiniert auf einzigartige Weise italische, griechische und lokale Elemente: Nach Art eines Prostylos in antis besitzt der auf einem Podium stehende und nach Süden ausgerichtete Bau eine Vorhalle . Die Cella freilich war durch ein Bogentor zugänglich und besaß ein Tonnengewölbe . Das Dach war über eine Treppe begehbar, und zu beiden Seiten der Cella befanden sich Anbauten: links eine Portikus, rechts ein weiteres rechteckiges Gewölbe mit einem vorgelagerten, gleichfalls überwölbten quadratischen Raum .37 33 Ebd ., 63f .; 68 (Abb . 89) . 34 Vgl . im Detail ebd ., 72, Abb . 101; Freyberger 1998, 99 . Zur Frage der Axialität ebd ., 95f .: »Aus dem archäologischen Befund läßt sich folgern, daß die Präsentation und der Umgang mit den Idolen nicht auf eine eigene Tradition, sondern auf unterschiedliche Überlieferungen zurückzuführen sind . In Hatra setzte sich schließlich diejenige Tradition durch, die auf Fernsicht postierte Götterbilder untersagte und somit eine bauliche Änderung erzwang .« 35 Parapetti/Venco Ricciardi 2000, 123 . 36 Benannt nach einem im Tempel gefundenen Kultrelief, das eine weibliche Gottheit mit einer Kultstandarte (σημεῖον) zeigt: Sommer 2003a, 50 . 37 Parapetti/Venco Ricciardi 2000, 119 .

370 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹ Trotz aller Unterschiede im Detail verbindet die Tempel des Bait Alaha dieselbe architektonische Formensprache, die sich aus einer überschaubaren Zahl von Elementen zusammensetzt: Iwanen, Säulen und Halbsäulen mit Kapitellen der kanonischen drei Ordnungen sowie den im Mittelmeerraum seit flavischer Zeit verbreiteten Kompositkapitellen, monumentalen Portalen und Durchgängen . In ihnen allen verrät sich die Kenntnis spezifischer römisch-hellenistischer Paradigmen . Ihre Umsetzung indes lässt den gewohnten ›klassischen‹ Formalisierungsgrad vermissen, die Konsequenz des Stereotypen . Die monumentale Sakralarchitektur des Bait Alaha ist damit ein weiteres Beispiel für die an der Steppengrenze so verbreitete kreative Aneignung kultureller Codes .38 Außerhalb des Temenos wurden bislang 15 weitere Tempel mit wesentlich kleineren Abmessungen gefunden, die sich in den Kontext der sie umgebenden Wohnquartiere fügen und im Aufbau, abgesehen von Modifikationen im Detail, einem einheitlichen Schema folgen: Man betritt die Heiligtümer von einem offenen Vorplatz aus durch eine Tür, die mittig in der Längswand einer Vorcella angebracht ist . Von der Vorcella aus gelangt man durch eine dem Haupteingang gegenüberliegende Tür in die Cella . Inschriften datieren einige Heiligtümer in eine Phase, die dem Ausbau des Bait Alaha voranging .39 Bereits im Luftbild40 erkennt man die unregelmäßige, keinem orthogonalen Raster folgende Straßenführung im Stadtgebiet . Die Häuser sind in agglutinierender Bauweise errichtet, die Wegeführung passt sich durchgängig der Bebauung an, ohne dass abgrenzende Maßnahmen erkennbar wären, die auf eine zentrale Planung schließen ließen .41 Zahlreiche Wegbiegungen und Sackgassen vermitteln den Eindruck eines orientalischen Sūq . Abgesehen von der Konzentration zentraler Heiligtümer auf den Heiligen Bezirk des Bait Alaha in der geographischen Mitte von Hatra gibt es keine Anhaltspunkte für eine räumliche Segregation verschiedener Lebens- und Funktionsbereiche . Stadtviertel bildeten sich allein durch die Straßenführung heraus, die im Stadtgebiet sozusagen autonome ›Zellen‹ jeweils gleichen Charakters und gleicher Nutzung entstehen ließ . Wohnen, Arbeiten, Handel und Kult fanden offensichtlich Tür an Tür, wenn nicht sogar im selben Gebäude statt . Der Sitz ›weltlicher‹ Autoritäten konnte bislang nicht ermittelt werden . Sein Fehlen könnte sich aus der Einheit von kultischem und politischem Zentrum 38 Ebd ., 126f . Allara 2000, 150, spricht prägnant vom »sincretismo architettonico di Hatra« . 39 Die Tempel folgen damit dem Typus des mesopotamischen Breitraumtempels und weisen deutliche Parallelen zu den Hofhaustempeln in Dura-Europos auf: Lenzen 1955a; Freyberger 1998, 101 . Aus Tempel VIII (Bauphase a) stammt die älteste sicher datierte Inschrift Hatras (97/98 n . Chr ., H 214); in Tempel IX fanden sich zwei datierende Inschriften (164/165 n . Chr ., H 62; 186/187 n . Chr . H 65): Bertolino 1995, 52f . 40 Anschaulich Stierlin 1987, 185, Abb . 163 . Zu den älteren irakischen Ausgrabungen in Wohnvierteln Ibrahim 1986, 127f . 41 Instruktiv in diesem Zusammenhang die italienischen Sondagen, die Teile der vom zentralen Temenos zum Nordtor führenden Straße freilegten und ergaben, dass die Straße in mehreren aufeinanderfolgenden Bauabschnitten entstand, denen jeweils verschiedene Bautechniken entsprachen: Venco Ricciardi 1992, 194–196 . Der Straßenverlauf war offenbar durch einen älteren, in Tiefschnitten erfassten Vorgängerbau des Hauses A bestimmt: Venco Ricciardi 1996, 320 .

Die runde Stadt: Hatr as materielle Kultur · 371 erklären, wie sie in den Texten durchscheint und für Syrien und das obere Mesopotamien seit der Bronzezeit charakteristisch war: Offenbar war auch in Hatra der weltliche Herrscher zugleich oberster Priester .42 Die Spezifika der hatrenischen Stadtanlage lassen, ähnlich wie in Palmyra, aber in noch deutlicherer Ausprägung, auf eine patrimoniale, nach Sippen- und Verwandtschaftsverbänden gegliederte Struktur der Bevölkerung schließen .43 Aufschluss über die private Sphäre der Bewohner von Hatra geben jetzt aber italienische Ausgrabungen im nördlichen Stadtviertel, in der Nähe des Tempels V . Das ergrabene Haus (Haus A) liegt auf der Ostseite der Straße, die das Nordviertel von Hatra vom NaṣrūTor des großen Temenos bis zum Nordtor durchquert .44 Man betritt das Gebäude von Westen aus durch einen gegenüber der Straßenflucht zurückgesetzten Eingang und gelangt in ein sorgfältig gearbeitetes Vestibül, das zu einem großen Hof führt . Vom Hof aus sind die verschiedenen Trakte des Hauses zugänglich . Repräsentative Funktionen verrät der Ostflügel mit seinem zum Hof hin offenen Iwan samt Nebenräumen . Im Nordwesten schließt sich an den Hof eine kleine – in der Wohnarchitektur Hatras bisher singuläre – Portikus mit einem weiteren offenen Hof an, die von den Installationen her (Tannure, Mühlsteine, Vorratsgefäße) wohl als Küchen- oder Wirtschaftstrakt zu deuten ist .45 Im Südwesten des Hofes erreicht man einen mit Wandmalereien ausgestalteten Durchgangsraum, der zu einem weiteren Iwantrakt führt .46 Der Iwan, der sich im Süden auf einen Hof hin öffnet, endet im Norden in einer Apsis .47 Der Kern des Hauses wurde später in agglutinierender Bauweise erweitert: im Süden um weitere Trakte, im Nordosten um einen weiteren offenen, sich an den Haupthof anschließenden Hof . Offenbar wurden zu diesem Zweck zuvor bestehende Freiräume genutzt .48 42 H 67 bezeichnet den Stadtherrn Naṣrū zugleich als »Hohepriester des Gottes/der Götter [Lesung fraglich] .« Die Einheit von Kult und Herrschaft im bronzezeitlichen Syrien zeigt am Beispiel Eblas Archi 1990, 139; für Syrien allgemein Liverani 1974; für das eisenzeitliche Phönikien Sommer 2000, 257–260 . 43 Heinz 1997, 68f ., besonders 69: »Nicht [funktionale oder soziale, M . S .] Segregation kennzeichnet hier die Wohnsituation . Vielmehr prägen Klientelverhältnisse die Raumstruktur, die sowohl auf verwandtschaftlichen Beziehungen als auch auf funktionalen Abhängigkeiten beruhen können .« 44 Das Gebäude ist in gutem Erhaltungszustand . Die Mauern – teils ganz in Schalenbauweise, teils mit einem Sockel in Schalenbauweise mit darüber liegender Lehmziegelbauweise – ragen bis zu einer Höhe von drei Metern empor . Sie sind mit Gipsmörtel verputzt . Die meisten Türen waren Bogentüren, viele Räume als Gewölbe angelegt . Die Fußböden bestanden meist aus gestampftem Lehm: Venco Ricciardi 1988, 33–35 . 45 Venco Ricciardi 1996, 313: »[…] the most private part of the house, and reserved for domestic activities .« 46 Beide Register des Gemäldes an der Westwand zeigen einen jagenden Reiter; das Wandgemälde der Ostwand, lediglich eine Strichzeichnung, stellt gleichfalls einen jagenden Reiter – diesmal mit Turban – dar, der mit einem Speer auf einen Wildeber zielt, während ein zweites Tier bereits tot am Boden liegt . Ebd ., 316: »This combination of a live and dead animal frequently appears in later Sasanian iconography .« Auch das ebenfalls nur als Strichzeichnung ausgeführte Gemälde der Südwand stellt eine Jagdszene dar: Ein Reiter jagt Gazellen . 47 Ebd ., 315: »The irregular semicircal apse of iwan S19 is without precedent in the whole of Parthian Mesopotamia .« 48 Ebd ., 319f .

372 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹ Die Gesamtstruktur von Haus A weist klare Parallelen zu anderen, bereits zuvor in Hatra ergrabenen Wohnbauten auf . Auch in dem wesentlich größeren ›Haus des Maʿnū‹ im Bereich des Tempels VIII, unmittelbar südlich des Bait Alaha, gruppieren sich die Sektionen des Gebäudes um einen zentralen Hof mit Portikus auf der Westseite, auf den hin sich (in diesem Fall zwei) Iwane mit flankierenden Seitenräumen im Norden und Süden öffnen . Wie in Haus A zweigt von diesen Repräsentationszwecken dienenden Räumen ein Wirtschaftstrakt ab, und in agglutinierender Weise lagern sich weitere, um zentrale Höfe mit Iwanen herumgruppierte Trakte an den Gebäudekern an .49 Grundsätzlich dem gleichen Typus scheint auch ein mit repräsentativen Wandmalereien ausgestattetes Gebäude (›Nordpalast‹) in unmittelbarer Nachbarschaft des Nordtors verpflichtet zu sein, nur in sehr viel größeren Dimensionen .50 Alle Wohnbauten folgen damit einem Schema, mit zentralem Hof, erweitert um Iwane und umliegende Räume, das in arsakidischer Zeit in Mesopotamien, in Assur und Seleukeia, weit verbreitet war . Gleich drei Bautraditionen flossen dabei zusammen, innovativ miteinander kombiniert: der genuin mesopotamische Hofhaustypus, der bereits in Dura-Europos als Standard-Wohnhaus begegnete, und dem ›parthischen‹ Iwan und dem griechisch-hellenistischen Peristyl .51 Die jeweils bedeutende Fläche der Wohnbauten, ihre Baugeschichte und eine im ›Haus des Maʿnū‹ gefundene Inschrift lassen es als sicher erscheinen, dass die Wohngebäude größere Familien- oder Sippenverbände beherbergten .52 Möglicherweise stand dem gesamten Verband ein gemeinschaftlicher Wirtschafts- und Küchentrakt zur Verfügung, während Teilfamilien die einzelnen, um Höfe und Iwane gruppierten Haustrakte bewohnten . Von den 78 von Andrae bei seiner Aufnahme vor dem Ersten Weltkrieg erfassten Grabtürmen, die teils einzeln über das Stadtgebiet verteilt, teils zu Gruppen geordnet in den äußeren östlichen und südlichen Vierteln Hatras liegen, wurde bislang allein die Gruppe J mit neun Gräbern am östlichen Stadtrand näher untersucht und publiziert . Die Gräber stammen aus der frühen Kaiserzeit und lagen zum Bauzeitpunkt, vor Errichtung der äußeren, heute erhaltenen Stadtmauer im 2 . Jahrhundert n . Chr ., noch außerhalb des Stadtgebiets .53 Die Bauten entsprechen grosso modo dem aus Palmyra bekannten mehrstöckigen Turmgrab-Schema, mit quadratischem oder rechteckigem Grundriss, weisen aber meist im Erdgeschoss eine charakteristische Dreiraumteilung auf . Analog den palmyrenischen Turmgräbern waren die Bauten mit Loculi ausgestattet, die wohl überwiegend die Asche der inkremierten Toten aufnahmen . Von besonderer Bedeutung ist deshalb eine Inschrift aus Grab J3, die besagt, dass das Grab von den »Söhnen [vom Stamm] des Taimū 49 Ebd ., 313, Abb . 4; Ibrahim 1986, 128 und Tafel 105 . 50 Weshalb das Gebäude in Größe und Ausstattung so markant von den anderen Wohngebäuden Hatras abweicht, lässt sich mangels Publikation der irakischen Grabungen 1971/1972 nicht entscheiden . Vgl . aber alSalihi 1996, 197f . 51 Colledge 1977, 51; Ibrahim 1986, 128 . 52 Ebd . Die Inschrift (»Gaʾ and Repešʾ, die Söhne des Maʿnū, memento«) ist nicht in H publiziert . 53 Für die Datierung: H 293 (88/89 n . Chr .), H 294 (2 n . Chr .) aus Grab J3 . Vgl . Gawlikowski 1994a, 163 .

Vom nomadischen �agerplatz zur Stadt des Son nengottes · 373 und den Söhnen [vom Stamm] des blʾqb« im Jahr 400 Seleukidischer Ära errichtet wurde und dass »man ihre Knochen nicht verbrennt« . Die abweichenden Bestattungsformen und die besondere Betonung der Erdbestattung in der Inschrift evozieren, wie in Palmyra, erhebliche kulturelle Differenzen zwischen den die Stadt konstituierenden Gruppen .54

Vom nomadischen Lagerplatz zur Stadt des Sonnengottes Die Anfänge Hatras verlieren sich im Dunkel der Geschichte . Warum überhaupt entstand im trockensten, lebensfeindlichsten Teil Obermesopotamiens eine Stadt von dieser Größe und Bedeutung? War Hatra primär Handelsstadt? Verdankte es seinen Aufstieg, als Kult- und Pilgerzentrum, dem Kult des Sonnengottes? Oder war es gar seine militärischstrategische Bedeutung, die Hatra in so kurzer Zeit zum urbanen Mittelpunkt der Region machte?55 Am ehesten veranlasste eine Kombination politischer und ökonomischer Faktoren – die Konsolidierung des Partherreichs, die dadurch garantierte pax imperii und die wiederum durch sie ermöglichte Belebung des Fernhandels in Obermesopotamien – Teile der nomadischen Bevölkerung in der Ǧazīra erst zur Sesshaftwerdung und dann zur Stadtgründung . Wesentlich deutlicher noch als in Palmyra lassen sich zwischen oberem Euphrat und Tigris die Konturen eines nomadisch-sesshaften Polymorphismus fassen . Die Erinnerung an Hatra hielten mehrere vergebliche Belagerungen durch Römer und Sasaniden wach, die ihre Spuren in der römischen Historiographie hinterließen: Trajans Versuch, die Stadt 116/117 auf dem Rückmarsch von Spasinou Charax einzunehmen, scheiterte; Hatra hatte sich wohl dem allgemeinen Aufstand in der Provinz Mesopotamia angeschlossen .56 Unabhängig von Dios Bewertung, Hatra sei weder groß noch wohlhabend gewesen,57 ist doch evident, dass es bereits für Trajans Kriegsplan von vitaler Bedeutung 54 H 393 . Zu den Gräbern: Schlumberger 1969, 140; al-Salihi 1972; Ibrahim 1986, 132f .; Hauser 1998, 504 . 55 Die Hypothesen spielt jetzt Kaizer 2013, 62–68, durch . 56 Die Passage bei Cass . Dio 68,31,1–4, ergibt nur Sinn, wenn man von einer vorherigen (kriegerischen oder friedlichen) römischen Inbesitznahme Hatras während des Vormarsches auf Ktesiphon (114) ausgeht, vielleicht durch den mauretanischen Auxiliarführer Lusius Quietus, der auch Singara eroberte . Einen Anhaltspunkt gibt Cass . Dio ebd ., 21f .: Die φύλαρχοι Abgar von Osrhoene, Sporakes von Anthemusias (südlich von Osrhoene am östlichen Euphratufer) und Mannos von Ἀραβία sowie ein gewisser Manisaros, über dessen Herkunft nichts gesagt wird, erscheinen in Edessa vor Trajan, um ihm mit Geschenken zu huldigen . Ἀραβίαgrenzt (östlich) an Osrhoene und Anthemusias (ebd .) . Mannos stand zuvor in Kontakt mit Mebarsapes, dem Herrscher von Adiabene, am ehesten seinem östlichen Nachbarn jenseits des Tigris . Ἀραβία lag also wohl östlich des Ḫābūr und westlich des Tigris, entsprach damit also wahrscheinlich der Hatrene bzw . dem späteren Königreich ʿrb (Arab) . Der von Cassius Dio erwähnte Mannos könnte somit identisch gewesen sein mit einem inschriftlich (H 288c) belegten »Herrn« von Hatra, Maʿnū, der womöglich der Sohn des »Herrn« Worōd, des Erbauers des Iwankomplexes (H 203), war: Aggoula 1983, 213–215; Sommer 2003b, 384f . 57 Cass . Dio 68,31,1: καὶ ἔστι μὲν οὔτε μεγάλη οὔτε εὐδαίμων ἡ πόλις . Die Frage ist, wieviel Wissen über Hatra wir bei Cassius Dio voraussetzen dürfen . Seine Feststellung kollidiert nicht unbedingt mit dem archäologischen Befund: Tatsächlich war Hatra, dessen erhaltener äußerer Mauerring 116/117 noch nicht existierte,

374 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹ war: Die Stadt war bestens geeignet, um die dem Tigris folgende, leichteste Passage zwischen Obermesopotamien und Babylonien zu sperren . Kein Ort entlang der Route SingaraKtesiphon eignete sich besser als Ausgangsbasis für weitere Feldzüge nach Assyrien und Babylonien . Hatra in Besitz zu nehmen, war also für den optimus princeps ein Gebot militärischen Sachverstandes .58 Trajans Legionäre aber scheiterten, wie Cassius Dio eindringlich schildert, an den Nachschubschwierigkeiten in der Wüste, dem unbarmherzigen Klima und den schon damals kaum zu überwindenden Befestigungsanlagen Hatras .59 Nicht anders erging es auf seinem zweiten Partherfeldzug Septimius Severus (197– 199), der nach seiner Einnahme Ktesiphons Hatra bestürmte – mit kaum mehr Glück als 80 Jahre zuvor Trajan .60 Nach diesem Misserfolg – die Belagerungsmaschinen waren in Flammen aufgegangen, viele Soldaten gefallen – versuchte er es mit erhöhter Anstrengung noch ein zweites Mal, das abermals im Fiasko endete . Mit im Spiel war diesmal offenbar auch offene Befehlsverweigerung seiner Soldaten .61 Wieder war es der Sonnengott, der Hatra beschirmte und die römischen Soldaten zurückwarf, die bereits eine Bresche in die Mauer geschlagen hatten . Außerdem waren die aufs Fouragieren angewiesenen Belagerer fortwährenden Angriffen ›arabischer‹ Reiter ausgesetzt – Beleg für die mit der Stadt alliierten nomadischen Stämme der Hatrene . Ein mögliches Motiv für die Energie, mit der sich Severus Hatra widmete, könnte in der Unterstützung gelegen haben, die Pescennius Niger durch den hatrenischen König Barsemias erfahren hatte .62 Anziehend wirkte wohl auch Hatras Wohlstand, denn jetzt war die Stadt weithin bekannt und beherbergte in ihren Mauern neben anderen Reichtümern zahlreiche Weihgaben für den Sonnengott .63 Dass Hatra in den Jahrzehnten zwischen Trajan und Septimius Severus eine sprunghafte Entwicklung durchgemacht hatte, wird durch die spärlichen und nur bedingt zuverlässigen Informationen der Textquellen allenfalls nahegelegt . Das rapide Wachstum der Stadt im 2 . Jahrhundert stützen jedoch die – aller Wahrscheinlichkeit nach – in die gleiche Zeit fallende bauliche Ausgestaltung des kultisch-repräsentativen Zentrums und die Errichtung einer neuen, die Stadtfläche erheblich erweiternden Stadtmauer . Sollte

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damals wohl noch eine relativ kleine Stadt . Wahrscheinlich entstanden auch die großen Kultbauten des zentralen Temenos erst im Laufe des 2 . Jahrhunderts . Die strategische Bedeutung von Hatra heben hervor: Isaac 1990, 154f .; Isaac 2013, 27–29 . Cass . Dio 68,31,2–4 . Durchaus doppelsinnig ist die Bemerkung Dios, der Ἥλιος von Hatra habe die Stadt beschützt . Ebd . 76,10,1 . Ebd . 11,1–5 . Barsemias hatte Niger, wie Herodian . 3,1,3 berichtet, mit Bogenschützen unterstützt . Dieser Barsemias könnte mit dem vorletzten König Hatras, Abdsamiya, identisch gewesen sein . Eine solche Gleichsetzung ist nach Drijvers 1977, 824, sprachwissenschaftlich gerechtfertigt; ähnlich Aggoula 1983, 216 . Herodians Informationen sind jedoch nur bedingt zuverlässig: Er verortet Hatra im Weihrauchland der Arabia Felix, noch dazu auf der Klippe eines hohen Berges (3,9,2–4); außerdem lässt er Severus, anders als Dio, Hatra nur einmal belagern, und zwar vor der Einnahme Ktesiphons . Cass . Dio 76,12,2 . Zusammenfassend zur Belagerung: Drijvers 1977, 817f .; Aggoula 1983, 215f .; Tubach 1986, 216–223

Vom nomadischen �agerplatz zur Stadt des Son nengottes · 375 aber der Bait Alaha nicht nur religiöser und administrativer, sondern als zentraler Warenumschlagplatz auch kommerzieller Mittelpunkt der Stadt gewesen sein, dann wäre die Veränderung des Stadtbilds auch Ausdruck eines anhaltenden ökonomischen Aufschwungs .64 Hatras Entwicklung von einem Siedlungsplatz von allenfalls lokaler Bedeutung zur auch politisch relevanten überregionalen Handelsdrehscheibe mit demographischem Gewicht fiel, wenn diese hypothetische Rekonstruktion zutrifft, am ehesten ins 2 . Jahrhundert, zwischen die Partherkriege Trajans und des Septimius Severus . Unter dieser – und nur unter dieser – Voraussetzung quantitativen Wandels erhält ein Detail des epigraphischen Befunds überragende Bedeutung, das seinerseits gravierende qualitative Veränderungen in der soziopolitischen Organisation Hatras suggeriert: die offensichtliche Ablösung des Herrschertitels ›unser Herr‹ (mryʾ) durch ›König‹ (mlkʾ) bzw . ›König von Arab‹ (mlkʾ dy ʿrb) bzw . ›König der Araber‹ (mlkʾ d ʿrby) .65 Dabei gibt bereits die Chronologie der ›Herren‹ und ›Könige‹ von Hatra so viele Rätsel auf, dass jeder Versuch, eine Herrscherliste zu rekonstruieren, unweigerlich spekulativ bleiben muss . Das Hauptproblem liegt darin, dass die wenigsten Inschriften datiert und selbst diejenigen, die eine Jahreszahl tragen, nicht eindeutig zu lesen sind .66 Die folgende Tabelle ist der Versuch, das epigraphische Material in eine möglichst widerspruchsfreie Ordnung zu bringen, die freilich von einer Reihe von Prämissen abhängt:67 64 Für die Identität von Kult- und Wirtschaftszentrum plädiert Freyberger 1998, 101 . Gegen Hatra als ›Karawanenstadt‹ analog zu Palmyra wird oft das vollständige Fehlen jeglichen Hinweises auf Karawanen im epigraphischen Befund ins Feld geführt, etwa von Gawlikowski 1994a, 27; Young 2001, 192 . Dass dieses argumentum ex silentio nicht greift, gibt auch Kaizer 2013, 66, zu, der generell nicht zu den Verfechtern der KarawanenstadtHypothese zählt . Wie Kaizer richtig anmerkt, könnte das Klima für Ehrungen im polyzentrischen Palmyra ein ganz anderes gewesen sein als im monarchisch regierten Hatra . Ursache für die Leerstelle könnte also ein von Palmyra abweichender epigraphischer Habitus sein . Bis zum Beweis des Gegenteils ist die Tabula Peutingeriana, die Hatra als wichtigen Knotenpunkt mehrerer sich hier kreuzender Straßen verzeichnet, hinreichender Beleg für Hatras exzeptionell günstige verkehrstechnische Lage, die auch von kommerzieller Bedeutung gewesen sein dürfte: Gregoratti 2013, 47–50 . Dass, wie von Freyberger 1998 vertreten, im Bait Alaha auch Waren den Besitzer wechselten, ist eine plausible Annahme . 65 Der Titel mryʾ taucht letztmalig 161/162 n . Chr . (H 363) auf, wo ein ʿqbšmš sich als »Sohn des mryʾ« bezeichnet – mryʾ könnte freilich hier auch ein Eigenname sein, außerdem ist nicht gewährleistet, dass, selbst wenn es sich um einen Titel handelte, der erwähnte mryʾ zum fraglichen Zeitpunkt noch amtierte . Zwei weitere Inschriften aus dem Jahr 151/152 (H 336; 343) belegen eine Versammlung der »Hatrener und Araber«, die von einem rbyt (›Großen des Hauses‹) geleitet wird . Auch dies ist kein wirklicher Beleg, weil Versammlung und rbyt auch unter dem Königtum fortbestanden haben können . So ist die Inschrift aus dem Jahr 137/138, die Naṣrū, den Erbauer der Temenosmauer, mryʾ nennt, der letzte sichere Anhaltspunkt für die Existenz des Amtes . Zur Frage, ob ein Titel den anderen ablöste: Sommer 2003a, 28f .; Sommer 2003b, 390f . 66 Bisherige Versuche vor allem Aggoula 1972; verwirrend, da von einer offensichtlich falschen Lesung der Jahreszahlen ausgehend: Safar 1973; Hauser 1998 . Zum Folgenden ausführlicher Sommer 2003a, 22–28f .; Sommer 2003b, 385–390f . 67 Prämisse 1: Nur ein mryʾ amtierte jeweils in Hatra . Contra, ohne überzeugende Gründe, Drijvers 1977, 821, der den Worōd-Sohn Maʿnū in die Jahrhundertmitte datieren möchte; Prämisse 2: Die Lesung der wenigen Jahreszahlen ist korrekt; Prämisse 3: Der Phylarch Mannos, der laut Cass . Dio 68,21 Trajan huldigte, ist tat-

376 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹ Name Worōd68 Maʿnū

Titel Inschriften H mryʾ 123, 189, 233, 266f . mryʾ (189), (230), 288c

dat . Inschriften H Sekundärquellen

Elkūd69

mryʾ (349), (350), 416

416: 367 SÄ70

Našrihab71

mryʾ 194, 272, 274, 338, 346, 351f ., 356, 360–362

Naṣrū73

Wolgaš75

68

69

70

71 72

73

74

75

Cass . Dio 68,21 (114 n . Chr .)

272: 449 SÄ 338: 444 SÄ 346: 440 SÄ72 mryʾ 33, 67, 82, 194, 196f ., 82: 488 SÄ 199, 231, 250, 272, 273f ., 272: 449 SÄ 338, 345, 346, 347f ., 338: 444 SÄ 351–353, 355f ., 358f ., 361, 346: 440 SÄ74 367–371, 375f ., 378, 386 mryʾ 33, 140, 348 mlkʾ 193, 286, 285

sächlich identisch mit dem in H 189, 230 und 288c benannten Maʿnū (siehe oben, S . 373, Anm . 56) . In der Tabelle datierte Inschriften kursiv, unsichere Zuweisungen in Klammern; Vokalisierungen spekulativ . Worōd war der Vater eines Maʿnū (H 189), wohl des späteren mryʾ, sowie eines ʾšttʾ (H 123) . Er war vermutlich der Erbauer eines Teils der Iwangruppe (datiert durch H 108 auf 110/111 n . Chr ., siehe oben, S . 365, Anm . 15): Safar 1973, 91 . Elkūd war der Vater des prnrh und ein Elkūd war Vater eines Našrihab (H 349; 350) . Wenn der mryʾ Elkūd der Vater des mryʾ Našrihab war, läge damit eine (fast) ununterbrochene patrilineare Herrscherfolge von Elkūd bis zu Sanaṭrūq II ., dem letzten hatrenischen König, vor . Die stark beschädigte Inschrift lässt als Lesungen 167, 267, 367, 467, 567 und 667 SÄ zu . Gawlikowski 1994a, 183, und Hauser 1998, 501, mit guten Gründung für die Lesung 367 SÄ = 155/156 n . Chr . Die Inschrift ist die (Grab?-)Inschrift des Sohnes von Elkūd, Vater des prnhr . Wenn prnhr 155/156 gestorben ist, mag sein Vater eine Generation (20–30 Jahre oder länger?) zuvor als mryʾ amtiert haben . Seine Amtszeit wäre dann auf die Zeit zwischen vielleicht 115 und 125 n . Chr . zu datieren . Našrihab wird vielfach erwähnt als Vater des Naṣrū, einmal (H 194) auch als Großvater des mlkʾ Sanaṭrūq . 272: 137/138 n . Chr .; 338: 132/133 n . Chr .; 346: 128/129 n . Chr .: Naṣrū amtierte laut H 346 bereits im Jahr 128/129 als mryʾ, Našrihab war also bereits gestorben . Naṣrū hatte laut H 338 im Jahr 132/133 bereits einen Enkel, der einen Altar weihte, und war »alt« . Er wird zu diesem Zeitpunkt also schon länger, mindestens einige Jahre, amtiert haben . Naṣrū ist vielfach als Sohn des Našrihab ausgewiesen . Er ist Vater von mindestens drei Söhnen: Sanaṭrūq (snṭrwq, H 194, 196, 197, 199, 231, 345, 347, 353, 367, 368, 369, 370, 371, 375, 376, 378), Wolgaš (wlgš, H 33, 348) und ṭpšr (H 338) . 82: 176/177 n . Chr .; 272: 137/138 n . Chr .; 338: 132/133 n . Chr .; 346: 128/129 n . Chr . Da Sanaṭrūq in H 82 als »König« erwähnt wird, war Naṣrū zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit gestorben . Man wird seinen Tod bald nach 137/138 voraussetzen dürfen, da er (H 338) bereits 132/133 »alt« und Großvater eines (erwachsenen?) Enkels war . Wolgaš war Sohn des Naṣrū und ist (jeweils ohne Datierung) sowohl als »Herr« wie als »König« belegt . Er hatte einen gleichnamigen Sohn (H 366) .

Vom nomadischen �agerplatz zur Stadt des Son nengottes · 377 Name Sanaṭrūq (I .)76

ʿAbdsamiyaʾ77 Sanaṭrūq (II .)78

Titel Inschriften H dat . Inschriften H Sekundärquellen mryʾ 232 mlkʾ 28, 82, 139, 194, 196– 82: 488 SÄ 199, 231, 287, 334, 345, 347, 353, 367–371, 373, 375f ., 378, (379), (380), (384), (385) mlkʾ 28, 79, 195, 203, 223, Herodian . 3,1,3 277 . (ca . 197–199 n . Chr .) mlkʾ 36, 79, 195, 203, 229, 229: 541 SÄ79 333f ., 341

Wenigstens in Umrissen zeichnet sich eine Herrscherfolge ohne logische Widersprüche ab: Fixpunkte sind die Regierungszeiten von Naṣrū, Sanaṭrūq I . und Sanaṭrūq II ., die sich anhand der datierten Inschriften recht sicher den 20er und 30er Jahren des 2 . Jahrhunderts, den Jahren um 175 und der Schlussphase von Hatras Existenz (vor 240/241) zuweisen lassen . Die Regierungszeit ʿAbdsamiyaʾs lag zweifelsfrei zwischen der der beiden Sanaṭrūqs und ist dank Herodian der Zeit des zweiten Partherkriegs des Septimius Severus zuzurechnen (ca . 197–199) . Problemlos ist auch die ungefähre chronologische Verortung von Našrihabs Amtszeit als ›Herr‹ von Hatra: Er war der Vater des Naṣrū und sicher dessen direkter Vorgänger . Schwierigkeiten bereitet Wolgaš, wie Sanaṭrūq I . ein Sohn Naṣrūs und noch am ehesten – angesichts der fast 40 Jahre auseinanderliegenden Eckwerte für die Regierungszeiten Sanaṭrūqs I . und seines Vaters (137/138 und 176/177) – zwischen Vater und Bruder amtierend . Problematisch ist vor allem, dass beide Naṣrū-Söhne, Sanaṭrūq I . und Wolgaš, sowohl als ›Herr‹ wie als ›König‹ firmieren . Sieht man in Wolgaš den ersten ›König‹, so fragt man sich, warum sein Nachfolger Sanaṭrūq I . dann späterhin wieder den Titel mryʾ trug . War hingegen Sanaṭrūq I . der Erste, der die Königswürde errang, dann ergibt die Titulatur bei seinem Vorgänger Wolgaš keinen Sinn . Es griffe zu kurz, in der einmaligen Erwähnung Sanaṭrūqs I . als mryʾ lediglich einen Fehler zu sehen . Eher könnte der prestigereichere Königstitel in der Amtszeit Sanaṭrūqs I . auf dessen bereits toten

76 Wie sein Bruder Wolgaš taucht auch Sanaṭrūq als »Herr« – allerdings nur ein einziges Mal durch die undatierte Inschrift H 232 belegt – und »König« auf . König war er sicher im Jahr 488 SÄ (= 176/177 n . Chr ., H 82) . Sanaṭrūq war Vater des ʿAbdsamiyaʾ (H 287, 373, 375) und Großvater von Sanaṭrūq (II .) (H 333) . 77 ʿAbdsamiyaʾ war Sohn des Sanaṭrūq und Vater eines weiteren Sanaṭrūq (II .) (H 79, 195, 203) . Seine Mutter hieß smyʾ (H 28) . Er ist – wie Drijvers 1977, 824, plausibel macht – mit dem von Herodian erwähnten »König« Barsemias zu identifizieren . 78 Sanaṭrūq (II .) war der Sohn ʿAbdsamiyaʾs . Er war Vater einer Tochter (dšpr?, H 79) . 79 229/230 n . Chr . Die Inschrift befand sich an einer Ehrenstatue für den »Wohltäter« Sanaṭrūq .

378 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹ Bruder rückprojiziert worden sein . Denkbar wäre andererseits auch, dass Sanaṭrūq als Thronfolger seines bereits als ›König‹ regierenden Bruders den Titel eines ›Herrn‹ trug .80 Schwieriger ist die Herrscherfolge vor Našrihab zu rekonstruieren . Recht sicher lässt sich Worōd dem beginnenden 2 . Jahrhundert zuweisen: Zweifelsfrei ist er mit dem Bau des großen Südiwans im Bait Alaha in Verbindung zu bringen, da allein Inschriften mit seinem Namen gut sichtbar in die Baustruktur eingebunden sind . Die aus dem Iwan stammende Inschrift H 108, obwohl nicht in situ gefunden, erhärtet die Annahme, dass der Bau im frühen 2 . Jahrhundert entstand .81 Da Worōd nachweislich einen Sohn namens Maʿnū hatte und nur ein ›Herr‹ dieses Namens bekannt ist, wird Maʿnū am ehesten Worōds direkter Nachfolger gewesen sein .82 Vorzüglich in diesen Rahmen passt das Datum 114 n . Chr . – die Trajan entgegengebrachte Huldigung des »Mannos« bei Cassius Dio . Wer aber folgte auf Maʿnū? Angesichts der relativ kurzen Zeitspanne zwischen 114 und 128/129, in der man nicht nur Maʿnū und den bereits betagten Naṣrū, sondern auch dessen Vater Našrihab unterzubringen hat, möchte man am liebsten Našrihab direkt auf Maʿnū folgen lassen . Dennoch hat es den Anschein, als sei der letzte noch fehlende mryʾ, dessen Name überliefert ist, Elkūd, noch zwischen beiden anzusetzen: Er war der Vater eines Našrihab und könnte der Gründer einer neuen Dynastie gewesen sein .83 So wäre denn Worōd zu Anfang des 2 . Jahrhunderts der erste uns namentlich bekannte ›Herr‹ von Hatra gewesen: Er ließ um 110 n . Chr . den Südiwan im Bait Alaha bauen und starb wenig später, in der Herrschaft gefolgt von seinem Sohn Maʿnū .84 Maʿnū war es, der 80 Gegen den letzten Erklärungsversuch spräche dann freilich, dass eine ähnliche Regelung unter den späteren Königen nicht mehr zur Anwendung kam . 81 Bertolino 1995, 40f .: 422 SÄ = 110/111 n . Chr . 82 H 189; 288c . Maʿnū wird meist in die Jahrhundertmitte datiert, weil die Inschrift 288c auf einem dreiseitig beschrifteten Block zusammen mit zwei datierten Inschriften angebracht ist . Die beiden anderen Inschriften gehören wohl in die Jahre 460 SÄ (148/149 n . Chr ., 288a) bzw . 468 (156/157 n . Chr ., 288b) . Da nun schon diese beiden Inschriften in zwei unterschiedliche Jahre datieren, spricht nichts dagegen, dass die auf Maʿnū Bezug nehmende Inschrift 288c älteren Datums ist . Ähnlich auch Hauser 1998, 501, Anm . 553 . Keinesfalls ist dagegen Maʿnū der Vater des Worōd, wie Aggoula 1983, 214, mutmaßt . 83 Dazu passen würde das Datum der Inschrift, wohl die Grabinschrift eines anderen Sohnes des Elkūd (siehe oben, S . 376, Anm . 69) . 84 Zur Datierung von Worōd ins frühe 2 . Jahrhundert auf numismatischer Grundlage auch Hartmann/Luther 2002 . Die Verfasser weisen schlüssig die Herkunft der von einem Worōd geprägten Bronzemünzen aus Hatra nach (ebd ., 163), betonen die Ähnlichkeit mit römischen Provinzialprägungen (Greek Imperials) aus Antiocheia (ebd ., 165), plädieren jedoch für eine Datierung geringfügig später als ins erste Jahrzehnt des 2 . Jahrhunderts, nämlich in die Zeit der trajanischen Invasion, für die hier Maʿnū als Herrscher vorgeschlagen wird (ebd ., 166f .) . Hauptargument der Verfasser ist das auf dem Revers der Worōd-Münzen in einem Kranz geprägte »SC« (senatus consulto), das (ebd ., 166) beweise, dass die Münzen »von einem Fürsten geprägt [wurden], der entweder unter römischer Oberhoheit stand oder freundschaftliche Beziehungen zu Rom unterhielt .« Bedenkt man, dass »SC« als Zeichen durchaus unterschiedlich gelesen werden konnte und in einer Zone kultureller Uneindeutigkeit wie der Steppengrenze keineswegs unter generellem »Ideologieverdacht« stehen musste, so ist das Argument nicht zwingend . Worōd kann sehr wohl vor Trajans Krieg amtiert haben, das »SC« bedeutete noch keine Loyalitätserklärung an die Adresse Roms .

Vom nomadischen �agerplatz zur Stadt des Son nengottes · 379 in der Frühphase des trajanischen Partherkriegs nach Edessa reiste, um dort 114 n . Chr . dem römischen Kaiser, gemeinsam mit den Herrschern von Osrhoene und Anthemusias, Geschenke bringend seine Aufwartung zu machen . Offenbar erfolgte wenig später ein neuerlicher Herrscherwechsel, der Elkūd auf den Thron brachte . Möglicherweise regierte Maʿnū schon nicht mehr, als Trajan 116/117 Hatra belagerte; dann könnte die mesopotamische Revolte gegen die römische Herrschaft mit einem gewaltsamen Umsturz in Hatra einhergegangen sein, so wie sie es in Edessa dem Anschein nach getan hatte .85 Elkūd muss bei Herrschaftsantritt schon recht alt gewesen sein; jedenfalls beerbte ihn alsbald sein Sohn Našrihab, der wiederum vor 128/129 seinem Sohn Naṣrū Platz machte – bei der unter antiken Verhältnissen üblichen kurzen Generationenfolge freilich keine Unmöglichkeit . Naṣrū errichtete 137/138 die Temenosmauer und hinterließ später die Herrschaft seinem wohl bereits älteren Sohn Wolgaš . Dieser nahm – vielleicht – den Königstitel an . Er wird, bei den vergleichsweise wenigen Inschriften, die seinen Namen nennen, nicht allzu lange regiert haben . Wenn Wolgaš sich noch nicht König nannte, so war es sein Bruder Sanaṭrūq (I .), der spätestens 176/177 als Erster nach dem Titel eines mlkʾ griff . Ihm folgten, vielleicht bald danach, sein Sohn ʿAbdsamiyaʾ, der noch mindestens bis zum zweiten Partherkrieg des Septimius Severus (197–199) regierte, und sein Enkel Sanaṭrūq (II .) in der Herrschaft nach . Wohl noch unter Sanaṭrūq II . fiel innerhalb weniger Jahre der Vorhang vor der blühenden Metropole . Der Kollaps des Partherreichs und die sasanidische Machtergreifung setzten eine Kettenreaktion in Gang, in deren Ergebnis Hatra jene öde, später vergessene Ruinenstätte in media solitudine wurde, die Ammianus Marcellinus als Teilnehmer an Iulians Perserkrieg auf dem von Jovian verantworteten Rückzug 363/364 n . Chr . mit eigenen Augen sah .86 Die wenigen uns bekannten Eckdaten der Entwicklung, in deren Verlauf Hatra unterging, erlauben eine Rekonstruktion der Ereignisse nur unter Vorbehalt: Nach dem Sieg über die Parther (also wohl um 228) habe Artaxerxes (Ardaxšīr) sich gegen Hatra gewandt, die Stadt belagert, sie aber nicht eingenommen, berichtet Cassius Dio .87 Wenige Jahre später stoßen wir auf die Anwesenheit von Römern in Hatra .88 Um 238 war 85 Siehe oben, S . 234 . 86 Amm . 25,8,5: hac etiam suspicione iam liberi properantesque itineribus magnis prope Hatram venimus, vetus oppidum in media solitudine positum, olimque desertum, quod eruendum adorti temporibus variis Traianus et Severus principes bellicosi cum exercitibus paene deleti sunt, ut in eorum actibus has quoque digressimus partes . 87 Cass . Dio 80,3,2: Ἀρταξέρξης γάρ τις Πέρσης τούς τε Πάρθους τρισὶ μάχαις νικήσας, καὶ τὸν βασιλέα αὐτῶν Ἀρτάβανον ἀποκτείνας, ἐπὶ τὰ Ἄτρα ἐπεστράτευσεν, ἐπιβασίαν ἀπ᾽ αὐτῶν ἐπὶ τοὺς Ῥωμαίους ποιούμενος (›Denn ein Perser Artaxerxes besiegte die Parther in drei Schlachten, tötete ihren König Artabanos und unternahm dann einen Feldzug gegen Hatra, um sich so einen Ausgangspunkt für Angriffe gegen die Römer zu schaffen‹) . Zur Deutung des Passus einleuchtend Wiesehöfer 1982, 445: »Ganz offensichtlich waren die Parther nicht bereit gewesen, nach der parthischen nun die sassanidische Oberherrschaft anzuerkennen .« 88 Belegt durch drei lateinische Inschriften: Maricq 1957, Inschrift Nr . 79, datiert nach dem Konsulat des Severus und Quintianus (235), belegt die Anwesenheit eines Römers in Hatra, die Inschriften Nr . 80 und 81 sind Votivinschriften eines tribunus militum der cohors IX Maurorum Gordiana der legio I Parthica, die also zu diesem Zeitpunkt (wegen der Erwähnung eines Gordians frühestens 238) in Hatra stationiert war . Bereits für

380 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹ sicher eine Kohorte der legio I Parthica in der Stadt stationiert, die vermutlich kurz nach dem Sturz der Arsakiden dort Posten bezogen hatte . Die Frage ist, ob Hatra die Seiten freiwillig oder unter dem militärischen Druck des römischen Imperiums gewechselt hatte . Die Ereignisse lassen sich am ehesten im Licht der sasanidischen Expansion interpretieren, die auch die autonome Stellung Hatras als Stadt der Steppengrenze in Frage stellte . Den Hatrenern bot sich ein renversement des alliances von selbst an: Ardaxšīr trieb sie in die Arme der Römer, die ihrerseits die wehrhafte, strategisch an einer Schlüsselposition liegende Stadt dankbar als Bastion in ihr Defensivsystem einbezogen .89 Der massiven sasanidischen Offensive hatte allerdings auch die römische Garnison in Hatra nicht genug entgegenzusetzen: Wohl im Frühjahr 240 erlag die Stadt den Truppen Ardaxšīrs .90

Das ›Königreich der Araber‹ und die großen Mächte Kurz vor der Zerstörung Hatras durch die Sasaniden (240), vielleicht gar in einem der letzten Jahre seiner Existenz, stellten die Brüder Elkūd und Yahbarmarēn, »die Söhne des Šamšbarek, des Sohnes des Elkūd, des Sohnes des Šamšbarek«, »und ihre Nachkommen«91 in der Vorcella des Tempels XI, westlich des Bait Alaha, eine Statue des hatrenischen Kö231/232 sind Straßenbauarbeiten durch Truppen des Severus Alexander nahe Singara belegt (ebd ., 294), der sich so eine Aufmarschbasis für seinen Feldzug gegen die Sasaniden (231–233) schuf: Hauser 2013, 130–133 . 89 Ein weiterer Grund für die Hinwendung der Hatrener zum römischen Imperium mag, wie Wiesehöfer 1982, 446, anmerkt, im Aufstieg des untermesopotamischen Ḥīra zum neuen Knotenpunkt des Fern-, besonders des Weihrauchhandels in Arabien gelegen haben . In der Tat drohte wohl Hatra angesichts der neuen weltpolitischen Lage womöglich auch kommerziell ins Hintertreffen zu geraten . 90 Aber erst nach wohl zweijähriger Belagerung . Eine exakte Datierung der Einnahme von Hatra ermöglicht der Kölner Mani-Codex (P . Colon . 4780), der besagt, dass Mani seine erste Offenbarung im Jahr des Falls der Stadt, am 23 . April 240 (551 SÄ), erhielt . Die Sasaniden werden Hatra wohl noch 240 eingenommen haben, dem Jahr der Krönung Šābuhrs I . Umstritten ist daher, ob noch Ardaxšīr oder bereits Šābuhr der Eroberer war . Vgl . aber zur exakten Datierung Mosig-Walburg 1980; (für das Frühjahr 240) Chaumont 1979; Hauser 2013, 137–139 . Das Ereignis hinterließ tiefe Spuren in der oral tradition Syriens und Mesopotamiens und brach noch nach Jahrhunderten in der klassischen arabischen Historiographie durch: Ibn al-Faqīh (198) erwähnt Ardaxšīr als Eroberer, die meisten anderen Texte (so aṭ-Ṭabarī 1,705, Yākūt 2,282) geben Šābuhr an . Die Eroberung des »Hatra des Sāṭirūn [sc . Sanaṭrūq]« wird anekdotisch mit anderen Episoden der römischsyrischen Geschichte (Zenobia, Ǧafniden) und mit topischen Versatzstücken (der Sage von Nisus und Scylla, der Erzählung von Kroisos und dem Märchen von der Prinzessin auf der Erbse) verknüpft: Danach belagerten die Sasaniden Hatra erfolglos, bis sich die Prinzessin Naḍīrā in Šābuhr verliebte und ihm verriet, dass die Stadt ein Talisman beschützte . Reflexe der Geschichte und des Untergangs von Hatra, das hier mehrfach mit dem biblischen Kālāḏḫ gleichgesetzt wird, gingen auch in die syrische Chronik-Literatur ein . Bemerkenswert ist ein Hinweis auf ein Gesetz, nach dem in Hatra »jeder gesteinigt wurde, der eine kleine Sache stiehlt, selbst wenn sie nur einen Obolus wert ist« (Bardaiṣan 46f .); wirklich findet sich in einer hatrenischen Inschrift ein entsprechender Beleg (H 343) . Zu den syrischen und arabischen Quellen: Herzfeld 1914, 657–667; Tubach 1986, 228–238; Toral-Niehoff 2014, 44f . 91 H 79,5–7

Das ›Königreich der Ar a�er‹ u nd die grossen Mächte · 381 nigs Sanaṭrūq II . auf, des letzten Herrschers der Stadt . Elkūd und Yahbarmarēn waren keine Einwohner Hatras, jedenfalls nicht primär, sondern Angehörige eines in der Ǧazīra beheimateten Nomadenstamms, und sie waren die Oberhäupter einer Sippe, die beiderseits der hatrenischen Stadtmauern, in der Metropole wie der Steppe, über Mitglieder verfügte, denn sie geboten über »wer immer zu ihnen gehört, mit allem Besitz, im Innern und außen« .92 Die Clanchefs gelobten mit der Aufstellung der Statue, dass Maʾana, dem Sohn Sanaṭrūqs, von den Ihren kein Leid geschehen solle . Die ganze Bedeutung der Inschrift erschließt sich erst aus ihrem epigraphischen Kontext: In Tempel XI fand sich noch eine Inschrift, die andere Stammesangehörige von Elkūd und Yahbarmarēn nennt; zwei weitere Inschriften geben Auskunft über den Ahnherrn Šamšbarek, der als rbytʾ eine hohe Funktion in Hatra bekleidete .93 Er leitete offensichtlich eine Versammlung aus »den Hatrenern, alten wie jungen, und den wʿrbyʿ«, die im Jahr 463 SÄ (151/152 n . Chr .) die Todesstrafe für jede Art von Diebstahl beschloss .94 Die vier Inschriften bringen grundlegende Fakten für das Verständnis der sozialen Organisation Hatras ans Licht: Erstens gab es offenbar Stammesälteste aus der Steppe, die in der Stadt über Einfluss und, im Fall des Šamšbarek, hohe Ämter verfügten . Zweitens überschnitten sich die Lebenskreise von Nomaden (wʿrbyʿ – ›Arabern‹) und Stadtbewohnern in der – realen oder fiktiven – Abstammungsgemeinschaft des Stammes: Die Clanführer geboten über Stammesangehörige »im Innern und außen« . Offensichtlich fungierten, drittens, Heiligtümer, im vorliegenden Fall der Tempel XI, als Schnittstellen oder Scharniere zwischen den Gruppen: Der Clan von Elkūd und Yahbarmarēn nutzte den Schrein gewissermaßen für amtliche Bekanntmachungen, die so auch den Stadtbewohnern zugänglich wurden .95 Vermutlich waren alle Kleintempel, ähnlich den Stammesheiligtümern Palmyras, als Kommunikationszentren zwischen Stadt und Steppe auch Keimzellen der Stadtviertelentwicklung . Ihre recht gleichmäßige Verteilung über das Stadtgebiet legt jedenfalls diese Interpretation nahe . Schließlich war, viertens, das Verhältnis zwischen der Zentrale (König Sanaṭrūq) und den nomadischen Sippen trotz realer oder fiktiver Blutsbande nicht grundsätzlich und automatisch spannungsfrei . Physische Gewalt lag gewissermaßen in der Luft, konnte aber durch Eide und vertragliche Abmachungen gebannt werden . Zwischen Stammesältesten und Zentrale herrschte eine fragile Machtbalance, die am ehesten die nur gemeinsam zu erzielenden Gewinne aus dem Fernhandel austarierten . Nur wenn Städter und Steppenbewohner ökonomisch am selben Strang zogen, konnte 92 Ebd ., 8f . (Hervorhebung M . S .) . 93 H 336,3 (›Großer des Hauses‹, meist irreführend mit ›Majordomus‹ wiedergegeben, in Wirklichkeit etwa ›Verwalter‹, ›Vorsteher‹) . 94 H 80 (Stammesangehörige); H 336; 343 (Šamšbarek); H 336,3 . Zur Inschrift, ihrer Datierung und Bedeutung grundlegend, mit Bezug auf das Modell der di- bzw . polymorphen Gesellschaft von Rowton: Dijkstra 1990; Kaizer 2006 . 95 Dijkstra 1990, 97f .: »The most suitable place for erecting the statue was obviously the antecella of the shrine that linked the tribe or clan of Yahbarmaren and Elkud in religious terms with the city .«

382 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹ das System im Lot gehalten werden . Rowtons Modell einer polymorphen Gesellschaft wurde von Figuren wie den ›Arabern‹ Elkūd und Yahbarmarēn geradezu mustergültig vorgelebt .96 Wer aber sind, in der Perspektive der hatrenischen Dokumente, die ›Araber‹ (ʿrbyʾ), was ist ›Arab‹ (ʿrb) und was hat es mit den ›Königen von Arab‹ (mlkʾ dy ʿrb bzw . mlkʾ dʿrbyʾ) auf sich, als welche die hatrenischen Könige firmieren?97 Offensichtlich ist mit ›Arab‹ ein fest umrissenes Territorium gemeint, in dem die ›Könige von Arab‹ ihre Herrschaft ausübten, ʿrbyʾ bezeichnet die Bewohner des entsprechenden Gebiets . Die Parallele zu den in den Inschriften von Sumatar Harabesi genannten ›Herrschern von Arab‹ drängt sich förmlich auf . Das Verhältnis zwischen Hatrenern und ›Arabern‹ einer-, zwischen dem durch sie konstituierten politischen Verband und den Großreichen der Römer und der Parther andererseits hat der Forschung immer wieder Rätsel aufgegeben und konnte bis heute nicht schlüssig bestimmt werden .98 Die Unsicherheiten und Fehldeutungen sind indes nicht allein der in sich eigentlich recht eindeutigen Quellenlage anzulasten, sondern gehen eher auf das Konto erheblicher katego96 Ebd ., 93: »Therefore, I should like to suggest that Yahbarmaren and Elkud, as members of the tribal élite, represent a nomadic tribe in an urban context .« 97 Der Übergang zur Form ʿrbyʾ (Arabya) (H 79,14) könnte als Versuch zu deuten sein, den entsprechenden Namen der römischen Provinz (Arabia) phonetisch zu kopieren . Immerhin bewegen wir uns mit der Inschrift vermutlich bereits in der Phase der römischen Besatzung in Hatra . So Segal 1986, 64, plausibler als die mit der Ereignisgeschichte kaum in Deckung zu bringende Deutung von Teixidor 1967/1968, 10: »ʿArab, the small area of which Sanatruq I, Vologases and Abedsemeia were kings, had expanded into a greater territory called Arabia, which covered partially the land of Mesopotamia from the Ḫābūr river down to the kingdom of Mesene .« Am wahrscheinlichsten jedoch bezieht sich ʿrbyʾ schlicht auf die Bewohner des ʾrb genannten Gebiets, eben die ›Araber‹ . In diesem Sinne Dijkstra 1990, 95f . Unentschlossen Gzella 2015, 930, Anm . 930 . 98 Von einer gewaltsamen Unterwerfung der ›Araber‹ durch Hatra gehen Teixidor 1967/1968, 10f ., und Segal 1986, 64, aus: »[…] the self-government of the Arabs around Hatra must have been appreciably curtailed .« Ähnlich Drijvers 1977, 822, und Millar 1993, 512 (»[…] relations of control of a hostile element or area«), bzw . Wiesehöfer 1982, 440 . Nach Meinung der meisten Autoren schlug die territoriale Expansion Hatras unmittelbar auf die Beziehungen der Stadt zum Arsakidenreich durch . Entsprechend ebd .: »Die Abhängigkeit von der parthischen Oberherrschaft wurde zur lockeren Klientel […] .« Segal 1986, 62: »The emergence of a semiindependent monarchy at Hatra must have coincided with a decline in the effective control of the area by the suzerain power of Parthia .« Winter 1988, 34: »Das Beispiel Hatra zeigt die Folgen dieser ›Machtzersplitterung‹ für die arsakidischen Herrscher, die der Unabhängigkeit lokaler Fürstentümer letztlich durch Tolerierung des Königstitels Rechnung tragen mußten .« Winter/Dignas 2001, 184: »[…] konnte Hatra seine relative Autonomie wahren und gleichzeitig seine Funktion als Pufferstaat zwischen dem römischen und arsakidischen Reich wahrnehmen .« Unentschieden Hauser 1998, 516: »Es soll daher vorgeschlagen werden, die Erhebung des Herrschers von Hatra zum König, analog zu anderen wichtigen Provinzen des Reiches, als sinnvolle Antwort der arsakidischen Zentralmacht zu interpretieren . Inwieweit dies eine feste Eingliederung Hatras in das Arsakidenreich bedingt oder doch eine halbunabhängige Pufferstellung für das ›Königreich der Araber‹ angenommen werden sollte, kann dabei offen bleiben .« Deutlich aber Hauser 2000, 191: »All this should caution us against ascribing any independence to the Hatrean king because of his title . The title ›king‹ within the Arsacid realm has not only nothing to do with independence, it also indicates simply that the King of Kings is aptly named .« Ähnlich Gregoratti 2013, 50–54 .

Das ›Königreich der Ar a�er‹ u nd die grossen Mächte · 383 rialer Unschärfen, methodischer Unzulänglichkeiten und unangemessener Dichotomien: Wer bei der Errichtung der Königreichs von Arab Kräfte gewaltsamer Unterjochung arabischer Nomaden durch die Stadt Hatra am Werk sieht, folgt der Perspektive römischer Ethno- und Geographen, für die »Araber und Zeltbewohner«, Ἄραβες καὶ Σκηνῖται, grundsätzlich in scharfem, konfliktgeladenem Gegensatz zur sesshaften Bevölkerung lebten,99 und verkennt die komplexe Mechanik integrierter Stammesgesellschaften . Der Terminus ʿrbyʾ hatte für die Bewohner von Städten entlang der Steppengrenze wie Hatra, Palmyra, Petra und Edessa einen ganz anderen Klang als für Griechen, Römer oder auch die Bevölkerung des küstennahen Syrien oder Mesopotamien . Waren sie für die Hellenen lediglich die als ›Andere‹ stets feindlich wahrgenommenen Fremden, so öffneten steter Umgang, gemeinsame ökonomische Interessen und verwandtschaftliche Bindungen unter dem Vorzeichen des Polymorphismus ein Fenster für differenziertere Wahrnehmungen . Zwar gab es, auch ausweislich der hatrenischen Inschriften, durchaus Konflikte, doch dominierte über alle Grenzen von Stämmen und Lebensweisen hinweg das Wir-Bewusstsein, das starke Gefühl gemeinsamer tribaler Identität im Verband einer großen, auf ein urbanes Zentrum hin orientierten Stammeskonföderation . Sie fand in der Person des Herrschers, der in Personalunion König von Hatra und Rabba (›Oberhaupt‹) der Araber war, ihren höchsten Ausdruck .100 Die politisch-institutionelle Verzahnung von Nomaden und Sesshaften setzte sich nach unten fort auf der Ebene der rbytʾ (›Verwalter‹, ›Vorsteher‹) . Diese äußerst vielfältige Funktionärsgruppe, der als rbytʾ auch Šamšbarek, der Ahnherr von Elkūd und Yahbarmarēn angehörte, rekrutierte sich – wie das Beispiel Šamšbareks zeigt – auch aus Angehörigen der nomadischen Eliten . Als rbytʾ firmierten die Vorsteher der Tempel .101 Ohne Zusatz bezeichnete der Terminus wohl auch einen hohen Funktionär der Stadt oder des Tempels .102 Zur Riege der rbytʾ gehörte ferner der rbytʾ dy ʿrb, der ›Vorsteher der Araber‹ – schon der Titel gemahnt an den in Dura-Europos nachgewiesenen ἀραβάρχος .103 In Analogie zu rezenten und subrezenten polymorphen Gesellschaften, aber auch zur institutionellen Organisation in Mari wird man in ihnen am ehesten Oberhäupter der Einzelstämme sehen können, die in die Hierarchie staatlicher Bürokratie eingebunden waren .104 An die Struktur einer tribalen Gesellschaft erinnert auch die Institution des qšyš’ (›Ältesten‹), die in Personalunion von den ›Herren‹ von Hatra wahrgenommen werden konnte und die, als gleichsam ›gentildemokratisches‹ Element, auf die Existenz eines kollektiven Organs von Clan- oder Stammesältesten hindeutet .105 Bindeglieder zwischen Stamm und Stadt waren, wie gesehen, schließlich die re99 Strab . 16,753: Toral-Niehoff 2001, 114f . 100 So jedenfalls legt es die fragmentarische Inschrift H 231 nahe, die Sanaṭrūq als mlkʾ und rbʾ bezeichnet: Interpretation Segal 1986, 64 . 101 H 362: rbytʾ dj mrn – ›Vorsteher des Māran-Tempels‹, H 384,5: rbytʾ ʾlt – ›Vorsteher des Allat-Tempels‹ . 102 Vgl . Segal 1986, 65 . 103 H 223,4 . 104 Siehe oben, S . 105 . 105 H 338,3 .

384 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹ ale oder fiktive Abstammungsgemeinschaft, der sich beide Seiten zugehörig wussten, und die als gemeinsame Kult- und Kommunikationszentren dienenden Kleintempel in den Wohngebieten Hatras . Für die innere Struktur des Königreichs der Araber folgt daraus: Es handelte sich um einen hochgradig integrierten, wiewohl heterogenen, polymorphen Verband aus nomadischen und sesshaften Bevölkerungsgruppen, zusammengehalten durch ökonomische und politische Interessen, gemeinsam verehrte Götter, Rituale, die Sprache und das Gefühl ethnischer Identität (›Araber‹) . Territoriale Bezugsgröße war wohl ein Raum (›Arab‹), der wahrscheinlich die gesamte östliche Ǧazīra einschloss .106 Damit stellt sich die Frage nach dem Ort Hatras im politisch-strategischen Geflecht der Großmächte im Vorderen Orient . Die Forschung hat das Problem bisher auf zwei Extreme zugespitzt, so die komplexe Mechanik imperialer Systeme verkürzend: ›Zugehörigkeit Hatras zum Partherreich‹ vs . ›Unabhängigkeit‹ .107 Als kaum sachdienlicher erwiesen sich in ihrer vagen Unbestimmtheit die in Anspruch genommenen Kategorien .108 Erkennbar liegt den meisten Deutungen noch immer eine nationalstaatliche Perspektive zugrunde, die klare Grenzen voraussetzt . Imperien, vormoderne zumal, funktionieren aber nach anderen Regeln .109 Die Alternative ›unabhängig oder nicht?‹ stellt sich hier nirgends und zu keinem Zeitpunkt . Zu fragen ist vielmehr nach der Herrschaftsintensität: Wo im Kontinuum zwischen annektierter Provinz und souveränem Staat hatte Hatra seinen Platz? Das parthische Arsakidenreich gruppierte sich, wie schon zu sehen war, um einen relativ kleinen Kern direkt beherrschter Provinzen (Satrapien) vor allem in Mesopotamien, um die Hauptstadt Ktesiphon . Einen mittleren Rang auf der Autonomieskala hatten Territorien wie Dura-Europos inne, die indigenen Dynasten unterstanden, die aber nicht den Königstitel führten . Ammianus Marcellinus führte sie als vitaxa, im Iranischen hießen sie bidaxš .110 Noch mehr Autonomie besaßen Territorien, deren indigene Herrscher den Königstitel führten . In einigen von ihnen, die strategisch so wichtig oder militärisch so exponiert waren wie Media Atropatene oder Armenien, regierten arsakidische Se106 Sommer 2003a, 36–40 . 107 Als dritte Variante wurde vereinzelt auch eine Zugehörigkeit zum oder Allianz mit dem römischen Imperium schon seit dem Partherfeldzug des L . Verus (163–169) ins Spiel gebracht; vgl . Milik 1972, 361f . Die Annahme gründet maßgeblich auf der wörtlichen Interpretation einer Passage bei Luk . hist . conscr . 19 (Vordringen der Römer unter L . Verus bis zum Tigris), ist aber anderweitig nicht belegbar: Die Anwesenheit von Römern ist dagegen erst für die Regierungszeit des letzten hatrenischen Königs (235) zu belegen . Klarer Beweis für die unveränderte Zugehörigkeit Hatras zur parthischen Sphäre sind die aus dem 2 . Jahrhundert stammenden Grenzbefestigungen von Ḫirbet Ǧadāla nordöstlich und Ḫirbet Qbr Ibn Nāyf westlich von Hatra, die inzwischen eindeutig als arsakidisch nachgewiesen sind; vgl . Ibrahim 1986, Tf . 22f .; Hauser 1998, 518 . Historische Luftaufnahmen von Grenzfestungen finden sich bei Kennedy/Riley 1990, 211 . Ǧadāla wird hier freilich noch als römische Befestigungsanlage gedeutet . 108 »Abhängigkeit«, »lockere Klientel« (Wiesehöfer), »semi-independent monarchy« (Segal), »Machtzersplitterung« (Winter), »relative Autonomie« (Winter/Dignas), »(halbunabhängiger) Pufferstaat« (Hauser bzw . Winter/Dignas), »a Parthian town« (Gregoratti) . 109 Siehe oben, S . 56 . 110 Siehe oben, S . 301 .

Das ›Königreich der Ar a�er‹ u nd die grossen Mächte · 385 kundogenituren . Das Partherreich, mit dem ›König der Könige‹ an der Spitze, blieb Zeit seiner Existenz ein politisch heterogener Verband, der mehr einer mittelalterlichen Feudalmonarchie als dem mit seinem Provinzialsystem weitgehend integrierten Imperium der Römer glich . Indirekte Herrschaft bildete auf einem Großteil seiner Fläche den Kitt zwischen Zentrum und Peripherie; die autonomen Königreiche besaßen einen vergleichsweise großen Handlungsspielraum – besonders in dynastischen Krisen, wenn sie sich massiv in die Konflikte zwischen rivalisierenden Prätendenten einmischten .111 Hatra war kein souveräner Staat,112 es verfügte aber, seit der Erhebung seiner Dynasten zu Königen, innerhalb des Partherreichs über eine einheimische Dynastie und weitreichende innere Autonomie . Die parthische Oberherrschaft schlägt sich im epigraphischen Befund der Stadt nicht nieder . Sie wird auch für die Bewohner der Hatrene, ob Nomaden oder Sesshafte, kaum mehr als eine abstrakte Größe gewesen sein . In Hatra waren immerhin in nennenswertem Umfang arsakidische Münzen im Umlauf . Darüber hinaus wurden auch in der Stadt selbst Münzen mit aramäischer Legende geprägt .113 Zwischen 137/138 und 176/177, unter Wolgaš oder Sanaṭrūq I ., änderten die Herrscher von Hatra ihre Titulatur von mryʾ in mlkʾ . Warum? In dem neuen Titel spiegelte sich das gewachsene Prestige der Dynastie, wohl nicht zuletzt vor dem Hintergrund des politischen und ökonomischen Gewichts, das Hatra um die Jahrhundertmitte aufgrund seiner neuen Grenzlage erlangt hatte . Damit ist jedoch wenig über die politische Semantik des 111 Plin . nat . 6,112 nennt 18 parthische regna, aus denen sich das Reich quasi-föderal zusammensetze . Tac . ann . 11,8 spricht von den Kernprovinzen als praefecturae, in die sich die parthischen Truppen im Notfall zurückzögen . Wiesehöfer 1993, 198, zählt als parthische Königreiche auf: Persis, Elymais, Charakene, Hatra, Osrhoene, Adiabene, Media Atropatene, Hyrkanien, Sēgān, Virōzān, Armenien, Balāsagān, Gēlān, Kermān, Makrān, Turgistān, Hind, Sakastān, Marv, Choresmien . Zur Rolle parthischer regna bei dynastischen Streitigkeiten im Arsakidenreich paradigmatisch Schuol 2000, 315 . 112 Den überzeugenden Nachweis führt, gegen Chaumont 1979, 437f ., Hauser 1998, 516 . Zwar behauptet Herodian . 3,5,1, Septimius Severus habe seinen Feldzug ἐπὶ τὸν Ἀτρηνῶν βασιλέα ἔς τε τὴν Παρθυαίων geführt, so als habe es sich um zwei unabhängige, gleichrangige Einheiten gehandelt, doch legte sich derselbe Kaiser nach seinem Sieg die Ehrennahmen Parthicus Arabicus und Parthicus Adiabenicus zu . Parthicus Arabicus kann sich nur auf die Hatrener als ›parthische Araber‹ beziehen, wie Hauser (ebd .) plausibel herausarbeitet . Wenn die Hatrener ›parthische Araber‹ waren, ist damit ein souveräner Status des Königreichs der Araber auszuschließen . 113 Drei Typen sind bekannt . Typ A (mit dem Bild des Helios-Šamaš) zerfällt in drei Serien; Typ B zeigt Barmārēn, Typ C einen in der Legende als »Herrn der Götter« (Māralāhē) ausgewiesenen jugendlichen Mondgott (Sīn) . Die Zuweisung zu Hatra ist für Typ C umstritten, da kein Stadtname in der Legende erscheint und das Epitheton »Herr der Götter« für Sīn im Kontext des auf Šamaš hin orientierten hatrenischen Pantheons Probleme aufwürfe: Tubach 1986, 286–295; Hauser 1998, 506f . Zur Bedeutung des Münzprägerechts im Partherreich grundsätzlich, wenngleich nicht unproblematisch: Schuol 2000, 217: »Die Münzemissionen dokumentieren den politischen Status der betreffenden Region, denn die Existenz einer Münzprägestätte setzt das Recht zur Münzprägung voraus . Selbständige Herrscher waren frei in der Ausgabe sämtlicher Nominale, während die in verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen und -graden befindlichen lokalen Dynasten oder Städte häufig nur kleine Nominale ausgeben durften .« Dass das parthische Hatra keine eigenen Nominale ausgegeben habe, behauptet fälschlich de Jong 2013, 151 .

386 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹ Titulaturwechsels ausgesagt; vielmehr knüpfen sich weitere Fragen an: Woher empfingen die Herrscher Hatras den Impuls zur Annahme des Königstitels, wenn die vielfach diskutierte gewaltsame Unterwerfung der umwohnenden Stämme durch die Stadt nicht die Ursache war? Welche Implikationen hatte der neue Status Hatras auf der machtpolitischen Bühne des Arsakidenreichs und, darüber hinaus, der römisch-parthischen Beziehungen? Welchen Stellenwert im Partherreich hatte Hatra besessen, solange es kein regnum gewesen war, bevor also seine Herrscher zu ›Königen von Arab‹ aufgestiegen waren? Hatra war vor seiner Erhebung zum Königreich autonomes Territorium unter einer lokalen Dynastie, deren Herrscher den ebenfalls lokalen Titel mryʾ trugen . Hypothetisch wollen wir annehmen, dass solch ein Herrscher ohne Königstitel in der imperialen Hackordnung des Partherreichs den Vertretern der Dynastien von Dura-Europos und Edessa – vor der Erhebung in den Status von Königen – ebenbürtig war: Er rangierte über den direkt von Ktesiphon abhängigen Satrapen, aber unterhalb der reges . Wir haben gesehen, dass in Dura-Europos der Titel eines solchen Herrschers der mittleren Ebene wahrscheinlich wenigstens zeitweise bidaxš lautete . Die hatrenischen Inschriften nennen hingegen keine imperialen, sondern lediglich lokale Titel . Dennoch ist die Annahme plausibel, dass der mryʾ der hatrenischen Inschriften dem bidaxš der Reichsebene entsprach, so wie der mlkʾ das lokale Äquivalent zum parthischen rex war . Für den Aufstieg, den die Stadtherren von Hatra vermutlich in den 170er Jahren absolvierten, gibt es den Präzedenzfall ihrer um Christi Geburt zu Königen von Osrhoene aufgestiegenen Kollegen in Edessa .114 Bei der Königserhebung spielten innere Faktoren eine Rolle . Anders als andere regna des Partherreichs wie Charakene und Osrhoene konnte Hatra nicht auf eine bis in seleukidische oder wenigstens früharsakidische Zeit zurückreichende urbane Tradition zurückblicken . Die polymorphe Soziogenese erfolgte aus dem Machtvakuum der Steppe heraus, die Ausformung zentraler Institutionen markierte die Etappen auf dem Weg zu einer Art autonomer Proto-Staatlichkeit: Bau des zentralen Tempelkomplexes, Konstruktion der Göttertrias als eines integrativen Theologumenon, Schaffung politischer Ämter115 und Symbole .116 Parallel dazu nahm Hatra seinen rasanten Aufschwung vom NomadenLagerplatz zum Entrepot des interkontinentalen Fernhandels . Gleichsam als Schlussstein komplettierte nun das Königtum das Ensemble politischer Institutionen und verlieh dem gewachsenen Prestige der Stadt sichtbaren Ausdruck . 114 Siehe oben, S . 234 . 115 Neben mryʾ und den diversen rbytʾ auch das dem nomadischen Erbe entstammende Amt des qšyš’ (›Ältesten‹, H 202; 290; 336; 338; 342; 343) . 116 Ein entsprechender Hinweis könnte mit dem in zahlreichen Inschriften (H 3,2; 52,2; 65,6; 74,5; 79,10; 82,5, 151,2; 201,1; 209,1; 213,4; 235,1; 280; 384,1) genannten smyʾ (›Standarte‹ – σημεῖον) vorliegen . Σημεῖα aus Hatra sind ikonographisch belegt . Sie bestanden aus einer – den römischen Legionsadlern vergleichbaren – Standarte mit Ringen, gekrönt von einem Adler und einer Mondsichel . Σημεῖα genossen kultische Verehrung und standen meist in Verbindung mit der Göttertrias . Über das σημεῖον wachte ein eigens dafür bestallter Funktionär (rb smyʾ, H 56; 384,1): Drijvers 1977, 834f .; Segal 1986, 65; Dirven 2008, 239; Anderson 2017 . Die Abbildung eines σημεῖον bei Tubach 1986, Abb . 6 im Anhang .

Das ›Königreich der Ar a�er‹ u nd die grossen Mächte · 387 Neben inneren Beweggründen war die gleichsam außen- und reichspolitische Konstellation entscheidend . Der parthische König erhob den mryʾ von Hatra in den Rang eines mlkʾ, die Ǧazīra erhielt somit den Rang eines ›Königreichs von Arab‹ . Es liegt nahe, den Akt mit einem Wandel der politischen Großwetterlage in Verbindung zu bringen, namentlich mit dem Partherkrieg des M . Aurelius und L . Verus, der mit einer Niederlage der Parther, der Erhebung von Karrhai und Edessa zu coloniae und dem Eintritt des verkleinerten Restkönigreichs Osrhoene in eine Klientelbeziehung zu Rom endete . Hatra rückte nahe an den nun bis über das Ḫābūrtal hinaus vorgeschobenen römischen Machtbereich heran und wurde praktisch zur parthischen Grenzfestung . Mit seiner gewachsenen strategischen Bedeutung erhöhte sich automatisch – wie stets bei ›Grenzmarken‹ – das politische Eigengewicht im arsakidischen Reichsverband . Ktesiphon ratifizierte folgerichtig die neue Rolle der östlichen Ǧazīra mit der ›Beförderung‹ des lokalen Machthabers zum König, zugleich mit der Gewährung einer weiterreichenden Autonomie .117 Mit diesem Schritt wurde Hatra zu einem der regna des Partherreichs und ersetzte so faktisch das an Rom verlorengegangene Osrhoene . Administrativ mag die Hatrene zuvor zu einem der angrenzenden regna gehört haben, vielleicht zu Adiabene, vielleicht auch zu Osrhoene, deren beim Partherreich verbliebener territorialer Restbestand das ›Königreich von Arab‹ dann wäre . Eher noch hatte sie, analog zu Mesopotamien-Parapotamien am mittleren Euphrat, ein autonomes Territorium zweiten Ranges gebildet . Die vorherige Ausformung proto-staatlicher Strukturen im polymorphen Gesellschaftsverband von Hatra war unerlässlich, damit die Stadt ihre neue Rolle als strategischer Vorposten des Arsakidenreichs übernehmen konnte . Umgekehrt war der Griff des hatrenischen Herrschers nach dem königlichen Purpur an strukturelle Voraussetzungen auf der Reichsebene gekoppelt . Gegen Ktesiphon hätten sich die Herren von Hatra, außer in einer extremen Schwächephase der Reichszentrale – wie sie aber selbst nach der Niederlage des Jahres 166 anscheinend nicht gegeben war –, schwerlich zu Königen aufschwingen können . Also taten sie es vermutlich mit dem Einverständnis der Arsakiden, als Könige eines neugeschaffenen regnum im Verband des Partherreichs . Am Status der Stadt änderte sich vermutlich nichts grundlegend, als die Hatrener, nach der Machtübernahme der Sasaniden, den Suzerän wechselten und eine römische Garnison in ihren Mauern aufnahmen . Vermutlich wäre Hatra, so wie Dura-Europos und Edessa, hätte denn die römische Herrschaft länger Bestand gehabt, alsbald unter weitgehendem Verlust seiner Autonomie ins Provinzialsystem integriert worden .

117 So überzeugend Hauser 2000, 191: »With the new border on the Ḫābūr the eastern Ǧazīra became a frontier area . […] In this situation, the elevation of the status of the local ruler should be seen as a sensible response by the Arsacid central authority .«

388 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹

Hatra als religiöses und kommerzielles Zentrum Hatra wirkt in mancher Hinsicht, in seinen soziopolitischen Grundmustern und seiner politisch-strategischen Rolle, wie das am Euphrat auf parthische Seite gespiegelte Ebenbild Palmyras . Den Eindruck verstärkt noch der Blick auf das Pantheon, in dem sich zwar nicht dieselben Götter wie in Palmyra, wohl aber vergleichbare theologische Leitgedanken wiederfinden . Das gilt besonders für die Etablierung einer Kleinfamilie, bestehend aus Māran (›unser Herr‹), Mārtan (›unsere Herrin‹) und Barmārēn (›der Sohn unserer Herren‹), als Göttertrias an der Spitze des Pantheons . In der amorphen Gestalt der Trias und in der Anonymität ihrer Protagonisten fließen verschiedene Gottheiten disparater Herkunft zusammen, die mutmaßlich die heterogene Bevölkerungsstruktur der Hatrene widerspiegeln . Zwei Inschriften, die Barmārēn als Sohn des Šamaš ausweisen, und weitere Inschriften, die Māran und Šamaš ein und demselben Tempel, dem großen Iwan-Tempel im Bait Alaha, zuordnen, werfen Licht auf die Identität von Māran und Šamaš, dem traditionellen Sonnengott der Nomaden .118 Die Rolle von Šamaš als oberstem Gott der Trias findet ihre Entsprechung in dem Epithet von Hatra als ›Stadt des Sonnengottes‹, das immerhin ganz offiziell auf städtischen Münzprägungen prangte .119 Die zahlreichen mit šmš gebildeten theophoren Eigennamen legen nahe, dass es sich bei Šamaš um eine Gottheit handelte, die bei den Nomaden der Hatrene als besonders verehrungswürdig galt .120 Die Sonne war den Wüstennomaden wie den Bewohnern des vorhellenistischen Mesopotamien heilig, den einen als weibliche Gottheit Šamš, den anderen als – männlicher – Sonnengott Šamaš . Name und Geschlecht des hatrenischen Šamaš weisen eher in Richtung Babylonien, aber eine eklektische Verschmelzung mehrerer solarer Gottheiten, von denen die ›arabische‹ eine gewesen sein mag, zur Hauptgottheit Šamaš-Māran ist angesichts des religiösen Pluralismus in der östlichen Ǧazīra nur allzu wahrscheinlich .121 Wilde Spekulationen hat schließlich der Name ins Kraut schießen lassen, den die Hatrener of118 H 107,7; 280,2 . Vgl . Tubach 1986, 261–263; Tubach 2013 . 119 So sinngemäß Dio 68,31,2; 76,12,2 und die Legenden der hatrenischen Münzen: ḥṭr’ dšmš (›eingefriedetes Gebiet des Šamaš‹): Drijvers 1977, 828; Kaizer 2000, 232 . Zu den Münzen generell: Walker 1958; Slocum 1977 . Wichtig in diesem Zusammenhang auch die Weihung eines römischen Offiziers, AE 1958, 239 (238– 243  n . Chr .): Deo Soli invicto | Q . Petr(onius) Quintianus | trib(unus) mil(itum) leg(ionis) I Part(hicae) | trib(unus) coh(ortis) IX Maur(orum) | Gordianae | votum re|ligioni lo|ci posuit . Vgl . Oates 1955, 40; Palermo 2011–2012, 119, Nr . 180 . 120 Dasselbe gilt für den Adlergott Nšr, auf den ebenfalls viele theophore Namen verweisen . Ob Nšr eine eigenständige Himmelsgottheit mit dem Adler als Symboltier – analog dem palmyrenischen Baʿal-Šamen – war oder lediglich eine Manifestation des Sonnengottes, ist umstritten . Für eine Identität von Nšr, Šamaš und Māran Tubach 1986, 266–270; anders Seyrig 1971; Drijvers 1977, 830f . 121 Die mesopotamische Traditionslinie unterstreicht Tubach 1986 passim, gegen Drijvers 1975, 164 . Für Synkretismus spricht sich aus: Kaizer 2000, 234: »But the cult of Shamash certainly points to an interesting feature of religious life in the Roman Near East as a whole: groups of worshippers coming from various cultural backgrounds with their own distinctive baggage could not only share similar conceptions of how to visualise the divine world, but they could also have the divine name of one of their most important deities in common .«

Hatr a als religiöses u nd kommerzielles Zentrum · 389 fenbar dem großen Iwankomplex gegeben hatten . Im Südiwan fand sich eine Inschrift aus dem 2 . Jahrhundert, die an eine Stiftung erinnert für »das hohe Haus der Freude von sgyl, den großen Tempel, den Barmārēn für Šamaš, seinen Vater, gebaut hat .«122 Der Name des Komplexes, sgyl, lässt sofort an Esangila bzw . Esagil, den babylonischen Marduk-Tempel denken . Sollte hier eine Verbindung bestanden haben? Strahlte der Marduk-Kult in Babylon noch in spätparthischer Zeit so viel Prestige aus, dass die Hatrener sich veranlasst sahen, das wichtigste Bauwerk ihres zentralen Kultkomplexes nach ihm zu benennen?123 Einem babylonischen Kontext entstammte offensichtlich auch Barmārēn, dessen eigentlicher Name in den Inschriften ungenannt bleibt . Er wurde, wie ein Dionysoskopf mit einer Beischrift für Barmārēn deutlich macht, mit Dionysos gleichgesetzt, möglicherweise auch mit Apollon .124 Barmārēn leitete die Architekten zbydw und yhbšy beim Bau des Tempels für Šamaš an, indem er ihnen in einem Traumbild die Baupläne insinuierte .125 Als Kulturbringer, verantwortlich auch für Weinbau und Landwirtschaft, war er die Gottheit des Kulturlandes par excellence, mit deutlichen Zügen des babylonischen Schreibergottes Nabu .126 Blass hingegen bleiben die Konturen der weiblichen Trias-Gottheit Mārtan, die offenbar lediglich zur Vervollständigung der Dreiheit herangezogen wurde und nicht einmal einen eigenen Tempel im zentralen Heiligtum besaß – Beweis genug für den konstruierten Charakter der hatrenischen Trias und des gesamten Pantheons, in dem zahlreiche weitere Gottheiten babylonischer, syrischer und ›arabischer‹ Provenienz verehrt wurden: der mit Herakles identifizierte babylonische Gott Nergal, der ehemalige assyrische (aber in Hatra nicht als solcher verehrte) Reichsgott Aššur, die in Syrien verbreiteten Götter Baʿal-Šamen und Atargatis, die Dea Syria aus Hierapolis sowie Allat als wichtigste weibliche Gottheit der Nomaden .127 Die Gruppierung dieser Gottheiten aus unterschiedlichsten ethnisch-kulturellen Milieus zu einem einheitlichen Pantheon mit anonymisierter Trias an der Spitze ist nicht vom Zusammenhang ähnlicher, synchroner theologischer Entwicklungen im römischen Syrien – in Palmyra, Baalbek, Baitokaike – zu trennen . Dort setzte sich eine Entwicklung fort, die ihre Wurzeln bereits im eisenzeitlichen Phönikien hatte: Individuelle, teils lo122 H 107 . Vgl . Tubach 1986, 259–261; Kaizer 2000, 235 . 123 So Dalley 1995, 144 . Zu Gegenpositionen Kaizer 2000, 235, Anm . 227 . 124 Abbildung des Dionysoskopfes ebd ., Tf . V . Zur interpretatio Graeca Tubach 1986, 270f . Die Identifikationen verraten in ihrer Beliebigkeit, ebenso wie die später von römischen Soldaten der hatrenischen Garnison vorgenommenen Gleichsetzungen, die Oberflächlichkeit jeglicher interpretatio Graeca/Romana in Hatra . Der Gott Nergal wurde in Hatra gemeinhin wie Herakles dargestellt, mit Keule und Sichelschwert, aber, wie Kaizer 2000, 230 und passim, nachgewiesen hat, niemals explizit mit diesem identifiziert . Vielmehr galt die Figur in Hatra als Schutzgott (Gad) der Stadt . 125 H 106: Tubach 1986, 276: »Demnach scheint der Plan für den Erweiterungsbau [gemeint ist der Umlauftempel mit quadratischem Grundriss, Tempel H] auf den Gott selbst zurückzugehen . Die Bauleitung lag in seinen Händen, die Durchführung bei seinen irdischen Helfern .« 126 Zu Nabu Black/Green 1992, 133f . 127 Drijvers 1977, 833f . Zum möglichen Einfluss iranischer Elemente (Mithras) negativ Drijvers 1975 .

390 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹ kale, teils gemein-kanaanäische oder -syrische Gottheiten verloren nach und nach ihre spezifischen Charakteristika, wurden austauschbar und verschwammen, meist unter dem Namen Baʿal/Baʿalat (›Herr‹/›Herrin‹), zu dem sich differenzierende Epitheta gesellen konnten, zu funktional vielschichtigen, typologisch amorphen Göttergestalten, aus denen lokale Triaden gebildet wurden, mit je einer männlichen, einer weiblichen und einer männlichen, jugendlichen Gottheit . In dieser Konstellation kommt dem männlichen Gott stets schützende Funktion zu; die weibliche Gottheit ist Fruchtbarkeitsgöttin . Dem theologischen Trend vom polytheistischen Pantheon hin zu einer von stärker henotheistischen Zügen überformten Kosmologie entsprach bereits in Phönikien das Erfordernis, höchst heterogene soziale, ethnische, religiöse und kulturelle Elemente in einen politischen Verband zu integrieren und kognitive Dissonanzen zu überbrücken . Dazu mussten existierende Gottheiten partikularer Gruppen gleichsam in einem staatstragenden Pantheon eingeschmolzen werden, so ihre jeweils ›nationalen‹ Spezifika abgeben und zu Repräsentanten des gesellschaftlichen Ganzen mutieren . Ähnlichen Herausforderungen sahen sich die Priesterschaften im anhaltend fragmentierten Syrien anscheinend noch in römisch-parthischer Zeit gegenüber und griffen daher, direkt oder indirekt, auf das phönikische Paradigma der weitgehend entpersonalisierten Trias zurück .128 Auf Verbindungen zum syrischen Raum deutet schließlich die Ikonographie der hatrenischen Götter hin . Die Götterattribute – Strahlenkranz, Schlangen und Skorpione – entsprechen durchweg dem aus Palmyra bekannten Repertoire . Bemerkenswert ist, dass auch in Hatra, jenseits der römischen Grenzen, die Götter mehrheitlich in griechisch-römischer Tracht auftreten, mit Militärornat, Tunika oder Chiton und Chlamys . Einzelne Götterbilder tragen indes auch ›parthische‹ Tracht, mit Kaftan, Reithose und Stiefeln .129 Die multipolare Struktur der hatrenischen Religion unterstreicht die sakrale Topographie, mit dem zentralen Heiligtum des Bait Alaha und dem guten Dutzend bislang gefundener kleiner Heiligtümer, die über die Wohnstadt verteilt liegen . Wem die sämtlich nach dem Modell babylonischer Breitraumtempel errichteten Heiligtümer geweiht waren, ist noch schwieriger auszumachen als im Fall der zentralen Tempel – wobei wohl auch hier in jedem Tempel mehr als eine Gottheit verehrt wurde –, doch fanden sich in den Schreinen die Namen zahlreicher Götter, die im Bait Alaha nicht auftauchen .130 Die Heiligtümer, deren Funktion als Siedlungskerne im Stadtgebiet unübersehbar ist, müssen auch religiös die Rolle von Brückenköpfen der Stämme in der Sphäre der Stadt gespielt haben . Die Urbanisierung scheint damit in Hatra, im Vergleich zu Palmyra, gleichsam in einem früheren Stadium ›eingefroren‹ . Die tribalen Nuklei waren noch nicht in eine 128 Tubach 2013, 207–211 . 129 Zur Ikonographie und den Darstellungskonventionen detaillierter Tubach 1986, 295–309 . Die schlechte Publikationslage des ikonographischen Materials für Hatra erschwert einschlägige Forschungsarbeit außerordentlich . An dieser von Hauser 1998, 519f ., monierten Gravamen wird sich wohl auch nichts mehr ändern . 130 Kaizer 2000, 239–244, zugleich die erste Studie, die sich intensiver mit den kleinen Heiligtümern befasst .

Hatr a als religiöses u nd kommerzielles Zentrum · 391 urbanistische Gesamtanlage eingebunden, die verwandtschaftliche Komponente des religiösen Lebens hob sich im Gesamtbild noch markant ab . Der ›Funktionsüberschuss‹ Hatras beschränkte sich nicht auf religiöse Dienstleistungen . Wie Palmyra bezog die Stadt ihre ökonomische Bedeutung in erster Linie aus dem Fernhandel, obwohl hier der Nachweis schwieriger zu führen ist . Anders als die syrische Oasenstadt hat Hatra kein Corpus von ›Karawaneninschriften‹ hinterlassen .131 Daraus indes auf die Bedeutungslosigkeit großräumigen Güteraustauschs schließen zu wollen, wäre voreilig . Ehrendekrete wie die palmyrenischen ›Karawaneninschriften‹ setzen nicht nur kommerzielle Aktivität und bestimmte Formen ihrer Organisation, sondern auch eine spezifische soziale Werteskala voraus, implizieren einen hohen Stellenwert von Euergetismus und bedürfen nicht zuletzt der Idee eines ›öffentlichen Raumes‹, die für Hatra nicht so ohne Weiteres vorauszusetzen ist .132 Statt sich lange beim Fehlen von ›Karawaneninschriften‹ aufzuhalten, sollte man lieber fragen: Woher stammte das Kapital für die Errichtung des kolossalen Heiligtums? Was füllte die Tempelkassen? Munifizenz auswärtiger Herrscher, etwa gar der Arsakidenkönige, kommt kaum in Frage . Die wenigen Bauinschriften reagieren sämtlich auf lokale Initiativen zur Errichtung von Kultbauten . Da im weitgehend ariden Milieu der Ǧazīra auch die Landwirtschaft trotz eines gewissen Potentials als größere Verdienstquelle ausscheidet und Viehzucht kaum die nötigen Ressourcen erbracht haben wird, bleibt als einzige Alternative der Fernhandel, zumal sich angesichts der polymorphen Sozialstruktur und Hatras Lage nahe an der wichtigsten Nord-Süd-Route im Tigris-Gebiet, dem Wādī Ṯarṯār, zudem unweit der römischen Grenze, eine Funktion als gateway city geradezu aufzudrängen scheint . Keine Siedlung auf parthischer Seite eignete sich besser als natürliches Gegenstück zu Palmyra, als Tor zum römischen Obermesopotamien, das als Transitregion von wachsender Bedeutung war und dessen wichtigste Siedlung, Nisibis, seinerseits Ende des 3 . Jahrhunderts, als Hatra in Trümmern lag und Palmyra seine Bedeutung eingebüßt hatte, zum vertraglich fixierten Nadelöhr des römisch-persischen Handels avancierte . Die funktionale Ausrichtung auf merkantile Aktivitäten würde nachgerade ideal mit der sozialen Arbeitsteilung unter den Bedingungen des Polymorphismus korrespondieren: Sesshafte leisteten die Abwicklung des Markthandels intra muros und boten mit ihrer quasi-staatlichen Organisation den unerlässlichen Rahmen von Rechtssicherheit und Infrastruktur, einschließlich des religiösen Angebots an Heiligtümern und Kultstätten; Nomaden übernahmen den Transport, boten sich als Karawanenführer an und erbrachten militärische Dienstleistungen . Die tribale Organisation überwölbte beide Pole, mit den Clanchefs und Stammespatriarchen an der Spitze . Damit wäre die ursprüngliche, ökologisch determinierte Symbiose zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern gleichsam auf eine neue Basis gestellt worden: Kooperation im Fernhandel zu beiderseitigem Profit wäre nunmehr die ökonomische Grundlage sozialer Kohäsion zwischen disparaten 131 Siehe oben, S . 205, Anm . 231 . 132 Obwohl Yon 2013 ihn vorauszusetzen scheint .

392 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹ Teilgesellschaften gewesen, die dadurch unabhängiger wurden von den Unwägbarkeiten agrarischer Produktion in der polymorphen Zone . Trifft die Hypothese zu, dann wurde Fernhandel in der Hatrene zu einem wesentlichen Integrationsfaktor: Er schuf zusätzliche Anreize für Nomaden, enge Bindungen mit Sesshaften einzugehen und auf die Dauer selbst zu einem sesshafteren Lebensstil überzugehen – der ›soziale Käfig‹ schloss sich allmählich um die Bewohner der Ǧazīra .133 Ökonomischer und religiöser Funktionsüberschuss müssen sich nicht unbedingt ausgeschlossen haben, sondern konnten sehr wohl Hand in Hand gehen . Analog zu modernen Pilgerstätten, Mekka etwa, könnte der große Sakralkomplex des Bait Alaha auch dem Fernhandel gedient haben . Nicht auszuschließen ist, dass im großen Vorhof Geschäfte getätigt wurden und Waren ihre Besitzer wechselten . Belege für eine solche Nutzung des Areals gibt es freilich nicht .134 Die merkantile Bedeutung Hatras legt allerdings in einer Momentaufnahme für das frühe 3 . Jahrhundert n . Chr . die Tabula Peutingeriana nahe, auf der Hatra als bedeutender Knotenpunkt mit sternförmig in alle Richtungen führenden Straßen eingetragen ist . Als Zwischenstation auf dem Handelsweg zwischen Untermesopotamien mit Spasinou Charax und Ktesiphon und den römischen Zentren der Provinz Mesopotamien, darunter Nisibis und Edessa, war Hatra das Rückgrat der wichtigsten Alternativroute zur Euphrat-Palmyra-Emesa-Linie . Die Karawanenstraße verlief bis nördlich von Tikrit entlang des Tigris, um dann, über die Ortschaften Phalcara, Sabbin, Hatra und Singara, auf römisches Gebiet zu führen, in Richtung Edessa .135

Hatra und die Steppengrenze Hatra illustriert mustergültig, wie urbane Gesellschaften mobile Gruppen in einer tribalen, doch zugleich von proto-staatlichen Institutionen beherrschten Struktur integrieren und so, mit einem Minimum an Aufwand, auch kontrollieren konnten . Die Quellen sprechen für Hatra eine besonders deutliche Sprache, doch lässt sich, wie zu sehen war, das Modell der polymorphen, integrierten Stammesgesellschaft plausibel auch auf Palmyra, Osrhoene und den mittleren Euphrat übertragen . Solange Städte wie Dura-Europos, Palmyra und Hatra Bestand hatten und ihre integrierende Wirkung entfalteten, waren die tribalen Gruppen der Steppe für die Imperien berechen- und damit beherrschbar, wenn auch indirekt . Es ist vermutlich kein Zufall, dass die Stämme genau in dem Moment außer Kontrolle gerieten, als Hatra in Schutt und Asche lag . Damit trat die Steppengrenze 133 Hauser 2000, 194: »Growing sedentarization can therefore be seen as the successful realization of mutual interests . Nomadic tribesmen were allowed to join in the business connected with the trade route .« Der schrittweisen Sedentarisation breiter Bevölkerungskreise entspricht die Vermehrung von Subzentren im Hinterland von Hatra: ebd ., 193 . 134 So aber, durchaus nicht abwegig, Freyberger 1998, 109 . Vgl . Sommer 2003a, 44–48 . 135 Hauser 1995, 232f .; Hauser 2000, 193f .; Palermo 2011–2012, 122f .

Hatr a u nd die Steppengrenze · 393 in einen langwierigen Prozess der Transformation ein, der aber nicht mehr Gegenstand dieser Studie sein kann .136 Hatra war für gut ein Jahrzehnt Roms vorgeschobener Außenposten im östlichen Obermesopotamien . Sozialer Polymorphismus, Subsistenzsicherung durch Fernhandel und lokale Autonomie waren Konstanten, die beiderseits der parthisch-römischen Grenze ihre prägende Wirkung entfalteten . Die politische Grenze durchschnitt mehr oder weniger willkürlich ein Gebiet, das nicht nur viele Traditionen teilte, sondern sich unabhängig von den Machtverhältnissen auch in ähnliche Richtungen entwickelte . Wer in spätseverischer Zeit als römischer Soldat nach Hatra kam, fühlte sich ohne Frage in eine ihm völlig fremde Umgebung versetzt . Sprache, Götter, Kleidung, Urbanistik waren die einer anderen, nicht jene der vertrauten Mittelmeerwelt . Dennoch gab es genug, was zumindest an Bekanntes erinnerte, was gleichsam Déjà-vu-Erlebnisse auslöste . Vage vertraut war nicht nur die für Mesopotamien ungewöhnliche Steinarchitektur, vertraut waren auch Details wie die Säulenordnungen und die Bauskulptur . Trotzdem verstand der Fremdling ihre Botschaften nicht: Die vertrauten Elemente gruppierten sich zu für ihn völlig rätselhaften Sinnzusammenhängen . Die Ursache hierfür ist allerdings nicht in der mehrhundertjährigen Herrschaft der Arsakiden zu suchen, die etwa die Welt des östlichen Mittelmeers der Welt Obermesopotamiens entfremdet hätte . Hatra sah in mancher Hinsicht einer mediterranen Stadt ähnlicher als Dura-Europos, wo man Griechisch sprach und wo Rom die Macht über 60 Jahre früher übernommen hatte, unter L . Verus . Am Euphrat bestanden indes alle Gebäude aus Lehmziegeln . Die Ausführung architektonischer Details in Hatra verrät die genaue Kenntnis der hellenistisch-römischen Formensprache und gerade auch ihres Wandels . Als in den 70er Jahren des 1 . Jahrhunderts überall im Mittelmeer Kompositkapitelle in Mode kamen, war Hatra nicht etwa von diesem Trend abgekoppelt, sondern fand recht zügig Anschluss daran . Architekten, die einen ›parthischen‹ Iwan mit einem Podium und einer Kolonnade zu einem regelrechten Kompositheiligtum verbanden, blickten ebenso gen Westen wie nach Osten . Womöglich kamen einige von ihnen, vielleicht die meisten, sogar aus dem Westen und brachten ihr technisches und künstlerisches Know-how mit .137 Der Fernhandel über die Steppengrenze machte Hatra, trotz fehlender epigraphischer Zeugnisse, zur nach Rom hin offenen gateway city, zum parthischen, nordostmesopotamischen Gegenstück zu Palmyra . Familiäre Bande zwischen den polymorphen Sippenverbänden Palmyras dies- und Hatras jenseits der Reichsgrenzen scheinen den kommerziellen und kulturellen Querverbindungen zusätzliche Intensität verliehen zu haben .

136 Weiterführend: Fisher 2011, 72–127; Edwell 2015 . 137 Parapetti/Venco Ricciardi 2000, 111, vermuten, dass syrische Handwerker und Architekten am Bau beteiligt waren: »Maestranze, se non architetti, di cultura occidentale con tutta probabilità di provenienza siriana, sono infatti palesemente presenti ad Hatra; ne sono prova i numerosi marchi di scalpellino a lettere greche e latine oltre che aramaiche insieme a simboli e segni di varia natura .«

394 · IX. hatr a und das ›KönIgrEIch dEr ar abEr‹ Auch im religiösen Bereich zeigen sich viele grenzüberschreitende Gemeinsamkeiten . Die Gruppierung von Gottheiten zu Triaden ist ein Grundmuster, das an der Steppengrenze allenthalben begegnet und historisch weit zurückreicht, ebenso ihre Entrückung in eine Sphäre des Abstrakten, mit Umschreibungen wie ›unser Herr‹ bzw . ›unsere Herrin‹ . Sterbliche bedienten sich, zwischen Palmyra und Hatra, fast überall derselben Ausdrucksmittel, um mit ihren Göttern zu kommunizieren . Sie ordneten ihnen dieselbe Ikonographie und dieselben Symbole zu . Die Gemeinsamkeiten reichen bis zu scheinbaren Oberflächlichkeiten wie der Tracht von Priestern . Ein Bewohner von Dura-Europos, der nach Hatra gelangte, erkannte dort sofort einen Priester, der ihm auf der Straße begegnete . Er trug mit Kaftan und konischer Kopfbedeckung dieselbe Tracht wie die Priester auf dem Gemälde aus dem Bēl-Tempel, dem ›Tempel der palmyrenischen Götter‹, das die Familie Konōns beim Opfer zeigt . Die Grenze war beileibe kein Eiserner Vorhang, sondern eine durchlässige Zone vielfältiger Interaktion und fließender Übergänge . Wohl schränkte sie die Mobilität nomadischer Gruppen ein, die nicht mehr unkontrolliert von der einen auf die andere Seite wechseln konnten . Doch war sie eine Membran, die für Osmose jeder Art offen war, namentlich für Personen-, Waren- und Informationsverkehr . Vor allem bewohnten die Menschen beiderseits der Grenze ein einziges Sinnuniversum: Sie pflegten dieselben Traditionen und füllten sie mit derselben Bedeutung, was kaum verwundern kann, schließlich teilten sie weitgehend denselben Erfahrungshorizont . Und sie waren mobil: Handwerker, Künstler und Kaufleute waren mit der römischen wie der parthischen Welt gleichermaßen vertraut, standen mit den Reichen und Mächtigen hier wie dort auf gutem Fuß und waren allseits gern gesehene Gäste . Das Alltagsleben in Hatra, Palmyra, Dura-Europos und Edessa mochte sich in manchen Details voneinander unterscheiden; insgesamt bot die Steppengrenze vergleichbare Lebensbedingungen, ob nun der Suzerän in Ktesiphon saß oder in Rom . Die Rhythmen des sozialen Lebens waren, hier wie dort, dieselben . Hatra bietet gerade deshalb den idealen Ausgangspunkt für die Konzeptionalisierung der Steppengrenze, zu der das Schlusskapitel einen Anlauf unternehmen möchte . Indem sich hier die beiden imperialen Machtbereiche überlappten, trug sie in vielem den Mittelmeerraum nach Osten hinein . Anderseits gab es viel, was beiden Seiten sozial, ethnisch, religiös und kulturell Zusammenhalt verlieh . Deshalb war die Steppengrenze eben nicht bloß ein Appendix der klassischen Oikumene, sondern zugleich auch ihr Gegenentwurf . Ihr Eigengewicht verdankte sie gerade der anhaltenden Teilung Vorderasiens in zwei Machtbereiche, zwischen denen sie Brücken schlug und von denen sie Impulse empfing . Sie bezog aber ihr unverwechselbares Timbre daraus, dass diese Einflüsse unter neuem Vorzeichen und nach eigenem Bedarf umgeformt wurden . Die Steppengrenze war schließlich, wie jede Frontier, ein El Dorado für Grenzgänger, Kollektive wie Individuen . Als Kollektive schlugen gateway cities wie Hatra Kapital aus ihrer Grenzlage, aus ihrer Funktion als Nadelöhre in die fremde Welt eines rivalisierenden Großreichs . Einzelne Individuen machten ihr Glück als reisende Kaufleute oder Handwerker, als Siedler in der Diaspora oder als wegelagernde Freibeuter der Steppe .

X. SCHLUSS: DIE ROMANISIERUNG DER STEPPENGRENZE Im Jahr 636 versetzten die Soldaten des jungen Kalifats am Flüsschen Yarmūk dem byzantinischen Aufgebot einen vernichtenden Schlag . Genau 700 Jahre waren seit Liquidierung des Seleukidenreichs und Schaffung der Provinz Syria durch Pompeius Magnus (64 v . Chr .) vergangen, 700 Jahre lang hatten Roms Legionsadler über dem Nahen Osten aufgeragt . Nun wurde Syrien erst zur Peripherie der neuen islamischen Großmacht, dann, unter den Umayyaden, für knapp hundert Jahre zum Zentrum des Kalifats, das seinen Sitz 661 n . Chr . in Damaskus bezog . Roms Herrschaft war schon ihrer schieren zeitlichen Ausdehnung nach mehr als eine Episode in der Geschichte Vorderasiens . Obwohl es stets nur einen Teil des Nahen Ostens kontrolliert hatte, hielt sich doch keine andere Großmacht auch nur annähernd so lange dort: Die Achaimeniden brachten es auf gut 200, die Makedonen, von Issos an gerechnet, auf 270, die Parther auf knapp 400, das Neuassyrische Reich auf immerhin mehr als 500 Jahre .

Eine imperiale Alternative? Der Befund von vier Fallstudien lässt keinen Zweifel daran, dass die Großmacht des Westens in den Jahrhunderten ihrer Herrschaft die kulturelle Entwicklung an ihrer östlichen Steppengrenze beeinflusste – nur zu welchem Grad, in welcher Tiefe, mit welcher Intensität? Diesen Fragen hat sich vor einem Dutzend Jahren die erste Auflage dieses Buches gestellt, mit viel jugendlichem Elan, mit viel Lust am Zertrümmern scheinbar altbewährter Lehrmeinungen und mit einem gerüttelt Maß an politisch korrekter Sympathie für die Underdogs imperialer Herrschaft . Inzwischen ist viel Zeit ins Land gegangen: Zeit, die einen enormen Zuwachs an Wissen beschert hat, der Forschung insgesamt und dem Verfasser als Einzelnem . Der wurde von Rezensenten zahlreicher Irrtümer und Ungenauigkeiten überführt und stolperte selbst im Laufe der Jahre über so manchen Fehler . Zeit aber auch, die Standpunkte verschoben hat: Dem Beobachter des Jahres 2017, der sich angesichts der Zustände im Nahen Osten nur täglich die Haare raufen kann, erscheint das römische Imperium ins milde Licht einer Distanz von 2000 Jahren getaucht . Es wirkt so wie eine gar

396 · X. schluss: dIE romanIsIErung dEr stEPPEngrEnzE nicht einmal so üble Alternative, die im Gegensatz zu den Diktaturen der Gegenwart von der breiten Masse der Beherrschten gerne akzeptiert wurde . In durchaus verständlichem Anachronismus haben Kommentatoren die unlängst vom Islamischen Staat geschändeten stummen Zeugen von Roms Herrschaft zu Monumenten der Toleranz, ja der Zivilisation als solcher, verklärt .1 Das sind sie gewiss nicht . Dennoch nötigt die Integrationsleistung des römischen Imperiums gerade heute, im Angesicht allseits unbewältigter Integrationsherausforderungen, Respekt ab . Dass Rom seiner Herrschaft solche Dauer verleihen konnte, verdankte es nicht nur seinen Legionen und dem glücklichen Umstand, dass ernstzunehmende Gegner lange nicht zur Hand waren . Deshalb ist die Fragestellung, die diesem Buch vor zwölf Jahren zugrunde lag, um eine Dimension zu erweitern: Wie und bis zu welchem Intensitätsgrad schaffte es Rom, die Herzen derjenigen zu erobern, die durch Eroberung zu Gliedern der römischen Welt wurden? Identifizierten sich die Menschen am Rand dieser Welt mit dem Imperium, machte die römische Herrschaft aus ihnen, langsam aber sicher, Römer? Damit steht wieder die Frage nach Romanisierung im Raum . Als analytisches Werkzeug hat der Begriff in den letzten Jahren markant an Vielschichtigkeit gewonnen . ›Romanisierung‹ bedeutet nicht mehr, wie zu den Tagen Mommsens und Haverfields, dass ganze Landstriche völlig ihr Gesicht wechselten, zu Kopien Italiens wurden, samt ihren Menschen, die sich einfach so in Römer verwandelten . ›Romanisierung‹ besaß einen großen Variantenreichtum, konnte viele Formen annehmen und arbeitete sich über unzählige Wege in die Lebenswirklichkeit der Menschen vor . Vor allem haftet ihr etwas doppelt Dialektisches an . Erstens: Romanisierung veränderte nicht nur die imperialen Peripherien und die darin lebenden Individuen; sie hob gleichsam das ganze Reich aus den Angeln . In letzter Konsequenz verloren jene, die ursprünglich einmal Römer gewesen waren, die Deutungshoheit darüber, was ›römisch‹ war . Das wahre Rom, das können im 3 . Jahrhundert sehr wohl die Soldaten vom Balkan oder aus der Steppe repräsentiert haben – und nicht länger die Senatoren in der Kurie auf dem Forum Romanum . Und zweitens: Oft waren es zuerst die Kulturtechniken, die durch die Präsenz Roms die Peripherie erreichten und durch die lokale Gemeinschaften in die Lage versetzt wurden, ihren kollektiven Befindlichkeiten Ausdruck zu verleihen . So ließ es sich in Palmyra beobachten, dessen Eliten sich von Rom das architektonische und institutionelle Vokabular liehen, um ihren sozialen Rollen Namen und ihrem Repräsentationsbedürfnis ein Schaufenster zu geben .

Firnis? Tatsächlich mögen die Palmyrener ihre Stadt nur mit allen Schikanen mediterraner Baukunst versehen haben, um Besucher ihrer Stadt zu beeindrucken . Natürlich konnte man eine lokale Gottheit wie Atargatis einfach Artemis nennen, einen Melqart Zeus . Selbst1

Boris Johnson: »We must save Palmyra or the maniacs will raze civilization«, Daily Telegraph, 17 . Mai 2015 .

irnis? · 397 verständlich ließ sich eine Kolonnade vor einen nach lokalem Bauplan errichteten Tempel setzen, der so oberflächlich ein mediterranes Aussehen erhielt . Und wirklich wissen wir nicht, welchen Zwecken Gebäude wie das römische Theater oder Institutionen wie das Gymnasion in der Oasenstadt de facto dienten . War also alles nur Tünche?2 Auf den ersten Blick hat diese Sicht der Dinge manches für sich . In der Tat schmückten ja Säulen, Giebel, Akrotere und Architrave Heiligtümer, die ihrer Anlage nach nur Kulthandlungen dienen konnten, denen man in Rom oder Athen vermutlich mit Unverständnis begegnet wäre – und im Fall Elagabals ja auch tatsächlich begegnete . Wohl erscheint das, was an mediterranen Kulturleistungen an die Steppengrenze gelangte, nur allzu oft als fadenscheinige Staffage, etwa wenn Palmyrener ihre Grabbauten im Wortsinn mit einer Tempelfassade verkleideten oder Osrhoener römisches Recht dazu nutzten, angestammten Institutionen ein neues Gesicht zu geben . Ein Fall bestenfalls oberflächlicher Romanisierung scheint auch der immer wieder behauptete Polis-Charakter Palmyras zu sein . Die Geschichte Palmyras zwischen 260 und 272 n . Chr . war im Maßstab des Römischen Reiches ein solch singulärer Sonderweg, dass es schwerfällt zu glauben, die Stadt sei zuvor eine Polis und colonia unter Hunderten gewesen . Es mag sein, dass Zenobia und die hinter ihr stehenden Eliten in den Städten des römischen Imperiums ein »neues griechisch-römisches Imperium« anstrebten, dessen Zentrum Syrien sein sollte . Vermutlich stimmt es auch, dass Zenobias Herrschaftsanspruch im durch Rom vorgegebenen Koordinatensystem seinen ideellen Bezugsrahmen hatte .3 Doch steht die intellektuelle Blaupause für Zenobias Griff nach der Macht hier überhaupt nicht zur Debatte . Die wirklich interessierende Frage ist die nach den sozialen und materiellen Voraussetzungen für Palmyras politische Rolle um die Jahrhundertmitte . Deshalb ist zu fragen, wer in der Stadt politisch das Sagen hatte und womit diese Leute ihre Brötchen verdienten . Die Elite der Oase wurde nicht von einer untätigen leisure class aus Honoratioren gebildet, sondern von einer Militäraristokratie, die zugleich im Fernhandel engagiert war und in dieser Form nur unter den Bedingungen des in der Steppe herrschenden sozialen Polymorphismus existieren konnte . Überhaupt ist die enge Verflechtung zwischen Sesshaften und Nomaden, ihr symbiotisches, wiewohl manchmal spannungsreiches Verhältnis, das Signet, das die gesamte Steppengrenze vom Orontes bis zum Tigris kennzeichnet . Am sichtbarsten ist die gemeinschaftlich geteilte tribale Identität im ›Königreich der Araber‹ um Hatra, wo sich 2

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Diesen Standpunkt vertritt energisch Ball 2000, 396: »It is possible to get a Mesopotamian or Iranian-style temple cella and dress it up in Graeco-Roman ornamentation . Never mind that the deity was Melqart, Dushara or Atargatis, it could always be called Zeus or Artemis . One might even throw a Corinthian colonnade around the outside of the sanctuary, as well as another around the extremely un-Classsical-style temple courtyard to dazzle the worshippers who thronged there on holy days to sacrifice at the great altar that dominated it . […] None of these frills made the temple Roman, it remained as it had always been, a Near Eastern temple familiar to the people who had been using it for thousands [sic!] of years . Roman frills might be piled onto it, but the real architecture remained what it had always been: Near Eastern .« Andrade 2013, 334–339 .

398 · X. schluss: dIE romanIsIErung dEr stEPPEngrEnzE die enge Verzahnung zwischen beiden Lebenswirklichkeiten dem epigraphischen Befund entnehmen lässt . Für Palmyra und Edessa deutet vieles darauf hin, dass die Gesellschaften ähnlich organisiert waren wie die in Hatra . Noch am ehesten scheinen die Verhältnisse in Dura-Europos den Typus der griechischen Polis abzubilden, dessen Institutionen sich allerdings gründlich wandelten . So war auch die dortige Oberschicht, an deren Spitze durchgängig eine Familie gestanden zu haben scheint, nicht mehr ohne Weiteres an den Maßstäben von griechischen oder römischen Honoratioren zu messen . War also der tief in ihr verwurzelte Tribalismus das Element, das die Steppengrenze Rom entfremdete und sie unzugänglich für tiefgreifenden kulturellen Wandel, eben für ›Romanisierung‹, machte? Versagte Rom darin, aus einer in ihrem Wesen verwandtschaftlich organisierten Gesellschaft einen einheitlichen und homogenen, auf Dauer angelegten ›Staat‹ zu formen?4 Trennte Ost und West wirklich ein kultureller Graben, eine imaginäre, aber unüberwindliche Demarkationslinie? Wäre dem so, dann hätte die FirnisMetapher eine Menge für sich . Griechische Inschriften und Säulen, römisches Recht und die Begrifflichkeit der Polis wären in der Tat nichts als Oberflächentünche gewesen .

Romanisierung Bei näherer Betrachtung verliert jedoch diese Deutung an Plausibilität . Gewiss, die Steppengrenze war auch nach der römischen Eroberung ein soziales und kulturelles Milieu sui generis, das sich in vielen Facetten von der für uns ›klassischen‹ Mittelmeerwelt unterschied . Wer aus dem Innern Syriens stammte, wurde in Griechenland oder Italien mit größerer Wahrscheinlichkeit als Fremder wahrgenommen als ein Sohn der Metropole Antiocheia . Insofern wurde Juvenals Spott über die pseudogriechische faex, die sich mit dem Orontes in den Tiber ergieße, von dem meisten Zeitgenossen wohl unmittelbar verstanden . Mehr noch: Die Steppengrenze bewahrte sich kulturelle Gemeinsamkeiten, die grenzüberschreitend prägend blieben und konstitutiv für die Selbstwahrnehmung ihrer Bewohner gewesen sein müssen . Aber so einfach, dass die Palmyrener oder Edessener Fremde waren und blieben, die ihr Barbarentum lediglich hinter ein paar korinthischen Kapitellen oder einem Eierstab verstecken wollten, ist es doch nicht . Die Anleihen bei der als vorbildhaft empfundenen und sich im Osten vorwiegend in ein griechisches Gewand kleidenden Großen Tradition des Imperiums waren so vielfältig und erfolgten auf dermaßen breiter Front, dass von bloßem Blendwerk keine Rede sein kann . Die Neuerungen griffen tief und standen in einer komplizierten Wechselbeziehung mit der sich verändernden Gesellschaft: Sie waren 4

So formuliert von Bell 1940, 31 (Bulletin 12 January 1917, Ibn Saud: »in the task of creating out of a society essentially tribal, a united and homogeneous State of a durable nature«), freilich in gänzlich anderem Zusammenhang, in Anspielung auf die Unmöglichkeit, auf der Arabischen Halbinsel nach dem Ersten Weltkrieg per Nation-building moderne Staaten zu schaffen .

Romanisieru ng · 399 gleichermaßen Symptome wie Katalysatoren des sozialen Wandels . Der dauerhafte und intensiver werdende Kontakt zwischen der römischen Welt und ihrem östlichen Rand rekonfigurierte die Wirklichkeit zwischen Orontes und Tigris von Grund auf . Deshalb ist die Suche nach möglichen Kontinuitäten zwischen vorhellenistischer und römischer Zeit, nach dem Fortleben der Kleinen Traditionen, sinnlos, so reizvoll sie im Einzelfall sein mag . Kaum ein Stein blieb auf dem anderen . Unverkennbar drückte der Hellenismus in seiner kaiserzeitlichen Variante dem kulturellen Milieu im römischen Osten seinen Stempel auf . Er war die Große Tradition, die Rom hier repräsentierte . Nicht vergessen sollte man, dass bereits der Hellenismus die unterschiedlichsten kulturellen Traditionen assimiliert hatte, auch und gerade solche östlicher Provenienz . Und selbst das, was am Hellenismus scheinbar originär griechisch war, war das Ergebnis des jahrhundertelangen Austauschs zwischen Ost und West . Für die Menschen bedeutete dies die Begegnung mit einem Fremden, das ihnen in einem tieferen Sinne nur allzu vertraut war .5 Besieht man sich die Sprachzeugnisse aus der Region, dann scheint in der Tat Roms Herrschaft auf eine profunde Hellenisierung der gesamten Region hinausgelaufen zu sein . Oder sollte man besser von ›Gräzisierung‹ sprechen? Wo, zwischen Mittelmeer und Tigris, das Wort des Kaisers galt, dort wurde, nicht nur, aber doch vornehmlich, Koine-Griechisch geschrieben, wenn auch bisweilen recht fehlerhaft: in Inschriften, Pergamenten, Papyri, sogar in Graffiti, Ostraka und Dipinti, die noch am ehesten etwas über die Kommunikation des Alltags verraten . Doch ›Gräzisierung‹ beschreibt den Wandel nicht in vollem Umfang: Mit der Sprache hielten die Nomenklatur der Polis, griechische Götternamen und die Versatzstücke griechischer Architektur zwischen Mittelmeer und Tigris Einzug . Diese Hellenisierung war in ihrer Wucht und Dichte ein Phänomen der römischen Kaiserzeit . Im Seleukidenreich hatten griechische Sprache und Kultur kaum über den Horizont griechischer Siedlungskolonien hinaus ausgestrahlt, mit Ausnahme der wenigen sich selbst hellenisierenden Stadtgesellschaften der phönikischen Küstenebene . Gräzisierung und Hellenisierung waren im Orient der römischen Kaiserzeit Manifestationen der römischen Präsenz . Man könnte auch sagen: Romanisierung trug im Nahen Osten ein griechisches Gewand . Latinisierung blieb hingegen ein inselartiges Phänomen . Lateinisch wurde nur dort bedeutsam, wo in nennenswertem Umfang römische Soldaten stationiert waren und sich in der Folge Veteranen niederließen . Wichtiger war Aramäisch in seinen diversen Dialekten: Die sprachliche Besonderheit der Steppengrenze gegenüber der syrischen Küstenregion besteht im Überleben des Palmyrenischen und des Syrischen als Verkehrssprachen . In 5

So meisterlich zusammengefasst für die phönikischen Stadtstaaten von Millar 1983, 68: »Firstly, the Phoenician Cities already bore at least some resemblance to Greek city-states; it is not easy to say what if any significant changes their (partial) evolution into Greek poleis will have necessitated . Secondly, and more important, when the Phoenicians began to explore the storehouse of Greek culture they could find, among other things, themselves, already credited with creative roles – not all of which, as it happens, were purely legendary .«

400 · X. schluss: dIE romanIsIErung dEr stEPPEngrEnzE Palmyra war das lokale aramäische Idiom mehr als nur eine gesprochene Volkssprache; es beanspruchte im öffentlichen Raum den gleichen Rang wie das Griechische . Auch am mittleren Euphrat, in Osrhoene und in der östlichen Ǧazīra sprachen und schrieben die Menschen Aramäisch . Nur zeitweise und lokal wurde die Sprache in die Rolle einer L­variety abgedrängt, meist behauptete sie sich, in Edessa stieg sie sogar zur Literatursprache der christlichen Intellektuellen auf . Ähnlich der ›parthischen Kunst‹ war das Aramäische als politische Grenzen überschreitendes Kommunikationsmedium eine Klammer, die der Steppengrenze zu ihrer Geschlossenheit verhalf . Die Steppengrenze war ein Milieu sui generis: Es war ein Prisma, das jeglichen Einfluss von außen brach und seine eigenen Bedingungen für Hybridität schuf . Das Ineinanderfließen von Romanisierung, Gräzisierung und Hellenisierung im Prisma der Steppengrenze illustriert vielleicht am besten der epigraphische Habitus der Palmyrener: Der bevorzugte Weg, in Palmyra Status zu demonstrieren, war die Aufstellung von Statuen mit, meist bilinguen, Inschriften, die Ehrendekrete von ›Volk‹ und ›Rat‹, δήμος und βουλή, festhielten . Auch hier scheint ein, in seiner Komplexität verwirrendes, ›Überschwappen‹ von Zeichen vorzuliegen: Ehrendekrete und die Institutionen von δήμος und βουλή waren elementare Konstituenten des politischen Lebens in einer Polis . Die Säulen, die zur Anbringung von Statuen und Inschriften dienten, waren – im Wortsinn – ein tragendes Element griechisch-römischer Architektur . Säulenstraßen zu errichten und mit ihnen einen öffentlichen Raum für die Ehrung von Individuen zu schaffen, war jedoch ein Proprium der römischen Orientprovinzen . Zeichen übersprangen also nicht nur kulturelle Grenzen, sie wurden auch, jenseits des Grabens, zu neuen Bedeutungssystemen zusammengesetzt . Dass den Palmyrenern – wie im Übrigen auch den Bewohnern von Dura-Europos, Edessa und, in geringerem Umfang, Hatra – die in den hellenistischen und römischen Städten so selbstverständliche Ökonomie der Ehre in Fleisch und Blut übergegangen war, beweist der Wald von Statuen, der einst den öffentlichen Raum Palmyras schmückte, zur Genüge . Allerdings geben die Inschriften keine Antwort auf die Frage, wie in einer Stadt ohne Honoratiorenelite die Konversion von materiellem in symbolisches Kapital funktionierte, die in jeder Polis Kern des ehrökonomischen Tauschhandels war . Hier verliert der Befund seine Eindeutigkeit: Darüber, wie tief die durch Romanisierung und Hellenisierung angestoßene Transformation der Oasengesellschaft ging, schweigen sich die Quellen aus . Der römischste von allen Faktoren war das Militär . Die stetig fühlbarer werdende Präsenz römischer Soldaten und vor allem römischer Veteranen veränderte rasant auch die demographische Struktur der Steppengrenze . Durch die Papyri wird der Zuzug von Fremden durch militärische Migration am Ḫābūr sichtbar, doch darf man wohl voraussetzen, dass in den stark militarisierten Provinzen Syrien und Mesopotamien die Ansiedlung von Veteranen ein flächendeckendes Phänomen war . Diese in Jahrzehnten ihres Dienstes für die römische Sache zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengeschweißten Männer besaßen Ansehen und relativen Wohlstand . Vor allem trugen sie ihr Rom im Herzen,

Romanisieru ng · 401 das sicher nicht das Rom eines Tacitus und auch nicht das eines Aelius Aristides war, aber doch ein Rom, das nicht weniger Überzeugungskraft besaß . Ob wir den aus Palmyra stammenden Karawanenherrn Yarḥai, seinen Landsmann Worōd, die Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Dura-Europos, den König Maʿnū, der dem Kaiser Trajan in Edessa seine Aufwartung machte, den in der cohors III Augusta Thracum dienenden Unteroffizier Iulius Demetrius, die Witwe Aurelia Barabus, den edessenischen Philosophen Barḍaisan oder gar Zenobia selbst nehmen – ihnen allen ist gemeinsam, dass ihre Existenz zutiefst durch die Herrschaft des römischen Imperiums über das Land jenseits des Orontes geprägt war . Wie präsent diese Herrschaft war, wie sie sich im Alltag der Menschen in Syrien und Mesopotamien bemerkbar machte, war offenbar nur bedingt eine Frage von sozialem Status, Bildung und Wohnort . Egal ob man arm oder reich, Sklave oder Herr, Zivilist oder Soldat, Viehzüchter, Bauer oder Stadtbewohner war – Rom war keine Quantité négligeable . Dennoch, und das ist die andere Seite der Medaille, war die Wirklichkeit der Steppengrenze für die Menschen zwischen Euphrat und Tigris nicht minder prägend als diejenige des römischen Imperiums . Gemeinsam war den Bewohnern nicht nur der Naturraum, in dem sie lebten, mit Traditionen, die vielleicht nur vage erinnert wurden, aber weit zurückreichten; gemeinsam war den meisten von ihnen die besondere Bedeutung, die verwandtschaftliche und fiktiv-verwandtschaftliche Bindungen für das soziale Leben hatten; gemeinsam waren ihnen ihre Götter und die rituellen Praktiken, mittels derer sie verehrt wurden . Schließlich teilten sie zwei Medien von enormer Wichtigkeit: mit dem Aramäischen die ihnen gemeinsame Sprache und mit der vermeintlich ›parthischen‹ Kunst ein Mittel der visuellen Kommunikation, das überall in Innersyrien und Mesopotamien verstanden wurde, politische Grenzen überschreitend . Wie wirksam solche Gemeinsamkeiten waren, erwies sich auf unterschiedlichen Ebenen . Die gateway-Funktion Palmyras wäre außerhalb des Steppengrenzen-Milieus undenkbar gewesen . Dass sich Palmyrener, auch während zwischen den Großmächten Eiszeit oder gar Krieg herrschte, in Mesopotamien anscheinend ungehindert bewegen konnten, setzt Vertrauen voraus, das sich am ehesten auf kulturelle Gemeinsamkeiten gründete . Das reichte so weit, dass die Palmyrener ihrer politischen Loyalität mit dem Tempel für den Kaiserkult in Vologesias mitten im Partherreich ein Denkmal setzen konnten . Die gemeinsame Sprache erleichterte das Knüpfen von Netzwerken, in deren Avantgarde jener Yarḥai mitmarschierte, der es bis zum Statthalter von Dilmun in Diensten des Königs von Charakene brachte . Grenzüberschreitende persönliche Netzwerke konnten allerdings in bestimmten Situationen für Rom auch zum Bedrohungsszenario werden: etwa in Palmyra, wo nach dem Tod Odainats Zenobia und ihr Sohn Waballat das dynastische Machtvakuum füllten und so mit der kaiserlichen Zentralgewalt in Konflikt geraten mussten; oder wenn, wie in der Bürgerkriegssituation des Jahres 193, der römische Klientelkönig von Osrhoene sich mit seinen Nachbarn auf parthischer Seite verbündete und, offenbar mit Wissen des parthischen Großkönigs, in den Konflikt zwischen Septimius Severus und Pescennius Niger

402 · X. schluss: dIE romanIsIErung dEr stEPPEngrEnzE eingriff . Den lokalen Akteuren wurden in ähnlichen Situationen immer wieder riskante Loyalitätsgesten abverlangt, die ihnen, wenn sie zum falschen Zeitpunkt erfolgten, von der Gegenseite wiederum als Illoyalität ausgelegt werden konnten . Dass Politik entlang der Steppengrenze stets mit Risiken und Nebenwirkungen behaftet war, mussten auch jene Dynasten erfahren, die sich in der Frühphase von Trajans Partherkrieg abwartend verhalten hatten . Der Kaiser nahm ihnen die verweigerte Demutsgeste persönlich übel .

Integration Bei allen Risiken: Die virtuose Instrumentalisierung persönlicher Nahverhältnisse war eines der arcana römischer Herrschaft auf drei Kontinenten, auch im Orient . Nicht von ungefähr hatte schon Pompeius, nachdem er die neue Provinz Syria geschaffen hatte, auf persönliche Bindungen vertikaler Solidarität zu all jenen Warlords, Königen, Phyl- und Ethnarchen gesetzt, die rings herum um Geltung und Macht wetteiferten . Unterpfand der Loyalität und Kitt von Roms indirekter Herrschaft waren asymmetrische Männerfreundschaften wie die zwischen Augustus und Herodes, in denen so vieles unausgesprochen bleiben konnte . Indem Roms Kaiser lokale Herrscher unter ihre Patronage nahmen, machten sie die kleinen Könige zu Profiteuren der römischen Macht – und damit zu ihren Komplizen . Die Nahverhältnisse pflanzten sich nach unten hin fort: Die lokalen Herrscher waren in der Region bestens vernetzt, unter Ihresgleichen und unter den Großen der Städte und Stämme, die ihnen unterstanden . Viele dieser Bindungen waren verwandtschaftlicher oder fiktivverwandtschaftlicher Natur . Im polymorphen Milieu der Steppengrenze standen die lokalen Herrscher zugleich an der Spitze von Stammeskonföderationen wie von urbanen Gesellschaften . Auch dort, wo es, wie in Palmyra, keinen König gab, waren Stadt und Steppe miteinander verflochten: durch in beiden Welten heimische Eliten und durch vielfältige Bindungen aufgrund von zumindest geglaubter Verwandtschaft . Für Rom boten solche hierarchischen Netzwerke auf patrimonialer Basis den unschätzbaren Vorteil, dass sie die Durchsetzungskosten von Herrschaft enorm verringerten . Die Loyalität der Könige und Stammesoberhäupter war billig zu haben, wenn man sie mit dem Aufwand verglich, den direkte Herrschaft samt militärischer Besetzung des Territoriums erfordert hätte . Obendrein konnte man sich des militärischen Potentials der Stämme bedienen, die bevorzugt in entlegenen Teilen des großen Reiches zum Einsatz kamen . Schließlich ließen die hierarchischen Netzwerke immer breitere Schichten gleichsam organisch ins Imperium hineinwachsen . Vor allem die lokalen Aristokratien begriffen, welch immense Aufstiegsmöglichkeiten ihnen das Imperium bot . Dass die Elite gegen ihren König und das eigene Volk die Annexion durch Rom forderte, wie in Kommagene 17 n . Chr ., dürfte beileibe kein Einzelfall gewesen sein . Überall entlang der Steppengrenze intensivierte sich nach ein bis zwei Generationen die Präsenz Roms: Indirekte machte direkter Herrschaft Platz .

Integr ation · 403 Die personalen Netzwerke bestanden zwar fort, traten aber in ihrer Bedeutung hinter drei neuen, eher ideellen Integrationsangeboten zurück, mit denen Rom vor allem die Bevölkerung seiner Provinzen beglückte: dem Versprechen auf Teilhabe kraft Bürgerrecht, dem Versprechen auf Zivilisation und dem auf Teilhabe an dem die Oikumene kartierenden Mythos . Alle drei Narrative entfalteten auch entlang der Steppengrenze Wirksamkeit, allerdings bei unterschiedlichen Personenkreisen und in unterschiedlicher Intensität . Das Bürgerrecht hatte in der Levante später Fuß gefasst als in anderen Teilen der römischen Welt . Paulus von Tarsus war schon als Römer zur Welt gekommen, aber er dürfte in seinem Herkunftsmilieu hellenisierter Juden die einsame Ausnahme gewesen sein . In Palmyra verfügten im 1 . Jahrhundert nur Zugewanderte über das römische Bürgerrecht . Ab Mitte des 2 . Jahrhunderts war es dann unverzichtbares Attribut der lokalen Führungsschicht . Erkennbar handelte es sich im lokalen Kontext um eine Prestigeressource ersten Ranges, die vor allem durch den Besuch Hadrians in der Oase an Bedeutung gewann . Unter den Bessergestellten gehörte es zum guten Ton, sich Rom zugehörig zu fühlen . Dazu passt, dass die Arena, in der Palmyra mit anderen Akteuren um Rang und Prestige wetteiferte, von den Städten der römischen Provinz Syria gebildet wurde . Die Regeln des Wettbewerbs waren die gleichen, die auch sonst in der Osthälfte des Imperiums unter griechischen Städten galten . Rom und mit ihm die Kultur der Oikumene wurde ab den 130er Jahren zur normsetzenden Bezugsgröße für den Identitätshaushalt der Palmyrener . Ein völlig davon abweichendes Bild bietet sich in der Ḫābūrregion, die durch das Corpus der Papyri und Pergamente im 3 . Jahrhundert in ein vergleichsweise helles Licht getaucht wird . Hier sind es allein die römischen Soldaten und Veteranen, die ihr römisches Bürgerrecht in Form der tria nomina ostentativ vor sich hertragen . Bei ihren einheimischen Nachbarn, die keinen Bezug zum Militär haben, scheint dagegen Indifferenz vorzuherrschen . Obwohl – oder vielleicht gerade weil – 212 n . Chr . die constitutio An­ toniniana das Bürgerrecht universalisiert hatte, verzichteten diese Menschen, trotz ihres mutmaßlichen Bürgerstatus, auf jede Nennung der tria nomina . Der auf den ersten Blick überraschende Befund lässt sich auf zweierlei Weise erklären: Vorstellbar ist, dass in dieser abgelegenen Region des Imperiums das Bürgerrecht nicht als die Prestigeressource wahrgenommen wurde, als die es allgemein galt; womöglich hatte aber gerade die Ausweitung des Bürgerrechts auf fast alle freien Reichsbewohner dieses einstmals wichtige Integrationsangebot entwertet . Die zivilisatorische Sendung des Imperiums bestand in dem plausiblen Versprechen auf ein besseres Leben, das Rom all jenen zu bieten hatte, die in seinen Grenzen lebten . Dazu gehörten banale Dinge wie Straßen, Brücken, Aquädukte und Badehäuser, die das Imperium seiner Peripherie bescherte . Dazu gehörten aber auch komplexe Zeichensysteme, die neue Möglichkeiten der Selbstdarstellung und Kommunikation eröffneten . Ein attraktives Angebot in diesem Sinne waren die Medien visueller Kommunikation, die Griechen und Römer hervorgebracht hatten und die in ihrer Modularität leicht zu verstehen und zu deuten waren .

404 · X. schluss: dIE romanIsIErung dEr stEPPEngrEnzE Das gilt zumal für die Architektur mit ihren standardisierten Elementen . Ihre Adaption durch die Palmyrener war alles andere als ein Oberflächenphänomen . Die Oasenbewohner errichteten ihren Haupttempel nicht einfach in irgendeinem, von ferne an griechische Sakralarchitektur erinnernden Stil; sie kopierten fast exakt eines der berühmtesten Heiligtümer der antiken Welt, allerdings mit wichtigen Modifikationen . Die Genauigkeit, mit der die Baumeister in der Oase den Formenschatz westlicher Architektur ›zitierten‹, variierte von Tempel zu Tempel: Das aus griechischer und römischer Sicht Fremde des Nebu-Heiligtums stach unmittelbar ins Auge, schließlich gehörten Flachdächer, Zinnenkränze und Cella-Eingänge an der Langseite nicht zum vitruvischen Repertoire . Der Baʿal-Šamen-Tempel mit seiner korinthischen Pronaos hingegen kam dem Bild eines römischen Podiumstempels schon nahe . Hier störten den Eindruck allenfalls die auf Konsolen an den Säulen aufgestellten Statuen, die Fenster in den Seitenwänden und die Höfe, in deren Mitte die Cella stand . Der Siegeszug hellenistischer Architektur machte vor anderen Funktionsfeldern nicht halt . Er übersprang eine weitere Grenze, als im frühen 2 . Jahrhundert Tempelgräber aufkamen, die dem gewachsenen Repräsentationsbedürfnis palmyrenischer Familien Rechnung trugen . Die Zeichenwelt des Hellenismus wurde also zuerst ins Koordinatensystem der lokalen Religion übertragen und entsprechend ihren Bedürfnissen modifiziert, um dann vom sakralen Bereich auf andere Sektoren auszustrahlen . So entstand ein neuer Kanon, der äußerlich dem ›imperialen‹ Kanon angenähert war, tatsächlich aber lokal verwurzelt war . Wie dicht das Beziehungsgeflecht zwischen Status und künstlerischen Ausdrucksmitteln war, zeigt schließlich der Sarkophag des namenlosen palmyrenischen Magnaten, der mit seinen Bildern einen fast schon spielerischen Umgang mit verschiedenen Rollen und Zeichensystemen offenbart . Dem Grabherrn kam es darauf an zu demonstrieren, dass er weit oben stand in zwei sozialen Hierarchien, die jeweils ihren eigenen Vorrat an Ranginsignien und Statussymbolen hatten . Das setzt, bei Auftraggebern wie Adressaten, ein Bewusstsein für kulturelle Differenz voraus . Ein zivilisatorisches Angebot des Imperiums war auch sein Rechtssystem . In seiner Aneignung bewiesen die Bewohner der Steppengrenze ebenfalls einen bemerkenswerten Erfindungsreichtum . Die vertragschließenden Parteien in Osrhoene und im Umland von Dura machten selektiv von den Instrumenten des ius civile Gebrauch – von welchen, das hing jeweils entscheidend von den lokal verwurzelten Rechtstraditionen und Gerechtigkeitsbegriffen ab . Eine Frau wie Aurelia Barabus, die aus einem Dorf am mittleren Euphrat stammte, wo griechische Rechtstraditionen heimisch waren, berief sich auf das ›Recht dreier Kinder‹ (ius liberorum), ihre Geschlechtsgenossin Marcia Aurelia aus Karrhai verzichtete darauf, weil nach lokalem Rechtsverständnis Frauen ohnehin als geschäftsfähig galten . Beide profitierten aber von der Sicherheit, die das gesatzte Recht des Imperiums und seine juristische Infrastruktur boten, die vom Notariat bis zur Archivierung von Rechtsurkunden reichte . Bei kreativer Auslegung schuf aber der Rechtsrahmen des römischen Staates auch die Möglichkeit, traditionelle Unterordnungs- und Abhängigkeitsverhältnisse in die Katego-

Integr ation · 405 rien des ius civile zu ›übersetzen‹ . So boten die am mittleren Euphrat und in Osrhoene überproportional häufig auftauchenden antichretischen Darlehensverträge offensichtlich einen rechtlichen Rahmen für abhängige, aber freie Arbeit . Wiederum war die Adaption des römischen Rechts mehr als nur Oberflächentünche: Die Verrechtlichung gewachsener Sozialstrukturen setzte intime Kenntnisse der Rechtsnormen wenigstens durch vor Ort verfügbare Experten voraus und transformierte die Gesellschaft von Grund auf . Die Möglichkeit, bei Verletzungen von Abmachungen und Verstößen gegen geltendes Recht bei römischen Autoritäten Klage zu führen, auch gegen sozial Höherstehende – wofür es eine Reihe von Belegen gibt –, und die Verringerung rechtsfreier Räume in einem noch stark tribal geprägten Umfeld waren Neuerungen, die keinesfalls nur an der Oberfläche kratzten . Das dritte große Integrationsangebot war der Mythos . Gleich einer großen imaginären Karte erlaubte er es jedem, der über genug Bildung verfügte, sich seinen Platz in der Oikumene zu suchen . Seiner Aneignung durch die lokale Bevölkerung der Steppengrenze standen die größten Hürden entgegen . Mythos setzt παιδεία voraus, und παιδεία war auch im Orient nicht ohne Kenntnis der griechischen Sprache erhältlich . Die einfachsten, auch für Außenstehende zugänglichen Zeichen des Systems Mythos waren seine Figuren . Mit ihnen, den griechischen Göttern und Halbgöttern, identifizierten die Bewohner der Steppengrenze ihre eigenen Gottheiten per interpretatio . Ikonologisch näherten sie die göttlichen Gestalten ihrer Heimat denen von Griechen und Römern an, womit sie ihren Willen bekundeten, am imaginaire der Großen Tradition zu partizipieren . Doch anders als etwa in Antiocheia finden sich an der Steppengrenze nur wenige komplexe Darstellungen mythischer Szenen, auch in Dura-Europos nicht, wo generell kein Mangel an Bildern herrscht . Auch schriftlich sind keine lokalen Mythen überliefert, die sich zum mythischen System der Oikumene in Beziehung setzen ließen . Schließlich lässt sich das Wenige, was wir über die religiöse Vorstellungswelt der Menschen in Palmyra, Dura-Europos und Hatra wissen, schwer zu den Kulten in Beziehung setzen, die wir aus der Mittelmeerwelt kennen . Freilich ist, kaum hatte das Christentum Einzug gehalten, ein intensiver theologischer Dialog zwischen Edessa und dem Westen, gerade auch Rom, bezeugt . Barḍaisan rezipierte die Gnosis, tauschte sich mit Origines aus und soll sogar selbst am Tiber gewesen sein . Die Juden von Dura-Europos standen mit ihren Glaubensgenossen in Babylonien und Palästina in Verbindung . Mysterienkulte wie der des Mithras oder der des Iuppiter Dolichenus fanden durch das Militär Verbreitung . Offenbar waren es nicht die Götter des paganen Mainstream, welche die Steppengrenze religiös Anschluss finden ließen an die große weite Welt der Oikumene, sondern die neuen Kulte, die ihren Anhängern in bis dahin nicht gekanntem Ausmaß eine Heimat boten . Die Steppengrenze war im 2 . und 3 . Jahrhundert ein integraler Bestandteil der römischen Welt, ohne den die Oikumene nicht mehr zu denken gewesen wäre . Eine Welle der Romanisierung war über den Orient gerollt, die sich kulturell überwiegend als Hellenisierung und sprachlich in weiten Teilen als Gräzisierung äußerte und die selbst an der politischen Grenze des Imperiums nicht völlig zum Stehen kam . Das heißt nicht, dass

406 · X. schluss: dIE romanIsIErung dEr stEPPEngrEnzE die Bewohner von Palmyra, Edessa, Dura-Europos oder gar Hatra damit zu Römern geworden wären, in dem Sinne, wie Menschen noch der augusteischen Zeit Römer gewesen waren . Aber sie identifizierten sich in ihrer Mehrheit mit Rom und seinem Imperium – so weit, dass ein Palmyrener die schon fast verlorene römische Sache 260 n . Chr . fast im Alleingang rettete . Die römische Identität der Steppengrenze koexistierte, konkurrierte und konfligierte mit ausgeprägten lokalen Identitäten, einem starken Bewusstsein regionaler Zusammengehörigkeit und mächtigen Netzwerken, die getragen wurden von persönlicher Loyalität, die sich aus verwandtschaftlichen Bindungen speiste . Regionalstudien haben unserem Bild von der römischen Welt in den letzten Jahrzehnten erheblich mehr Tiefenschärfe gegeben . Diesem Anspruch war damals und ist auch heute dieses Buch verpflichtet . Die betörend komplexe Gemengelage aus Identitäten und Loyalitäten, die Vielschichtigkeit ihrer Romanisierung, die sich dialektisch brach und die unterschiedlichsten, teilweise widersprüchlichen, oft kontingenten und kaum je vorhersehbaren Wirkungen zeitigte: All das macht die Steppengrenze zum idealen Laboratorium, um zu untersuchen, was das römische Imperium in seinem Innersten zusammenhielt . Dass es an ihnen nicht zerbrach, sondern Zerklüftungen überbrückte, Antagonismen meist gewaltfrei ausbalancierte und Menschen unterschiedlichster Herkunft, Bildung, Prägung für sich einzunehmen verstand, zeugt von einer Integrationskraft, die moderne Staaten erst noch beweisen müssen .

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Abbildungsverzeichnis 2 .1, 3 .1, 3 .2, 3 .3, 3 .4, 3 .5, 3 .6: Michael Sommer; 6 .1 aus: Klaus Schnädelbach, Topographia Palmyrena, Bonn – Damaskus 2010 / Michael Sommer, Palmyra . Biographie einer verlorenen Stadt, Darmstadt 2017; 6 .2 aus: Theodor Wiegand (Hg .), Palmyra . Ergebnisse der Expeditionen von 1902 und 1917, Bde . 1–2, Berlin 1932, Tafel 33; 6 .3, 6 .4: Andreas Schmidt-Colinet; 7 .1 aus: George Francis Hill, Catalogue of the Greek Coins of Arabia, Mesopotamia and Persia in the British Museum, London 1922, 92f ., Nr . 5–9; 7 .2: BMC 91,1 ., 7 .3: BMC 144; 7 .4: BMC 136–138; 7 .5: BMC 26; 8 .1, 8 .2, 8 .4, 8 .6, 8 .7, 8 .8, 8 .9, 8 .10, 8 .11, 8 .12, 8 .13, 8 .14, 8 .15, 8 .16, 8 .17: Yale University Art Gallery; 8 .6, 8 .5: Susan Downey; 8 .18: Oriental Institute, Chicago; 9 .1 aus: Michael Sommer, Hatra . Geschichte und Kultur einer Karawanenstadt im parthisch-römischen Mesopotamien, Mainz 2003, 36 (nach Walter Andrae); 9 .2: Klaus Stefan Freyberger .

Quellenregister 1. Griechische und lateinische Autoren Ael . Arist . or . 26,101f . 57 A .17 Amm . 13,6,14 301 A .60 14,3,3 237 A .52 14,11,10 84 A .118 22,16,15f . 173 A .108 23,5,2 85 A .125 23,6,23–24 77 A .100 25,8,5 82 A .116, 379 A .86 App . civ . 5,9 157 A .39 App . Syr . 55 232 A .33 Arr . an . 2,27,7 91 A .12 4,22,5 91 A .12 4,24,7 91 A .12 4,29,3 91 A .12 Aur . Vict . 39,35f . 84 A .121 Cass . Dio 27,5,5 235 A .44 38,33,3 239 Anm . 61 40,12,2 304 A .69 40,20–23 235 A .45 61,20,7 141 A .126 68,1,1f . 365 A . 15 68,18 238 A .55 68,21 238 A . 59 68,21f . 373 A .56 68,21,3 238 A . 57 68,22 238 A . 58 68,30,2 238 A .60 68,31,1 373 A .57 68,31,1–4 373 A .56 68,31,2–4 374 A .59 71,2 76 A .100 71,2,1 241 A .68 75,1,1–2 242 A .72 75,3,2 243 A .77 76,9,3–4 78 A .103 76,10,1 374 A .60 76,11,1–5 374 A .61 76,12,2 374 A .63 78,12,1 244 A .80 78,12,1a–78,12,11 78 A . 104, 244 A .82 78,14,1 245 A .85 80,3 75 A .90, 246 A .88 80,3,2 80 A .109, 379 A .87

80,4,1–2 80 A .107 80,16,2 243 A .78 Cic . Caecin . 4,11–18 265 A .161 Cic . nat . 2,70–72 132 A .89 Eutr . 2,15 62 A .35 9,10 166 A .75, 167 A .77 9,24 84 A .118 Fest . 14,25 84 A .121 17,2 304 A .69 23 166 A .75 FGH IV 188f . (Petros Patrikios) 84 A .121 Front . 2, 209 77 A .100 Herodian . 2,7–8 170 A .97 3,1,3 374 A .62 3,5,1 385 A .112 3,6f . 12 A .2 3,9,2–4 374 A .62 3,9,2 243, 246 3,9,9–12 78 A .103 5,3,4 12 A .1 5,5 12 A .4 5,6 12 A .3 6,2,2 80 A .107 6,2–7 80 A .108 6,7,8 245 A .85 7,1,9 245 A .85 7,2,1 245 A .85 7,7 13 A .5 H .A . Aur . 31 169 A .85 H .A . Gall . 3,5 166 A .73 10,3 166 A .74 10,6f . 166 A .75 13,1 167 A .77 13,4f . 168 A .79 H .A . Hadr . 5,4 239 A .62 21,1 239 A .62 H .A . Max . duo 11,1 245 A .85, 246 A .88 11,7f . 245 A .85, 246 A .88

H .A . Sev . Alex . 61,8 245 A .85, 246 A .88 H .A . tyr . trig . 15, 1–4 165 A .68 15,3 166 A .74 15,4 166 A .75 15,5 167 A .77 29 172 A .106 30,6 166 A .75 H .A . Ver . 8,3–4 77 A .100 Ioh . Ant . fr . 152,2 167 A .77 Ioh . Mal . 17,418 228 A .8 18, 15 230 A .25 297,4–10 166 A .72 298,12–14 167 A .77 Ios . ant . Iud . 8,6 156 A .37 14,7,4 66 A .56 14,4 138 A .112 17,9,1–3 68 A .65 18,2,5 252 A .103 18,53 70 A .73 18,6,3 69 A .67 Ios . bell . Iud . 7, 7, 1–3 70 A .77, 252 A .103 7,7 1 71 A .79f . Isokr . or . 4,166 91 A .11 Iul . or . 4,150cd–154ab . 228 A .5 Iuv . 3,61–63 117 A .31 Lukian . Syr . Dea 57 152 A .27 Lukian . hist . conscr . 19 384 A .107 22 242 A .70 Mon . Anc . 33 75 A .90 or . Sib . 13,164–171 170 A .98, 173 A .107 Oros . hist . 7,15,2 77 A .100 7,22,12 166 A .75, 167 A .77 Paneg . Lat . 3,5,4f . 83 A .116 Paus . 1,16,3 232 A .33

H .A . Prob . 9,5 172 A .106

Philostr . Apoll . 1,27 300 A .57

H .A . Sept . Sev 8,15 170 A .97 16,1 78 A .103

Plin . nat . 5,86 228 A .8

Polyb . 29,27,1–7 63 A .38

454 · rEgIstEr 5,88 159 A .44 6,112 73 A .87, 75 A .90, 207 A .246, 385 A .111 6,41 75 A .90 6,141 308 A .37 Plut . Crass . 21–22 235 A .45 29 305 A .74 Plut . Luc . 25 234 A .43 Plut . mor . 2,208b 187 A .129 Prok . bell . Pers . 2,12,18 229 A .15 Strab . 14,2,3 70 A .73 16,1,21 308 A .89 16,1,23 299 A .55 16,2,11 66 A .51 16,2,18 65 A .49, 138 A .112f . 16,738 232 A .33, 383 A .99 Synk . 466,24f . 165 A .69 467,7–13 166 A .72 681 245 A .86 Tac . ann . 2,42 69 A .68 2,42,7 70 A .73 2,56,2 70 A .73 4,5,3 64 A .45 6,24 74 A .88 6,41 237 A .52 11,8 385 A .111 12,11 236 A .50 12,12 236 A .49 12,14 237 A .53 12,11–14 236 A .48 12,45,5 64 A .45 15,3 237 A .51 15,3,5 76 A .97 15,5 237 A .51 Theod . hist . eccl . 14,4 95 A .32 Zos . 1,39,1 165 A .71, 166 A .74 1,39,2 166 A .75, 77 1,51,1–3 173 A .109 1,160f . 169 A .85 Zon . 12,23 165 A .69, 166 A .72 2,24 166 A .73, 167 A .77

2. Syrische Autoren Josua Styl . 27 229 A .12 29 229 A .12 30 229 A .17 34 229 A .15

36 38 41 43 46 87

229 A .19 229 A .18 229 A .18 229 A .16 229 A .12 229 A .16

Mich . Syr . 10,23 229 A .14 11,3 229 A .19 21,4 229 A .9 Ps .-Dionys . chron . anon . 1960 234 A .37, 235 A .47 2154 77 A .77, 242 A .70 2233 244 A .80

3. Stellen aus dem Alten und Neuen Testament 1 Kön 9:18 156 A .37 2 Chron 8:4 156 A .37 Jes 23:8 97 A .38 Ez 47:19 156 A .37 Apg 22:24–28 113 A .23 4. Rechtscorpora Dig . 4,63,4 163 A 64 50,15,1 162 A .57 5. Inschriften und Graffiti AE 1933, 204 158 A .40 1933, 207 161 A .54 1937, 243 305 A .72 1937, 239 316 A .121 1940, 220 316 A .121 1958, 239 388 A .119 1976, 678 141 A .126 As 1,2 257 A .126 27 257 A .125 31,2 257 A .126 36 257 A .125 36,4 255 A .118 36,5 256 A .123 37,4f . 255 A .117 47 257 A .125 47,3 256 A .119 47,5 257 A .126 48 258 A .131 49 258 A .130 49,1–3 256 A .119

50 258 A .131 52,4 256 A .119 55 256 A .121 126–155 255 A .116 Cantineau 1933 Nr . 179 161 A . 55 CIL VI 1377 341 A .69 VIII 9760 243 A . 77 XI 3104 245 A . 85 XII 1856 243 A . 77 H 3,2 386 A .116 52,2 386 A .116 62 370 A .39 65 370 A .39 65,6 386 A .116 67 371 A .42 74,5 386 A .116 79,5 380 A .91 79,10 386 A .116 79,14 382 A .97 80 381 A .94 82,5 386 A .116 106 389 A .125 107 389 A .122 107,7 388 A .118 108 365 A .15, 376 A .68 151,2 386 A .116 189 376 A .67f ., 378 A .82 201,1 386 A .116 202 386 A .114 203 373 A .56 209,1 386 A .116 213,4 386 A .116 214 184 A .159, 370 A .39 223,4 383 A .103 231 383 A .100 235,1 386 A .116 243 365 A .13 272 365 A .15 280 386 A .116 280,2 388 A .118 288c 373 A .56, 376 A .67, 378 A .82 290 386 A .115 293 184 A .159, 372 A .53 294 372 A .53 336 365 A .13, 375 A .65, 381 A .94, 386 A .115 336,3 381 A .94 338 376 A .72–74, 386 A .115

Quellenregister · 455 338,3 383 A .105 342 386 A .115 343 365 A .13, 375 A .65, 381 A .94, 386 346 365 A .15, 376 A .72 349 376 A .69 350 376 A .69 362 383 A .101 363 365 A .15, 375, A .65 380 365 A .15 384,1 386 A .116 384,5 383 A .101 IGLS V 2220 167 A .78 V 2328 168 A .78 V 2703 169 A .78 Inv . III 3,3 149 A .12, 169 A .86 III 3,20 172 A .105 III 16 169 A .86 III 18 169 A .85 III 19,3f . 172 A .105 IX 23 161 A .161 Michałowski 1960–1984 Bd . 1, Nr . 202 143 A .134 OGIS 129 172 A . 106 254 301 A .62 PAT 0187 176 A .120 0191 176 A .117 0197 160 A .48, 182 A .150, 187 A .169, 206 A .240, 210 0208 192 A .195 0259 176 A .118–120, 177 A .125 0261 183 A .154 0262 210 0263 213 A .256 0265 177 A .128 0269 176 A .115 0270 206 A .237, 207 A .244 0274 177 A .128 0278 176 A .122 0279 208 A .248 0282 160 A .48, 208 A .248, 210 0283 178 A .133 0284 178 A .132 0285 178 A .132 0286 129 A .73, 178 A .132, 224 A .306

0287 178 A .132 0288 160 A .48, 177 A .128, 210 0289 178 A .132 0292 165 A .70, 166 A .76 0294 160 A .48, 210 0295 206 A .242, 207 A .244 0306 212 A .259 0313 169 A .86 0316 177 A .128 0337 176 A .121 0453 178 A .134 0461 176 A .117 0471 184 A .156 0472 203 A .226 0514 203 A .226 0556 354 A .219 0558 223 A .298, 300 0592 184 A .156 1062 158 A .43, 193 A .198, 206 A .240, 220 A .291 1063 160 A .51, 176 A .122, 181 A .146, 183 A .153, 192 A .192, 210, 221 A .293 1099 190 A .186 1128 177 A .128 1335 176 A .118 1352 206 A .238 1357 177 A .128 1358 177 A .128 1373 209 A .252 1374 167 A .78, 206 A .239, 210 1375 176 A .119 1378 160 A .48, 176 A .122, 180 A .139, 184 A .156, 208 A .248 1397 160 A .48, 161 A .53, 209 A .251, 212 A .263 1398 176 A .123 1400 212 A .260 1403 212 A .260 1406 176 A .124 1409 206 A .239 1411 210, 212 A .258 1412 210 1414 206 A .239, 216 A . 275, 217 A .281 1415 176 A .123 1422 176 A .116 1423 162 A .58, 203 A .226 1524 147 A .7 1557 177 A .128 1567 189 A .182

1568 189 A .182 1584 206 A .239 1833 184 A .156 2282 176 A .117 2634 217 A .278 2636 176 A .118 2732 184 A .155, 185 A .163 2738 184 A .158 2739 184 A .158 2741 177 A .128 2754 158 A .41 2769 143 A .134, 180 A .138, 182 A .149 2778 176 A .116 2812 177 A .128 Safar 1964 Nr . 1 161 A .55 SEG VII 135 159 A .44 VII 332 305 A .73 ŠKZ 293 75 A .94 Starcky 1963 47 161 A .56 TEAD I 42–44 311 A .98 II 91–93 301 A .62 II 148–151 312 A .312 VII–VIII 83f . 309 A .92, 311 A .99 VII–VIII 299 334 A .159 IX 1,176–185 353 A .214

6. Pergamente und Papyri Benoit et a . 1961 Nr . 25 267 A .173 Nr . 26f . 267 A .173 Nr . 30 267 A .173 Drijvers/Healey 1999 P 2 245 A .85, 247 A .91, 259 A .133, 136, 260 A .139–141, 262, 263 A .148, 151, 265, 268 A .177, 269 A .181, 184, 270 P 3 259 A134, 136, 260 A .139, 262 A .146f ., 263, 264 A .154, 156, 270, 271 Kraeling 1953 Nr . 3 267 A .173 P . Argent . 480,1 84 A .117 P . Colon . 4780 80 A .109, 380 A .90 P . Dura 17A 312 A .101, 325 A .145

456 · rEgIstEr 17B 306 A .79f ., 312 A .105, 322 A .135, 325 A .145 17C 325 A .145 17D 321 A .132f . 18 306 A .78, 82f . 20 299 A .56, 299 A .56 23 305 A .75 25 312 A .103f ., 318 A .124, 325 A .145 26 315 A .119, 325 A .145, 330 A .147 27 325 A .145 28 259 A .132, 138, 260 A .139, 261, 262 A .146f ., 265 A .162, 266 A .168, 267 A .171, 268, 323 A .141

29 322 A .136, 325 A .145 30 322 A .137, 325 A .145 31 312 A .106, 323 A .139, 325 A .145, 333 A .157 32 312 A .138, 325 A .145, 329 A .146, 332 A .155 37 318 A .124 54 319 A .129 60B 315 A .114 100 315 A .120 101 315 A .120 P . Euphr . 1 325 A .145 2 325 A .145 3 325 A .145 4 325 A .145 5 325 A .145, 333 A .156

6/7 259 A .135, 261 A .143f ., 262, 263 A .152, 265 A .162, 268, 8 325 A .145 9 325 A .145 10 325 A .145 11 325 A .145 12 322 A .136, 325 A .145 13 325 A .145 14 322 A .134, 325 A .145 15 265 A .161, 323 A .140, 325 A .145 P . Oxy . 507 269 A .181 3109 82 A .112 Porten/Yadeni 1986 Bd . 1, Nr . B 3–4 267 A .173

Ortsregister Aidabene 67, 71, 77–79, 84, 231, 239, 242, 243, 246, 373, 385, 387 Afqa 139 Afrika 9, 16–17, 25f ., 28–29, 39, 42 Ägypten 49, 56, 63, 73, 82, 85, 97, 99, 111, 117, 126, 142f ., 167, 172f ., 194, 205, 213, 223, 266f ., 269–271, 301, 322, 331, 344, 349, 350 Ai Khanoum 276, 279, 282 Aleppo s . Beroia Alexandreia 170–173, 232, 245, 247, 262, 301 Amanus 39f ., 48 Amerika 25, 27f . ʾĀna 161, 314 Anthemusias 231, 237f ., 263, 299, 373, 379 Antilibanon 39, 41–43, 48, 138, 231 Antiocheia 68, 81, 92f ., 95, 116f ., 121, 127, 143, 168–173, 228–230, 238, 243, 291, 309, 334, 336, 353, 358f ., 378, 398, 405 Apameia am Orontes 9, 38, 68, 92–95, 121, 127, 229 Apameia Kibotos 62 Arabia Felix 98, 123, 374 Arabien 38f ., 66, 98, 119, 159, 222, 302, 380 Arbela 342 Armenien 64, 69, 73–79, 81, 83– 86, 167, 230, 234–236, 238, 241, 384f . Assur 96, 279, 294, 361, 363, 368, 372 Baalbek 42, 139, 333, 389 Babylon 78, 142, 156, 160, 206, 232, 282, 301, 347, 389 Babylonien 45, 80, 126, 205f ., 231, 245, 285, 298, 374, 388, 405 Bagdad 364 Baliḫ 45, 229 Balkan 11, 338, 396 Batanaia 44 Belutschistan 105 Berenike 99 Beroia 42f ., 47, 50f ., 103, 145, 155, 230, 354 Berytus 69

Beth Phouraia 264 Biblada 315 Biǧān 315 Biqāʿ-Ebene 39, 42, 49f ., 59f ., 69, 99, 136, 138–140, 154, 286, 333, 349 Birta 256 Bišābuhr 359 Bostra 84, 119, 165 Britannien 22, 24, 111, 114, 117, 133, 175, 296, 351 Byblos 97, 192 Carnuntum 82 Castellum Arabionis 315 Chalkis, Tetrachie 66, 69, 71f ., 232 Chalkis ad Belum 59 Charakene 73, 99, 158, 162f ., 167, 205–208, 213, 232, 246, 385f ., 401 China 17, 26, 56, 128, 222, 368 Chordiraza 299 Dair az-Zaur 47 Daiṣan 229, 252 Dakien 175, 319 Damaskus 43, 47, 51, 66, 69, 103, 143, 146, 335, 395 Dilmun s . Thilouana Diyālā 99, 103, 105 Donau 165, 168, 338, 351 Dubai 46 Dura-Europos 6, 16, 19f ., 22, 28, 35f ., 38, 72, 81f ., 89, 91, 95, 100– 103, 114, 123, 150f ., 160f ., 183, 190f ., 193, 197, 206, 213, 222, 230, 232f ., 237, 244f ., 249, 257, 259, 264, 269, 271, 273–360, 370, 372, 383f ., 386f ., 392–394, 398, 400f ., 405f . Agora 276f ., 293f ., 298 Akropolis 275, 293f ., 298 Euphrattor 275 Hauskirche 339–340, 351 Militärlager 285f . Nekropole 297 Palmyrator 275, 278, 284, 291, 300 Stadtbefestigung 275, 278, 286, 288, 334, 344

Strategeion 275f ., 279f . Synagoge 193, 291, 295, 318, 335–337, 342–351, 356 Tempel: des Adonis 289, 291 des ʿAphlad 286 der Artemis-Nanaia 280– 282, 285 der Azzanathkona 284f . des Bēl 284, 287f ., 352 des Jupiter-Dolichenus 295 des Mithras 282, 295, 311, 319, 337–339, 351 der Gaddē 289f ., 309, 337, 353 des Zeus-Kyrios 286 des Zeus-Megistos 276, 283 des Zeus-Theos 282, 288 Zitadelle 275f ., 279, 288, 298 Ebla 42 Eddana 315 Edessa 20, 35f ., 38, 66f ., 72, 77–79, 82, 89, 95, 99f ., 127, 155, 164, 166, 227–274, 297, 299, 301, 321f ., 333, 342, 354, 359, 373, 379, 383, 386f ., 392, 394, 398, 400f ., 405f . Akropolis/Zitadelle 227, 229 Ekbatana 363 Eleusis (Ägypten) 63 Elymais 216 Emar 45, 155 Emesa 12, 15, 20, 66f ., 71, 81, 99, 116, 145, 151f ., 166f ., 169, 205, 229, 231, 274, 392 Epiphaneia 230 Euphrat 6, 20, 38, 42, 44f ., 50, 62, 67, 72, 74, 76, 79f ., 83f ., 86, 99–102, 114, 128, 145, 151f ., 155– 157, 160–162, 166, 168, 184, 205, 214, 222, 225, 229–231, 236f ., 241, 245, 247, 256, 259, 264, 266, 270f ., 273–361, 373, 387f ., 392f ., 400f ., 404f . Europa 9, 17, 23, 25f ., 29, 51, 58, 62, 97, 145, 361 Forāt 159, 206, 208, 213 Frankreich 17, 19, 108

458 · rEgIstEr Ǧabal ʿAbd al-ʿAzīz 44 Ǧabal ad-Durūz 44 Ǧabal al-Anṣārīy 39–41, 48 Ǧabal al-ʾAqraʿ 40 Ǧabal az-Zawīya 39 Ǧabal Sinǧar 44, 99, 362

Galiläa 39 Gallien 24, 82, 133 Gamlaʾ 161 Ǧawlān 44, 49 Ǧazīra 38, 45, 59f ., 99–101, 103, 123, 127, 273, 313, 316, 361–363, 373, 381, 384, 387f ., 391f ., 400 Genna 206, 220 Germanien 64, 114, 133, 296 Gindaros 82 Griechenland 9, 22, 57, 62, 88, 91, 135f ., 139, 176f ., 221, 398 Großbritannien 17 Habuba Kabira 41 Ḫābūr 45, 47, 51, 78–80, 85, 100– 102, 114, 168, 237, 273f ., 299, 305, 312–317, 322, 330–332, 373, 382, 387, 400, 403 Ḥamāh s . Epiphaneia Ḥarrān s . Karrhai Hatra 6f ., 9, 16, 19f ., 35f ., 38, 62, 67, 71f ., 77–82, 95, 99–102, 105, 123, 127, 152, 163, 184, 186, 205, 227, 230, 232–235, 238, 243, 245f ., 253f ., 258, 273f ., 279f ., 282,294, 301f ., 304, 307–309, 314, 316, 333, 354f ., 357, 361–394, 397f ., 400, 405f . Bait Alaha 366, 368, 370 , 375, 378, 380, 388, 390, 392 Haus A 371f . Haus des Maʿnū 372 Stadtbefestigung 364f ., 374 Temenos 363, 365, 370 Tempel der Allat (Tempel B) 367 Hellenistischer T . (Tempel E) 367 Hypaithralheiligtum (Tempel I) 367 des Šaḥīru 369 des Šamaš (Tempel H) 369 des Samya (Tempel C) 369 der Trias (Tempel A) 369 Hatrene 60, 80, 315, 373–375, 380– 382, 385, 387–389, 392

Ḥaurān

44, 48, 59f ., 101,105, 121, 161, 173, 183–185, 205f ., 209, 215, 222, 308f ., 314, 349, 367 Heliopolis s . Baalbek Herakleia Pontike 166 Hermon 39, 41–44, 48, 138 Hierapolis-Bambyke 152, 354, 389 Hierapolis-Kastabala 67, 71 al-Ḥiǧāz 105 al-Ḥīra 105, 380 Hīt 99, 101, 145, 205, 308 Hyrkanien 385 Indien 6, 56, 98f ., 159, 205–214 Irak 9, 44, 50 Iran 21, 38f ., 46, 64, 74–76, 78, 80, 82f ., 85f ., 89, 119, 126, 152, 363 Jerusalem 66, 232, 349f . Jordan 39, 42 Jordanien 103, 127 Kalksteinmassiv 50, 59f ., 94 Kallinikon 84, 229 Kanada 60 Kaniš, kārum 155 Karibik 27–29 Karrhai 76, 80, 84, 99, 166, 229, 235, 237, 243, 245, 249, 260, 264, 299, 305, 323, 387, 404 Karthago 98 Katnē 315, 322 Kifrin 81, 314f . Kilikien 40, 50 Kirkesion 85, 229 Kleinasien 16, 62, 70, 82, 85, 92f ., 121, 138, 142, 168, 198f Kleopatris 99 Kommagene 60, 67–71, 74, 143, 167, 229, 231, 237, 252, 402 Koptos 160, 168, 172, 302 Ktesiphon 74, 77f ., 80, 83f ., 86, 99, 158, 163, 165f ., 225, 235f ., 238f ., 299, 301, 304, 307f ., 317, 363, 368, 373f ., 384, 386f ., 392, 394 Kültepe s . kārum Kaniš al-Lāḏiqiyya s . Laodikeia Laodikeia 40, 47f ., 50, 68 Laodikeia am Libanon 69 Leontes 42 Lepcis Magna 122, 129

Levante 9, 15, 38–40, 48, 96f ., 126, 154f ., 157, 186, 188f ., 194, 403 Libanon 39–43, 48f ., 69f ., 86, 99, 137–139, 231, 354, 365 London 17, 208 Luristan 105 Magdala 315, 333 Magnesia 62, 148 Maoza 102 Mari 274 Markopolis 260–264, 268, 270f . Marokko 17 Media Atropatene 67, 71, 77, 79, 243, 384f . Merrha 298 Mesopotamien 9, 11, 15f ., 35, 39, 45, 50, 59, 64, 66f ., 73, 75, 77f ., 80, 82f ., 84, 86, 89, 91f ., 95, 99, 103– 105, 119–121, 123, 127f ., 135, 138, 142f ., 145f ., 154, 157, 159, 165–167, 173, 186, 191, 193f ., 205, 207f ., 211, 214, 222, 225f ., 231f ., 237–239, 242f ., 245f ., 249, 264, 267, 271, 274, 279, 282, 293, 297, 299f ., 302f ., 304, 308, 320, 337, 342, 350, 361, 363, 371–374, 380, 383f ., 387f ., 391–393, 400f . Mesopotamien-Parapotamien 67, 71, 205, 237, 299f ., 303f ., 387 Mittelmeer 9, 13, 16, 18, 25, 28, 39–42, 44, 46, 48, 57, 65, 74f ., 79, 87, 94–99, 102, 119f ., 145, 154, 205, 229, 280, 357f ., 361, 370, 393f ., 398f ., 405 Moesien 319 Myos Hormos 99 Nahr al-Līṭānī s . Leontes Nemrud Dağı 67f ., 426 Niha 354 Nikephorion s . Kallinikon Nikomedeia 12, 83, 141 Nil 97, 194, 302 Nisibis 77f ., 80, 84, 99, 163, 165f ., 207, 229f ., 237f ., 240, 242–245, 249, 299, 333, 391f . Nordafrika 16f ., 19, 39, 64, 73, 97, 114, 122, 129, 432 Numidien 175 Oea 122 Orontes 15, 34, 37–53, 59, 95, 99, 116f ., 145, 357, 397–399, 401

Ortsregister · 459 Osrhoene 6, 44, 60, 66f ., 71f ., 77– 79, 81, 83, 102, 114, 127f ., 227–273, 299, 301–304, 313, 321–324, 327, 362, 373, 379, 385–387, 392, 397, 400f ., 404f . Ossa 312f ., 321f . Ozeanien 17 Palästina 16, 39, 42, 70, 105, 119, 154, 186, 194, 230f ., 266, 335, 337, 405 Paliga 300, 305f . Palmyra 9, 16, 19–21, 35f ., 38, 45– 48, 61, 66, 71f ., 74, 82, 84f ., 93, 95, 99–102, 105, 116, 119, 121–123, 127, 129, 131, 138, 143, 145–227, 229, 232f ., 246, 248, 254, 258, 273f ., 278, 280, 282, 284–287, 289–291, 294f ., 297, 299f ., 308f ., 312, 314f ., 317, 319–321, 333, 336, 349, 353– 355, 357, 359, 361, 363, 365, 371– 373, 375, 381, 383, 388f ., 390–394, 396–398, 400–406 Agora 149f ., 152, 212, 220, 224 Caesareum 146, 149, 180, 193, 224 Diocletianslager 85, 146, 152– 154, 196 Diocletiansthermen 150 Hellenistischen Stadt 146, 152, 157 Kolonnadenstraße 92, 121, 148–151, 191, 224, 229 Nekropolen 146, 154, 196–204, 219 Nymphäum 147, 150f . Stadtbefestigung 154, 186, 201, 222 Tempel der Allat 152f ., 182, 187f ., 193 des Arṣu 152, 182, 187f . der Atargatis 153, 182, 187f . des Baʿal Šamen 147, 149, 151f ., 179, 182, 187–189, 193, 195 des Bēl 147–149, 154, 156, 158, 161, 180, 183, 187–191, 195, 212 des Nebu 146f ., 149f ., 154, 189, 195, 404 Tetrapylon 122, 147, 149, 153

Theater 147, 150, 186, 195, 224 Tripylon 147, 149, 224 Palmyrene 6, 20f ., 59f ., 62, 100, 166, 185f ., 189, 191, 216, 220, 222, 225, 252, 304, 308f ., 319f . Pannonien 82 Paris 17 Pergamon 62f ., 141, 231 . Persis 73, 126, 359, 385, 425 Persischer Golf 38, 46, 76, 99, 101, 145, 155, 159, 166, 205, 207 Petra 66, 98, 102, 105, 121, 145, 232, 363, 383, 445 Philadelphia 61, 165 Phönikien 41, 68, 138, 154, 371, 389f . Pompeji 6, 36, 273–298, 336, 352, 355 Pontos 63, 75, 167, 234 Provinz, römische Arabia 72, 83, 98, 159, 168, 172, 316, 382, 425, 441 Asia 63, 141, 162, 436 Augusta Euphratensis 83 Augusta Libanensis 83 Bithynia 141, 162 Cappadocia 71, 77, 83 Cilicia 40, 67, 71, 77, 83 Iudaea 68–70, 74, 162 Mesopotamia 72, 77f ., 79, 81, 83f ., 165, 238, 243, 245, 373 Syria 16, 61f ., 67–72, 77, 79–83, 141, 159f ., 164, 168, 170, 181, 231, 235f ., 315–317, 395, 402f . Pyramus 40 Qalaʿat Faqrā 139, 365 Qaryatain 46 Raquqeta 330 Rhesaina 99, 166, 229, 243, 245, 256 Rhodos 62 Rom 9, 11–13, 15–25, 28, 31, 33–38, 53, 55, 57–60, 62–65, 68–72, 74–80, 82–87, 93, 98–102, 104, 108, 113f ., 116f ., 120, 122–124, 129, 132f ., 135, 141, 143, 145, 157–164, 166–169, 174, 179–181, 193, 195f ., 198–200, 202f ., 213, 219, 223f ., 226, 231, 234–239, 241–246, 248–251, 256, 258f ., 265, 291, 308,

311f ., 314–318, 320f ., 331, 334, 346, 350,352, 356f ., 361, 378, 387, 393– 403, 405 Rotes Meer 39 Sacharē 315, 330 Samosata 16, 82, 143, 166, 229, 231 Sarus 40 Šaṭṭ al-ʿArab 46 Seeia 152, 367 Seleukeia am Euphrat 166, 229, 236f ., 256, 359, 410 Seleukeia am Tigris 68, 77f ., 89, 99, 160, 206, 232, 238, 282, 298, 304, 306, 372 Sibirien 128 Sidon 69, 96f . Sinai 46, 349, 417 Singara 44, 230, 238, 245, 373f ., 380, 392 Sinnaka 229 Siwa 142 Soura 151f . Spanien 97, 126 Spasinou Charax 99, 158f ., 206– 208, 212f ., 216, 221, 232, 373, 392 Sumatar Harabesi 255, 257, 302f ., 382 Susa 152, 230, 232, 306 Syrien 9, 19f ., 35, 37–51, 59, 62, 64f ., 68–70, 72, 76, 80–83, 86, 89, 91–93, 95, 99, 105, 119, 121,123, 127f ., 135, 137f ., 140, 143, 150, 152, 154–157, 161f ., 167f ., 173, 180, 186, 190, 194, 197, 205, 223, 228, 230f ., 233f ., 235f ., 246, 310, 333, 358f ., 361, 363, 368, 371, 374, 380, 383, 389f ., 395, 397f ., 400f . Taurus 38f ., 44f ., 100, 103, 229f ., 362 Tell Harīrī s . Mari Thilouana 167, 213, 401 Tiber 11, 398, 405 Tigranokerta 299 Tigris 5, 15f ., 28, 34, 37f ., 40, 45, 50, 53, 59, 62, 65, 67, 77, 79, 83f ., 86, 89, 95, 99, 103, 157, 160, 205f ., 231f ., 238, 242f ., 273, 282, 298, 305, 342, 357, 361, 373f ., 384, 391f ., 397, 399, 401

460 · rEgIstEr Totes Meer 39 Trachonitis 44 Tripoli 40 Tyros 69, 96–98, 143, 172 Ugarit 96 ʿUqlat Ḥaurān USA 26, 60

309

Vindolanda 24, 410f . Vologesias 143, 158–160, 163, 193, 206–208, 213, 220, 401 Wādī aṯ-Ṯarṯār 99f . Wādī Ḥamar 274 Wādī Ḥaurān 101, 161, 183–185, 205f ., 209, 215, 308f ., 314

Zagros 38f ., 51 Zenobia (Euphrat) 314 Zeugma s . Seleukeia am Euphrat Zincirli 363 Zypern 73, 97

Personenregister ʿAbdsamiyaʾ, König von Hatra

374, 377, 379 ʾAbgar, M . Aurelius, (στρατηγός, eques Romanus) 260f . ʾAbgar, M . Ulpius, Synodiarch 212 ʾAbgar II . Piqā, Fürst von Osrhoene 75–49 v . Chr . 234f . ʾAbgar V . ʾUkkāmā, König von Osrhoene 4 v . Chr .–7 n . Chr . u . 13–50 n . Chr . 229, 236, 254 ʾAbgar VII ., König von Osrhoene 109–116 n . Chr . 238 ʾAbgar VIII . bar Maʿnū, König von Osrhoene 177–212 n . Chr . 242– 244, 246, 252f ., 256 ʾAbgar IX . Severus, König von Osrhoene 212–213 n . Chr . 244f . ʾAbgar X ., König von Osrhoene 239–242 n . Chr . 245, 249, 251, 263 ʾAbgar Šapirā (›der Schöne‹) 249 Addai 227, 254f ., 426 Aelius Boraʾ 160f ., 176, 180, 183, 185, 191, 210, 221 Agegos, Synodiarch 182, 211 Aggai 255 Ahasverus 350 Akkozis 313, 322, 333 Alexander, Priester 357 Alexander Balas 231 Alexander d . Gr ., König von Makedonien 336–323 v . Chr . 18, 35, 75, 88, 142, 155, 157, 246 Amaththabeile 322 Ammianus Marcellinus 301, 379, 384 Antiochos I ., König von Kommagene 69–ca . 36 v . Chr . 68, 426 Antiochos III . Epiphanes, König von Kommagene 12 v . Chr .– 17 n . Chr . 70, 25 Antiochos III ., König des Seleukidenreichs 223–187 v . Chr . 62f . Antiochos IV ., König des Seleukidenreichs 175–164 v . Chr . 63, 228, 276 Antiochos IV . Epiphanes, König von Kommagene 38–72 n . Chr . 70

Antiochos VII ., König des Seleukidenreichs 138–129 v . Chr . 231, 299 Antiochos, Vater Zenobias 169, 175, 223 Antoninus Pius, römischer Kaiser 138–161 n . Chr . 221 Antonius, M ., cos . 44 v . Chr . 69, 157 Aphtuḥa 227 Appian 157, 424 Apsaeus 169 ʾAqayḥ 213 Arbandes 238 Archelaos, König von Kappadokien 36 v . Chr .–17 n . Chr . 69 Ardaxšīr I ., persischer König 224– 240 n . Chr . 80, 333, 337, 380 Aretas III ., nabaäischer König 87– 62 v . Chr . 66 Aristoteles 89 Artabanos IV ., parthischer König 213–224 n . Chr . 80, 379 Artaxes III ., König von Armenien 18–35 n . Chr . 76 Asklepiades, Antiochener 209, 211, 215 Attilius Cornelianus, Statthalter Syriens 76 Augustus, römischer Kaiser 27 v . Chr .–14 n . Chr . 15, 68f ., 141, 143, 157, 164, 323, 402 Aurelia Amimma 322, 332 Aurelia Barabus 323f ., 401, 404 Aurelia Gaia 322 Aurelia Marcellina 322 Aurelian, römischer Kaiser 270– 275 n . Chr . 82f ., 164, 168f ., 173, 175, 223, 333 Aurelius, M ., römischer Kaiser 161– 180 n . Chr . 122, 240, 258, 260f ., 324, 387 Aurelius Alexander, Soldat 322 Aurelius ʾapsay 257f ., 260, 265 Aurelius Šama 260, 264 Aurelius Tiro, L . 260, 264, 266f . Avidius Cassius, C ., römischer Usurpator 175 n . Chr . 77, 85, 241

Babatha 102, 323 Bardaiʾan 228, 380, 401, 405 Barnahar 256, 258 Bell, G . 361, 368, 398 Bücher, K . 96 Caecilius Metellus Creticus Silanus, Q ., cos . 7 n . Chr . 159 Caesar, C . 76 Calderón de la Barca, P . 145 Caligula, römischer Kaiser 37–41 n . Chr . 11, 70, 443 Caracalla, römischer Kaiser 211–217 n . Chr . 78f ., 85, 208, 222, 244f ., 258, 260, 262, 312, 317, 331 Carus, römischer Kaiser 282–283 n . Chr . 83 Cassius Dio, L ., cos . ca . 205 n . Chr . 11, 242, 304, 373f ., 378f . Cassius Longinus 222 Cassius Longinus, C ., cos . 30 n . Chr ., Statthalter Syriens 41–49 n . Chr . 236 Chaucer, G . 145 Chosroes I ., persischer König 531– 579 n . Chr . 358 Chrysostomos, Johannes 176 Claudius, römischer Kaiser 41–54 n . Chr . 70, 181, 236 Claudius II . Gothicus, römischer Kaiser 268–270 n . Chr . 164, 168, 171f . Claudius Fronto, M ., cos . 166 (?) n . Chr . 241 Claudius Severus, Cn ., cos . 235 n . Chr . 323 Claudius Theodorus, Optio 330 Clodius Albinus, Dec ., römischer Usurpator 193–197 n . Chr . 78, 244 Commodus, römischer Kaiser 180– 192 n . Chr . 11, 161, 267, 311f . Cornelius Tacitus, P ., cos . 97 n . Chr . 69, 74, 133, 236f ., 401 Crassus, M . Licinius, cos . 70 v . Chr . 76, 235f ., 304f . Cumont, F . 22f ., 275, 301f ., 309, 338f ., 351f ., 355f .

462 · rEgIstEr David 341, 344f ., 347, 349 Decius, römischer Kaiser 249–251 n . Chr . 132, 165, 411, 438 Dilke, Ch . 17, 414 Diocletian, römischer Kaiser 284– 305 n . Chr . 15, 75, 82–85, 146, 150, 152–155, 163, 196, 246 Domitian, römischer Kaiser 81– 96 n . Chr . 11 Domitius Corbulo, Cn ., cos . 39 n . Chr . 69, 76, 236, 249 Droysen, J .G . 23 Drusus, cos . 9 v . Chr . 158 Elagabal, römischer Kaiser 218–222 n . Chr . 11–13, 15, 19–21, 31, 116f ., 244f ., 397 Elias, Prophet 346f ., 350 Elias von Nisibis 240, 244, 249 Elkūd, Fürst von Hatra ca . 117–120 n . Chr . 376, 378f . Elkūd, Sippenoberhaupt 380–383 Esther 346f ., 350 Eusebius von Caesarea 228 Exedares, König von Armenien 110–112 n . Chr . 76 Faustina d . J . 240 Galerius, römischer Kaiser 293–311 n . Chr . 84, 86, 122 Gallienus, römischer Kaiser 253– 268 n . Chr . 165, 167–172, 225 Germanicus, cos . 12 n . Chr . 70, 158, 181, 249 Göttliche und mythologische Wesen ʿAglibōl 153, 167, 182, 187, 190– 193, 291 Ahura-Mazda 142 Allāth 188 Amun-Re 142 ʿAphlad 286, 288 Aphrodite 139 Apollon 117, 312, 317, 357, 389 Ares 182, 187 Arṣu 155, 182, 187f ., 199 Atargatis 139, 153, 182, 187f ., 280, 282f ., 285f ., 291, 389, 396f . Athena 152, 182, 187, 193, 240 Barmarēn 369, 385, 388f . Baʿal-Markod 139

Baʿal-Šamen 146f ., 149, 151f ., 179, 182, 187–193, 195, 286f ., 309, 388f ., 404 Bēl 121, 146–151, 153f ., 156, 158, 161, 167, 180, 183, 187–193, 195, 212, 229, 284f ., 287f ., 295, 309, 320, 352, 354, 394 Bzizos 139 Hadad 139, 192 Hadaranus 139, 354 Herakles 97, 135, 169, 349, 389 Ištar 155 Iuppiter Heliopolitanus 139 Maat 143 Malakbēl 114, 153, 182, 187, 191– 193, 291, 319f . Māran 367, 369, 383, 388 Marduk 142, 191, 389 Mārtan 369, 388f . Merkur 139 Mithras 133, 295, 311, 319f ., 338f ., 351, 389, 405 Nabu 189, 229, 313, 389 Nergal 135, 389 Nimrod 230 Pyramos 117 Šaḥīru 369 Šamaš 187, 254, 260, 265, 361, 385, 388f . Thisbe 117 Yarḥibōl 167, 188, 190, 193, 216, 285, 291, 319f . Zeus 182, 187, 189, 191f ., 276, 281–283, 286–288, 291, 296, 309, 312, 317f ., 396f . Gordian III ., römischer Kaiser 238– 244 n . Chr . 78, 80, 164f ., 217, 245, 247–249 Hadrian, römischer Kaiser 117–138 n . Chr . 76, 143, 162, 180f ., 221, 239, 300, 304, 403 Ḥairān, Palmyrener 166f ., 213, 224, 291, 309, 353 Ḥairān (Septimius Herodianus), Sohn Odainats 149, 166, 224 Ḥašaš 183, 220 Ḥaumal 183f . Hédelin, F ., abbé d›Aubignac 145 Heliodoros, στρατηγὸς καὶ ἐπιστάτης 311f . Heliodorus von Emesa 20 Herder, J .G . 17, 24, 425

Herodes Agrippa I ., König von Judäa und Samaria 41–44 n . Chr . 70 Herodes Agrippa II ., jüdischer König 53–66 n . Chr . 70 Herodes d . Gr ., König von Judäa 30–4 v . Chr . 67f ., 70, 93, 167, 402 Hesiod 135 Hesychios von Alexandreia 301 Homer 57, 135 Hormizd, Schreiber 334 Hormizd I ., persischer König 270– 271 n . Chr . 81 Hyrkan II ., Hohepriester und Ethnarch 70 Iamblichus 20, 228 Iamblichus, emesenischer Dynast ca . 150 v . Chr . 231 Ingenuus, römischer Usurpator 260 n . Chr . 82 Isaak 344 Isidor von Charax 298, 307f ., 314f . Isokrates 91 Iulia Domna 149, 162, 305 Iulia Maesa 149 Iulia Mamaea 12 Iulius Agrippa, L . 93 Iulius Antiochus, Soldat 332 Iulius Aurelius Septimius Yadeʾ 224 Iulius Demetrius, Unteroffizier 401 Iulius Demetrius, Veteran 330f . Iulius Elabelus, C . 162 Iulius Maximus, Zenturio 161, 209, 211, 215 Iulius Priscus, C ., pr . pr . ca . 242– 249 165, 248f . Iulius Terentius, Tribun der cohors XX Palmyrenorum 288, 352f . Iustinian, römischer Kaiser 154f ., 227 Izates II ., König von Adiabene ca . 31–55 n . Chr . 236 Jakob 231, 245, 344, 349 Jesus von Nazareth 254, 341 Johannes Chrysostomos 127 Jones, A .H .M . 21f . Josua Stylites 227, 229 Julian, römischer Kaiser 360–363 n . Chr . 82, 379

Personenregister · 463 Karīn, parthischer Heerführer 236 Kleopatra VII ., Königin von Ägypten 51–30 v . Chr . 157, 172 Konōn 288, 313, 353–356, 359, 394 Libanios 127 Licinius Lucullus, L ., cos . 74 v . Chr . 75, 234f . Licinius Mucianus, C ., cos . 64 n . Chr ., Statthalter von Syrien 159 Lukian 16, 242 Lusius Quietus, cos . 116 n . Chr . (?) 82, 166, 238, 373 Lysias, ἐπιστάτης 303 Lysias, στρατηγὸς καὶ ἐπιστάτης τῆς πόλεως 302f . Macrianus, römischer Usurpator 260 n . Chr . 82, 166, 172f . Macrinus, römischer Kaiser 217– 218 n . Chr . 12, 79, 244 Malalas, Johannes 164, 230 Malʾ (Malēs) Agrippa 130 Manēsos, vitaxa 300f ., 303f ., 316 Mani 80, 128, 338, 380 Manilius Fuscus, Ti ., Statthalter von Syria Phoenice 161 Marius Maximus, L ., cos . 198 (?) n . Chr ., Statthalter von Syrien 315 Marx, K . 28 Matarʿata, Aurelia 265–267 Maʾana 381 Maʿnū, Fürst von Hatra bis ca . 116/ 117 n . Chr . 238, 376, 378f ., 401 Maʿnū, Sohn ʾAbgars VIII . 246f ., 249 Maʿnū VII . bar Izaṭ, König von Osrhoene 123–139 n . Chr . 70, 240, 242 Maʿnū VIII . bar Maʿnū, König von Osrhoene 139–163 u . 165–177 n . Chr . 240, 242, 256 Meherdates, parthischer Usurpator 47–49 n . Chr . 76, 236 Menarnaios, Phrourarch 300, 305f . Mētolbaissa, Enkel des Garnisonchefs 299f ., 305f . Millar, F . 10, 21, 30f ., 35, 87 Minucius Rufus, Legat der legio X Fretensis 158

Mithradates I, parthischer König 165–132 v . Chr . 298 Mithradates VI . Eupator, König von Pontos 120–63 v . Chr . 63, 75, 234, 298 Mommsen, Th . 18–23, 25, 396 Mordechai 346, 350 Moses 347 Moses von Choren 235 Nabusamaos 313, 317, 322, 333 Narseh, persischer König 293–302) 84f ., 99 Našrihab, Fürst von Hatra ca . 120– 125 n . Chr . 376–379 Naṣrū, Fürst von Hatra ca . 128/29– 137/38 n . Chr . 365, 371, 375–379 Nero, römischer Kaiser 54–68 n . Chr . 11, 64, 76, 116 Nesaʾ, Synodiarch 210, 212 Nikanor 269, 298, 307 Odainat (Septimius Odaenathus), Herrscher von Palmyra 6, 82, 149, 155, 162–175, 178, 188, 198, 201, 213, 215, 222–226, 248f ., 290, 401 ʿOgēlu 176, 180, 208 Orhai, Dynastiegründer in Osrhoene 79, 228, 232 Osroes I ., parthischer König 89– 128 n . Chr . 76 Otarnaios 330f . Painter, W . 145 Parthamaspates, parthischer König 116–117 n . Chr . und König von Osrhoene 118–123 n . Chr . 239 Pescennius Niger, C ., römischer Usurpator 193–194 n . Chr . 78, 170, 174, 221, 242, 374, 401 Petrarca, F . 145 Petros Patrikios 84, 164 Philipp V ., König von Makedonien 221–179 v . Chr . 162 Philippus Arabs, römischer Kaiser 244–249 n . Chr . 165, 248, 428 Photius 20 Phraates, Eunuch 299f . Phraates V ., parthischer König 2 v . Chr .–4 n . Chr . 76 Platon 228 Polanyi, K . 88, 96, 208, 414, 436

Pompeius Magnus, Cn ., cos . 70 v . Chr . 16, 62, 65–67, 69f ., 138, 157, 233–235, 395, 402 Pompeius Trogus 75, 446 Popillius Laenas, C ., cos . 172 v . Chr . 63 Postumus, gallischer Kaiser 260– 269 n . Chr . 82, 168, 428 Pseudo-Dionysios von Tel-Maḥrē 227, 234f ., 239f ., 242, 354 Ptolemaios, Satrap von Kommagene 231 Ptolemaios, Tetrarch von Ituraia ca . 85–40 v . Chr . 66 Ptolemaios II . Adelphos, König von Ägypten 285–246 v . Chr . 62 Regalianus, römischer Usurpator 260 n . Chr . 82 Renan, E . 19f ., 22 Rostovtzeff ., M . 22, 100, 205, 279, 298, 306–308 Šābuhr I ., persischer König 240– 270 n . Chr . 80–82, 85f ., 164– 166, 168, 170f ., 173, 225, 249, 332, 333f ., 359, 380 Said, E . 17 Šalamalaṭ, ἀρχέμπορος 210, 214 Salomo 67, 156, 349, 351 Salvius Theodorus, praeses von Syria Phoenice 172 Šamšbarek 380f ., 383 Samuel 347, 349 Samya 369 Sanaṭrūq I ., König von Hatra bis ca . 176/77 n . Chr . 369, 377, 385 Sanaṭrūq II ., König von Hatra ca . 200–240 n . Chr . 376f ., 379, 381 Sargon II ., assyrischer König 721– 705 v . Chr . 66 Šaʿidu 268–270 Seeley, R . 17 Sekerbaal 97 Seleukos [1], στρατηγὸς πόλεως 302, 304 Seleukos [2], στρατηγὸς καὶ ἐπιστάτης τῆς πόλεως 302f . Seleukos [3], στρατηγὸς 302f . Seleukos [4] στρατηγὸς καὶ ἐπιστάτης τῆς πόλεως 303 Seleukos, parthischer Magistrat 288

464 · rEgIstEr Seleukos I . Nikator, König des Seleukidenreichs 312–281 v . Chr . 117, 230, 274, 291, 298, 309f ., 312f ., 317f . Šelmaṭ, Königin von Hatra 227 Sempronius Gracchus, Ti ., tr . pl . 133 v . Chr . 231 Septimius Lusias, strategus Durae 312, 324 Septimius Severus, römischer Kaiser 193–211 n . Chr . 65, 78f ., 86, 149, 170, 208, 221, 223, 242f ., 312, 314, 317, 331, 365, 374f ., 377, 379, 385, 401 Severus Alexander, römischer Kaiser 222–235 n . Chr . 12f ., 80, 245, 315, 359, 380 Sextilius, Legat 234 Sombart, W . 96 Šoʿadu 6, 158, 182, 185, 211, 215f ., 219–221 Sporakes von Anthemusias 241, 373 Strabon 138, 157, 299, 308 Synkellos 164 Taimarṣu 210–212, 214 Tamarqos, M . Aurelius, Pächter 260f ., 264, 270 Tenagino Probus, Statthalter Ägyptens 172f . Tetricus I ., gallischer Kaiser 272– 274) 82, 428 Theodoret 95 Tiberius, römischer Kaiser 14–37 n . Chr . 69, 142, 158 Tigranes II . König von Armenien ca . 95–55 v . Chr . 75, 231, 234

Tigranes III ., König von Armenien 20 v . Chr .–8 n . Chr . 76 Tigranes V ., König von Armenien 6–12 n . Chr . 76 Timagenes 172, 174 Tiridates I ., König von Armenien 52–58 u . 62–88 n . Chr . 64, 85, 256 Tiridates III ., König von Armenien 286/87–ca . 330 n . Chr . 76, 83 Trajan, römischer Kaiser 98–117 n . Chr . 73, 75f ., 78, 86, 98, 159, 221, 238f ., 250, 263, 304, 307, 316, 357, 365, 373–375, 378f ., 401f . Trebonianus Gallus, römischer Kaiser 251–253 n . Chr . 165 Turner, F .J . 60, 445 Ulpian, pr . pr . 222–223 162 Valerian, römischer Kaiser 253– 260 n . Chr . 82, 155, 164f ., 170, 332 Vardanes I ., parthischer König ca . 40–45 n . Chr . 76, 236 Venidius Rufus Marius Maximus Lucius Calvinianus, Q ., cos . 197 (?) n . Chr ., Statthalter von Syria Phoenice 198 n . Chr . 161 Vergil 73, 142, 297 Vergilius Capito, Cn . 142 Verus, L ., römischer Kaiser 161–169 n . Chr . 65, 75, 77f ., 86, 101, 159– 161, 208, 240, 242, 250, 274, 314, 316, 319, 384, 387, 393 Vibius Celer, C ., ἔπαρχος 161 Victorinus, gallischer Kaiser ca . 169–271 n . Chr . 82

Vologaises I ., parthischer König 51–78 n . Chr . 76, 207 Vologaises IV ., parthischer König 147–191) 240f ., 243 Waballat (Vaballathus) 66, 164– 169, 171f ., 174, 192, 223, 226, 401 Wāʾel, König von Osrhoene 162– 165 n . Chr . 240–242 Wāʾel, Statthalter von Arab (?) 255f . Weber, M . 53–55, 73, 88, 92, 142, 185, 216, 255 Wenamun 97 Wolgaš, Fürst von Hatra ca . 140– 170 n . Chr . 376f ., 379, 385 Worōd, Fürst von Hatra bis ca . 110 n . Chr . 373, 375f ., 378 Worōd, Grundbesitzer 260, 264f ., 268–271 Worōd, König von Elymais 216 Worōd, Septimius, ἀργαπέτης 172, 174, 178f ., 198, 210, 223–225, 401 Yahbarmarēn, Sippenoberhaupt 380–383 Yarḥai 9, 167, 210, 212–216, 219– 221, 401 Zabbai, palmyrenischer General 66, 166, 172, 174, 223f . Zabdaʾ, palmyrenischer General 166, 172–174, 223 Zēbidʾ, στρατηγός 183–185, 209, 215 Zenobia, Herrscherin von Palmyra 267–272 n . Chr . 6, 19, 31, 66, 82, 145, 150, 155, 164–174, 223–226, 314, 380, 397, 401 Zosimos 164

Die Levante, eine Zone politischer, kultureller und ethnischer Fragmentierung, schuf stets Konfliktstoff im Übermaß – quer durch alle Epochen, bis heute. Keine Macht herrschte länger im Raum zwischen Mittelmeer und Tigris als das römische Imperium: genau 700  Jahre, von der Eroberung durch Pompeius Magnus (64 v. Chr.) bis zur Schlacht am Yarmuk (636 n. Chr.), in der die Araber das byzantinische Aufgebot vernichtend schlugen. Michael Sommer nimmt die ersten knapp 400 Jahre dieser Epoche in den Blick. Anhand der Schauplätze Palmyra, Osrhoene, des mittleren Euphrat und des nördlichen Mesopotamien beleuchtet er die intensiven Austauschbeziehungen und Kulturkontakte

zwischen Griechen und „Orientalen“, Nomaden und Sesshaften, Rom und Iran, Polytheisten, Juden und Christen. Auf diese Weise kann Sommer zeigen, wie der Kontakt mit der griechisch-römischen Welt das Bewusstsein der Menschen in der Levante dafür schärfte, einer gemeinsamen Kultur mit den gesamten Raum verbindenden Traditionen anzugehören – allen Unterschieden und aller Vielfalt zum Trotz. Für die zweite Auflage wurde der Band vollständig überarbeitet, zahlreiche neue Erkenntnisse sind in die Urteile und Wertungen eingeflossen.

ISBN 978-3-515-11681-7

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7 83 5 1 5 1 1 68 1 7

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