Die Hohen Feste der Kelten 3927940267

Die erfolgreichen Autoren des Buches „Die Druiden“ beschreiben hier die vier zentralen keltischen Feste im Jahreslauf.

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German Pages [227] Year 1997

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Die Hohen Feste der Kelten
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Françoise Le Roux Christian-J. Guyonvarc h

Die

Hohen Feste der Kelten

Arun

Christian-J. Guyonvarc’h Françoise Le Roux

Die Hohen Feste der Kelten

Arun

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Roux, Françoise le: Die Hohen Feste der Kelten / Françoise Le Roux; Christian-J. Guyonvarc'h. [Übers.: Christian Schweiger], - Engerda : Arun-Verl., 1997 Einheitssacht.: Les fêtes celtique ISBN 3-927940-26-7 NE: Guyonvarc'h, Christian-J.:

Copyright © 1997 by Arun-Verlag. Arun-Verlag, Ortsstr. 28, D-07407 Engerda, T. & E: 036743/30083. Text- und Umschlaggestaltung: Arun-Verlag. Gesamtherstellung: WB-Druck, Rieden. Titel der französischen Originalausgabe: Les fêtes celtique; Editions Ouest-France, Rennes.

Alle Rechte der Verbreitung in deutscher Sprache und der Übersetzung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Ton- und Datenträger jeder Art und auszugsweisen Nachdrucks sind vorbehalten.

ISBN 3-927940-26-7

Die deutsche Übersetzung dieses Werkes erhielt den Förderpreis des französischen Kulturministeriums.

Les fêtes celtique wurde aus der französischen Sprache übersetzt von Mag. Christian Schweiger.

Inhaltsverzeichnis Einleitung 1. Status Quo der Fragestellung 2. Keltische Vorstellungen und Namen des „Festes“

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L KAPITEL : Samain, Das Fest des ersten November 1. Samain im Kalenderjahr 2. Das Pflichtfest 3. Samain und die „Dritte Klasse“ 4. Das Fest der Krieger und das königliche Festgelage 5. Das königliche und gesetzliche Fest 6. Die irische Königswahl und verschiedene Opferriten 7. Die Druiden, der Sid und der Tod des Königs 8. Samain, das totale Fest der drei Klassen 9. Übereinstimmungen mit dem gallischen Samonios 10. Samain und die Folklore

39 45 47 50 55 60 66 70 72 74

II. Kapitel : Imbolc, das Fest des ersten Februar 1. Imbolc, ein verschollenes Fest 2. Mythologie oder Volkskunde 3. Das Fest der heiligen Brigitte 4. Zur epischen Überlieferung

85 86 87 92

UI. Kapitel : Belteine, das Fest des ersten Mai 1. Das Sommer-und Lichtfest 2. Das Fest des Feuers 3. Belteine und die Folklore

103 105 110

IV. Kapitel : Lugnasad oder das Fest des Königs 1. Die Versammlung von Tailtiu 2. Die Versammlung von Carman 3. Lug und die Königswürde 4. Die Geburt des Aed slaine 5. Lugnasad und die Folklore 6. Die britannische Form des Festes vom ersten August 7. Das concilium galliarum - die «Versammlung der Gallier»

121 122 136 151 156 159 160 163

V. Kapitel : Die Pforten des Jahres und der Zeit

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Schlusswort

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Anhang Anhang 1: Anmerkungen zum Wort Samain Anhang 2: Imbolc Anhang 3: Belteine oder das Fest der Priester Anhang 4: 1. Lugnasad 2. Bron Trogain, der Name des Herbstes

195 199 213 215 221

EINLEITUNG

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1. STATUS QUO DER FRAGESTELLUNG Das vorliegende Werk stellt im Laufe unserer Forschungen eine Fortführung und tiefere Befassung mit der Frage nach Raum und Zeit des Druidentums dar, wie sie bereits in unserem Buch Die Druiden' angeschnitten wurde. Die Hohen Feste der Kelten ermöglichten durch die Vermittlung der Druiden den Kontakt zwischen Menschen und Göttern, und dies zu einem Zeitpunkt und an einem Ort, welche durch den Kalender und die Stätten der Heiligtümer genau festgelegt waren. Zu­ gleich handelt es sich dabei jedoch auch um einen Augenblick des Übergangs einer Periode zu einer nächsten bzw. eines Zustands zu einem anderen. Wollen wir den Begriff des „Zyklus“ wie Mircea Eliade als „ewige Wiederkehr“2 verstehen, so steht das Ende und der Anfang eines solchen Zyklus der Jahre und Jahreszeiten, zugleich für den Tod und die Erneuerung der Zeit. Es handelt sich hier also nicht mehr um bloße Mythologie oder rohe Erklärungs­ versuche, sondern um die Definition und Beschreibung der gesamten Infrastruktur von Tradition und Religion bezüglich ihres mythischen, theologischen und rituel­ len Aspekts, und das sowohl in esoterischer als auch exoterischer Hinsicht. In bestimmten Kreisen wurde viel über keltische Esoterik geschrieben, ohne recht zu wissen, worum es sich dabei genau handelte. Oft wurde dabei allzusehr versucht, sie auf den eigenen Weg der Autoren einzustimmen und die keltische Tradition mit eigenen Dogmen, pseudo-philosophischen Lehrsätzen oder aber in anderen Fällen mit Formen des Okkultismus zu vermengen, die ihr selbst nie eigen gewe­ sen waren. Der Leser sei gleich an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß wir uns immer vor voreiligen oder zweifelhaften Interpretationen hüten werden, und das nicht alleine schon deshalb, weil die keltische Esoterik oft nur aus dem schwieri­ gen und manchmal recht unzugänglichen Vergleich mit der vedischen Tradition Indiens klar wird. Bei Stoffen wie diesem sollten abenteuerliche Interpretationen trotz aller Versuchung ausgeschlossen werden. In jedem Bereich der keltischen Welt gilt vor allem ein besonderer Aspekt, und zwar die Einheit in der Vielfalt. Die Prinzipien stehen immer und überall unabänderlich fest, doch ändern sich die Einzelheiten unaufhörlich. Es ist ziemlich sicher, daß diese Grundlage bei den Festen aller Kelten dieselben waren, auch wenn wir von den Festen auf dem euro­ päischen Festland nur sehr wenig wissen. Es besteht dennoch eine sehr klare Linie zwischen unseren Kenntnissen und Unkenntnissen: Entweder wir wissen es oder wir wissen es nicht. Dieser „vage“ Charakter, der der keltischen Tradition oft zu­ geschrieben wird, ist meist nur ein heuchlerischer Vorwand, um dem mittelalterli­ chen Irland einen kurzen Prozeß zu machen und es auf Cromwell und die Black and Tan zu reduzieren; ganz wie das antike, vorchristliche Gallien oft auf Barbarei und Menschenopfer beschränkt wird.

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Das Fest ist aber auch „gesellschaftlicher Anlaß“, wobei anzumerken ist, daß sich der Begriff der „Gesellschaft“ als grundlegende Norm aller Prinzipien mensch­ licher Organisation auf unsere heutige Zeit beschränkt. Wie wir an anderer Stelle1 bereits erläuterten, sind die gesellschaftlichen Ereignisse bei den Kelten Teil des religiösen Lebens. Alle Gesellschaftsklassen nehmen, jede auf ihre eigene Art und Weise an den Festen und Ritualen teil. Es wird hier also bis auf wenige und be­ rechtigte Ausnahmen nicht die Rede von der sozialen Rolle des Festes sein. Ein weiterer Punkt, der hier unbedingt hervorgehoben werden muß, ist der große Stel­ lenwert, der den Festen (wie auch dem Kalender) in der keltischen aber auch allen anderen antiken und mittelalterlichen Gesellschaften zukam. Im Laufe unserer Erläuterungen wird sich jedoch zeigen, daß sich all das aus den religiösen Vorstel­ lungen der Kelten erklärt. Sie gingen davon aus, daß das Raum-Zeit-Gefüge Ver­ bindungen zwischen der irdischen zur Anderen Welt ermöglichte. Kurz, das Fest stellt einen Anhalts- und Fixpunkt in Raum und Zeit dar. Im Gegensatz zu den menschlichen Angelegenheiten gehört es durch seine Festigkeit und Unveränderlichkeit in den Bereich der Ewigkeit, auch wenn das Keltische nicht mit etymologischen Annäherungen aufzuwarten hat, wie das z.B. beim latei­ nischen tempus und templum der Fall ist. Doch wird unsere Studie mehrere Be­ weise dafür liefern können, daß die Zeit durch die Bewegung im Raum bedingt ist. So ist es sicherlich kein Zufall, daß der Name der Bituriges, zugleich „Könige der Welt“ als auch „ewige Könige“4 geographisch untrennbar mit dem Mittelpunkt Galliens in Zusammenhang steht, und das zu einer Schlüsselperiode der kelti­ schen Geschichte. All das hängt nun aber im Ende von religiösen Konzepten und Umständen ab, welche so alt sind, daß wir auf der Suche nach den eindeutigsten Zusammenhängen und Parallelen wieder im vedischen Indien oder in indoeuro­ päischen Gefilden landen, welche ebenso archaische, manchmal jedoch besser or­ ganisierte Strukturen aufwiesen, da das eigentliche vorchristliche Keltentum meist nur hinter dem Schleier wahrzunehmen ist, den das Christentum zwar systema­ tisch doch in einigen Fällen sehr locker gewebt hat. So sei es gleich eingangs erwähnt, daß kein keltisches Fest als Beweis dafür herangezogen werden kann, daß die Kelten schamanistischen Ritualen frönten oder die Druiden als Überreste einer megalithischen, vor-indoeuropäischen Zivili­ sation zu verstehen sind. Nach all unserer langjährigen Beschäftigung mit der Thematik und trotz der zahlreichen, scheinbaren wie auch tatsächlichen Unklar­ heiten im Detail scheint das Erklärungs- und Interpretationsmodell, welches sich auf die alten, indoeuropäischen Normen der dreigeteilten Ideologie stützt, das ein­ zig haltbare zu sein. Sobald man aber versucht, die keltische Zivilisation mit Hilfe zweitrangiger oder vor-indoeuropäischer Vorläufer zu erklären, werden ihnen At­ lantis oder aber die Megalithen aller fünf Kontinente zugeschrieben. Kurz, der Bereich des Möglichen und Wahrscheinlichen wird zugunsten des Willkürlichen

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und des Utopischen verlassen.5 Es liegt uns hier viel weniger daran, ein Fest - oder was davon noch übrig ist - in seinen jüngsten, christianisierten und folkloristischen Zügen zu beschreiben, als mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu versuchen, das ursprüngliche, vorchristliche keltische Fest zu ermitteln. Dieser Anfangszustand ist jedoch nirgends in seiner reinen Form zugänglich. Ein weiterer Punkt, der schon an dieser Stelle geklärt werden sollte, ist der des Begriffs des Festes selbst. Die Semantik dieses Wortes umspannt in unseren heuti­ gen Sprachen, von den Volkssprachen wie dem Bretonischen bis hin zu den Kultur­ sprachen wie dem Französischen oder Deutschen einen derart breiten Fächer von Vorstellungen und Möglichkeiten, daß es notwendig erscheint abzugrenzen, was wir an dieser Stelle nicht behandeln wollen, sei es, weil es den gesetzten Rahmen sprengt oder aber, weil wir meinen, es sei in einem zusammenfassenden Werk von geringerem Interesse. Es soll hier also nicht auf die meist sommerlichen Festlichkeiten eingegangen werden, die - vor allem in der Bretagne, manchmal aber auch in Irland - eher schlecht als recht den kläglichen, folkloristischen Überresten hinzugefügt werden, wenn nicht bereits völlig andere Zwecke das verkommene Volkstum abgelöst ha­ ben. Abgesehen davon, daß die Folklore in den seltensten Fällen einen integralen Bestandteil des täglichen Lebens darstellt, so liegen unsere Interessen nicht auf der Ebene, die jene auszudrücken oder zu vertreten sucht.6 Ein weiterer, wichtiger Grund liegt darin, daß diese oft zu Touristenattraktionen gewordenen Festlichkei­ ten bzw. Sommerfreuden nirgends mehr als Teil der Wirklichkeit oder des Alltags, und schon gar nicht des „Heiligen“ verstanden werden. Außerdem werden die meisten dieser Feste, auch wenn einige unter ihnen auf eine lange Vergangenheit zurückgehen, in ihrer heutigen Form durch die Initiative von Zeitgenossen veran­ staltet, die sie aktualisiert haben, weshalb sie zwangsläufig „profaner“ Natur, und daher für uns nicht von Interesse sind. Unter echt keltischer Folklore verstehen wir z.B. das Fest der Heiligen Brigitte, wie es in Irland am 2. Februar gefeiert wird. Hier handelt es sich tatsächlich noch um einen vollständigen und zusam­ menhängenden Komplex von durchwegs alten und kollektiv erlebten Volksbräu­ chen.7 Ist der Rückgriff auf die Folklore in den Fällen von Samain, Lugnasad und Belteine auch nicht unbedingt notwendig, so ist er doch nie ganz umgänglich, und sei es auch nur um ihre Grenzen festzustellen. Gänzlich unerläßlich ist er im Falle des Imbolc, weil wir über nahezu keine Informationen bezüglich der Riten und Mythologie des Festes verfügen und wir eigentlich nichts Genaues über seinen Zweck und seinen Ablauf wissen. Der Folklore wird im vorliegenden Werk die allgemeinere Rolle der Geschichtsfährte zukommen. Sie kann dann im Falle eini­ ger, wichtiger, doch verschwommener mythologischer Umstände durch eine gut nachvollziehbare Kontinuität beleuchten. Als Beispiel sei hier das Ende der Er­

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zählung des Cath Maighe Tuireadh oder „Die Schlacht von Mag Tured“ ange­ führt. Hier wird von Unterhandlungen berichtet, die der Fomoirenkönig Bres als Gefangener mit den Siegern führt. All seine Vorschläge werden abgelehnt, bis auf den letzten, bei dem die Bezeichnungen der vier obengenannten Feste sich in einer kurzen Strophe implizit auf die vier Jahreszeiten des keltischen Jahres beziehen:

„Damit sind wir einverstanden, sprach Maeltne. Der Frühling ist dem Ackern und Sähen bestimmt, damit das Getreide zu Beginn des Sommers stark und im Herbst schön ist und bei Winteranfang geerntet werden kann.“"

Trotzdem sollte nie vergessen werden, daß es sich bei der Folklore nicht um die Tradition selbst oder ein unbewußtes Überbleibsel der vorchristlichen Tradition handelt. Volks- oder Folkloregruppen unter den Begriff der „Tradition“ zu stellen, ist demnach fehl am Platz. Die Tradition verlangt eine mündliche oder schriftli­ che, in jedem Fall jedoch eine unterrichtete Form der Überlieferung, die Folklore ist ihrerseits immer unbewußt. So dürfen wir keineswegs davon ausgehen, daß die Wallfahrt von Sainte-Anned’Auray in all ihren Aspekten als christliche oder christianisierte Weiterführung eines antiken Festes zu Ehren der Muttergöttin Ana zu verstehen ist. Dabei kann es sich nur um eine Illusion handeln, der weder Folklore noch Mythologie, son­ dern vielmehr Ursachen zugrunde liegen, die in den Heiligenlegenden des 17. Jahrhunderts zu suchen sind. Tatsächlich besteht eine beträchtliche Kluft zwi­ schen Name und Fest: Der „Pardon“, diese bretonische Wallfahrt und das traditio­ nelle irische Fest weisen in der Tat derart große Unterschiede auf, daß ein direkter Vergleich nur äußerst schwierig, um nicht zu sagen unmöglich ist; auch wenn der Name der christlichen Heiligen einem vorchristlichen Göttemamen ähneln mag. So sollten wir uns überdies dovor hüten, uns die vorchristliche Festtradition aus einem hauptsächlich christlich geprägten Blickwinkel des Festes vorzustellen. Diese Thematik ist viel zu komplex, um durch ein einfaches Spiel von Gleichungen erfaßt werden zu können. Doch war die Versuchung immer groß gewesen, das Druidentum wie eine Kirche zu behandeln und seine eventuelle Hierarchie und seine Zeremonien nach dem katholischen Modell zu betrachten. Nichts läßt je­ doch darauf schließen, daß den keltischen Festen ein „Erzdruide“ vorstand. Im mittelalterlichen, und sogar dem christianisierten Irland fehlt von einem solchen Oberhaupt jede Spur. Das soll nun keineswegs heißen, daß das Christentum keinen großen Einfluß auf die irische Vorstellung des Festes, wie es uns heute erhalten ist, ausgeübt hätte. Und wenn sich das auch nur auf die kaum zufällige Übereinstimmung der Daten beziehen mag. So kann es einfach kein Zufall sein, daß Allerheiligen auf den keltischen Samain, oder Lugnasad auf das Fest des Saint-Pierre-aux-Liens (Hl. Petrus in Ketten) fällt. Da wundert sich so mancher darüber, daß das keltische Jahr

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nur vier Feste kennt und so viel ärmer erscheint als der an Festen so reichlich bestückte christliche, oder römische Kalender. Gerade diese Spärlichkeit steht auch detaillierteren Vergleichen mit anderen indoeuropäischen Kalendern im Wege. Diesem Eindruck muß jedoch sogleich heftig widersprochen werden. Denn wir haben es hier lediglich mit den wichtigsten und grundlegendsten Augenblicken des „Festkalenders“, den Hohen Festen zu tun. Da sollte sich uns vielmehr der unmittelbare Vergleich mit den vier großen christlichen Festen Weihnachten, Ostern, Johannestag und Allerheiligen aufdrängen, die auch nicht mehr als vier sind. Stel­ len wir also lieber in den Raum, daß uns der Großteil der kleineren Feste wegen krassen Informationsmangels einfach nicht bekannt ist. Ohne all diese noch lange nicht gelösten Fragestellungen umgehen zu wollen, so werden wir sie doch nicht in direkter Hinsicht auf den keltischen Kalender angehen, dessen wichtigstes und zugleich ältestes erhaltene Stück der gallische Coligny-Kalender darstellt. Im Rahmen dieses Werkes soll auf ihn nur bezüglich einer ganz bestimmten, doch begrenzten Übereinstimmung zwischen Gallien und Irland eingegangen werden; der von Samain und dem gallischen Samonios. Dieser Vergleich wird vor allem deshalb nicht größer angelegt, da uns aus Irland nichts dem Coligny-Kalender Vergleichbares erhalten ist: Die vier Hohen Feste, die wir hier untersuchen werden, sind wie gesagt die einzigen uns heute bekannten Bestandteile des vorchristlichen Kalenders der Kelten. Ebensowenig wissen wir von den britannischen und irischen Monats- und Wochentagsnamen aus der Epoche vor der Christianisierung. Im Neuirischen sind die Monatsnamen Eanair (Januar bzw. österr. „Jänner“), Feabhra (Februar), Märta (März), Abhrän (April) und Jul (Juli) dem lateinischen Kalender entlehnt. Nur die Namen der Monate Bealtaine (Mai), Lunasa (August) und Samhain (November) sind kelti­ schen Ursprungs. Bei Meän Fomhair (September - „Herbstmitte“), Deire Fomhair (Oktober - „Herbstende“) und Mi na Nodlag (Dezember - „Weihnachtsmonat“) handelt es sich um Ersatzwörter. Nur Meitheamh (Juni) ist wie das walisische Mehefin und das bretonische Mezheven < * medio-samnio-s („Sommermitte“) ursprünglich, und deckt sich mit dem Goidelischen und Britannischen. Es fällt auf, daß sich Imbolc bis heute nicht durchsetzen konnte. Außer dem *medio-samnio-s gibt es keinerlei Übereinstimmungen mit dem Coligny-Kalender, den wir an dieser Stelle nach unserer in Ogam 13, 1961, S. 635 veröffentlichten Studie wiedergeben wollen: Für den dunklen Teil des Jahres : November SAMONIOS DVMANNIOS Dezember RIVROS Januar ANAGANTIOS Februar März OGRONIOS CVTIOS April

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Für den hellen Teil des Jahres : GIAMONIOS Mai SIMIVISONNOS Juni EQVOS Juli ELEMBIVIOS August September EDRINIOS Oktober CANTLOS Praktisch all diese Monatsnamen sind heute unerklärt oder aber die erfolgten Erklärungsversuche bewegen sich vorsichtig auf unsicherem, hypothetischem Grund.9 Kurz, wir verfügen über keinerlei detaillierte Erklärung der Monatsna­ men im Coligny-Kalender. Was die Namen der Jahreszeiten betrifft, so sind sie sich hinsichtlich der bei­ den „wirklichen“ Jahreszeiten, also dem Winter (irisch geimhreadh, walisisch gaef, bretonisch goanv) und dem Sommer (irisch samhradh, walisisch haf, bretonisch hahv), in allen keltischen Sprachen sehr ähnlich, unterscheiden sich jedoch grund­ legend bezüglich der Zwischensaisonen Frühling (irisch earracht, walisisch gwanwyn, bretonisch nevez-amzer) und Herbst (irisch fömhar, walisisch hydref, bretonische Umschreibungen wie diskar-amzer ,.Zeitenminderung“, dilost-hafiv „Sommerschwanz“ oder dibenn-eost „Emteende“), was darauf schließen läßt, daß all diese verschiedenen Benennungen wohl wesentlich jünger sind als die vorher genannten. Ursprünglicher und interessanter ist da das bretonische kala-goanv und vannische kalan-gouian („November“), welches sich auch im walisischen calan gaea/wiederfmdet, wo es klar wird, daß dem ganzen Monat November der Name des ersten Novembers zuteil wurde, was beim ersten Mai kalamae nicht der Fall ist. Beim ersten Wortteil handelt es sich ganz offensichtlich um ein Lehnwort des lateinischen calanda („Kalende“), doch ist die Wurzel alt. Die einzig sinnvolle lexikalische Entsprechung sind hier Giamonios aus den oben angeführten zwölf gallischen Monatsnamen und der neukeltische Name des Winters. Die etymologi­ sche Verwandtschaft des Keltischen mit dem lateinischen hiems und dem indoeu­ ropäischen *gheiem beweist auf alle Fälle, daß es sich hier um eine gemeinsame Benennung der kalten Jahreszeit handelt.10 Wir wissen aber ebensowenig, wie der gallische Kalender überhaupt funktio­ nierte. Werden Feste in einem Kalender festgehalten, so stellen sich nicht allein epigraphische, linguistische, mathematische, astronomische oder kalendarische Fragen. Die Hohen Feste gehen mit dem Verständnis von Raum und Zeit, den Beziehungen zwischen Menschen und Göttern und dem praktischen Ablauf einer in den Zyklus der Jahreszeiten eingebundenen Gesellschaft Hand in Hand. Wir möchten sogar behaupten, daß die sorgfältigsten und genauesten mathematischen und astronomischen Berechnungen ohne das Verständnis um diese traditionellen Vorstellungen lediglich dem Zufall einer Methode oder persönlichen Hypothesen

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einiger Forscher unterlägen. Von dem, was Cäsar den Kelten in seinem De Bello Gallico VI, 13 zuschreibt, ist uns leider nichts mehr erhalten : „ Viel disputieren sie auch über die Gestirne und deren Bewegung, über die Größe des Weltalls und des Erdkreises, über das Wesen der Dinge, über Gewalt und Machtbereich der unsterblichen Götter und vermitteln das alles der Jugend. “ Astronomie oder Astrologie? Wahrscheinlich beides, da die Astronomie für die Erstellung eines Kalenders unerläßlich war und die Astrologie nicht vom Schick­ sal der Menschen und Nationen zu trennen war. Die Kunst der Weissagung war bei den Kelten viel zu sehr ausgebildet, als daß der Lauf der Sterne und Sternbilder keinen Einfluß darauf gehabt hätte. Seine Prinzipien und Methoden waren jedoch sicherlich spiritueller und intellektueller als die vielen Formen des modernen Ok­ kultismus. Würden wir über all diese theoretischen Überlegungen der Kelten des europäi­ schen Festlandes wie der britischen Inseln verfügen, so würden mit größter Wahr­ scheinlichkeit zahlreiche direkte Beziehungen zum vedischen Indien, dem Grie­ chenland Homers und dem alten Rom erkenntlich. Leider sagen uns die Doku­ mente, aus denen wir die keltische Tradition erfahren, nichts über ihr indisches Gegenstück der pruti-Texte, das Erbe der Brahmanen, und der smrri-Schriften, der geistigen Nahrung der kshartiyas. Außer einigen Fragmenten, die der Gegenstand besonders sorgfältiger Studien sein werden, ist uns nur noch die zweite Kategorie von Erzählungen erhalten, die der Erbauung der Kriegerklasse diente. Aus diesem einzigen jedoch bei weitem ausreichenden Grund halten wir alle mit armseligen und meist unsicheren Mitteln angestellten, direkten Vergleiche zwischen der vor­ christlichen Tradition der Kelten und der mittelalterlichen Esoterik wie der der Katharer für vage, ungerechtfertigt und unklug, auch wenn sie über die Artuslegende laufen. Sie allein bedarf bereits einer besonderen Erklärung, die sicher nicht dem ersten Dahergelaufenen zugänglich ist. Natürlich hängt all das von der ursprüng­ lichen Tradition ab, doch bedarf es zu deren Studium eines Hintergrundwissens, für dessen Erwerb sich die westlichen Gelehrten selten die Mühe nehmen und welches an der Universität kaum seinen Platz findet. Zuerst muß man wissen, mit welcher Zeit man es zu tun hat: der heiligen oder der weltlichen Zeit, der genauen und methodischen Zeit der Rituale oder der eines Bauers oder Müllers. Die Zeit der vorchristlichen Kelten war nicht die des Chri­ stentums, das alles in ein Netz von Riten und Gottesdiensten pferchte. Und die Zeit des Mittelalters war im Vergleich zu unserer heutigen, die jede Arbeits-, Stu­ dien- und Freizeit, ja sogar den Schlaf auf die Minute stoppt, locker und unge­ nau.11 Was den Coligny-Kalender selbst betrifft, den man in hundertneunundvierzig Scherben fand, so stellt sich eine doppelte Frage: Es handelt sich um ein offenbar sehr spätes Schriftdokument, aller Wahrscheinlichkeit nach aus der römischen

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Epoche, welches prinzipiell gegen die keltische Regel der mündlichen Überliefe­ rung verstößt. Auch wenn der Gebrauch der griechischen Schrift in Gallien durch Cäsar verbürgt ist, so handelt es sich hier doch um keine griechischen Buchstaben. Das darf im Zusammenhang mit einem Kalender nicht wundemehmen, der doch ein wichtiger Bestandteil der Theologie, Doktrin und Ritenwelt darstellt, da er dazu dient, die Zeit zu messen und den Augenblick zu ermitteln, an dem die Göt­ ter geehrt sein wollen. Wir werden es leider nie erfahren, wer und weshalb der unbekannte Verfasser diese Zeilen schuf, und warum sie in der Folge zerschlagen wurden. Eines ist jedoch klar. Ihr Vorhandensein kann unter keinen Umständen als Beweis für den frühen Gebrauch der Schrift zu religiösen und didaktischen Zwecken dienen. Auch die Frage der Heiligtümer wird hier nicht behandelt werden. Das kelti­ sche nemeton bedarf einer langen und genauen Untersuchung, und das sowohl auf der Ebene der Ortsnamen als auch der der Bedeutung und der tatsächlichen reli­ giösen Reichweite der Heiligtümer. Trotz aller Mängel und Ungenauigkeiten unserer Quellen, bleibt uns nichts anderes übrig, als die keltische Welt so zu betrachten, wie sie sich uns heute dar­ stellt. Es ist dies eine Welt, die sowohl den Griechen als auch den Römern fremd war und doch aus den verschiedensten Gründen von ihnen beeinflußt wurde. Das ist natürlich nicht Grund genug, sie deshalb nach klassischen Kriterien oder mit­ tels des Vergleichs mit der klassischen Welt zu beurteilen. Diesmal kommt uns der Zufall zugunsten. Im Bereich der Feste ist praktisch kein direkter Vergleich mög­ lich: Die außenstehenden, antiken Autoren hüllen sich zumindest in diesem Punkt in Schweigen, so daß die Quellen der Inselliteratur praktisch kein kontinentales Gegenstück haben, abgesehen vielleicht von den spärlichen Daten, die wir dem Concilium Galliarum von Lyon entnehmen können und die eine interessante Syn­ these hätten ergeben können, wenn sie nur etwas breiter und genauer ausgefallen wären. Wir werden übrigens später sehen, wie sich die großen Historiker der An­ tike Fustel de Coulanges und Camille Jullian dieser Daten entledigten, indem sie ihre Grundlagen ganz einfach verschwiegen. Bei all diesen Unsicherheiten und Schwierigkeiten darf natürlich das Studium der Feste der Kelten nicht vernachlässigt werden, durch das wir wertvolle Infor­ mationen zu den religiösen, kosmischen und traditionellen Aspekten der kelti­ schen Symbolwelt gewinnen. Sie sind Teil eines Mond-, Sonnen- und Polar­ kalenders, der auf dem Wechsel von Licht und Dunkel basiert und in dem die Folge eines Tages und einer Nacht immer als Symbol für ein ganzes Jahr verstan­ den wurde. In dieser Hinsicht müssen wir gleich eingangs unterstreichen, daß unsere Studie sich auf Grundlagen stützt, die sich völlig von denen unterscheiden, an die der Westen seit der Antike und vor allem seit der Renaissance gewöhnt ist. So werden wir z.B. sehen, daß das Keltische über kein eigenes Wort für das „Fest“

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verfügt und einen Festtag so von einem gewöhnlichen Tag unterscheidet. Von ei­ nem solchen Gegensatz ist deshalb nie die Rede, da die kurzen Kalenderperioden, die das Irische als Samain, Imbolc, Belteine oder Lugnasad bezeichnet, vielmehr als starke (wenn auch nicht gleich starke) Augenblicke verstanden werden, denn als streng abgegrenzte Zeitspannen. Das Heilige wäre nicht heilig, wenn es sich nicht der zeitlichen und räumlichen Bewertung entzöge, da es zugleich für das unendlich Kleine des Mikrokosmos als auch das unendlich große des Makrokos­ mos gilt, und sich die Zeit schließlich in der Ewigkeit auflöst. Da wir unsere einzigen schriftlichen Informationsquellen aus der irischen Über­ lieferung beziehen, richtet sich auch unsere Arbeit nach den vier Festen, die wir in der irisch-keltischen Literatur erwähnt finden: Samain, Imbolc, Belteine und Lugnasad. Um den Textfluß zu erhalten, werden die unumgänglichen, etymologi­ schen Untersuchungen der irischen Namen dieser vier irischen Feste erst im An­ hang erläutert. An jener Stelle werden unter anderem auch die Bezeichnungen der gemessenen und der ungemessenen „mythischen“ Zeit in allen keltischen Spra­ chen etymologisch untersucht. Das Konzept dieses Werkes ist als solches nicht neu: Es wurde gewissermaßen in vier unserer in Ogam 1961 und 1962 erschienen Artikeln und etymologischen Untersuchungen vorbereitet: - Christian-J. Guyonvarc’h, Notes d’Étymologie et de Lexicographie Gauloises et Celtiques, XI, 41. - A propos du nom de la fête iroandaise de février ; IMBOLC, 42. - Irlandais Bron Trogain „automne“, français TRUIE; 43. -Remarques sur SAMAIN, SAMONIOS ,44. -LUGNASAD „assemblée [en l'honneur] de Lug“, in OGAM 13, 1961, S. 469-480.

- Françoise Le Roux, Le festiaire celtique, I. SAMAIN, in OGAM 13, 1961, S. 481 -506; II. La fête irlandaise de février : IMBOLC ; III. BEITEIN, la fête sacerdotale, in OGAM 14, 1962, S. 171-184; IV. LUGNASAD ou la fête de roi, in OGAM 14, 1962, S. 343-372. All das wurde wieder aufgenommen, überprüft, erneuert, auf den letzten Stand gebracht und erweitert. Auf eine erste Fassung dieser erneuerten Texte verwiesen wir bereits in den Fußnoten 44, 50 und 53 der Druiden, S. 293-295. Da diese Ausgabe nicht sofort erscheinen konnte, wurde auch sie umgearbeitet und erwei­ tert. Es handelt sich hierbei um die erste detaillierte Studie zu einem Thema, des­ sen Bibliographie im Vergleich zu all den Arbeiten unterschiedlichster Qualität, die den Coligny-Kalender fast endgültig unverständlich gemacht haben, zum Ver­ zweifeln arm geblieben ist. Wir werden hier versuchen, mit einigen Irrvorstellungen der heutigen Zeit aufzuräumen und unter anderem auch den, sei es durch Verwir­ rung oder Unwissen bedingten, allgemein gängigen Fehler zu beheben, den bri­

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tannischen und den Kontinentalkelten die irischen Festnamen unterzuschieben. Die Namen Samain, Imbolc, Belteine und Lugnasad waren den Galliern ebenso unbekannt wie ihren Nachfahren des 20. Jahrhunderts. Die keltischen Druiden des antiken Kontinents haben uns die Namen ihrer Feste nicht überliefert. Trotz­ dem aber haben wir allen Grund zur Annahme, daß es sich bei den Festtagen praktisch um dieselben handelte, und daß sich zumindest bezüglich eines Festes, dem gallischen Samonios sogar die Namen überschnitten. Was sich da alles je­ doch in Britannien oder bei den Donaukelten zugetragen haben mag, läßt sich nicht immer genau festlegen. Schließlich wollen wir klarstellen, daß wir die grundlegenden Bestandteile des „Festinventars“ als Teile eines Kalendersystems studieren wollen, bei dem es für unsere Belange nebensächlich ist, ob dieser nun eher mythischer oder historischer Natur ist. Wir wollen hier bis auf eine einzige Ausnahme auch nicht auf die jüng­ sten irischen Polemiken bezüglich der „Pseudogeschichtlichkeit“ und dem „legen­ dären“ Aspekt der Quellen eingehen. Es soll uns hier genügen, daß der Mythos traditionell und die Tradition nicht-menschlichen Ursprungs ist, der einzige Grund übrigens, diese genauer zu untersuchen. So wollen wir auch vermeiden, die Thematik aus einem bestimmten und redu­ zierten Blickwinkel zu betrachten, was ihr allen traditionellen Wert rauben würde. Tatsächlich können und wurden die keltischen Feste aus den verschiedensten Per­ spektiven analysiert: Aus der des Juristen, wie d’Arbois de Jubainville12, aus der des Folkloristen und Soziologen wie Joyce11, des Mythologen wie Marie-Louise Sjoestedt14, der des Linguisten wie J. Vendryes15 und der Perspektive des Mythographen wie John Rhys16. Natürlich kann man sich auch auf das alleinige Studium der Kalenderdaten fixieren und sich auf die Untersuchung des Jahresab­ laufs beschränken. So haben es zumindest all die Kommentatoren des Colignykalenders mit mehr oder weniger Erfolg getan.17 All das war und ist noch immer von großem Nutzen für die Forschung, doch können Archäologie und Lin­ guistik dem Stoff nicht genügen. Es scheint uns also umso eigenartiger, daß die religiösen Grundlagen der kelti­ schen Feste nie auch nur im Mindesten in Betracht gezogen wurden. Natio dedita religionibus, „ein Staat, der sich den Riten hingibt“, schreibt Cäsar, wenn er von Gallien spricht. Dasselbe gilt für alle anderen Kelten auch: Die irischen Feste bestehen aus Riten, Liturgien und verschiedenen Zeremonien, die alle mit dem Gesellschaftsleben in Verbindung stehen. Mehr noch: Das Fest ist das konzen­ trierte Bild der Gesellschaft und ihrer Fähigkeiten. Es ist weder ihr Spiegel noch eine Folge, sondern eine Ursache, die Wirklichkeit und Symbol zugleich ist. Es hat sich nicht langsam im Laufe der Jahrhunderte geformt, um schließlich seine Idealform zu erhalten, sondern war von allem Anfang eine perfekte, göttliche In­

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stitution, deren historisch verbürgte Feiern nur Zeugen eines mehr oder weniger fortgeschrittenen Verfalls sein können.18 Schließlich wird das Fest unter die Schirmherrschaft eines Gottes gestellt, der zwar nur in den seltensten Fällen genannt wird, über dessen Identität jedoch kaum ein Zweifel besteht. So macht der Name des Heiligtums, an dem das gallische Fest des ersten August, das irische Lugnasad abgehalten wurde, Lugundunum das heu­ tige Lyon kein Geheimnis aus dem Gott, dem dieses Fest geweiht war.19 Dies gilt ebenso für Irland, auch wenn dort aufgrund einer oft weniger eindeutigen Namens­ zuweisung etymologische Zweifel bestehen mögen. Und auch die Samainsfeste sind, wie wir es in der Folge aufzeigen werden, dem Gott Lug geweiht, während dem Gott Bel (aus der Tochmarc Emire oder „Brautwerbung um Emer“), dessen Ähnlichkeit mit dem gallischen Belenos kaum übersehbar ist, das Fest des ersten Mai zukommt. Zu Imbolc, dem „verschwommensten“ der irischen Feste, dem kei­ ne Rituale zuzukommen scheinen und über das wir nahezu keine Informationen besitzen, soll hier - trotz aller linguistischen Verwirrungen, die vor allem durch die Arbeiten unserer linguistischen Vorreiter geschaffen wurden - die Grundpfei­ ler einer Erklärung gelegt werden.20 Dieser Erklärungsbeginn genügt zur Erstel­ lung einer allgemeinen Tabelle der Feste. Was die Bedeutung der einzelnen Feste und ihre Hierarchie untereinander be­ trifft, so finden sich erste Hinweise bei Keating, der beschreibt, wie die Zeremoni­ en bei der mythischen Gründung der Zentralprovinz Meath durch König Tuathal Techtmar nach ihrem Kalenderdatum angeordnet werden. Zwar ist dort sehr wohl von vier bestimmten Orten und Zeremonien die Rede, doch wird das Fest von Tara nicht mit den drei Festen von Samain, Belteine und Lugnasad erwähnt: „Dann teilte man die Provinz in vier Teile und machte daraus Midhe in seiner heutigen Form, so daß es zu einem Gebiet wurde, welches jedem obersten König vorbehalten war, der über Irland regierte. Denn wenn auch die Gegend bei Uisnech bereits seit der Zeit der Kinder Nemeds bis zur Epoche Tuathals Midhe geheißen hatte, so war es noch nicht die Bezeich­ nung für die Teile gewesen, welche von den Provinzen bis zur Zeit Tuathals abgetrennt worden waren. Er machte daraus also eine eigene Provinz. Nachdem Tuathal diese vier Teile zu einem einzigen Land namens Midhe gemacht hatte, erbaute er vier große Königsburgen, eine in jedem Teil. So errichtete er Tlachtga im Teil Munsters, der zu Midhe gekommen war, und das Feuer Tlachtgas wurde gestiftet; hier kamen gewöhnlich die Druiden Irlands in der Samainsnacht zusammen, um allen Göttern Opfer darzubrin­ gen. In diesem Feuer verbrannten sie ihre Opfer, und es war bei Strafe vorgeschrieben, in dieser Nacht alle Feuer Irlands zu löschen; und für jedes Feuer, das trotzdem in Irland brannte, bekam der König von Munster einen

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Skrupel oder drei Pfennig, eben weil der Teil, in dem Tlachtga liegt, von Munster an Midhe abgetreten worden war. Die zweite Festung baute er im Teil namens Uisneach, den er von der Provinz Connaught erworben hatte, wo die Generalversammlung der Män­ ner Irlands stattfand, die man ‘Große Versammlung von Uisneach’ nannte und die an Belteine abgehalten wurde. Hier wurden Güter, Handelswaren und Gegenstände ausgetauscht und auch dem von ihnen meistverehrten Gott mit dem Namen Bel geopfert. Es war der Brauch, zwei Feuer zu Ehren Bels in jedem Kanton Irlands zu entfachen und ein krankes Tier einer jeden Gattung und aus jedem Kanton zwischen diesen beiden hindurchzuführen, um alles Vieh das ganze Jahr hindurch gegen alle Krankheiten zu beschüt­ zen. Von diesem Feuer zu Ehren Bels wird der Name Belteine abgeleitet, der diesem Fest verliehen wurde, welches am Tage der beiden Apostel Phil­ ipp und Jakob stattfand: Belteine ist also das Feuer Bels. Das Pferd und die Ausrüstung jedes Anführers, der zur Großen Versammlung von Uisneach kam, gebührte als Steuer dem König von Connaught, da diese Zusammen­ kunft sich im Teil der Provinz Connaught vollzog. Die dritte Festung, die Tuathal errichtete, trägt den Namen Tailtiu und steht im von der Provinz Ulster erworbenen Teil Midhes. Hier fand der Jahrmarkt von Tailtiu statt, bei dem die Iren untereinander Bindungen der Ehe oder der Freundschaft eingingen; ein Brauch, der bei dieser Versamm­ lung beobachtet wurde, war der, daß sich die Männer auf der einen und die Frauen auf der anderen Seite aufhielten, während Väter und Mütter die Verträge erstellten. Jedes Paar, welches einen Vertrag und einen Pakt ge­ schlossen hatte, galt als verheiratet, wie es der Dichter sagt: ‘Die Frauen dürfen sich den schönen und strahlenden Männern nicht nähern; und die Männer dürfen sich nicht zu den Frauen begeben. Alle müssen voneinander getrennt bleiben an dieser Stelle des großen Jahrmarkts.’

Es war Lughaid Lamhfhada gewesen, welcher zuerst die Versammlung von Tailtiu zum jährlichen Andenken an seine Ziehmutter Tailtiu einbe­ rief, die, wie bereits erläutert, die Tochter Maghmors, des Königs von Spa­ nien und Frau Earcs, des letzten Königs der Fir Bolg gewesen war. Als Tailtiu von Lughaid an diesem Hügel bestattet wurde, hielt jener die Ver­ sammlung von Tailtiu als Zusammenkunft zu ihrem Gedenken ab. Das ist der Grund, weshalb der Tag des ersten Augusts, an dem heute das Fest der Festnahme Petri gefeiert wird, Lughnasadh, d.h. Zusammenkunft oder An­

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denken, heißt. Auch wenn es den Berg und die Versammlung von Tailtiu schon zur Zeit Lughaid Lamhfhadas gab, existiert die Königsfestung erst seit der Zeit Tuathal Techtmars. Da der Ort, an dem Tailtiu lag, einst der Provinz von Ulster angehört hatte, standen die Steuern der Versammlung von Tailtiu dem König von Ulster zu. Sie betrugen eine Silberunze für jedes Paar, welches sich hier getroffen hatte. Die vierte königliche Festung lag im Teil, den Leinster Midhe überge­ ben hatte. Hier fand alle drei Jahre das Fest von Tara statt, bei dem allen Göttern Tlachtghas (wie bereits erwähnt) Opfer dargebracht wurden. Diese königliche Versammlung, welche also das Fest von Tara genannt wurde, wurde öffentlich angekündigt. Hier wurden Gesetze und Bräuche beschlos­ sen und die Annalen und Altertümer Irlands verabschiedet, so daß alle Be­ schlüsse von den obersten Doktoren in der Liste der Könige verzeichnet wurden, die das Psalmenbuch von Tara genannt wird. Jeder Brauch und jede Annale, die mit diesem großen Buch nicht übereinstimmte, wurde nicht als echt angesehen.“21 Der Text soll an späterer Stelle genauer interpretiert werden. Sein Hauptinter­ esse liegt vielleicht vor allem darin, einen relativ klaren Überblick über die geo­ graphische Rotation des Festes zu geben, ohne dabei genauer auf deren Regelmä­ ßigkeit einzugehen: Lugnasad in Tailtiu (Ulster), Belteine in Uisnech (Connaught), Samain in Tlachtgha (Munster) und das Fest von Tarn in Leinster. Natürlich gehö­ ren all diese Orte nach dem von Keating beschriebenen System in die Zentral­ provinz Meath (Midhe). Wissen wir auch nicht alles, so wissen wir doch genug, um uns nun eines Problems anzunehmen, dessen Lösung drängt. Ohne die Feste bleibt uns nämlich der „Zugang zu den Göttern“ verwehrt. Erst im Rahmen der Feste leben und orga­ nisieren sie sich. Was wäre das Christentum ohne eine gute theologische Ausle­ gung, die mit genau festgelegten Ritualen wie Weihnachten und Ostern Hand in Hand gehen? Wer könnte behaupten, daß der Urzweck eines Kalenders nicht zu allen Epochen und in allen Kulturen ein religiöser war? Bleibt schließlich festzuhalten, daß die irischen Feste an Geschichtstraditionen gebunden sind, über deren Wert wir uns hier nicht äußern wollen und die wir im vorliegenden Fall nur dann untersuchen wollen, wenn sie für die Analyse der reli­ giösen Struktur von Belang sind. Wir dürfen nie aus den Augen verlieren, daß unsere Hauptkenntnisse sich auf die Mythen und nicht auf konkret überlieferte, berühmte Rituale beziehen. Wir wissen z. B. daß sowohl zu Samain als auch zu Belteine Rituale abgehalten wurden, doch wissen wir nur wenig über diese Rituale selbst. So ist die religiöse Interpretation der Geschichte oft ihre eigene Antithese. Jeglicher Ansatz an die keltische Geschichte ist, hinsichtlich ihrer Lückenhaftig­

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keit, auf jeden Fall zwecklos, wenn nicht auf den mythischen Kontext eingegan­ gen wird. Ein einziges Beispiel genügt, um diese Behauptung zu illustrieren. Wir denken hier an einen Artikel D.A. Binchy’s, dem zwar unwiderlegbare Tatsachen zugrun­ de liegen, den wir jedoch in seiner Ausführung ablehnen, da er den mythischen Stoff mit einer inadäquaten historischen Methode zu erfassen sucht.22 Im großen und ganzen kommt er zu folgenden Schlüssen, die jedoch nur den oberflächlichsten Aspekt der Realität berücksichtigen: - Geschichtlich wahr sei lediglich, daß sich der Jahrmarkt von Tailtiu nur schwer über das 9. bzw. 10. Jahrhundert halten konnte und oft wegen lokaler Rivalitäten unterbrochen war. Es handelte sich dabei nicht um eine „Nationalversammlung“ unter Vorsitz des Obersten Königs, wovon Mac Neill ausgegangen war, sondern um ein einfaches Volksfest, bei dem häu­ fig Vorfälle und schwerere Unruhen zu verzeichnen gewesen seien. - Das Fest von Tara sei historisch nur schlecht verbürgt und es bestünden überhaupt häufige Verwirrungen: So werde Lugnasad und Beliebte häufig in Bezug auf das Datum; Tailtiu, Tara oder Tlachtga bezüglich des Ortes und der Jahrmarkt von Tailtiu und das Fest von Tara in Hinsicht auf die Zeremonie verwechselt. - Es bestünde grundsätzlicher Widerspruch bzw. Uneinigkeit in den Texten, was die regelmäßige Wiederkehr der Feste anbelangt: Dort sei von Drei-, Fünf- oder Sechs- oder gar längeren Jahreszyklen die Rede.

D.A. Binchy greift in diesem Artikel alle Erzeuger der, wie er es nennt „pseudo-history“ sehr scharf an, wobei Geoffrey Keating und alle Annalenschreibem und Hagiographen, doch auch Eoin Mac Neill ihr Schärflein abbekommen. Am Ende seiner Arbeit staunt Binchy darüber, daß das Fest von Tara „noch immer in unseren Schulbüchern und -examen herumspukt. Zu­ sammen mit Oenach Tailten bietet es ein zusätzliches Beispiel des Tri­ umphs der Legende über die Geschichte. Der Umstand, daß beide heute in den Rahmen der „national institutions“ des mittelalterlichen Irland fallen, zollt der Genialität der Pseudohistoriker des 10., 11. und 12. Jahrhunderts, die es vermochten, den Mythos des „Hohen Königtums“ als Gipfel der imaginären, irischen Politik zu schöpfen, zusätzlichen Tribut. “ Sicher, wir wissen seit langem, daß die moderne irische Geschichtsschreibung, verbrennt, was sie am meisten liebt und sich den verschiedensten modernistischen Richtungen hingibt. Ebenso klar ist es, daß die Geschichte Irlands, wie Keating sie in der Mitte des 17. Jahrhunderts verfaßte, den Methoden eines Gregor von Tours näher ist als denen Michelets. Doch wissen wir auch zur Genüge, daß Keating

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keine Geschichte schreibt, sondern es sich hierbei ganz nach dem Titel seines Werks um Foras Feasa nah Eireann, also die „Grundlagen der Kenntnisse Irlands“, also mit anderen Worten um den gesamten Korpus der Mythen und Legenden handelt. Ihn zum Rädelsführer der „Pseudohistoriker“ zu machen, hieße ihm eine Rolle zuzuschreiben, die er nie auch nur annähernd hat einnehmen wollen. Er tat einfach, was alle filid seit dem Hochmittelalter auch schon getan hatten: Er trug zur Überlieferung der Inselmythologie bis in unsere heutigen Tage bei und hat dafür, unserer Meinung nach, nicht verspottet zu werden. Welch wertvolle Zeit würde man nicht vergeuden, wenn es hieße, die Existenz eines Cuchulainn, eines Siegfried, eines Zeus oder Achilles oder gar eines König Arthur nachweisen oder widerlegen zu müssen. Es stimmt schon, daß man immer wieder versucht, König Arthur zu einer geschichtlich belegten Figur werden zu lassen, doch zerbröckelt die Argumentation jedesmal aufs Neue und muß bei jedem neuen Anlauf ganz von vome begonnen werden. Liegt im „Triumph der Legende über die Geschichte“ nicht der Schlüssel der keltischen Atmosphäre? Mit etwa zwanzig Jahrhunderten Verspätung gesellt sich Binchy lediglich zu den griechischen Philosophen der Antike, die sich ebenso schwere wie nutzlose Fragen zur Moralität und der Exi­ stenz der Götter stellten.23 Und da bleibt trotz allem ein Punkt, den Binchy nicht einmal streift, da er ihn aus seinem Blickwinkel wohl gar nicht sehen konnte: Es handelt sich um die Fra­ ge, ob die Mythen des mittelalterlichen Irland nicht auch die religiöse, politische und gesellschaftliche Ordnung des vorchristlichen Irland widerspiegeln. Mit die­ sem Exkurs sei wie gesagt ein Beispiel dafür geliefert, daß es absurd und unnütz ist, eine vergleichende Studie und Interpretation der Inseldokumente auf rein hi­ storischen Argumenten aufzubauen.

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2. KELTISCHE VORSTELLUNGEN UND NAMEN DES „FESTES“ Laut Littré ist das Fest ein „den religiösen Akten geweihter Tag“.24 Dabei kann es sich ebensowohl um einen Jahrestag oder um Volksvergnügen handeln. In dieser Hinsicht ist jeder Tag ein Festtag, insofern er entweder dem Kult eines Heiligen geweiht ist oder er aber auf irgendeinen Jahrestag fällt, mit denen die Geschichte die Kalender nun schon seit langem zu füllen vermag. Durch eine solch technische Verdünnung des Gehaltes der Kalenderfeste, die nunmehr in kirchliche und welt­ liche Feiertage geschieden sind, wurden Erstere ebenso wie letztere zu arbeitsfrei­ en Tagen reduziert, was schließlich sicher dem Christentum zuzuschreiben ist, welches die Vorstellung des Festes banalisiert hat. Wir verstehen unter „Fest“ vielmehr die Konzentration des Heiligen auf einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeitspanne, mitsamt der dazugehörenden Ze­ remonien und der Mythen, die es kommentieren und erklären. All das wird sowohl zeitlich als auch räumlich von den Grenzen der keltischen Welt abgesteckt. Doch bevor wir nun mit dem Studium der keltischen Vorstellungen und Na­ men des „Festes“ beginnen, müssen wir der Verständlichkeit halber kurz auf die heutige allgemeine Bedeutung des Wortes „Fest“ selbst eingehen, das fast in der gesamten westlichen Welt auf dem lateinischen feriae und seinen Ableitungen basiert. Die wichtigste davon ist das Adjektiv (dies) festus „Fest(-tag)“, von dem sich die romanischen Formen des französischen fête, des italienischen festa und des spanischen fiesta, ableiten. Das englische feast und das deutsche Fest schließ­ lich sind romanische Lehnwörter. Das heißt zugleich, daß im Verständnis der Westeuropäer nichts mehr von der vorchristlichen oder vorromanischen Vorstel­ lung des Festes übrig ist. Das Wort ist zugleich tief religiös und dem Lateinischen zueigen. So hat laut Emout-Meillet „die Wurzel *fes-*fas außerhalb des Italischen keine Entspre­ chung“.25 Es ist zweifellos indoeuropäischen Ursprungs26, doch gibt es offenbar kein direktes oder indirektes keltisches Gegenstück. Soll das heißen, daß wir nun endgültig am Keltischen zweifeln müssen und es als minderwertige Sprache zu betrachten haben, die gerade noch indoeuropäisch, doch voller Lehnwörter und neusteinzeitlicher Substrate ist? Sicher nicht. Doch ist das heutige, keltische Vokabular voller Nuancen, die überdies kaum aus einer semantischen und etymologischen Analyse ersichtlich werden. Die zeitgenössischen Wörterbücher der neukeltischen Sprachen schlagen in der Tat mehrere Wörter vor, denen jedoch nicht dieselbe Bedeutung und derselbe

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Wert zukommt. Im Neuirischen ist das wichtigste ein über das Englische aus dem Romanischen entlehntes Wort: - Substantiv feasta, Gen. id., PI. feastai, m., „a feast; a banquet; good cheer“, feasta an tarldidh („Erntefest“), „a religious festival“, feasta na Cäsca „the feast of Easter“; - Adjektiv feastach, -aige, „festive, merrymaking; fond of feasting or good cheer“; Verb feastuighim, -ughadh, „I feast, make merry“.27

Die allgemeine Bedeutung ist also dem des Festessens und dem „Tüchtigen Feiern“ näher als der religiösen Bedeutung des „Festes“, der hier eher eine Neben­ rolle zukommt. Diese Tendenz wird durch die Beständigkeit des Wortes im Mittel­ irischen bzw. Vomeuirischen bestätigt: festa „a feast, banquet“ laut dem Royal Irish Academy Dictionary, F / 1, 98-99, welches übrigens festhält „rarely of a religious festival“. Unter diesen Bedingungen ist es also sinnlos hier weiterzu­ suchen. Die Vorstellung des „Festes“ wird nicht nur durch ein Lehnwort wiederge­ geben, dem Wort selbst kommen praktisch nur noch weltliche Bedeutungen zu, so daß es mit der eigentlichen keltischen Tradition nichts zu tun haben kann. Diese Ausführungen zum irischen feasta gelten natürlich ebenso für das breto­ nische fest, ein Lehnwort aus dem Altfranzösischen ohne jeglichen religiösen Ein­ schlag, welches in allen Dialekten wiederkehrt. Das Ersetzen des fest durch gouel, wie es im Neubretonischen geschieht, ist absurd (siehe unten). In der Umgangssprache heißt es gouel Yann („der Heilige Johannes“, Syn­ onym für die „Johannisnacht“, d.h. die Sommersonnwende) oder gouel Mikael („der Heilige Michael“). Doch ist auch dort vom fest-deiz, dem „Tagesfest“, und der fest-noz, dem „Nachtfest“, oder aber dem fest an houc’h, dem „Schweinefest“ die Rede. Dazu wird kein anderes Wort gebraucht. An dieser Stelle sollte hinzuge­ fügt werden, daß wir kein irisches Wort für „Fest“ kennen, welches den theoreti­ schen vier keltischen Festnamen angefügt würde. Den Ausdruck Samainsfest gibt es im Irischen nicht. Dort heißt es lä Samhna und nichts anderes. Das heißt, daß wir uns auf keinen Fall auf eine einzige Bedeutung des „Festes“ im heutigen Wortsinn fixieren dürfen, um nicht in eine Sackgasse zu geraten. Im Zuge unserer Untersuchungen werden wir ohne größere Schwierigkeiten sehen, daß die keltischen „Feste“ Samain, Belteine und Lugnasad, bei denen wir über die meisten Dokumente verfügen, ebenso wie das Concilium Galliarum von Lyon zur gallo-romanischen Epoche, wo das etwas weniger der Fall ist, zum Teil oder zur Gänze folgende Bestandteile aufweisen:

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- eine Zusammenkunft an einem bestimmten, immer gleichbleibenden Kalendertag an einem bestimmten Ort im Zentrum des Landes oder der Provinz; - ein oder mehrere in Folge oder zugleich abgehaltene Festmahle unter Vorsitz des Königs; - eine oder mehrere religiöse Zeremonien, die alle an ganz bestimmten Orten vollzogen werden; - eine politische oder administrative Versammlung; - Spiele und verschiedene Wettkämpfe, sowie Handel. Eine solche Vielfalt der Aspekte erklärt und rechtfertigt zahlreiche Bezeich­ nungen:

- Irisch oenach „Zusammenkunft, Versammlung“, ein Wort, das im Eng­ lischen meist mit fair „Jahrmarkt“ wiedergegeben wird; - irisch fes und fled „Festmahl“ - walisisch gwledd „Festschmaus“ - bretonischbanvez „Festmahl, Hochzeitsmahl“, wörtlich „Damenmahl“; das Wort deckt sich mit dem irischen banfes; - bretonisch pardon „Wallfahrt“ - irisch dail „(politische) Versammlung“; manchmal in der Superlativ form morddal „große Versammlung“ und arddal „hohe Versammlung“, bei der das Volk nicht zugelassen ist. Diese Wörter sind nicht untereinander austauschbar und bezeichnen auch nicht unbedingt alle traditionell religiöse Feste: So gibt es beim irischen oenach, eher eine Volksversammlung als ein religiöses Fest, kein Festmahl. Das bretonische banvez und das walisische gwledd werden nicht mehr oder zumindest nicht mehr für ein religiöses Fest verwendet, während der bretonischepardon immer ein christ­ liches bzw. schon früh christianisiertes Fest bezeichnet, das im Laufe der Zeit immer volksfestartigere Züge annahm.28 Dem irischen dail entspricht das bretoni­ sche ren-dael, das nicht mehr „Versammlung“, sondern „Streiterei“ bedeutet - eine semantische Entwicklung die eines weiteren Kommentars bedarf. Wir werden in der Folge sehen, daß das Fest mehrere Bezeichnungen verdient, da das Festgelage, die Opfer, die politische Versammlung und die diversen Spiele alle unabdingbar dazugehören. Der Fall des Samain spricht hier für sich. Trotzdem sei darauf verwiesen, daß all diese Begriffe sich in einem gemeinsa­ men Punkt überschneiden: Das Fest vollzieht sich an einem „zentralen“ Ort, im Falle Irlands in der „Hauptstadt“ Tara. Hier haben wir es nicht, wie in zahlreichen „nordischen“ Traditionen mit einem Berg, sondern mit einer symbolischen Mitte, der Zentralprovinz Mide (Meath) zu tun. Oder aber das Fest wird in der „Haupt­ stadt“ der jeweiligen Provinz, wie Emain Macha im Ulster oder Cruachan in

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Connaught, abgehalten, die in diesem Fall den Mittelpunkt versinnbildlicht. Lexi­ kalisch gesehen, stimmt das mit dem gallischen Mediolanum überein und ist auf eine archaische Tradition zurückzuführen. Das keltische Fest hat also anfänglich keinen eigenen Namen, der es als Kalenderfesttag von einem normalen Arbeitstag abhebt. Für die christlichen Fest­ tage, d.h. die Geburtstage der Heiligen, bedient sich das Keltische immer lateini­ scher oder romanischer Lehnworte, die wiederum auf die frühesten Ursprünge des keltischen Christentums zurückgehen:

- irisch - walisisch - bretonisch

feil gwyl gouel

vom lateinischen vigilia, ein Wort, das nur das Fest eines Heiligen bezeichnet. Was andererseits die Namen der großen liturgischen Festtage Advent, Weihnach­ ten, Ostern, usw. betrifft, so haben wir es hier in allen keltischen Sprachen mit Lehnwörtern aus dem Kirchenlatein zu tun. Keines dieser Feste stimmt mit der Datierung des keltischen Kalenders überein. Die einzige Ausnahme stellt hierbei Allerheiligen am 1. November dar. Sicherlich überschneiden sich die keltischen und die christlichen Festtage in Fällen wie dem Patrickstag am 17. März oder dem Tag des Heiligen Yves am 19. Mai, doch ist die Grundlage eine völlig andere: Das keltische Fest ist die Vereinigung eines Augenblicks und eines Ortes. Aus diesem Grund werden wir in der Folge häufig Gelegenheit dazu haben aufzuzeigen, daß diese Feste im Laufe der Abwertung des keltischen Systems durch die Christianisierung der verschiedenen Institutionen immer mehr zu ländlichen Festen der Bauern wurden.29 Hier dürfen die Kalenderdaten nicht als Beweismittel herangezogen werden, denn jedes Fest hat seinen Tag, der von der allgemeinen Symbolik des Kalenders bestimmt wird. Das irische Kalenderjahr wird durch vier Feste geteilt: -

1. 2. 3. 4.

Samain Imbolc Belteine Lugnasad

am am am am

1. 1. 1. 1.

November Februar Mai August

Diese vier Feste unterscheiden sich also sowohl in ihrer ursprünglichen Bedeu­ tung als auch in ihrer Art: Je ein Fest am Anfang und am Ende der beiden Hauptjahreszeiten Samain (für die dunkle Jahreszeit des Winters) und Belteine (für die helle Jahreszeit des Sommers): ein zentrales Fest des „Gleichgewichts“ zu Ehren des Königs

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Lugnasad (Emtedank zum Sommerende): ein archaisches Fest, welches aller Wahrscheinlichkeit nach auf ein kurzes aber obligatorisches Ritual reduziert wurde. Imbolc (Lichtfest, welches zugunsten der Heiligen Brigitte christiani­ siert wurde). Wir sollten nie aus den Augen verlieren, daß wir die einzigen Grundlagen zum vorchristlichen irischen Kalender lediglich der Weitschweifigkeit bestimmter Do­ kumente verdanken. Und gehören Samain und Lugnasad auch heute noch zum alltäglichen Sprachgebrauch, so gab es Imbolc und Belteine bereits im Mittelalter nur mehr im Wörterbuch. Aber auch andere Details müssen unbedingt berücksichtigt werden:

Imbolc versinnbildlicht die Mitte der dunklen Jahreszeit (aufsteigend): Die Sonne zieht also theoretisch von der Winter- zur Sommersonnenwende gen Norden, was die indische Tradition - in Bezug auf das „Göttertor“, welches den Zugang zum deva-yäna verschafft - als uttaräyana bezeichnet. Lugnasad versinnbildlicht die Mitte der hellen Jahreszeit (absteigend): Die Sonne zieht also theoretisch von der Sommer- zur Wintersonnenwende gen Süden, was die indische Tradition in Bezug auf das „Menschentor“, welches den Zugang zum pitri-yäna verschafft, als dakshinäyana bezeich­ net.30

Der Herr des Wetters, der Zeit und der Ewigkeit (der Dagda, der gleich dem indischen Ganesha der Gott des Wissens ist) ist in der keltischen Welt auch der Meister der „zwei Wege“. Das erklärt nun auch, weshalb die irischen Götter (die Tuatha De Danann) aus dem Norden kommen und dorthin zurückkehren und war­ um der Sid im Westen und im Norden der Welt liegt. So konnte der Kontakt zwi­ schen dieser und der Anderen Welt nur zu Samain stattfinden, das für die Kelten dieselbe Bedeutung hatte wie Janus für die Römer (siehe Kapitel 5). Die „vertikale Solistizachse“ Belteine - Samain steht somit der „horizontalen Equinoxachse“ Imbolc - Lugnasad gegenüber. Der Kreis der Zeit ist rechtsdre­ hend, polar und solar. Zu den zwei Achsenfesten Samain und Belteine kommen also ein zentrales Fest Lugnasad und ein, wie es auf den ersten Blick aussieht, Nebenfest Imbolc. Das wichtigste Detail an alledem ist sicherlich, daß die keltischen Feste genau­ genommen weder Feste der Sonnenwende noch Feste der Tag-und-Nacht-Gleiche sind, da sie um vierzig bis fünfundvierzig Tage von der tatsächlichen Jahreszeit verschoben sind. Bis heute konnte diese Verschiebung nicht erklärt werden und wir kommen mit Hilfe der uns heute zur Verfügung stehenden Quellen nicht über diese Feststellung hinaus. Angesichts des intellektuellen Niveaus der Druiden ist

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jeder Rechnungsirrtum von vornherein auszuschließen. Ebensowenig sollten die Feste die jeweiligen Jahreszeiten mit einer gut vierzigtägigen „Verspätung“ einlei­ ten. Solche Hypothesen sind absurd. Das Vorrücken der Tag-und-Nacht-Gleichen, von dem heute oft die Rede ist31, bezieht sich auf eine Epoche, die weit vor den Kelten liegt (hier müßten wir den keltischen Kalender irgendwelchen mysteriösen Urahnen zuschreiben, die vor gut 25 000 gelebt haben!). Auch eine willkürliche Wahl der Festdaten kann ausgeschlossen werden, da die Organisation der Feste nur im Rahmen einer kohärenten Kosmologie erklärbar wird, auch wenn wir de­ ren Geheimnis noch nicht gelüftet haben. „Technisch“ gesehen jedoch, wenn wir dieses Wort in diesem Zusammenhang gebrauchen dürfen, kommen wir nicht umhin, Samain und Belteine als Feste der Sonnenwende und Imbolc und Lugnasad als Feste der Tag-und-Nacht-Gleiche zu verstehen. Es wäre vorstellbar, daß das Fest des Feuers vom ersten Mai bis zum Johannisfest am 24. Juni verschoben wurde. Doch warum hätte man dann nicht auch Samain vom ersten November auf Weihnachten oder die Wintersonnenwende verschoben? Es ist wohl kaum anzu­ nehmen, daß ein Fest von der Bedeutung Samains so einfach verschoben werden konnte, da dadurch sein Symbolgehalt bedeutend verändert worden wäre. Das galt mit Sicherheit auch noch zur Zeit Patricks. Aus unseren Informationen zur gallischen Welt gehen folgende Elemente her­ vor:

- Der Name Samonios im Colignykalender und die kurze Erwähnung von den „drei Nächten“ des Samonios. - Die relativ ausgiebigen Informationen der lateinischen Texte bezüg­ lich des Concilium Galliarum von Lyon. - Die Vielzahl der folkloristischen Details zu den Festen des ersten Mai und des ersten November, die weder zufällig noch unberechtigt sind.

Mindestens zwei der gallischen Feste stimmten also zeitlich genau mit zwei der irischen Feste überein, was Grund genug zur Annahme ist, daß auch die zwei anderen bei den Kontinentalkelten gefeiert wurden. Bezüglich neo-druidistischer Imbolcs- und Lugnasadsriluaie, die auf bloßen Annahmen basieren, haben wir jedoch unsere Vorbehalte; und das nicht nur wegen des Umstands, daß es diese Feste wohl nie unter diesem Namen auf dem europäischen Festland gegeben hat. Auf die gourdeizioü, die bretonischen „großen Tage“, d.h. die 12 letzten De­ zembertage, bzw. die 6 letzten Dezember- und die 6 ersten Januartage, die als Vorzeichen für das gesamte folgende Jahr verstanden wurden, können wir in die­ sem Rahmen leider nicht näher eingehen, da sie streng genommen nichts mit den Festtagen zu tun haben. Es sei nur erwähnt, daß es sich hierbei um wichtige Be­ standteile des Kalenders handelt, da jeder dieser 12 Lostage für einen Folgemonat steht.

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Die Rolle, die den Volksbräuchen zukommt, darf besonders in Bezug auf die Feste nicht unterschätzt werden. Das Fest des ersten Februar entspricht dem Kar­ neval, vom Fest des ersten Mai sind die Spuren in ganz Westeuropa noch unver­ kennbar erhalten, und am ersten November ist in der Bretagne noch immer der Tag der Toten, der anaon, deren Seelen an diesem Festtag heimkehren, um zu speisen und sich zu wärmen.32 Auf der Suche nach den keltischen Ursprüngen der typischsten Volksfeste stoßen wir jedoch immer wieder auf das Hindernis fehlen­ der oder zu neuer Archive. Nur in den seltensten Fällen gehen sie auf das Mittelal­ ter zurück und fast keine dieser Quellen reicht bis in die keltische Antike oder bis vor die Christianisierung zurück, obwohl diese sich in den abgelegeneren Land­ strichen Galliens relativ spät vollzog. Allein die ungeheure Menge der überliefer­ ten Traditionen läßt uns darauf schließen, daß wir es, je nach der Gegend, mit keltischem oder germanischem, in jedem Fall aber indoeuropäischem Erbe zu tun haben, welches nicht erst später eingeführt wurde.33 Die einzigen folkloristischen Fakten, denen wir vertrauen, sind die, die die Forscher selbst gesammelt, datiert, beschrieben und veröffentlicht haben. Zur leichteren Lesbarkeit werden die Namen der keltischen Feste erst im An­ hang erklärt, auch wenn es sich dabei um ein unabdingbares Element unserer Argumentation handelt, welches zwar weitmöglichst vereinfacht wurde, trotzdem jedoch den philologischen Richtlinien genügen muß. Der Laie ist nicht dazu ver­ pflichtet, sich jene Seiten zu Gemüte zu führen, auch wenn wir versucht haben, die geisteswissenschaftlichen Erklärungen dort auf ein strenges Minimum zu reduzie­ ren. Aus mehreren Gründen, vor allem jedoch, weil wir dort nichts wirklich Kelti­ sches und Traditionelles fanden, wollen wir nicht näher auf die walisischen BarddasFragmente von Williams Ab Ithel eingehen, die unter dem Titel doethineb („Weis­ heit“) auf die Unterteilung der Zeit des Jahres, der Monate, der Jahreszeiten, der Tage und der Stunden eingehen.34 Allein der Umstand, daß die Unterteilung der Jahreszeiten und Monate nicht mit den irischen Normen übereinstimmt, genügt, um an der keltischen Authentizität dieser Kalendemormen zu zweifeln.

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Anmerkungen 1 Siehe Die Druiden, Arun Verlag, 1996, Viertes Kapitel, Raum und Zeit des Druidentums, S. 279-336. Uns liegt es hierbei auch daran, ein für allemal mit keltomanischen Schätzungen und ungenauen Allgemein­ plätzen aufzuräumen, wie sie in Werken wie Amable AudinsLes fêtes solaires („Die SonnenfesteParis, 1945 zu finden sind, wo sogar die Namen der keltischen Feste verstümmelt wurden. 2 Auch wenn diese Form von René Guénon in Formes traditionnelles et cycles cosmiques, Gallimard, Paris, 1970, S. 24.-28 kritisiert wurde. 3 Siehe La Société celtique, Ouest-France, Rennes 1991, S. 11-34. 4 Siehe Christian-J. Guyonvarc'h, Mediolanum Biturigum. Deux éléments de vocabulaire religieux et de géographie sacrée, in Celticum 1, Rennes, 1961, S. 137-158 und Françoise Le Roux, Le Celticum d’Ambigatus et l'Omphalos gaulois. La royauté suprême des Biturges, in Celticum 1, S. 159-184. 5 Lokamanya Bâl Gangâdhar Tilak, Origine polaire de la tradition védique, Hg. Archè, Meiland, 1979, S. 17-18 läßt die Entstehung der vedischen Literatur auf die Mitte des fünften vorchristlichen Jahrtausend zuriickgehen. Die Bildung der keltischen Mythen kann durchaus ebenso alt sein, ohne daß sich dies zwangs­ läufig im Lebensraum der Kelten vollzogen haben muß, aus dem wir die ersten geschichtlichen Nachweise beziehen konnten. 6 Als Mittel zur „Verfestigung“ der keltischen Tradition dient die Folklore über den Umweg über die Psy­ choanalyse seit geraumer Zeit allen Arten von Unterwanderung, die zu den Theorien des „kollektiven Un­ terbewußtseins“ führen. 7 Siehe dazu auch die ausgezeichnete Doktoratsarbeit von Véronique Guibert Les fêtes irlandaises d'ouverture de saisonzu den irischen Festender Jahreszeitenwechsel, vorgelegt in Montpellier, Dezember 1978. Wir möchten uns an dieser Stelle bei ihr dafür bedanken, die für uns bedeutsamen Stellen verwenden zu dürfen. Wir haben unsererseits versucht eine Definition der Folklore nach unseren Forschungs- und Studienkriterien zu erstellen, die in Mythologie, folklore, ethnographie, essai de définition du point de vue d’un celtisant, in Du Gobelin à Saint Christophe, Mémoire du Cercle d'Études mythologiques, III, Lille, 1993, S. 61 -80 veröffentlicht wurde. In dieser Hinsicht stimmen wir mit Mircea Eliades Definition bezüglich der Beziehungen dieser einzelnen Disziplinen untereinander überein. In Commentaires sur la légende de Maître Manole, Ed de l’Heme, Paris, 1994, S. 9 heißt es da: „Seit langem sind wir überzeugt davon, daß man keine Philosophie der Volkskulturen erstellen kann, solange man sich nicht eingehendst und diszipliniert mit den Unterlagen vertraut gemacht hat, die die Folklore, die Ethnographie und die Religions­ geschichte bereithalten. Diese Vertrautheit setzt jahrelanges, rühmloses Erforschen anstrengender „vertika­ ler“ Analysen oder mühselige „horizontale“ Untersuchungen voraus, um den Umlauf eines Motivs zu ermit­ teln, doch bewahrt sie den Forscher unter anderem auch vor vorschnellen Allgemeinurteilen und verleiht ihm vor allem eine Art Einfühlungsvermögen, das ihm erlaubt, in den folkloristischen Schöpfungen das bleibende Archaische vom sekundären Lokalen zu unterscheiden.“ 8 Textes mythologiques irlandais, I, S. 58, § 155. Auf die Bedeutung dieser Stelle in Bezug auf die kelti­ schen Feste wies erstmalig Mäire Mac Neill in The Festival of Lughnasa, Dublin, 1962, S.5 hin. 9 In dieser Hinsicht ist die notdürftige und lückenhafte Art der etymologischen Erklärungen in Recueil des inscription gauloises, op.cit., S. 421-427 zu bedauern. 10 Siehe Hans Krähe, Ligursich und Indogermanisch, in Germanen und Indogermanen. Volkstum, Spra­ che, Heimat, Kultur. Festschriftfür Hermann Hirt, Hrsg. Helmut Amtz, Heidelberg, 1936, II, S. 241-245. 11 Siehe dazu auch die Doktoratsarbeit von Philippe Walter, La mémoire du temps. Fêtes et calendriers de Chrétien de Troyes à la MortArtu, Paris, 1989, 874 S. 12 Les assemblées publiques de l’Irlande, in Séances et travaux de l’Académie des Sciences morales et politiques, CXIV, 1880, S. 600-618. D’Arbois stellte bereits sehr richtig fest, daß zwischen Festen und Versammlungen eine Verbindung bestand, doch entging ihm noch, daß die irische Versammlung lediglich einen, wenn auch elementaren Bestandteil des Festes darstellte.

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'’A Social History ofAncient Ireland, II, London, 1903, Kapitel XXIX mit dem charakteristischen Titel Assemblies, sports andpasttimes, S. 434-487. Trotz all der Indizien, die er bezüglich der religiösen Rolle der Feste einbringt, scheint Joyce im Fest nichts anderes als ein Faktum des Gesellschaftslebens gesehen zu haben. 14 Dieux et héros des Celtes, Paris, 1940, S. 65-76. Eines der Kapitel dieses Werkes ist dem Samainsfest gewidmet, das die Autorin als Augenblick des freundschaftlichen oder aber auch feindseligen Zusammen­ treffens zweier Welten, der menschlichen und der göttlichen, verstand. Sie hatte ebenso das Prinzip der „abgeschlossenen Zeitspanne“ begriffen, wie wir es später erläutern werden, nicht jedoch erfaßt, daß diese eine Art Klammer der Ewigkeit, eine Unterbrechung der Zeit darstellt, die sich in den Ablauf des religiösen und sozialen Lebens einfügt. Auch dem Gleichgewicht, welches zwischen dem Fest und seinem ökonomi­ schen Aspekt besteht und der Rolle, die das Fest im kosmologischen Verständnis des Jahresablaufs ein­ nimmt, maß sie keine Bedeutung bei. So darf ein religiöses Fest nicht als einfacher Vorwand zu außerge­ wöhnlichen Visionen der Anderen Welt verstanden werden. Es ist vielmehr auch eine symbolische Konzen­ tration, deren positive oder auch negative Auswirkungen (wenn die Riten und Vorschriften nicht beachtet wurden) die gesamte Zeit und den gesamten Raum betrafen. Das Samainsfest bedeutete wie alle anderen Feste also keineswegs einen Einschnitt in die Beziehungen zwischen Menschen und Göttern, sondern im Gegenteil eine Intensivierung dieses Kontakts und eine Sakralisierung des Menschlichen durch das Göttli­ che. 15 La religion des Celtes, collection „Mana“,passim. J. Vendryes, hat sich in seinem Kapitel über die Feste sehr durch die Schriften M.L. Sjoestedt inspirieren lassen und sich all deren Schlußfolgerungen zueigen gemacht. Die Hauptbedeutung des Festes leitet er ziemlich willkürlich von den Opfern von Mag Siecht ab, auf denen er sehr stur beharrt, obwohl sie überhaupt nicht mit Sicherheit verbürgt sind. Sowohl die übersinn­ lichen als auch die monotheistischen Tendenzen der keltischen Tradition entgingen der urtümlichen Skepsis des Linguisten. 16 Celtic Heathendom, London, 1886, Kapitel V, The Sun-Hero, S. 513 ff. Die Definition des Sonnen­ helden ist etwas überholt. Wie auch in den anderen Werken Rhys’ werden seine hervorragenden Ideen oft durch die überschwengliche Genialität seiner Hypothesen untergraben. 17 Eine ausgezeichnete Informationsquelle bleibt hier immer noch Eugene O'Curry’s Manners and Customs of the Ancient Irish, Band II & III, Dublin, 1873, welches trotz aller neuen Arbeiten nicht überholt ist. 18 Womit den Geschichtshypothesen der Ursprung der religiösen Feste jegliche Zweckdienlichkeit abge­ sprochen werden soll. So kam den Trauerspielen in dieser Hinsicht zwar sicherlich eine bedeutende Rolle zu (vgl. P.W. Joyce,op.cit. II. S. 434 „took theirrise in funeral games“), doch lassen diese Trauerspiele keines­ wegs verallgemeinernde Schlüsse auf die gesamte Tradition und alle Feste zu. Samain kann nicht erklärt werden wie Imbolc, Belteine oder Lugnasad. Wo wir wieder bei der Entartung der Mythologie in Folklore angelangt wären, wie sie von so mancher zeitgenössischen und psychoanalytischen Interpretation gefördert wird, die den Mythos und die Religion der Kelten untergräbt. 19 Und das trotz aller Spitzfindigkeiten, die versuchen, diesen Ortsnamen von seinem religiösen Kontext zu trennen und die das Concilium Galliarum als römische Schöpfung ex nihilo verstanden wissen wollen. Siehe unten. 20 Siehe Anhang 2 zum Namen Imbolc. 21 Foras Feasa ar Eirinn „Grundlegende Kenntnisse Irlands“, ein Werk, welches meist kurz als History of Irelandbezeichnet wird, Hg. Dinneen, Irish Texts Society VIII, London, 1908, S. 246-250. 22 Siehe Anhang 4. 21 Siehe Anhang 4. 24 The Fair ofTailtiu and the Feast ofTarafin Ereiu 18, S. 133.138. Dieser Artikel faßt die Tendenzen der historisierenden irischen Schule zusammen, deren Hauptwerk Early Irish History and Mythology 1946 von O’Rahilly verfaßt wurde. 25 Dictionnaire étymologique de la langue latine, 1959, S. 226b-227a. Siehe auch Walde-Hofmann, Latei­ nisches Etymologisches Wörterbuch, I, Heidelberg, 1938, S. 435-455.

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26 Julius Pokorny, Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch, Bem, 1959, S. 259. 27 Dinneen, Foclöir Gaeldhige agus Bearla, Dublin, 1927, S. 440a; Niall O'Dönaill, Foclöir-GaeligeBéarla, Dublin, 1977, S. 529a. 28 In allen Volkssprachen treffen wir auf dieselbe Vielfalt und Veränderlichkeit der Bezeichnungen (siehe z.B. die Beispiele, die Pierre Guiraud in seinem Patois et dialectesfrançais, PUF, collection „Que sais je?“, Paris 1968, S. 16-17 anführt. 29 Hier widersprechen wir also den Aussagen Jan de Vries’ in La religion des Celles, Paris, 1963, S. 234 ff. 30 Siehe René Guénon, Les Portes solsticiales, in Symboles fondamentaux de la science sacrée, Paris, 1962, S. 238. 31 Vgl. Tilak, op.cit., S. 46f. 32 Alles was die anaons betrifft, hat Anatole Le Braz in ausgezeichneter Weise zusammengefaßt in seinem La Légende de la mort chez les Bretons armoricains , Paris 1945, Band I, Einleitung, S. L ff. 33 Siehe Arnold Van Genep, Manuel de folclore français contemporain, Band 1, IV, Les cérémonies périodiques, cycliques et saisonnières. Cycle de mai, la Saint-Jean, Paris, 1949, der trotz aller Arbeit die Aufgabe des Keltologen kaum erleichtert und dessen formeller Verneinung wir nicht zustimmen, wenn er auf S. 1425 schreibt: „Es ist ein weitgehend bekannter Umstand, daß in ganz Asien vom Mittelmeer bis Japan die Rückkehr des Frühlings gefeiert wird. Ebenso gut ist es wohl möglich, daß die Ureinwohner Europas diese Periode selbst zu feiern wußten und nicht erst darauf warteten, daß ihnen die Idee dazu aus Asien überliefert wurde. Ich sehe keinen Grund zur Annahme, daß die primitiven indoeuropäischen Völker die einzigen vemuftbegabten Wesen aufdieser Erde gewesen sein sollen. Die Stein- und Knochen­ werkzeuge aus dem Périgord und den Pyrenäen stellen eine Intelligenz unter Beweis, die ich den be­ rühmten Ariern nicht so ohne Weiteres unterstelle. Daß man sie an den Anfang aller Dinge, der Religion, der Literatur, der Gesellschaft, der Künste und der Technik stellte, mag bis 1880 noch plausibel erschie­ nen sein. Doch haben seither die prähistorischen Funde in Frankreich neues Licht auf diese Umstände geworfen. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, daß vielleicht die Völker unsererfünf oder sechs prähistorischen Zivilisationen Asien zivilisiert haben. Das sei nur nebenbei erwähnt, um vor einer ge­ fährlichen Kurve zu warnen. “ Doch leider haben uns diese prähistorischen ,.Zivilisationen“ nichts hinter­ lassen, was ihre gesellschaftlichen und religiösen Systeme und Vorstellungen unter Beweis stellen könnte. Es genügt hier wohl der Verweis auf Autoren wie Dumézil, Benveniste, Eliade oder die traditionelleren Guénon oder Coomaraswamy ! Wir müssen es für erwiesen ansehen, daß die europäische Steinzeitbevölkerung keinen Einfluß auf die indoeuropäische Kultur ausübte, die sich bereits im fünften vorchristlichen Jahrtau­ send abzuzeichnen begann (vgl. dazu Anm. 5 dieses Kapitels). 34 Barddas, I, Llandovery, 1862, S. 404-425.

Spiral- oder Brillenfibel (Prähistorisches Museum, Hallstadt)

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Rechts, oben: Tarn, in der Eisenzeit wurde der befestigte Hügel zum Sitz des irischen Königs. Tara liegt in der Grafschaft Meath. Einer der beiden Ringe hat den Stein Fäl zum Mittelpunkt, dem man nachsagt, daß er schreien würde, wenn ihn der rechtmäßige Thronfolger berühre. Ein Vergleich der Geometrie der Hügelanlage mit der Spiralfibel (Seite 35) lohnt sich.

Rechts unten: Fragment des Bronzekalenders von Coligny. Die Sprache ist keltisch, obwohl die Buchstaben lateinisch sind.

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L KAPITEL SAMAIN

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SAMAIN, DAS FEST DES ERSTEN NOVEMBERS Samain ist das bei weitem am besten belegte irische Fest. In den mythologischen und epischen Erzählungen wird es immer wieder angesprochen und hat so das größte Interesse der Gelehrten erweckt. Und tatsächlich haben wir es mit einem faszinierenden Augenblick zu tun, in dem den Menschen der Zugang zur Anderen Welt gewährt ist, da die Ewigkeit des Sid die Zeit durchdringt und vorübergehend aussetzt. Hier können auch die Götterbotinnen die glücklichen, auserwählten Sterb­ lichen holen kommen, weil in dieser besonderen Zeitspanne alle Schranken zwi­ schen dieser und der Anderen Welt aufgehoben sind. Dieses Fest kennzeichnet das Ende des alten und den Anfang des neuen Jahres. Die Menschen haben Zugang zur Welt der Götter, ohne dabei ein Sakrileg zu begehen oder Maßlosigkeit an den Tag zu legen, da die Grenze zum Sid in diesen Tagen verschwimmt.

1. SAMAIN IM KALENDERJAHR Was den Augenblick betrifft, den Samain im Kalenderjahr einnimmt, so stehen wenige Fragen offen. Allein einige Begriffe, die in Irland manchmal dieses Fest bezeichnen, sollten eingangs geklärt werden, um in der Folge allfällige Zwei­ deutungen im Wortgebrauch zu vermeiden. Die irischen Glossenschreiber erklären Samain auf drei verschiedene Weisen: 1. „Cetsoman ‘erster Mai’; cetSamain „erste Bewegung der Sommer­ zeit.“35 2. „Samrad ‘Sommer’, sam auf hebräisch, sol auf lateinisch (daher auch der Ausspruch samson sol eorum ; samrad ist der Lauf (rad) der Sonne, wenn ihre Wärme und Höhe am angenehmsten sind.“16 3. „Samfuin ‘Schwächung oder Tod des Sommers’.37

Müßten wir es bei diesen mittelalterlichen Glossen bewenden lassen, kämen wir wohl kaum über solche „etymologischen“ Interpretationen hinaus, die die zeit­ genössische Geisteswissenschaft ausnahmslos anzweifelt. Mit Sicherheit hat sam nichts mit dem Hebräischen gemein und auch das -rad von samrad geht nicht auf das Wort für „Lauf’ zurück. Doch handelt es sich hier nicht nur um etymologische Versuche: Eine linguistische Studie zeigt, daß sich im Wort Samain drei verschie­ dene Bedeutungen der irischen Vorstellung des Festes überschneiden: Die erste aus rein etymologischen Gründen, die beiden anderen aufgrund analogischer und symbolischer Etymologie:

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Versammlung, Sommer, Vergnügen, Rast ” Der Verdienst der Glossenschreiber liegt also vor allem darin, uns durch ihre vereinfachende Vorgangsweise Aufschluß über alle Arten von Analogien zu ge­ ben. Die Einheitlichkeit der Glossen zeigt, daß sie alle auf traditionellen Gegeben­ heiten basieren, was den Zeitpunkt der Feierlichkeiten betrifft.19 Auch im Neu­ irischen wird der erste November noch als La Samhna („Samainstag“) bezeich­ net.40 Samain ist zugleich das Fest der Toten und Allerheiligen, und es blieb den Iren wohl nichts anderes übrig, als das irische Novemberfest im November anzu­ setzen. Da Sam aber nun einmal das irische Wort für Sommer ist, muß es wohl außer Zweifel stehen, daß es sich in den Augen der Iren bei Samain um eine ange­ nehme Zusammenkunft handelt, in der der Sommer beendet und zusammengefaßt wird.41 Zweifellos geht jedoch die eigentliche Bedeutung des Festes weit darüber hinaus. Es spielt auch kaum eine Rolle, daß die Samainstage durch eine Kalender­ regelung, die sich von der unseren unterscheidet, nicht immer mit mathematischer Sicherheit auf den ersten November fallen. Im Rahmen eines Mond-Sonnenkalenders konnte Samain gar nicht auf ein fixierten Tag fallen, und eine leichte Verschiebung des Festtages stellt die bereits angedeutete Teilung des keltischen Jahres in die zwei dem nordwesteuropäischen Klima entsprechenden Hauptsaisonen Sommer und Winter keineswegs in Frage.42 Mit anderen Worten: Wer die irischen Texte auch nur ein wenig kennt, dem stellt sich nicht die Frage des Zeitpunkts des Samainsfestes. Wie denn auch, wenn es da heißt, daß es zu Samain manchmal schneit. Wer trotz alledem noch zweifelt, der greife zur Erzählung vom Tod des Muirchertach:

„Sin überlistete den König und stellte sich zwischen ihn und die Lehren seiner Priester. In dieser Nacht braute sie ihnen [dem König und seinem Gefolge] einen Druidenwein. Diesen Zauberakt vollführte Sin in der sieb­ ten Nacht, genau der Nacht des Dienstags nach Samain. Als nun die Trup­ pen betrunken waren, kam heulender Wind auf. ‘Das ist das Seufzen einer Wintemachf, sprach der König und Sin antwortete : Ich bin der rauhe Wind und die Tochter strahlender Adeliger. Ich heiße Winterwind und bin immer und überall. Seufzen und Wind einer Winternacht also.

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Du hast recht gesprochen. Dein Ende ist gekommen. Nach diesen Worten ließ sie einen schweren Schneesturm aufkommen. Nie war der Lärm einer Schlacht lauter gewesen als der des schweren Schnees, den sie zu jener Stunde aus dem Nordwesten niedergehen ließ.“43

Meistens wird jedoch folgende Textstelle aus der Zweiten Schlacht von Mag Tured als Beweis herangezogen : „Der Dagda hatte ein Haus in Glenn Etin, im Norden. Dieses Jahr hatte er sich anläßlich des Samainfestes der Schlacht von Glenn Etin mit einer Frau verabredet. Hier rauscht der Fluß Unius von Connaught im Süden. Er sah, wie sich die Frau im Unius und im Corann die Füße wusch, den einen im Süden am Wasser von Allod Echae, d.h. Echumech, den anderen im Norden am Wasser von Loscuinn. Sie hatte neun freie Zöpfe auf dem Haupt. Der Dagda sprach mit ihr und sie vereinigten sich. Der Ort heißt daher das Bett des Paares. Die hier erwähnte Frau ist Morrigan. Sie sagte dem Dagda, daß die Fomoire bei Mag Scene landen würden und sagte ihm, er solle die Männer Irlands vor sie zur Furt des Unius rufen. Sie selbst begäbe sich nach Scene, den König der Fomoire Indech, den Sohn De Domnanns zu töten. Sie würde ihm das Blut aus dem Herzen und die Kraft aus den Nieren nehmen. Mit ihren beiden Händen voller Blut würde sie dann zu den Truppen hinaufsteigen, welche an der Furt des Unius auf sie warten würden. Diese Furt heißt wegen diesem Königsmord seither Furt der Zerstörung.“44

Allein diese kurze Textstelle, die den Gottdruiden Dagda und seine Gattin Morrigan in Szene setzt, würde genügen, die religiöse Bedeutung zu unterstrei­ chen, die wir an diesem Fest des ersten November heraustreichen möchten. Doch setzen sich die dieses Fest charakterisierenden, mythischen Ereignisse gleichsam ununterbrochen von einem Samain zum nächsten fort.45 So bleibt auch der Held Cuchulainn, der von zwei Botinnen des Sid schwer ausgepeitscht wurde, da er sie in Form von Schwänen verletzt hatte, ein Jahr lang krank. Er ist bis zum nächsten Samain bettlägerig, wo der Gott Oengus ihn aufsucht, um ihm nahezulegen, die Einladung in die Andere Welt anzunehmen.46 Auch das Heer der Königin Medb wird bei seinem Einfall in Ulster im Epos der Tain Bö Cüalnge oder dem „Raubzug der Kühe Cooley’s“ von schwerem Schnee­ fall überrascht. Zwar ist hier nicht von Samain die Rede, doch wußte jeder, daß sich alle großen mythischen und epischen Ereignisse zur Zeit dieses Festes ab­ spielten. Außerdem fielen Kriegszüge in der Regel in die helle Jahreszeit, so daß diese Ausnahme ziemlich eindeutig eine legendäre und mythische Atmosphäre heraufbeschwört:

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„In dieser Nacht fiel viel Schnee, so viel daß er bis an die Schultern der Männer, die Brust der Pferde und die Deichsel der Wagen reichte und daß ganz Irland nur noch eine große Schneefläche war. Doch wurde keine Hüt­ te, kein Unterschlupf und kein Zelt in dieser Nacht aufgestellt. Nirgends wurde Speise oder Trank zubereitet, ein Mahl oder auch nur ein Imbiß eingenommen. Kein Ire wußte bis zum Morgengrauen, ob er Freund oder Feind neben sich hatte. Ein so hartes und schwieriges Lager wie in dieser Nacht von Cuil Sibrille hatten die Männer Irlands mit Sicherheit noch nie gehabt. Die [Armeen der] vier großen Provinzen Irlands kamen in der Früh bei Sonnenaufgang. Über den Schnee sah man sie von einem Landstrich zum nächsten Vorwärtsziehen.1“17 Für die Kelten lag die Andere Welt im Nordwesten, da wo die Winde des Win­ teranfangs herkommen. Das kann kaum wundemehmen, und dieses geographi­ sche Detail hätte wohl kaum besser gewählt werden können.48 Diese Welt der Götter und ihrer jungen und hübschen Botinnen konnte nicht bedeutungsvoller und mythischer liegen. Ebenso bedeutungsvoll ist der Name des ersten Mai, CetSamain „erster Samainstag“, der diesen Tag in die Natur Samains stellt und so den ersten Tag der hellen, warmen Jahreszeit kennzeichnet, die am ersten November endet. Wir sind überzeugt davon, daß Samain den Kulminationspunkt des irischen Kalenderjahres darstellte. Es genügt aber nicht, es einzig und allein als Fest des Sommerendes zu verste­ hen. Es ist außerdem, ja vor allem der Anfang eines neuen Jahres und birgt so, symbolisch gesehen, alle vier Jahreszeiten in sich, weist auf den nahenden Winter hin und reicht dennoch bis in den vergangenen Sommer zurück, der durch seine Frucht und Ernte präsent bleibt. Ist es nicht logisch, das Neujahr der Kelten in der dunklen Jahreszeit anzunehmen, wo sie doch auch in Nächten und nicht in Tagen zählten?49 Weiters wollen wir eine Strophe aus dem Gedicht des Tadgh Dail O’hUiginn über die Fianna anführen, die die Erben der gälischen Kriegskünste waren:

„Sie müssen - und was für eine Arbeit vom Samain bis zum Sommer, in der Ebene von Teathbha mit all ihren Pferden und Hunden von Haus zu Haus ziehen.“50 So taten es auch die Filid: So erzählt der File Forgoll dem König Mongan vom ersten November bis zum ersten Mai jeden Abend eine Geschichte aus seinem gelehrten Repertoire, bis er eines Tages einer Lüge bzw. Unwissenheit bezüglich eines Details der Ortsgeschichte „überführt“ wird.51

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Auch Keating, der große irische Gelehrte aus der ersten Hälfte des 17. Jahr­ hunderts und wichtigste Überlieferer des mittelalterlichen Wissens, erklärt, daß den Iren zu einer gewissen Zeit (wahrscheinlich im 7. Jahrhundert) das „Überwin­ tern der Filid und ihres Gefolges zu einer so schweren Last geworden war, daß ein König auf die Idee kam, sie zu verbannen: „Aodh, der Sohn Ainmires war es, der die große Versammlung von Drom Ceat einberief, wo die Adeligen und Kirchengelehrten Irlands zusammenkamen. Aodh hatte drei Gründe für eine solche Versammlung. Zuerst hieß es die Filid aus Irland zu verbannen, da sie eine schwere Last bedeuteten und nur schwer zu beherrschen waren. In der Tat kamen jedem ollamh dreißig, jedem anroth fünfzehn Gefolgsleute zu, da er in der Dichter­ hierarchie nach dem ollamh stand. Zu jener Zeit gehörte fast ein Drittel der Iren der Klasse der Filid an. Zu Samain und Beliebte quartierten sie sich bei den Männern Irlands ein.“52 Der Plan scheitert jedoch schließlich daran, daß die Filid, die nach Schottland fliehen wollten, sieben Jahre lang am Hofe Conchobars, des Königs von Ulster Unterschlupf fanden, der ihnen Cuchulainn entgegengesandt hatte.51 Diese Episo­ de ermangelt jedoch keineswegs einer gewissen Feindseligkeit. Die Kirchen­ gelehrten des Hochmittelalters hatten keinerlei Grund dazu, den Überresten der alten, vorchristlichen Priesterklasse sonderlichen Respekt zu zollen. Der Auszug genügt dennoch allemal, um zu belegen, wann die Filid ihre Tätigkeit ausführten und vor allem in welche Jahreszeit Samain fiel. So ist es sicherlich kein Zufall, daß sich die Erben und wesentlich minder bemittelten Nachfolger der Filid dage­ gen sträuben, ihre Kunst im Sommer preiszugeben. Ihre Inspiration hatte den Winter und dann den Einbruch der Nacht abzuwarten.54 Wenn das Samainsfest später also zu Allerheiligen und zum Totenfest wurde, dann nicht nur, weil es sich dabei um das wichtigste irische Fest handelte, sondern auch weil es ein Vorspiel der Dunkelheit in sich birgt.55 Es ist der Zeitpunkt der Entscheidungsschlacht zwischen den Göttern, den Tüatha De Dänann und den Fomoire, die die Mächte des Bösen symbolisieren. Und wenn die Ereignisse nicht in einem Tag über die Bühne gebracht werden können, dann werden sie ein Jahr später fortgesetzt. Alles, was sich im Zeitraum außerhalb der Sawamsfestlichkeiten vollzieht, ist unwirklich:

„Eine Woche vor Samain trennten sich die Iren und trafen sich erst am Vorabenden des Festes wieder. Ihre Zahl war sechs mal dreißig Hunderte [18.000], d.h. zwei dreißig Hunderte in jedem Drittel.“56 Auch der bereits zitierte Fall des durch seine Krankheit völlig entkräfteten Cuchulainn liegt ähnlich. Nachdem er die beiden Botinnen des Sid in Schwanen-

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gestalt verletzt hat, schläft der junge Held ein. Nun nehmen die Botinnen ihre Menschengestalt wieder an, um ihn so auszupeitschen, daß er schwer krank wird. Man trägt ihn nach Hause

„und er blieb bis zum Jahresende an diesem Ort, ohne mit jemandem zu sprechen. Dann umscharten ihn am Ende des Jahres, vor dem nächsten Samainsiest die Ulaten in seinem Haus. [...] Da trug es sich zu, daß sich ein Mann bei ihnen im Haus einfand und sich vor das Bett setzte, in dem Cuchulainn lag.“

Die Geschichte nimmt eine schlimme Wendung, da Cuchulainn in der Folge wahnsinnig wird. Doch wird er beim nächsten Fest schlagartig von seiner Schwäche­ krankheit geheilt.57 Hier ein Beispiel, wie der Ablauf eines Samainsfestes an ei­ nem irischen Hof aussehen konnte. Der Text, aus dem wir die Beschreibung zitie­ ren, gehört zum Ossianzyklus. Es handelt sich dabei um den Brüden bheg na hAlmaine („Die kleine Villa Aliens“). Er ist ziemlich spät verfaßt, und die Hand­ schrift stammt aus dem XVIII. Jahrhundert. Die Adeligen Irlands sind in großer Zahl bei Finn versammelt. „Dann setzte sich Finn auf den Heldenstuhl in der Mitte der Villa und Goll, der Sohn Momas nahm auf dem anderen Heldenstuhl Platz; die Ade­ ligen ihrer beiden Gefolge setzten sich zu ihrer Seite. Jeder setzte sich je nach seinem Adel und seiner Herkunft auf den ihm vorbestimmten und gebührenden Platz, so wie es seit jeher und überall ihr Brauch war. Da erhob sich eine Menge Diener, um die Villa zu bedienen und zu versorgen. Sie nahmen mit Edelsteinen verzierte Trinkschalen mit reinen Kristallen zur Hand, von denen ein jeder Kelch von vollendeter Kunst war. Und man servierte diesen guten Kriegern starke und vergorene Getränke, angenehme und süße Liköre. Bei den jungen Leuten wuchs der Frohsinn, bei den Kriegern Kühnheit und Witz, bei den Frauen Süße und Scheu, bei ihren Dichtem das Wissen und die Gabe der Prophezeiung. Da erhob sich ganz plötzlich und gerade ein Herold. Er schwang eine grobe Eisenkette, um die Diener und Lümmel zum Schweigen zu bringen. Er schwang eine lange Kette von altem Silber, um den Adeligen und den Herren der Fianna, sowie ihren Männer der Kunst Einhalt zu gebieten. Alle hörten still zu. Da erhob sich Fergus mit dem weißen Mund, der File Finns und der Fianna. Er sang Lieder, Liebeslieder und schöne Gedichte über die Vorfahren und Eltern im Beisein Finns, dem Sohn Cumalls. Finn und Oisin belohnten den Dichter reichlich mit den vornehmsten Schätzen und Reichtümern. Dann begab sich der File zu Goll, dem Sohn Momas und trug ihm Legenden von Festungen, Zerstörungen, Raubzügen und Braut-

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Werbungen seiner Vorfahren und Eltern vor. Die Söhne Momas waren froh und guten Mutes aufgrund dieser Dichtungen.“58 Wie auch in den meisten anderen Erzählungen, die uns heute noch zur Verfü­ gung stehen, so verfügen wir lediglich noch über die Beschreibung des Festgela­ ges (wo als alkoholische Getränke sicherlich Bier und Met serviert wurden). Alle religiösen und zeremoniellen Bestandteile des Festes wurden bewußt ausgespart. Abgesehen davon jedoch, werden wir uns schwer tun, hier auch nur den leisesten Hauch von Christianisierung zu spüren.

2. DAS PFLICHTFEST Samain ist in erster Linie ein Pflichtfest von genau vorgeschriebener Dauer, wobei der Begriff eines „Pflichtfestes“ im Zusammenhang eines vorchristlichen Festes, dessen wichtigste, rituelle Züge uns heute unbekannt sind, zwar fraglich, aber zweckdienlich ist, um seine zwingende Universalität zu unterstreichen. Eine solche Feierlichkeit wurde würdig begangen:

, Jedes Jahr hielten die Ulaten eine Versammlung ab, und zwar drei Tage vor, drei Tage nach und am Tage Samains selbst. Das war zur Zeit, zu der die Ulaten sich in der Ebene von Murthemne befanden und die Versamm­ lung Samains alljährlich abhielten. Es gibt nichts in der Welt, was sie in dieser Zeit nicht gemacht hätten: Spiele, Zusammenkünfte, Prunk und Pracht, gute Kost und Festmahl. Daher stammen die drei Tage Samains in ganz Irland.“59 Oder auch: „Conchobar selbst bediente sie beim Samainsfest, da eine solch große Menge versammelt war. Die große Schar mußte deshalb versorgt werden, da jeder Mann, der sich in der Samainsnacht nicht in Emain befand, den Verstand verlor, und am nächsten Morgen bereits sein Grabhügel und stein errichtet wurden. Doch verfügte Conchobar über große Vorräte. So zeichneten sich bei ihm die drei Tage vor und nach Samain durch ein Fest im Hause Conchobars aus.“60

Drei Tage vor und drei Tag nach dem eigentlichen Festtag entsprechen in etwa den heutigen Allerheiligenferien. Doch sehen wir, daß dieses Fest bei den Kelten nichts Düsteres an sich hatte. Und der Speiseplan, der als Teil des Markenzeichens dieses Festes verstanden werden darf, kann durchaus mit den ziemlich weltlichen Tischfreuden verglichen werden, denen wir uns heute nach Lust und Laune zu Weihnachten und Neujahr hingeben. Der einzige Wermutstropfen in der ganzen Geschichte ist wohl die Todesstrafe, die all jene trifft, die sich ein Fehlen an der

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Zeremonie anmaßen. Schon allein deshalb dürfen wir keinen Augenblick an der religiösen Grundlage des Samainsfestes zweifeln. Ein Fest, dem man nur unter Gefahr des Wahnsinns oder des Todes entgehen kann, ist ein hohes Ritual. Uns sind leider nur noch vereinzelte Andeutung auf die Riten des ersten Novembers erhalten, doch kann die verpflichtende Anwesenheit durchaus als eine solche ver­ standen werden. Das Datum ist nun aber so selbstverständlich, daß es in mehreren Fällen nicht eigens erwähnt wird. Doch wird die Anwesenheitspflicht immer wieder unterstri­ chen. Das ist auch in der Erzählung von der Gründung des Gebietes Tarn der Fall. Hier stoßen wir außerdem auf einen Hinweis bezüglich der Regelmäßigkeit des königlichen Festes von Tara 61 (alle drei Jahre) sowie auf einen Speiseplan: „Zur Zeit von Fergus Cerball kamen die Ui Neill einmal zum Gespräch nach Magh Breg und brachten Folgendes vor: Sie befanden das Landgut von Tara als zu groß; das bezog sich vor allem auf die Ebene, die sieben Wachposten auf jeder Seite zählte. Sie wollten die Ausdehnung dieser Ebe­ ne beschränken, da es ihnen zwecklos schien, daß so viel Land brach läge, da keine Häuser darauf standen, kein Ackerbau betrieben wurde und es auch sonst nicht vom Hause Tara genutzt wurde. Alle drei Jahre mußten sie die Männer Irlands sieben Tage und sieben Nächte lang unterhalten und verköstigen. Und so kamen sie zum Festmahl Diarmaids, dem Sohne Cerballs: Kein König kam ohne seine Frau, kein Häuptling ohne seine Gat­ tin und kein Krieger ohne ...?; alles niedere Volk kam mit der Geliebten, jeder Herbergsvater mit seiner Begleiterin, jeder Bursch mit seinem Mäd­ chen, jedes Mädchen mit ihrem Burschen und jeder Mann mit seinem Hand­ werk.“ Die Könige und Doktoren setzten sich zu Seiten Diarmaits, des Sohnes Cerballs [dem obersten König], das heißt, Könige und Doktoren nahmen zugleich, die Krieger zusammen mit den Seeräubern Platz; die jungen Män­ ner und Mädchen und das stolze und eitle Volk setzte sich in die Räume zu beiden Seiten der Türen. Und jedem wurde die ihm zustehende Portion erteilt: da gab es ausgewählte Früchte, Rind, Schwein und Schinken für die Könige, Doktoren, Adeligen und die alten Freien unter den Iren; Diener und Dienerinnen hatten aufzuteilen und zu servieren; für die Krieger und Seeräuber gab es rotes Fleisch auf Eisenspießen mit Cerevisia, neuem Bier und Molke, wobei sie von den Narren und Mundschenken bedient wurden, die ihre Portionen aufteilten; die Köpfe, Füße und niedrigen Teile [?] waren den Kutschern und Jongleuren bestimmt, wobei es den Pförtnern zukam, unter ihnen aufzuteilen und ihnen zu servieren; Kalb-, Schaf- und Schwei-

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nefleisch und den siebten Teil, gab es draußen für die jungen Leute und Mädchen, da ihre Freude sie befreite [?] und ihr Rang [?] sie erwartete [?]. Söldner und freie Dienerinnen teilten unter ihnen auf und bedienten sie.62

3. SAMAIN UND DIE „DRITTE KLASSE“ Hinsichtlich der Informationen, die wir heute zur keltischen Gesellschaft ha­ ben63, dürfen wir uns natürlich nicht vorstellen, daß der Klasse der Bauern und Handwerker die größte Rolle in diesem Fest des ersten November zukam. Ganz offensichtlich war Samain gar kein Fest mit landwirtschaftlichem Aspekt. Neben der bereits erläuterten Öffnung des Sid zeichnet sich eine gewisse Form der Opfergabe ab. In den Versdindshenchas von Mag Siecht ist vom berühmten Götzenbild namens Cromm Cruaich „Kreis des Grabhügels“ die Rede.

„Ihm opferten sie rühmlos armselig und bemitleidenswert ihre Nachkommen mit großem Klagen und Wehleid und vergossen ihr Blut um den Cromm Cruaich.

Weizen und Milch forderten sie von ihm im Tausch gegen ein Drittel ihrer Nachkommen. Groß waren Schrecken und Leid. Ihm gehorchten die strahlenden Gaelen wegen dieser Ehrerbietung - zahlreichen Verbrechen heißt die Ebene Mag Siecht

Hierher kam auch Tigemmas, der Prinz des fernen Tara, in einer Samainsnacht, mit großem Gefolge; eine Tat, die ihnen noch großen Kummer bereiten würde.“ 64 Die Prosadindshenchas erzählen in etwa denselben Vorfall. „Woher kommt der Name Mag Siecht? Das ist nicht schwer. Es handelt sich nämlich hier um den Ort, an dem sich das königliche Götzenbild Ir­ lands befand, welches man Crom Cruaich nannte und um welches zwölf

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steinerne Götzenstatuen standen, es war aus Gold und stellte den Gott all jener Völker dar, die vor dem Heiligen Patrick die Macht in Irland innege­ habt hatten. Ihm wurden die Erstgeborenen aller Würfe und alle ersten Nachkommen einer Sippe geopfert. So kam auch Tigernmas, der Sohn Follachs, des Königs von Irland, mit den Männern und Frauen Irlands nach Samain, um ihm Ehre zu erweisen und sich vor ihm niederzuwerfen. Dabei verletzten sie ihre Stirn, den Nasenknochen, ihre Knie und ihre Ellenbogen so sehr, daß drei Viertel der Iren bei diesem Fußfall starben. Daher stammt auch der Name ‘Ebene des Fußfalls’.“65 Wir geben nicht viel auf die historische Verbürgbarkeit dieses Dokuments, zu­ mindest was die Beschreibung des Opferrituals betrifft, der eher auf das Alte Te­ stament denn auf keltische Traditionen zuriickgeht. Wir behandelten die Frage des Mag Siecht bereits an anderer Stelle und haben dem nichts hinzuzufügen, da es mit Samain nur rein zufällig zu tun hat. Es ist jedoch für die Atmosphäre des Festes charakteristisch, daß diese christliche Anspielung auf angenommene vor­ christliche Opfer selbst mythisch ist. Derselbe mythische Charakter kommt auch den Namen Tigernmas und Follach zu, bei denen es sich um Herren von der an­ dern Seite des Grabes handelt.66 Auch an die Rasse der Nemed wurden seitens der Fomoire solche übertrieben hohen Anforderungen gestellt.

„Dann gerieten die Kinder Nemeds in Irland in große Unterdrückung [unter] More, dem Sohn Delas und Conands, dem Sohn Febars. [Nach dem heute der Turm von Conand benannt ist, der auch Toirinis Cetne heißt. Hier lag die große Flotte der Fomoiren.] Jeden Samain [mußte] ein Drittel des Weizens und der Milch der Iren nach Mag Cetne [gebracht werden]. Die Iren waren über die Höhe dieser Steuer wütend und empört. So zogen sie aus, um die Fomoiren zu bekämpfen...“67 Erst zu einem späteren Zeitpunkt dieser mythischen Ereignisse widersetzen sich auch die Tüatha De Dänann mit bestem Grund den Fomoire. Sehen wir uns hier die Liste der Vorwürfe an, so können wir zwischen den Zeilen unschwer er­ kennen, worin dieses Fest für die Krieger der irischen Hochepoche bestand:

„Bres war also im Besitz der ihm übertragenen Oberherrschaft. Doch murrten die Tüatha De Dänann gegen ihn, da er ihre Messer nicht fettete und ihr Atem nie nach Bier roch, obwohl sie ihn oft besuchen kamen. Auch ihre Dichter oder Barden, ihre Satiriker oder Harfisten, ihre Musiker oder Hornbläser, ihre Jongleure oder Narren durften sie im Hause des Königs nicht amüsieren. Sie weigerten sich, die Wettkämpfe ihrer Athleten zu be­ suchen. So sahen sie auch nicht die großen Taten ihrer Helden vor dem König, außer Ogme, dem Sohne Etains.“

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„Sie leisteten weder ihre Dienste noch ihre Ausgleichszahlungen an die Stämme und ihre Schätze wurden nicht mehr vom ganzen Stamm ausge­ händigt.“ Die erste Satire (Verwünschung) Irlands wird zu Samain gesprochen. Sie sollte allen Königen als Lehre dafür dienen, was am besten unterlassen werden sollte, um das Schicksal des Bres zu vermeiden:

„Es kam einmal ein Dichter in das Haus des Bres, um dort Gastfreund­ schaft zu erhalten. Es war Coirpre, der Sohn Etans, Dichter der Tuatha De. Er kam in ein kleines, enges und dunkles Haus, in dem er weder Feuer, noch Bedienung, noch ein Bett vorfand. Man brachte ihm drei kleine Bröt­ chen auf einem Teller und sie waren trocken. Als er am nächsten Morgen aufstand, war er unzufrieden. Als er durch den Hof ging, sagte er: „Ohne schnell angerichtete Speise, ohne Kuhmilch, die ein Kalb wachsen läßt, ohne menschliche Behausung in der Finsternis der Nacht, ohne eine Gruppe Erzähler bezahlen zu können, so soll der Reichtum des Bres sein.“ ‘Bei Bres gibt es keinen Reichtum,’ sprach er, und es war wahr. Von dieser Stunde an lebte Bres nur mehr im Ruin. Und dies war die erste Sati­ re, die in Irland gesprochen wurde.“68 Wir wissen wie die Affaire Bres endet. Er kommt als Übergangskönig glückli­ cherweise mit dem Leben davon, muß aber im Namen der besiegten Fomoiren reichliche Ernten für die Zukunft garantieren.6’ Das Samainsfest ist nun der Au­ genblick an dem dieser Reichtum an den Tag treten soll. Der oben zitierte Ablauf des Samainsfestes läßt jedoch klar erkennen, daß zwi­ schen dem Bereich der Priester, der Armee und der Handwerker und Bauern kei­ nerlei „Klassenkampf1 besteht. Außerdem muß ein für allemal klargestellt wer­ den, daß die keltische Mythologie und folglich auch die Tiefenstruktur des Fest­ planes keine historischen Rückschlüsse auf die keltische Vormachtstellung in Eu­ ropa zulassen. Die Hierarchie von König, Druide, Krieger und niederem Volk wird deutlich am Sitz- und Speiseplan der verschiedenen Ränge an der Festtafel.70 Beim Samainsfest sind sehr wohl alle drei Gesellschaftsklassen vertreten. Daß nun die Texte dazu neigen, nur von Persönlichkeiten aus dem Adel zu sprechen, ist ein Merkmal dem wir in allen Epen und Legenden - vom Mahabharata über Homer bis ins Mittelalter - begegnen. Diese Tendenz gilt in der Regel für alle „offizielle“ Geschichtsschreibung, die das Volk immer nur als anonyme Masse versteht. In dieser Hinsicht unterschieden sich die Kelten also keineswegs von allen anderen Indoeuropäem. Es wäre töricht, die einen wie die anderen deshalb anzupreisen

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oder zu verurteilen. Gibt sich der Schweinehirt des Königs Conchobar nach der Rückkehr von seinen ersten Abenteuern ziemlich hoffnungslosen Gedanken zu seinem traurigen Schicksal hin, so geschieht das im Rahmen alter Normen, die jeglicher Gesellschaftskritik entbehren:

„Würden wir wagen, es Dir zu sagen, sagte Ibar, so wäre es an der Zeit für uns, dieses Mal nach Emain zu ziehen, denn dort hat man schon lange damit begonnen, Speis und Trank zu verteilen. Dir kommt dabei ein beson­ derer Platz zu: Du sollst zwischen den Beinen Conchobars sitzen, während ich nur unter den Dienern und Jongleuren des Hauses Conchobars Platz nehmen darf. Es ist höchste Zeit, daß ich mich mit ihnen raufe.“71 Der Schweinehirt des Königs von Ulster erkennt wie kaum ein anderer die gesellschaftliche Wirklichkeit, die er jedoch mit keinem Wort angreift. Wir kön­ nen abschließend also festhalten, daß das Fest die gesellschaftlichen Gegebenhei­ ten und Hierarchien beibehielt, und trotzdem oder gerade deshalb keine Klasse ausschloß. Eine tiefergreifende Analyse scheitert an der Natur der uns zur Verfü­ gung stehenden Texte: Mag Siecht, bei dem eine irische Neuinterpretation eines rein biblischen Umstands keineswegs ausgeschlossen werden kann, findet sich in den Dindshenchas und in den Sammlungen des Buchs der Eroberungen. Es hat also keinen Platz in der urkeltischen Mythik oder Kriegsepik. In allen Fällen spie­ len Krieger und Druiden die Hauptrolle. Wie sollte da von bäuerlichen Volksfesten die Rede sein?72 Sie verspeisen hier ja nur einen Teil der Ernte und der Früchte Irlands: „Irland hatte einen berühmten König, Cormac, den Sohn Conns. Zu jener Zeit gab es auch einen König von Ulster, und zwar Fergus mit den schwarzen Zähnen. Fergus hatte zwei Brüder: Fergus mit dem langen Haar und Fergus, das „Feuer von Breg“. Damals hielt sich das Gefolge Cormacs und die Gefolge aller irischen Könige in Tara auf, um das Fest von Tara abzuhalten, welches fünfzehn Tage vor, fünfzehn Tage nach und am Samainstag selbst abgehalten wurde. Der Grund, weshalb sie sich jedes Jahr versammelten, war die Reife der Eicheln und des Obstes.“73

4. DAS FEST DER KRIEGER UND DAS KÖNIGLICHE FESTGELAGE Die irischen Krieger pilgerten nun jedoch sicher nicht nach Mag Siecht, um sich die Ellenbogen zu zerstoßen und das Nasenbein zu zertrümmern. Das war nicht ihre Art:

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Im Jahre, in dem die Provinz Ulster in drei geteilt wurde, wurde das Samainsfest bei Conchobar in Emain Macha veranstaltet. Es gab dazu Festmet: hundert Faß von jedem einzelnen. Die Offiziere Conchobars sagten, daß der noblen Ulaten nicht zu viele sein könnten, da das Fest so reichlich bestückt war.“74 Der Met ist der Trunk der Unsterblichkeit, eine Eigenschaft die er mit dem Wein und dem Bier teilt.75 Es ist daher durchaus möglich, daß die Nichterwähnung des Biers lediglich auf eine Auslassung des Schreibers zurückzuführen ist. Die Abwesenheit des Weines hat hingegen nichts Überraschendes an sich: Im Irland des Hochmittelalters handelte es sich hierbei um ein ebenso seltenes wie teures Genußmittel. Das Bier hingegen floß bei allen irischen Festen in Strömen. Als Hilfsmittel zur Annäherung an das Heilige durch den Rausch ist das Bier so das Getränk, welches den Kriegern der Inseln sogar noch vertrauter war als der Met, der eher den Druiden vorbehalten zu sein schien und so dem Soma der indischen Priester vergleichbar ist. Es steht sogar anzunehmen, daß der Bierkonsum obliga­ torisch war, was es sehr wahrscheinlich erscheinen läßt, daß die Morgen und Über­ morgen des ersten November eher schmerzvoll und etwas wirr waren:

„Einmal waren die Ulaten ziemlich berauscht in Emain Macha. Da trug es sich zu, daß sie sich in die Haare gerieten und die Siege ihrer Helden Conall, Cuchulainn und Loegaire verglichen.“76

Das genaue Datum Samains wird zwar nicht eigens erwähnt, doch können wir es mit großer Sicherheit aus Passagen wie dem Serglige Conculaind erschließen, wo erzählt wird, wie die Siegestrophäen in reichlichem Aufruhr gegeneinander abgewogen werden.77 Bei diesen Trophäen handelt es sich um Zungen, während die Helden in der Erzählung vom Mord Conchobars das Hirn vergleichen, welches dem Schädel der Unterlegenen entnommen und auf kleine Bällchen reduziert wur­ de.78 Gleich ob es sich nun um Zungen oder Hirnkugeln handelte, das Prinzip bleibt immer dasselbe. Trunk und Hader gehen immer und überall Hand in Hand und stellen den Hintergrund der Schlußatmosphäre des Festes dar, wie es in allen epischen und mythologischen Erzählungen dargestellt wird. Die Auswirkungen auf die Phantasie lassen sich unschwer aus den Übertreibungen und über­ schwänglichen Lobliedern erkennen. Auch wenn viel gesoffen wurde, so heißt das keineswegs, daß das Essen zu Samain deshalb hintan gestellt wurde. Im Zuge einer nüchternen, dichterischen Namensaufzählung gibt sich ein Vierzeiler mit folgender Beschreibung zufrieden: „Fleisch, Bier, Nüsse, Schlackwurst, gehören ebenso zu Samain wie

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lustiges Lagerfeuer auf einem Hügel Buttermilch, Brot und frische Butter.“79 So mancher eifriger Festefeierer würde dabei heute wohl das Gesicht verzie­ hen. Aber auch die bereits zitierten Passagen des Sawainsgelages eines sagenhaf­ ten Königs von Tara widersprechen diesen Angaben: Da erging es schon den Ärm­ sten besser als all denen, die mit den Gaben dieses Vierzeilers beschert wurden. Mehr Details zum genauen Ablauf des Festes entnehmen wir aus Erzählungen wie der, die uns vom Tod des Königs Muirchertach von Erca berichtet:

„Dann begab sich der König mit seinem Gefolge in die Festung. Nach­ dem sie einen Augenblick lang dem Kampf zugesehen hatten, brachte man ihnen etwas Wasser der Boyne und der König sagte dem Mädchen, sie solle Wein daraus machen. So füllte das Mädchen drei Fässer voll Wasser und legte einen Zauber auf sie. Nie hatten sie besseren und stärkeren Wein in der ganzen Welt bekommen. Dann bereitete sie geheimnisvolle Zauber­ schweine aus Famen zu. Sie verteilte den Wein und die Schweine an die Armee und sie aßen und tranken, bis sie satt waren. Dann versprach sie ihnen, sie jeden Tag bis in die Ewigkeit so zu versorgen. Und Muirchertach sprach: ‘Noch nie gab es hier eine Speise, wie die, die hier vor Euche steht.’“80

Sin, die junge Frau, von der hier die Rede ist, war zuvor als Zauberwesen des Sid bezeichnet worden. Angetan von ihrer großen Schönheit will Muirchertach sie zur Frau, eher aber zur Liebhaberin nehmen, da er den drakonischen Bedingungen seiner rechtmäßigen Gattin aber auch seines Ratgebers, des Bischofs unterliegt... Das Schweinefleisch und der Wein, das Bier und der Honigwein ermöglichen den Zugang zur Anderen Welt. Könnte man von angenehmerer und nahrhafterer Spei­ se träumen, auch wenn sie nur dem flüchtigen Augenblick des heiligen Rauschs entspringen. Doch birgt ihr Verzehr so manche Gefahr, denn der häufige Verkehr und die Freuden mit den Wesen der Anderen Welt sind weder kostenlos, noch auf die leichte Schulter zu nehmen: „Das Geschlecht Tadgs, dem Sohne Cians, wachte diese Nacht nach dem Verzehr des Druidenmahls über den König. Als der König am näch­ sten Morgen aufstand, war es, als wäre er in tiefe Sehnsucht verfallen, und so ging es allen, die vom geheimnisvollen und druidischen Wein und Fleisch gekostet hatten, die Sin beim Festmahl serviert hatte.“81

Doch schreibt die Erzählung vom Cath Mucrime („Schlacht von Mucrime“) auch von Schweinen die zwar aus dem Sid stammen, deshalb jedoch keineswegs eßbarer oder sympathischer sind:

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„Bei Mag Mucrime kamen Zauberschweine aus der Höhle Cruachans, die die Höllenpforte Irlands ist. Aus ihr kam auch der dreiköpfige Vogel, der in Irland wüstete, bis Amorgen, der Vater Conall Cemachs ihn im Zwei­ kampf vor den versammelten Männern Ulsters tötete. Aus ihr kamen auch die roten Vögel, die alles zum Verwelken brachten, was ihr Atmen berührte, bis die Männer Ulsters sie mit ihren Steinschleu­ dern umbrachten. Hierher stammten also diese Schweine. Alles, was sie berührten, trug sieben Jahre weder Gras noch Laub. Versuchte man sie zu zählen, so blie­ ben sie nicht an Ort und Stelle und wechselten ihren Standort wieder, so­ bald jemand erneut versuchte, sie zu zählen. Deshalb zählte man sie nie ganz. „Da sind drei Schweine,“ sagte der eine, „Nein mehr, sieben,“ sagte ein anderer. „Neun sind’s,“ meinte ein nächster, „elf Schweine“, „dreizehn!“ Es war also ebenso unmöglich, ihre Anzahl zu ermitteln, wie sie zu töten, denn sobald man auf eines einschlug, verschwand es.“82 So kam es denn auch, daß viele Schweine als mythisch oder als verzauberte Farne angesehen wurden: Es genügte keineswegs, zu Samain den Crom Cruaich, das gierige Götzenbild zufriedenzustellen, welches der Heilige Patrick schließlich zerschlug. Jeder hatte seinem Lehnsherren ein Schwein, das fuirec abzuliefern, welches im O’Davoren lakonisch als normale Abgabe bezeichnet wird: „Fuirec, heißt die Speise, die dem Herren vor Weihnachten gebracht wird, ut est faer, fuirec, etc. d.h. das Samamsschwein.“83

Was den Wein betrifft, so stammte er schon seit den ersten Jahrhunderten unse­ rer Zeitrechnung aus Gallien: „So ging Forgall Manach also in gallischem Gewand nach Emain, ganz als ob sie [er und seine Eskorte] gallische Gesandte des Königs wären, die mit einem Geschenk, Goldschmuck und gallischem Wein kamen, um mit Conchobar zu sprechen.“84

Auch dieser Wein war natürlich keineswegs mythischer Natur. Vielleicht störte der Preis gelegentlich die Zaunkönige der Kantone und der verschiedenen Stäm­ me, doch konnte sich da ja auch mit Bier und Met beholfen werden. Die Hauptsa­ che war ohnehin, daß es Speise und Trank im Überfluß gab, um das Fest der Menschen dem der Götter so ähnlich wie möglich werden zu lassen. Aber auch als Opfertier taucht das Schwein oft in den irischen Erzählungen auf. Schon der heilige Adamnan bestätigt im 7. Jahrhundert, daß man dieses aus­ gezeichnete Lebensmittel in großen Herden während des Herbstes mästete, um es zum Winteranfang, d.h. zum Samainsfesl zu schlachten.85 Sofort denken wir an

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die Schweineherden, die zwei Wahrsager (zwei Druiden!) in der eigenartigen und wirren Erzählung der Vorstellung der beiden Schweinehirten bewachen. Wir ha­ ben es hier zweifellos um den mythischen Aspekt eines konkreten und sehr gängi­ gen Brauches zu tun:

„Hier die Geschichte von der Freundschaft zweier Schweinehirten: Gab es Eicheln in Munster, so ging der Schweinehirt aus dem Norden in die südlichen Gefilde, um seine Tiere zu mästen. Gab es Eicheln im Norden, so zog der Schweinehirt aus dem Süden mit seinen mageren Schweinen in den Norden und kam mit fetten Tieren wieder zurück.“86 Dies wirft neues Licht nicht nur auf das Schwein von Mac Da Tho, um das sich Connaught und Ulster so heftig streiten, sondern auch auf die Wahrsager, deren Wahrzeichen oft das (Wild-)Schwein ist:

„Dieser Kampf fand 300 vor Christi Geburt statt. Man tötete das Schwein von Mac Da Tho. Sieben Jahre lang war es von sechzig Kühen genährt worden. Sie hatten es mit Gift genährt, denn es war der Grund des großen Massakers der Iren gewesen. Vierzig Ochsen zogen das Schwein neben anderen Speisen herbei.“87 Auch die Folge dieser Geschichte reiht sich - mit all dem Streit und Zank, der zum großen Gemetzel unter den anwesenden Kriegern führt - in die Tradition der Samainsnacht ein, zu der nun einmal auch der Untergang in Honigwein und Bier gehört. Die wichtige Rolle, die dem Schwein bei diesem Fest zukommt, wurde bisher praktisch völlig außer Acht gelassen. Suchen wir jedoch etwas weiter, so treffen wir bald auf die berühmten Schweine Manannans oder aber auch die Twrch Trwyth der walisischen Mabinogi, die wir hier nicht näher eingehen wollen.88 Erwähnen wir jedoch abermals, daß es sich beim Schweinehirten in der Tat um ranghohe Druiden des Königshofes handelte. Der bekannteste unter ihnen war denn auch der Heilige Patrick in Person, was ihm das Recht verlieh, sein eigenes Samainsfeuer gegen das der Druiden Taras zu entfachen. Indirekt jedoch können wir durch dieses Tier Rückschlüsse auf den Schutz­ herrn dieses Festes ziehen. Gott Lug selbst, dem auch in der christianisierten, bretonischen Form noch der Beiname Huccan „Ferkel“ zukommt, während die gallische Inschrift des Mercurius Moccus auf eine gewisse Fehlinterpretation die­ ses Umstands schließen läßt.89 Wir können heute mit Recht behaupten, daß das Samainsfest eine ganz bestimmte Ausrichtung hatte: Es wurde hier rituell das Fleisch des dem Gott Lug geweihten Tieres verzehrt (daß sich das Wildschwein in zahlreichen gallischen Wappen wiederfindet, ist natürlich auch kein Zufall). Die­ ses Fest, bei dem sich die Krieger versammelten, um ihre Trophäen zur Schau zu stellen und ihre Heldentaten zu erzählen und, nachdem sie sich betrunken hatten,

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um das beste Heldenstück zu streiten, ist auch und vor allem kriegerischer Natur. Da es Anfang November stattfmdet, schließen wir, daß es die Kriegssaison rekapi­ tuliert, verdichtet und abschließt. Wir nehmen außerdem mit gutem Grund an, daß es sich bei allen in den scela oder Epen beschriebenen Festgelagen um Samainsfeste, also um rituelle Feiern handelte, die sich einem komplexen System von Riten eingliederten. Es ist nur allzu sehr zu bedauern, daß uns zum eigentlichen religiösen Fest und der Opfer­ zeremonie (eines Schweins oder eines Stiers?) nur Bruchstücke überliefert sind. Dennoch ist es nicht untersagt, mit diesen Spuren Vergleiche anzustellen und un­ sere Schlüsse zu ziehen.

5. DAS KÖNIGLICHE UND GESETZLICHE FEST Die verpflichtende Natur des Samainsfestes verleiht ihm legalen Charakter. Es wird vom König veranstaltet, der zwar ursprünglich Krieger war, dem nun jedoch als Gesetzgeber und Rechtsprecher zugleich die schwere Aufgabe zukommt, das Wohlergehen seines Königreichs sicherzustellen. Wir sahen bereits, daß nicht nur Conchobar, der König von Ulster, sondern ebenso Mac Da Tho ihre Gäste beim Festmahl selbst bedienen. „Die Regelungen, Gesetze und Pflichten wurden bestimmt, und die Mei­ nungen der Männer Irlands wurden bei dieser Versammlung eingeholt. Zu jener Zeit gab es drei große Versammlungen, und zwar das Festmahl von Tara zu Samain - denn das war das Ostern der Heiden - und alle Männer Irlands halfen dem König, diese Versammlung abzuhalten, den Jahrmarkt von Tailtiu zu Lugnasad und die große Versammlung von Uisnech zu Belteine. Die Vorbereitungen zum Festmahl von Tara dauerten sieben Jah­ re, so daß diese Vollversammlung aller Männer Irlands beim Festmahl von Tara nur alle sieben Jahre stattfand.“90 Die Wiederkehr des Festes von Tara scheint auf den ersten Blick ein heikles Thema zu sein, da es nicht in allen Texten gleich beschrieben wird. Für den Autor des Buches der Gesetze - sicherlich die zuverlässigste Quelle, die vom Festmahl in Tara im Zuge der Aufzählungen von Rechten und Vorrechten der Landes- und Provinzherren spricht - fand es nur alle sieben Jahre statt. Der König von Ulster

„mußte seinen Platz am Uisneach bezahlen, indem er sich alle sieben Jahre auf ihm niederließ. Allen anderen Provinzkönigen kam dasselbe Recht zu. Danach forderten jene den König von Tara auf, das Festmahl von Tara abzuhalten. So nahmen die Könige der Provinzen ihre Plätze am Uisneach

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ein, und die Bezahlung und der Preis, den sie entrichteten war folgender: Wenn er sich von seinem Stuhl erhob, um zu trinken, ließ er den „Helden­ ring“ aus Rotgold, den jeder Fürst an der Hand trug, dort zurück. Denn wenn diese Könige beim Festmahl von Tara gespeist hatten, wurden die Versammlungen Irlands für sieben Jahre aufgelöst, so daß sie keine Ent­ scheidungen über Schulden, Schuldner und sonstige Streitigkeiten trafen, bis nach sieben Jahren.“91

Für den Schreiber der Krankheit Cuchulainns fand diese Versammlung hinge­ gen jährlich statt.92 Auch die Erzählung der Geburt von Aedh Slaine spricht von einer jährlichen Wiederkehr des Festes:

„Das ‘Tara der Könige’ selbst gehörte immer dem König, der die Ober­ herrschaft über Irland innehatte. In der Regel wurden hier alle Fragen des Rechts, der Abgaben und der Steuern der Iren geregelt. Außerdem kamen die Iren aus allen Gegenden hierher, um zu jedem Samain das Fest von Tara abzuhalten. Denn die Iren feierten zwei große Feste: Zu jedem Samain das Fest von Tara - das dem heidnischen Osterfest entsprach - und den Jahrmarkt von Tailtiu zu jedem Lugnasad. Niemand hätte gewagt, gegen ein Gesetz oder eine Regel zu verstoßen, die bei einem dieser beiden Feste von den Männern beschlossen wurde.“93 Keating geht in seiner Geschichte Irlands wiederum davon aus, daß es alle drei Jahre abgehalten wurde, und seine Beschreibung hilft uns, den eben zitierten Aus­ zug aus dem Buch der Gesetze besser zu verstehen: „So stellte das Festmahl von Tara eine königliche Vollversammlung dar, bei der sich alle Doktoren [=Druiden] Irlands, wie in einem Parlament alle drei Jahre zu Samain in Tara zusammenfanden, um die Regelungen und Gesetze zu erlassen und zu erneuern und die Annalen und die Archive Irlands zu beglaubigen. Jedem Adeligen Irlands stand hier gemäß seines Rangs und Titels ein bestimmter Platz zu. Auch einem jeden Anführer, der die Soldaten des Königs oder die Herren Irlands befehltigte, war ein Stuhl vorbestimmt. Es war ebenso Brauch beim Festmahl von Tara, daß jeder, der eine Gewalttat oder einen Diebstahl beging oder einen anderen mit Waffen angriff oder schlug, hingerichtet wurde, wobei nur dem König und nie­ mand anderem die Befugnis zukam, jenem eine solche Tat zu vergeben. So verbrachten sie gewöhnlich sechs Tage bei gemeinsamem Trinken, bevor sie sich zur königlichen Versammlung begaben, das heißt eigentlich drei Tage vor und drei Tage nach dem Samainsfest, wobei sie Frieden und Freundschaftsbunde untereinander schlossen.“99

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Etwas weiter verfallt Keating mit einer Beschreibung, die wir bereits bezüglich der heiligen Geographie des irischen Omphalos erwähnten, wieder ins Detail:

„Die vierte königliche Festung lag im Teil, den Leinster Midhe überge­ ben hatte. Hier fand alle drei Jahre das Fest von Tara statt, bei dem allen Göttern Tlachtghas (wie bereits erwähnt) Opfer dargebracht wurden. Diese königliche Versammlung, welche also das Fest von Tara genannt wurde, wurde öffentlich angekündigt. Hier wurden Gesetze und Bräuche beschlos­ sen und die Annalen und Altertümer Irlands verabschiedet, so daß alle Be­ schlüsse von den obersten Doktoren in der Liste der Könige verzeichnet wurden, die das Psalmenbuch von Tara genannt wird. Jeder Brauch und jede Annale, die mit diesem großen Buch nicht übereinstimmte, galt nicht als echt.“95

Wir wollen dem die interessanten Informationen zum Erlaß des Festes von Tara anfügen:

„Kein Doktor oder Geschichtsgelehrter hätte es vernachlässigt, die Na­ men der adeligen Landesherren nach ihrem Rang und Titel im Register des Festmahls von Tara aufzulisten. Auch die Namen aller Truppenführer, de­ nen der Oberbefehl über die Verteidigung und den Schutz bestimmter Kan­ tone Irlands zukam, wurden von den Doktoren schriftlich festgehalten. Vom Prinzen mit all seinen Besitztümern bis zu den Anführern der Truppen wurden alle von ihren Schildträgern begleitet. Der Festsaal war lang und schmal und die Tische waren entlang der Wände aufgestellt, an denen Stän­ der mit zahlreichen Haken über der speisenden Gesellschaft angebracht waren. Zwischen jedem Haken war gerade der Platz eines Schildes. Der Geschichtsgelehrte hängte die Schilde daran auf, bevor die Adeligen und Krieger darunter Platz nahmen. Den besitzenden Prinzen kam die Wahl der Wandseite zu, während die Krieger auf der anderen Seite zu sitzen hat­ ten. Die Doktoren nahmen am Ende des Saales Platz, während die Unterge­ benen die Gesellschaft von der anderen Seite her bedienten. Weiters war es Brauch, daß niemand, weder Prinz noch Krieger auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches Platz nahm, sondern daß jeder mit dem Rücken zur Wand an der einen Tischseite unter seinem eigenen Schild saß. Im Speisesaal waren außerdem keine Frauen zugelassen. Sie hatten ihren eigenen Saal, in dem sie bedient wurden. Eine andere Sitte war es, daß alle vor dem Beginn des Festmahls den Saal zu verlassen hatten, und nur mehr drei Personen übrigblieben: Ein Geschichtsgelehrter, ein Bollsaire oder Hausmarschall und ein Bote, der die geladenen Gäste dann mit einer Trompete oder einem Hom wieder in den Speisesaal rief. Er stieß dreimal

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ins Hom. Beim ersten Stoß versammelte sich die Menge der Schildträger der Adeligen vor dem Tor des Speisesaals; der Bollsaire nahm jedem Ade­ ligen nach seinem Rang das Schild ab und hing es nach den Anweisungen des Geschichtsgelehrten an den passenden Platz. Stieß der Herold ein zwei­ tes Mal ins Hom, kamen die Schildträger der Krieger vor das Tor des Spei­ sesaals. Abermals nahm ihnen der Bollsaire die Schilde ab und hing sie nach den Anweisungen des Geschichtsgelehrten auf der anderen Seite der Festtafel auf. Dann blies der Herold ein drittes Mal in sein Hom, um den Einlaß für die Adeligen und Krieger in den Speisesaal zu verkünden. Jeder nahm unter seinem Schild Platz und es gab diesbezüglich keinen Streit und Zank.“96 Doch ist im Acallam na Senorach, dem „Gespräch der Alten“ auch von einem anderen Festmahl in Tara die Rede, welches sechs Wochen dauerte: „Cailte sagte: ‘Danach verbrachten wir ein Monat und fünfzehn Tage während des Festes von Tara im Sidh, bis wir die Geiseln der Tüatha De Dänann für Donn, den Sohn Miders wieder zurückgewonnen hatten’.“97 Auch die Erzählung des Cath Boinde, der „Schlacht an der Boyne“ spricht von dieser Dauer:

„Das Festmahl von Tara wurde von Eochaid Feidleach veranstaltet. Er hatte alle irischen Provinzen außer Meadb und Tindi um sich. Die Männer Irlands baten Eochaid, auch Medb zur Versammlung zu bringen. Also sandte Eochaid seine Botin Seanbluath zu Meadb nach Cruachan. Meadb kam am nächsten Tag nach Tara, und die Spiele der Zusammenkunft wurden einen Monat und fünfzehn Tage lang veranstaltet.“98

Ein bereits zitierter Text99 setzt die Feierlichkeiten auf 15 Tage vor und 15 Tage nach Samain an. Wir wollen aus den erläuterten Gründen100 nicht näher auf historische Punkte eingehen. Doch scheint die Frage nach der Regelmäßigkeit zumindest von der mythischen Ebene her schwer lösbar zu sein, außer wenn wir dazu geneigt sind, den Grund dafür in der Zerstückelung der irischen Königswürde zu sehen. Dem­ nach könnte die Dauer des Samainsfeste von der Höhe des veranstaltenden Wür­ denträgers abhängen, und ließe sich z.B. so staffeln, daß sie jedes Jahr bei den Kantonalkönigen, alle drei Jahre bei den Provinzkönigen und nur alle sieben Jahre beim Obersten König in Tara stattfanden.101 Die bei Keating in allem Detail beschriebene Etikette läßt nun keineswegs auf ein einfaches Ritual der religiösen Zeremonie schließen. Ziehen wir überdies den Wert in Betracht, den die Kelten der menschlichen Zeit im Sid beimaßen, so spie­

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len zeitliche Abweichungen bezüglich der Regelmäßigkeit und der Dauer des Fe­ stes kaum eine Rolle. All das hing wohl viel eher vom Stand des Mondes ab, wobei es wahrscheinlich unbedeutend schien, ob das Fest nun 7, 15 oder 30 Tage dauerte, solange es den ersten November zum Mittelpunkt hatte. Ganz offensichtlich kam auch dem geographischen Ort eine ganz bestimmte Bedeutung zu: „Früher gab es in Irland drei Hauptversammlungen: Das Festmahl von Tara, von Emain und von Cruachan.“102 Die Informationen Keatings ermöglichen es uns, uns ein genaues Bild von den Aspekten bzw. Komplikationen des Samainsfestes zu machen:

- Ein religiöses Fest, das von Druiden zum Wohl der gesamten Gesell­ schaft abgehalten wird (Tier- oder Pflanzenopfer). Dieses zunächst vom Christentum überlagerte und schließlich ganz verdrängte Fest wird von Keating jedoch nur mehr als Erinnerung erwähnt. - Eine Folge von Zusammenkünften und Gesetzesversammlungen, die sich auf die religiöse Grundlage stützen und die Regelung von Justiz­ fragen und der königlichen Verwaltung zum Ziel haben, aber auch die „Ar­ chive“, d.h. die offiziellen Annalen und Stammbäume überprüfen. - Ein Festmahl zu dem alle Würdenträger eines Kantons, einer „Pro­ vinz“ oder aber ganz Irlands eingeladen waren und bei Abwesenheit die Todesstrafe riskierten. Dieser Teil hat die Christianisierung am besten über­ standen und wurde deshalb zum Hauptmerkmal des Festes. Das rituelle Festmahl ist den Männern vorbehalten, wie dies bei militärischen oder aber auch feudalen Feierlichkeiten immer der Fall war. Es handelt sich dabei keineswegs um später hinzugefügte oder von Keating erfundene Bedingungen: Auch beim Samainsfest von Bricriu feiern Männer und Frauen in getrennten Sä­ len. 103 Die Geschichtsgelehrten sind unumgängliche Festorganisatoren. Es bedurfte unbedingt eines hochrangigen Gebildeten, d.h. eines „Fachdruiden“, um sich in den unendlichen Listen der Stammbäume und Aufzählungen von Titeln und Vor­ rechten der geladenen Gäste zurechtzufinden. Deshalb kommt den Geschichts­ druiden auch der Ehrenplatz am Tafelende - höchstwahrscheinlich neben dem König selbst (auch wenn Keating seinen Sitzplatz nicht eigens erwähnt) - zu. Ein weiteres, bewundernswertes Merkmal dieses historisierten Mythos, den uns Keating hier überliefert hat, ist die große Sorgfalt, die der Vermeidung von Konflikten bezüglich der Rangfolge zukommt. Ist dies als Folge so manchen Fests zu verstehen, welches durch Platz- und Rangstreitigkeiten zur Katastrophe ausar­ tete? Die Epen berichten eher von Unfällen, die die schöne Ordnung dieses Fests

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stören: Es wird nicht in äußerer Unordnung Recht gesprochen. Von einem prakti­ schen Standpunkt aus gesehen, hatte sich der König mit Hilfe seines Druiden Re­ spekt zu verschaffen, damit in seinem eigenen Haus dieselbe Ordnung herrschte wie in seinem Reich.104 Die Todesstrafe, die den Störenfrieden der Festordnung droht, geht also weit über praktische Gründe hinaus und bringt uns abermals zu den religiösen Aspek­ ten zurück: In der Anwesenheit der Druiden werden weder Streit noch Gewalttä­ tigkeit geduldet, denn das Festmahl hat nach ihren Wünschen abzulaufen. Es han­ delt sich tatsächlich um eine Art caisc na ngenti „heidnisches Ostern“, wie es die christianisierten Ordalien bezeichnen, nur daß das Osterlamm durch das Tier der Wissenschaft und des Krieges, das Symbol der Priesterklasse, dem Dagda oder Lug geweihten (Wild-) Schwein ersetzt wird. Natürlich handelt es sich bei dieser Benennung um einen Fehler einer späteren Übertragung des Mythos, denn das Datum dieses eigenartigen „Osterfestes“ stimmt mit dem des christlichen keines­ wegs überein. Ganz offensichtlich basiert der Vergleich also nicht auf der Jahres­ zeit, sondern vielmehr auf dem Umstand des Opfers eines heiligen Tieres, was abermals als Indiz dafür gewertet werden darf, daß die religiöse Zeremonie alle anderen Aspekte des Sama/nsfeste an Bedeutung übertraf.

6. DIE IRISCHE KÖNIGSWAHL UND VERSCHIEDENE OPFERRITEN IN IRLAND UND GALLIEN Nur bei einer äußerst seltenen Ausnahme gibt es zur Hauptspeise nicht Schwei­ nefleisch. Dies ist beim Stieropfer im Zuge der irischen Königswahl der Fall:

„Zu dieser Zeit fand eine Versammlung von vier Fünfteln Irlands statt, um einen neuen König für das Land zu bestellen. Es war ihnen unange­ nehm, daß kein König über den Regierungshügel Irlands, d.h. über Tara herrschte, ebenso, wie sie nicht gerne sahen, daß in den Kantonen außer den Bürgern niemand über die höchste Entscheidungsgewalt verfügte. Sie­ ben lange Jahre lang fehlte den Iren seit dem Tode Conaires in Brüden Da Derga die Macht eines Königs, bis sie hier bei dieser Versammlung von vier Fünfteln der Iren im Tara der Könige, im Hause des Kriegerhelden Erc, dem Sohn Coirpres, einen neuen ermittelten. Hier kamen die Könige Medb und Ailill, Cu Roi, Tigemach Tetbannach, der Sohn Luchtes und Find, der Sohn von Ross zusammen. Sie mieden den Rat des Königs der Ulaten, gegen die sie sich verbündet hatten. Nun feier­ ten sie das Stierfest, um festzustellen, wem sie die Königswürde erteilen

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sollten. Als der Mann wieder erwachte, erzählte er, daß er im Schlaf einen jungen, edlen und starken Krieger mit zwei roten Gürteln an der Seite eines kranken Mannes gesehen hatte, der sich in Emain Macha aufhielt. So wurde eine Gesetzesbotschaft nach Emain Macha gesandt. Da hatten sich die Ulaten gerade um Conchobar versammelt, während Cuchulainn krank zu Bette lag. Sie [die Iren] erzählten Conchobar und den Führern der Ulaten ihre Neuigkeiten. ‘In der Tat ist da ein junger, nobler Mann aus gutem Hause unter uns, auf den diese Beschreibung zutrifft“, sprach Conchobar. „Es ist Lugaid Reoderg, der Sohn der drei Find aus Emain und Adoptivsohn Cuchulainns. Da sitzt er am Bette seines kranken Adoptivvaters Cuchulainn.’“'05 Dem folgen Vorrechte und Moralvorschriften für Prinzen von salomonischer Weisheit. Allein die Versammlung der Ulaten um Conchobar und den kranken Cuchulainn und all die vorausgegangenen Informationen genügen, um schließen zu lassen, daß das Stierfest und die Königswahl auf den Samainstag fielen. Viel­ leicht können wir auch aus der ebenso klassischen wie argwöhnischen Beschrei­ bung Plinius’ ein gallisches Ritual zu Samonios annehmen. Der einzige Haken ist, daß diese Beschreibung vom lateinischen Autor verstümmelt oder gekürzt wurde.

„Man findet aber die Mistel in Gallien sehr selten; und hat man sie gefunden, so wird sie mit großer Ehrfurcht abgenommen, vor allem am sechsten Tag des Mondes, der bei ihnen den Anfang der Monate und Jahre und nach 30 Jahren einen neuen Zeitabschnitt bildet, ein Tag, an dem der Mond schon genügend Kräfte hat und noch nicht halbvoll ist. Sie nennen die Mistel in ihrer Sprache „die alles Heilende“. Sie bereiten nach ihrer Sitte das Opfer und das Mahl unter dem Baum und führen zwei große Stie­ re herbei, deren Hörner da zum ersten Mal umwunden werden. Der Prie­ ster, bekleidet mit einem weißen Gewand, besteigt den Baum und schneidet die Mistel mit einem goldenen Messer ab: Sie wird mit einem weißen Tuch aufgefangen. Dann schlachten sie die Opfertiere und bitten den Gott, er wolle sein Geschenk denen, welchen er es gegeben hat, zum Glück gerei­ chen lassen. Sie meinen, daß die Mistel, in einem Getränk genommen, jedem unfruchtbaren Tier Fruchtbarkeit verleihe und ein Heilmittel gegen alles Gift sei. So groß ist die Ehrfurcht der Völker meistenteils in ganz unbedeutenden Sachen.“106 Bisher hatten wir diese Textstelle nur bei der Erklärung der Beziehung von Pflanzenmagie und Zaubermedizin in den Techniken der Druiden berücksich­ tigt,107 doch kann sie uns auch wertvolle Hinweise liefern, wenn wir sie mit den Angaben der mittelalterlichen Literatur Irlands vergleichen. Denn mit ihrer Hilfe

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wird das Opfer der Königswahl durch den Verweis auf den Mistelschnitt und das Stieropfer auf den ersten November datierbar. Das Problem bei Plinius ist, daß er kaum an das glaubt, was er schreibt, wenn es sich dabei um Religionsgeschichte handelt. Ein weiterer Fehler, dem wir jedoch auch bei vielen anderen antiken Autoren begegnen, ist das Abgleiten in Allge­ meinplätze und Nebensächlichkeiten, sobald es sich um Kelten handelt, um die zeitgenössischen Leser zufriedenzustellen. So erwähnt Plinius nicht einmal, wel­ ches gallische Volk das erwähnte Opfer auf diese Art vollzieht. Können wir aus einer so schemenhaft dargestellten Beschreibung aber auf ein in ganz Gallien üb­ liches Opfemtual schließen? Wer weiß, denn wenn es auch nicht allen gemein gewesen sein mag, so war es doch scheinbar allen bekannt. Ein weiteres Detail darf nicht übersehen werden: Die Beschreibung des Plinius gilt für das erste nachchristliche Jahrhundert. Das heißt, Gallien war seit etwa hundert Jahren nicht mehr politisch unabhängig. Das Königtum war - wesentlich mehr noch als zur Zeit Cäsars - zu einem bloßen Souvenir geworden, und mehr noch, weder der Rat noch die Kritik des Druiden beeinflußten den Lauf der Politik. Das bedeutete aber zugleich, daß er dadurch seine wichtigste Existenzberechti­ gung in einer Gesellschaft verloren hatte, die nunmehr nach den Kriterien einer fremden Macht organisiert war. Zu dieser Zeit kann ein Stieropfer also weniger als Begleiterscheinung einer Königswahl, denn als inhärenter Widerstand der Kelten gegen die Romanisierung verstanden werden. In diesem Text stellt es gewisserma­ ßen das Leitfossil dar. Plinius zählt also trotz oder gerade wegen seines grundlegenden Mißtrauens gegenüber allem Keltischen zwei rituelle Bestandteile auf: - Das Sammeln der Misteln, die von einem Druiden mittels einer gol­ denen Sichel zu einem bestimmten Zeitpunkt des Jahres abgeschnitten wur­ den. Dieser kann nur zwischen Oktober und Dezember gelegen haben. In der Folge dient die Pflanze als Heilmittel gegen alle mögliche Krankheiten. Es hilft vor allem bei Unfruchtbarkeit. Es sei erwähnt, daß sich die Mistel nur selten in Eichen findet, was also eine systematischere Suche forderte. Auch stellte man sich nur selten die Frage, wie leicht es ist, in einer Eiche hängend mit einer Sichel aus Gold den doch beträchtlichen Stiel einer Mi­ stel abzuschneiden, ohne daß die Sichel nach den ersten Schnitten untaug­ lich wurde. - Das Opfer der weißen Stiere, deren Hörner noch nie zuvor gejocht wurden. Der Stier ist in allen keltischen Ländern eines der Königssymbole. Es handelt sich also ganz zweifellos um ein altes Opferritual, zur Wahl und Thronbesteigung eines Königs.

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Das stimmt nun ganz offensichtlich mit der irischen Beschreibung des „Stier­ festes“ überein, welches durch eine Zeremonie von Zaubergesängen eröffnet oder beendet wurde, von deren gallischen Entsprechungen uns Plinius leider nichts berichtet. Wie in vielen anderen Fällen auch, müssen wir uns mit spärlichen oder unvollständigen Informationen zufriedengeben. Halten wir dennoch fest, daß der Samainstag, bzw. der erste November in Irland, wie auch aller Wahrscheinlichkeit nach in Gallien, großen, religiösen und politischen Zeremonien vorbehalten war. Dies wird umso wahrscheinlicher, wenn wir einen dritten Text zur Hand neh­ men, den wir jedoch mit größter Vorsicht zu Rate ziehen wollen; nicht weil er nun Fehler oder Tücken birgt, sondern weil er bereits Dutzenden Fehlinterpretationen zum Opfer fiel und auch in Zukunft wohl noch fallen wird. Es handelt sich dabei um den ebenso eigenwilligen wie irlandfeindlichen Text, in dem der walisische Mönch Girald von Cambrien (Giraldus Cambrensis) die Thronbesteigung eines Königs von Ulster auf seine Weise beschreibt. Um Mißverständnisse weitmöglichst auszuschließen, wollen wir der Überset­ zung ausnahmsweise das lateinische Original voranstellen:

Sunt et quaedam, quae nisi materiae cursus expeteret, pudor reticenda persuaderet. Turpis enim rei gestae narratio, quanquam praeferat artem, devenustare tamen videtur artificem. Verum tamen, quoniam historiae severitas nec veritas parcere novit nec verecundiae, circumcisis labiis res inhonestia poterit venusta verborum vemulitate depromi. Est igitur in boreali et ulteriori Ultoniae parte, scilicet apud Kenelcunnil, gens quaedam, quae barbaro nimis et abominabile ritu sic sibi regem creare solet. Collecto in unum universo terrae illius populo, in medium producitur jumentum candidum. Ac quod sublimandus ille non in principem sed in beluam non in regem sed exlegem, coram omnibus bestialiter accedens, non minus impudenter quam imprudenter se quoque bestiam profitetur. Et statim jumento interfecto, et frustrarim in aqua decocto, in eadem aqua balneum et paratur. Cui insidens de carnibus illis sibi allatis, circumstante populo suo et convescente, comedit ipse. De jure quoque quo lavatur, non vase aliquo, non manu, sed ore tantum circumquaque haurit et bibit: Quibus ita rite, non recte, completis, regnum illius et dominium est confirmatum. „So manches würden wir lieber aus Schamgefühl für uns behalten, wenn uns nicht der Stoff verpflichten würde, darüber zu schreiben. Die Erzäh­ lung eines anstößigen Themas zieht gewissermaßen auch den Erzählenden in Mitleidenschaft. Trotzdem kann ein ungehöriger Umstand von klugen Lippen mit eleganten Worten formuliert werden, ohne daß der Wahrheit und der Schicklichkeit durch die Anforderungen der Erzählung dabei Ab­

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bruch getan werden. Es gibt also im nördlichen, entlegensten Teil Ulsters, in der Gegend von Kennelcunnil, ein Volk, welches sich einem mehr als barbarischen und widerwärtigen Ritual hingibt, um auf folgende Weise sei­ nen König zu bestimmen: Die gesamte Bevölkerung kommt am selben Ort zusammen und eine weiße Stute wird in die Mitte der Versammlung ge­ führt. Dann tritt jener, den man zur Würde nicht eines Prinzen, sondern eines Tieres erhebt, gleich einem Tier mit ebensoviel Unverschämtheit wie Dummheit vor alle hin. Unmittelbar darauf wird die Stute getötet und stück­ weise im Wasser gekocht, aus dem ihm dann ein Bad zubereitet wird. Er taucht darin ein und ißt, umgeben von seinem Volk, mit ihm vom Fleisch. Aus der Brühe, in der er badet schöpft und trinkt er, nicht jedoch aus einem Gefäß oder aus seinen Händen, sondern direkt mit dem Mund. Ist das ge­ mäß des Rituals, nicht gemäß der Würde, vollbracht, so sind seine Herr­ schaft und Autorität bestätigt.“108 In diesem Dokument finden sich keinerlei Zeitangaben. In unseren Druiden zogen wir es lediglich zur Erläuterung der Opfer heran.109 Doch interessieren uns neben der Datierung des Sa/namsfestes in Tara und des Stierfestes, beides Zeremo­ nien der königlichen Thronbesteigung, auch die schweren Verurteilungen des Girald von Kambrien. Natürlich kann eine solche Feierlichkeit sich nur zu Samain zuge­ tragen haben. In der Regel wurden Giralds Hirngespinste als akzeptable und nachvollziehba­ re Beschreibungen eines keltischen Rituals hingenommen, welches starke Ähn­ lichkeiten mit dem indischen ashvamedha aufweist. Diese Hypothese wurde erst­ malig 1914 vom deutschen Wissenschaftler Franz-Rolf Schröder aufgestellt110, und in der Folge ohne größeres Hinterfragen 1940 von Marie-Louise Sjoestedt wieder aufgegriffen.1" Andere folgten mangels Skepsis auf dieselbe Weise. Ein solch hypothetischer Vergleich ist nur bei einer sehr oberflächlichen Ana­ lyse des indischen ashvamedha haltbar: Die symbolische Vereinigung hier einer indischen Königin mit einem Hengst, dort eines irischen Königs mit einer Stute. Doch ist das ashvamedha ein kostspieliges Opfer - welches sich nur reiche und mächtige Könige leisten konnten (das Pferd mußte ein Jahr lang unter Aufsicht freien Auslauf haben!) - und es ist keineswegs eindeutig, daß die Symbolik der „dritten Klasse“, die in Indien so augenscheinlich ist (die Königin „nimmt“ den Penis des Hengstes), im Ulster ihr Gegenstück findet, wo es sich um ein Opfer handelt, das sich ganz offenbar auf die „zweite“ Aufgabe des Königs, und zwar die des Führers bezieht. Die irischen „Zaunkönige“ des Mittelalters konnten sich ei­ nen solchen Luxus ganz sicher nicht leisten. Auch wenn wir im Text Giralds nur die anschwärzenden und verleumdenden Aspekte herausgreifen wollten, so bedarf es dennoch einer etwas überschwenglichen Phantasie, um eine wie auch immer

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geartete sexuelle Beziehung des Königs mit der Stute herauslesen zu wollen. Keating, ein ebenso guter irischer Schriftsteller wie Lateiner, gibt jumentum candidum wörtlich mit lair bhdn wieder und protestiert so heftig gegen die Diffa­ mierung Girald von Kambriens, daß wir ihm die schlechte Argumentation dabei gerne verzeihen wollen. Nehmen wir zur Kenntnis, wie sehr die Kelten, insbeson­ dere die Iren gegen den Genuß von Pferdefleisch waren, so wird es klar, daß es sich beim hier dargestellten Ritual um eine Ausnahme handelte. Schließlich bestehen selbst zum Wortgebrauch Giralds Zweifel. Er schreibt jumentum candidum, was als „weiße Stute“ übersetzt wurde. Bedeutet jedoch im niederen Latein des 12. Jahrhunderts jumentum nicht einfach „Lasttier“? In die­ sem Fall erübrigt sich jede weitere Diskussion. Sollte es sich aber dennoch um eine Stute gehandelt haben, so ist ein äußerst stichhaltiges Argument G. Dumezils unbedingt in Betracht zu ziehen. „Soll in der ashvamedha das tote, aber noch ganze und warme Tier symbolisch eine Frau be­ fruchten, die am Leben bleibt, so scheint die Idee umso widersinniger, daß der König eine Stute begatten sollte, die unmittelbar nach dem Akt nicht nur getötet, sondern zerstückelt wird.“"2 In der Tat handelt es sich aber ebenfalls um ein Pferde­ opfer, welches wie alle uns bekannten Königsrituale Galliens und Irlands am Ende der Kriegssaison, d.h. wie der römische October equus Ende Oktober oder Anfang November stattfand. Wir hatten bereits 1963 auf all das hingewiesen, und es mag uns ein magerer Trost sein, daß offenbar auch die Zeilen G. Dumezils kaum besser gelesen oder verstanden wurden. Denn das ashvamedha als indisches Gegenstück zum kelti­ schen Pferderitual wird nach wie vor in der Fachliteratur nachgeplappert"3, ganz als ob das irische Königsritual unbedingt auf die Vereinigung des Kandidaten mit einer Stute angewiesen wäre. Der Herrschaft über Irland hat eine wesentlich schö­ nere und weiblichere Ausstrahlung! Fassen wir aus all diesen Quellen also die verschiedenen Opferformen anläß­ lich des 1. November zusammen: - Das Sammeln der Misteln wird lediglich bei Plinius und in Hinsicht auf Gallien erwähnt. - Das Opfer weißer Stiere (Gallien) - Das Opfer eines Stiers (Irland) - Das Opfer eines Pferds bzw. einer Stute (Ulster) Das ist genug - auch wenn wir nicht über mehr Informationen verfügen -, um mit Recht wie Keating (siehe oben) behaupten zu können, daß das Samainsfest durch ein Opfer eröffnet wurde. Wir wollen die Frage der Opfer und der vielseitigen Aspekte des Samainsfestes mit einer Bemerkung bezüglich der „Spiele“ beschließen, die gewissermaßen auch eine Form von Opfer darstellten. Leider bietet unsere diesbezügliche Hauptquelle,

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die Erzählung Serglige Conculaind oder „Die Krankheit Cuchulainns“ uns in die­ ser Hinsicht keine ausführlicheren Informationen. Joyce, der dieser Frage mehrere Seiten widmet, unterscheidet zurecht zwischen feis (Festmahl), dal (Versamm­ lung) und oenach (Jahrmarkt), die zwar alle drei gebräuchlich, aber keineswegs gleichbedeutend sind."'’ In Wahrheit gibt es für das „Fest“ als solches kein allum­ fassendes Wort, da alle drei Begriffe sich nur auf einen bestimmten Aspekt bezie­ hen. Diese heben entweder die militärische, die politische oder die populäre Sei­ te hervor. Allein der religiöse Aspekt fehlt, außer in einigen hastig hingeworfenen Nebensächlichkeiten, völlig in dieser Reihe von Ausdrücken. Wie könnte es aber auch anders sein, da die Verschriftlichung und die Christianisierung Hand in Hand gingen.

7. DIE DRUIDEN, DER SID UND DER TOD DES KÖNIGS Fassen wir die bisherigen Feststellungen also kurz zusammen: Samain ver­ dankt seine Mittlerrolle zwischen der menschlichen Welt und dem Kosmos der Götter dem Umstand, daß es am Drehpunkt zwischen zwei Jahren liegt, und so einen ebenso vergänglichen wie zeitlosen Augenblick darstellt. Dieser Umstand beruht auf der keltischen Vorstellung, daß es sich bei einem Tag, einem Jahr und der Ewigkeit um äquivalente Zeiteinheiten handelt. Es genügt, daß der Augen­ blick in diesen „geschlossenen Zeitraum“ fällt, der eine Art Klammer der Ewig­ keit darstellt, die sich paradoxerweise in die menschliche Zeit einfügt. Alle auch noch so dicht gedrängten und zahlreichen Ereignisse haben in dieser wohldefinierten und festgelegten Zeitspanne Platz, in der die Einheit der Zeit nicht mehr mit der Einheit von Handlung und Ort übereinstimmt. Dadurch ist die andere Welt des Sid immer und überall vorhanden, auch wenn sie leichter zugänglich ist, wenn sie sich den Bräuchen gemäß kundtut. Zu diesen Augenblicken jedoch tritt der Sid mit Sicherheit an den Tag. Die 7 bzw. 14 Tage Samains entsprechen dem wichtigsten dieser geschlosse­ nen Zeiträume. Da nun aber die Ewigkeit nicht der irdischen Menschen Los ist, so muß jenen etwas helfen oder sie dazu zwingen, wie z.B. König Muirchertach vom Wein und den Schweinen der Götter zu kosten. Dazu kommen die Boten aus dem Sid in diese Welt, und die Druiden lassen sie walten. Das düstere und kalte Novemberwetter, der Wind, der vom Nord-Westen, also dem Land der Toten bläst, und die langen Nächte, in denen man gern zusammensitzt, schlemmt und sich betrinkt, erledigen den Rest. A priori verlegen nicht nur einige epische oder my­ thische Erzählungen ihre Handlung in die 5«wamszeit, sondern in der Tat alle,

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- bei denen von einer Versammlung oder einem königlichen Mahl die Rede ist, - die einen Konflikt mit den Mächten der Anderen Welt, den Eingriff dieser in die menschliche Welt oder jener in den Sid beschreiben, - die, in der Regel im Verlauf eines Festes und aus immer denselben Gründen, den Tod eines Königs oder Helden in Szene setzen: Verstoß gegen Verbote, schlechte Führung oder ungerechter Krieg.

Da praktisch alle irischen Epen und Mythen in diese Kategorie fallen, können wir schließen, daß der Samainslag die Drehscheibe der irischen Legendenwelt schlechthin ist. Diese geschlossene Zeitspanne wird von den Druiden feierlich durch das stärkste ihrer Mittel eröffnet: das Feuer. Am Tag vor Samain müssen alle Feuer Irlands unter Androhung höchster Strafen gelöscht werden. Wenn wir Keating Glauben schenken wollen, „so errichtete [Tuathal] Tlachtga im Teil Munsters, der zu Midhe ge­ kommen war, und das Feuer Tlachtgas wurde gestiftet; hier kamen gewöhn­ lich die Druiden Irlands in der Samamsnacht zusammen, um allen Göttern Opfer darzubringen. In diesem Feuer verbrannten sie ihre Opfer, und es war bei Strafe vorgeschrieben, in dieser Nacht alle Feuer Irlands zu lö­ schen...“"5 Gegen Ende der Erzählung Die Krankheit Cuchulainns finden wir ein schönes Beispiel, in dem der sid im stillschweigenden Einverständnis der menschlichen und göttlichen Mächte unzugänglich gemacht wird. Als Cuchulainn sich in die schöne und anmutige Fand, die Gattin des Gottes Manannan verliebte und schließ­ lich verrückt wurde, als er sie verlor, ging seine rechtmäßige Frau Emer

„zu Conchobar und erzählte ihm in welchem Zustand sich Cuchulainn befand. Conchobar schickte die Dichter, Musiker und Druiden von Ulster, ihn aufzusuchen, festzunehmen und nach Emain Macha zu bringen. Cuchulainn versuchte die Ärzte zu töten, doch sangen sie druidische For­ meln, man packte ihn an Händen und Füßen und er kam wieder zu Sinnen. Dann wollte er etwas trinken und die Druiden reichten ihm das Vergessenselixir. Als er davon getrunken hatte, erinnerte er sich nicht mehr an Fand und auch an nichts mehr, was er getan hatte. Auch Emer wurde das Vergessenselixir verabreicht, um ihre Eifersucht zu vergessen, denn sie befand sich kaum in einem besseren Zustand als er. Manannan schwang seinen Mantel zwischen Cuchulainn und Fand, auf daß sie sich nie mehr begegneten.“116

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Alles spielt sich in diesem Zeitraum ab, und die Anwesenheit der Druiden ist vonnöten, damit die Menschen der Probe standhalten können. Sind die Druiden nicht zugegen oder respektieren die Krieger nicht die Regel des Friedensmahls, und es kommt zu Streitigkeiten und Problemen, dann tritt ein, was im Schwein von Mac Da Tho'n oder in dieser Parodie auf das Fest von Tara, dem Festmahl von Bricriu erzählt wird: Die Nachahmung des Midchuarta, des „Hauses der Mit­ te“, in dem das Fest stattfindet, hallt von lautem Schwertlärm wider.118 Die Krank­ heit Cuchulainns dauert ebenfalls ein Jahr und liegt zwischen zwei Samainsfesten. Ohne die Druiden wäre der Held wohl verrückt geblieben. Auch die großen mythischen Schlachten der Cath Maighe Tuireadh („Schlacht von Moytura“) und der Tain Bö Ctialnge oder („Der Raubzug der Kühe Cooley’s“), in denen so mancher Held oder König fällt, finden in diesem Zeitraum statt. Die­ ser düstere Aspekt des Festes rechtfertigt durchaus die manchmal sehr eleganten und emotionsbeladenen Beschreibungen, denen die wissenschaftlichen Untersu­ chungen nur selten den wahren Stellenwert beimessen. Samain konnte aber auch unheimlich sein: „Während einer Samainsnacht befanden sich Ailill und Medb mit ih­ rem ganzen Gefolge im Rath von Cruachan. Am Vortag hatten sie zwei Gefangene erhängt. Man war gerade dabei, die Speisen zuzubereiten, da sagte Ailill: ‘Der, der ein Band um das Bein eines der beiden Gefangenen zu schlingen vermag, die am Galgen hängen, bekommt von mir die Beloh­ nung seiner Wahl.’ Groß war die Finsternis und der Schrecken der Nacht, und die Dämo­ nen zeigten sich immer in dieser Nacht. Alle Männer gingen einer nach dem anderen hinaus, um in jener Nacht [die Probe] zu versuchen, doch kamen sie alle rasch wieder ins Haus zurück. ‘Ich werde mir die Belohnung holen,’ sprach Nera.’ ‘Du sollst mein Schwert mit dem Goldknauf haben,’ antwortete Ailill...“119 Insofern entspricht es einer gewissen Rechtsvorstellung, daß auch die Men­ schen Zugang zum Sid haben, und dort für sich oder die Götter kämpfen. Das tut z.B. auch Cuchulainn als er vor seiner Heirat mit Emer auf den Wegen der Ande­ ren Welt seine Kriegerweihe sucht120, oder aber als er im Serglige'2' seine schwere Krankheit durchlebt. Am Ende der Abenteuer Neras wird der Sid sogar ausge­ raubt, auch wenn es sich in diesem Fall nur um einen Hügel handelt, auf dem eine hohe Persönlichkeit der Anderen Welt hausen soll:

„So drangen die Männer Connaughts und die Schwarzen Verbannten in den Sid ein. Sie zerstörten ihn und nahmen alles mit, was da war. Auch die Krone Briuns wurde geraubt. Es handelt sich dabei neben dem Mantel

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Loegaires in Armagh und dem Umhang Dunlaings bei den Bewohnern von Leinster in Kildare, um den dritten, berühmten Schatz Irlands. Nera blieb jedoch mit seiner Begleitschaft im Sid und kam bis heute nicht wieder her­ aus und wird ihn erst beim Gericht verlassen können.“122

Ein ähnliches Abenteuer durchlebte Ailill Ollomh, der König von Munster: „Zu einer Samainsnacht zog Ailill nach Aine Cliach, um seine Pferde zu verkaufen. Auf einem Hügel wurde ihm sein Lager zubereitet. Doch wurde in dieser Nacht der ganze Hügel abgetragen, und niemand wußte von wem. Das geschah noch zwei weitere Male, was Ailill sehr merkwür­ dig vorkam. Deshalb sandte er Boten zu Ferches, dem Sohn Comans, ei­ nem Weisen, der im Marg von Leinster wohnte. Dieser war Wahrsager und Krieger zugleich. Er kam und sprach mit Ailill und sie gingen neuerdings in der Samainsnacht auf den Hügel. Ailill blieb dort oben, während Ferches am Fuße wartete. Über den Klängen der Herden befiel Ailill der Schlaf. Da kamen sie aus dem Sid, und Eogbal, der Sohn Durgbals folgte ihnen. Aine, die Tochter Eogbals ging ihnen voraus und spielte auf einer bronzenen Trom­ mel. Da stand Ferches auf und haute auf sie ein. Eogbal floh vor ihm in den Sid zurück. Doch als er an die Stelle gelangt war, wo Ailill schlief, traf ihn Ferches mit seiner Lanze und durchbohrte seinen Rücken.“123

Ailill verliert im Kampf mit Aine, der Tochter des Königs, zwar ein Ohr, das sie ihm abbeißt, als er sie küssen will, doch bringt er sie in seine Gewalt und bringt diese begehrte Beute (sie ist ja eine Fee) mit sich zurück. Die Macgnimartha Find („Kindertaten Finds“), die in etwa eine verdichtete Form der frühen Heldentaten Cuchulainns darstellen, unterstreichen, daß der Sid anläßlich des Samainsfestes immer zugänglich ist: „Find begab sich zu Cethern, dem Sohn Fintans, um auch dessen Weis­ heit zu lernen. Zu jener Zeit gab es ein sehr hübsches Mädchen im Sid von Brig Eie, das Eie hieß. Die Männer Irlands lagen sich um dieses Mädchen in den Haaren und kamen alle, jeder zu seiner Stunde, um ihr den Hof zu machen. Die Brautwerbung fand jedes Jahr zu Samain statt, denn die iri­ schen Side sind zu Samain immer offen und niemand wußte, wie dies ge­ heimgehalten hätte werden können.124

All dies ist, wir sagten es bereits, als wäre es in Szene gesetzt worden. Auch der häufigste, wie auch beeindruckendste „Sama/nstod“, der Opfertod des Königs läuft nach einem solchen fixen Schema ab. Er ist in dreifacher Weise tragisch und ge­ waltsam, denn er stirbt durch Ertrinken, mit einer tödlichen Wunde und verbrennt schließlich in seinem Palast. Der unehrenvollste Tod, der einem von der Macht

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abgenutzten und dadurch nicht mehr rechtmäßigen König zukommen kann, ist aber der durch den Giftbecher:

„Mongfind kam daraufhin zu seinem Bruder und richtete einen Schein­ frieden zwischen ihren Kindern und ihm ein. Sie brachte ihren Bruder zum Festmahl. Als die Festspiele endeten, reichte sie ihm einen vergifteten Be­ cher. ‘Ich trinke nicht davon’, sprach Crimthann, ‘wenn Du nicht vor mir trinkst’. Da nahm Mongfind einen Schluck, woraufhin auch Crimthann trank. Die Hexe Mongfind starb also in der Samainsnacht eines gewaltsamen Todes. Daher nennt das Volk Samain auch das Mongfmdfest. Denn sie war eine Hexe von großer Zauberkraft, so lange sie in ihrem Körper wohnte. Aus diesem Grund richten die Frauen und das ganze Volk ihre Bitten in der Samainsnacht an sie.“125 Wir haben dieses Thema jedoch, wie auch Clémence Ramnoux126, bereits an anderer Stelle ausführlich behandelt und wollen die lange Liste von Beispielen, die wir in den Scholies Bernoises'27 anführten, hier nicht unnötigerweise wieder­ holen. Der König ist an Samain also sowohl von ritueller als auch von mythischer Seite her großen Gefahren ausgesetzt, und die Gehängten in den Abenteuern Neras erinnern an die von Esus. Das Opfer des alten Königs in einer Atmosphäre des Gewitters, des Krieges und eines Welt-End-Kataklysmus kündigt sich an.

8. SAMAIN, DAS TOTALE FEST DER DREI KLASSEN Es ist höchste Zeit, klar herauszustreichen, daß das Fest, wie es sich uns heute darstellt, Schritt für Schritt einer strengen, rituellen Ordnung folgt:

1. Auf der untersten Ebene läßt das Volk seinen Götzenbildern die ih­ nen gebührenden Ehren zukommen und nimmt, wenn auch nur am Rande, an den Spielen teil. 2. Auf der Ebene der Krieger finden die Festmahle und Trinkereien statt, die den nach außen hin sichtbarsten Teil des Festes darstellen. 3. Auf der Ebene der Priester wird ein heiliges Feuer entfacht und Opfer dargebracht. Dann sitzen die Druiden allen Gesetzesversammlungen vor, an denen König und Adel teilnehmen. Es wird hierbei überdies augenscheinlich, daß nur bei zwei der vier hohen Feste der Kelten rituelle Feuer entfacht wurden: Zu Samain und Belteine, was darauf schließen läßt, daß zu Imbolc und Lugnasad keine großen, religiösen Zere­ monien stattfanden. Der große Informationsmangel bezüglich des kultischen und

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rituellen Teils der Feste ist sicherlich auf das Christentum zurückzuführen. Wir erwähnten es bereits mehrmals: Die uns heute erhaltenen, altirischen Mythen, Epen und Gesetzestexte betreffen vor allem die zweite Klasse der Krieger. Den­ noch konnten wir aufzeigen, daß Samain ein „totales Fest“ ist, das nicht nur die Bewohner der Erde, sondern auch die des Sid mobilisiert, was alle Gesellschafts­ klassen gleichermaßen betrifft, die in Irland nach dem indoeuropäischen Muster in drei Aufgabenbereiche unterteilt waren. Im klar abgegrenzten geographischen Raum Taras oder auch der Königsresidenzen von Cruachan in Connaught oder Emain Macha in Ulster versammelt sich der gesamte keltische Kosmos. An der Schwelle zwischen zwei Jahren stellt Samain ein Raum-Zeit-Symbol, ein vielfälti­ ges Bild der Ewigkeit dar. Wir könnten noch viel weiter gehen und annehmen, daß es sich beim von Plinius so mangelhaft beschriebenen Sammeln der Misteln tatsächlich um eine groß ange­ legte Zeremonie des ersten November handelte, und daß die vom Scholastiker Lucanus beschriebene Apparatur - das Erhängen, der Kessel des Bösen und das Feuer - Elemente eines gallischen Novembermythos darstellten. Es genügte dabei, davon auszugehen, daß der Scholastiker von der keltischen Triade keine Ahnung hatte und die drei Göttemamen wahrscheinlich aus reinem Gutdünken da einsetz­ te, wo es sich in der Tat um Lug(us) den Obersten aller Götter, den universellen „Künstler“ der Welt, den Herrn des Lichts, der Zeit und der Nacht handelte. Viel­ leicht verwechselte er aber auch Mythos und Ritus. Beim gegenwärtigen Stand der Dinge, wäre es jedoch unklug, über solche Annahmen hinauszugehen. „Nacht der Verwirrung“ bezeichnete M.L. Sjoestedt das Samainsfest.128 Zu ei­ nem gewissen Grad stimmt das, wenn wir die ausschweifende Unordnung betrach­ ten, die durch die Beziehungen zwischen Sid und Menschenwelt entsteht, weil unsere zahlreichen Quellen oft schlecht analysiert wurden; weil sich hinter gro­ bem Schein oft ausgefeiltes Denken verbirgt; weil wir schließlich selbst nur allzu sehr der Versuchung erliegen, sie als phantasische Fabeln zu verstehen, die sich der strengen Logik entziehen. Doch übersah M.L. Sjoestedt den Aspekt der Dreiteilung und das nicht nur in diesem Zusammenhang, sondern im gesamten Werk. Es würde tatsächlich Wun­ der nehmen, wenn die verantwortlichen Lehrer der keltischen Theogonie und Kos­ mogonie akzeptiert hätten, sich auf immer und ewig der Leere und dem Chaos zu verschreiben. Alle Spuren der Zeremonien weisen vielmehr darauf hin, daß es sich bei Samain um ein durchdachtes und ausgeglichenes Fest handelte. Treffen hier die menschliche und die göttliche Ebene direkt aufeinander, so geschieht das nach dem unverrückbaren Prinzip der Überlegenheit der Götter. Dieses ungeschriebe­ ne, doch ableitbare Gesetz erklärt auch, weshalb die keltische Geschichte ständig in die Mythen der Anderen Welt übertragen wird, und daß auch noch das mittelal­ terliche Suma/Hsfest sich an die Normen der Göttergesellschaft hält. Trotz der

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Unfälle, die einem von seiner Macht aufgeriebenen König oder einem unklugen Krieger zustoßen können, diente dieses überschwengliche Fest durch seinen Über­ schuß an Speis und Trank in erster Linie sicher dazu, das heilige Potential wie auch die Moral der Menschheit vor den harten Proben der winterlichen Schatten zu erbauen.

9. ÜBEREINSTIMMUNGEN MIT DEM GALLISCHEN SAMONIOS Nach bald vierzigjährigen Untersuchungen und trotz einer leider ebenso ober­ flächlichen wie ungerechtfertigten Kritik, wollen wir hier unsere Interpretation von 1957 beibehalten129: Wir wissen heute, daß der Colignykalender130 fünf Jahre zu 12 und 13 Mona­ ten (drei zu 12 und zwei zu dreizehn) zählt. Jeder Monat ist in zwei mal fünfzehn Tage unterteilt. Die erste Hälfte zählt hierbei immer 15 Tage, während die zweite, die ATENOVX genannt wird, je nach Monat 14 oder 15 Tage zählt, weshalb die verschiedenen Monate entweder 29 oder 30 Tage ausmachen. Der erste Monat des ersten, durch den Schaltmonat 13 Monate zählenden Jah­ res entspricht unserem November und heißt SAMON(ios). Der 2. Tag der zweiten Hälfte, d.h. des atenoux wird wie folgt geschrieben:

II MD .SINDIV.

Das zweite Jahr zählt 12 Monate, hat also keinen Schaltmonat. Hier steht für SAMON(ios): °II II + D TRINOSAMO.

Das dritte Jahr ist ziemlich entstellt. Hier ist Samon unvollständig, doch konn­ te Eoin Mac Neill das Beibehalten des atenoux feststellen. Auch im vierten Jahr ist der SAMON(ios) gegenüberliegende Text sehr be­ schädigt, doch lassen die bisherigen Restaurationsarbeiten bezüglich des zweiten Tages des atenoux auf folgende Lesart schließen: °II D PRINI SAM SINDI

welches alle Keltologen einstimmig - nicht nur aus epigraphischen, sondern auch aus grammatikalischen Gründen, auf die wir hier nicht näher eingehen wol­ len - als

TRINV SAM SINDI(V)

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verstanden wissen wollen. Am atenoux 2 des fünften Jahres treffen wir aber­ mals auf den unklaren Text:

°II MD PRINO SAMON

welches normalerweise TRIN(VX) SAMON

heißen müßte. In allen fünf Jahren kehrt also immer derselbe Text wieder. Werden die Hinweise der fünf Jahre nebeneinandergestellt, so erhalten wir einen vollständigen, in sich schlüssigen Text.

TRINOVX[T1ON] SAMON(I) SINDIV.

TRINOVX[TION] scheint nach dem lateinischen Muster eines binoctium oder trinoctium geformt zu sein. Tri- nimmt hierbei die Funktion der Kardinalzahl „drei“ ein, die sich in allen noch heute gesprochenen, keltischen Sprachen gehalten hat, während kein Zweifel daran bestehen kann, daß noux(t) für „Nacht“ steht, wie es sich auch im irischen „nocht“, im walisischen nos und im bretonischen noz bestä­ tigt findet. Der Einwurf, der gemacht wurde, daß es sich beim gallischen -ou- in ATENOUX um einen Diphtong handelte und unsere Interpretation dadurch un­ gültig sei, ist oberflächlich und unhaltbar131: Wenn ein gallisches -o- in Eigenna­ men verschiedene Schreibweisen einnehmen kann und häufig mit -ou- (Totatis/ Toutatis, Totius/Toutius) oder gar -u- (Tutatis, Tuttia) wechselt, wer wollte sich da für die genaue und offizielle Aussprache zur Zeit des Vercingetorix verbürgen? Atenoux / *Atenoux(tion) ist insofern gemäß der Bedeutung des Iterativpräfixes (eine Wiederholungsvorsilbe) ate- (Irisch aith-, ath-, walisisch at-, ad-, bretonisch ad-, as-) zu verstehen und bezeichnet demnach „die wiederkehrende(n) Nacht/ Nächte)“ SAMONI ist als SAMONI(os) zu lesen. (Siehe dieses Wort im etymologischen Anhang). SINDIV geht auf *sindivos zurück und setzt sich demnach aus dem demon­ strativen sinn und diuos („Tag“) zusammen. Es wird genauso gebildet wie das irische indiu, das walisische heddyw, das komische hetheu und das bretonische hizion, hiziv. Die Bildung ist vergleichbar mit der unseres Wortes „heute“ aus dem lateinischen ho-die („dieser Tag“) über das althochdeutsche hiutu (für das instru­ mentale hiu tagu). Die Entwicklung ist in beiden Fällen eindeutig. TRINOUX(TION) SAMON(I) SINDIV(OS) also als „die drei Samainstage [beginnen] heute“ zu verstehen, ist also weder unsinnig noch widerlegbar. Außer­ dem deckt sich dies mit der irischen Formel der „drei Samainstage“ (siehe oben). Das läßt nun den fast zwingenden Schluß zu, daß die religiösen Vorstellungen der Kontinentalkelten denen der Inselkelten sehr ähnlich waren, wenn sie sich nicht

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sogar mit ihnen deckten. Sind die Umstände der Namensgebung und der Organi­ sation der Kalenderfeste nun nicht überliefert, so nicht, weil sie nicht existierten, sondern da ihre Überlieferung bei drei Gelegenheiten eliminiert wurde: der Romanisierung, der Christianisierung und den großen Invasionen des Hoch­ mittelalters.

10. SAMAIN UND DIE FOLKLORE Der Volksbrauch des Samainsfestes (englisch Halloween) deckt sich heute meist mit dem aller anderen Feste: Zusammenkünfte der Familien oder Dorfgruppen, alle möglichen Wahrsagespiele oder gar Elementarmagie, wobei die Zauberei hier natürlich völlig in der Norm einer sehr alten Tradition steht, die im Aussterben begriffen ist. Der wichtigste Umstand ist sicher der, daß Samain überhaupt als Volksfest in Irland bis in die heutige Zeit überlebt hat. Es eröffnet hier nicht nur die dunkle Jahreszeit, sondern feiert zugleich den Sommer nach. Zu einer Jahres­ zeit, in der die Ernte endlich das Gespenst des Hungers verscheucht hat, kommt diesem ausgelassenen Fest größere Bedeutung zu als Weihnachten und seiner na­ hen Wintersonnwende. Soviele Geschichten, Anekdoten, ERzählungen und Volkslegenden ringen sich um Samain, daß es unmöglich ist, sie hier alle aufzuzählen. (Hierzu verweisen wir auf den dichtesten Teil der Doktorarbeit von Frau Véronique Guibert, Bd. I, S. 1165.) Das Bemerkenswerteste ist sicher zugleich auch das Natürlichste. Jegliche organisierte Struktur der vorchristlichen Tradition ist verschwunden, doch bleibt ihre übernatürliche und unwirkliche Atmosphäre erhalten. Alle Götter und Göt­ tinnen wurden sozusagen von den fairies, den Feen ersetzt. Die banshee bleibt als bösartige oder zumindest mysteriöse Frauenfigur erhalten, doch mit denselben Abnützungserscheinungen wie die maouez-noz („Frau der Nacht“) oder die kannerez-noz („Wäscherin der Nacht“) in der bretonischen Folkore. Sie blieb mäch­ tig, wurde böse und verlor alle göttlichen Züge. Sie wird gefürchtet, aber nicht mehr verehrt. Der Zauber hat sich mit einem Schleier aus Volksbräuchen und glauben über alle organisierten Kulte gelegt Auch auf die Zusammenhänge und Ähnlichkeiten zwischen Samain und den Volksbräuchen des Totenfestes und des Allerheiligenfestes auf dem europäischen Festland, besonders in Frankreich, können wir an dieser Stelle nicht näher einge­ hen. Eines jedoch ist klar: In vielen Bräuchen der früher von Kelten besiedelten Gebiete spiegeln sich eindeutig Züge der keltischen Mai- und Novemberfeiem wider.

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Anmerkungen ” Whitley Stokes, Three Irish Glossaries, London, 1862, S. 11 ; siehe dazu auch vom selben Autor Cormac 's Glossary, Sanas Chormaic, S. 36. 36 Ibid, Three Irish Glossaries, S. 40 und Cormac 's Glossary, S. 151. 37 Ibid, Three Irish Glossaries; vgl. Auch A Glossary to the Calendar of Oengus the Culdee, S. 137, Handschrift (MS) H.3.18, S. 619, Spalte 2, unter November. Diese Erwähnung findet sich fast wörtlich im Glossaire d’O’Clery in Revue celtique 5, S. 41 wieder. 38 Siehe den etymologischen Anhang in diesem Werk. 39 Zum Thema der analogistischen Etymologie verweisen wir auf die zwei Artikel Christian-J. Guyonvarc’hs, Keltische Wortsymbolik, in Kairos, 1963, S. 189-197 und Langue profane et langue sacrée in Connaissance des Religions 10. 40 Dineen, Foclöir, 1927, S. 937 ab. 41 Die Nachforschungen zur Regulierung des Kalenders gehen jedoch über den Rahmen der vorliegenden Studie hinaus. 42 Wir wollen in diesem Zusammenhang auf einen Irrtum hinweisen, der John Rhys, Cellae and Galli, Proceedings ofthe British Academy ll, London, Sitzung vom 25. Mai 1905, S. 26f unterlief, und den Mac Neill in der Folge übernahm. Da er die Ähnlichkeit der trinouxtion samoni des Colignykalenders mit den drei Samainsnächten bemerkt hatte, von denen in der „Krankheit Cuchulainns“ die Rede ist, störten ihn die eben zitierten irischen Glossen, da er aus der etymologischen Grundlage des irischen sam und des walisi­ schen haf („Sommer“) fälschlicherweise schloß, daß der gallische Samonios im Sommer gelegen haben müsse. Da Samain jedoch auf derselben Wurzel beruht, blieb ihm nichts anderes übrig, als die willkürliche Behauptung aufzustellen, daß das irische Jahr „a November - May year and not a solstitial one" war, und mußte sich daher einer Ausflucht bedienen, die dem besten Stil der Sonnenmythologien um nichts nach­ stand: „The author of the gloss was probably not drawing on his imagination so much as on a tradition which, among other things, perhaps represented the summer-god, after six months of conflict, put to death by the dark powers of winter." Was Rhys jedoch nicht erklärte war die Frage warum solche six months of conflict, von denen in keiner der Quellen die Rede ist, in den Monaten zwischen Juni und No­ vember zu liegen kamen. Gegen die Hypothese des walisischen Gelehrten sprechen also nicht nur die kalen­ darischen Gegebenheiten und die Negativität seiner Behauptung, sondern auch das Prinzip der religiösen Einheit der religiösen Welt. Außerdem wäre es interessant zu wissen, welchen summer-god Rhys da im Sinne hatte. Die Schlacht von Mag Tured, die gerade zu Samain stattfmdet, erklärt genau das Gegenteil, indem hier die Tüatha Dé Dänann über die Schattenmächte siegen, die die Herrschaft geraubt hatten. 43 Whitley Stokes, The Death ofMuirchertach mac Erca, in Revus celtique, 22, 1902, S. 416-418; Chri­ stian-J. Guyonvarc’h, La mort de Muirchertach, Sohn Eres, ein irischer Text des Hochmittelalters : die Frau, der Heilige und der König, in Annales, Economies, Sociétés, Civilisations, Sept.- Okt. 1983, S. 107. §§ 31-32. 44 Textes mythologiques irlandais 1/1, S. 53. 45 Textes mythologiques irlandais 1/1, S. 53. Siehe unten. 46 La maladie de Cuchulainn, in Ogam 10, 1958, S. 289. 47 „Der Raubzug der Kühe Cooley’s“, übersetzt von Christian-J. Guyonvarc’h, Hg. Gallimard, Paris, 1994, S. 76. 48 Siehe Die Druiden, op. Cit., S. 280 ff. 49 Cäsar, De Bello Gallico, VI, 18: „Deshalb bestimmen sie [die Gallier] alle Zeitabschnitte nicht nach der Zahl der Tage, sondern der der Nächte; Geburtstage, den Anfang der Monate und der Jahre berechnen sie so, daß der Tag der Nacht folgt.“ 50 Eleanor Knott Irish Texts Society, 22, S. 59, Gedicht n° 9, § 14. Auch The pursuit of the Gilla Decai, Hg. Standish O’Grady, Silva Gadelica, II, S. 292 beschreibt, wie das Heer der Fianna zwischen November und Mai in den verschiedenen Häusern Unterschlupf fand.

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51 Textes mythologiques irlandais, VI, S. 204-205. 52 History of Ireland, Hg. Dinneen, III, S. 78. ” Ibid.,S. 80. 54 Alwyn & Brinley Rees, Celtic Heritage, London 1961, S. 16. 55 Die Christianisierung des Festes ließ jedoch, außer einigen Volksbräuchen bezüglich der Rückkehr der Seelen der Verstorbenen, von seinen ursprünglichen Zügen nichts mehr übrig. Wie bereits erwähnt, sprechen die Bretonen hier von den anaon, die alte Mehrzahlform von ene (Seele). 56 Cath Maighe Tuireadh, in Textes mythologiques irlandais, 1/1, S. 53. 57 Christian-J. Guyonvarc’h, loc. eil., in Ogham 10, S. 289. 58 Hg. Standish O’Grady, Silva Gadelica I, S. 336-337 59 Christian-J. Guyonvarc’h, loc. eit., in Ogam 11, 1959, S. 61, § 8. 60 Ibid. 61 La maladie de Cuchulainn, übersetzt von Christian-J. Guyonvarc’h, in Ogam 10, 1958, S. 286, § 1. 62 La Fondation du Domaine de Tara, Textes mythologiques irlandais VI, S. 157, §§ 1-2. 65 Siehe dazu das 2. Kapitel, Classes et Fonctions unseres Buches La société celtique. Ouest France, Rennes 1991, S. 57-104. 64 Hg. Edward Gwynn, The Metrical Dindshenchas, IV, S. 18-20. 65 Hg. Whitley Stokes, The Rennes Dindshenchas, in Revue Celtique 16, S. 35-36, siehe, Ogham 13, loc. cit. S. 178. “ Tigernmas, Tigern bais ist der „Herr des Todes“ und Follach könnte bedeuten, „Der, der schlägt oder verletzt“, RIA Dictionnary, Buchstabe F / 2”, Spalte 269. 67 Lebor Gabala Erenn, Hg. R.A.S. Macalister, III, S. 122-124, § 242. 68 Cath Maighe Tuireadh oder „Die (zweite) Schlacht von Mag Tured“, in Textes mythologiques irlandais VI, S. 49-50, §§ 36 und 39 f. 69 Ibid., Textes mythologiques irlandais, VI, S. 57-58. ™ In dieser Hinsicht müssen wir unseren Aussagen im Artikel in Ogam 13, 1961, S. 489-491 revidieren. 71 Tain Bö Cüalnge „Der Raubzug der Kühe Cooley’s", übersetzt von Christian-J. Guyonvarc’h, Hg. Gallimard, Paris, 1994, S. 96. 72 Sogar J. Vendryes, dem sicherlich keine besondere Freundschaft zu den irischen Mythen unterstellt wer­ den kann, hat dies bemerkt und schreibt in La Religion des Celtes, Col Mana, 1948: „ Während den drei anderen Festen eindeutig ein bäuerlicher Charakter zukommt, so hat Samhuin seinen mythischen Aspekt beibehalten. " Er hat aber unrecht, wenn er diese Aussage in Bezug auf Mag Siecht wieder zurücknimmt: „ Die Tradition wollte hier den Vollzug von Blutopfern, die das Andenken an den hohen Tribut bewahren sollte, den die Menschen den Mächten der Zerstörung zu zollen hatten. “ Wäre Samain nur deshalb gefei­ ert worden, ließe sich daraus die große Bedeutung und Vielfalt der Texte wohl kaum erklären. ” Cath Chrionna („Die Schlacht von Crinna“), Hg. Standish O’Grady, Silva Gadelica I, S. 319. 74 Mesca Ulad(„Die Trunkenheit der Ulaten“), Christian-J. Guyonvarc’h, in Ogam 12, 1960, S. 491. 75 Siehe Georges Dumézil, Le festin d’immortalité, passim. In einem merkwürdigen Gedicht Michael O’Clery’s 76 Le meurtre de Conchobar, Christian-J. Guyonvarc’h, in Ogam 10, S. 129-130. 77 Loc.cit., Ogam 11, 1959, S.286. 78 Liathroith („Stein“+“Rad“). Symbolischerweise wird auch der Ball des cluiche puill („Lochspiel“) so bezeichnet. Vgl. PW. Joyce, A Social History ofAncient Ireland II, S. 474. 79 Kuno Meyer, Hibemica Minora, Dublin, 1894, S. 49. 80 Whitley Stokes, The Death ofMuirchertach mac Erca, in Revue celtique 22, 1902, S. 408. Vgl. Aided Muirchertaig Meie Erca („Der Tod Muirchertachs, Sohn Eres“), Christian-J. Guyonvarc’h, in Annales, Économies, Sociétés, Civilisations, Sept.-Okt. 1983, S. 1001, § 19. 81 ibid, S. 1001, § 20. 82 Whitley Stokes, The Battle of Mag Mucrime, in Revue celtique 13, S. 448.

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” Archiv für Celtische Lexicographie, II, Hg. Whitley Stoker, p. 166. 84 Christian-J. Guyonvarc'h,La Courtise d'Emer, in Ogam II, 1959,S. 373 ff.; siehe Les vins deGaule en Irlande et l'expression din aicneta, in Revue celtique, 38, S. 19 ff. 85 Vita Columbae, Hg. Reeves, Irish Archaeological and Celtic Society, S. 135. Was die in Gallien freilau­ fenden Schweineherden betrifft, siehe Strabo IV, 4,3 und Polybus, XII, 4,8. 86 Compert da Muccido („Die Vorstellung der beiden Schweinehirten“), Christian-J. Guyonvarc’h in Ogham 12, 1960, S. 76-77. 87 Arzel Even, Le cochon de Mac Da Tho, in Ogam, 5, S. 9. 88 Es soll an dieser Stelle nur noch an die drei Wunder des Dagda ünSid erinnert werden: drei ewig Früchte tragende Bäume, ein unsterbliches Schwein und ein gebratenes, daß beim Genuß nie weniger wird. Vgl. dazu auch d’Arboisde Jubainville, Le Cycle mythologique, S. 275-277 und 322-344, und R.Thumeysen, Die irischen Helden- und Königssage, S. 604-605. Arzel Even, Notes sur le Mercure celtique. II. Le démon Huccan, in Ogam, 5, 1953, S. 309-312; d’Arbois de Jubainville, Une légende irlandaise en Bretagne, in Revue celtique, 7, S. 230-233; Holder, Altceltischer Sprachschatz, II, 603. 90 Ordalies irlandaises, Hg. Whitley Stokes, Irische Texte III, S. 198-199, § 55. 91 Book of Rights, Hg. O’Donovan, S.6; vgl. S. 23 und 272. 92 Siehe oben. 95 Standish O’Grady, Silva Gadelica I, S.82. 94 History of Ireland, Hg. Dinneen II, S. 132. 95 Siehe Celticum I, S. 173. 96 History of Ireland, II, Hg. Dinneen, S. 250-252. 97 Acallamh na Senorach, Hg. Standish O’Grady, Silva Gadelica, I, S. 204 und Whitley Stokes, Irische Texte, IV, S. 147. Auch an einer anderen Stelle (Hg. Whitley Stokes, S. 47) ist von dieser Dauer des Festes von Tara die Rede. 98 Cath Boinde, Hg. Joseph O’Neill, in Eriu, 2, S. 178. 99 Siehe Fußnote 39. 100 Siehe Einleitung, 2. Kapitel. 101 Das letzte Fest von Tara fand 560 n.Chr. unter dem Vorsitz des Königs Diarmait (Dermot) statt. Danach war Tara nicht mehr königliche Residenz. Das Fest wurde erstmals angeblich 700 oder 800 v. Chr. erstmals von Ollam Fodla, einer eher sagenhaften denn historisch verbürgten Figur, veranstaltet. Vgl. Keating, History of Ireland, Hg. Dinneen, II, S. 248 ; P.W. Joyce, A Social History ofAncient Ireland II, S. 436-437. Für alle historisch orientierten Debatten verweisen wir auf D.A. Binchy, op.cit. 102 Keating, History of Ireland, Hg. Dinneen, III, S. 42. 103 Fled Brecrend, Hg. Henderson, in Irish Texts Society, II, S. 12, § 12. 104 So ist es keineswegs ein Zufall, daß König Conchobar selbst am Kopf verletzt wird, als sich die Ulaten unter seinem Dach am Samainsfest streiten (siehe Ogam 10, S. 326ff.) Jedesmal, wenn das Fest in Zank ausartet, kommt es zum gewaltsamen Tod eines Königs, Prinzen oder Kriegers. 105 Serglige Con Culaind „Die Krankheit des Cuchulainn“, in Ogham 10, 1958, S. 294. Im Text Togail Bruidne Da Derga oder „Die Zerstörung der Herberge von Da Derga“, Hg. Whitley Stokes, Paris, 1902, S. 14-15 finden wir eine weitere Variante; vgl. auch Eleanor Knott, Dublin, 1936, S. 4: „Da starb also König Etarscele. Daher feierten die Männer Irlands das Stierfest, d.h. sie töteten einen Stier und ein einziger Mann hatte vom Fleisch zu essen und von der Brühe zu trinken. Der Mann, den er in seinem Schlafe sah, war der König, und seine Lippen verstummten auf immer, wenn er log.” Vgl. Françoise Le Roux & Christian Guyonvarc’h, loc.cit., in Ogham 15, S. 246.. Hist. Nat., XVI, S. 249, 107 Die Druiden, Arun, 1996, S. 174-177. 108 Giraldus Cambrensis, Topographia Hibemica, III, 25, Hg. James F. Dimock, Giraldi Cambrensis Ope­ rn, V, London, 1867, S. 169.

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109 Op. cit., S. 94. 110 Ein altirischer Krönungsritus und das indogermanische Roßopfer, in Zeitschriftfur Celtische Philolo­ gie, 16, S. 310-312. 111 Dieux et héros des Celtes, Paris, 1940, S. XIV-XV. 112 G. Dumézil, Fêtes romaines d'été et d’automne, Paris, 1975, S. 218. 113 Françoise Le Roux, Recherches sur les éléments rituels de l’élection royale irlandaise et celtique, in Ogam 15, 1963, S. 123-137 (für alle Detailhinweise auf andere Literatur, besonders bezüglich Indiens, verweisen wir auf diesen Aufsatz); siehe auch Georges Dumézils Behauptung in Derniers soubresauts du Cheval d’Octobre, in Fêtes romaines d’été et d’automne, Paris, 1975, S. 211-219. Für die Langwierigkeit der Fehlinterpretation siehe Μ. Claude Sterckx,Éléments de cosmogonie celtique, Bruxelles, 1986, S. 51 53. Unsere und Dumézils Argumente scheinen Herrn Sterckx,.nicht ausreichend“, der leider nicht genauer angibt weshalb und überdies meint, daß „die offensichtlich verwandte Anlage [des indischen und des kelti­ schen Rituals] durch die semantische Ähnlichkeit bestätigt wird, die zwischen dem gallischen Epomeduos und dem vedischenashvamedha besteht.“ Diese Behauptung steht jedoch auf besonders schwachen Beinen: bezeichnen epo- und ashva- im Gallischen und im vedischen Sanskrit das Pferd, so handelt es sich bei medha und -meduos nur um eine augenscheinliche Ähnlichkeit, die nicht über den förmlichen Aspekt hin­ ausgeht. Das gallische -meduos heißt „trunken, leidenschaftlich“ und nichts weiter. Das keltische Wort weist also ungleich dem indischen keineswegs auf ein Opfer hin. Dieser Erklärungsversuch ist überdies J. Puhvel, Vedic ashvamedha and Gaulish iiPOMUDVOS, in Language 31, 1955, S. 353-354 „entliehen“. Aber nicht nur das: Der versuchte Vergleichsbeweis zwischen indischem und keltischem Inthronisations­ ritual, der zur Bestätigung obiger Behauptungen herangezogen wird, basiert auf einem irischen Überset­ zungsfehler. Das letzte Argument Herrn Sterckx ist denn auch die große Anzahl von „Fachleuten“ die, ohne jegliches Hinterfragen, von 1927 bis 1975 seiner Ansicht waren. Auf einer solch schwachen Argumentation sollte die Klärung dieser Frage nicht beruhen. Zum indischen ashvamedha wollen wir auf Tilak, Origine polaire de la tradition védique, op. cit., S. 183-184 verweisen: „Das Ashvamedha ist zeitlich nicht fixiert, da es von der Rückkehr des Pferdes abhängt, dieses Opferpferdes, das im Rig-Veda mit der Sonne ver­ glichen wird, die über die Wasser hinwanderi (I, 163, l). Die Rückkehr des Pferdes symbolisiert gewis­ sermaßen also die Wiederkehr der Sonne nach einer langen Nacht. Insofern besteht eine enge Bezie­ hung zwischen dem Ashvamedha und den Nachtopfem, die abgehalten wurden, um Indra zu helfen, Vala zu bekämpfen und diesem Dämon die Morgendämmerung und die Sonne zu entreißen. “ 114 P.W. Joyce, op.cit., II, S. 434 ff; d’Arbois de Jubainville, Études sur le droit celtique, I, S. 293-294. 115 Keating, History oflreland, Hg. Dinneen, II, S. 246 116 Christian-J. Guyonvarc’h, La maladie de Cuchulainn, in Ogham 10, S. 310. 117 Hg. Henderson, op. cit., S. 14-16, § 15. 118 Siehe oben. Echtra Nerai („Die Abenteuer Neras“), Hg. Kuno Meyer, in Revue Celtique 10, S. 214 § 1-2. 120 Siehe Ogam 11, 1959, S. 411 ff. 121 Siehe Ogam 10, 1958, S. 298-306. 122 Hg. Kuno Meyer, loc. cil., S. 262, § 19. 123 Tath mhucrama, in Silva gadelica, I, 310. 124 Macgnimartha Find, Hg. Kuno Meyer, in Revue Celtique, 5, S. 202. Der Verweis auf die Side ist leider aus der späteren Versfassung verschwunden, die Eoin Mac Neill inDuanaire Fian, I, S. 33 herausgab. Dort heißt es, daß Find schon seit seiner jüngsten Kindheit mit Schweinefleisch genährt wurde; vgl. P.W. Joyce, op. cit., I, S. 264 ff. 125 Aidid Crimthaind Maie Fhidaig, Hg. Whitley Stokes, in Revue Celtique, 24, S. 178. 126 La mort sacrificielle du roi, in Ogam 6, 1953, S. 259 ff. 127 Françoise Le Roux, Des chaudrons celtiques à l'arbre d'Esus. Lucain et les Scholies Bernoises, in Ogam, 7, 1955, S. 33 ff. Siehe auch Waldemar Deonna, Les victimes d'Esus, in Ogam, 10, 1958, S. 3 ff. 128 Dieux et héros des Celtes, op. cit., S. 74.

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129 Françoise Le Roux, Le calendrier gaulois de Coligny (Ain) et lafête irlandaise de Samain (*Samonios), in Ogam, 9, 1957, S. 337-342. 130 Bezüglich des Colignykalenders verweisen wir auf unsere Studie: Françoise Le Roux, Christian-J. Guyonvarc’h & Jord Pinault, Le calendrier gaulois de Coligny (Ain), in Ogam, 13, 1961, S. 522-532 und 635-660. Tatsächlich konnte jedoch nur der erste Teil dieser Arbeit erscheinen (Françoise Le Roux’s Wie­ derherstellung des Kalendertextes) und der dritte Autor kam nicht zum Zug. Die für die Überprüfung und Weiterführung dieser Arbeit notwendigen Photographien wurden uns sehr willkürlich vom Verwalter ver­ weigert, da er sie, ganz, wie es im alten Regime üblich war, jemand anderem vorbehalten wollte. Nach ergebnislosen Protesten mußten wir bis 1986 warten, als der Recueil des inscription gauloises, III, Les calendriers (Coligny, Villardsd’Héria), XLV. Beilage zu Gallia, Ed. CNRS, Paris herauskam, wo wir uns, 25 Jahre nachdem man uns den Einblick verweigert hatte, von den Henen Paul-Marie Duval und Georges Pinault vorwerfen lassen mußten, nicht ins Originaldokument Einsicht genommen zu haben. Ganz nebenbei sei denn auch angemerkt, daß es sich auf Seite XI der Einleitung um eine Fehlannahme handelt, wenn da behauptet wird, vom Colignykalender gäbe es „eine Galvanoplastik“. Eine solche Galvanoplastik hat und wird es nie geben. Wir haben es ja hier mit keiner Münze zu tun. Wir kennen zwei ausgezeichnete Abdrucke, die im Nationalmuseum für Antiquitäten in Saint-Germain-en Laye bzw. im Keltensaal der alten philologi­ schen Fakultät von Rennes liegen. Letzterer wurde später nach Villejean in einen Saal der Keltologie der heutigen Universität von Rennes II- Haute-Bretagne gebracht, wo er im Lauf der Jahre von Studenten be­ schmiert wurde, die ihm den Vorwurf machten, nicht in Bretonisch verfaßt worden zu sein. Da jedoch, wo er aufbewahrt wurde, war er für jeden zugänglich. Um den Leser mit vollständigeren Informationen zu versor­ gen, wollen wir hier die erste Fußnote unseres Aufsatzes wiedergeben, der in Ogam 13, S. 635 erschien: Die Testproben entnahmen wir 1954-1955 im Museum von Lyon und 1961 dank Herrn Joffroys, im National­ museum für Antiquitäten in Saint-Germain-en Laye. In der Tat war es uns 1961 unmöglich gewesen, Zugang zum Original oder auch nur zu Photographien davon zu haben. Das Dokument liegt weder im Museum der gallo-romanischen Kultur noch im Labor des lothringischen Museums von Nancy, die eine wissenschaftliche Restauration anstellen hätte sollen. Wir wissen lediglich, daß der Kalender abgenom­ men wurde und die Bruchstücke ganz besonders gut geputzt wurden... Unsere Leser werden sicher ebenso wie wir bedauern, daß ein solch bedeutendes Kulturgut der Nationalarchäologie so lange der Öffentlichkeit und somit auch allen „normalen" Untersuchungen femgehalten wird. 131 Recueil des inscriptions gauloises, op. cit., S. 422. Das Wort für „Nacht“ (*nok't-) enthält keinen Diphtong (siehe Pokomy, Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch, S. 762-763). Doch wie kann behauptet werden, daß es sich beim fraglichen -ou- tatsächlich um einen Diphtong handelt? Und wie es bei solchen Unsicherheiten oft der Fall ist, so steht die vorgeschlagene Alternative selbst auf sehr schwachen Füßen (*neuk- „dunkel“ wird ohne jegliche keltische Grundlage nur vom Lateinischen und Litauischen gestützt); und das umsomehr als das Glossar auf S. 423 unseren Vergleich mit dem lateinischen TRINOCTIUM beibehält, um *TRINOX- zu erklären, „auch wenn die Etymologie eines vir SA MAIN, mit Gl SAMON- nichts zu tun hat.“

Keltisches bronzeverziertes Trinkhom, Grab Nr. 17, Jäszbereny-Cseröhalom (Ungarn), 3. - 2. Jhd. v. u. Z.

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Oben: Große Silberplatte aus Brescia, I. Jhd. v. u. Z. Zeigt es eine rituelle Tischgemeinschaft?

Unten: Mit geometrischen Mustern geschmückter Eingangsstein zum Ganggrab von Newgrange. Grafschaft Meath, Nähe Tara, ca. 3000 v. u. Z.

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Links: Darstellung eines Ebers Fundort: Rumänien

Unten: Ausschnitt aus dem Kessel von Gundestrup. Der keltische Gott Teutates steckt sein Opfer kopfüber in einen gefüllten Kessel.

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Darstellung eines Druiden. Interessant sind die Utensilien: Axtkopf und Behälter am Gürtel. Künstlerische Arbeit von William Stukeley (1740)

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II. KAPITEL IMBOLC

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IMBOLC, DAS FEST DES ERSTEN FEBRUAR 1. IMBOLC, EIN VERSCHOLLENES FEST Wie auch im Falle Samains begann unsere Studie zu Imbolc etymologisch. Da diese Untersuchung jedoch sehr komplex ist, wollen wir sie hier nicht im Detail anführen, sondern verweisen auf die Erklärungen in Anhang 2. Angesichts der vorgebrachten Dokumente können wir uns langes Herumreden ersparen und als Ergebnis dieser philologischen Untersuchungen feststellen, daß es sich bei Imbolc um eine „Lustration“, also rituelle Reinigung von den Härten des Winters handelt. Wir haben es hier ganz sicher nicht mit einem Fest des Jahresbeginns zu tun. Es ist dies vor allem der archaische Name eines Festes, welches schon zur Zeit, als die ersten schriftlichen Aufzeichnungen darüber gemacht wurden, praktisch verschwunden war oder vielleicht auch gar nie als großes Fest gefeiert wurde. Die wenigen Überlieferungen zu diesem Punkt ermöglichen uns keine vollständige Analyse dieses Festes, und wir wollen hier weder unwahrscheinliche Neuigkeiten entdecken, noch die bereits bekannten und gut - bzw. allzu gut - kommentierten Fakten uminterpretieren. Aus den genauen etymologischen Ermittlungen können wir schließen, daß es sich keineswegs um ein bloßes Fest der Bauern handelte.112 Natürlich kommt der Landwirtschaft als Symbol und Mittel des Wohlstandes ein ganz besonderer, nicht jedoch der einzige Platz im Kalender zu. Räumen wir hier ein für allemal mit dem alten Vorurteil auf, wonach die Bauern den Motor und Hauptgrund der keltischen Feste darstellten. Wie auch bei der Fehlinterpretation des kleinen, irischen Sprich­ worts, das besagt, daß die Ziegen zu Imbolc Milch bekommen, wurde dieser Feh­ ler auch in anderen Fällen begangen, was zu einem sehr einschränkenden und eingeschränkten Bild der Hohen Feste führte. Doch auch die Hypothese T.G.E. Powell’s1”, daß dieses Fest auf eine kleine Gruppe der Bevölkerung beschränkt war, ermangelt jeglichen Beweises. Unseren Wissens gibt es kein irisches Fest, welches auf einen bestimmten Ort oder ein bestimmtes Handwerk begrenzt ist. Alle betreffen entweder eines der fünf irischen Königreiche oder aber ganz Irland und bringen symbolisch die Herrschaft zum Ausdruck, die immer auf einer Zusammenarbeit von Priestern und König beruht.

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2. MYTHOLOGIE ODER VOLKSKUNDE? Eines ist jedoch klar: Das Fest reiht sich problemlos in die indoeuropäische „Februaratmosphäre“ ein, die von Reinigungszeremonien und Orgien geprägt wird, wie sie Georges Dumézil in seinem Werk Le problème des Centaures beschreibt.134 Leider sind uns die februaria aus dem vorchristlichen Irland nicht mehr zugäng­ lich. Doch ist es sinnlos, solche februaria im Fest der Heiligen Brigitte zu suchen, welches Imbolc ersetzte: Nichts von alledem, was in den Hymnen, Predigten oder Liturgien des Hochmittelalters gesagt wird, ist - außer ein paar Anspielungen ohne weitere Konsequenzen - übertragbar auf den religiösen Raum, der uns interessiert. Wir würden uns in der Spekulation über feinste Nuancen von Anspielungen ver­ lieren. Was die Folklore betrifft, die für unsere Belange sehr nützlich sein kann, wenn sie eine wie auch immer geartete, religiöse Struktur aufweist, so steckt in ihr, wie in den Zungen des Aesop, das Beste und das Schlimmste. Wir wollen uns jedoch nicht vor einer genaueren Überprüfung der Fakten drükken, auch wenn es wichtig ist, die Vorbedingungen zu definieren. Unsere Ein­ schränkungen bezüglich der Volkskunde basieren auf mehreren Überlegungen und Gründen, von denen zwei von grundlegender Bedeutung sind:

Die moderne Volkskunde - oder besser, was davon nach den Zeugnissen und Erinnerungen einer Periode noch übrig ist, die in etwa die zweite Hälf­ te des 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts betrifft - ist ein Ensem­ ble komplexer Fakten verschiedensten und oft überraschendsten Ursprungs. Wir vermögen sie kaum oder gar nicht in eine globalere Struktur einzubet­ ten. Die Verwendung folkloristischer Informationen zum Zweck der verglei­ chenden Mythologie wurde von den Volkskundlern weder vorgesehen noch vorbereitet. Sie stehen insofern den Ethnologen (deren Zielsetzungen und Methoden sich nicht unbedingt mit den unseren decken) näher als den Religionswissenschaftlern. Uns ist kein Werk bekannt - und auch Van Genneps Manuel de Folklore stellt hier keine Ausnahme dar - in dem der Versuch angestellt wurde, eine Methode zu entwerfen, die es ermöglicht hätte, die Informationen der Mythologie auf die Folklore zu übertragen oder umgekehrt. Ein solches umgekehrtes Verfahren ist nicht nur äußerst selten, sondern unserer Ansicht nach in Bezug auf die Kelten unmöglich.

Ein dritter, allen hinlänglich bekannter Grund wäre der Umstand, daß die Chri­ stianisierung alles Ursprüngliche überdeckt, verfälscht und neu interpretiert hat. Wir wissen zwar heute, daß auch das nicht genau stimmt, doch hat der Übertritt zum Christentum die Gewohnheiten und Mentalitäten der Völker grundlegend verändert. Wir kommen deshalb auf den ersten, oben genannten Grund zurück:

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Außer in wenigen Ausnahmefällen können wir nie sicher sein, daß ein bestimmter Brauch direkt auf indoeuropäische Muster zurückgeht. Ersterer läßt sich natürlich - sowohl was die Form als auch die tieferen Gründe betrifft - wesentlich leichter einteilen und analysieren. Es ist unschwer nachzuvollziehen, daß eine Religion, die aus der Folklore entstanden ist oder zumindest auf ihr aufbaut, immer eine starke Beziehung zur Natur aufweisen wird. Folglich ist es ein inhärentes Merk­ mal der authentischen Folklore, deren Alter verbürgt ist, daß ihre Riten, die auf ein Minimum zeremoniellen Brauchtums reduziert wurden und wenig außer ih­ rem formellen, äußeren Aspekt beibehalten haben, sich besser erhalten haben, als der ihnen zugrunde liegende Glauben, der immer wesentlich schwerer zu erfassen ist.

3. DAS FEST DER HEILIGEN BRIGITTE Doch auch die irische Folklore ist bei weitem zu reich, um sie hier detailliert analysieren zu können. Da sie nicht unentbehrlich ist, wollen wir uns auf einige Beispiele beschränken, die wir der Doktorarbeit von Frau Véronique Guibert de La Vaissière Les quatre fêtes d'ouverture de saison de l’Irlande ancienne entneh­ men.135 Im Gegensatz zur Spärlichkeit unserer mittelalterlichen Textquellen zu Imbolc ist der bemerkenswerteste Umstand wohl der, daß „dieses Fest in Irland, wo die Heilige Brigitte sehr verehrt wird, sehr populär war.“ (Bd. I, S. 166) Folgte die Heilige Brigitte, deren Verdienste gemäß der irischen Heiligengeschichte denen des Heiligen Patrick um nichts nachstehen, der vorchristlichen Göttin Brigit, der Mutter aller Götter nach, wie sie das Comuicglossar bezeichnete (mater omnium deorum hibernensium)? Dies ist wahrscheinlich, wenn nicht sogar sicher, auch wenn wir über keine handfesten Beweise verfügen. Auf alle Fälle verschwand der Name Imbolc ebenso aus den Kalendern wie aus der Erinnerung des Volkes. Feabhra, der Monatsname des Februars ist wie auch im Britannischen ein lateini­ sches Lehnwort. Das Fest der St. Brigitte (là Fhéile Brighde - „Festtag der Brigit­ te“) am ersten Februar folgt unmittelbar auf Maria Lichtmeß (lâ Fhéile Muire na gCoinneal - „Festtag der Marie mit den Kerzen“), weshalb beide oft auch verwech­ selt wurden. Wir wollen uns jedoch davor hüten Mythologie, Theologie und Volkskunde durcheinander zu bringen. Eine St. Brigitte, die fast die Heilige Jungfrau ersetzt, oder jener zumindest so nahe steht, daß sie als Hebamme des göttlichen Kindes verstanden wird, drängt uns unwillkürlich den Vergleich mit Brigit auf, die auch Boand, Etain oder Dana genannt wird und die Schutzherrin Irlands und zugleich des Imbolcfestes war. Die Bedeutung dieses Festes für das Kalenderjahr zeigt sich

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in der Folklore durch ein erstes Element, welches wir als „Brauchsritus“ bezeich­ nen wollen: die durchwachte Nacht.

„Die durchwachte Nacht, in der der Großteil der wichtigen Rituale ei­ ner Zeremonie stattfanden, wird im Englischen „set-night“ genannt, was auf den Umstand zurückzuführen ist, daß es sich hierbei um eine (von der Tradition) festgelegte Nacht handelte, an der alle teilnahmen. In einem Jahr gab es mehrere solcher „set-nights“, u.a. die Neujahrsnacht, die Drei­ königsnacht (Old Christmas), die Faschingsnacht, die Allerheiligennacht (Halloween) und die Weihnachtsnacht.“ (I, S. 168). Imbolc konnte nur überleben, indem es in den christlichen Festtagsplan aufge­ nommen, bzw. übertragen wurde. Das Ritual ist ein Hauskult, der die Rückkehr der Brigit sicherstellen sollte, um das nunmehr gereinigte Haus zu beschützen:

Hier eine Geschichte aus Co Waterford in der Gegend von Tallow (HS 900): „Das Familienoberhaupt nimmt nach Sonnenuntergang eine Sichel zu Hand, um ein Bündel Schilf zu schneiden, welches anschließend außer­ halb des Hauses versteckt wird. Später kommt er das Bündel holen und umschreitet damit das gesamte Anwesen in der Richtung des Sonnenlaufs. Bei seiner Wiederkehr vor die Haustür spricht er zur kniend im Hause war­ tenden Familie: „Gebt mir etwas und laßt mich eintreten. - Wer ist da? - Ich bin Brigid.“ Dem folgen eine zweite und eine dritte Runde, die jedesmal durch denselben Dialog unterbrochen werden. Dann tritt der Mann ins Haus, legt das Bündel auf den Tisch, sagt dank und lädt alle ein, sich an den Tisch zu setzen. Nach dem Essen wird das Bündel in die Mitte des Familienkrei­ ses gelegt und ein Kreuz wird daraus angefertigt.“ Wir haben es hier mit einem ebenso einfachen wie klaren Ritual zu tun, da es sich auf das Wesentliche beschränkt: Der Einzug der Brigid in das Haus, dem sie im ganzen folgenden Jahr Schutz gewähren wird. In der Grafschaft Mayo ist das Ritual komplexer. Es häuft - oder verschmilzt willkürlich - verschiedene Bestand­ teile die mehreren ganz bestimmten anderen Riten zugrunde liegen.

„Um das Fest gebührend zu feiern, „sammelte“, wie man hier sagt, die Hausherrin etwa 8 bis 10 Tage vor der Nacht der St. Bridget „die Tropfen“, d.h. sie stellte Milch zur Seite, die am Vorabend des Feste der St. Bridget zu Butter geschlagen wurde. In der Regel war die Milch zu dieser Jahreszeit rar, doch tat die Hausherrin ihr Bestes, um genug aufzusparen, um in dieser besonderen Nacht Butter schlagen zu können, denn es hieß, es sei ein ma­ geres Fest, wenn keine Butter am Tisch stünde.

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Das Haus wurde besonders gereinigt und aufgeräumt, ja sogar das Inne­ re wurde mit Kalk geweißelt. Noch vor Einbruch der Nacht wurde ein an­ ständiges Feuer gemacht, dem Vieh wurde frisches Stroh untergelegt, und das ganze Anwesen sah aufgeräumt und angenehm aus, um Brigidh im Hause zu empfangen. Noch zuvor hatte sich der Hausherr eine Kleidung besorgt, die ihm als brat Brighde [„Mantel der Brigitte“] dienen sollte. Bei diesem Kleidungs­ stück handelte es sich um das Gewand, welches von jenem Familienmit­ glied am meisten getragen wurde, das die gefährlichste Arbeit zu verrich­ ten hatte. Da das Familienoberhaupt meist selbst, z.B. als Fischer auf hoher See, in dieser Rolle steckte und deshalb besonders des Schutzes der Heili­ gen im kommenden Jahr bedurfte, so diente meist einer seiner Mäntel oder Jacken als brat. Häufig wurde sein Halstuch zum brat. Der Mann brachte das Kleidungsstück in die Scheune, zog ein langes Bündel Weizen aus der Mühle und umwickelte die Garbe damit, um ihm den Anschein eines menschlichen Körpers zu verleihen. Dann trug er das Gebilde wie ein Kind und legte es vor die hintere Haustür. Dort ließ er es liegen und ging ins Haus. Als das Abendessen auf dem Tisch stand, erklärte der Hausherr, daß er jetzt die Brighid holen würde, da sie beim Feste anwesend sein sollte. Er ging hinaus und um das Haus zur Hintertür, wo er sich niederkniete und den im Hause Versammelten laut zurief: „Teigi ar ür nglüna agusfoclaigi ür süile agus leigi isteach Brighid. “ - „Se beatha, Se beatha“ wurde ihm von Innen geantwortet. Bitte und Ant­ wort wurden drei Mal wiederholt. Bei der dritten Antwort von Innen erhob sich der Mann und kam an die vordere Haustür, während die Leute im Haus weiterhin „Se beatha“ wiederholten. Erst als er ins Haus kam, hörten sie auf und sagten „Mush! Se beatha agus ä släinte“. Dann wurde der brat vorsichtig und voller Respekt an ein Tischbein gelehnt. Erst jetzt nahm die Familie am Tisch Platz und fing nach einem kurzen Gebet zu essen an... Nach dem Abendessen wurde der brat an einem sicheren Ort verwahrt. Dem oben erwähnten Kleidungsstück, welches als brat diente, wurde nun ein weiteres Stück Stoff hinzugefügt, von welchem man im Laufe des Jah­ res ein Stückchen nimmt, um Zahn-, Kopfschmerzen oder Schwindelanfäl­ le zu beheben... Dann wurden aus bestimmten Weizenähren die St.Brighids-Kreuze an­ gefertigt... In der Regel wurde das Kreuz oberhalb des Küchenfensters auf­ gehängt. Es gewährte zwölf Monate lang Schutz gegen Sturm und die Zer­ störung des Dachs. Man ging davon aus, daß der Wintersturm am Vor­ abend der Heiligen Brigitte vorbeikam und suchte sich durch das Aufhän­

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gen des St.Bridget-Kreuzes vor dem Winter zu schützen. Auch die jüngsten Familienmitglieder fertigten solche Kreuze an und maßen sich darin, wer das schönste hergestellt hatte. Oft machte sich jeder sein eigenes Kreuz...“ (MS 903, S. 48-55; op.cit., I, S. 173-174.)

Diese beiden Auszüge sind viel eher routinemäßiges Brauchtum als zufällig erhaltene, religiöse Riten und würden sich in der Exegese wohl auch recht eigen­ artig ausmachen. Sie unterstreichen vielmehr zwei wichtige Details: Die große Bedeutung, die der Heiligen Brigitte im Jahreslauf der ländlichen Gegenden Ir­ lands zukommt und die tiefe Verwurzelung der Christianisierung in der Landbe­ völkerung. Die gesamte Zeremonie dient also einzig und allein dazu, den Schutz der Heiligen zu erlangen, ja mehr noch, ihr Schutz allein genügt nicht, sie soll symbolisch das ganze Jahr hindurch anwesend sein. Von der rein theologischen Seite aus gesehen, handelt es sich hierbei sicher um einen relativ hohlen Ritus: Das irische Fest der St. Brigitte hat mit Imbolc nichts mehr zu tun, sondern ist völlig an den Heiligenkult gebunden. Da stellt sich natürlich die Frage, ob alle in diesem keltischen Land verehrten Heiligen, tatsächlich von Rom heilig gesprochen wurden. Eine weitere Frage ist, inwiefern die Folklore (im weitesten Sinne des Wortes) Elemente vorchristlicher Kulte oder Mythen in Heiligenkulten erhalten hat. Es ist ganz klar, daß der Groß­ teil der Anekdoten, die sich um die Heilige Brigitte ranken, keinerlei evangelische Herkunft aufweisen. Natürlich können wir diese Fragen in diesem Rahmen nicht beantworten. Doch interessieren uns die Bezüge, die zwischen der christlichen und der vorchristli­ chen Brigid bestehen, die zweifellos die Schutzherrin des Imbolcfestes war. Natür­ lich ist es heikel, willkürliche Behauptungen zu dieser Beziehung aufstellen zu wollen, doch sind wir mangels inhaltlicher Vergleichspunkte dazu angehalten, den wesentlich reicheren Aspekt der formalen Übereinstimmungen zwischen dem Brigidsfest und Imbolc genauer zu betrachten. Dieser Rückgriff auf die Folklore dient uns als Notlösung, da wir über keinerlei Quellen in den Mythen oder Annalen verfügen. Das Experiment ist jedoch einen Versuch wert, auch wenn wir bald auf die Grenzen der Volkskunde für unsere Zwecke stoßen werden. Wodurch zeichnet sich das Ritual also aus? Die ersten beiden Schritte, die als Vorbereitung auf das eigentliche Ri­ tual verstanden werden können, sind: - Das Sammeln der Milch und Sahne und das Aufbewahren der Butter. - Das Reinigen von Haus und Hof und das Entfachen eines stattlichen Feuers.

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Dann kommen:

- Fertigung einer Strohpuppe (aus einer von einem Kleidungsstück um­ wickelten Weizenähre). - Die Eintrittszeremonie: Bitte um Einlaß des Hausherren, der die Bri­ gitte entweder trägt oder verkörpert. - Positive Antwort der Hausbewohner (der übrigen Familienmitglieder). Fragen und Antworten nach fixem Muster. - Fertigung von Kreuzen zum Schutz gegen Sturmschäden, da sie von der Heiligen Brigitte geweiht wurden.

Das Ritual wurde also ganz offensichtlich christianisiert, was sich nicht zuletzt durch die Anfertigung des Kreuzes zeigt. Es stellt sich die Frage, ob es sich bei diesen Kreuzen jedoch um christianisierte Talismane oder aber um ein typisches Zeichen handelt, welches dem Ritual im Laufe der Bekehrung zum Christentum hinzugefügt wurde. Sie könnten sogar auf die allgemeinen Umstände der Christia­ nisierung zurückzuführen sein, was bedeuten würde, daß das ganze Ritual sich ausschließlich um die Verehrung der Heiligen Brigitte rankt. Natürlich fehlen uns die Argumente, diese Frage eindeutig zu klären. Es han­ delt sich überdies nur um einen von vielen bedeutsamen Riten, die Véronique Guibert dem äußerst umfangreichen Kompendium der Folklorekommission der Universität Dublin entnommen hat und im zitierten Werk I, S. 175-260 aufzählt. Auch wenn es heikel ist, sie ihren Eigenschaften nach einteilen zu wollen, so soll uns die folgende Liste einen ungefähren Einblick in diese Thematik geben, die wir in diesem Rahmen kaum ausführlicher behandeln können:

- Prozession mit Puppen (der „Biddy“) und Verkleidung - Festessen - Entzünden von Kerzen - Die Mantelzeremonie (der Hl. Brigitte), bei der ein Brat, also ein Klei­ dungsstück über Nacht draußen gelassen wird und am Morgen mit einem Schutzzauber belegt ist. - Anfertigung eines Reifens (crios), „einer geflochtenen Strohschnur, durch die das Vieh und die ganze Familie zu gehen hatte. “ - Ablage von Kleidungsstücken und Speisen vor dem Haus - Besprenkelung der vier Hausecken mit dem Blut eines Geflügels oder, auf den Araninseln, Verteilung von Muscheln über den Hausboden - Anfertigung von „Binden“ oder Fesseln für das Vieh: , Jedes Tier be­ kam in dieser Nacht ein neues Halsband aus dem Strohgold der Brigid, um ihm für die nächsten 12 Monate Glück und Schutz gegen Krankheit und Übel zukommen zu lassen.“ (op. cit., I, S. 183)

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Es wäre interessant, hier die christlichen von den vorchristlichen Elementen voneinander unterscheiden zu können. Es scheint auch ohne größere Argumenta­ tion klar, daß es sich beim Karneval, der sich hier wie sonst auch durch Verklei­ dungen, Rollen-, Alters- und Geschlechtertausch auszeichnet, keineswegs christ­ lichen Ursprungs ist. Auch der Brauch des Feuers und des Geflügelopfers schei­ nen auf heidnische Rituale zurückzugehen. Doch sollten wir der Versuchung solcher Interpretationen nicht allzu sehr er­ liegen, weil die Unterscheidung von „Christlichem“ und „Heidnischem“ nur we­ nig Sinn hat, da das Fest heute rein christlichen Zwecken dient. Denn so interes­ sant all diese Details auch sein mögen, so sind die heutigen, folkloristischen Züge des Festes der St. Brigitte nicht auf die typisch vorchristlichen Normen reduzier­ bar. Es wird vielmehr klar, daß die Unterschiede, die zwischen zwei Religionen bestehen, sich nicht auf Gegenteile oder Widersprüche reduzieren lassen. So kön­ nen wir aus all dem zwar nur recht wenige Schlüsse auf die vorchristliche Struktur des Festes ziehen, doch sind die zahlreichen Detailinformationen von unersetzli­ chem Wert. Provisorisch gelangen wir also zum Schluß, daß das Fest der St. Brigitte Imbolc ersetzte. In dieser Hinsicht ist es nur logisch, davon auszugehen, daß das christli­ che Fest das heidnische in gewisser Weise fortführt. Deshalb ist auch der Schluß zulässig, daß Imbolc der großen irischen Göttin Brigit geweiht war. Die Namens­ gleichheit muß die Übertragung des Festes zusätzlich erleichtert haben. Es steht überdies anzunehmen, daß die Züge der Reinigung und Lustration in förmlicher Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Ritual stehen. Doch finden wir neben der zugegebenermaßen bemerkenswerten Überein­ stimmung des Reinigungs- und Schutzrituals, dem Beibehalt abgeschwächter und gemäßigter „orgiastischer“ Züge, der Überlagerung des Kalendertages und der impliziten Namensgleichheit nur mehr die Züge eines Festessens im Rahmen der Familie. Es ist klar, daß Feste des Jahreslaufs dem Christentum a priori fremd sind. Doch wurde dieses Fest - wie andere auch - durch einen Heiligenkult vom liturgischen Kalender „geschluckt“. So schließen wir hier unsere Exkursion in die Volkskunde nicht, weil ihre Untersuchungen zu wünschen übrigließen - ganz im Gegenteil -, sondern weil wir hier an die Grenzen ihrer Anwendbarkeit für unsere Zwecke stoßen.

4. ZUR EPISCHEN ÜBERLIEFERUNG Helfen uns die „Fakten“ der Volkskunde auch nicht sehr viel weiter, so sind es doch praktisch die einzigen. In allen uns heute erhaltenen Epen kennen wir nur

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eine einzige Stelle, die explizit auf Imbolc eingeht. Eine Episode der Abenteuer Cuchulainns findet zu Imbolc ihr Ende:

„Da sang er ihm den ferdord und jener schlief ein [...] Drei Tage und drei Nächte lang schlief Cuchulainn neben dem Grab Lergas. In Wahrheit war dies nur natürlich, denn sein Schlaf entsprach dem Ausmaß seiner Erschöpfung. In der Tat hatte Cuchulainn vom Montag nach Samain bis zum Montag nach Imbolc nicht geschlafen, außer vielleicht ein bißchen am Nachmittag auf seine Lanze gestützt, den Kopf auf der Faust, die Faust auf der Lanze und die Lanze auf dem Knie, doch schlug, tötete und massakrier­ te er während dieser Zeit vier Fünftel der Iren. Nun aber legte der Krieger des sidh Heilpflanzen, Kräuter und Zaubergesänge auf die Hiebe, klaffen­ den Wunden, Quetschungen und zahlreichen Verletzungen Cuchulainns. Und Cuchulainn erholte sich während seines Schlafs, ohne auch nur irgend etwas zu bemerken.“136

Interpretieren wir diese Stelle richtig, so kämpfte Cuchulainn ohne nennens­ werte Schlafpausen vom ersten November bis zum ersten Februar, d.h. in den drei düstersten und kältesten Monaten des Jahres. Erst als der Winter milder wird und die Natur langsam aus ihrem Schlaf erwacht, gönnt er sich drei Tage Ruhe, was hinsichtlich seiner großen kriegerischen Leistungen noch reichlich knapp bemes­ sen ist. Es sei darauf hingewiesen, daß zwischen den Heldentaten und dem Datum Imbolcs außer dem chronologischen Anhaltspunkt keine direkte Beziehung be­ steht. Ebensowenig glauben wir, daß die Außenumstände und Gründe der überliefer­ ten Ereignisse in unmittelbarem Zusammenhang mit Imbolc stehen. Die Erschöp­ fung ist das Resultat übermäßigen Kampfes und scheint fast zufällig auf diesen Tag zu fallen, wäre sie nicht von einem mysteriösen Krieger, und zwar Lug selbst, in die Wege geleitet worden, um die Wunden Cuchulainns während des Schlafs zu heilen. Für einen Gott sind drei Tage hierzu mehr als genug. Sein Name wird zwar in der Version des Buches von Leinster nicht wörtlich erwähnt und mit allgemei­ nen Begriffen wie oenflier („Mann“) und laech („Krieger“) umschrieben,137 doch wird er es in der ältesten Fassung der Tain Bö Cüalnge, die Cecile O’Rahilly Recension l nennt und die nichts anderes ist als der Lebor na hUidre. In dieser Version ist der Handlungsablauf ebenso klar wie logisch: Lug zieht unsichtbar, wie es sich für einen Gott aus der Anderen Welt gehört, durch die irischen Heere. Er stellt sich Cuchulainn vor, der ihn nach seinem Namen fragt. Die Antwort ist einfach und direkt: Is messes do athair a ssidib .i. Lug mac Ethlend („Ich bin Dein Vater aus dem Sid, Lug, der Sohn des Ethliu“). Dann schickt er den Helden mittels Zaubergesang in den Schlaf und heilt all seine Wunden durch Pflanzen.138

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Das ist alles höchst interessant, jedoch in Bezug auf Imbolc nicht sehr ergie­ big, denn das Fest des Lug ist im August und nicht im Februar. Hätte es an diesem Tag nicht eher einer Göttin zur Heilung des Helden bedurft? Doch ist der Höchste Gott der Tiiatha Dé Dänann Arzt, die große irische Göttin Brigit aber - auch Eithne, Etain oder Boand genannt, die mater deorum Hibernensium des Cormacglossars ist zwar die Schutzherrin der Ärzte, als solche jedoch keine Göttin der Medizin selbst. Imbolc ist eine Lustrationszeremonie: Man wäscht sich und entledigt sich des Winterschmutzes, nicht jedoch der Krankheiten und Ermüdungen der Krieger. Es wäre sicherlich interessant zu wissen, ob sich die altirische Literatur bezüg­ lich Imbolc in Schweigen hüllt, weil sie nichts dazu zu sagen hat, oder aber weil sie nichts dazu sagen will. Doch verfügen wir nicht über den geringsten Hinweis, der uns in der Annahme bestätigen könnte, die christliche Moral wäre durch di­ verse Zwbo/csbräuche vor den Kopf gestoßen worden. Weiter können unsere Mut­ maßungen also diesbezüglich nicht führen. Es ist wohl bedeutsamer, daß der Be­ griff Imbolc bereits im Hochmittelalter nicht mehr oder nur mehr fälschlich, und ganz offensichtlich nicht mehr vom Volk selbst gebraucht wurde. Das Februarfest wurde in zwei bzw. drei christliche Feste (das der St. Brigitte, Lichtmeß und Mariä Reinigung) zerstückelt und gänzlich Bestandteil des authentisch-irischen Chri­ stentums. Imbolc ist das einzige irische Fest, zu dem uns die Schreiber, Mönche oder filid keinerlei vorchristliche Riten, Feierlichkeiten, Opfer oder Versammlungen überliefert haben. Wir führten oben einige Beispiele aus den Quellen der Folklore um das Fest der St. Brigitte an. Insofern scheint uns ein Vergleich mit den europäi­ schen Karnevalsbräuchen überflüssig. Es gibt hier außer auf etymologischer Ebe­ ne keine Vergleichsmöglichkeiten mit der irischen Folklore. Hierzu sollen uns eher zwei lateinische Autoren dienen, die Georges Dumézil bereits sehr hellsichtig analysiert hat: Varronus, Lingua latina VI, 34: ... februarium a die februato, quod tum februatur populus i.e. lupercis nudis lustratur antiquum oppidum Palatin­ um gregibus humanis cinctum. Festus, 75,23: februarius mensis dictus quod tum i.e. extremo mense anni, populus februaretur, i.e. lustraretur ac purgaretur, vel a Junone februata quam alii Februalem Romani Februlim vocant, quod ipsi eo mense sacra fiebant, ejusque feriae erant Lupercalia, quo die mulieres februabantur a lupercis amiculo Junonis i.e. pella caprina; quam ob causam is quoque dies Februatus appellabatur. Quaecumque denique purgamenti causa in quibusque sacrificiis adhibentur, februa appellantur. Id vero quod purgatur, dicitur februamentum.1”

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Kommentar, Interpretation und Erklärung des römischen Festes der Lupereales fallen nicht in unseren Bereich, weshalb wir uns darauf beschränken wollen, die kurzen Erklärungen Emout-Meillets (eher Emouts als Meillets) zu zitieren. „Scheinbar verschmolzen hier Zeremonien mehreren Ursprungs. Eine Lustrationsfeier, Sühneopfer an die Götter der Unterwelt und das Fruchtbarkeitsritual der Lupercalia.

Für alle anderen Fragen wollen wir auf Georges Dumézil, La religion romaine archaïque, Paris, 1966, S. 340-344 verweisen. Im Detail gibt es zwar keine direk­ ten Übereinstimmungen zwischen den lateinischen und den keltischen Riten, doch ist der Vergleich zwischen dem lateinischen Wort - und Prinzip - und dem irischen Imbolc ebenso klar als zulässig, auch wenn die Etymologie des februarius umstrit­ ten ist. Auch in Irland wird das Fest von einem Lustrationsritus bestimmt, wenn auch angefügt werden muß, daß die uns bekannten Riten des lateinischen februamentum nicht mit bestimmten Flüssigkeiten vollzogen wurden. Da spielt der Stellenwert, der dem Februar in den verschiedenen Kalendern zukommt, nur eine zweitrangige Rolle. Die Frage nach dem irischen Namen dieses Monats wur­ de bereits aufgeworfen. Die komplexe Anlage der römischen Feste, der Luperques ebenso wie der Lupereales sollte uns zu denken geben: Auch keines der keltischen Feste ist wohl ausschließlich der dritten Klasse vorbestimmt, und beschränkt sich auf den ländli­ chen Aspekt der Fruchtbarkeit. In der Tat neigten wir in unseren ersten Arbeiten dazu, das Fehlen der Quellen zu diesem Fest auf seine Unwichtigkeit zurückzuführen und den Grund dafür in der geringen Bedeutung zu sehen, die der dritte Klasse der Bauern in der Religion der Kelten zukam. Wir wollen diese Ausgangsposition etwas nuancieren, die im Prinzip ganz richtig davon ausgeht, daß der Oberherrschaft in diesem System, die bei weitem wichtigste Rolle zukam.14' Diese Sichtweise hätte uns über kurz oder lang dazu geführt, Samain als das große Fest aller drei Klassen zu verstehen, wäh­ rend die anderen drei Feste je einem Aufgabenbereich zugekommen wären: Imbolc Belteine Lugnasad

Bauern Priester König und Adel

Das wäre wohl zu schön und zu vereinfachend, um wahr zu sein. Seit über dreißig Jahren hatten wir nun Gelegenheit dazu festzustellen, daß die irische (und keltische) Gesellschaft keineswegs zur engen Verkastung der Klassen neigte. Die Argumentation ist so stichhaltig, daß sie all den „Fachleuten“, die sich darum bemühen, die keltische Welt auf die strengen Stereotypen einer dreigeteilten Ge­ sellschaft zu beschränken, gehörig den Wind aus den Segeln nehmen sollte. Au-

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ßerdem werden wir im Zuge dieser Arbeit reichlich Gelegenheit dazu haben, her­ vorzuheben, daß Belteine, Samain und Lugnasad ebenso der ersten und zweiten Klasse zukamen, und Lugnasad vor allem das Fest war, das den König in seiner Aufgabe als Harmonisierer und Regulierer der Gesellschaft feierte. Weiters scheint es offensichtlich, daß Brigit, die Schutzgöttin Imbolcs, ebenso Herrscherin als Mutter einer Familie ist. Alles, was über diese Feststellungen hinausgeht, gerät zwangsläufig in den nebligen und unsicheren Bereich der Hypothesen, und wir tun sicher besser daran, abschließend nicht mehr behaupten zu wollen, als daß es sich bei lmbolc um den Namen eines eher zweitrangigen Rituals handelte. Denn was können wir schon mit Sicherheit behaupten? Konkret nur dieses: Das Lustrationsritual steckt bereits im Namen, während der Aspekt der Fruchtbarkeit und der Schöpfungskraft im Prinzip jeder Göttin zu eigen ist. Die Frage, ob es sich hierbei um das keltische Gegenstück der Luperques und Lupereales handelte, wenn es ein solches über­ haupt gab, muß offen bleiben. War lmbolc nun tatsächlich dieses ländliche Fest, als das es so viele Keltologen verstanden wissen wollten?142 Wir sehen hier keineswegs Züge der Ausgelassen­ heit eines germanischen Karnevals oder aber der Unsterblichkeitszeremonien der römischen Lupereales, die später in der westlichen Folklore weiterlebten. Ein wei­ teres Argument ist, daß diesem Frühling im keltischen Kalender eine zweitrangi­ ge Bedeutung zukommt. Die Jahreszeiten ändern sich im Mai und im November, während der römische februarius den letzten Monat des Jahres darstellte. Gleich ob nun die Kelten oder Römer in dieser Hinsicht die Erneuerer waren,141 so ist es doch leicht nachvollziehbar, daß die Kelten den Lupereales, die für sie auf eine relativ unbedeutende Jahreszeit fielen, nicht viel abgewinnen konnten. Sie gingen übrigens in keinem Land der Welt in die mündlichen oder schriftlichen Archive der plebs miserrima ein. Unsere Untersuchungen laufen also einerseits darauf hin­ aus, daß lmbolc nicht in den Zyklus der großen Jahresfeste fiel, andererseits konn­ ten sie die wahre Etymologie der Lustration und Reinigung deutlich von den analogistischen und symbolischen Etymologieversuchen abgrenzen.

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Anmerkungen 1,2 Jan de Vries, Keltische Religion, Stuttgart, 1961, S. 234 (der frz. Version). 133 The Celts, S. 169. 134 S. 195-222. Es ist typisch für die Folgen der Christianisierung, daß in Irland wie auch in anderen kelti­ schen Ländern nichts mehr von diesen „Irreinflüssen“ übrig ist, die sich auf das tiefere Seelenleben des Menschen beziehen, wie es René Guénon beschreibt: Sur la signification des fêtes „camvalesques“, in Symboles fondamentaux de la science sacrée, Paris, 1962, Hg. Gallimard, S. 165, Fußnote 2. Übrigens treten im Glauben der Kelten die Masken und Dämonen nicht zulmbolc, sondern zuSamain an den Tag. So läßt es zumindest die Erzählung der Echtra Nerai „Abenteuer Neras“ annehmen. ’’’Diese Arbeit wurde am 15.12. 1978 an der Paul-Valéry-Universitât von Montpellier vorgelegt. Da diese reich belegte Untersuchung bedauerlicherweise nicht verlegt wurde, beziehen sich die Stellenverweise auf die maschinengeschriebene Vorlage. 136 Tain Bö Cüalnge oder „Der Raubzug der Kühe Cooley’s", Hg. Gallimard, Paris, 1994, S. 144. 137 Hg. Best-O’Brien, II, S. 319. 138 HG. O’Rahilly, Tain Bö Cüalnge, Recension I, op. cit., S. 65. 139 Emout-Meillet, Dictionaire étymologique de la langue latine, Paris, 1959, 222b-223a; Walde-Hofmann. Lateinisches etymologisches Wörterbuch, I, Heidelberg, 1938, S. 472-473. 140 Op. cit., S. 233a. 141 Siehe dazu ganz allgemein unser Werk zur Société celtique, Rennes, Hg. Ouest-France, 1991. I42M. L. Sjoestedt, Dieux et héros des Celtes, S. 72, glaubte zu unrecht, daß der keltische Kalender ländli­ cher Natur war. Er wurde es vielleicht später, doch hatte diese Entwicklung in der vorchristlichen Epoche noch nicht begonnen. 143 Es scheint jedoch eher, daß die Erneuerungen diesbezüglich von römischer Seite kamen, wenn wir den Colignykalender mit dem alten Kalender von Numa vergleichen, den Titus Livius 1,19 wie folgt beschreibt: „... Zuerst unterteilte er das Jahr nach dem Lauf des Mondes in zwölf Monate. Doch da der Mondzyklus kürzer ist als die dreißig Tage jeden Monats, aber andererseits ein paar Tage fehlen, um das Jahr nach dem Sonnenzyklus zu richten, so fügte er Schaltmonate ein, damit jedes Jahr die rechte Anzahl an Tagen hatte. Die ausstehenden Intervalle wurden alle zwanzig Jahre nach dem Sonnenzyklus gerichtet, der als Ausgangs­ punkt diente. Außerdem bestimmte er günstige und ungünstige Tage, an denen es besser war, nichts zu unternehmen, was den Staat betraf.

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Oben: St. Brigids-Kreuz. Die keltische Göttin Brigit sorgte sich um Landwirtschaft und Bauerntum, um Vieh und Ernte, um Schwangere und Kinder. In Form der Flüsse hielt sie das Land fruchtbar. Die Swastika symbolisiert ihren sonnenmagischen Charakter.

Unten: Stier aus Bronze. Der Stier erfreute sich bei den Kriegern wegen seiner Stärke und Angriffslust und bei den Bauern als Symbol für Fruchtbarkeit einer hohen Beliebtheit. Blansko, Tschechien, 6. Jhd. v. u. Z.

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Oben.Vorrichtung zum rituellen Entzünden des Neufeuers. Die rituelle Feuererzeugung des Neufeuers gleicht einem Zeugungsakt. Die Vereinigung des männlichen, harten Holzes mit dem weiblichen, weichen Holz vollzieht den kosmischen Zeugungsakt, aus dem sich das neue Licht, der Funke, die Flamme, das Feuer, letztendlich eine neue Sonne gebiert. (Zeichnung, Hannover um 1900)

Unten: Eber aus Bronze. Aufgrund des schmackhaften Fleisches war der Eber bzw. die Wildsau bei Festen und Feierlichkeiten sehr beliebt. Ungarn, 2. Jhd. v. u. Z.

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III. KAPITEL

BELTEINE

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BELTEINE, DAS FEST DES ERSTEN MAI 1. DAS SOMMER- UND LICHTFEST Das Sicherste an Belteine ist wohl seine neuirische Bedeutung, Id bealteine, („erster Mai“) die sich nach der klassischen, wörtlichen Übersetzung Dinneens „Belteinestag“ richtet. Im keltischen Kalender ist dies der Augenblick, zu dem man den Sommer und das Licht feiert. Aus einigen leicht identifizierbaren Hinweisen wird ersichtlich, daß es sich bei Belteine, im Gegensatz zu Samain, dem allgemeinen Fest aller drei Klassen, eher um ein Fest der Priester handelte. Auch wenn die Christianisierung im Verwischen der ursprünglichen Züge ganze Arbeit geleistet hat, so kann daran doch kaum ein Zweifel bestehen. Der erste Eindruck, den wir also aus den beleg­ ten Dokumenten gewinnen, ist der, daß wir es hier mit einem Fest zu tun haben, dessen Grenzen enger gesteckt sind als die Samains, wenn es auch stärkere Aus­ wirkungen auf bis heute überlieferte Volksriten aus dem ländlichen Bereich hat, der zahlreiche zeitgenössische Forscher in die Irre führte, da den Maifeiern, die sich bis heute in Westeuropa halten konnten, kaum liturgischer Charakter zukommt. Einer methodologischen Grundvorkehrung gehorchend, wollen wir uns, mehr noch als wir es bei unseren Beobachtungen bezüglich Samains taten, den Strukturen des vorchristlichen Festes zuwenden. Wir wollen zuerst eine Strophe des gastronomischen Gewohnheitsrechts aus MS Rawlinson B 512 zitieren: „Ich sage Euch, ein ganz besonderes Fest, sind die Reichtümer Belteines, Bier, Kraut, süße Milch und Dickmilch auf dem Feuer.“144

Diese „Reichtümer“ scheinen uns jedoch etwas mager. Kohl, Milch und Bier kommen einer Fastenkur näher als einem Fest. Wurden bisher keine näheren Schlüs­ se auf die Orientierung des Festplans gezogen, so vor allem deshalb, weil wir keinerlei Verweise auf den rituellen Ablauf haben, wie das z.B. bei Samain („fröh­ liches Lagerfeuer auf einem Hügel“) oder Imholc („Hände, Füße und Kopf wa­ schen“) der Fall ist. Doch kommt die Priesterschaft nicht unbedingt oder nicht nur in Festgelagen zum Ausdruck.

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Im Buch der Eroberungen, in dem der Schreiber von der Irrfahrt Partholons, des ersten Siedlers von Irland, erzählt, können wir die religiöse Atmosphäre, auf die das Datum schließen läßt, etwas besser erahnen: „An einem Dienstag gelangte er nach Irland. Es war der siebzehnte Tag des Mondes der Maienkalenden.“145

Das dieser Feststellung folgende Gedicht verändert zwar das Datum etwas, läßt jedoch den Dienstag bestehen: „Am vierzehnten Tag, einem Dienstag, verließen sie ihr Schiff frei, in Richtung des Hafens des klaren, blauen und strahlenden Landes, Inber Scene mit dem glänzenden Schild.“146

Nehmen wir es so hin! 14. oder 17., wer wollte das heute schon überprüfen, und wo? Bedeutsam ist lediglich, daß sich all das Anfang Mai abspielt, und Macalister täuschte sich keineswegs, wenn er davon ausging, daß, in view of the probable meaning of the Partholon story the date of his landing - Beltene, the first day of summer - may not be without significance'*1. Nur wenig später stirbt Partholon - und auch das im Monat Mai:

„Seine vier Söhne teilten Irland in vier Teile: Das war die erste Teilung Irlands. So blieb Irland bis zur Vernichtung seines Volkes aufgeteilt. Der Tod kam in den Kalenden des Mais über sie, d.h. vom Montag Belteines bis zum nächsten Montag vor Mag Elta, starben fünftausendundvier Männer und viertausend Frauen, von einem Montag zum anderen. Hier starb das Geschlecht Partholons in Irland aus.“148 Bewundern wir im Vorübergehen auch die höchst genauen Angaben der 5004 Männer und 4000 Frauen. Solche Angaben sind typisch für Annalen. Hier ist viel­ mehr die genaue Datierung Belteines von Belang. Es scheint überdies, daß auch alle späteren Bewohner Irlands zu dieser Zeit in Irland ankamen, und das angefan­ gen bei den Tuatha De Danann.

„Was die Tuatha D6 Dänann betrifft, so kamen sie nach Irland, nach­ dem sie sieben Jahre in Schottland geblieben waren. Nachdem sie am Mon­ tag von Belteine im Norden der Insel gelandet waren, verbrannten sie ihre Schiffe.“149 Und Keating bestätigt: „Sie ließen ihre Boote auslaufen, und nach drei Jahren, drei Tagen und drei Nächten, landeten sie am Montag der ersten Woche des Monats Mai am großen, breiten Strand von Tracht Muga im Ulster.“150

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Nach diesem Freudenfeuer hüllen sie sich in eine Druidenwolke (ceo draoidheachta), um nicht entdeckt zu werden. Betrachten wir noch einmal die bereits zitierten Dindshenchas von Rennes, so entzündet Midhe, nach dem die Zentralprovinz Irlands benannt ist, ebenfalls zu Beliebte zu Ehren der Kinder Nemeds („heilig“) ein Feuer in Uisnech, welches sechs Jahre lang brennt. Dort erfahren wir auch, daß er den Druiden, die dem Rauch eine unheilvolle Wirkung zuschrieben, die Zunge herausschneiden ließ.151

2. DAS FEST DES FEUERS Doch kommt es noch besser. In Fassung III des Tochmarc Emire („Die Braut­ werbung um Emer“), wie sie van Hamel, ausgehend von einer Handschrift aus dem 16. Jahrhundert, veröffentlichte,152 liefert sich Cuchulainn einen ebenso lan­ gen wie pittoresken Brauthandel mit Emer. Anstatt die ihm dem Brauch nach zustehende Fial, die ältere Schwester der Emer heiraten zu wollen, will Cuchulainn Emer ehelichen, da Fial vielleicht das Bett mit Coirpre Nia Fer, dem König von Tara, geteilt hat. Um nicht vom Gefolge verstanden und verraten zu werden, spre­ chen die beiden in komplizierten Metaphern und Rätseln, was Cuchulainn keines­ wegs davon abhält, sich für die Brust Emers zu interessieren, und dieses Interesse wiederholt durch verschiedene Wortspiele kundzutun, die er anschließend seinem Kutscher erklärt, dem all dies natürlich entgangen war. So z.B., wenn er vom alchiung, dem Brustlanzengürtel spricht, wenn er sagt cäin in mag sa mag alchiung („Oh, was für ein schönes Feld, dieses Feld des Lanzengürtels“). Emer stellt ihre Bedingungen und antwortet beim dritten Mal schließlich:

„Keiner soll sich an dieses Feld wagen, der nicht imstande ist, den Sta­ chel des Schlafs von Mac Roismelc vom Sommerschlaf (samsuan) bis Imbolc, von Imbolc bis Beltene, und dann von Beltene bis zum Herbst zu überwin­ den.“ Und Cuchulainn erwidert: „Ich werde die Speerspitze Mac Roismelcs meiden, in dem ich ohne jeglichen Schlaf von Samain, der Sommerdämmerung, also dem Ende des Sommers kämpfen werde. Denn so wird seit langem das Jahr unterteilt: Der Sommer liegt zwischen Beitine und Samain und der Winter zwischen Samain und Beitine. So spricht man doch auch von samfuin („Sommer­ dämmerung“), samsüain und sam-son („Sommerschlaf1);

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bis oimolc (andere Schreibweise Imbolcs oder Imolcs), d.h. dem Beginn des Frühlings, den Schranken der Niederschläge (?), dem Frühlingsregen und dem Winterregen. In der Dichtkunst steht oi aber auch für das Schaf. Daher spricht man auch von oiba, wenn ein Schaf stirbt, ganz wie der Tod eines Hundes conba, der Tod eines Pferdes echba, der Tod eines Menschen duinba genannt wird, da ba und bas das Wort für den Tod ist. Oimelc ist demnach der Tag, an dem man die Schafe melkt. Deshalb heißt es auch oisc oder oi sesc wenn die Schafe unfruchtbar sind; bis Beitine, das heißt zum wohltuenden Feuer, den beiden Feuern, wel­ che die Druiden mit großen Zaubergesängen machen. Sie lassen die Her­ den zwischen ihnen hindurchschreiten, um sie gegen die Krankheiten des Jahres zu beschützen. Oder bis zu Bel-dine, wobei Bel der Name des Gottes und dine der der Erstgeborenen einer jeden Herde sind, die Bel zugespro­ chen werden. Beldine steht also für Beitine. Bis zum Herbst (bron trogain, „Schwere, Trauer der Erde“), d.h. wenn die Erde zu Lugnasad, dem Herbstanfang, traurig wird und Frucht trägt. Trogan heißt Erde.“

Diese Stelle deckt sich in etwa mit den Aussagen des Cormacglossars:

„Belteine, das Feuer Bels, die heilbringende Flamme ist ein Feuer, wel­ ches die Druiden durch ihre Magie oder ihre großen Zaubergesänge mach­ ten; man brachte jährlich die Herden gegen Epidemien zu diesen Feuern. Sie ließen die Herden zwischen ihnen hindurchschreiten.“153 Bezieht sich der Glossenschreiber auf den Tochmarc Emirei Hinsichtlich des Alters des Cormacglossars (10. Jahrhundert) sollten wir eher davon ausgehen, daß es sich hier um das Allgemeinwissen der damaligen Bildungsschicht handelte. Das gibt Grund zur Annahme, daß wir es hier in der Tat mit sehr archaischen Vorstellungen von Imbolc und Belteine zu tun haben. Der Schreiber läßt Cuchulainn ohne jedes Zögern zu einem großen Experten analogistischer Etymologie werden, was nicht unbedingt dem Status eines großen Kriegers widerspricht, besonders dann, wenn er von einem berühmten Druiden, und zwar Cathbad, am Hofe König Conchobars von Ulster erzogen wurde. Scheinbar wurde dieser Text nicht sehr oft zu Rate gezogen. Kuno Meyer über­ setzt nebenbei einmal einen Satz daraus15,1, um seine erste Fassung des Tochmar Emire zu ergänzen, während Vendryes ihn in seiner Studie zu Imbolc nicht einmal erwähnt.155 Uns ist keine Übersetzung dieses Textes bekannt, und doch ist er von grundlegendem Interesse, da er allen vier Festen einen ganz eindeutigen Platz im Kalender zuweist, und das - trotz all seiner Formmängel - wesentlich klarer als der Vergleichstext der Hibemica Minora.

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So wohnten auch die Fianna zwischen Samain und Belteine bei den Männern Irlands.156 Doch hatten sich die Iren - immer noch laut Keating157 - zwischen Samain und Belteine auch um die Filid zu kümmern, welche zu jener Zeit angeb­ lich bereits so zahlreich waren, daß sie ein Drittel der Bevölkerung ausmachten. Was sie jedoch während des Sommers trieben, wird nicht berichtet. Wir können jedoch mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß in der Zeit zwischen Samain und Belteine alle Gesellschaftklassen Unterschlupf brauchten. Daraus wird vor allem eines klar: Man entfachte die Belteinefeuer nicht, um sich vor dem schlechten Wetter oder der Kälte zu schützen, sondern um den Beginn des Sommers zu feiern. Daraus erklärt sich schließlich auch, warum den Belteinefeuem im Zuge der Christianisierung so große Bedeutung zukam. Demnach entfachte auch der Heili­ ge Patrick anläßlich dieses Festes, trotz des königlichen Verbots ein christliches Osterfeuer, welches nicht allen gefiel. Nach der Erzählung Muirchus in der Vita Tripartita wandten sich die Druiden an den damaligen König Loegaire:

„Das Feuer, welches wir hier sehen, wird nie mehr erlöschen, wer auch immer es entfacht hat. Es wird stärker sein als alle Feuer unseres Brauchs. Und der, der es entzünden hat, wird uns alle besiegen, denn die Herrschaft steht dem zu, der es in dieser Nacht brennen läßt. Er wird dich und alle Männer deines Reichs unterwerfen. Alle Königreiche werden vor ihm fal­ len und er wird Jahrhundert über Jahrhundert mit seinen Dingen anfül­ len.“I5# Es ist zweifelhaft, ob die Druiden so lateinisch sprachen, wie Muirchu schrieb, und auch ihre Prophezeiung war im nachhinein keine Kunst mehr, denn sie wurde lange nach den Ereignissen formuliert, die sie ankündigte. Doch wurde sie nach den traditionellen Normen des alten Irland verfaßt: Eine vielleicht theologische, eher jedoch magische Auseinandersetzung zwischen Heiligen und Druiden, findet am besten zu Belteine bzw. Ostern statt, wobei dem Feuer alles andere als eine profane Rolle zukommt. Das Vieh hat hiermit nichts zu tun. Ganz offenbar hatte Patrick den Hügel von Uisnech im Zentrum Irlands für sein Feuer gewählt, wobei er diesen durch einen Zauberkreis für alle Heiden unzugänglich machte. Er selbst umgab sich mit Flam­ men und Rauch (man erinnere sich an die Tüatha De Dänann!), um diesen Kreis zu verlassen. So erzählt es zumindest Muirchu drei oder vier Jahrhunderte später in fließendem Latein, ohne sich daran zu stoßen, daß die hier beschriebenen Zauber­ szenen wesentlich druidischer als christlich anmuten:

„Die Druiden sprachen zu denen, die hingingen: ‘König, du aber wirst nicht an den Ort gehen, wo das Feuer brennt, damit nicht gefolgert wird, daß du den verehrst, der das Feuer entfacht hat. Nein, du sollst in gehöri-

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gern Abstand außerhalb davon bleiben. Er wird vor dich zitiert werden, so daß er dich verehrt und du selbst der Herr bleibst. Wir werden mit ihm in deiner Anwesenheit sprechen, so daß du uns auf die Probe stellen kannst [...]. So gelangten sie an den vereinbarten Ort. Nachdem sie von ihren Wagen und Pferden gestiegen waren, drangen sie nicht in den Kreis der Feuerstelle ein, sondern setzten sich an seinen Rand. Man rief den Heiligen Patrick außerhalb der Brandstätte.“159

Die Geschichte endet mit Gottesurteilen, bei denen Patrick die Druiden be­ siegt.160 Wüßten wir aus den übrigen Heiligenlegenden nicht, daß es sich bei Patrick um einen Heiligen handelt, hielten wir ihn hier für einen seinen Kollegen bei weitem überlegenen Druiden, was er wahrscheinlich auch war.16' Doch vollzog sich das Fest nicht ohne einen gewissen religiösen Zwang, wie uns in einer kurzen Stelle des Aided Diarmada („Tod Dermots“) berichtet wird, der uns über die geo­ graphische Lage der großen Feierlichkeiten und ihren verpflichtenden Charakter aufklärt: „Diarmaid und die Männer Irlands hielten die große Versammlung von Uisnech zu Belteine ab, denn es gab drei solcher große Zusammenkünfte: Die Versammlung von Uisnech zu Belteine, den Jahrmarkt von Tailtiu zu Lugnasad und das Fest von Tara zu Samain. Wer auch immer unter den Männern Irlands gegen diese Regeln verstieß, der war des Todes.“162

Bei diesem Fest verflucht der Heilige Ciaran König Diarmaid und prophezeit jenem denselben Tod, den er eben einem seiner Feinde beschert hatte, und zwar den dreifachen Opfertod durch Wunden, Ertrinken und Verbrennen.163 Der Fluch verwirklicht sich viele Jahre später in einer Samainsnacht.164 Es scheint also klar, daß das Feuer ein, wenn auch nicht exklusiver, so doch unablässiger Bestandteil der Belteinefeier darstellte. Der irische Landesbrauch, nach dem die Viehherden auch heute noch am ersten Mai oder am Johannestag zwischen zwei Feuern hindurchgeführt werden, geht wohl direkt darauf zurück. Dasselbe gilt auch für den Brauch, an jenen Tagen durch das Aneinanderreiben zweier Hölzer ein neues Feuer zu entfachen, um kranke Tiere zu heilen.165 Auch die Sonnwendfeuer, die sich bis heute im europäischen Volkstum gehalten haben, haben ihren fernen Ursprung sicherlich in einem ähnlichen Fest, dessen Name uns heute unbekannt ist. Und wenn wir vom Gott Bel auch nur wissen, was der Tochmarc Emire („Die Brautwerbung um Emer“) und das Cormacglossar uns über ihn berichten, - was jedoch nicht für eine eingehende, theologische Interpretation reicht - so ist es den­ noch unmöglich, die Entsprechung zu übersehen, die zwischen dem irischen Bel und dem gallischen Belenos bestehen. Bis auf die Nachsilbe ist die Herkunft der beiden Namen dieselbe.166

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Der Heilige Patrick, der die Kunst tatsächlich bis ins kleinste Detail zu beherr­ schen schien, hatte sich nicht getäuscht: incendit divinum ignem valde lucidum et benedictum „er entfachte ein sehr helles und geweihtes göttliches Feuer“.167 Auch wenn es in Uisnech nach D.A. Binchy’s Behauptungen ein „emporium“ bzw. ei­ nen Markt gab, so tut das dieser Interpretation keinen Abbruch.168 Zur Zeit der Sommersonnenwende sind Bauernmärkte wohl nicht nur in Irland an der Tages­ ordnung. Belteine ist also die Verherrlichung des Feuers, eines druidischen Elements wie auch Luft, Erde und Wasser. Wir können Bel(enus) in dieser Hinsicht auch als Beinamen Lugs in seinem Aspekt des Lichtes verstehen, dem Gegenstück des Lug des Samain, der in einem ebenso heißen wie lichtvollen Fest auf die Dunkelheit des Winters vorbereitet; aber auch ein Gegenstück zu Lugnasad, wo Lug als Herr­ scher auftritt, der die Menschen an der Fruchtbarkeit der Erde und seiner Herden teilhaben läßt. Vielleicht wurden die Feuer nach den alten Vorschriften der Bela­ gerung von Druim Damghaire 169 entfacht. Wir wissen es nicht, und es ist dies auch nur eine reine Frage der Form. Das Wesentliche ist uns ja bekannt: Sankt Patrick entzündet sein „Gegenfeuer“ offenbar ganz bewußt zu Belteine. Daraus folgt kon­ sequenterweise, daß Belteine auch das Fest der Priester war. Das erklärt überdies die Seltenheit der Textstellen, da einerseits das Christentum systematisch versucht hatte, alle Spuren des Priestertums zu verwischen, und die Schreiber der Helden­ epen andererseits auch nicht in diesem Bereich bewandert waren, der sie nicht direkt betraf. Das Ritual, in dem die Herden zwischen zwei Feuern hindurchgeführt wurden, war sicher nur eines von vielen und soll dieses Fest nicht auf seinen ländlichen Aspekt beschränken. In Irland, wo das Vieh als Zahlungsmittel diente und die Grundlage des Reichtums darstellte, waren Priester, Adelige und gemeines Volk gleichermaßen an seinem Gedeihen interessiert, die einen, da man es ihnen opfer­ te, die anderen, weil sie mehr oder minder direkt davon lebten. Auch die Heilkraft der Sonne war seit dem Altertum bekannt. Zu Belteine wie zu Samain stehen die Druiden über allen Klassen. Sie alleine opfern, und auch das Feuerritual dieses Festes ist ihnen vorbehalten. Ein Fest also, welches die Bauern zur Feldarbeit und die Krieger zum Kampf mahnte. Seit den mythischen Zeiten Partholons und der Tüatha De Dänann bis hin zu den Fianna bedeutete dies das Recht zur Jagd, zum offenen Kampf und zur Eroberung. In Irland herrscht eine gewisse typologische Beständigkeit, weshalb auch das blutige Ostern von 1916 als symbolische, zweiwöchige Wiederbelebung dieses Feuers verstanden werden darf. Die Gallier verbrannten laut Cäsar De bello gallico VI, 16 - eher am ersten Mai als am ersten November - Weidenpuppen, voller Gefangener und Verbrecher:

„Die Völkerschaften der Gallier sind allen religiösen Bräuchen in ho­ hem Maß hingegeben, und deshalb opfern diejenigen, die von einer beson­

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ders schweren Krankheit befallen sind oder sich in Kampf und Gefahr be­ finden, entweder - anstelle von Opfertieren - Menschen oder geloben, diese zu opfern; und als Ausführende für diese Opfer bedienen sie sich der Drui­ den, weil sie glauben, daß die waltende Macht der unsterblichen Götter nur dann besänftigt werden könne, wenn für das Leben eines Menschen das eines anderen hingegeben werde. Opfer dieser Art haben sie von Staats wegen eingerichtet. Andere Stämme haben Gebilde von ungeheurer Größe, deren aus Weidenruten zusammengeflochtene Glieder sie mit lebenden Menschen füllen; sie werden von unten angezündet und die Menschen ster­ ben, von den Flammen eingeschlossen. Sie glauben nämlich, daß die Opfer derjenigen, die bei einem Diebstahl, Raub oder überhaupt irgendeinem Ver­ brechen ertappt worden sind, den unsterblichen Göttern angenehmer seien. Wenn es aber an derartigen Verbrechern fehlt, lassen sie sich sogar auf die Opferung Unschuldiger ein.“ Nach der Erzählung von Lludd und Llevelys, wurden die Waliser am ersten Mai von einer eigenartigen Plage kriegerischer Natur befallen.

„Die zweite Plage bestand in einem großen Schrei, der sich in jeder Nacht des ersten Mai über jedem Haus der Insel Britannien vernehmen ließ. Er fuhr den Menschen durchs Herz und versetzte sie so in Schrecken, daß die Männer davon erblaßten und all ihre Kräfte, die Frauen die Kinder unter ihrem Busen und Jungen und Mädchen ihre Trauben verloren. Tiere, Bäume, Erde, Wasser und alles andere wurde unfruchtbar.170

3. DIE FOLKLORE UM BELTEINE Abschließend müssen wir feststellen, daß wir trotz einer großen Anzahl immer wiederkehrender Details praktisch nichts wissen: Das ursprüngliche Fest wahrt sein Geheimnis, so daß wir uns abermals das Volkstum etwas näher ansehen möch­ ten, nein müssen, denn es quillt in Irland wie in Frankreich (wo es durch Arnold Van Gennep näher untersucht wurde) von Informationen über, die den Keltologen wie den Geschichtswissenschaften so nützlich sind wie ein überflüssiges Möbel­ stück, das in gewisser Hinsicht den Platz verstellt. Denn leider erklärt die Folklore nie die Mythologie, sondern vielmehr die Mythologie die Folklore. Die Doktorar­ beit von Frau Véronique Guibert de La Vaissière Les quatre fêtes d’ouverture de saison de l’Irlande ancienne, die sich auf die Ergebnisse persönlicher Forschun­ gen sowie die Unterlagen der Folkorekommission in Dublin stützt, unterteilt die Untersuchung in mehrere Bereiche.

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- Sie unterscheidet zunächst zwischen der „reinen Folklore“ des May Day und dem vorchristlichen Fest, welches seinen keltischen Namen Belteine beibehält. Sein Zauber ist jedoch - zumindest eingangs - verflogen, und es handelt sich in erster Linie um anderes: „Zu dieser Zeit sind Hexen und Fairies höchst aktiv und es werden zahlreiche Geschichten bezüglich der Listen erzählt, derer diese sich bedienen, um in ein Haus oder einen Stall zu gelangen, um dort ihr Unwesen zu treiben. “ (Bd. II, S. 277) - Bemerkenswerter ist je nach Region und Ort die Fluktuation des ei­ gentlichen May Day, was auf einen ursprünglich beweglichen Festtag schlie­ ßen läßt: - 8. und 9. Mai: co Clare, - 9. Mai: co Tyrone, - 10. Mai: co Kerry, - 11. Mai: co Kerry, co Limerick, co Donegal, - 20. Mai: Gleann an Phreachäin, co Cork, - 1. Sonntag im Mai, außer dieser fällt auf den Pfingstsonntag - sonst der2. Sonntag im Mai: co Leitrim (Bd. II, 281) Der eigentliche Ablauf des Festes ist nicht weiter überraschend: - Volksversammlungen mit Unterhaltungen wie Tanz und Gesang in vorbestimmten Orten in der Nähe von Wallfahrtsstätten. - Dem May Day kommt jedoch auch administrativer und sozialer Cha­ rakter zu, da an ihm Weiderecht, Miete oder Pacht entrichtet, Landwirt­ schaftsarbeiter angestellt und Anwesen verkauft werden. - Volkstümliche Wahrsagemethoden, Glaube an Vorzeichen, Segen für Haus, Vieh und Feld. - Sammeln von Heil- oder Schutzpflanzen wie der Brennessel, die vor dem Unwesen von Hexen oder Neidern bewahren sollen. - Besonderes Augenmerk wird auf das Wasser und das Feuer gelegt, denen in den verschiedenen Zaubersprüchen und -praktiken der Landmagie großer Stellenwert zukommt (Butter- und Milchdiebstahl). - Orte, an denen sich Feen oder andere übernatürliche Wesen aufhalten sollen, werden während der Nacht gemieden. (Bd. II, S. 282-357)

Auch wenn Belteine als die Quelle der verschiedenen Volksbräuche des May Day angesehen wird, wird es eigens behandelt. Und das zu recht, denn wie gesagt, erklärt nicht der Volksbrauch Belteine, sondern das keltische Fest wirft sein Licht auf das heutige, wie das immer der Fall ist, wenn Mythologie und Volkstum ge­ genübergestellt werden. Natürlich konnte Frau Guibert sowohl den Namen als auch das Fest selbst nur mit den ihr 1978 zur Verfügung stehenden Unterlagen erklären. So finden wir in dieser Arbeit, neben einigen Querverweisen auf die

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englische Fachliteratur, die in den Ogamartikeln zum keltischen „Festplan“ ver­ tretenen Standpunkte, aber auch Bezüge auf Van Gennep und d’Arbois de Jubainvilles Cours de littérature celtique wieder, auch wenn jener heute überholt ist. Wenn sich die Dokumente zum May Day und zu Belteine nun auch auf einem ganz anderen Niveau bewegen, so sind sie im Grunde genommen doch gar nicht so unterschiedlich.

- Wörtlich wird Belteine mit „Feuer Bel’s“ übersetzt, was auch die ein­ zig zulässige Bedeutung ist. Belisama heißt demnach „die hell Leuchten­ de“. Darauf basieren schließlich auch alle Interpretationen zum keltischen Apollo, dem Gott der Jugend, der Sonne und des Feuers. (Bd. II, S. 359370) - Dem folgen Feststellungen zu Rolle und Bedeutung der Festgrundlagen. So kommt den Wetterelementen Wind, Wasser und Sonne in der Mytholo­ gie ebenso wie in der Folklore große Bedeutung zu. Auch in Bezug auf die Versammlungen und Jahrmärkte des Ersten Mai erhellt die Mythologie die moderne Folklore. Zu „internen“ Erklärungen und Vergleichen werden die Arbeiten Van Genneps, Henri Dontenvilles, d’Arbois de Jubainvilles oder André Varagnacs herangezogen, was eine höchst disparate Gruppe von Autoren darstellt, die nicht alle in der Welt der Keltologie zuhause sind. - In allen Bereichen des irischen Landlebens ist der rote Faden nach­ vollziehbar, der den May Day mit Belteine verbindet. (Bd. I, S. 378 - 433) - Von besonderem Interesse ist die richtige Bemerkung zur Rolle und dem Einfluß, den die irische Kirche beim Erhalt der alten Bräuche spielte: „Ohne nun näher auf die Geschichte der französischen Traditionen einge­ hen zu wollen, so ist doch ein grundlegender Unterschied zwischen dem Brauchtum der beiden Länder erkenntlich, da ihre religiöse Entwicklung sich völlig anders vollzog. Während Frankreich schon im Mittelalter ein sehr strenger Rahmen von der Kirche auferlegt wurde, so bewahrte sich Irland eine wesentlich eigentümlichere und ursprüngliche Persönlichkeit. Erst sehr spät, d.h. im 18. und 19. Jahrhundert stellte sich die irische Kir­ che gegen die alten Traditionen... “ (S.378) Dem wollen wir lediglich anfügen, daß die irische Kirche, die durch St. Patrick und seine Nachfolger nie den Faden zur alten Klasse der Druiden und der Filid verloren hatte, die Rolle der Bewahrerin der vorchristlichen Werte spielte und doch zugleich das orthodoxe Christentum vertrat. Im ganzen Westen ist dieser harmonische Übergang von der ursprünglichen Religion zum Christentum einzig­ artig, ohne deshalb jedoch in sich widersprüchlich zu sein.

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Das Fest des Ersten Mai ist, egal welchen Namen es nun trägt, ein Fest, das den Übergang zu einem anderen Lebensrhythmus feiert. Man läßt den Winter hin­ ter sich und schreitet in den Sommer, ohne jedoch zu vergessen, alle nötigen Vor­ kehrungen und Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Vom vorkeltischen Fest ist heute nur mehr der Festtag selbst übrig. Der Rest ist Folklore, d.h. eine Anpassung an die Möglichkeiten der ländlichen Bräuche, an den bestehenden Glauben und an die ebenso monotonen wie verstreuten Riten, die mit den grundlegenden Mythen nur mehr grobe Züge gemein haben.

Oben: Der Kreideriese von Ceme Abbas, Dorset, schwingt gleich zwei gewaltige Knüppel. Der fruchtbarkeitsmagische Hintergrund ist deutlich sichtbar. Bis zu Anfang unseres Jahrhunderts tanzten die Anwohner des angrenzenden Dorfes an Belteine um einen Maibaum, der etwa 20 Meter oberhalb des Riesen auf einem Hügel aufgestellt war.

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Anmerkungen 144 Hg. Kuno Meyer, Hibemica Minora, Oxford, S. 49. 145 R.A.S. Macalister, III, S. 4, § 205. 146 Ibid. 147 Op. cit., Ill, Fußnoten des Abschnitts IV, § 209. 148 Keating, History of Ireland, Hg. David Cornyn, I, S. 212. 149 Première Bataille de Mag Tured, Hg. J. Fraser, Eriu 8/1, S. 18, § 20. Siehe auch Textes mythologiques irlandais 1/1, S. 29, § 22. 150 History of Ireland, op.cit., I, S. 212. 151 Hg. Whitley Stokes, Revue celtique, 15, S. 297; Vgl. Celticum 1, 1961, S. 176. Wir könnten uns auch die Frage stellen, wann die gallische Legende die Abreise der Stammeswanderung unter den beiden Neffen des Ambigatus ansetzte. Wir zweifeln keinen Augenblick daran, daß der gallische Mythos die Gründer Mailands die Alpen nicht im Winter überqueren ließ. 152 RIA D. 4.2; Van Hamel, Mediaeval and Modem Irish Series III, 1933, S. 16 ff. 153 Whitley Stokes, Three Irish Glossaries, S. 6 154 Revue celtique, 11, S. 454, Fußnote 1. 155 Revue celtique 41, S. 241-244. 156 History ofIreland, Hg. Dinneen II, S. 326-327 157 History of Ireland, III. S. 78. 158 Hg. Whitley Stokes, The Tripartite Life ofPatrick, II, S. 279. 159 ibid., S. 280. 160 Siehe Chr. Plummer, Vitae Sanctorum Hibemiae I, 1910, S. CIXV ff. und Czamowski, Le culte du héros, S. 144. 161 Die Heiligenlegenden, die von den Abenteuern Patricks in Irland, seiner Entführung durch Piraten und den Jahren berichten, die er als Schweinehirt am Hofe des Königs zugebracht hat, lassen uns stark an der rein christlichen Auslegung seines Lebens zweifeln. Vgl. dazu unsere Anmerkungen in La Société celtique, Rennes, 1991, S. 148. 162 Hg. Standish O’Grady, Silva Gadelica I, S. 73. 163 Silva Gadelica I, S. 73-74. 164 Silva Gadelica LS. 81-82. 165 P.W. Joyce, Social History ofAncient Ireland I, S. 291. Bei James George Frazer, Ljk, Le rameau d’or. Balder le Magnifique, Band IV, Ed. Lafont, Paris, 1984, S. 88 ff. 166 Zumindest der erste Teil des Wortes, und zwar bei- ist klar, und wir verweisen hier auf die Erklärung der Belisama („Die sehr Strahlende“), die sich nur durch das Superlativsuffix unterscheidet. Siehe Christian-J. Guyonvarc’h, Études sur le vocabulaire gaulois. I. Belisama „la très brillante", in Celticum 3, S. 166-167. Was den zweiten Teil des Wortes Belteine betrifft, so wurde er schon damals als .feuer“ verstanden, wobei diese Art von künstlichen Wortzusammensetzungen immer auf sehr hohes Alter schließen läßt. Eine aus­ führliche Etymologie findet sich in unserer Arbeit Lesfêtes celtiques, Kapitel II. 3. Lesfêtes irlandaises. 167 Hg. Whitley Stokes, The Tripartite Life of Patrick II, S. 279. l68Loc. cit., in Eriu 18, S. 113-114. Der Autor versucht hier die Bedeutung des Festes herunterzuspielen und leugnet nahezu seine Existenz. 169 Revue celtique 43, S. 1-123. 170 (Hg. Loth, 1913, II, S. 234; Hg. Brynley F. Roberts, Dulin, 1975, S. 3, Zeilen 35-41.

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Oben.Darstellung eines druidischen Brandopfers. „Korbriese“, aus dem Jahre 1676 von Aylett Sammes. Vergleiche hierzu auch die Schilderungen in: Le Roux/Guyonvarc 'h: Die Druiden, S. 83 - 96, Arun-Verlag, 1996

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Oben: Druidisches Brandopfer. Szene aus dem Film „ The Wicker Man “ von Roger Hardy (1973)

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Oben: Brennende Weidenpuppe mit römischen Gefangenen. Auch im Comic-Strip greift man gerne auf die Schilderung Julius Casars zurück, wonach die Druiden Brandopfer in Form solcher menschenähnlicher Holzgestelle vorgenommen haben sollen. (Abb. aus Slaine, Bd. „Die Königin der Hexen“, Ehapa, 1995)

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IV. KAPITEL LUGNASAD

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LUGNASAD, DAS FEST DES KÖNIGS Das Wort Lugnasad bezeichnet auch heute im Neuirischen als lünasa noch den Monat August. Traditionell wird es Lughnasadh geschrieben. Dinneens Focldir oder „Wörterbuch“ übersetzt Ld Lughnasa als „Lammas Day, the first of August“. „Zu Lugnasad macht bekannt, was bekanntzumachen ist, für jedes ferne Jahr; von jeder berühmten Frucht zu kosten, [ist] die Nahrung Lugnasads.“171

heißt es da im Gedicht der Hibemica Minora von Kuno Meyer, das sich an die Handschrift Rawlinson B 512 hält, und welches wir bereits an anderer Stelle zi­ tierten.172 Am Wortsinn kann nun kein Zweifel mehr bestehen: Lugnasad heißt „die Ver­ sammlung Lugs“.173 Halten wir uns jedoch an die gebräuchlichsten Texte, die im­ mer wieder zitiert werden174, so werden wir aus Allgemeinplätzen und Wiederho­ lungen nicht herauskommen. Wie auch im Falle Belteines oder Samains verfügen wir über kein Dokument, welches sich eigens Lugnasad widmet.175 Wir können sogar behaupten, daß die meisten Heldenepen und Mythen Lugnasad nicht einmal erwähnen. Das Fest hat also ganz offenbar einen völlig anderen Charakter, auf den uns eine Glosse aus der Egertonhandschrift 1782, Blatt 56a hinweist: Lugnasad, heißt es dort, würde den „Tag der Reife aller Früchte“ feiern (ld aipchi na n-uili thorud).'16 Wir müssen unsere Belege also aus anderen Quellen beziehen. Zur Untersu­ chung Lugnasads verfügen wir nun über zwei sehr detaillierte Stellen, die sich der Topographie und der Legenden bestimmter irischer Stätten widmen, an denen die Feierlichkeiten des ersten August stattfanden. Es handelt sich hier um die Versund die Prosa-Dindshenchas („Geschichten der Festungen“) von Tailtiu und Carman. Diese Textstellen bergen so reichhaltige Informationen, daß im Vergleich alle an­ deren zu reinen Anmerkungen, Bestätigungen oder Zusammenfassungen redu­ ziert werden. Und da, wo die launische Oberherrschaft (im übertragenen Sinne) so viele Könige und Regierungen ausmergelte, wird Irland weitschweifig, wenn es um die Königswürde geht. So waren wir auch reichlich überrascht, hier einen solch kla­ ren Bericht von den Beziehungen zwischen Lugnasad und der Königswürde vor­ zufinden. Noch überraschter waren wir denn auch, als wir feststellten, daß diese Texte noch nie angeführt, geschweige denn übersetzt wurden.

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1. DIE VERSAMMLUNG VON TAILTIU Dindshenchas von Rennes: „Woher kommt der Name Tailtiu? Das ist nicht schwer. Tailtiu, die Tochter Magmors und Gattin Eochaids des Rauhen, dem Sohn Duachs des Dunklen, er­ baute die Festung der Geiseln in Tara. Sie war die Ziehmutter Lugs, des Sohnes Seals des Stummen. Sie war es, die ihren Mann darum ersuchte, den Wald von Cuan roden zu lassen, um eine Versammlung um ihr Grab abhalten lassen zu können. Sie starb in den Kalenden des August. Ihre Totenklage und ihre Trauer­ spiele wurden von Lugaid abgehalten, auf den das Wort Lugnasad zuriiekgeht. All das fand jedoch bereits tausendfünfhundert Jahre vor Christi Geburt statt, und dennoch hielt jeder König, dem die Herrschaft über Irland zukam, bis zur Ankunft Patricks diese Versammlung ab. Zwischen der Ankunft Patricks und der schwar­ zen Versammlung Donchads, des Sohnes Maelsechlainns fanden fünfhundert Zu­ sammenkünfte in Tailtiu statt. Die drei Verbote Tailtius lauteten: Sicher aber ohne Hast dorthin zu kommen; beim Verlassen nicht über seine linke Schulter zu sehen; nicht nach Sonnenuntergang dort anzukommen. Daher der Name Versammlung von Tailtiu.'"71 Versdindshenchas : 1. „Oh Adelige vom Lande Conns des Schönen, wartet doch ein wenig auf den Segen bis ich Euch die alte Geschichte vom Jahrmarkt Tailtius erzählt habe.

2. Sie geht über dreihundertdrei Jahre von der ersten Versammlung in Tailtiu bis hin zur Geburt Christi. 3. Tailtiu, die Tochter Magmors, des Liebenswerten, Sohn Eochus des Rauhen, Sohn des blinden Duis kam nach einer großen Schlacht mit dem Heer der Fir Bolg hierher, in den Wald von Cuan.

4. Der Wald von Cuan war ein Buschholz, das sich von Escir bis nach Ath Drommann, vom großen Torfstich eine lange Reise und von Sele bis hin nach Ard Assuide erstreckte.

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5. Assuide ist der Jagdsitz, wo sich die Dammhirsche mit dem roten Rücken versammeln. Gemäß dem Brauch ertönte das Hom zuerst im Osten des Waldes und ein zweites Mal auf dem Gipfel des Clochar.

6. In Commun, Curech, Crich Linde und Ard Manai wurden die Speere aufbewahrt. Und die Hunde Coirpres verrichteten in der Gegend von Tipra Mungairde ihr Unwesen. 7. Hier vollbrachte Tailtiu dank der Axt Großes: Aus dem, was einst Wald war, machte Tailtiu Weideland.

8. Bregmar war es, der den schönen Wald noch vor Jahresende mitsamt der Wurzeln zu Boden streckte. Und eine Ebene erblühte im Klee. 9. Sein Herz zerbrach in seinem Körper unter dem schweren Mantel der Königswürde. Denn in der Tat ist kohliges Gesicht ungesund, gleich ob dies nun von der Rodung oder vom Stolz um das gewonnene Holz stammt. 10. Lange Sorgen, lange Heldenqualen der Tailtiu nach ihrer schweren Arbeit. Die Männer, mit denen sie verbündet war, kamen auf ihr Gesuch nach Irland. 11. Auf ihrem Krankenlager sagte sie ihnen - denn sie war zwar kraft-, nicht aber sprachlos daß sie eine große Tat vollbringen sollten, und zwar Trauerspiele zu veranstalten, um sie zu beweinen.

12. Sie starb in den Kalenden des August, einem Montag von Lugs Lugnasad; an ihrem Grab fand an jenem Montag die erste Versammlung des schönen Irland statt.

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ll.Tailtiu mit der glänzenden Seite hatte in ihrem Lande eine wahrhafte Prophezeiung gemacht: Solange sie ein Fürst zu ehren wüßte, gäbe es in Irland vollendeten Gesang. 14. Eine Versammlung mit Gold und Silber, mit Spielen und Musik von Fuhrwerken, mit geschmückten Körpern und einem Geist, der sich durch Wissen und Redegewandtheit schmückte. 15. Eine Zusammenkunft ohne Verletzte, ohne jegliche Lüge, ohne Schimpf, ohne Streit, ohne Plünderung, ohne Protest, ohne Reklamationen, ohne Gesetzesversammlung, ohne Flucht und ohne Verhaftung. 16. Eine Zusammenkunft ohne Tadel und ohne List, ohne Fluch und ohne Scham, ohne Hader und ohne Beschlagnahmung, ohne Diebstahl und ohne Loskauf.

17. Die Männer gehen nicht auf den Wallgang der Frauen, die Frauen gehen nicht auf den Wallgang der schönen und reinen Männer. Jedem kommt in der großen Versammlung ein Platz zu, der seinem Rang entspricht. 18. Das ist die große Freundschaft, die bei der Zusammenkunft von Irland und Schottland an den Tag tritt. Die Männer kommen und gehen ohne jegliche Feindseligkeit. 19. Weizen und Milch auf allen Ebenen und daraus folgend Friede und schönes Wetter waren den griechischen Völkern gegeben, um das Recht beizubehalten. 20. Von der Klage um Tailtiu bei Sele wurde die Versammlung alljährlich bis zur Herrschaft Loegaires, dem Sohn Nialls, von herrlichen Truppen abgehalten.

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21. Von den Fir Bolg, die hier wohnten, von den Tüatha De Dänann, und dann von den Söhnen Mils, bis Patrick den Glauben brachte. 22. Patrick sagt: „Das stolze Gesetz der Natur hat gesiegt; ohne daß es sich zu Gott bekannt hat, hat der Herr es erhöht.“ 23. Bis Patrick im Namen Christi kam, wurden auf der Versammlung von Tailtiu, die über allen Verwünschungen steht, im Friedhof der mächtigen Fene mehr als ein Verstorbener von seinen Freunden beweint. 24. Ein Grab mit einem Tor für die Künstler; ein Grab mit zwei Toren für die Frauen; Gräber ohne Tore ...?... für die jungen Burschen und Mädchen. 25. Man spricht von Säulen auf von Waffen überhäuften Gräbern, Fackelträgern, die Totenwache halten, Hühnengräbem errichtet über adeligen Fremden und Mauern um die Toten großer Epidemien. 26. Seit jeher wurden an der Mauer von Tailtiu zahlreiche Frauen bestattet; ein Wall, der schon so manchen Toten gesehen hat, und an dem Eochu der Rauhe begraben wurde. 27. Vor dem Wall Eochus aus festen Steinen [sind] die zwanzig Sitze der irischen Könige, und vor der schönen Mauer seiner Frau die zwanzig Sitze ihrer Königinnen. 28. Eine Königskammer für das mächtige Munster, links von den Königen Taras, die drei Connaught [thronen] ohne jegliche Gefangennahme auf den Sitzen der Männer Olcnecmachts.

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29. Die Helden von Leinster voller Ehr [liegen] zwischen den beiden und der Provinz Ulster. Doch listen wir sie der Reihe nach von rechts an auf: Irland galt als persönlicher Besitz des Königs. 30. Die Ulaten kamen, vor dem Glauben an das Kreuz mit ihren Wagen zu den ersten Spielen; Leinster kam vor den Männern Munsters, und Connaught - ich erinnere mich noch gut daran - kam als geschlossene Truppe.

31. Der Stein von Grop, der Stein von Gar, der Stein der Kranken, der Stein der Leprakranken neben den Sitzen, der Stein der Zahlen, das Rad von Fal Fland, die Säule von Colman, der Caim von Conall. 32. Das Verbot des Speerwurfs mit voller Kraft, das Verbot anzukommen, ohne vom Pferd zu steigen, das Verbot zum Essen wegzugehen, das Verbot, über die linke Schulter zurückzublicken. 33. Drei Wunder gab es an diesem Ort: den Mann, der ohne Kopf umherging, den Sohn eines siebenjährigen Knaben, auf einem Finger, einen vom Himmel gefallenen Priester. 34. Patrick untersagte hier besonders folgende drei Arten abscheulichen Diebstahls: Diebstahl eines gejochten Rindes, Schlachten von Milchkühen, und das Abbrennen leerer Scheunen, was schon länger üblich war. 35. Patrick predigte, was einem Urteil gleichkam, daß niemandem Frieden zuteil würde, der ihn nicht selbst spendete, und das, so lange Tailtiu dauerte und so lange es seine königlichen Festungen gab. 36. Die Festung des Ostens, die Festung des schlechten Westens, die Festung Lugaids, die des Lort und die des Lore. Willkommen in der Festung der Hunde und in der der Welpen, in der Festung der Rasse Tadgs und auf dem dreifachen Wall von Tailtiu.

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31. Der dreifache Wall von Tailtiu ist weithin in allen Landen bekannt. Hier fasteten die Könige mit den Helden, Pfaffen und Hunderten von Leuten, auf daß keine Krankheit Irland befalle. 38. Der dreifache Wall von Tailtiu - um drei Uhr versprach Jesus dem Mac Erc, die drei hinlänglich bekannten Plagen von Irland femzuhalten. 39. Daß die Bräuche des gall-cherd abgeschafft, die Schiffe Bregmars versenkt und die Söhne Aed Slaines von der Pest befallen wurden, das war Mac Erc nur allzu recht.

40. Auch wenn Tailtiu eigentlich Weideland war, so vertraute Gott seine Bewachung den Freunden Patrick, Brigite, Becan dem Weißen, Mac Erc, Eithne und Adamnan an. 41. Sprechen wir nun davon, was sich zutrug, als der Glaube der Dreifaltigkeit kam; die dreifachen Truppen von Tailtiu, die Vorsitzenden der Versammlung versuchten sich auf dem Feld der Krieger. 42. Männer als Besucher auf der Festung, Männer als Gefolge zwischen beiden Festungen und Männer zur Sicherung der Waffenruhe hinter der Festung, so waren die ersten drei Anfänge. 43. Patrick, den jeder König anruft, nachdem er dreimal durch Tailtiu geschritten ist, Mac Erc und Ciaran vom Grabhügel von Mag (Ai) sind die drei Schutzherren. 44. Seit dem Anfang gab es fünfhundert Versammlungen, alle sicheren und unsicheren zusammengezählt, seit Patricks Versammlung in Macha bis zur schwarzen Versammlung von Donchad.

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45. Hundert Könige hielten sie ab, geweiht wurde sie von vier Königen und den Königen der noblen Abstammung Naills, wobei Ailill die einzige Ausnahme darstellte.

46. Ein König von der Abstammung Loegaires, ein König von der Rasse Cairpres, neun Fürsten der Rasse Aeds des Strahlenden und sieben Fürsten der Familie Colmans. 47. Sechzehn Könige kamen von Mide von der Rasse Eogans zur Versammlung, und zehn Könige kamen aus dem Lande Conalls, Ihr Edlen.

48. Achtzig Jahre, es ist wahr, und neun einzelne war Tailtiu verlassen; eine verdammt lange Zeit, in der kein Streitwagen auf dem Weideland Conalls fuhr. 49. Bis, in vollem Glanz der Schlacht, der Enkel des Königs mit dem wallenden Haar kam, dieser Sohn, der das berauschende Getränk der feststörenden Prinzessin trank. 50. Der König von Tara wählte Maelsechlainn von Slemun der Sicheren, der, ganz so wie der Fluß Euphrat ansteigt, zum einzig wahren Krieger Europas wurde. 51. Mir gebühre die Ehre der westlichen Welt und die Hilfe Cormacs, Conn’s Sohn, der sich dem Thron des Fürsten nähert, der der Familie Domnalls von Donchad entstammt. 52. Er brachte die Felder der Gaelen außer Gefahr, rettete Irland vor dem Schiffbruch, hob die Versammlung Tailtius aus dem Gras, die unbekannt, wenn auch althergebracht war.

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53. Er wußte all das Gute, an dem er uns teilhaben ließ, kaum zu schätzen; kaum den Weizen und das Malz (?), das er uns gab, kaum die Schätze an Nahrung und an Kleidung kaum die des Goldes und Silbers. 54. Er wußte all das, was er für uns schuf, kaum zu schätzen; kaum die Fische, den Honig, das Obst, kaum, wenn ...?... eine Versammlung für jeden Stamm. 55. Für ihn waren all unsere Reichtümer der Erde eine Kleinigkeit, gering schien es ihm, uns alle zu Königen zu machen, so wie ihm auch die riesige Menge, die ihm folgte, klein erschien, solange er uns nicht die Versammlung von Tailtiu beschert hatte. 56. Es ist sein Wunsch, uns, auch wenn unser Leben lang sein mag, bevor wir an einen anderen Ort gelangen, in das Haus Gottes eintreten zu lassen, nachdem er seine Pläne verwirklicht hat.

57. Christus sei mit dem weisen Maelsechlainn, Christus bewahre ihn vor schlechter Herberge und Leid, Christus begleite ihn in Krieg und Schlacht, um ihn zu schützen und zu verherrlichen. 58. Die Könige, die nicht an der Versammlung teilnahmen, sollen uns nicht fliehen: Maelruanaid, Flaithbertach, Fland, Aed, Cathal, Donchad und Domnall. 59. Ua Lothchain wünscht Euch Glück, oh junge Herren der edlen Versammlung. Ich grüße Euch nach diesem Loblied so lange diese Versammlung dauern möge, Ihr Noblen!178 Keating, History of Ireland :

„Lug mit dem langen Arm, der Sohn Cians, Sohn Diancechts, Sohn Easar Breacs, Sohn Neds, Sohn Iondaois, Sohn Allaois, war vierzig Jahre lang König von Irland gewesen. Lug war es auch, der die Versammlung

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von Tailtiu zum jährlichen Gedenken an seine Ziehmutter Tailtiu, der Tochter Madhmors, des Königs von Spanien gründete. Sie war die Frau Eochus, Sohn Eres und letzter König von Spanien. Danach war sie die Gattin Eochus des Rauhen, Sohn Guis des Blinden, des Prinzen der Tuatha Dé Danann geworden. Von dieser Frau war Lug mit dem langen Arm ernährt und auf­ gezogen worden, bis er Waffen tragen konnte. Zu Ehren ihres Andenkens stiftete Lug die Spiele der Versammlung Tailtius, welche fünfzehn Tage vor und fünfzehn Tage danach stattfanden und den Spielen ähnelten, die man „Olympiaden“ nennt. Aufgrund dieser von Lug eingerichteten Gedenkfeier wird der erste Tag der Kalenden des August Lugnasad genannt, also nasad oder Andenken Lugs (heute ist es das Fest des Heiligen Petrus in Ketten). Er fiel vor Mac Cuill in Caondruim.“ 179

Mögen wir Keating auch zugute halten, daß er kurz und bündig schreibt, so dürfen wir doch auch den Autor der Versdindshenchas nicht als Schwafler abtun. Natürlich hat der Text seine Längen und Unklarheiten (die obige Übersetzung ist so wörtlich wie möglich gehalten) und auch der geschichtlich verbürgte und nam­ hafte König Maelsechlainn des irischen Mittelalters kommt mit einer Überdosis Ehre davon, doch merken wir nach eingehender Analyse der Anspielungen, mit denen das Gedicht gespickt ist, daß hier nichts überflüssig ist. Ua Lothchain und der Herrscher, dessen File er mit Sicherheit war, lebten am Anfang des 11. Jahr­ hunderts. Das Loblied wurde anläßlich der Wiederaufnahme des Festes von Tailtiu durch Maelsechlainn im Jahre 1006 nach 79-jähriger Aussetzung verfaßt.180 Die zu jener Zeit und zu einem solchen Anlaß zusammengetragenen Traditionen sind für die heutige Analyse dieser „alten Geschichte“ natürlich besonders wertvoll, vor allem da die Versdindshenchas sich völlig mit ihrem Gegenstück in Prosaform und den Überlieferungen Keatings decken. Wir sollten dem Autor deshalb dank­ bar sein, uns durch seine Zeilen die ursprüngliche Atmosphäre eines Festes nach­ erleben zu lassen, wie ein Ire sie noch im 11. Jahrhundert empfand.181 Es steht auf alle Fälle fest, daß der Text die Iren der nächsten Jahrhunderte noch genug inter­ essierte, um ihn in das Buch von Leinster aufzunehmen.182 Tailtiu ist zunächst natürlich der Name eines ganz konkreten Ortes.183 Doch daß nun die Legende mit einer gleichnamigen Göttin aufwartet, ist ein Phänomen, welches für uns von großem Interesse ist, da dieser Umstand bis heute mißverstan­ den worden zu sein scheint. J. Loth, der sicherlich ein besserer Geistes- als Religionswissenschaftler war, schrieb in der Revue archéologique : „Es ist klar, daß der Geist, bzw. die Gottheit, deren Gunst man zu erlan­ gen suchte, chthonisch war [also der Erde angehörte]. Mir scheint in dieser Hinsicht sogar der Name Tailtiu charakteristisch. Tailtiu (und Tdltu), Gen.

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Tailten, geht allem Anschein nach auf *Tala-nt-io, *Tala-nt-ion-os zurück, der wie talamh (die gängige irische Bezeichnung für die „Erde“) auf = *talamo, Gen. talmhan = *talamon-os basiert. Die Wurzel ist tal. Insofern kann Tailtiu höchstwahrscheinlich als Synonym Trogans verstanden werden, der dem Monat August seinen Namen verlieh.“184 Dieser andere Name des Monats August wurde seither durch andere Doku­ mente, doch letzendlich immer so erklärt, wie es J. Loth185 vorschlug, wodurch sich seine Hypothese im nachhinein ganz von alleine zu rechtfertigen schien:

„Trogan ist natürlich die fruchtbare, nährende Erde, während talamh der Boden, die Oberfläche dieser Erde ist. Es kann daher nicht der gering­ ste Zweifel daran bestehen, daß es sich beim August um den Monat han­ delte, den die Iren der Mutter Erde widmeten. “ 186

Mögen die Behauptungen bezüglich Trogans auch richtig sein, so läßt die reli­ giöse Erklärung doch zu wünschen übrig. Vergleichen wir talamh z.B. mit der Bedeutung des lateinischen tellus, so tritt der „nährende“ Aspekt etwas hinter den bildlichen bzw. mythologischen zurück.187 Und wenn wir versuchten, die Etymo­ logie von Tailtiu und Eriu188, dem Namen Irlands, einander näherzubringen? Viel­ leicht handelt es sich bei Tailtiu um nichts weiter als einen anderen Namen ein und desselben Landes, dieses Landes der Verheißung der Goideln. Wir hätten es insofern also mit einem sehr alten Beinamen und keineswegs mit einer relativ jungen Vermischung zu tun, von der J. Loth ausgeht.189 Erinnern wir daran, daß die Kelten ihr Land gerne durch ein Mädchen oder eine junge Frau versinnbild­ licht sahen.190 Stürmische Träumereien zahlreicher moderner Dichter zeigen noch, wie aktuell diese archaische Vorstellung191 auch heute noch ist. Die Fruchtbarkeit gibt hierbei jedoch nicht den dominanten Ton an, sondern ordnet sich normaler­ weise der wesentlich globaleren und bedeutsameren Vorstellung der Herrschaft unter, was uns immer skeptischer in Bezug auf die allgemeinen Auslegungen der keltischen „Muttergöttinen“192 werden läßt, die sich eher aus der zeitgenössischen Folklore erklären und oft recht willkürlichen eingeteilt werden. Tailtiu kann nur dann als „Saisonsgöttin“ verstanden werden, wenn sie ausschließlich am ersten August verehrt wird. (Wie sehr der Kult auch zerstückelt sein mag, so umfaßt jedes Fest doch die gesamte Zeit und wird durch einen eigenen Mythos gestützt.) Wir gelangen durch die ebenso göttliche, als auch nationale und herrschaftli­ che Bedeutung der Tailtiu auf eine Ebene, die die des Ortsnamens und der lokalen Anbetung weit übertrifft. Die beiden Dindshenchas stimmen mit Keating darin überein, daß die gesamte Persönlichkeit Tailtius - und somit auch das Fest selbst ihren Ursprung in der göttlichen Anderen Welt nimmt:

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- Der Stammbaum, der ihr zugeschrieben wird und bis zu den Fir Bolg, dem zweiten, mythischen Geschlecht Irlands zurückreicht (3. Strophe und Keating).193 - Der Name ihres Gatten Eochu (in allen drei Quellen) geht auf *Ivokatu-s („der mittels der Eibe kämpft“) zurück, was uns an den Dagda den Gottdruiden, den Herrn des Heiligen Waldes erinnert.194 - Schließlich aber auch der Name ihres Vaters Magmor („große Ebe­ ne“), dem König Spaniens, dieses Landes, welches früher bei den Iren gleich­ bedeutend mit der Anderen Welt war.195 Insofern wollen wir auch kein Urteil über die verschiedenen Datierungen tref­ fen: - fünfzehnhundert Jahre vor Christus (Dindshenchas von Rennes), - dreihundertdrei Jahre (Ua Lothchain).

Der Ursprung ist wohl ebenso theoretisch als symbolisch, ja mehr noch: Die religiöse Tradition konnte in dieser Hinsicht gar kein menschlich definierbares Alter akzeptieren. Keating, der jüngste unserer Autoren, enthält sich jeglichen Hinweises und stützt so gewissermaßen die traditionelle Wissenschaft eines Ua Lothchain, was abermals zeigt, wie die irischen Gelehrten ihre Tradition absicht­ lich dem Christentum unterstellten, um sie so vor dem Vergessen zu bewahren. Tailtiu ist wesentlich mehr als die göttliche Namensspenderin eines Festes. Tailtiu konzentriert ganz Irland auf einen Punkt, den wir ohne zu zögern, als königlichen omphalos bezeichnen wollen.196 Welche Beziehung besteht nun aber zwischen Tailtiu und Lug? Anstatt uns zu sagen, sie sei die Ziehmutter des Gottes gewesen, erzählen die Versdindshenchas nur davon, wie die Tailtiu den Urwald urbar macht (Strophen 4-6), während die beiden anderen Texte diese Auslassung wettmachen, die jedoch im Prinzip ebenso ohne Folgen bleibt, wie die Verwechslung von Lug und Lugaid in den Dindshenchas von Rennes (denn Lugaid ist lediglich ein Beiname Lugs). Ein letzter Unterschied sei noch erwähnt: Während die Versdindshenchas die Rodung der Tailtiu in Person zuschreiben, erzählen die Dindshenchas davon, daß Eochu diese Arbeit auf die Bitte seiner Gattin verrichtet. Keating verschweigt die­ sen Punkt gänzlich. Eines steht jedoch fest: Tailtiu stirbt als Gottheit, die durch ihren Opfertod das ewige Leben und den Wohlstand ihres Volkes sichert: Sie selbst schafft den Ritus der Totenspiele zu ihren Ehren und ist so um die Symbolik be­ dacht, daß sie sogar dafür verantwortlich ist, daß der Klee in Irland wächst. Eine solche Aufopferung ist es wert, geehrt zu werden (Strophen 8-11). Wenn Ua Lothchain leider auch vergißt, uns mitzuteilen, daß Lug selbst die Gedenkversammlung und die Totenspiele einführt, so wird dies zur Genüge in den

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beiden anderen Texten wie auch in den Glossaren unterstrichen, die wir hier nicht eigens anführen.197 Der File erwähnt jedoch die wichtigsten Punkte in seiner Rede: Das Datum Lugnasads am ersten August und das Prinzip der ewigen Gedenkfeiern, damit Tailtiu ihr Versprechen des materiellen Reichtums halten kann. Wir stoßen hier also abermals auf den Pflichtcharakter aller religiösen Feste, wie er besonders bei Beliebte und Samain klar wurde.198 Wird der Festtag nicht gewürdigt, so zieht das Probleme nach sich. Dem regierenden Fürsten obliegt es, solches zu vermeiden (Strophe 13). Verstehen wir es richtig, so agiert der Fürst als Nachfolger Lugs als Festerhalter. Dieser wiederum handelt als König, der in Tailtiu Mutter Erde ehrt, die seine Herrschaft wahrt und stützt.199 Die Strophen 14-22 verweisen abermals auf die große Bedeutung der bereits erläuterten Details, - Strophen 20-21 unterstreichen das mythologische Alter und den Pflichtcharakter der Feierlichkeiten - und beschreiben genau den Reichtum des Festes: Gold und Silber, Spiele, Musik und Redewettkämpfe sind ebenso be­ merkenswert wie die Wiederholung der Verbote (Strophen 14-16 und 18) und die Moral Vorschriften (Strophe 17), die für das Eintreten materiellen Wohlstands un­ erläßlich sind. Laut Ua Lothchain handelt es sich bei Lugnasad also um eine Zusammenkunft, die jegliche Form des Betrugs und der Bosheit ausschließt. Im Gegensatz zu Samain wird hier keine Gesetzesversammlung abgehalten: Recht und Krieg sind ausge­ setzt. Weiters sind auch alle Formen der Orgie oder der Unreinheit verboten (vgl. auch die Anmerkung Keatings unten): Es handelt sich um ein Fest der Freund­ schaft, zu dem man in aller Ruhe von weither kommt, kurz, eine Feier des Wohl­ stands. Keating hatte also nicht unrecht, wenn er von „Olympiaden“ sprach, auch wenn er sich täuschte, ihren Ursprung bei den antiken Griechen zu suchen. Auch die Folge des Gedichts behält denselben Ton bei, bis hin zur christlichen Rehabilitierung des Festes und die Anrufung des St. Patrick. Der Apostel dient als Gegenstück und ermöglicht schließlich, daß Lugnasad den Religionswechsel über­ steht. Abschließend und zusammenfassend sei also festgestellt, daß die Verbindun­ gen zu Tailtiu und zu Lug den königlichen Rahmen bilden. Ist das Gedicht auch in ziemlich lockerem Stil verfaßt, wie das bei keltischer Poesie immer der Fall ist, so vergißt Ua Lothchain keinen Augenblick, daß er hier ein Gedicht zu Ehren des Königs verfaßt bzw. vorträgt, der das Fest Lugnasads in seinem ursprünglichen Glanz wieder erstrahlen läßt. Er besteht etwas schwerfällig auf den grundlegenden Zügen. Lugnasad ist:

- ein göttliches und ewiges Fest (Strophen 40-43; 44-48) - ein Pflichtfest (Strophen 32, 34)

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- ein königliches Fest (Strophe 28) - ein Schutzfest gegen alle möglichen Widrigkeiten (Strophen 37-40) - ein Garant des Friedens (Strophe 35) und des Wohlstandes (Strophen 55-56) In einem poetischen Höhenflug ohne übermäßige Bauchpinselei (Strophe 50) feiert der File schließlich den großen König, der durch gute Herrschaft das Glück seiner Untertanen wiederhergestellt hat, sie an seinem Reichtum teilhaben läßt und ihnen das Paradies auf Erden sichert (Strophen 49 ff.), wobei all dies gleich­ sam nebensächlich ist, wenn es mit der Wiedereinführung des Festes verglichen wird, welches allein in der Lage ist, diesen Wohlstand und die gegenwärtige wie auch die zukünftige Glückseligkeit zu sichern. Zweifellos haben wir es hier, wie auch bei fast allen anderen keltischen Ge­ dichten des Mittelalters, mit höfischer Dichtung zu tun. Doch ist die Ausdrucks­ weise zu klar, um hierin eine bloße Übung poetischer Virtuosität zu sehen. Der mittelalterliche Autor paßt sich den höfischen Gegebenheiten an, ohne der Phan­ tasterei zu verfallen. Gemäß allen Gesetzen und der althergebrachten Tradition ist einem guten Herrscher ein Loblied zu singen: Maelsechlainn wird anläßlich des Festes geehrt, welches zu Recht sein Königtum feiert. Dies ist nur ein weiterer Grund den königlichen Aspekt Lugs hervorzuheben, der der Urvater des Festes ist. Schließlich hat der König alle Hände voll damit zu tun, das Wohl seiner Unterta­ nen zu sichern. Für Dichter und Historiographen ist der Spalt zwischen König und Gott oft ein verschwindend geringer, doch ist es nicht unsere Aufgabe, darüber zu urteilen, ob Maelsechlainn dieses Lob seines Files nun verdient oder nicht: Für uns ist es viel interessanter, die uralten, mythologischen Wurzeln zu erkennen, auf die Ua Lothchain in vollem Wissen um seine Tradition zurückgreift. Schließlich bietet uns der Text auch eine reiche Palette beschreibender Details und Riten zum Ablauf des Festes. Wir können nicht umhin, sie zu unterstreichen:

Die Strophen 24 bis 26 werden sicher interessant für die Archäologie werden, wenn ihre geschichtliche Wahrheit eines Tages verbürgt ist. Ohne hier irgend etwas vorwegnehmen zu wollen, so wird dennoch das Verhält­ nis augenscheinlich, welches zwischen dem Fest und den Gräbern der gro­ ßen, mythischen oder pseudohistorischen Figuren besteht. Das Detail ist besonders bedeutsam, wenn es mit den Informationen verglichen wird, wel­ che wir zu den Festlandkelten besitzen. Ließ man sich in Tailtiu, dieser heiligen Stätte neben Tailtiu, der Mutter Lugs beisetzen, der als großer Gründerkönig Irlands verstanden wurde, so sicherte man sich zugleich die Gedenkspiele und die kollektive Klage zu seiner eigenen Ehre. Daraus er­ klärt sich auch, weshalb diese posthume Teilnahme an der Königswürde und Herrschaft nur den höchsten Gesellschaftsklassen Vorbehalten war.2“1

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Strophe 31 geht sehr direkt auf die Steine ein, wenn es auch bedauerns­ wert ist, daß diese nicht genauer geschildert werden. Eine der Aufgaben des Königs ist es, die Gesundheit seiner Untertanen zu sichern.201 Und ist Strophe 33 auch zu phantastisch, um uns zu einer unmittelbaren Interpre­ tation zu veranlassen, so genügt es einstweilen, sich der Wunder zu entsin­ nen, die sich nach Vorliebe an heiligen Stätten oder bei religiösen Zeremo­ nien vollziehen. Was die Verbote der Strophe 32 und die Verwünschungen Patricks in den Strophen 34-35 betrifft, so unterstreichen diese lediglich den königli­ chen Charakter des Festes durch die kategorischen Beschreibungen: Verbot des Gebrauchs einer Lanze, da die wohltuende Anwesenheit des irischen Königs nicht mit dem Kriegswesen vereinbar war (vgl. Vers 4 der Strophe 29). Die Krieger kommen als Untertanen oder als treue und passi­ ve Vasallen zu diesem Fest (darüber hinaus besteht ein Zusammenhang zwischen der Lanze und dem König202 ). Das Verbot hoch zu Pferd am Fest teilzunehmen, wahrscheinlich um herrisches oder gleichgültiges Gehabe der Vasallen zu vermeiden. Das Verbot, über die linke Schulter zu sehen, das heißt einen bösen Fluch auf das Fest zu legen (Strophe 32). Das Verbot, das Fest, und wenn auch nur zur Verköstigung, zu verlas­ sen. Das läßt darauf schließen, daß die Speisen sicher nicht den Haupt­ aspekt der Feierlichkeiten darstellten. Schließlich das Verbot das Vieh in irgendeiner Weise zu schädigen, und das nicht nur, weil die Gaelen gute Viehzüchter waren, sondern auch, weil wir wohl zu recht annehmen müssen, daß der Viehraub einen der wichtig­ sten Aspekte kriegerischer Tätigkeiten darstellte. Und zu all dem fällt Patrick ein Urteil, das kein Haar von dem eines Druiden abweicht. Auch die Aufzählung der königlichen Festungen (Strophe 36) ist be­ merkenswert, während man unter der Schutzherrschaft Jesu, der sich Golgathas erinnert, um mit Mac Erc zu sprechen, die drei Plagen Irlands abschafft, die ihr Gegenstück in Wales haben.203 All das ist in der für Irland typischen Weitschweifigkeit gehalten. Uns wäre es heute sicher lieber gewesen, der gute Ua Lothchain hätte seinen Stil etwas durch­ kämmt und etwas Ordnung in seine Anrede gebracht, bevor er den versammelten Herren seine besten Wünsche mitteilte. Doch trotzdem ist das ganze recht beein­ druckend und lehrreich: Laut Versdindshenchas, der Dindshenchas von Rennes und der Kurzfassung Keatings ist Lugnasad also das Fest, welches der König am ersten August unter Beistand sämtlicher Klassen feierte:

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Druiden und Filid sind anwesend und messen ihr Wissen und ihre Re­ degewandtheit. Die Krieger sind da, wobei der König der primus inter pares ist. Die dritte Klasse der „Nicht-Götter“, sprich die Bauern, werden nicht nur als Statisten, sondern als Teilnehmer zum Fest eingeladen, die für den Erhalt der Gesellschaft und der Wohltaten des Königs unerläßlich sind.204

2. DIE VERSAMMLUNG VON CARMAN IM LEINSTER Dindshenchas von Rennes: „So begaben sie [Carman und ihr Sohn] sich nach Irland, um den Tuatha De Danann Schaden zuzufügen und den Weizen zu Lasten der Insel zu verwüsten. Das schien den Tuatha De Danann schlecht zu sein. So gingen von ihren Dichtem Ai, der Sohn Ollams, von ihren Satirikern Cridenbel, von ihren Druiden Lug Laebach und von ihren Hexen Be Cuille hin, um gegen sie zu singen. Sie verließen sie nicht, bis sie die drei Männer wieder auf das Meer zurückgetrieben hatten. Jene ließen ihre Mutter Carman als Geisel zurück und gaben sieben Gegenstände als Bürgschaft dafür, daß sie nicht mehr nach Irland zurückkehren würden, solange es vom Meer umge­ ben wäre.“205 Versdindshenchas:

1. Hört zu, Leute Leinsters in euren Gräbern, Heer, das du Raigne mit heiligem Recht regierst, bevor ihr euch wieder in alle Richtungen verlauft, hört diese schöne Geschichte vom glorreichen Carmun. 2. Carmun ist die Stätte der Festversammlung, mit einer Wiese, die für Rennen bereit steht. Schon manche Truppe, welche hier feiern kam, trug den Sieg der schönen Wettkämpfe davon. 3. An diesem edlen Ort liegt auch das Grab eines Königs, der bei den Kriegern aller Ränge beliebt ist. Unter den Hügeln der Versammlung sind auch viele Krieger seines Heers, von hochverehrtem Geschlecht begraben.

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4. Um Königinnen und Könige zu beweinen, sich der Rache und böser Taten zu beklagen, kamen viele schöne Truppen im Herbst, sich an die weiche Wange der alten Carman zu schmiegen.

5. Waren es mehrere Männer oder ein einziger mit mächtigem Heldenmut oder gar eine Frau voll ungezügelter Eifersucht, die dem Jahrmarkt diesen Namen von Ruf gaben, oder verliehen sie der schönen Carman ihren eigenen Namen? 6. Nein, es waren keine Männer, auch kein einzelner, noch so wild, sondern eine Frau, stolz und räuberisch, mit berühmtem Land und Ruf, die Carman ihren Namen vermachte. 7. Carman, die Frau Dibads des Stolzen, dem Sohn des guten und gastfreundlichen Doirche mit den großen Truppen, und Enkel des reichen Ancgeis, war eine erfahrene Anführerin in zahlreichen Schlachten. 8. Keine Anhäufung von Reichtümern war ihnen genug in ihrer großen Leidenschaft um die edle Banba, denn seit jeher waren die Enkel Dibads im Osten in Not gewesen.

9. Und abermals zogen sie nach Westen, Dian, Dub und Dothur, vom Osten her, weit weg von Athen, mit Carman ihrer Mutter. 10. Bei den Tuatha De verwüsteten nun zwei Feinde die Ernte aller Ländereien bis hin zur Küste. Das war eine unerbittliche und gesetzlose Plünderei. 11. Durch ihre berühmten Zaubergesänge nahm Carman dem hochmütigen Obst den Saft. Trotz aller Rügen wandte sie alle verbotenen Künste an, und ihre drei Söhne zerstörten in der Schlacht und ohne Gesetz.

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12. Als die Tuatha De sie erblickten, da packte sie Schrecken und Entsetzen; und für jede Übeltat, die jene begingen, bürdeten sie ihnen eine gleiche auf. 13. Cridenbel, und das ist keine Täuschung, Lug Laebach, der Sohn Cachers, und Be Chuille [waren] auf allen Schlachtfeldern, wie auch Ai, der Sohn Ollams.

14. Als sie sie besiegten, sagten die harten und ebenso starken Vier: ‘Hier eine Frau gegen eure Mutter und drei Männer gegen euch drei Brüder. 15. Der Tod ist euch allen, doch wird euch das nicht lieb sein, [er wäre] ohne Segen, ohne Wunsch der Glücks, oder aber ihr laßt freien Willens eine Geisel zurück und verlaßt zu dritt die Insel.’ 16. So verließen uns die drei Männer, man bediente sich rauher Sitten, damit sie abzogen; und auch wenn sie dadurch weit von ihnen entfernt war, ließen sie Carman lebend in ihrem engen Gefängnis zurück. 17. Es wurde bei allen Bürgen geschworen, damit gegen nichts verstoßen würde: beim Meer und bei den Tieren, beim Himmel und bei der Erde mit ihrer glänzenden Haut, daß die starken Krieger nicht vom Süden wiederkämen, solange das Meer Irland umgäbe. 18. Siechtum und Tod rafften Carman schließlich hinweg. Sie erschienen ihr in gräßlicher Gestalt, und sie starb eines gewaltsamen Todes, wie sie es verdient hatte, zwischen den Eichen der festen Gräber. 19. So gab es, wegen ihrer außerordentlichen Schönheit, das erste Klagelied, welches jemals

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bei den Tuatha D6 in der edlen Ebene des Ostens gesungen wurde und die erste Versammlung, die Carman angemessen war.

20. Und wer grub das Grab der Carman? Habt ihr es gelernt, wißt ihr es, so wie es eure geschätzten Großeltern lernten? Bres war es, der Sohn Eladus. Doch horcht! 21. Fünfhundertachzig Jahre liegen (und das ist keine Lüge), zwischen der Tribut zollenden Gefangenschaft Carmans und der in den Psalmen besungenen Geburt des menschgewordenen Jesus. 22. Vierhundertzweiunddreißig Jahre sind seit der Geburt Christi verstrichen, die Rechnung stimmt, seit Crimthann über die gefangene Carman verfügte, bis zum großen, glorreichen Patrick. 23. Fünfunddreißig Könige [regierten] ohne Fluch vor Christi Geburt im Osten Leinsters; Ihr Ruf erreichte Irland seitdem du, oh Carman, dich mit deinem sanften Gesicht zu uns gesellt hast. 24. Fünfundfünfzig Könige, Ritter der Christenheit, herrschten beflissen seit dem wundengewohnten Crimthann bis hin zum guten und starken Diarmait Durgen. 25. [Da waren] die acht Söhne Galams mit ihren starken Truppen, Don, Hir, Eber, Heremon, Amairgin, Colptha ohne Sorge, Herech, Febria und Erennan. 26. Sie waren die Bürgen der Versammlung, und wurden immer hoch gelobt, bei ihrer Ankunft und ihrer Abreise, ohne rauhe Feindseligkeiten.

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27. Seit den Tuatha De bis zu den Kindern Mils, war dies ein Zufluchtsort für die adeligen Damen und Fürsten; nach den Kindern Mils ist es klar, daß es bis Patrick von Macha ein Zufluchtsort blieb. 28. Den Himmel, die Erde, die Sonne und das Meer, die Früchte der Erde und die Algen des Meers, die Münder, Ohren, Augen, all ihr Hab und Gut, die Beine, Hände und Zungen der Krieger; 29. Die Pferde, die Schwerter, die schönen Wagen, die Lanzen, die Schilde und die Gesichter der Männer, den Reif, die Eicheln, den Glanz der Blätter, Tag und Nacht, Rückfluß und Springflut, 30. All das gaben sie als Bürgen, damit die Truppen Banbas ewig sorglos seien und die Versammlung nicht im Dunst der Streitigkeiten abgehalten würde, der sie alle drei Jahre unterbrach. 31. Die Stämme der Gaelen hielten hier oft mit großen Lobreden eine Versammlung ab, die ohne Gesetz und ohne Überschreitungen, ohne Gewalttätigkeiten und Unreinheiten vonstatten ging. 32. Ihr Menge von Christgetauften, verschweigt das nicht, und hört gut zu, denn es ist sicher, daß dem der größte Fluch gebührt, der sich von Christus und dem Christentum entfernt. 33. Doch die Könige und Heiligen Irlands haben, um Patrick und Crimthand geschart, die all ihre Kämpfe stolzen Mutes geführt hatten, diese Zusammenkünfte hier gesegnet.

34. Vor den lebhaften Tuatha De gab es neun Versammlungen, an der Grenze des ruhmreichen Carmun; dann folgten schnell fünfhundert im Zentrum zwischen Heremon und Patrick.

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35. Da fanden fünf mal vierzig angenehme Zusammenkünfte statt, eine nach der anderen, und ohne Betrug, von Bresal Broenach, bis hin zur letzten Versammlung.

36. Seit Crimthand von der schönen Gestalt bis zur großen Schlacht Ochas des Gewaltigen hatte das Geschlecht Labraids, des liebenswerten Kriegers neun berühmte Versammlungen ohne Zwist abgehalten. 37. Sechzehn Könige, für mich ist das sicher, jeden Weisen, jeden Geschichtsforscher mit reger Zunge, brachte das Heer zu dieser mächtigen Sitzung, seit der Zeit, zu der Carman noch ein Wald voller Zweige war. 38. Acht Könige Dothras reich an Mannen, hielten mit ihrem gefeierten Heer, die Zusammenkunft der schönen Carman mit Ruhm und reinen Waffen. 39. Zwölf Könige [?] einerseits ohne große Besitzungen [saßen] auch, ich gebe es zu, in den berühmten Versammlungen, aus der wertvollen Truppe, die einem Greif glich, und aus dem königlichen Geschlecht des großen Maistiu.

40. Fünf der rauhen Fir Gaibli hatten sich zum großen Ruhm der Carman versammelt in einer reichen Zusammenkunft, die von Satteln und Pferdezügen nur so überquoll. 41. [So kamen auch] sechs Männer von den Rennen Raignes, vom Geschlecht Bresal Brecs, des Schlägers, - eine schöne Truppe für Feldzüge gegen den Westen auf die Wange der Carman mit den hundert Wunden. 42. Patrick und Brigitte sind zusammen mit Coemgen und Columcille die Bürgen dafür, daß keine Truppe, ihre eigenen [?] Reitereien angriffe.

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43. Die Versammlung der Heiligen [bedurfte] zunächst der Kraft, sie abzuhalten und ein Gesetz, sie zu regeln. Demnach entspricht eine Versammlung der hohen Könige mit [..?..] Reinheit, der ordnungsgemäßen Vorschrift. 44. Spiele der Frauen Leinsters am folgenden Tag aus einer hervorragenden Truppe, und das ist keine Lüge, einer Truppe von Frauen, die auch außerhalb großen Ruhm genoß, [das war] die Zusammenkunft der dritten Versammlung.

45. Die Laegsi, die Fothairt von großem Ruf, waren nach den Frauen an der Reihe, ihnen gehört dieser Leinster voller Schätze, die tapfere Männer bewachen. 46. Erfahrene Königsanwärter waren es, die die fünften Spiele von Carman veranstalteten, und es waren diese ehrbaren Gesellschaften Irlands, die auch die sechste zu einem guten Ende führten. 47. Zuletzt waren es die Kinder Condlas, die das Spiel der wohlgehüteten Carman veranstalteten; edel war die Menge über alle Truppen hinaus, über jeden Triumph und jeden königlichen Reichtum war sie erhaben. 48. Sieben Spiele, wie er sie euch zugestanden, das erlaubte Patrick für jeden Tag der Festwoche aufgrund dieses besonderen Rufs, hört gut zu. 49. So hielten es die Leute von Leinster in ihren Kantonen und Familien, von Labraid Longsech mit den vielen Truppen bis hin zu Cathair dem Mächtigen mit den roten Schwertern. 50. Cathair aber ließ nichts mehr von Carman übrig außer vielleicht für seine starke Nachkommenschaft; allen anderen mit ganz besonderen Reichtümern voraus [war da] das Geschlecht Ros Failges, doch seht selbst:

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51. Der Sitz des edlen Königs Argatros liegt zur Rechten des Königs von Carman, sanft und bescheiden, und hat zu seiner Linken auch kein Bettlererbe, [und zwar] den Sitz des Königs von Gaible mit dem glänzenden Ast.

52. Die Laigsi sind die Nachkommen Lugaids, Conall Cendmors Sohn, und die Fothairt, die die Trockenheit nie besucht, sind nicht arm genug, ihnen zu folgen. 53. In den Kalenden des August versammelten sie sich hier alle drei Jahre ohne Tadel. Sie veranstalteten sieben Rennen für eine Glanztat, während der sieben Tage der Woche. 54. Hier wurden in Wortgefechten die Rechte und Tribute der Provinzen ausgehandelt; [denn] jedes königliche Gesetz wurde gottgeweiht alle drei Jahre erstellt. 55. Weizen, Milch, glückliches Wohlbefinden, volle Netze, reiches Meer, graubärtige Männer, Anführer in Freundschaft, mit Truppen die in Irland zu befehligen waren; 56. Beschwerden, harte Besteuerung der Schulden, Satire, Streit, schlechte Führung, werden während der Wettkämpfe nicht gewagt, auch keine Flucht, kein Befehl oder Pfändung. 57. Die Männer gehen nicht zur Versammlung der Frauen, und die Frauen besuchen nicht die der schönen und reinen Männer, hier hört man nichts von Entführungen, von Nebenbuhlern oder einer zweiten Familie. 58. Allen, die das königliche Gesetz übertreten, hat Benen ausdrücklichst untersagt, zu seiner Familie zu gehören, auf daß sie in ihrer tödlichen Sünde stürben.

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59. Und das sind die großen Vorzüge der Feier: Trompeten, Geigen, hohlkehlige Hörner, Dorfmusikanten, Beckenschläger, die nicht aus der Ruhe zu bringen sind, Dichter und sanfte Musikgruppen. 60. [Sie besingen] die Taten Finns und der Fianna, diesen unerschöpflichen Stoff, Zerstörungen, Raubzüge, Brautwerbungen, Tafeln und Bücher der Wissenschaft, Satiren, große Geheimnisse; 61. Sprichwörter und Leitsätze der Macht, die wahren Lehren Fithals, für dich die geheimnisvollen Verse der Dindshenchas, die Lehren Cairpres und Cormacs; 62. [Sie besingen] die Feiern rund um das schwere Fest von Tara, die Zusammenkünfte rund um die Versammlung von Emain, die Annalen und, es ist wahr, alle Trennungen, die Irland aufteilten; 63. Die Geschichte des Hauses Tara, die nicht unbedeutend ist, die Kenntnis aller Kantone Irlands, Geschichten von Frauen und von im Kampfe liegenden Armeen, von Herbergen, Verboten und Gefangennahmen; 64. Die zehn Gebote Cathairs mit den hundert [..?..] für seine liebenswerten Kinder königlicher Größe, und sie weisen jedem den Platz zu, der ihm zukommt, so gut, daß alle darauf hören.

65. Flöten- und Geigenspieler, Akrobaten, Kastagnettenspieler und Hornisten, schreckliche, lärmende und profane Massen mit ihren Rufen und Schreien. 66. Alle strengen sich an für den König der brodelnden Banba; der edle und ehrwürdige König zahlt jedem, was ihm für die Ehre seiner Kunst gebührt.

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67. Gewaltsamer Tod, Massaker, Klänge der Musik, vollendeter Gleichtakt des guten Geschlechts, seine königlichen Ursprünge, eine Segnung Bregmars, sein Kampf und seine große Tugend; 68. Das ist das Zeichen zum Abbruch des Festes durch die begünstigte und immer noch frohe Truppe, auf daß der Herr ihnen die Erde mit ihren süßen Früchten gibt.

69. [...] am nächsten Tag sind die Leute von Leinster und die Schar der Heiligen auch kein enttäuschender Segen, und sie feiern fromm über dem geweihten Wasser Carmans, eine Messe, Anbetung und Psalmengesang. 70. Im Herbst fastete man in einem Zug in Carman. [So protestierten] die Leute Leinsters, die nun nicht gerade wenig waren, gegen Ausschweifung und Unterdrückung. 71. Priester und Laienbrüder aus ganz Leinster waren da, Frauen und Männer, die sicherlich ihre Vorzüge hatten: Gott weiß, was sie verdienen, und hört auf ihr edles Gebet.

72. Dann die Gastfreundschaft der Ui Droma, die Pferderennen von Ossory, ein schriller Schrei der Lanzenschäfte des ganzes Heeres; das ist das Ende. 73. Auch wenn wir dies das Grab der Trunkenheit nennen, geschieht dies nicht aus Spott oder Bosheit, denn mit ihrem Gatten Sengarman dem Krummen wurde sie vor langem hier begraben.

74. Nach ihnen wurde es [das Grab] benannt von den versammelten Armeen, es gehörte ihnen ohne Armut und sie gehörten ihm. Oh, Leute von den Gräbern Leinsters, hört:

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75. Einundzwanzig rath, sagt noch immer ihr Ruf, gibt es hier, wo die Armeen unter dem Erdboden liegen und die Anzahl der Friedhöfe berühmt ist, hier, wo die liegen, die die edle Carman liebte.

76. Sieben Hügelgräber sind da, die noch nie besucht wurden anläßlich der häufigen Totenklage; sieben abgegrenzte Ebenen, die ohne einem einzigen Haus den Trauerspielen der Carman zur Verfügung stehen. 77. Drei rege Märkte finden statt in diesem Land, der Lebensmittelmarkt, der Viehmarkt und der Markt der fremden Griechen, da wo es Gold und schöne Kleider gibt. 78. Hier ist der Hang der Pferde, dort der Hang der Küchen, und der Hang, wo die Frauen zum Sticken zusammenkommen; die Männer der Armee der lärmenden Goideln machen sich nicht über sie lustig oder schwärzen sie an. 79. Durch Nachlässigkeit der Versammlung kamen Stolz, Schwäche und verfrühtes Ergrauen Könige ohne Kühnheit und Schönheit, ohne Gastfreundschaft und ohne Wahrheit. 80. Bis heute war der Zom der vielen Truppen vom Hofe Labraids und aller feigen und vertrockneten Armeen groß; man traut sich und traut sich wieder nicht. 81. Ich heiße also das himmlische Heer der Heiligen mit Gott, dem Edlen und Liebenswerten willkommen. Der König, der die Armeen segnet, schenkt euch dies; er erhört jedes Bittgesuch.“206

Wie auch die Lobrede Ua Lothchains, so darf dieses lange Gedicht, in dem nichts - von der eindeutigsten Anspielung bis hin zur verschwommensten Unterschwelligkeit - umsonst dasteht, nicht von der literarischen Warte aus inter­ pretiert werden. Mit den Worten Gwynns „the value of the poem as a description of a typical oenach has long been recognized“ 207 und wir würden wohl kaum

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Neues hinzufügen, indem wir den Text nur, wenn auch erstmalig, in seiner ganzen Länge in einer Arbeit präsentieren, in der die Texte das Mittel und nicht der Zweck sind, wenn wir nicht versuchten eine möglichst genaue Analyse folgen zu lassen. Natürlich überschneiden sich die Dindshenchas von Carman mit denen von Tailtiu. Es sei jedoch unterstrichen, daß uns hinsichtlich der Hohen Feste der Kel­ ten weniger die „description of a typical oertach“, sondern vielmehr das allgemei­ ne Verständnis des Festes interessiert. Verfügen wir heute auch über ausreichende Information, Lugnasad zu erklären, so haben wir keinerlei Interesse daran, die irischen oenaige aus einem rein ethnographischen, volkskundlichen und noch weniger topographischen oder historischen Blickwinkel zu betrachten. Der größte Verdienst der Dindshenchas und der Nebenquellen, einschließlich der (so schlecht betitelten) Geschichte Irlands von Keating, ist es wohl, uns da aus der Affäre zu ziehen, wo die Epen und Mythen sich ausschließlich um das Kriegerfest Samain ranken und sich diesbezüglich in Schweigen hüllen. Deshalb, und auch weil uns nicht daran liegt, dieses Werk durch Texte zu er­ schweren, die eigentlich nichts Neues liefern, wollen wir auch nicht die lange Prosapassage aus dem Book of Ballymote zitieren, die O’Curry in der Einleitung zu den Versdindshenchas veröffentlichte. Sie erzählt im Prinzip dasselbe, bis auf die einzige, aber unangenehme Ausnahme, daß sie nicht ins Detail geht. Sie ist außerdem jünger, was jedoch nicht viel heißen mag, solange wir im Bereich des Mittelirischen bleiben.208 Was die Frage betrifft, ob die Versdindshenchas nun auf der Prosaversion ba­ sieren, so liegt es nicht an uns, sie zu schlichten. Doch tut das kaum zur Sache, denn das Gedicht, das einem bestimmten Fulartach zugeschrieben wird, von dem wir praktisch sonst nichts wissen, stammt aus dem XI. Jahrhundert und wurde, wie die Dindshenchas von Tailtiu im XII. Jahrhundert ins Buch von Leinster über­ tragen.209 Die Annahme des Alters basiert auf ziemlich sicheren Kriterien und wurde nicht nur im Gedicht selbst erwähnt, sondern auch von Edward Gwynn untersucht. Es steht also anzunehmen, daß die beiden Dindshenchas nicht auf eine selbe Quelle, sondern vielmehr auf eine gemeinsame Tradition zurückgehen. Die beiden einzigen Wermutstropfen stellen hierbei die Etymologie und die Ermitt­ lung der angegebenen Stätten dar. Da es sich jedoch um mythische Geographie handelt, enthalten wir uns gerne der Diskussion zu diesem Thema.210 Wir wollen an dieser Stelle auch nicht genauer auf die Eigennamen, die Ethnonyme und Orts­ namen dieses Gedichts eingehen: Einige sind bekannt, andere nicht.211 Das Fest wird also an einem heiligen Ort voller Fürstengräber gefeiert, von denen das wichtigste das der Carman ist. Ganz Leinster nimmt am Fest teil (Stro­ phen 1-5). Wir haben es also abermals mit einem Pflichtfest zu tun, und zahlreiche Strophen dienen allein dem komplizierten Apparat der keltischen Beschreibun­ gen, durch den alle Könige und königlichen Truppen angeführt werden.

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Die Versammlung ist also gewissermaßen „garantiert“, was Ua Lothchain in seiner Lobrede auf Tailtiu und Maelsechlainn zwar nicht eigens erwähnt, was jedoch an seriösen Vokabeln wie demge/s („Verbot“) abgelesen werden kann. Die Garanten, die in den Strophen 28 und 29 aufgezählt werden, sind zu zahlreich, um hier klassifiziert zu werden. Eines ist jedoch klar: Sie symbolisieren und repräsentieren die gesamte Gesellschaft und Natur. Al­ lein ihre Anzahl kann als absolute Kaution angesehen werden. Denn in der Tat stellt das Abhalten des Festes einen wichtigen Punkt des halb-kriegeri­ schen, halb-religiösen Vertrags mit Carman dar. Welcher König würde sich anmaßen, ihn zu brechen?212 Das Fest vollzieht sich ohne Gewalttaten und Rechtshandlungen. In die­ ser Hinsicht gelten im großen und ganzen unsere Anmerkungen bezüglich Tailtius. Das Fest ist überdies obligatorisch (Strophen 5 und 71) und darf nicht unterbrochen werden. Die Lobrede des Dichters richtet sich ständig an den König, der die Tradition wieder aufnimmt, und die christlichen Heiligen verbünden sich mit den Fürsten und Adeligen, um regelmäßige Feierlichkeiten zu gewährleisten (Strophen 32 bis 43). Diese Feierlichkeiten beinhalten Wettkämpfe, die als Gedenkspiele zu Ehren Carmans verstanden werden: Diese Spiele finden unter Frauen (Stro­ phe 44) oder zwischen Stämmen und Kantonen (Strophen 45, 47, 49 und 52) statt und werden je nach ihrem Charakter über die ganze Woche verteilt (Strophe 48) (siehe Samain). Der König nimmt dabei immer den Vorsitz ein (Strophen 50-51). Der Zeitpunkt des Carmansfestes stimmt völlig mit dem des Festes von Tailtiu überein, d.h. es findet am 1. August, Lugnasad, statt. Der einzige Unterschied ist, daß Tailtiu alljährlich, Carman nur alle drei Jahre abgehal­ ten wird. Neben den Variationen der Dauer (zwischen drei oder sieben Ta­ gen bis zu zwei mal fünfzehn Tagen) ist dieser Aspekt bezüglich des allge­ meinen Festplanes festzuhalten. Freundschaft, Friede, Wohlstand und moralische Reinheit sind, wie auch in Tailtiu, Teil der Gönnerschaft des guten Königs (Strophen 55 bis 58). Zu den Feierlichkeiten gehörten auch große Musik- und Rede­ wettbewerbe. Die mehr oder weniger begnadeten Musiker stellten sich die­ ser Herausforderung wohl mit ebenso großer Leidenschaft wie die Filid, die bei diesem Anlaß ihre traditionellen Erzählungen zum Besten gaben, die wir heute untersuchen, ohne dabei vergessen zu dürfen, daß all diesen „my­ steriösen Laien der Dindshenchas“ wohl ein gewisser, bescheidener Humor zu eigen war (Strophen 59 bis 67). In dieser Hinsicht sind die Feste von Carman und von Tailtiu mit dem gallischen Fest von Lyon vergleichbar, bei

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dem die Redner ebenso gehörig zu Wort kamen.213 Das Fest stand allen, auch dem niederen Volke offen (Strophen 65 und 66), und der König be­ lohnte jeden nach seinem Handwerk, wodurch klar wird, daß das Geschenk die königliche Tat par excellence darstellt. Man kam jedoch nicht zum Carmansfest, um zu schlemmen, sondern eher um zu fasten (Strophe 70), was nun auch die Strophe 29 der Dindshenchas von Tailtiu näher erklärt und ebenso den Vierzeiler der Hand­ schrift Rawlinson B 512 bestätigt. Der Festplatz war von unversehrten Grabhügeln gespickt (Strophen 7576), was uns unmittelbar an die Fürstengräber des europäischen Kontinents erinnert. Drei Märkte wurden geduldet (Strophen 77-78), wenn auch aller Wahrscheinlichkeit nach außerhalb des eigentlichen Festgebietes. Einer davon war auch Ausländem zugänglich, die zwar als „Griechen“ bezeich­ net werden, vielleicht aber nur Gallier waren, die mit den Griechen von Marseille in Kontakt standen, wenn es sich dabei nicht sogar nur um Iren anderen Ursprungs (also nicht der Fir Bolg) handelte.214 Ein weiterer Um­ stand, der nicht den keltischen Gewohnheiten zu entsprechen schien, war der, daß die religiösen Vorschriften strengstens verboten, sich über andere lustig zu machen.

Wir haben es hier wohl mit einer der detailliertesten Beschreibungen des insel­ keltischen Lebens zu tun, was uns entgegen unserer bisherigen Gewohnheiten so­ gar behaupten läßt, daß wir hiermit über beachtliche Elemente keltischer Rituale verfügen, da nicht nur die Spiele, sondern auch der Ablauf des eigentlichen Festes sehr seriös und genau beschrieben werden. Und haben Festboykottierer auch nicht mit schwereren Folgen als Stolz und frühzeitigem Altem zu rechnen (Strophe 79 im Gegensatz zur sofortigen Hinrichtung für das Nicht-Feiern Samains), so gehen wir doch davon aus, daß die Fruchtbarkeit nur indirekt durch den König in der Kalenderliturgie in Kraft tritt. Die erste Zielscheibe ist also der König: Ein König, der es versäumt Lugnasad zu feiern, ist ein schlechter, böser und häßlicher König, der seine Untertanen in die Armut drängt, sie mit Steuern überhäuft und seiner eigentlichen Hauptaufgabe, der Großzügigkeit nicht gerecht wird. Da Lugnasad in die Erntezeit fiel, wurde es dem König zwar leichter gemacht, doch durfte er unter keinen Umständen seine moralischen Pflichten versäumen. Wir wollen unsere Schlußfolgerungen aus der Untersuchung der Dindshenchas sogar noch weiter ziehen: Der König ist der Mittelpunkt dieses Festes. Hier sind die Druiden Erzähler, Dichter und Weise, jedoch allem Anschein nach nur „unbe­ wegliche Motoren“ der Feierlichkeiten, die keine religiösen Rituale zu beinhalten schienen.215

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Wir wollen hier die detaillierte Untersuchung beenden, da uns die anderen irischen Versammlungen nicht durch direkte Dokumente überliefert sind. Die Fei­ erlichkeiten von Colman und Cruachan können als gegeben angesehen werden, da die Dindshenchas sie mehrmals erwähnen216, doch leider nicht ins Detail gehen. Weiters gibt es bereits einen Ansatz (inklusive archäologischer Aspekte) zu den Dindshenchas, der auf die Feste und toponymischen und volkstümlichen Traditio­ nen eingeht, die sich um das Grab einer Frau ranken.217 Die beiden Gedichte über die rechtmäßigen Gattinnen Lugs zeigen auf, daß das Frauen- und das Fürstengrab einen Grundbestandteil der Traditionen darstell­ ten, bei der Fest und Klage Hand in Hand gingen. „Bua, die Tochter Ruadhri des Roten, die Gattin Lugs, des Sohnes Cians mit den roten Schwertern, liegt hier beerdigt. Über ihr wurde ein großer Grabhügel errichtet.“218

und zu ihrer Schwester Nas, die auf dieselbe Weise bestattet wurde heißt es: „Bei der Versammlung Lugs, des Vollendenten, war fröhliche Zufriedenheit angesagt und die Freuden waren nicht ge­ ring: Klagelieder der [Frauen] von Fail, schön, strahlend und mit sanfter Stimme, und die Klagen der Töchter Ruadhri des Roten.“219

Natürlich müssen auch die Spiele von Emain Macha erwähnt werden, wo eben­ falls eine Versammlung abgehalten wurde. Auch wenn wir hier unmöglich alle Auszüge der Dindshenchas zitieren können und uns auf die Frage Lugnasads be­ schränken wollen, so steht es doch fest, daß allen irischen Hauptstädten dieselbe ursprünglich-mythische Funktion zukam. Die Legende ist hinlänglich bekannt und gab bereits Anlaß zu mehreren Veröffentlichungen der beiden erhaltenen Fassun­ gen.220 Wir wollen zur Erinnerung nur einige, wenige Zeilen aus den Dindshenchas von Macha zitieren:

„Macha, die Tochter Sainriths, des Sohnes Inboiths, sollte bei der Ver­ sammlung gegen die beiden Pferde König Conchobars laufen, nachdem Crunnchu behauptet hatte, seine Frau liefe schneller als die königlichen Pferde. Der König drohte daraufhin Crunnchu mit dem Tod, wenn seine Frau nicht gegen seine Pferde anträte. Das tat Macha also, um ihren Mann zu erlösen, obwohl sie schwanger war. In der Tat kam sie vor den Pferden am Ende der Weide an, und bewies so, daß sie schneller war als jene. Un­

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mittelbar darauf gebar sie zugleich einen Jungen und ein Mädchen. Die Kinder schrien und die Ulaten wurden von großer Schwäche befallen, so daß kein Mann stärker war, als eine Frau im Kindbett. Auf diese Macha und die Zwillinge in ihrer Brust gehen die Namen Magh Macha und Emain Macha zurück.“221 In anderen Fassungen wirft Macha selbst den Fluch auf die Ulaten, doch ist der Unterschied geringfügig. In jedem Fall wäre es interessant - in einem anderen Rahmen als dem der Hohen Feste der Kelten - die Legenden näher zu untersuchen, in denen eine Frau, Königin, Kriegerin oder Fee eines gewaltsamen oder zumin­ dest dramatischen Todes stirbt und einer Stadt dadurch ihren Namen verleiht.222 Lugnasad zeichnete sich also aus durch:

-

Märkte und wirtschaftlichen Austausch Regelung politischer Fragen Vorübergehende oder endgültige Hochzeiten Anhörung der Dichter und Musiker Waffenstillstand Spiele und Rennen mit Pferden, Männern und Frauen Verpflichtende Teilnahme aller Klassen

Im Gegensatz zu Samain und Beliebte finden jedoch keine Opfer oder religiöse Zeremonien statt. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, weshalb das Chri­ stentum das Fest beibehielt:

„Die drei betrügerischen Diebstähle, welche Patrick untersagte, waren: Diebstahl eines gejochten Rindes, Diebstahl einer Milchkuh, Brand der Scheunen, Mord am Erstgeborenen“223

3. LUG UND DAS KÖNIGTUM Um nun die zentrale Rolle des Königs beim Lugnasadfest zu unterstreichen, muß aufgezeigt werden, daß Lug nicht nur der Herrscher der Götterwelt, sondern tatsächlich auch als rechtmäßiger König Irlands verstanden wurde. Wir könnten uns zu diesem Zweck kein erbauenderes Dokument wünschen als den Baile in Scail, welches von einem glücklichen Abenteuer erzählt, welches Conn, dem König Taras widerfährt, der das beste Beispiel des idealen, „guten“ Königs darstellt, unter dessen Herrschaft alles ohne Schwierigkeiten erblüht:

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„Conn befand sich einmal nach der Zerstörung durch die Könige in Tara. Er ging noch vor Sonnenaufgang in die königliche Festung Taras und wurde von seinen drei Druiden Maol, Bloc und Bluicne, sowie von seinen drei Filid Ethain, Corb und Cesam begleitet. Er hielt jeden Tag zu dieser Stunde in Begleitung dieser Männer Wache, damit die Wesen des Sid sich nicht unbemerkt Irlands bemächtigen konnten. An der Stelle, an der er gewöhnlich zu stehen pflegte, setzte er seinen Fuß auf einen Stein, der sol­ chen Lärm machte, daß er in ganz Tara und Brega zu vernehmen war. Conn fragte seine Druiden also, weshalb der Stein geschrien habe, wie er hieße und wer ihn nach Tara gebracht hätte. Der Druide erbat sich eine 53-tägige Bedenkzeit aus. Als die Zeit abge­ laufen war, befragte Conn den Druiden aufs Neue. Da antwortete der Drui­ de: „Der Stein heißt Fal. Er wurde von der Insel Fal hierhergebracht. Er war in Tara auf dem Boden Fals errichtet worden. Er wird auf immer in der Erde Tailtius bleiben, und auf diesem Boden soll die Zusammenkunft der Spiele abgehalten werden, solange die Herrschaft Taras besteht. Hat am letzten Tag der Versammlung kein Fürst Zeugnis abgelegt, so wird es ein mageres Jahr werden. Fal hat unter deinen Füßen geschrien,“ sprach der Druide, „und hat so eine Prophezeiung abgelegt. Die Anzahl der Schreie, die der Stein tat, entspricht der Anzahl der Könige, die deiner Rasse bis in die Ewigkeit entstammen werden. Ich aber werde sie dir nicht aufzählen“, endete der Druide. Da standen sie nun, und sahen sich plötzlich von einer so schwarzen Wolke umgeben, daß sie nicht mehr wußten, wohin sie ihre Schritte lenk­ ten. Plötzlich war da ein Reiter, der dreimal mit der Lanze zustieß, wobei der letzte Stoß viel schneller kam als der erste. Der Druide erklärte: „In Wahrheit ist dies eine wunde Stelle des Königs, ganz gleich, wer Conn nun in Tara geschlagen hat.“ Da hörte der Reiter auf mit seinen Speerhieben, kam auf sie zu, hieß Conn willkommen und nahm ihn mit zu sich. Sie kamen in eine wunder­ schöne Ebene, wo sie eine königliche Festung mit einem Dach aus weißer Bronze sahen, die dreißig Fuß lang war. Sie traten ein und gewahrten ein schönes Mädchen mit einem goldenen Diadem auf dem Kopf. Neben ihr stand ein Silberkessel mit goldenen Hen­ keln voller rotem Bier und daneben eine goldenen Vase. Das Mädchen hat­ te einen goldenen Kelch an den Lippen. Vor sich aber sahen sie den Helden selbst auf dem königlichen Thron sitzen. In ganz Tara gab es keinen Mann, der größer, liebenswerter, schöner und von angenehmerer Gestalt gewesen wäre.

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Er wandte sich an sie und sagte: „In Wirklichkeit bin ich kein Held, und ich will Dir einen Teil meines Geheimnisses und meines Ruhms enthüllen: Ich kam nach dem Tod und stamme aus der Rasse Adams. Ich heiße Lug, Sohn Ethlenns, Sohn des Tigemmas. Ich bin gekommen, Dir das Schicksal Deiner eigenen und aller Herrschaften zu verkünden, die es in Tara geben wird.“ Das Mädchen, das da vor ihnen stand, war die ewige Herrschaft Irlands. Sie war es, die Conn zwei Dinge überreichte: Eine Rinds- und eine Schweinsrippe. Die Rindsrippe maß achtzig Fuß und es lagen acht Fuß zwischen ihrer höchsten Stelle und dem Erdboden. Als das Mädchen mit dem Ausschenken begann, fragte sie: „Wer soll diesen Kelch bekommen?“ Der Held aber sprach, daß nun alle Herrscher von Conn an aufgezählt wer­ den würden. Da traten sie aus dem Schatten des Helden und sahen weder die königliche Festung noch das Haus. Conn war die goldene Vase und der Kelch gelassen worden. Hierher rühren der Traum des Helden, die Aben­ teuer und die Reise Conns...“22'1 Ganz offensichtlich suchte Conn im Palaste Lugs eine königliche Einweihung. Die junge Frau mit ihrem Diadem, dem Kessel und dem Kelch aber erinnert eher an die Prinzessin von Vex als an eine Muttergöttin. Der Palast liegt zwar in der Anderen Welt, doch tut dies seiner Wirklichkeit keinerlei Abbruch, denn Conn kommt mit konkreten Glücksbringern zurück. Auch die Verwandtschaft zwischen Lug und Adam soll uns nicht stören: Sie weist lediglich auf die Christianisierung einer völlig richtig verstandenen Legende hin, der die tiefe Bedeutung erhalten bleiben sollte. Lug ist hier der erste Mensch, der Gott-König, in dessen Name jeder Herrscher handelt und das rote Bier, das königliche Getränk der Unsterblichkeit, trinkt und verteilt. So wird auch die Mythologie des Buchs der Eroberungen klar:

„Eochaid Ollathir, der große Dagda, Sohn Eladas, herrschte achtzig Jahre als König über Irland. Er hatte drei Söhne: Oengus, Aed und Cermat Caem. Über allen Vieren errichteten die Iren den Berg Brug. Dian Cecht hatte vier Söhne: Cu, Cian, Cethem und Miach. Die Dichterin Etar war die Tochter Dian Cechts; der Dichter war Coirpre, der Sohn Etans; und die Medizinfrau war Airmed, die zweite Tochter Dian Cechts. Cridinbel, Bruigne und Casmael waren die drei Satiriker. Bö Chuille und Danann waren die drei Gatten (?). Die drei Söhne Cermat Milbels, dem Sohne Eochu Ollathirs, waren Mac Cuill, Mac Cecht und Mac Greine. Mac Cuills Gott war der Haselnuß­ strauch Ethur, und seine Frau war Banba. Mac Cechts Gott war der Pflug

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Thetur, und seine Frau hieß Fotla. Mac Greines Gott war die Sonne Cethur, und seine Frau war Erkiu.“225 Dem folgen ein Gedicht ohne größeres Interesse sowie ein Absatz, der den eben zitierten Text fast wörtlich wiederholt. Dann geht es folgendermaßen weiter:

„Ihre Könige, Fürsten, Druiden und Künstler hießen Nuada, Bress, Lug, Dagda, Delbaeth, Fiachna, Brian, luchar und Iucharba. Die drei Götter der Dana heißen Mac Cuill, Mac Cecht und Mac Greine, die drei letzten Köni­ ge der Tüatha De Dänann. Eochu Ollathir, d.h. der Dagda, Ogma, Elloth, Bress und Delbaeth waren die fünf Söhne Eladas, Sohn Delbaeths, oder aber sie waren die Söhne Eladas, Sohn Nets, Sohn Indius, Sohn Allduis, Sohn Tats, Sohn Tuams, Sohn Ennas, Sohn Baaths, Sohn Ibaths, Sohn Beothachs, Sohn des Hellsehers Iarbonel, Sohn Nemeds, Sohn Agnomains.“226 Die großen Götter des keltischen Pantheons (Lug, Dagda, Ogme und Nuada) werden hier ziemlich verwirrt mit den verschiedensten Figuren (oft Fomoiren) vermengt. Diese entstammen zum Teil den Mythen (Bres, Delbaeth, Fiachna), teilweise sind es auch Götter, denen die Herrschaft über die Erde zukommt (Mac Cuill, Mac Cecht, Mac Greine - eine Triade, die auf einen Beinamen des Sonnen­ gottes Lug zurückgeht) und deren Gattinnen zugleich Königinnen und Personifi­ zierungen Irlands sind. Hier einige Details zu den Tüatha De Dänann:

„Die Tüatha De Dänann waren die ersten, die den Kriegsschrei und die Klage erfanden: Das Kriegsgeschrei erfanden sie, um ihre Behausungen besser bewachen zu können, die Klage, um durch Klagelieder die Traurig­ keit zu überwinden. Math, der Sohn Umors, war der Druide der Tüatha De Dänann. Lug, der Sohn Ethlenns, berief die erste Versammlung ein, veran­ staltete die ersten Pferderennen und hielt das erste Streitgespräch ab, ut dicitur...“227

Und da die Wiederholung die Kunst des Lehrenden ist:

„Bei den Tüatha De Dänann aber waren die Götter die Künstler und die Nicht-Götter Bauern. Es gab drei Götter Danas, auf die der Name der Tüatha De Danann zurückgeht, der ihnen später gegeben wurde: Es waren dies die drei Söhne des Bres, dem Sohn Elathas, Triall, Brian und Cet; vielleicht wurden die Tüatha De Danann aber auch nach Brian, luchar und Iucharba, den drei Söhnen Tuirend Briccreos, den drei Druiden benannt.“228

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Erst wenn wir den vielseitig begabten Lug und den gebenden König Nuada etwas näher betrachten, beginnen wir, in all diesen komplizierten und verschach­ telten Stammbäumen klarer zu sehen. Wir haben es hier mit praktisch reiner, vor­ christlicher Mythologie zu tun, die bei der Untersuchung eines unter dem Vorsitz eines Königs abgehaltenen Festes berücksichtigt werden sollte. Das wichtigste Prinzip stellt hier die - wenn auch dreigeteilte, so doch einheitliche - Götterherrschaft über Irland dar, die zur Folge hat, daß die Götterkönige (Lug und seine Kollegen), ohne weiteres vorübergehend oder auch fortwährend Göttinnen der Nicht-Götter ehelichen können. Mit der Frau kommt hier die stattliche Mitgift Irlands, die sie verkörpert. So erklärt sich auch die Doppelherkunft Lugs von den Tüatha De Dänann einerseits und von den Fomoiren andererseits.229 Aus all dem wird die grundlegende, traditionelle und allen Mythen gemeinsa­ me Vorstellung ersichtlich, daß der Göttervater der Menschheit den Lebenden und den Toten gleichermaßen nahe steht. So tritt Nuada ihm im Cath Maighe Tuireadh auch ohne Schwierigkeiten den Thron ab: „Als Nuada die zahlreichen Begabungen des jungen Kriegers sah, über­ legte er, wie er sie [die Tüatha De Dänann] aus der Sklaverei befreien konnte, in der sie die Fomoiren gefangen hielten. Sie hielten diesbezüglich also Rat ab und fällten mit Zustimmung Nuadas den Beschluß, daß jener dem jun­ gen Krieger seinen Platz überlassen sollte. So setzte sich Samildanach (Lug) auf den Königsthron und der König zollte ihm dreizehn Tage lang stehend Ehrerbietung.“2,n Wir können also festhalten, daß der irische Herrscher - der, gleich ob es sich dabei nun um den Gott Lug selbst oder einen irdischen König handelt, Urahne seines Geschlechts ist, da er durch das jus primae noctis theoretisch zum Putativ­ vater all seiner Untertanen wird, die er an seinem Reichtum teilhaben läßt, die er verwaltet, richtet und gelegentlich auch als Krieger verteidigt - die gesamte mensch­ liche Gesellschaft in der mythischen Anordnung Lugnasads verkörpert. Zweifels­ ohne handelte es sich hierbei um eine schwere Aufgabe, die außerordentliche Fä­ higkeiten verlangte. Die keltischen Herrscher fühlten sich wahrscheinlich nie all­ zu sicher auf ihrem vergänglichen Thron, der nicht nur der Überwachung der Priesterschaft (der Druide ergriff vor dem König das Wort!) und den oft übermäßi­ gen Forderungen der Krieger ausgesetzt war. Sind wir bei all dem auch weit von den Muttergöttinnen entfernt, die M.L. Sjoestedt bei Tailtiu, Carman, Macha, Tlachtga und anderen legendären Frauen der Kelten (ja warum nicht auch Medb, die auch Kinder hatte) auszumachen glaubte, so wird doch klar, daß dem Ruhm Lugnasads der Machtmißbrauch und die Gefah­ ren Samains gegenüberstanden. So mancher König mußte diese Erfahrungen ma­ chen.

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Die Herrschaft über Irland blieb immer eine fordernde Gattin, die einen außer­ gewöhnlichen Mann beanspruchte. Das ist sicher auch der Grund dafür, warum die Annalen aller mythischen und geschichtlichen Zeiten das Heldentum und die Großzügigkeit idealer Herrscher anpreisen: Togaibh eadrad is Eire, fada ata ar ti aoincheile; ar gelödh aoibhneachta fear bhFäil, gan fhear n-oinleabtha d’fhaghäil „Lüftet den Schleier Irlands; lange hat sie nach einem Gatten gesucht; nachdem das Glück der Männer Fals zerstört wurde, fand sie keinen Mann mehr für ihr Lager.“231

Am Ende des 16. Jahrhunderts hätten sich die Untertanen eines Heinrich IV. oder eines Ludwig XIII. wohl schwer getan, dieses archaische Bild zu verstehen, welches in Irland Jahrhunderte lang überlebte. Hiermit sei das Kapitel mit folgender Feststellung geschlossen: Zwischen dem Priesterfest des ersten Mai und dem Kriegerfest des ersten November feierte Lugnasad den irdischen Stellvertreter Lugs in seiner Funktion als König. Diese zwiespältige Figur des irdischen Königs, der von den Priestern aus der Klasse der Krieger gewählt wurde, ohne jedoch selbst je Priester gewesen zu sein, benötigte in seiner schweren administrativen wie religiösen Aufgabe wohl ganz besonders den wohlwollenden und neutralen Beistand des rangmäßig wie spirituell überlege­ nen höchsten Gottes, der als Vermittler zwischen Himmel und Erde angesehen wurde. Das erklärt auch, weshalb das Fest des Königs nicht zugleich auch das der Priester sein konnte. Es finden zwar alle möglichen militärischen und andersgear­ teten Wettkämpfe, aber keine Opferzeremonien statt. Erst das Christentum ließ mittels der Folklore all das zu einem Erntedankfest erstarren, von dem man lange annahm, daß es immer so gewesen war.

4. DIE GEBURT DES AED SLAINE Wir wollen an dieser Stelle die Übersetzung eines Textes folgen lassen, dessen Inhalt ebenso eigenartig ist wie seine Form. Einer makellosen, doch oberflächli­ chen Christianisierung steht ein außerordentlich archaischer Inhalt gegenüber, dessen heidnischer Ursprung nicht durch die Wunder eines anderen Zeitalters über­ deckt werden kann, und in dem die größten irischen Heiligen keinerlei Einspruch gegen die Polygamie des Königs erheben. Es handelt sich dabei um die Geburt

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eines großen Königs während der Lugnasadfestlichkeiten, die von einem der be­ kanntesten Bischöfe Irlands ganz nach der Art eines Druiden geweissagt wird: Das Schicksal wird prophezeit und korrigiert. Die Geburt

des

Aed Slaine

„Tara der Könige selbst gehörte immer dem König, der die Oberherr­ schaft über Irland innehatte. In der Regel wurden hier alle Fragen des Rechts, der Abgaben und der Steuern der Iren geregelt. Außerdem kamen die Iren aus allen Gegenden hierher, um zu jedem Samain das Fest von Tara abzu­ halten. Denn die Iren feierten zwei große Feste: Zu jedem Samain das Fest von Tara - das dem heidnischen Osterfest entsprach - und den Jahrmarkt von Tailtiu zu jedem Lugnasad. Niemand hätte gewagt, gegen ein Gesetz oder eine Regel zu verstoßen, die bei einem dieser beiden Feste von den Männern beschlossen wurde. Zur Zeit König Diarmaids, des Sohnes von Fergus Cerrbeol, hielten die Gaelen einmal eine sehr große Versammlung in Tailtiu ab. Die Männer Irlands saßen, so wie es bis dahin üblich war, je nach ihrem Rang, ihren Rechten und Pflichten auf zwei Bänken. Etwas abseits stand da auch eine Bank für Frauen. Zu dieser Zeit waren Mairenn Mael (die Kahle) und Mugain aus Munster, die Tochter Conchrads, Sohn Duachs, die Königinnen Dermots, und Mugain war sehr eifersüchtig auf Mairenn. Also sagte sie einer Zaube­ rin, daß sie ihr ihren Anteil gäbe, wenn jene das Diadem vom Kopfe der Königin stähle. Das ganze war nämlich so: Mairenn hatte keine Haare mehr, doch versteckte sie diesen Makel unter dem königlichen Diadem. Die Zau­ berin begab sich also zu Mairenn und ersuchte sie um eine Gabe. Die Köni­ gin aber antwortete, daß sie nichts haben sollte. „Du aber sollst zumindest das haben“, rief die Zauberin, als sie ihr den goldenen Helm vom Haupte riß. „Oh Gott und Geschichtsdruide Ciaran!“ schrie da Mairenn und hielt sich beide Hände auf den Kopf. Und noch hatte sie niemand von der Truppe gesehen, da fielen ihr schon schöne, blonde Locken bis auf beide Schultern, so schnell war Ciarans Zauberkraft gewesen. Die versammelte Menge war über das Wunder erstaunt und froh, daß sich die Königin nicht blamiert hatte. „Ich bete zu Gott, daß Du von nun ab in Anwesenheit aller irischen Männer erröten mußt,“ sagte Mairenn da zu Mugain. Und so war es dann auch. Trotzdem behielt Diarmaid Mugain als Gefährtin, obwohl sie unfrucht­ bar war und fürchtete, ganz vom König verstoßen zu werden. Auch all die anderen Frauen des Königs bereiteten ihr große Sorgen. Da waren Eithne, die Tochter Brenann Dails..., die Mutter des großen Colman, und Breo, die Tochter Colmann mac Neman von Dun Suane, Mutter des kleinen Colmann.

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Also überfiel große Trauer Mugain, da sie weder Sohn noch Tochter gebar und der König sie verlassen wollte. Da kamen Finnian von Mag Bile und Aedh, der Sohn Bris nach Brega. Die Königin ging zu ihnen und flehte die beiden Priester um Hilfe an. Die Priester weihten Wasser und gaben es ihr zu trinken. Sie war schwanger, doch brachte sie ein Lamm zur Welt. „Oh, ich Unglückliche,“ rief Mugain da aus. „Jetzt, wo ich einmal einen Vierbeiner zur Welt gebracht habe, bin ich sicher niemandem mehr recht.“ „Nein, so wird es nicht sein,“ sprach Finnian da. „Dein Busen soll so unschuldig sein, wie das Lamm, welches für die Menschheit geopfert wurde.“ Und abermals weihten die Priester Wasser, und abermals ward sie schwanger. Diesmal gebar sie einen silbernen Lachs. „Oh, ich Unglückli­ che,“ rief sie da aus. „Jetzt steht es noch übler um mich, Pfaffe, als vor Deinem ersten Eingriff. Alle Iren werden von diesen beiden Geburten hö­ ren, und das wird mir sicher nichts Gutes bescheren.“ „Nein, so wird es nicht sein,“ sprach der Priester. „Ich werde den Silberlachs selbst verwen­ den. Mit Hilfe seines Kopfes [der Tugend des Lachses] sollst Du einen Sohn und auch seine Brüder gebären.“ Und Mugain erwiderte: „Ich will zufrie­ den sein, wenn alles so eintrifft, wie Du es sagst. „Alles wird genauso sein,“ antwortete der Pfarrer. Und abermals weihten Finnian und Bischof Aedh die Königin und alle ihre Nachkommen. Er [Finnian?] schüttete Wasser in seinen Kelch und gab davon der Königin, die davon trank und sich damit wusch. Daraufhin emp­ fing und gebar die Königin einen Sohn, der Aedh Släine genannt wurde. Die Geburt Aedhs ging gut vonstatten. Seine Familie - die Männer von Breg - ist von ausgezeichneter Großzügigkeit, Würde, Ehre, Waghalsig­ keit, Aufrichtigkeit, Heldenhaftigkeit, Tugend, Befehlskraft, Gastfreund­ schaft, Frömmigkeit, Schönheit, Intelligenz, Berühmtheit, Liebe, Herzlich­ keit, Eleganz, Weisheit, Güte und Ernsthaftigkeit; sie besitzen viel Adel, Reichtum, Stolz und Verständnis. Die Rasse Aedhs lag auf der Ebene von Breg wie ein goldener Stab auf einem Tisch aus Bronze. Denn aller Adel und jedes reiche Haus wird mit dem Aedh Släines verglichen. Damit das nie vergessen werde, sang der Dichter folgendes Lied...“2’2

In dieser unübersehbar christianisierten Legende wird das Grundthema der Geburt Conchobars wieder ersichtlich. Ganz offensichtlich wurden hier Verände­ rungen vorgenommen, doch trotzdem wird der Ursprung dieses eigenartigen Oster­ lamms dadurch nicht sehr viel christlicher, wie auch der Silberlachs dem Heiden­ tum entspringt und die „Pfarrer“ das Christentum sehr eigenwillig, ja heterodox interpretieren. Das von Ciaran vollbrachte Wunder hat ebenso moralischen wie anekdotischen Charakter.

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Uns interessiert hier zunächst jedoch der Akzent, der auf zwei Feste gelegt wird: Zu Samain bietet der König all seinen Untertanen Gastfreundschaft, wäh­ rend Lugnasad durch die Eifersucht und die Abenteuer Mugains mit der Geburt eines großen Königs in Verbindung gebracht wird - auch wenn die arme Königin Mairenn im Ende nur mit schönen Haaren ausgeht. Zumindest symbolisch gesehen wird ein großer irischer Herrscher beim Fest von Tailtiu gezeugt, oder besser er ist die Folge der Umstände, die sich ergeben, als Mugain ihrer Rivalin (von einer Zauberin!) das königliche Diadem vom Kopf reißen läßt. Schließlich sind auch die Vorzüge bemerkenswert, mit denen Aedh und seine Nachkommen ausgestattet sind, um zu verstehen, welch hohe Anforde­ rungen die Kelten an ihre politischen Führer stellten. Trotz, oder vielleicht auch wegen diesem Hang zur Perfektion fiel Tara schließ­ lich in Schutt und Asche. Hätte die königliche Legende da nicht die Fehler ihrer Geschichte eliminieren sollen?

5. DIE FOLKLORE UM LUGNASAD Noch einmal wollen wir auf die Doktorarbeit Véronique Guiberts von 1978, aber auch auf das wichtige Werk Mäire Mac Neills The Festival of Lughnasa zu­ rückgreifen, welches 1962 erschien, um die mythologischen Elemente Lugnasads mit den volkstümlichen vergleichen zu können. Hier jedoch kommen wir weit weg vom Fest des Königs als guten Verwalter und Gönner allgemeinen Wohlstands, welches zugunsten der Fruchtbarkeit der Erde und des Viehs völlig zurückgesteckt wurde. Lugnasad hat insofern seine königliche und zentrale Karriere beendet, doch den Aspekt des Wohlstands und des ländlichen Festes erhalten, was für eine lange zugleich bäuerliche aber auch vorchristliche Tradition, die nur noch durch die Folklore überliefert wird, normal ist. Auch heute noch kennzeichnet hier der letzte Sonntag des Juli bzw. der erste des August das Ende des Sommers und den Anfang des Herbstes. Dieses Fest litt weniger als die anderen unter der britischen Übernahme des gregorianischen Ka­ lenders im Jahre 1752 und blieb wie das ursprüngliche Lugnasad ein „bewegli­ ches“ Fest. Der Name des Festes wurde anglisiert in Lamnas Day, doch trägt es im Englischen auch den Beinamen Garland Sunday („Sonntag der Girlanden“), wel­ cher auf die britische Folklore zurückgeht. Alles in allem wurden im Englischen wie im Gaelischen über hundert verschiedene Bezeichnungen gezählt (Maire Mac Neill, S. 657-660; V. Guibert, II, S. 439-441). Im Gegensatz zu Belteine, welches nur von vereinzelten Dorfgruppen gefeiert wird, werden die Festlichkeiten zu Lugnasad immer von mehreren Gemeinden

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zusammen abgehalten, wobei prähistorische Anlagen oder Anhöhen bevorzugt wer­ den. Nun heißt es nicht mehr, die ausstehenden Ernten zu sichern, sondern von ihrem Überschuß zu profitieren, wenn von der Kartoffel oder Getreideernte nun einmal die Pacht bezahlt ist. Lugnasad wird also im Gegensatz zu Belteine von allgemeiner Feststimmung, Spielen, Tanz und Festessen gekennzeichnet, die gemeinsam genossen werden. Zahlreiche Jahr- und Viehmärkte, aber auch Wettkämpfe, Tanzabende und Hoch­ zeiten finden an diesem Tag statt, was durchaus als Überreste des vorchristlichen Festes gewertet werden darf (V. Guibert, II, S. 442-468). Die Versammlungen im Freien und auf den Anhöhen sind häufig zu Pilgerzügen unter dem Schutz eines Heiligen, insbesondere Patricks geworden. Daß all das bis heute überlebt hat, grenzt fast an ein Wunder. Es erklärt sich sicher daraus, daß - wie oben erwähnt - bei den vorchristlichen Feierlichkeiten keine Opfer abgehalten wurden. Doch erkennt die Spezialistin der Folklore als erste die Schwächen des volkstümlichen Erbes, wel­ ches ohne jegliche bewußte oder gelehrte traditionelle Struktur dem Volk überlas­ sen ist: „[Die Versammlungen und Jahrmärkte] finden natürlich nicht an zufäl­ ligen Tagen, sondern meist in Verbindung und als Erweiterung des Sonntags­ festes statt. So haben sie gewissermaßen nachträglich am antiken Ritual der traditionellen Lugnasadsversammlungen teil, welche neben dem reli­ giösen und gesellschaftlichen auch den wirtschaftlichen bzw. politischen Aspekt berücksichtigte. Mit der Zeit und mit dem Zerfall der kulturellen Strukturen des alten Irland, zersetzte sich auch diese antike Triade, von der heute nur noch Überreste vorhanden sind.“ (II, S. 468)

6. EINE BRITANNISCHE VERLÄNGERUNG DES FESTES VOM ERSTEN AUGUST Wir haben es hier zwar eher mit Spuren als mit detaillierten Dokumenten zu tun, doch genügen sie, um davon Zeugnis abzulegen, daß es auch auf dem Fest­ land eine Entsprechung zum irischen Lugnasad gab. Welche Bedeutung kam je­ doch diesem Gegenstück zu, und war sie römischen oder keltischen Ursprungs? Joseph Loth wies 1898 in seinen Annales de Bretagne 13, S. 260 erstmalig auf diese Quellen hin, die ausschließlich bretonischen Ursprungs und deshalb auch unvollständig sind:

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„Ich verdanke Herrn Tempier, dem gelehrten Archivar der Côtes-duNord, den Hinweis auf den Ausdruck goelaoust mit den Varianten gaoulaoust und goulaoust, den er in dreien seiner altfranzösischen Archive entdeckte: 1° Akt vom 15. August 1370 (Fragment): „Die Hälfte dieser Summe ist zum Fest von Goulaoust, die andere zum Fest des Hl. Michael fällig.“ 2° Akt vom 26. April 1409: „Une maille de chéverente a checun gaoulaoust.“ Dieser Akt wurde vom Gerichtshof von St. Renan bei Brest verfaßt. 3° Akt vom 6. Februar: „Eine Miete von sechs Soulx und sechs Deniers ist jährlich zu goelaoust zu entrichten. Dieser Akt entstammt dem Kirchhof des Bischofs von Treguier.“ In diesem Zusammenhang wollen wir auch John Rhys Lectures on the origin and growth of religion as illustrated by Celtic Heathendom, 3. Aufl., 1898, Oxford Williams and Norgate, zitieren. Wir haben es hier mit dem Bericht eines Walisers zu zeitgenössischen waliser Bräuchen zu tun, bei denen es sich natürlich am Ende des 19. Jahrhunderts höchstens um vage Erinnerungen antiker Vorgänger handeln kann, S. 421-422:

„Heute ist Gwyl Awst ein Tag für Jahrmärkte in bestimmten Gegenden des nördlichen Wales, an den man sich im mittleren und südlichen Cardiganshire als einen Tag erinnert, an dem die Hirten bis vor nicht allzu langer Zeit eine Art Picknick auf den Hügeln abhielten. Dazu lieh eine Bäuerin einen großen Kessel, während andere die Zutaten zu einer ausgie­ bigen Suppe oder Brühe beisteuerten. Andere Quellen wieder berichten, daß jeder eigenhändig sein Hölzchen ins Feuer zu werfen hatte. Nur in Brecknockshire scheint der erste August zum ersten Augustfeiertag gewor­ den zu sein, noch bevor der Katholizismus Wales durchkämmt hatte. Eine große Anzahl von Menschen stiegen dann von Carmarthenshire und auch von Glamorgan aus frühmorgens auf die Beacons: Ihr Ziel war die Gegend um den kleinen Lake Van, aus dessen Wassern im Laufe des Tages für einen kurzen Augenblick die Lady of the Lake ersteigen sollte.“ Man erinnert sich also besonders an die Zusammenkunft mehrerer Bauern­ familien zu einer Art Jahrmarkt oder Picknick, welches gemeinsam zubereitet und genossen wird, und welches offenbar auf Bräuche zurückgeht, die älter sind als die Bekehrung Wales’. Mögen diese beiden britannischen Hinweise auch noch so knapp sein, so las­ sen sie doch auf ein pankeltisches Fest des ersten August schließen. In dieser Hin­ sicht ist auch ein Eintrag in Frédéric Godefroys Dictionnaire de l’ancienne langue française, Bd. 3, Paris 1938, S. 174c zu einem altfranzösischen Eigenschaftswort

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interessant: engoule aoust („der im August beginnt“) bezieht sich hier auf entrant aoust, das Fest des Hl. Petrus in Ketten. Godefroy verweist hier auf das Wort goule, zu dessen Bedeutung kein Zweifel besteht, doch sind alle Stützdokumente roma­ nisch und außerbretonisch. Und spricht Michel Bréal von einem „ziemlich außer­ gewöhnlichen Absatz des Dictionnaire Du Cange“, in dem das Wort gula durch die Grunddefinition initium mensis Augusti, also „Monatsanfang des August“233 erklärt wird, so ist es klar, daß wir es hier mit einer romanischen oder französi­ schen Definition zu tun haben, die latinisiert und schließlich wieder ins Französi­ sche zuriickübertragen wurde. Da es sich hierbei um den Namen des Festes des Hl.-Petrus-in-Ketten handelt, können wir annehmen, daß der Ausdruck im gesam­ ten französischen Sprachraum bekannt war. Hier der Absatz des Ducange, auf den sich Michel Bréal bezieht: Gula Augusti. Initium mensis Augusti. Die Gule des August. In Statuto Edw. III, ann. 31, cap. 14. Averagium oestivale fieri debet inter Hokedai et Gulam Augusti. Utitur Willelmus Armoricus in Philippo Augusto ann. 1219 - Charta ann. 1204. Adfestum S. Petri in Gula Augusti proximi. En goule Aoust. - Der Festtag des S. Pere en Gouyle Aoust.

Treffen wir in den Aufzeichnungen des 12. und 13. Jahrhunderts aus der roma­ nischen Linguistik also auf das lateinische Gula Augusti (eher also eine Überset­ zung aus dem Französischen, denn ein Originalausdruck) oder sein altfranzösisches Gegenstück goule aoust, so sind die walisischen und bretonischen Formen nicht der Ausgangspunkt, sondern zeugen vielmehr von einem semantischen und mor­ phologischen Zusammenstoß des Romanischen und des Neukeltischen. Es sei je­ doch zugegeben, daß weder das spärlich belegte, walisische gwyl awst, noch das bretonische gouel eost über mittelalterliche oder gar neuzeitliche Formen verfü­ gen. So wissen wir auch nicht, ob sich die in den Akten der Côtes-du-Nord aufge­ zeichneten goelaoust, goulaoust und gaoulaoust auf das bretonische gouel oder das französische goule beziehen. Da scheint der Fall des goelaoust klarer zu sein als die beiden anderen. Zitiert Joseph Loth die Form Gulaust, die er im Verzeichnis des Hl. Petrus von Gloucester aus dem 12. Jahrhundert fand234, so war er keineswegs sicher, ob es sich dabei um eine rein walisische Form handelte. Zu dieser Zeit waren die beiden Sprachen der gelehrten Anglo-Normannen das Lateinische und das Französische. Weder das Bretonische gouel, noch das Walisische gwyl, noch das Irische féil scheinen vorchristliche bzw. profane Feste zu bezeichnen, sondern haben eindeu­ tig christlichen Charakter. So wird das Wort gouel im Bretonischen ausschließlich in Zusammenhang mit dem Namen eines Heiligen gebraucht. Das eigentliche In­ teresse der von Ducange, Godefroy und Bréal gesammelten Dokumente liegt also vor allem darin, daß aus ihnen ersichtlich wird, daß das keltische Fest des ersten

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August zwar vom Christentum übernommen und überdeckt wurde, daß dieser Pro­ zeß jedoch über den britannischen Sprachraum hinausgeht. So kann die Spur ebenso innerhalb der Grenzen des alten Gallien verfolgt werden, wo das Augustfest auch eiligst christianisiert wurde.Wir können davon ausgehen, daß das ursprüngliche Fest nun das Gegenstück des irischen Lugnasad darstellt, da es sich in allen kelti­ schen Gefilden nach wie vor um ein wichtiges Fest handelt, welches überall mit dem Fest des Hl. Petrus in Ketten in Verbindung gebracht wird. Wir möchten jedoch abermals unterstreichen, daß das festlandkeltische Fest unmöglich densel­ ben Namen tragen konnte wie das irische. Ein letzter Punkt bleibt zu klären, und zwar die Bedeutung „Beginn“, die dem romanischen Wort zugeschrieben wurde, welches sich aus dem lateinischen gula („Mund, Maul“) bildete.235 Doch finden wir die Erklärung im Artikel zu go(u)le in Godefroys Dictionnaire: Das Substantiv gole (gölte, goule, gute) wird im figu­ rativen Sinne als „Beginn“ gebraucht. Eigenartig ist nur, daß sich alle fünf Bei­ spiele zur Erläuterung dieser Bedeutung auf den ersten August beziehen.236 Auf diese oder ähnliche Beispiele gehen wohl auch die gelehrten Latinisierungen Gula Augusti und Gulaustus zurück, die Ducange in seinem Wörterbuch erwähnt, doch auch und vor allem die Übertragungen in das mittelalterliche Niederlatein zwi­ schen der Antike und der Renaissance, als das Latein nicht mehr vom Klerus gesprochen oder geschrieben wurde.237 Die Schlußfolgerung ist also einfach: Einigen, wenigen, britannischen Zeug­ nissen stehen bestimmte Einträge in französischen Lexika gegenüber, die alleine schon das Überleben des keltischen Augustfestes im Volksbrauch bestätigen. Aber auch hier verschleiert, wie so oft, der Zusammenstoß des Bretonischen mit dem Französischen die Karten. Nur soviel sei gesagt: Bei den Feiern, von denen uns John Rhys im 19. Jahrhundert in Wales berichtet, ist außer dem Datum nichts mehr vom altirischen Lugnasad übrig.

7. DAS CONCILIVM GALLIARUM - DIE „VERSAMMLUNG GALLIENS“ Wir haben es hier einmal mit einem gallischen Ereignis zu tun, welches durch das schleierhafte Gemisch widersprüchlicher Interpretationen, hartnäckiger Skep­ sis und ungenauer Informationen mehr verdunkelt als erklärt wird. Es ist klar, daß alle Begebenheiten, die uns aus der gallischen Welt überliefert sind, nur ein Schat­ ten der reichlichen Informationen des alten Irlands ausmachen, weshalb sie uns eher als Bestätigungen, denn als eigentlicher Ausgangspunkt dienen. Doch hat auch Gallien interessante Details beizutragen.

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Was ist nun das Concilium Galliarum dieser „Rat der Gallier“? Handelt es sich dabei um eine lateinische Übersetzung einer gallischen Bezeichnung einer alten, keltischen Einrichtung, oder beschreibt das Lateinische hier lediglich eine von den Römern eingeführte Versammlung. Erwähnt wird das Concilium nicht nur in Inschriften, die in Lyon entdeckt wurden, sondern auch in einigen antiken Texten. Doch sind uns heute nur noch die Spuren des Ablaufs einer römischen Provinz­ versammlung erhalten.238 Der vollständige Titel lautete Concilium trium Galliarum, also der „Rat der drei Gallien“, gemeint sind die drei gallischen Provinzen Aquitanien, Lyonien und Belgien, deren Verwaltungen nicht die geringsten kelti­ schen Züge mehr aufwiesen.23’ Die Schlußfolgerung des Verfassers der Real-Enzyklopädie ist jedoch alles an­ dere als ermutigend: „Zwar hat man für die Tres Galliae die Anknüpfung des römischen Concilium an eine gallische Versammlung am 1. August zur Feier ei­ nes Festes für den Keltengott Lug wahrscheinlich zu machen versucht, doch fehlt es noch an einer genügenden Begründung dieser Hypothese." Diese Haltung neh­ men fast alle Fachleute des klassischen Altertums ein. Man ging sogar soweit, zu behaupten, daß der ursprüngliche Name Lyons Lug(u)dunum keinerlei Göttemamen enthielte, sondern sich allein aus der adjektivischen Vorsilbe „hell, strah­ lend“ und dem Substantiv „Berg“ bilde. Demnach hieße der Stadtname lediglich mons lucidus „strahlender Berg“ und sei auf den Wunsch des Kaisers Claudius so gewählt worden.240 Natürlich besteht kein Zweifel daran, daß jener an der Toponymie seiner Geburtsstadt Lyon und noch mehr an dem romanisierten Fest des Concilium Galliarum interessiert war, doch genügt dieser Umstand noch lan­ ge nicht, um die Existenz eines vorrömischen, d.h. römischen Festes gänzlich zu leugnen. Aber es ist gar nicht so schwer zu ermitteln, ob eine zur römischen Epoche verbürgte Feierlichkeit auf einem „gallischen Fest“ basierte. Dazu müssen folgen­ de Fragen gestellt werden: 1. Stimmt das Datum mit dem eines Festes überein, von dem uns die irischen Kelten (noch ein gutes Jahrtausend später) berichten? 2. Finden religiöse oder politische Zeremonien (Opfer und Versamm­ lungen) oder eher Wettkämpfe und andere Unterhaltungen statt? Für uns besteht doch eine recht markante Ähnlichkeit zwischen dem irischen Lugnasad des ersten August und einem gallischen Fest, welches am selben Tag in einer Stadt abgehalten wird, die den Namen Lug(us) trägt. Die Antwort auf die erste Frage ist also positiv. Wir müssen vielmehr sogar davon ausgehen, daß es sich dabei um ein wichtiges gallisches Fest handelte, wenn sich die Römer die Mühe machten, es zur Zeit des Augustus zu romanisieren und zu einem wichtigen Reichskult zu machen.

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Da dem Concilium Galliarum in erster Linie eine religiöse Bedeutung zukam, wurden sowohl religiöse als auch politische Zeremonien abgehalten, die jedoch logischerweise der römischen Staatsreligion geweiht waren. Wir kennen sogar den Namen des Oberpriesters des Tempels von Rom unter Augustus im Jahre 742 rö­ mischer, d.h. im Jahre 12 unserer heutigen Zeitrechnung. Und dieser ist in der Tat, zumindest was seinen Namen betrifft, gallischen Ursprungs: C(aius) lulius Vercondaridubnus.24' Er war mit der Verbreitung des Reichskultes beauftragt, und interessiert uns insofern kaum, da diese Aufgabe in engster Verbindung mit der römischen Politik stand und keltischen Regierungsformen fremd war. Trotz aller Argumente, die Fustel de Coulanges und Camille Jullian242 dem beflissenen Keltologen d’Arbois de Jubainville entgegenhalten, der sich sicherlich getäuscht hatte, als er von einem „alten, gallischen Nationalkult“ ausging, haben wir allen Anlaß zur Annahme, daß die Römer vielmehr ein sehr altes, keltisches Fest ge­ schickt an die römische Staatsreligion anpaßten. Dabei tut es sehr wenig zur Sa­ che, ob die Römer dabei zugleich - wie in anderen Städten auch - versuchten, einen offiziellen Kult um ihren Kaiser Augustus einzuführen, und daß der Kultort zu diesen Zwecken vielleicht verlegt wurde. Die Eröffnung eines Heiligtums am Zusammenfluß der Saône und der Rhône war sicherlich ein Symbol der Eintracht zwischen gallischem Adel, gallischer Elite und dem römischen Reich. Die Über­ nahme des gallischen Festes und des höchsten Gottes des keltischen Pantheons durch den Staatskult kennzeichnete einen ersten, entscheidenden Schritt zur Romanisierung. Es kann also keineswegs ein Zufall sein, daß die Stadt Lyon die religiöse Hauptstadt des christianisierten Galliens war und bis heute blieb. Ein weiteres, indirektes Argument gegen die Argumente Fustel de Coulanges und Camille Jullians ist die mäßige Begeisterung, die die Gallier, wie alle anderen Kelten auch, bezüglich öffentlicher und politischer Versammlungen und unendli­ cher Diskussionen an den Tag legten. Deshalb steht auch anzunehmen, daß es eigentlich um bedeutende Feste ging, wenn die Kelten von „Versammlungen“ spra­ chen. Erwähnt Cäsar in B. G. VI, 13 die Versammlung der Druiden bei den Kamuten, so geht er nicht näher auf das Datum ein, sondern begnügt sich mit einem lapidarischen „zu einem bestimmten Zeitpunkt des Jahres“. Nach dem heutigen Stand der Forschungen können wir jedoch davon ausgehen, daß diese Zusammen­ künfte entweder auf den ersten Mai oder den ersten November, eher aber auf den ersten Mai fielen. Sie standen demnach wohl kaum in direkter Konkurrenz zum Lyoner Fest des Concilium Galliarum, welches günstigerweise (vielleicht nicht einmal zufälligerweise) auf einen anderen Zeitpunkt fiel und so problemlos politi­ schen Zwecken der römischen Besatzung dienen konnte. Dasselbe gilt auch für alle anderen gallischen Versammlungen, die Cäsar in seinem Gallischen Krieg nie mit genauen Kalenderdaten festlegt. Es sollte in dieser Hinsicht immer im Auge

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behalten werden, daß die Kelten sich die gesamte Antike hindurch ihrer religiösen und linguistischen Eigenheit bewußt waren, was uns davor warnen sollte, gewisse Ähnlichkeiten überzubewerten.

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Anmerkungen 171 Hg, 1927, S. 450b 172 Ed. Kuno Meyer, Hibemica Minora, S. S. 49. 175 Siehe etymologischer Anhang 174 Siehe etymologischer Anhang 175 Keating stellt hier wohl die glückliche Ausnahme dar, die die Regel bestätigt. Doch handelt es sich dabei um einen Autor der Neuzeit und seine literarischen Ambitionen (Stil und Anlage) lassen es nicht zu, ihn als undiskutierbare Quelle heranzuziehen, wenn seine Angaben nicht durch andere Texte gestützt werden. Das hat nichts mit Unterstellung, sondern eher mit wissenschaftlicher Vorsicht zu tun. Eine Zusammenfassung D. A. Binchy’s Artikel The Fair ofTaitiu and the Feast ofTam, in Eriu 18, S. 113-128 von Edouard Bachellery Etudes celtiques 9, 1961, S. 627-629 veranlaßt uns jedoch dazu, hier unsere Position eindeutig festzulegen: Natürlich muß die eigentliche Geschichte vom Mythos unterschieden und getrennt werden. Doch wenn die geschichtlichen Belege der irischen Feste auch selten sein mögen, so ist dies noch lange kein Grund zur Annahme, daß die mythischen Verweise gänzlich ohne Wert seien. Die mittelalterlichen Texte wurden ja nicht aus reiner Willkür verfaßt. 176 Revue celtique 38, S. 337. 177 Ed. Whitley Stokes, Revue Celtique 16, S. 50-51. Zur „schwarzen Versammlung von Donchad“ siehe D.A. Binchy, loc. cil., S. 120 ff. 178 Hg. Edward Gwynn, The Metrical Dindshenchas, IV, S. 146-162. Wir übernehmen hier den Text in der vom Autor vorgeschlagenen Form, ohne auf die verschiedenen Fassungen der Handschriften einzugehen, die der Interpretation keine zusätzlichen Informationen liefern. 179 Keating, History of Ireland, Hg. David Cornyn, I, S. 220. 180 Vgl. Gwynn, op. cit., IV, Notes., S. 413. O’Curry, Manners and Customs, II, S. 148. J. Loth, Le dieu Lug, la terre-mère et les Lugoves, in Revue archéologique, 1914-1922, S. 217 und zuletzt, aus rein histo­ rischer Perspektive D.A. Binchy, S. 114 ff. 181 Wir verweisen in dieser Hinsicht auf die methodologischen Vorkehrungen unserer Einleitung. Es ist in der Tat unwahrscheinlich, daß sich das Fest wirklich so abspielte wie das Ideal, das Ua Lothchain hier schildert. Desinit in oiscel könnte da auch ein schleierhaftes Ende in Schlägereien und Whiskey bedeuten. 182 Wie auch in einer Reihe noch späterer Handschriften. Vgl. Edward Gwynn,op. cit., IV, Vorwort, S. IVVII. 187 Siehe Hogan, Onomasticon Goidelicum, S. 619b und Hg. Gwynn, op. cit., IV, S. 413: „The site of the Oenach of Teltown is fixed by a mound near the road, about half-way from Navan to Kells: Donagh Patrick Church, about half à mile distant is supposed to occupy the site which was given to Patrick by Conall, brother of King Loegaire mac Neill: the gift is recorded immediately after Patrick’s visit to Teltown in L. Arm., fol. 10r°2.” 184 Loc. cit., S. 220-221. 185 Siehe Anhang IV.2. 186 Loc. cit. , S. 221. 187 Tellus, dichterisches Synonym von terra („Erde“) vereinigt sich in ihrer vergöttlichten Personifizierung mit Jupiter. Die Etymologie ist schwierig (wir gehen eher von einem italo-keltischen Wort aus) (siehe EmoutMeillet, Dictionnaire étymologique de la langue latine, 1959, S. 679 ab). 188 Siehe Vocabulaire vieux-celtique, in Ogam, 9, 1957, S. 102. 189 J. Loth, sah jedoch voraus, daß die Problematik wesentlich weiter führen würde als die Mutter-ErdeSymbolik. „Die Verwirrung zwischen Irland und der Erde geht wohl kaum weiter zurück als das Alt­ irische, frühestens also auf das VII. Jahrhundert, wahrscheinlich aber später. Sie ist leicht erklärt: Eriu, Gen. Erenn stehtjur Irland, während iriu, Gen. irenn die Erde bezeichnet. Es stellt sich die Frage, ob der von Mutter Erde aufgezogene Lug nicht wie Dis und Pluton seine eigene Tochter ehelichte. “ (Loc. cit., S.222, dem er in Anmerkung 3 anfügt:) „Es ist bemerkenswert, daß Lug, wie auch bestimmte irische

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Helden (zB. Conchobar) nach seiner Mutter benannt wird. Der Name des Vaters ist ungewiß und ändert sich ständig. “ Heute würden wir uns darauf beschränken festzustellen, daß wir mit Hilfe linguistischer Datierung eines Textes höchstens die Epoche ermitteln können, in der die handschriftliche Übertragung angefertigt wurde. Sie kann uns keinerlei Aufschlüsse bezüglich der ersten Verschriftlichung, noch in Bezug auf die wesentlich weiter zurückliegende Schöpfung der Erzählung geben. Doch selbst wenn jene so jung wäre wie ihr linguistisches Ebenbild Tailtiu, so müßten wir doch zugestehen, daß die Tendenzen des vor­ christlichen Irland auch noch in der Mentalität des VIII. Jahrhundert verankert waren. Es wäre in der Tat ein Leichtes zu beweisen, daß wir sie auch heute noch vereinzelt antreffen können. 190 Vgl. dazu auch „La France, notre Mère“, „Mutter Deutschland“ oder aber auch das - eigentlich aber „die“ - „Heilige Rußland“. Die Kelten, sowohl die der Inseln wie auch die auf dem Festland, sahen darin wohl eher den Aspekt der Jugend und Schönheit, als den der Mutterschaft, zumindest ist das den Erzählun­ gen zu entnehmen. 1.1 Zum Verhältnis zwischen Frau und Herrschaft verweisen wir auf unser Werk La souverainité guerrière de l'Irlande, Celticum25, Rennes, 1983. Ein ebenso genaues wie neues Dokument stellt in dieser Hinsicht Albert Maniets Beidh cruadhn ‘ar in Ogam 10, 1958, S. 163 ff. dar; siehe auch J. Weisweiler, Heimat und Herrschaft, Halle, 1943. 1.2 Siehe M.L. Sjoestedt, Dieux et héros des Celtes, Kapitel III. 1.3 Vgl. den Lebor Gabala Erenn, Hg. R.A.S. Macalister, IV, Abschnitt VI, S. 6-90. Die Beziehung zwi­ schen den Fir Bolg und Tailtiu wird noch klarer, wenn wir wissen, daß erstere dia Sathaim for callan August, also „am Samstag der Kalenden des August in Irland landeten. (§ 279, S. 8). IM A. Holder, Altceltischer Sprachschattz, II, S. 98; vgl. Ogam, 11, S. 41, 12, S, 229-230 und Die Druiden S. 184 ff, wo sich auch Hinweise zu anderen Texten finden. 1,5 Siehe Whitley Stokes, in Revue celtique 15, S. 311, n° 18. 196 Siehe Celticum, I, 1960, S. 173-174. 1,7 Siehe Ogam 13, S. 477 ff. Es ist wohl noch zu früh, diese Gedenkspiele als solche zu analysieren. Allgemeine Betrachtungen zu diesem Thema finden sich in A. Piganiol, Recherches sur les jeux romains (Publications de la Faculté des Lettres de l'Université de Strasbourg, Band 13), 1923, passim. I% Siehe oben. 1,9 Tailtiu kann also nur die Mutter Lugs sein, der als universeller König um das Wohlergehen seiner Unter­ tanen besorgt ist. Die Gattin Lugs heißt Eiblenn, eine Variante Eithnes bzw. Etains, was dem allegorischen Beinamen Irlands als Königin und Herrscherin entspricht. Siehe Textes mythologiques irlandais, I, S. 241 281. 200 Njcandrus von Colophon, bei Tertullianus, De anima 57 (Zwicker, Fontes Religionibus Celticae, I, S. 9: Si et de noctumis imaginibus opponitur saepe non frusta mortus visos - nam et Nasamonas propria oracula apud parentum sepulcra mansitando captare... et Celtas apud virorum fortium busta eadem de causa ab noctare, ut Nicandre affirmât - non magis mortuos vere patimur in somnis quam vivos (vgl. unsere Interpre­ tation in Ogam 10, 1958, S. 151, Anmerkung 35). Siehe die Bemerkung Gwynns, op. cil., III, S. 470, Anmerkung: „Petrie (...] remarks that the site of an oenach was usually a famous burying-ground; but it is more likely that the place ofburial was determined by the existence of the gathering " zu dieser Anmer­ kung siehe auch J. Loth, op. cit., S. 219, Anmerkung 4: (Gwynn) täuscht sich ganz offensichtlich, wenner davon ausgeht, daß der Friedhof eines oénach um einen (oder mehrere) Tumulus anläßlich der Versamm­ lung selbst gegründet wurde. Die einzige Frage, die sich stellt, ist das Alter der Hügelgräber. Dies aber ist eine rein archäologische Frage, die sich nicht nur in Irland, sondern überall dort stellt, wo man Nebengräber um ein oder mehrere Hauptgäber antrifft. 201 Vgl. Marc Bloch Les rois thaumaturges, 1961, passim, der diesen Umstand in den französischen und englischen Monarchien untersucht, ohne dabei auf die sicherlich antiken Ursprünge einzugehen, die wohl auf den Volksglauben zurückgehen. 202 Siehe unsere Studie De la lance dangereuse, de la femme infidèle et du chien infernal : la fatalité et la mort dans une légende religieuse de l’ancienne Irlande, in Ogam, 10, S. 386 ff. ( 1. Teil: Der Speer und

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der Kessel). Die Lanze, Symbol des kriegerischen Aspekts der Königswürde kommt in der Lugnasadfeier, dem Fest der Freude und des Friedens nicht zum Zug. 203 Das entspricht den drei Plagen Britanniens. Vgl. Les Mabinogion, Hg. J. Loth, I, 1913 (Mabinogi de Llud et Llevelys), S. 233-241. Georges Dumézil untersuchte das Motiv in Mitra-Varuna, S. 188. 204 An dieser Stelle wollen wir ein Nebenfragment des Buchs der Eroberungen zitieren, welches in das Kapitel zu den Tüatha Dé Dänann sicherlich deshalb eingeschaltet ist, weil man Tailtiu zu letzteren zählte, da sie aufgrund ihrer zahlreichen Ehen mit Medb vergleichbar war. Wir beziehen uns dazu auf eine Fassung des Buches der Eroberungen aus dem 12. Jahrhundert, welches demnach zwar nach Ua Lothchain verfaßt wurde, doch ganz offensichtlich auf dieselben Traditionen zurückgreift. Neben der spanischen Königswürde Magmors sind auch der Titel der Königin (banrigan), der Tailtiu ausdrücklich zukommt, und die Dauer Lugnasads (2 Wochen vor und 2 Wochen nach dem ersten August) interessant: § 311 „ Tailtiu, die Tochter Mag Mors, des Königs von Spanien, und Königin der Fir Bolg, gelangte nach der Niederlage die jene in der Schlacht von Mag Tured erlitten hatten, nach Coll Cuan, wo sie den Wald rodete, so daß noch vor dem Ablauf eines Jahres eine blühende Ebene an seinem ursprünglichen Platz lag. Es ist dies dieselbe Tailtiu, die die Gattin Eochus, des Sohnes Eres und Königs von Irland, war, bis jener von den Tüatha Dé Dänann getötet wurde. Dieser Sohn Eres hatte sie in Spanien bei ihrem Vater, Mag Mor, dem Langsamen, König von Spanien genommen. Tailtiu aber ließ sich in Tailtiu nieder und schlief mit Eochu dem Rauhen, dem Sohn Dui des Blinden von den Tüatha Dé Dänann. Cian, der Sohn Diancechts, der auch Seal Balb genannt wurde, gab ihm seinen Sohn Lug zur Erziehung, dessen Mutter Eithne, die Tochter Balors mit dem starken Hieb war. Dann starb Tailtiu, worauf der Ort ihres Ablebens ihren Namen erhielt. Ihr Grab liegt im Nordosten der Ebene von Tailtiu, und Lug veranstaltete dortjedes Jahrfünfzehn Tage vor bis fünfzehn Tage nach Lugnasad Gedenkspiele. Diese Spiele werden Versamm­ lung Lugs, Sohn der Eithlenn genannt. (In den § 330 und § 363 finden wir praktisch denselben Text vor.) 203 Whitley Stokes, in Revue Celtique 15, S. 311, n° 18. 206 Ed. E. Gwynn, III, S. 2-24. 207 Hg. Gwynn, III, Notes, S. 469 mit vorhergehender Bibliographie. Vgl. Hennessy, Proceedings of the Royal Irish Academy, IX, S. 439; d’ Arbois de Jubainville, Les assemblées publiques de l'Irlande (Rechts­ auslegung, die uns hier nicht betrifft); J. Rhys, Celtic Heathendom, 410 ff. und The Coligny Calendar, 1910; Kuno Meyer und A. Nutt, The Voyage of Bran II, S. 184; P.W. Joyce, A Social History ofAncien! Ireland, II, S. 438. 208 Manners and Customs III, S. 528 ff. nach dem Book of Ballymote fol. 193 ff. und dem Book of Leinster, fol. 215 (vgl. Manners and Customs II, S. 41 -47). Doch wurde diese posthume Ausgabe nach den handgeschriebenen Aufzeichnungen erstellt, und die Fehler häufen sich umso mehr als das Book ofLeinster eine sehr schwierige Lektüre darstellt (vgl. Gwynn’s Anmerkung „to distinguish what we could read with certainty from what was merely conjectural.“) 2M Hg. Gwynn, III, Notes, S. 471. 2K Loc. cil., S. 219-220. M.L. Sjoestedt, op. cit., S. 34-51 übernimmt die Interpretation der „Muttergöttinnen“, „obwohl die Identifizierung des Paares „Muttergöttin / Kriegsgott" nicht ohne Vorbehalte geschehen darf, da sie auf einer matriarchalen Mentalität basiert, die der Struktur der historisch bekannten kelti­ schen Gesellschaften widerspricht. " (Vgl. unten, Anm. 61 ). Vendryes, La religion des Celtes, S. 313 hält an althergebrachten und vorgefertigten Ideen fest, ohne auf das eigentliche Thema zu sprechen zu kommen. Jan de Vries, Die keltische Religion, S. 227, gibt sich mit einem Schema zufrieden, das sich mit dem deckt, welches wir 1961 in den Les druides S. 112 ff. vorschlugen. 211 Alle nützlichen Hinweise finden sich hierzu in Gwynn III, Notes, S. 470-471. Siehe auch Hogan Onomasticon Goidelicum, S. 156b-158b. 212 Siehe dazu das traurige Ende Loegaires, der seinen Eid bricht und durch eine Verschwörung aller Ele­ mente hingerichtet wird (Revue celtique 6, S. 479). 213 Siehe Kapitel IV. 7. 214 Diese Hypothese stammt von Gwynn III, Notes, S. 480 und basiert auf den Lehren des Buches von Leinster.

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2,5 Bezüglich der Versdindshenchas, durch die sich Keating vielleicht inspirieren ließ, sei hier angefügt, daß letzterer in einer Stelle seiner Geschichte Irlands, die wir in Celticum I, S. 173 hinsichtlich des omphalos zitierten, ganz offensichtlich darum bemüht war, die Tradition zu wahren. 216 Zu Cruachan siehe Gwynn 1,48,26; III, 244,32; 270,20; 298,9; 348, 1 ; 356,22; 370,60; 396,6 und 9; 432, 23; 446, 80; 464, 65; IV, 26, 12; 44, 23; 46, 37; 198, 33; 236, 16 und 19; 294, 5; 326, 7. Zu Colman siehe I, 24, 142 (Siehe auch Revue celtique 15, 284 § 40); IV, 36, 10; 40, 26; 54, 181; 151, 124; 258,4; 342,21. Siehe auch die toponymischen Verweise von Oenach Crauchain und Oenach Colmain bei Kogan op. cit. S. 558b. 217 Ellen Ettlinger, The association ofburials with popular assemblies, fairs and races in Ancient Ireland, in Etudes celtiques, S. 30-61. Die Überreste einer vielleicht lebendig begrabenen 20 bis 30 Jahre alten Frau wurden 1944 im Grab von The Curragh (Co Kildare), einer der Stätten entdeckt, an denen die Carmanversammlung abgehalten wurde. Die Autorin schreibt dazu:.... At (its) bottom a skeleton lay on its back, head to the West. Its position was most unusual... The remains are those of a female...aged 20-30 years...A conclusion can only be sugested tentatively:... Other than instantaneous rigor mortis the only explanation which would account for the pecularities of the posture is that the burial was that of a live person" (Verweis auf S.P. O’Riordain, Proceedings of the Royal Irish Academy, LIII, 1950, S. 249. 218 The Metrical Dindshenchas, Hg. Gwynn, IV, S. 308-310. 219/bid., S. 50, Vers 41-44. 220 Hg. Gwynn, S. 308-310. 221 Hg. Whitley Stokes, The Rennes Dindshenchas, in Revue celtique 16, S. 44-46. Siehe die vollständige Dokumentation in La Souveraineté guerrière de l'Irlande in Celticum 25, Rennes, 1963. 222 Dazu gäbe es wesentlich mehr Beispiele als die hier angeführten Macha, Tailtiu, Bua, Nas oder Carman. Es sei hier nebenbei erwähnt, daß den Spielen ein recht ambivalenter Charakter zukommt und sie auch ein Teil des Festprogramms von Samain waren. Doch stehen die Pferderennen etymologisch gesehen in engem Zusammenhang mit dem Monat Juli: ...mi aighji .i. isin tshamrad .i. ml iul „Der Monat der Rennen im Sommer, d.h. der Juli“ (Glossar des O’ Davoren, Hg. W. Stokes, Archiv für Celtische Lexicographie II, S. 417,1249; vgl. Kuno Meyer, Contributions to Irish Lexicography S. 32; J. Vendryes, Lexique étymologique de l'irlandais ancien, A-22 und Emst Windisch, Wörterbuch, Irische Texte I, S. 350b). Auch im Fled Bricrend (Hg. Henderson § 51, S. 64) und im Tochmarc Emire (Hg. Windisch, op. cit., S. 310, Zeile 14) nach demLebor na hUidre (Hg. Best-Bergin, S. 309, Zeile 10212) ist hiervon die Rede. Am Datum Lugnasads kann also kein Zweifel bestehen. 223 Edward Gwynn, The Metrical Dindshenchas, IV, S. 146-148. 224 Whitley Stokes, Irische Texte, III, S. 185-202. 225 R.A.S. Macalister, op. cit. IV, S. 150-152, § 333-334. 226 Ibid., IV, § 335. 227 Ibid., IV, § 349. 228 Ibid., IV, § 350. 229 Doch sind dies nicht die einzigen, eigenartigen Verbindungen, die Lug bzw. der Dagda eingehen. Daraus erklärt sich vielleicht auch der Tulach na Coibche („Hügel des Kaufs“) einer Verlobten, von denen das Volkstum Tailtius noch im 19. Jahrhundert berichtet. (Siehe J. Loth,loc. cit., S. 218.; Keating in Celticum I, S. 173-174. Zu den jährlichen Hochzeiten siehe P.W. Joyce, A short history of Ireland, S. 90). 230 Textes mythologiques irlandais, S. 52. 231 Erste Strophe eines Gedichts zu Ehren Conn O’Donells von Tadhg Dail O’Huiginn (gest. 1591), Hg. Eleonor Knott, Irish Texts Society, XXII, 1920, S. 1, Vers 1-4. 232 Lebor na hUidre, Blätter 52a-53a, Hg. Best-Bergin, Zeilen 4205-4273, S. 133-135, siehe auch Standish O’Grady, Silva Gadelica I, S.82.-84. Den ersten Absatz führten wir bereits zur Datierung Samains an. 233 Etymologies, in Mémoires de la Société de Linguistique 11, S. 360. 234 J. Loth, Les Romans arthuriens, in Revue celtique 13, 1892, S. 486. 235 Bei Emout-Meillet, op. cit., 1959, S. 284a-285b finden sich hierzu ebenso wenig Hinweise wie bei Meyer-Lübke, Romanisches Etymologisches Wörterbuch, Heidelberg, 1935, S. 33ab oder bei E.

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Gamillschegg, Etymologisches Wörterbuch der Französischen Sprache, Heidelberg, 1928, S. 478b und 497a. 236 Op. eil., Bd. 4,1938, S. 305b, s.v. 2. Gole 237 Ducange, Glossarium, Hg. Frankfurt, 1681, II, 670. 238 Siehe Strabo IV, III, Tacitus, Annalen III, 44. 239 Vgl. CIL XIII/1, 3162; III, 14 ff., 1671 ff. Das Concilium wird manchmal auch conventus arensis („Versammlung an der Saône“) genannt, wurde aber immer am Zusammenfluß der Saône und der Rhône (ad confluentes Araris et Rhodani) abgehalten und betraf immer alle drei gallischen Provinzen. Siehe auch C/LXIII/1, 1679, 1682,1686,1690, 1691, 1692 und den Artikel zu Conciliumin der Real-Enzyklopädie col. 806. 240 Siehe Pierre Flobert Lugudunum, une étymologie gauloise de l'empereur Claude, in Revue d'Etudes Latines, Paris, 1969, S. 266-280. 241 Siehe Holder, Altceltischer Sprachschatz, III, S. 204. 242 Fustel de Coulanges, Histoires des institutions politiques de l'Ancienne France, 4. Auflage, überarbei­ tet von Camille Jullian, Paris, Hachette, 1914, S. 191-194. Es handelt sich hierbei jedoch um ein trügeri­ sches und ungenügendes Argument, wenn es da heißt, daß „der Tempel des Augustus nicht in Lugdunum, ja nicht einmal aufdieser Seite der Saône, geschweige denn auf dem gleichnamigen Hügel lag. Er stand auf dem anderen Ufer weit entfernt von jedem Hügel und außerhalb des Bereichs der Stadt Lugdunum aufder Spitze zwischen der Mündung der Saône und die Rhône. “ Die Entstehung eines solchen Kultes ex nihilo ist unserer Ansicht nach jedoch unmöglich.

A

Oben.Rekonstruktion eines keltischen Hauses. (Quelle: S. James: Das Zeitalter der Kelten; ECON, 1996)

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Oben: Silberplatten mit Einlegearbeiten aus Emaille. Auffallend ist wieder die Darstellung eines dreifachen Triskell in einer Doppelspirale in Kombination mit Tierkopf und Pflanzensproß. Morrie 's Law, Fife Edinburgh.

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Oben: Cemunnos und Sheila-na-gig. Zeitgenössische Acrylmalerei, Voenix, 1996.

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Oben: Zwei Mädchen halten einen Hirsch am Geweih. Ein Detail des Kultwagens von Strettweg.

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V. KAPITEL

JAHR UND ZEIT

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DIE PFORTEN DES JAHRES UND DER ZEIT Wir sagten zu Beginn dieses Werkes, daß wir nicht näher auf den Kalender selbst eingehen wollten, doch wollen wir den Lesern einige allgemeine Betrach­ tungen zu diesem höchstinteressanten Thema nicht vorenthalten. Wir überlassen es den Exegeten, sich all der hier gelieferten Informationen zu bedienen, ob sie ihnen nun zustimmen oder aber auch nicht. Wir haben zwar bereits hinsichtlich der Feste selbst genug Neues entdeckt, doch wollen wir dem noch einige Erklärun­ gen hinzufügen. An dieser Stelle sollte unterstrichen werden, daß uns die keltische Tradition, die uns nur über Umwege überliefert ist, keinerlei Anhaltspunkte zum Verhältnis zwischen mythischen Erzählungen, Kalender und längeren Zeitspan­ nen wie dem vedischen kali-yuga liefert, die der kurzzeitigen und langzeitigen Existenz ihren Rhythmus verleihen. Bestimmte Stellen, wie die Weissagung der Morrigan, am Ende der Zweiten Schlacht von Moytura oder dem letzten Schlagabtausch im Gespräch der zwei Weisen243 liefern uns kaum mehr als den Beweis, daß es da irgend etwas gab und es durchaus wert wäre, unser Augenmerk darauf zu lenken. Weiters gehen wir davon aus, daß der Mythos ganz unabhängig von der Entwicklung der Tradition besteht, die ihn vermittelt. Er ist ewig und nicht der Ungewißheit des Schicksals unterwor­ fen. Wird er vergessen, so ist das nicht seine Schuld, sondern der Fehler derer, die ihn vergessen haben. Leider überdeckte die Bekehrung Irlands zum Christentum, aber auch zur christ­ lichen und biblischen Chronologie der Sintflut, der Genesis und des Ursprungs der Menschheit, praktisch die gesamte Urtradition. Doch gibt es noch winzige, manch­ mal „mit bloßem Auge“ erkenntliche Überreste in der Folklore oder der Welt der Epen und Mythen. Der Leser muß sich also mit diesen wenigen Elementen zufrie­ den geben, die durch das „Ersatzkeltische“ überleben konnten. In dieser Hinsicht ist es vielleicht angebracht, darauf hinzuweisen, daß das Altirische noch über zwei Worte für die „Zeit“ verfügte. Das eine bezeichnete die gemessene Zeit und das Wetter - und ist auch heute noch in allen keltischen Sprachen gleich: aimser (wa­ lisisch amser, bretonisch amzer) -, das andere erstarrte zu einem Bindewort der Zeit und überlebte so als (in)tan „wenn“, bezeichnete ursprünglich aber die „ge­ spannte“, ungemessene Zeit.244 Auch auf den zweideutigen Namen der Bituriges, den wir bereits in der Einleitung erwähnten, wollen wir hier noch einmal einge­ hen. Die „Könige der Welt“ bzw. „ewigen Könige“ leben heute noch in den Namen der Stadt Bourges und der Region des Berry weiter, und saßen schon damals im geographischen wie auch symbolischen Zentrum Galliens. Bitu- ist der Vertreter der Zeit als Herr der Welt. Erinnern wir an die drei gallischen Synonyme Dumnorix,

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Biturix und Alborix, die alle drei „König der Welt“ bedeuten, mit der nicht unwe­ sentlichen Nuance, daß es sich hierbei nicht immer um dieselbe Sphäre handelt: Dumnorix ist der „hohe König“, Biturix der „ewige König“ und Albiorix der „wei­ ße König“. Die Interpretation dieser Informationen geht über den Rahmen dieses Werkes hinaus, doch genügt der Hinweis, um uns eine Vorstellung zu übermitteln, wie reich der traditionelle und symbolische Schatz der Sakralsprache des antiken Keltisch war.245 Es ist ganz typisch für das augenblickliche Unverständnis in puncto Kelten, daß bis heute noch niemand daraufkam, daß es sich bei den Worten AM und AMB im Colignykalender um Bezeichnungen der „Zeit“ handelte. Als ob es schwerer wäre, die Ähnlichkeit zum Irischen am zu erkennen, als auf eine galli­ sche Vorsilbe ambi zu schließen, welches „um herum, von beiden Seiten her“ be­ deutet und in einem Kalender eigentlich nichts verloren hat. Die tiefe Bedeutung des Festes muß über den eigentlichen Kalender und den rechnerischen Rahmen der begrenzten und meßbaren menschlichen Zeit hinaus ermittelt werden. (In dieser Hinsicht würden wir eher von metaphysischer als, wie René Guénon, von mathematischer Unendlichkeit sprechen). Kein Feiertag unter­ liegt dem Rahmen der allgemeinen Zeitrechnung von Tag und Nacht. Diese „besonderen“ Tage stehen zwar über dem normalen Lauf der Zeit, den sie in regelmäßigen Abständen durchbrechen, doch besteht zwischen ihnen ein Zeitkontinuum, welches ermöglicht, daß etwas bei einem Fest fortgesetzt oder voll­ endet werden kann, was bei einem früheren einmal begonnen wurde. Es besteht also dasselbe Verhältnis wie das zwischen Zeit und Nicht-Zeit, sprich Ewigkeit. Die Feste sind demnach Bruch und Übergang zugleich, auch wenn nun nicht allen derselbe Wert zukommt. Die Feste der Sonnenwenden scheinen die der Tag-undNacht-Gleichen bei weitem an Bedeutung zu übertreffen.

- Die beiden Sonnwendfeste sind Samain und Belteine. Ersteres kenn­ zeichnet den Übergang der warmen zur kalten Jahreszeit und der langen zu den kurzen Tagen, während letzteres das Gegenteil ankündigt. Bei beiden finden religiöse Feierlichkeiten und Opfer, aber auch rituelle Festmähler und Zeremonien statt, die bei einem echten Fest zur Tagesordnung gehö­ ren. Samain beschließt die Kriegssaison, während Belteine sie eröffnet. Doch wo das erste Fest die gesamte Gesellschaft umfaßt, betrifft das zweite als Fest des Lichts und des Feuers vor allem die Druiden. - Die beiden Equinoxfeste sind lmbolc und Lugnasad. Bei Imbolc han­ delt es sich um eine symbolische und rituelle Reinigung, Lugnasad feiert die Ernte, das Gleichgewicht und den Wohlstand der Gesellschaft unter dem Vorsitz des Königs. Lug, der höchste Gott des keltischen Pantheons wird als König der Götter verstanden, der sowohl die göttliche als auch die menschliche Gesellschaft durch seine Führung im Gleichgewicht hält.

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Imbolc wurde völlig durch das Fest der Hl. Brigitte ersetzt, während sich Lugnasad als ländliches Familienfest bis heute halten konnte. Jedes Fest leitet eine klar umgrenzte Zeitspanne ein und schließt zugleich die vorhergehende. Nun liegt jedoch zwischen dem Schließen einer Tür und dem Öff­ nen einer anderen ein Raum, in dem die Zeit ihre sonstige Geltung verliert. Neh­ men wir das eindeutigste Beispiel, und zwar das Samains. Theoretisch und prak­ tisch gesehen umgrenzt Samain die Zeit vom 1. November bis zum 31. Januar, doch liegen die ein oder zwei Wochen des eigentlichen Festes außerhalb dieser Zeitspanne und gehören demnach nicht zur menschlichen Zeit, sondern zur Ewig­ keit des Sid. In diesen Tagen, die zeitlich nicht meßbar sind, da die Zeit ausgesetzt ist, ist es möglich, daß die Götter auf Erden wandeln und die Menschen in den Sid gelangen. Den Einbruch der Anderen Welt in die irdische überläßt die Mythologie also keineswegs dem Zufall. Er richtet sich nach einer festen und unumstößlichen Logik. Die Zeit wird bei allen drei anderen Pforten des Jahreslaufs ausgesetzt. Bedienten sich die keltischen Mythen auch ganz offensichtlich nicht all dieser vier Pforten, so ist dies höchstwahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß das polare Jahr der Urtradition nur in zwei große Jahreszeiten unterteilt war, die einem Tag und einer Nacht entsprachen. Die Zahl drei kennzeichnet ihrerseits den göttlichen Aspekt der „Dreifaltigkeit“, den Lug bei den drei Festen in seinen drei Aspekten dunkel (Samain), hell (Belteine) und königlich (Lugnasad) verkörpert. Die Welt­ ordnung ist demnach zugleich unitär und trinitär und deckt sich in dieser Hinsicht mit Indra der vedischen Hymnen.246 Dies erklärt nun auch den Spezialfall Samains, welches nicht nur zwei Jahres­ zeiten, sondern zugleich zwei Jahre voneinander trennt, und somit als Festphase weder dem alten, noch dem neuen Jahr angehört. Es handelt sich hier nicht um eine zukunftsorientierte Form der Ewigkeit, sondern um eine unendliche und un­ bestimmbare Gegenwart.247 Mag das Jahr auch viergeteilt sein, so kennt die Zeit, die sich an der Ewigkeit mißt, nur drei Pforten, da es nur drei Zeitdimensionen gibt, die sich mit den drei Aspekten der höchsten Gottheit decken:

- Bei der Vo*gangenheit handelt es sich eigentlich um eine Rückkehr zur Anderen Welt des Sid. Und fällt es Menschen, die vom Sid gerufen werden (immer ein Mann, ein König, Prinz oder ranghöher Krieger, nie ein Mädchen oder eine Frau), auch relativ leicht, dorthin zu gelangen, so ist die Rückkehr umso schwieriger. Um durch die Hintertür der Vergangen­ heit in die Zeit zurückzugelangen, muß die Pforte selbst verändert werden: Die Zeit muß wieder flüssig und unendlich dehnbar werden, um ihren ge­ wohnten Lauf wieder aufnehmen zu können...

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- Die Gegenwart ist ein Augenblick von solcher Kürze, daß er für die Lebenden nur durch das Aussetzen der Zeit faßbar wird. Die definitive oder vorübergehende Überlagerung oder besser Konfusion der zeitlichen Gegen­ wart und der Ewigkeit kann, wie wir es etwas später aufzeigen werden, nur durch einen völligen Stillstand jeglicher Bewegung erzielt werden. Das ist wohl auch der Grund dafür, weshalb die Frauen der Anderen Welt meist Musik spielen, wenn sie einen Menschen holen kommen. Denn, wie auch immer die Musik geartet sein mag, und sei es auch nur eine undeutliche Schwingung, so ist sie doch ein sicheres Mittel zum Eintritt in die Zeit, da sie erst durch die bestimmte Dauer der Schwingung eines Tons entstehen kann. - Die Zukunft ist, im Gegensatz zur Vergangenheit eine Rückkehr zur Gegenwart. Schon allein die Vorstellung der Zukunft benötigt einen gegen­ wärtigen Bezugspunkt. Es sei an dieser Stelle auch erwähnt, daß die kelti­ schen Sprachen zwar über ein Futur verfügen, doch kein Wort besitzen, welches wie das lateinische fio ein Werden zum Ausdruck brächte. Die Zukunft ist also, ebenso wie die Vergangenheit, unvereinbar mit der Ewig­ keit, die nur die Gegenwart anerkennt. Daher gibt es im Heiligen, welches durch die Sakralsprache zum Ausdruck kommt, keine grammatischen Zeit­ formen der Vergangenheit und der Zukunft, da es keine eigentliche Ent­ wicklung durchläuft. Heilige Sprachen wie das Sanskrit oder das antike Keltisch können nur durch menschliches Vergessen oder Nachlässigkeit verschwinden. Sie verlöschen nicht natürlich. In aller Linguistik und Gei­ steswissenschaft ist nur die weltliche Sprache zu Entwicklung und Abster­ ben verdammt.248 Wie der Mythos, der keinerlei Veränderungen unterliegt - und folglich für die heutige Menschheit der Vergangenheit angehört - so ist auch die Sakralsprache seit Anbeginn der Zeit unverrückbar. Der Um­ stand, daß der Mythos somit der Vergangenheit anzugehören scheint, schließt jedoch keineswegs aus, daß es ihn wirklich gibt249, auch wenn die Sakral­ sprache der Urtradition verloren ging und zunächst durch eine andere Sakral­ sprache, später aber durch eine weltliche Sprache ersetzt wurde. Die im Aussterben begriffenen keltischen Sprachen, die bis heute überlebten, je­ doch weder sakral noch liturgisch, ja nicht einmal „literarisch“ sind, ver­ deutlichen - besser noch als weit verbreitete Sprachen wie das Französische oder Englische - diesen Prozeß der Verschwindens und des unausbleibli­ chen Verlöschens: Das Altirische verfügt noch über respektable Reste; im geschriebenen Walisisch sind uns Spuren mythischer Themen erhalten (Mabinogion)·, im Bretonischen gibt es nur noch Legenden, die zwar als solche wertvoll sind, jedoch rein zufällig bei verschiedenen Forschungen

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aufgelesen wurden, und die heute zu unserem Leidwesen meist in literari­ scher Form wiedergegeben werden...

Diese Dreiteilung der Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erklärt auch, weshalb die Zahl drei im keltischen Weltbild genügte, um das All, die Ein­ heit und die Unendlichkeit zugleich auszudrücken. Da die Bewegung der Zeit linear verläuft, besteht keine Trennlinie zwischen einem vergangenen, einem ge­ genwärtigen und einem zukünftigen Augenblick. Allein für den menschlichen Verstand hat alles einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Deshalb dauert das Samainsfest theoretisch drei Tage und drei Nächte, eine Zeitspanne, die höchst­ wahrscheinlich eine „totale“ mythologische Form darstellt, die zugleich die drei Teile des Tages und die drei Teile der Nacht verkörpert.250 Die Beziehung des Sid zum Wasser erklärt sich daraus, daß die Zeit ebenso fließt, wie das Wasser. Letzteres ist also nicht nur Symbol, sondern ermöglicht zugleich die Passage zwischen beiden Welten. Der Sid wird auf dem „Seeweg“, oder zumindest über das Wasser erreicht. Auch die Rückkehr in die weltliche Zeit vollzieht sich über das Wasser. Doch haben die, die zurückkommen, bevor der Zyklus abgeschlossen ist, nicht das Recht, ihren Fuß auf festes Land zu setzen. Sonst fällt unmittelbar das gesamte Gewicht der verstrichenen Zeit auf sie. Sie ertrinken nicht, sondern altern im Nu und zerfallen zu Staub, da sie das menschli­ che Alter überschritten haben. Die Zeit kommt aber auch im Kreislauf der Sonne und des Mondes zum Aus­ druck, welche in allen Kulturen den Berechnungen zur Erstellung eines Kalenders dien(t)en. Auch beim sonnocingos „Sonnenlauf* des Colignykalenders handelt es sich um ein solches „Mittel der Zeit“, wenn dies auch nichts mit einer „Jahres­ pforte“ zu tun haben mag. Will der Dagda in der ersten Version des Tochmarc Etaine, der „Brautwerbung um Etain“ den Lauf der Zeit aussetzen, um die Gunst der Boand, der „ Gattin“ seines „Bruders“ Elcmar, länger für sich in Anspruch nehmen zu können, so hält er neun Erdenmonate lang die Sonne an, und das Kind, welches er in seiner Vereinigung mit Boand zeugte, kommt am Tage seiner Zeu­ gung zur Welt.251 Aus dem Lauf der Sonne erklärt sich auch, weshalb ein Tag und eine Nacht, d.h. 24 Stunden, in der keltischen Symbolik ein ganzes Jahr versinn­ bildlichen können. Diese jedoch ist ganz eindeutig polaren Ursprungs, da hier der Tag den sechs Sommermonaten und die Nacht den sechs Monaten des Winters entspricht. Wie die vedische Tradition, so unterstreicht auch die keltische ständig ihre nordische Herkunft. Die Zeit bewegt sich also in einem ebenso geschlossenen wie unendlichen Kreis. So können wir auch das „rudernde Rad“ (roth ramhach) des mythischen Druiden Mog Ruith verstehen: Es hat zwar eine Radnabe und Speichen, doch keine Umfassung, die es begrenzen könnte. Es steht nicht nur für

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den Kosmos, sondern auch für alle zerstörerischen Kräfte, die ihm innewohnen: Wer es sieht, erblindet, wer es hört, wird taub, und der, über den es rollt, der stirbt. Die gemessene und vollendete Zeit ist die eines abgeschlossenen Kreislaufs. Verläßt man den Kreis und somit die Zeit, dringt man in die Ewigkeit ein. Nur wenigen Lebenden war dies beschert, doch ist der Verkehr mit der Anderen Welt nie unbegründet und immer gefährlich. Erinnern wir z.B. an den Helden Cuchulainn, den die Botinnen der Göttin Fand, der Gattin des Gottes Manannans in die Andere Welt lockten und der dieses Abenteuer teuer bezahlen muß: Es fehlt ihm die geistige Reife, einer solchen Prüfung standzuhalten, und er wird verrückt. Erst der Eingriff der Druiden Ulsters vermag es, ihn diesem Zustand zu entrei­ ßen.252 Die Wesen der Anderen Welt haben ihrerseits jedoch keinerlei Schwierig­ keiten, in die unsere zu gelangen. Auf diesem Umstand basieren alle mythischen und epischen Erzählungen. Was besagt nun jedoch genau der Begriff „Zyklus“? Wir können die keltischen Zyklen der meßbaren Zeit, die den indischen manvantaras entsprechen, nur annähernd bestimmen. Wir nehmen an, daß die fünf „Eroberungen“ Irlands durch Partholon, Nemed, die Fir Bolg, die Tüatha De Dänann und die Goideln den vier yugas eines manvantaras, d.h. den vier Epochen eines Kreislaufs entsprechen, wie ihn die Inder kennen.251 Vielleicht sollten ein­ mal, wie Celestin Laini-Kerjean es vorschlägt, die irischen Mythen hinsichtlich des Gebrauchs der Zahlen (nicht der Numerologie - das Irische ist keine Sakral­ sprache) neu gelesen werden, um die Kalenderberechnung interpretieren zu kön­ nen. Unsere eigenen Forschungen sind leider nicht weit genug fortgeschritten, als daß wir uns diese schwierige und komplizierte Aufgabe anmaßten.25'’ Das Wasser spielt hinsichtlich der Passage zur Anderen Welt nicht nur auf­ grund seiner fließenden und beweglichen Natur, sondern auch als Spiegel und magisches Glas eine wichtige Rolle. Insofern entspricht die Wasserpassage der keltischen Überlieferung dem Schritt durch den Spiegel der traditionellen Magie. Um die folgenden Erklärungen klarer werden zu lassen, möchten wir die Schutz­ gottheiten der keltischen Feste anführen: Über allen steht der höchste aller Götter, Lug: - Samain ist das Fest des vielseitig begabten, göttlichen und zugleich menschlichen Herrn und Beschützers der gesamten Gesellschaft. Dieses Fest, welches Jahresanfang und -ende zugleich kennzeichnet, ist keines­ wegs traurig und düster, sondern stellt für die Iren eine Rekapitulation des Sommers dar. - Belteine ist das Fest des Feuers und des Lichtes unter dem Vorstand der Druiden. Bel- ist hier das einzige Zeugnis des Götternamens Bel, Belenos, dem Namen Apolls, der auf dem antiken Kontinent reichlich be­ legt ist. Bel- kann also als Synonym Lugs, des Herrn über Feuer und Licht, verstanden werden.

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- Lugnasad ist das Fest Lugs in seiner Funktion als oberster Herrscher und insofern Gönner des Wohlstands und reicher Ernten.

Hinsichtlich der Zeit könnten wir fast sagen, daß die drei Hauptfeste auf ein einziges, und zwar Samain, das einzige Fest, an dem mit der Anderen Welt ver­ kehrt wird, hinauslaufen. Interessanterweise gibt es keinen Schutzpatron für das Imbolcsfest am 1. Februar. Der Grund liegt ganz einfach darin, daß sich dieses Fest auf ein Reinigungsritual beschränkt. Es kann ja auch nur drei Pforten der Zeit geben, so wie das vedische Jahr auch nur drei Jahreszeiten zählt und den Kosmos in drei Welten unterteilt: Den Himmel (swar), die Erde (bhü) und das Wasser (rva). Der Jahreslauf vollzieht sich, wie eigentlich alle anderen Evolutionszyklen auch, nach dem göttlichen Prinzip, das die Inder die „drei Schritte Vishnus“ nen­ nen.255 Der Dagda, der Gott der Ewigkeit, und sein Sohn Oengus, der Gott der Zeit, handeln auf dieselbe Weise. Der dritte Schritt vollendet die Schöpfung. Ein vierter würde sie zerstören. Samain verdichtet insbesondere den Kampf des Alten mit dem Neuen, was dem lateinischen Widerstreit von Janus und Terminus entspricht. Es ist sicher kein Zufall, daß das lateinische Janus auf der Ebene des Indoeuropäischen auf dieselbe Wurzel zurückgeht wie das gaelische dth („Furt“). Wo das irische dth jedoch auch für das kriegerische Öffnen und Schließen der Landesgrenzen steht, da bezeichnet Janus die Zeitschranke zwischen zwei Jahren.256 Das Keltische kümmert sich nicht weiter um den semantischen und den verbalen Gegensatz, sondern baut in seinen Mythen lediglich den Widerstreit von Jung und Alt aus, der dem Konflikt der Ewigkeit (des alten Gottdruiden) und der Zeitlichkeit (dem Gott der Jugend und der Schönheit) entspricht. Die Zeit greift in der Person des Oengus oder Mac Oc, die Ewigkeit in der Person des Dagda an, und fordert ihr eigenes Reich. Diese Forderung ist gemäß der Gesetze der Verwandtschaftsbande zwar rechtmäßig, wird jedoch dem Gottdruiden gegenüber (der auch Gott der Ewigkeit, der Elemente, des Rechts und der Freundschaft ist) zu einer zügellosen Anmaßung: Dennoch leiht der Vater dem Sohn 24 Stunden lang sein Reich des Brug na Boinne (dem Hügel­ grab von Newgrange). Als jedoch ein Tag und eine Nacht verstrichen sind, und der Dagda sein Gut wieder zurückfordert, weigert sich Oengus und erwidert ihm, daß diese Zeitspanne der Ewigkeit gleichkäme: Mac Oc bleibt also definitiv und rechtmäßig in der usurpierten Residenz.257 Dieser Familienstreit hat jedoch keine weiteren Folgen und verwirrt die keltische Theologie nicht im Geringsten: Mit der Zeit wird auch die Ewigkeit wieder integriert. Diese problematische Beziehung von Zeit und Ewigkeit wird in keiner kelti­ schen Erzählung direkt behandelt, sondern höchstens implizit angedeutet. Es wird klar, daß jedes Fest einen Augenblick darstellt, zu dem sich zwei Welten gegen­ überstehen und gegenseitig durchdringen, ohne sich deshalb jedoch zu vermischen und zu verwechseln.

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So erklärt sich auch, daß unsere Welt gleichsam auf der des Sid treibt und durch den feth fiada („Gabe der Unsichtbarkeit“) - nur für unsere Augen, nicht jedoch für die des Sid - von ihm getrennt ist.258 Beide Welten existieren also paral­ lel: Sie verkehren miteinander, ohne sich jedoch direkt zu berühren. Während der Hohen Feste jedoch, insbesondere zu Samain, findet die Kommunikation und der Austausch zwischen beiden ganz natürlich statt. Es scheint nun fast überflüssig, darauf hinzuweisen, daß die Zeitspanne, in der sich all dies vollzieht, einerseits in der Ewigkeit des Sid liegt, andererseits jedoch nur einen kurzen Augenblick der menschlichen Zeit darstellt. Insofern ergänzen sich Zeit und Ewigkeit. Sie stehen sich gegenüber, schließen sich jedoch nicht aus. Sie sind komplementär. Mag die Zeit auch eine Unregelmäßigkeit der Ewigkeit sein, so ist es doch gänzlich un­ möglich, daß beide in Opposition zueinander stehen. Ananda K. Coomaraswamy erläutert das sehr klar:

„Von einem „äußeren“ bzw. „wörtlichen“ Standpunkt aus gesehen, hat die Zeit auf den ersten Blick einen Anfang und läuft auf ein Ende hin und müßte so eigentlich der Ewigkeit gegenüberstehen, die ja als endloses Andauem ohne Anfang und Ende verstanden wird. Doch wird es klar, wie absurd diese Frage ist, wenn wir uns mit dem Hl. Augustinus fragen, was Gott (der Ewige) tat, bevor er die Welt erschuf. Die Antwort lautet logi­ scherweise, daß das Wort „vor“ in einer solchen Frage sinnlos ist, da Zeit und Welt voneinander abhängen und insofern zusammen geschaffen wur­ den. Deshalb weist die christliche Exegese darauf hin, daß ‘en arch, im Prinzip keinen „zeitlichen Anfang“, sondern einen absoluten Ursprung be­ zeichnet; daraus folgt, daß Gott - der Ewige - die Welt jetzt und immer schöpft.“259 Daraus erklärt sich auch die Kürze der Reisen in die Andere Welt. Das beste Beispiel hierzu ist das Condles, des Sohns Conns mit den hundert Schlachten: Er springt in die Kristallfähre einer Frau und ihrer beiden Begleiter, die ihn holen kommen, und ist sofort darauf am Horizont verschwunden.260 In völligem Wider­ spruch zum Verlöschen der menschlichen Zeit, dehnten die christianisierten Seefahrtserzählungen die einst „mythische“ Zeit der Reise ins Unendliche und ließen die Seefahrer unter dem Vorwand des Heimwehs heimkehren. Doch stand ihnen kaum eine andere Lösung offen, da die paradiesische Ewigkeit jenseits des Ozeans ihnen ebenso plötzlich wie definitiv untersagt wurde und das christliche Paradies mit dem keltischen nichts mehr zu tun hatte - und vor allem nicht mehr auf direktem Seeweg erreichbar war. Erinnern wir uns daran, daß die reinigenden Mutterwasser alles Schlechte aus einem Menschen wegzuschwemmen vermögen.261 Denken wir an die Reinigung der Boand, die im brennenden Wasser der Quelle von Nechtan stirbt.262 In diesem Zuge weisen wir darauf hin, daß die Quelle von

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Barenton im Wald von Broceliande eine Sturm- und keine Reinigungsquelle ist und somit nichts mit den indischen Apam Napat und dem irischen Brunnen von Nechtan gemein hat. Im bedauerlichen Zustand, in dem sie sich heute befindet, stellt man sich ohnehin die Frage, ob sie überhaupt noch etwas reinigen könnte. Unsere Erklärung zu den Beziehungen der verschiedenen Welten der kelti­ schen Kosmologie ist unvollständig (wir gehen hier nur auf zwei ein!), da unsere Dokumentation lückenhaft ist: Wir sagten z.B. nichts über die Herstellung des heiligen Getränks, welches dem indischen Soma entsprach.263 Wir gehen der An­ nahme, daß es sich hierbei um Met handelte, da das Bier das Standardgetränk der Kriegerfeste war und der aus vergorenem Honig hergestellte Met schnellere und stärkere Rauschwirkungen besitzt. Wir verfügen jedoch über keine Beweise, diese Annahme zu belegen.

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Anmerkungen 243 Siehe Die Druiden, Arun, 1996, S. 416 - 420. 244 Christian-J. Guyonvarc'h, Über einen alten Zeitbegriff im Keltischen, in Studien zur Sprachwissen­ schaft und Kulturkunde : Gedenkschrift für Wilhelm Brandenstein ( 1S98-1967), Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, 14, Innsbruck, 1968, S. 55-56. Zur bewerteten und gemessenen, menschlichen Zeit siehe Christian-J. Guyonvarc’h, Notes d'Étymologie et de Lexicographie gauloises et celtiques (gaulois *ster- et EPOSTEROVIDOS ; le nom du „ temps " en celtique (gaulois AMB et AM dans le calendrier de Coligny) in Ogam, 19, 1967, S. 240-245. 245 Schon 1960 wiesen wir auf die eigenartige politisch-religiöse Dualität der Namen des einzigen, (durch Cäsar) geschichtlich belegten Druiden Diviacus (der „Wahrsager“) und seines Bruders Dumnorix („König der Welt“) hin. Siehe Ogam 12, S. 312. 244 Abel Bergaigne, La religion védique d’après les hymnes du Rig-Veda, Paris, 1963, Bd. III, S.3. 247 Neben den Zitaten dieses Kapitels verweisen wir bezüglich der Zeit und der Ewigkeit auf das grundle­ gende Standardwerk Ananda K. Coomaraswamys Le temps et l’éternité, Dervy, Paris 1976, 132 S. 248 Siehe Christian-J. Guyonvarc’h, Langue profane et langue sacrée in Connaissance des Religions 10, 1994. 249 Ananda K. Coomaraswamys Le temps et l’éternité, op. cit., S. 21, Anm. 6 250 Abel Bergaigne, La religion védique, op. cit., III, S. 14. 251 Textes mythologiques irlandais, I, S. 142. Da die christlichen Schreiber die mythischen Umstände die­ ser Begebenheit nicht mehr verstanden, wird dieses Detail eher zufällig und am Rande erwähnt. 252 La Maladie de Cuchulainn, in Ogam 10, 1958, S. 285-310 253 Siehe René Guénon, Formes traditionnelles et cycles cosmiques, op. cit., S. 13-24. 254 Zeitschrift fur Celtische Philologie, 23, 1943, S. 261. Μ. Philippe Walter, Le mémoire du temps, op. cit., S. 58 zieht aus diesem Vorschlag den Schluß, daß „die Zeit des Mittelalters für uns eigentlich nur mittels der Texte und Metaphern zugänglich ist, bevor sie zum Konzept einer abstrakten Theorie wird. " 255 Siehe Tilak, Origine polaire de la tradition védique, op. cit., S. 266: „Hat Vishnu Indra auch in ihrem Kampf unterstützt, so muß der dritte Schritt doch im Anwesen Vritras vollzogen werden; wir könnten auch sagen, die drei Schritte Vishnus versinnbildlichen den Jahreslauf der Sonne. Während der ersten beiden Schritte wanden die Sonne sichtbar über das Firmament, doch ist der dritte Schritt Vishnus, der die Sonne unter den Horizont in die Finsternis zieht, unsichtbar. Während dieser Zeit hilft er Indra, Vritra zu töten und Morgendämmerung, Sonne und Opfer mitzubringen. " Abel Bergaigne, La religion védique d’après les hymnes du Rig-Veda, Paris, 1963, III, S. 60 gibt eine Hymne der Veden (Abschnitt IX, F, Hymne IV) wieder, laut der Indra Vishnu dazu auffordert, die drei Schritte zu tun, d.h. sich in den drei Welten zu manifestieren. 256 Siehe Georges Dumézil, La religion romaine archaïque, Paris 1966, S. 323 ff. Wir wollen hier an die Zeilen erinnern, die der Autor in Bezug auf die traditionelle Musik verfaßte: „ Wir können sagen, daß die Gegenwart die Immanenz eines zeitlosen Augenblicks im Bewußtsein ist, die folglich über zwei Seiten verfügt: Die, die auf Raum und Zeit blickt, trennt die Zukunft von der Vergangenheit (dies sind die beiden sichtbaren Gesichter des Janus); die, die auf den Augenblick gerichtet ist, schafft hingegen Zu­ kunft und Vergangenheit ab und nimmt sie in sich auf (dies ist das dritte, das unsichtbare Gesicht des Janus)." (Jean Thamar, Notion de la musique traditionnelle, in Etudes Traditionnelles, n° 266, März 1948, S. 62) Das wäre gleichermaßen eine ausgezeichnete Definition des keltischen „Tricephalus“. 257 Siehe die Übersetzung dieser Erzählung unter dem Titel „La prise du Sid“ in Textes mythologiques irlandais, I, S. 272-273. Die Erzählung des Boromha ist die christianisierte Version dieser Geschichte: Auf die Bitte des Heiligen Molling schiebt König Finnachta die Viehsteuem um einen Tag von Sonntag bis Montag auf. Da es sich dabei jedoch um den Montag des letzten Gerichts handelt, ist der Tribut ewig ausge­ setzt. Hg. Standish O’Grady, Silva Gadelica I, S. 387 und II S. 432.

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258 Das beste Beispiel hierfür ist die Erzählung der „Speise im Hause der beiden Kelche" (Textes mythologiques irlandais, I, S. 257-266): In dieser Geschichte verliert Eithne (das Symbol Irlands) die Gabe der Unsichtbarkeit, als sie sich in der Boyne badet. Sie dringt dadurch in die menschliche Zeit ein, wo sie sich vom Hl. Patrick bekehren läßt. Schließlich aber stirbt sie aus Gram über die Trennung von den Tiiatha Dé Dänann. Ihre Seele jedoch gelangt ins Paradies, die beste aller möglichen Lösungen. 259 Le temps et l'éternité, op. cit., S. 14. 280 Siehe Die Druiden, 1996, S. 360 - 362. 261 Siehe Abel Bergaigne, La religion védique, op. cit., III, Paris, 1963, S. 174 262 Siehe Christian-J. Guyonvarc’h, Nechtan (*NEPT-ONO-) ou lefils de la soeur in Celticum 15, 1966, S. 377 ff. 283 Siehe Abel Bergaigne, La religion védique, op. cit., III, Paris, 1963, S. 57-67.

Oben: Silberplatte. Besonders interessant sind die Swastika-Darstellung auf dem Knopf und die Mäandermuster auf der eigentlichen Platte. Vergleiche dazu auch Seite 181f Chao de Lamas, Spanien.

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SCHLUSSWORT Was wissen wir nun über die Hohen Feste der Kelten? Auf den ersten Blick scheint die Bilanz relativ mager auszufallen, da unser Wissensstand sich in den letzten fünfzig Jahren kaum erweitert hat. Und verfügen wir auch über einen vollständigen Kalender, so fehlt uns mangels entsprechender Bemühungen doch der Schlüssel dazu. Es ist uns also unmöglich, die Hohen Feste der Kelten mit Hilfe dieses Kalenders in allen Aspekten der keltischen Tradition zu benennen, festzulegen und zu erklären. Dies ist nach 15 bzw. 18 Jahrhunderten die verheerende Bilanz der Romanisierung Galliens und - in geringerem Maße der Christianisierung Irlands. Heute ist es zu spät, die Geschichte insofern zu kor­ rigieren. Dieses Manko beruht andererseits aber auch darauf, daß der Großteil der Forschung sich ein halbes Jahrhundert lang auf falsche Grundlagen stützte und so im Dunklen tappte. Hier jedoch ist es noch an der Zeit, die Fehler der Geschichte verbessern zu wollen. Solange man annahm, daß das gallische Samonios den Monat Juni bezeichnete, konnten die Untersuchungen, weder in Bezug auf den Kalender noch auf die Feste, zu einem gültigen Schluß führen. Auch der uneingeschränkte Rückgriff auf die Folklore, der jener und ihren Erzählern mythodologische Kennt­ nisse zuschrieb, über die nur spezialisierte Ethnologen verfügen, konnte zu nichts führen. Doch liegt die Sache bei weitem nicht so schlimm. Wir verfügen heute über einige grundlegende Feststellungen, die wesentlich bessere und zielführende Er­ forschungen des vorchristlichen Keltentums ermöglichen werden. Wir mußten in aller Eile eine Trennlinie zwischen den traditionellen, vorchrist­ lichen Festen und ihren heutigen, christianisierten Formen ziehen. Samain ist nicht genau Halloween und der May Day unterscheidet sich gewaltig von Beliebte. Dasselbe gilt für die englische Version des Garland Days. Am wichtigsten ist hier jedoch wohl die Negativdefinition Imbolcs, das kein Fest im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr ein archaisches Lustrationsritual darstellt, welches die Unrein­ heiten des Winters beseitigen sollte, in den Epen oder Mythen bereits jedoch ver­ gessen ist und schon früh durch das volkstümliche Fest der Hl. Brigitte ersetzt bzw. überdeckt wurde. Es geht uns in erster Linie jedoch nicht um die Abgrenzung des vorchristli­ chen Festes von der mehr oder weniger christianisierten Folklore, die ersteres über­ nahm und bis ins Ende des letzten Jahrhunderts fortdauerte, sondern wir sind an den eigentlichen Feststrukturen interessiert, wie sie vor und auch noch eine gewis­ se Zeit nach der Ankunft Patricks in Irland gegeben waren.

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Die beiden Grundfeste waren die der beiden Sonnenwenden; Samain im Win­ ter und Belteine im Sommer. Doch wenn auch die Feierlichkeiten des Johannistages einige Aspekte Belteines übernahmen, so war das Samainsfest vom ersten Novem­ ber doch so charakteristisch, daß keine Übertragung auf Weihnachten stattfand. Die beiden anderen Feste können als Equinoxfeste verstanden werden, auch wenn es sich im eigentlichen Sinne erst bei einem Fest mit religiösen Zeremonien, Opfern und heiligen Feuern um ein Hohes Fest handelt. Imbolc ist im Prinzip nur ein Reinigungsritual, während Lugnasad trotz seiner Bedeutung den König als Verantwortlichen und Gönner des Wohlstands und der Fruchtbarkeit von Land und Vieh feiert. Somit haben wir es eigentlich nur mit drei wirklichen, hierarchisch organisier­ ten Festen zu tun:

- Samain, das totale Fest aller drei Aufgabenbereiche am ersten Novem­ ber zu Beginn der dunklen Jahreszeit. - Belteine, das Fest des Lichts, des Feuers und der Druiden zu Beginn der hellen Jahreszeit. - Lugnasad, das Fest der Ernten und des wiedererlangten Wohlstands.

Diese drei Feste stehen unter der offensichtlichen Schutzherrschaft Lugs: - am ersten November in seinem dunklen Aspekt, - am ersten Mai in seinem strahlenden Aspekts des Sonnenlichts. Ge­ naugenommen ist Bel- (gallisch Belenos) lediglich ein Beiname Lugs. - am ersten August in seinem königlichen Aspekt, der wie alle irischen Könige als Sohn und Gatte der Erdenmutter für Reichtum und Wohlstand des Landes verantwortlich ist.

Jedes Fest stellt gewissermaßen einen zeitlichen und räumlichen Fixpunkt dar, da es einen bestimmten Zeitpunkt an einen bestimmten Ort (in der Regel den Mittelpunkt des Landes oder Reichs) bindet. Es ist Anlaß zu Versammlungen, aber auch eine „Pforte“, die in eine neue Jahreszeit führt, mit allen wirtschaftli­ chen und sozialen Veränderungen, die das in einer ländlichen und kriegerischen Gesellschaft nach sich zieht. Das Keltentum kennt jedoch nur zwei wirkliche, klimatisch orientierte Jahreszeiten, deren Grenzen Anfang Mai und Anfang No­ vember liegen. Da der polare Kalender den Jahresbeginn an den Anfang der dunk­ len Jahreszeit setzt, ist die einzig wirkliche Pforte das Samainsfest, wo die mythi­ sche Zeit, d.h. die Ewigkeit die menschliche Zeit provisorisch für drei oder sieben Tage aussetzt und einen direkten Kontakt zwischen den Wesen des Sid, sprich der Götter, und den Menschen ermöglicht. Auch wenn wir mangels genauerer Informationen keltischer Herkunft nicht sehr ins Detail gehen können, so werden doch zahlreiche Übereinstimmungen

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zwischen den keltischen und den vedischen Traditionen augenscheinlich. Die wich­ tigste, an der keinerlei Zweifel bestehen kann, ist der polare Ursprung beider Kul­ turen, der im Kalender zum Ausdruck kommt: ein Tag und eine Nacht stehen symbolisch für das ganze Jahr, welches somit in einen Tag der sechs Sommer- und eine Nacht der sechs Wintermonate unterteilt ist. Alle keltischen Quellen des eu­ ropäischen Festlandes (der Colignykalender und andere Dokumente) weisen in diese Richtung. Weiters steht nunmehr fest, daß kein keltisches Fest sich ohne Versammlun­ gen, Festmahle und vor allem Opfer vollzog. Finden keine Opfer statt, so kann ein Fest zwar Brauch oder Tradition sein, ist aber streng genommen nicht religiös, worin auch der Hauptunterschied zwischen Tradition und Volkstum liegt. In je­ dem Fall ist es klar, daß die Tradition immer bewußt übermittelt wird, während die Folklore ohne äußere Organisation im Volk selbst überlebt. Insofern kann es auch keine „Volkstradition“ geben. Die Volkskultur versucht immer, auch in ländlichen Gegenden wie in der Bretagne oder im Irland des 19. Jahrhunderts, die gelehrte Kultur zu imitieren. Außerhalb der Fakten, die wir hier zusammengetragen und im Rahmen des Möglichen analysiert haben, ist keine kohärente Interpretation der Hohen Feste der Kelten möglich.

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Rechts: Das Detail des GundestrupKessels zeigt Carnyx-Spieler, wahrscheinlich anläßlich eines Rituals. 1. Jhd. v. μ. Z.

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ANHANG

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ANHANG 1 ANMERKUNGEN ZUM NAMEN SAMAIN

Es scheint kaum nötig, den zahlreichen, wenn auch meist kurzen Belegstellen zum irischen Samainfest noch Wesentliches hinzuzufügen. Gleich ob diese nun etymologischer oder lexikographischer Natur sind, so gehen sie immer davon aus, daß das Wort Samain auf dem irischen sam (walisisch haf, bretonisch hafiv - «Som­ mer») basiert. Gelegentlich weisen sie auch auf bestimmte gallische Eigennamen wie Samogenus, Samoniccius oder Samorixhin (siehe Holder, Altceltischer Sprach­ schatz, II, S. 1346) und nehmen in der Regel die irische Erklärung Samains durch Samfuin .i. bas in tsamraid («Samain oder Sommerende») ohne weitere Diskussi­ on hin, wie sie im Kalender des Oengus, hg. Whitley Stokes, RIA MSS, Serie 1 clxxvi und Three Irish Glossaries, S. 157 vorgeschlagen wird. (Siehe dazu auch das Glossaire d’O’Clery, Revue celtique 5, S. 41. Wir verweisen auf die wichtig­ sten Hauptwerke, die jedoch alle nur kurze Erklärungen zu diesem Punkt abgeben: G. Dottin, La langue gauloise, S. 284; R. Thumeysen, Der Kalender von Coligny, in Zeitschrift für Celtische Philologie, 2, S. 532; Holger Pedersen, Vergleichende Grammatik der keltischen Sprachen, I, S. 163-164. Lediglich zwei Quellen sind unumgänglich. Einerseits das RIA Dictionnary, S, col. 48-49 und andererseits das Lexique étymologique de l'irlandais ancien, S. 22-23. In diesen beiden Werken finden sich die ausführlichsten Textverweise. In der Tat stellt die Form und die Bedeutung des Wortes Samain keinerlei Probleme dar. Es ist höchstens vielleicht darauf hinzuweisen, daß die mittelalterlichen Kel­ ten blind den analogistischen Etymologien ihrer Glossenschreiber glaubten, die sich an samfuin richteten (fuin «Ende», RIA Dictionnary, F/l, hg. Maud Joynt Eleanor Knott, col. 475), was sicherlich durch die große Vokalmobilität und die vage Aussprache des m erleichtert wurde, welches sich in ein mh (= w) wandelte. Der Unterschied zwischen -ain und -uin scheint keine große Rolle gespielt zu ha­ ben, denn in vielen Texten finden wir ebenso die Form Samuin oder Samhuin; z.B. Feis Temrach arin samhuin («das Fest von Tara zu Samain») (Irische Texte III, S. 198-199, §55) oder in da scripull cetna air o bertha e eus in samuin is nesa («und weiterhin zwei Skrupel [Währungseinheit] von seiner Geburt bis zum nächsten Samain») (Ancient Laws II, S. 240, 14, Commentary).

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Die Genitivform aidchi Samna («Samainnacht») läßt keinen Zweifel an der Regelmäßigkeit der Nominativform zu. Dieser Genitiv samna ist in allen Texten gleich, auch in denen, in denen die Nominativform samhuin gebraucht wird, z.B. tri là ria samfuin 7 tri laa iarma 7 lathe na samna feisne («drei Tage vor Samain, drei Tage danach und am Samainstag selbst») heißt es in der serglige ConCulaind, der «Krankheit Cuchulainns» (hg. Myles Dillon, Mediaeval and Modern Irish Séries, 14, S. 1). Dieser synkopierte Genitiv genügt zu beweisen, daß samfuin eine «Neuform» darstellt, die auf analogistischer Etymologie beruht, da aus samfuin keine solche Synkope entstehen kann. Das hatte Thumeysen ganz klar erkannt, wenn er schreibt: «Die mittelirische Etymologie samfuin «Untergang des Som­ mers» wird durch den synkopierten Genitiv sehr zweifelhaft gemacht.» Sie ist nicht nur zweifelhaft, sondern ganz offensichtlich falsch und geht lediglich auf ein Wortspiel zurück. Wir können aus solcher Etymologie höchstens Rückschlüsse darauf ziehen, daß und wie die mittelalterlichen Filid linguistische Überlegungen anstellten. Schleierhafter ist da ein anderer Satz Thumeysens, wenn er auf S. 553 schreibt: «Ist das n in samuin nur suffixal, so müßte sich allerdings dieser Kalendertag zur Zeit, da er mit dem christlichen Allerheiligen verschmolz, weit von seinem ur­ sprünglichen Sitz verschoben haben.» Wurde der Festtag verschoben (doch war es nicht ein fixes Datum?), so hat die Nachsilbe hiermit wohl nichts zu tun. Wir streifen hier Fragen des Kalenders, die jedoch ohne weitere Folgen für die fragli­ chen Etymologien sind. Solange nicht angezweifelt wird, daß Samain auf den er­ sten November fiel, wollen wir gar nicht auf weitere Diskussionen eingehen, da das Thema noch viel zu offen ist und nur wenig wirklich feststeht. Da wir es mit der Wurzel sam zu tun haben, kann der Einfachheit halber nur auf eine gemeinkeltische Form *samonio- oder *samoniu- geschlossen werden, die uns direkt zur gallischen Form des Colignykalenders SAM, SAMON oder SAMONII führt, die leider jedoch nirgends vollständig aufscheint. (Siehe Françoise Le Roux, Le calendrier gaulois de Coligny (Ain) et la fête irlandaise, in Ogam 9, 1957, S. 337-342; vgl. G. Dottin, La langue gauloise, S. 284; Eoin Mac Neill, Notation and chronography..., in Eriu 10/1, S. 49 und zur Erinnerung John Rhys, Celtae and Galli, S. 32. Thumeysen hatte bereits etwas vorsichtig formuliert: «Schwieriger ist es, die Endung zu bestimmen. Die Form könnte auf einen Nomi­ nativ Samonos führen, gebildet wie der Name der Pferdegöttin Epona.» Doch handelt es sich hier tatsächlich um eine Nachsilbe? Und, wenn ja, wel­ cher semantische Wert ist ihr beizumessen? Das -ona von Epona, Bormona, Divona oder Damona ist ganz eindeutig die Endsilbe eines Göttemamens, doch ist sie das immer? Es wäre möglich, daß es sich bei Samonos oder Samonius um eine galli­ sche Vergöttlichung des Sommers handelt, und dies ganz einfach deshalb, da bei­

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de, wie auch Samain, weit über das Wort sam, irisch samh «Sommer» hinausge­ hen. Schließlich hat die Nachsilbe -onos / -onios die verschiedensten Funktionen in den Eigennamen (siehe Holder, op. cit., II, S. 855-859 dessen Quellenforschun­ gen es erübrigen hier weiter suchen zu müssen). Es ist möglich, daß sie die Bedeu­ tung des Stamms genauer bestimmt, sie verändert ihn jedoch sicher nicht. Weiters ist es sicher, daß alle gallischen Eigennamen auf sam- sich auf den Sommer und nicht auf das Fest beziehen: Samogenus (CIL XIII, 806 in Bordeaux und 1010, 1712 in Moulins - «Sohn des Sommers») - Samocinus (CIL XIII, 5848) ist sicherlich eine spätere Abwandlung des ersteren; Samognatius (CIL XIII, 833 in Bordeaux) und die Variante Samoniccius (CIL XII, 2951 in Uzès, Gard), das weibliche Samoniccia (CIL XII, 2757 in Tresques, Gard), Samotalus (CIL XIII 4685); Samorix, der «Sommerkönig» (CIL XIII, 2615 und 5788 in Langres), bei dem wir uns eher an Thumeysens als an d’Arbois de Jubainvilles (Les noms gaulois chez César et Hirtius, S. 12) Lesart halten wollen, der vorschlägt den Namen mit «angenehmer König» oder «König der Freuden» zu übersetzen, indem er vom irischen sam («Ruhe, Annehmlichkeit») ausgeht. Das erspart uns schließlich auch die penible und zwiespältige Analyse alter und neuer, bretonischer Patronyme wie Hamon, Heven, Even (vgl. J. Loth, Chretsomathie bretonne, S. 212 und E. Emault, Glossaire Moyen Breton, S. 310311), die auf den Brauch zurückgehen, Kinder nach der Jahreszeit oder dem Mo­ nat ihrer Geburt zu benennen. Doch ist dieser Brauch überall vorhanden? Den bretonischen Beispielen Loths und Emaults wäre das irische Maelsamna hinzuzu­ fügen, welches an zwei Stellen belegt ist (Annals of Ulster I, S. 484, 14 und Chronicon Scottorum, hg. Hennessy, S. 220, 2). Maelsamna hat nichts mit dem Sommer zu tun, und heißt vielmehr «Samainsmael», der über keine brittannische Entsprechung verfügt. Die zwei diesbezüglichen Absätze in Ogam 13, S. 476 sind also überholt. Auch dem «Sommer» sollten wir diesbezüglich definitiv den Rücken kehren: Samonios beendet den Sommer und eröffnet den Winter und zugleich das neue Jahr. Vom rein linguistischen, nicht nur vom logischen Gesichtspunkt aus, ist also die Übersetzung von samonios mit Sommer, die J. Rhys in mehreren Werken vor­ schlägt und die des öfteren übernommen wurde, unhaltbar. Hiermit sei auch der «negative» Aspekt dieser Untersuchung beendet. Die beste Lösung fand wohl Whitley Stokes als er 1905 in Kuhns Zeitschrift 11, S. 243-245 ili bechsamaini («zahlreiche Bienenschwärme») auf § 165 des Imcallam in Da Thuarad («Gespräch der beiden Weisen») zurückführt, das er in der Revue celtique 26 (hier S. 34) veröffentlichte. In dem zusammengesetzten Wort bedeutet bech «Biene» und samain «Schwarm». Die Seltenheit des Ausdrucks tut seiner Richtigkeit keinen Abbruch. Die sichere Bedeutung erweist sich als sehr

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fruchtbar, was die Etymologie betrifft (siehe zunächst Whitley Stokes, Urkeltischer Sprachschatz, S. 293), und J. Pokorny erkennt in der Folge in seinem Indogerma­ nischen Etymologischen Wörterbuch, 905 ganz richtig, daß Samain und das goti­ sche samana, das althochdeutsche saman und das neuhochdeutsche (zu)sammen dieselbe Wurzel aufweisen. Die ursprüngliche Bedeutung ist also sicher die der Zusammenkunft, was auch durch die Ableitung sämud («Versammlung») bewie­ sen wird, die im Cormacglossar belegt ist (hg. Kuno Meyer, Anecdota from Irish Manuscrpts, II, 17, 12; siehe auch das RIA Dictionary, S. 54; Lexique étymologique de l’irlandais ancien, S-23.

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ANHANG 2 IMBOLC Der Name des irischen Imbolcfestes am ersten Februar wurde unseres Wissens bis heute in vier Aufsätzen unterschiedlicher Länge untersucht, von denen die ersten beiden alt genug sind, um schon seit langem als Standardgrundlage zitiert zu wer­ den: 1. J. Vendryes, Imbolc,in Revue celtique 41, 1924, S. 241-244. 2. T. O’Maille, Miscellanea, Co taite n-Imbuilc, in Eriu, 10/1, 1926, HO. 3. Wir selbst, A propos de la fête irlandaise de février Imbolc, in Notes d’étymologie et de lexicographie gauloises et celtiques, X, 41, Ogam 13, 1961, S. 471. 4. Eric Hamp, Imbolc, Oicmelc, in Studia Celtica, 14/15, 1979-1980, S. 106-113.

Das 1952 erschienene RIA Dictionnary (1/1, 70, unter imbolc) kannte dem­ nach also nur die ersten beiden Quellen. Da ihr Ansatz lexikographischer Natur ist, enthalten sich die Autoren jeglichen Kommentars und nehmen auch keine etymologische Position ein. Nun stimmt jedoch keine dieser vier Studien weder in ihrer Methode, noch in ihren Prinzipien, noch in ihren Schlußfolgerungen oder konkreten Ergebnissen mit einer der drei anderen überein. Natürlich steht den Lesern immer noch offen, das Altirische zu erlernen, wenn sie sich eine eigene Meinung bilden wollen. Im anderen Fall lese jeder, was ihm behagt, und denke sich seinen Teil dazu. Der Fall Imbolcs ist jedoch ganz typisch für die keltologischen Forschungen: Nur ein ganz kleiner Kreis von Wissenschaftlern ist in der Lage, sich eine genaue Vorstellung zu machen und daraus (oft widersprüchliche) Schluß­ folgerungen zu ziehen. Die anderen haben kaum die Möglichkeit, das Wahre vom Falschen und das Zweifelhafte vom Wahrscheinlichen zu scheiden. Fassen wir den Stand der Dinge also zusammen: Vendryes interpretiert Imbolc mittels der Vorsilbe imb- «um», die zu­ gleich auch Präposition und Präverb ist und außerdem eine Wechselbezie­ hung ausdrücken kann. Weiters geht er von einem Stamm -folc aus, der in der Regel «waschen, baden, reinigen» bedeutet. O’Maille schlägt eine grundsätzlich andere Interpretation vor, die auf zwei Beispielen mit der Schreibweise Imbolg basiert. Er meint, die etymo­

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logische Schreibweise sei *imb-bolg, «indicating that the feast would be in honour ofa bolg or sack containing or about to contain the food supply of theyear, orperhaps even a large bolg orpaunch typifying suchfruitfulness.» Aufgrund der Unvereinbarkeit der beiden Schlüsse Vendryes’ und O’Mailles versuchten wir 1961 aufzuzeigen, daß O’Mailles phonologische Beweisführung zwar in sich schlüssig war, seine lexikalische Argumentati­ on des «Sacks» jedoch auf recht schwachen Beinen stand, und Verdryes deshalb noch lange nicht widerlegt war. Eric Hamp schuf in der Folge einen völlig neuen Ansatz, der nicht mehr auf die Kontroverse Vendryes/O’Maille einging (übrigens hielt es Vendryes nicht einmal für nötig zu antworten, sondern übernahm in seiner Religion des Celtes, Mana - PUF, S. 319, Anm. 9 kommentarlos die Etymologie O’Mailles und ließ seine ursprüngliche fallen). Auch unseren Aufsatz von 1961 berücksichtigt Hemp nicht, sondern er geht von der Übersetzung (oimelcs, nicht imbolcs) «sheep’s milk» aus, die Myles Dillon & Nora Chadwick 1967 in The Celtic Realms, Kapitel 5, S. 141 veröffentlichten. Für ihn ist imbolg eine analogistische Form, die auf ein ursprüngliches im(m)olg zurückgeht, welches durch das altkeltische und indoeuropäische Wort für das Melken (fmolgo- «milking») erklärt wird. In der Regel widerstrebt es uns, philologischen Theorien unserer irischen Kol­ legen zu widersprechen. Sie kennen ihre eigene Sprache und alle Details am be­ sten. Polemiken mit anderen Keltologen, gleich in welcher Sprache sie nun schrei­ ben, sind uns aber ebenso unlieb. Der einzige Vorteil, den wir manchen von ihnen gegenüber vielleicht haben mögen, ist der, daß wir imstande sind, ihre englischen und deutschsprachigen Aufsätze zu lesen, wo sie uns nur sporadisch zur Kenntnis nehmen. Doch je mehr Zeit verstreicht, desto mehr glauben wir, daß Vendryes recht hatte. Von einem «Sack der Fruchtbarkeit», den uns O’Maille aufbinden wollte, ist in keinem der Mythen die Rede. Und dient all die Gelehrtheit und all der Einfallsreichtum Hamps nicht in erster Linie der wissenschaftlichen Rechtfer­ tigung einer antiken, analogistischen Etymologie des Cormacglossarsl In unserer «etymologischen Anmerkung» von 1961 ließ uns der kategorische Ton O’Mailles noch zögern, doch ist es nach dreißig Jahren, nachdem Herr Hamp nun die Initiative ergriffen hat, sicherlich so weit, die Frage erneut aufzunehmen und ein für alle mal zu unterstreichen, daß der Aufsatz Vendryes den einzig halt­ baren Ansatz bietet. Zunächst zwei Feststellungen: - Im Gegensatz zu Samhain, Bealthaine und Lugnasad ist Imbolc gänz­ lich aus dem neuirischen Sprachgebrauch verschwunden. Es handelt sich

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also in jedem Fall, ohne Rücksicht auf die Etymologie, um eine archaische Kalenderdefinition. Eine solche aber läuft viel eher Gefahr, falsch oder analogistisch interpretiert zu werden. - Das Neuirische übersetzt das englische Candlemas («Lichtmeß») mit La Fheile Muire na gCoinneal, wörtlich «Tag des Festes der Marie mit den Kerzen» (Tomäs de Bhaldraithe, English-Irish Dictionary, Dublin, 1959, S. 98b), was Dinneen, Foclöir Gaehilge agus Bearla, VT21, S. 770b-71a mit «the Feast of the Presentation» übersetzt. Doch findet dieses Fest erst am 2. Februar statt. Der erste Februar heißt La na Feile Brighde oder La Fheile Brigde («Tag des Fests der Brigitte»). Das Fest der Hl. Brigitte hat Imbolc also völlig überlagert und unterscheidet sich überdies stark von Maria Licht­ meß. Sehen wir uns nun die Liste der Vorschriften und Gebrauchsanweisungen an, die praktisch gänzlich der Tain Bo Cüalnge entstammt - wenn auch ein oder zwei Zeugnisse aus anderen Quellen als den verschiedenen Fassungen des Ulsterzyklus stammen - so fällt es doch ins Auge, daß das Wort: verschiedene Schreibweisen der Endung aufweist, die zwischen -c und g schwanken, und wie ein Archaismus in einem feststehenden Ausdruck gebraucht wird, der fast immer identisch ist; und daß es sowohl von den Iren des Mittelalters als auch von den zeitge­ nössischen Gelehrten öfters mißverstanden wurde.

(01) Ön lüan re samain sdinruth cossin cetäin iar n-imbulc «vom Montag vor Samain genau bis zum Mittwoch nach Imbolc» (Tain Bö Cüalnge, Fassung aus dem Book of Leinster, hg. Best-O’Brien, III, Dublin, 1956, folio 76a, S. 319, Zeilen 9599-9600) Emst Windisch, Irische Texte, V, Leipzig, 1905, S. 344 übersetzt «genau angegeben vom Montag vor Sommerende bis zum Mittwoch nach Lichtmess»; Cecile O’Rahilly, Tain Bö Cüalnge front the Book of Leinster, Dublin, 1967, S. 198 übersetzt: «from Monday before Samain exactly until the Wednesday after the festival of spring.» Die Nasalierung deutet darauf hin, daß die Präposition iar das Substantiv imbolc in den Dativ setzt. Was die Übersetzung betrifft, so ist Samain weder das «Sommerende», noch ist Imbolc «Lichtmeß», wie Windisch meint. Auch Cecile O’Rahilly begibt sich auf unsicheren Grund, wenn er Imbolc mit «Frühlingsfest» übersetzt. Ist es nicht vielleicht mehr als das? (02) Ö luan taite samna co taite n-imbulc «vom Montag des Beginns Samains bis zum Anfang Imbolcs» (Tain Bö Cüalnge, Fassung aus dem

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Book of Leinster, hg. Best-O’Brien, III, Dublin, 1956, folio 80a, S. 330, Zeilen 9959-9960) Emst Windisch, Irische Texte, V, S. 420 übersetzt «Vom Montag Anfang November bis zum Anfang des Frühlings»; Cecile O’Rahilly, Tain Bö Cüalnge from the Book of Leinster, S. 209 übersetzt: «From the Monday at the beginning of spring.» Beide Übersetzungen setzen Imbolc hier mit «Frühling» gleich. Das Wort steht hier im Genitiv. (03) Ö lüan taite samna co täte imbuilg besagt dasselbe wie das vor­ herige Beispiel (Tain Bö Cüalnge, Fassung aus dem Book of Leinster, hg. Best-O’Brien, III, folio 82a, S. 336, Zeilen 10176). Windisch op. cit., S. 462 und Cecile O’Rahilly, op. cit., S. 214 behalten ihre Übersetzung bei. (04) Ön lüan taite samna co täte n-imbuilc besagt dasselbe wie das vorherige Beispiel (Jain Bö Cüalnge, Fassung aus dem Book of Leinster, hg. Best-O’Brien, III, folio 92a, S. 369, Zeilen 11333). Windisch op. cit., S. 652 und Cecile O’Rahilly, op. cit., S. 243 behalten ihre Übersetzung bei. (05) Ö lüan iar samain sainrud cosin cetain iar n-imolg «vom Montag nach Samain bis genau zum Mittwoch nach Imbolc (Tain Bö Cüalnge, Fas­ sung aus dem Leborna hUidre, hg. Best-O’Brien, Dublin, 1929; folio 78 a, S. 195, Zeilen 6336). Vgl. Cecile O’Rahilly, Tain Bo Cüalnge, Recension, I, Dublin 1976, S. 65, Zeilen 2137-2138 übersetzt auf S. 184 «From the Monday after Samain until the Wednesday after the festival of spring.»

(06) Ön lüan aidche samnai coricci lüan aidchi imbuilc «vom Mon­ tag der Samainsnacht bis zum Montag der Imbolcsnacht (Tain Bö Cüalnge, Fassung aus dem Yellow Book of Lecan, hg. Strachan-O’Keefe, The Tain Bo Cüalnge from the Book of Lecan with variant readings from the Lebor na hUidre; Vgl. Cecile O’Rahilly, Tain Bo Cualnge, Recension, I, S. 104, Zeilen 3440-3441 übersetzt auf S. 217: «From the Monday on the eve of Samain until the Monday on the eve of spring.» (07) On luan re samhain cusin ccetaoin iar n-immbulg «vom Montag vor Samain bis zum Mittwoch nach Imbolc (Manuscript Stowe, hg. Cecile O’Rahilly, The Stowe Version of Tain Bö Cüalnge, Dublin, 1961, S. 80. In den drei folgenden Stellen gibt die Stowe-Handschrift Imbolc durch einen anderen Begriff wieder, um besser verstanden zu werden:

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(08) On luan ria samain go taitte n-earragh «vom Montag vor Samain bis zum Frühlingsanfang ( hg. Cecile O’Rahilly, op. cit. S. 88, Zeilen 27562757).

(09) On luan ria samain co tosach earraigh «vom Montag vor Samain bis zum Frühlingsanfang ( hg. Cecile O’Rahilly, op. cit. S. 121, Zeile 3848). (10) On luan re samain do sundrad cusin ccedaoin ier bfel Bridge «vom Montag vor Samain genau bis zum Mittwoch nach dem Fest der Bri­ gitte (hg. Cecile O’Rahilly, op. cit. S. 70, Zeile 2199; vgl, Felire hui Gormain, hg. Whitley Stokes, 1. Februar).

Eine Strophe der Dindshenchas des Ath Luain macht eine direkte Anspielung auf die Tain Bo Ciialnge: (11)

lar n-imbulg, ba garb a ngeilt, rosiacht in tarb cen tairbert Cnoc tarbga co tüath-gnais tig: nfrb adba üathbäis 6en-fir

«After Candlemas (rough was their herding), came the unvanquished bull to Cnoc Targba, fair resort of the people; it was a dwelling of dread for many man» (Hg. Edward Gwynn, The metrical Dinshenchas, III, S. 370, Verse 61-64). Außerhalb des Zyklus der Tain Bö Ciialnge («Der Raubzug der Kühe Cooley’s») bzw. seines Einflußbereichs müssen wir nur noch den Vierzeiler eines Gedichts zitieren, welches sich in der Handschrift Rawlinson B 512, folio 98b, 2 und in der Handschrift Harleian 5280, folio 35b, 2 (vgl. MS 23 N, 10, S. 55) findet und von Kuno Meyer in Hibemica Minora, Oxford, 1894, S. 49 veröffentlicht wurde:

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Fromad each bed iar n-urd, issed dlegair in-Imbulc, deunnach laime is coissi is cinn, is amlaid sin atberim. «Tasting every food in order, This is what behoves at Candlemas, Washing of hand and foot and head, It is thus I say»

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Dann wäre auch noch ein letztes Zeugnis zu erwähnen, welches sich nach dem Stereotyp richtet und aus der verschachtelten Rahmenerzählung des Acallamh na Senorach, dem «Gespräch der Alten» stammt:

(13) Ö luan taite tshamhna co taite n-imbuilg «vom Montag des Samainsbeginns bis zum Anfang Imbolcs» (hg. Whitley Stokes, Acallamh na Senorach, in Irische Texte IV, Leipzig, 1900, S. 60, Zeilen 2108-2109, nach der Handschrift Laud 610.) Nun bleiben uns lediglich zwei Texte übrig: Einer davon ist eine etymologische Anmerkung aus dem Sanas Cormaic, dem «Cormacglossar»: (14) Of .i. caera inde dicitur oiscb.i. di seise .i. caera seise oimelc .i. oimelg .i. ist aimser andsin tie ass caerach. melg .i. as iarsinni blegar (Hg. Whitley Stokes, Three Irish Glossaries, London, 1862, S. 33). In Stokes’ Übersetzung sieht das ganze so aus: «Oi i.e. a sheep, inde dicitur 6isc, i.e. öi-melg “ewe-milk”, i.e. that is the time that the sheep’s milk comes: merg, i.e. milk, because it is milked (blegar)» (Cormac’s Glossary, Calcutta, 1868, S. 127), vgl. die Variante (der Schreibweise und nicht des eigentlichen Tex­ tes) des Yellow Book of Lecan : Oimelc .i. ass arinni blegar (hg. Kuno Meyer, Anecdota from Irish Manuscripts, IV, Halle, 1912, S. 86, § 1000).

Das Tochmarc Emire oder «Die Brautwerbung um Emer» ist dem Cormacglossar zwar stark verbunden, doch wahrt es im gewissen Sinne seine Eigenständigkeit. In der 3. Fassung finden wir einen kurzen etymologischen Kommentar, der Cuchulainn zugeschrieben wird. Imbolc wird hier zu den Festen gezählt: (15) Co h-oimolc .i. taite erraig .i. imbe afolc .i. folc in erraig 7 folc in gemrid. Nd oimelc .i. oi isind ecsi ainm na coerach. Is de asberar oiba, ut dicitur conba, echba, duineba, amal is ainm do bas ba. Omelc dano is si aimser andsin i tie ass ccderach 7 i mblegar cderig, unde oisc .i. oi sesc .i. cdera sesc (veröffentlicht nach der MS RIA, D 4, 2 von A.G. van Hamel, Comert Con Culainn and other stories, Mediaeval and Modem Irish Series, III, Dublin, 1933, S. 43), «bis oimolc, d.h. dem Beginn des Frühlings, den Schranken der Niederschläge, dem Frühlingsregen und dem Winterregen. In der Dichtkunst steht oi aber auch für das Schaf. Daher spricht man auch von oiba, wenn ein Schaf stirbt, ganz wie der Tod eines Hundes conba, der Tod eines Pferdes echba, der Tod eines Menschen duinba genannt wird, da ba und bas das Wort für den Tod ist. Oimelc ist demnach der Tag, an dem man die Schafe melkt. Deshalb heißt es auch oisc oder oi sesc wenn die Schafe unfruchtbar sind.»

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Die Ähnlichkeit der Dokumente ist vielleicht auf ihre geringe Anzahl zurück­ zuführen. Da wir nicht weiters auf die analogen Formen eingehen wollen, haben wir es hier nur mit zwei Morphemen zu tun, die auf dem Wechsel zwischen -c und -g im Auslaut basieren:

imbulc (1-12) imbulg (11) immbulg (7) imolg (5)

Ein Dativ

: : : :

Ein Genitiv

: imbuilc (2-4-6) : imbuilg (3-13)

Das Augenscheinlichste jedoch scheint noch niemandem aufgefallen zu sein, und zwar, daß der Nominativ Imbolc in keinem der mittelalterlichen Texte belegt ist. Der Umstand ist zwar nicht von großer Bedeutung, doch will er erwähnt sein. In jedem Fall hätte O’Maille zuerst einen solchen morphologischen Überblick erstellen sollen, bevor er Vendryes’ etymologische Erklärungen verdammte. Seine Kritik basiert auf drei Elementen:

- der gutturale Endlaut ist stimmhaft (g) und nicht stimmlos (c); - der Beweis für die Stimmhaftigkeit wird aus der analogistischen Ety­ mologie oi-melg des Cormacglossars gezogen. - im Vierzeiler der Hibemica Minora steht im Harleian 5280 imbuilg, was der Transkription Kuno Meyers (welche auf den beiden anderen Hand­ schriften basiert) widerspricht und die Assonanz urd/imbulc besser erklärt. Diese drei Argumente wären sicher unwiderlegbar, wenn das Mittelirische eine Sprache mit fixer Schreibweise gewesen wäre und die gelehrten Schreiber nicht alle manische Etymologisieret gewesen wären. Doch kam diese Manie nicht von ungefähr; Sie stellt einen letzten Rest der traditionellen Hermeneutik dar, die nicht nur einen Haufen analogistischer Etymologien, sondern oft auch sehr eigenwillige oder zumindest unerwartete Neuschöpfungen nach sich zieht, vor denen wir uns hüten sollten, da sie oft nicht auf den ersten Blick zu entschlüsseln sind. Imbolc ist aber vor allem deshalb ein schwieriger Fall, da der Wechsel der Schreibweise zwischen -lc / -lg ebenso selten wie unbedeutend ist. Das Problem liegt nicht in diesem Wechsel selbst: In den Lexika ist der Auslaut von Worten selg, delg, celg, colg meist konstant (wenn es auch Formen wie delc oder colc gibt). Als ganze Worte gibt es nur olc und elc, nicht aber *olg oder *elg. Im Neuirischen besteht ein klarer Unterschied zwischen einem auslautenden -c und einem -g. Doch scheinen es die mittelalterlichen Filid in dieser Hinsicht nicht ganz so streng genommen zu haben.

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In Wahrheit ist jedoch O’Mailles Argumentation ohne Gehalt, da er versucht eine scheinbar wissenschaftliche, etymologische Schlußfolgerung aus einer bloßen Variation der Schreibweisen zu ziehen, die keinerlei Einfluß auf die Aussprache hatte. Der einfache Stamm folc behielt bis heute seinen harten Auslaut Ikl (ohne Stützvokal), während/earg bis heute weich /g/ blieb (mit einem Stützvokal: /fertig/ ). In jedem Fall wissen wir, - ganz gleich, ob nun iw(m)builg oder imbuilc ge­ schrieben wird - womit wir es zu tun haben, solange das -i- der Palatalisierung im Genitiv beibehalten wird. Lesen wir nun imbulc oder imbulg, so wissen wir sofort, daß wir es mit einem Dativ zu tun haben. Das etymologische Argument wendet sich zu guter Letzt also gegen seinen Verfasser: Gerade weil es die beiden Schreib­ weisen -lc / -lg gibt, müssen wir vermeiden, eine Form der anderen vorzuziehen. In diesem Fall führt es also zu gar nichts, eine der beiden willkürlich zu eliminie­ ren, um die andere auszubauen. Doch lag es O’Maille ganz offensichtlich vor al­ lem daran zu beweisen, daß Vendryes «übersehen» hatte, daß der Endlaut -g und nicht -c war. Das einzige Problem dabei ist nur, daß beide Fälle belegt sind. Müs­ sen die Beispiele mit End-c nun revidiert werden, weil sie aus der neuen Regel fallen? Überdies fügt O’Maille an, daß das Wort täte, taite «not clear» ist, da es nur in den Glossaren auftaucht. Nur wo kämen da die armen Iren hin, wenn so alle Worte der Glossars aus ihrem Sprachschatz eliminiert würden, nur weil sie obsku­ ren Ursprungs sind. Das ist in etwa das akademische Gegenstück der Streitigkei­ ten, die zwischen den Keltischsprachigen und den Philologen entstehen, weil letz­ tere unglücklicherweise den Dialekt des Nachbardorfes gelernt haben. Ob der ehr­ würdige Autor Cormac im 10. Jahrhundert wohl eine genaue Vorstellung von der Etymologie Imbolcs hatte? Da das kaum anzunehmen ist, kann die Diskussion wohl hierbei belassen werden. Tatsächlich ist O’Mailles Etymologie rein analogistisch und beruht auf bolg «Sack», ein Wort welches er unbedingt in Imbolc wiedererkannt haben wollte, weshalb er den Namen des Festes auf eine einzige Form *Imbolg reduzieren muß­ te «indicating that the feast would be in honour of a bolg or sack containing or about to contain the food supply of the year...». Dieser Sack, in dem die Vorräte eines ganzen Jahres Platz haben, ist sicher groß genug, um auch noch die Verwir­ rung zwischen Phonemen und Graphemen zu beherbergen. Denn wie wurde nun das Imbolc ausgesprochen, welches im Buch von Leinster und drei Jahrhunderte später noch im Harleian 5280 geschrieben wurde? Woher sollte nun aber der erste Teil des Wortes stammen? Folgen wir O’Maille, so geht das Wort auf die ursprüngliche Form *imb-bolg zurück. Geht man jedoch davon aus, daß das -b in -imb ausgesprochen wurde, so kämen wir eher auf eine Form wie *impolg. Wie sollte nun eine solche Erklärung mit der Schreibweise imolg in der Fassung des Lebor na hUidre der Tain Bö Ctialnge zusammenpassen,

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welches in all seiner Unschuld beweist, daß das -b von -imb spätestens im 12. Jahrhundert schon nicht mehr ausgesprochen wurde. Das RIA Dictionary, op.cit., S. 70 versah die Etymologie O’Mailles demnach mit einem ebenso wichtigen wie richtigen Fragezeichen. Ihr einziger Verdienst war wohl, die Infragestellung der Erklärung Vendryes. Schlimmstenfalls hätte sie zu einer zusätzlichen analogistischen Etymologie der Abhandlung des Cöir Anmann oder «Übereinstimmung der Namen» werden können. Unser Kollege Eric Hamp, loc. cit. rehabilitiert seinerseits das Cormacglossar, welches in den letzten hundert Jahren in den Kreisen der Keltologen an Ansehen verloren hatte. Er entlieh Myles Dillon, The Celtic Realms, 1966, S. 108 die Idee zu einer solchen Rehabilitierung: «oimelc seems to mean “sheep”s milk’, which would be a name for the lambing season», was er für uns übersetzt: «oimelc scheint “Schafsmilch” zu bedeuten, was eine Bezeichnung der Jahreszeit des Lammens sein könnte». (Les Royaumes celtiques, Paris, 1974, S. 104). Danken wir also Myles Dillon dafür, nur das zitiert zu haben, was ihn wirklich interessierte. Ist Imbolc für uns auch etwas anderes, so ist oimelc für Cormac sehr wohl die «Schafs­ milch». Zunächst hat Hamp also recht. Der analoge Name oimelc, den Cormac zu Beginn des 10. Jahrhunderts festhält, ist dem imolg des Lebor na hUidre sehr ähnlich. Mit anderen Worten, die analogistische Etymologie des 10. Jahrhunderts bestätigt die wahrscheinliche Aussprache des 12., zumindest was den Schwund des -b- betrifft. Wir haben es hier ganz offensichtlich mit oimelc und nicht mit *oimolc zu tun. Doch wie könnte da auch nicht oimelc stehen, wenn es gar kein irisches *molc gibt? HmelkJ schien Cormac also bei weitem genug zu sein. Und wer wollte heute schon sagen, wie genau das lol von /imolk/ lautete? Am schwierigsten ist meist, das richtige Maß bei der Bewertung einer Etymo­ logie zu finden. Das hat weniger mit der Dokumentation als mit der Methode selbst zu tun. Sicher, das linguistische Arsenal Hemps hat uns ebenso beeindruckt wie seine weitreichenden Kenntnisse des Sanskrit und des Hittitischen, seine voll­ endete Kunst, mit Laryngalen und Nachbildungen umzugehen und Vorschläge zu machen. Doch bedarf es wirklich all dieser schweren, indoeuropäischen Gerät­ schaft, um einem einfachen Problem Herr zu werden, welches sich aller Wahr­ scheinlichkeit nach nur auf die irische Lexikographie und Etymologie bezieht? Überdies geht imbolc nicht einmal auf das Gemeinkeltische zurück, und wir ver­ fügen über keinerlei Entsprechungen im Walisischen und Brittannischen. Steht die genaue Wortbedeutung einmal fest - und mehr noch, wenn das nicht der Fall ist -, so sollten wir alle Verrenkungen und Phantasien linguistischen Ein­ fallsreichtums meiden. Die menschliche Entwicklung läßt sich ebensowenig durch mathematische Gleichungen erfassen wie der physische Aspekt der Lautbildung. Ein wahrer Forscher benötigt sicherlich intellektuelle Flexibilität, doch heißt das

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noch lange nicht, daß er deshalb Hochseilakte der Wissenschaft vollziehen muß. Wir sind also nach wie vor der Ansicht, daß eine gute Etymologie einfach sein sollte - je komplizierter, desto gefährlicher. Auch die Natur einer Etymologie soll­ te respektiert werden. So basiert die antike oder mittelalterliche, analogistische Etymologie auf zwei untrennbaren Elementen: - die phonetische Ähnlichkeit einerseits - die formelle und semantische Interpretation dieser Ähnlichkeit ande­ rerseits.

Wir sollten sie also als solche zur Kenntnis nehmen und nicht versuchen, sie in irgendeiner Weise umzuinterpretieren, was sie selbst null und nichtig werden lie­ ße. Cormac berichtet uns, daß die Schafe zu oimelc Milch bekommen. Er gibt dabei weder ein genaues Datum, noch den eigentlichen Namen Imbolcs an. Wir setzen die Interpretation also gewissermaßen fort, indem wir diesen Vergleich an­ stellen. Auch der zweite Schritt von Hemps Ansatz ist deswegen nicht unbedingt falsch, da er versucht, die Etymologie Cormacs wissenschaftlich zu stützen, nicht indem er die Analogie als solche übernimmt, sondern ihr eine gewisse Existenzberechti­ gung einräumt, was in zwei Bemerkungen zum Ausdruck kommt: - Die Etymologie Cormacs (und Myles Dillons!) «is overdrawn because we are not really assured that sheep alone are meant, and it is imprecise because we are not toldjust what the role of the milk(ing) was in connection with the feast.» (S. 106) - Aber «it is clear that the initial portion cannot be oi «sheep», since we must then expect a lenited m. Cormac’s gloss must then be regarded, though ceratinly not truly as fanciful, as a later folk explication.» (S. 106)

Das führt ihn paradoxerweise zum Schluß, Imbolc als «a laterform» zu verste­ hen, indem er von einem früheren *imb-(m)olg ausgeht und eine Stammwurzel *molgo- («melken») rekonstruiert, weil «it looks indeed as if we are surely dealing with a name based on an old pastoral or husbandman's term.» (S. 106) Abgesehen davon, daß wir uns nur schwer vorstellen können, wie sich eine späte Form mit einem archaischen Präfix hätte bilden sollen, sieht die Argumenta­ tion auf den ersten Blick recht solide aus: Die seltensten und überzeugendsten Querverweise werden herangezogen, um schließlich mittels der Demonstration der Reinigungsfunktion der Milch zu den februaria zurückzugelangen. Auch mit folgender, sehr treffenden Bemerkung stimmen wir völlig überein: «A guiding, if often neglected, principle of etymological research is that we must always observe the syntaxes, especially the habitual syntaxes, into which the

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elements enter.» (S. 107) Doch verlangt die Betrachtung der Syntax auch einen genaueren Blick auf die Morphologie, die wiederum den Satzbau nach sich zieht. Insofern ähnelt die Arbeit des Sprachforschers, der der Biologie und der Anato­ mie. Er muß in der Lage sein, die Worte richtig zu sezieren, um die Bauteile ganz und unversehrt zu erhalten. In einem Bereich, in dem Wahrheit und Illusion sich so täuschend ähnlich sehen, darf ihm nicht der geringste Fehler unterlaufen. Denn nichts ist leichter in der Etymologie, als richtig zu klingen und falsch zu argumen­ tieren. Nehmen wir also die Elemente dieser Frage etwas genauer unter die Lupe. - Die Texte, die wir anführten, geben uns lediglich Aufschlüsse bezüglich des Kalenderdatums von Imbolc. Allein der Vierzeiler der Hibemica Minora streift flüchtig archaische Riten, die im Reinigungseifer der Schüler und Nachfolger des Hl. Patrick verloren gingen:

- Bestimmte Speisen der Reihe nach zu kosten - sich Füße, Hände und Kopf zu waschen. - Wir stellen uns nun aber die Frage, ob man sich normalerweise mit Milch wäscht. - Wir sagten bereits, daß es sich beim Wort Imbolc um eine feste, uralte Schreibweise handelte. Zur Zeit, in der sie uns überliefert wurde, wurde das -b- schon lange nicht mehr ausgesprochen. Es liegt nun an uns zu unter­ scheiden, wo es sich um Phantasie, Nachlässigkeit der Rechtschreibung oder Merkmal einer Entwicklung handelt. Das ist im Bereich des Kelti­ schen nicht immer sehr leicht. Eine solche Entwicklung konnten wir der Form imolg entnehmen, aus der sich schließen läßt, daß das Inlaut-b von Imbolc durch die Aspiration verschwand. Die irische Rechtschreibung, die von einem Schreiber zum anderen und von einem Text zum anderen variiert, weist doch auch Phäno­ mene dieser Art auf: Es zeigt sich, daß stimmhafte Konsonanten Tendenz haben, von zwei sie umgebenden Vokalen «geschluckt» zu werden. Es ist auf jeden Fall klar, daß die Form Im(b)-olc älter ist als imolg, und das ganz einfach deswegen, weil in der gesamten irischen Sprachgeschichte das imbälter ist als das im(m)-. Und mag sich das im(m) auch in den Würzburger Glossen finden, so läßt sich daraus lediglich schließen, daß das Graphem wie auch das Phonem imb- bereits im 8. Jahrhundert veraltet war. Das Gegenteil wäre mehr als überraschend: Es wird heute allzu oft vergessen, daß das Irische, auch in seiner «goidelischen» Form, die heute als «Uririsch» bezeichnet wird, bereits eine neukeltische Sprache ist. Natürlich bestreitet das keineswegs die Beziehung und die Verwandtschaft, doch

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aber eine sichtbare oder fühlbare, direkte Fortführung des Altkeltischen durch das Keltische des Mittelalters. Wir wollen damit sagen, daß die Form Imbolc, gleich wie groß ihre morphologischen Verdienste auch sein mögen, immer im Rahmen der irischen Geisteswissenschaft interpretiert werden sollte: Ihre Bestandteile sind irisch, und es bestehen keinerlei Hinweise auf frühere Formen. Insofern ist ein mittelbarer oder unmittelbarer Rückgrif auf das Indoeuropäische ebenso uner­ wünscht als unnötig, um die morphologischen und semantischen Beziehungen zu erfassen, die die einzelnen Bestandteile miteinander verbinden. Es besteht offen­ bar keine Verwandtschaft zum Lateinischen oder Germanischen. Ja wir verfügen nicht einmal über eine brittannische Entsprechung. Es wäre demnach völlig ab­ surd, nach dem gallischen Namen Imbolcs zu suchen, oder davon auszugehen, daß dieses Wort in Gallien anläßlich eines Festes am 1. Februar verstanden wor­ den wäre. Noch absurder wäre es schließlich, nach verwandten Worten im Lateini­ schen oder Germanischen suchen zu wollen. Es hätte keinen Sinn, die detaillierte Untersuchungen der riesigen Dokumenta­ tion des RIA Dictionary, 1/1, S. 101-112 wieder aufzunehmen (siehe auch Rudolf Thumeysen, Grammar of Old Irish, S. 517-518, § 814). Ihre Schlüsse lassen sich in wenigen Zeilen zusammenfassen:

- Im(b), Dativpräposition, die auch als Präfix und Präverb fungieren kann. Die nominale Seite des Kompositums Imbolc kann jedoch nicht ge­ nug unterstrichen werden. - Die Bedeutung ist ganz offenbar rückbezüglich, wie das auch in brittannischen Vergleichsfällen der Fall ist: walisisch am, ym, bretonisch em (manchmal am- in Komposita), altkeltisch ambi-, - Mit oder ohne das -b im Auslaut, provoziert im(b) die Lenisierung des Anfangskonsonanten des nachfolgenden Wortes. Dieser letzte Punkt ist für die Etymologie von größter Bedeutung. Denn haben wir einmal die unmögliche Form *imb-bolg eliminiert, so müssen wir feststellen, daß, das b- von imbolc/imbolg zu einem bh- geworden wäre, wenn es zu einem Substantiv bolg «Sack» gehört hätte. Das Ergebnis wäre ein *imbholg/imbholc gewesen, dessen bh ganz natürlich zu einem /w/ tendiert hätte. In jedem Fall aber hätte es eine Spur in der Aussprache und noch mehr in der Schreibweise hinterlas­ sen. Folgen wir den Regeln der irischen Lautverschiebungen, so kann nur ein ursprüngliches f- zu einem behauchten fh- werden, welches aufgrund der Lenisierung nicht mehr ausgesprochen werden würde. Es wird zwar meist, aber nicht unbedingt geschrieben. Das typischste Beispiel erläuterten wir bereits in den Druiden (S. 219). Es handelt sich um den Zaubergesang des imbas (forosnai), welchen Rudolf Thumeysen mit «das große allumfassende Wissen» übersetzte

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(Zeitschrift für Celtische Philologie, 19, S. 164), ein Wort welches sich in imbfhess bzw. imb-fhius gliedert. Die normale Schreibweise ist im(m)as (zusammen­ gezogenes imbas) oder später iomas (RIA Dictionary 1/2, S. 66). So spricht man in den Versabhandlungen z.B. von einem sreth imaais («Bach der großen Wissen­ schaft») Irische Texte, III, 30, 14). Imbas ist wie Imbolc eine archaische Schreib­ weise. Letzteres muß also definitiv auf *imb-fholc zurückgeführt werden. Der zweite Bestandteil des Kompositums ist also der Stamm (oder das Wort) folc. An diesem Punkt bleibt uns nichts weiter übrig, als an die Theorie und die Argumentation Vendryes’ anzuknüpfen. Unserem Vorgänger gebührt hier also der alleinige Verdienst der Entdeckung. Fassen wir also zusammen, was uns hier in­ teressiert: das einfache Wort folc bedeutet soviel wie «schwerer Regen, nasses Wetter», doch stehen das abgeleitete Verb folcaid und das Verbalsubstantiv folcud für das «Waschen», besonders des Kopfes (RIA Dictionary, F/2, 266-267). Doch merkte Vendryes an, daß es sich bei dieser Spezialisierung um eine spätere Neben­ bedeutung handelte (op. cit. S. 244). Ursprünglich bezog sich das Wort also auf den Waschvorgang im allgemeinen. Handelt es sich hierbei um ein sehr antikes Ritual, welches auf ein antikes, religiöses Konzept zurückgeht, oder aber um einen Brauch, der in der unauslösch­ lichen und hartnäckigen Folklore überlebt hat? Nur eines wissen wir mit Sicher­ heit: Imbolc ist der Name einer rituellen Waschung. Im Walisischen hieße es *ymolch, im bretonischen *emwalc’h. Doch gibt es keinerlei Spuren, solcher Na­ men, da das vorchristliche Fest seit langem aus der Erinnerung und dem Vokabu­ lar Brittanniens verschwunden ist. Der semantische Vergleich mit dem lateinischen februare (das dem lustrare entspricht) ist also völlig gerechtfertigt. Doch liegt da ein gewaltiger Spalt zwi­ schen den reichlich belegten römischen Riten und den mageren Spuren des Neu­ keltischen. Die «italo-keltische» Tradition, auf die Vendryes verweist, bedarf der größten, methodologischen Vorsicht, da ihre eventuelle Erklärung in den Bereich der Religionsgeschichte fällt. Der Ehrgeiz des Geisteswissenschaftlers geht jedoch nicht weiter als die Reinigung der Warzen und krebsartigen Geschwüre linguisti­ scher Auslegung: Es kann also schon als positives Ergebnis gewertet werden, eine feste Grundlage für spätere Diskussionen geschaffen zu haben. Eine letzte Bemerkung gilt der Bedeutung der Vorsilbe. Vendryes schreibt loc. cit., S. 244: «Was die Vorsilbe imb- betrifft, die dem Wort folc vorausgeht, so könn­ te sie auch als «völlig, ganz» verstanden werden, eine Bedeutung, die dem generell als «um herum» übersetzten -imb auch oft zukommt. In den kelti­ schen Sprachen bezeichnet diese Vorsilbe oft eine gewisse Rückbezüglichkeit. So kann der Name des Frühlingsfestes, dem in der gesamten Antike ein

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agonistischer Charakter beigemessen wurde, durchaus auch eine Art «Wett­ eifer oder «Wettstreit» bezeichnen. Demnach könnte imbolc als «wettei­ fernde oder rivalisierende Reinigung» übersetzt werden.

Was die Bedeutung und die Entwicklung des imb- im Irischen (wie auch übri­ gens in allen anderen keltischen Sprachen - des walisischen ym- und des bretoni­ schen em-) betrifft, so hat Vendryes sicher recht. Doch spinnen wir den Gedanken weiter und gelangen so zu einer anderen Lösung. In Wirklichkeit waren die reli­ giösen Feste im vorchristlichen Irland nur in den seltensten Fällen von Rivalitäten und Wettkämpfen, sondern eher von Prunk und Großzügigkeit geprägt. Dem sei hinzugefügt, daß die rückbezügliche, bzw. reflexive Bedeutung keineswegs im Gegensatz zu einer solchen Fülle und Vollendung steht, sondern sogar beides an­ klingen lassen kann. Denn Imbolc war der Augenblick des Jahres, an dem die nachwinterliche Lustration gespendet oder empfangen wurde. Müßte man in den feuchtkalten Gefilden Nordwesteuropas am ersten Februar nicht noch ein Weil­ chen auf den eigentlichen Frühling warten, so wäre das Wort «Frühjahrsputz» gar nicht so fehl am Platz. Daraus soll nun jedoch nicht gefolgert werden, daß Imbolc einem bäuerlich­ bukolischen Fest gleichkommt, das die Erneuerung der Natur feiert. Zumindest aus dem Namen und der Etymologie des Festes läßt sich nichts dergleichen schlie­ ßen. Es scheint vielmehr einen bestimmten Kalendertag zu bestimmen, als auf einen Tag ausgelassener Feststimmung voll beeindruckender Feierlichkeiten hin­ zudeuten. Doch noch einmal: Das große Manko ausführlicherer Textstellen verbannt uns ins Reich bedauernswerten Unwissens: Das hier zusammengesuchte Material er­ schöpft so ziemlich die Interpretationsmöglichkeiten der linguistischen Dokumente und eine gewisse wissenschaftliche Vorsicht mahnt uns, nicht weiter zu gehen, als es unsere Kenntnisse erlauben. Nicht an der Philologie als solche mangelt es, son­ dern an den Quellen. Doch bereits die Frage, warum diese Quellen versiegt sind, obliegt nicht mehr der Geisteswissenschaft.

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ANHANG 3 BELTEINE ODER DAS FEST DER PRIESTER Belteine am ersten Mai ist das Fest des Feuers und des Lichts. Diese Bedeu­ tung läßt sich schon dem Namen entnehmen: Bel- «Licht» und teine «Feuer». So zumindest verstanden es die Iren des Mittelalters, und wir haben keinen Grund dazu, die Dinge umzuinterpretieren. Die phantastische Etymologie MacBains (Mythology, S. 160), die von einem Stamm beit ausgeht, welches dem littauischen baltas («weiß») und dem germanischen Göttemamen Baldr verwandt sein soll, kann also gleich eingangs verworfen werden. Auch die von d’Arbois de Jubainville vorgeschlagene Etymologie sollte angezweifelt werden: Er ging von einem «Infi­ nitiv» *beltu-, Genitiv beiten, Dativ *beltin aus, der sich im Altirischen im Kom­ positum epeltu «Tod» gehalten haben soll und auf *ate-belatu- zurückzuführen sei (Cours de Littérature celtique, II, S. 243 mit einem Verweis auf die ebensowenig überzeugende Grammatica Celtica von Zeuß, der zwar auf eine solche Wurzel, nicht jedoch auf eine solche Wortbildung hinwies.) In der Tat ist es ziemlich un­ wahrscheinlich, daß das Fest des Lichtes und des Beginns der hellen Jahreszeit dem Gott des Todes geweiht war. Die wichtigsten Dokumente zitierten wir bereits im Rahmen des Kapitels zum ersten Mai. Die auf dem Licht und dem Feuer basierende Etymologie ist also eben­ so klar wie unbestreitbar. Was bisher jedoch kaum erwähnt wurde, ist der pan­ keltische und archaische Charakter des Götternamens: Tritt Bel- im Irischen auch nur in Zusammenhang mit dem Kompositum Belteine auf, so entspricht es doch ganz eindeutig dem kontinentalkeltischen Göttemamen Belenos, bei dem es sich höchstwahrscheinlich um eine ebenso unverrückbare wie archaische Form han­ delt, die nicht nur in ganz Gallien, sondern im gesamten Bereich der europäischen Festlandkelten belegt ist. Die große Anzahl der Inschriften im ganzen römischen Reich läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß dieser Götterkult weit verbreitet war (siehe Jacques Gourvest, Le culte de Belenos en Provence occidentale et en Gaule, in Ogam 6, 1954, S. 257-262. In diesem Artikel, der in den letzten vierzig Jahren oft geplündert und selten zitiert wurde, finden sich Anmerkungen zu den wichtigsten Texten, allen voran A. Holder Altceltischer Sprachschatz, I, 370-373 und II, 827-828 & Paula-Wissowa, Real-Encyclopädie, unter Belenus und supplément.)

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Der Göttemame findet sich auch in einigen neukeltischen Worten wieder: wa­ lisisch Cynfelyn, mittelbretonisch Convelen und der Ortsname Plougonvelen die auf die alte Form *Kuno-belenos zurückgehen; der walisische Eigenname Llywelyn geht auf *Lugubelinos zurück (siehe Vocabulaire vieux-celtique, in Ogam 4, 1952, S. 223 und Chroniques, in Ogam 5, 1953, S. 332). Die bemerkenswerteste all dieser Formen, an der sich am besten die weite Ausdehnung über den gesamten Kontinent und das hartnäckige Bestehen des Namens Belenos trotz aller Romanisierung und Christianisierung Galliens ablesen lassen, ist das dialekt­ französische belin («Hexer, Zauberer») (Walter von Wartburg, Französisches Ety­ mologisches Wörterbuch, Tübingen, 1948,1, S. 317b) Auch in einigen Ortsnamen wie Belin, Blin oder Blain findet sich der Stamm wieder. Er ist auch durch die substantivierte Adjektivform Belisama belegt, welches wir als «die sehr Strahlende» übersetzten (Christian-J. Guyonvarc’h, Études de vocabulaire gaulois,!, Le théonyme gaulois BELISAMA «la très brillante», in Celticum, III, S. 161-167). Es handelt sich dabei um eine indoeuropäische Wurzel *bhel-, die im Keltischen besonders den Aspekt des «strahlenden Lichts und Glan­ zes» hervorhebt, während sie in anderen indoeuropäischen Sprachen zu «Bleich­ heit, Weißlichkeit» wurde (J. Pokorny, Indogermanisches Etymologisches Wör­ terbuch, S. 119).

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ANHANG 4

1. LUGNASAD Zusammen mit Samain und Belteine ist Lugnasad eines der drei wichtigen vorchristlichen irischen Feste. Wir wollen an dieser Stelle nicht auf den ersten Teil des Wortes eingehen, der ganz offensichtlich auf den bekannten Göttemamen zu­ rückgeht und dessen Etymologie - abgesehen von der Tatsache, daß Bel und Lug die einzigen Göttemamen sind, die durch die Kalenderfeste zum Ausdruck kom­ men - weniger dringlich ist. Die Etymologie ist vor allem deshalb «weniger dring­ lich», weil wir uns dazu durch eine große Anzahl von Hypothesen und Erklärun­ gen kämpfen müßten, die nicht alle plausibel, kohärent oder gar verständlich sind: Da schwirren die Namen des Raben, der Predigt, der Farbe Schwarz und natürlich auch Lugs. Dieser scheint jedoch ebenso als Sagengestalt der irischen Mythenwelt wie auch als starrer Archaismus des Kontinents auf, während Bel- den irischen Quellen nach ein letzter Überlebensrest Lugs in seiner Lichtgestalt ist. (Siehe Anhang 3) Doch wurde weder die Etymologie, noch die Bedeutung des -nasad bisher nä­ her untersucht. Vendryes begnügt sich in seinem Lexique étymologique de l’irlandais ancien, MNOP, N-3, unter nas mit der Bemerkung «altes Wort oder Name unbekannten Ursprungs, der oft den “Fußknöchel” bezeichnet.» Die allge­ mein akzeptierte Bedeutung ist «Andenken», und die einzige Etymologie wis­ senschaftlichen Einschlags verdanken wir der regen Phantasie John Rhys’ Celtic Heathendom, S. 415: «lt is probable that nasad did not mean either a commémoration or a festival, as might be gathered from Keating and Cormac, since it is a Word ofthe same origin as the Latin nexus "a tying or binding together”, a legal obligation.» Auf dieser Grundlage sprossen nun die schönsten Theorien zu rituellen Brautnächten Lugs mit der Erdenmutter Tailtiu. Glücklicherweise ist die Theorie Heinrich Wagners (Zeitschrift für Celtische Philologie, 31, 1970, S. 13) unbekannter, denn er sieht in -nasad gar ein Verb, welches auf den Namen der Thrakergöttin Bendis zurückgeht und daher nach *bendh- «binden» bedeutete. Demnach sei das Fest Lugs, wie das der Bendis der Anlaß zu einer großen Orgie gewesen. Ohne nun jedoch genauen Einblick in solche «Rituale» nehmen zu wollen, die der keltischen Antike völlig fremd waren, werden wir dennoch aufzeigen können, daß die Bedeutung dieses Wortes eine völlig andere ist, und die Etymologien von Rhys und Wagner, auf die wir uns hier beschränken wollen, gänzlich zu verwerfen

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sind. Das Irische kennt nascim «ich binde (an)» (vgl. bretonisch naskan «anbin­ den, fesseln» und dialektfranzösisch nacher) neben einigen anderen Formen auf nas-. Sein gegenwärtiger Indikativ könnte zwar eine Neuschöpfung sein, doch führt das Verbalsubstantiv naidh eher zu einer Wurzel *nedh, die mit nasad nichts mehr zu tun hat (siehe die Zusammenfassung der Verbalformen in RIA Dictionary, NOP, coli. 11). Wie in allen anderen Fällen auch, ist die Untersuchung der Grundlagen äu­ ßerst schwierig, da die Hauptkommentare auf die irischen Glossenschreiber zu­ rückgehen. Die klassische Erklärung stammt hier aus dem Cormacglossar (hg. Whitley Stokes, Three Irish Glossaries, S. 26).

Lugnasad .i. cluiche no oenach is do is ainm nasad .i. aurtach no cluiche Loga mac Ethne (no Ethlend) nofertha leis um thaide fogamair «Lugnasad, Spiele oder Jahrmarkt, die nasad, d.h. Feiern oder Spiele Lugs, Sohn der Ethne (oder Ethle), genannt werden und die er selbst mitten im Herbst schuf.» Der Text unterscheidet sich kaum von dem des Sanas Cormaic, den Kuno Mey­ er in Anecdota front Irish Manuscripts, IV, 1913, n°796 veröffentlichte.

Lugnasad .i. nasad Loga meic Ethlend .i. aonach bno fertha leis in t[h]aite foghmair in gach bliadhain im thoidecht Lugnasad. Cluiche no aonach is do, is ainm nasad. «Lugnasad, nasad des Lug, Sohn der Ethle, Markt den er selbst zu Be­ ginn des Herbstes eines jeden Jahres am Tage Lugnasads schöpfte. Spiele oder Jahrmarkt, die den Namen nasad tragen.» Bei O’Davoren, hg. Whitley Stokes, Archiv für Celtische Lexicographic, II, S. 425, 1292 findet sich: Nasadh .i. gnathugud, ut est nasad Beäon Mellan .i. nö sasadh, ut est sceo nemnasad «Nasad, Brauch, das ist das Gewöhnliche von Beoan [und] Mellan, oder nasadh, das ist wenig zufriedenstellend.»

Dieses «wenig zufriedenstellend» ist reichlich verwirrend, und wir können hier keinen besseren Erklärungsvorschlag bieten als Whitley Stokes, der da schreibt: «The former gloss is the same as the gloss in LB (Fel., p. CLIII), but according to the note (Fel., p. CLIX) Nasad is the proper name of a British saint. The second gloss (sceo neim n.F.) is obscure and obviously corrupt.» Keating, Forasfeasa ar Eirin oder «Grundlagen einer irischen Geschichte», I, 39, hg. Dinneen, II, Irish Texts Society, VIII, S. 218, versieht die traditionelle Etymologie mit einer zusammenfassenden Erklärung.

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Tar ceann iomorro gurab 6 Lughaidh Lamfhada do thionnscain aonach Tailltean ar diüs mar chuimhniughadh bliadhna ar a bhuimigh fein Tailltin inghin Maghmoir ri Easpainne fa bean d’Eochaidh mac Eire ri ddidheanach Fhear mBolg amhail adubh-ramar thuas - armbeith trä do Tailltin ar n-a hadnacal le Lughaid san tulaig sin do commoradh aonach Tailltean leis mar nasadh ro marr chuimhniughadh uirre, gonadh uime sin do gairthi Lughnasa .i. näsadh no cuimhhnuighaidh Logha dhon cheadlä d’AUgust ar a bhfuil feil Gheibheann Pheadair aniü - tar ceann go raibhe feart is aonach Tailltean ann 6 aimsir Lughdheach Lämfhadha maseadh ni raibhe Taillte “n-a rioghphort go haimsir Thuathal Teachtmair. «Wenn es auch Lughaid mit der langen Hand war, der als erster im jährlichen Gedenken an seine Amme Tailtiu, die Tochter Magmors, des Königs von Spanien und Gattin Eochaidhs, Sohn Eres, des letzten Königs der For Bolg, die Versammlung von Tailtiu einberief, wie wir es bereits oben erwähnten, so gründete Lugaidh doch auch den Jahrmarkt oder nasadh von Tailtiu zu ihrem Gedenken, als er sie unter diesem Hügel bestattet hat­ te. Deshalb wurde der erste August, der heute das Fest des Hl. Petrus in Ketten feiert, Lughnasa, d.h. nasadh oder Andenken an Lugh genannt. Auch wenn es den Berg und den Markt schon seit der Zeit Lughaids mit der langen Hand gab, so wurde Tailtiu erst zur Zeit Tuathal Teachtmars zur Königsfestung.» Es handelt sich hierbei um eine Pseudolinguistik, von der wir uns heute ab­ grenzen müssen. Doch zeigt sie, welch starken Einfluß die Tradition noch vor gar nicht so langer Zeit auf den klassischsten aller irischen Autoren ausübte. Alle weiteren Erklärungen gehen in dieselbe Richtung:

Nasadh. i. cuimnuighadh ut est Lughnasa. i. nasadh. i. Logha mic Eithinn «nasadh, d.h. Andenken, d.h. Lughnasa, d.h. nasadh Lugs, Sohn der Eithne.» (Eugene O’Curry, Brehon Laws Transcripts, 1282); Nassad ,i. gnathugud no nasad ,i. clu ut est nasadh beo[ä]in .i. clu beeoiain. sic est ainm hüi nassadaigh neill .i. clu coluim cille 7 deismirecht orro sin

Nassad beoain mellain nachmod atachiam inmain cethrur coir feil ingin maic niar

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«Nassad, d.h. Brauch oder nassadh «Ruhm», d.h. nasad Beoan bedeutet Beoans Ruhm, so lautet der Name eines berühmten Nachfahren Nialls, Ruhm des Columcille, und hier ein Beispiel:

Nassad von Beoan und Mellan, die wir nicht sehen (?), die vier geliebten Gerechten, das Fest der Tochter von Niars Sohn.»

(A Glossary to the Calendar of Oengus the Culdee, hg. Whitley Stokes, Three Irish Glossaries, London, 1862, S. 137, 26. Okt.)

Im O’Clery-Glossar, Revue celtique 5, S. 27, finden sich fünf Anmerkungen, die für uns von Interesse sind. nas .i. cuimniughadh no feil bhaäis nasadh .i. aonach nasadh .i. gnathuguadh no clii nasadh .i. oirdheirc

«Totengedenken oder -feier» «Versammlung» «Brauch oder Ruhm» «berühmt»

Doch handelt es sich beim Wort nas «Tod» sicher nicht um dasselbe Wort wie nasad «Ruhm», oder es ist als Adjektiv «berühmt» ein abgeleitetes Semantem. Bleiben «Andenken» und «Versammlung». Diese zweite Bedeutung dominiert, sobald der Text nichts mehr mit der Erklä­ rung Lugnasads zu tun hat und die Lexikographie nicht mehr in Betracht zieht. Temair indiu cid fäsach, boi re ba nasad niad

«Auch wenn Tara heute verlassen ist, so fand hier früher doch die Versammmlung von Helden statt (hg. Gwynn, Metrical Dindshenchas, I, S. 28, Verse 7-8, der nasad sicherlich zu frei als «Wohnstätte» übersetzt). Das RIA Dictionnary, NOP, col. 15, schlägt «place of gathering» vor. Ba hed nasad Loga Idin sasad sona, saimnach süail

«Das war die Versammlung des vollendeten Lug, fröhliche Zufriedenheit und Freuden, die so klein nicht waren.» (Hg. Gwynn, Metrical Dindshenchas, I, S. 50, Verse 41-42).

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In Cath Maighe Tuireadh in Ath Dara dein i rragbad Loegaire mac Neil. näsad fir nandula de iss ed ro marb Loegaire.

«Loegaire der Sohn Neills wurde bei der Schlacht an der schnellen Ath Dara gefangengenommen; getötet aber wurde er durch die wahre Vereini­ gung der Elemente Gottes» (Lebornahüidre, hg. Best-Bergin, Zeilen 98129815). Whitley Stokes, Revue celtique 6, S. 168 übersetzt nasad mit «Sank­ tion» («the just sanction of the elements of God, it is which killed Loegaire»). Doch hat die wirkliche Bedeutung von nasad nichts mit der christlichen Moral zu tun. Das wird auch aus der Geschichte um den Tod Loegaires klar: Er schwor bei den Elementen Wasser, Feuer, Luft und Erde und hielt nicht Wort. Nasad ist also die «Zusammenkunft» dieser Elemente, die den Meineid bestrafen (vgl. Zeit­ schrift für Celtische Philologie, 8, S. 118, § 25 und Whitley Stokes, The Tripartite Life, S. 566, 28)

in fail anaill nasad n-an, a be barrbude balban.

«Gibt es sonst eine so strahlende Versammlung, oh Dame mit blondem Haar und weißen Gliedern?» (Tochmarc Ferbe, Irische Texte III, S. 520, § 8); Ua as dech 6s grian glan-gne rochin O Niall, nasad ngle, Colum Cille rogab h-I buaid fir bi fil i tig De.

«Der beste Nachfahre, der dem strahlenden und klaren Boden der glän­ zenden Versammlung Nialls entsproß, war Colum Cille, der Iona besaß, der edelste Mann in Gottes Haus.» (Metrical Dindshenchas, II, S. 40, Verse 65-68), wo die Bedeutung der «Versammlung» auf die Nachkommenschaft Nialls angewandt wird und sogar besser paßt, als die von Gwynn vorge­ schlagene Übersetzung durch «Ruhm» (glory). Lüadim Loch Neil, näsad ngle i fuair bäsad bronaide mac Enna aignig ergna do slüag saidbir saer-Themra.

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«Ich spreche von Loch Neil, der strahlenden Versammlung, wo die be­ rühmten Söhne Enna Aignechs aus der reichen Truppe Taras einen bedau­ ernswerten Tod fanden.» (Metrical Dindshenchas, III, S. 404, Verse 1-4). Wir würden nasad selbst im folgenden Beispiel mit «Versammlung» überset­ zen:

Laech dosrimthais, ropu ri; nirb fand a chli fo bith-che; ba suail do Niall, näsad din, co toracht creitem dil De.

«Ein Held rief sie zusammen; er war König. Das war kein schwacher Balken dieser Welt; das war [kurz] vor Niall, Versammlung und Schutz, bis der gesegnete Gottesglaube kam.» (Metrical Dindshenchas, II, S. 38, Verse 41-44); besser als Gwynns Übersetzung «his fame was a shelter». Die Be­ deutung von din, das im Nominativ steht (Genitiv dina), Windisch, Wörter­ buch, S. 482b) wird beibehalten. Insofern ist es schwer, Lugnasad nicht als «Versammlung Lugs» oder etwas freier «zu Ehren Lugs» zu übersetzen. Die Bedeutungen «Andenken» und «Ruhm» kamen erst später durch die Eigenschaften des Festes selbst hinzu. Die mittelalter­ lichen Glossenschreiber setzten also, wie dies oft der Fall war, die Folgen mit den Ursachen gleich. Was die Etymologie betrifft, so könnten wir mit allem Vorbehalt, den diese Art der Untersuchung gebietet, auf den Göttemamen Ndsatya und das Sanskrit-Wort näsate hinweisen, welches «gesellt sich zu, vereinigt sich mit jemand» bedeutet (J. Pokorny, Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch, S. 765). Die indoeuro­ päische Wurzel *nes kommt sonst im Keltischen nicht vor, doch handelt es sich bei nasad mit Sicherheit um ein sehr altes Wort, und es sei vergleichshalber darauf hingewiesen, daß auch Samain und Samonios die einzigen keltischen Belege für das indoeuropäische *sam- «Versammlung, Zusammenkunft» sind (siehe oben). Die erste Bedeutung unterstreicht also nicht, wie Rhys annahm, den verpflichten­ den Aspekt, sondern den der Versammlung: Die Religion ist nicht unbedingt auf die menschlichen Gesetze angewiesen.

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2. DER NAME DES HERBSTES : BRON TROGAN Zu einem bestimmten Zeitpunkt der langen Version des Tochmarc Emire oder der «Brautwerbung um Emer», müssen Cuchulainn und Emer doppelsinnig mit­ einander sprechen, um nicht von fremden Zeugen verstanden zu werden. In die­ sem Zuge macht Emer ihre ebenso eigenartigen wie epischen Bedingungen für eine Heirat klar. Unter anderem muß ihr künftiger Gatte in der Lage sein, 6 samain co beltine also «von Samain bis Belteine», d.h. von November bis Mai, kein Auge zuzudrücken. Kurz darauf erklärt Cuchulainn seinem Kutscher den Inhalt des Gesprächs, was einer der wenigen Erklärungen gleichkommt, die uns zu den Jah­ reszeiten des altirischen Kalenders gemacht werden. Wir wollen eine kurze Stelle aus diesem Gespräch im Originalton wiedergeben:

Co cron togain .i. lugnasad .i. taite fogamuir .i. is and dobröini trogan .i. talam fo thoirthib. Trogan ainm di thalmain. «Bis zum Herbst, d.h. Lugnasad, den Beginn des Herbstes: die Erde wird traurig, die Erde steht in der Frucht. Trogan ist der Name der Erde. (Veröffentlichung der Handschrift D. 4.2. in A.G. Van Hamel, Mediaeval and Modem Irish Series, III, S. 43, § 55). Dieser Auszug ist dem Beginn der ältesten und kürzesten Fassung in der MS Rawlinson B 512 sehr ähnlich:

Asselbhthea dine cecha cethrae for seilb Beil. Beldine iarom .i. belltine. Co Brön Trogin .i. taiti fogmuir .i. is and dobroni trogan fua torthib, Trogan diu ainm do thalam. «Die Jungtiere jeder Herde wurden zum Eigentum Bels erklärt. Bel­ dine heißt also eigentlich Bel-tine. Das fand am Herbstbeginn Bron Trogin, d.h. dann statt, wenn die Erde sich traurig unter ihrer Frucht beugt. Trogan ist demnach der Name der Erde (hg. Kuno Meyer, Revue celtique 11, S. 442; vgl. unser Übersetzung in Ogam 11, S. 414-415).

Das RIA Dictionary, B, S. 199-200 hält zwei Hauptbedeutungen für das Sub­ stantiv brön und das Adjektiv brönach fest: - sorrow, grief, grieving; lamentation; - distress, bürden...

Windisch gab sich in seinem Wörterbuch, Irische Texte I, S. 405 mit einer einzigen Bedeutung zufrieden: «Kummer, Sorge» und übersetzte das Adjektiv mit «sorgenvoll, traurig». Aber Kuno Meyer, Archiv für Celtische Lexicographie, S. 268 gibt drei verschiedene wieder:

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- bron .i. troscadh

«fast or fasting» «sorrow, grief» «weight ?, bürden ?»

Die erste Bedeutung ist wahrscheinlich nur eine Ableitung der beiden anderen, die uns eher interessieren. Zum Wortgebrauch führt Kuno Meyer nur eine einzige Textstelle an, die je­ doch genügt uns (Aidhedh Fergusa, Silva Gadelica I, S. 247): doberat ar siat in mag mörsa na hEmma fä bröin chruithnechta gacha bliadna gan tsfol gan trebad «Wir werden es bewerkstelligen, sagten sie, daß diese große Ebene von Emain ohne Aussaat oder Anbau jedes Jahr unter einer Masse von Weizen steht.» Hinsichtlich des Kontexts kann brön kaum etwas anderes bedeuten, so daß es nicht weiter nötig erscheint, die Fragezeichen Meyers zu berücksichtigen. Auch kann es unmöglich verwechselt werden mit Worten wie: bronnaim «I bestow, present, spend, consume», bronn-chain «fair-bellied»; bronn-dalta «bossomfostering» (K. Meyer, op. cit., S. 269) da die etymologische Analyse uns dazu anhält, bru (Gen. bronn), das auf ein Gemeinkeltisches *brusno- (walisisch bron, bretonisch bronn («Busen») zurückgeht, von *brugno- (walisisch brwyn «Traurig­ keit») zu unterscheiden. Ist die indoeuropäische Herkunft des ersten Wortes be­ reits identifiziert (siehe J. Pokorny, Indogermanisches Etymologisches Wörter­ buch, S. 170: *bhreu-s «schwellen, sprießen») so scheint *brugno- noch nicht ganz geklärt. Gehen wir davon aus, daß Bron Trogain den Herbst bezeichnet, so scheint es klar, daß es sich bei brön «Last, Gewicht, Masse» um dasselbe Wort handelt wie brön «Traurigkeit», wobei das eine im wörtlichen, das andere im über­ tragenen Sinn gebraucht wurde, wie das auch beim walisischen brwyn der Fall ist, welches als Adjektiv gebraucht wird: na vit urwyn dy vryt «daß Deine Gedanken nicht traurig seien» (J. Gwenogvryn Evans, The poetry in the Red Book of Hergest, coli. 1037) Im Aidhedh Fergusa fände sich demnach die eigentliche Bedeutung, die auf ein archaisches Motiv zurückgeht, da sie auf die Diskussion des Fomoiren Bres mit den Tüatha De Dänann am Ende der Cath Maighe Tuireadh zurückgeht, die sich um die Fruchtbarkeit der Erde rankt (Textes mythologiques irlandais, I, S. 58, §149-161). Die schwere Last der Früchte oder des Getreides widerspricht in dieser Hinsicht keineswegs der traurigen Herbstatmosphäre. Da der altkeltische Stamm brug- lautet, - bei -no handelt es sich um ein sehr gängiges Superlativsuffix könnten wir auch die Annäherung an das lateinische frux, frugis «Frucht, Produkt der Erde» anstellen, auch wenn sich bei der Klärung des Wortes/rwor einige Schwie­

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rigkeiten ergaben. (A. Ernout-Meillet, Dictionnaire étymologique de la langue latine, 1959, S. 256b-257a: «Das vorliegende fruor ohne g ist nicht sehr leicht zu erklären. Im Germanischen gibt es keine Spuren eines labio-velaren Lauts, der einem gw ähnelte, der auch keinen Platz nach einem u hätte. Dabei müßte man von einem *brugh-we- mit einem Formationselement -w- wie in uiuo ausgehen, auf das außerhalb des Lateinischen nichts hinweist.) In der Tat unterstellt J. Pokorny, Indogermanisches Etymologisches Wörter­ buch, S. 173, wie zu erwarten, der indoeuropäischen Wurzel *bhrug- alle italischen Wörter der Familie fruor, fructus, wie auch im Germanischen das gotische brukjan, althochdeutsch bruhhan, neuhochdeutsch brauchen, usw. In der italischen Reihe ist vor allem das lateinische fruniscor, eine archaische Doppelform von fruor be­ merkenswert, die Pokorny auf *frug-niscor zurückführt. Abgesehen davon, daß das Keltische eigentlich nur von einer Nominalform ausgeht (das Verb brönaim «ich bin traurig», Revue celtique 26, S. 48 & 253 ist eine Ableitung von bron), so gehören das irische bron und das walisische brwyn doch zu den Ableitungen des indoeuropäischen *bhrug-. Es mag vielleicht stören, daß das walisische brwyn nur eine Bedeutung aufweist, doch treffen wir im neukeltischen nur selten auf eindeu­ tige vorchristliche Metaphern bezüglich der Namen der Jahreszeiten. Trogan ist der Name der Erde (wir verweisen diesbezüglich auf die Verweise des RIA Dictionary, T/2, coli. 415) mit der zeimlich genauen Bedeutung einer «Erzeugerin», so daß die Verwandtschaft zum Verb trogaim «erzeugen, gebären», wie es im Mittelirischen geläufig war, offensichtlich wird. Die doppelt metaphori­ sche Bedeutung von Bron Trogain wird hiermit eindeutig: der Herbst ist die Jah­ reszeit, in der die Erde sich schwer unter der Last ihrer Früchte und ihres Getrei­ des beugt. In dieser Hinsicht sollte auch Michéal O’Brian Hibemica, in Zeitschrift für Celtische Philologie, 14, S. 323 zitiert werden: «Aya-stem, derivative of this appears in the late Latin troja - *sow, French truie, from a form *troja. The meaning would have been originally «the bearer, producer» and exactly parallel to Irish birit «sow», also = bearer.» Das geht ganz und gar nicht in die Richtung der üblichen Erklärungen des französischen truie («Sau»): vgl. Bloch - von Wartburg, Dictionnaire étymologique de la langue française, 1950, S. 642a: Truie, lat. pop. troia, 8. Jahrhundert (Gloses de Cassel) kommt vom porcus troianus «(mit Kleinwild) gefülltes Schwein»; siehe auch Macrobus, Satires, II, 9; ironische Namensgebung in Anspielung auf das trojanische Pferd». Auch A. Dauzat schreibt (Dictionnaire étymologique de la langue française, 1939, S. 738a): «truie (12. Jahrhundert) vom niederlateinischen troia (8. Jahrhundert Casseler Glossen), welches auf porcus troianus («gefülltes Schwein») basiert und auf das trojanische Pferd anspielt.» A. Meillet drückte sich

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da schon vorsichtiger aus (Op. cit., S. 704a): «troia “truie”. Findet sich in keinem Text, nur in den Casseler Glossen aus dem 8. Jahrhundert. Scheint in Bezug zum porcus troianus des Macrobus (Sat., II, 9) zu stehen.» Auch Littré sieht sich in seinem Dictionnaire de la langue française, unter truie, 1393-1394 vor, wenn er sich fragt: «Wo kam nur das c der ältesten Form von 844 hin, die sich auch im Niederlateinischen troga und dem provençalisehen truiga wiederfindet.» Diese Frage ist überflüssig, denn *troga ist eng mit dem Insel­ keltischen verwandt und war eine frühere Form von troia. Und Littrés Annahme bestätigt sich, daß dieses *troga sich auch im franzöischen Ortsnamen Truye (Indreet-Loire) wiederfindet, welches im Jahre 844 Troicis, 860 Troium, 1010 Troilis hieß, und in seiner heutigen Form auf *troicis den Plural Dativ und Ablativ des Singulars troica zurückgeht (vgl. du Cange, 1681, Bd. 2, S. 191-192 unter troia; zum Ortsnamen, Holder, Altceltischer Sprachschatz, II, 1968). Das porcus troianus bleibt also, was es auch früher schon war: ein einfaches Wortspiel, nicht mehr und nicht weniger. Hinsichtlich des zeitlichen Spalts, der zwischen Macrobus und den Casseler Glossen gähnt, fragt man sich, wie das Wort troia, das seit Macrobus in keinem einzigen Text aufscheint, einen Jahrhunderte weiten Sprung ohne jegliche Zwi­ schenstation in die Casseler Glossen bewerkstelligen sollte. Die spaßhafte Anspie­ lung ist im Rahmen des lateinischen Textes durchaus nachvollziehbar, doch kön­ nen wir uns nur schwer vorstellen, wie sie in aller Dunkelheit überleben konnte, um plötzlich als ein so geläufiges Wort wie truie aufzutauchen. Außerdem ist auch die Beziehung zwischen einem Wort der feineren Gastronomie mit einem einfa­ chen Element des täglichen Landlebens mehr als fraglich. Da glauben wir viel eher an ein gallisches Wort, welches ins Niederlateinische vordrang. Darauf lie­ ßen einerseits sein spätes Auftauchen und andererseits das Vorhandensein einer keltischen Wurzel schließen, die das ganze völlig problemlos zu erklären vermag (vgl. J. Pokorny, op. cit., S. 1089, Walde-Hofmann, op.cit. II, S. 708; Meyer-Lübke, Romanisches etymologisches Wörterbuch, S. 742, § 8933). So kann es wohl kaum ein Zufall sein, daß Bron Trogain in Irland eine Jahreszeit bezeichnet, in der gewöhnlich die Schweine gemästet wurden, die schließlich zum großen Samainsfest geopfert werden sollten.

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Titelblattmotiv: Durchbruchsarbeit aus Bronze, aus dem Streitwagengrab von Cuperly (Marne), frühes 4. Jahrhundert v. Chr., Saint-Germain-en-Laye, Musée des Antiquités Nationales

Motiv auf Rückseite: Zeichnung nach einem keltischen Nabelkelch, auf dem kreisförmig angeordnete Schwäne in roter Farbe dargestellt sind. Fundort Radovesice (Tschechien).

Françoise Le Roux und Christian-J. Guyonvarc'h arbeiten als Professo­ ren an der Universität Rennes in den Fachgebieten Religionswissenschaft und Keltologie. Chr.-J. Guyonvarc'h gilt zudem als Spezialist für irische Texte des Mittelalters. Bisher sind mehr als 20 Titel aus ihrer Feder zum Themen­ kreis erschienen. Den deutschen Lesern sind sie durch ihr Buch Die Druiden bekannt, welches sich in Frankreich über 80.000 mal verkaufte und auch in Deutschland innerhalb eines Jahres zum Standardwerk und Geheimtip avancierte. Lesfêtes celtiques knüpft an die­ se Tradition an, ist es doch ebenso populär geschrieben, leicht lesbar und trotzdem äußerst fundiert.

Die erfolgreichen Autoren des Buches „Die Druiden“ beschreiben hier die vier zentralen keltischen Feste im Jahreslauf.

Imbolc das Fest des Frühlings

Beltaine das Fest der Priester

Lugnasad das Fest des heiligen Königs

Samain das Fest der Krieger und des Alls Le Roux und Guyonvarc'h liefern wieder jede Menge Fakten, zusammengetragen aus dem reichen Fundus der irischen Mythen und Legenden.

Die deutsche Übersetzung dieses Werkes erhielt den Förderpreis des französischen Kulturministeriums.

ISBN 3-927940-26-7