Die himmlische Bürgerschaft: Untersuchungen zu einem urchristlichen Sprachmotiv im Spannungsfeld von religiöser Integration und Abgrenzung im 1. und 2. Jahrhundert 9783666530845, 9783525530849


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German Pages [224] Year 2007

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Die himmlische Bürgerschaft: Untersuchungen zu einem urchristlichen Sprachmotiv im Spannungsfeld von religiöser Integration und Abgrenzung im 1. und 2. Jahrhundert
 9783666530845, 9783525530849

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Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Dietrich-Alex Koch, Matthias Köckert, Christopher Tuckett und Steven McKenzie

Band 220

Vandenhoeck & Ruprecht

Dirk Schinkel

Die himmlische Bürgerschaft Untersuchungen zu einem urchristlichen Sprachmotiv im Spannungsfeld von religiöser Integration und Abgrenzung im 1. und 2. Jahrhundert

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-53084-9

© 2007, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: b Hubert & Co, Göttingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt Inhalt Vorwort ..................................................................................................

9

Einleitung ...............................................................................................

11

1. Der Gegenstand der Untersuchung – das Motiv der himmlischen Bürgerschaft .........................................................

11

2. Methodische Diskussion: Motivanalyse und Motivbegriff .......

15

3. Ansatz und Aufgabe der Untersuchung .....................................

19

I. Voraussetzungen für das Motiv der himmlischen Bürgerschaft .......

23

1. Traditionsgeschichtliche Linien – die Vorstellung vom „neuen“ und „himmlischen Jerusalem“ im Alten Testament und in jüdisch-apokalyptischen Schriften .................................. 1.1 Hinführung ....................................................................... 1.2 Die Himmelsstadt im Alten Testament ............................ 1.3 Das „himmlische Jerusalem“ und die „himmlische Stadt“ in der jüdischen Apokalyptik ...........

23 23 25

2. Der „himmlische Ruheort“ in Hebr 3,7–4,13 und JosAs 15,7 und die „Stadt der Zuflucht“ in Joseph und Aseneth ................. 2.1 Die MCVCRCWUKL-Vorstellung in Hebr 3,7–4,13 und ihre eschatologische Einordnung ..................................... 2.2 Die „Stadt der Zuflucht“ und der „himmlische Ruheort“ in JosAs im Erzählzusammenhang der Schrift ................ 3. „Himmlische Heimat“ und „himmlische Bürgerschaft“ bei Philo von Alexandrien .........................................................

27 27 27 30 39

4. Die Zugehörigkeit zu einem himmlischen Gemeinwesen und kosmopolitische Ideen in der antiken Philosophie ............. 4.1 Das Motiv der himmlischen Zugehörigkeit in der Philosophie ............................................................. 4.2 Das Motiv der himmlischen Bürgerschaft im Kontext des Kosmopolitismus bis zur Jüngeren Stoa ....................

45

5. Historische Voraussetzungen: Bürgerrecht und Bürgerrechtspolitik in der römischen Kaiserzeit .......................

49

43 43

6

Inhalt

6. Sprachliche Voraussetzungen: Lexikographische Klärungen ... 6.1 Bedeutung und Bedeutungsveränderung von RQNKVGKC RQNKVGWOC und RQNKVGWQOCK ................................ 6.2 Weitere Komposita und Denominativa:RQNKVQITCHY UWORQNKVGWY und UWORQNKVGKC ........................................... 2.7 Die Frage nach dem jüdischen RQNKVGWOC ........................

54 54 63 65

II. Die himmlische Bürgerschaft im Spannungsfeld von Integration und Abgrenzung in der christlichen Gemeinde (Philipper 3,2–21) ...

68

1. Die Gegnerfrage in Phil 3 ..........................................................

68

2. Methodische Besinnung zu der Frage nach Gegnern in neutestamentlichen Briefen ........................................................

72

3. Die Anfragen an die Gegnerrekonstruktionen in Phil 3,2–21 ...

75

4. Eine Rede gegen „irdisches Gesinntsein“ – Interpretation von Phil 3 ................................................................................... 4.1 Zur rhetorischen Gestalt von Phil 3 –These ..................... 4.2 Das erste Beispiel für die irdische Gesinnung: G PUCTMK?RGRQKSGPCK (3,2–11) ........................................... 4.3 Das zweite Beispiel: Das Vollkommensein und die C PYMNJUKL (3,12–16) ....................................................... 4.4 Der Konflikt in der Gemeinde von Philippi: Die Feinde des Kreuzes (3,17–19) ................................... Exkurs: Die Schändlichkeit der Kreuzigung in der römischen Literatur ...................................................... 5. Die Interpretation von Phil 3,20–21 .......................................... 5.1 Die formgeschichtliche Diskussion zu Phil 3,20–21 ....... 5.2 Der historische Bezugsrahmen für Phil 3,20: Das „römische Milieu“ in der Kolonie Philippi ............... 5.3 Die möglichen Traditionen: Zur UYVJT-Prädikation in Phil 3,20 – die Ergebnisse von Harnacks und Lohmeyers .......................................... 5.4 Der religiös-politische Bezugsrahmen: Die Bedeutung des Kaiserkults in Philippi – ein Forschungsüberblick .................................................. 5.5 Der regionale Aspekt: Kaiserkult in Thessaloniki ........... 5.6 Abschließende Auswertung und Stellungnahme zur Bedeutung des römischen Kaiserkults für Philippi ..........

76 76 78 82 88 91 100 100 102 104 107 113 114

6. Drei neuere Deutungen des RQNKVGWOCG PQW TCPQKL .................. 115 7. Abschließende Interpretation von Phil 3,20f im Zusammenhang des Philipperbriefes ......................................... 119

Inhalt

7

III. Das „obere Jerusalem“ (C PY ,GTQWUCNJO) als Motiv für die durch Jesus Christus erreichte christliche Freiheit (Gal 4,21–5,1) ............ 123 1. Einleitung und Problemstellung ................................................. 123 2. Interpretation von Gal 4,25f im Kontext der Passage 4,21–5,1 .................................................................. 124 3. Die vorherrschende Auslegungsmethode in Gal 4,21–5,1 ........ 126 4. Gedankengang und Argumentation in Gal 4,21–5,1 ................. 130 5. Das Motiv der C PY ,GTQWUCNJO in Gal 4 im Zusammenhang mit Phil 3 sowie ein Vorausblick auf die Wiederaufnahme des Motivs in der Alten Kirche ............... 134 Exkurs zu 2. Korinther 5,1–10 ............................................................... 138 IV. Motivverwandtes im Epheser-, Kolosser- und Hebräerbrief ........... 144 1. Die „Sympolitie“ mit den Heiligen (Epheser 2,19) ................... 1.1 Hinführung ....................................................................... 1.2 Eph 2, 19 in der Forschungsliteratur ................................ 1.3 Die UWORQNKVCKVYPC IKYPund die himmlische Bürgerschaft ..................................................

144 144 144

2. „Suchet, was droben ist“ – Kolosser 3,1–4 ................................ 5.2.1 Hinführung ....................................................................... 5.2.2 Kol 3,1–4: ein Aufruf zum Perspektivwechsel ................ 5.2.3 Kol 3,1–4 und Phil 3 – ein kurzer Vergleich ...................

147 147 148 151

3. Wanderschaftsmotiv, Fremdlingsmetapher und himmlische Stadt im Hebräerbrief (Hebr 11,13–16; 12,22 und 13,14) ......... 3.1 Hinführung ....................................................................... 3.2 Wanderschaft zum himmlischen Vaterland (Hebr 11,16) ..................................................................... 3.3 Das himmlische Jerusalem (Hebr 12,22) ......................... 3.4 „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebr 13,14) ..............................

146

153 153 153 155 157

V. Die Aufnahme des Motivs der himmlischen Bürgerschaft in der Schrift an Diognet (Diog 5) ..................................................... 159 1. Hinführung ................................................................................. 159 2. Skizze der Einleitungsfragen der Schrift an Diognet ................. 160 3. Das Paradoxon christlicher Existenz in der Welt (Diog 5) ........ 163 3.1 Einleitung ......................................................................... 163 3.2 Die Einzelanalyse 5,1–9 ................................................... 164

8

Inhalt

3.3 3.4 3.5

Zur Frage der Paulusrezeption in der Schrift an Diognet ............................................................................. 170 Die Bezüge zwischen Diog 5,4.9, Phil 3,20 und Philo (conf. 77–78) im Blick auf Gedankenführung, Aussageintention und Adressatenbezug ........................... 172 Ertrag ................................................................................ 175

4. Der Diognetbrief und kosmopolitische Ideen der Jüngeren Stoa – ein Versuch der geistesgeschichtlichen Einordnung ...... 4.1 Der stoische und popularphilosophische Hintergrund der Schrift an Diognet .................................. 4.2 Lukian von Samosata und die himmlische Stadt ............. 4.3 Ertrag ................................................................................

175 179 179 181

VI. Der Motivkomplex in weiteren christlichen Texten des zweiten Jahrhunderts ........................................................................ 183 1. Einleitung ................................................................................... 183 2. Überblick über frühchristliche Belege für den Motivkomplex „himmlische Zugehörigkeit“/„himmlische Bürgerschaft“ ........ 184 3. Die himmlische Bürgerschaft bei Clemens von Alexandrien .... 190 3.1 Einleitung ......................................................................... 190 3.2 Andeutung und Entfaltung der himmlischen Bürgerschaft bei Clemens ................................................ 192 4. Das weitgehende Fehlen des Motivs der himmlischen Bürgerschaft in apologetischer Literatur – mögliche Gründe ... 197 VII. Zusammenfassende Thesen ............................................................ 203 Literatur .................................................................................................. 207

Vorwort

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um die überarbeitete Fassung der Arbeit, die im Wintersemester 2005/2006 von der EvangelischTheologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen wurde. Nach Vorarbeiten während meiner Tätigkeit im SFB 493 „Funktionen von Religion in den antiken Gesellschaften des Vorderen Orients“ in Münster erwuchs zunächst das Thema der Arbeit und alsbald die inhaltlich-gedankliche Fokussierung auf die motivgeschichtliche Fragestellung. Während meiner Vikarszeit von 2002–2005 konnte ich die Arbeit begrenzt weiterführen und schließlich dank eines Stipendiums des Rektorats der Universität Münster im Spätsommer 2005 abschließen. Mein Dank gilt insbesondere Herrn Prof. Dr. Dietrich-Alex Koch, der meine Arbeit begleitet, gefördert und vor allem dazu beigetragen hat, dass auch während des Vikariats der Kontakt zur theologischen Wissenschaft nie unterbrochen worden ist. Schließlich danke ich ihm auch für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe „Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments“. Zu danken habe ich auch dem neutestamentlichen Doktoranden- und Habilitandenkolloquium in Münster, hier vor allem Prof. Dr. Martin Rese und PD Dr. Thomas Witulski, mit dem mich ein stets freundschaftlichkollegiales Gespräch verbunden hat, und Prof. Dr. Jens-Wilhelm Taeger (1945–2004), dessen Rat und Interesse für meine Arbeit ich sehr geschätzt habe. An dieser Stelle gebührt auch zahlreichen Lehrern Dank, ohne die die vorliegende Arbeit letztlich nicht möglich gewesen wäre. Von ihnen seien Dr. Wolfgang Groß (Hagen), Prof. Dr. Michael Wolter (Bonn), Prof. Dr. Dietrich-Alex Koch (Münster) und Prof. Dr. Hans Strauß (Bonn) genannt. Meinen Eltern, Walter und Elke Schinkel, schließlich gilt der Dank für die Ermöglichung der kirchlich-theologischen Laufbahn. Meiner Frau Birgit habe ich am meisten zu danken für ihre liebevolle Geduld, mit der sie das Zustandekommen meiner Arbeit nicht nur getragen, sondern beratend und – bis in manches Detail – immer wieder helfend begleitet hat. Ihr und unserem Sohn Julius, der 2004 zur Welt kam, ist diese Arbeit daher gewidmet. Hemer, im September 2006

Dirk Schinkel

Einleitung Einleitung Der Gegenstand der Untersuchung

1. Der Gegenstand der Untersuchung – das Motiv der himmlischen Bürgerschaft In den Zeugnissen ur- und frühchristlicher Kommunikation, zu denen insbesondere die frühchristliche Briefliteratur gehört, begegnet von Beginn an das soziologische Problem der Integration der Christen in ihre Umwelt, in der vor allem drei Bezugsgrößen bestimmend sind: die Alltagsreligiosität, philosophische Systeme (auch in Form eines allgemeinen kulturellen Wissens) und das politische Gefüge. Als vierter Faktor, der auch immer wieder bedeutsam ist, sind ökonomische Interessen zu nennen.1 In diesen Bereichen kommt es zwischen christlichem Bekenntnis und der Umwelt zu Konflikten, die in neutestamentlichen Texten in unterschiedlicher Weise ihre Spuren hinterlassen haben. Es finden sich allerdings im Neuen Testament kaum ausführlichere Reflexionen dieser Auseinandersetzungen.2 In den paulinischen Gemeinden lassen sich aber Konflikte ausmachen, die auf ein Spannungsfeld hinweisen, in dem sich die frühen Christen bewegen. In 1Kor 6,1–11 zeigt sich dabei, dass auch ethische Fragen, die die Innenwelt der christlichen Gemeinde betreffen, mit einem äußeren Konflikt verwoben sein können. Hier geht es um die Frage, ob Christen Prozesse vor „heidnischen“ Richtern anstrengen sollen. Darüber hinaus mahnt Paulus ein bestimmtes Verhalten in der Gemeinde an (6,7f).3 Die Paulusbriefe sind also zugleich Zeugnisse für die Herausbildung einer ethischen Identität in den Gemeinden.4 Auch dies geschieht in der Auseinandersetzung mit der Umwelt, genauer mit den vier genannten Bezugsgrößen. In Röm 12,2 wird die von Paulus empfundene Differenz zwischen christlicher Identität und Weltbezug, aber auch eine Auseinandersetzung mit der philosophischen Frage nach dem C IC-QP deutlich: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch die Erneuerung eures Denkens, damit ihr prüfen könnt, was der Wille Gottes ist, das Gute, das Wohlgefällige und das Vollkommene.“5 1 Vgl. hier vor allem Apg 16,16–22 und 19,23–40. 2 Anders ist dies z.B. im Falle der Schrift an Diognet (Kap. 5). Hier ist das Verhältnis der Christen zur Welt explizit thematisiert. 3 Siehe MERKLEIN, 1Kor, 51ff. 4 Vgl. WOLTER, Identität, 62–90. 5 Vgl. dazu: KOCH, Christen, 159f.

12

Einleitung

In der Apostelgeschichte berichtet Lukas von einem Konfliktfeld in Kleinasien, das mit den erwähnten wirtschaftlichen Faktoren zu tun hat. In der sogenannten Demetriosepisode treffen die aus einem Gemisch von Ökonomie und Religion bestehenden Interessen der Silberschmiede in Ephesos unter ihrem Anführer Demetrios mit dem Inhalt der paulinischen Predigt zusammen. Lukas gestaltet diesen Konflikt in den Farben seiner Zeit (d.h. um 95/100 n.Chr.). Dabei sind Unruhen, die von griechisch-römischen Vereinigungen ausgehen, keineswegs selten, sondern durchaus epigraphisch und literarisch belegt.6 Lukas freilich lässt den Konflikt zugunsten der Christen ausgehen und sie so eine Art „Etappensieg“ auf dem Missionsweg durch die Provinz Asia erringen.7 Damit sei ein Spannungsfeld in aller Kürze umrissen, welches in der Forschung zum frühen Christentum mit unterschiedlichen Begriffen gekennzeichnet wird: „Zwischen Abkehr und Hinwendung“ (J. Lehnen8), „Weltflucht oder Weltverantwortung“ (E. Dassmann9), „Anpassung und Abgrenzung“ (D.-A. Koch10), „Integration und Distanz“ (H.E. Lona11) oder auch „Identitätsverlust und Identitätsgewinn“ (E. Plümacher12). Christliche Existenz bedeutet nach Ch. Markschies eine „Wanderung zwischen den Welten“13 oder nach E. Gräßer14 eine „Existenz zwischen den Zeiten“. In diesem Spannungsfeld, das für die folgende Untersuchung mit „Integration und Abgrenzung“ beschrieben wird, kommt mehreren sprachlichen Motiven eine identitätsstiftende Bedeutung zu. Dazu gehört sicherlich die Fremdlingsmetapher (z.B. 1Petr 1,1; 2,11; Eph 2,19; Hebr 11,8–16; vgl. auch die Adresse in 1Clem). Unter Verwendung juristischer Termini wie RCTQKMQL RCTQKMKC RCTGRKFJOQL und EGPQL wird die Existenz der Christen in der Welt gedeutet. Sie bleiben ihr im Kern fremd und leben wie „Fremde und Beisassen“ (Y L RCTQKMQK MCK? RCTGRKFJOQK in 1Petr 2,11).15 Als verwandte Motive sind die Heimatlosigkeit, die Suche nach der (wahren) Heimat oder das Wander- und Pilgermotiv zu nennen. Die wahre Heimat wird häufig mit 6 Siehe KOHNS, Anstifter, 257–262. 7 Vgl. zu Apg 19,23–40 u.a. LAMPE, Acta 19,59–76; SELINGER, Demetriosunruhen, 242–259 und SCHINKEL, Gruppen, 95–112. 8 LEHNEN, Abkehr, 1–28, wobei dieser Beitrag – entgegen der Rezension von BUSCHMANN, ThLZ 126 (2001) 1051–1053 – nicht frei von sachlichen Ungenauigkeiten ist. 9 DASSMANN, Weltflucht, 189–208. 10 KOCH, Christen, 159. 11 LONA, Struktur, 32–43. 12 So lautet der Titel seiner Arbeit von 1987. 13 So der Buchtitel von Ch. Markschies, der das Spannungsfeld mit Andresen als „Diasporamentalität“ kennzeichnet (98). Markschies weist in der Einleitung (9–10) ausdrücklich auf das Motiv der „himmlischen Heimat“ hin (Phil 3,20), welches durchgängig die Lebensäußerungen der christlichen Religion beeinflußt habe. 14 GRÄSSER, Stadt, 257. 15 Siehe dazu grundsätzlich: FELDMEIER, Christen.

Der Gegenstand der Untersuchung

13

dem himmlischen Vaterland, der bleibenden oder zukünftigen Stadt, dem Ruheort oder der Himmelsstadt beschrieben. Auch hier finden sich verschiedene Ausmalungen des Grundmotivs, das man allgemein als „Motiv himmlischer Zugehörigkeit“ beschreiben kann. In Hebr 11,8–16 sind Fremdlingsmetapher (am Beispiel Abrahams), Pilgerschaft, Heimatlosigkeit und Sehnsucht nach der befestigten Stadt und dem himmlischen Vaterland miteinander verwoben (vgl. auch Hebr 13,14).16 Ein weiterer Motivbereich, der in jüdisch- wie christlich-apokalyptischen Zusammenhängen begegnet, ist der des himmlischen Jerusalem. Aufbauend auf alttestamentliche Traditionen des neuen Jerusalem (z.B. Jes 54; 60–62; Sach 2; vgl. auch dazu Hag 2 und Ez 40–48) entwickelt die biblische und außerkanonische Apokalyptik das Motiv weiter (Apk 3,12; 21; 4Esr, 2Bar).17 Vor allem nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels (70 n.Chr.) bekommt die Vorstellung vom himmlischen Jerusalem als ein spiritualisierter Heilsort einen weiteren starken Impuls.18 Mit dieser Vorstellung verwandt ist m.E. das Motiv des (himmlischen) Ruheortes (C PCRCWUKL oder MCVCRCWUKL), das neben dem Motiv der Zufluchtsstadt (RQNKL MCVCHWIJL) insbesondere im jüdisch-hellenistischen Roman Joseph und Aseneth von Bedeutung ist. Ein weiteres Motiv, welches sich trotz der zunächst offensichtlichen Verwandtschaft von den genannten Motiven als eigenständig abhebt, ist das Motiv der „himmlischen Bürgerschaft“ (Phil 3,20: RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L), das in den ur- und frühchristlichen Texten ebenfalls nicht ohne Motivvarianten bleibt: In Phil 1,27 begegnet z.B. das entsprechende Verb: 0QPQP C EKYL VQW GW CIIGNKQW VQW ;TKUVQW RQNKVGWGU-G

Im Epheserbrief findet sich die Vorstellung einer Sympolitie der Angesprochenen mit den C IKQK (Eph 2,19). Im Zusammenhang mit Phil 3,20 dürfte (nach einer Mehrheit in der Forschung) auch Gal 4,25–26 stehen, wo sich das Motiv des „oberen Jerusalem“ (C PY ,GTQWUCNJO).19 Von Belang ist bei der Untersuchung auch Philo von Alexandrien. Fremdlingsmetapher, Heimatsuche und himmlische Bürgerschaft werden wohl am deutlichsten in conf. 77f miteinander verbunden.20 Die Frage im Zusammenhang mit Philo wird sein, ob es jenseits der Übereinstimmung in der sprachlichen Form auch gemeinsame theologische Argumentationslin16 Dazu GRÄSSER, Stadt, 251–264. 17 Vgl. dazu die Arbeit von SÖLLNER, Jerusalem, auf die noch näher einzugehen sein wird. 18 Zur Frage nach Zerstörung und Ersatz des Tempels siehe DÖPP, Deutung, v.a. 119–133. 19 Siehe SCHWEMER, Stadt, 195f. I.ü. ist eine gemeinsame Rezeption dieser beiden paulinischen Texte schon recht früh, nämlich bei Tertullian, bezeugt (Marc. 3,24,3f). 20 „Deshalb treten alle Weisen, von denen Mose schreibt, als Beisassen auf. Denn das himmlische Gefilde, in dem sie als Bürger leben sehen sie als ihr Vaterland an, das irdische aber, in dem sie als Beisassen wohnten, als die Fremde.“

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Einleitung

ien bei neutestamentlichen und frühchristlichen Autoren und dem Alexandriner gibt.21 In frühchristlichen Texten begegnet das Motiv der himmlischen Bürgerschaft ebenfalls. Sehr wichtig ist hierbei die Schrift an Diognet. Im fünften Kapitel dieser wohl im letzten Drittel des zweiten Jahrhunderts verfassten Schrift, in der nachweislich johanneische, aber vor allem auch paulinische Theologie verarbeitet wurde,22 wird auf das Motiv der himmlischen Bürgerschaft und die Fremdlingsmetapher bei der Beschreibung christlicher Existenz in der Welt Bezug genommen (V. 9„auf der Erde verweilen sie, im Himmel aber sind sie Bürger“): G RK?IJLFKCVTKDQWUKPC NN+G PQW TCPRQNKVGWQPVCK23 

In den Schriften der Apostolischen Väter und der frühen Apologeten insgesamt begegnet das Motiv vereinzelt und immer seltener mit Bezug auf biblische Texte. Ihre Einbeziehung in die Untersuchung dient dazu, Veränderungen in der Verwendung des Motivs und in seinem Bedeutungsgehalt zu verfolgen und vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung des Christentums bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts zu erklären. In diesen Zusammenhang gehört der in der Forschung mehrfach vorgebrachte Zweifel daran, ob in den Ausdrücken RQNKVGKC RQNKVGWOC oder RQNKVGWGU-CK in den nachneutestamentlichen Schriften tatsächlich noch die politische Bedeutung wirksam sei. Vielfach wird von einem „Verblassen“ der ursprünglich technisch-politischen Bedeutung gesprochen.24 Dies kann m.E. nur am einzelnen Text selbst geklärt werden und nicht generalisierend z.B. für die Schriften der Apostolischen Väter insgesamt gesagt werden. Wenngleich sich die traditionsgeschichtlichen Zusammenhänge nicht immer sicher nachvollziehen lassen, kann die Untersuchung des Motivs der himmlischen Bürgerschaft nicht an philosophischen Texten vorbeigehen. In der klassischen Philosophie, der Stoa und vor allem in der hellenistisch-römischen Popularphilosophie finden sich Anklänge an das Motiv der Zugehörigkeit zu einer himmlischen Stadt, Bürgerschaft, einem himmlischen Staat oder Gemeinwesen. Auch die Berührungen der neutestamentlich-christlich und bei Philo geprägten Motivik mit kosmopolitischen Ideen in der Philosophie sind für die Untersuchung weiterführend.25 Insbesondere bei der geis21 Zur Beziehung zwischen Philo und dem Hebräerbrief siehe BRAUN, Vaterland, 319–327. 22 Vgl. LINDEMANN, Theologie, 280–293. 23 Grundsätzlich zu der Schrift an Diognet vgl. den neuen Kommentar von Lona und zu Kap. 5 und 6 u.a. SCHNEIDER, Stellung, 20–41. 24 Vgl. nur ALAND, Christen, 247–259. 25 Viele Einzelbeobachtungen bietet das umfangreiche Werk von EHRHARDT, Metaphysik, Bd. I, 146–206 (Der Kosmos als politisches und theologisches Problem in hellenistischer Zeit); Bd. II, 65ff.105ff (NT, nachapostolische Zeit) und 182–226 (Alexandrinische Theologie, Clemens).

Methodische Diskussion

15

tesgeschichtlichen Einordnung der Schrift an Diognet in die Zeit des römischen Kaisers Marc Aurel sind diese philosophischen Aspekte von Belang. Das Motiv der himmlischen Bürgerschaft unterliegt trotz seiner biblisch fundierten Verwendung durch eine philosophische Beeinflussung in den ersten zwei Jahrhunderten einer Bedeutungsveränderung bei Clemens von Alexandrien. Dieser in vieler Hinsicht gebildete christliche Autor weiß biblische Traditionen, philosophische Erkenntnisse und eigene Reflexionen in einer überaus reichen Bildsprache zu verbinden.26 Dazu gehört auch das Motiv der himmlischen Bürgerschaft. Kann Clemens das Motiv auf der einen Seite noch in geradezu paulinischem Sinn verwenden, so zeigt sich andererseits bereits deutlich die Tendenz, die himmlische Sphäre als den Ort der „wahren Kirche“ zu beschreiben. Damit ist zwar nicht grundsätzlich die ursprüngliche biblische Motivwelt verlassen, aber das Motiv wird nicht mehr primär verwendet, um die christliche Existenz in der paganen Umwelt mit politischen Analogien und Metaphern zu deuten. Die sich zunehmend institutionalisierende Kirche wird zum himmlischen Gemeinwesen, einige Zeit später dann zur Civitas Dei.27

2. Methodische Diskussion: Motivanalyse und Motivbegriff Methodische Diskussion Die Motivanalyse bzw. die begriffs- und motivgeschichtliche Frage wird in den Methodenlehrbüchern als analytischer Schritt häufig der Traditionsoder Überlieferungsgeschichte zugeordnet, wobei sie auch unter der formgeschichtlichen Fragestellung zu subsumieren wäre.28 Festzustellen ist in diesem Zusammenhang eine terminologische Unklarheit, der allerdings auch ein methodisches Problem zugrunde liegt. Von der traditionsgeschichtlichen Fragestellung ist die motivgeschichtliche deutlich zu trennen, insofern es hier nicht um direkte literarische Abhängigkeit geht. Die Motivanalyse führt dem Exegeten vor Augen, dass in der Motivik eines Textes Vorgaben wirksam sind, die formgeschichtlich und literarkritisch nicht zu erheben sind.29 Um den Gegenstand der folgenden Untersuchung terminologisch und methodisch möglichst präzise zu beschreiben, ist eine genaue Erfassung des hier zugrunde gelegten Motivbegriffs erforderlich. Der Begriff des Motivs ist in der Literaturwissenschaft überaus gebräuchlich. Die Schwierigkeit dabei ist allerdings, dass der Begriff „Motiv“ 26 Vgl. dazu grundsätzlich die ältere Arbeit von TSERMOULAS, Bildersprache. 27 Siehe LEISEGANG, Ursprung, 127–158. 28 Vgl. STRECKER/SCHNELLE, Einführung, 106 und SÖDING, Wege, 175. 29 Siehe SÖDING, Wege, 175: „Neben den Gattungen gehören auch die Motive zum Repertoire, das die kulturelle, speziell die religiöse Umwelt den neutestamentlichen Autoren zur Formulierung ihrer Frohbotschaft bereitstellt.“

16

Einleitung

terminologisch keineswegs konsensfähig bestimmt ist.30 M. Andermatt hält dazu in seiner Untersuchung von 1996 fest: „Für die Motivforschung der letzten Jahre gilt indes, [...] dass beinahe beliebig je nach Zielsetzung und Forschungsbereich das Motivverständnis in diese oder jene Richtung modifiziert wurde.“31 Das Motiv kann jedenfalls als Grundbegriff der Thematologie32 angesehen werden und gehört damit in den Bereich der allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft.33 Sie arbeitet im Gegenüber zum literarischen Stoff den Motivbegriff heraus. Bei Elisabeth Frenzel, von der die Diskussion des Motivbegriffs seit Jahrzehnten maßgeblich bestimmt wird, ist das Motiv definiert als „der elementare, keim- und kombinationsfähige Bestandteil eines Stoffes; eine Kette oder ein Komplex von Motiven ergibt einen Stoff. Man hat zwischen dem Kernmotiv eines Stoffes, seinen ergänzenden Rahmenmotiven und seinen charakterisierenden oder schmückenden Füll- oder Randmotiven zu unterscheiden.“34

Abgesehen von der Kritik bei Andermatt in Bezug auf die methodische Reflexion der Frenzelschen Motivdefinition35 ist sie für die neutestamentliche Exegese in dieser Form nicht anwendbar.36 Die Kommission für literaturwissenschaftliche Motiv- und Themenforschung in Göttingen hat eine Fusion neuerer Ansätze mit der forschungsgeschichtlichen Tradition versucht: „Motiv wird als schematisierte Vorstellung (ein- oder mehrgliedriger Art) von Ereignissen, Situationen, Figuren, Gegenständen oder Räumen verstanden, Thema als abstrakt formulierte, jedoch auf den Sujetzusammenhang bezogene Kennzeichnung einer allgemeineren Bedeutung einzelner Teile oder des Ganzen.“37

Für die folgende motivgeschichtliche Untersuchung ist eine Motivdefinition zu formulieren, die sich zum einen nicht aus dem Forschungsgegenstand selbst ergibt, also gewissermaßen „selbst geschneidert“ wäre, zum anderen aber nicht auf die poetischen Gattungsformen zugeschnitten ist, so dass sie zu eng gefasst wäre für die Untersuchung neutestamentlicher und frühchristlicher Briefliteratur. 30 So konstatiert TROUSSON, Etudes, 2 in dieser Frage eine „confusion babélienne“. 31 ANDERMATT, Leben, 18. 32 In der Germanistik wird die Stoff- und Motivforschung zusammenfassend als Thematologie bezeichnet. Sie umfasst und überschreitet zugleich den herkömmlichen Gegenstand der „Stoffgeschichte“ sowohl durch „die extensive Einbeziehung aller Phänomene des Stofflichen als auch durch die Intensivierung der philologischen Methoden“ (BELLER, Stoffgeschichte, 38). 33 So BELLER, Stoff, 30–37. 34 FRENZEL, Stoffe, V und FRENZEL, Stoff- und Motivgeschichte, 11–24. 35 ANDERMATT, Leben, 19–21. Er kritisiert vor allem die fehlende texttheoretische Fundierung des Frenzelschen Motivbegriffs (S. 20). Aber auch die neuere Motivforschung zeichne sich eher durch eine „undurchschaubar gewordene Privatterminologie aus“ (S. 21). 36 Dies liegt vor allem daran, weil die Definition auf epische und poetische Gattungsformen bezogen ist (vgl. die Einordnung in den literarischen Stoff). 37 Diese Definition von Th. Wolpers aus dem Jahr 1982 legt ANDERMATT, Leben, 21 zugrunde.

Methodische Diskussion

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Dabei ist zunächst bei einem Detail der Frenzelschen Definition anzusetzen, das auch für biblische Motive zu gelten scheint: Die Keim- und Kombinationsfähigkeit des Motivs. Dieses Merkmal gilt es im Blick auf biblische Motive zu berücksichtigen.38 Bei Strecker/Schnelle findet sich eine sehr allgemeine Definition des Motivs: „eine feststehende Bedeutung, auf die ein Autor zurückgreifen kann, um einen bestimmten Sachverhalt auszudrücken“.39 Es gilt demnach, das Motiv als Bedeutung zu erfassen und zugleich nach seinem Sinn im jewieligen Textzusammenhang zu fragen. Die Unterscheidung zwischen Bedeutung und Sinn ist für die Motivanalyse von elementarer Bedeutung und ergibt sich aus einer textlinguistischen Betrachtung. Eine texttheoretische Fundierung des Motivbegriffs scheint ferner vor allem auf Grund der Divergenzen über die Motivdefinition in der Forschung ratsam.40 Demnach ist unter „Bedeutung“ textlinguistisch „die Fähigkeit oder das Potential eines sprachlichen Ausdrucks, Wissen darzustellen oder zu übermitteln“ zu verstehen. Unter „Sinn“ ist dagegen das Wissen zu fassen, „das tatsächlich durch die Ausdrücke innerhalb eines Textes übermittelt wird“.41 Diese grundlegende Unterscheidung, die zunächst allgemein bleibt, gewinnt für die motivgeschichtliche Untersuchung besondere Relevanz. Eine solche Differenzierung zwischen Sinn und Bedeutung führt im textlinguistischen Zusammenhang auf den Kohärenzbegriff, insofern nach De Beaugrande/ Dressler Kohärenz definiert ist als „Bedeutungsaktualisierung, die den Zweck der ‚Sinn-Erzeugung‘ verfolgt.“42 Da Kohärenz im Gegenüber zu Kohäsion ein Textualitätskriterium auf der kognitiven Ebene darstellt,43 also ganz wesentlich mit den Verstehensvoraussetzungen auf der Seite der Textrezipienten zu tun hat,44 ist die Erhebung der semantischen Voraus38 SÖDING, Wege, 177.180. Zu den Formen neutestamentlicher Motive zählen nach Söding neben dem Schriftzitat auch Redewendungen, Begriffe und Sprachkonventionen, geprägte Themen, Erzähl- und Gedankenzusammenhänge, Vorstellungen, aber auch Formen bildhafter Rede wie Metaphern, Symbole und Vergleiche mit zahlreichen Variationsmöglichkeiten. 39 STRECKER/SCHNELLE, Einführung, 106. 40 Vgl. auch ANDERMATT, Leben, 22 der dazu festhält: „Die Vorstellung vom Motiv als inhaltlichem Element des Textes berührt sich stark mit der für die Textlinguistik grundlegenden Diskussion der Textkohärenz.“ 41 Definitionen nach DE BEAUGRANDE/DRESSLER, Einführung, 88. 42 DE BEAUGRANDE/DRESSLER, Einführung, 117. 43 Vgl. dazu BECKER, Kohärenz, v.a. 100ff. Becker hält auf Grund der bisweilen unscharfen Trennung zwischen Kohäsion und Kohärenz in exegetischen Methodenbüchern für erforderlich, vom Standpunkt der Textlinguistik eine terminologisch-methodische Präzisierung vorzunehmen. Kohäsion ist ein textgrammatisches Kriterium, während Kohärenz eine kognitionswissenschaftliche Ausrichtung besitzt (S. 101). 44 Vgl. dazu FRITZ, Kohärenz, 1: Die Beurteilung der Kohärenz einer Folge von Äußerungen hängt mit dem Verstehen dieser Äußerungen zusammen. Kohärenz ist dann „weniger als Textkohärenz zu begreifen, als vielmehr als Verstehen im Zusammenhang einer Kommunikation“. Vgl. auch DE BEAUGRANDE/DRESSLER, Einführung, 7f.

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Einleitung

setzungen eines Textes und auch einzelner Textelemente, wie z.B. eines Motivs, erforderlich. Aufgabe dieser folgenden motivgeschichtlichen Untersuchung ist nicht die Beschreibung der Kohärenz des Textes für den modernen Leser, sondern die Beschreibung der Kohärenz in den Zusammenhängen des historischen Kommunikationsvorgangs z.B. zwischen Paulus und der jeweiligen Adressatengemeinde.45 Dies spielt für die motivgeschichtliche Fragestellung insofern eine zentrale Rolle, als es um die Ermittlung des dem Autor und den Rezipienten gemeinsamen kulturellen und religiösen Wissens geht.46 Bei sprachlichen Motiven in Form von Symbolen, Metaphern, Vergleichen oder Analogien ist die Erhebung der kognitiven bzw. semantischen Voraussetzungen grundlegend. Die Plausibilität eines sprachlichen Motivs hängt entscheidend von diesen Voraussetzungen ab.47 Textlinguistisch gehört das Motiv als inhaltliches Element zur semantischen Struktur des Textes. In den Kategorien T.A. van Dijks handelt es sich bei Motiven um eine Makroproposition, also um einen Teil der Makrostruktur eines Textes,48 die nach Andermatt keineswegs feststehende Größen sind, sondern sich im Zugriff der Rezeption und im Horizont gesellschaftlicher – und hier ist m.E. hinzuzufügen: religiöser – Diskursregelungen konstituieren und wandeln.49 Damit ist die „Keim- und Kombinationsfähigkeit“, von der oben in der Motivdefinition von E. Frenzel die Rede war, sachlich einbezogen. 45 Am Beginn der Kommunikation zwischen dem Apostel Paulus und seiner Gemeinde steht die Erstverkündigung des Evangeliums als initiative Kraft. In der weiteren Kommunikation, für die die neutestamentlichen Briefe Zeugen sind, müssen die Überzeugungskraft des Inhaltes und die sprachlich-formale Gestalt der Darbietung zum Erhalt der Plausibilität den sich verändernden Rahmenbedingungen der Adressatengemeinden angepaßt werden, vgl. zu den kommunikationstheoretischen Voraussetzungen RECK, Kommunikation, 50ff und 151ff. Dies hat auch Einfluss auf das Verstehen sprachlicher Motive und Motivkomplexe in ur- und frühchristlichen Texten. 46 Vgl. WOLTER, Kreuzestheologie, 46: „Unter der Oberfläche von Texten (verbergen sich) immer semantische Voraussetzungen [...], die als Bestandteil eines dem Autor und den Lesern gemeinsamen kulturellen Wissens im Kommunikationsvorgang ständig präsent sind, ohne dass sie auf der Ausdrucksebene eigens verbalisiert werden müssen.“ Im folgenden unterscheidet Wolter zwischen einem inklusiven kulturellen und einem exklusiven christlichen Wissen. Vgl. zum gemeinsamen kulturellen Wissen auch SÖDING, Wege, 174: „Da sich dieses Wissen weder aus der konkreten Verwendung noch aus dem allgemeinen Bedeutungssprektrum ergibt, kann nur der ein Motiv verstehen, der den traditionellen Hintergrund kennt.“ Dies macht also jeweils auch die Erhellung des historisch-politischen, sozio-kulturellen, religiösen und philosophischen Hintergrunds erforderlich. 47 Im Falle der „himmlischen Bürgerschaft“ (Phil 3,20: RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L) ist die Vergegenwärtigung der historisch-politischen, sozio-kulturellen und religiösen Situation in Philippi von elementarer Bedeutung für das Verständnis des Motivs. Wo diese Klärung fehlt oder ungenau vorgenommen wird, kommt es zu fehlleitenden Übersetzungen des RQNKVGWOC und zu Missverständnissen der Gemeindesituation in Philippi (siehe unten Kapitel II.). 48 VAN DIJK, Textwissenschaft, 41–45; 128–130. 49 ANDERMATT, Leben, 25: „Inhaltlich und makrostrukturell organisiert sich das Motiv nach den Regeln und Verfahren zur Bildung von Makrostrukturen; damit ist es ein komplexes Resultat

Ansatz und Aufgabe der Untersuchung

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Ausgehend von der allgemeinen Motivdefinition bei Strecker/Schnelle („feststehende Bedeutung, auf die ein Autor zurückgreifen kann, um einen bestimmten Sachverhalt auszudrücken“) und der textlinguistischen Betrachtung ergibt sich für den im folgenden vorausgesetzten Motivbegriff: Das Motiv ist als Bestandteil der semantischen Grundstruktur eines Textes das Potential eines sprachlichen Ausdrucks, tatsächliches, d.h. den semantischen Voraussetzungen der Rezipienten entsprechendes Wissen, zu vermitteln. Es gibt dabei folglich keine objektive und feststehende Bedeutung, sondern eine den jeweiligen sozialen, kulturellen und religiösen Bedingungen entsprechende und sich im Rezeptionsprozess verändernde Bedeutung.

3. Ansatz und Aufgabe der Untersuchung Ansatz und Aufgabe der Untersuchung Im Bewusstsein, dass die Motivanalyse nicht die literarische Abhängigkeit von Texten untersucht, gilt es aber trotzdem die Frage nach der Geschichte des Motivs zu stellen, was zugleich eine Untersuchung der Variationen und Umformungen des Motivs einschließt (z.B. die himmlische RQNKL). In welchen Kontexten ist die Verwendung des Motivs (noch) plausibel? Wo muss, um Plausibilität zu erreichen, das Motiv variiert werden? Lässt sich hier eine fortschreitende Entwicklung in der ur- bzw. frühchristlichen Literatur aufzeigen? Das Motiv der himmlischen Bürgerschaft kann allgemeiner als ein „Motiv der himmlischen Zugehörigkeit der Christen in den Formen politisch-bildhafter Rede“ gekennzeichnet werden und enthält bereits die beiden Pole, zwischen denen die Gemeinden stehen. Es handelt sich um den sprachlichen Niederschlag eines Spannungsverhältnisses zwischen der innerweltlichen Existenz der Christen und ihrer Zugehörigkeit zur himmlischen Welt Gottes bzw. Christi durch das Christsein. Da die Christen „in der Welt, aber nicht gemäß der Welt“ leben, ist von Beginn an christliche Existenz im Grunde eine paradoxe Existenz zwischen den Welten.50 Christliches Selbstverständnis ist bereits in neutestamentlichen Texten gekennzeichnet vom Spannungsfeld zwischen Hinwendung zu und Abkehr von Welt und Gesellschaft.51 Die erste Tendenz ist erkennbar in Aussagen, die eine unterschiedlich gedeutete Fremdheit gegenüber der Gesellschaft ausdrücken.52 Als gutes Beispiel für die vielfach verwendete Fremdlingsmetapher ist 1Petr zu nennen. Die Deutung christlicher Existenz in der Perspektive der von Inferenzziehung.“ Inferenz(ziehung) bedeutet Anwendung eigenen, erworbenen Wissens verschiedenster Art auf Seite der Textrezipienten, das an der Kohärenzbildung beteiligt ist. 50 Der Diognetbrief (5,4) spricht dies sogar expressis verbis aus. 51 Siehe nochmals die in der Einleitung genannten Alternativbezeichnungen. 52 Dazu LAMPE, Fremdsein, 58–62 und KAMPLING, Fremde, 235.

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Einleitung

Fremde ist die Konsequenz aus negativen Erfahrungen und Ablehnung durch die Umwelt. Dadurch wird die christliche Identität durch den negativen Vorgang der Abgrenzung konstituiert.53 Die zweite Tendenz wird erkennbar an Aussagen, die die kategoriale Andersartigkeit christlicher Existenz näher charakterisieren und deuten, z.B. als himmlische Zugehörigkeit. Das Motiv der himmlischen Bürgerschaft spiegelt ein Wesensmerkmal christlicher Existenz im ersten und zweiten Jahrhundert, das man soziologisch als Spannungsfeld von Integration und Abgrenzung bezeichnen kann. Beide Elemente gehören von Beginn an zum christlichen Selbstverständnis dazu. In diesem Spannungsverhältnis geht es – soziologisch gesehen – um ein Austarieren zwischen mehreren Identitäten: kultureller, ethnischer, politischer und religiöser. Es geht daher stets um Identitätsbewahrung und damit auch um Abgrenzung von anderen Systemen in der Umwelt. Die moderne Religionssoziologie beschreibt dieses Phänomen im Zusammenhang mit der Funktion von Religion für die personale Identität: „In der sozialen Identitätsdimension ermöglicht die Religion – als ‚Differenzerfahrung‘ zur ‚empirischen Gesellschaftsgestalt‘ – gegenüber den tendenziellen Totalitätsansprüchen von untereinander schwer vereinbaren Rollen, insbesondere dem Beruf, identitätswahrende Distanzierung“.54 F. Vouga55 bezieht in seine Überlegungen zum christlichen Selbstverständnis das soziologische Modell von E. Todd56 ein, das davon ausgeht, dass Identitäten durch Abgrenzungen und integrative Tendenzen formuliert werden.57 Das von Todd im Blick auf moderne Demokratien beschriebene Spannungsfeld von Integration und 53 Vgl. FELDMEIER, Christen, 104: „Das Originelle und Zukunftsweisende am 1. Petrusbrief ist also dies, dass er nicht nur in Bezug auf biblische Gestalten oder auf dem Umweg über die philosophische Tradition die Fremdheit in der Gesellschaft als ein positives Moment zu deuten versucht, sondern dass er in einem kühnen Rückgriff auf eine relativ schmale biblische und jüdische Tradition die negativen Erfahrungen von Nicht-Identität als Spezifikum christlicher Identität interpretiert.“ Siehe dazu kritisch VOLF, Identität, 363. Er hält fest, dass Feldmeier gezeigt habe, dass das Fremdsein in 1Petr „nicht aus dem Gegensatz zur Gesellschaft, sondern aus der Entsprechung zu Gott und der Zugehörigkeit zu seinem Volk“ verstanden werde (FELDMEIER, Christen, 178), doch unterscheide er nicht deutlich genug zwischen „Sich-Abgrenzen“ als negativem (Ausscheren) und positivem Vorgang. Feldmeier integriere zu stark die Fremddeutung der christlichen Identität in die Selbstdeutung. Zur Selbstbezeichnung als Fremde vgl. auch GIESEN, Lebenszeugnis, 113– 152 (mit Lit.). Vgl. für die Spätantike: DASSMANN, Weltflucht, 189: „Versucht man, beide Tendenzen zu beschreiben, kommt es höchst selten zu einer nüchternen Darstellung historischer Fakten, sondern meistens zu engagierten Stellungnahmen positiver und negativer Art. Sie scheinen unvermeidbar, denn der Weg der Kirche in die Welt (positiv) ist zugleich ein Eindringen der Welt in die Kirche (negativ).“ 54 ESTEL, Art. Identität, 204. 55 VOUGA, Problem, 492ff. 56 TODD, Destin. 57 VOUGA, Problem, 492: „Abgrenzung und Segregation einerseits, Assimilation und Integration andererseits sind nach Todd die beiden Haltungen, durch welche sich Länder, Völker, philosophische oder religiöse Gemeinschaften gegenüber Fremden in ihren eigenen Bereichen selbst definieren.“

Ansatz und Aufgabe der Untersuchung

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Abgrenzung lässt sich auch in den frühen christlichen Gemeinden aufzeigen. Christen befinden sich von Anfang an in einem Zwiespalt von Identitäten. Dieser wird in den neutestamentlichen Briefen an vielen Stellen thematisiert. Es geht um die Frage, wann Assimilation an andere Bezugsgrößen, wie beispielsweise Staat, philosophische Systeme oder soziokulturelle Errungenschaften zum Verlust christlicher Identität führt. Es geht also auch immer um die soziale Identität im Sinne einer Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch eine „stabile Konfiguration von grundlegenden und allgemein anerkannten Überzeugungen, Verhaltensmustern und Werten“58 von der Umwelt abgegrenzt ist und – zur Identitätserhaltung – auch bleiben muss. So gehört es beispielsweise zur Argumentationsstrategie des Paulus, seine Adressaten an die Berufung zum Glauben zu erinnern.59 Religiöse Überzeugungen und Glaubensinhalte müssen ihrer Plausibilität wegen sprachlich und gedanklich an die Lebenswelt angepasst werden, d.h. aktualisiert und reformuliert werden.60 Die Untersuchung wird insbesondere der Frage nachgehen, wie dies im Falle des Motivs der himmlischen Bürgerschaft geschieht, dessen Bedeutung insbesondere bei Paulus durchaus kontrovers beurteilt wird.61 In der Forschung wird das Motiv zum einen im Zusammenhang mit der Fremdlingsmetapher behandelt. Feldmeier z.B. bezeichnet das Motiv als „positives Pendant“ zur Fremdlingschaft der Christen, das die Fremdlingsexistenz sachlich gleichsam impliziere.62 Zum anderen ist das Motiv ganz am Rande Gegenstand von Untersuchungen zum Motiv des himmlischen Jerusalem.63 Vor allem ältere Literatur verarbeitet das Motiv im Zusammenhang mit apokalyptisch geprägten Vorstellungen von der Himmelsstadt. Im folgenden soll jedoch die eigene theologische Valenz des Motivs herausgearbeitet werden und nach den über die Negativdefinition der Fremde hinausgehenden Implikationen des Motivs in den Integrations- und Abgrenzungsprozessen frühchristlicher Gemeinden gefragt werden. Das Motiv der 58 So lautet die Definition von „sozialer Identität“ nach MOL, Identity, 65. 59 Siehe dazu NIEBUHR, Identität, 351f., der als Beispiel u.a. auf 1Thess 1,4–10 hinweist. Paulus erinnere die Gemeinde daran, wie das Evangelium in Thessaloniki angekommen sei (vgl. auch 2, 13f den Bezug auf die Gemeindegründung und 4,3–8 den Verweis auf das Berufungsgeschehen). 60 Siehe VOLF, Identität, 370f zur Plausibilität der „permanente(n) Rekonstruktionen des Glaubens und Verhaltens“ der modernen Kirchen. Dieses Phänomen, das die Soziologie mit Heterogenität bzw. Differenziertheit der Lebenswelt bezeichnet, hat „eine Vielzahl von miteinander konkurrierenden Wirklichkeitsauffassungen, die zu einem entsprechenden ‚Überangebot‘ von Identitätsfoci führt“, zur Konsequenz (siehe ESTEL, Art. Identität, 206). 61 SCHWEMER, Stadt, 236 (die Vorstellung ist „ein wesentlicher Teil der endzeitlich-christologisch geprägten Ekklesiologie“) und dagegen SÖLLNER, Jerusalem, 169 („die Vorstellung stellt tatsächlich so etwas wie ein Fremdkörper innerhalb der Paulusbriefe dar und kann „deshalb keineswegs zum Zentrum paulinischer Theologie gerechnet werden“). 62 FELDMEIER, Christen, 81f. 63 SÖLLNER, Jerusalem, 168.

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Einleitung

himmlischen Bürgerschaft erscheint in der neutestamentlichen und frühchristlichen Literatur vergleichsweise selten, jedoch stets an zentralen Stellen, die das Weltverständnis und die Frage nach der Definition christlicher Identität im Gegenüber zur und in Auseinandersetzung mit der Welt betreffen. Daneben tritt mit weiterer Ausbreitung des frühen Christentums und verblassender Naherwartung die verstärkte Notwendigkeit, eine christliche Existenz in der Welt zu definieren. Hierbei ist an die oben erwähnten vier Bezugsgrößen dieser „Umwelt“ zu erinnern: Alltagsreligiosität, philosophische Systeme und allgemeines kulturelles Wissen, das politische Gefüge und ökonomische Faktoren. Zur Identitätswahrung der Gruppe muss notwendigerweise eine Abgrenzung von diesen Bezugsgrößen geschehen. Beides stellt sich nach dem Zeugnis der Paulusbriefe, aber auch anderer neutestamentlicher Briefe sowie frühchristlicher Literatur als „Gradwanderung“ dar. Spiegel dieses Phänomens ist unter anderem das Motiv der himmlischen Bürgerschaft.

I. Voraussetzungen für das Motiv der himmlischen Bürgerschaft Voraussetzungen

1. Traditionsgeschichtliche Linien – die Vorstellung vom „neuen“ und „himmlischen Jerusalem“ im Alten Testament und in jüdisch-apokalyptischen Schriften Traditionsgeschichtliche Linien im AT und in apokalyptischen Schriften 1.1 Hinführung Die traditionsgeschichtliche Zuordnung der Vorstellung vom himmlischen Jerusalem ist in der Forschungsliteratur sehr stark abhängig vom Fokus der jeweiligen Untersuchung. Nicht selten wird ein Einzelmotiv aus dem Motivkomplex „himmlisches Jerusalem/himmlische Stadt“ anderen ähnlichen Motiven als äquivalente Vorstellung zugeordnet. Die Unterschiede der Einzelmotive werden dabei oftmals verwischt und auf einen mutmaßlichen gemeinsamen Vorstellungskern zurückgeführt. Es ist das Verdienst der Arbeit Peter Söllners, einen Versuch unternommen zu haben, die differenten Rezeptionen der Vorstellung vom himmlischen Jerusalem nicht synthetisierend einzuengen und durch Zuordnung zu in der Forschung etablierten Bezeichnungen zu klassifizieren, sondern die jeweils eigenen Facetten der Einzelmotive in den über einen weiten Zeitraum verbreiteten jüdischen und christlichen Schriften in chronologischer Anordnung herauszuarbeiten. Neben den von Söllner zutreffend formulierten Kritikpunkten an zahlreichen Arbeiten zum Motiv „himmlisches Jerusalem“1 kommt folgendes hinzu: Die Mehrzahl der Untersuchungen zum Thema verorten die Vorstellung „himmlisches Jerusalem/himmlische Stadt“ im Bereich der Apokalyptik. Eine solche generalisierende Einschätzung hat für Texte wie z.B. Gal 4,25f oder Phil 3,20f die Konsequenz, dass auch in diesem Fall, z.T. ohne andere Traditionshintergründe in Erwägung zu ziehen, jener apokalyptische Hintergrund als Interpretationsgrundlage angeführt wird.2 Damit einher geht auch eine auf den ersten Blick einleuchtende Parallelisierung z.B. von Gal 4,26 mit Textbelegen aus jüdisch-apokalyptischen Schriften wie 4Esr, 2Bar oder 1 SÖLLNER, Jerusalem, 1. 2 Als Beispiel sei LOHSE, Art. 6KYP MVN (B), 336 angeführt: „Paulus hat das Bild vom oberen Jerusalem aus der apokalyptischen Tradition übernommen.“

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Voraussetzungen

2Hen.3 Gerade im Falle von Gal 4,25f ist in der Forschung die Tendenz festzustellen, dass zwar auf mögliche Parallelen hingewiesen wird, aber die paulinische Verarbeitung des Motivs, die ja zunächst im Mittelpunkt stehen und deren Originalität man ihr nicht zu schnell absprechen sollte, in den Hintergrund tritt.4 In älteren Arbeiten wird der Motivbereich oftmals nicht präzise erfasst. Ein Beispiel hierfür ist die Arbeit von H. Bietenhard. Zwar bemerkt er mit Recht, dass der Sprachgebrauch vom himmlischen Jerusalem im Neuen Testament keineswegs einheitlich sei,5 resümiert aber nach kurzer Abhandlung aller einschlägigen neutestamentlichen Parallelen stark homogenisierend: „Man könnte den Tatbestand zugespitzt so formulieren: Das himmlische Jerusalem ist im NT keine jenseitige, sondern eine zukünftige Größe. Dabei muß aber sofort auch gesagt werden, dass diese zukünftige Stadt schon jetzt existiert.“6

Theologisch unscharf wird es allerdings, wenn das himmlische Jerusalem allzu schnell mit dem „neuen Äon“ oder dem „Reich Gottes“ auf eine Stufe gestellt wird.7 Auch eine Gleichsetzung des himmlischen Jerusalem in neutestamentlicher Zeit mit der „Kirche“, dürfte den Texten kaum gerecht werden.8 Vielfach werden Kontext, semantische Voraussetzungen und konkrete sprachliche Umsetzung des Motivs nicht ausreichend beachtet. Bisweilen hat man bei älteren Arbeiten den Eindruck, dass der metaphorische und Charakter der Vorstellung vom himmlischen Jerusalem nicht genügend in den Blick genommen wird. 9 Vor diesem – hier freilich nur skizzierten – Hintergrund sind die in der Literatur genannten Parallelen zum „oberen Jerusalem“ genau daraufhin zu überprüfen, ob es sich tatsächlich immer um dasselbe Motiv handelt. Dies 3 Siehe z.B. VOLLENWEIDER, Freiheit, 295, der die in Gal 4,25f enthaltene Vorstellung 2Bar 4,3–7; 32,4 und 4Esr 9,26–10,60; 7,9f zuordnet. BETZ, Galaterbrief, 424, führt ebenfalls 2Bar 4,1–6 und 2Hen 55,2 als Parallele zu Gal 4,26 an. Wenn er zu Gal 4,26 jedoch schreibt: „Paulus‘ Vorstellung ist noch einmal anders: sein ‚Jerusalem droben‘ ist präexistent und bleibt im Himmel; wer dort wohnen will, muss dorthin hinaufsteigen“, so trifft diese Deutung nicht den Kern von Gal 4,25–26. 4 So auch SÖLLNER, Jerusalem, 161. 5 BIETENHARD, Welt, 196f. 6 BIETENHARD, Welt, 201. 7 BIETENHARD, Welt, 202: „Apk 21 f. gibt dann die einzige Beschreibung des himmlischen Jerusalem im jüdisch-christlichen Bereich. Diese Stadt ist identisch mit dem neuen Aeon, mit dem Reiche Gottes.“ Vgl. dazu die Kritik bei SÖLLNER, Jerusalem, 4. 8 SCHLIER, Gal, 160f: „Für ihn (sc. Paulus) ist also der neue Äon, das himmlische Jerusalem, schon gegenwärtig in der christlichen Kirche.“ Für Schlier „ist das obere Jerusalem, das in der Kirche lebt, das auf dem Grunde der göttlichen Verheißung in Freiheit herrschende Reich.“ 9 BIETENHARD, Welt, 204: „Das himmlische Jerusalem ist die Heimat und Mutter der Christen: Gal 4,26; Phil 3,20, weil Christus darin wohnt, der in der Parusie die Christen zu sich holen wird, nach Apk 21 eben in diese himmlische Stadt.“

Traditionsgeschichtliche Linien im AT und in apokalyptischen Schriften

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gilt nicht nur im Blick auf die sprachliche Form, sondern vor allem auf die konkreten und im Text vorhandenen Implikationen des Motivs. Dazu gehören auch die im Kontext genannten Relationen zwischen den Glaubenden und der himmlischen Größe (Stadt, Bürgerschaft, Jerusalem). Dabei ist es m.E. weder angebracht, eine Art „Defizitbeschreibung“ vorzunehmen, d.h. z.B. für Gal 4,26 die fehlenden Aspekte der Vorstellung zu benennen, die man aus anderen Texten her kennt, noch zu spekulieren, welche Vorstellung vom himmlischen Jerusalem Paulus über die Angaben, die er selbst macht, hinaus gekannt haben mag.10 1.2 Die Himmelsstadt im Alten Testament Das Motiv der „himmlischen Stadt“ bildet sich im Frühjudentum in Verbindung mit der Vorstellung eines neuen, zukünftigen Jerusalem heraus.11 Die Vision der bleibenden Zukunftsstadt Jerusalem als eschatologische Gegengröße zur zerstörten Stadt und zum Tempel geht zurück auf die nachexilischen Propheten Deuterojesaja (Jes 54,11–17), Tritojesaja (Jes 60–62), Sacharja (Sach 1–2) und Haggai (Hag 2,1–9).12 Auch die Vorgeschichte des in der Johannesoffenbarung enthaltenen Motivs des himmlischen Jerusalem beginnt in prophetisch-apokalyptisch geprägten Texten (z.B. Sach 1,16; 2, 5–9.14–17). Das neue Jerusalem wird angekündigt, abgemessen, und die bleibende Gegenwart Gottes in ihm verkündet. Der Prophet kann allerdings die Stadt – anders als der neutestamentliche Apokalyptiker – nicht schauen. Auch wird nicht gesagt, dass es sich bei dem neuen Jerusalem um eine himmlische Größe handelt. Dies wird aus weiteren prophetischen Aussagen, z.B. der Verheißung vom neuen Himmel und der neuen Erde in Jes 65,17, geschlossen. Selbst in 10 Dies ist im ansonsten sehr aufschlussreichen Aufsatz von SCHWEMER, Stadt, 237 der Fall. Dort heißt es: „Über die Bilder und Farben des oberen Jerusalems schweigt Paulus sich aus. Dabei hätte doch gerade er, der Mystiker und Apokalyptiker war, farbenprächtig berichten können, wie es in der oberen Welt aussieht. Die Johannesapokalypse kann hier sehr viel mehr sagen.“ Solche Generalisierungen verstellen den Blick für die in Gal 4,25f enthaltene Vorstellung und die Frage, was Paulus mit ihr bezweckt, völlig und fügen sich nicht ein in die sonst zutreffenden Bemerkungen Schwemers (v.a. zur Bedeutung des Motivkomplex für die paulinische Ekklesiologie). 11 Vgl. THRAEDE, Art. Jerusalem II, 720. Im Frühjudentum entstehe die Idee der Himmelsstadt als „eine regelrechte Jenseits-Vorstellung im Rahmen des frühjüd. Weltbildes“. Dieses Motiv fehle allerdings in den Psalmen und im gesamten Alten Testament, sondern komme erst in frühjüdischen (außerkanonischen) Schriften auf. 12 Jerusalem ist Gottes Wohnstatt (zunächst auf die Bundeslade bezogen, danach auf den Tempelberg und mit ihm auf die ganze Stadt). Jerusalem ist die „heilige Stadt“ (Jes 48,2; 51,1; 66,10; Neh 11,1) und „Stadt Gottes“ (z.B. Ps 46,5; 87,3; Dan 3,28). Die Umkehr Israels verbindet sich mit dem Motiv der Erneuerung der Stadt Jerusalem (z.B. Jes 1,26; 26,1). Siehe dazu THRAEDE, Art. Jerusalem II, 719.

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Voraussetzungen

den entsprechenden Texten aus Qumran, die sich auf Sach 2 und Ez 40–48 beziehen, bleibt unklar, ob Jerusalem als im Himmel befindlich gedacht ist.13 In den Zionspsalmen werden die Attribute der Stadt Jerusalem, z.B. Schutzvermögen und Wehrhaftigkeit auf Jahwe übertragen. Gott selbst wird zur Zufluchtsstätte (Ps 46,5f; 48,2f.9). Zugleich „manifestieren und materialisieren sich diese Eigenschaften Gottes in der sichtbaren Architektur der Stadt“.14 Jerusalem ist im Alten Testament eine relationale Größe. Die Stadt wird als weibliche Person dargestellt und fungiert somit über ihre geschichtliche Bedeutung für Israel hinausgehend als Mittlergestalt zwischen den Menschen und Gott.15 Die Menschen, die zu ihr in Beziehung stehen, werden als Zions Kinder, sowohl als Söhne als auch als Töchter, bezeichnet (Jes 49, 17.20–22.25; 54,1.13; Jer 5,7; Klgl 1,16 u.v.ö.), Jerusalem dementsprechend als Mutter (Jes 50,1). Für die Feinde ist sie die Gebeugte (Jes 51,21; 54,11) oder Gefangene (Jes 52,2). Die Stadt selbst steht auch in einer relationalen Beziehung zu Jahwe. Sie ist Tochter (Jes 52,2; 62,11; Mi 1,13 u.ö.), Gemahlin (Jes 50,1; 51,22; 54,1.4–8 u.ö.),16 und als negative Bezeichnung mit Blick auf die Zerstörung ist sie Witwe (Jes 54,4; Klgl 1,1) und Verlassene (Jes 49,14; 54,6f; 60,15; 62,1.4).17 Die Vorstellung der himmlischen Stadt in Form des himmlischen Jerusalem ist zwar vor allem in prophetischen Texten und in den Psalmen angelegt, aber doch zunächst noch mit einer für den irdischen Bereich erhofften Endvollendung verbunden. Jerusalem wird erst in späteren Texten unter dem Einfluss eschatologisch-apokalyptischer Vorstellungen in prächtigen Formen ausgemalt und auch dann erst explizit als himmlische Größe verstanden.18

13 Siehe dazu SCHWEMER, Stadt, 213f und SÖLLNER, Jerusalem, 141f. 14 STECK, Zion, 267ff. 15 Vgl. dazu STECK, Zion, 261–263. Steck macht darauf aufmerksam, dass dieser Aspekt allzu schnell dem Versuch der Exegeten ausgesetzt ist, „wegrationalisiert“ und unter Begriffe wie Personifikation oder Bildrede subsumiert zu werden. 16 Diese Attribute werden in der Theologie des zweiten und dritten Jahrhundert auf die christliche Kirche übertragen. Sie selbst wird zur domina mater ecclesia (Tertullian, mart. 1,1 auf Karthago bezogen). Die Vorstellung der Kirche als weibliche Gestalt ist weit verbreitet (siehe nur Hermas, vis. I 2,2). Näheres dazu bei HENGEL, Herrin, 245–285. 17 Siehe dazu STECK, Zion, 269ff und 281: Jerusalem ist in den erwähnten Texten „Trägerin eigener, für sie bestimmter theologischer Aussagen. Sie gelten ihr in einer Stellung, die ihr in Relation zu Jahwe und in Relation zum Menschen eigen ist, ohne daß die Stadt mit beiden identisch wäre. Jerusalem ist eine Größe eigener Art, an die Gott gewährt und von der der Mensch empfängt.“ 18 Vgl. PLÖGER, Art. Himmlisches Jerusalem, 339; vgl. THRAEDE, Art. Jerusalem II, 720.

„Himmlischer Ruheort“ (Hebr) und „Stadt der Zuflucht“ (JosAs)

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1.3 Das „himmlische Jerusalem“ und die „himmlische Stadt“ in der jüdischen Apokalyptik Die Vorstellung vom himmlischen bzw. neuen Jerusalem als Restitution und Ersatz für die reale Stadt Jerusalem ist ein in jüdisch-apokalyptischen Schriften weit verbreitetes Motiv. Die wichtigste historische Zäsur, die die literarisch verbreitete Vorstellung vom himmlischen Jerusalem in ihrem Wesen beeinflusst, ist die Zerstörung des zweiten Tempels. So nehmen 4Esr, 2Bar und TestDan die Zerstörung Jerusalems im Jahr 587 v.Chr. als Paradigma für die des Jahres 70.19 Mit jeweils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und Gewichtung ist in diesen drei Schriften die Zerstörung des zweiten Tempels die theologische Voraussetzung für die Neukonstituierung eines neuen, himmlischen und ewigen Tempels. In den drei Schriften fungiert auch das Motiv vom neuen Jerusalem als Bewältigung der Katastrophe des Jahres 70 n.Chr., also des Verlustes des Heiligtums. Die himmlische Größe stellt dabei nicht den Ersatz des irdischen dar, sondern wird als schon immer bei Gott verwahrt und vor allen Dingen geschaffen (präexistent) angesehen. Die Autoren stellen die Zerstörung Jerusalems als Voraussetzung für das neue Jerusalem dar. Dazu ordnen sie die Zerstörung des alten und das Erscheinen des neuen Jerusalem in ein apokalyptisches Szenario endzeitlicher Ereignisse ein, an deren Ende die Gerechten alles Leid und alle Zerstörung überwinden. Die vom Alten Testament her bekannte „Theologie des Restes“ und der weisheitliche Tun-Ergehen-Zusammenhang werden hierbei in die Konzeption integriert.20

2. Der „himmlische Ruheort“ in Hebr 3,7–4,13 und JosAs 15,7 und die „Stadt der Zuflucht“ in Joseph und Aseneth „Himmlischer Ruheort“ (Hebr) und „Stadt der Zuflucht“ (JosAs) 2.1 Die MCVCRCWUKL-Vorstellung in Hebr 3,7–4,13 und ihre eschatologische Einordnung Im Hebräerbrief findet sich in dem Textabschnitt 3,7–4,13 die Vorstellung von der himmlischen Ruhe, die mit dem Zitat aus Psalm 95,7–11 entfaltet 19 THRAEDE, Art. Jerusalem II, 720; STEMBERGER, Geschichte, 31; SÖLLNER, Jerusalem, 305 und ausführlicher DÖPP, Deutung, 119ff. 20 Die Ausführungen beziehen sich nur auf einige Texte (4Esr 7,26ff; 8,52–54; 9,26–10,59; 2Bar 4,3–6 und TestDan 5,10–13), wenngleich es sich um signifikante Beispiele handelt. Der gesamte Bereich der rabbinischen Tradition konnte nicht weiter thematisiert werden (vgl. dazu THRAEDE, Art. Jerusalem II, 721 und vor allem EGO, Himmel).

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Voraussetzungen

wird. Mehrfach begegnet der Ausdruck GK UGTZQOCK GK L VJ?P MCVCRCWUKP Eine exegetische Frage, die sich stellt, hängt mit dem Verständnis der Vorstellung von der Ruhe (MCVCRCWUKL) zusammen. Es geht dabei um die Frage, ob die „Ruhe“ lokal oder als Zustand bzw. Existenzweise zu verstehen ist.21 Dieses Problem, das im Grunde die Frage nach der Präferenz der lokalen oder zeitlichen Dimension enthält,22 gilt es im Blick auf das Motiv der himmlischen Bürgerschaft ebenfalls zu berücksichtigen.23 Die Wendung GK UGTZQOCK GK L VJ?P MCVCRCWUKP muss nicht lokal verstanden werden. Das Verb GK UGTZQOCK kann hier durchaus statt mit „hineingehen“ auch mit „Anteil haben“ oder „in den Genus kommen“ übersetzt werden.24 Auch die Übernahme von Ämtern und der Kriegseintritt können durch die Wendung GK UGTZGU-CK mit der Präposition GK L ausgedrückt werden.25 Diese Diskussion nötigt dazu, unter MCVCRCWUKL (oder dann analog unter dem oft parallel gebrauchten C PCRCWUKL26) nicht selbstverständlich die Konzeption eines Heilsortes zu fassen. Außer in Hebr 3,7–4,13 kommt MCVCRCWUKL im übrigen Neuen Testament nur noch in einem Zitat aus Jes 66,1 in Apg 7,49 vor. In der frühchristlichen Literatur ist nur ein Beleg bekannt: im Barnabasbrief 16,2 (hier wird ebenfalls Jes 66,1 zitiert). Zieht man den Umstand hinzu, dass auch in Hebr 3,7ff durch das Zitat von Ps 94,7–11 (LXX) die MCVCRCWUKL Vorstellung eingebracht wird, dann kommt man zu dem Schluss, dass in jedem Fall der Einfluss der Septuaginta die Verwendung des Wortes bedingt.27 Auch in der Schrift Joseph und Aseneth finden sich zwei Belege: 22,13 und 8,9. Aussagekräftiger ist 8,9: 21 Auch in der neueren Forschung zum Hebräerbrief wird die Frage wieder diskutiert, welche eschatologische Grundkonzeption im Hebräerbrief wirksam ist: eine frühjüdisch-christlich apokalyptische oder eine jüdisch-hellenistische, vgl. WITULSKI, Frage. 22 Siehe dazu WALTER, Eschatologie (1985), 341ff. 23 Gemeint ist hier z.B. die Frage nach dem Verständnis des RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L in Phil 3,20 oder die Auffälligkeit in Gal 4,25f, wo Paulus der zeitlichen Größe des jetzigen Jerusalem die lokale Größe des oberen Jerusalem gegenüberstellt. Eine Untersuchung, die sich Motiven aus dem Bereich der Eschatologie zuwendet, muss auch diese unterschiedlichen eschatologischen Grundanschauungen im Blick haben. Eine diesbezüglich unscharfe Reflexion, wie bei Söllner, Jerusalem, 9, wo unter Eschatologie schlicht „die Realisierung von gegenwärtig noch ausstehenden Ereignissen“ verstanden wird, führt dazu, dass an manchen Stellen wichtige Aspekte des Motivbereichs der himmlischen Zugehörigkeit nicht klar erfasst werden; vgl. Söllners Interpretation zu Gal 4 und zum Hebr sowie die Rekapitulation am Schluss, in der die Begrifflichkeit auch nicht eindeutig ist. Wo liegen die Unterschiede zwischen dem ‚eschatologischen‘, dem ‚neuen‘ und dem ‚himmlischen‘ Jerusalem? Die Attribute werden bei Söllner nicht klar differenziert. 24 Vgl. das „Eingehen“ ins Himmelreich bzw. in die Gottesherrschaft, siehe dazu SCHNEIDER, Art. G TZQOCK MVN 673–676. Siehe auch HOFIUS, Katapausis, 26, der auf die analoge Wendung GK UGTZGU-CK GK L VJ?P \YJP in Mt 18,8f; 19,17 und Mk 9,43.45 hinweist. 25 LSJ s.v., 494f. 26 Dazu VIELHAUER, $1$3$86,6, 215–234. 27 So die Darstellung bei HOFIUS, Katapausis, 29–30.

„Himmlischer Ruheort“ (Hebr) und „Stadt der Zuflucht“ (JosAs)

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MCK? GK UGN-GVY GK L VJ?P MCVCRCWUKP UQW J ?P J VQKOCUCL VQ”L G MNGMVQ”L UQW MCK? \JUCVY G P V CK YPK \Y UQW GK L VQ?P CK YPC ZTQPQP28

Nach Hofius liegt in beiden Texten LXX-Einfluss vor: In JosAs 8,9 werde – wie in Hebr 3,7ff – Psalm 94 (LXX) aufgenommen, und in 22,13 stehe Jes 66,1 im Hintergrund. Eine Stelle, die der Text von Burchard enthält, die bei Hofius aber wegen der von ihm benutzten Textedition der Schrift fehlt, ist JosAs 15,7 („allen, die sich bekehren, bereitet sie (sc. Aseneth) einen Ort der Ruhe im Himmel“): RCUK VQ”L OGVCPQQWUK VQRQP C PCRCWUGYL J VQKOCUGP G P VQ”L QW TCPQ”L 

Gerade weil in 15,7 auch die andere für JosAs wichtige urbane Größe, die RQNKL MCVCHWIJL vorkommt, und VQRQL mit der Verbform J VQKOCUGP verknüpft wird, denkt der Leser bei C PCRCWUKL zunächst sofort an eine Lokalität.29 Für K. Berger gehört das Ruhemotiv gewissermaßen als sprachlicher Topos zur jüdisch-hellenistischen Missionsliteratur, der sich – von rabbinischen Texten abgesehen – auch in apokryphen Apostelakten finde.30 Hofius wendet sich zur Klärung der Frage, ob MCVCRCWUKL als Zustand oder Lokalität zu begreifen ist, dem hebräischen Äquivalent zu:JZYPO.Dies ist auch deshalb erforderlich, weil die LXX-Belege des Wortes MCVCRCWUKL keine eindeutige Entscheidung zulassen.31 In Abgrenzung gegenüber G. v. Rad32 hält Hofius nach der Untersuchung des masoretischen Textes von Ps 95,7b–11 fest, „daß das Wort JZYPO in V. 11b im masoretischen Text lokale Bedeutung hat und als Typos das Land Kanaan, als Antitypos den Tempel in Jerusalem meint. Der lokale Sprachgebrauch ist keineswegs auf diesen Psalm beschränkt; vielmehr heißt das heilige Land auch Dtn 12,9 JZYPO, und der Tempel wird Ps 132,8.14 JZYPO genannt.“33

Hofius bietet in seiner Untersuchung eine ausführliche religionsgeschichtliche Einordnung der MCVCRCWUKL Vorstellung, auf die hier nicht näher einzugehen ist. Trotzdem bleibt aber die Frage nach der Art der Eschatologie bestehen: jüdisch-apokalyptisch oder hellenistisch.34 Für Hofius ist die im 28 Übersetzung (wie die weiteren) nach BURCHARD, JosAs (JSHRZ II/4), 651: „Und sie gehe hinein in deine Ruhe, die du bereitest deinen Auserwählten, und sie lebe in deinem ewigen Leben in die Ewigkeit-Zeit.“ 29 Siehe auch BURCHARD, JosAs (JSHRZ II/4), 651: „MCVCRCWUKL (ist) wohl kein Zustand, sondern metonymisch der himmlische ‚Ort der Ruhe‘.“ 30 Vgl. BERGER, Missionsliteratur, 236–239. 31 HOFIUS, Katapausis, 32f. 32 V. RAD, Ruhe, 108 sieht in Hebr 3 die alttestamentlichen Heilsweissagungen erfüllt: „Diese Ruhe ist ein jenseitiges Gut, eine Erfüllung alter Heilsweissagungen, ein Einkehren in die Ruhe, die bei Gott von Anfang her ist.“ 33 HOFIUS, Katapausis, 41. 34 Zur Unterscheidung siehe auch GRÄSSER, Gottesvolk, 235f; WALTER, Eschatologie (1985), 335–349 sowie DERS., Eschatologie (ThLZ), 331–348.

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Hebräerbrief enthaltene Vorstellung der MCVCRCWUKL als endzeitlicher Ruheort der Seligen auf Erden aufzufassen. So wird der Hebräerbrief als apokalyptische Schrift verstanden, die in gedanklicher Nähe zu Texten wie 4Esr steht.35 Demgegenüber ordnet Gräßer die in Hebr 3,7ff enthaltene Vorstellung religionsgeschichtlich anders ein. Gemeint sei nicht der endzeitlich auf die Erde herabkommende Heilsort, sondern „die unwandelbare, himmlische Welt, die bleibt, wenn das ‚Geschaffene‘ vergeht“ (Hebr 12,27). 36 In JosAs wie im Hebr werde der Ausdruck MCVCRCWUKL aus Psalm 94,11 (LXX) entnommen und eschatologisch gedeutet.37 So müsse man anders als Hofius zu dem Schluss kommen, dass die Parallelen zwischen dem Hebräerbrief und JosAs nicht „trotz“, sondern „wegen derselben eschatologischen Grundkonzeption“ bestehen.38 Gräßer sieht im Hebräerbrief zwar durchaus apokalyptische Motive tradiert und modifiziert, hält ihn aber nicht für ein Produkt frühchristlicher Apokalyptik. Auffällig sei die Verbindung zwischen urchristlich-apokalyptischem Denken und „einer mit dem Alexandrinismus sehr benachbarten hellenistischen Eschatologie“.39 Der Autor des Hebräerbriefes wie auch der sachlich benachbarten Schriften halte, so Gräßer, „die Gewißheit der Heilsvollendung in der oberen Welt (für) wichtiger als die genaue Frage, ‚wie der Übergang in jenes himmlische Leben gedacht und beschrieben werden kann‘.“40 2.2 Die „Stadt der Zuflucht“ und der „himmlische Ruheort“ in JosAs im Erzählzusammenhang der Schrift Die bereits genannten Textstellen in der Schrift JosAs sollen nun noch genauer Gegenstand der Untersuchung sein. Die Vorstellung vom himmlischen Ruheort (15,7) steht dabei nicht allein. Im gleichen Vers findet sich eine weitere lokale Größe, die Stadt der Zuflucht: „Und dein Name wird nicht mehr gerufen werden Aseneth, sondern es wird sein dein Name Stadt (der) Zuflucht, denn in dir werden Zuflucht nehmen viele Völker zu Herr, dem Gott dem Höchsten, und unter deine Fittiche werden gedeckt werden viele Nationen, (die) vertrauen auf Herr den Gott, und in deiner Mauer werden behütet werden, die (da) sich anschließen Gott dem Höchsten in (dem) Namen der Umkehr.“ 35 HOFIUS, Katapausis, 96 und siehe dazu auch seinen Nachtrag auf S. 248ff als Antwort auf THEISSEN, Untersuchungen, 128f. 36 GRÄSSER, Gottesvolk, 237. 37 Zu Ps 95,11 unter Heranziehung rabbinischer Auslegung HOFIUS, Katapausis, 42ff. 38 GRÄSSER, Gottesvolk, 238; HOFIUS, Katapausis, 205 Anm. 569. 39 GRÄSSER, Gottesvolk, 245 im Anschluss an LUZ, Bund, 330f, der den Hebräerbrief als Resultat der Begegnung der christlich-apokalyptisch und jüdisch-hellenistischen Tradition versteht. 40 GRÄSSER, Gottesvolk, 247 mit Zitat von N. Walter.

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Sowohl durch das Substantiv VQRQL als auch besonders durch RQNKL könnte der Schluss naheliegend sein, dass es sich in beiden Fällen um lokal zu verstehende Größen handelt. Die Frage ist zum einen, in welcher Beziehung die beiden Motive zueinander stehen und zum anderen, wie sie in den erzählerischen Gesamtzusammenhang der Schrift JosAs eingebunden sind. Ferner ist zu klären, welche möglichen Traditionslinien oder zumindest sachlichen Parallelen zwischen der Vorstellung vom (himmlischen) Ruheort bzw. der (himmlischen) Ruhe und dem Motiv der himmlischen Bürgerschaft bestehen. Die Einbeziehung der jüdisch-hellenistischen Schrift JosAs in die Untersuchung erfolgt dabei auch und gerade wegen der zeitlichen Nähe zu Paulus und zu Philo von Alexandrien, wobei letzterem neben dem Motiv der himmlischen Bürgerschaft auch die Fremdlingsmetapher, die Vorstellung der himmlischen Heimat und eines Ruheortes geläufig sind. Zur besseren Einordnung der Schrift und wegen der in der Forschung keineswegs einheitlich beantworteten Fragen nach Datierung, Gattung und religiöser Prägung der Schrift ist ein kurzer Überblick über die äußeren Daten, die Textüberlieferung, die Gattung und das religiöse Profil der Schrift JosAs hilfreich.41 Eine genaue Datierung der Schrift ist – wie auch die Lokalisierung – unsicher. Letztlich hat sich in der Forschung ein Zeitraum vom späten zweiten Jahrhundert v. bis ins frühe zweite Jahrhundert n.Chr. Herauskristallisiert.42 Als Entstehungsort wird heute die ägyptische Diaspora angenommen. Das Hauptargument dafür findet sich im Text selbst: die Hauptfigur ist Ägypterin.43 Auch die Rekonstruktion des Textes der Schrift JosAs ist äußerst umstritten.44 Die wichtigsten Editionen bzw. Textrekonstruktionen von P. Batiffol45 (1889/90), M. Philonenko46 (1968) und Ch. Burchard stützen sich auf unterschiedliche Gruppen von Textzeugen. Burchards Textrekonstruktion basiert 41 Vgl. zu JosAs auch die knappe, aber prägnante Übersicht bei BARCLAY, Jews 204–216. 42 Als terminus post quem gilt gemeinhin die Entstehung der Septuaginta, genauer die Übersetzung der Prophetenbücher, die in der Schrift Joseph und Aseneth benutzt werden, vgl. STANDHARTINGER, Frauenbild, 16ff mit weiteren Datierungsvorschlägen aus der Forschung. Vgl. auch BURCHARD, JosAs (JSHRZ II/4), 614: „Zwischen dem späteren 2. Jahrhundert v.Chr. und dem Bar Kochba-Aufstand 132–135 n.Chr. muss JosAs wohl geschrieben sein.“ Vergleiche mit zeitgleich entstandener Literatur helfen nicht viel weiter: So hat Philo JosAs erkennbar nicht rezipiert und eine explizite Erwähnung der Schrift JosAs findet sich erst im sechsten Jahrhundert n.Chr.; siehe zu Zeit, Ort und Wirkungsgeschichte ausführlich BURCHARD, Untersuchungen, 133ff. Eine genauere Einordnung der Schrift versucht u.a. SÄNGER, Erwägungen, 85–106. 43 Siehe BURCHARD, JosAs (JSHRZ II/4), 614: „Vor allem spricht dafür, dass die Ägypterin Aseneth die Hauptfigur ist, nicht Tamar (Gen 38), Ruth, Rahab (Jos 2) [...] Was man sonst an genaueren Bestimmungen von Zeit und Ort lesen kann, ist Vermutung, soweit nicht erkennbar falsch.“ 44 Siehe dazu im Detail: BURCHARD, JosAs (JSHRZ II/4), 580–589 mit Erklärungen zu den einzelnen Zeugengruppen und Handschriften sowie DERS., Asenethroman, 543–667 über die Übersetzungen und Wirkungsgeschichte (und mit weiterführender Literatur). 45 BATIFFOL, Livre, 1–87. 46 PHILONENKO, Joseph et Aséneth.

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auf Textzeugen, die bei Batiffol und Philonenko weitgehend unberücksichtigt geblieben sind. Hierbei ergibt sich das Problem, dass dieser von Burchard rekonstruierte Text beträchtlich länger ist als der sogenannte „Kurztext“ (Philonenko: 8.270, Burchard: 13.410 Wörter47). Hinter der ganzen Überlieferung steht nach Burchard ein Archetyp, da JosAs das Werk eines Autors sei und keine Volkserzählung.48 Auf dieser Basis rekonstruierte Burchard zunächst einen vorläufigen Text von Joseph und Aseneth,49 dem 2003 eine vollständige Textausgabe folgte,50 die – so Burchard – dem Archetyp möglichst nahe komme. Die komplizierte Textrekonstruktion kann hier nicht detaillierter behandelt werden. Daraus resultiert aber ein gravierendes methodisches Problem: Wie aussagekräftig sind Interpretationen zu Joseph und Aseneth, wenn sich derart erhebliche Abweichungen unter den Textausgaben, vor allem in Form des Lang- und Kurztextes, zeigen? Grundsätzlich stellt sich die Frage nach einer bewussten Kürzung oder Ergänzung durch einen (oder mehrere) Bearbeiter. So z.B. nimmt A. Standhartinger das Vorhandensein zweier rekonstruierbarer Texte (Kurz- und Langtext) zum Ausgangspunkt.51 Grundsätzlich ist die Textrekonstruktion apokrypher Texte vor andere Probleme gestellt als die neutestamentliche Textkritik. Es ist eine „ungeheure textgeschichtliche Dynamik der sogenannten Apokryphenliteratur“ festzustellen. Bezogen auf die Schrift ‚Leben Adams und Evas‘ lautet das zugespitzte Urteil J. Tromps: „Das Abschreiben des Textes des Büchleins steht im Dienste der Beantwortung aktueller Fragestellungen, das heißt also, im Dienste sich stets verändernder Probleme. Kurz gesagt: diese Texte dienen der Erbauung von Menschen, deren aktuelle Lage sich verändert; also werden auch die Texte verändert.“52 Das Gesagte kann bei der Beurteilung der Textgeschichte apokrypher Schriften im allgemeinen und der Schrift JosAs im besonderen nicht unberücksichtigt bleiben. Vor allem stellt sich die Frage, ob man überhaupt zu einem Urtext oder Original gelangen kann. Ähnlich wie Burchard spricht auch Tromp daher statt Originaltext von Archetypus.53 Dieses Problem muss die Exegese berücksichtigen. Die zentrale Stelle 15,6 bzw. 15,7, die Umbenennung Aseneths in RQNKL MCVCHWIJL haben sowohl Kurz- als auch Langtext, während das Motiv der Mutterstadt (OJVTQRQNKL) nur im Langtext (16,6) vorkommt.

Auch die Frage nach der Gattung der Schrift JosAs ist in der Forschung nicht einmütig geklärt. Es werden sowohl Argumente für einen Roman als 47 Zahlen nach BURCHARD, JosAs (JSHRZ II/4), 585. 48 BURCHARD, JosAs (JSHRZ II/4), 587: „Die Textgeschichte zeigt, dass voller Text im Zweifel älter ist als kurzer. Nur bei Varianten auf Syntagmenebene, z.B. wenn in 8,9 ‚heiliger Geist‘ neben ‚Geist‘ überliefert ist, mag gelten, dass die kürzere Lesart eher ursprünglich ist als die längere, aber auch nicht so stark, wie man es aus dem neutestamentlichen Proseminar im Ohr hat.“ 49 Der Text ist veröffentlicht in: Dielheimer Blätter zum Alten Testament Nr. 14/1979. 50 BURCHARD, JosAs (PVTG 5), 2003. 51 Vgl. aber auch die z.T. Rezension von SÄNGER, ThLZ 121 (1996), 1152. 52 TROMP, Edition, 193. 53 TROMP, Edition, 196: „Dieser Begriff bezeichnet jene Kopie des Originals, von der alle vorhandenen Handschriften abhängig sind.“ Vgl. zum Begriff „Archetypus“ auch durchaus kritisch TOV, Criticism, 167.

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auch für eine Novelle angeführt.54 Am häufigsten jedoch wird JosAs als Roman verstanden.55 Philonenko weist auf die erkennbaren Parallelen zwischen JosAs und hellenistischen Romanen hin.56 Im folgenden stehen nun die beiden Motive RQNKL MCVCHWIJL und VQRQL im Mittelpunkt der Untersuchung. Die Ägypterin Aseneth ist eine weit bekannte schöne Jungfrau (1,5f), wird jedoch als hochmütig und eingebildet charakterisiert (2,1). Ihr Vater Pentephres schmiedet einen Heiratsplan und möchte sie Joseph zur Frau geben. Aseneth jedoch hält Joseph als Bräutigam nicht für angemessen (JosAs 4,9f). Sie vertraut darauf, dass der Sohn des Pharaos sie ehelichen werde. Aseneth flüchtet sich in ihr Gemach und sieht von dort Joseph als strahlenden Held kommen. Joseph, der sich am Hof des Pentephres aufhält, lehnt bei der Begrüßung den Kuss Aseneths ab, weil er als Jude sie als Heidin für unrein hält. Er spricht jedoch das bereits erwähnte Segensgebet für Aseneth (8,9).

C PCRCWUGYL

K. Berger weist auf ein vergleichbares Gebet in den Acta Philippi, Kap. 117, hin.57 Durch beide Gebete werde die Bekehrung eingeleitet, der Bekehrende sei in beiden Fällen männlich, die zu bekehrende Person weiblich, wie i.ü. die Proselyten häufig weiblich seien. Auch sprachlich sind Parallelen auffällig. Beide Gebete beginnen mit partizipialen Prädikationen und enthalten auch weitere inhaltliche Parallelen, wie z.B. das Lebendigmachen der Toten und das Eingehen in einen verheißenen Heilsort.58

Festzuhalten ist, dass jedenfalls schon in JosAs 8 das Motiv des Ruheortes mit der Bekehrung verbunden wird. Ganz in der alttestamentlichen Weise 54 Dabei bezieht man sich auch auf moderne literaturwissenschaftliche Gattungsdefinitionen, so z.B. bei WEIMAR, Formen, 129. Zur Novelle bezieht sich Weimar auf B. von Wieses NovellenDefinition. Auch Philonenkos Charakterisierung von JosAs als roman à clef ist ein neuzeitlicher Begriff. STEMBERGER, Geschichte, 56 hält JosAs für einen „hellenistischen Unterhaltungsroman“. 55 U.a. bei BEER, Art. Joseph und Aseneth, 379: „gnostisierend-christlicher Roman“, LOHSE, Art. Joseph und Aseneth, 864: „ein auf jüdischer Grundlage beruhender christlich-gnostischer Roman“, SÄNGER, Judentum, 1: „hellenistisch-jüdischer Roman“ und vor allem PHILONENKO, Joseph et Aséneth, 53. 56 Hier sind zu nennen: Chariton, Xenophon von Ephesos, Longus, Achilles Tatius, Heliodor und Apuleius. 57 BERGER, Missionsliteratur, 237f. 58 Dazu ausführlicher: BERGER, Missionsliteratur, 237f, der vor allem auch auf die Erbmetaphorik aufmerksam macht, die sich in ActPhil 117 findet (MNJTQL). „Denn der Begriff des Erbes spielt in der Bekehrungsliteratur überhaupt eine große Rolle, so außer in Acta 26,18 auch in Joseph und Asenath 12 (Asenath gibt das irdische Erbe auf, um das himmlische zu erlangen) und in Mt 19,29b (auch hier Folgen der Bekehrung).“ Berger weist (S. 248) auf die Bedeutung von JosAs 8 für das Bekehrungsverständnis des Paulus hin (Röm 6,4: Bei der Taufe wird der Geist empfangen und damit das neue Leben). „Als Segnung (vgl. die Bitte im Gebet JosAs 8) wird der Geistempfang der Gemeinde auch aufgefaßt in Gal 3,2/8f, ja, diese Analogie aus JosAs liefert einen wesentlichen Baustein zum Verständnis der Argumentation des Paulus.“ Dies kann hier aber nun nicht weiter behandelt werden, sondern sei nur im Blick auf die Relevanz mancher Aspekte in der Schrift JosAs für das paulinische Christentum nochmals erwähnt.

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der Selbstminderungsriten59 wird die beginnende Bekehrung Aseneths beschrieben, d.h. sie fastet, „geht in Sack und Asche“ und verzichtet darüber hinaus auf ihren Besitz und wirft ihn zusammen mit den Götzenbildern aus dem Fenster (10,12). Bei sich spricht sie nach der siebentägigen Selbstminderung (11,3): „Was soll ich tun, ich Elende, oder wohin soll ich weggehen, zu wem soll ich meine Zuflucht nehmen (RTQ?L VKPC MCVCHWIY), ich die Jungfrau und Waise und Einsame und Zurückgelassene und Gehasste?“

Hier also begegnet das Fluchtmotiv zum ersten Mal. Es handelt sich durchaus um ein die ganze Schrift durchziehendes Motiv, das sich vor allem in den alttestamentlichen Psalmen als Gottesprädikation findet60 und auch in antiken Romanen vorkommt.61 Das Motiv des Zufluchtnehmens bei Gott begegnet in 11,11 und dann auch noch einmal in einem Gebet Aseneths in 12,3.6.7.13: Neben der Bitte „Zu dir nehme ich Zuflucht, Herr“ fällt auch der Vergleich mit einem sich zum Vater flüchtenden Kind ins Auge (11,8). Das Gebet erinnert an die Psalmensprache und weist deutlich Motive der Einzelklage bzw. der Bitte um Errettung aus der Hand der Feinde und des Todes auf. Auch Anklänge an Hiob (und an das TestHiob) werden deutlich.62 In 13,1f. wird das Fluchtmotiv gleichsam in lyrischer Weise verarbeitet: „Siehe nämlich, ich floh weg aus allen Dingen und zu dir nahm ich Zuflucht, Herr, den einzigen Menschenfreund. Siehe, all die guten Dinge der Erde verließ ich, und zu dir nahm ich Zuflucht, Herr.“

Jeweils im komplexiven Aorist (MCVGHWIQP MCVGNKRQP C RGHWIQP und durch verstärkende Präfixe (MCVC C RQ) werden die Radikalität der Abwendung von der bisherigen religiösen Orientierung und die Hinwendung zu Gott verdeutlicht. Mit 14,1 beginnt die durch den Engel vermittelte Annahme Aseneths bei Gott. Das entsprechende Symbol ist der Morgenstern (G YUHQTQL), der auch im Neuen Testament als Sinnbild für neues Leben steht (2Petr 1,19; Apk 2,28).63 H. Conzelmann macht darauf aufmerksam, dass sich die 59 Vgl. dazu KUTSCH, Trauerbräuche, 25–42. Die Riten finden sich auch bei anderen Anlässen außerhalb von Trauer, z.B. in Bekehrungssituationen. Als gutes Beispiel dient hier Jo 2,12–14: „Kehrt um zu mir mit eurem Herzen, mit Fasten, mit Weinen, mit Klagen! Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider! Kehrt um zu Jahwe, eurem Gott!“. 60 BURCHARD, JosAs (JSHRZ II/4), 659, A. zu 3c) bezeichnet es als „Schlüsselwort“. Es kommt in 11,3.11; 12,3.6.13; 13,1f.12; 15,7 und 19,5 vor. Zu nennen ist als alttestamentliche Parallele die Psalmensprache: vgl. Ps 143,2 (LXX): G NGQL OQW MCK? MCVCHWIJ OQW vgl. auch Ps 17,3 (LXX); v.a. auch Ps 30,3f; Ps 45,2; 58,17; 70,3; 89,1; 90,2.9; 103,18 (LXX). 61 BURCHARD, JosAs (JSHRZ II/4), 659; nach Merkelbach, Roman, 123 sei das Fluchtmotiv sogar typisch für die Myterienromane; als signifikante Parallele vgl. z.B. Xenophon von Ephesos 1,4,5: UYUQP VQ?P G RK? UG? MCVCHGWIQPVC VQ?P RCPVYP FGURQVJP  62 So ist in 12,8 „und reiß mich weg von der Erde“ möglicherweise an einen Todeswunsch zu denken; vgl. dazu STRAUSS, Tod, 239–249. 63 Vgl. CONZELMANN, Art HYL MVN., 348: „1. Petrus 2,9 ist ein Beispiel für den aus dem Ju-

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Bekehrungssprache an die kosmologische Ausdrucksweise anlehne64 – er nennt als Beleg vor allem das oben angesprochene Gebet in JosAs 8 (MCNGUCL C RQ? VQW UMQVQWL GK L VQ? HYL65 Die ganze Szenerie mit dem „Menschen aus dem Himmel“ (C P-TYRQL G M VQW QW TCPQW in 14,3) enthält Elemente aus der Apokalyptik und alttestamentlichen Theophanien. Jetzt wird Aseneth nach abgeschlossener Selbstminderung, nach Gebet und Hinwendung zu Gott die Annahme bei Gott mitgeteilt. Ein weiteres in diesem Zusammenhang bekanntes Motiv erscheint in 15,4: das Buch der Lebenden im Himmel, in das ihr Name eingeschrieben wird und zwar als erster aller Namen. Das Himmelsbuch ist ein vor allem in apokalyptischen Zusammenhängen weit verbreitetes Motiv, dessen Wurzeln im altorientalischen Bereich zu suchen sind.66 Alttestamentlich liegen hier die Worte zugrunde, „in denen davon die Rede ist, daß alle Heiligen und Getreuen, die Gottesfürchtigen oder alle, die Anwartschaft auf das Heil haben, in Gottes Buch aufgezeichnet stehen.“67 Im Neuen Testament begegnet das Motiv besonders in Apk 13,8; 17,8; 20,12; 21,27; in Phil 4,3; Lk 10,20 und Hebr 12,23. Aseneth wird nunmehr „wiedererneuert, wiedergeformt und wiederlebendig gemacht“ (15,5). Auffällig ist hierbei die stilistische Gestaltung (eine anaphorische Trias): C PCMCKPKU-JU MCK? C PCRNCU-JU MCK? C PC\YQRQKJ-JU.

Aseneth wird Braut Josephs und umbenannt in RQNKL MCVCHWIJL Traditionsgeschichtlich ist auch an das alttestamentlich belegte Motiv der Umbenennung zu denken: (1) bezogen auf Jerusalem: Jes 1,26 „Stadt der Gerechtigkeit“, „treue Stadt“; Jes 60, 14 „Stadt des Herrn“; Jes 62,4 „meine Lust“; Ez 48,35 „hier ist der Herr“; (2) aber auch bezogen auf die Erzmütter und -väter in der Genesis: Gen 17,5.15; 32,28; 41,45. Hingewiesen wird in der Literatur zudem auf den neuen Namen, den die Proselyten beim Übertritt annehmen.68 Bemerkenswert ist allerdings die Richtung der Umbenennung: dentum übernommenen Bekehrungsstil. Das apokalyptische Motiv von der Helligkeit der Endzeit, in der Gott selbst oder sein Vertreter Licht ist, ist [in] Apk 18,1 aufgenommen“. 64 CONZELMANN, Art. HYL MVN., 317. 65 Das Lichtmotiv spielt schon in JosAs 6,4.6 eine Rolle, als Aseneth sich (bezüglich Joseph) fragt: „Wer nämlich der Menschen auf Erden wird solche Schönheit zeugen, und welcher Mutterleib einer Frau wird gebären solches Licht [...] und kein Verborgenes entgeht ihm wegen des großen Lichtes, das in ihm ist.“ Vgl. dazu ausführlich BURCHARD, JosAs (JSHRZ II/4), 645 Anm. 6 c). 66 Möglicherweise stehen hier die Vorstellung von „Schicksalstafeln“ oder das königliche „Merkbuch“ (vgl. Mal 3,16; Est 6,1 und vielfach in 1Hen) im Hintergrund, siehe dazu: SCHRENK, Art. DKDNQL DKDNKQP 619. 67 SCHRENK, Art. DKDNQL DKDNKQP, 618 mit zahlreichen Textbelegen, u.a. Ex 32,32f; Dan 12,1; Ps 68,29 (LXX); 1Hen 47,3. 68 BURCHARD, Untersuchungen, 119; dann auch ausführlicher bei SÄNGER, Judentum, 179ff, der von einem regelrechten Übertrittsritus in JosAs 10–13 ausgeht, wobei dies umstritten und nicht eindeutig am Text ablesbar ist; vgl. ferner: BERGER, Auferstehung, 198 und 562–565 sowie KUHN/ STEGEMANN, Art. Proselyten, 1265.

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Voraussetzungen

Die Frau wird in die Stadt umbenannt, nicht die Stadt mit einem weiblichen Namen versehen. Somit wird auf der einen Seite die völlige Neuwerdung Aseneths nach ihrer Bekehrung versinnbildlicht, auf der anderen Seite eine kollektive Größe eingeführt, die den Rezipienten eine Identifikation mit der Leitfigur Aseneth ermöglichen kann: „Denn in dir sollen sich flüchten viele Völker zum Herrn, dem höchsten Gott“. Als Anknüpfungspunkt für das Motiv der RQNKL MCVCHWIJL werden die Asylstädte in Num 35 und Jos 20–21 diskutiert. Die RQNKL MCVCHWIJL, in die sich Totschläger vor der Blutrache flüchten können, kommt nur in Num 35,27.28 im Zusammenhang mit der Einrichtung von Asylstädten und weiteren rechtlichen Regelungen vor.69 Neben den Zufluchts- und Asylstädten, die es auch in Kleinasien in römischer Zeit gab,70 ist auch die Zuflucht zum Heiligtum zu nennen, das in der Literatur mit MCVCHWIJ oder dem entsprechenden Verb in Verbindung gebracht wird (z.B. Diodor 32,21.1; Dio Chrysostomos, 56,7). Ob allerdings in JosAs 15,7 tatsächlich die alttestamentlichen Asylstädte für Totschläger den Verstehenshintergrund für die RQNKL MCVCHWIJ L bilden, ist vielleicht doch weniger wahrscheinlich, da es keine gemeinsamen sachlichen Aspekte zwischen der Asylstadt für Totschläger und Aseneth als Zufluchtsstadt für Bekehrte zu erkennen gibt.71 Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf eine Inschrift aus Pisidien, die die Größe $IKC .CVCHWIJ nennt und mit -GQ?L ¦[KUVQL parallel stellt.72 Im Hintergrund für „RQNKL MCVCHWIJL“ dürfte aber wohl eher das Gottesattribut MCVCHWIJ stehen, wie es in der alttestamentlich-jüdischen Gebetssprache (vor allem in den Psalmen) häufig belegt ist.73 Bei Philo kommt 69 Siehe dazu im einzelnen DELEKAT, Asylie, v.a. 290–320. 70 DELEKAT, Asylie, 291 A. 4. 71 BURCHARD, JosAs (JSHRZ II/4), 600: „Nicht sie (sc. die Asylstädte für Totschläger) bestimmen aber in JosAs das Bild, sondern die Überlieferung über Zion, die Gottesstadt, die als Frau personifiziert werden kann.“ Eine interessante These vertritt STANDHARTINGER, Frauenbild, 202. Sie deutet die Vernichtung der ägyptischen Götterbilder durch Aseneth als „unfreiwilligen Mord“ und kann daher die RQNKL MCVCHWIJL sehr wohl auf dem Hintergrund alttestamentlichen Rechts erklären. Entsprechende Belege dafür findet sie ferner bei Philo: z.B. fug. 86–96; spec. III 120–136. 72 Siehe STANDHARTINGER, Frauenbild, 202 A. 594; den Text bietet BEAN, Notes, 70. Der Herausgeber vermerkt zu der Inschrift: „For $ IKC .CVCHWIJ as the designation of a deity I know no parallel. The conception is no doubt the same as in Exodus XVII, 15, where Moses built an altar MCK? G RYPQOCUG VQ? Q PQOC CW VQW .WTKQL OQW MCVCHWIJ. But for the identity of the deity in question I can offer no suggestion.“ 73 Zu nennen sind hier auch Belege in christlichen Texten: z.B. die bemerkenswerte Parallele PsClem, Hom. 3,72,2: „Du (Vater und Gott) bist die Hilfe, der Arzt, der Retter, die Festung, das Leben, die Hoffnung, die Zuflucht (J MCVCHWIJL), die Freude, die Erwartung, die Ruhe (C PCRCWUKL)“ In diesem hymnischen Text wird etwas später die Kirche mit einer schönen Braut verglichen, die Gott sorgfältig bewacht. Auch ein in den apokryphen Johannesakten enthaltenes Dankgebet (109) im Rahmen des Abendmahls ist hier zu nennen: „Wir preisen [...] die Wahrheit, die Ruhe, die Erkenntnis [...] die Zuflucht zu dir.“ Dies ist natürlich ein sehr später Beleg (letztes Drittel des dritten Jahrhunderts n.Chr. nach SCHÄFERDIEK, Johannesakten, in: SCHNEEMELCHER, Neutestamentliche Apokryphen, 139).

„Himmlischer Ruheort“ (Hebr) und „Stadt der Zuflucht“ (JosAs)

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im Zusammenhang mit der Beschreibung der Proselyten vor. Sie fänden den Lohn für ihre Flucht zu Gott in seiner Hilfe (spec. I 309): MCVCHWIJ

MCTRQP GW TCOGPQK VJL G RK? VQ? -GQ?P MCVCHWIJL VJ?P C R+ CW VQW DQJ-GKCP74 

Bedeutsam ist jedoch, dass das in der Schrift JosAs enthaltene Gottesbild über das Motiv der RQNKL MCVCHWIJL wie auch über den Ruheort und die personifizierte 0GVCPQKC75 seine Gestalt gewinnt.76 Es ist daher eher anzunehmen, dass hier sprachlich die Zionsweissagung aus Sach 2,15 (LXX) im Hintergrund steht, zumal, wie man an den Gebetstexten gesehen hat, die Sprache der LXX in JosAs verinnerlicht ist. Die RQNKL MCVCHWIJL führt das bereits mehrfach angesprochene Fluchtmotiv fort. Nach 15,7 begegnet es in 17,6 noch einmal und wird in auffälliger Weise mit weisheitlichen Attributen ausgestaltet: „Und Aseneth rief die sieben Jungfrauen (und es segnete sie der Mensch und sprach:) Und ihr werdet sein sieben Säulen der Stadt der Zuflucht und all die Mitbewohnerinnen der Auserwählten jener Stadt werden auf euch ruhen in Ewigkeit.“ Die bekannteste Parallele dazu findet sich in Spr 9,1 (LXX): + UQHKC  MQFQOJUGP G CWV QœMQP MCK? W RJTGKUGP UVWNQWL G RVC77 

D. Sänger denkt hier an „die Aufnahme eines Motivs jüdischer Weisheitstradition“ und hält die Stelle auf Grund der Proverbienparallele nicht für eine ad hoc-Bildung des Verfassers von JosAs.78 Das Sinnbild „Haus der Weisheit“ ist in der jüdisch-hellenistischen Literatur geläufig.79 Insgesamt ist die novellenhafte und doch wohl nicht ganz ohne Romanelemente gestaltete ursprünglich jüdische Schrift eine auf die Hauptfigur Aseneth ausgerichtete Erzählung, die sprachlich die LXX voraussetzt und die sowohl jüdisch-hellenistisches Gedankengut als auch weisheitliche und apokalyptische Traditionselemente verarbeitet. Die Darstellung Aseneths nimmt zwar Gen 41,45 zum Ausgangspunkt, geht aber sogleich weit über diese Notiz hinaus und entfaltet die eigene und in dieser Form innovative Vorstellung von der weiblichen Identifikations74 Vgl. dazu STANDHARTINGER, Frauenbild, 182. 75 Über die in der Forschung diskutierte These, dass eine Identität von Weisheit (6QHKC) und 0GVCPQKC anzunehmen sei, siehe STANDHARTINGER, Frauenbild, 192. 76 Dazu ausführlich STANDHARTINGER, Frauenbild, 180–204. Sie untersucht die Darstellung Aseneths vor dem Hintergrund alttestamentlicher und jüdisch-hellenistischer Texte (v.a. Philo). Die Details zu erörtern würde hier jedoch zu weit führen. 77 „Die Weisheit hat ihr Haus gebaut und ihre sieben Säulen behauen.“ 78 SÄNGER, Judentum, 75. 79 Vgl. nur die zahlreichen Texte bei Philo: congr. 117; post. 5; plant. 50; somn. I 185.208; opif. 112; all. I 78; III 152; migr. 214. Grundsätzlich beleuchtet in einer schon älteren Arbeit STAERK, Säulen, 232–261 das Motiv und die Einzeltraditionen. Wichtig ist auch der Überblick bei PLÖGER, Sprüche, 101–103.

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Voraussetzungen

figur als RQNKL MCVCHWIJL die für die Nachfolgenden einen himmlischen Ruheort bereitet (VQRQL C PCRCWUGYL G P VQ”L QW TCPQ”L). Zwar werden Elemente der alttestamentlich-prophetischen Zionsvorstellung übernommen, doch wird an keiner Stelle das himmlische Jerusalem erwähnt80 noch als nachträgliche Kommentierung dem Text beigefügt, was angesichts der oben dargestellten relativ freien und dynamischen Textrezeption beachtenswert ist. Offenbar liegt es dem Autor daran, in einem auch der Unterhaltung dienenden Stück Literatur, Aseneth als literarisch konstituierte Leit- und Identifikationsfigur für Proselyten und Juden nicht nur, aber auch, in krisenhafter Zeit darzustellen. Zur Leit- und Identifikationsfigur wird Aseneth durch die Umbenennung in eine urbane Größe, die RQNKL MCVCHWIJL, und die Bereitung eines himmlischen Ruheortes (VQRQL C PCRCWUGYL), wodurch die Hoffnung auf eine erneuerte und ewige Existenz für die Bekehrten konkretisiert wird. Wer sich wie Aseneth hinwendet zum Gott des Lebens, wird eingehen in die Zufluchtsstadt und den himmlischen Ruheort. Das Ergebnis der kurzen Untersuchung zu den beiden Motiven in JosAs steht im Blick auf den Gegenstand der gesamten Untersuchung vor allem im Bezug zum Motiv der himmlischen Bürgerschaft, wie es im Neuen Testament und im frühen Christentum begegnet: Die Entfaltung des Fluchtmotivs zusammen mit der Vorstellung des himmlischen Ruheortes81 in der jüdisch-hellenistischen Schrift JosAs ist – wie gezeigt wurde – eng mit der literarischen Erzählgestalt verbunden. Auch andere Motivbereiche aus jüdisch-hellenistischer Weisheitstheologie, Prophetie und Apokalyptik werden vom Verfasser in den Zusammenhang integriert. Zum Schluss bleibt die Frage, worin der Anknüpfungspunkt zum Motiv der himmlischen Bürgerschaft liegen könnte. Zunächst ist die These zu erwähnen, dass die jüdisch-weisheitliche Tradition, wie sie sich in JosAs zeigt, auch auf Paulus gewirkt hat und er sich dieser Tradition verpflichtet wusste.82 Diese Frage müsste aber noch tiefergehend untersucht werden und kann hier nur angedeutet werden. Als Beispiele sind Motivparallelen zu nennen wie z.B. das „Buch der Lebenden“, welches auch Paulus geläufig ist (Phil 4,3), oder die OJVTQRQNKL-Vorstellung (JosAs 16,16), die bei Paulus in Gal 4,26 eine Rolle spielt. Die himmlische Bürgerschaft bei Paulus (Phil 3,20) bzw. das obere Jerusalem (Gal 4,26) werden bisweilen – ähnlich wie der himmlische Ruheort oder die Zufluchtsstadt in JosAs – als Heilsort für die Erwählten bzw. Bekehrten 80 Gegen FISCHER, Eschatologie, 116, der ausführt, Aseneth werde wie die Braut des Lammes in Apk 21 als himmlisches Jerusalem dargestellt. 81 Die Vorstellung der MCVCRCWUKL in Hebr 3,7–4,13 kann hier mit genannt werden, wobei der lokale Aspekt nicht zwingend anzunehmen ist, zumal der Zusatz VQRQL in Hebr fehlt. 82 Hier sei nur genannt: STANDHARTINGER, Weisheit, 482–501 (dort weitere Literatur).

„Himmlische Heimat“ und „himmlische Bürgerschaft“ bei Philo

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verstanden. Hier muss freilich eingewandt werden, dass die folgende Untersuchung nicht von dieser These ausgeht. M.E. muss in Phil. 3,20 (RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L), aber auch in Gal 4,25–26 (PWP und C PY ,GTQWUCNJO) der relationale Charakter beachtet werden, den das Motiv enthält. Damit berührt sich das Ergebnis mit der Diskussion um Lokalität oder Zuständlichkeit der MCVCRCWUKL in Hebr 3,7ff. Es ginge bei einem zuständlichen Verständnis dann nicht um eine Heilslokalität, sondern um die als Heilszusage verheißene Ruhe für die Glaubenden. Ihnen „steht der UCDDCVKUOQL in Aussicht, die Seinsweise vollendeter Anbetung und ungehinderten Feierns mit Gott.“83 Auch in JosAs geht es um Relationalität – nur in etwas anderer Weise. Die Zugehörigkeit zur RQNKL MCVCHWIJ L funktioniert über die Nachfolge Aseneths, d.h. über die OGVCPQKC. Bei Paulus läuft die Zugehörigkeit zum himmlischen RQNKVGWOC über die durch den Apostel selbst vorgelebte Nachfolge Jesu (vgl. nur Phil 3,17: UWOOKOJVCK OQW IKPGU-G C FGNHQK). Sie führt entsprechend der C PY MNJUKL zum Siegespreis der himmlischen Berufung (Phil 3,14). In beiden Fällen liegt dem Motiv eine Größe aus dem politischrechtlichen Bereich zugrunde: in Phil 3,20 wird das RQNKVGWOC als Gesamtzahl der Bürger einer Polisgemeinschaft („Bürgerschaft“) und in JosAs 15,7 die RQNKL in metaphorischer Weise umgedeutet.

3. „Himmlische Heimat“ und „himmlische Bürgerschaft“ bei Philo von Alexandrien „Himmlische Heimat“ und „himmlische Bürgerschaft“ bei Philo Angesichts der wenigen und vor allem über einen großen Zeitraum verstreuten Belege des Motivkomplex „himmlisches Gemeinwesen“ in der antiken Literatur, fallen die Belege des Motivbereichs bei Philo von Alexandrien sofort ins Auge und verdienen auch wegen der zeitlichen Nähe zu Paulus besondere Beachtung. Die Fremdlingsmetapher ist bei Philo ebenfalls recht häufig und variantenreich belegt.84 Die Vorstellung vom himmlischen Vaterland verbunden mit der Bürgerschaftsmetapher ist am deutlichsten in conf. 77f enthalten: FKC? VQWVQ QK MCVC? 0YWUJP UQHQK? RCPVGL GK UCIQPVCK RCTQKMQWPVGL CK IC?T VQWVYP [WZCK? UVGNNQPVCK OG?P C RQKMKCP QW FGRQVG VJ?P G E QW TCPQW GK Y-CUK FG? G PGMC VQW HKNQ-GCOQPQL

83 WIDER, Theozentrik, 173 (siehe auch A. 161, wo er die Texte nennt, die die Verbindung von Sabbat und MCVCRCWUKL belegen). Siehe auch HOFIUS, Art. UCDDCVKUOQL 522, wonach der Begriff „die beiden Aspekte der Sabbatruhe und der (gottesdienstlichen) Sabbatfeier“ umfasst. 84 Dazu FELDMEIER, Christen, 60–63 und als einschlägige Untersuchung zur Fremdlingsmetapher bei Philo: BITTER, Vreemdelingschap.

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Voraussetzungen

MCK? HKNQOC-QWL GK L VJ?P RGTKIGKQP HWUKP C RQFJOG”P G RGKFC?P Q¬P G PFKCVTK[CUCK UYOCUK VC? CK U-JVC? MCK? -PJVC? FK+ CW VYP RCPVC MCVKFYUKP G RCPGTZQPVCK G MG”UG RCNKP Q -GP Y TOJ-JUCP VQ? RTYVQP RCVTKFC OG?P VQ?P QW TCPKQP ZYTQP G P … RQNKVGWQPVCK EGPJP FG? VQ?P RGTKIGKQP G P … RCTMJUCP PQOK\QWUCK85

Conf. 77–78 wird in den Kommentaren zum Philipperbrief als engste Parallele zu Phil 3,20 bezeichnet.86 Die Frage ist jedoch, ob zwischen diesem Text und den weiteren Belegen des RQNKVGWOC bei Philo und Phil 3,20 ein motivgeschichtlicher Zusammenhang erkennbar ist. Conf. 77f enthält nicht nur das Motiv einer himmlischen „Bürgerschaft“ (immerhin ist die Verwendung des Verbs RQNKVGWQOCK bemerkenswert), sondern auch die Vorstellung der himmlischen Heimat und die Fremdlingsmetapher (vgl. die Verwendung von RCTQKMQL87). Ferner wird das zeitlich begrenzte Erdendasein der Seelen als „Reise“ (C RQFJOG”P) und als Aufenthalt in der „Fremde“ (EGPJ) beschrieben. Das himmlische Gefilde (QW TCPKQP ZYTQP) gilt als Vaterland (RCVTKFC), in das die Seelen nach ihrer körperlichen Existenz (G PFKCVTK[CK UYOCUK) wieder zurückkehren (G RCPGTZQPVCK RCNKP). Hier liegen bereits signifikante sprachliche Unterschiede zu Phil 3,20f, auch wenn die ältere Forschung RQNKVGWOC oftmals mit Heimat übersetzt hat und auch sonst die Fremdlingsvorstellung in den Text hineingelesen hat.88 Trotz der zunächst auffälligen Übereinstimmungen zwischen Phil 3,20 und conf. 77ff sind deutliche konzeptionelle Unterschiede zu verzeichnen: Bei Philo liegt die Betonung auf dem ursprünglichen Wohnort (der mit RCVTKL bezeichnet wird, nicht mit RQNKVGWOC). Damit ergibt sich ein anderer Zielpunkt: Nachdem die Seelen die Erde durchreist haben, kehren sie zum 85 „Deshalb treten alle Weisen, von denen Mose schreibt, als Beisassen auf. Denn ihre Seelen stellen niemals außerhalb des Himmels eine Kolonie auf, sondern sie pflegen wegen der Lust am Schauen und am Lernen, in die irdische Natur zu reisen. Nachdem sie allerdings im Körper verweilt haben, alles sinnlich Wahrnehmbare und Sterbliche durch sie (sc. die Körper) genau betrachtet haben, kehren sie wieder dorthin zurück, von wo sie früher aufgebrochen waren, denn das himmlische Gefilde, in dem sie als Bürger leben (RQNKVGWQPVCK) sehen sie als ihr Vaterland an, das irdische aber, in dem sie als Beisassen wohnten, als die Fremde.“ 86 MÜLLER, Phil, 179 A. 204 nennt conf. 77f als sachliche Parallele; siehe auch GNILKA, Phil, 206, der conf. 77f als „ähnlichen Gedanken“ bezeichnet. Vgl. ferner STRECKER/SCHNELLE, Neuer Wettstein, 706f. 87 Der RCTQKMQL-Gedanke wird im unmittelbaren Kontext (conf. 79) noch einmal aufgegriffen im Zusammenhang mit dem Zitat aus Gen 23,4 RCTQKMQL MCK? RCTGRKFJOQL GK OK G IY? OG-’ W OYP Philo bildet hier eine Opposition zweier VWRQK: Während Abraham derjenige ist, der C PCUVCL C RQ? VQW PGMTQW DKQW MCK? VWHQW sind die anderen „Leichenwächter und Verwalter des Sterblichen“, die MQPKP MCK? ZQWP [WZJL RTQVKOJUCPVGL, also Staub und Schutt mehr als die Seele achten. 88 Mit „Heimat“ übersetzen u.a. LOHMEYER, Phil13, 158; GNILKA, Phil, 202; BECKER, Auferstehung, 170ff und STRATHMANN, Art. RQNKL MVN, 535. Seine Interpretation des Ausdrucks RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L geht auch von der Fremdlingsmetapher aus (er zitiert ausdrücklich 1Petr 2,11 und Ps 38,13 [LXX]: RCTQKMQK MCK? RCTGRKFJOQK).

„Himmlische Heimat“ und „himmlische Bürgerschaft“ bei Philo

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Ausgangspunkt, ihrem Vaterland, zurück.89 Dieses Zeitschema wird ausdrücklich hervorgehoben durch die Satzteile G RGKFCP G PFKCVTK[CK UYOCUK und Q -GP Y TOJ-JUCP VQ? RTYVQP. Von der Rückkehr und der „eigentlichen Heimat“ ist in Phil 3,20 nichts gesagt. Im Gegenteil: Die himmlische Zugehörigkeit wird im Philipperbrief als neue Beziehung des Glaubenden zu Christus dargestellt (vgl. auch Phil 1,27). Bei Philo stehen sich ferner irdischer und himmlischer Bereich dualistisch gegenüber. Schon von Beginn an, d.h. mit der Erzählung von Kain und Abel (Gen 4), – so die typologische Textauslegung Philos – seien den Guten der Himmel und den Schlechten die irdischen Regionen zugeteilt worden.90 Das RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L in Phil 3,20 hat aber dagegen durch seinen eindeutig präsentischen Charakter (W RCTZGK) aktuelle Relevanz für die Christen, nämlich als Bezugspunkt ihrer Gesinnung, die keine irdische mehr sein soll (vgl. 3,19) und ihrer Erwartung des Retters (V. 20b): MCK? UYVJTC C RGMFGZQOG-C MWTKQP ,JUQWP ;TKUVQP 

Es geht nicht um ein zeitliches Nacheinander oder eine dualistische Sicht, sondern um eine Ausrichtung der Christen auf das himmlische RQNKVGWOC in irdischen Verhältnissen. Der UQHQL findet bei Philo seine Heimat im Himmel, der HCWNQL dagegen ist der Flüchtige (HWICL und Heimatlose (C RQNKL).91 Der Weise ist in opif. 3; somn. II 243 als MQUOQRQNKVJL in der Welt zu Hause. Die RQNKL wird zur Tugendstadt idealisiert (agr. 17; virt. 190), wie es auch in der stoischen Philosophie zu beobachten ist.92 In seinem kosmologischen Hauptwerk De opificio mundi entfaltet Philo eine am Platonismus orientierte Kosmologie.93 Die philonischen Aussagen über die himmlische Heimat stehen in enger Verwobenheit mit der Seelenlehre. Die Seelen der QK MCVC? 0YWUJP UQHQK sind Fremde im irdischen Bereich und kehren in die himmlische RCVTKL zurück.94 So ist es auch in somn. I 181:95 „Denn als die Seele die himmlische Stätte verließ, [...] gelangte sie in den Körper wie in ein fremdes Land“ oder agr. 65: „tatsächlich hat 89 Zur religionsgeschichtlich-philosophischen Verbreitung des Motivs von der Seelenreise siehe COLPE, Himmelsreise, 85–104. 90 Damit ist eine Zuordnung gegeben (fug. 61–62), die als dualistische Sichtweise (Himmel/ Erde, Fremde/Heimat) grundlegend ist für die philosophisch-ethischen und religiösen Diskurse Philos, die immer wieder ihren Ausgangspunkt in der alttestamentlichen Überlieferung nehmen. 91 Vgl. Cher. 121; all. 3,1–3.28; virt. 190. 92 Siehe unten Kap. I. 4 und III. 4. 93 Dazu: FRÜCHTEL, Vorstellungen, 12ff. Vgl. auch MACH, Art. Philo von Alexandrien, 527. 94 Zu den Unterschieden zwischen paulinischer Eschatologie und philonisch-hellenistischem Denken siehe auch unten den Exkurs zu 2Kor 5,1–10. 95 Vgl. auch somn. I 256. Dort wird ebenfalls der Gedanke der Rückkehr der Seele ins Vaterhaus ausgeführt und mit der Fremdlingsexistenz verbunden.

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Voraussetzungen

jede Seele des Weisen als Vaterland den Himmel, als Fremde die Erde zugewiesen erhalten. So gilt ihr das Haus der Weisheit als ihr zugehörig, das Haus des Leibes als fremd“.96

An insgesamt fünf Stellen findet sich das RQNKVGWOC bei Philo. Neben spec. II 45 und agr. 81 ist hier opif. 143 zu nennen: V OGIKUV MCK? VGNGKQVCV RQNKVGWOCVK G IITCHGPVGL97 

Hinzuweisen ist auch auf conf. 109: G IITCHQPVCK F+ QK OG?P C UVG”QK V VJL RTQVGTCL RQNKVGWOCVK98 

Eine sehr enge Parallele findet sich auch in Jos. 69: G HKGOGPQL G IITCHJL VJL G P V OGIKUV MCK? C TKUV RQNKVGWOCVK VQWFG VQW MQUOQW99

In allen fünf Texten100 findet sich die als „technisch“ anzusehende Wendung des Einschreibens in Bürgerlisten (G IITCHY mit RQNKVGWOC101). Zentral ist für Philo die Weisheit als Weg zur Gotteserkenntnis.102 Er bezieht den Königsweg des Weisen auf den Aufstieg der Seele zum Himmel (imm. 148.151).103 Mose wird dabei zum Weisen par exellence (vgl. auch conf. 77), der als guter Hirte (agr. 44) das Volk führt (auch conf. 92–98; post. 15f; migr. 23f.207 u.ö.). In diesen weisheitlich-philosophischen Kontext reihen sich Mose als Identifikations- und Leitfigur, aber auch die Motive himmlische Heimat, Haus der Weisheit, himmlische Bürgerschaft, Königsweg und kosmologisches Gedankengut ein.104

96 Vgl. zu den Unterschieden zwischen Philo und dem Hebräerbrief BRAUN, Vaterland, 324f. 97 „Dieser Staat und diese Staatsverfassung musste aber auch schon vor dem Menschen Bürger gehabt haben, die mit Recht Großbürger genannt werden könnten, da sie dazu bestimmt waren, den größten Umkreis zu bewohnen, und im größten und vollkommensten Staatswesen (Politeuma) als Bürger eingetragen waren.“ 98 „In die Liste des ersteren Staates (RQNKVGWOC) tragen sich die Edlen ein, dagegen steht jene schlechtere Verfassung der Menge der Gemeinen gut, die die Unordnung mehr als die Ordnung, das Wirrsal mehr als die feststehende Staatseinrichtung liebt.“ 99 „Wenn auch das Volk der Herr ist, so bin ich doch kein Sklave, ich bin ein Adliger, wie irgend einer, und habe das Verlangen, in das größte und beste Staatswesen (RQNKVGWOC), in das Weltall, als Bürger aufgenommen zu werden.“ 100 Vgl. LINCOLN, Paradise, 97, der nur kurz auf conf. 77f eingeht. 101 Siehe SCHRENK, Art. ITCHY MVN., 769f und die Ausführungen weiter unten in I.6. 102 Siehe imm. 143. 103 Siehe die ältere Arbeit von PASCHER, + %$6,/,.+ 2'26, 1–35. 104 Zu dieser Thematik siehe auch MACK, Logos und Sophia, v.a. 133–154.

Der Motivkomplex in der antiken Philosophie

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4. Die Zugehörigkeit zu einem himmlischen Gemeinwesen und kosmopolitische Ideen in der antiken Philosophie Der Motivkomplex in der antiken Philosophie 4.1 Das Motiv der himmlischen Zugehörigkeit in der Philosophie Am Ende des neunten Buches der Politeia (592B) heißt es bei Plato: $NN  ¼P F+ G IY G P QW TCP K UYL RCTCFGKIOC C PCMGKVCK V DQWNQOGP Q TCP MCK? Q TYPVK G CWVQ?P MCVQKMK\GKP 'KCHGTGK FG? QW FG?P GK VG RQW G UVKP GK VG G UVCK VC? IC?T VCWVJL OQPJL C ?P RTCEGKGP C NNJL FG? QW FGOKCL105

Ganz im Sinne der Ideenlehre liegt hier die Vorstellung zugrunde, dass es eine urbildliche Idee des Staates, hier als RCTCFGKIOC bezeichnet, im Himmel gibt, von der zu wünschen ist, dass sich der irdische Staat ihr angleicht. Denn nur die Angelegenheiten eines solchen Staates will der Verständige verwalten. Im Gorgias (507E/508A) stellt Plato die kosmische Gemeinschaft von Himmel und Erde sowie Göttern und Menschen der Pleonexie des Kallikles gegenüber.106 Das Mehrhabenwollen bringt die kosmische Geometrie durcheinander, die in einer weltumspannenden MQKPYPKC versinnbildlicht wird.107 Bei Diogenes Laertius (drittes Jahrhundert n.Chr.) findet sich über den Philosophen Anaxagoras (ca. 500–428 v.Chr.) folgendes: Anaxagoras wird wegen seiner introvertierten Lebensweise gefragt: QW FGP UQK OGNGK VJL RCVTKFQL „GW HJOGK“ G HJ „G OQK? IC?T MCK? UHQFTC OGNGK VJL RCVTKFQL“ FGKECL VQ?P QW TCPQP108 

Sofern das Überlieferungsgut tatsächlich aus der Zeit des Anaxagoras stammt und nicht später hinzugetreten ist, handelt es sich um einen sehr frühen Beleg des Motivs „himmlisches Vaterland“, dessen Traditionslinien in jüdisch-hellenistische (vor allem Philo) und christliche Texte (z.B. Hebräerbrief) hineinreichen. 105 Übersetzung (SCHLEIERMACHER, Platon V, 714): „Aber, sprach ich, im Himmel ist doch vielleicht ein Muster aufgestellt für den, der sehen will, und nach dem, was er sieht, sich selbst einrichten will. Es gilt aber sei es dass ein solcher irgendwo ist oder sein wird, denn dessen Angelegenheiten allein wird er doch verwalten wollen, eines anderen aber gar nicht.“ 106 Übersetzung (SCHLEIERMACHER, Platon II, 362): „Die Weisen aber behaupten, o Kallikles, dass auch Himmel und Erde, Götter und Menschen nur durch Gemeinschaft bestehen bleiben [...] und betrachten deshalb die Welt als ein Ganzes und Geordnetes [...] Du aber glaubst, es komme alles auf das Mehrhabenwollen an, weil du dich nicht um die Meßkunst kümmerst.“ 107 In leg. 903B (ff) entfaltet Plato die Fürsorge Gottes für den ganzen Kosmos an einigen alltäglichen Beispielen, z.B. Künstler, Arzt und Brettspieler müssen ebenfalls das Ganze (VQ? Q NQP) im Blick haben. Von einem himmlischen Gemeinwesen ist hier aber nicht die Rede. 108 Diog. Laert. 2,7 („Liegt dir nichts am Vaterland?“ – „Du sprichst wohl“, sagte er, „denn mir liegt sehr wohl an dem Vaterland“, wobei er zum Himmel wies).

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Voraussetzungen

In dem pseudoplatonischen Dialog Axiochos ist in 365B eine als „bekanntes und von allen gebrauchtes Sprichwort“ bezeichnete Sentenz zu lesen: RCTGRKFJOKC G UVKP Q DKQL – „das Leben ist ein Aufenthalt in der Fremde“. Dieses Sprichwort wird im folgenden entfaltet (365E – 366B): „Verscheuche also all solches Geschwätz und bedenke stattdessen, dass, wenn die Vereinigung einmal aufgelöst und die Seele sich an dem ihr eigenen Ort niedergelassen hat, der zurückgebliebene Körper, der erdartig und ohne Vernunft ist, nicht der Mensch ist. Wir sind nämlich Seele, ein unsterbliches Lebewesen, eingeschlossen in einer sterblichen Festung. Mit diesem Gehäuse hier umgab uns die Natur zu unserem Nachteil: zu ihm gehören die oberflächlichen und flüchtigen Erfreulichkeiten, die mit vielen Traurigkeiten untermischt sind [...] – die Seele, da sie dem Körper durch die Poren beigemischt ist, leidet daran notwendigerweise mit; deshalb sehnt sie sich und dürstet nach dem himmlischen Äther, der ihr verwandt ist, und verlangt nach dem Leben dort und nach den himmlischen Reigen. Somit ist das Loskommen vom Leben die Veränderung von etwas Schlechtem zu etwas Gutem.“109

Thema des vermutlich aus dem ersten Jahrhundert v.Chr. stammenden Dialogs zwischen Sokrates, zunächst Kleinias und später dem im Sterben liegenden Axiochos ist eine philosophische Diskussion über den Tod. Axiochos sieht sich am Ende seines Lebens mit dem Gefühl der Leere und Relativität des Lebens konfrontiert. Alle bisherigen Erklärungsmuster greifen nicht mehr und scheinen sinnlos (365C). Auch die Argumente des Sokrates verfehlen zunächst ihre Wirkung. Erst der Aufweis der Unsterblichkeit der Seele (370B–E) kann Axiochos überzeugen (370E) und lässt seine Angst vor dem Tod schwinden. Der sich anschließende Mythos entfaltet die dualistische Vorstellung einer Ober- und Unterwelt als Aufenthaltsort für Gut und Böse nach dem Gericht. Die Vorstellung vom „Wohnen im Himmel“ nach dem Tod klingt am Schluss an (372): 2W VYL OG MCK? Q¨VQL Q NQIQL Y L MCK? Q QW TCPKQL RGRGKMG MCK? J FJ RGTKHTQPY VQW \JP C VG GK L C OGKPY QœMQP OGVCUVJUQOGPQL110 

Die Metapher der Fremde als Deutung menschlichen Lebens wird in dem vorliegenden Dialog als allgemeine Weisheit und als bekannt vorausgesetztes Sprichwort (365B) angeführt, kann aber die intendierte Funktion der Tröstung im Dialog nicht recht erfüllen. Erst der Himmelsmythos am Schluss erfüllt diese Funktion. Darin könnte ein Indiz für den Übergang einer durchaus skeptizistisch ausgerichteten Platorezeption zur Religionsphilosophie des Neuplatonismus zu sehen sein. 109 Zitiert ist die Übersetzung von SCHLEIERMACHER, Platon X, 597. 110 „So sehr hat mich auch diese Erzählung ebenso wie die Ausführungen über den Himmel überzeugt, und ich schätze das Leben bereits gering, da ich im Begriff bin, in ein besseres Heim umzuziehen.“

Der Motivkomplex in der antiken Philosophie

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Den Gedanken von der himmlischen Heimat nimmt auch Cicero auf: Von der Seele heißt es, dass sie in caelum quasi in domicilium suum pervenire (Tusc. 1,24).111 Nach Tusc. 1,43 ist der Himmel der natürliche Wohnsitz der Seele (naturalis sedes). Ähnliche Aussagen finden sich bei Cicero im Anhang der Res publica, dem Somnium Scipionis.112 Das Motiv der himmlischen Bürgerschaft lässt in der antiken Philosophie explizit jedoch nicht nachweisen. Außer dem platonischen RCTCFGKIOC des Staates im Himmel, finden sich lediglich verwandte Motive, wie das himmlisches Vaterland der Seele und kosmopolitisch beeinflusste Motive. 4.2 Das Motiv der himmlischen Bürgerschaft im Kontext des Kosmopolitismus bis zur Jüngeren Stoa Das Motiv der himmlischen Stadt bzw. der himmlischen Bürgerschaft steht in der Jüngeren Stoa in enger Verbindung mit dem Kosmopolitismus, dem der Hauptgedanke zugrunde liegt, dass der Mensch seine eigentliche, ihm bzw. seiner Seele entsprechende Existenz nicht an einem konkreten Ort verankert glaubt, sondern im gesamten Kosmos. Die ganze Erde wird zur Heimat, alle Menschen zu Mitbürgern – eine Vorstellung also, die als eine Wurzel des Humanitätsideals der Stoa anzusehen ist. Der Gedanke des Kosmopolitismus reicht dabei bis in die frühe griechische Zeit zurück, ohne allerdings als fester Begriff geprägt zu sein.113 Erste Anklänge an den Kosmopolitismus zeigen sich schon in den Texten Platos,114 wobei der Begriff MQUOQRQNKVJL selbst erstmalig bei dem kynischen Philosophen Diogenes von Sinope (6,63) vorkommt: G TYVJ-GK?L RQ-GP GK J „MQUOQRQNKVJL”, G HJ – „gefragt, woher er sei, sagte er: ich bin Weltbürger“. In Diog. Laert. 6,11 heißt es von dem Philosophen Antisthenes: MCK? VQ?P UQHQ?P QW MCVC? VQW?L MGKOGPQWL PQOQWL RQNKVGWGU-CK C NNC? MCVC? VQ?P VJ L C TGVJL115



111 Dt.: „Sie gelangt in den Himmel, wie in ihr Zuhause“. Vgl. auch ähnlich Tusc. 1,51: animus [...] in liberum caelum quasi domum suam venerit – dt.: „die Seele kommt in den freien Himmel wie in ihr Haus“. 112 Vgl. im einzelnen FELDMEIER, Christen, 32. 113 Vgl. HORSTMANN/BUSCH, Art. Kosmopolit/Kosmopolitismus, 1155: „Die Überwindung der lokalen Beschränkung, die sich politisch in der Kolonisationsbewegung des achten bis sechsten Jh. v.Chr. ausdrückt und am Ende des fünften Jahrhundert auch in der Dichtung ihren Widerhall findet, liefert ebenso erste Ansätze wie die Formulierung eines Kosmosbegriffs in der ionischen Naturphilosophie.“ 114 Siehe z.B. Tht. 173E. 115 „Und der Weise lebt nicht als Bürger nach den geltenden Gesetzen, sondern nach dem (Gesetz) der C TGVJ.“

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Voraussetzungen

Eine festere Basis bekommt die Idee des Kosmopolitismus in der griechischen Philosophie im Zusammenhang mit dem Bedeutungsverlust der griechischen Polis.116 Der gesamte Kosmos wird zur Heimat, wie es der Philosoph Theodoros Atheos formuliert (GœPCK VG RCVTKFC VQ?P MQUOQP).117 Nachdem der Kosmopolitismus durch Alexanders Weltreich „gleichsam zum realpolitischen Prinzip“118 geworden ist, nimmt die Ältere Stoa die kosmopolitische Tendenz des Hellenismus auf, die sich literarisch beispielsweise in der Neuen Komödie, als deren Hauptvertreter Menander (342/1– 293/2 v.Chr.) zu nennen ist, niederschlägt. Der mit Epikur befreundete Dichter stellt in einer Zeit, in der Polis und die alte griechische Tradition an Bedeutung verloren haben und sich der Hellenismus durchsetzt, nicht den politisch tätigen Menschen, sondern den im Alltagsleben stehenden Bürger in den Mittelpunkt seiner Stücke. Weltbürgerliches Empfinden, das Interesse für Charaktere119 und das Humanitätsideal prägen den Stoff vieler seiner Komödien. Insbesondere Terenz (ca. 190–159 v.Chr.) hat die Stoffe Menanders bearbeitet, sie ihres attischen Lokalkolorits entkleidet und ins Allgemeingültige und noch stärker ins Typische geweitet. Das inhaltlich auf Menander zurückgehende weltbürgerlich-philanthropische homo sum, humani nihil a me alienum puto120 ist zur Formel geworden.121 Typisch für Menander sind Gedanken über die Relativität von Stammbaum und Herkunft. Was allein nur zählt, sei ein gutes Wesen.122 Bei Chrysipp, dem neben Zenon von Kition bedeutendsten Denker der Stoa, leben die Götter mit den Menschen im Kosmos zusammen: VQ?PMQUOQPG PCVYPHTQPKOYPUWPRQNGKVGWQOGPQP-GQ”LMCK?C P-TYRQKL



Diese neue RQNKVGKC, von Zenon als Ideal beschrieben, ist „ein Gedankengebilde, welches nicht zuletzt den Verlust konkreter einzelstaatlicher Bindung zu kompensieren half, [es] umgreift nun alle Menschen und macht sie 116 Der realpolitische Bedeutungsverlust der Polis geht einher mit einem zunehmenden politischen Indifferentismus, der wiederum mit dem Wissen um die Autonomie der Person verbunden ist (vgl. HORSTMANN/BUSCH, Art. Kosmopolit/Kosmopolitismus, 1156). Im römischen Herrschaftssystem spielt das Bürgerrecht dann wieder eine gewichtige Rolle, wie am Beispiel Philippis zu zeigen sein wird. 117 Diog. Laert., 2,99. 118 HORSTMANN/BUSCH, Art. Kosmopolit/Kosmopolitismus, 1156. 119 Vgl. die erst 1958 gefundene Komödie „Dyskolos“ („Der Misanthrop“), das Stück „Samia“ und „Epitrepontes“ sowie zahllose Fragmente Menanders, die z.B. auch die Gleichheit aller Menschen, insbesondere die Gleichheit von Mann und Frau, das menschliche Wesen und viele moralische Aspekte des Lebens zum Thema haben. Siehe dazu die Textsammlung (deutsch) von GOLDSCHMIDT, Menander. 120 Terenz, Haut. 77: „Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches achte ich mir als fremd“. 121 Vgl. HORSTMANN/BUSCH, Art. Kosmopolit/Kosmopolitismus, 1156. 122 Vgl. das Fragment bei GOLDSCHMIDT, Menander, 136. 123 Fragmenta logica et physica 636,4.

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unter einem allgemeingültigen, der Welt immanenten göttlichen Vernunftgesetz untereinander zu Mitbürgern.“124 Diese Vorstellung berührt sich eng mit Musonius Rufus, einem Vertreter der Jüngeren Stoa, bei dem es heißt: „Das gemeinsame Vaterland aller Menschen ist die Welt. Der Weise trägt das All in sich selbst und hält sich für einen Bürger der Stadt des Zeus, welche Götter und Menschen in sich schließt.“125 Auch Cicero verarbeitet die Anschauung, dass Götter und Menschen gemeinsam in einem universalen Staat zusammenleben (leg. I 23).126 Daneben findet sich bei Cicero auch die bekannte Lebensweisheit patria est, ubicumque est bene.127 Nach Cicero (leg II 5) besitzen alle Bürger eine zweifache Heimat: Die eine Heimat ist der Geburtsort, die andere die staatliche Gemeinschaft. Bei Seneca wird die philanthropische Formel des Terenz, (homo sum, humani nihil a me alienum puto) als Prinzip der Humanität aufgenommen und mit dem bekannten Bild von dem Leib und seinen Gliedern128 verbunden (omne hoc quod vides, quo divina atque humana conclusa sunt, unum est; membra sumus corporis magni).129 Die Glieder des Körpers sind eins, und so sollen auch die Menschen als Bürger der Welt eins sein (De ira II 31,7). Epiktet kennt im Rahmen seiner Anthropologie ebenfalls eine Art „doppelte Staatsbürgerschaft“ des Menschen: VK IC?T G UVKP C P-TYRQL OGTQL RQNGYL RTYVJL OG?P VJL G M -GYP MCK? C P-TYRYP OGVC? VCWVC FG? VJL Y L G IIKUVC NGIQOGPJL J  VK G UVK OKMTQ?P VJL Q NJL OKOJOC (diss. II 5,26).130 

124 HORSTMANN/BUSCH, Art. Kosmopolit/Kosmopolitismus, 1156. 125 Dt. aus NESTLE, Nachsokratiker, Bd. 2, 199, Quelle: Musonius Rufus, Stob. III 40,9. 126 Vgl. auch fin. 3,64: mundum [...] communem urbem et civitatem hominum et deorum. 127 Tusc. 5,107f. Cicero geht hier in einem Textabschnitt auf die These ein, ein glückliches Leben hänge nicht von der civitas ab, in der man lebe und kommt dann zu dem Schluss: „Patria est, ubicumque est bene“. Socrates quidem cum rogaretur, civiatem se esse diceret, „mundanum“ inquit; totius enim mundi se incolam et civem arbitrabatur. Vgl. Diog. Laert. 6,63. 128 Vgl. 1Kor 12; zur Verwendung dieses Bildes in der Philosophie s. VOLLENWEIDER, Freiheit, 58ff mit weiteren Belegen aus der Literatur sowie SCHWEIZER, Art. UYOC MVN, 1035–1037. 129 Epist. 95,53: „Dies alles, was du siehst, durch das Göttliches und Menschliches zusammengeschlossen ist, ist eins; wir sind Glieder eines großen Körpers“; siehe auch die Aufnahme der philanthropischen Sentenz bei Cicero, off. I 9,30. Ansonsten findet sich bei Seneca, Epist. 28,4 noch der Ausspruch: patria mea totus hic mundus est. 130 „Was ist der Mensch? Ein Teil eines Staates, und zwar eines ersten, der aus Göttern und Menschen besteht, sodann seines sogenannten engeren Vaterlandes, das ein kleines Abbild des gesamten (Staates) ist“, vgl. dazu auch den ähnlichen Gedanken von einer großen und einer kleinen RQNKL in diss. II 15,10 oder diss. II 23,36–40, wo es u.a. heißt: „Mensch, du hast deine Bestimmung vergessen: du reist nicht zu deinem Land, sondern durch dieses hindurch.“ Der Mensch als Flüchtiger und Reisender (bisweilen mit Odysseus als Paradigma) ist ein zentrales Motiv in der kosmopolitisch beeinflussten Philosophie über Jahrhunderte.

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Voraussetzungen

Der Mensch wird als Bürger des Kosmos gesehen, eine Perspektive, die ihn zu sittlich gutem Handeln bringen soll. Auch in diesem Text klingt wiederum das Gleichnis vom Leib und den Gliedern an: RQNKVJL Gœ VQW MQUOQW MCK? OGTQL CW VQW  QW Z G ?P VY P W RJTGVKMY P C NNC? VY P RTQJIQWOGPYP RCTCMQNQW-JVKMQ?L IC?T Gœ V -GK FKQKMJUGK MCK? VQW G EJ L G RKNQIKUVKMQL VKL Q¬P G RCIIGNKC RQNKVQWJFG?P G ZGKP K FK UWOHGTQP RGTK? OJFGPQ?L DQWNGWGU-CK Y L C RQNWVQP C NN+ Y URGT C P GK J ZGK?T J ? Q RQW?L NQIKUOQ?P GœZQP MCK? RCTMQNQW-QWP V HWUKM MCVCUMGW QW FGRQV+ C ?P C NNYL Y TOJUCP J ? Y TGZ-JUCP J ? G RCPGPGIMQPVGL G RK? VQ? Q NQP (diss.

II 10,3f).131

Diese Vorstellung von der „Bürgerschaft“ findet sich immer wieder in ethischen Zusammenhängen bei Epiktet (z.B. diss. II 10,18) und wird in diss. III 24,10 auf den Punkt gebracht: Q MQUOQL Q¨VQL OKC RQNKL G UVK MCK? J QW UKC G E ¸L FGFJOKQWTIJVCK.132

Der Facettenreichtum kosmopolitischer Ideen in der antiken Philosophie und dabei vor allem bei den Kynikern, den Epikureern und Stoikern lässt sich hier nicht darstellen, sondern nur exemplarisch andeuten. Als allgemeine Kennzeichen der kosmopolitischen Idee können angesehen werden: 1. die freiwillige Distanznahme zur Welt, zu sozialen oder nationalen Bindungen (z.B. an die Heimatstadt) und die Hinwendung zum Ganzen 2. die Deutung des Gemeinwesens der RQNKL auf die kosmische Stadt (u.a. wird die konkrete Stadt in der Nachfolge der Philosophie des Aristoteles und des Plato als Ur- bzw. Abbild der kosmischen gedeutet) 3. die Verbindung zwischen Kosmopolitismus und Humanitätsgedanken.133

Die Philosophie der Stoa ist in einem längeren geistesgeschichtlichen Prozess längst zur Popularphilosophie geworden, als in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts der römische Kaiser Marc Aurel (161–180) sich in den sogenannten „Selbstbetrachtungen“ ((K L G CWVQP)134 an mehreren Stellen 131 „Du bist ein Bürger der Welt und ein Teil von ihr, und zwar nicht eines der dienenden, sondern der an sich wertvollen Wesen, fähig, ihre göttliche Regierung zu verstehen und, was daraus folgt, zu erkennen. Was ist nun die Aufgabe eines Bürgers? Nichts bloß zu seinem eigenen Nutzen zu haben, keinen Entschluss zu fassen, als ob er (vom Ganzen) losgelöst wäre, sondern so, wie der Arm oder das Bein, wenn sie Denkkraft besäßen und die Einrichtung der Natur verstünden, niemals etwas anderes wollen und erstreben würden als in Rücksicht auf das Ganze“ (aus: NESTLE, Nachsokratiker, Bd. 2, 223). 132 Übersetzung: „Diese Welt ist ein einziger Stadtstaat und eine einzige Substanz ist es, aus der sie geschaffen ist.“ 133 Dazu VOLLENWEIDER, Freiheit, 55 (mit Textbelegen). 134 Die Selbstbetrachtungen stellen eine Art Gedankensammlung dar. Vielfach gibt es Wiederholungen oder nicht unbedingt logische Anschlüsse. Damit gehören sie zur Gattung der Hypomnemata,

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auch kosmopolitischen Ideen zuwendet und das Motiv der Zugehörigkeit zu einem „höchsten Gemeinwesen“ (RQNKL C PYVCVJ) sowie die Teilhabe an einer weltumspannenden Bürgerschaft (RQNKVGWOC) anführt.135 Er propagiert die Irrelevanz aller äußeren Dinge im Lichte des Ewigen und Unendlichen und fordert die sittliche Selbsterziehung des Menschen. Bei ihm verbinden sich epikureische Grundsätze, stoische Sozialethik und die politische Praxis zu einer Einheit.136 Im Zusammenhang mit der Datierung der christlichen Schrift an Diognet ist es m.E. weiterführend, den popularphilosophischen Hintergrund des zweiten Jahrhunderts und dabei insbesondere dessen Wirkung auf Marc Aurels „Selbstbetrachtungen“ in einigen Passagen in den Blick zu nehmen, da sich hierdurch mehr als dies bisher in der Forschung wahrgenommen wird, Bezüge ergeben, die es wahrscheinlich werden lassen, die Schrift an Diognet in die Zeit Marc Aurels zu datieren.137

5. Historische Voraussetzungen: Bürgerrecht und Bürgerrechtspolitik in der römischen Kaiserzeit Bürgerrecht und Bürgerrechtspolitik in der römischen Kaiserzeit Die metaphorische Rede vom Bürgerrecht, von der Bürgerschaft, vom Staat oder der Stadt, wie sie bisher bereits an einigen Textbeispielen aufgezeigt wurde, kann nicht ohne Berücksichtigung der jeweils wirksamen historischen Gegebenheiten interpretiert werden. Zur Verdeutlichung und zum besseren Verständnis soll im folgenden ein Überblick über den Stellenwert des Bürgerrechts und die (römische) Bürgerrechtspolitik gegeben werden. Das Verständnis des Motivs der himmlischen Bürgerschaft (bzw. der himmlischen Stadt) hat unmittelbar mit dem politischen Hintergrund zu tun. Ist es die griechische Polis, die etwa für Plato Verstehenshintergrund seiner Metaphorik ist, und bildet der Bedeutungsverlust der Polis den Hintergrund kosmopolitischer Ideen in hellenistischer Zeit, so sind römisches Bürgerrecht und Bürgerrechtspolitik der Prinzipatszeit eine historische Voraussetzung für das Motiv der himmlischen Bürgerschaft in christlichen Texten.138 also einer losen Sammlung von Notizen oder Kommentaren (daher auch die lateinische Bezeichnung der Gattung: commentaria), siehe auch HADOT, Mark Aurel, 210. 135 3,11 und 4,4 (siehe dazu ausführlicher unten Kap. V.4.1). 136 Vgl. HIRSCHBERGER, Geschichte, 264 und HADOT, Mark Aurel, 212. 137 Siehe dazu unten Kap. V.4. 138 Hier sei wenigstens am Rande verwiesen auf die Dissertation von KRAUTER, Bürgerrecht. Er zeigt, dass es in dem von ihm untersuchten Zeitraum von Alexander dem Großen bis 30 v.Chr. keine feste Bindung von Bürgerrecht und Religion gibt, d.h., dass die meisten Kulte bei Griechen, Römern und Juden auch für Fremde offen waren. Damit werden funktionalistische Theorien (vor allem DE COULANGE, La cité antique) angezweifelt, die den „Bürger“ durch die Teilnahme am städtischen Kult definierten und einen „Fremden“ als jemanden, dem der Zugang zum Stadtkult

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Voraussetzungen

Das Bürgerrecht (RQNKVGKC) eines griechischen Stadtstaates war ein Privileg, welches den freien und erwachsenen Männern zustand und in der Regel patrilinear (seltener über die Mutter) durch Abstammung weitergegeben wurde.139 Dem anderen Personenkreis konnte das Bürgerrecht unter bestimmten Bedingungen verliehen werden. Nur, wer Bürger des Staates war, hatte das Recht der politischen Partizipation, des Grund- und Immobilienerwerbs im jeweiligen Staatsgebiet.140 Ferner sah das Recht auch die Möglichkeit vor, auf Grund schwerwiegender Verbrechen das Bürgerrecht abzuerkennen. Juristisch relevant für die christliche Zeit ist vor allem das römische Bürgerrecht der Prinzipatszeit. Auch hier ist im Unterschied zu modernen Implikationen des Bürgerrechts (z.B. als „Staatsangehörigkeit“) zu beachten, dass das römische Bürgerrecht „primär die Zugehörigkeit zu einer Rechtsgemeinschaft bedeutete, die im Rahmen des Imperium Romanum jedoch zugleich auch politisch privilegiert war.“141 Ähnlich wie in den griechischen Polisstaaten wurde das römische Bürgerrecht nur in seltenen Fällen zuerkannt, so in der Zeit nach den Punischen Kriegen an besonders verdiente Einzelpersonen. Noch seltener wurde das Bürgerrecht kollektiv verliehen.142 Einen wichtigen Einschnitt in der Geschichte des römischen Bürgerrechts für Italien brachte aber bereits der Bundesgenossenkrieg (91–89 v.Chr.): „Mit der zuvor undenkbaren, schubartigen kollektiven Verleihung des römischen Bürgerrechts an alle italischen Verbündeten begann ein neues Kapitel römischer Bürgerrechtspolitik, das bald in weiteren großzügigen Verleihungen des römischen Bürgerrechts oder des italischen Rechts unter Caesar und den Triumvirn gipfeln sollte.“143

Hinzuweisen ist auf zwei Besonderheiten. Zunächst darauf, dass es im römischen Herrschaftssystem die Zwischenstufe des italischen Rechts gab, verwehrt ist. Krauter bestreitet damit die Kompulsivität, d.h. die These von der Verpflichtung zum städtischen Kult und seiner weitreichenden Alternativlosigkeit. Die Gesamtsituation der Kultteilnahme und Einbindung in die Stadt stelle sich differenzierter dar als oft angenommen werde. Eine allgemeine, kontrollierte und gar sanktionierte Kultpflicht für Angehörige eines politischen Gemeinwesens lasse sich nicht nachweisen (S. 421). Auch für das frühe Christentum scheint es m.E. nicht der Druck von städtischen oder staatlichen Stellen zu sein, an bestimmten Kulten teilzunehmen, sondern vielmehr ein kultureller und gesellschaftlicher Druck. Im Blick auf die Verfolgungen von Christen ist dies ebenfalls deutlich. Bis zur Mitte des dritten Jahrhunderts, der Verfolgung unter Decius, finden sich lokal begrenzte und häufig vom Volk ausgehende Ausschreitungen und Initiativen gegen Christen. Zu den im Volk kolportierten Vorurteilen gesellt sich im zweiten Jahrhundert eine sogenannte „heidnische Polemik“, die ebenfalls die Unvereinbarkeit der christlichen Religion mit Sitte, Kultur, Bildung und überlieferter Religion zum Thema hat. 139 Vgl. zu den griechischen Stadtstaaten EHRENBERG, Staat, 156–160. 240–247. 140 So RHODES, Art. Politeia, 26 „Nur die Bürger eines Staates genossen polit. Rechte, ‚die Teilhabe am Gericht und an der Regierung‘ (Aristoteles, pol. 1275a 22–23) und durften Grundstücke und Häuser auf dem Staatsgebiet besitzen." 141 CHRIST, Geschichte, 457. 142 CHRIST, Geschichte, 457 und STEPHAN, Honoratioren, v.a. 222–260. 143 CHRIST, Geschichte, 457.

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durch die der Staat insbesondere den Führungsschichten bestimmter Städte mit Privilegien entgegenkam. Ziel war es dabei, „gerade in jener Gruppe eine doppelte Loyalität sowohl gegenüber der jeweiligen Stadt als auch gegenüber Rom zu organisieren und demonstrativ zum Ausdruck zu bringen.“144 Die andere Besonderheit betrifft das Bürgerrecht in Kolonien,145 was für die folgende Untersuchung mit Blick auf die römische Kolonie Philippi bedeutsam ist. Die Kolonisten einer Bürgerkolonie (Colonia civium Romanorum) blieben Vollbürger. Da sich Landanweisungen an Kolonisten auf die Zusammensetzung der Bürgerschaft auswirkten, wurden die Kolonisten mit ager publicus ausgestattet, was keinen Einfluss auf den census hatte.146 Eine Besonderheit unter den Kolonien stellen wiederum diejenigen dar, die immunitas oder ius Italicum genossen. Die Bürger wurden geschlossen einer der römischen tribus zugeteilt und waren so mit Rom verbunden,147 wobei diese bürgerlichen Rechte gleichsam fiktiv bzw. nur nomineller Natur waren. Im Falle der Colonia Iulia Augusta Philippensis z.B. ist dies die tribus Voltinia. In einer Kolonie hat das römische Bürgerrecht sichtbar einen besonderen Stellenwert, ist ein Statuszeichen und gilt daher als sehr begehrenswert. Außerdem lässt sich am Namen des Bürgers, der nach der römischen Art der Namengebung (tria nomina) auch die Tribuszugehörigkeit enthält, der Status ablesen.148 Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit für Nicht-Römer in der Kolonie, insbesondere für Feldherren, die sich um Rom verdient gemacht hatten, das römische Bürgerrecht zu erlangen.149 Recht großzügig verliehen Caesar und zu Beginn seiner Herrschaft auch Augustus das Bürgerrecht in den Provinzen. Nach der Etablierung seines Herrschaftssystems allerdings verfuhr Augustus wesentlich restriktiver, während Claudius wiederum sehr freigebig mit der Verleihung des Bürgerrechts umging.150 Als ein Zeugnis für die Bürgerrechtspolitik des Claudius kann 144 CHRIST, Geschichte, 458. 145 Siehe dazu für die Details SHERWIN-WHITE, Citizenship, 316–322. 146 Vgl. dazu GALSTERER, Art. Coloniae, 83. 147 Dazu PILHOFER, Philippi, 122. 148 Vgl. dazu PILHOFER, Philippi, 114–123, der auf die Bedeutung des römischen Bürgerrechts für die Kolonie Philippi und deren durch und durch römische Prägung in politischer, kultureller und geistiger Hinsicht hinweist (dazu mehr unter II.5.2). Vgl. auch (für den Bereich Kleinasien) STEPHAN, Honoratioren, 224, der auf die besondere Bedeutung des Namens im Hinblick auf „kollektive Identitäten“ aufmerksam macht. Namen „sagen – auf einer ganz elementaren Ebene – ‚wer man ist‘“. Stephan fragt danach, ob nicht die Führungsschichten mit ihren römischen Namen auch „ein umfassendes Bekenntnis zum Imperium Romanum oder gar zur römischen Kultur“ abgeben wollten. 149 Vgl. zur Kolonie Philippi PILHOFER, Philippi, 123: „Alle cives Romani in Philippi sind zugleich Bürger der Stadt Rom, indem sie in die tribus Voltinia eingeschrieben sind, und umgekehrt kann ein griechischer Bewohner das Bürgerrecht der Stadt Philippi nur zugleich mit dem römischen Bürgerrecht erwerben.“ 150 HOLTHEIDE, Bürgerrechtspolitik, 55 spricht in diesem Zusammenhang von einem „ersten Höhepunkt der römischen Bürgerrechtspolitik in der Prinzipatszeit“.

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Voraussetzungen

eine Passage in Senecas Satire Apocolokyntosis (3,3) dienen: sed Clotho ego mehercules inquit pusillum temporis adicere illi volebam, dum hos pauculos qui supersunt civitate donaret.151 In claudischer Zeit blühte auch der Handel mit Ämtern und Privilegien.152 Römische Beamte nahmen Bestechungsgelder an, um Neubürgern durch Aufnahme in die Bürgerlisten das römische Bürgerrecht zu verschaffen.153 Aber auch ungeachtet dieser Praxis galt das römische Bürgerrecht in dieser Zeit als besondere Auszeichnung außerhalb des italischen Stammlandes, „durch die würdige Provinziale den Bürgern Roms und Italiens gleichgestellt werden sollten“.154 Vespasian gewährte vor allem den Oberschichten des Westens Zugang zum Bürgerrecht, was seine Nachfolger Domitian und Trajan auch auf den griechischen Osten ausdehnten. Nach K. Christ führt diese Entwicklung zu jener Situation, die Aelius Aristides in seiner berühmten Romrede beschreibt: „Die beiweitem größte Aufmerksamkeit und Bewunderung verdient jedoch die Erhabenheit eures Bürgerrechts und der Gesinnung, die ihr damit verbindet. Es gibt wohl nichts, was insgesamt damit verglichen werden könnte. Ihr habt nämlich sämtliche Untertanen – wenn ich das sage, habe ich den ganzen Erdkreis gemeint – in zwei Gruppen eingeteilt und überall die Gebildeten, Edlen und Mächtigen zu Bürgern gemacht oder auch ganz und gar zu euren Verwandten, die übrigen Reichsbewohner gelten euch als Untertanen und Beherrschte.“155

Diese Rede, die in das Jahr 143 n.Chr. zu datieren ist, fällt in die Regierungszeit des Kaisers Antoninus Pius. Bei der Heranziehung der Romrede des Aristides ist freilich eine angemessene Einschätzung derselben nötig. Es handelt sich um einen aus der Sicht der honestiores und des griechischen Kulturkreises geäußerten Standpunkt, so dass die Aussagekraft vor allem im Blick auf die Einschätzung des römischen Bürgerrechts im Osten des Reiches von großem Wert ist.156 Unter Marc Aurel setzt sich die bereits angedeutete Veränderung in der Bürgerrechtspolitik, d.h. der Abkehr eines restriktiven Umgangs mit der Bürgerrechtsverleihung, fort. Zu nennen ist hier die Tabula Banasitana, ein Schreiben Marc Aurels und des L. Verus an den Statthalter der Provinz 151 „Als Merkur die Schicksalsgöttin auffordert, Claudius sterben zu lassen, spricht diese: „Ich wollte ihm noch ein klein bisschen Zeit geben, bis er die paar Leutchen, die noch übrig sind, mit dem Bürgerrecht beschenkt hätte“ (nach O. Weinreich). 152 Tacitus, ann. XIV 50,1. Siehe dazu auch HOLTHEIDE, Bürgerrechtspolitik, 55. 153 Lukas erwähnt einen solchen Fall in Apg 22,27f. Der Chiliarch hat nach V. 28a sein Bürgerrecht käuflich erworben (G IY? RQNNQW MGHCNCKQW VJ?P RQNKVGKCP VCWVJP G MVJUCOJP). Nach römischer Werteskala kommt Paulus ein höherer Status zu – er kann für sich sagen, dass er von Geburt an römischer Bürger ist (V. 28b). 154 HOLTHEIDE, Bürgerrechtspolitik, 56. 155 Aelius Aristides 26,59. 156 HOLTHEIDE, Bürgerrechtspolitik, 105f.

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Mauretania Tingitana.157 An diesem Dokument wird deutlich, dass mit der Verleihung des römischen Bürgerrechts nicht mehr wie zu Caesars oder Octavians Zeiten Privilegien z.B. wie Steuer- und Abgabenfreiheit verbunden sind. Ein derartig freigebiger Umgang mit der Verleihung des Bürgerrechts hatte dazu geführt, dass diese Privilegien bei dem sich stark vergrößernden Kreis der Bürger nicht mehr finanzierbar gewesen wären. Musste man früher bei Erhalt des römischen Bürgerrechts auf das ursprüngliche Bürgerrecht verzichten, so wurde schon seit Caesar nach und nach ein doppeltes Bürgerrecht erlaubt. Nun jedoch wird das doppelte Bürgerrecht das geltende Prinzip.158 Damit ist auch die Entwicklung zum wichtigsten Ereignis der römischen Bürgerrechtspolitik vorgezeichnet: der Weg zur Constitutio Antoniana des Kaisers Caracalla aus dem Jahr 212. Nach Cassius Dio habe die Constitutio Antoniana steuerpolitische Ziele verfolgt. Die speziell für römische Bürger geltenden Steuern konnten so auf eine größere Menge Einwohner ausgedehnt werden.159 Die Wirkung der kollektiven Bürgerrechtsverleihung durch Marcus Aurelius Caracalla ist an zahlreichen Inschriften und Papyri ablesbar. Entsprechend der Sitte, den Namen dessen anzunehmen, durch den man das Bürgerrecht erlangt hat, nannten sich die von der Constitutio Antoniana Betroffenen Aurelii. Ein Überblick über die Provinz Asia zeigt, dass ungefähr 30 Prozent aller Bürger Aurelii waren.160 Im Zusammenhang mit der Constitutio Antoniana wird häufig der in der Geschichtsforschung schillernde Begriff der „Romanisierung“ verwendet. Nach K. Christ bedeutet es aber eine unzulässige Verengung des Phänomens der Romanisierung, sie (allein) als ordnungspolitische Maßnahme einzustufen, die noch dazu in der kollektiven Bürgerrechtsverleihung ihren Gipfel gefunden habe. Er plädiert für eine weitergehende Definition, nach der unter Romanisierung vor allem „die Übernahme römischer Zivilisationsformen wie des Lebensstils, der Sprache und der Literatur wie der Moral, der Wertvorstellungen wie der Religion“ zu verstehen ist.161

157 Das Dokument ist gut zugänglich bei FREIS, Inschriften, 186ff. 158 Siehe SHERWIN-WHITE, Citizenship, 312. 159 Im einzelnen zur Constitutio Antoniana und zur Bewertung des Papyrus Gissensis 40 siehe FRATEANTONIO, Autonomie, 158–162 mit neuerer Literatur. 160 Vgl. HOLTHEIDE, Bürgerrechtspolitik, 115ff: Die einfache Herkunft dieser Menschen ist daran ablesbar, dass sie nur den Namen Aurelius tragen und auf den dreigliederigen Namen verzichten. Offensichtlich waren sie mit den Regeln des römischen Namenwesens nicht vertraut. 161 CHRIST, Geschichte, 463f weist aber auch darauf hin, dass Romanisierung im Westen etwas anderes bedeutet als für den griechischen Osten. So auch SHERWIN-WHITE, Citizenship, 222: „Loyalty to Rome is marked in the West and in the Danubian provinces by a process which, though commonly called Romanization, is really self Romanization.“

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Voraussetzungen

6. Sprachliche Voraussetzungen: Lexikographische Klärungen Lexikographische Klärungen 6.1 Bedeutung und Bedeutungsveränderung von RQNKVGKC, RQNKVGWOC und RQNKVGWQOCK In der exegetischen Fachliteratur zum Wortstamm RQNKV- sind nach wie vor auch drei ältere Untersuchungen maßgebend, die allerdings für die moderne Exegese des Neuen Testaments von ganz unterschiedlichem Wert sind. Die umfangreiche lexikographische Studie von W. Ruppel aus dem Jahr 1927162 bietet einen chronologischen Überblick über die einschlägigen literarischen und epigraphischen Belegstellen des staatsrechtlichen Begriffs RQNKVGWOC Zwar kommentiert Ruppel die einzelnen Texte lediglich in aller Kürze, doch ergibt sich insgesamt ein guter Überblick über die Bedeutungsgeschichte des Terminus RQNKVGWOC Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf philologisch-historischem Gebiet. Jüdische und christliche Belege werden zwar genannt, aber nur kurz besprochen. Die jüdischen und vor allem ur- und frühchristlichen Belegstellen für das Wort RQNKL mit seinen Ableitungen untersucht K.L. Schmidt detaillierter in seiner 1940 erschienenen lexikographisch-exegetischen Studie „Die Polis in Kirche und Welt“. Am umfangreichsten ist dabei der Abschnitt über die Apostolischen Väter, frühchristlichen Apologeten und die „Alexandrinische Theologie“. Problematisch erscheint der heutigen Exegese das Bestreben, in jedem Fall zwischen einem Gebrauch des Wortes im „speziellen“, d.h. „technisch-politischen“ bzw. „staatsbürgerlichen“ Sinne und einem „allgemeinen, abgeschliffenen“ Gebrauch differenzieren zu wollen. Der metaphorischen Verwendung der Wortfamilie RQNKV- gibt Schmidt nur unzureichend Raum in seiner Untersuchung. Viel zu kurz im Blick auf die neutestamentlichen und frühchristlichen Belege des Wortes RQNKL und seiner Ableitungen greift der 1959 erschienene Artikel im Theologischen Wörterbuch von H. Strathmann.163 Er berücksichtigt den einzelnen Textbeleg nur wenig und bleibt vielfach bei apodiktischen Urteilen über den „unpolitischen“ Gebrauch der Wortfamilie im Neuen Testament stehen. Den Apostolischen Vätern widmet er für die gesamte Wortfamilie lediglich 12 Zeilen.164 Zu den genannten kommen noch weitere neuere lexikographische Studien, auf die ebenfalls einzugehen sein wird.165 162 RUPPEL, Politeuma, 268–312.433–454. 163 STRATHMANN, Art. RQNKL MVN, 516–535. 164 Vgl. auch die Kritik an Strathmanns Artikel bei ALAND, Christen, 253f. 165 Zu Belegen in Papyri: ENGERS, 3QNKVGWOC, 154–161 (in lat. Sprache); LÜDERITZ, Politeuma, 183–225 (mit neuerer Literatur); speziell zur hellenistisch-jüdischen Diaspora: ZUCKERMAN, Politeumata, 171–185 und zum Verbum RQNKVGWGU-CK: BREWER, Meaning, 76–83; MILLER JR., 3QNKVGWGU-G, 86–96 und schließlich SPICQ, Notes, 710–720.

Lexikographische Klärungen

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Formal ist das Substantiv RQNKVGWOC von RQNKVGWY bzw. RQNKVGWQOCK abgeleitet. Insbesondere die griechische Tragödie zeigt eine besondere Vorliebe für Substantive auf -OC Sie bezeichnen in aller Regel „nicht nur ein Ereignis, eine Handlung, sondern das zu einer Tätigkeit erforderliche Werkzeug oder auch das Resultat derselben“.166 Häufig wird die Endung für Substantive in wissenschaftlich-technischem Zusammenhang verwendet.167 Der Begriff RQNKVGWOC entstammt nach W. Ruppel dem staatsrechtlichen Bereich, ist seit dem vierten Jahrhundert v.Chr. in literarischen wie epigraphischen Quellen zu finden und bezieht sich auf verschiedene Bereiche des Staates und seiner Institutionen.168 Das Nomen greift in diesem Sinne in den Bedeutungsbereich von RQNKVGKC hinein, wie das Zitat bei Aristoteles zeigt: RQNKVGWOC F+ G UVK?P J RQNKVGKC169 Festzuhalten ist aber, dass sich der Begriff RQNKVGWOC nur selten eindeutig fassen lässt.170 Erst viel später, bei Polybius, kommt der Terminus häufiger vor: 1) als Bezeichnung für das Staatswesen im allgemeinen mit z.T. namentlicher Nennung eines Staates,171 2) für die Verfassung und Staatsform und 3) als eine Bezeichnung des Achäischen Bundes.172 Aus den epigraphischen Belegen ermittelt Ruppel ein weiteres Bedeutungsfeld: die landsmannschaftliche Vereinigung.173 Am Rande sei auf eine Parallele in der formalen Bildung hingewiesen: auf den Terminus VGZPKVGWOC. Nur zwei literarische Belege bezeugen dieses Substantiv, welches sich von VGZPKVGWY ableitet.174 Epigraphisch ist VGZPKVGWOC als Bezeichnung für einen Handwerksverein in Oberägypten im dritten Jahrhundert v.Chr. belegt.175 Es erscheint zumindest als wahrscheinlich, hier in der Wortbildung (wie bei RQNKVGWOC) an eine regionale Besonderheit des (ober)ägyptischen Raumes zu denken.176 Ziebarth weist darauf hin, dass sich das Politeuma als Bezeichnung eines ethnischen Verbandes (z.B. 166 FRAENKEL, Denominativa, 226. 167 FRAENKEL, Denominativa, 233. 168 RUPPEL, Politeuma, 269 nennt als frühesten Beleg Isokrates, or. VII 78. Die RQNKVGWOCVC fungieren als Bezeichnung für die innere Politik; die gesetzliche Verfassungsform wird dagegen mit RQNKVGKC bezeichnet. 169 Aristoteles, pol. 1278b 10, siehe dazu RUPPEL, Politeuma, 272ff und zu Aristoteles: 275. 170 RUPPEL, Politeuma, 269.275. 171 Polybios, I 3,7.8 VQW 5YOCKYP QW VG VQW .CTZJFCPKYP RQNKVGWOCVQL. 172 Polybios, II 10,5: V MQKP VYP $ZCKYP RQNKVGWOCVK. 173 RUPPEL, Politeuma, 454: Diese Verwendung ließe sich aber „mit Sicherheit nur in den Randgebieten hellenistischer Kultur nachweisen und ist dabei von privatrechtlichen Militärvereinen (MQKPC) und sonstigen Vereinigungen (UWPQFQK) sowie von landschaftlichen Bünden (z.B. MQKPQ?P /WMKYP) zu unterscheiden; diese heißen nur bei Polybios R(QNKVGWOCVC).“ 174 Arist 78; Maximus v. Tyrus, dial. 28,3b. Vgl. dazu RUPPEL, Politeuma, 288; POLAND, Geschichte, 130 und SAN NICOLÒ, Vereinswesen, 1. Teil, 53–61. 175 RUPPEL, Politeuma, 288; die bei Ruppel genannte Inschrift (OGI 51, 10) wurde in Ptolemais in Oberägypten gefunden (vgl. dazu POLAND, Geschichte, 130). 176 RUPPEL, Politeuma, 289 deutet dies angesichts der Parallelität zwischen RQNKVGWOC und VGZPKVGWOC zumindest an. Siehe dazu auch unten I.7.

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Voraussetzungen

von Juden) und als Bezeichnung einer Landsmannschaft vornehmlich im ptolemäischen Ägypten finde.177 Immer wieder ist auch die These vertreten worden, RQNKVGWOC sei als Bezeichnung eines Vereins, vor allem eines Militärvereins, zu verstehen.178 Tatsächlich kam es in ptolemäischer Zeit in der ägyptischen Armee, die hellenistischen Charakter hatte, zu reger Vereinsbildung unter den Soldaten. Nach San Nicolò aber „scheinen die meisten dieser Verbände kaum private Vereinigungen gewesen zu sein, sondern sind eher als ethnische Verbände – Landsmannschaften – oder als Unterabteilungen des Heeres anzusehen.“179 Die Gruppenbezeichnung RQNKVGWOC kann für diese Verbände nicht ausreichend nachgewiesen werden.180 Die gängigen Bezeichnungen für derartige Vereine sind UWPQFQL und auch MQKPQP.181

Gerade weil, wie von Ruppel festgestellt wurde, eine genaue Definition des Wortes RQNKVGWOC in den meisten Fällen nicht gegeben werden kann und weil es sich – wie bei den Wortbildungen auf -OC häufig der Fall ist – offenbar vielfach um eine besondere technische Verwendung handelt, ist es für die Klärung hilfreich, ein Beispiel für einen solchen „technischen“ Gebrauch des Wortes näher in Augenschein zu nehmen. Ein solches Beispiel findet man in dem Sympolitievertrag zwischen den Bewohnern von Smyrna und Magnesia aus der Zeit zwischen 245 und 243 v.Chr., erhalten auf einer Marmorstele aus Smyrna. Der Wert dieser Inschrift für die Untersuchung der paulinischen Verwendung des Wortes RQNKVGWOC im Philipperbrief liegt wegen der zeitlichen Distanz sicher nicht in einer direkten Übertragbarkeit. Anhand der Inschrift kann jedoch in Abgrenzung zu anderen in der Inschrift genannten termini technici aus dem politischen Bereich zumindest die technisch-offizielle Verwendung des Wortes RQNKVGWOC erhellt werden.182 177 ZIEBARTH, Art. Politeuma, 1401–1402. Es handelt sich bei diesen speziellen Bildungen auf -OC auch häufig um kollektiv verstandene Größen (vgl. K GTCVGWOC in 1Petr 2,5.9 oder UVTCVGWOC in Mt 22,7; Apg 23,10; Apk 19,14). 178 Siehe ASCOUGH, Associations, 78 (siehe dazu unten Kap. II.6.2.). 179 SAN NICOLÒ, Vereinswesen, 198. Er betont, dass sich eine scharfe Abgrenzung zwischen privater Vereinigung und öffentlich-rechtlichen Verbänden nicht ziehen lasse. Echte Militärvereine trugen nach SAN NICOLÒ, Vereinswesen, 202 auch die bekannten Vereinsbezeichnungen wie MQKPQP oder UWPQFQL. 180 Der papyrologische Beleg aus Faijum (wohl 145 v.Chr., Text bei WILCKEN, Grundzüge, I/2, Nr. 448), spricht von einem RQNKVGWOC VYP .TJVYP Ein Mann, der zu der Polizeitruppe der G HQFQK gehört, geht zu den Katöken über. Er wird im besonderen dem RQNKVGWOC VYP .TJVYP zugewiesen. WILCKEN, Grundzüge, 528 nennt dieses Politeuma „eine jener halbpolitischen Organisationen, die aus den nationalen Regimentern hervorgegangen waren.“ 181 Vgl. SAN NICOLÒ, Vereinswesen, 198f und RUPPEL, Politeuma, 307, der deutlich festhält, „daß RQNKVGWOC etwas ganz anderes ist als ein privater Soldatenverein (MQKPQP).“ Auch bei ZIEBARTH, Vereinswesen, 133–140 ist RQNKVGWOC nicht als Bezeichnung eines privaten (griechischen) Vereins aufgelistet. 182 Diese Inschrift wird ausgesprochen selten in Verbindung mit dem RQNKVGWOC-Beleg in Philipper 3,20 herangezogen. Eine dieser Ausnahmen ist PERES, Grabinschriften, 135 A. 165, wobei die Inschrift nur sehr knapp erwähnt wird.

Lexikographische Klärungen

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Der Text gliedert sich in drei Teile: Erstens ein Dekret Smyrnas über die Sympolitie mit Magnesia am Sipylos, zweitens der Vertragstext und drittens ein Dekret über den Anschluss von Palaimagnesia. Für die Bedeutungsermittlung des RQNKVGWOC ist der zweite Teil, der eigentliche Vertragstext, von Interesse.183 In Magnesia und Umgebung sind unterschiedliche Truppen und Truppenteile mit einer gewissen Verwaltungsautonomie stationiert. Diese wohl von Antiochos I. gegründete Militärkolonie besteht aus fest angesiedelten Veteranen, die in der Inschrift (Z. 14) als QK G O 0CIPJUKCK MCVQKMQK und Aktivtruppen, die als W RCK-TQK bezeichnet werden. Der Vertrag verfolgt das Ziel, die Kolonisten und magnesischen Truppen zu Bundesgenossen des Seleukos zu machen. Es wird ein Freundschaftsvertrag geschlossen zwischen den Smyrnäern und den Militärkolonisten in Magnesia (MCVQKMQK). Genannt werden die Reiter und Fußsoldaten in der Stadt, die Soldaten in den Feldlagern, und die anderen Bewohner. Das smyrnäische Bürgerrecht erhalten die magnesischen Militärkolonisten, die MCVQKMQK (Reiter und Fußsoldaten), die in den Lagern Stationierten, die W RCK-TQK und die anderen Bewohner von Magnesia, sofern es sich um freie Griechen handelt. Sie werden durch den Vertrag verpflichtet, einen Eid zu schwören und die Gesetze der Smyrnäer, die Volksbeschlüsse, die Selbstbestimmung, die Demokratie und die anderen Zugeständnisse des Königs Seleukos an die Smyrnäer zu beachten. Diesen Eid sollen sowohl die Magnesier (Z. 59f.) als auch die Smyrnäer (siehe Z. 72f.) leisten: „Die Militärkolonisten in Magnesia – bestehend aus den Reitern und Fußsoldaten in der Stadt – und die in den Feldlagern („unter freiem Himmel“) aufgestellt sind, und die anderen, die in das RQNKVGWOC eingeschrieben sind, sollen folgenden Eid leisten.“ Etwas weiter in dem Text des zu leistenden Eides heißt es (Z. 64f.): „Und ich werde als Bürger in Eintracht, ohne Aufruhr, entsprechend den Gesetzen der Smyrnäer und den Beschlüssen des Volkes leben, und ich werde Selbstbestimmung und Demokratie bewahren“. W. Ruppel meint in VQ? RQNKVGWOC (Z. 60) das Bürgerrecht von Smyrna zu erkennen.184 Dieser Deutung widerspricht aber der Vertragstext selbst, da in Z. 35f das Bürgerrecht mit RQNKVGKC bezeichnet wird: MCK?VJ?ORQNKVGKCPG FYMCP6OWTPC”QKVQ”LG O0CIPJUKCKMCVQKMQKL185

183 Den Text bieten PETZL, Inschriften, Nr. 573 und IHNKEN, Inschriften. 184 RUPPEL, Politeuma, 297: „von den Katöken, den [...] werden ohne Zweifel durch die Worte QK C NNQK MVN die bürgerlichen Einwohner geschieden, in dem RQNKVGWOC aber erkenne ich das Bürgerrecht von Smyrna. Dieses erhalten alle Soldaten sämtlicher Abteilungen und die übrigen freien, in Magnesia ansässigen Griechen.“ 185 Vgl. auch Z. 44f der Inschrift.

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Voraussetzungen

Daraus ergibt sich, dass RQNKVGWOC in Z. 60 eine andere Bedeutung haben muss. Die genannten Gruppen werden auf Listen verzeichnet. Per Losverfahren werden die Namen in den Listen auf die Phylen verteilt, und die auf den Losmaschinen Aufgezeichneten sollen Anteil haben an allem, woran auch die übrigen Bürger Anteil haben (Z. 50ff). Diese in den Listen genannten Personen benennt der Vertrag mit dem bekannten terminus technicus RQNKVQITCHGU-CK (Z. 54 RQNKVQITCHJ-GPVGL = als Bürger Registrierte). Die Magnesier erhalten smyrnäisches Bürgerrecht (= RQNKVGKC), d.h. sie erhalten die gleichen Rechte wie die anderen Bürger und sind damit RQN”VCK. Sie werden in Listen eingetragen (RQNKVQITCHJ-GPVGL), durch das Los auf Phylen verteilt und sind damit rechtlich eingewiesen in die Bürgerschaft (MCVCZYTK\QOGPQK GK L VQ? RQNKVGWOC). Damit ist klar, dass RQNKVGWOC hier nicht Bürgerrecht bedeuten kann, sondern „Bürgerschaft“ als Gesamtzahl der Bürger.186 Als solche „in die Bürgerschaft Eingewiesene“ wird der einzelne per Eid verpflichtet, „als Bürger“ (RQNKVGWQOCK) ohne Aufruhr nach den Gesetzen und Volksbeschlüssen zu leben. Für den Vorgang des „Einschreibens“ in das Politeuma als der Bürgergemeinschaft gibt es in literarischen und epigraphischen Texten zahlreiche Parallelen mit verschiedenen verba scribendi: Neben MCVCZYTK\Y begegnen auch RTQUITCHY und G IITCHY .187 Eine direkte Übertragung der Rechtsverhältnisse aus dieser Inschrift in die paulinische Zeit ist – wie gesagt – nicht möglich. Der Vertragstext gibt aber einen Einblick in militärische Gruppenbildungsprozesse, wie sie vielleicht auch in römischen Militärkolonien in den Provinzen anzunehmen sind. Für Philipper 3,20 (J OYP IC?T VQ? RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L W RCTZGK) zeichnet sich nach der lexikographischen Übersicht als wahrscheinlichste Bedeutung „Bürgerschaft“ ab.188 Die Übersetzung „Heimat“ ist im Bedeutungsumfang von RQNKVGWOC nicht enthalten.189 Die (vor allem früher) verbreitete Über186 So auch der Kommentar zur Inschrift von IHNKEN, Inschriften, 87: „Das Wort RQNKVGWOC heißt hier konkret ‚Gemeinschaft der Bürger‘, ‚Bürgerschaft‘.“ 187 Belege z.B. SIG3 633,59 (ein Vertrag zwischen Milet und Herakleia, ca. 180 v.Chr.): RTQUITCHJPCK RTQ?L VQ? RQNKVGWOC Auch das Wort RQNKVQITCHJPCK begegnet in dieser Inschrift (633,63). Bei Philo findet sich z.B. V VJL C TGVJL G IITCOOGPCK RQNKVGWOCVK (agr. 81.3). Diodor v. Sizilien beschreibt in XII 11 (3) ein ähnlichen Verteilungsverfahren auf Phylen (FKG”NQP VQW?L RQNKVCL GK L FGMC HWNCL) und erwähnt auch das Politeuma. 188 Das Substantiv RQNKVGWOC kann auch in seltenen Fällen das Bürgerrecht bezeichnen (vgl. LSJ s.v. III. „citizen rights, citizenship“, häufiger ist aber die konkretere Bedeutung „(corporate) body of citizens“. Sachlich liegen beide Übersetzungen nicht weit voneinander entfernt, sind doch die in die Bürgerschaft Eingeschriebenen Bürger und damit Inhaber des Bürgerrechts. Zum Ausdruck des Bürgerrechts wird im neutestamentlichen Sprachgebrauch (z.B. in Apg 22,28) dagegen RQNKVGKC verwendet. 189 Vgl. BÖTTGER, Existenz, 252 gegen RUPPEL, Politeuma, 277, der an einer Stelle bei Polybios (24,9,8: RCTC? VQ”L K FKQKL RQNKVGWOCUKP vgl. auch 24,10 4 das RQNKVGWOC als

Lexikographische Klärungen

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setzung „Wandel“ wurde durch die lateinische Übersetzung des Wortes Politeuma mit conversatio möglich. Die Spezialbedeutung einer Fremdenkolonie,190 die grundsätzlich lexikographisch möglich ist,191 gibt für Philipper 3,20 keinen Sinn. Paulus hätte dann von einem RQNKVGWOC auf Erden sprechen müssen. Auf Erden wären die Christen fremd, so dass ihre G MMNJUKC eine Fremdenkolonie auf Erden darstellte, statt dessen aber befindet sich das RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L192 Die Frage ist auch, ob RQNKVGWOC ein lokales Gebilde bezeichnen kann, z.B. ein Stadt- oder Staatsgebiet. Zwar nennt Strabo die Stadtgemeinde von Emporiae RQNKVGWOC (III 4,8), doch ist nach Ruppel wohl eher an Verwaltungsbezirke und die Einwohnerschaft zu denken.193 Vielfach wird zu Phil 3,20 als Argument angeführt, dass sich der folgende Relativsatz auf den Singular RQNKVGWOC und nicht auf den Plural G P QW TCPQ”L beziehen müsse. Grammatisch kann der relativische Anschluss G E Q¨ sich jedoch durchaus als constructio ad sensum auf den Plural G P QW TCPQ”L beziehen.194 Phil 3,20 vor dem Hintergrund jüdischer Diasporagemeinden zu verstehen,195 ist aus lexikographischer Sicht erwägenswert, widerspricht aber dem historischarchäologischen Befund, dass eine organisierte und rechtlich eigenständige Judenschaft für Philippi nicht nachweisbar ist. Außerdem ist deutlich darauf hinzuweisen, dass RQNKVGWOC nicht als Standardterminus für einen rechtlichen Status einer jüdischen Diasporagemeinde anzusehen ist, sondern um eine lokale Besonderheit im ägyptischen, und vielleicht vereinzelt im kleinasiatischen Bereich.196 Für das paulinische RQNKVGWOC in Phil 3,20 ergibt sich demnach als sinnvollste Bedeutung die „Gemeinschaft von Bürgern“, also die „Bürgerschaft“. „Vaterland“ versteht. Dies ist aber keine eigene Bedeutung des Wortes, sondern sie ist lediglich durch den Zusatz des Adjektivs K FKQL bedingt. „Die Bedeutung ‚Heimat‘ scheidet völlig aus. Ganz offensichtlich kommt sie schon deswegen nicht in Frage, weil bei RQNKVGWOC der lokale Sinn nicht ins Gewicht fällt“, so BÖTTGER, Existenz, 252. 190 So DIBELIUS, Thess/Phil1, 61. Später hat er sich dann korrigiert (Thess/Phil3, 93), doch um den Preis, dass die Bedeutung Kolonie für RQNKVGWOC nicht mehr aufrecht erhalten werden kann: „wir haben unsere Heimat im Himmel und sind hier auf Erden eine Kolonie von Himmelsbürgern“. 191 Dies legt auch die Definition bei SPICQ, Notes, 716 nahe: „un politeuma est l’uion de citoyens de mêmes origine et dotés de mêmes droits (isonomes) au sein d’états étrangers“; siehe auch RUPPEL, Politeuma, 282, wonach RQNKVGWOC als „Teil eines Volkes, der in der Fremde Behausung und ein zweites Vaterland gefunden hat“ verstanden werden kann, der dann als ethnischer Verband und nicht als Privatvereinigung so etwas wie „einen eigenen Staat im Staatswesen“ bildet, der mit bestimmten Privilegien ausgestattet ist und gewisse rechtliche Autonomie besitzt. 192 Vgl. auch die Argumente gegen Dibelius bei PILHOFER, Philippi, 129 A. 14. 193 RUPPEL, Politeuma, 285; 296 A. 134. Er hält ein lokales Verständnis für RQNKVGWOC für nicht angemessen. 194 So u.a. MÜLLER, Phil, 180 A. 211. 195 NIEBUHR, Heidenapostel, 102; KRAUS, Volk, 344–345 und in gewisser Weise auch PILHOFER, Philippi, 134 mit dem etwas überraschenden Hinweis auf das Judentum als religio licita. 196 Siehe dazu ausführlicher unten unter I.7.

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Voraussetzungen

Das bereits erwähnte Verbum RQNKVGWGU-CK, von dem sich das Substantiv RQNKVGWOC ableitet, erscheint in der griechischen Literatur mit dem Kompositum EWORQNKVGWY zum ersten Mal bei Thukydides.197 In hellenistischer Zeit wird es vor allem bei Polybios und noch später bei Diodor von Sizilien und Dionysius von Harlikarnas vielfach verwendet. Insgesamt ist das Medium häufiger anzutreffen als die Aktivform. Das Medium hat vor allem die Bedeutung „als Bürger leben“, „Rechte und Pflichten eines Bürgers ausüben“, „Anteil an der Staatsverwaltung haben“. K.L. Schmidt weist auf eine Bedeutungsveränderung hin. Das Verbum RQNKVGWGU-CK bedeute in bestimmten Zusammenhängen „sein Leben führen, sich betragen, wandeln“. Schmidt spricht von einer „allgemeinen“ oder „blassen“ Bedeutung.198 Die Beispiele, die er nennt, tragen aber m.E. deutlich noch den politischen Sinn per analogiam in sich. In dem genannten inschriftlichen Beleg RQNKVGWGU-CK MCVC? VQW?L W OGVGTQWL PQOQWL199 

kann man unschwer die politische Dimension ebenso entdecken wie in dem ptolemäischen Papyrus, wo es heißt: RTQ?L VQW?L -GQW?L Q UKYL MCK? FKMCKYL RQNKVGWGU-CK200 

M.E. ist die metaphorische Bedeutung, die RQNKVGWGU-CK schon früh bekommen hat, stärker zu berücksichtigen, als dies in der älteren Forschungsliteratur geschehen ist. In jüdisch-christlicher Literatur begegnet das Verb durchaus häufig mit Bezugsgrößen aus dem religiösen Bereich (vgl. Phil 1,27; Philo, conf. 77f; Diog 5,9 u.ö.). Gerade weil die Bedeutungen der Wörter RQNKVGWOC und RQNKVGWGU-CK in den wenigsten Fällen eindeutig zu ermitteln sind, wie Ruppel und Schmidt immer wieder deutlich machen, ist m.E. auch nicht pauschal von einer Bedeutungsabschwächung auszugehen.201 Die neueren Kommentare zum Philipperbrief nehmen die besondere Wortwahl in 1,27 sehr wohl wahr und bringen auch die politische Dimension des Verbums zum Ausdruck.202 R. Brewer geht in seiner kleinen Studie zur Bedeutung von RQNKVGWGU-G Phil 1,27 vor allem der Frage nach, in wieweit die Bedingungen in der philippischen Gemeinde die paulinische Wortwahl beeinflusst haben. Brewer listet die von Paulus verwendeten Verben, die „ethical action or attitudes“ ausdrücken auf und kommt zu dem Ergebnis, 197 Z.B. in 2,37: G NGW-GTYL VC? RTQ?L VQ? MQKPQ?P RQNKVGWGKP = „in freiheitlichem Geist die Verhältnisse das Gemeinwesen betreffend (politisch) verwalten“. 198 SCHMIDT, Polis, 5. 199 SIG3 618,12. 200 Siehe SCHMIDT, Polis, 5. 201 Gegen STRATHMANN, Art. RQNKL, 529. 202 GNILKA, Phil, 98 vermutet, „daß Paulus gegenüber den Philippern, einer meist heidenchristlichen Gemeinde, einen neuen Gedanken ins Spiel bringt, sich anzupassen versucht.“

Lexikographische Klärungen

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dass alle diesbezüglich geläufigen Verben mit Ausnahme von FKYMGKP auch im Philipperbrief vorkommen.203 Dabei hat Brewer allerdings FKYMY in Phil 3, 12 und 14 übersehen! Ein besonderes Augenmerk müsse nach Brewer den über diese Liste hinaus im Philipperbrief imperativisch gebrauchten Verben des ethischen Bedeutungsfeldes beigemessen werden.204 Im Imperativ der zweiten Person Plural werden im Philipperbrief folgende Verben verwendet: MCVGTIC\GU-G (2,12), NQIK\GU-G (4,8), OGTKOPCU-G (4,6) und RQNKVGWGU-G (1,27). Aus diesen Verben sticht RQNKVGWGU-G mit seiner politischen Couleur deutlich hervor.

Es ist auffällig, dass Paulus in Phil 1,27 bewusst einmalig das Verb verwendet, das – wie RQNKVGWOC in 3,20 – dem staatsrechtlich-politischen Bereich entstammt. Zunächst ist nicht davon auszugehen, dass RQNKVGWQOCK semantisch hier gleichzusetzen ist mit RGTKRCVGY oder einem anderen ähnlichen Verb, sondern die Wortwahl bedarf einer Erklärung. Vielfach wird auf den jüdisch-hellenistischen Bedeutungshorizont des Verbs verwiesen. Im Aristeasbrief begegnet das Verb im Zusammenhang mit Gesetzesobservanz (Arist 31). Außer in der Septuaginta205 kommt das Verb bei Philo vor, z.B. in decal. 14,6 oder auch (wie bereits oben ausgeführt) in conf. 77f: RCVTKFC OG?P VQ?P QW TCPKQP ZYTQP G P … RQNKVGWQPVCK.206 

Festzuhalten ist hier zunächst, dass das Verb RQNKVGWQOCK in jüdisch-hellenistischer Literatur häufig mit dem jüdischen Gesetz verbunden wird („nach dem Gesetz leben“).207 Auffällig ist immer wieder eine sprachliche Verbindung mit bestimmten Adverbien des verstandesmäßigen oder moralischen Urteils,208 die möglicherweise dazu beigetragen hat, das Verb auch im übertragenen Sinne für die menschliche Lebensführung vor dem göttlichen Gesetz zu verstehen. Die zweite Stelle im Neuen Testament, an der RQNKVGWGU-CK begegnet, ist Apg 23,1. Hier lässt Lukas Paulus vor dem Synhedrion die Worte sprechen: 203 BREWER, Meaning, 77. 204 BREWER, Meaning, 77. 205 In der LXX kommt RQNKVGWQOCK außer in Est 8,12 (p) insgesamt sieben Mal in den Makkabäerbüchern vor und zwar stets in Bezug auf das Gesetz der Väter, des Mose oder Gottes (in 2 Makk 11,25 bezogen auf die G -J der Vorfahren). 206 Weitere Textbelege sind gesammelt bei SPICQ, Notes, 710–720. 207 Von diesem Verständnis her deutet MILLER, 3QNKVGWGU-G 91f die paulinische Verwendung des Verbs. Paulus gehe es um eine Differenzierung der Christen von den Juden. Brewers rein politische Herleitung liege vor allem an einer zu kurz greifenden lexikographischen Erhebung. Miller muss sich allerdings fragen lassen, ob eine Gegenüberstellung Christen – Juden in einer derart subtilen Weise über die beiden „politischen“ Vokabeln RQNKVGWGU-CK und RQNKVGWOC ausgerechnet für die Adressaten in Philippi plausibel sein soll, wo es für eine organisierte Judenschaft keinen Hinweis gibt. 208 Die Beispiele sind so zahlreich, dass sie nicht aufgeführt werden müssen.

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Voraussetzungen

C P  FTGL C FGNHQK G IY? RCU UWPGKFJUGK C IC- RGRQNKVGWOCK V -G C Z  TK VCWVJL VJL J OGTCL 

Das resultative Perfekt signalisiert die Rückschau des Paulus auf sein bisheriges Leben.209 Lukas weiß um die aus jüdischen Texten bekannte Verbindung von RQNKVGWGU-CK mit der Tora bzw. den Gesetzen. Da RQNKVGWGU-CK bei Lukas ansonsten hapax legomenon ist, kann auch hier (wie in Phil 1,27) von einer bewussten Formulierung ausgegangen werden. In Apg 23,1 wird – wohl als provokante Spitze gegen den Hohenpriester – RQNKVGWGU-CK mit einer anderen Bezugsgröße als dem jüdischen Gesetz verbunden, nämlich mit V -G und RCU UWPGKFJUGK C IC- Auch in Phil 1,27 wird das Verb RQNKVGWGU-CK mit einer in dieser Formulierung sicher nicht erwarteten Bezugsgröße verbunden: 0QPQP C EKYL VQW GW CIIGNKQW VQW ;TKUVQW RQNKVGWGU-G 

Hier stellt sich ist die Frage, mit welchen Bezugsgrößen Verb und Adverb sonst häufiger verbunden werden. Pilhofer nennt in seiner Studie zu Philippi einige Beispiele für vergleichbare Kombinationen: C EKYL VQW VG DCUKNGYL MCK? VYP RQNKVYP 210 C EKYL VQW VG DCUKNGYL MCK? VJL RQNGYL 211 C EKYL VJL J OGVGTCL RQNGYL212 C EKYL VQW FJOQW C EKYL VQW -GQW

oder C EKYL VYP -GYP.213 

Gerade diese zuletzt genannte sprachliche Verbindung findet ihren Niederschlag auch in späteren frühchristlichen Texten: z.B. in 1Clem 21,1: G C?P OJ? C EKYL CW VQW RQNKVGWQOGPQK VC? MCNC? MCK? GW CTGUVC G PYRKQP CW VQW RQKYOGP OG-+ Q OQPQKCL214 

bei Polykarp von Smyrna 5,2: G C?P RQNKVGWUYOG-C C EKYL CWVQW MCK? UWODCUKNGWUQOGP CW V215 

oder bei Cemens von Alexandrien, paed. III 11,81: GK FG? MCK? GK L DCUKNGKCP -GQW MGMNJOG-C C EKYL VJL DCUKNGKCL RQNKVGWYOG-C.216

209 Vgl. Diodor 29,18: RCPVC VQ?P VQW \JP ZTQPQP RGRQNKVGWQOGPQL C OGORVYL 210 Inschrift 543/G480 bei Pilhofer aus Gazoros, drittes Jahrhundert v.Chr. 211 IG IV 1,22 aus Ägina. 212 IG IV 7,387, Z. 6 aus Oropos. 213 Belege nach PILHOFER, Philippi, 137. Hinzuzufügen ist die Inschrift SIG3 543,6, in der Ausdruck C EKQL VQW RQNKVGWOCVQL begegnet. 214 (Seht zu, [...] dass nicht seine [=Christi] Wohltaten uns zum Gericht werden,) wenn wir nicht seiner würdig als Bürger leben und das vor ihm Gute und Wohlgefällige in Eintracht tun. 215 Wenn wir seiner würdig als Bürger leben, werden wir auch mit ihm zusammen herrschen.

Lexikographische Klärungen

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An diesen christlichen Belegen, die inhaltlich-theologisch auf Philipper 1,27 Bezug nehmen und denen zahlreiche aus der frühpatristischen Literatur ab dem dritten Jahrhundert beizufügen wären, ist erkennbar, wie der paulinische Ausdruck nachgewirkt hat. Die Wortwahl des Paulus aber war – um es mit Pilhofer zu sagen – „auf die besondere Situation in Philippi zugeschnitten“.217 Und die besondere Situation in Philippi ist die hier in hohem Maße spürbare römische Prägung auf kulturellem, sozialem, militärischem und politischem Gebiet. In dieser Kolonie ist eine begüterte römische Bevölkerung, die weitgehend aus Veteranen bestand, stolz auf ihr römisches Bürgerrecht. Es ist für die Exegese davon auszugehen, dass dies bei der Wortwahl des Paulus in Phil 1,27 wie auch in 3,20 Einfluss hatte. Brewer schreibt völlig zutreffend von der „tendency of Paul to adapt his language and his thought to the varied situations he confronted in his preaching and in the pastoral care of the churches“.218 In Phil 1,27 wird ein sonst in staatsrechtlichem Zusammenhang gebrauchtes Verb mit einer neuen und untypischen Bezugsgröße, dem Evangelium, verbunden.219 Nicht zu übersehen ist die politische Brisanz dieser politischen Formulierung. Als Übersetzung bietet sich demnach an: „Seid Bürger allein würdig des Evangeliums Christi!“ 6.2 Weitere Komposita und Denominativa: RQNKVQITCHY  UWORQNKVGWY und UWORQNKVGKC Auf einige Ableitungen des Wortfeldes RQNKV-, die bei der Untersuchung der himmlischen Bürgerschaft am Rande begegnen, soll im folgenden kurz eingegangen werden. Als erstes ist das Verb RQNKVQITCHGY zu nennen. In der Literatur kommt dieser terminus technicus nach dem TLG für das Einschreiben in Bürgerlisten vergleichsweise selten vor: z.B. bei Diog. Laert. 1,22 G RQNKVQITCHJ-J FG? G P 0KNJV; 5,84: (TW-TC”QL RQNKVQITCHJ-GK?L G P 'JOP; insgesamt achtmal bei Diodor von Sizilien, vgl. nur 14,48: RQNNQW?L RQNKVQITCHQWPVGL VCZW; Josephus, Ap. 2,251f: RQNKVQITCHG”P MCVC? [JHKUOC; 216 Wenn wir aber berufen sind in die Königsherrschaft Gottes, dann lasst uns auch der Königsherrschaft würdig als Bürger leben. 217 PILHOFER, Philippi I,137: „Dem Paulus ist deutlich, was es heißt, als Christ in der Colonia Iulia Augusta Philippensis zu leben. Dies signalisiert er den Philippern schon, indem er statt des zu erwartenden RGTKRCVGY das (im Corpus Paulinum einmalige) RQNKVGWQOCK verwendet. Das unterstreicht er, wenn er das C EKYL mit einer (aus hellenistischer wie römischer Sicht) völlig unerhörten Bezugsgröße, dem Evangelium, verbindet.“ 218 BREWER, Meaning, 83. Seiner Ansicht nach wird an der Formulierung in Phil 1,27 (und 3,20) deutlich, was Paulus in 1Kor 9,22 mit der Formulierung meint: „Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette.“ 219 Siehe PILHOFER, Philippi, 136f.

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Voraussetzungen

ferner bei Polybius, 32,7.3. Die späteren Belege sind fast alle im theologisch übertragenen Sinne zu verstehen. Sie beziehen sich auf das Eingeschriebensein in der „Stadt Gottes“,220 „in der apostolischen Kirche“221, „im Himmel“222 oder dem „oberen Jerusalem“, was an Galater 4,26 und zugleich an Philipper 1,27 und 3,20 erinnert.223 Mit diesen Textbelegen wird – ohne dass es in dieser Untersuchung erschöpfend behandelt werden könnte – die Wirkungsgeschichte des Motivs der himmlischen Bürgerschaft in der Theologie angedeutet. Ein epigraphischer Beleg für das Einschreiben in Bürgerlisten findet sich in der Inschrift SIG3 633,59: RTQUITCHJPCK RTQ?L VQ? RQNKVGWOC Auch das Wort RQNKVQITCHJPCK begegnet hier (633,63). Bei Philo kommt das Verb G IITCHY im Zusammenhang mit dem Motiv der himmlischen Bürgerschaft vor: V OGIKUV MCK? VGNGKQVCV RQNKVGWOCVK G IITCHGPVGL OGK\QPK G IITCHGPVGL RCVTKFK VFG V MQUO (somn. V VJL C TGVJL G IITCOOGPCK RQNKVGWOCVK (agr.

(opif. 143–144),

1,39) oder 

81).224 

Zu nennen ist hier auch Lk 10,20, wo die Namen erwähnt werden, die in den Himmeln eingeschrieben sind: ZCKTGVG FG? Q VK VC? Q PQOCVC W OYP G IIGITCRVCK G P VQ”L QW TCPQ”L225 

Eine weitere Ableitung ist das Verb UWORQNKVGWQOCK bzw. die beiden Nomina UWORQNKVJL und UWORQNKVGKC Zunächst bedeutet UWORQNKVJL einfach „der Mitbürger“, vgl. vor allem den einzigen neutestamentlichen Beleg in Eph 2,19 (G UVG? UWORQN”VCK VYP C IKYP MCK? QK MG”QK VQW -GQW). Unter der Sympolitie ist eine Konföderation oder ein Stadtstaatenbund zwischen zwei oder mehr Partnern gemeint, wie z.B. die oben angesprochene Sympolitie von Smyrna und Magnesia am Sipylos.226

220 Origenes, Selecta in Psalmos 12.1437 RQNKVQITCHJ-GPVYP G P RQNGK VQW -GQW; Basilius, Homiliae super Psalmos 29.421.27: RQNKVQITCHJ- G P V RQNGK VQW -GQW 221 Johannes Damascenus, Sermo in annuntiationem Mariae 96.656.49. 222 Joh. Chrys., Cat. ad ill. 198 4.6.: QK GK L VQ?P QW TCPQ?P RQNKVQITCHJ-GPVGL vgl. auch Didymus, Komm. in Ekkl. 329,5: G P VQ”L QW TCPQ”L G MG” G PRQNKVQITCHQW UKP Für das Motiv der himmlischen Bürgerschaft interessant ist bei Didymus der Beleg in Ps.-Comm. 35,1939: G PRQNKVQITCHQWPVCK V I Y L VQ? RQNKVGWOC MCVY G ZQPVGL MCK? „VJ?P GK MQPC VQW ZQKMQW“ HGTQPVGL

223 Joh. Chrys, In sanctum pascha 52.771: GK L VJ?P C PY , GTQWUCNJ?O RQNKVQITCHJ-GPVGL Alle Belege in den letzten vier Anm. stammen aus dem TLG (CD ROM). 224 Es ließen sich noch weitere philonische Belege anführen, siehe dazu oben I.3. 225 Vgl. auch in JosAs 15,3: $UGPG- K FQW? G ITCHJ VQ? Q PQPQOC UQW G P DKDN \YJL 226 Vgl. SPICQ, Notes, 715 A. 2; VOLKMANN, Art. Sympoliteia, 447–449.

Die Frage nach dem jüdischen Politeuma

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7. Die Frage nach dem jüdischen RQNKVGWOC Die Frage nach dem jüdischen Politeuma Ruppel hatte in seiner grundlegenden Untersuchung zwei Kategorien innerhalb der Bedeutung des Begriffs RQNKVGWOC ermittelt (erstens eine staatlichstaatsbürgerliche und zweitens eine landsmannschaftliche). Letztere bezieht sich auf organisierte Gruppen von Menschen innerhalb eines größeren politischen Bereichs (etwa einer RQNKL). Trotz kritischer Einwände in Einzelfragen, setzt G. Lüderitz an dieser Stelle an, indem er festhält, dass man Ruppels Untersuchung nicht für die Unterstützung der „historiographic legend“ (C. Zuckerman) benutzen könne, „that the term stood for a public body enjoying the kind of privileges which distinguished it from other communities.“227 Lüderitz geht an Hand der beiden Kategorien an das Material heran und behandelt das RQNKVGWOC als „body with political power within a Greek polis“ und kommt zu dem Ergebnis, dass RQNKVGWOC als Bezeichnung für „the ruling class as a sovereign body with specific rights“ verwendet wird.228 Danach untersucht er andere Gruppen, die sich selbst als RQNKVGWOC bezeichnen.229 Lüderitz stellt fest, dass der grundsätzliche Unterschied zwischen den beiden zuvor aufgestellten Kategorien („political body“ und „[private] organised group of people“) an den Quellen nicht verifizierbar ist.230 Die Trennung zwischen den beiden Kategorien gehe zurück auf P. Perdrizet, der davon ausging, das RQNKVGWOC sei eine öffentliche Institution mit speziellen Rechten. Dies entstand nach Lüderitz aus einem Missverständnis der „legal position“ der Juden.231 Für Lüderitz handelt es sich bei dem RQNKVGWOC um die Bezeichnung eines privaten Vereins, dessen Mitglieder dann nicht als RQN”VCK bezeichnet werden dürften.232 Neben dem Beleg im Aristeasbrief (Arist 310)233 interpretiert er auch die beiden Inschriften der jüdischen Diasporagemeinden in der Cyrenaica als lokale Besonderheit („local peculiarity“) und stärkt dieses Argument durch die Beobachtung, dass Belege eines diasporajüdischen RQNKVGWOC außerhalb 227 LÜDERITZ, Politeuma, 184f. 228 LÜDERITZ, Politeuma, 188f, vgl. auch schon RUPPEL, Politeuma, 273. 229 LÜDERITZ, Politeuma, 189 zählt einige auf: „festival associations of women, a cult society, a club of soldiers, associations of citizens from the same city living abroad, and ethnic communities.“ 230 LÜDERITZ, Politeuma, 203: „But this statement can only be formulated in negative way: a dogmatic differentiation of politeumata on the one hand and other associations on the other is not possible on the basis of the few surviving texts.“ 231 LÜDERITZ, Politeuma, 204. 232 LÜDERITZ, Politeuma, 195. Dazu muss aber – wie oben bereits unter I.6. ausgeführt – kritisch eingewendet werden, dass sich RQNKVGWOC als formelle Vereinsbezeichnung wie UWPQFQL, -KCUQL oder MQKPQP nur schwer nachweisen lässt. 233 Zum Aristeasbrief und zum Alexandrinischen RQNKVGWOC siehe im Detail: Applebaum, Organization, v.a. 473–488. Vgl. auch SCHÜRER, History, Bd. 3/1, 88.

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Voraussetzungen

der Cyrenaica234 fehlen, und sich bei keinem antiken Autor (einschließlich Flavius Josephus) eine solche Bezeichnung in Verbindung mit Diasporagemeinden findet.235 Dieses Ergebnis steht – so Lüderitz – im Gegensatz zu der beachtlichen Wirkung, die der Begriff Politeuma in der modernen historischen Erforschung der Diasporasynagogen gezeitigt habe.236 P. Trebilco geht in seiner Untersuchung der jüdischen Diasporagemeinden in Kleinasien in einem Kapitel mit der Überschrift „Jewish Community and Greek City in Asia Minor“ auch auf das RQNKVGWOC ein.237 Sein Hauptinteresse liegt dabei in der Frage, ob die Juden Bürger (RQN”VCK) der Stadt waren, in der sie lebten. Josephus gibt einen Brief des Proquaestoren und Propraetors von Sardes, Lucius Antonius, wieder, in dem die Juden als ,QWFC”QK RQN”VCK J OGVGTQK bzw. W OGVGTQK bezeichnet werden. Unklar sei, ob sich das Bürgerrecht, das die Bezeichnung RQN”VCK impliziere, auf das städtische oder das römische Bürgerrecht beziehe. Der Brief lasse den Schluss zu, dass die Judenschaft in Sardes als RQNKVGWOC organisiert gewesen sei. 3QNKVGWOC könne für „a normal Greek city“ stehen, sei aber auch eine Bezeichnung für eine teilweise autonome Gruppe mit selbständiger religiöser und juridischer Struktur. Somit bekomme die jüdische Diasporagemeinde ein „official standing in a city without loosing its identity“.238 Lediglich für Alexandrien verwende Josephus den Ausdruck RQNKVGWOC (ant. 12, 108).239 Die jüdische Gemeinde von Alexandria wird im Aristeasbrief (310) ebenfalls als RQNKVGWOC bezeichnet.240 Ohne näher ins Detail zu gehen, folgert Trebilco: „It seems likely that LetAris is correct and that the Jewish community was organized as a politeuma.“241 Ferner führt Trebilco die beiden Inschriften aus Berenice in der Cyrenaica an. Auch hier sei klar, dass die Juden nicht als Gruppe das Bürgerrecht gehabt hätten. Auch für Sardes nimmt Trebilco auf Grund von Josephus, ant. 14, 259 nicht an, dass alle Juden Bürger RQN”VCK waren.242 Seine Folgerung ist dementsprechend 234 Zu den jüdischen Gemeinden in der Cyrenaica siehe BARCLAY, Jews, 231–242 und LÜDERITZ, Corpus, 147–159. 235 Vermehrt werden die Belege für die RQNKVGWOCVC durch Papyri aus Herakleopolis. Die in die Zeit 144 oder 133 v.Chr. zu datierenden Papyri aus Mumienkartonage bezeugen ein RQNKVGWOC der Juden. Doch auch hierbei handelt es sich um den oberägyptischen Bereich und um ptolemäische Zeit (144/3–133/2 v.Chr.), siehe dazu COWEY/MARESCH, Urkunden, 6–9 zu den Belegen jüdischer RQNKVGWOCVC. Auch Cowey/Maresch weisen darauf hin, dass das RQNKVGWOC nicht als einheitliche Organisationsform zu verstehen ist. 236 LÜDERITZ, Politeuma, 222. 237 TREBILCO, Communities, 167–185. 238 TREBILCO, Communities, 170. 239 So bei TREBILCO, Communities, 167–170. 240 Neben Jos., ant. 12,108 belegt noch der sogenannte Boule-Papyrus aus der Zeit um 100 n.Chr. ein RQNKVGWOC VYP $NGECPFTGKYP was ein weiterer Beleg für eine alexandrinische Besonderheit sein könnte. 241 TREBILCO, Communities, 170. 242 TREBILCO, Communities, 171.

Die Frage nach dem jüdischen Politeuma

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auch sehr zurückhaltend: Es gebe lediglich eine Wahrscheinlichkeit, dass jüdische RQNKVGWOCVC in Berenike, Alexandria, Antiochia und Sardes bestanden hätten. Eine Generalisierung auf alle Diasporagemeinden sei aber nicht gerechtfertigt.243 Die in der Literatur immer wieder zu findende Charakterisierung des Politeuma als „the standard political organization of all Jewish communities of any size in the East“244 bedarf daher einer kritischen Revision, wie sie Trebilco, Lüderitz, und daran anschließend auch C. Claußen245 für erforderlich halten. Dieses Ergebnis ist insofern für die folgende Untersuchung weiterführend, als sich immer wieder die These findet, Paulus nehme in Phil 3,20 mit dem Wort RQNKVGWOC eine Art „Parole“ seiner „judaistischen“ Gegner auf, die mit dieser privilegierten rechtlichen Gemeinschaftsform eines jüdischen RQNKVGWOC in der christlichen Gemeinde Mitglieder abgeworben hätten. Vor dem Hintergrund der zu Recht skeptischen Einschätzung der Übertragbarkeit des Befundes von Alexandria und Berenike auf andere Städte im allgemeinen und auf die römische Kolonie Philippi im besonderen, kann diese These für das RQNKVGWOC in 3,20 als Lösungsvorschlag eigentlich nicht mehr angeboten werden.

243 TREBILCO, Communities, 171: „There are no grounds, therefore, for thinking that Jewish communities were everywhere organised as politeumata.“ Auch BARCLAY, Jews, 25.43–44 hält mit Recht fest, dass außer für Alexandrien kein jüdisches RQNKVGWOC unzweifelhaft belegt sei und darüber hinaus die genaue Erklärung von Arist 310 unklar ist. 244 SMALLWOOD, Jews, 226. 245 CLAUSSEN, Versammlung, 242: Es ist nicht davon auszugehen, „dass die Organisationsform eines RQNKVGWOC die generelle Verfassungsform aller jüdischen Diasporagemeinden war.“

II. Die himmlische Bürgerschaft im Spannungsfeld von Integration und Abgrenzung in der christlichen Gemeinde (Philipper 3,2–21) Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21 Die Gegnerfrage in Phil 3

1. Die Gegnerfrage in Phil 3 Die Frage nach den Gegnern in Phil 3 gehört zu den am stärksten diskutierten Problemen des Philipperbriefes. Zumeist geht es nicht um die Frage, ob sich Paulus in Phil 3,2ff gegen Gegner zur Wehr setzt, sondern welchen konkreten gegnerischen Gruppen sich der Apostel gegenüber sieht. Als Hauptindikator für eine Auseinandersetzung mit Gegnern wird vor allem die besondere Schärfe der Polemik genannt, mit der Paulus in V. 2 seine Leser warnt: DNGRGVG VQWL MWPCL DNGRGVG VQWL MCMQW?L G TICVCL DNGRGVG VJ?P MCVCVQOJP

Zur Identifikation der paulinischen Gegner im Philipperbrief sind daher zahlreiche Hypothesen aufgestellt worden. Nahezu jeder Kommentar zum Philipperbrief listet sie in einem diesbezüglichen Exkurs auf. Trotz dieser Bemühungen wird allgemein beklagt, dass die Forschung dieser Frage als einem „immer noch ungelösten Problem“1 gegenüberstehe und die Vorschläge ein „verwirrendes Bild“2 böten. Nach J. Gnilka könne es „nur darum gehen, anhand der Polemik bestimmte Wesensmerkmale festzustellen und zusammenzuordnen, um ein gewisses Gesamtbild zu erreichen.“3 Dieser Ansatz geht von der als traditionell zu bezeichnenden religionsgeschichtlichen Fragestellung aus. Hervorgerufen wird das Interesse an den Gegnern, das auch eine nicht unerhebliche Verlagerung des Interpretationsgegenstandes zur Folge hat, zunächst durch textimmanente Faktoren: vermeintliche „Gegnerparolen“, Warnungen und konkrete Hinweise auf außerpaulinische religiöse Themen oder Motive, wobei dabei nicht selten Vergleiche zu anderen Paulusbriefen (z.B. 2Kor, Gal) angestellt werden.4 Als Beispiele modernerer Thesen zur Gegnerfrage im Philipperbrief werden im folgenden die Positionen von J. Gnilka,5 U.B. Müller6 und W. Kraus7 skizziert. 1 2 3 4 5

MEARNS, Identity, 194. KLEIN, Antipaulinismus, 297. GNILKA, Phil, 211. Vgl. z.B. BAUMBACH, Paulus, v.a. 307ff. GNILKA, Phil, 211–218.

Die Gegnerfrage in Phil 3

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(1) In seinem Exkurs, der die Überschrift „Die philippischen Irrlehrer“ trägt, versucht J. Gnilka eine Näherbestimmung der in Kap. 3 erkennbaren gegnerischen Front mit Hilfe einer Einordnung des Textes in den jüdischhellenistischen Kontext. Das verwendete Vokabular des Paulus (die Erwähnung der C PY MNJUKL, des Soter-Prädikats, des RQNKVGWOC sowie des VGNGKQLGedankens) verweise auf Philo. Ferner bestehe eine Nähe zu den Gegnern im 2Kor. Gnilka geht der Frage nach, welche Inhalte diese „judenchristliche Missionare“ Christus verkündigt haben könnten. Weniger wahrscheinlich sei eine doketische Lehre, wahrscheinlicher dagegen eine Proklamation Christi als -G”QL C PJT.8 Zusammenfassend ergibt sich bei Gnilka folgendes Bild: Die Gegner sind judenchristliche Missionare, die – eingebunden in „universalistische Tendenzen des zeitgenössischen Judentums“ – Christus als -G”QL C PJT verkünden und gleichzeitig den Einschnitt zwischen irdischem und himmlischen Jesus beseitigen, was das „skandalöse Kreuz überflüssig“ mache. „Als Vollkommene vermitteln sie mit Hilfe einer traditionellen allegorischen Auslegung der Schrift (des Gesetzes?) das wahre Erkennen.“9 Die Gegner des 2Kor und des Phil stehen sich sehr nahe, sind aber nicht identisch. Daraus schließt Gnilka, dass sich ihre Missionstätigkeit auf das griechische Festland konzentriert habe. (2) Nach Ansicht U.B. Müllers kommt dem dritten Kapitel hinsichtlich der Gegnerfrage eine zentrale Stellung zu. Zwar träten auch in Phil 1,15–17 Kontrahenten auf, doch diese seien keineswegs als „Irrlehrer in der Sicht des Apostels“ zu sehen. Auch die Gegner in 1,28 seien „keine christlichen Agitatoren, sondern von außerhalb der Gemeinde stammende Widersacher“10, die für Müller eher heidnischer statt jüdischer Provenienz sind. Er fährt fort: „Die Veranlassung von Phil. 3,2ff. liegt im Auftreten von Predigern, die im Sinne des Paulus Irrlehrer sind, weil sie eine abweichende Christusverkündigung vertreten.“11 Auch Müller versucht in einem Exkurs die traditionelle Frage nach der Identität der Gegner zu beantworten. Er konstatiert die Hypothesenvielfalt in der exegetischen Diskussion und stellt die v.a. von W. Lütgert vertretene Zwei-Fronten-Hypothese12 vor, wobei 6 MÜLLER, Phil, 186–191. 7 KRAUS, Volk, 334–346. 8 Hier schließt sich Gnilka ausdrücklich GEORGI, Gegner, 258–273 an. 9 GNILKA, Phil, 218. 10 MÜLLER, Phil, 186. 11 MÜLLER, Phil, 186. 12 LÜTGERT, Vollkommenen, 1. BETZ, Nachfolge, 151 plädiert sogar für eine Drei-FrontenHypothese. Nach Betz zielt 3,2–11 auf Judaisten, die eine verstärkte Gesetzesfrömmigkeit unter Einbeziehung der Beschneidung predigen, 3,12–16 auf gnostisierende Judenchristen, die sich selbst als bereits „Vollkommene“ ansehen, und 3,17–21 auf irdisch gesinnte Mitglieder der christlichen Gemeinde in Philippi.

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Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21

sich in der neueren Forschung die Annahme einer einheitlichen Gegnerfront durchgesetzt habe. Nach Müller spreche einiges dafür, auf Grund der Begrifflichkeit in Phil 3 die Gegner im gnostischen Bereich zu suchen. Es bestehe eine gewisse Nähe zu den Gegnern des Paulus im 2Kor. Müller sieht hier Parallelen in der Gegnerbezeichnung zwischen Phil 3,2 und 2Kor 11,13. Die in beiden Texten zu findende Bezeichnung G TICVCK könne durchaus „eine missionarische Bezeichnung für Propagandisten des Judentums“ darstellen.13 Eine Gruppe „judenchristlicher Propagandisten“ betreibe eine Rückmissionierung in ein an das Judentum gebundenes Judenchristentum.14 Nach Müller haben die philippischen Irrlehrer aber noch stärkere Gemeinsamkeiten mit den im Römerbrief und im Galaterbrief bekämpften Gruppen. Er rechnet seit dem Apostelkonzil in Jerusalem mit einer gegnerischen Gruppe, die entgegen der gesetzesfreien Predigt des Paulus die Beschneidung fordere (Gal 5,2; 6,12). Paulus attackiere diese judenchristlichen Propagandisten, die für ihn eine größer werdende Bedrohung darstellten, in Phil 3,18 „pauschal“ als Feinde des Kreuzes Christi.15 (3) Für W. Kraus handelt es sich bei den Gegnern im Phil um „Agitatoren, die die Philipper zur Beschneidung überreden wollen.“16 Als Begründung führt er die Paronomasie MCVCVQOJ – RGTKVQOJ (3,2f) und die Bezeichnung MCMQK? G TICVCK (3,2) an. Letztere lasse auf missionarische Aktivitäten der Gegner schließen, wobei ferner zu vermuten sei, dass es sich bei G TICVJL um eine Selbstbezeichnung der Gegner handle.17 Mit großer Sicherheit meint Kraus feststellen zu können: „Die Gegnerposition lautet zweifelsfrei: Lasst euch beschneiden.“18 Kraus weist zu Recht darauf hin, dass die Gegneridentifizierung nur indirekt möglich sei und nicht spiegelbildartig aus den paulinischen Aussagen hervorgehen könne. Er kritisiert in diesem Zusammenhang u.a. Gnilkas eindeutiges Urteil, dass der judaisierende Charakter der philippischen Irrlehrer offen zutage trete.19 Sehr knapp kann Kraus die Frage einer einheitlichen Gegnerfront klären. In Ermangelung eines entsprechenden Textsignals sei nicht davon auszugehen, dass sich hinter V. 17ff20 eine neue Gegnergruppe verberge.21 Mit Gnilka zieht Kraus 13 MÜLLER, Phil, 189. 14 MÜLLER, Phil, 189. 15 MÜLLER, Phil, 191. 16 KRAUS, Volk, 337. 17 KRAUS, Volk, 337 A. 33. 18 KRAUS, Volk, 337 A. 26. 19 KRAUS, Volk, 338 A. 43; GNILKA, Phil, 213. 20 Es muss korrekterweise V. 17ff und nicht – wie KRAUS, Volk, 339 schreibt – V. 18ff heißen. Der nach Kraus anaphorisch zu V. 2 zu verstehende Artikel VQWL steht in V. 17. 21 Die textkritische Diskussion der Einfügung von DNGRGVG vor VQW?L G Z-TQWL durch Papyrus 46 kann so nicht überzeugen. Kraus argumentiert, dass die sekundäre Einfügung ein Indiz für die Gleichsetzung der Gegner in V. 2ff und V. 17ff sei. Die Einfügung des Imperativs DNGRGVG könnte

Die Gegnerfrage in Phil 3

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ebenfalls Parallelen zwischen den Gegnern und ihrer Abwehr in 2Kor 10–13, v.a. 11,13.22f und Phil 3 (auf Grund der Bezeichnung G TICVCK, des Stichworts MCWZCU-CK und der Aufbietung der persönlichen Vorzüge).22 Noch deutlichere Parallelen ergeben sich für Kraus zwischen Phil 3 und dem Galaterbrief. Phil 3 passe „in den größeren Kontext anti-heidenchristlicher Aktivitäten von Judenchristen.“23 Judenchristliche Gegnerschaft sei vor allem auf dem Hintergrund „einer Gesamtbeurteilung der ntl. Zeitgeschichte, insbesondere der Nachgeschichte des Apostelkonzils, doch wahrscheinlich.“24 An Phil 3,2–11 schlössen sich im weiteren Verlauf 3,12–16 und 17–21 „nahtlos“ an. Erst in der Beschneidung liege die Vollkommenheit, so die gegnerische Position und über die Beschneidung bekämen die von den Gegnern missionierten Philipper Anteil am RQNKVGWOC der jüdischen Gemeinde.25 Ähnlich deutet K.-W. Niebuhr den Begriff, indem er „als primären Assoziationshintergrund“ des RQNKVGWOC in Phil 3,20 „die Sozialgestalt jüdischer Diasporagemeinden“ benennt.26 Kraus sieht die jüdischen RQNKVGWOCVC als rechtlich-religiöse Korporationen an, die für „sehr viele“ Städte bezeugt seien.27 Für Kraus ist die christliche Gemeinde in Philippi „vermutlich aus dem Umfeld der Synagoge entstanden“, so dass „die Auseinandersetzung um die Beschneidung in Philippi in jenen Raum der Diskussion um die Zugehörigkeit zu oder Distanz von der jüdischen Gemeinde gehört.“28 Anders als Niebuhr und Suhl sieht Kraus die Gegner in Phil 3 als judenchristliche Agitatoren an, die „ihr eigenes Verhältnis zur Synagogengemeinde tangiert sahen und über den Eintritt der Heidenchristen ins jüdische Politeuma eine Klärung dieser Situation herbeiführen wollten.“29 ebenso gut durch die komplizierte Satzkonstruktion motiviert worden sein. Um den Satz verständlicher werden zu lassen, fügte Papyrus 46 vor der Gegnerbezeichnung „Feinde des Kreuzes“ eine erneute Warnung ein. Dabei lag es nahe, auf ein kurz zuvor verwendetes Verb zurückzugreifen. Die Verwendung des gleichen und nicht gerade selten gebrauchten Verbs zum Ausdruck der Warnung impliziert nicht automatisch die Identität der Gruppen, vor denen gewarnt wird. Außerdem ist diese Warnung – textkritisch gesehen – allemal sekundär. 22 KRAUS, Volk, 339. 23 KRAUS, Volk, 340 mit einer Übersicht über die Parallelen zwischen Phil 3 und Gal. 24 KRAUS, Volk, 340; vgl. MÜLLER, Phil, 191. 25 KRAUS, Volk, 342. 26 NIEBUHR, Heidenapostel, 102 (siehe auch 79–87); für Philippi ist aber eine jüdische Synagogengemeinde nicht nachzuweisen, siehe dazu KOCH, Christen, 170; DE VOS, Church, 250 („no evidence of any significant Jewish presence in the town“); PILHOFER, Philippi, 231–234 und auch OAKES, Philippians, 88: „one has to be extremely suspicious of supposed Jewish groups who are reconstructed essentially from mirror-reading of a NT text.“ 27 Er bezieht sich auf SMALLWOOD, Jews, 226, die das Politeuma als „standard political organization of all Jewish communities of any size in the East“ ansieht. Zur kritischen Auseinandersetzung mit dieser These siehe oben unter I.7. 28 KRAUS, Volk, 344 mit Bezug auf NIEBUHR, Heidenapostel, 96f und SUHL, Paulus, 184ff.199; anders die Sicht bei MÜLLER, Phil, 189f A. 265. 29 KRAUS, Volk, 344.

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Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21

An dieser exemplarischen Skizze zeigt sich, dass trotz aller Vorsicht, mit der die meisten Exegeten an die Gegnerfrage herangehen, es doch zu „Etikettierungen“ der Gegner kommt, die sich recht schnell vom eigentlichen Textbefund ablösen und eher aus der Betrachtung des neutestamentlichen, jüdisch-hellenistischen oder weitergehenden religionsgeschichtlichen Kontext gespeist werden als aus konkreten Textbeobachtungen. Oft unterbleibt es, aus der historisch-politischen Situation in Philippi als römischer Kolonie Konsequenzen für das Verständnis insbesondere des dritten Kapitels des Philipperbriefes zu ziehen. Dies macht sich besonders bei der Diskussion um den Terminus RQNKVGWOC folgenreich bemerkbar. Bei Kraus führt das Außerachtlassen der historischen Dimension sogar dazu, Phil 3 als soziologischen Ausdruck der Frage von Nähe und Distanz zum RQNKVGWOC der Juden zu deuten.30 Nach wie vor ungeklärt erscheint auch das genaue Verständnis des RQNKVGWOC in 3,20. Für die Bestimmung des Verhältnisses des jüdischen RQNKVGWOC zur christlichen Gemeinde wird bis weilen immer noch die „wissenschaftliche Legende“31 vom Judentum als religio licita herangezogen.32 Es gilt zu klären, welche argumentative Grundstruktur der Text Phil 3,2–21 aufweist und wie Paulus das Motiv der himmlischen Bürgerschaft in diesen Zusammenhang einbaut. Dabei ist – sofern man von einer Warnung vor realen Gegnern ausgeht – bei der Frage anzusetzen, wie plausibel diese in der römischen Kolonie Philippi gewesen sein kann. Letzteres lässt eine methodische Besinnung zur Frage nach Gegnern in neutestamentlichen Texten notwendig erscheinen.

2. Methodische Besinnung zu der Frage nach Gegnern in neutestamentlichen Briefen Methodische Besinnung zur Gegnerfrage im Neuen Testament K. Berger sieht in der methodischen Fundierung der Gegnerfrage in neutestamentlichen Texten ein besonderes Erfordernis der Forschung.33 Er gibt 30 KRAUS, Volk, 345. 31 So CONZELMANN, Geschichte, 244. 32 Dies verwundert besonders bei TELLBE, Factors, 107 A. 46 und auch bei PILHOFER, Philippi. Er erklärt m.E. sehr plausibel, dass RQNKVGWOC in Phil 3,20 vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Bedeutung des römischen Bürgerrechts in der Kolonie Philippi zu verstehen ist (S. 127–134) und hält zu Recht fest, dass eine organisierte jüdische Präsenz in paulinischer Zeit nicht nachweisbar ist (S. 231–234), um sich dann aber auf die These einzulassen, dass die Gegner die Christen mit einer „Mitgliedschaft“ im RQNKVGWOC und mit den Privilegien einer religio licita anlocken wollten (S. 134). Dieses (überraschende) Ergebnis Pilhofers angesichts des zuvor gründlichst aufgearbeiteten historischen Hintergrunds in Philippis ist verwunderlich. Auch Tellbe weiß um die Fragwürdigkeit der religio-licita-Konzeption, bezieht sich aber trotzdem auf sie (S. 107 A. 46); vgl. dazu auch die Kritik bei DE VOS, Church, 269 A. 127. 33 BERGER, Gegner, 373–400.

Methodische Besinnung zur Gegnerfrage im Neuen Testament

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einen breiten Überblick über mögliche Texthinweise auf gegnerische Positionen (z.B. Zitate, Anspielungen oder Parolen). Berger kritisiert das zur Gegneridentifizierung häufig angewandte Rückschlussverfahren. Nicht jede antithetische Formulierung dürfe als Bestreitung einer Gegnerposition aufgefasst werden.34 Auch mit apologetischem Interesse, einem fiktiven Einwand oder der Bekräftigung der eigenen Position müsse gerechnet werden. Ferner verdecke auch bisweilen eine spezielle Topik in Polemik und Gegnerbeurteilung den Rückschluss auf die realen Verhältnisse.35 Grundsätzlich müsse auch die „Taktik des Autors“ berücksichtigt werden.36 Kein ausreichendes Kriterium zur Identifizierung von Gegnern sind nach Berger Aussagen, die sich auf das Verhalten beziehen, also moralische Appelle oder Urteile.37 Der Exeget habe nach Berger danach zu fragen, was als Gegnerposition vor dem Hintergrund antiker Religiosität überhaupt möglich gewesen sei.38 Dasselbe gelte auch für mutmaßliche Organisationsformen von Gegnern. Sie seien nicht das „negative Spiegelbild“ christlicher Gruppen, vor allem stelle zur Zeit der frühchristlichen Gemeinden nicht jeder gegnerische Standpunkt eine als Lehre ausformulierte Gegenposition dar.39 Die paulinische Verkündigung habe „Marktlücken“ hinterlassen. Unter diesem plakativen und leicht missverständlichen Begriff subsumiert Berger die Fragen, die die Erstverkündigung der christlichen Botschaft bisher offengelassen hat.40 Auch J. Barclay41 skizziert Kriterien für die Beantwortung der Gegnerfrage mit Blick auf den Galaterbrief.42 In seinen Augen stellt mirror-reading besondere methodische 34 Dazu sehr treffend WALTER, Christusglaube, 442f: „Paulus setzt sich in seinen Briefen nicht überall mit innergemeindlicher Gegnerpropaganda oder ‚Irrlehrern‘ auseinander, sondern ebenso auch mit Gefährdungen und Fehlentwicklungen des Glaubens an Christus, die auf die eigenen Traditionen der Heidenchristen und auf ihre heidnische Umwelt zurückgehen.“ 35 BERGER, Gegner, 379. Berger nennt typische Vorwürfe wie „Unzucht, Ausschweifung, Frömmigkeit als Erwerb“. Häufig seien solche Vorwürfe als „Libertinismus“ bezeichnet worden. Letzteres geschieht auch in Bezug auf Phil 3. Die Verse 17–21 werden als Polemik gegen „Libertinisten“ oder „laxistische Tendenzen“ angesehen. 36 BERGER, Gegner, 378: „Die rhetorische Strategie des Verf. ist auf den Leser bezogen. Es ist von Fall zu Fall neu zu fragen, wieweit der Gegner selbst erreicht werden soll und wieweit der Verf. zu den Lesern nur über die Gegner spricht. In jedem Falle realisiert der Verf. das ‚audiatur et altera pars‘ auf briefliche Weise, und aus seiner Taktik kann man auf die Eigenart des Gegners schließen.“ 37 BERGER, Gegner, 375.381. 38 BERGER, Gegner, 381: „Es ist a priori unwahrscheinlich, daß es ‚Gruppen‘ gegeben hat, die sich als Christen betrachteten und sich unter Verweigerung der Werke auf den Glauben beriefen oder Gerechtigkeit unabhängig vom konkreten Tun für sich beanspruchten.“ 39 BERGER, Gegner, 382f. 40 Als Beispiel für eine solche „offengebliebene Frage“ nennt BERGER, Gegner, 387 u.a. die Möglichkeit, zusätzlich zur Taufe auch noch die Gesetzesobservanz „als eine Art Doppelversicherung (M. Dibelius) angesichts desselben Gottes (!) anzunehmen.“ 41 BARCLAY, Mirror-Reading, 73–93. 42 Für die Gegnerfrage im Galaterbrief bietet sich ein ähnliches Bild wie für den Philipperbrief.

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Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21

Ansprüche an den Exegeten.43 Er weist darauf hin, dass diese Kriterien von unterschiedlicher Abstufung in ihrem Aussagegehalt seien. Ihre Anwendung verhindere nicht, dass bestimmte Urteile lediglich erwägenswert, wahrscheinlich oder auch nur unsicher zu treffen seien.44

H. Schmid45 entwirft in seiner Arbeit in Auseinandersetzung mit Intertextualität, radikalem Konstruktivismus und der Systemtheorie nach N. Luhmann ein neues Textmodell und wendet dies auf den 1. Johannesbrief an. Er geht damit über den traditionellen Ansatz der Forschung, der bis heute von der Gegnerfrage ausgeht,46 hinaus. Schmid setzt eine neue hermeneutische Basis, indem er nicht traditionell religionsgeschichtlich nach der möglichen Identität der Gegner fragt, sondern vom Textbefund (1Joh 2,18– 27; 4,1–6)47 ausgehend die Konstruktion von Gegnern als selbstreferentielles Abgrenzungsphänomen des johanneischen Sinnsystems auffasst. Damit löst er sich sowohl von dem gemeindegeschichtlichen Modell48 in der 1JohForschung als auch von jenen Ansätzen, die das Modell der johanneischen Schule propagieren.49 An diese beiden in der Forschung vorherrschenden Ansätze stellt Schmid u.a. die Anfrage, ob man überhaupt aus dem 1Joh ein Profil von Gegnern ermitteln könne. Mit J. Kügler weist er darauf hin, dass textinterne Aussagen nicht ohne weiteres auf textexterne übertragbar seien.50 Dabei grenzt er sich von Berger und Barclay ab, die – wie vor allem Barclay – immer noch das Bild des Spiegels („mirror-reading“) nutzten.51 Schmid bündelt seine Anfragen und Kritikpunkte in der für seinen Ansatz programmatischen Frage: „Nicht wer die Gegner waren, lautet dann die Frage, sondern zu welchem Zweck und in welchem Zusammenhang überhaupt von Gegnern gesprochen wird. Dazu gilt es, in und nicht hinter den Text zu schauen. Der Schwerpunkt der Untersuchung verschiebt sich damit Einen knappen Überblick zur Frage nach der Identität der Gegner im Galaterbrief bietet ALVAREZ CINEIRA, Religionspolitik, 295ff. 43 BARCLAY, Mirror-reading, 84: „What is needed is a carefully controlled method of working which uses logical criteria and proceeds with suitable caution.“ 44 BARCLAY, Mirror-reading, 85. 45 SCHMID, Gegner, v.a. 13–80. 46 SCHMID, Gegner, 13: „Dies geht so weit, daß in vielen Fällen die Gegnerfrage als hermeutischer Schlüssel für ganz 1Joh dient. Gegnerkonflikt und Text werden dann als untrennbar miteinander verknüpft angesehen.“ 47 Diese beiden Texte bezeichnet SCHMID, Gegner, 18 als „unumstrittene ‚Gegnertexte‘“. 48 So SCHMID, Gegner, 16: „1Joh wird in diesem Modell meist als Zeugnis für eine sich an gegensätzlichen Rezeptionen des JohEv entzündende innere Krise der joh Gemeinde aufgefaßt, mit der sie konfrontiert ist, nachdem sie den im JohEv greifbaren Konflikt mit der Synagoge überstanden hat. 1Joh fungiert damit als situative Krisenintervention und Korrektur einer falschen Auslegung des JohEv.“ 49 SCHMID, Gegner, 17. 50 SCHMID, Gegner, 20 und KÜGLER, Tat, 62. 51 Kritisch zum mirror-reading auch: OAKES, Philippians, 88 und FEE, Phil, 7–9; 111.436f.

Die Anfragen an die Gegnerrekonstruktionen in Phil 3, 2–21

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von der Gegnerfrage hin zur Frage nach der Gemeindeidentität, für welche das Gegenbild eine zentrale Funktion hat.“52 Von dieser veränderten Perspektive aus entwickelt Schmid ein alternatives hermeneutisches Modell. Er möchte das System urchristlicher Religiosität, welches sich in 1Joh und im Johannesevangelium zeigt, beschreiben. Er bezeichnet dieses intertextuelle Konstrukt im Anschluss an die Terminologie Niklas Luhmanns als johanneisches Sinnsystem.53

3. Die Anfragen an die Gegnerrekonstruktionen in Phil 3,2–21 Die Anfragen an die Gegnerrekonstruktionen in Phil 3, 2–21 Aus der Polemik in Phil 3 wird gefolgert, dass Gegner, die als Juden, Judaisten, Enthusiasten, Gnostiker oder Libertinisten identifiziert werden, in die philippische Gemeinde eingedrungen seien und hier die Einheit der Ekklesia bedrohen. Zu diesem Ergebnis gelangt man zumeist durch mirrorreading. Aus den mutmaßlichen Texthinweisen auf Gegner wird auf mögliche Identitätsmerkmale derselben, ihre Herkunft oder den Inhalt ihrer Predigt geschlossen. Erwogen wird freilich auch, dass Paulus in Phil 3 die Gemeinde gleichsam prophylaktisch vor Eindringlingen warnen möchte.54 Zu erwägen ist, ob sich nicht nach der Erörterung des Ansatzes von H. Schmid eine weitere Möglichkeit für das Verständnis von Phil 3 anbietet. Die so vielfach bemerkte Polemik in 3,2ff und die z.T. sehr schroffe Wortwahl des Paulus könnten ihre Funktion in der Abgrenzungsstrategie des Paulus haben. Dann wäre die Annahme nicht zwingend, dass es sich um reale Gegner handelt, sondern allenfalls um mögliche (im Sinne Bergers „religionsgeschichtlich denkbare“) nicht-paulinische Standpunkte, die mit dem Ziel der Identitätsstiftung innerhalb der christlichen Gemeinde abgewehrt werden.55 Die im folgenden auszuführende These lautet daher: An real in Philippi nicht greifbaren Gegnern exemplifiziert Paulus Sachprobleme, die die christliche Existenz betreffen. Dies geschieht in 3,2–11 am eigenen Beispiel des Apostels in der Form eines Votums gegen die Heilsbedeutung der Beschneidung und in 3,12–16 mit der Forderung, einen falschen Vollkommenheitsglauben zu korrigieren. In 3,17–21 kommt Pau52 SCHMID, Gegner, 21. 53 SCHMID, Gegner, 21. Schmid legt unter 1.2. (S. 47ff) in Auseinandersetzung mit dem von ihm so genannten „konsequenten“ Konstruktivismus und unter Aufnahme Luhmannscher Terminologie (System, Selbstreferenz) das methodische Fundament seines Ansatzes theoretisch dar. Auf die detaillierte Nachzeichnung dessen kann hier verzichtet werden. 54 KÜMMEL, Einleitung, 288 und BECKER, Paulus, 342, BALZ, Art. Philipperbrief, 506. 55 In diese Richtung gehen FEE, Phil, 9 und auch VOS, Kunst, 136. Er erwägt, „daß die polemischen Sätze nur eine Kontrastfunktion erfüllen, wie der Apostel das Kontrastschema auch an anderen Stellen des Briefes verwendet“ (2,21; 3,18–19).

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lus dann auf das konkrete und in Philippi virulente Problem zu sprechen: die irdische Gesinnung einiger Geschwister in Folge eines verstärkt wirksamen soziokulturellen und politischen Anpassungsdrucks. Dabei fungieren 3,2–11 und 3,12–16 als Stilisierungen zweier Probleme, die sachlich mit dem Konflikt in Philippi auf einer Ebene liegen. Es handelt sich um Beispiele für diejenigen, die „irdischer Gesinnung sind“, d.h. mehr auf die irdisch-politische und nicht auf das RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L ausgerichtet sind.56

4. Eine Rede gegen „irdisches Gesinntsein“ – Interpretation von Phil 3 Eine Rede gegen „irdisches Gesinntsein“ – Interpretation von Phil 3 4.1 Zur rhetorischen Gestalt von Phil 3 – These In Phil 3 wendet sich Paulus m.E. mit drei Argumentationsblöcken, die sich erkennbar inhaltlich-gedanklich und durch Textsignale abgrenzen lassen (3, 2–11; 12–16 und 17–21) gegen fiktive und offenbar in der Gemeinde vorhandene Tendenzen, sich irdischen Größen anzupassen, anstatt dem Inhalt seiner Verkündigung zu vertrauen. Dies führt dazu, dass Paulus seine Verkündigung noch einmal aktualisiert und konkret auf die Situation in Philippi in „politisierter“ Sprache zuspitzt (V. 20–21). Vor allem die sichtbare Nähe, die zwischen 1Thess 1,9f und Phil 3,20f besteht, könnte ein Indiz dafür sein, dass auch in Phil 3,20f ein Gedanke der Erstverkündigung an die Philipper enthalten ist, auf die sich Paulus bezieht.57 Voraussetzung für diese Deutung ist freilich, dass in 1Thess 1,9f tatsächlich ein altes Predigtschema der Erstverkündigung des Paulus enthalten ist. Dazu kann m.E. – ohne hier näher ins Detail zu gehen – festgestellt werden, dass Paulus in 1Thess 1,9b–10 einen Kurzbericht über die Bekehrung und den Inhalt der Glaubenshoffnung der 56 So auch die Erwägung bei STOWERS, Friends, 105–121: 116: „Thus Phil 3:2 does not warn of imminent dangers from judaizers or allude to current events but asks the readers to reflect upon the negative example of judaizing missionaries. The Philippians may well have never seen judaizers, but in Paul’s rhetoric of friendship/enmity and antithetical exhortation, the Philippians have indeed heard about them.“ Vgl. WICK, Philipperbrief, 89–96. 57 Der Zusammenhang von 1Thess 1,9f und Phil 3,20f ist in der Forschung oft benannt worden. Vgl. z.B. MÜLLER, Phil, 180f: „Wie in dem alten Predigtschema 1. Thess 1,9f. Christsein sich als Erwartung der Parusie des Gottessohnes bestimmt, so hier in der Erwartung des UYVJT.“ Vgl. ferner auch BECKER, Auferstehung, 112: „Wie Paulus 1Thess 4,13ff unter analogen Bedingungen in 1Kor 15,50ff neu konzipiert hat, so hat die hellenistische Gemeinde das ihr bekannte Predigtschema aus 1Thess 1,9f in Phil 3,20f umgearbeitet.“ Letzterem muss m.E. deutlich widersprochen werden. Phil 3,20f stellt m.E. kein Traditionsstück der Gemeinde dar. Für Becker allerdings handelt es sich um ein „Paulus vorgegebenes ‚Vertrauenslied‘“ (S. 109). Zur Frage, ob es eine Entwicklung in der paulinischen Eschatologie gibt, siehe den Exkurs unten zu 2Kor 5,1–10.

Eine Rede gegen „irdisches Gesinntsein“ – Interpretation von Phil 3

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Gemeinde in Thessalonich als Ausdruck der gemeinsamen Basis58 zwischen sich selbst und der Gemeinde am Ende des Proömiums gibt: G RKUVTG[CVG RTQ?L VQ?P -GQP MCK? C PCOGPGKP VQ?P WK Q?P CW VQW G M VYP QW TCPYP 

Auf diese gemeinsame Basis kann Paulus aufbauen und fügt sie daher als „Initiative für die weitere Kommunikation“ (R. Reck)59 zu Beginn seines Schreibens an – inwieweit es sich um vorpaulinische Traditionen60 handelt, lässt sich nicht eindeutig sagen.

Ziel der folgenden Interpretation ist nicht die Identifikation von möglichen gegnerischen Gruppen, vielmehr ist die rhetorische Funktion des Textes interpretationsleitendes Interesse. Hier werden die oben skizzierten neueren methodischen Ansätze v.a. H. Schmids zur Gegnerfrage rezipiert61 und auch eine wichtige Beobachtung bei J.S. Vos aufgenommen, der für Phil 1,12–26, aber auch für 2,21 und 3,18–19 von einem Kontrastschema ausgeht, das Paulus in seine Argumentation einbaue. Die „Gegner“ bekommen darin eine Beispielfunktion.62 Paulus ordnet m.E. die dem realen Konflikt in Philippi (3,17ff) zugrundeliegende Sachproblematik in den beiden Passagen 3,2–11 und 3, 12–16 insofern personal zu, als er – vor dem Erlebnishintergrund in anderen Gemeinden – fiktive gegnerische Positionen entwirft, die den Adressaten zwar bekannt sein dürften, aber in ihrer Gemeinde konkret nicht vorhanden sind. Dies dient der rhetorischen Anschaulichkeit und führt auf Grund der sachlichen Übereinstimmung mit dem eigentlichen Problem gedanklich auf 3,17ff hin. Das allen drei Argumentationsblöcken gemeinsame Sachproblem liegt dabei offensichtlich in der „irdischen Gesinnung“, die sich im Stolz auf die eigene Herkunft, den sozialen Rang, das Vollkommensein im Glauben und auf die soziale Integration in die Bürgerschaft (RQNKVGWOC) zeigen. Damit eröffnet der Text Phil 3, der in das Motiv der himmlischen Bürgerschaft (3,20f) einmündet, den Blick auf das Spannungsfeld zwischen sozialer Integration und religiös motivierter Abgrenzung in der christlichen Gemeinde. 58 Vgl. NIEBUHR, Identität, 351–352 zur Erinnerung des Paulus an die Erstverkündigung in seinen Briefen, namentlich im 1Thess. 59 Vgl. dazu RECK, Kommunikation, 169ff. 60 Vgl. SCHNELLE, Einleitung, 68 und die grundsätzliche Analyse des Textes bei BUSSMANN, Themen, 38–56. HOLTZ, 1Thess, 57ff setzt 1Thess 1,9–10 in Beziehung zu JosAs und macht auf die jüdisch-hellenistische Prägung des Textes aufmerksam, vgl. auch HOLTZ, Glaube, 459–487 und auch PAX, Beobachtungen, 220–262. 61 Die Vertiefung des systemtheoretischen Ansatzes würde jedoch zu weit führen. 62 Vgl. VOS, Kunst, 136–137, GARLAND, Composition, 164–173; STOWERS, Friends, 114–117 und WICK, Philipperbrief, 89–96. Ferner bezeichnet BERGER, Gattungen, 1342–1343 Phil 3,2–21 als „autoritätsorientierte Exempla-Ethik“, ähnlich wie Hebr 13,1–19 und Eph 5,21–6,9. Vgl. zum exemplum als rhetorischem Mittel zur Steigerung der Vertrauenswürdigkeit des Redners (auctoritas) BERGER, Gattungen 1146–1148 mit Beispielen.

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4.2 Das erste Beispiel für die irdische Gesinnung: G P UCTMK? RGRQK-GPCK (3,2–11) Durch die Paronomasie MCVCVQOJ – RGTKVQOJ in V. 2f, die auffällige dreimalige Wendung G P UCTMK RGRQK-GPCK (V. 3–4), den biographischen Rückblick des Paulus auf seine jüdische Sozialisation und sein (gesetzeskonformes) Handeln als )CTKUC”QL und durch die Antithese der FKMCKQUWPJ G P PQO im Gegensatz zur FKMCKQUWPJ FKC? VJ L RKUVGYL ;TKUVQW wird auf der Wortfeldebene deutlich, dass 3,2–11 einen innerhalb des Textes inhaltlichgedanklich klar abgegrenzten Abschnitt bildet. Die Passage beginnt in V. 2 mit dem dreimal gesetzten Imperativ DNGRGVG jeweils vor einem Akkusativobjekt, wobei hier die M-Alliteration sofort ins Auge fällt. Schon an dieser Stelle ergibt sich ein Interpretationsproblem. Handelt es sich in V. 2 um eine eindringlich formulierte Warnung vor Gegnern?63 Dies legt die Wiederholung des Imperativs („nehmt euch in acht“) in Verbindung mit der Alliteration zunächst nahe und ist daher weitgehend Konsens in der Forschung. Einen anderen Übersetzungsvorschlag macht G.D. Kilpatrick, der nachzuweisen versucht, dass DNGRGKP in V. 2 mit „see, look at, consider“ zu übersetzen sei, da es keinen Textbeleg für DNGRGKP mit Akkusativobjekt in der Bedeutung „sich in acht nehmen“ gebe.64 Grammatisch würde man bei einer Warnung eigentlich die Präpositionalkonstruktion C RQ VKPQL, den Dativ oder OJ mit Konjunktiv Aorist erwarten.65 Gegen Kilpatricks Vorschlag jedoch wendet sich Müller, der hinter der Übersetzung des Imperativs mit „schaut euch an“ eine rhetorische Verharmlosung der eigentlich eindringlichen Warnung sieht. Es handle sich keinesfalls um einen Exkurs, der mit „schaut euch an“ eingeleitet werde.66 Festzuhalten ist, dass DNGRGKP mit Akkusativ in den meisten Fällen aber nicht „achtgeben“ bedeutet. Mit Kilpatrick und Stowers, der mit „consider“ bzw. „reflect upon“67 übersetzt, erscheint die Übersetzung „schaut auf“ plausibel: „Schaut auf die Hunde, schaut auf die schlechten Arbeiter, schaut auf die Zerschneidung!“ Dies fügt sich in die rhetorische Stilistik der Passage gut ein. 63 So GNILKA, Phil, 184f. 64 KILPATRICK, %/(3(7(, 147. Nach der Auflistung zahlreicher Beispiele aus dem Neuen Testament und den Apostolischen Vätern resümiert Kilpatrick: „Here too there is no example of DNGRGKP used with the accusative demonstrably with the meaning ‚beware of‘. In this construction the meaning seems to be in the New Testament, the LXX and the Apostolic Fathers: ‚see, look at, consider‘.“ 65 LSJ, 318 nennt als neutestamentliche Belege für die Bedeutung „beware“ Mk 8,15 und Phil 3,2. In Mk 8,15 verbindet sich DNGRGKP mit C RQ + Genitiv, in Phil 3,2 bekanntlich mit Akkusativ. Siehe auch B/D/R, Grammatik, § 392 A. 2. 66 MÜLLER, Phil, 141. 67 STOWERS, Friends, 116.

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Die Trias der Schimpfwörter veranlasst die Exegeten, Gegner zu ermitteln, vor denen Paulus warnen möchte. In der Regel werden die drei Ausdrücke auf eine gegnerische Gruppe bezogen.68 Festzuhalten ist grundsätzlich, dass es sich um Schimpfwörter mit unterschiedlichem Grad der Abqualifizierung handelt. „Hund“ als Schimpfwort ist in der Antike weit verbreitet, z.B. als Ausdruck der Aggressivität, der Bedrohung (vgl. Ps 21,17.21 [LXX]; Ps 58,7 [LXX]),69 der Gier (so Jes 56,10f) oder auch der Verachtung des Gegenübers (so das drastische Sprichwort Spr 26,11).70 Die Bewertung des Hundes in der Antike ist die allgemeine Voraussetzung für die demonstrative Geringschätzung in jüdisch-hellenistischen Schriften (Josephus, bell. 4,324; 6,367; ant. 15,289; JosAs 10,13; 13,8).71 Auch im Alten Testament ist die pejorative semantische Valenz des Wortes MWYP (hebr. DNM) zahlreich belegt (1Kön 14,11; 16,4; 21,23f; 2Kön 9,10; Hi 30,1; Jer 15,3 u.ö.). Das Schimpfwort „Hund“ hat Abgrenzungsfunktion, „wobei der Kontext Auskunft über die Identität der Bezeichneten, die Qualität der Abgrenzung und den Grad der Abwertung gibt.“72 Da MWYP bei Paulus sonst nicht vorkommt, ist eine inhaltliche Näherbestimmung durch innerpaulinische Parallelen nicht möglich. Sofern man davon ausgeht, dass die genannten Schimpfwörter auf einer Ebene liegen, stellt die dritte (MCVCVQOJ) sicherlich die konkreteste Näherbestimmung der Gegner dar: Sie haben etwas mit der Beschneidung zu tun, die mit MCVCVQOJ sarkastisch aufgenommen wird (vgl. das Wortspiel mit RGTKVQOJ in V. 3). Der Grad der Abgrenzung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nicht nur das sonst fehlende Vorkommen von MWPGL zur Gegnerbezeichnung bei Paulus, sondern auch der Zusammenhang mit dem ebenfalls deutlich verächtlichen MCVCVQOJ legen allerdings eine rhetorischhyperbolische Stilisierung nahe. Hinter der Verwendung des Schimpfwortes MWYP eine bewusste Verkehrung eines typisch jüdischen Schimpfwortes auf heidnische Gegner zu sehen,73 muss spekulativ bleiben, zumal es sich dabei auch um den Versuch handelt, eine konkrete Gegnergruppe ausmachen zu wollen. 68 SCHENK, Philipperbriefe, 253. 69 In den Psalmen findet sich der Hund als Bedrohungsmetapher. Der Beter ist umringt von Gefahren, die ihn nicht davon abhalten können, von Gottes Macht zu singen und seine Güte zu rühmen (Ps 58,16f [LXX]). Vgl. auch zur rhetorischen Verbreitung des Tiervergleichs als Beschimpfung BERGER, Gattungen, 1283–1285. 70 Weitere Beispiele finden sich bei MICHEL, Art. MWYP MWPCTKQP, 1100f. Zu Phil 3,2 erwägt Michel, ob nicht V. 2 eine paulinische Auslegung des Bildwortes Mk 7,27 sei. Dies kann angesichts der weiten Verbreitung der Metapher aber letztlich nicht entschieden werden. 71 SCHREIBER, Canes, 170–173 mit zahlreichen Belegen, der früheste übrigens findet sich bei Homer. 72 SCHREIBER, Canes, 174. 73 Zu MWYP hat Lohmeyer die These vertreten, Paulus habe ein gleichsam klassisches „jüdisches

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Die zweite Bezeichnung, MCVCVQOJ lässt ebenfalls keinerlei inhaltliche Näherbestimmung der Gegner zu. In den Kommentaren wird auf die Parallele in 2Kor 11,13 verwiesen, wo die Gegner als G TICVCK FQNKQK bezeichnet werden. Gnilka,74 Koester75 und Müller76 verstehen G TICVCK als Selbstbezeichnung gegnerischer Missionare. Die Frage, ob es sich um dieselben Gegner wie in 2Kor handelt, kann m.E. letztlich nicht beantwortet werden.77 Vielmehr findet sich in Phil 3,2 eben gerade keine nähere Beschreibung der G TICVCK, wie z.B. in 2Kor 11,13, wo es heißt: QK IC?T VQKQWVQK [GWFCRQUVQNQK G TICVCK FQNKQK OGVCUZJOCVK\QOGPQK GK L C RQUVQNQWL ;TKUVQW 

Syntaktisch sind die G TICVCK FQNKQK als Apposition zu den Pseudoaposteln zu sehen, deren Tun durch das Partizip OGVCUZJOCVK\QOGPQK näher bestimmt wird. Im Philipperbrief ist von Pseudoaposteln als Kontrahenten keine Rede. Ferner geht es in Phil 3 nicht um den Vorwurf, die Gegner predigten ein anderes Evangelium (vgl. 2Kor 11,4 GW CIIGNKQP G VGTQP oder Gal 1,6–9 C NNQP GW CIIGNKQP). So bleibt das Attribut in Phil 3,2 (MCMQL) nur allgemein abqualifizierend und weit weniger konkret als FQNKQL Das Schimpfwort MCVCVQOJP ist das konkreteste in der Reihe und vollendet die Trias. Durch die Paronomasie MCVCVQOJ – RGTKVQOJ ist der Bezug zum jüdischen Beschneidungsritus hergestellt. Eine sehr spezielle These zum Bezug von MCVCVQOJ hat H. Ulonska aufgestellt: „Herumziehende Eunuchen des Kybele-Attis-Kultes gefährden in einer synkretistischen Umwelt die Gemeinde, die sich dem paulinischen C ICRJ-Kult verschrieben hat. Danach ziehen nicht immer gleiche Antimissionare Paulus nach (Schmithals), sondern in einer synkretistischen Atmosphäre wachsen und entstehen Phänomene, weil auch die Paulus-Anhänger Gruppen bilden und einen Kult begründen. Ihre Inhalte ziehen bestimmte Gruppen an, die nicht nur aus dem Judentum stammen.“78 Die Existenz solcher auf den Kybele-Kult zurückgehender Sondergruppen in „der synkretistischen Atmosphäre“ in Philippi, denen sich dann Juden und Christen angeschlossen hätten, kann nicht nachgewiesen werden.79 Das Hauptproblem der These Ulonskas ist vor allem, dass sie nicht erklären kann, warum Paulus mit „klassischen“ Argumenten auf Heiden gemünztes Scheltwort in bewußter Verkehrung auf die Scheltenden selbst angewandt.“ (LOHMEYER, Phil, 124). Etwas vorsichtiger äußert sich MÜLLER, Phil, 142f: „Jedenfalls trifft die Gegner ein geläufiges Wort jüdischer Verachtung gegenüber Heiden.“ 74 GNILKA, Phil, 186. 75 KOESTER, Purpose, 320. 76 MÜLLER, Phil, 143. 77 So auch DE VOS, Church, 270: „Therefore, only this text (sc. 2Kor 11) is a true parallel and we cannot be certain that Paul implies the same thing in both cases.“ S.o. Kap. 3.1. 78 ULONSKA, Gesetz, 321. Siehe auch GRAYSTONE, Opponents, 171–173, der an einen paganen Initiationsritus denkt. 79 Zur Kybele-Verehrung in Philippi vgl. PILHOFER, Philippi, 133 und den Kommentar zur Inschrift 054/L045 aus Dikili-Tasch (Weihinschrift für Kybele) in PILHOFER, Katalog, 61–62.

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gegen die Beschneidung als jüdischem Heilszeichen und „identity marker“ argumentiert, wenn nicht der jüdische Ritus gemeint sein soll. Hätte Paulus seine Vergangenheit in der vorliegenden Weise, d.h. mit der Erwähnung seiner Beschneidung am achten Tage, überhaupt plausibel darstellen können, wenn nicht die jüdische Beschneidung gemeint wäre?

Die Frage, ob Paulus eine aktive Beschneidungsforderung der Gegner von den Christen abwehrt oder sich gegen den Selbstruhm des Beschnittenseins wendet, ist in der Auslegung von 3,2–11 durchaus strittig.80 Der Text enthält keinen expliziten Hinweis darauf, dass Paulus gegen die Forderung der Beschneidung argumentiert. Anzunehmen wäre m.E. höchstens, dass es Menschen in Philippi gibt, die sich ihres Beschnittenseins rühmen und ihr Vertrauen darauf setzen. Dies könnte die dreimal vorkommende Formulierung G P UCTMK? RGRQK-GPCK (V. 3–4) verbunden mit dem dazu antithetisch aufzufassenden Ausdruck MCWZYOGPQK G P ;TKUV in V. 3 nahe legen. Doch auch das muss Spekulation bleiben, denn V. 3 und V. 4a sind Aussagen in der 1. Person und werden nicht von einem gegnerischen Gegenüber ausgesagt. Vers 4b enthält ebenfalls keinen Hinweis auf eine reale Gegenposition, sondern der Satz ist eine Protasis zu G IY? OCNNQP. Der GK -Satz stellt einen fiktiven Einwand dar, der als rhetorische Vorbereitung auf die in V. 5 folgende biographische Selbstdarstellung des Paulus fungiert.81 Auffällig ist auch, dass V. 4b im Singular formuliert ist. Wäre hier an konkrete Gegner gedacht, würde dann nicht eher der Plural zu erwarten sein (wie in der häufig als Parallele zitierten Stelle 2Kor 11,1882)? Der Plural ist auch in der Gegenüberstellung der Eigenschaften ab 11,22 durchgehalten.83 Paulus gestaltet in Phil 3,2–4 in rhetorisch stilisierter Form einen Standpunkt, der inhaltlich auf die Aussage RGRQK-GPCK G P UCTMK verdichtet werden kann und zudem durch das Wortspiel MCVCVQOJ – RGTKVQOJ auf den jüdischen Ritus der Beschneidung bezogen ist. Auf eine konkrete gegnerische Forderung oder eine Darstellung einer gegnerischen Position weist jedoch nichts hin. 80 Vgl. KRAUS, Volk, 337 A. 26, der sehr bestimmt sagen kann: „Die Forderung lautete: laßt euch beschneiden!“ GNILKA, Phil, 213 und 187 ist vorsichtiger: „Möglicherweise aber forderten sie diese (sc. die Beschneidung) nicht von den Philippern, sondern rühmten sie sich nur der eigenen Beschnittenheit.“ Für SCHENK, Philipperbriefe, 276 und MÜLLER, Phil, 145 gehört beides zusammen. 81 MÜLLER, Phil, 147 sieht hier einen realen „Vergleich mit anderen, die anonym bleiben“. Der Selbstruhm des Paulus sei erzwungen wie in 2Kor 11,18.21b.22f. Ab V. 5f betont Müller die auffällig rhetorische Gestaltung (er zitiert BETZ, Paulus als Pharisäer, 56 und spricht vom „Pathos einer hellenistisch-jüdischen Rhetorik“) und verweist auf die Form des Prosa-Enkomions auf Personen (mit Hinweis auf BERGER, Formgeschichte, 345). Es ist zu vermuten, dass 4b bereits mit zur Selbstvorstellung gehört (m.E. als rhetorische Einleitung in Form eines fiktiven Einwands). 82 Vers 18: G RGK? RQNNQK? MCWZYPVCK MCVC? UCTMC MC IY? MCWZJUQOCK 83 2Kor 11,21b hat dabei m.E. ähnlich wie Phil 3,4b die Funktion einer rhetorischen Einleitung („Wenn jemand kühn ist – ich rede in Torheit – bin auch ich kühn.“).

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Vor diesem Hintergrund kann Paulus dann am eigenen biographischen Beispiel die Wirkung der IPYUKL ;TKUVQW darlegen. Sie lässt ihn, der er nach seinem Selbstzeugnis ein gesetzestreuer Jude war, seine gesamte frühere Existenz für nichtig halten (V. 8). Paulus personalisiert hier an seiner eigenen conversio vom gesetzestreuen Pharisäer zum Nachfolger Christi ein Sachproblem, welches wiederum mit der Formel RGRQK-GPCK G P UCTMK zusammenhängt und mit dem Vorwurf „irdischer Gesinnung“, die Paulus in 3,19 anspricht.84 In 3,2–11 wird am Beispiel jüdischer Sozialisation und Herkunft gezeigt, dass die Bindung an die irdische Welt im Lichte der IPY UKL ;TKUVQW keine Heilsbedeutung besitzt. Durch die Präsentation seiner eigenen Herkunft und religiösen Sozialisation macht Paulus deutlich, dass gerade er allen Grund hätte, auf diese stolz zu sein. In der Desillusionierungsabsicht hinsichtlich der irdischen Ausrichtung einiger Adressaten liegt die argumentative Funktion dieses Textabschnitts. Insofern weist 3,2–11 bereits auf 3,19 voraus. Bei seinen Adressaten kann Paulus davon ausgehen, dass sie Kenntnis haben von Auseinandersetzung um die Beschneidungsfrage in anderen Gemeinden, so dass das Beispiel plausibel ist. Er kann vor dieser ersten „Beispiel-Kulisse“ seine Botschaft von der Gerechtigkeit aus dem Glauben verdeutlichen. Die formal wie ein Enkomion gestaltete Biographie scheint im römischen Kulturumfeld Philippis, in dem Herkunft und sozialer Status viel bedeuten und gern präsentiert werden, besonders plausibel zu sein. 4.3 Das zweite Beispiel: Das Vollkommensein und die C PY MNJUKL (3,12–16) Ab V. 12 finden sich einige Textsignale, die die folgende Textpassage als gedanklich neuen Abschnitt kennzeichnen: Sie ist geprägt von den Verben des (geistigen) Strebens bzw. Erreichens und der Ausrichtung: (viermal), G RGMVGKPQOCK (V. 13), FKYMY (V. 14), H-CPY (V. 16), ferner auch HTQPGY (zweimal in V. 15) und VGNGQOCK (V. 12) bzw. VGNGKQL (V. 15).

(MCVC)NCODCPY

Hinzukommt, dass sich mit V. 12 der Stil der Argumentation ändert. Zwar bleibt die persönliche Perspektive erhalten, indem Paulus von sich selbst spricht, stilistisch aber fällt in V. 12 eine dialogische Struktur auf.85 Paulus 84 In diese Richtung weisen auch DE VOS, Church, 269: „Rather the issue appears to be confidence in human status“ und PERKINS, Philippians, 99 „The carefully structured sentences in 3:2–11 use the rhetorical“ device of apologetic autobiography to ground the claim that ‚knowing Christ‘ reveals that all human signs of religious status are garbage.“ 85 Vgl. auch SCHMELLER, Paulus, 420.

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schließt mit QW Z Q VK (nicht dass86) an das Voraufgehende insofern an, als er sich selbst präzisieren will, um nicht das Missverständnis aufkommen zu lassen, er sei durch die IPYUKL ;TKUVQW bereits vollkommen. Dass er sich aber präzisiert und mit den Versen 12–16 das Thema „Vollkommensein“ bzw. „Erreichen und Ausstrecken“ behandelt, zeigt, dass es offenbar Gründe dafür gab, solchen Tendenzen entgegen zu wirken. Die Selbstpräzisierung des Paulus zeigt sich an der Einleitung QW Z Q VK J FJ verbunden mit den beiden semantisch auf einer Ebene liegenden Verbformen G NCDQP und VGVGNGKYOCK. Erst im komplexiven Aorist, danach im resultativen Perfekt spricht sich Paulus selbst ein Vollkommensein angesichts der Christuserkenntnis (V. 8) ab. Dagegen wird seine gegenwärtige Haltung im Präsens formuliert: FKYMY mit indirektem Fragesatz GK MCK? MCVCNCDY. Die Begründung für das FKYMGKP wird mit dem Aorist Passiv gegeben: G H … MCK? MCVGNJOH-JP87 W RQ? ;TKUVQW

Im Vergleich zum Simplex drückt das Kompositum mit MCVC- die Vollständigkeit des Ergriffenseins aus.88 Einen ähnlichen Gedanken – hier in Form des Erkanntseins – formuliert Paulus auch in 1Kor 13,12 („Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin [G RGIPYU-JP]) und Gal 4,9 („Nachdem ihr aber Gott erkannt habt, ja vielmehr von Gott erkannt seid [IPYU-GPVGL W RQ? -GQW], wie wendet ihr euch dann wieder den schwachen und dürftigen Mächten zu, denen ihr von neuem dienen wollt?“). Eine inhaltlich-gedankliche und motivische Parallele zu Phil 3,12ff findet sich ferner in 1Kor 9,24: „Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen (G P UVCFK VTGZQPVGL), die laufen alle, aber einer empfängt (NCODCPGK) den Siegespreis (DTCDG”QP)? Lauft so, dass ihr ihn empfangt (MCVCNCDJVG).“ Die Vokabelübereinstimmungen zeigen m.E. deutlich, dass auch in Phil 3,12ff die Wettkampfmetaphorik im Hintergrund steht.89 Das argumentative Ziel der Wettkampfmetapher ist nun nicht, dass einer den Preis gewinnt, sondern dass das Laufen durch das Erlangen eines Siegespreises gekrönt wird. Der Wettkampfmetapher kommt nicht nur in paulinischer Zeit eine hohe kommunikative Kraft zu. Auch die hellenistische Popularphilosophie, Epiktet und Philo setzen diese Metapher aus der Welt des Sports argumentativ ein. 86 KLEIN, Antipaulinismus, 310 macht zu Recht darauf aufmerksam, dass Paulus mit der Formulierung QW Z Q VK nie eine gegnerische Position ablehnt, sondern stets eine Selbstpräzisierung vornimmt. So im Anschluss an Klein auch MÜLLER, Phil, 164. 87 Die Präsenserweiterung „O“ ist im Aorist stehengeblieben, eigentlich: MCVGNJH-JP 88 Vgl. DELLING, Art. NCODCPY MVN, 10 übersetzt „endgültig habhaft werden“, vgl. 1Kor 9,24; 1Tim 6,12. 89 Vgl. auch 1Kor 9,25 den Siegeskranz (UVGHCPQL) mit Phil 4,1 (UVGHCPQL OQW).

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Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21

Neben Paulus verwebt auch Philo die Metapher mit der Vollkommenheitsthematik z.B. in all. III 74: lTC IG QW Z Q VCP VGNGKY-L MCK? DTCDGKYP MCK? UVGHCPYP C EKY-L.90 

Paulus betont mit V. 13 nochmals, dass er nicht glaubt, bereits vollständig am Ziel zu sein: C FGNHQK G IY? G OCWVQ?P QW 91 NQIK\QOCK MCVGKNJHGPCK.92 Die beiden folgenden präsentischen Partizipien liegen wieder auf der Ebene von FKYMY (V. 12) und verweisen zugleich auf FKYMY in V. 14. Dort wird die Wettkampfmetaphorik mit dem Stichwort DTCDG”QP (Siegespreis) wieder aufgenommen. Es handelt sich um einen vielfach in agonistischen Inschriften belegten Terminus.93 Im ersten Clemensbrief wird das Leben des Paulus als DTCDG”QP interpretiert (5, 5ff). 1Clem nimmt den Terminus als „Leitbegriff“ auf.94 Im Polykarpmartyrium (17, 1) und überhaupt im Zusammenhang mit Martyrienberichten steht DTCDG”QP als Märtyrerkrone neben UVGHCPQP. Auch bei Tertullian (mart. 3) findet sich das Wort in eben diesem Kontext.95 Für Lohmeyer ist diese Verwendung daher ein wichtiger Pfeiler für seine Interpretation des Philipperbriefes im Zusammenhang mit der Martyriumssituation des Paulus.96 Die paulinische Formulierung in V. 14 MCVC? UMQRQP FKYMY ist nach Auskunft des Thesaurus Linguae Graecae singulär oder literarisch von Phil 3,14 abhängig (1Clem 19,2; vgl. 2,4; 6,2: GK TJPJL UMQRQP). 90 SCHWANKL, Wettkampfmetapher, 190f. Vgl. auch PFITZNER, Agon Motif, v.a. 23–48. 91 Die zu V. 13 vorgeschlagene Konjektur (G IY? G O+ CW VQ?P QW RY) ist aus den von GNILKA, Phil 199 A. 80 genannten Gründen nicht haltbar, wenngleich die Variante QWRY die frühere Lesart des Nestle25 war und entsprechend bezeugt ist. 92 Betont voranstehendes G IY? G OCWVQP und das Verb NQIK\QOCK zeigen die Klarheit der paulinischen Überzeugung an. Vgl. HEIDLAND, Art. NQIK\QOCK NQIKUOQL, 291: „Bezeichnend für das Glaubensurteil ist nun seine unbedingte Gültigkeit. Urteilt Paulus über den Stand seiner Vollkommenheit (Phil 3,13) oder über seine Stellung als Ap[ostel] (2 K 11,5), so ist von seiten der Gemeinde ein Einspruch unmöglich.“ Auch die klassische griechische Philosophie verwendet das Verb im Sinne „affektfreie[n] Denken[s] des Philosophen“ (287) und im Sinne des Erfassens und Bedenkens objektiv gültiger Fakten (siehe Plato, Phaidr. 65C). Der Gebrauch bei Philo lehnt sich an den platonischen an, während er in der LXX unspezifisch zu sein scheint, zumindest erhält NQIK\QOCK nach Heidland eine subjektiv-emotionale und religiöse Prägung. Der metaphorische Gebrauch von VQ? DTCDG”QP ist schon bei dem Hauptvertreter der Neuen Komödie, Menander, in einem sechszeiligen alphabetischen Akrostichons belegt %TCDG”QP C TGVJL G UVKP GW RCKFGWUKC (Sent. Mon. 1 653). 93 Siehe dazu PAPATHOMAS, Motiv, 234 A. 48 mit Belegen. Auch in Papyrustexten ist das Wort (allerdings seltener) belegt. 94 So STAUFFER, Art. DTCDGWY MVN, 636–637 Hier finden sich auch weitere Textbelege. Siehe dazu auch LONA, 1Clem, 162–163. 95 Bonum agonem subituri estis [...] brabium angelicae substantiae, politia in coelis, gloria in saecula saeculorum. 96 Siehe LOHMEYER, Phil, 146.

Eine Rede gegen „irdisches Gesinntsein“ – Interpretation von Phil 3

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Die C PY MNJUKL VQW -GQW G P ;TKUV ,JUQW97 stellt einen wichtigen Vorweis auf das RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L dar. Mit C PY ist die himmlische Sphäre erstmals in Phil 3,2–21 angesprochen. Der substantivierte bzw. attributive Gebrauch des Adverbs ist zur Zeit des Paulus z.B. bei Philo belegt: VC? C PY bezeichnet die obere Welt. In plant. 23 findet sich eine engere Parallele zu Phil 3,14: C PY MCNG”U-CK. Schon Büchsel und auch Müller weisen aber mit Recht daraufhin, dass es sich um eine inhaltlich verwandte Parallele, aber nicht um eine Parallele „im Denken“ handle. Bei Philo ist die Erlösung auf die Seele bezogen, bei Paulus auf den ganzen Menschen. Ferner ist bei Philo und in der Gnosis eine Trennung in die obere und untere Welt vorhanden, bei Paulus in dieser dualistischen Form nicht.98 Es bleiben – wenn man mit Müller davon ausgeht, dass 3Bar 4,15 eine christliche Interpolation ist99 – als signifikante Parallelen Gal 4,26, Kol 3,1f und als Sachparallele Hebräer 3,1 (MNJUGYL G RQWTCPKQW OGVQZQK). Sie zeigen, dass die beiden paulinischen Formulierungen möglicherweise in deuteropaulinischer Literatur und im Hebr nachgewirkt haben. Auch hierbei stellt sich wieder die Frage: Handelt es sich um eine genuin paulinische Formulierung oder um die Aufnahme gegnerischer Terminologie? Die auch sonst bei Paulus zu findende Wendung MNJUKL VQW -GQW (z.B. Röm 11,29) wird in Phil 3,14 ergänzt durch C PY und zugleich christologisch erweitert. Mit C PY ist der Gegensatz zu dem Erreichen (V. 12) und zur irdischen Gesinnung (V. 19) ausgedrückt. Wer seinen Sinn nach irdischen Dingen ausrichtet (HTQPGY findet sich nicht nur in V. 19, sondern schon in V. 15 zweimal), der entspricht nicht der C PY MNJUKL und wird sie nicht als DTCDG”QP seines Lebenslaufes erhalten. Die C PY MNJUKL ist keine zukünftige Erwartung, ebenso wenig wie die C PY ,GTQWUCNJO in Gal 4,26 als zukünftig Größe gedacht ist.100 Die Berufung ist bereits geschehen und steht somit nicht mehr aus. Insofern kann sie auch der Grund für die christliche Gesinnung (HTQPG”P) sein, die sich nicht auf Irdisches (V. 19), sondern auf „Oberes“ richten soll. Auch 1Kor 7,20 zeigt an, dass unter MNJUKL ein bereits vollzogenes Geschehen zu verstehen ist: G MCUVQL G P V MNJUGK Ä G MNJ-J G P VCWV OGPGVY

Danach ist nicht relevant, in welchem (Sozial)Status jemand berufen ist.101 Auch Röm 11,29 macht dieses Verständnis klar: „Denn unwiderruflich sind 97 Der Text ist trotz anderer Textvarianten in der vorliegenden Form, d.h. mit christologischer Erweiterung, gut bezeugt, vgl. auch Müller, Phil, 169 A. 147. 98 BÜCHSEL, Art. C PY C PYVGTQP, 376–378 mit weiteren Parallelen; MÜLLER, Phil, 169f. 99 MÜLLER, Phil, 169 A. 146. 100 Siehe dazu unten Kap. III. 101 MERKLEIN, 1Kor, 131: „Dessen Irrelevanz ist im Gegenteil die Voraussetzung, daß sich Christ-Sein in jedwedem Status entfalten kann.“

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Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21

die Gnadengaben (ZCTKUOCVC) und die Berufung (MNJUKL) Gottes.“ Dieses Berufungsverständnis führt offensichtlich zu dem hinter Phil 3,12–16 stehenden Missverständnis bei einigen Christen. Daher ist die Zufügung des Attributs C PY hier als Verdeutlichung der noch ausstehenden endgültigen Vollendung zu sehen. Nur so macht es Sinn, dem Siegespreis der himmlischen Berufung „nachzujagen“. W. Schenk erklärt V. 14 im Zusammenhang mit der jüdisch-hellenistischen Schrift Joseph und Aseneth. Zentral ist für ihn die Zusage an Aseneth (JosAs 15,5): „Siehe doch, von dem (Tage) heute (an) wirst du wiedererneuert (C PCMCKPKU-JU) und wiedergeformt (C PCRNCU-JU) und wiederlebendiggemacht (C PC\YQRQKJ-JU) werden und wirst essen gesegnetes Brot.“102 Da auch das in JosAs 15,4 erwähnte Buch der Lebenden im Himmel (DKDNQL VY P \Y PVYP G P V QW TCP ) in Phil 4,3 erscheine, sieht Schenk einen Zusammenhang zwischen der „dualistische[n] Weisheit in dem hellenistisch-jüdischen Bekehrungsroman Joseph und Aseneth“ und der Situation in Philippi. Hier sei Gegnerterminologie aufgenommen. Die Gegner hätten Totenauferweckung und Auferstehung als gegenwärtiges und als durch einen sakramentalen Initiationsritus vermitteltes Geschehen angesehen.103 Für eine solche Verbindung zwischen JosAs und Paulus bedarf es aber m.E. noch weiterer stichhaltiger Argumente, die über einzelne Sachoder Motivparallelen hinausgehen. In V. 15 wird VGNGKQL vielfach als gegnerische Terminologie der Gegner angesehen.104 Vier Erklärungsmöglichkeiten sind denkbar: (a) VGNGKQL wird ironisch verstanden in dem Sinn: „Wer sich nun für vollkommen hält, der soll (weiter) so gesinnt sein.“ Dann wäre VGNGKQL ein Stichwort in der Predigt der Gegner. (b) Das Wort VGNGKQL im christlich-paulinischen Sinne bedeutet „reif“.105 (c) Paulus korrigiert die Gegner. (d) Paulus präzisiert seine eigenen Aussagen, um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht um die Klärung des paulinischen Verständnisses von Vollkommenheit in der Spannung vom schon jetzt und noch nicht! Letztere scheint m.E. am plausibelsten zu sein. Zwischen VGVGNGKYOCK (V. 12) und VGNGKQL (V. 15) besteht eine dialektische Spannung. Nach A. Standhartinger ist „der ganze Abschnitt Phil 3,12–16 dieser [...] Dialektik der ‚Vollkommenheit‘ gewidmet.“106 102 Übersetzung nach BURCHARD, JosAs (JSHRZ II/4), 675. 103 SCHENK, Philipperbriefe, 304. 104 MÜLLER, Phil, 170: „Wie kann Paulus mit Blick auf die Gemeinde von VGNGKQK reden, nachdem er in V. 12f. die Überzeugung der Vollendung für seine Person, aber auch grundsätzlich abgelehnt hat?“ Vgl. ähnlich bei GNILKA, Phil, 200 „An der Interpretation dieses Begriffs scheiden sich die Geister, näherhin zunächst daran, ob er ironisch oder ernst gemeint ist.“ WICK, Philipperbrief, 95 A. 260 macht auf VGNGKQL als terminus technicus der Mysteriensprache aufmerksam. 105 So z.B. DELLING, Art. VGNQL MVN, 77. 106 STANDHARTINGER, Weisheit, 500. Auch sie untersucht mögliche Zusammenhänge zwischen der jüdisch-hellenistischen Schrift JosAs und Paulus und kommt zu dem Ergebnis, dass

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Der Sinn dieser Textpassage liegt m.E. in der Unterscheidung zwischen dem resultativ formulierten „bereits vollkommen sein“ in V. 12 und dem „vollendet sein“ in der C PY MNJUKL in V. 15. Zu beachten ist auch die Kommunikationssituation: Paulus richtet sich an die eigene Gemeinde.107 Dies wird ferner deutlich an der Anrede (C FGNHQK) und an dem Nachsatz in V. 15b: „Wenn ihr auf etwas in anderer Weise ausgerichtet seid, wird auch dies Gott euch offenbaren“. Paulus stellt es also der Offenbarung Gottes anheim, dass die Adressaten den Sinn echter Vollkommenheit im Sinne der C PY MNJUKL noch erkennen werden.108 Zu V. 16 finden sich einige Textvarianten. Doch mit Müller sind diese wohl als sekundäre Präzisierungen angesichts der „allzu knappe(n) Prägnanz des Textes“ anzusehen.109 Das Verständnis von V. 16 gerät in eine Schieflage, wenn man versucht, hier den Aufruf zur Abkehr einer von den Gegnern propagierten Lebensweise zu sehen. Schmithals sieht die Christen hier zu „echtem Wandel im Geist aufgerufen“110, Gnilka bezieht das Erreichen auf „den objektiven Fortschritt, zu dem die Gemeinde dank des missionarischen Einsatzes Pauli und seiner Mitarbeiter gekommen ist“.111 Doch dies würde bedeuten, G H-CUCOGP auf den Apostel und seine Mitarbeiter zu beschränken und nicht auf alle Christen zu beziehen. Diese müssen aber gemeint sein, da V. 16 zusammenfassende Funktion hat: „Nur, zu was wir schon gelangt sind, darin lasst uns (auch) leben.“ Hier sind dieselben Adressaten angesprochen, die mit VQWVQ HTQPG”VG gemeint waren, und die, die noch der Offenbarung Gottes bedürfen. Auf eine wichtige paulinische Parallelstelle zu V. 16 weisen weder Müller noch Gnilka hin: Röm 9,31. Der Text trägt m.E. etwas zum Verständnis von Phil 3,16 bei.112 In Röm 9,31 heißt es: der Apostel wie der Verf. von JosAs weisheitliche Schriftauslegung übt. Sie nennt als Referenztexte hier 1Kor 10,1–13; 2Kor 3,7–18 u.ö. und Gal 4,22–32. Phil 3,5–11 sieht sie als einen „weisheitlichen Bekehrungsbericht“ an, in dem die „Bekehrung zur Erkenntnis“ dargestellt sei. Standhartinger fährt fort (S. 501): „Paulus nimmt in 1Kor 1,17–3,4 und Phil 3,5–11 den weisheitlichen Mythos auf, aber er setzt die Gestalt des Gekreuzigten an Stelle der himmlischen Weisheit. Damit kritisiert Paulus weisheitliche Distanzierung von der Welt ebenso wie Elitedenken.“ 107 So mit Recht MÜLLER, Phil, 171 gegen den ironisierenden Sinn, den Schmithals, Irrlehrer, 74; GNILKA, Phil, 201 und SCHENK, Philipperbriefe, 268 annehmen. LOHMEYER, Phil, 148 interpretiert auch diese Textstelle ganz im Sinne seiner sonstigen Deutung des Phil: Die VGNGKQK seien mit den Märtyrern zu identifizieren. 108 Ähnlich G. BARTH, Phil, 65: „Gott wird ihnen offenbaren, daß der Christ nur so denken kann wie oben beschrieben, nämlich daß er noch nicht vollkommen und noch nicht am Ziel ist.“ Hier fehlt freilich die Berücksichtigung der dialektischen Struktur, die sich in zwei Weisen der Vollkommenheit zeigt. 109 MÜLLER, Phil, 172 A. 159. 110 SCHMITHALS, Irrlehrer, 330; ähnlich auch LÜTGERT, Vollkommenen, 21. 111 GNILKA, Phil, 202. 112 FITZER, Art. H-CPY, 92 benennt den Zusammenhang zwischen V. 16 und Röm 9,31.

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Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21

,UTCJ?N FG? FKYMYP PQOQP FKMCKQUWPJL GK L PQOQP QW M G H-CUGP 

Das Nicht-Erreichen trotz des Nachjagens in Röm 9 wird in Phil 3 umgekehrt: Die Christen haben die FKMCKQUWPJ FKC? RKUVGYL ;TKUVQW (3,9) erreicht. Außerdem stehen sie in der C PY MNJUKL (V. 14), deren DTCDG”QP sie nachjagen sollen. Insofern haben alle Christen – freilich ohne eigenes Zutun – etwas erlangt (G H-CUCOGP V. 16), mit dem sie in Übereinstimmung leben sollen (UVQKZG”P V. 16). Bei diesem Verb handelt es sich keineswegs um ein Synonym zu RGTKRCVGY oder RQTGWQOCK, vielmehr ist es deutlich abgrenzt von RGTKRCVGY, das in V. 17 zweimal vorkommt. 6VQKZG”P muss hier einen spezifischen Aspekt des Lebens ausdrücken. Das ursprünglich aus dem Bereich des Militärischen stammende Verb113 passt hier sehr gut, um die Einheit der Gemeinde in dem bereits Erreichten vor Augen zu führen: in einer Reihe stehen sie. Dieser Wortgebrauch ist in einer römischen Militärkolonie, wie Philippi, besonders einleuchtend, wenngleich der Ausdruck nicht auf den Phil beschränkt ist, sondern sich auch z.B. in Röm 4,2; Gal 5,24f; 6,16 findet.114 So verstanden stellt sich V. 16 als Synthese dar, die den kurzen dialektischen Diskurs zur Vollkommenheit abschließt und die Adressaten zur Einheit aufruft. 4.4 Der Konflikt in der Gemeinde von Philippi: Die Feinde des Kreuzes (3,17–19) Mit V. 17 beginnt ein neuer Abschnitt. Das bisher vorherrschende Wortfeld wird verlassen; das Thema ändert sich. Ferner ruft Paulus die Adressaten zum ersten Mal durch einen echten Imperativ auf, während er bisher Aufforderungen im kohortativen Konjunktiv formulierte. Hinzu kommt die erneute Anrede mit C FGNHQK („Brüder!“). 6WOOKOJVCK ist hapax legomenon, könnte also ein von Paulus gebildeter Neologismus sein115. Nach W. Michaelis kann das Wort „nach dem Zusam113 Vgl. DELLING, Art. UVQKZGY MVN, 666. 114 Zur Verwendung militärischer Sprache im Philipperbrief vgl. KRENTZ, Language, 105– 127. Krentz befasst sich aber schwerpunktmäßig mit Phil 1,27–30, wo er bewusst militärische Sprache und Metaphorik verarbeitet sieht. 6WPC-NQWP und C IYP sind aber m.E. gegen Krentz auf den sportlichen Wettkampf zu beziehen und nicht zwingend auf das Militär, zumal Paulus (wie bereits ausgeführt) die Wettkampfmetapher sehr wohl geläufig ist (vgl. 1Kor 9,24–27). Krentz macht aber trotzdem auf die wichtige Beobachtung aufmerksam, dass auch in der stoischen Philosophie (z.B. Epiktet und Seneca) militärische Ausdrücke verwendet werden, um ethische Sachverhalte zu veranschaulichen. Häufig werde in der sozialgeschichtlichen Forschung zum antiken Christentum die Bedeutung des Militärs unterschätzt. 115 Zur möglichen Herleitung vgl. MICHAELIS, Art. OKOGQOCK MVN 669 A. 13, wonach das Verb UWOOKOJVCK von UWOOKOGQOCK abgeleitet sei.

Eine Rede gegen „irdisches Gesinntsein“ – Interpretation von Phil 3

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menhang nicht bedeuten ‚mit mir zusammen‘, sondern höchstens ‚ihr alle zusammen, ihr einer wie der andere.‘“116 Michaelis und mit ihm auch Müller halten UWOOKOJVCK für eine „tautologische“ Bildung.117 Grundsätzlich fallen im Phil allerdings die häufigen mit der Präposition UWP gebildeten Komposita auf: Es finden sich neben dem (unspektakulären) viermaligen Vorkommen der Präposition UWP insgesamt sechzehn UWP-/ UWI-/ UWO-/ UW-Verbindungen, von denen sechs hapax legomena im NT sind, und die anderen nur höchstens noch zweimal bei Paulus vorkommen. Lediglich UWPGTIQL (Mitarbeiter) kommt auch in anderen Briefen häufiger vor.118 Die Betonung der Notwendigkeit, eine einmütige Gemeinschaft herzustellen und zu bewahren, scheint sich auch in dieser Auffälligkeit auszudrücken.119 Zu dem hapax legomenon UWOOKOJVCK dürfte Gnilka die richtige Deutung vertreten. Er zieht 1Kor 11,1 heran: 0KOJVCK OQW IKPGU-G MC-Y?L MC IY? ;TKUVQW

„Auf diese explizite Weiterführung des Gedankens konnte hier (sc. in Phil 3,17) verzichtet werden, weil die vorausgehenden Ausführungen über die Christuserkenntnis (3,8–10) die Christusorientierung klar festgelegt hatten.“120 Die Vorsilbe UWO- zeigt m.E. deutlich an, dass hier dasselbe Verständnis wie in 1Kor 11,1 vorliegt: „Werdet meine Mitnachfolger Christi!“121 Paulus möchte diese Aufforderung auch als Erinnerung an die gemeinsame Basis verstanden wissen, die er und seine Adressaten besitzen.122 Auffällig ist der Wechsel des Personalpronomens: V. 17a OQW und 17b J OG”L In den Kommentaren herrscht Konsens darüber, dass mit dem Plural J OG”L Paulus gemeint ist.123 116 MICHAELIS, Art. OKOGQOCK MVN, 669. 117 MÜLLER, Phil, 173 A. 162. 118 Siehe dazu die Tabelle bei WICK, Philipperbrief, 144. 119 Vgl. auch Phil 2,1–5. WICK, Philipperbrief, 142 bezeichnet die MQKPYPKC als zentrales Thema des Philipperbriefes. Auf seine spezielle These zum Briefaufbau mit fünf Einheiten und den diesen Teilen zuzuordnenden Themen kann hier nicht eingegangen werden. 120 GNILKA, Phil, 204. 121 „Mit-Nachahmer“ übersetzt auch MERK, Nachahmung, 203. MÜLLER, Phil, 174 schließt sich dem an: „Allerdings geschieht diese Nachahmung nicht im Mythos, sondern in konkreten Ereignissen des Lebens; sie ist orientiert am vorgegeben Heilswerk Christi.“ 122 Vgl. BRANT, Place, 297: „Paul emphasizes the coordinated effort of the Philippians to achieve their goal by calling them symmimetai. The mimesis of the Philippians stands in conjunction with the exortation to be of the same mind.“ 123 MÜLLER, Phil, 173 (mit Verweis auf 2Thess 3,9); LOHMEYER, Phil, 152; vgl. auch GOPPELT, Art. VWRQL MVN, 249: „Als Vorbild nennt Paulus in Phil 3,17 und 2Thess 3,9 sich selbst.“ Aber nur der deuteropaulinische Textbeleg in 2Thess 3,9 enthält den VWRQL-Gedanken: QW Z Q VK QW M G ZQOGP G EQWUKCP C NN+ K PC G CWVQW?L VWRQP FYOGP W O”P GK L VQ? OKOG”U-CK J OCL In 1Thess 1,7 wird die Aussage, Vorbild für andere zu sein von den Glaubenden selbst gemacht: Y UVG IGPGU-CK W OCL VWRQP RCUKP VQ”L RKUVGWQWUKP G P V 0CMGFQPK MCK? G P V $ZCK

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Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21

Mit dem Wort VWRQL fällt m.E. ein Schlüsselbegriff für das Verständnis der rhetorischen Gestaltung in Phil 3. In gewisser Weise stellen die in 3,2–11 und 12–16 beschriebenen Beispiele für irdische Gesinnung im weitesten Sinne C PVKVWRQK dar, im Vergleich zu denen Paulus sich selbst als nachahmenswerter VWRQL für die Adressaten darstellt. Mit V. 18 haben wir ein weiteres exegetisches Problem vor Augen: 3QNNQK? IC?T RGTKRCVQWPVGL bezieht sich auf V. 17 und zwar begründend (ICT) mit gleichzeitigem adversativen Sinn zu VQW?L QW VY RGTKRCVQWPVCL. Die Probleme des Verses bestehen in der undurchsichtigen Syntax. Gnilka und Müller erklären die inkorrekte Satzkonstruktion mit der Erregung des Apostels.124 Die Übersetzung lautet: „Viele nämlich, von denen ich oft zu euch sprach und nun doch sogar unter Tränen spreche, wandeln als Feinde des Kreuzes Christi.“ Wohl auf Grund des nicht ganz einsichtigen Satzbaus hat auch Papyrus 46 vor dem Akkusativobjekt VQW?L G Z-TQWL den Imperativ DNGRGVG gesetzt. Gnilka sieht darin den Versuch, die Gegner hier mit denen aus der Trias in V. 2 zu identifizieren.125 Doch dies lässt sich keinesfalls sicher annehmen. Papyrus 46 könnte genauso um ein besseres Verständnis des Verses bemüht gewesen sein. Der Kontext dürfte hier den Imperativ DNGRGVG nahegelegt haben. Die varia lectio von Papyrus 46 kann aber m.E. nicht als gesicherter Hinweis auf die Identität der Gegner in V. 2 und V. 18 angesehen werden.

Die singuläre Formulierung „Feinde des Kreuzes Christi“ wird von Müller in Zusammenhang mit den Gegnern im Galaterbrief gebracht, weniger mit der Auseinandersetzung in Korinth.126 Eine fast wörtliche Parallele zu Phil 3,17 findet Schmithals in Röm 16,17. Hier werde vor Gnostikern gewarnt, die in Ephesus auftreten.127 Gnilka zu Folge schaut der Apostel in V. 18 über Philippi hinaus: „Das Ärgernis und die Verachtung des Kreuzes, die aus verschiedenen Beweggründen von christusgläubigen Wanderpredigern propagiert wurden, ist nun auch zu den Philippern gedrungen – begreiflich, dass der Apostel gleich heftige Worte gegen sie ausstoßen wird.“128 Explizit für einen gedanklichen Zusammenhang zwischen 1Kor und Phil 3 spricht 124 GNILKA, Phil, 204 A. 104; MÜLLER, Phil, 175f; vgl. schon RHEINWALD, Commentar, 198: „Der Ap. kümmert sich nicht um die Construction, die hier unregelmäßig ist – ein treuer Abdruck seines vielfach erregten Gemütszustandes.“ 125 GNILKA, Phil, 204 A. 106. 126 So MÜLLER, Phil 176: „In den polemischen Äußerungen des Galaterbriefes gegen judaistische Konkurrenzmissionare liegen die nächsten Parallelen zur Polemik in Phil. 3,18, nicht in der Abgrenzung der Kreuzespredigt gegen korinthische Weisheit und Weisheitsrede (1. Kor. 1,18ff.). Obwohl Paulus die Gefahr sieht, daß durch die Wortweisheit das Kreuz Christi entleert werde (1. Kor 1,17), kommt es im 1. Korintherbrief nicht zu vergleichbaren Verurteilungen wie in Phil. 3,18f.“ 127 SCHMITHALS, Irrlehrer, 331. Er fügt hinzu: „Auch hier (sc. in Röm 16,17) sind deutlich Christen gemeint, und zwar solche, die in der Gemeinde tätig sind.“ Paulus warne bewusst vor „vielen“, nicht vor einer bestimmten Gruppe. Schmithals zu Folge wird die paulinische Warnung „z.B. gegenüber Juden erfolgt sein.“ 128 GNILKA, Phil, 204.

Exkurs: Phil 3,18 und Schändlichkeit des Kreuzes in der Literatur

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sich Baumbach aus. Die These vom Libertinismus (Schmithals129 sowie Ulonska130) ablehnend sieht er hinter den Feinden des Kreuzes Vollkommenheitsenthusiasten, die mit denen in Korinth vergleichbar seien.131 Weder die Libertinistenthese noch die These Baumbachs können überzeugen. Nach den beiden stilisierten Beispielen von Gegenpositionen und der positiven Darlegung der paulinischen Antworten, liegt mit 3,17–21 m.E. ein Text vor, der sich mit Gemeindeproblemen in Philippi befasst. Hier wird zum ersten Mal konkret von Dritten gesprochen, die zunächst allgemein als RQNNQK und dann näher als G Z-TQK? VQW UVCWTQW bezeichnet werden (V. 18). Da der Ausdruck „Feinde des Kreuzes“ bei Paulus singulär ist, verdient er Beachtung. Die Spitze des Eingreifens Gottes in die Welt ist für Paulus das Kreuz (1Kor 2,2: „Ich hatte mir vorgenommen, unter euch nichts anderes zu kennen als Jesus Christus, und diesen als Gekreuzigten“). Inhalt der paulinischen Predigt ist der gekreuzigte Christus: J OG”L FG? MJTWUUQOGP ;TKUVQ?P G UVCWTYOGPQP (1Kor

1, 23).132 

Wenn Paulus also eine Gruppe als G Z-TQK? VQW UVCWTQW bezeichnet, so wird damit ausgedrückt, dass sie der Kernbotschaft seiner Verkündigung abweisend gegenübersteht. An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, sich gerade mit Blick auf die römische Kolonie Philippi die semantischen Voraussetzungen der Rede vom „Kreuz“ in einem Exkurs vor Augen zu führen. Die Kreuzesstrafe ist im römischen Reich eine Sklavenstrafe (servile supplicium), die wegen ihrer Grausamkeit als äußerst schändliche Todesart bezeichnet wird. Exkurs: Die Schändlichkeit der Kreuzigung in der römischen Literatur Exkurs: Phil 3,18 und Schändlichkeit des Kreuzes in der Literatur Der Ausdruck G Z-TQK? VQW UVCWTQW VQW ;TKUVQW verdient besondere Beachtung133 und fordert zur Frage nach den semantischen Voraussetzungen und nach dem kulturellen Wissen auf der Seite der Adressaten des Paulus auf.134 Zu diesem kulturellen Wissen 129 SCHMITHALS, Irrlehrer, 331 spricht von „prinzipiellem Libertinismus“, der den Gnostikern eigen sei. 130 ULONSKA, Gesetz, 326 schreibt: „Wurden in 3,2 Juden oder Judenchristen angenommen, so können in 3,18ff nur libertinistisch Gesinnte gemeint sein.“ 131 BAUMBACH, Paulus, 305. 132 Siehe GOPPELT, Theologie, 416–418, BULTMANN, Theologie, 292–294 und DERS., Bedeutung, 204–208. 133 Die paulinischen Belege von UVCWTQL sind mehrheitlich im 1. Korintherbrief (6mal) und im Galaterbrief (7mal) zu finden. Hinzu kommen im Phil zwei Belege (2,8; 3,18), Röm 6,6 und 2Kor 13,14. 134 WOLTER, Kreuzestheologie, 46: Unter der Oberfläche von Texten verbergen sich immer semantische Voraussetzungen, „die als Bestandteil eines dem Autor und den Lesern gemeinsamen kulturellen Wissens im Kommunikationsvorgang ständig präsent sind, ohne dass sie auf der

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gehört hierbei die negative Bewertung der Kreuzesstrafe in der römischen Literatur. Römische Quellen sprechen von der Kreuzigung als servile supplicium, also als typische Sklavenstrafe135. Gegenüber der anderen drakonischen Hinrichtungsart, dem bestiis obici, war die Kreuzesstrafe die häufigere, denn: „[S]ie konnte man im Grunde fast überall vollziehen, während das bestiis obici eine städtische Arena und die entsprechenden Veranstaltungen erforderte.“136 In den römischen Texten ist man sich der Grausamkeit der Kreuzesstrafe bewusst137 und hält sie zudem für eine schändliche und verachtenswerte Sache. Der Umstand, dass in der antiken Literatur vergleichsweise wenig über die Schändlichkeit der Kreuzesstrafe geschrieben wird, führt in der Forschung zu unterschiedlichen Schlüssen. Für H.-W. Kuhn ist das Fehlen sicherer Hinweise auf die Anwendung der Kreuzesstrafe in Griechenland und Kleinasien in den ersten zwei Jahrhunderten n.Chr. ein Hinweis darauf, dass die Kreuzesstrafe im Verbreitungsgebiet des Christentums anders als weithin angenommen doch nicht so häufig angewendet wurde.138 Für M. Hengel liegt der Grund für die seltene Erwähnung jedoch eher darin, dass Autoren wie Caesar oder Plinius d.J. über eine solche „abscheuliche, degoutante Sache“ nicht schreiben wollten. Auch Tacitus komme in den Annalen nur auf die Kreuzigung zu sprechen, wenn sie als Greueltaten von Barbaren an Römern geschehen seien.139 Kuhn schließt aus seinen eigenen Beobachtungen: „Jedenfalls muß man feststellen, daß das frühe Christentum nach den erhaltenen Zeugnissen nicht von den genannten Wertungen der Kreuzesstrafe her den Tod Jesu interpretierte. Das gilt auch für Hebr 12,2, wo eher indirekt der biblische Psalter eingewirkt hat.“140 Die Kontroverse in der Beurteilung der vorhandenen antiken Zeugnisse über die Kreuzesstrafe und deren „Schändlichkeit“ zwischen Hengel und Kuhn wird an der Einschätzung des häufiger in diesem Zusammenhang zitierten Cicero-Textes aus der Rede Pro Rabirio (5, 16) noch konkreter: Mors denique si proponitur, in libertate moriamur, carnifex vero et obductio capitis et nomen ipsum crucis absit non modo a corpore civium Romanorum sed etiam a cogitatione, oculis, auribus. Harum enim omnium rerum non solum eventus atque perpessio Ausdrucksebene eigens verbalisiert werden müssen.“ Vgl. auch grundsätzlich die Einleitung Kap. 1 und die Besprechung der Voraussetzungen für das Motiv der himmlischen Bürgerschaft in Kap. 2. 135 Cicero, Verr. II 5,168f: servitutis extremum summumque supplicium; Tacitus, hist. 4,11 und in der Historia Augusta: Script. Hist. Aug. 15 (Iul. Cap. Macrinus), 12,2: nam et in crucem milites tulit et servilibus suppliciis semper adfecit u.ö. Bereits bei Plautus (ca. 250–184 v.Chr.), der nach HENGEL, Mors, 157 die Kreuzesstrafe als erster in der römischen Literatur erwähnt, finden sich zahlreiche Hinweise. HENGEL, ebd. schreibt dazu: „Für Plautus werden Sklaven ‚seit Menschengedenken‘ ans Kreuz geschlagen. Der Sklave muß immer mit dieser grausamen Todesart rechnen, und er begegnet dieser Drohung zum Teil mit grimmigem ‚Galgenhumor‘“. 136 HENGEL, Mors, 146. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Kreuzigung nicht auch als „Volksbelustigung“ eingesetzt wurde (Philo, Flacc. 72 und 84f). 137 Cicero, Verr. II 5,162: istam pestem. 138 KUHN, Jesus, 10. 139 HENGEL, Mors, 148. 140 KUHN, Jesus, 10f (er bezieht sich auf Psalm 88 [LXX] und 68 [LXX]); siehe auch Kuhn, Kreuzesstrafe, 768–771 (zu Hebr 12,2) und GRÄSSER, Hebr, 243–244, für den in Hebr 12,2 (vgl. auch 6,6; 11,26; 13,13) die antike Bewertung des Kreuzes mit hineinspielt.

Exkurs: Phil 3,18 und Schändlichkeit des Kreuzes in der Literatur

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sed etiam condicio, exspectatio, mentio ipsa denique indigna cive Romano atque homine libero est.141 Kuhns grundsätzliche Kritik richtet sich gegen die häufig unvollständige Zitierung des Textes und seine von Theologen einseitig vorgenommene Deutung auf Grund des Satzteils nomen ipsum crucis. Zudem handle es sich um das Urteil eines Angehörigen der römischen Oberschicht, welches kaum repräsentativ sei für größere Schichten der Bevölkerung.142 Mag man dieses Urteil im Blick auf Anlass und Ort der Rede Pro Rabirio bereits kritisch sehen,143 so ist gegen die weiteren Ausführungen Kuhns Kritik anzubringen. Er schreibt: „Auch deswegen ist Cicero kein guter Zeuge, weil die Glieder der frühchristlichen Gemeinde zum größten Teil [...] aus unteren Schichten stammten [...], die das ‚erhabene‘ Empfinden Ciceros sicherlich so gar nicht teilten. Man sollte auch vorsichtig sein, urchristlichen Autoren das Denken oder Empfinden solcher zuzuschreiben, die an die Spitze der Gesellschaft strebten.“144 Doch genau gegen solche Tendenzen ist m.E. Phil 3,17–21 gerichtet. Es handelt sich um Menschen in der Gemeinde, die die Statusdifferenz zwischen ihnen und Angehörigen der römischen Oberschicht entweder dadurch aufheben wollen, indem sie sich assimilieren und Werte und Normen übernehmen oder aber einen Mittelweg zu gehen versuchen und das für diese Oberschicht Anstößige am christlichen Glauben, z.B. die Rede vom Gekreuzigten und seine Heilsbedeutung, verleugnen. Die Cicerorede ist ein prominentes literarisches Zeugnis für die Einschätzung der Kreuzesstrafe aus der Mitte des ersten Jahrhunderts v.Chr. Für Hengel zählt Cicero nicht – wie Kuhn meint – einfach drei Mittel des Strafvollzugs auf, sondern er beschreibt den Vollzug des arbori infelici suspendere und damit nach alter römischer Rechtsauffassung die Kreuzigung (das Binden der Hände durch den Henker, die Verhüllung des Hauptes und das Aufhängen ans Kreuz). M.E. ist Hengels Deutung der Vorzug zu geben. Es handelt sich bei Pro Rubirio 5, 16 um „ein wichtiges antikes Zeugnis für die Abscheulichkeit und Verächtlichkeit der Kreuzesstrafe“145 aus prominenter römischer Sicht146. Hengel fasst die verächtlichen Charakterisierungen des Kreuzes und des Gekreuzigten auf römischer Seite wie folgt zusammen: „Der Kern der christlichen Botschaft, den Paulus als NQIQL VQW UVCWTQW charakterisiert, widersprach nicht nur der römischen Staatsräson, sondern überhaupt gemein-antiker Religiosität und hier wieder besonders 141 Übersetzung: „Wenn schließlich der Tod angedroht wird, so wollen wir in Freiheit sterben, doch der Henker, die Verhüllung des Kopfes und schon das bloße Wort ‚Kreuz‘ sei ferne nicht nur von Leib und Leben der römischen Bürger, sondern auch von ihren Gedanken, Augen und Ohren. Denn von all diesen Dingen ist nicht nur der Vollzug und das Erleiden, sondern schon die Möglichkeit, die Erwartung, ja selbst die Erwähnung eines römischen Bürgers unwürdig.“ 142 KUHN, Jesus, 8, siehe auch DERS., Kreuzesstrafe, 766–767. 143 HENGEL, Mors, 153 weist darauf hin, dass Cicero seine Rede vor dem consilium plebis hält und damit seine Rede bewusst mit Blick auf die Wirkung beim Volk konzipiert habe. 144 KUHN, Kreuzesstrafe, 767. 145 HENGEL, Mors, 153. 146 Zu weiteren Belegen der Schändlichkeit des Kreuzes in römischen Komödien (Iuvenal, Terenz, Petron, wo sich der Ausdruck i in malam maximam crucem – „Geh zum Henker!“ findet) und im Roman (v.a. die Metamorphosen des Apuleius, in denen sich das Thema „Räuber und Kreuzigung“ durch den ganzen Roman hindurchzieht) siehe HENGEL, Mors, 130ff und KUHN, Kreuzesstrafe, z.B. 740ff.

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dem Gottesbild der Gebildeten.“147 Hengel betont in seiner Untersuchung – im Gegensatz zu Kuhn – dass das Wort vom Kreuz bei Paulus keine verblasste theologische Chiffre sei, sondern als konkrete Realität vor Augen liegt.148 Die antike Bewertung des Kreuzes bzw. der Kreuzesstrafe als schändlich muss bei der Deutung der christlichen Rede vom Kreuz berücksichtigt werden, ist aber natürlich nicht mit ihr identisch.149 Vor allem alttestamentliche Traditionen (Ps 88,50–52, auch Ps 68 [LXX], aber auch Dtn 21, Ps 22 sowie die Tradition vom leidenden Gerechten und vom Gottesknecht) spielen in die Deutung des Kreuzestodes Jesu hinein.150 Tatsächlich fällt aber auf, dass die Bewertungen aus der alttestamentlich-biblischen Tradition und anderen antiken griechisch-römischen Autoren semantisch auf einer Ebene liegen. M. Wolter führt aus, dass diese Bewertung der Kreuzigung sich auch bei Paulus niedergeschlagen hat und gelangt zu der Einschätzung: „Bei den vorgenannten Bewertungen eines Kreuzestodes handelt es sich durchweg um Zuschreibungsvorgänge, und die Prädikate, die sich in den antiken Texten finden, sind semantisch auch relativ kohärent: ‚schmachvoll, schändlich, jämmerlich, niedrig, schwächlich‘ usw.“151 Ferner komme das Merkmal der Gewalt hinzu: „Der Tod Jesu am Kreuz provoziert spontane Distanzierungsreaktionen, die sich an der jeweils in Geltung stehenden sozialen Werteskala orientieren.“152

Eine Rede gegen „irdisches Gesinntsein“ – Interpretation von Phil 3 Vor diesem exkurshaft entfalteten Hintergrund kann die Interpretation des letzten Textabschnitts Phil 3,17–19 fortgesetzt werden. Für M. Hengel handelt es sich bei dem NQIQL VQW UVCWTQW des Paulus vor allem um eine provokante Zuspitzung in polemischen Zusammenhängen.153 Wolter verwendet zur Erläuterung der paulinischen Argumentation in 1Kor 1,18ff das Bild einer Matrix: Paulus konzipiert „die Matrix einer Sinnwelt, deren master paradigm das ‚Wort vom Kreuz‘ ist. In dieser Hinsicht sorgt die Verkündigung eines Kreuzestodes als Heilsgeschehen dafür, dass der Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden theologisch depotenziert und einer Gemeinsamkeit nachgeordnet wird, die sich durch nichts

147 HENGEL, Mors, 127. 148 HENGEL, Mors, 137: „M.a.W.: in der paulinischen Verkündigung ist das „Werkzeug der Hinrichtung Jesu“ noch in seiner ganzen Anstößigkeit gegenwärtig.“ 149 Hier ist KUHN, Kreuzesstrafe, 767 zuzustimmen, wobei auch Hengel m.E. dies so nicht formuliert, sondern auf die grausame Realität der Kreuzesstrafe aufmerksam macht, die im Hintergrund steht. 150 Dies gilt auch für den Begriff CK UZWPJ, der in alttestamentlichen Texten wie paganen Bewertungen des Kreuzes vorkommt (Hebr 12,2; Ps 88,50–52 [LXX]; Achilles Tatius 2,37,3; Dion von Prusa 4,67f; Origenes, Cels. 2,35; 6,10. Die Belege sind zusammengestellt und erläutert bei KUHN, Kreuzesstrafe, 758–759 und 771. 151 WOLTER, Kreuzestheologie, 47. 152 WOLTER, Kreuzestheologie, 47–48. 153 HENGEL, Mors, 180. Mehr die initiative Absicht, weniger ein apologetisches Interesse des Paulus bei seiner Rede vom Kreuz in Korinth betont KUHN, Kreuzesstrafe, 773–774.

Eine Rede gegen „irdisches Gesinntsein“ – Interpretation von Phil 3

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anderes als durch Zustimmung oder Ablehnung dieser Verkündigung konstituiert.“154

Das Wort vom Kreuz ist ebenso eine Kraft Gottes (FWPCOKL -GQW) wie das Evangelium selbst.155 Nach M. Konradt hat die Rede vom Kreuz auch etwas zu tun mit der Identität der paulinischen Gemeinde: „Juden fragen nach Machterweisen, Griechen nach Weisheit. Das Kreuz lässt sich beiden Orientierungsmustern nicht integrieren, und so markiert Paulus in [sc. 1Kor] 1,23 mit einem betonten „wir aber“ die christliche Gemeinde, in der Christus eben als der Gekreuzigte verkündigt wird (1,23), als eine Gemeinschaft ganz eigenen Charakters. Die Rede vom Kreuz zielt insofern bereits in 1,18–25 auf die Profilierung der Identität der christlichen Gemeinde.“156

Beide Aspekte haben für die Interpretation der Situation in Philippi große Relevanz. Zum einen dürfte die stark vom römischen Kultur- und Wertesystem geprägte Kolonie Philippi, in der noch dazu das Militär in Form von Veteranen des römischen Heeres eine große Rolle spielte, mit großer Wahrscheinlichkeit ein Ort gewesen sein, an dem die christliche Rede vom Kreuz mit dem herrschenden Wertesystem rasch in Konflikt geraten konnte. Zum anderen lässt der gesamte Argumentationszusammenhang in Phil 3,2–19 in seiner polemischen Färbung und rhetorischen Gestaltung erkennen, dass Paulus sich mit einem anderen Wirklichkeitsverständnis auseinandersetzen muss, welches – wie Wolter es formuliert – „die Hegemonie über die Heilsorientierung an Jesus Christus beanspruchte.“ Die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde war offenbar für viele (Paulus spricht ausdrücklich von RQNNQK in V. 18) bei gleichzeitiger Beibehaltung ihrer gewohnten soziokulturellen und politischen, vielleicht sogar religiösen Vorstellungen, denkbar157. Dazu dürfte in einer Stadt wie Philippi z.B. die Kaiserverehrung oder zumindest eine Teilnahme an der hier besonders präsenten Augustusverehrung ebenso gehört haben wie ein gewisser Stolz auf das römische Bürgerrecht und die damit sichtbar nach außen dokumentierte Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, in der – wie oben gezeigt wurde – gerade 154 WOLTER, Kreuzestheologie, 56. Auf zwei Dinge macht Wolter schließlich aufmerksam (60f): (1) „Das Wort vom Kreuz macht aufgrund seiner Absurdität im Wertesystem aller nichtchristlichen Wirklichkeitsverständnisse die Vielzahl der kulturellen Kontexte, in denen Christen sich vorfinden, zur dummen Welt.“ (2) „Paulus profiliert sein Evangelium immer dort als ‚Wort vom Kreuz‘, wo er sich mit einem Wirklichkeitsverständnis auseinander zusetzen hat, in dem kontextuelle Faktoren die Hegemonie über die Heilsorientierung an Jesus Christus beanspruchen.“ 155 Vgl. zur Parallelität von 1Kor 1,18–15 und Röm 1,16f SCHRAGE, 1Kor, 170. 156 KONRADT, Weisheit, 188. 157 Hier ist noch einmal an die in der Einleitung angesprochenen Bezugsgrößen zu erinnern, die in einer antiken Stadt wirksam sind und die in Konkurrenz zum christlichen Glauben treten (können).

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Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21

die Rede von Kreuzigung und Kreuzesstrafe scharf missbilligt wurde und auch nicht „zum guten Ton gehörte“.158 Weil aber für Paulus, wie oben gesagt wurde, Evangeliumsverkündigung und der NQIQL VQW UVCWTQW insofern auf einer Ebene liegen als in ihnen allein das durch Jesus Christus zukommende Heil begründet liegt, kann der Apostel eine Haltung, wie sie hinter dem Ausdruck G Z-TQK? VQW UVCWTQW zu vermuten ist, nicht billigen. Dass mit einer solchen Haltung, die Paulus in V. 19 m.E. weiter inhaltlich bestimmt, eine große Gefahr für die christliche Gemeinde liegt, zeigt nicht nur die emotionale Bewegtheit des Paulus in dem Ausdruck MNCKYP NGIY in V. 18, sondern die Schärfe, mit der der gesamte Argumentationsgang beginnt (3,2), die gesamte rhetorische Gestaltung und die Einbeziehung seiner eigenen Person (3,4ff und 3,12ff) in die Argumentation und auch die insgesamt im Philipperbrief spürbare Betonung der Gemeinschaft der Christen untereinander und mit Christus. Die bisher dargestellte Interpretation bestätigt sich m.E. durch die Analyse der nachfolgenden Verse (3,19–21). Der Relativsatz V. 19 erklärt die Gesinnung derer, die zu „Feinden des Kreuzes“ geworden sind, näher: ØP VQ? VGNQL C RYNGKC ØP Q -GQ?L J MQKNKC MCK? J FQEC G P V CK UZWP CW VYP QK VC? G RKIGKC HTQPQWPVGL 

Verschiedentlich wurde versucht, von den hier im Text genannten Termini, VGNQL, MQKNKC und CK UZWPJ auf mögliche Gegner zu schließen. Koester deutet MQKNKC z.B. als eine Anspielung auf jüdische Speisegebote.159 Viele Kommentatoren sehen in MQKNKC und CK UZWPJ eine Anspielung auf die Beschneidung.160 Schenk interpretiert VGNQL als die von den Gegnern versprochene Vollendung, die Paulus sarkastisch aufnehme.161 158 Ähnlich sieht die Lage auch in Korinth aus. Die UQHKC ist dort Gegenstand des Rühmens. Weisheit aber gilt „als gewichtige Säule gesellschaftlicher Anerkennung“ (so KONRADT, Weisheit, 187). Er fährt fort: „So stellt Paulus die UQHQK? MCVC? UCTMC in 1,26 neben die FWPCVQK und die GW IGPG”L, nur sind für den Apostel Bildung, (wirtschaftliche) Macht und Herkunft als traditionelle gesellschaftliche Statusindikatoren irrelevant, ja von Gott zunichte gemacht.“ An solchen Statusindikatoren entzündet sich der Konflikt in Philippi m.E. ebenfalls: Es geht um soziale Integration, politische Partizipation, Anerkennung, Statusbewusstsein und Privilegien – allesamt jedenfalls Aspekte einer „irdischen Gesinnung“ (vgl. Phil 3,19 QK VC? G RKIGKC HTQPQWPVGL). 159 KOESTER, Purpose, 331. Ihm schließen sich auch LINCOLN, Paradise, 96 u.a. an. 160 Vgl. MEARNS, Identity, 198f. Ähnlich auch BARTH, Erklärung, 111. Barth bezieht V. 19 zurück auf „die gesalzene Polemik von V. 2“ und fügt hinzu: „Ihr Gott der Bauch und ihre Herrlichkeit in ihrer Scham! eine nochmalige Anspielung auf die Beschneidung, die an Konkretheit nichts zu wünschen übrig läßt.“ 161 SCHENK, Philipperbriefe, 286f. Für MÜLLER, Phil, 177 liegt in einem solchen engen Verständnis von MQKNKC und CK UZWPJ eine Überinterpretation des Textes vor. Dem ist hinzuzufügen, dass die von BARTH, Erklärung, 111 gesehene Konkretheit und Eindeutigkeit dieser beiden Begriffe überhaupt nicht einleuchten will, ist doch das Thema „Beschneidung“ mit dem Textabschnitt 3,2–11

Eine Rede gegen „irdisches Gesinntsein“ – Interpretation von Phil 3

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V. 19 auf konkrete Gegnergruppen (gnostische Vollkommenheitsenthusiasten, die die Vollendung predigen oder die Beschneidung fordern) zu beziehen, kann nicht überzeugen. Die Beschneidung ist über 3,2–11 hinaus nicht mehr Thema, und auch der Abschnitt zum Thema „Vollkommenheit“ ist mit 3,16 abgeschlossen. Außerdem gelten für das Verfahren, aus einzelnen Begriffen auf Gegner zu schließen und darüber hinaus ihnen eine bestimmte Position oder Forderung zuzuordnen, die oben genannten methodischen Bedenken. M.E. werden in V. 19 Begriffe der paulinischen Verkündigung aufgenommen und mit den Kontrasten gekoppelt, um die Alternative zu dem gegenwärtigen „irdischen“ Lebenswandel derer, die Paulus hier im Blick hat, aufzuzeigen. Paulus nimmt hier Zuschreibungen vor, die die Unterschiede zwischen den irdisch Ausgerichteten und den zum himmlischen Politeuma Gehörenden aufzeigen. Dieses Kontrastschema besteht aus drei Paaren: VGNQL (Endgeschick) C RYNGKC (Verderben); -GQL (Gott) MQKNKC (Bauch); FQEC (Ehre, Herrlichkeit) CK UZWPJ (Scham). Die Reihe mündet in den Hauptvorwurf der irdischen Gesinnung ein, der dann in 3,20 die himmlische Bürgerschaft (RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L) gegenübergestellt wird. Zum ersten Gegensatzpaar findet sich eine wichtige Stelle für das paulinische VGNQL-Verständnis in Röm 6,21–22. Dort heißt es: Für die Zeit, als die Christen noch FQWNQK VJL C OCTVKCL waren (6,20), war ihr VGNQL der Tod. Nun aber, da sie FQWNY-GPVGL V -G sind, ist ihr VGNQL das ewige Leben. In Phil 3,19 kommt die Aussage VQ? VGNQL C RYNGKC dieser Formulierung in Röm 6 sehr nah. Auch in 2Kor 11,15 findet sich im Blick auf die Pseudoapostel und die „betrügerischen Arbeiter“ (G TICVCK FQNKQK in V. 13) der beschreibende Satz: ØP VQ? VGNQL G UVCK VC? G TIC CW VYP. Die falschen Apostel werden nicht das ewige Leben erlangen, sondern den Tod, das Verderben. Auffällig ist in gewisser Hinsicht die Parallelität zu der schon angesprochenen Stelle 1Kor 1,18a: 2 NQIQL IC?T Q VQW UVCWTQW VQ”L OG?P C RQNNWOGPQKL OYTKC G UVKP 

Aus der Sicht derer, die nach Meinung des Paulus ins Verderben gehen, ist das Wort vom Kreuz eine Torheit. Nach 3,19 ist das VGNQL derer, die zu Feinden des Kreuzes geworden sind, das Verderben, was sachlich nicht weit von denen sein dürfte, die in 1Kor das Kreuz für OYTKC halten. Mit dem zweiten Gegensatzpaar wird die irdische Gesinnung in einem Bild vor Augen geführt. Einige Sinnparallelen zu Phil 3,19 („deren Gott ist abgeschlossen. Hinzu kommt, dass Paulus in 3,2f unbestreitbar eindeutiger und konkreter formuliert (vgl. die Paronomasie MCVCVQOJ und RGTKVQOJ). Er hätte mit diesen vagen Andeutungen die Schärfe seiner Polemik in unerklärlicher Weise wieder reduziert.

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Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21

ihr Bauch“) hat Lohmeyer in seinem Kommentar zusammengestellt.162 Innerhalb der Paulusbriefe gibt es zwei weitere Erwähnungen des Wortes MQKNKC: 1Kor 6,13 und Röm 16,18. Speise und Bauch wird der Herr zunichte machen, heißt es in 1Kor 6,13. Insofern wird MQKNKC in Phil 3,19 vollends der irdischen Sphäre zuzuordnen und daher auf einer Linie mit C RYNGKC und CK UZWPJ zu interpretieren sein. Im Römerbrief (16,18) verwendet Paulus die Redewendung FQWNGWQWUK V G CWVYP MQKNK in einem ähnlichen Kontext wie in Phil 3,19. Paulus warnt in Röm 16,17 die Gemeinde: UMQRG”P VQW?L VC?L FKZQUVCUKCL MCK? VC? UMCPFCNC RCTC? VJ?P FKFCZJ?P J ?P W OG”L G OC-GVG RQKQWPVCL 

Begründend heißt es dann in V. 18: „denn solche dienen nicht unserem Herrn Christus, sondern ihrem Bauch.“ Damit ist die Opposition zu der Alternative „Christus dienen“ mehr als deutlich. .QKNKC bezieht sich auf die irdisch-leibliche (aber nicht im Sinne von UYOC163) Existenz des Menschen, ist dabei jedoch keineswegs zwingend als Vulgarismus etwa auf einer Linie wie UMWDCNC in V. 9 zu interpretieren, wie die beiden paulinischen Belege zeigen.164 Das dritte Oppositionspaar FQEC CK UZWPJ führt die begonnene Reihe logisch weiter. Das Verständnis von CK UZWPJ ist nicht eindeutig erklärbar. Bultmann übersetzt mit „Schande“, „jedoch so, daß mit dem sexuellen Sinn gespielt wird.“165 Müller versteht das in V. 19 verwendete Substantiv so wie das in 1,20 vorkommende Verb: „zu schanden werden“.166 Die jüdische Weisheit kennt das Sprichwort „Wer auf mich (sc. die Weisheit) hört, wird nicht zuschanden werden“ (Sir 24,22). $K UZWP-JPCK kommt auch in prophetischen Büchern und in den Psalmen im Zusammenhang mit Unheilsvorhersagen vor: Jes 45,24f; Ps 24,3; 68,7; 118,80.166 [LXX]). Obwohl außer Lk 14,9 als Bedeutung für CK UZWPJ „Schande“ oder „Schändlichkeit“ anzunehmen ist, würde die Übersetzung „Scham“ im Sinne von „sich schämen“ in V. 19 m.E. einen guten Sinn ergeben: „Ihre Ehre liegt darin, dass sie sich schämen.“ Wessen sie sich schämen, wird durch V. 18 deutlich: Sie schämen sich des Kreuzes Christi, verleugnen es und werden so in der Sprache des Paulus zu „Feinden des Kreuzes.“ 162 LOHMEYER, Phil, 154 A. 1. Das Problem, welches auch in der Kommentarliteratur vielfach angesprochen wird, ist aber, dass in den Belegen nicht MQKNKC sondern ICUVJT zu finden ist. 163 MERKLEIN, 1Kor, 72f: In 1Kor 6,13 ist der Begriff MQKNKC deutlich von UYOC abgegrenzt. .QKNKC erscheint als „Chiffre für die (negativ beurteilte) leibliche Existenz. [...]‚Leib‘ = ‚soma‘ ist der Mensch als kommunizierende Existenz. Insofern ist der ‚Leib‘ nicht für die Unzucht bestimmt, sondern [...] dazu da, um mit dem Herrn in Kommunikation zu treten.“ 164 Gegen MÜLLER, Phil, 178, dessen Deutung und besonders seine Übersetzung m.E. allzu abwegig und gewagt erscheinen. 165 BULTMANN, Art. CK UZWPJ MVN., 190. 166 MÜLLER, Phil, 178.

Eine Rede gegen „irdisches Gesinntsein“ – Interpretation von Phil 3

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Auch der Begriff FQEC findet sich in doppelter Weise: in V. 19 als Bezeichnung der sich irdisch erweisenden Ehre oder Herrlichkeit der „Feinde des Kreuzes“ und in V. 21 schließlich als Ziel der Vollendung bei der Parusie Christi: UWOOQTHQP V UYOCVK VJ L FQEJL CW VQW – gleichgestaltig seinem Herrlichkeitsleib. Die FQEC der Christen ist unmittelbar mit Christus verbunden, der die menschliche Niedrigkeit (VQ? UYOC VJL VCRGKPYUGYL) bei der Parusie verwandeln wird. Hinzuweisen ist auf den in 1Kor 2,8 vorkommenden singulären Ausdruck bei Paulus: MWTKQL VJL FQEJL Wenn die Herrscher der Welt die Weisheit Gottes erkannt hätten, „so hätten sie den Herrn nicht gekreuzigt.“ Paulus macht damit den Korinthern deutlich, dass das Kreuz zur Definition des Herrn und seiner FQEC dazugehört.167 Die Andersartigkeit der UQHKC VQW -GQW gegenüber der Weisheit der Griechen und die Klarstellung, dass der „Herr der Herrlichkeit“ nicht ohne den UVCWTQOGPQL zu denken und zu bekennen ist, verdeutlicht Paulus durch die singuläre Wendung MWTKQL VJL FQEJL168 Mit dem Partizipialausdruck QK VC? G RKIGKC HTQPQWPVGL findet die in V. 19 nominal durchgeführte Näherbestimmung der RQNNQK aus V. 18, die zu Feinden des Kreuzes geworden sind, ihren Abschluss: „nach Irdischem trachten sie“. Müller sieht in HTJP ein „Sich-Richten-auf“ und ein „SichOrientieren“ ausgedrückt.169 Man kann ferner auf andere paulinische Texte verweisen: Röm 8, 5–7: QK IC?T MCVC? UCTMC Q PVGL VC? VJL UCTMQ?L HTQPQWUKP >@ VQ? IC?T HTQPJOC VJL UCTMQ?L -CPCVQL VQ? FG? HTQPJOC VQW RPGWOCVQL \YJ? MCK? GK TJPJ

Aber auch Phil 3,15 (VQWVQ HTQPG”VG) und schon Phil 2,2 (VQ? G P HTQPQWPVGL mit Bezug auf die Einheit der Gemeinde) und die deuteropaulinische Parallele Kol 3,2 (VC? C PY HTQPG”VG) sind hier zu nennen. Damit ist die Hinführung zu Phil 3,20f beschrieben. Dieses Verspaar, das noch ausführlicher Gegenstand der Untersuchung sein soll, enthält m.E. die christliche Glaubenshoffnung in bildlich vermittelter, sprachlich komprimierter und auf die Befindlichkeit der Gemeinde in Philippi angepasster Form.

167 So ausdrücklich MERKLEIN, 1Kor, 231. 168 Nach MERKLEIN, 1Kor, 230–231 droht das Kreuz bei den Korinthern „zum bloßen Durchgangsstadium ohne eigene soteriologische Bedeutung zu werden. Über die Aneignung dieses Aufstiegs zur Herrlichkeit bzw. Weisheit ist man sich in Korinth freilich nicht einig: die einen propagieren die noetische Ekstase weisheitlicher Spekulation, während die anderen das Heil psychodynamisch in der Glossolalie suchen.“ 169 MÜLLER, Phil, 179.

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5. Die Interpretation von Phil 3,20–21 Die Interpretation von Phil 3,20–21 5.1 Die formgeschichtliche Diskussion zu Phil 3,20–21 Über eine formgeschichtlich zutreffende Beschreibung der beiden Verse herrscht in der Literatur Uneinigkeit. Die Relevanz des formgeschichtlichen Aspekts für die Untersuchung des Motivs der himmlischen Bürgerschaft liegt in der Frage, ob Paulus auf ein vorgefertigtes Traditionsstück, z.B. ein urchristliches Lied, zugegriffen hat oder ob er ein von ihm eingesetztes sprachliches Motiv einsetzt, um seine Argumentation zu untermauern. Zu den ersten, die 3,20–21 formgeschichtlich als Hymnus definiert haben, gehört E. Lohmeyer.170 Die Hymnusthese stützt sich insbesondere auf den Vergleich des Christushymnus Phil 2,6–11 mit 3,20f.171 Die wörtlichen inhaltlich-formalen Parallelen zwischen 2,6–11 und 3,20f hat N. Flanagan zusammengestellt, wobei er zwar nicht explizit von einem Hymnus ausgeht, aber eine poetische Textfassung rekonstruiert.172 Die Hymnusthese wurde ferner von E. Güttgemanns173 und G. Strecker174 aufgenommen und von J. Becker konkretisiert. Becker sieht aus wortstatistischen, inhaltlichformalen und theologischen Erwägungen die Annahme bestätigt, „daß Paulus an dieser Stelle ein vollständiges urchristliches ‚Vertrauenslied‘ seinem Gedankengang dienstbar machte.“175 J. Reumann fasst die Argumente für und gegen die Hymnusthese zusammen und hält ein vorsichtiges Votum für einen Hymnus für angemessen, ohne aber eigene stichhaltige Argumente zu bringen. Damit schwankt seine Einschätzung zwischen „Hymnus“ und „formelhaftem Text mit auffälliger rhetorischer Gestaltung“.176 Gegen die These eines vorpaulinischen Hymnus‘ hat sich Gnilka ausgesprochen und dabei vor allem mit den erkennbaren Unterschieden zwischen 2,6–11 und 3,20–21 argumentiert.177 Er konzediert zwar, dass 3,20f theologische Vorstellungen enthält, die Paulus sonst nicht entwickelt hat, hält 170 Siehe Lohmeyers Untersuchung „Kyrios Jesus“ und LOHMEYER, Phil, 150f: Er sieht in 3,17–21 einen von Paulus selbst formulierten „kleinen sechszeiligen Hymnus [...], der mit seinem klar ausgebildeten parallelismus membrorum, mit seiner feierlichen Diktion zu dem Stile eines at.lichen Psalmes sich erhebt.“ Also auch für die Verse 17–19 glaubt Lohmeyer eine poetische Struktur zu erkennen (dagegen u.a. MÜLLER, Phil 179: Er bezeichnet V. 18f als ein „abruptes, stakkatoartiges, unregelmäßiges“ Stück). 171 Erstmals hat DIBELIUS, Thess/Phil2, 72 Parallelen zwischen beiden Texten herausgearbeitet. 172 FLANAGAN, Note, 8–9. 173 GÜTTGEMANNS, Apostel, 240ff. 174 STRECKER, Redaktion, 154ff. 175 BECKER, Erwägungen, 29. 176 REUMANN, Philippians 3.20–21,604. Er liefert i.ü. einen guten Forschungsbericht zur Formgeschichte der beiden Verse (S. 593–597). 177 GNILKA, Phil, 208f.

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aber die Annahme eines urchristlichen Liedes nicht für angebracht. Auch Müller hatte im Anschluss an seinen Lehrer Becker für ein „urchristliches Vertrauenslied“ votiert,178 dies dann aber in seinem Kommentar korrigiert.179 Ebenfalls gegen den poetischen Charakter von Phil 3,20f spricht sich R. Brucker aus.180 Es fehle für eine solche Bestimmung die metrische Gestaltung.181 Damit schließt Brucker wiederum an Deichgräber,182 Wengst183 und Gnilka184 an. Brucker, der auch 2,6–11 für paulinisch hält, sieht in 3,20f einen von Paulus selbst in gehobener Prosa verfassten Text, der nicht ohne Bezüge zu anderen Paulusstellen bleibe (1Thess 1,10; 1Kor 15,27–57; 2Kor 3,18; Röm 8,29; Phil 3,10f), aber wohl doch mit dem RQNKVGWOC ein gegnerisches Schlagwort aufnehme.185 Eine rhythmisch-metrische Struktur in der uns vorliegenden Textgestalt von V. 20f zu erkennen, halte ich für zu gewagt. Umstellungen, wie sie etwa Flanagan vorgenommen hat, sind freilich reine Spekulation und belegen die Hymnusthese nicht. Die Verwandtschaft mit Phil 2,6–11 in Wortschatz und theologischem Aussagegehalt ist in der Tat auffällig, doch nötigen sie nicht zur Annahme, beide Texte seien vorpaulinisch.186 Die hapax legomena und die eigentümliche Verwendung der Relativpronomina sind kein Indiz für hymnischen Stil. Letztere zeigen vielmehr die Kontexteinbindung des Textes.187 Vielmehr ist es wahrscheinlicher, dass Paulus speziell in diesem Brief durch die Gemeinde- bzw. Kommunikationssituation zu bestimmten Formulierungen gegriffen hat, um eine größere Plausibilität für seine Aussagen zu erreichen. Bei 3,20f handelt es sich m.E. um einen von Paulus bewusst in dieser Form formulierten Text, der sich in der Sprache und insbesondere 178 MÜLLER, Prophetie, 190ff. 179 MÜLLER, Phil, 185: „Dennoch scheint es nicht anzugehen, das ‚Fragment eines vorpaul. Hymnus‘ vorzufinden oder ein ‚vollständiges urchristliches Vertrauenslied‘. Denn die rhythmische Gliederung als wesentliches Argument für das Vorliegen eines ursprünglichen Hymnus wird nicht konsequent durchgehalten: V. 21b ist nicht sicher auf zwei Zeilen zu verteilen, im übrigen ist die erste Zeile als Hymnenanfang ‚merkwürdig genug‘.“ Mit letzterem Argument schließt er sich GNILKA, Phil, 209 an. 180 BRUCKER, Christushymnen, 5 A. 25 und 331 A. 28. Vgl. auch SCHENK, Philipperbriefe, 322–327, der von gehobener und gegliederter Prosa spricht und die für Paulus ungewöhnliche Wortwahl dadurch löst, dass er einen philippischen Verfasser (Clemens) annimmt. 181 BRUCKER, Christushymnen, 331; vgl. auch SCHENK, Philipperbriefe, 322ff, der die Sprache „gehobene und gegliederte Prosa“ nennt. 182 DEICHGRÄBER, Gotteshymnus, 180. 183 WENGST, Formeln, 150. 184 GNILKA, Phil, 208–210. 185 BRUCKER, Christushymnen, 331ff, ähnlich auch GNILKA, Phil, 209f. 186 Dies schließt natürlich überhaupt nicht aus, dass in den beiden Texten Vorstellungen, Begriffe oder Traditionen verarbeitet werden, die Paulus geläufig waren. Die Betonung liegt hier auf der Feststellung, dass es sich m.E. nicht um vorgeformte Texte handelt. Die traditionsgeschichtliche Fragestellung hat nach wie vor ihre tiefe Berechtigung. Gelegentlich gewinnt man den Eindruck, dass bei derartigen Problemen Form- und Traditionsgeschichte miteinander vermischt werden. 187 So zu Recht BRUCKER, Christushymnen, 331.

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in der Verwendung politischer Begriffe der Gemeindesituation in Philippi anpasst. Die rhetorische Gesamtstruktur des Textes 3,2–21 macht es sehr wahrscheinlich, dass die Verse 20f als Zentralaussage den Argumentationsgang abschließen. 5.2 Der historische Bezugsrahmen für Phil 3,20: Das „römische Milieu“ in der Kolonie Philippi Die Colonia Iulia Augusta Philippensis ist eine durch und durch römisch geprägte Stadt, in der die römische Daseinsform die bestimmende ist. Dies ist das wichtige Ergebnis, das nach P. Pilhofers ausführlicher Untersuchung zu Philippi festzuhalten ist. Die römische Mentalität prägt das Leben der Menschen, nicht nur das der cives Romani und der anderen lateinisch sprechenden Einwohner, sondern auch das der griechischen und thrakischen Bevölkerung.188 Dieses Phänomen ist in römischen Kolonien immer wieder zu beobachten.189 Waren die kleinasiatischen Kolonien und anderen Militärkolonien ehemals hellenistische Städte mit freien Griechen, denen römische Bürger nicht nur aus dem Stammland, sondern auch aus anderen Regionen hinzugefügt wurden, so handelt es sich bei Philippi jedoch um eine Neugründung römischer Bürger italischer Herkunft, so dass Mitwirkung und Einfluss der einheimischen Bevölkerung beim Aufbau und in der Prägung der Kolonie nicht gegeben war.190 Von der großen Bedeutung und alltäglichen Präsenz des Bürgerrechts zeugen auch die Inschriften Philippis.191 188 PILHOFER, Philippi, 115. Dies gelte auch bis in die religiösen Vorstellungen hinein. So feierten thrakische Anhänger des Dionysos das lateinische Rosalienfest. 189 Um 170 n.Chr. definiert Aulus Gellius, Noctes Atticae 16,13 (8f.) das Wesen einer römischen Kolonie: (8) Sed coloniarum alia necessitudo est; non enim veniunt extrinsecus in civitatem nec suis radicibus nituntur, sed ex civitate quasi propagatae sunt et iura institutaque omnia (9) populi Romani, non sui arbitrii, habent. Quae tamen condicio, cum sit magis obnoxia et minus libera, potior tamen et praestabilior existimatur propter amplitudinem maiestatemque populi Romani, cuius istae coloniae quasi effigies parvae simulacraque esse quaedam videntur – „(8) Bezüglich der Kolonien herrscht ein ganz anderes Verhältnis; denn sie kommen nicht (als Fremde) von außen in den römischen Staat, noch können sie sich auf einen eigenen Ursprung berufen (wie die Munizipien), sondern sie sind aus dem römischen Staat selbst (herausgewachsen und) gleichsam weiter verpflanzt und sie haben somit alle Rechte und Einrichtungen des römischen Volkes, nicht irgendwelche eigenen. (9) Obgleich nun dieses Verhältnis (der Kolonien zum römischen Staat) abhängiger und weniger frei erscheinen mag, so muss es doch für würdiger und ansehnlicher gehalten werden wegen des Glanzes und des Ansehens des römischen Volkes (des römischen Staates), sind doch die Kolonien gleichsam eine Art Abbild (des römischen Staates) im Kleinen.“ 190 BORMANN, Philippi, 40. Vgl. auch BOWERSOCK, Augustus, 69. 191 PILHOFER, Philippi, 121f: „Betrachtet man nur die Inschriften aus der Stadt selbst im zeitlichen Rahmen des ersten und zweiten Jahrhunderts, so findet man das VOL (sc. die tribus

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Neben die visuelle Präsenz des römischen Bürgerrechts tritt die in Philippi zu beobachtende Tendenz, administrative römische Termini, z.B. Amtsbezeichnungen, für freie Vereinigungen zu adaptieren: z.B. sacerdos, aedilis, curator und weitere Ämter. P. Pilhofer erklärt auch die in Phil 1,1 genannten beiden Ämter G RKUMQRQL und FKCMQPQL mit dieser spezifisch philippischen Tendenz.192 Die Vereine bildeten in ihren Strukturen und Ämtern oftmals die politischen ab.193 Die These, dass sich auch die frühchristlichen Gemeinden in ihrer Organisationsstruktur an die Vereine anlehnten, kommt im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Entdeckung des antiken Vereinswesens als Forschungsgebiet auf.194

Einen deutlichen Hinweis auf die prägende Kraft der römischen Daseinsform in Philippi findet man auch in Apg 16,21. Die christlichen Missionare, die Lukas von der Menge als Juden identifizieren lässt, „bringen unsere Stadt in Aufruhr; sie sind Juden und verkünden Ordnungen (G -J, lat.: mores), die wir weder annehmen noch einhalten dürfen, weil wir Römer sind.“ Nach der lukanischen Darstellung prallen hier zwei Kultursysteme aufeinander, die miteinander inkompatibel sind195. Die mores maiorum sind geradezu das geistig-kulturelle Fundament für das römische Gemeinwesen196. Das Problem liegt in Apg 16,21 daher nicht in der Toleranz197 gegenüber jüdischen G -J im allgemeinen, sondern in der Voltinia, den Hinweis auf das Bürgerrecht) auf jedem zweiten Exemplar! Jedem Fremden, der im ersten Jahrhundert das Forum besuchte – und erst recht jedem Einheimischen – mußte sich das VOL nachhaltig einprägen.“ 192 PILHOFER, Philippi, 140ff: Unter der pointierten, aber treffenden Überschrift „Posten und Pöstchen in Philippi“ schreibt er (144): „Aus den angeführten Belegen ergibt sich: Auf allen Ebenen der ‚Hierarchie‘ der Gesellschaft in Philippi ist man stolz auf das bekleidete Amt, und sei es nur ein Pöstchen. [...] Daher lautet meine These: Das römische Milieu, das die christliche Gemeinde in Philippi umgibt und dem die einzelnen Gemeindeglieder ja samt und sonders entstammen, ist für die rasche Ausbildung von Funktionsbezeichnungen gerade in dieser Gemeinde ursächlich.“ Vgl. auch Cotter, Politeuma,102: „The office was often copied by the voluntary associations where it required the same responsibilities but operated within the parameters of a club.“ 193 Siehe dazu PLÜMACHER, Identitätsverlust, 16: „Bereits die Organisation der Vereine zeigt, daß sie als Ersatzpoleis fungieren sollten“. Zu nennen ist hier auch Schmeller, Hierarchie,11–53. 194 Vgl. z.B. HEINRICI, Sendschreiben, 21: Die Gemeinden organisierten sich „nicht nach dem Vorbilde, aber in den Formen der religiösen Genossenschaften.“ Zu diesem Themenbereich siehe KOCH/SCHINKEL, Frage, 129–148 und SCHMELLER, Interesse, 1–19. 195 Vgl. PILHOFER, Philippi, 116: „denn hier (sc. 1,27) wird das GW CIIGNKQP VQW ;TKUVQW als eine Bezugsgröße eingeführt, die im römischen Koordinatensystem, dem mos maiorum, nicht nur nicht vorkommt, sondern die auch in dieses Koordinatensystem schlechterdings nicht integrierbar ist.“ 196 Vgl. Cicero, rep. III 29 (bzw. 41,9): (res publica) poterat esse perpetua, si patriis viveretur institutis et moribus oder auch Horaz, sat. I 4,116f: satis est, si traditum ab antiquis morem servare. 197 Diese wurde durch Claudius ja ausdrücklich zugestanden, vgl. Josephus, ant. XIX 290: „Ich erachte es für billig, dass die Juden in unserem gesamten Reiche ihren herkömmlichen Gebräuchen ohne alle Anfechtungen nachgehen.“

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Unmöglichkeit für einen Römer, diese G -J zu adaptieren:QW M G EGUVKP J O”P RCTCFGZGU-CK QW FG? RQKG”P. Ein weiteres Indiz dafür, dass Paulus um die römische Prägung der Kolonie weiß, stellt die Anrede )KNKRRJUKQK dar. Sie ist als solche ungebräuchlich und vor Paulus in der griechischen Literatur nicht nachweisbar.198 Die genannten Beobachtungen zur römischen sozio-kulturellen Prägung199 der Colonia Iulia Augusta Philippensis veranlassen nach Pilhofer mit Recht zu einer stärkeren Einbeziehung dieses Kontextes in die Interpretation des Philipperbriefes und m.E. insbesondere in die Untersuchung des Motivs der himmlischen Bürgerschaft in 3,20. 5.3 Die möglichen Traditionen: Zur UYVJT-Prädikation in Phil 3,20 – die Ergebnisse von Harnacks und Lohmeyers Durch die bei Paulus ansonsten singuläre Christusprädikation UYVJT in V. 20 wird die Frage aufgeworfen, ob auch diese durch die politisch-religiöse Prägung in Philippi hervorgerufen wurde. Auffällig ist zunächst, dass Paulus gerade und nur im Philipperbrief diese auch aus dem römischen Kaiserkult bekannte Prädikation verwendet.200 Die Frage nach Präsenz und Intensität des Kaiserkults beschäftigt in letzter Zeit wieder vermehrt die Forschung zum Philipperbrief, so dass ein komprimierter Forschungsüberblick sinnvoll erscheint, um zu einer Beurteilung der Bedeutung des Kaiserkultes in Philippi zu kommen. Dabei sollen die beiden diesbezüglich klassischen Forschungsmeinungen A. v. Harnacks und E. Lohmeyers nicht unerwähnt bleiben. Seit einem Jahrhundert nehmen Untersuchungen zum römischen Kaiserkult Bezug auf eine unter der Bezeichnung „Kalenderinschrift von Priene“ bekannte Inschrift. In ihr fand die Forschung Wesensmerkmale der religiösen Verehrung des Kaisers, der als heilvoller Friedensbringer, Wohltäter und als 198 Schon RAMSAY, Philippians, 116 weist darauf hin, dass die griechische Form )KNKRRJUKQK die Umschreibung für lateinisch Philippenses ist: Paul „regarded (Philippi) as a Latin town, and marks this by the name, which implies doubtless that the inhabitants were proud of their rank“. PILHOFER, Philippi, 117 gelangt daher zu der richtigen Einschätzung, „daß Paulus durch diese Anrede dem römischen Milieu Rechnung trägt.“ Dieser Sprachgebrauch hat sich (nur) in der christlichen Tradition fortgesetzt, wie christliche Inschriften (ab dem vierten Jahrhundert) zeigen (PILHOFER, Philippi, 118). 199 PILHOFER, Philippi, 115 drückt diese mit dem Zitat von Paul Collart aus: „foyer de culture latine en Macédoine“. 200 Gerade auch die Verbindung des UYVJT-Titels mit den beiden paulinischen hapax legomena (RQNKVGWQOCK und RQNKVGWOC) und die Verwendung von Ausdrücken aus dem militärischen Bereich (KRENTZ, Language, 105–127; VOS, Kunst, 141) legen diese Frage ebenso nahe wie die Wendung C URC\QPVCK W OCL RCPVGL QK C IKQK OCNKUVC FG? QK G M VJL .CKUCTQL QK MKCL in Phil 4,22 und die Erwähnung des praetorium in Phil 1,13.

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Beginn eines neuen Äons angesehen wird. Der Geburtstag des Kaisers Augustus201 markiert den Beginn des Kalenderjahres, so lautet der Beschluss des MQKPQ?P VYP C RQ? VJL $UKCL (NNJPYP202 Adolf von Harnack203 bezeichnet die 1899 erstmals veröffentlichte und in das Jahr 9 v.Chr. datierte Kalenderinschrift von Priene204 als äußerst bedeutsam für die Geschichte des Christentums.205 Er geht davon aus, dass die Kalenderinschrift „auf den Marktplätzen aller bedeutenden Städte Asiens“ zu lesen war und führt in einer heute ungewohnten Weise aus: „Wenn wir nachmals diese Sprache als christliche lesen und heute nur als christliche empfinden, so irren wir uns: sie ist von den Griechen geprägt und zuerst auf den Cäsar Augustus gemünzt worden. Das Christentum hat sie einfach übernommen und auf Jesus Christus übertragen.“206 In den Pastoralbriefen, bei Lukas und Johannes sei eine Annäherung an die Sprache des Kaiserkults zu beobachten. [...] Aber die Sprache des Kaiserkultus (sic!) ist die christliche geworden. [...] Das meiste von dem, was wir sonst noch der Originalität des Christentums zuschreiben, lag längst teils im Judentum, teils in der ernsten religiösen Arbeit der Griechen fertig vor und wurde von der Kraft des Evangeliums einfach in Beschlag genommen. So entstand das ‚Christentum‘.“207

Dies ist zweifellos ein beispielhaftes Zeugnis neuliberaler Theologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Zu Phil 3,20 schreibt dann von Harnack an anderer Stelle zutreffender: „Weit entfernt also, daß man aus unserer Stelle entnehmen dürfte, dem Apostel sei der Ausdruck ‚Heiland‘ für Christus geläufig gewesen, folgt vielmehr umgekehrt aus ihr, daß er nur um des Gegensatzes willen zu ihm gegriffen hat.“208

Paulus ist jedenfalls der erste christliche Autor, der den Titel UYVJT für Christus verwendet. Dabei wird aber inhaltlich-theologisch nichts anderes ausgesagt als das, was in 1Thess 1,9f noch durch das Partizip T WQOGPQL zum Ausdruck kam. Mit dem UYVJT-Titel gewinnt die Rede von Jesus Christus als dem kommenden Retter jedoch stärker an Prägnanz. 201 Immerhin ist in Philippi eine besondere Verehrung des Augustus erkennbar: Octavian gilt als Gründer der Kolonie, vgl. eine Grabinschrift aus dem dritten Jahrhundert n.Chr., die Philippi als MVKUOC des Augustus benennt, siehe dazu auch ELLIGER, Paulus, 32. 202 Textedition: SHERK, Documents, Nr. 65. 203 Von HARNACK, Zeit, 301–306. 204 „Priene-Inschrift“ hat sich als Bezeichnung deshalb eingebürgert, weil die Inschrift von Priene das längste Fragment enthält. Insgesamt existierten in zahlreichen Städten der Provinz Asia Kopien dieser Inschrift, so in Apamea Kibotos, Dorylaion, Maionia, Eumeneia, vgl. SHERK, Rome, 102. 205 Nach V. HARNACK, Zeit, 304 sei sie „ungleich wichtiger als die meisten christlichen Inschriften. Sie lehrt uns aufs neue und eindrucksvoller als irgend ein früheres Dokument, welchen Umfang wir dem Satze ‚Als die Zeit erfüllet war‘ zu geben haben.“ 206 V. HARNACK, Zeit, 304. 207 V. HARNACK, Zeit, 306. 208 V. HARNACK, Heiland, 310.

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Als eine Opposition von Christuskult und Kaiserkult beschreibt E. Lohmeyer den Prozess der Auseinandersetzung zwischen dem aufkommenden Christentum und der hellenistisch-römischen Kultur in den ersten drei Jahrhunderten.209 Der Christusglaube galt der hellenistisch-römischen Welt als „ein atheistischer, schändlicher und auszurottender Aberglaube“ – so zitiert Lohmeyer die bekannten Stellen aus Suetons Kaiserviten, den Annalen des Tacitus, dem bekannten Pliniusbrief (epist. X, 96) und der apologetischen Schrift Octavius des Minucius Felix. Den Kaiserkult will Lohmeyer dagegen nicht als bloßes „politisches Instrument“ betrachtet wissen, das nur etwas mit „dem servilen Byzantinismus der Untertanen oder dem bis zum Wahnwitz der Selbstvergötterung emporgestiegenen Caesarenbewustsein“ zu tun habe210. Neben der nicht zu bestreitenden (macht- und eroberungs-) politischen Dimension des Kaiserkults und den ebenfalls zweifellos bekannten „ausschweifenden Formen des Kaiserkultes unter Nero und Domitian“ sei vor allem die soziale Dimension des Kaiserkultes nicht zu unterschätzen. Lohmeyer bringt diese Dimension auf den Punkt, indem er sagt, „daß Bürger des Staates nur der sein konnte, der [sich] zur Kaiserreligion hielt.“211 Hatten sich die zahlreichen Religionen der neu zum Imperium hinzugewonnenen Länder weitgehend mit dem Kaiserkult arrangiert, so habe im Christentum von Beginn an ein grundsätzlich anderer religiöser Anspruch vorgeherrscht, der sich in dem Jesuswort „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (Mt 22,21) manifestiere. Die in dem Wort enthaltene Trennung der beiden Bereiche Religion und Gesellschaft – Lohmeyer nennt sie „Lebensgebiete“ – stehe in schroffem Widerspruch zu Anspruch, Praxis und umfassend religiösen Dimension des Kaiserkultes.212 Die römische Religiosität erhält mit dem Kaiser eine politische Identifikationsfigur. Die Regierungszeit wird als neu anbrechende Zeit des Heils begriffen. Damit erfährt das kaiserliche Regiment gleichsam eine mythische Erhöhung. Der UYVJT-Titel in Phil 3,20 ist nach Lohmeyer aber weniger konkrete Anspielung auf den Titel des römischen Kaisers als vielmehr Anklang an allgemein-hellenistisches Gedankengut. Dies hänge damit zusammen, dass der Titel allein stünde und nicht die spezielle Formel „Heiland der Welt“ .213 Unbeschadet dieser Feststellung, macht Lohmeyer auf die besondere Verbindung des hellenistischen Königstitels UYVJT mit der Metapher aus dem staatlichen Leben in V. 20 aufmerksam, dem RQNKVGWOC: 214 209 210 211 212 213 214

LOHMEYER, Christuskult. LOHMEYER, Christuskult, 2. LOHMEYER, Christuskult, 3. LOHMEYER, Christuskult, 3–4. LOHMEYER, Christuskult, 55. Die These von DIBELIUS, Phil1, 61 ablehnend übersetzt LOHMEYER, Christuskult, 28 RQNKVGWOC nicht mit „Fremdenkolonie“, sondern mit „Bürgerschaft“.

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„Der römischen Bürgerschaft auf Erden, deren Haupt der kaiserliche Soter ist, steht die Bürgerschaft der Christusgläubigen im Himmel gegenüber, die ihren Soter Jesus Christus zu dauerndem Verweilen in ihrer Mitte erst erwartet.“215

In Phil 3,20f werde zum ersten Mal in der christlichen Literatur der bewusste Gegensatz zwischen Jesus, dem Kyrios des Christuskultes und dem römischen Kaiser als dem Kyrios des Kaiserkultes sichtbar. Trotz dieses eindeutigen Urteils beschreibt Lohmeyer das Gegenüber von Christuskult und Kaiserkult zum Ende der paulinischen Zeit als weniger deutlich. Daher träten deutlichere Wendungen und Begriffe des Kaiserkultes in christlichen Texten erst nachpaulinisch auf (bei Lukas und in den Pastoralbriefen).216 5.4 Der religiös-politische Bezugsrahmen: Die Bedeutung des Kaiserkults in Philippi – ein Forschungsüberblick In den neueren Untersuchungen zu Philippi wird die Bedeutung des römischen Kaiserkultes im Zusammenhang mit der religiös-politischen Situation in der römischen Kolonie behandelt, allerdings mit deutlichen Unterschieden in der Beurteilung der archäologischen und epigraphischen Fakten. L. Bormann plädiert für eine stärkere Berücksichtigung des Kaiserkultes als religiös bestimmenden Faktor im Umfeld der christlichen Gemeinde Philippis. Aus dem Status Philippis als einer „reinen Siedlungskolonie römischer Bürger“, ausgestattet mit dem Ius Italicum, ergeben sich nach Bormann im Vergleich zum italischen Stammland nahezu unveränderte Voraussetzungen für die Präsenz des römischen Kaiserkults.217 Nach Price besteht jedoch eine deutlich erkennbare Differenz zwischen den Formen des Kaiserkults in hellenistischen Städten und Dörfern und in römischen Kolonien.218 Die von Price erarbeiteten Kriterien der Unterscheidung der KaiserkultFormen in hellenistischen Städten und römischen Kolonien wendet Bormann auf Philippi an. Als zwei Trägergruppen der Kaiserverehrung in Kolonien 215 LOHMEYER, Christuskult, 28. 216 LOHMEYER, Phil, 158–159. Als Traditionshintergrund für Phil 3,20 seien „orientalische und jüdische“ Belege zu benennen. Die Allgemeinheit der in Phil 3,20 verwendeten Terminologie und der fehlende Zusatz „Heiland der Welt“ ließen eine konkrete Gegenüberstellung zum römischen Kaiserkult nicht zu. 217 BORMANN, Philippi, 37 mit Bezug auf FISHWICK, Imperial Cult, 90f, dessen Arbeit sich aber auf Gallien bezieht. Bormann weist explizit auf das Problem der Forschung hin, über den Kaiserkult in Griechenland keine eigene Untersuchung zu haben. Daher sei man auf die indirekte Auswertung der Arbeiten zu anderen Regionen, namentlich Kleinasien (z.B. PRICE, Rituals) angewiesen (BORMANN, Philippi, 39 A. 43). 218 PRICE, Rituals, 88f: In den Kolonien „specifically Roman practices were institutionalized. [...] The Imperial cult in Greek cities was strongly Greek with respect to its ritual, but some of peripheral elements were indeed of Roman origin.“

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benennt er die seviri Augusti (Augustalen, Augustalenbruderschaft, bestehend aus Freigelassenen) und die flamines (Kultträgergruppe, v.a. bestehend aus sozial höherstehenden Bürgern, zur Verehrung der konsekrierten principes bzw. des Divus Iulius), die in Philippi epigraphisch zahlreich belegt sind219. In Analogie zu vergleichbaren römischen Foren könnten nach Bormann zwei Tempel, die nach neueren Ausgrabungen als KaiserkultTempel bestimmt worden sind, als Belege für den Kaiserkult in Philippi gewertet werden. An den beiden auch in Philippi bezeugten flamines und den seviri Augustales könne die Präsenz des Kaiserkultes in Philippi abgelesen werden. Vor allem dürfe die Bedeutung der Augustusverehrung in ihrer bewusstseinsbildenden Kraft nicht unterschätzt werden.220 Ausdruck einer alltäglichen Art der Verehrung des Augustus sind einige bei Bormann genannte Inschriften (bezogen auf Markt und Handel221 und auf die Garantie von Maßen und Gewichten222). In einer weiteren Inschrift, die aus der Zeit Domitians stammt, wird die quies Augusta auf ein Kollektiv, in diesem Fall die Kolonie Philippi, übertragen – ein Ausdruck divinisierter Abstraktion. Insgesamt hebt Bormann hervor, dass religiöse Pluralität und Synkretismus, die sich in einem „Neben- und Ineinander thrakischer, makedonischer, hellenistischer, orientalischer, kleinasiatischer, jüdischer und römischer Kultformen“ zeigten, „bestenfalls ein Ergebnis des späten zweiten Jahrhunderts“ seien. 223 Die Augustusverehrung, die andere religiös-kultische Traditionen nicht ausgegrenzt habe, zeige sich in Philippi offen für „achtbare griechische Überlieferungen, wie allein schon die Beibehaltung des Städtenamens Philippi und dessen Aufnahme in den Titel der Stadt neben die gens Iulia und den Namen des Augustus zeigt.“224 Er verweist dafür auf eine IsisInschrift (frühestens zweites Jh. n.Chr.), die städtisches Selbstbewusstsein, Kaiserkult und die Verehrung der ägyptischen Göttin Isis verknüpfe.225 219 Zu den flamines siehe Bormann, Philippi, 42–44, zu den seviri Augustales 45–46. 220 Zu nennen ist hier der Kaisereid, der auch für Philippi belegt ist (BORMANN, Philippi, 50). Zur Bedeutung des Kaiserkults und zum Eid im römischen Heer vgl. HELGELAND, Army Religion, v.a. 1473ff und 1478ff und CLAUSS, Art. Heerwesen/Heeresreligion, 1087–1098. 221 Die Inschrift (BORMANN, Philippi, 51 zitiert BCH 58, 1934, 461–463 Nr. 4) ist Mercurio Aug[usto] gewidmet. 222 BORMANN, Philippi, 52. 223 Als Beleg nennt BORMANN, Philippi, 65 die oft zitierte Grabinschrift aus dem 3. Jh., die die Verwurzelung Philippis in griechischer wie römischer Tradition belege (BCH 59, 1935 Nr. 42): 'CKOYP FG? OG MGNGWUG -CPG”P MNWVJL G RK? .VKUOCVQL )KNKRRQW MCK? $W IQWUVQW DCUKNJQL – „Der Daimon aber gebot mir, zu sterben in dieser reizenden Gegend, einer Gründung des Philipp und des Kaisers Augustus.“ 224 BORMANN, Philippi 65f. 225 BORMANN, Philippi, 59. Diese Inschrift belege sogar noch stärker die Integrationskraft des Isiskultes, wenn man den Gentilnamen Mofius (in der Inschrift wird ein Quintus Mofius Euphemerus medicus genannt) als latinisierten hebräischen Namen deute.

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Kurz nach der Arbeit von Lukas Bormann erschien die umfangreiche und durch einen reichhaltigen Inschriftenband ergänzte Untersuchung von P. Pilhofer. In der Erarbeitung und Beurteilung der religionsgeschichtlichen Situation in Philippi unterscheiden sich die beiden Arbeiten nach Pilhofers eigenen Worten. Für ihn spielt der Kaiserkult in Philippi „so gut wie keine Rolle“. Die Darstellung Bormanns hält er für zu einseitig auf die römische Perspektive bezogen. Hinzu komme, dass die Bezeugung des Kaiserkultes in der Zeit des Paulus „,mehr als mager“ sei.226 So werde der römische Bevölkerungsteil Philippis mit seinen Einflussmöglichkeiten überschätzt und außer acht gelassen, dass es andere namhafte Bevölkerungsgruppen im Philippi des ersten Jahrhunderts gab, die sich ihrer Wurzeln und kulturellreligiösen Eigenarten durchaus bewusst waren und diese auch in der Öffentlichkeit deutlich gemacht haben.227 Nach M. Tellbe228 sei die paulinische Evangeliumsverkündigung inkompatibel mit der geforderten Loyalität und auch mit der sich im Bürgerstolz zeigenden Roman ideology des römischen Reiches.229 Er bezieht sich mit seiner Einschätzung auf Inschriften des ersten Jahrhunderts, die zeigten, „that the Imperial cult was a common and widespread phenomenon in Philippi.“230 In der von Lukas berichteten Begebenheit (Apg 16,11–40) vermutet Tellbe ebenfalls den Reflex einer Auseinandersetzung mit dem Kaiserkult. Den Ausdruck RPGWOC RW-YPC in V. 16 bringt er in Verbindung mit dem Kult des Apollon. Nun sei es entweder möglich, dass die paulinische Verkündigung in Konflikt mit dem Apollon-Kult geraten ist oder aber missverstanden werden musste „as an implicit attack on the emperor“, da zwischen Kaiser- und Apollon-Kult nach dem Zeugnis Suetons (Nero 53) eine enge Verbindung bestanden habe231. Dann ergebe sich eine ähnliche Problemlage wie in Thessaloniki (Apg 17,7). Tellbe vertritt die These, dass kein anderer Paulusbrief eine solche Auseinandersetzung mit der römischen Kultur, Religion und Sozialisation führe, wie der Philipperbrief. Nicht nur die latinisierte Anrede )KNKRRJUKQK (4,15), sondern auch die beiden hapax legomena RQNKVGWGU-CK und RQNKVGWOC in 1,27 bzw. 3,20, die aufeinander zu 226 PILHOFER, Philippi, 47f. 227 In § 4 seiner Arbeit gibt Pilhofer nochmals die Begründung dafür, dass er den Kaiserkult bei der Ermittlung der Vielfalt religiösen Lebens in Philippi weitgehend ausblendet (PILHOFER, Philippi, 93): Es gebe zwar epigraphisch bezeugte Kaiserkultpriester, jedoch sei ihre Datierung unsicher. Die Bezeugung für die paulinische Zeit sei aber äußerst schmal (gegen BORMANN, Philippi, 43f und TELLBE, Factors, 108f). 228 TELLBE, Factors, 108f. 229 TELLBE, Factors, 108f. 230 TELLBE, Factors, 109 A. 49. 231 Hierzu muss freilich einschränkend gesagt werden, dass es sich in Sueton, Nero 53 nicht um eine allgemeine Nähe des römischen Kaiserkultes zum Apollon-Kult handelt, sondern um eine Nähe Kaiser Neros zum Gott Apoll („Da man ja bereits von ihm sagte, er sei Apollo gleich in der Musik und dem Sonnengott in der Kunst des Wagenlenkens“).

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beziehen seien, die Erwähnung des Prätoriums (1,13) und die Wendung QK G M VJL .CKUCTQL QK MKCL (4,22) zeigten den Fortschritt des Evangeliums bis in diese hohen politischen Kreise. Tellbe fügt hinzu: „Moreover, the military and athletic images (e.g. 1,27–30) as well as the Stoic terminology (4,8.11) all play on common ideas and images highly intelligible for a church in a Roman Colony.“232 Beide Ideen werden auch in der neueren Forschung zum Hintergrund des Philipperbriefes weiter verfolgt.233 Als weitere deutliche Hinweise für eine Auseinandersetzung mit dem Kaiserkult im Philipperbrief sieht Tellbe die häufige Verwendung des Titels „Kyrios“ (fünfzehn Belege) an, wenngleich dies nicht das häufigste Vorkommen in den Briefen ist (lediglich an vierter Stelle). Die Formel G P MWTK allerdings ist im Philipperbrief am häufigsten belegt (neun Belege). Ungewöhnlich für Paulus und daher bemerkenswert sei allerdings der in 3,20 verwendete UYVJT-Titel. Auch der Christushymnus Phil 2,6–11 sei als „contrast of power“ sehr wohl im Lichte einer Auseinandersetzung mit dem Kaiserkult zu sehen234. Ausgehend von der bekannten Feststellung A.D. Nocks, dass UYVJT im griechisch-römischen Bereich auf göttliche und menschliche Träger bezogen wird235, hält B. Witherington236 fest, dass der Titel UYVJT seit Augustus für den divinisierten Kaiser verwendet wird, wie ein Edikt des Tiberius aus dem Jahre 19 zeige.237 Augustus ist für lange Zeit die prägende Figur auch für die mit dem Titel UYVJT ausgedrückte Funktion des „Retters und Bewahrers“ des Imperiums. Witherington hält die epigraphischen Belege des Kaiserkults in Philippi für aussagekräftig genug, um dessen Bedeutung für das religiöse Profil in der Stadt ermessen zu können. Die Garantie von Sicherheit (Pax Romana), Gesundheit und Wohlstand verbinden die römischen Bürger speziell mit dem Titel UYVJT. Wenn Paulus diesen Titel aufnimmt und auf Jesus Christus überträgt238, erweitere sich nach Witherington der Adressatenkreis. Der Soter, den Paulus und die Christen verehren, ist der Retter für jeden, auch die Angehörigen der unteren Gesellschaftsschichten. Dies werde aber von Paulus nicht als revolutionärer Akt vorgetragen, sondern er verbinde die völlige Transformation der Welt, den menschlichen Körper eingeschlossen, 232 TELLBE, Factors, 110f. 233 Vgl. jeweils KRENTZ, Language, 105ff und ENGBERG-PEDERSEN, Stoicism, 256ff. 234 TELLBE, Factors, 113 nennt vor allem den Ausdruck VQ? GœPCK K UC -G, der an die im Kaiserkult geläufige Wendung K UQ-GQL erinnere. 235 NOCK, Soter, 720ff. 236 WITHERINGTON, Friendship, 100ff. 237 Es fallen in diesem Edikt an die Bürger Alexandriens die Termini K UQ-GQL, GW GTIGVJL und UYVJT (WITHERINGTON, Friendship, 99). 238 WITHERINGTON, Friendship, 102: „[O]nly Christ in any full sense could be called soter, much less savior of the world.“

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mit der Wiederkunft Christi vom Himmel239. Wie auch sonst im Philipperbrief (2,5; 4,1) geht es um die Einheit der Gemeinde240 – eine ehrgeizige Zielsetzung, deren Umsetzung in der christlichen Gemeinde immer wieder an sozialen, kulturellen und religiösen Schwierigkeiten zu scheitern droht. Im Rahmen der Untersuchung des religiösen Profils Philippis geht C. St. de Vos von einer Mischung aus römischen und thrakischen Kulten aus. Die epigraphischen Befunde belegten die Verehrung bekannter römischer Götter wie Jupiter, Juno, Bacchus (als liber Pater), Merkur, Silvanus u.a., aber auch thrakischer Gottheiten wie Dionysos, Bendis und der Thrakischen Reiter. Daneben fänden sich auch orientalische Kulte, wie Isis, Magna Mater und Cybele. Die Belege für die wohl beliebteste Göttin Philippis, Diana, seien für die paulinische Zeit recht schmal. Dagegen erfreute sich der Silvanuskult großen Zuspruchs und war – wie die Inschriften zeigen – auch für Freigelassene zugänglich. Zum Kaiserkult führt de Vos aus: „Probably the most important cult, on the evidence of inscriptions and coins, was the Imperial cult. Numerous inscriptions attest to a range of cult personnel: flamines, seviri, priest of divus Augustus, and priestesses of diva Augusta (Livia).“241

De Vos weist – ähnlich wie Bormann – auch darauf hin, dass römische und nicht-römische Götterverehrung sich mit dem Kaiserkult mischen können, wie es etwa in der Merkur-Augustus-Inschrift deutlich wurde, oder in einer anderen Inschrift, die einen M. Velleius als dendrophorus und Augustalis nennt.242 Der Kaiserkult ist für de Vos einer von drei Konfliktpunkten, die in der Gemeinde von Philippi bedeutsam sind. Sie sind allesamt allerdings Ausdruck eines Grundproblems: „How to deal with the other cults?“ Eine Gruppe vermeidet den Konflikt durch Beschneidung in der Meinung, dann zu einer etablierten Gruppe, den Juden, zu gehören. Eine andere nimmt am Kaiserkult teil, um der sozialen Separation zu entgehen und eine dritte wird auch noch einem der collegia beigetreten sein.243 Die Absicht des Paulus bestehe in der Ermutigung der Christen, sich als Bürger und Kämpfer „eines anderen Reiches“ zu verstehen.244 239 WITHERINGTON, Friendship, 100. 240 WITHERINGTON, Friendship, 101: „The Christian community was to provide a visible example of life lived according to kingdom valuers and as an alternative to many of the values of the larger society.“ 241 DE VOS, Church, 249. 242 DE VOS, Church, 249 (und A. 62); ferner bei BORMANN, Philippi, 55–59. 243 DE VOS, Church, 287: „There were probably some who had already followed these options, whom Paul regards as apostates, and who tried to persuade the Philippian Christians to follow them“. 244 DE VOS, Church, 287: „Paul encourage them to see themselves as citizens and soldiers of another ‚Empire‘ at war with the one in which they live.“

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Unter der Überschrift „Christ and Emperor“ befasst sich P. Oakes eingehend mit der Relevanz des Kaiserkults in Philippi.245 Er benennt drei Vergleichspunkte zwischen Kaiserverehrung und Phil 3,20f: Die Verbindung von Ethik und Politik, den UYVJT-Titel und die Verbindung zwischen Rettung und Macht.246 (1) Der Ausdruck J OYP IC?T VQ? RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L W RCTZGK in Phil 3,20 sei „immediatly political“ und impliziere eine bestimmte Lebensweise, die sich von der Lebensweise der anderen Bürger abhebe. Oakes weist dabei auf Apg 16,21 hin. Die Zugehörigkeit zur römischen Bürgerschaft impliziere eine bestimmte kulturell-religiöse Lebensweise und konstituiere die Identifikation mit dem Gemeinwesen.247 (2) Für Phil 3,20 sei die Verwendung des Titels UYVJT eindeutig auf einen militärischen Führer (und damit auf den Kaiser) bezogen.248 Die besondere Sprachwahl des Paulus im Philipperbrief sei aus den historischen Gegebenheiten zu verstehen. Die Zeit des Iulius Caesar, der Triumvirate, Bürgerkriege und des beginnenden Prinzipats Octavians liege zur Abfassungszeit des Philipperbriefs noch nicht lang zurück. Oakes führt mehrere epigraphische Belege für den Soter-Titel in Bezug auf Caesar und die ersten Kaiser an: eine Inschrift von Ephesos aus dem Jahr 48 v.Chr, die Caesar als Soter benennt, die bereits erwähnte Priene-Inschrift (Augustus als Soter) und zwei weitere Inschriften, die Kaiser Claudius als UYVJT bzw. als UYVJ?T MCK? GW GTIGVJL bezeichnen. (3) Rettung und Macht, die ein zentrales Element in der römischen Herrscherideologie bilden,249 finden sich in 3,21 sehr deutlich auf Christus bezogen, der die Macht besitzt, die Transformation des menschlichen Leibes zu vollziehen: MCVC? VJ?P G PGTIGKCP VQW FWPCU-CK CW VQ?P MCK? W RQVCECK CWV VC? RCPVC 

Oakes bezieht sich auf J. Béranger, wenn er die Retterfunktion des Kaisers mit der Aufgabe der cura rei publicae verbindet250. Auch andere Texte, z.B. Philo, legat. 144–149, zeigten ebenso wie Münzen aus der Provinz Asia: „In the first century AD, the one whom most people would see as saving in accordance with his power to subject all things to himself was the Emperor.“251 245 OAKES, Philippians, 129ff. 246 OAKES, Philippians, 138ff. 247 Vgl. Cicero, leg. 2.2.5. Hier wird von der zweifachen Heimat gesprochen, die der römische Bürger besitze: „die eine ist der Geburtsort, die andere die staatliche Gemeinschaft. „Doch es ist notwendig, dass uns, sofern mit dem Begriff ‚Heimat‘ die gesamte Gemeinschaft der Bürger als Staat bezeichnet wird, eben diese Heimat mehr wert ist.“ 248 OAKES, Philippians, 139. 249 OAKES, Philippians, 141. 250 OAKES, Philippians, 142f. 251 OAKES, Philippians, 145.

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5.5 Der regionale Aspekt: Kaiserkult in Thessaloniki Die Betrachtung Thessalonikis ergibt sich aus regionalen Gründen. Beide Städte liegen in Makedonien an der Via Egnatia (gebaut ca. 145–120 v.Chr); in beiden Fällen handelt es sich und sind um paulinische Gemeindegründungen. Die epigraphischen Belege für den Kaiserkult des ersten Jahrhunderts sind sehr spärlich. Der Kaiserkult in augustäischer Zeit war zunächst der Kult des divus Iulius und konnte an die Verehrung des göttlichen Alexander und an die jahrzehntelange Ehrung römischer Feldherrn (z.B. Quintus Caecilius Metellus, der als UYVJ?T MCK? GW GTIGVJL bezeichnet wurde) anschließen.252 Als frühestes Zeugnis für den Kaiserkult in Thessaloniki gilt die Inschrift IG X 2, 1 (Nr. 31), in der ein .CKUCTQL PCQL erwähnt wird. Diese Inschrift wird bestätigt durch eine Münzserie aus der Zeit um 28/27 v.Chr., die vorn Iulius Caesar mit Lorbeerkranz und die Umschrift 4(26 zeigt, auf der Rückseite das Bildnis Octavians mit der Umschrift 4(66$/21,.(:1253 Es handelt sich wohl um die erste Münzdarstellung, die einen Römer abbildet und zudem ihn noch als -GQL tituliert. „Wenn die Datierung dieser Münzserie richtig ist, dann reichte der Kultus und vielleicht auch der Tempel für den divus Iulius in die ersten Regierungsjahre des Augustus zurück.“254 Aus dem Jahr 41 n.Chr. stammt dagegen eine Münzserie, die vorn Claudius und rückseitig Augustus zeigt. Die Umschrift lautet 4(26 6(%$6726255 Ferner führt vom Brocke neben der erwähnten Inschrift IG X 2, 1 Nr. 31 eine weitere Inschrift an (IG X 2, 1 Nr. 133), die nach neueren Erkenntnissen in die erste Hälfte des ersten Jahrhunderts n.Chr. datiert wird. Hier wird ein Priester des Imperator Caesar Augustus erwähnt. Insofern „muß man davon ausgehen, daß in Thessaloniki bis zur Mitte des 1. Jh.s n.Chr. neben dem Divus Iulius auch Augustus verehrt wurde, letzterer vor allem als divi filius, und vielleicht schon zu seinen Lebzeiten.“256 Aus der Inschrift IG X 2, 1 Nr. 31 geht ferner hervor, dass der Kaiserkult mit der Verehrung der Dea Roma in Verbindung stand. Für die Verehrung der Roma finden sich ebenfalls numismatische Belege.257 Nach Volkmann wurden auch in den Städten des römischen Ostens Tempel des Augustus und der Roma errichtet.258 Der Bau eines Kaisertempels muss – wie auch sonst z.B. im römischen Osten – als Loyalitätsakt gegenüber den 252 VOM BROCKE, Thessaloniki, 138. 253 Siehe bei TOURATSOGLOU, Münzstätte, 140. 254 VOM BROCKE, Thessaloniki, 139. 255 Siehe ebenfalls TOURATSOGLOU, Münzstätte, 167. 256 Vom Brocke, Thessaloniki, 139f. 257 Siehe VOM BROCKE, Thessaloniki, 140 A. 155. Die Verehrung der Roma stand wohl in Thessaloniki in Verbindung mit den sog. 5YOCKQK GW GTIGVCK (DONFRIED, Cults, 345). 258 VOLKMANN, Art. Herrscherkult, 1111.

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Römern betrachtet werden.259 Vom Brocke hält diesen religiös-politischen Loyalitätsakt zur Interpretation von 1Thess 5,3 (GK TJPJ MCK? C UHCNGKC) für wichtig, der mit der lateinischen Formel aus der frühprinzipalen Politik pax et securitas in Verbindung gebracht werden kann.260 Der Kaiserkult wird seinem Urteil zu Folge in Thessaloniki zur Zeit des Paulus eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben, wenngleich die epigraphischen und numismatischen Zeugnisse gegenüber der Bezeugung ägyptischer Götter doch nicht so zahlreich sind.261 5.6 Abschließende Auswertung und Stellungnahme zur Bedeutung des römischen Kaiserkults für Philippi Aus der Besprechung der neueren Literatur zur Frage nach der Wirkung des Kaiserkults auf das frühe Christentum im ersten Jahrhundert im allgemeinen und nach der Bedeutung für Philippi im besonderen ergibt sich zunächst, dass es durchaus Belege für den Kaiserkult in der Kolonie Philippi gibt, wenngleich es – wie auch im Fall der Nachbarstadt Thessaloniki – wenige sind. Aus der jüngeren Geschichte Philippis als Neugründung durch Octavian und aus der Verbindung zu Iulius Caesar262 ergeben sich erkennbare Traditionen, diese Herrschergestalten in besonderer Weise zu verehren. Auch über das Militär (hier ist insbesondere der Kaisereid zu nennen) gibt es Beziehungen zum Kaiserkult. Dabei ist nicht zu vergessen, dass Philippi eine Militärkolonie war, in der römische Veteranen angesiedelt wurden. Außerdem hat sich der Name des Kaisers und der Name seiner Familie im offiziellen Namen der Stadt niedergeschlagen: Colonia Iulia Augusta Philippensis. Neben diesen beiden Feststellungen, der Präsenz des Kaiserkults und der besonderen Verbindung zu Augustus kommt als vielleicht noch entscheidenderes Moment die starke römische Prägung Philippis als römischer Kolonie hinzu.263 Dieses Ergebnis, das von den meisten der neueren Kommen259 Vgl. DE VOS, Church, 142. Er hält den Kaiserkult in paulinischer Zeit für „particular important“ und sieht in der Tempelerrichtung zu Ehren des Divus Caesar ebenfalls einen Loyalitätsausdruck. 260 Vgl. VOM BROCKE, Thessaloniki, 142: „Möglicherweise war gerade hier auch ein Ansatzpunkt für die Verbreitung der Parole ‚Frieden und Sicherheit‘ gegeben, auf die Paulus in 1Thess 5,3 eingeht.“ Dazu siehe VOM BROCKE, Thessaloniki, 171–185. Gegen diese These, die schon BAMMEL, Beitrag, 837 vertreten hat, wendet sich z.B. HOLTZ, 1Thess, 215 A. 364. Zu der Formel „Friede und Sicherheit“ siehe auch WENGST, Pax, v.a. 32–34 und 98–100 (zu 1Thess 5,3). 261 VOM BROCKE, Thessaloniki, 142. 262 So wurde nach epigraphischen Zeugnissen auch Caesar als UYVJT verehrt. Beide historischen Gestalten, Caesar wie Octavian, werden auf Grund ihrer Bedeutung in Philippi geehrt worden sein. Vgl. auch Veleius Paterculus, hist. II 98,1f. 263 Vgl. das prägnant zusammenfassende Urteil bei GALSTERER, Art. Coloniae, 84: „So wie sie (sc. die Kolonien) nach einem in der Kaiserzeit verbreiteten Gefühl als effigies parcae

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tatoren und an Philippi interessierten Forschern geteilt wird,264 erlaubt es dann, römisches Denken, Religion und Kultur, ja eine römische Mentalität, in Philippi vorauszusetzen. Mit einigem Recht kann von einer durch und durch römischen Lebens- und Weltanschauung in Philippi gesprochen werden.265 Auf diesem Hintergrund sind m.E. Phil 3,2–21 und 1,27 zu interpretieren. Der Konflikt besteht in der Konkurrenz zwischen christlichem Bekenntnis und „römischer Mentalität“. Das Problem in der christlichen Gemeinde besteht höchst wahrscheinlich in einem soziokulturellen Akkulturationsdruck. Die einheimischen Mittelschichten adaptieren Werte und Normen der römischen Oberschicht, um die von ihnen empfundene Statusdifferenz auszugleichen. Das paulinische Christentum tritt mit seiner Botschaft in Konkurrenz zu dem vorherrschenden Wertesystem in Philippi, wie an der politischen Begrifflichkeit (RQNKVGWGU-CK, RQNKVGWOC), an der nur hier bei Paulus vorkommenden Prädikation Jesu mit dem auch im Kaiserkult gebrauchten Sotertitel und an der Wendung „Feinde des Kreuzes“ erkennbar ist.

6. Drei neuere Deutungen des RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L Drei neuere Deutungen des himmlischen Politeuma Mit Bezug auf G. Lüderitz bespricht R. Ascough wichtige epigraphische Belege des RQNKVGWOC, die aber alle aus dem ägyptischen Bereich stammen. Ascoughs These lautet: „Overall, this cumulative evidence shows that RQNKVGWOC is applied as a designation for a variety of voluntary associations.“266 Hier muss allerdings gefragt werden, ob es sich bei diesen landsmannschaftlichen Vereinigungen um „Vereine“ (im angolamerikanischen Bereich: ‚voluntary association‘) im echten Sinne handelt.267 Die These von W. Cotter, auf die sich Ascough bezieht, dass die Gemeinde in Philippi das Gemeinschaftsmodell der griechisch-römischen Vereine übernommen habe simulacraque populi Romani höheres Ansehen genossen als die Municipien (Gell. 16,13), erhoben sich über einfache c(oloniae) solche, die immunitas oder gar ius Italicum genossen. Auch Beinamen, meist mit Hinweis auf kaiserliche Gründer, zeichneten einzelne c(oloniae) aus. Die c(oloniae) waren einer der wichtigsten Kanäle der Romanisation, durch die das Mittelmeergebiet ein orbis Romanus wurde.“ 264 PILHOFER, Antiochien, 156. 265 In seiner Kommentierung zur Inschrift, in der 100 römische Verehrer des Silvanuskults genannt werden (Nr. 164/L001 bei Philhofer) schreibt PILHOFER, Antiochien, 164: „Diese 100 Menschen [...] verkörpern den mos maiorum, wie ihn Cicero verstanden hat, wenn er sagt: ne quid novi fiat contra exempla atque instituta maiorum (Manil. 60). 266 ASCOUGH, Associations, 78. 267 Zumindest gehört – wie es unter 2.6 bereits ausführlicher besprochen wurde – RQNKVGWOC nicht zu den Standardbezeichnungen griechisch-römischer Vereinigungen wie beispielsweise -KCUQL UWPQFQL oder G TCPQL. Auch bei ZIEBARTH, Vereinswesen, 133–140 ist RQNKVGWOC nicht als griechische Bezeichnung eines Vereins gelistet.

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und sich als RQNKVGWOC bezeichnet haben soll,268 ist m.E. alles andere als zwingend. Lediglich die in Phil 1,1 gebrauchten Amtsbezeichnungen, die es fraglos auch in Vereinen gab, anzuführen, reicht nicht aus. 3QNKVGWOC – vorwiegend in Inschriften aus dem (ober-)ägyptischen Bereich und aus ptolemäischer Zeit bekannt – ist in der römisch (!) geprägten Kolonie Philippi als Vereinsbezeichnung nicht verbreitet gewesen (zumindest fehlen diesbezüglich epigraphische Belege). Übertragungen aus anderen geographischen Räumen führen hier nicht weiter.269 Paulus benutze – so Ascough – in 3,20 Gegnerterminologie, was sich durch das betont vorangestellte J OYP IC?T zeige.270 Im Anschluss an Lincoln übersetzt Ascough in 3,20: „our state and constitutive government is in heaven.“271 Mit Cotter272 geht Ascough davon aus, dass Paulus das RQNKVGWOC das sich im Himmel befinde, sowohl dem römischen RQNKVGWOC als auch noch unmittelbarer dem RQNKVGWOC als einer griechischen-römischen Vereinigung gegenüberstelle.273 Dem liegt die zutreffende Beobachtung zugrunde, dass die Strukturen der antiken Vereine vielfach analog zu städtischen Strukturen gebildet sind (z.B. die Amtsbezeichnungen, das Protokollwesen, Ehreninschriften, gewisse formelle Vorgänge).274 Imre Peres untersucht die Vorstellungswelt griechischer Grabinschriften im Horizont sprachlicher Motive griechischer Jenseitsvorstellungen und neutestamentlicher Eschatologie. Dabei geht es ihm vor allem um die sogenannte „positive Eschatologie“,275 d.h. um die Frage nach den Hoffnungsbildern die die Menschen für das postmortale Leben in den Inschriften dokumentieren.276 Er ordnet neben Phil 3,20f mit Phil 1,23 auch 1Kor 15, 2Kor 5,1–10 und 1Thess 4,13–18 der sogenannten hellenistischen Eschatologie zu. Die hellenistische Eschatologie sei in der Theologie hellenistischer Gemeinden verwurzelt und sei älter als die neutestamentlichen Schriften selbst.277 Die Hellenistische Ausbildung der neutestamentlichen Autoren sorge für ein Verstehbarwerden des Evangeliums in hellenistischen 268 COTTER, Politeuma, 104. 269 An dieser Stelle sei nochmals an Ruppel, Politeuma erinnert, der deutlich gemacht hat, dass RQNKVGWOC in einem allgemeinen Sinne semantisch nicht zu bestimmen ist. 270 ASCOUGH, Associations, 148 (so auch LINCOLN, Paradise, 97; COTTER, Politeuma, 101 und BÖTTGER, Existenz, 260). 271 ASCOUGH, Associations, 148 und LINCOLN, Paradise, 100. 272 COTTER, Politeuma, 103f. 273 ASCOUGH, Associations, 149. DE VOS, Church, 276–277 geht sogar noch weiter und versteht Phil 3,17ff als Warnung des Paulus an die Christen, Kaiserkult-Vereinigungen beizutreten, was von ASCOUGH, Associations, 149 für zu spezifisch gehalten wird. 274 So auch bei COTTER, Politeuma, 103f, die von einer „civic entity“ spricht. 275 PERES, Grabinschriften, 3. 276 Ebd. 277 PERES, Grabinschriften, 1.

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Kreisen.278 Als konkrete Merkmale dieser hellenistischen Eschatologie benennt Peres die von den neutestamentlichen Autoren verwendeten Bilder und Bildanalogien aus griechischem Material, die Übernahme von Worten und Wendungen aus hellenistischem Sprachgebrauch, motivische Ähnlichkeiten und die Verarbeitung hellenistischer Topoi in positiver und negativer Weise.279 Zwei Tendenzen in griechischen Jenseitsvorstellungen gebe es, mit denen die Autoren neutestamentlicher Texte konfrontiert würden: eine negative, nach unten orientierte und eine positive, nach oben gerichtete Eschatologie. Dabei wirft Peres die Frage nach der Anwendbarkeit des Begriffs „Eschatologie“ auf. Für ihn ist griechische Eschatologie eine Wortvariante für Jenseitsvorstellung oder griechischen Jenseitsglauben.280 Unter den Orten der Seligkeit als Bilder der positiven Eschatologie, zu denen auch der Himmel allgemein, die himmlische Stadt und die himmlischen Wohnungen gehören, kommt Peres auch auf Phil 3,20, das RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L zu sprechen: „Im Gegensatz zur dunklen Zukunft der Gegner ortet Paulus die Zukunft der Gemeindeglieder – das RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L – im Himmel.“281 Ein präzises Verständnis des RQNKVGWOC bei Paulus wird an dieser Stelle jedoch nicht geboten.282 Der Hinweis auf den Sympolitievertrag zwischen Smyrna und Magnesia, den man selten im Zusammenhang mit Phil 3,20 findet, ist weiterführend, wenngleich der beträchtliche zeitliche Abstand zur paulinischen Zeit nicht problematisiert wird und auch eine differenzierte Betrachtung der in der Inschrift verwendeten politischen Termini unterbleibt, was aber für das Verständnis des RQNKVGWOC hilfreich wäre. Mehr als missverständlich wirkt auch die Formulierung: „Phil 3,20 läßt vermuten, dass nach Paulus im Himmel mindestens eine gut organisierte und geordnete Gesellschaft mit Bürgerrecht, ja ein ‚Staat‘ oder eine Stadt (RQNKL) nach dem Vorbild der griechischen Polis ist, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.“283 Eigentlich hatte Peres Phil 3,20 der hellenistischen Eschatologie zugeordnet, seine Beschreibung des RQNKVGWOC als von Gott 278 Vgl. zu Lukas bei PLÜMACHER, Lukas, 137–139. 279 PERES, Grabinschriften, 2. 280 PERES, Grabinschriften, 3. 281 PERES, Grabinschriften, 134. 282 So fehlen Untersuchungen zur Bedeutungsgeschichte zu RQNKVGWOC und RQNKVGWGU-CK Es wird nicht genügend beachtet, wie bereits Ruppel in seiner grundlegenden Untersuchung gezeigt hat, dass der Begriff RQNKVGWOC keineswegs allgemeingültig zu kennzeichnen ist. Die jeweiligen politischen, aber auch die geographischen Aspekte müssen unbedingt berücksichtigt werden. Peres ist keineswegs einheitlich in seinen Begriffsbestimmungen. Zunächst wird unter RQNKVGWOC eine „staatsrechtliche Körperschaft“ verstanden (134), dann aber auch das „Heimatland“ (136) und schließlich wird sogar für Philippi in Verkennung der historisch-archäologischen Fakten ein jüdisches RQNKVGWOC angenommen (136f). Trotzdem schließt sich Peres dann auch noch der Deutung Pilhofers an, das RQNKVGWOC in V. 20 analog zum römischen Bürgerrecht zu verstehen (137). 283 PERES, Grabinschriften, 137.

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erbaute Stadt gehört jedoch eher in den Bereich der apokalyptisch geprägten Eschatologie. So untersuchenswert der Zusammenhang zwischen Phil 3,20 und der Bildwelt in antiken Grabinschriften auch ist, er wird an dieser Stelle m.E. nicht überzeugend herausgearbeitet.284 Vor allem die Annahme, dass Lukas bzw. Paulus die Vorstellungen griechischer Grabinschriften direkt übernommen hätten,285 kann vor dem Hintergrund der weiten Verbreitung der betreffenden Motivkomplexe nicht überzeugen. Anna Maria Schwemer geht in ihrer Untersuchung mit Recht von einem theologischen Zusammenhang von Gal 4,26 und Phil 3,20 aus.286 Bei ihrer Analyse von Phil 3,20 setzt sie bei der Frage an, was unter dem RQNKVGWOC zu verstehen sei: Heimat, Reich, einen Gemeinschaftsbegriff aus dem Vereinswesen oder das Bürgerrecht. Sie entscheidet sich für die Bedeutung „Bürgerrecht“: „Paulus stellt dieses himmlische RQNKVGWOC in schroffen Gegensatz zu dem nur auf das Irdische gerichteten Streben und relativiert damit auch das Verlangen nach rechtlicher Sicherheit.“287 Schwemer verortet die in Gal 4,26 und Phil 3,20 verarbeiteten Motive im Bereich der jüdisch-christlichen Apokalyptik.288 Zum einen gehöre das in Phil 4,3 erwähnte „Buch des Lebens“ (DKDNQL \YJ L) zum festen Bestandteil apokalyptischer Traditionen aus dem Alten Testament (Jes 4,3; vgl. auch Dan 12,1), jüdischer Apokalyptik (die ‚Tafeln des Himmels‘ in 1Hen 47,3; 97,6 u.ö. 2Bar 73,1,) und frühchristlicher Literatur (1Clem 45, 8).289 Zum anderen nehme Paulus in Phil 3,20 ebenso wie in Gal 4,26 Bezug auf Psalm 86 [LXX] und damit auf die Weiterführung der alttestamentlichen Zionstradition (Jes 66).290 Schwemer weist zudem auf die Motivparallele in JosAs 22,13 (bzw. 15,4ff) hin, wo das Buch der Lebenden zusammen mit 284 Die angeführten epigraphischen Belege sind z.T. doch sehr spät (die bei Peres auf S. 138 genannte Inschrift stammt wohl aus dem vierten Jahrhundert n.Chr.) oder beziehen sich wiederum nicht auf das RQNKVGWOC, sondern auf das Motiv der Himmelsstadt. 285 So PERES, Grabinschriften, 123 und 141: „Wir können voraussetzen, daß er (sc. Paulus) auch Grabinschriften kannte. Friedhöfe und Nekropolen waren öffentliche Orte. Jeder, der in eine Stadt hineinkam, musste sie kennen, auch Paulus.“ 286 SCHWEMER, Stadt, 196; VOLLENWEIDER, Freiheit, 297; FELDMEIER, Christen, 81 und KRAUS, Volk, 343. SÖLLNER, Jerusalem, 168f sieht dagegen in Phil 3,20 und Gal 4,26 zwei verschiedene Motive verarbeitet, auf der einen Seite das himmlische Bürgerrecht, auf der anderen die himmlische Stadt. 287 SCHWEMER, Stadt, 230. 288 SCHWEMER, Stadt, 207f.231.237. Siehe dazu auch z.B. MUSSNER, Gal, 326, der den „neuen Äon“ und das „himmlische Jerusalem“ als zwei „apokalyptische Grundideen pln. und deuteropln. Theologie“ bezeichnet. 289 SCHWEMER, Stadt, 230f. 290 SCHWEMER, Stadt, 232: „Bereits im hebräischen Text führt Gott selbst das Geburtsregister der Völker und schreibt diejenigen, die sich zu ihm bekennen, als in Zion gebürtig ein, d.h. er macht sie zu Bürgern des ‚himmlischen‘ Jerusalem.“

Abschließende Interpretation von Phil 3,20f im Zusammenhang des Phil

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Aseneths Funktion als RQNKL MCVCHWIJL vorkommt.291 Auch wenn m.E. sich doch Zweifel an der Zuordnung zur apokalyptischen Deutung des Motivs bei Paulus ergeben, weist Schwemer auf zwei zutreffende Aspekte hin: Zum einen rückt sie das Urteil Söllners zurecht, dass die besagte Motivik in Phil 3,20 und Gal 4,26 ein „Fremdkörper“ in der Theologie des Paulus sei. Vielmehr „muß man doch unterstreichen, daß beide Vorstellungen ein wesentlicher Teil seiner endzeitlich-christologisch geprägten Ekklesiologie sind.“292 Zum anderen macht sie durch ihre Analyse, die Psalm 87 (LXX) einbezieht, deutlich, dass Gal 4,26 und Phil 3,20 weniger lexikographisch als vielmehr theologisch miteinander verbunden sind. Dass Paulus zum Ausdruck desselben theologischen Grundgedankens sich nicht immer einer einheitlichen Terminologie bedient, ist dabei selbstverständlich und vor dem Hintergrund der jeweiligen Gemeindesituation zu begründen.293

7. Abschließende Interpretation von Phil 3,20f im Zusammenhang des Philipperbriefes Abschließende Interpretation von Phil 3,20f im Zusammenhang des Phil Die Bedeutung von Phil 3,20f beschreibt H. Schlier in seinem Aufsatz „Die Beurteilung des Staates im neuen Testament“ folgendermaßen: „Die theologisch primäre Antwort auf die Frage, wie das Neue Testament den Staat beurteilt, ist nicht die aus Röm 13, 1ff., die man in unserem Zusammenhang oft anführt, sondern sachlich vor dieser liegt eine andere: daß der eigentliche, mit Recht so genannte Staat, im Himmel ist, daß also der irdische Staat nicht der Staat schlechthin ist. Das ist deutlich [...] in Phil. 3,20 ausgesprochen. Die Gemeinde, die Bürgerschaft – denn so ist RQNKVGWOC zu übersetzen und nicht mit ‚Wandel‘ –, in die wir Einzelne von Grund auf eingegliedert sind und der wir daher letztlich verpflichtet sind, ist nicht die irdische, sondern die himmlische Gemeinde. Ihren UYVJT erwarten wir daher auch; er ist nicht Augustus.“294

Damit weist Schlier Phil 3,20f eine zentrale Bedeutung für die Verhältnisbestimmung Gemeinde – Staat zu. Dies ist sehr nahe an dem, was zu Beginn der Untersuchung mit dem Spannungsfeld von Integration und Abgrenzung benannt wurde. Es handelt sich um die Fragen: Welchem Gemeinwesen sind die Christen in ihrem Leben letztlich verpflichtet? Wie sollen sie sich als Bürger bzw. Einwohner der Kolonie verhalten? Was ist ihre Bezugsgröße? Schon allein durch diese Fragen ist deutlich, 291 292 293 294

Dazu SCHWEMER, Stadt, 233 A. 182. SCHWEMER, Stadt, 236. SCHWEMER, Stadt, 235. SCHLIER, Beurteilung, 3.

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Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21

dass eine „unpolitische“ Interpretation295 dem Text Phil 3 nicht gerecht wird. Auf die Unterschiede zwischen der paulinischen Vorstellung, wie sie in 3,19–21 enthalten ist, und den vielfach angeführten Belegen der Fremdlingsmetapher wurde bereits im Rahmen der Untersuchung eingegangen. Den Aspekt der Fremde jedenfalls benennt Paulus bewusst nicht, was aber gewiss nicht daran liegt, dass noch kein weitergehendes „Reflexionsbedürfnis“ bestanden habe,296 wie Feldmeier andeutet,297 sondern darin unterscheidet sich Paulus im Philipperbrief deutlich von anderen Texten, z.B. dem ersten Petrusbrief oder auch von den bereits angesprochenen Stellen im Hebräerbrief oder bei Philo. Paulus nimmt in Phil 3,20 m.E. auch keine gegnerischen „Parolen“ auf, sondern füllt eine nach der Erstverkündigung des Evangeliums größer gewordene Verstehenslücke selbst aus durch eine Konkretisierung und Zuspitzung seiner Botschaft. Neben Phil 3 wird auch an zwei anderen Textstellen im Philipperbrief die Stellung der Christen zur Welt thematisiert.298 Die eine wurde bereits mit in die Analyse einbezogen: Phil 1,27: 0QPQP C EKYL VQW GW CIIGNKQW VQW ;TKUVQW RQNKVGWGU-G



Die andere Stelle findet sich in Phil 2,14–16. Hier heißt es in Form der Paränese: „(14) Alles tut ohne Murren und Bedenken, (15) damit ihr untadelig und lauter seid, Kinder Gottes ohne Fehl inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts, unter denen ihr strahlt wie Sterne in der Welt (Y L HYUVJTGL G P MQUO), (16) indem ihr am Wort des Lebens festhaltet, mir zum Ruhm für den Tag Christi, dass ich nicht umsonst gelaufen bin oder umsonst mich abgemüht habe.“

Nach dem Abschnitt 1,27–30, der den gemeinsam durchzuhaltenden Glaubenskampf auch angesichts der Einschüchterung durch Gegner (W RQ? VY P C PVKMGKOGPYP) zum Inhalt hatte, geht es hier um Bewahrung und Bewährung der Gemeinde. Dabei bedient sich Paulus ganz offensichtlich alttestamentlich vorgeprägter Formulierungen, die als Attribute des Gottesvolkes Israel bekannt sind: „Kinder Gottes“ und „Sterne“ (vgl. Dan 12,3 [LXX]), aber auch das „verdrehte und verkehrte Geschlecht“ (vgl. Dtn 32,5). Bei Paulus jedoch wird die ursprünglich an Israel gerichtete fu295 Gegen FELDMEIER, Christen, 83. 296 Paulus kennt die Fremdlingsmetapher offenbar schon (2Kor 5,6.8), wenngleich nicht ausgedrückt durch die politisch-rechtliche Terminologie (z.B. RCTQKMQL). Zu 2Kor 5,1–10 siehe unten den Exkurs. 297 FELDMEIER, Christen, 83. 298 Siehe dazu oben die Einleitung und 1Kor 6; Röm 12,2; 13,1–7. Das Thema Christ und Welt bewegt den Apostel erkennbar in seinen Briefen.

Abschließende Interpretation von Phil 3,20f im Zusammenhang des Phil

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turische Zusage, HYUVJ TGL VQW QW TCPQW zu werden, auf die christliche Gemeinde bezogen.299 Paulus verknüpft den Vergleich Y L HYUVJTGL G P MQUO mit der modal aufzufassenden Partizipialaussage NQIQP \YJL G RGZQPVGL – indem ihr am Wort des Lebens festhaltet. Das Wort des Lebens kann nichts anderes sein als das von Paulus selbst verkündete GW CIIGNKQP, dessen allein würdig die Christen leben sollen (vgl. Phil 1,27) und welches das „Leben vermitteln bzw. zum ewigen Leben führen will.“300 Mit Recht bekräftigt Müller in seinem Kommentar, dass es hier nicht um Missionierung der Gemeinde gehe.301 Die paulinische Argumentationsabsicht besteht vielmehr in der Vergewisserung der Gemeinde in ihrer gegenwärtigen und eschatologischen Bestimmtheit. Festhalten am Wort des Lebens heißt, weiterhin „würdig des Evangeliums Christi zu leben“ und somit „zum Ruhm am Tag Christi zu werden“ (2,16b). Neben dieser positiven Seite deutet V. 16c aber auch an, dass andernfalls, d.h. wenn die Christen als „Lichter in der Welt“ nicht am Wort des Lebens festhalten, die Mühen und der Einsatz des Paulus vergeblich gewesen wären: Q VK QW M GK L MGPQ?P G FTCOQP QW FG GK L MGPQ?P G MQRKCUC



Das hier gebrauchte Vokabular wird im Corpus Paulinum zum Ausdruck der vom Apostel befürchteten Wirkungslosigkeit seiner Predigt verwendet (vgl. Gal 2,2; 1Thess 3,5 und 2Kor 6,1).302 Insofern kommt der missionarische Aspekt doch in die Argumentation hinein, allerdings in Form des Resultats: Der Missionserfolg des Paulus bestand darin, die Christen zu „Lichtern in der Welt“ gemacht zu haben und ihnen das Wort des Lebens verkündet zu haben. Um diesen Erfolg könnten sie sich und Paulus nun bringen, wenn sie sich von dem NQIQL VJL \YJL entfernten. Paulus argumentiert hier insbesondere ad personam suam insofern er sein eigenes Leben mit dem der Gemeinde verknüpft. Dies ist während des gesamten Briefes zu bemerken (1,21–26; 3,3–11; 3,18 als rhetorische Bemerkung), aber auch sehr deutlich in 2,17: Paulus ist zum (Selbst-)Opfer bereit. Neben der Frage nach dem Verhältnis des Christen zur Umwelt, die in Phil 3 Thema ist, macht Paulus in Phil 3,20f aber auch eine eschatologisch 299 Vgl. auch CONZELMANN, Art. HYL MVN, 337: „Das Neue ist die paulinische Vergegenwärtigung: Diese neue Existenz ist bereits jetzt im Verhältnis der Gemeinde zur Welt verwirklicht.“ 300 MÜLLER, Phil, 119. Der Ausdruck NQIQL VJL \YJL ist bei Paulus singulär. Im NT begegnet er nur noch im ersten Johannesbrief (1,1), hier in dem personalen, d.h. auf Jesus Christus bezogenen, Verständnis analog zum Prolog des JohEv (vgl. im Detail: WENGST, 1-3 Joh, 38f). 301 MÜLLER, Phil 119:„Außerhalb des Blickfeldes steht der missionarische Aspekt der Gemeinde, sei es, daß man ihn in der Lichtmetaphorik von V. 15 angelegt findet und am Anfang von V. 16 fortgesetzt sieht“. 302 Als terminus technicus für die missionarische Tätigkeit fungiert hier MQRKCP (vgl. 1Kor 4,12; 15,10; 16,16; Röm 16,6.12 u.a.).

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Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21

relevante Aussage. In der Forschung wird die in Phil 3,20 enthaltene Vorstellung entweder als Teil der hellenistischen oder der jüdisch-apokalyptischen Eschatologie beschrieben. An dieser Stelle erscheint es notwendig, nach dem Spezifikum paulinischer Eschatologie zu fragen. Dazu stellt H. Conzelmann klar: „Eschatologie im Sinne des Paulus ist weder ein apokalyptischer locus de novissimis als letzter Ausblick über den Abgrund des Todes oder des Weltendes hinweg auf das Jenseits noch das Postulat eines ‚Prinzips Hoffnung‘ als Entwurf eines Welt- und Menschenbildes. Paulinische Eschatologie redet von der Hoffnung, und diese Hoffnung ist einfach Auslegung des Glaubens. Das ist ihr positives wie ihr kritisches Prinzip, ihre Begründung wie ihre Grenze: Dies verhindert das Ausbrechen in subjektivpsychologische oder in objektiv-apokalyptische Phantasie.“303

Obwohl die Naherwartung bei Paulus alles andere als verblasst ist (siehe gerade Phil 3,20; 4,5; 1Thess 4,13ff; Röm 13,11 und 1Kor 15,51), legt Paulus die Hoffnung nicht von den apokalyptischen Bildern des Erhofften her aus, sondern (nach Conzelmann): „Der wesentliche Punkt ist die Verklammerung der Zukunft mit der Gegenwart, der Aufweis, daß die Zukunft jetzt erfahrbar ist – erfahrbar freilich nicht in subjektivem Erlebnis, sondern als Glaubenserfahrung durch das Hören der Botschaft.“304 Genau darum geht es Paulus in Phil 3,19–21. Ihm liegt nichts an der Ausschmückung dieses RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L in apokalyptischen Farben, sondern um die Deutung der Zukunftshoffnung von der Gegenwart her. Das, was die Gemeinde im Hier und Jetzt bewegt, ist bei Paulus Dreh- und Angelpunkt seiner Verkündigung. Das politische Bürgerrecht, auf das die Menschen in Philippi stolz sind, nimmt Paulus auf durch das Motiv von der „himmlischen Bürgerschaft“, indem er das Irdische transzendierend eine neue Bezugsgröße einführt.

303 CONZELMANN, Grundriß, 204. 304 CONZELMANN, Grundriß, 204.

III. Das „obere Jerusalem“ (C PY ,GTQWUCNJO) als Motiv für die durch Jesus Christus erreichte christliche Freiheit (Gal 4,21–5,1) Das obere Jerusalem (Gal 4,21–5,1)

1. Einleitung und Problemstellung Einleitung und Problemstellung Im Galaterbrief kommt Paulus im Rahmen einer Auslegung von Gen 16,15 bzw. 21,2 insofern auf den Motivkomplex himmlische Bürgerschaft/himmlische Stadt zu sprechen, als er in 4,26 den Ausdruck C PY ,GTQWUCNJO im Gegenüber zu PWP ,GTQWUCNJO (V. 25) anführt. Paulus deutet in V. 25f die beiden Frauen1 Abrahams auf die urbane Größe Jerusalem: Hagar, die den Berg Sinai bedeutet, entspricht dem jetzigen Jerusalem, das obere Jerusalem aber ist die Freie, die „unsere Mutter ist“: G NGW-GTC G UVKP J VKL OJVJT J OYP 

Auf den ersten Blick erinnert dieses Gegensatzpaar an die alttestamentlichjüdische Vorstellung vom neuen Jerusalem, die in christlichen Schriften in verschiedener Form rezipiert worden ist (vgl. nur Offb 21 oder Hebr 12,22). Die Wendung scheint den Adressaten offensichtlich bekannt zu sein, da sie ohne weitere Erläuterung und wie selbstverständlich als Deutung für die beiden durch die Frauen symbolisierten FKC-JMCK eingeführt wird. Mit anderen Worten sind auch hier semantische Voraussetzungen und ein den Adressaten gemeinsames religiöses Wissen wirksam, worauf Paulus seine Argumentation aufbauen kann. In den Kommentaren zur Stelle wird meistens auf die apokalyptische Vorstellung vom himmlischen Jerusalem verwiesen, die Paulus hier rezipiert habe. Der Leser assoziiert mit dem Ausdruck C PY ,GTQWUCNJO die ihm bekannten Traditionen aus anderen Überlieferungen, vor allem aus den Prophetenbüchern des Alten Testaments.2 Ziel des folgenden Kapitels ist es, die Funktion des in Gal 4,25f enthaltenen Motivs herauszuarbeiten. Dabei kommt neben dem unmittelbaren Kontext 4,21–31 (bzw. 5,1) auch der Zusammenhang zu der sachlichen Parallele in Phil 3,20f (RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L) in den Blick. Dieser Zusammenhang wird in den Kommentaren und der Literatur zu beiden 1 Die weiteren Frauen bleiben außen vor. Ferner wird Sara nicht namentlich genannt. 2 Sie dazu oben die traditionsgeschichtlichen Voraussetzungen unter I.1.

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Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21

Texten durchaus kontrovers beurteilt,3 was nicht ohne Folgen für die Gesamtbeurteilung des Motivkomplex in seiner Relevanz für die paulinische Theologie bleibt. Die bei Paulus erkennbare sachlich-theologische Basis beider Motive zu ermitteln, ist daher eine weitere Aufgabe des Kapitels.

2. Interpretation von Gal 4,25f im Kontext der Passage 4,21–5,1 Interpretation von Gal 4,25f im Kontext von Gal 4,21–5,1 Der Textabschnitt 4,21–31 wird in der Forschung als weitgehend geschlossener Argumentationsgang angesehen.4 Die Ausnahme hierbei bildet V. 31. Dieser Vers wird von einigen Auslegern bereits zur folgenden Passage 5, 1ff gerechnet.5 Es spricht aber einiges dafür, V. 31 entweder als Schlusssatz 4,21–30 oder aber, wenn man 5,1 noch mit dazurechnet, als integralen Bestandteil der Passage anzusehen.6 Mit einigen Auslegern ist festzuhalten, dass das Leitmotiv G NGW-JTKC (siehe 4,22.23.26.30 und V. 31) eine inhaltlich-gedankliche Hinführung und Vorbereitung zu 5,1 darstellt.7 Deshalb ist es naheliegend, 5,1 mit zu dem Abschnitt 4,21–31 zu rechnen. 4,21–31 fungiert m.E. als exegetische Herleitung aus Schrift und Tradition, um vor diesem Verstehenshintergrund die durch Christus vollzogene Befreiung deutlich werden zu lassen.8 Die Textabgrenzung lässt sich auch durch weitere sprachliche Beobachtungen stützen. Paulus spricht in V. 31 die Adressaten mit C FGNHQK an. Diese Anrede ist auch für 5,1 vorauszusetzen. V. 31 und V. 1a enthalten beide die 1. Person Plural, mit der Paulus sich mit den Adressaten zusammenschließt. 5,1b erst wechselt zur 2. Person Plural. Eine lexematisch-semantische Verbindung zwischen 4,31 und 5,1 wird durch RCKFKUMJ und G NGW-GTC auf der einen und G NGW-GTKC und FQWNGKC auf der anderen Seite hergestellt. 5,1 abstrahiert die beiden durch den Bezug auf die Abrahamfrauen femininen Formen, indem er den substantivischen bzw. übergeordneten Begriff 3 Siehe z.B. SÖLLNER, Jerusalem, 168f, der beide Stellen lediglich als „entfernt verwandt“ ansieht und den Hauptunterschied darin sieht, dass in Phil 3,20 Jerusalem ungenannt bleibt und nur allgemein vom RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L gesprochen wird. Für SCHWEMER, Stadt, 196.227 und 236 hängen – wie gesagt – beide Texte dagegen eng miteinander zusammen und bilden einen wesentlichen Teil der paulinischen endzeitlich-christologisch geprägten Ekklesiologie. Vgl. auch VOLLENWEIDER, Freiheit, 297 und FELDMEIER, Christen, 81. 4 So u.a. OEPKE, Gal,146ff und VOUGA, Gal, 74ff. 5 Vgl. BOUSSET, Gal, 67; ZAHN, Gal, 243ff und LINCOLN, Paradise, 27f. 6 SCHLIER, Gal, 228; MUSSNER, Gal 333f sehen V. 31 als Schlusssatz an. In seiner nach rhetorischen und epistolographischen Gesichtspunkten durchgeführten Exegese des Galaterbriefes hält BETZ, Gal, 414 V. 31 sogar für den Abschluss der gesamten Einheit 3,1–4,30. BRUCE, Epistle, 214 zählt auch 5,1 noch mit zu dem Textabschnitt 4,21–31 dazu. 7 So auch SCHWEMER, Stadt, 198; BETZ, Gal, 432; SCHLIER, Gal, 228; MUSSNER, Gal, 334. 8 Bisweilen wird vermutet, der Abschnitt sei Paulus nachträglich eingefallen (so OEPKE, Gal, 147), doch handelt es sich mit MUSSNER, Gal, 316ff; BETZ, Gal, 239 und VOUGA, Gal, 266 um einen Argumentationsgang, der das Vorangegangene weiterführt.

Interpretation von Gal 4,25f im Kontext von Gal 4,21–5,1

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verwendet. Außerdem entsteht zwischen 4,31 und 5,1 eine chiastische Stellung (RCKFKUMJFQWNGKC und G NGW-GTCG NGW-GTKC).

Eine andere in der Forschung zum Galaterbrief aufgeworfene Frage betrifft die Stellung des Textabschnitts 4,21–5,1 im Gesamtzusammenhang. Vielfach wird angemerkt, dass der Abschnitt inhaltlich in seiner jetzigen Position nicht passend sei. F. Mußner vermutet beispielsweise, 4,21–31 sei ein verspätet eingefügter Gedanke, der thematisch zu 3,6–4,7 gehöre.9 Dieses Problem zu lösen, ist hier nicht möglich. Es soll aber trotzdem auf die deutlich erkennbaren Verknüpfungen zwischen 3,1–4,7 und 4,21–31 hingewiesen werden: die Abrahamsverheißung, die Abrahamskindschaft, die erbrechtliche Terminologie (v.a. in 3,16–18) und die Kindschaftsmetaphorik (4,3ff). Auffällig sind die Partikeln in diesem Textabschnitt. Sie geben Aufschluss über Komposition und Argumentationsstruktur des Textes. In V. 22 findet sich die bekannte Zitationsformel IGITCRVCK IC?T Q VK. Begründendes ICT dient vor allem der Einleitung des Schriftbeweises. Zugleich nimmt es einen Aspekt der doppelten Bedeutung von PQOQL in V. 21 auf: „Schrift“. Nach der Nennung der beiden Söhne Abrahams in V. 22 werden diese durch Q OGP und Q FG wieder aufgenommen und der Magd bzw. der Freien zugeordnet. Paulus geht hier über ein reines Schriftzitat hinaus und deutet bereits. Die eigentliche Auslegung beginnt mit V. 24. Nach der Angabe des von Paulus angewandten hermeneutischen Prinzips (C VKPC G UVKP C NNJIQTQWOGPC) werden mit erneut gesetztem ICT die beiden Söhne Abrahams mit den zwei Bundesschlüssen gleichgesetzt. Hier allerdings bricht die strenge Gliederung auf: dem OKC OGP in V. 24 entspricht kein Äquivalent, z.B. G VGTC FG oder ähnliches. Dies mag mit der unklaren Textüberlieferung zusammenhängen,10 wobei auch ansonsten die Argumentation nicht streng formal durchgeführt ist. Sara wird nicht namentlich genannt, sondern mit dem Attribut G NGW-GTC bezeichnet. Dieses Aufbrechen der strengen Form des ersten Abschnitts lenkt die Aufmerksamkeit des Rezipienten allerdings klar auf die Gegenüberstellung der beiden Größen PWP und C PY ,GTQWUCNJO, weil diese sich – anders als die nicht ausgeführte Antithese der Frauen – gegenüberstehen. Ein erneut mit IGITCRVCK ICT eingeführtes Schriftzitat begründet die beiden Aussagen vom jetzigen bzw. oberen Jerusalem. In V. 28–30 dominieren die adversativen Konjunktionen: W OG”L FG und zweimal C NNC. Es geht um die Übertragung des Gesagten auf die Gemeinde, was der Adressatenwechsel in V. 28 deutlich erkennen lässt. 9 MUSSNER, Gal, 316 A. 2. Vgl. dazu auch LUZ, Bund, 319 und WITULSKI, Adressaten, 54, der als Thema von 4,8–20 die paulinische Warnung an die Galater vor dem Rückfall in ihre vorchristliche heidnische Religiosität benennt. 10 Siehe die Übersicht bei MUSSNER, Gal, 322.

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Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21

In V. 31 hat FKQ eine stark bündelnde Funktion: „Deshalb, Brüder, sind wir nicht Kinder der Magd, sondern der Freien.“ Die gesamte Beweisführung wird somit knapp und einprägsam zusammengefasst, wobei der Argumentationsgang noch nicht ganz beendet ist.11 Die christologische Begründung der christlichen Freiheit fehlt noch: 5,1a. Erst danach kann die Argumentation durch den Imperativ abgeschlossen werden: UVJMGVG Q¬P. Mit der Partikel Q¬P wird deutlich die conclusio aus dem Ganzen gezogen.12

3. Die vorherrschende Auslegungsmethode in Gal 4,21–5,1 Die vorherrschende Auslegungsmethode in Gal 4,21–5,1 In V. 24 gibt Paulus selbst die Auslegemethode an, die sich aus dem Charakter der Schriftstelle ergibt: C VKPC G UVKP C NNJIQTQWOGPC. Gelegentlich wird über den Sinn des Verbs (i.ü. hapax legomenon im Neuen Testament) diskutiert. Prinzipiell sind zwei Bedeutungen möglich: 1) allegorisch reden und 2) allegorisch deuten. Für die Textstelle trifft der erste Sinn zu,13 wobei dieser Umstand freilich eine allegorische Auslegung des Textes impliziert.14 Dieses Verbum und auch das in V. 24 ebenfalls vorkommende UWUVQKZG”P sind offenbar termini technici für die allegorische Hermeneutik.15 Über die Auslegungsmethode, die sich in 4,21ff tatsächlich findet, besteht in der Forschung seit jeher eine Kontroverse: Handelt es sich ausschließlich um eine Allegorese oder nicht eher um eine typologische Auslegung oder sogar um eine Mischform?16 Das Problem beginnt schon bei der Definition der neusprachlichen Termini Allegorese und Typologie. Vor der Allegorie als literarischem Genos liegt die Allegorese, d.h. das hermeneutische Verfahren, Texte allegorisch zu deuten. Sie entstand „als Versuch des Ausgleichs zwischen Mythos und Dichtung einerseits und (besonders in der stoischen) Philosophie andererseits“17. Die Allegorese 11 So auch VOUGA, Gal, 119. 12 VOUGA, Gal, 120: „Die Logik verbindet Indikativ u. Imperativ so, daß die Adressaten in der Befreiung, die Christus für die Glaubenden gebracht hat [...] bleiben sollen.“ 13 So BÜCHSEL, Art. C NNJIQTGY, 260. 14 So KOCH, Schrift, 205 A. 13; vgl. BETZ, Gal, 418; SCHLIER, Gal, 155. 15 Siehe dazu z.B. VOUGA, Gal, 116f und OEPKE, Gal, 150, der UWUVQKZG”P als militärischen und grammatischen Fachausdruck bezeichnet. 16 SÖLLNER, Jerusalem, 149 A. 449–451 listet die unterschiedlichen Forschungsmeinungen auf, wobei sein Referat über Betz zu präzisieren ist: Betz votiert lediglich bei 4,24b–26(27) für eine allegorische Interpretation (S. 419), für V. 29 spricht er von einem „typologischen Argument“ und von zwei Typen, die den Dualismus Fleisch-Geist darstellten (S. 428). Insofern findet sich auch bei Betz die Mischform aus Allegorese und Typologie, nicht wie Söllner schreibt, eine allegorische Auslegung. 17 KOCH, Schrift, 202, ihm folgend VOUGA, Gal, 116, der auch auf die Verwendung des Verbs C NNJIQTG”P bei Philo und des Substantivs bei Cicero hinweist. Es geht um eine Rezeption

Die vorherrschende Auslegungsmethode in Gal 4,21–5,1

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hatte in der homerischen Dichtung eine apologetische Funktion: „Die Allegorese rechtfertigte die Texte, indem sie darlegte, daß mit ihnen etwas ganz anderes gemeint ist. Ähnlich wurden später die Dichtungen Ovids als moralische Allegorien ausgelegt.“18 Als erster terminus technicus allegorischer Auslegung gilt W RQPQKC (wörtlich: „Verdacht“, Untersinn)19 zum Ausdruck der „zeitlos gültigen, geschichtlich nicht wandelbaren Wahrheiten“.20 So wurden beispielsweise die Götter bei Homer als Naturelemente interpretiert (Achill als Sonne, Helena als Erde und der Kampf um Troja als Kampf der Elemente). Erst in der Spätantike kommt für W RQPQKC der rhetorische Begriff C NNJIQTKC auf.21 Eine rhetorische Definition der Allegorie findet sich bei Quintilian: „ $NNJIQTKC, quam inversionem interpretantur, aut aliud verbis aliud sensu ostendit, aut enim interim contrarium. prius fit genus plerumque continuatis translationibus, ut O navis, referent in mare te novi fluctus: o quid agis? fortiter accipe portum, totusque ille Horatii locus, quo navem pro re publica, fluctus et tempestates pro bellis civilibus, portum pro pace atque concordia dicit.“22

Diese Definition ist bis heute maßgebend.23 Die auf Aristoteles zurückgehende rhetorische Substitutionstheorie definiert bereits die Metapher als Wortallegorie. Daher lag die Ableitung der Allegorie aus der Metapher nahe. Die Allegorie ist damit oftmals eindimensional auf das reduziert worden, was sie dem Sinne nach transportieren möchte. Aber mit G. Kurz ist festzuhalten: „Die Allegorie sagt sehr wohl, was sie meint – sie sagt es eben direkt und indirekt. Sie meint, was sie sagt (verbis), und sie meint damit und dadurch auch etwas anderes (sensu), auf das es vor allem ankommen kann. Der Autor einer Allegorie will das

bzw. eine Hermeneutik, die vom Doppeldeutigen des zu interpretierenden Gegenstandes ausgeht. Das Gemeinte ist dabei vom Wortsinn zu unterscheiden. 18 KURZ, Metapher, 45. 19 Treffend (auch im Blick auf Gal 4,21ff) ist die Definition bei MOST, Art. Allegorie/ Allegorese II, 304: „Indem sie einen ‚Untersinn‘ (griech. W RQPQKC) bzw. eine ‚andere Rede‘ dem Text als dessen eigentliche Absicht zuschreibt, reproduziert sie in der Form mikroskopischer Textphänomene die größeren kulturellen Diskrepanzen, unter denen Leser leiden und gedeihen.“ 20 KOCH, Schrift, 202f. 21 Weitere Literatur Allegorie und Allegorese bei KOCH, Schrift, 202 A. 1–3; CANCIKLINDEMAIER, Allegorie, 424–432; MOST, Art. Allegorie/Allegorese II, 304–305 und KLAUCK, Art. Allegorie/Allegorese III, 305–306. 22 Quintilian, inst. VIII 6,44: „Die Allegorie, die man als inversio (Umkehrung) übersetzt, stellt einen Wortlaut dar, der entweder einen anderen oder gar manchmal den entgegengesetzten Sinn hat. Die erstere Art erfolgt in durchgeführten Metaphern, so etwa ‚Schiff, dich treibt die Flut wieder ins Meer zurück! Weh, was tust du nur jetzt! Tapfer dem Hafen zu‘ und die ganze Stelle bei Horaz, an der er Schiff für das Gemeinwesen, Fluten und Stürme für Bürgerkriege, Hafen für Frieden und Eintracht sagt.“ 23 Vgl. auch BETZ, Gal, 418, der aus Inst. IX 2,46 zitiert: „eine Abfolge von Metaphern bildet eine Allegorie“ (C NNJIQTKC facit continua OGVCHQTC).

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Die himmlische Bürgerschaft in Phil 3,2–21

Gesagte so verstanden wissen, daß noch etwas anderes mitverstanden wird.“24 Für Kurz stellt „Ambiguität“ ein wesentliches Konstruktionselement der Allegorie dar. Er bezieht sich auf Sigmund Freud,25 wenn er Ambiguität definiert als „ein mehrfacher Deutung fähiges Wort, welches dem Hörer gestattet, den Übergang von einem Gedanken zum anderen zu finden.“

Mit Blick auf Gal 4 könnte man hier auf den PQOQL-Begriff in V. 21 verweisen. Paulus spielt hier bewusst mit der Ambiguität des Begriffs als Hinweis auf das Gesetz wie als Hinweis auf die Schrift.26 Dass hierbei – wie bereits angemerkt – der Frage in V. 21 auch eine ironische Färbung27 beigegeben ist, entspricht sowohl dem antiken Verständnis von Allegorie wie dem modernen.28 Allegorische Rede als indirekt-direkter Sprechakt setzt eine pragmatische Kommunikationsbedingung voraus. Autor und Leser verfügen über eine gemeinsame Verstehensbasis, d.h. sie sind mit den semantischen und in diesem Fall auch den hermeneutischen Voraussetzungen vertraut. So wird im Sprechen bzw. Hören das ersetzt, was explizit nicht mitgesprochen wird.29 Zu unterscheiden sind der Praetext und der Text, der den Praetext auslegt, kommentiert, vergegenwärtigt und interpretierend wiederholt. Dabei sind verschiedene Interpretationsweisen des Praetextes möglich: Bestätigung des Praetextes als Autorität oder – wie in Satire und Parodie – die Verspottung und Verwerfung des Praetextes. Die Alte Kirche betont daher auch die positive Funktion der Allegorie für den Glauben (vgl. das Wort: allegoria fidem aedificat).30 Der Allegorie kommt in all ihren Facetten, der ironisch-spöttelnden Anspielung, der Bestätigung bzw. Erfüllung von Texten eine epideiktische bzw. didaktische Funktion zu.31 Bei der Typologie,32 die nach Kurz auch unter die Allegorie fällt, geht es um die steigernde und überbietende Erfüllung von nacheinander folgenden 24 KURZ, Metapher, 35. 25 FREUD, Witz, 53. 26 Vgl. VOUGA, Gal, 115, der bemerkt, „daß die beiden Aspekte des PQOQL als Gesetz und als Schrift, die in Gal 3,22 durch die Unterscheidung zwischen PQOQL und ITCHJ getrennt waren, kombiniert werden“. 27 VOUGA, Gal, 115 sieht in V. 21 eine „ironische Frage als Übergang“, OEPKE, Gal, 147 spricht von „ironischer Zuspitzung“, für BORSE, Gal, 166 klingt die Frage „wie ein Vorwurf mangelnder Schriftkenntnis“. 28 KURZ, Metapher, 35f. 29 KURZ, Metapher, 39. 30 Vgl. auch LAUSBERG, Handbuch, 441–445, der das bekannte Beispiel für das Verständnis des vierfachen Schriftsinnes bei Rhabanus Maurus aufführt. Bezeichnender Weise wählt dieser den Namen ‚Jerusalem‘, dessen allegorischer Schriftsinn die ecclesia Christi, und der anagogische (eschatologische) Sinn die civitas Dei, quae est mater omnium ist. Siehe auch LEISEGANG, Ursprung, 127–158: 129ff zu Gal 4,21–31. 31 KURZ, Metapher, 43. 32 Siehe auch hierzu LAUSBERG, Handbuch, 445–446: Als Mittel zur Wirklichkeitsdeutung gliedern Typologien die chaotisch scheinende Wirklichkeit in Typos und Antitypos.

Die vorherrschende Auslegungsmethode in Gal 4,21–5,1

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(diese können Personen und Ereignisse sein). Als Beispiel ist zu nennen: Adam-Christus oder Eva-Kirche. Obwohl der Begriff Typologie erst im 18. Jahrhundert entstanden ist, differenziert auch die Patristik zwischen einer Form von poetischer Allegorie (allegoria in verbis) und einer typologischen Allegorie (allegoria in factis). Dazu hält Kurz zusammenfassend fest: VWRQK

„Die allegoria in factis bezieht zwei Ereignisse (‚factis‘) der Heilsgeschichte aufeinander. Text (Typus) und Praetext (Antitypus) stehen in einem typologischen Verhältnis zueinander. Sie stehen in einem von Gott gewollten Erfüllungsverhältnis. Die allegoria in verbis entspricht der Metapher. Bildspender und Bildempfänger stehen nicht in einem notwendigen Verhältnis, sondern werden aufeinander bezogen kraft der Imagination.“33

Insgesamt trägt Gal 4,21–31, vor allem 4,24–28, an den o.g. Merkmalen gemessen deutlich die Züge allegorischer Schriftauslegung: Es handelt sich nicht um eine typologische Auslegung34 im klassischen Sinne. Die Übertragung auf die Ebene der Adressaten in V. 28 ist Bestandteil der Allegorese. Gerade die Unvollständigkeit in der Durchführung der Allegorese ist kein Defizit,35 sondern Charakteristikum allegorischer Auslegung,36 weniger jedoch für eine typologische. Ismael und Isaak als Typen für zwei Personengruppen zu sehen,37 wird dem Text nicht gerecht, da beide Gestalten in 4,22–27 nicht namentlich genannt werden. Bei der Typologie geht es aber gerade um die direkte Entsprechung von Typos und Antitypos und (z.B. Adam-Christus). Handelte es sich um eine typologische Schriftauslegung, hätten zumindest eine Person oder ein Ereignis aus der Vergangenheit auf die Gegenwart antitypisch übertragen werden müssen, z.B. die FKC-JMJ als MCKPJ? FKC-JMJ.38 Es geht Paulus in Gal 4,21–31 nicht um die Gegenüberstellung der vergangenen und gegenwärtigen Wirklichkeit, sondern um den Aufweis des wahren Schriftsinns mittels allegorischer Auslegung und die Einführung des Motivs vom „oberen Jerusalem“, so dass die durch Christus schon 33 KURZ, Metapher, 44. 34 Die Gegenüberstellung von Allegorese und Typologie (so bei SÖLLNER, Jerusalem, 150 und öfter) ist im strengen Sinne ungenau. Eigentlich müsste man mit KOCH, Schrift, 203 A. 3 von „Typologese“ sprechen, mindestens aber, wie es hier geschieht, von typologischer Auslegung. Ansonsten werden literarisches Genos und hermeneutische Methode verwechselt. 35 So schon SCHLIER, Gal, 157 und KOCH, Schrift, 205. 36 Vgl. KURZ, Metapher, 39. 37 So SÖLLNER, Jerusalem, 151 und schon OEPKE, Gal, 147f. 38 So mit Recht KOCH, Schrift, 210. Er weist darauf hin, dass sowohl die FWQ FKC-JMCK von dem Auslegungsverfahren „völlig absorbiert werden“ als auch das zeitliche Nacheinander ausgeblendet wird. Die FKC-JMCK sind zeitlos gegenwärtig, wie auch die PWP und C PY ,GTQWUCNJO, was gerade für die Allegorese und gegen die typologische Auslegung spricht.

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bereitete Existenz der Christen (vgl. die Aoristform in 5,1: J NGW-GTYUGP sich auch einer neuen Bezugsgröße zuordnen kann: der C PY ,GTQWUCNJO.

4. Gedankengang und Argumentation in Gal 4,21–5,1 Gedankengang und Argumentation in Gal 4,21–5,1 Die Passage 4,21–5,1 beginnt mit einer ironisch gefärbten Frage: /GIGVG OQK QK W RQ? PQOQP -GNQPVGL GœPCK VQ?P PQOQP QW M C MQWGVG39

Der Vers birgt – wie angedeutet wurde – ein exegetisches Problem. Umstritten ist unter den Auslegern die Bedeutung von PQOQL. Für Schlier ist klar zu trennen zwischen dem „Institut des Gesetzes“ (V. 21a) und dem Pentateuch (V. 21b).40 Nach Betz schwanke Paulus absichtlich zwischen dem PQOQL als jüdischer Tora (V. 21a) und der Schrift (V. 21b).41 Kraus wendet sich gegen die Annahme einer Doppelbedeutung und spricht von zwei Aspekten des Begriffs „Tora“.42 Vor allem aber ist nach Intention und Wirkung der Doppelsetzung von PQOQL in V. 21 zu fragen. Paulus spielt m.E. tatsächlich mit dem PQOQL-Begriff. Er misst die Adressaten, die unter dem Gesetz leben wollen, an ihrem eigenen Anspruch und fragt sie: „Hört ihr nicht auf das Gesetz?“ Dies ist gewissermaßen die indirekte Ankündigung, dass nun eine Stelle aus dem Gesetz (d.h. aus der Tora) folgt, die die Position des Apostels untermauert. Diese Stelle, genauer diese beiden Stellen (Gen 16,15 und 21,2), gibt Paulus inhaltlich wieder (V. 22–23)43 und weist auch gleich darauf hin, dass dies eine allegorische Rede sei (V. 24a), die der Allegorese bedarf, welche er dann folgen lässt. Dabei fällt auf, dass Paulus den Text bereits interpretierend wiedergibt. Hagar wird zwar in der LXX als RCKFKUMJ bezeichnet (z.B. Gen 16,3.8; 25,12), aber Sara nicht ausdrücklich als G NGW-GTC. Indem Paulus auch die weiteren Frauen 39 BETZ, Gal, 415 A. 26 verortet diesen Fragestil in der Diatribe und nennt neben einer Epiktetstelle (3,24,9) auch neutestamentliche Belege. 40 SCHLIER, Gal, 154 A. 2. 41 BETZ, Gal, 415; GUTBROD, Art. PQOQL MVN (B–D), 1062f hebt zur Stelle ebenfalls den doppelten Sinn hervor. Paulus verwende PQOQL in V. 21b für die gesamte Schrift, also in der Tat synonym zu ITCHJ 1Kor 14,21 zeige deutlich, dass Paulus nach G P V PQO IGITCRVCK eine Prophetenstelle zitiere. Auch in Gal 4 zitiere Paulus nicht nur eine Pentateuchstelle (Gal 21,10 [LXX]), sondern zuvor auch mit Jes 54,1 einen prophetischen Text. 42 KRAUS, Volk, 238f A. 250: „Man sollte m.E. nicht davon sprechen, daß Paulus hier zwei unterschiedliche Begriffe von ‚Gesetz‘ verwende, einmal das Gesetz als ‚Heilsweg‘ und einmal als ‚Pentateuch‘. Es sind vielmehr zwei Aspekte des Begriffs ‚Tora‘, die hier zum Tragen kommen.“ 43 Er zitiert hier – trotz der Einleitung – nicht im eigentlichen Sinne (vgl. auch BETZ, Gal, 416; BORSE, Gal, 167 und VOUGA, Gal, 115, der treffend von „themenorientierter Wiedergabe eines größeren Schriftabschnittes“ spricht), sondern spitzt die Erzählung aus Gen 16 und 21 bereits in seinem Sinne zu: Abraham hatte zwei Söhne – die anderen, die er noch hatte (Gen 25,1ff), werden verschwiegen; sie sind freilich auch für den Gedankengang nicht von Belang.

Gedankengang und Argumentation in Gal 4,21–5,1

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Abrahams unerwähnt lässt, läuft seine Wiedergabe auf die Antithese RCKFKUMJ– G NGW-GTC zu. Auch die Wendungen MCVC? UCTMC und FKC? VJL G RCIIGNKCL sind nicht der LXX entnommen, sondern paulinische Deutung.44 Auffällig bleibt aber, dass von den beiden FKC-JMCK nur der Sinaibund ausgeführt wird (OKC OG?P C RQ? Q TQWL 6KPC). Eine Entsprechung wird nicht genannt. V. 24b und V. 25 explizieren die eine Seite der Auslegung:45 Hagar, den Berg Sinai bedeutend, liegt auf einer Ebene (UWUVQKZG”) mit dem jetzigen Jerusalem, das mit seinen Kindern in Knechtschaft lebt. In V. 26 wird von der PWP ,GTQWUCNJO ausgehend die Gegengröße C PY , GTQWUCNJO eingeführt. Das J FG in V. 26 korrespondiert mit OKC OGP in V. 24, wenn auch nicht besonders deutlich und ohne durch ein Signalwort wieder auf FWQ FKC-JMCK Bezug zu nehmen. Zugleich löst sich Paulus so von der Wendung C¨VCK GK UKP FWQ FKC-JMCK und lenkt die Argumentation durch die Abfolge C PY ,GTQWUCNJO, G NGW-GTC, OJVJT J OYP in positiver Weise auf die Adressaten und sich selbst (J OYP). Wenn Paulus, wie deutlich geworden ist, die FKC-JMJ-Thematik nicht zu Ende führt, bleibt aber die Frage nach dem Sinn dieser von ihm gewählten Deutung für die beiden Söhne bestehen. Konsens scheint in der neueren Literatur darüber zu bestehen, dass der Gegensatz alter – neuer Bund in Gal 4,21ff nicht enthalten ist.46 Von Jones47 wurde der Abrahambund als Bezugsgröße der zweiten FKC-JMJ favorisiert. Auch für M. Vogel ist die Sara zugeordnete FKC-JMJ der „ausschließlich von der Kategorie der ‚Verheißung‘ her definierte Abrahambund“.48 Es entsteht in dieser Zuordnung ein Gegenüber von Sinai-FKC-JMJ und Abraham-FKC-JMJ, wobei letztere erstere überragt.49 Die Frage scheint m.E. hierbei zu sein, worauf man die zugespitzte Auslegung in Gal 4,21ff bezieht. Bezieht man sie auf Gen 15 und 17 zurück, ergibt sich das von D.A. Koch benannte Problem, dass der Abrahambund mit der Beschneidung verbunden ist.50 Kraus hält demgegenüber fest, dass Paulus selbst bereits eine Trennung Abrahams von der Beschneidung vornehme (Gal 3,6ff). Dies 44 Die Verheißung des Sohnes an Abraham und Sara ergeht in Gen 17,16. 45 Auf die exegetischen Probleme, die sich in V. 25 ergeben, kann hier nicht eingegangen werden, vgl. dazu GESE,  $IC?T 81–94; KOCH, Schrift, 206ff und SELLIN, Hagar, 59–84. 46 KRAUS, Volk, 240; VOGEL, Heil, 77, anders BETZ, Gal, 419: „Die beiden Bündnisse laufen auf zwei diametral entgegengesetzte Systeme hinaus: einen ‚alten Bund‘ (J RCNCKC? FKC-JMJ) und einen ‚neuen Bund‘ (J MCKPJ? FKC-JMJ).“ Für KOCH, Schrift, 205f setzt die Zuordnung von zwei FKC-JMCK, die sich aus der Genesis nicht entnehmen lasse, die in 1 Kor 11,23–25 enthaltene vorpaulinische Konzeption einer christologisch begründeten MCKPJ? FKC-JMJ voraus. Diese sei für Paulus aber nicht in gleicher Weise „lokalisierbar“ gewesen wie die alte. Dies wird von SCHWEMER, Stadt, 199 A. 21 bestritten, jedoch ohne direkt zu benennen, womit die zweite FKC-JMJ zu identifizieren sei. 47 JONES, Freiheit, 86. 48 VOGEL, Heil, 71. 49 So KRAUS, Volk, 240f. 50 KOCH, Schrift, 205f A. 16.

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sei den ganzen Brief hindurch der Fall. Zwar sei diese Vorgehensweise vor dem Hintergrund rabbinischer Hermeneutik anfechtbar, und eine derartige Zusammenordnung von Beschneidung, Gesetz und Sinaibund sei auch nur möglich, wenn die Beschneidung als Inbegriff des Gesetzesgehorsams gelte (Gal 5,3!), doch die Argumentation stelle sich bei Paulus als „Kehrseite seiner These von der Glaubensgerechtigkeit“ dar.51 Kraus geht von dem Umstand aus, dass die Abrahams-FKC-JMJ in der Genesis in zwei Varianten erzählt wird: Gen 15,1–21 und 17,1–27 – die paulinische Argumentation deutet Kraus von Gen 15, nicht von Gen 17 her. Die Beschneidung als Bundeszeichen enthalte aber nur der priesterschriftliche Bericht (17), nicht der jahwistische (15).52 Das Zitat in Gal 3,6 stammt jedenfalls aus Gen 15,6. Die paulinischen Bezüge zu Gen 17 seien entweder „unspezifisch“ (vgl. Gal 3,16 auf Gen 17,8) oder inhaltlich nicht weiter relevant (Gen 17,5.17 in Röm 4,17.19). Im Gegenteil argumentiere Paulus in Röm 4,9ff ausdrücklich gegen Gen 17. Der Bund der Verheißung sei Abraham im Stande der Unbeschnittenheit gegeben worden, weshalb auch die Verheißungs-FKC-JMJ den Wert des Beschneidungsbundes übersteige.53 Als Begründung gibt Kraus folgende: „Was im Gal in der erregten Situation argumentativ noch einen mehr thetischen Eindruck hinterlässt, wird in Röm 4 sorgfältig durchformuliert. Sachlich besteht jedoch kein Unterschied.“54 Unabhängig von der eben geführten Debatte über die Bedeutung der beiden FKC-JMCK ist deutlich geworden, dass die ungleichgewichtige Durchführung der Antithese eine starke Fokussierung auf die C PY ,GTQWUCNJO zufolge hat. Dieser Ausdruck steht am Anfang von V. 26, ihm wird das Attribut G NGW-GTC beigegeben und mit dem Mutterschaftsmotiv verbunden. Gleichzeitig kommt erstmals in dem Possessivpronomen die angesprochene Gruppe (zusammen mit dem Apostel) in den Blick. Danach folgt ein Schriftzitat aus Jes 54,1[LXX], welchem eindeutig begründende Funktion zukommt (IGITCRVCK ICT) und das in doppelter Hinsicht passend gewählt ist: 1) UVG”TC bezieht sich auf Gen 11,30 und damit auf Sara. Es ist davon auszugehen, dass dieser Zusammenhang von den Zuhörern sofort hergestellt wird und von Paulus dies auch so intendiert war. 2) Das Zitat stammt aus Jes 54, wo ab V. 11bff dem als kinderlose Frau personifizierten Zion/ Jerusalem künftiges Heil zugesagt wird. Das Mutterschaftsmotiv und das Unfruchtbarkeitsmotiv, die ebenfalls beide eine breitere alttestamentlichneutestamentliche Tradition aufzuweisen haben, führen auf zwei weitere Deutungsprobleme: Zum einen stellt sich die Frage, wie die vorübergehende Unfruchtbarkeit der C PY ,GTQWUCNJO zu deuten ist, zum anderen 51 52 53 54

KRAUS, Volk, 241. KRAUS, Volk, 241 A. 274 beruft sich auf neuere quellenkritische Forschungen. KRAUS, Volk, 242. KRAUS, Volk, 242 A. 276.

Gedankengang und Argumentation in Gal 4,21–5,1

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ergibt sich eine gewisse Kollision der Motivik, denn in 4,19 bezeichnet Paulus die Galater als seine Kinder und sich selbst damit implizit als Mutter (vgl. die Wendung in V. 19: RCNKP Y FKPY). Die vorübergehende Unfruchtbarkeit wird aus dem Text selbst nicht erklärt.55 M.E. kann sich eine Erklärung aus Gal 4,16ff ergeben. Paulus beklagt, dass sich die Galater von ihm abgewandt haben und sich von den Gegnern umwerben lassen. In diesem Zusammenhang heißt es: „Meine Kinder, die ich abermals unter Wehen gebäre, bis Christus in euch Gestalt werde.“ Hier wird die Verbindung zu 4,27 und dem Jesajazitat greifbar. Die Unfruchtbarkeit im Galaterbrief ist auf die gegenwärtige Gemeindesituation zu beziehen. In beiden Fällen handelt es sich um die metaphorische Beschreibung der Lage. Söllner beschreibt den Zusammenhang von V. 19 und V. 27b mit dem Erfüllungsgedanken: „Im LXX-Zitat wird mit der Wendung J QW M Y FKPQWUC die vorübergehende Unfruchtbarkeit Zions beschrieben. Gleichermaßen bedeutet dies jedoch, daß bei der Erfüllung des verheißenen Kinderreichtums auch zukünftige Geburtswehen einhergehen müssen. Aus dem Blickwinkel von V. 19 bedeutet dies, daß es Paulus selbst ist, der die verheißenen Geburtswehen erleidet.“56

Die doppelte Verwendung des Verbums Y FKPY zeige dabei, wie eng Paulus die Zugehörigkeit der Galater zu ihm selbst und der C PY ,GTQWUCNJO zusammenrückt. Der von Söllner angemerkte inadäquate doppelte Gebrauch der Mutterschaftsmetapher57 kann relativiert werden, wenn man die Metapher genau beschreibt. Eigentlich handelt es sich um eine Geburts- verbunden mit der Kindschaftsmetapher (in beiden Fällen VGMPC, in beiden Fällen Y FKPY, nicht OJVJT!). 4,25ff stellt insofern eine Weiterführung des in 4,19 enthaltenen Gedankens dar, als Paulus die Perspektive weitet. Er spricht nicht mehr von sich als dem Gemeindegründer bzw. -begleiter, sondern von der Mutter aller Christen, dem „oberen Jerusalem“. Ein Abweichen der Galater von dem durch Paulus gewiesenen Weg und ein Sichwerbenlassen von Gegnern, entspricht nicht der neu gewonnenen Zugehörigkeit zur C PY ,GTQWUCNJO und damit nicht der Freiheit, die durch Christus erreicht worden ist (5,1). Die Intention des Paulus liegt auf der Hand: Es geht ihm um eine mit einem bekannten Motivkomplex verdeutlichte Bestimmung der neuen religiösen Zugehörigkeit der Galater. Sie gehören als „Kinder der Verheißung“ (V. 28) dem oberen Jerusalem an und sind damit als Befreite dem Gesetz enthoben. V. 28 nimmt mit der Wendung MCVC? ,UCCM m.E. deutlich Rückbezug zu Gal 3,16: „Nun ist die Verheißung Abraham zugesagt und 55 SÖLLNER, Jerusalem, 157. 56 SÖLLNER, Jerusalem, 158 57 SÖLLNER, Jerusalem, 158.

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seinem Nachkommen (MCK? V URGTOCVK CW VQW ). Es heißt nicht: und den Nachkommen (QW NGIGK MCK? VQ”L URGTOCUKP), als gälte es vielen, sondern es gilt einem: und deinem Nachkommen, welcher ist Christus.“ Hier findet sich nun doch eine echte typologische Auslegung: Paulus bezieht Isaak auf Christus. Hierauf nimmt V. 28 deutlich Bezug: MCVC? ,UCC?M G RCIIGNKCL VGMPC G UVG58 

5. Das Motiv der C PY ,GTQWUCNJO in Gal 4 im Zusammenhang mit Phil 3 sowie ein Vorausblick auf die Wiederaufnahme des Motivs in der Alten Kirche Das Motiv im Zusammenhang mit Phil 3 und die spätere Wiederaufnahme Wie bereits angedeutet, wird die Wendung C PY ,GTQWUCNJO nicht selten unter die bekannten Motivvarianten vom himmlischen Jerusalem subsumiert. Eine Näherbestimmung der paulinischen Verwendungsweise ist daher dringend erforderlich. Im Vergleich zu sonstigen Varianten des Motivs vom „oberen“ bzw. „himmlischen“ Jerusalem ist festzuhalten, dass die C PY ,GTQWUCNJO bei Paulus nicht mit lokalen bzw. topographischen Konkretionen verbunden ist. Dies gilt in zweifacher Hinsicht: 1) Es unterbleiben jegliche Näherbestimmungen des oberen Jerusalem, wie etwa in Offb 21,16ff oder jüdisch-christlichen Apokalypsen. Die C PY ,GTQWUCNJO ist weder als paradiesischer Garten noch als wehrhafte Burg beschrieben. 2) In Gal 4,25f ist auch nichts gesagt über eine Wanderung bzw. Flucht der Gläubigen zur Himmelsstadt. Auch hierin unterscheidet sich die paulinische Variante der Vorstellung deutlich z.B. von Hebr 12,2259 oder 2Hen 55,2 („Denn ich werde morgen hinaufgehen in den Himmel in das oberste Jerusalem in mein ewiges Erbteil“).60 Die C PY ,GTQWUCNJO ist auch nicht als zukünftige Ersetzung des irdisch-gegenwärtigen Jerusalem gedacht, die auf die Erde herabkommt, wie in Offb 21,2 oder 4Esr 7,26 („Dann wird die unsichtbare Stadt erscheinen und das jetzt verborgene Land sich zeigen“).61 Sie fungiert weder als himmlischer Ruheort (MCVCRCWUKL wie Hebr 3 oder der Ruheort in JosAs) noch als himmlischer Ort der Zuflucht wie in der alttestamentlichen Zionsvorstellung (Sach 2,15, vgl. auch die RQNKL MCVCHWIJL in JosAs 15). 58 Die Kindschaftsmetaphorik zieht sich ferner durch Gal 3 und 4 hindurch (vgl. 3,26; 4,1ff.19), ebenso wie die Erbschaftsmetapher (3,18 und 4,30 im Zitat aus Gen 21,10). 59 Siehe dazu unten IV.3.3. 60 Der von BETZ, Gal, 424 gebrachte Vergleich der paulinischen Vorstellung mit 2Hen 55,2 („wer dort wohnen will, muss dorthin aufsteigen“) bleibt, wie gesagt, unverständlich. 61 Vgl. auch 4Esr 10,40ff (Zion erscheint als Frau).

Das Motiv im Zusammenhang mit Phil 3 und die spätere Wiederaufnahme 135 Vor allem die in der älteren Forschung vertretene und an philosophischen Kategorien orientierte Beschreibung des himmlischen Jerusalem mit der Urbild-Abbild-Theorie verstellt den Weg für eine textgemäße Interpretation von Gal 4,21–5,1.62 Die Versuche, ein zeitliches oder kategoriales (im Sinne von ‚Urbild-Abbild‘) Nacheinander in Gal 4,25f einzutragen, verkennen, dass es sich um zwei zeitgleiche und „streng disparate“63 Größen handelt, die sich antithetisch gegenüberstehen.

Die Galater laufen Gefahr, in eine irdischen Kategorien verhaftete Religiosität zurückzufallen (4,8.10). Dazu zählt für Paulus vor allem der Rückfall unter das Gesetz (4,21). Söllner vermutet in diesem Zusammenhang, dass die Gegner, an die sich seiner Ansicht nach 4,21ff auch richtet,64 „ihre Zugehörigkeit, möglicherweise sogar ihre Herkunft aus der Stadt Jerusalem als zentrales Beweisargument für ihre Position angeführt [haben]. Dieses wird ihnen von Paulus [...] destruiert, indem er die PWP ,GTQWUCNJO als eine ausschließlich negative Größe bewertet.“65 Paulus verdeutlicht den Galatern die neue durch die Befreiungstat Christi bewirkte Existenz mittels des Motivs „oberes Jerusalem“. Er verwendet dabei eine den Adressaten plausible Metaphorik (Anspielung auf das neue Jerusalem, die Mutterschafts-, Unfruchtbarkeits- und Kindschaftsmetapher) und baut diese in die allegorische Schriftauslegung ein. Ob nun das obere Jerusalem als präexistente Größe im echten Sinne gedacht ist, ist m.E. zweitrangig und anhand von Gal 4 nicht ersichtlich.66 Festzuhalten ist aber, dass es sich um eine präsentisch gedachte Größe handelt und nicht um eine erst für die Zukunft erwartete. Dies ist sprachlich eindeutig (vgl. das Präsens) und gedanklich logisch (Muttermetapher). An einen zukünftigen Heilsort für die Gerechten o.ä. ist hier nicht gedacht. Vielmehr steht das Motiv „oberes Jerusalem“ bei Paulus für die Versinnbildlichung der Relation zu einer neuen Bezugsgröße. Die Mutterschaftsund Kindschaftsmetapher verstärken das relationale Verständnis des Motivs. Hierin liegt m.E. auch die hervorstechende sachlich-theologische Verbindung zum Motiv der himmlischen Bürgerschaft in Phil 3,20 (mit 1,27). Dabei ist beiden Motivvarianten gemeinsam, dass der lokale oder topographische Aspekt, den sowohl das RQNKVGWOC als auch in noch stärkerem Maße 62 U.a. LIETZMANN, Gal, 33: „Diese himmlische, bei der Endvollendung in Erscheinung tretende Stadt ist also das ‚praeexistente Jerusalem‘, die platonische ‚Idee‘ Jerusalem, deren schwaches Abbild die irdische Stadt ist.“ Vgl. dazu bereits die Kritik von SCHMIDT, Jerusalem, 214. 63 SÖLLNER, Jerusalem, 163. 64 SÖLLNER, Jerusalem, 147. 65 SÖLLNER, Jerusalem, 164. 66 SÖLLNER, Jerusalem, 165 weist mit Nachdruck darauf hin, dass es unpräzise und unsinnig sei, „himmlischen Größen per se das Präexistenz-Siegel aufzudrücken.“ SCHWEMER, Stadt, 226 hält klärend fest: „Präexistenz im strengen Sinne kommt für Paulus nur Christus, dem Schöpfungsmittler, zu, das ‚obere Jerusalem‘ dagegen verdankt seine Existenz dem Anbruch der ‚Neuen Schöpfung‘, MCKPJ? MVKUKL.“

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die Stadt Jerusalem suggerieren, zugunsten des relationalen stark zurücktritt. Dies wird bisher in der Forschung kaum in den Blick genommen.67 In Gal 4,21ff zeigen gerade die Verbindungen der C PY ,GTQWUCNJO zur Mutterschafts- und Kindschaftsmetapher, dass es zum einen um das Verhältnis der Christen zu der alttestamentlichen Verheißung an Abraham geht, zum anderen um die Relation der christlichen Gemeinde zu bisherigen Bezugsgrößen. Daher ist auch die adverbiale Asymmetrie zwischen PWP und C PY zentral für die Intention des Paulus, die neue christliche Identität im Horizont der Befreiungstat Christi (5,1) zu veranschaulichen. Ähnliches findet sich in Phil 3. Paulus wendet sich gegen einen (möglicherweise fiktiven, aber denkbaren) gegnerischen Standpunkt, der den besonderen Wert der Herkunft und Abstammung hervorhebt (3,3ff) bzw. von einem besonderen Vollendungsbewusstsein (3,12ff) ausgeht. Paulus antwortet in 3,14 mit der C PY MNJUKL, einem ebenfalls im Corpus Paulinum singulären Ausdruck. Auch hier wird einer gegenwärtigen Größe eine „obere“ gegenübergestellt anstatt einer „zukünftigen“. Deutlicher ist der Gegensatz dagegen in 3,19 und 3,20. Das RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L wird als Begründung dafür eingeführt, dass Paulus die irdische Gesinnung (V. 19 VC? G RKIGKC HTQPQWPVGL) ablehnt. Die Bezugsgröße der Christen ist nicht das irdisch-politische Bürgerrecht, auf dass die Bewohner der römischen Kolonie Philippi stolz sind, sondern das himmlische RQNKVGWOC. Hier tritt der lokale Aspekt des Wortes, der ohnehin auch in den antiken Texten sehr selten belegt ist,68 ebenfalls zurück zugunsten des relationalen. Es geht um das Verhältnis der Christen zu dieser Bezugsgröße, versinnbildlicht in dem politischen – und in Philippi besonders plausiblen – Konzept vom RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L. Auch auf Phil 1,27 muss in diesem Zusammenhang noch einmal verwiesen werden. In Gal 4,21–5,1 wird das ‚obere Jerusalem‘ als Motiv für die christliche G NGW-GTKC eingesetzt, die gleichsam als neue, durch Christus bereitete Identität der Christen zu verstehen ist.69 Ch. Markschies bringt den Begriff des „Realitätsverlustes“ der Vorstellung vom „himmlischen Jerusalem“ in die Diskussion ein. Seiner Ansicht nach „ist der zunehmende ‚Realitätsverlust‘ der Vorstellung von einem ‚himmlischen Jerusalem‘ in der antiken christlichen Theologie schon sehr früh angelegt, im Grunde schon im Neuen Testament – genauer an der Stelle, an der auch die ‚theologische Verdopplung‘ Jerusalems erstmals im christlichen Kontext bezeugt 67 SÖLLNER, Jerusalem, 167f wendet sich gegen das Verständnis der C PY ,GTQWUCNJO als eschatologischen Heilsort. 68 Siehe dazu oben I.6. 69 So VOLLENWEIDER, Freiheit, 288: „Die Identität der Christen besteht in ihrer Freiheit.“ Er bezeichnet zu Recht die Freiheit als eines der Leitmotive des Galaterbriefes, das eine „Drehscheibenfunktion“ habe und die beiden Hauptteile des Galaterbriefes (‚Kampfeslehre‘ und ‚Ermahnung‘) in das richtige Verhältnis zum Evangelium setze (VOLLENWEIDER, Freiheit, 285).

Das Motiv im Zusammenhang mit Phil 3 und die spätere Wiederaufnahme 137 ist, im paulinischen Galaterbrief.“70 Unter dem Realitätsverlust der Vorstellung versteht Markschies die zunehmende Ablösung der literarisch konstituierten Vorstellung des himmlischen Jerusalem von der irdisch-realen Stadt und ihrer Bedeutung für das Juden- und Christentum. Diese Tendenz äußert sich z.B. in der Offenbarung des Johannes darin, dass der Autor „die traditionellen Bilder vom endzeitlichen Tempel und der endzeitlichen Gottesstadt so zur ‚Verschmelzung‘ bringt, daß der Tempel in diesem Prozeß verschwindet (vgl. Apk 21,22).“71 Die weitere Entwicklung in der Verwendung der Vorstellung des himmlischen Jerusalems bei christlichen Theologen ist damit vorgeprägt.72 Nach der Analyse einiger Textbelege in der frühchristlichen und altkirchlichen Literatur hält Markschies fest, dass christliche Theologen zunehmend weniger das Theologumenon von der Himmelsstadt verwendeten, um die Hoffnung auf die eschatologische Restauration der Gottesstadt auszudrücken, sondern statt dessen diese Stadt entweder wieder real verorten (z.B. Pepuza, Tymion, Rom) oder sie aber in spirituellen Orten suchten (z.B. in der Seele oder der Kirche).73

Markschies beschreibt damit völlig zutreffend eine Tendenz, die sich in Gal 4 und auch schon im Philipperbrief zeigte. Es handelt sich um eine Spiritualisierung bestimmter konkreter Vorstellungswelten, sei es die antike Polis, das Bürgerrecht oder die Stadt Jerusalem. Für diese Tendenz sind zahlreiche Parallelentwicklungen in der griechisch-römischen Philosophie zu benennen.74 Vor allem in kosmopolitischen Ideen, aber auch in der hellenistischen und späteren Popularphilosophie75 sind auffällige Parallelen zu christlichen Texten zu beobachten. Da es im zweiten Jahrhundert zu literarischen Auseinandersetzungenzwischen Christen und Philosophen kommt, ist auch eine gegenseitige Bezugnahme auf Ideen und Terminologie nicht mehr unwahrscheinlich. Insbesondere bei Clemens von Alexandrien76 wird deutlich, wie ein christlicher Theologe und Philosoph die unterschiedlichen Traditionen und Vorstellungswelten aus Religion und Philosophie und antiker Mythologie zusammenführen kann.

70 MARKSCHIES, Jerusalem, 306. 71 MARKSCHIES, Jerusalem, 309. 72 Dazu im Detail: MARKSCHIES, Jerusalem, 310: Bei vielen christlichen Autoren „führten der Realitätsverlust bei der Vorstellung vom ‚himmlischen‘ Jerusalem und die gezielte theologische Entwertung der konkreten irdischen Stadt gleichen Namens dazu, daß die im Judentum ursprünglich ganz konkrete eschatologische Vorstellung einer Himmelsstadt sich unter der Hand in eine vergleichsweise unbestimmte Metapher für das in Christus geschehene und offenbar gewordene Heil verwandelt hat.“ 73 MARKSCHIES, Jerusalem, 330. 74 Siehe im Detail oben I.4. 75 Siehe dazu unten V.4. 76 Siehe dazu unten Kap. VI.3.

Exkurs zu 2. Korinther 5,1–10 Exkurs zu 2. Korinther 5,1–10 Exkurs zu 2. Korinther 5,1–10 Eine motivgeschichtliche Untersuchung zur „himmlischen Bürgerschaft“ und verwandten Vorstellungen kann an 2Kor 5,1–10 nicht vorübergehen.1 Dieser Text wird in der neutestamentlichen Forschung seit jeher kontrovers beurteilt.2 Entsprechend groß ist die Zahl der Deutungsansätze3 und der Literatur dazu.4 Das Hauptproblem, das die Forschung zu 2Kor 5 beschäftigt, hängt mit der Einordnung der dort entfalteten Vorstellung in den Gesamtzusammenhang paulinischer Eschatologie zusammen.5 Der Leser von 2Kor 5,1–10 bemerkt zum einen Unterschiede im Vergleich zu 1Thess 4,13–18 und 1Kor 15,35–57, zum anderen aber auch eine signifikante Übereinstimmung zwischen 2Kor 5,1–10 und Phil 1,18b–26.6 Dieser Umstand wird mit einer Entwicklung in der paulinischen Eschatologie erklärt.7 Als wahrscheinlichste Ursache für diese an den Texten erkennbare Entwicklung gilt den Auslegern, dass es in den Gemeinden unterschiedliche Anfragen an die christliche Eschatologie gibt. Steht in 1Thess die Frage im Vordergrund, was mit den vor der Parusie verstorbenen Christen geschieht, so geht es in 1Kor 15 um die Frage nach der leiblichen Auferstehung. Nun ist die paulinisch-urchristliche Eschatologie kein einheitlichgeschlossenes Lehrsystem,8 und entsprechend unterschiedlich fallen die Antworten des Paulus auf die in den Gemeinden virulenten Fragen aus. Ferner ist auch die Chronologie der paulinischen Briefe zu berücksichtigen. Seine Antwort in 1Thess 4,13 leitet Paulus auffälliger Weise mit den Worten ein: „wir wollen euch nicht in Unkenntnis lassen über die Entschla1 So findet sich 2Kor 5 auch in der Untersuchung zur himmlischen Dimension im paulinischen Denken von LINCOLN, Paradise, 60–71, der sich u.a. mit Gal 4, Phil 3, Eph 2 und Kol 3 befasst. 2 Siehe z.B. LANG, 1/2Kor, 285: „Die Spannungen innerhalb des Abschnitts und sein Verhältnis zu 1. Thess 4,13ff. und 1. Kor 15 haben der historischen Auslegung schon immer Schwierigkeiten bereitet.“ 3 Einen guten Überblick über die verschiedenen Deutungsansätze bietet WOLFF, 2Kor 101–106. Vgl. zu 2Kor 5,1–10 auch die jüngst erschienene Habilitationsschrift von M. VOGEL, Commentatio mortis. 2. Kor. 5,1–10 auf dem Hintergrund antiker ars moriendi, Göttingen 2006. 4 Die ältere Literatur überblickt LANG, 2. Korinther 5,1–10. 5 Vgl. zu Tendenzen und Interessen der neueren Forschung SCHNELLE, Einleitung, 115–116. 6 So die Textabgrenzung nach MÜLLER, Phil, 56 (dort auch weitere Literatur). 7 Vgl. z.B. WIEFEL, Hauptrichtung, 65–81 oder SCHNELLE, Wandlungen. Für LINDEMANN, Paulus (1991), 393 gehen die sprachlichen Differenzen zwischen 1Kor 15 und 2Kor 5 nicht auf eine Entwicklung im Denken zurück, „sondern es handelt sich um eine Folge der veränderten Kommunikationssituation im Dialog zwischen Paulus und den Korinthern.“ M.E. schließt das eine das andere hierbei aber keineswegs aus! 8 Vgl. WIEFEL, Hauptrichtung, 66.

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fenen“.9 Hier wird sichtbar, dass Paulus, der erst kurz zuvor aus Thessaloniki abgereist ist, bisher über die Frage nach Tod und Leben noch nicht gesprochen hat. Auf die Sorge der Gemeindeglieder angesichts einiger aktueller Sterbefälle, bei einem Tod vor der Parusie nicht teilzuhaben an der Christusgemeinschaft, entfaltet Paulus folgende Vorstellung: Nach dem Ertönen des Kommandos beginnt der Herr herabzusteigen, wobei währenddessen die Toten auferstehen. Diese werden dann zusammen mit den Überlebenden in die Luft entrückt,10 und alle gemeinsam begegnen dort dem herabsteigenden Kyrios. Am Ende erlangen alle die immerwährende Christusgemeinschaft (UW?P MWTK G UQOG-C).11 Dabei verwendet Paulus in V. 17 den Ausdruck C RCPVJUKL, welcher aus dem Herrscherzeremoniell stammt.12 Die Bedeutung und Verwendungsweise des Begriffs C RCPVJUKL ist in der Forschung umstritten. N. Walter hält z.B. fest, dass von einer regelrechten Einholung des Kyrios auf die Erde in 1Thess 4 nichts gesagt wird. Die Gläubigen würden vielmehr ihrer „himmlischen Heimat“ entgegengehen, um in sie einzugehen.13 Dagegen hält T. Holtz in seinem Kommentar fest: „Denn die Vorstellung ist klar die, daß der Kyrios vom Himmel herabfährt, die Entrückten ihm entgegen, natürlich nicht zu einem Treffpunkt oder um ihn aufzuhalten (sc. wie Mt 8,34), sondern um ihn auf seinem Wege vom Himmel herab abzuholen. [...] [K]einesfalls ist die Luft als der bleibende Aufenthaltsort des Herrn und der Seinen nach ihrer Vereinigung gedacht.“14 Für A.M. Schwemer ist es durchaus denkbar, dass in 1Thess 4 auf Grund auch von 1Kor 15,23–28 doch an eine Art messianisches Zwischenreich zu denken ist. Sie führt weiter aus: „Das Herabkommen des himmlischen Jerusalem in Apk 21 konnte auch paulinischen Vorstellungen entsprechen. Paulus ist mehr apokalyptischer Realist als es die spätere platonisierend-idealistische Exegese wahrhaben wollte.“15 Holtz sieht dies skeptischer. Aus traditionsgeschichtlichen Erwägungen sei ein Zwischenreich unwahrscheinlich. Zudem sei Paulus erkennbar an der Frage nach dem Wie und Wo der Christusgemeinschaft nicht interessiert.16 M.E. wird an 1Thess 4 deutlich, dass der Apostel nicht an einen himmlischen Heilsort denkt (gegen Schwemer). Denn dafür wäre gerade in 1Thess 4,13–18 Gelegenheit gewesen, um den Thessalonichern mittels eines in apokalyptischen Farben ausgemalten Heilsortes im Sinne des himmlischen Jerusalems 9 Das Verb MQKOCU-CK ist – wie in der Antike und bis heute – gebraucht als Euphemismus für „sterben“ bzw. „tot sein“, so HOFFMANN, Toten, 186–202. 10 Die leibliche Entrückung war in der hellenistischen Umwelt geläufig. Entrückt werden dabei in der Regel Lebende unter Umgehung des Todes. Dass Tote, die schon eine Zeit im Grab liegen, entrückt werden, ist außer in 1Thess 4 meines Wissens nicht belegt. 11 Das Stück ist erkennbar von apokalyptischer Sprache und Motivik geprägt, weswegen VIELHAUER, Geschichte, 86 von einer „kleinen Apokalypse“ spricht. Näheres siehe z.B. im Kommentar von HOLTZ, 1Thess, v.a. 198–208. 12 Siehe zu dieser Zeremonie: LEHNEN, Adventus, 105–140 und konkret zu 1Thess 4,17 die zwar ältere, aber wichtige, Arbeit von PETERSON, Einholung, 682–702. 13 WALTER, Praeparatio, 260. 14 HOLTZ, 1Thess, 203. 15 SCHWEMER, Stadt, 227. 16 HOLTZ, 1Thess, 204.

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oder der Himmelsstadt ein Ziel ihrer Hoffnungen und Erwartungen anzugeben. Dies tut er gerade nicht. Paulus verdichtet in 4,17 die christliche Hoffnung über den Tod hinaus in dem Zielpunkt, der sich durch sein ganzes eschatologisches Denken als Konstante hindurchzieht MCK? QW VYL RCPVQVG UW?P MWTK G UQOG-C – „und so werden wir allezeit zusammen mit dem Herrn sein“.

Die Fokussierung der paulinischen Darstellung auf die konkrete Sorge der Thessalonicher ist auch daran ablesbar, dass Paulus den Gerichtsgedanken unerwähnt lässt, der aber in der urchristlichen Verkündigung generell, und auch bei ihm (vgl. Röm 2,5ff; 3,6; 5,19f; 1Kor 3,13ff; 2Kor 5,10) von Bedeutung ist.17 Die Frage nach der Leiblichkeit spielt hier keine Rolle: „Die einen stehen auf, die anderen werden entrückt, und beide sind ohne weiteres zum Sein beim Kyrios, zu einer ausserirdischen Daseinsweise befähigt.“18 In 1Kor 15 ist die Sache anders gelagert. Hier geht es um die Frage nach der leiblichen Auferstehung. Paulus antwortet mit dem Verwandlungsgedanken (1Kor 15,51: RCPVGL FG? C NNCIJUQOG-C). Paulus entfaltet eine eschatologische Vorstellung, die das Problem von Kontinuität und Diskontinuität aufnimmt, da wegen der fortgeschrittenen Zeit die Parusie Christi für viele Christen zu Lebzeiten nicht mehr selbstverständlich ist. Für sie stellt sich die Frage der Leiblichkeit bei der Auferstehung. Die Auferweckung und Entrückung aus 1Thess 4 sucht man in 1Kor 15 vergeblich, statt dessen führt Paulus in 15,53 zum ersten Mal die Gewandmetapher ein: „Denn dies Verwesliche muss anziehen (G PFWUCU-CK) die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen Unsterblichkeit“. Schaut man von hier aus auf 2Kor 5,1–10, fällt auf, dass Paulus aus der Fülle des in 1Kor 15 verarbeiteten Materials19 ausgerechnet die Gewandmetapher aufnimmt und in die Vorstellung vom Überkleidetwerden des irdischen Leibes durch den himmlischen Bau übergehen lässt. In 2Kor 5,1–10, so die These zahlreicher Kommentatoren, entfaltet Paulus eine vorrangig individuell orientierte Eschatologie.20 Dies wird deutlich an der Bildwahl, vor allem an dem sonst bei Paulus und im Neuen Testament nicht mehr vorkommenden Wort UMJPQL, welches sich von UMJPJ (Zelt) ableitet, aber wohl ausschließlich in übertragenem Sinne als „Leib“ verstanden wurde.21 17 Dazu WIEFEL, Hauptrichtung, 70. 18 WIEFEL, Hauptrichtung, 70. 19 Vgl. die Saatmetapher in 15,36–38 und 15,42–44 oder die GK MYP–Vorstellung in 15,49. 20 BARTH, KD IV/2, 710–711 betont dagegen, dass der Text primär ekklesiologisch-eschatologisch zu verstehen sei (sein Hauptargument ist neben dem pluralis apostolicus et ecclesiasticus die Baumetapher, die nur ekklesiologisch zu verstehen sei), siehe dazu WOLFF, 2Kor, 103. 21 Vgl. dazu WOLFF, 2Kor, 107 und MICHAELIS, Art. UMJPJ MVN., 383. Bei den Apostolischen Vätern und bei Philo ist das Wort nicht belegt. Interessant ist neben anderen Parallelen (dazu BAUER-ALAND, Wörterbuch, s.v.) der pseudoplatonische Dialog Axiochos, auf den oben in Kap. I.4 schon eingegangen wurde. Hier wird in 365E–366A eine (freilich bis auf die Seelenvor-

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Interessant ist, dass sich in 2Kor 5,1 ein deutlicher Hinweis darauf findet, dass Paulus auf Vorstellungen zu sprechen kommt, die der christlichen Gemeinde bekannt sind (QK FCOGP).22 Die Vorstellung, dass der Leib eine vergängliche und damit vorübergehende Behausung der Seele ist, ist vor allem im hellenistischen Denken und in der griechischen Philosophie geläufig (Philo, praem. 120; somn. I 20; Plato, Phaid. 81C–E). Den einzigen biblischen Beleg23 von UMJPQL (außer in 2Kor 5) liefert SapSal 9,15: H-CTVQ?P IC?T UYOC DCTWPGK [WZJP MCK? DTK-GK VQ? IGYFGL UMJPQL PQWP RQNWHTQPVKFC.24

Wiefel weist darauf hin, dass dieser Gedanke erst im späteren christlichen Sprachgebrauch an Bedeutung gewinnt (2Petr 1,13f25; Diog 6,826; Tatian, apol. 15,3 und Clemens, strom. V 15,94).27 In 2Kor 5 findet sich aber nicht nur die „UMJPQL-Vorstellung“, sondern – wie bereits erwähnt – auch der Gedanke, dass der irdische Leib überkleidet werden wird und nicht nackt bleibt (5,2–4). Damit dürfte sich Paulus wohl gegen die in der Philosophie als Ideal geltende Vorstellung abgrenzen, dass die Seele, nur wenn sie nackt und entkleidet ist, völlig frei ist vom Leiblich-Irdischen (Plato, Gorg. 523C–E; Max. Tyr. 7,5a–e28 sowie Philo, leg. all. II 59; virt. 7629). Paulus vermeidet es allerdings, von der Seele zu sprechen. Hier besteht der wesentstellung) mit 2Kor 5 vergleichbare Vorstellung entfaltet. Wichtige Parallelen aus der Philosophie zu 2Kor 5,1–10 sind auch aufgeführt bei STRECKER/SCHNELLE, Wettstein (Bd. II/1), 443–449. 22 Ein Vergleich mit Röm 8,22.28 und 1Kor 8,1.4 stützt diese Vermutung. 23 Als alttestamentliche Parallele wäre Jes 38,12a zu nennen. Hier ist die Zeltvorstellung enthalten, nicht aber die Trennung von Leib und Seele, was hebräischem Denken nicht entsprechen würde: „Meine Hütte ist abgebrochen und über mir weggenommen wie eines Hirten Zelt (UMJPJ in LXX).“ Am Rande sei auf Hi 4,19 hingewiesen. Hiob vertraue mehr denen, „die in Lehmhütten wohnen und auf Staub gegründet sind und wie Motten zerdrückt werden.“ 24 „Denn der vergängliche Leib beschwert die Seele, und die irdische Hütte drückt den viel überlegenden Geist nieder.“ Der Vers enthält vier hapax legomena in der LXX (DTK-Y IGYFJL [nur SapSal 15,13], UMJPQL und RQNWHTQPVKL), was darauf schließen lässt, dass die hier entfaltete Anthropologie weniger biblischem Denken entspricht, sondern vielmehr hellenistisch beeinflusst ist. 25 V. 14: „Denn ich weiß, dass ich meine Hütte (UMJPYOC) bald verlassen muss, wie es mir auch unser Herr Jesus Christus eröffnet hat.“ 26 Diog 6,8 stellt eine eschatologische Weitung zu 5,9 („auf Erden verweilen sie, im Himmel aber sind sie Bürger“) dar: „Unsterblich wohnt die Seele in einer sterblichen Behausung (UMJPYOC); ebenso wohnen die Christen als Beisassen in vergänglichen Behausungen, erwartend die Unvergänglichkeit im Himmel.“ 27 WIEFEL, Hauptrichtung, 75. Ausgesprochen auffällig ist hierbei m.E., dass es sich bei den genannten Belegen um Autoren handelt, bei denen das ebenfalls in frühchristlicher Literatur seltene Motiv der himmlischen Bürgerschaft belegt ist (Diog 5,9; z.B. strom. IV 172,2; vielleicht Tatian 19,2). Dies lässt vermuten, dass Einzelmotive und Vorstellungen einer zunehmend hellenistisch geprägten Eschatologie, die im späteren Denken des Paulus von Bedeutung sind, für diese Autoren von besonderer Wichtigkeit für ihre eigene Argumentation und damit wohl auch für ihre Adressatenschaft waren. 28 Die Texte sind zugänglich in STRECKER/SCHNELLE, Wettstein (Bd. II/1), 445–446. 29 Dazu auch WOLFF, 2Kor, 110; WIEFEL, Hauptrichtung, 75–76.

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liche Unterschied z.B. zu Philo von Alexandrien, für den auch die Ausreise der Seele aus dem Körper in die himmlischen Gefilde ein Ideal darstellt (conf. 77f). Auch hier kann noch einmal verwiesen werden auf das Motiv der himmlischen Bürgerschaft: Während bei Paulus in Phil 3,20 (mit 1,27) die Bezugsgröße für alle Christen mit einem politischen Bild (RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L und RQNKVGWGU-CK) veranschaulicht wird, dient das Motiv bei Philo dazu, die eigentliche Heimat der Seelen der Weisen zu beschreiben (conf. 77f), in die sie nach der Erdenreise (C RQFJOG”P) zurückkehren. Auffällig ist aber trotzdem, dass Paulus in 2Kor 5 neben UMJPQL und dem Überkleidetwerden eine dritte Vorstellung einführt: das Daheimsein bzw. Auswandern (V. 6: G PFJOG”P – G MFJOG”P). Hier steht die Fremdlingsmetapher im Hintergrund, die sich sonst bei Paulus nicht findet. Möglicherweise wurde Paulus in Korinth mit leibfeindlichen Vorstellungen aus hellenistischer Philosophie konfrontiert, die von einem Auswandern der Seele aus dem Leib handelten. Paulus verarbeitet aber nicht wie z.B. Philo, der Hebräer-, Epheser-, oder der 1. Petrusbrief die RCTQKMQL-Vorstellung.30 Dagegen macht er seine Position klar: „Wir leben im Glauben, nicht im Schauen“ (V. 7: FKC? RKUVGYL IC?T RGTKRCVQWOGP QW FKC? GK FQWL). Damit führt er die Instanz des Glaubens ein und fügt die Mahnung hinzu, dem Herrn wohlgefällig zu sein und zwar GK VG G PFJOJUCK GK VG G MFJOJUCK (V. 9). Treffend drückt P. Hoffmann aus, wie die paulinische Darstellung zu verstehen ist: „Die Fremdheit in der Welt und die Heimat bei Gott treffen immer den ganzen Menschen mit Leib und Seele.“31 Vergleicht man schließlich noch 2Kor 5 mit Phil 1,23, so liegt nach Wiefel der Schluss nahe, dass Paulus offenbar mit seinem eigenen Tod und mit dem Tod vieler Christen vor der Parusie rechnet, und dass dies mit zu der Entwicklung in seinem eschatologischen Denken beigetragen hat. Eine Hellenisierung der Eschatologie ist ebenso spürbar wie eine Individualisierung.32 Am Schluss seiner Untersuchung hält er fest: „In dem noch rein apokalyptischen Stück 1. Thess. 4,17 gilt das Ziel des eschatologischen Geschehens, „bei dem Herrn zu sein allezeit“. In dieser Zielbestimmung liegt die sich durchhaltende Kontinuität der paulinischen Eschatologie. Der unterschiedliche Kontext, in dem sie jeweils begegnet, dort als Schlussakt des apokalyptischen Dramas, hier als Ausdruck der Sehnsucht nach der Christusgemeinschaft unmittelbar nach dem Tode, verdeutlicht die Hauptrichtung des Wandels, der sich im eschatologischen Denken des Paulus vollzogen hat.“33

30 Dazu FELDMEIER, Christen, 82. Die Fremdlingsmetapher werde – so Feldmeier zu Recht – bei Paulus nicht auf die Existenz der Gemeinde in der Welt übertragen. 31 HOFFMANN, Toten, 282. 32 WIEFEL, Hauptrichtung, 77. 33 WIEFEL, Hauptrichtung, 81.

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Mit Blick auf die motivgeschichtliche Untersuchung ist von Belang, dass man an den paulinischen Briefen (und der weiteren neutestamentlichen und frühchristlichen Literatur, die sich auch auf Paulus beruft) feststellen kann, dass einzelne theologische Gedanken reformuliert und aktualisiert werden und je dem kulturellen und damit auch dem religiösen und philosophischen Wissen der Rezipienten angepasst werden.34 Bei genauerer Betrachtung fällt dabei auf, dass vielleicht manchmal eine größere Kontinuität in der Sache erkennbar ist, als dies bisweilen angenommen wird. Insbesondere, wenn die Gegnerfrage und das Bestreben, die gegnerische Position durch mirror reading genau(er) zu bestimmen, im Zentrum der Interpretation stehen, wird m.E. der Blick verstellt für die im Text oft versteckten Indizien einer Akkulturation der Evangeliumsverkündigung im Spannungsfeld von Integration und Abgrenzung, dem die christliche Gemeinde und die Verkündigung ausgesetzt sind. Treffend bringt dies N. Walter auf den Punkt: Es ist [...] ein wichtiges Ergebnis, daß der generelle Trend zu einer gewissen Hellenisierung des paulinischen Denkens in Sachen Eschatologie deutlich zutage tritt. Dies sollte man durchaus mit dem Auftrag des Apostels zur Heidenmission in Verbindung bringen; denn eine Verkündigung, die nur im Modus der Abgrenzung gegenüber dem angezielten Kulturkreis erginge, hätte wenig Chancen, ihre Adressaten zu erreichen. Ohne ein bestimmtes Maß an ‚Inkulturation‘, das aber nicht mit einer vollen inneren Angleichung zu verwechseln ist (auch das sahen wir ja an dem ‚Modellfall‘ 2Kor 5,1–10), kann auch die Verkündigung des Evangeliums keine neuen Hörer finden.35

34 Hier sei nochmals an die soziokulturellen Bezugsgrößen erinnert (siehe Einleitung), im Einfluss derer (nicht nur) der antike Mensch steht. Wandeln sich diese, muss sich auch die Evangeliumsverkündigung in Form und Sprache ändern, ohne dabei etwas an ihrer „ewigen Wahrheit“ einzubüßen. 35 WALTER, Eschatologie (1996), 64.

IV. Motivverwandtes im Epheser-, Kolosserund Hebräerbrief Motivverwandtes im Eph, Kol und Hebr Die „Sympolitie“ mit den Heiligen (Eph 2,19)

1. Die „Sympolitie“ mit den Heiligen (Epheser 2,19) 1.1 Hinführung Innerhalb des Epheserbriefes findet sich in dem Textabschnitt 2,11–22 das kleine, durch mehrere sprachliche Signale abgegrenzte, Stück V. 19–22. Formgeschichtlich ist nicht klar, wie der Text zu beurteilen ist.1 Es handelt sich aber – jenseits dieser Diskussion – um eine für die Ekklesiologie des Epheserbriefes wichtige Passage, in der die Baumetaphorik eindeutig im Vordergrund steht.2 Um so interessanter ist es, dass sich hier auf dichtem Raum auch noch die Fremdlingsmetapher und die aus dem Bereich der Politik stammende Sympolitie-Vorstellung finden (V. 19): $TC Q¬P QW MGVK G UVG? EGPQK MCK? RCTQKMQK C NNC? G UVG? UWORQN”VCK VYP C IKYP MCK? QK MG”QK VQW -GQW 

Sprachlich und inhaltlich liegt eine Verwandtschaft zum Motiv der „himmlischen Bürgerschaft“ vor. Zudem hat man durch den Gegensatz „Fremde“ – „Mitbürger“ den Eindruck, dass hier an eine „Bürgerschaft“ als Analogie zur politischen Bürgerschaft gedacht ist.

1.2 Eph 2,19 in der Forschungsliteratur Eph 2,19–22 ist sprachlich als Schlussfolgerung aus dem bisher Gesagten gekennzeichnet (C TC Q¬P). Der Text weist erkennbar auf das Vorangegangene zurück: „Sie sind nicht mehr Fremde (EGPQK) und Anwohner (RCTQKMQK), sondern Mitbürger (UWORQN”VCK) der Heiligen und Hausgenossen (QK MG”QK) Gottes. Die vier Ausdrücke korrespondieren in gewisser Weise den vier Kennzeichnungen ihres vorchristlichen Status in V 12, aber nicht völlig. Das rückweisende ‚nicht mehr‘ und die Anrede (‚ihr

1 Vgl. z.B. NAUCK, Eph 2,19–22,362–371 (vgl. dazu kritisch MERKLEIN, Amt, 119ff). 2 So MUSSNER, Eph, 88f; vgl. auch ältere Arbeit von PFAMMATTER, Die Kirche als Bau.

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seid‘) machen den Rückblick auf VV 11–12 gewiß; aber erst die positive Bestimmung dessen, was sie jetzt sind, legt die Sinnspitze frei.“3

Nach R. Schnackenburg leitet der Doppelausdruck „Mitbürger der Heiligen“ und „Hausgenossen Gottes“ zu dem folgenden Bild von der Kirche als Bau über.4 In ihm haben die ehemaligen Heiden die Gottesgemeinschaft erreicht, aber nicht in der Weise, dass die Heiden zum Gottesvolk Israel hinzuaddiert werden, sondern „dadurch, daß Israel und die Heiden einen neuen gemeinsamen Zugang zum Vater haben (V 18), nämlich in der Kirche, die auf einem anderen Fundament (V 20) erbaut ist.“5 Zu fragen ist, welche Bedeutung und traditionsgeschichtliche Herkunft der Ausdruck UWORQN”VCK VYP C IKYP in V. 19 besitzt. Sprachlich scheint sich der Verfasser des Epheserbriefs an die RQNKVGKC VQW ,UTCJ?N (V. 12) anzulehnen.6 Nach Schnackenburg können mit den C IKQK keine Judenchristen gemeint sein,7 sondern es müssten vielmehr alle Mitglieder der Kirche gemeint sein, die bereits in 1,1 angesprochen sind. Als „ernstlich zu bedenkende Möglichkeit“ erwägt Schnackenburg, die Engel als Repräsentanten der himmlischen Gemeinde (1,18) zu deuten.8 Hierzu führt er Qumrantexte an, die dies nahe legen könnten.9 Aber vor allem die Verbindung mit den QK MG”QK VQW -GQW machten diese Vermutung wahrscheinlich: Mitbürger der Heiligen seien alle Christen, die zum himmlischen Gottesstaat gehören.10 Mit der Engelgemeinde und den vollendeten Christen sind diese dann verbunden (wie auch in Hebr 12,2f; Apk 7,1–10; 14,1–5). Warum verläuft dann der „Umweg“ über diese eigentümliche Formulierung? Schnackenburg führt dazu an, dass der Gedanke von der Mitbürgerschaft um der besseren Verständlichkeit für das „innerweltliche Weltgefühl“11 des Lesers ergänzt wird durch die Vorstellung von der Gottesfamilie, wie sie in dem Ausdruck QK MG”QK VQW -GQW angedeutet ist. Der Hausgenosse (QK MG”QL) stellt ein im Urchristentum und Judentum bekanntes Bild dar (in 3 SCHNACKENBURG, Eph, 120. 4 So mit Blick auf QK MG”QK auch bereits DIBELIUS, Kol, 71. Auf den Terminus UWORQN”VCK geht Dibelius nicht ein. 5 SCHNACKENBURG, Eph, 120f. 6 Zur Problematik des Verhältnisses von Kirche und Israel, einem überaus vielschichtig diskutierten theologischen Thema, das hier nicht behandelt werden kann, sei hingewiesen auf RESE, Vorzüge, 211–222 und SCHNACKENBURG, Exegese, 467–491. 7 SCHNACKENBURG, Eph, 121 und LINDEMANN, Eph, 53f (dagegen u.a. VIELHAUER, Oikodome, 123f; STRATHMANN, Art. RQNKL MVN, 535). 8 SCHNACKENBURG, Eph, 121. HOFIUS, Gemeinschaft, 189–190 deutet die C IKQK als Engel. 9 Zu dieser These siehe auch LINDEMANN, Eph, 54. 10 So SCHNACKENBURG, Eph, 122 mit Verweis auf Phil 3,20. 11 SCHNACKENBURG, Eph, 122.

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Motivverwandtes im Eph, Kol und Hebr

der LXX: Spr 17,9 neben HKNQK; Am 6,10; Jes 3,6; 31,9; 58,7 vgl. auch Hebr 3,1–6).12 Für F. Mußner sind die Termini UWORQN”VCK und QK MG”QK (Eph 2,19) in einem spiritualisierten Sinne zu verstehen.13 Damit verbunden werden tempeltheologische Traditionen,14 wonach sich im Tempel der Wohnsitz der Herrlichkeit (FYDM) Gottes befindet (1Kön 8,11; 2Chr 5,14; Ez 8,1–3; 10,4; 43,4f). Ferner wird auch auf Texte aus Qumran verwiesen (z.B. auf 1 QM XII 1: „Denn die Menge der Heiligen ist [bei dir] im Himmel, der Engel Heere [sind] in deiner ewigen Wohnung“, vgl. auch XII 4.7).15 1.3 Die UWORQN”VCK VYP C IKYP und die himmlische Bürgerschaft Nach den kurzen Ausführungen über das Verständnis von Eph 2,19 in der Forschung, ergeben sich für die Frage nach dem Zusammenhang von Eph 2,19 und dem Motiv der himmlischen Bürgerschaft folgende mögliche Schlüsse: (1) Der Sprachgebrauch in 2,19 rührt von 2,12 her, d.h. die UWORQN”VCK VYP C IKYP sind auf die RQNKVGKC ,UTCJN bezogen.16 Mit den Worten H. Merkleins gesagt, heißt dies: „Kirche ist Israel, aber eschatologisches Israel. Durch die Heilstat Christi ist der Schritt von der Verheißung zur Erfüllung getan.“17 Die Trennung in Juden und Heiden (2,14ff) ist aufgehoben, beide sind gleichberechtigte Mitbürger im Hause Gottes. (2) Der Sinn der hier gebrauchten Vorstellung liegt genau darin, dass die angesprochenen Christen zusammen mit den als „Heilige“ Bezeichneten und mit Gott (als seine QK MG”QK) gleichsam in einer Gemeinschaft als RQN”VCK leben.18 Wie kommt nun Israel mit hinzu? Dies funktioniert m.E. 12 Zu den Bildern vgl. SCHNACKENBURG, Eph, 122. 13 MUSSNER, Eph, 92: „Eine höhere, geistlich-eschatologische Politik stellt sich ein. Erfüllung wird zur Überbietung (ähnlich wie im Hebräerbrief).“ 14 Siehe zu diesem Bereich grundsätzlich SCHREINER, Sion-Jerusalem. GNILKA, Eph, 155 weist auch auf Paulus hin (1Kor 3,16f; 6,19 – die Gemeinde und der einzelne Christ als Tempel). Siehe auch GESE, Vermächtnis, 195f. Anklänge an die Tempelmetaphorik finden sich auch in Eph 3,17–19, dazu Näheres bei GESE, Vermächtnis, 203f. 15 Nach MAIER, Qumran-Essener (Bd. 1), 142f. MUSSNER, Eph, 91: Im Hintergrund stehe „die Überzeugung, der geistliche Tempel des Herrn zu sein. Von dieser ‚Tempeltheologie‘ läßt sich das auftauchende Wortfeld als ein zusammengehörendes erkennen und erklären“. Siehe auch GNILKA, Eph, 154f, wobei er als Vergleichsmaterial – das freilich seinerseits anderen Einwirkungen unterworfen ist – auch Apk 21,9ff und die Turmvision im Hirten des Hermas nennt. Siehe auch GESE, Vermächtnis, 196. 16 Vgl. VIELHAUER, Oikodome, 123f: Wäre dem nicht so, „so hinge V. 12 beziehungslos in der Luft und die Anspielungen des Vokabulars von V. 19ff auf V. 12 wären sinnlos.“ 17 MERKLEIN, Amt, 131. 18 Nach FAUST, Pax, 91 gehören die Ausdrücke in V. 12 und V. 19 zu einer „genuin politischen Terminologie“. Im folgenden (98–104) ordnet Faust Eph 2,19 den verschiedenen, bei Philo, in neutestamentlichen und frühchristlichen Texten und in der hellenistischen Philosophie enthal-

„Suchet, was droben ist“ (Kol 3,1–4)

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über die Vorstellung von der Sympolitie, die in der Antike zwischen zwei oder mehreren Städten üblich ist. Dabei ist es möglich, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft und Poliszugehörigkeit, in der Sympolitie als einem auch bürgerrechtlich relevanten Zusammenschluss die gleichen Rechte haben und nicht mehr in der jeweils anderen Stadt als RCTQKMQK leben müssen. Somit ist es sehr wohl möglich, dass Christen und die Angehörigen der RQNKVGKC ,UTCJN (V. 12) sich als UWORQN”VCK VYP C IKYP MCK? QK MG”QK VQW -GQW in Gemeinschaft begegnen. Das Verständnis der Gemeinschaft Gottes mit den Menschen als „Mitbürgerschaft“ ist i.ü. auch in der frühchristlichen Literatur bisweilen deutlich enthalten: z.B. bei Clemens von Alexandrien.19 (3) Auf jeden Fall ist erkennbar: „Der durch die Heilstat Christi eröffnete Zutritt umfaßt [...] von der Tradition her einen breiten Bildkomplex: Es ist das Motiv der Gemeinschaft mit den Himmlischen, zugleich aber auch das Bild der Gottesstadt, des himmlischen Jerusalem, in dem die Glaubenden Bürgerrecht haben (vgl. RQNKVGWOC Phil 3,20), und des eschatologischen Zion, auf den sie als lebendiger Tempel gebaut sind (vgl. Ps 74,2).“20

2. „Suchet, was droben ist“ – Kolosser 3,1–4 „Suchet, was droben ist“ (Kol 3,1–4) 2.1 Hinführung Im Brief an die Kolosser verwendet der Autor in 3,1–4 eine Formulierung, die an das Motiv der himmlischen Bürgerschaft erinnert: (1) (K Q¬P UWPJIGT-JVG V ;TKUV VC? C PY \JVG”VG Q¨ Q ;TKUVQL G UVKP G P FGEK VQW -GQW MC-JOGPQL  (2) VC? C PY HTQPG”VG OJ? VC? G RK? VJL IJL  (3) C RG-CPGVG IC?T MCK? J \YJ? W OYP MGMTWRVCK UW?P V ;TKUV G P V -G  (4) Q VCP Q ;TKUVQ?L HCPGTY- J \YJ? W OYP VQVG MCK? W OG”L UW?P CW V HCPGTY-JUGU-G G P FQE21 

tenen, spiritualisierten Konzepten – wie „himmlische Stadt“ oder „oberes Jerusalem“ – zu. Ähnlich, aber wesentlich kürzer, fällt die als „religionsgeschichtliche Einordnung“ gekennzeichnete Verortung der Vorstellung aus Eph 2,19 bei LONA, Eschatologie, 348–349 aus. 19 Siehe dazu unten Kap. VI. 20 GESE, Vermächtnis, 200. 21 „Wenn ihr nun mit Christus zusammen auferweckt seid, sucht das Obere, wo Christus sich befindet, zur Rechten Gottes sitzend; richtet euch auf das Obere aus, nicht auf das, was auf Erden ist. Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit.“

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Motivverwandtes im Eph, Kol und Hebr

Zwar fehlt ein expliziter Hinweis auf den politischen Bereich und die Bürgerschaftsvorstellung, doch andere sprachliche Elemente machen es durchaus wahrscheinlich, dass der Verfasser hier – wohl im Sinne des Paulus (Phil 3,19ff) – an eine himmlische Bezugsgröße anknüpft, die für das Denken und Handeln der Glaubenden bestimmend sein soll. Auffällig ist der in dieser substantivierten Form im Neuen Testament singuläre Gebrauch von VC? C PY sowie der Umstand, dass sowohl C PY als auch das Verb \JVGY und die Formulierung OJ? VC? G RK? VJL IJL in Phil 3 eine wichtige Rolle spielten. Bei aller sprachlichen Verflechtung mit Phil 3,19ff, die im folgenden näher untersucht wird, zeigen sich im Kolosserbrief aber auch Unterschiede in christologischer und soteriologischer Hinsicht, auf die ebenfalls kurz einzugehen sein wird. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf die semantischen Voraussetzungen für 3,1–4, die den Leser auf den religiös-philosophischen Hintergrund des Kolosserbriefes stoßen lassen. 2.2 Kol 3,1–4 – ein Aufruf zum Perspektivwechsel Der Textabschnitt 3,1–4 fungiert im Kolosserbrief nach E. Schweizer als „Übergangsabschnitt“ zwischen dem Zuspruch des Heils in 1,12–2,23 und dem daraus sich ergebenden Aufruf zum neuen Leben (3,5–4,6).22 Der Abschnitt sei klar gekennzeichnet von den zwei Sphären: „auf Erden“ (oder „in der Welt“ 2,20) und „oben“.23 Analog zu Kol 2,20 („wenn ihr nun mit Christus den Mächten der Welt gestorben seid“) wird in 3,1 die im Aorist formulierte christologische Voraussetzung vorangestellt („wenn ihr nun mit Christus auferstanden seid“), worauf die Mahnung VC? C PY \JVG”VG folgt. Anders als bei dem abstractum VC? C PY zunächst zu denken wäre, wird mit der himmlischen Größe nicht unmittelbar, wie in Phil 3,20, eine eschatologische Erwartung verbunden, sondern der Aussagesatz: „wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes“. Auf Grund der bereits durch die Taufe vollzogenen Christusgemeinschaft muss sich die „Suche“ der Christen auch auf den Ort ausrichten, an dem sich Christus befindet. Durch den Zusammenhang zu Kol 1,5 wird diese räumliche Kategorie verknüpft mit der im Himmel bereitliegenden Hoffnung. V. 2 ergänzt und konkretisiert die Mahnung aus V. 1 in zweierlei Hinsicht: Zunächst finden wir ein anderes Verb der geistigen Ausrichtung: HTQPGY, was an Philipper 3,15.19 erinnert. In V. 2 macht der Verfasser des Kolosserbriefes deutlich, worauf die Ausrichtung 22 Zu Kol 3,1–4 siehe auch den Überblick bei LONA, Eschatologie, 172–174. 23 SCHWEIZER, Kol, 135. Zur rhetorischen Gestaltung siehe WOLTER, Kol, 164f.

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nicht bezogen sein soll: OJ? VC? G RK? VJL IJL (vgl. Phil 3,19). Damit werden die Forderungen der Philosophie indirekt wieder aufgenommen. Es handelt sich um menschliche Lehren (Kol 2,22), die wertlos sind und nur das Fleisch befriedigen (2,23). Was in der Zukunft noch aussteht, ist nach Kol 3,4 das Offenbarwerden der Getauften in Herrlichkeit: Q VCP Q ;TKUVQ?L HCPGTY- J \YJ? W OYP VQVG MCK? W OG”L UW?P CW V HCPGTY-JUGU-G G P FQE 

Die beiden verwendeten Verben der geistigen Ausrichtung geben m.E. am ehesten Aufschluss über die argumentative Zielrichtung von 3,1–4. Zur traditionsgeschichtlichen Einordnung gehören auf jeden Fall pagane, alttestamentliche, jüdisch-hellenistische und paulinische Elemente.24 (1) Das Verb \JVG”P bezeichnet u.a. „das weltanschauliche Suchen und Fragen des Menschen überhaupt“25. Alttestamentlich gesehen ist \JVGY die bewusste und willentliche Hinwendung des Menschen zu Gott. In der LXX meint \JVGY die griechische Entsprechung zu SD, was u.a. auch „zu erreichen suchen“, „danach trachten“ bedeutet. Objekt des Suchens ist im Alten Testament oftmals Gott (Ps 40,17; 69,7; 105,3; Esr 8,22), der Name Gottes (Ps 83,17) und sein Wort (Am 8,12). Irdisches Trachten nach Recht im Vergleich zu Gottes richterlichem Handeln spricht Spr 29,26 an: „Viele suchen das Angesicht eines Fürsten; aber eines jeglichen Recht kommt vom Herrn.“ In 1Kor 1,22 kommt \JVGY an einer für das hier in Frage stehende Verständnis zentralen Stelle vor: >@ ,QWFC”QK UJOG”C CK VQWUKP MCK? (NNJPGL UQHKCP \JVQWUKP 

Hier führt Paulus geradezu zwei „Klischees“ an: Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen nach der Weisheit. Der Apostel spricht mit dieser Aussage die Polarisierung und Konkurrenz an, die das Wort vom Kreuz in Korinth ausgelöst hat.26 Jüdische Zeichenforderung und griechische Philosophie jedoch sind für Paulus nicht die Elemente, die die Integration der Gemeinde fördern, sondern im Gegenteil: Sie bedrohen die Einheit und könnten zur Spaltung führen. Daher grenzt sich der Apostel deutlich ab (1Kor 1,23):

24 Traditionsgeschichtlich sieht SCHWEIZER, Kol, 132 hinter V. 1b verschiedene Vorstellungen zugrunde liegen: Plato, Philo und die jüdisch-pythagoräische Philosophie), aber auch das AT (Gen 11,5; Ex 15,9; Ps 14,2; Ez 1,26; Dan 7,13; ferner Sir 51,9f und Qumran): „Paulus spricht vom ‚oberen Jerusalem‘ im Unterschied zum ‚jetzigen (!)‘ oder von der ‚oberen Berufung‘ zur künftigen (!) Totenauferstehung. Er interpretiert also mit seinen räumlichen Begriffen nur die eschatologische Differenz (Gal 4,25f; Phil 3,13f).“ 25 GREEVEN, Art. \JVGY MVN, 895. 26 MERKLEIN, 1Kor, 187: „Mit der Bemerkung, daß ‚die Griechen Weisheit suchen‘ spielt Paulus auf die griechische Weisheitsliebe (Philosophie) an. Sie dürfte auch der christlichen Gemeinde von Korinth, und in ihr insbesondere den Gebildeten, nicht fremd gewesen sein.“

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Motivverwandtes im Eph, Kol und Hebr

J OG”L FG? MJTWUUQOGP ;TKUVQ?P G UVCWTYOGPQP 

Die klare Abgrenzung des Wortes vom Kreuz als ,QWFCKQKL OG?P UMCFCNQP und G -PGUKP FG? OYTKCP verdeutlichen dies.27 Christliches \JVG”P soll nach Röm 2,7 ausgerichtet sein auf FQEC VKOJ und C H-CTUKC. Recht konkret ist das Streben (G RK\JVG”P) der Heiden nach irdischen Dingen wie Trinken, Essen und Kleidung in Mt 6,32 angesprochen. In 6,33 wird dann das Objekt christlichen Suchens und Strebens angegeben: =JVG”VG FG? RTYVQP VJ?P DCUKNGKCP VQW -GQW 

Es besteht also kein Zweifel darüber, dass – wie an diesen Stellen exemplarisch gezeigt – das Verb \JVGY auch im Horizont philosophischen Strebens und Suchens zu verstehen ist. Dies belegen insbesondere auch philosophische Texte (Epiktet, diss. I 28,20 und IV 1,51). Auch in Apg 17,27 verbindet sich mit dem Ausdruck \JVG”P VQ?P -GQP eine philosophische Haltung.28 Zusammenfassend kann gesagt werden: Mit dem Verb \JVG”P ist eine „Existenzorientierung gekennzeichnet, die auf ein bestimmtes Heilsgut ausgerichtet bzw. in ihrer Handlungsintention von diesem bestimmt und geleitet ist.“29 (2) Mit HTQPG”P (Kol 3,2) begegnet dem Leser ein weiteres Verb der geistigen Ausrichtung, das bei Paulus häufiger vorkommt. In Phil 3,19 werden die QK VC? G RKIGKC HTQPQWPVGL als Gegenfolie zu dem einen Vers später erwähnten J OYP IC?T VQ? RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L genannt. Verbunden mit HTQPGY ist stets der Wunsch des Apostel nach der inneren Einheit der Gemeinde (2Kor 13,11; Röm 15,5 und auch Phil 4,2 bzw. Phil 2,5; Gal 5,10). Insofern zielt das Verb nicht nur auf geistige Ausrichtung, sondern auch auf die Integration der christlichen Gemeinde. Wenn in Kol 3,1f die Orientierung auf „das, was droben ist“ (VC? C PY) mit den Verben HTQPG”P und \JVG”P verbunden wird, ist dabei der philosophische Bedeutungshintergrund zu berücksichtigen.30

27 MERKLEIN, 1Kor, 188: „Mit der Betonung des Gekreuzigten ist zugleich festgestellt, warum Zeichenforderung und Weisheitssuche christlich ungeeignet sind. Ein gekreuzigter Messias ist kein Beglaubigungszeichen und kein Bild zur Verkörperung der Weisheit.“ 28 Belege bei Plato, Xenophon und Philo siehe GREEVEN, Art. \JVGY 894–896. 29 WOLTER, Kol, 166. 30 In apologetischem Zusammenhang ist als Parallele zu Kol 3,1–2 Minucius Felix 17,2 interessant: sacrilegii enim vel maxime instar est humi quaerere, quod in sublimi debeas invenire – „Es wäre geradezu ein schweres Verbrechen am Heiligsten, wollte man im Staube suchen, was man doch in der Höhe finden muss.“ Siehe dazu unten Kapitel VI.

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2.3 Kol 3,1–4 und Phil 3 – ein kurzer Vergleich Die paulinische Zeit-Perspektive des dialektischen „schon-jetzt“ und „nochnicht“ wird im Kolosserbrief in eine lokale Perspektive (irdisch-oben) transponiert. Ein Vergleich der theologischen Argumentation in Phil 3,2–21 und im 2. und 3. Kapitel des Kolosserbriefes weist allerdings deutliche Übereinstimmungen auf, die zeigen: Die endgültige Verwandlung in Herrlichkeit steht noch aus. Diese Übereinstimmungen31 legen es nahe, dass auch der Verfasser des Kolosserbriefes das paulinische Motiv der himmlischen Bürgerschaft kannte, für sein Anliegen aber in der politischen Zuspitzung vielleicht nicht adäquat war.32 Auffällig sind die Parallelen der Ausgangssituation, in der sich die Autoren befinden. Sie sehen sich der Gemeinde gegenüber, die in ihrer Heilsgewissheit erschüttert wird. Im Kolosserbrief geschieht dies durch die im Gewande einer HKNQUQHKC auftretenden Offenbarungsweisheit, im Philipperbrief sieht sich Paulus einer Ablehnung des NQIQL VQW UVCWTQW in Folge zunehmender kultureller und sozialer Assimilation gegenüber. Die beiden vorgeschalteten Beispiele in Phil 3,2–11 (die Irrelevanz der Beschneidung für das Heil der Christen) und 3,12–16 (gegen falsche Heilsgewissheit und Vollkommenheitsdenken) zielen ebenfalls auf die soteriologische Dimension. In beiden Fällen wird der gegnerische Standpunkt als „irdisch“ disqualifiziert und ihm somit seine Relevanz für die Erlangung des Heils abgesprochen. In Phil 3,19f geschieht dies zunächst über die Abgrenzung von „vielen, die zu Feinden des Kreuzes geworden sind und somit irdischer Gesinnung sind“, um dann das Ziel der Ausrichtung anzuführen: J OYP IC?T VQ? RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L W RCTZGK. (V.

20)

31 LONA, Eschatologie, 178 macht zunächst auf die Unterschiede in der Eschatologie bei Paulus und im Kolosserbrief aufmerksam. Der Himmel werde bei Paulus (Phil 3,19–21) als Zugehörigkeitsbereich verstanden, zu dem der Christ emporschaut und Christus erwartet. Im Kolosserbrief habe sich die „endgültige Wirklichkeit des Lebens“ bei der Taufe schon ereignet, ist aber nicht auf Erden, sondern nur im Himmel sichtbar. Trotz dieser Differenz zwischen dem Kolosserbrief und Paulus bleibt aber festzuhalten, dass in beiden Fällen aus der himmlischen Bezugsgröße, die jeweils christologisch gefüllt ist, Konsequenzen für das Hier und Jetzt abgeleitet werden. 32 Zur Rezeption vgl. u.a. MERKLEIN, Theologie, 45. Der Vorteil der Eschatologie im Kolosserbrief liege darin, dass sie „weitgehend von der Naherwartung entlastet ist, die in der nachapostolischen Zeit zunehmend zum Problem wurde. Dies dürfte auch der aktuelle Anlaß gewesen sein, daß Kolosser- und Epheserbrief ein räumlich orientiertes Schema in den Vordergrund schieben, das sie aber so weit, wie möglich, durch Übernahme paulinischer Terminologie und paulinischer Sachanliegen ‚paulinisieren‘.“ Siehe auch die zusammenfassenden Thesen bei MERKLEIN, Theologie, 62f. Speziell zum Epheserbrief siehe die neuere Arbeit von GESE, Vermächtnis, 76–78 mit einer Zitat- und Anspielungenübersicht. Für Gese liegt in Eph 2,19 der Text Phil 3,20 zugrunde.

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Motivverwandtes im Eph, Kol und Hebr

Der Abgrenzung folgt eine im Bild der himmlischen Bürgerschaft formulierte Identitätsaussage mit dem Ziel, den Adressaten die neue Bezugsgröße des christlichen Glaubens zu präsentieren. Das in der römischen Militärkolonie Philippi besonders plausible Bild vom RQNKVGWOC bleibt aber nicht losgelöst von der christlichen Verkündigung stehen, sondern es folgt der Satz in Vers 20b.21: G E Q¨ MCK? UYVJTC C RGMFGZQOG-C MWTKQP ,JUQWP ;TKUVQP 

Bei Paulus sind klar beide Perspektiven erkennbar: die temporale, insofern er die Erwartung des Retters anführt und die lokale, indem er die Zugehörigkeit wie eine politisch-staatsbürgerliche der Christen im Himmel verortet, d.h. an dem Ort, woher Christus erwartet wird. Der Kolosserbrief begegnet einer Philosophie, die offenbar mit konkreten Heilsmittlern wirbt, um in der Gegenwart das endgültige Heil selbst zu erlangen. Sie wird als „irdisch“ entlarvt, und der Blick soll sich nach oben richten, „wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes.“ Also auch hier: Ziel ist die Vergewisserung der Adressaten durch die Vorstellung von der Zugehörigkeit zu Christus im Himmel, die jetzt bereits besteht, später aber erst offenbar werden wird.33 Trotz der Differenz in der Eschatologie34 ist das argumentative Verfahren in beiden Texten m.E. vergleichbar. In beiden Fällen zeigt sich, dass allein die Zugehörigkeit zu Jesus Christus als dem Gekreuzigten und Auferstandenen (vgl. die beiden Christushymnen in Kol 1,10–15 und Phil 2,5–1135) die Identität der Gemeinde stiftet bzw. erhalten soll und zwar auf Erden wie als eschatologische Gemeinde. Zentral ist dabei die in 3,4 (UW?P CW V ) angedeutete Christusgemeinschaft, die an Paulus anschließt (vgl. Phil 1,23; 1Thess 4,17; auch Röm 8,17b). Eine Orientierung an lebensweltlichen Konzeptionen, Philosophien und anderen identitätsstiftenden Elementen, wie etwa dem römischen Bürgerrecht, sind für den Autor des Kolosserbriefes wie für Paulus zweitrangig und zum Heilserwerb irrelevant. 33 Der Satz „suchet, was droben ist“ (VC? C PY \JVG”VG) könnte einen Aufruf zur Weltflucht implizit enthalten. Doch die Entfaltung ab 3,5ff zeigt, dass dies nicht so ist. Dazu SCHWEIZER, Kol, 131: „im Gegenteil, nirgends anders als in der Welt und ihrem Leben drin, die seit Christi Erhöhung gewissermaßen schon ‚heimgeholt‘ sind, sollen sie dieses Ziel und diesen Sinn festhalten.“ 34 Die auffällige theologische Differenz zwischen Kol 3,1f und Phil 3,19ff besteht darin, dass in Phil 3,20f die Parusie angesprochen ist, während im Kolosserbrief mit der Offenbarung Christi auch die Christen offenbar werden (vgl. dazu WOLTER, Kol, 169). Die Eschatologie des Kolosserbriefes erwartet in der Zukunft nichts qualitativ Neues mehr, sondern „es geht um das InErscheinung treten dessen, was bereits ist“ (MERKLEIN, Theologie, 45). Insofern könnte man mit Lindemann auch von der „Aufhebung der Zeit“ oder von einer „zeitlosen Kirche“ sprechen (LINDEMANN, Aufhebung, 248). 35 Dazu MERKLEIN, Theologie, 44: Die beiden Hymnen sind ebenfalls von dem „Schema unten versus oben beherrscht“.

Motivverwandtes im Hebräerbrief

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3. Wanderschaftsmotiv, Fremdlingsmetapher und himmlische Stadt im Hebräerbrief (Hebr 11,13–16; 12,22 und 13,14) Motivverwandtes im Hebräerbrief 3.1 Hinführung An drei Stellen36 im Hebräerbrief finden sich Texte, die der irdischen Vorfindlichkeit der Christen eine himmlische Gegengröße gegenüberstellen: (a) 11,13–16: Als Fremdlinge auf Erden suchen sie die Heimat und sehnen sich nach dem himmlischen Vaterland, denn Gott hat für sie eine Stadt erbaut. (b) 12,22: „Ihr seid gekommen zum Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem.“ (c) 13,14: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ In 11,13–16 nimmt der Verfasser das Motiv der Fremdlingschaft und des himmlischen Vaterlandes auf, wobei das Beispiel der alttestamentlichen Patriarchen den Ausgangspunkt bildet. Wie Philo in Form der Allegorese bezieht der Verfasser das Land der Verheißung (11,9) auf das himmlische Vaterland (11,16). An anderer Stelle (12,22f) kommt der Verfasser des Hebräerbriefes auf die „Stadt des lebendigen Gottes, das himmlische Jerusalem“ als Gegenbild zum Berg Sinai zu sprechen (V. 18 gegen V. 22). Anders als z.B. in Apk 3,12 oder auch 4Esr 13,36 wird hier aber nicht jene apokalyptische Vorstellung verarbeitet, nach der das himmlische Jerusalem vom Himmel herab erscheinen wird. Im folgenden sollen die drei genannten Texte im Mittelpunkt stehen und auf ihre sprachlich-motivische und inhaltlich-theologische Verwandtschaft zu dem Motiv der „himmlischen Bürgerschaft“ beleuchtet werden. 3.2 Wanderschaft zum himmlischen Vaterland (Hebr 11,16) Der Vers 16 ist eingebunden in den Abschnitt 11,8–20, der von Abraham als Zeugen des Glaubens spricht (siehe auch schon Hebr 6,12ff): „An Gestalt und Geschichte Abrahams ist in besonderer Weise zu ‚lernen‘, was ‚Glaube‘ konkret und wirklich heißt, standhaltende Treue nämlich und unverrückbares Zutrauen zu Gottes Verheißung in allen Anfechtungen und Versuchungen“.37 36 Hinzu kommt noch die MCVCRCWUKL-Vorstellung im Hebr, die wegen der motivischen Nähe zu Joseph und Aseneth unter 2.2 behandelt wurde. 37 WEISS, Hebr, 583.

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Motivverwandtes im Eph, Kol und Hebr

Neben dem Abraham-Paradigma verarbeitet der Verfasser des Hebräerbriefes in diesem Abschnitt das Motiv der Fremdlingsexistenz der Christen in Verbindung mit dem Motiv der himmlischen Heimat. Dabei ist einerseits erkennbar, dass der Verfasser das Motiv der Fremdlingschaft aus der Abrahamerzählung selbst übernimmt, vgl. Gen 23,4: RCTQKMQL MCK? RCTGRKFJOQL G IY GK OK OG-+ W OYP 

Und er kennzeichnet dies sogar als Zitat: QK IC?T VQKCWVC NGIQPVGL G OHCPK\QWUKP Q VK



Andererseits ist klar ersichtlich, dass der Abschnitt auch in einer allgemeineren und prinzipiellen Weise den Motivkomplex Fremdlingsexistenz und himmlische Existenz enthält. Dies ist ersichtlich an der über Gen 23,4 hinausgehenden Ergänzung der Wendung „G RK? VJL IJL“ in V. 13 und an der Verwendung der für das Motiv charakteristischen politisch-rechtlichen Termini wie EGPQL RCTGRKFJOQL RCVTKL und RQNKL Damit knüpft der Verfasser des Hebräerbriefes deutlich erkennbar an die jüdisch-hellenistische Traditionsgeschichte des Motivs an. Vielfach ist der Zusammenhang zwischen diesen Aussagen im Hebräerbrief und den sogenannten „kosmologischen“ Passagen bei Philo von Alexandrien benannt worden.38 Wie bei Philo und im 1Petr (1,1 u. 2,11) finden sich auch im Hebr mehrere Termini zum Ausdruck der Fremdlingschaft. Es liegt nahe, dass die jeweils spezifische, d.h. rechtlich-technische, Bedeutung der Begriffe auch in der übertragenen Verwendung eine Rolle spielt bzw. bewusst der Aussageintention nutzbar gemacht wird. Der Terminus RCTGRKFJOQL impliziert im Unterschied zum RCTQKMQL kein dauerhaftes Wohnrecht. Der RCTGRKFJOQL besitzt demnach auch kein Bürgerrecht; sein Aufenthalt in einer Stadt ist zeitlich begrenzt.39 Das Wort wird von der LXX aufgenommen und charakterisiert dort insbesondere die Existenz Abrahams als RCTGRKFJOQL (vgl. Gen 23,4). M.E. impliziert die christliche Verwendung des Begriffs zur Beschreibung der als paradox empfundenen Existenz des Christen in der Welt sowohl die ihm eignende rechtliche Bedeutung als auch die durch die Vätergeschichte tradierte übertragende Bedeutung. Der Terminus wird zur Kennzeichnung der als Übergangsstation empfundenen irdischen Existenz. Gerade der Hebräerbrief zeigt dies durch die Erweiterung an: EGPQK MCK? RCTGRKFJOQK GK UKP G RK? VJL IJL (11,13). 

38 Vgl. dazu WILLIAMSON, Philo, 46–51. Siehe aber auch die deutlichen inhaltlich-theologischen Unterschiede wie vor allem in Bezug auf die Seele: Bei Philo geht es um die himmlische Herkunft der Seele des Weisen; vgl. BRAUN, Vaterland und auch WEISS, Hebr, 593 A. 46. 39 Belege bei SPICQ, Notes (Bd. 2), 669.

Motivverwandtes im Hebräerbrief

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Gleichzeitig kommt hier die positive Entfaltung der wahren Zugehörigkeit hinzu: das „himmlische Vaterland“. Die sozial verankerte Existenz der Christen wird als Übergangsphase beschrieben und daher verglichen mit dem Aufenthalt eines RCTGRKFJOQL in einer Stadt. Signifikant sind neben Anklängen an Philo, auch die Bezüge zu neutestamentliche Texten. Man fühlt sich bei Wendungen wie RCVTKFC G RK\JVQWUKP (V. 14) oder MTGKVVQPQL Q TGIQPVCK VQWV+ G UVKP G RQWTCPKQW (V. 16) 

an Phil 3,14 erinnert: FKYMY GK L VQ? DTCDG”QP VJL C PY MNJUGYL VQW -GQW 

bzw. auch an 3,19: QK VC? G RKIGKC HTQPQWPVGL (vgl. auch die bereits besprochene Stelle Kol 3,1f VC? C PY \JVG”VG und VC? C PY HTQPG”VG). Das argumentative Ziel sowohl des Väterparadigmas als auch der Motivik der Fremdlingschaft und der himmlischen Zugehörigkeit liegt in der Ergänzung der auf die Zukunft ausgerichteten Glaubensexistenz um die „vertikale Dimension“ des Glaubens.40 Die Plausibilität dieser Aussagen wird vom Autor bei den Adressaten vorausgesetzt: „Wer so wie die Väter seine gegenwärtige Existenz auf Erden als Fremdlingschaft versteht und bejaht, der kann – weil Gott selbst ja schon das Ziel der Glaubenswanderung ‚bereitet hat‘ – auch des guten Endes seiner Wanderung gewiß sein.“41

Die Argumentation läuft im Hebräerbrief also auch über eine Identifikationsfigur, in diesem Falle Abraham. Dies findet sachlich eine gewisse Parallele in der Leit- und Identifikationsfigur Aseneth in JosAs, wenngleich es im Hebräerbrief nicht zu einer Transformation der personalen in eine urbane Größe kommt. 3.3 Das himmlische Jerusalem (Hebr 12,22) V. 22 bildet das argumentative Gegenstück zu V. 18: QW IC?T RTQUGNJNW-CVG (V. 18) – C NNC? RTQUGNJNW-CVG (V. 22). E. Gräßer und H.-F. Weiß bezeichnen beide zu Recht die Aussagen als „Überschriften“42 für zwei sich gegen40 WEISS, Hebr, 595: „In die für die VV. 13–16 charakteristische Konzentration auf eine auf Zukunft ausgerichtete Glaubensexistenz ist damit auch hier wieder die ‚vertikale‘ Dimension des Glaubens hineingenommen – um auf solche Weise wiederum Raum zu schaffen für die Gewißheit des Glaubens, der noch im Raum des Unanschaulichen und Nicht-sichtbaren verharrt, gleichwohl jedoch den ‚Beweis‘ der ‚nicht-sichtbaren Dinge‘ in sich trägt (V. 1!).“ Möglicherweise liegt auch gerade in der Verbindung von 11,1 mit der Passage 11,13ff die theologische Weiterentwicklung in der Argumentation im Vergleich zu Phil 3. 41 WEISS, Hebr, 595. 42 GRÄSSER, Hebr, 302; WEISS, Hebr, 670.

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Motivverwandtes im Eph, Kol und Hebr

überstehende Teile: die Sinaioffenbarung (V. 18–21) und die Zionsdarstellung (V. 22–24). Der erste Teil, die Sinaioffenbarung, wird durch die aus der alttestamentlichen Theophanieschilderung bekannten Motive gestaltet: Feuer und Rauch (Ex 19,18), Posaune (Ex 19,16.19), Gewittersturm, Wolken und Dunkel (Ps 97,2ff).43 Der Autor des Hebräerbriefes gestaltet V. 18–21 zwar in den Farben der alttestamentlichen Sinaioffenbarung aus dem Exodusbuch, indem er traditionelle Motive übernimmt, doch lässt er sie insgesamt als unwirksam erscheinen.44 Vers 19b zeigt dies spätestens deutlich auf: ¸L QK C MQWUCPVGL RCTVJUCPVQ OJ? RTQUVG-JPCK CW VQ”L NQIQP 

– „wobei die Hörenden es sich verbaten, dass ihnen noch ein Wort hinzugefügt würde“. Aus der in Ex 20,18–21 und Dtn 5,22.25 bzw. 18,16b durch die Erschrockenheit der Hörer begründeten Bitte konstruiert der Autor des Hebräerbriefes eine schroffe Ablehnung des göttlichen NQIQL durch die Hörer.45 Wirkungsvoll steht V. 22 daher am Beginn des zweiten Teils der Formulierung in V. 18 gegenüber: C NNC? RTQUGNJNW-CVG 6KY?P Q TGK MCK? RQNGK -GQW \YPVQL ,GTQWUCNJ?O G RQWTCPK

Acht Deutungen werden für das Gegenbild zur Zionsoffenbarung angeführt, darunter allen voran die für die Untersuchung wichtigen lokalen Größen Zion, der Gottesberg und das himmlische Jerusalem als Apposition zur RQNKL des lebendigen Gottes.46 Wohl mittlerweile konsensfähig dürfte die von Gräßer geäußerte These sein, dass es sich nicht um ein apokalyptisches Motiv in Reinform handelt, sondern um eine modifizierte Version des auch in der Apokalyptik verbreiteten Motivs. Die Stadt kommt nicht etwa zu den Gläubigen herab (wie in 4Esr 13,36 oder Apk 3,12 bzw. Kap. 21). Es handelt sich vielmehr um eine Wanderschaft des Gottesvolkes zu dieser Größe hinauf.47 Davon abgesehen fällt aber auf, dass der Hebräerbrief in seiner facettenreichen Eschatologie durchaus die lokale (12,22) neben die temporale Dimension stellen kann (OGNNQWUC RQNKL in Hebr 13,14).48

43 Dazu im Detail: GRÄSSER, Hebr, 304–306 und auch WEISS, Hebr, 670–673. 44 Siehe GRÄSSER, Hebräer, 307. 45 Im Detail siehe GRÄSSER, Hebr, 307f. 46 Zu den weiteren Deutungen siehe u.a. GRÄSSER, Hebr, 311 oder WEISS, Hebr, 677ff. 47 GRÄSSER, Hebr, 313 mit BRAUN, Vaterland, 435 und GRÄSSER, Gottesvolk, 233–238. 48 Zur Eschatologie des Herbräerbriefes siehe oben unter I.2 und zur Frage nach der Bedeutung kultischer Sprache in Kap. 12 (insbesondere mit Blick auf das Verständnis von RTQUGTZQOCK) vgl. GRÄSSER, Hebr, 314ff.

Motivverwandtes im Hebräerbrief

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3.4 „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ – Hebr 13,14 In Hebr 13,14 – innerhalb des „eigentlichen Höhepunkts des Hebr“49 – wird, ohne explizit die himmlische Verortung der Stadt zu erwähnen oder abermals einen Bezug zu Jerusalem herzustellen, grundsätzlich festgehalten: QW IC?T G ZQOGP ØFG OGPQWUCP RQNKP C NNC? VJ?P OGNNQWUCP G RK\JVQWOGP50 

Auf zwei thematische Schwerpunkte macht dieser Vers, wie auch viele der bereits behandelten Textstellen zum Motivkomplex der „himmlischen Zugehörigkeit“, aufmerksam: Zum einen geht es um das Verhältnis von irdischweltlicher und vollendet-eschatologischer Existenz, oder, wie es E. Gräßer in Anlehnung an M. Dibelius formuliert, um die Frage, „wie sich geschichtliches und übergeschichtliches Leben im Christentum verhalten, nachdem die anfängliche Naherwartung des ältesten Urchristentums mehr und mehr zu einem Stück Dogmatik geworden ist, das man ehrfurchtsvoll überliefert und immer wieder neu deutet, ‚von dem man aber nicht eigentlich lebt‘.“51 Zum anderen geht es einmal mehr um das Spannungsverhältnis zwischen der frühchristlichen Gemeinde und der kulturell-geistigen und politischsozialen Umwelt.52 Äußerungen wie Hebr 13,14 stehen nicht im luftleeren Raum, sondern sind bedingt durch Voraussetzungen verschiedener Art. Viele der semantischen Voraussetzungen für den Motivbereich der himmlischen Zugehörigkeit wurden bereits erörtert.53 Gräßer geht in seinem Aufsatz über Hebr 13,14 näher auf die politischen Bedingungen für die urchristliche Fremdheit ein: „Wenn die frühen Christen von sich selber sagen, daß sie hier keine Polis haben, heißt das zunächst einmal, daß sie das entbehren, was den Griechen zu einem freien Bürger macht, was ihm Status gewährende Heimat ist und Identität verleiht: die Vaterstadt.“54

Das hier zugrunde liegende philosophische Problem löst die popularphilosophische Ethik dadurch, dass sie unter Zuhilfenahme aristotelisch-platonischer Modelle philosophische Tugenden mit sprachlichen Bildern verbindet und von der „Stadt der Tugend“ (Lukian, Hermot. 22ff) oder dem „Vaterland der Tugend“ (Philo, virt. 190) spricht. Es ist der Versuch, abseits von real-politischen Größen Sinn und Identität zu finden. Die Zugehörigkeit 49 50 51 52 53 54

GRÄSSER, Hebr, 399. „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ GRÄSSER, Stadt, 251 mit Bezug auf DIBELIUS, Evangelium, 14. Siehe dazu oben die Ausführungen in der Einleitung. Siehe oben in Kapitel I. GRÄSSER, Stadt, 253.

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Motivverwandtes im Eph, Kol und Hebr

definiert sich dann über das irdische Verhalten bzw. über Weisheit und Erkenntnis. Sie sind gewissermaßen das Abbild für die „eigentliche“ Zugehörigkeit einer auf Erden fremden Existenz. Diese Konstruktion neuer Sinnsysteme stellt aber trotz der weiten Verbreitung durch die Popularphilosophie nur für eine zahlenmäßig geringe Gruppe die Möglichkeit einer Identitätsstiftung dar.55 Sind die identitätsstiftenden Zugehörigkeiten in der Polis verwehrt, beginnt die Suche nach neuen Zugehörigkeiten. Ein Bereich, der größeren Bevölkerungsschichten zugänglich war,56 ist hier sicher in weiten Teilen das griechisch-römische Vereinswesen. Vielfach fungieren die vielen epigraphisch belegten Ämter als eine Art „Ersatzämter“ für die in der Verwaltung der Polis nicht erreichbaren.57 Das frühe Christentum wählt einen Weg, der mit dem der Philosophie verwandt, jedoch nicht identisch ist. Stoisch wie christlich ist der Gedanke, dass es sich bei dem Fremdsein um ein kategoriales Problem handelt, welches nicht durch einzelne Integrationsversuche gelöst werden kann. Der Autor des Hebräerbriefes empfiehlt daher zur Überwindung der Fremdheit das G EGTZGU-CK G EY VJL RCTGODQNJL – das Hinausgehen aus dem Lager „dorthin, wo Jesu Kreuz steht, um hier den jeden irdischen Status übersteigenden Heilsstatus zu gewinnen (Hebr 13,13).“58 Hier liegt ein theologischer Anknüpfungspunkt zu dem Motiv der himmlischen Bürgerschaft in Phil 3,20. Das RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L ist die für alle Gläubigen seit dem Christusgeschehen gültige Größe, der sie angehören – und zwar unabhängig von Bildung, sozialem Rang und Besitz. Nicht das Bürgerrecht in Philippi, welches zweifelsohne ein Statussymbol und Identitätsmerkmal war, nicht die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Bürger (RQNKVGWOC) sind heilsentscheidend, sondern sie gehören in den irdischen Bereich. Entscheidend ist, wie Paulus es in Phil 1,27 formuliert, „als Bürger einzig des Evangeliums würdig zu leben“. Eine weitere theologische Linie führt zum Galaterbrief (Gal 4,25f). Nicht die bisherige identitätsstiftende religiöse Größe Jerusalem ist der Bezugspunkt, sondern die C PY ,GTQWUCNJO, welche Paulus durch die Allegorese und den Kontext (die einleitende Frage in 4,20 und die Aussage 5,1) als Stadt der christlichen Freiheit vorstellt.

55 So ist es z.B. bei Philo stets der Weise, der im Mittelpunkt steht. Seine Seele ist auf Erden fremd und sucht das himmlische Vaterland. 56 Dies zeigen Untersuchungen zum antiken Vereinswesen, z.B. SCHMELLER, Hierarchie, 19–53; PLÜMACHER, Identitätsverlust, 10–25; AUSBÜTTEL, Untersuchungen, 34ff. 57 Dazu v.a. PLÜMACHER, Identitätsverlust, 10–25. 58 GRÄSSER, Stadt, 255.

V. Die Aufnahme des Motivs der himmlischen Bürgerschaft in der Schrift an Diognet (Diog 5) Die himmlische Bürgerschaft in Diog 5

1. Hinführung Das bisher an neutestamentlichen Briefen aufgezeigte Spannungsfeld zwischen Hinwendung zur und Abkehr von der Welt am Beispiel des Motivs der himmlischen Bürgerschaft ist auch in einem Zeugnis frühchristlicher Literatur des zweiten Jahrhunderts zu entdecken. Zur Veranschaulichung christlicher Existenzweise aus der Perspektive des christlichen Autors heißt es in der Schrift an Diognet (5,9) von den Christen: G RK? IJL FKCVTKDQWUKP C NN+ G P QW TCP RQNKVGWQPVCK1

Das folgende Kapitel untersucht das Motiv der himmlischen Bürgerschaft im Zusammenhang des fünften Kapitels der Schrift an Diognet unter besonderer Berücksichtigung des philosophischen Hintergrundes in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts.2 Es geht dabei u.a. um folgende Fragen: Handelt es sich bei dem Motiv der himmlischen Bürgerschaft in Diog 5,9 um einen Topos apologetischer Tradition (vgl. Tertullian, apol. 1,23) oder um die Verarbeitung philosophischer Gedanken (vgl. Marc Aurel 3,114)? Welche Traditionslinien reichen von Paulus, bei dessen Theologie der Verfasser immer wieder Anleihen nimmt, zur Schrift an Diognet? Wie ist das Verhältnis zu Philo von Alexandrien (vgl. z.B. conf. 77f5) zu bewerten? Welche Beziehungen gibt es zum Theologen und Philosophen Clemens von Alexandrien (vgl. 1 „Auf der Erde verweilen sie, aber im Himmel sind sie Bürger.“ 2 Auf die Verarbeitung des Motivs der himmlischen Bürgerschaft vor allem in der platonischen und stoischen Philosophie wurde bereits oben unter I.4 eingegangen. Platos Ideenlehre und die aristotelische Urbild-Abbild-Lehre verbinden sich mit stoischen Gedanken von der Weltflucht und kosmopolitischen Ideen und finden sich in einer Popularphilosophie zusammen, die im zweiten Jahrhundert n.Chr. in den gebildeten Kreisen weit verbreitet ist. 3 Von der christlichen Wahrheit heißt es: „Sie weiß wohl, dass sie als Fremdling auf Erden weilt (scit se peregrinam in terris agere), und unter Fremden leicht Feinde findet, dass sie im übrigen aber ihre Herkunft, Heimat, Hoffnung, ihren Lohn und ihre Würde im Himmel hat.“ 4 „Der Mensch lebt als Bürger der obersten Stadt, im Vergleich zu der die übrigen Städte wie Häuser sind“ (C P-TYRQP RQNKVJP Q PVC RQNGYL VJL C PYVCVJL ...). 5 In diesem Text geht es um die Reise (C RQFJOG”P) der Seelen der Weisen in ein himmlisches Vaterland (RCVTKL), in dem sie Bürger sind (RQNKVGWGU-CK), vgl. dazu oben Kap. I.3.

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Die himmlische Bürgerschaft in Diog 5

z.B. paed. III 99,16), in dessen Umfeld einige Forscher die Entstehung der Schrift an Diognet vermuten?

2. Skizze der Einleitungsfragen der Schrift an Diognet Skizze der Einleitungsfragen der Schrift an Diognet Nicht nur Autor, Entstehungszeit und -ort der Schrift sind unbekannt, sondern auch über ihre theologische Prägung und ihre Einordnung in die frühchristliche Literatur gibt es seit jeher kontroverse Diskussionen.7 Die Datierungsvorschläge seit 1825 reichen von trajanischer Zeit bis hinauf in nachkonstantinische Zeit.8 Marrou grenzt den Zeitraum der Abfassung der Schrift an Diognet wie folgt ein: „Postérieur à la Predication de Pierre, ou plus contemporain de Clément, l‘ A Diognète a été écrit entre 120 et 200–210.“9 Marrous eigene Präferenz der Datierung liegt wegen der Nähe zu Clemens von Alexandrien in dem Zeitraum zwischen 190 und 200.10 Heute werden von Lindemann die Zeit um 150,11 von Brändle12 und Lona13 die Zeit zwischen 190 und 200 bzw. 202/3 als mögliche Abfassungszeit favorisiert.14 Nimmt man die sprachliche Form als Maßstab und vergleicht die Schrift mit apologetischen Werken, lassen sich Übereinstimmungen v.a. zu Aristides oder Justin (unter dessen Werken die Schrift überliefert wurde) finden.15 Weiterhin werden auch inhaltliche Aspekte, z.B. Aussagen über das Judentum, zum Ausgangspunkt eines Datierungsvorschlags genommen.16 Es scheint so, als könne keine genauere Festlegung in der Datierungsfrage über 6 2 C P-TYRQL RQNKVGWGVCK OG?P G P QW TCPQ”L G RK? IJL RCKFCIYIQWOGPQL – „dadurch, dass der Mensch auf Erden erzogen wird, erlangt er Bürgerrecht im Himmel. “ 7 Die Schrift an Diognet gilt auch modernen Kommentatoren als eines „der schönsten Zeugnisse altchristlicher Apologetik“ – so ANDRESEN, Art. Diognetbrief, 200. In zunehmendem Maße gewinnt auch die Erkenntnis des protreptischen Elements in der Schrift an Bedeutung z.B. bei SCHÖLLGEN, Art. Diognetbrief, 858 („apologetisch-protreptische Abhandlung eines anonymen Autors“), siehe auch BRÄNDLE, Art. Diognet, 238–239. 8 Siehe dazu ausführlicher LONA, Diognet, 65–66. Vgl. zur letztgenannten Datierung: OVERBECK, Brief, 42–56 und WENGST, Schriften (Bd. 2), 305ff. 9 MARROU, Diognète, 253. 10 MARROU, Diognète, 265. 11 LINDEMANN, Theologie, 281–283. 12 BRÄNDLE, Art. Diognetbrief, 239, vgl. auch BRÄNDLE, Ethik, 21: „kurz vor dem Beginn der schriftstellerischen Tätigkeit des großen Alexandriners“. 13 Hier schließt er sich BAUMEISTER, Datierung,108ff an. 14 LONA, Diognet, 69 setzt dieses Datum als terminus ante quem, da im Falle einer Entstehung in Alexandrien unter dem zunehmenden Einfluss des Origenes eine spätere Entstehung der Schrift an Diognet schwerer vorstellbar sei. 15 Vgl. hierzu LONA, Diognet, 55–56. 16 Dies geschieht freilich ohne einheitliches Ergebnis (vgl. BARNARD, Epistle, 136).

Skizze der Einleitungsfragen der Schrift an Diognet

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einen gewissen Rahmen hinaus (Marrou: 120 bis 210; Wengst: Ende des zweiten Jahrhunderts bis Konstantin) geboten werden.17 Ebenso unsicher ist man sich in der Forschung über den Verfasser oder Verfasserkreis und den Abfassungsort. Hinter dem anonym bleibenden Verfasser wurde das Wirken früher Apologeten (z.B. Quadratus, Justin oder Aristides)18 vermutet, aber auch immer wieder die christliche Gnosis19 oder Markion.20 Über den Entstehungsort lässt sich aus dem Text selbst kein Hinweis entnehmen.21 Lona hält – wie viele andere – insbesondere wegen der gedanklichen Nähe zu Clemens Alexandrien für den Abfassungsort.22 Die Identifizierung des in 1, 1 genannten Diognet mit einer historischen Person wurde mehrfach versucht. Zu nennen ist neben der Hypothese, es handle sich um den ägyptischen Prokurator Claudius Diognetos, der Vorschlag E. Mollands,23 der mit Nachdruck die These vertritt, es handle sich bei Diognet um den Lehrer Kaiser Marc Aurels (161–180), den dieser selbst überliefert (1,6).24 Erwogen wird auch, dass der Name eine fiktive Namensbildung ist: „Diognet“ ist die Kurzform von 'KQIGPJVQL = „aus Zeus gezeugt“ bzw. „geboren“. Damit würde der Adressat der Schrift allgemein als Anhänger der griechisch-römischen Götter benannt.25 Diese These würde dadurch gestützt, dass es sich nicht um einen echten Brief, sondern um einen Kunstbrief handelt,26 und dass der Brief erkennbar nicht nur an eine Einzelperson gerichtet ist, sondern auch an die zweite Person Plural (vgl. 2,5;2,9;2,10). Festzuhalten ist, dass die Anrede, MTCVKUVG 'KQIPGVQL keinerlei Rückschlüsse auf sozialen Status oder politischen Rang des 17 Vgl. zur Datierungsfrage auch BAUMEISTER, Datierung, 105–111. 18 Vgl. z.B. KRÜGER, Aristides, 206–223 und KIHN, Ursprung, v.a. 102–121. Kritisch gegen die These: HILGENFELD, Brief, 270–286. Zur Quadratus-These siehe ANDRIESSEN, Authorship, 129–136 und zur Hippolyt-These CONNOLLY, Date, 347–353. 19 Hier sei darauf hingewiesen, dass die Gnosisthese im Zusammenhang mit der Schrift an Diognet seit gut 150 Jahren diskutiert wird und bis heute zu keiner abschließenden Klärung geführt hat. Vor allem Valentin wird als Verfasser der Schrift an Diognet diskutiert (vgl. PETREMENT, Valentin, 52–55). Siehe auch WENGST, Schriften, 302–304. 20 Dazu NIELSEN, Epistle, 77–91. 21 Vgl. dazu das pessimistische Urteil bei WENGST, Schriften, 309: „Es wird wohl kaum gelingen, die Schrift an Diognet einigermaßen sicher und vollständig ‚dem luftleeren Raum zu entnehmen‘ (ein Zitat Rudolf Brändles).“ 22 MARROU, Diognète, 267–268 führt als weiteres Argument für Alexandrien die Identifizierung des Adressatennamens Diognet mit Claudius Diognetos an, dem römischen Prokurator Ägyptens unter Kaiser Septimius Severus (193–211). 23 MOLLAND, Stellung, 303f. 24 Vgl. die Auflistung bei VON ARNIM, Art. Diognetos, 784–786. Von den 17 hier genannten Diogneti kommen überhaupt nur zwei in Frage (Nr. 13 Claudius Diognetus und Nr. 17 der Lehrer Marc Aurels). 25 Siehe LSJ, 432, dazu LONA, Diognet, 72: „Dass Diognet als Eigenname gebraucht wird, schließt die Möglichkeit eines fiktiven Adressaten nicht aus.“ Auf die Analogie z.B. zu Theophilos in Lk 1,3 und Apg 1,1 weist WENGST, Schriften, 292 hin. 26 MOLLAND, Stellung, 302.

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Die himmlische Bürgerschaft in Diog 5

Adressaten zulässt, wie Wengst27 vermutet. Dagegen haben sich mit Recht Molland und Lona ausgesprochen.28 Es lassen sich zahlreiche Belege aus antiken Texten finden, die zeigen, dass (Ü) MTCVKUVG als topische Wendung zur höflichen Anrede gebraucht wird.29 Insgesamt spricht viel dafür, die Schrift an Diognet als einen anonym verfassten und an eine gebildete Adressatenschaft gerichteten Kunstbrief zu lesen, der deutlich erkennbar ein protreptisches Interesse verfolgt (wenngleich er auch apologetische Züge in sich trägt).30 Die Allgemeingültigkeit des Inhalts und der Wahrheitsanspruch eines selbstbewusst vorgetragenen christlichen Standpunktes zeigen sich in der rhetorischen Gestaltung, in Form und Sprache sowie den verwendeten Bildern. Auffällig ist der Verzicht auf konkrete Anspielungen auf historische Situationen und Personen. Auch der Name Jesus Christus oder das Kreuz bleiben ungenannt – selbst in den christologischen Passagen in Kap. 8 und 9. Aus dem Text selbst – genauer gesagt: aus dem Anhang Kap. 11f – ergibt sich, dass der Verfasser Schüler der Apostel ist und den Anspruch hat, Lehrer der Heiden zu werden (IKPQOCK FKFCUMCNQL G -PY P), der das Überlieferte (VC? RCTCFQ-GPVC) den Schülern hilfreich darreicht, die der Wahrheit würdig werden (11,1). Mehrfach ergeht der Hinweis, dass der Verfasser nichts Vernunftwidriges vorträgt (QW FG? RCTCNQIYL \JVY). Auf die Frage der literarischen Einheitlichkeit der Schrift an Diognet kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Insgesamt überwiegt aber die Meinung, dass Kap. 11–12 nicht vom Verfasser der Kap. 1–10 stammen (z.B. Wengst31). Einige Forscher stellen zudem auch Mutmaßungen über mögliche Autoren der beiden Schlusskapitel an (vgl. die entsprechende Liste bei Lona32). Lona allerdings schließt sich in seinem Kommentar der von Marrou vertretenen These an, dass die Schrift an Diognet als literarisch einheitlich anzusehen ist.33

In jedem Fall wird durch die beiden Schlusskapitel der Eindruck verstärkt, dass es sich bei dem Autor der Schrift um einen christlichen Lehrer gehandelt haben könnte. In Diog 1,2 findet sich eine Andeutung, die nach U. Neymeyr34 auf eine Lehrtätigkeit des Verfassers schließen lässt. 27 WENGST, Schriften, 292. 28 MOLLAND, Stellung, 303; LONA, Diognet, 72. 29 Vgl. neben zahlreichen paganen Belegen nur Lk 1,3 und Apg 1,1. 30 Dies wird in der neueren Forschung häufig so gesehen: LONA, Diognet, 46f; 56f (vgl. die Nähe zum Protreptikos des Clemens von Alexandrien auch im Blick auf die himmlische Bürgerschaft: vgl. Diog 5,9 mit paed. III 99,1); zutreffend auch SCHNEIDER, Stellung, 20. 31 WENGST, Schriften, 287–290. 32 LONA, Diognet, 47. 33 MARROU, Diognète, 223 äußert sich zu den feststellbaren Unterschieden in Sprache und Form so: „Parlant d’autre chose, ils en parlent autrement.“ Diesem Urteil ist man aufgrund der sonstigen Abwechslung in sprachlich-formaler Hinsicht und auch im sonst verwendeten Vokabular geneigt, zuzustimmen. 34 NEYMEYR, Lehrer, 181–182.

Das Paradoxon christlicher Existenz in der Welt (Diog 5)

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3. Das Paradoxon christlicher Existenz in der Welt (Diog 5) Das Paradoxon christlicher Existenz in der Welt (Diog 5) 3.1 Einleitung Das fünfte Kapitel der Schrift an Diognet hat die gesellschaftlichen Integration und die gleichzeitige freiwillige Distanznahme der Christen zur Welt zum Thema.35 Zentral scheint der häufig zitierte Satz (6,1) zu sein: Q RGT G UVK?P G P UYOCVK [WZJ VQWV+ GK UK?P G P MQUO ;TKUVKCPQK36

Die Lage der Christen in der Welt wird anhand eines Vergleichs mit dem Verhältnis Leib – Seele beschrieben. Sehr deutlich werden hier Elemente der Philosophie Platos und der Stoa verarbeitet, jedoch nur in der Sprache, nicht der Sache nach. Es geht nicht um die stoische Idee der Weltseele, sondern um die Bedeutung der christlichen Existenz in der Welt. Sie selbst sind für die Welt so, wie die Seele für den Körper.37 Die gedankliche Mitte der beiden Kapitel 5 und 6 beschreibt K. Schneider in einer kleinen Studie wie folgt: „Die Christen leben in einer doppelten Bürgerschaft. Obwohl sie auf der Erde weilen, sich in Sprache, Landeszugehörigkeit und Gepflogenheiten nicht von den übrigen Menschen unterscheiden, sind sie doch Bürger des Reiches Gottes. Ihre Stellung zur Welt ist daher durch Weltverbundenheit, aber auch durch Weltflucht bestimmt. Aufgrund ihrer doppelten Bürgerschaft kommt ihnen eine staatstragende und welterhaltende Funktion zu, die der Verfasser mit Hilfe der Metapher von der Seele im Leib darzulegen versucht.“38

In diesem Spannungsfeld zwischen Weltverbundenheit und Abgrenzung von der Welt bewegen sich das fünfte und sechste Kapitel der Schrift an Diognet. Man hat nicht nur eine christliche Schrift außergewöhnlichen literarischen Charakters,39 sondern mit den Kapiteln 5 und 6 auch ein Zeugnis selbstbewusst vorgetragener theologischer Argumentationskunst vor Augen, dessen Verfasser um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Integration und Anpassung auf der einen und Abgrenzung und Selbsterhalt auf der anderen Seite ringt. Dagegen sieht Wengst in der Schrift an Diognet ein „konturloses und angepasstes Christentum“ vertreten. Der Verfasser gilt ihm als Intellektueller der Oberschicht ohne eine „tiefere Bindung an die sozial vorwiegend unten angesiedelte Gemeinde“.40 Eine derartige Sicht35 MARROU, Diognète, 96 bezeichnet den Text als ein „fameuxe exposé sur le rôle des chrétiens dans le monde“. 36„Was im Körper die Seele ist, das sind in der Welt die Christen“. 37 Siehe zu 6,1ff im Detail LONA, Diognet, 181–210. 38 SCHNEIDER, Stellung, 35. 39 NORDEN, Kunstprosa (Bd. 2), 513. 40 WENGST, Paulinismus, 61. Er hält mit Bezug auf OVERBECK, Brief, 42–53 fest, dass das

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weise greift allerdings zu kurz,41 weil sie die Schrift als historisches Zeugnis einer bestimmten Phase des Christentums nicht ernst genug nimmt, in der das Spannungsfeld zwischen Integration und Distanz sich möglicher Weise genau so gestaltete, wie es die Schrift in Kap. 5–6 vermuten lässt.42 3.2 Die Einzelanalyse 5,1–9 Die Verhältnisbestimmung zwischen innerweltlichem und überweltlichem Leben geschieht zunächst via negationis (5,1–2) bezogen auf äußerlich sichtbare Differenzen: ;TKUVKCPQK? IC?T QW VG I QW VG HYP QW VG G -GUKP FKCMGMTKOGPQK VY P NQKRY P GK UK?P C P-TYRYP 

Hier sind keine religiösen, sondern sozial-kulturelle Bereiche angesprochen: Wohnort, Sprache und Ethos. V. 3 bezieht sich auf den Ursprung der christlichen Lehre (OC-JOC). Es handle sich dabei nicht um ein intellektuelles Konstrukt „gewandter Menschen“ (RQNWRTCIOQPYP C P-TYRYP). Damit verbunden wird eine vage, aber erkennbare, Abgrenzung gegenüber heidnischer Philosophie: QW FG? FQIOCVQL C P-TYRKPQW RTQGUVCUKP Y URGT G PKQK).43

Die Lehre ist keine Erfindung (so auch in 7,1), sondern eine Offenbarung Gottes (vgl. die Darlegung Kap. 7–9).44 Dass der Begriff OC-JOC (= „Lehre“) Verwendung findet, ist auffällig,45 erklärt sich aber aus dem Gesamtkontext Christentum in der Schrift an Diognet seine Weltdistanz vollständig verinnerlicht habe (55). Der Verfasser habe als Angehöriger der intellektuellen, einflussreichen und begüterten Oberschicht die Weltdistanz verinnerlicht zugunsten der bestehenden Ordnung (61). Härter drückt dies OVERBECK, Brief, 45 selbst aus. Im Vergleich zu den Apologeten schreibt er über die Schrift an Diognet: „Sie denken nicht so weltlich wie der Verfasser, ihre Weltflucht ist aber auch nicht so schattenhaft und blutlos wie die seine.“ Overbeck und mit ihm Wengst halten die Bedeutung, die Theologen seit jeher der Schrift an Diognet beimessen, für überschätzt (OVERBECK, Brief, 74; WENGST, Paulinismus, 62). 41 So u.a. NOORMANN, Himmelsbürger, 206. 42 LONA, Diognet, 163 beschreibt sehr treffend die Situation der Adressaten: „Natürlich möchte er (sc. der Verfasser des Diog) sie für den christlichen Glauben gewinnen, aber das muss nicht die Verleugnung der eigenen kulturellen Identität bedeuten, wenigstens nicht grundsätzlich. Wie hart die christliche Existenz in der Welt sein kann, wird vom Vf. nicht verschwiegen (5,11–17), aber in seiner Darstellungsweise geht er von da aus, wo seine Adressaten stehen: mitten in der Welt.“ 43 Eine deutlichere Abgrenzung von der Philosophie geschieht erst in Diog 8,2, wo von den „leeren und läppischen Reden der Philosophen“ die Rede ist. 44 Der Begriff Offenbarung (C RQMCNW[KL) fällt hier nicht, sondern es heißt in 7,2: „Wahrhaftig, er selbst, der Allmächtige, der Schöpfer des Alls und unsichtbare Gott, er selbst hat vom Himmel her die Wahrheit und das heilige und den Menschen unbegreifliche Wort in ihre Herzen eingepflanzt und darin befestigt (G PKFTWUG MCK? G IMCVGUVJTKEG VC”L MCTF’CKL CW VYP)“. 45 Auch bei Justin, IIapol. 2,9 findet sich: FKFCUMCNQP [...] VYP ;TKUVKCPYP OC-JOCVYP.

Das Paradoxon christlicher Existenz in der Welt (Diog 5)

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der Schrift. Die verstandesmäßige Aneignung und der intellektuelle Nachvollzug der christlichen Lehre sind Zielpunkt der ganzen Schrift.46 Mit V. 4 beginnt die Beschreibung der christlichen Existenz in einer politisch-rechtlich gefärbten Sprache. Christen bewohnen demnach griechische und nichtgriechische Städte (RQNGKL G NNJPKFCL VG MCK? DCTDCTQWL). Damit ist nach sonstigem griechischem Wortgebrauch der Formel die Gesamtheit der Völker erfasst.47 Bei Dionysios von Halikarnass heißt es in ant. I 89,4: G RGK? C NNQK IG UWZPQK? G P DCTDCTQKL QK MQW PVGL Q NKIQW ZTQPQW FKGN-QPVQL C RCP VQ? (NNJPKMQ?P C RGOC-QP Y L OJVG HYPJ?P

(NNCFC H-GIIGU-CK OJVG G RKVJFGWOCUKP

(NNJPYP ZTJU-CK48 

Dieses Zitat spiegelt etwas von der Prägekraft des sozio-kulturellen Umfeldes aus antiker Sicht wider. Mit Blick auf Diog 5,4 kann dies bedeuten: Obwohl die Gruppe der Christen griechische und nichtgriechische, d.h. Gebiete anderer Kultur, bewohnen, legen sie „anerkanntermaßen eine eigenartige und erstaunliche Beschaffenheit ihres Bürgerrechts“49 an den Tag. Der Verfasser der Schrift an Diognet verfolgt hiermit eine doppelte Strategie: Er erklärt den nichtchristlichen Lesern die Andersartigkeit christlicher Existenz und er ermutigt zugleich seine christlichen Leser, sich kulturellem, religiösem und sozialem Druck zu widersetzen. Das eigentliche Bürgerrecht (RQNKVGKC) ist nicht das der Wohnumgebung. Christen leben zwar in irdischen Bezügen, haben aber im Himmel ihr Bürgerrecht: G RK? IJL FKCVTKDQWUKP C NN+ G P QW TCP RQNKVGWQPVCK 

Entscheidend für das weitergehende Verständnis des fünften Kapitels ist die Übersetzung und Interpretation des Begriffs RQNKVGKC (V. 4b). Die Übersetzungen führen vor allem „Lebensführung“ als Wiedergabe dieses äußerst 46 Der Gegenstand, die christliche Lehre, wird im Diognetbrief auf eine hohe Diskursebene gehoben und gibt sich von ihrem Anspruch her als vernünftige und intellektuell fassbare Lehre, vgl. 2 1: „Sieh nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Verstand (V HTQPJUK), welches Wesen und welche Gestalt denen eignet, die ihr Götter nennen werdet und (als solche) verehrt.“ 47 So auch LONA, Diognet, 157. Wichtig ist die Beobachtung, die bei WINDISCH, Art. DCTDCTQL, 546 zu lesen ist, dass mit zunehmender Hellenisierung der Römer auch diese zu den Hellenen gezählt wurden. Die Dreiteilung Griechen, Römer, Barbaren setzte sich dagegen nicht durch (vgl. bei Philo, cont. 48 oder bei Cicero, fin. II 49: non solum Graecia et Italia sed etiam omnis barbaria.) Paulus aber verwende in Röm 1,14 die alte Formulierung. 48 „Als andere jedenfalls längere Zeit in barbarischen Gefilden wohnten, verlernten sie nach kurzer Zeit das Griechische, da sie weder die griechische Sprache sprachen noch die Lebensweise der Griechen ausübten. “ 49 Siehe 5,4b: -CWOCUVJ?P MCK? Q OQNQIQWOGPYL RCTCFQEQP G PFGKMPWPVCK VJ?P MCVCUVCUKP VJL G CWVYP RQNKVGKCL

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vielschichtigen und daher mehrdeutigen Begriffs an.50 Andere plädieren dagegen für die Übersetzung „Bürgerschaft/Bürgerrecht“.51 Lona bringt die Schwierigkeit und Problematik einer zutreffenden Übersetzung in seinem Kommentar zum Ausdruck. Für die richtige Übersetzung könne es nicht nur philologische Argumente geben, sondern auch der Kontext müsse Berücksichtigung finden. Im folgenden würden aber sowohl konkrete Lebensbereiche (z.B. Ehe V. 6, die Tischgemeinschaft V. 7, Gesetze V. 10) als auch die politische Dimension (v.a. V. 9) thematisiert. Beide „semantischen Linien“ seien deutlich erkennbar und dürften für die Suche nach der richtigen Übersetzung nicht alternativ betrachtet werden. Lonas Übersetzung mit „Lebensführung“ ist nach eigenen Worten durch den unmittelbaren Kontext bedingt (V. 6f).52 Aus dieser „Doppelbödigkeit des Ausdrucks“, die Lona m.E. grundsätzlich zutreffend beschreibt, zieht er die Konsequenz, dass das innere Bezogensein beider Aspekte aufeinander unabhängig von der Übersetzung „Lebensführung“ oder „Bürgerschaft“ fortbestehe.53 Folgt man dieser Einschätzung, wird m.E. aber der Zielpunkt der Argumentation in Kap. 5 in einem entscheidenden Punkt vernachlässigt. Es geht in Kap. 5 gerade nicht um den Vergleich verschiedener Lebensstile von Nicht-Christen und Christen, sondern um die diffizile Herausarbeitung der als paradox beschriebenen Differenz zwischen christlichem Bekenntnis und sozialem Leben. Insofern griffe die Übersetzung „Lebensführung“ für RQNKVGKC ins Leere, denn V. 4a hält ja gerade fest, dass die Christen sich im übrigen Leben (MCK? V NQKR DK54) nicht von den nichtchristlichen Einwohnern der Polis unterscheiden. M.E. muss daher RQNKVGKC in 5,4b mit „Bürgerrecht“ übersetzt werden. Dies ist aus dem Textzusammenhang verständlich und zwingend. Christen leben Y L RCTQKMQK Y L RQN”VCK und Y L EGPQK in der Welt. Die drei hier verwendeten Begriffe bezeichnen allesamt verschiedene rechtliche Status der Einwohner eines Gemeinwesens. Nachdem in den Versen 1–3 beschrieben wurde, wo und wie Christen leben, leitet Vers 4 über zu dem rechtlichen Status ihrer Existenzweise. Das Thema „Lebensführung“ ist damit abgeschlossen. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass mit RQNKVGKC in 50 LONA, Diognet, 151; WENGST, Schriften, 319. 51 MEECHAM, Epistle, 109 („their own citizenship“); BRÄNDLE, Ethik, 82 A. 255 („Bürgerschaft“, wenngleich er auch „Lebensweise“ für zulässig hält) und NOORMANN, Himmelsbürger, 206f: „Die Pointe liegt gerade darin, daß die Christen trotz der weitreichenden Übereinstimmungen ‚eine erstaunliche und anerkanntermaßen unbegreifliche (paradoxe) Verfaßtheit ihrer Bürgerschaft‘ erkennen lassen (5,4).“ 52 LONA, Diognet, 159f. 53 LONA, Diognet, 160. 54 Vgl. hier auch den Rückbezug auf 5,1 (QW V G [...] FKCMGMTKOGPQK VYP NQKRYP C P-TYRYP). Es handelt sich um Einzelbeispiele im Rahmen einer Aufzählung, die aber einen Gesamteindruck vermitteln sollen (vgl. LONA, Diognet, 158).

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V. 4 auch im rechtlichen Sinne zu verstehen und mit „Bürgerrecht“ wiederzugeben ist. Geht man wie Lona davon aus, dass die Schrift als NQIQL RTQVTGRVKMQL an eine mit dem Christentum sympathisierende heidnische Adressatenschaft gerichtet ist, wird die Plausibilität der Argumentation ab V. 4 deutlicher. Das römische Bürgerrecht gilt nicht nur als wertvolle Errungenschaft und Privileg, sondern stellt ein identitätsstiftendes Element und zugleich eine soziale Barriere innerhalb der Gesellschaft dar. Mit der Zugehörigkeit zur res publica als Bürger verbindet sich zudem eine kulturelle und geistige Gesinnung.55 Für wen mag eine Aussage wie V. 5 („Sie bewohnen das eigene Vaterland wie Beisassen“) paradox erscheinen? Auf wen mag es erstaunlich wirken, wenn er sieht, dass Christen an allem teilnehmen wie Bürger und doch alles ertragen wie Fremde? Diese Aussagen machen nur Sinn für eine Adressatenschaft, die selbst mehrheitlich zu den RQN”VCK zu zählen ist.56 Offenbar handelt es sich um Adressaten, die der Verfasser im heidnisch-römischen Umfeld für den christlichen Glauben gewinnen möchte, indem er ihnen die als paradox erscheinende Existenzweise in einer ihnen gewohnten Bildhaftigkeit und Sprache erläutert. Neben der besonderen politischen Färbung der verwendeten Ausdrücke und Vergleiche, fällt in V. 4 das Adverb Q OQNQIQWOGPYL auf. Nicht nur bei Aristoteles und Plato, sondern auch in der Stoa ist das Adverb geläufig (vgl. die stoische „Grundformel“ bei Zenon:57 Q OQNQIQWOGPYL V HWUGK).58 Seinen Ort hat der Q OQNQIKC-Gedanke u.a. im philosophischen Dialog, vor allem dem platonisch-sokratischen,59 dem das Ziel zugrunde liegt, eine sachliche Übereinstimmung im Diskurs und eine gemeinsame Verständigungsbasis herzustellen, von der aus eine höhere Diskursebene angestrebt werden kann.60 Vielleicht ist die Wortwahl des Verfassers auch an dieser Stelle 55 Vgl. das Zitat aus der Romrede von Aelius Aristides (26, 59): „Die bei weitem größte Aufmerksamkeit und Bewunderung verdient jedoch die Erhabenheit eures Bürgerrechts (RQNKVGKC) und der Gesinnung, die ihr damit verbindet (MCK? VJ?P VJL FKCPQKCL OGICNQRTGRGKCP). 56 Völlig richtig sieht LONA, Diognet, 163 den Status der Adressaten: „Er (sc. der Verfasser) wendet sich an Menschen, die nicht als RCTQKMQK bzw. als EGPQK, sondern als RQN”VCK leben.“ 57 SVF I, 45 Frgm. 179. 58 Siehe MICHEL, Art. Q OQNQIGY MVN 200: „Dies Q OQNQIQWOGPYL \JP der Stoa ist nicht mehr ein konkretes Verhalten, sondern ein Zustand des Lebens.“ Vgl. POHLENZ, Stoa, (Bd. I), 116–119 (mit Literatur), der Bedeutung und Entwicklung der stoischen Formel aufzeigt. 59 Das Adverb selbst kommt bei Plato achtmal vor. Seine semantische Variationsbreite ist aber recht breit: Das Adverb kann „folgerichtig“ bedeuten (z.B. rep. 510D), auch eine von allen anerkannte Tatsache meinen (z.B. Mx. 243C), ferner eine unter den Dialogpartnern unstrittige Sache bezeichnen (z.B. Lach. 186B) und schließlich einen völlig evidenten Sachverhalt ausdrücken (z.B. symp. 186B). 60 Vgl. MICHEL, Art. Q OQNQIGY MVN, 200: „Das Substantiv Q OQNQIKC hat als Verständigung durch gemeinsamen Logos seine bes Bdtg im platonisch-sokratischen Dialog u steht dort im Gegensatz zur durchschnittlichen Meinung, die der Mensch ungeprüft übernimmt (FQEC). In der Q OQNQIKC liegt die Zustimmung zu etwas, was gelten soll, derart, daß die Verständigung zu einer bestimmten Entschließung u Tat, zu bereitwilliger Bindung an eine Sache führt.“

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ein Hinweis darauf, dass er die Auseinandersetzung mit philosophischen Gesprächspartnern gewohnt ist.

Deutlich muss darauf hingewiesen werden, dass die drei Termini RCTQKMQL und EGPQL die in V. 5 verwendet werden, keineswegs austauschbar sind.61 Im Gegenteil: Es handelt sich um Gruppen mit verschiedenen rechtlichen Status innerhalb der Polis. G. Alföldy hält sinngemäß fest: Da in der antiken Gesellschaft nur der Bürger Mensch im Vollsinn ist, bleibt der vom Bürgerrecht ausgeschlossene Fremde – wie immer sein Stand im einzelnen aussieht – gesellschaftlich und rechtlich ein Mensch zweiter Klasse.62 Der dritte Versteil (V. 5c) bildet die stilistisch auffällige, logische Schlussfolgerung aus den beiden Versteilen a und b, wie Lona gezeigt hat:63 RQNKVJL

a RCVTKFCL QK MQWUKP K FKCKL



b OGVGZQWUK RCPVYP Y L RQN”VCK c RCUC EGPJ RCVTKL 





a‘ Y L RCTQKMQK b‘ RCP-+ W RQOGPQWUKP Y L EGPQK c‘ RCUC RCVTKL EGPJ

Bei aller zuvor betonten und mit Beispielen belegten sozialen Integration wird das Paradoxon christlicher Existenz in V. 5c rhetorisch auf die Spitze gebracht, um anschließend in V. 9 zur zweiten These zu gelangen: G RK? IJL FKCVTKDQWUKP C NN+ G P QW TCP RQNKVGWQPVCK 

Fremdlingsmetapher (V. 5) und das Motiv der himmlischen Bürgerschaft (V. 9) werden ergänzt um die paulinische UCTE-Anthropologie (V. 8): „Sie existieren im Fleisch, aber sie leben nicht nach dem Fleisch“ (vgl. 2Kor 10,3).64 Die Fremdlingsmetapher wird im weiteren Kontext in 6,8b wieder aufgenommen. Hier tritt auch die eschatologische Dimension hinzu: MCK? ;TKUVKCPQK? RCTQKMQWUKP G P H-CTVQ”L VJ?P G P QW TCPQ”L C H-CTUKCP RTQUFGZQOGPQK65 

5,6–9 weist vom formalen Aufbau eine auffällige Regelmäßigkeit auf, die an besonders einprägsame Sätze im schulischen Lehrbetrieb erinnert. Der Aussage des gesellschaftlich unauffälligen Verhaltens folgt die mit C NNC 61 62 63 64

LONA, Diognet, 162. ALFÖLDY, Sozialgeschichte, 98. LONA, Diognet, 162. Vgl. zu 6,3 Joh 17,11: MCK? ;TKUVKCPQK G P MQUO QK MQW UKP QW M GK UK? FG? G M VQW MQUOQW – ein deutliches Indiz für die Beeinflussung der Schrift durch paulinische wie johanneische Theologie. 65 „Ebenso wohnen die Christen als Beisassen in vergänglichen [Behausungen], erwartend die Unvergänglichkeit im Himmel“; WENGST, Paulinismus, 53f hatte zu Diog 5,9 festgestellt, der Verfasser rede im Gegensatz zu Paulus in Phil 3,20f „allein in lokalen Kategorien ohne jeden temporalen Aspekt im Kontext“. 6,8 gehört m.E. zum Kontext dazu, ja sogar als Endpunkt einer von 5,4 an laufenden Argumentationskette, die mit 6, 8 auch eine eschatologische Ausrichtung bekommt. Zu 6 8 vgl. auch 2Kor 5,1–10 (siehe oben den Exkurs).

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eingeleitete Besonderheit des christlichen Ethos. So heiraten nach V. 6 Christen wie andere und bekommen Kinder, aber sie setzen die Neugeborenen nicht aus (C NN+ QW T KRVQWUK VC? IGPPYOGPC).66 Der Sinn des nächsten Verses ist abhängig von einer textkritischen Abwägung: Die Abschrift des Stephanus bezeugt die Lesart: VTCRG\CP MQKPJ?P RCTCVK-GPVCK C NN+ QW MQKPJP – 

„sie stellen einen gemeinsamen Tisch hin, aber keinen gemeinen“. Maran verbesserte 1742 MQKPJP in MQKVJP, so dass sich ergibt: „Sie stellen einen gemeinsamen Tisch hin, aber kein (gemeinsames) Bett.“ Im 20. Jahrhundert folgten die Textausgaben in der großen Mehrheit der Verbesserung von Maran, zumal der Verfasser der Schrift an Diognet so ein bekanntes apologetisches Thema anzusprechen scheint: den heidnischen Vorwurf, bei den christlichen Mählern komme es zu sexuellen Ausschweifungen.67 Lona diskutiert die Einwände der Forschung gegen die Verbesserung und betont, dass textkritisch motivierte Änderungen nur dann „angebracht oder gar erforderlich (sind), wenn der überlieferte Text unverständlich oder syntaktisch unkorrekt ist“.68 Vor dem Hintergrund der z.B. in Aristides 15,3 (aber auch in Did 6,3) bezeugten Weigerung der Christen, Opferfleisch zu sich zunehmen, ist die Lesart der Stephanusabschrift plausibel und eine Verbesserung nicht nötig. Gespielt wird in V. 7 demnach mit dem doppelten Sinn des Adjektivs MQKPQL (1. gemeinsam und 2. gemein, unrein).

Nachdem mit V. 7 die Struktur durchbrochen wurde, ist V. 8 wieder parallel mit V. 6 und 9 aufgebaut, indem beide Teile je ein Verb enthalten. In V. 7 war RCTCVK-GPVCK auch im zweiten Versteil als Prädikat vorauszusetzen. Für Lindemann ist nicht in erster Linie die Tatsache von Belang, dass der Verfasser der Schrift an Diognet in V. 8 auf paulinische Terminologie (2Kor 10,3) zurückgreift, sondern entscheidend sei „die hier sichtbar werdende sachliche Übereinstimmung zwischen Paulus und dem Vf. des Dg. Die dem Paulus entlehnte These von 5,8 ist für den Vf. nicht ein isoliertes Zitat, sondern sie hat im Gegenteil grundlegende Bedeutung für seine Anthropologie und zugleich für seine Paränese.“69 Dabei ist dann zu berücksichtigen, dass UCTE bei Paulus nicht einfach als Sphäre des Vergänglich-Hinfälligen zu verstehen ist, sondern mit Bultmann zu sagen ist: 66 Auch andere apologetische Texte sprechen von Kinderaussetzung bzw. Abtreibung von Ungeborenen (vgl. nur Tertullian, apol. 9,8; Minucius Felix 30,2 oder Justin, apol. 27,1 und schon Didache 2,2 und Barn 19,5). Auch in der stoischen Philosophie (Musonius und sein Schüler Epiktet) vertreten den Standpunkt, dass Kinder nicht ausgesetzt oder abgetrieben werden dürfen, vgl. dazu LONA, Diognet, 164, wobei V. 6 „keinen spezifischen Einfluss der hier erwähnten Quellen erkennen“ lasse. 67 Vgl. z.B. Tertullian, apol. 7,5; 39,11 oder Minucius Felix 31, 5. 68 LONA, Diognet, 165. 69 LINDEMANN, Theologie, 284f.

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„Vielmehr hat das Sündige insofern in der UCTE seinen Ursprung, als das nach der UCTE sich richtende, durch die UCTE normierte Verhalten ein sündiges ist, wie denn jener Satz Rm 8,5 deutlich sagt: das MCVC? UCTMC GœPCK vollzieht sich im HTQPG”P VC? VJ L UCTMQL, d.h. in dem Aussein auf das Nur-Menschliche, Irdisch-Vergängliche.“70

Die zutreffende Einschätzung Lindemanns bedarf m.E. aber einer Auswietung auf den gesamten Argumentationsgang, insbesondere auf das Motiv der himmlischen Bürgerschaft in V. 9, das Lindemann außer Acht lässt. Im Grunde ist es der in 5,4 beginnende und über 5,8f bis 6,8 laufende Argumentationsgang,71 der sich – abgesehen von der Auffassung über die Seele – in der paulinischen Theologie verorten lässt. 3.3 Zur Frage der Paulusrezeption in der Schrift an Diognet Mit Brändle und Noormann ist davon auszugehen, dass der Verfasser der Schrift an Diognet mehrere ihm zugängliche und vertraute Schriften und dahinterstehende „Theologien“ verarbeitet hat. Dies ist insofern bedeutsam, als im zweiten Jahrhundert die paulinische Theologie nahezu in Vergessenheit gerät, und lediglich auf die Autorität des Apostels rekurriert wird.72 Da im Falle der Schrift an Diognet weder der Autor noch die genaue Entstehungszeit zu bestimmen sind, ergibt sich die Situation, dass auch die Anklänge an Paulus unterschiedlich bewertet werden: Handelt es sich um einen im „Geiste“ und in der „theologischen Nachfolge“ des Paulus schreibenden Autor (wie es Diog 11,1 nahe legt) oder um eine oberflächliche Übernahme einiger paulinischer Schlagworte?73 Da die Ignatiusbriefe als erstes Indiz für das Vorhandensein einer Paulusbriefsammlung gelten74 und die Schrift an Diognet auf jeden Fall zeitlich um einiges später anzusetzen ist, ist die Paulusrezeption in der Art des Diognetbriefes sehr wohl wahrscheinlich. Außerdem spricht vor allem die Rezeption der Rechtfertigungslehre m.E. nicht für eine nur oberflächliche Aufnahme von einigen paulinischen Begriffen in der Schrift an Diognet. 70 BULTMANN, Theologie, 238. 71 Hier ist mit LONA, Diognet, 166 und NOORMANN, Himmelsbürger, 210 LINDEMANN, Theologie, 284 zu widersprechen, der die Verse 5,5–7 und 9–10 als Resultat des Gedankens in 5,8 deutet. Eher verhält es sich so, dass V. 9 den Gedankengang zunächst zu einem Abschluss bringt, um dann mit 6,3 und 6,8 gedanklich aufgenommen und fortgeführt zu werden. 72 LINDEMANN, Theologie, 280. 73 Vgl. LINDEMANN, Theologie, 281. 74 Dazu LINDEMANN, Zeugnisse, 321–351. Dies gilt selbst dann, wenn man die Anfragen an die klassische Datierung der Ignatiusbriefe um 110 in Frage stellt und sie später datiert (vgl. HÜBNER, Thesen, 44–72).

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Das fünfte Kapitel steht nach Lindemann deutlich unter dem „Einfluß paulinischen Denkens – weniger freilich in den Formulierungen, um so mehr aber in der Sache.“75 Für Lindemann erinnert 5,5ff an die Y L-OJ-Sätze bei Paulus (1Kor 7,29–31). Die Christen leben zwar in der Welt, stehen aber auch in einem Gegenüber zu ihr. V. 8 nimmt Lindemann zufolge sehr konkret mit Referenz auf 2Kor 10,3 bzw. Röm 8,12f auf Paulus bezug: Christen leben G P UCTMK, aber nicht MCVC? UCTMC. Unter Bezug auf Bultmann76 befindet sich der Verfasser des Diognetbriefes für Lindemann „in direkter Nähe zu einer Grundbestimmung der paulinischen Anthropologie“. In diesem Zusammenhang stellt sich für ihn Diog 6,3 ;TKUVKCPQK? G P MQUO QK MQWUK QW M GK UK? FG? G M VQW MQUOQW 

nicht als Zusammenfassung von Joh 17,11.14.16 dar, sondern als selbständige Weiterführung des von Paulus übernommenen und bereits in 5,8 geäußerten Grundgedankens, der den theologischen Bezugsrahmen für die V. 5–7 und auch 9 und 10 bietet. Lindemann macht aber auch auf einen seiner Ansicht nach signifikanten Unterschied zwischen dem Brief an Diognet und paulinischem Denken aufmerksam: „Der in 1Kor 7 betonte eschatologische Horizont (V. 31b) fehlt im Dg.“ Paulinischen Einfluss findet Lindemann darüber hinaus auch in 5,11–16 und zwar im Zusammenhang mit der Leidenserfahrung der Christen. Er stellt eine enge Berührung zwischen 2Kor 6,9f und Diog 5,11ff fest, wenngleich es im ersten Fall um die Leiden des Apostels, im zweiten Fall um die Leidenserfahrungen der Christen gehe. Man könnte geneigt sein, V. 14b als Reflex der paulinischen Rechtfertigungslehre zu sehen: DNCUHJOQW PVCK MCK? FKMCKQW PVCK. Denn immerhin wird hier für das Gerechtsprechen des Menschen durch Gott das Verbum FKMCKQY verwendet (die weitere Entfaltung des Rechtfertigungsgedankens im Diognetbrief bestätigt dies). Hielt noch Geffcken77 es für unmöglich, das Verb hier im paulinischen Sinne zu verstehen, weist Lindemann mit Recht darauf hin, dass beide Verben nicht das gleiche logische Subjekt haben können. Die Menschen werden gelästert, aber zugleich gerecht gesprochen (durch Gott).78 Lindemann kommt zu dem Ergebnis, dass die in der Schrift an Diognet enthaltene Theologie „nicht nur formal, sondern auch und gerade in der Substanz durch Paulus bestimmt ist.“79 Im Vergleich zu der zeitgleich entstandenen und in mancher Hinsicht ähnlichen Apologie des Aristides sei die Paulusrezeption im Diognetbrief bemerkenswert. Bei Aristides fänden sich 75 76 77 78 79

LINDEMANN, Theologie, 283. BULTMANN, Theologie, 236ff. GEFFCKEN, Brief, 19. LINDEMANN, Theologie, 284. LINDEMANN, Theologie, 290.

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keine Bekanntschaft oder gar erkennbare Bezüge zu Paulus. Zur Frage nach dem Grund wird von Brändle80 angeführt, der Vf. des Diognetbriefes habe sich schon aus dem „Formzwang“ der christlichen Apologetik lösen und daher andere Akzente setzen können. Lindemann argumentiert anders und hält den Diognetbrief für eine vor der Existenz eines solchen Formzwangs entstandene Schrift, womit die relative Freiheit in der Form begründet würde.81 Vor allem die erkennbare Selbstverständlichkeit, mit der die Rückgriffe auf Paulus im Diognetbrief vonstatten gehen, zeigten, dass die Annahme einer Paulusrezeption „von außen“ über die Gnosis unwahrscheinlich sei. Für Lindemann ist der Diognetbrief ein Zeugnis der Paulusrezeption, das abgesehen vom Epheser- und Kolosserbrief in der ältesten Theologiegeschichte seinesgleichen sucht.82 Trotzdem muss deutlich hinzugefügt werden, dass die Prägung auch durch die johanneische Theologie deutlich erkennbar bleibt. Nicht immer ist klar entscheidbar, welche Gedanken eine selbständige Weiterführung des Verfassers der Schrift an Diognet sind und welche durch Übernahme aus paulinischem oder johanneischem Gedankengut sind.83 Am deutlichsten ist wohl in Diog 10,2f erkennbar, dass johanneische Theologie rezipiert wurde:84 „Denn Gott hat die Menschen geliebt, um derentwillen er die Welt geschaffen hat, denen er untergeordnet hat alles auf [der Erde], [...] zu denen er seinen einziggeborenen Sohn gesandt hat, denen er das Reich im Himmel verheißen hat und wird [es] geben, die ihn geliebt haben.“

3.4 Die Bezüge zwischen Diog 5,4.9, Phil 3,20 und Philo (conf. 77–78) im Blick auf Gedankenführung, Aussageintention und Adressatenbezug V. 9 (G RK? IJL FKCVTKDQWUKP C NN+ G P QW TCP RQNKVGWQPVCK) hängt sachlich und terminologisch zusammen mit 10,7 (VQVG -GCU VWIZCPYP G RK? IJL Q VK -GQ?L G P QW TCPQ”L RQNKVGWGVCK). Das Verbum RQNKVGWGU-CK kommt im Diognetbrief 80 BRÄNDLE, Ethik, 207. 81 LINDEMANN, Theologie, 291. 82 LINDEMANN, Theologie, 293. 83 Dies muss gegenüber der Einschätzung Lindemanns gesagt werden, Diog 6,3 sei eine eigenständige Fortführung des Grundgedankens in 5, 8 und höre sich nur zunächst an wie eine Zusammenfassung von Joh 17,11.14.16 (vgl. LINDEMANN, Theologie, 284 A. 12). Vgl. zum johanneischen Einfluss auch BRÄNDLE, Ethik, 85f und NOORMANN, Himmelsbürger, 217–218, der deutlich Stellung bezieht: „Das Kapitel kann [...] als eine eigenständige Deutung des johanneischen ‚In der Welt, aber nicht von der Welt‘ verstanden werden, eine Deutung, in der anders als im Johannesevangelium die positive Entfaltung des paradoxen In-der-Welt-Seins der Christen dominiert.“ 84 Vgl. auch Diog 7,5b (die Sendung des Schöpfungsmittlers im Zeichen der Liebe und nicht des Gerichts).

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nur an diesen beiden Stellen vor. Eine ähnliche Formulierung findet sich auch bei Clemens (paed. III 99,1): MCK? RQNKVGWGVCK OG?P G P QW TCPQ”L G RK? IJL RCKFCIYIQWOGPQL85 

Nimmt man sprachliche Gemeinsamkeiten zum Kriterium, besteht eine auffällige Nähe zwischen Diog 5,5.9 und Philo (conf. 77f), aber auch zu Paulus (Phil 3,20). Zu fragen ist, warum Lindemann keine Gegenüberstellung von Diog 5,9 und Phil 3, 20 unternimmt.86 Er sieht in 5, 8 „den theologischen Bezugsrahmen für die im Kontext aufgeführten einzelnen Verhaltensweisen: Was in 5, 5–7 (und dann auch in 5,9f.) geschildert wird, das ist das Resultat jener in 5, 8 formulierten grundsätzlichen Bestimmung der christlichen Existenz überhaupt: G P UCTMK aber nicht MCVC? UCTMC.“87 Wengst betont dagegen die Übereinstimmungen zwischen Philo, conf. 77f und Diog 5,5.88 Für Wengst ist Diog 5,9 diesem Text gedanklich näher als Phil 3,20f. Wengst zufolge werde in Diog 5,9 ohne jeden temporalen Aspekt ausschließlich in lokalen Kategorien gesprochen. Dabei bleibe es aber im Philipperbrief nicht. Das Motiv des himmlischen Bürgerrechts habe im Philipperbrief eine „ganz bestimmte polemische Stoßrichtung“ und diene der Korrektur des Vollendungsbewusstseins der Gegner.89 Die sachlichen Unterschiede überwiegen nach Lona aber die auffälligen sprachlichen Übereinstimmungen zwischen Philo und der Schrift an Diognet.90 Die eigene Interpretation von Phil 3,20f hat ergeben, dass es sich 85 Interessant auch protr. X 108,4: „Der Athener gehorche den Gesetzen Solons und der Argiver denen Phroneus und der Spartaner denen des Lykurgos! Wenn du dich als Bürger Gottes eintragen lässt, so ist der Himmel dein Vaterland (QW TCPQL OGP UQK J RCVTKL) und Gott dein Gesetzgeber (Q -GQ?L PQOQ-GVJL).“ 86 Vgl. LINDEMANN, Paulus, 346, wo er anmerkt, dass Diog 5,9 nicht unbedingt auf Phil 3,20 zurückgehen müsse. Die Vorstellung könne durchaus „im Zuge der Bildung der übrigen Gegensatzpaare (sc. in Kap. 5) entstanden sein“. In der auf die Schrift an Diognet konzentrierten Untersuchung (LINDEMANN, Theologie, 280–293) geht er gar nicht auf die beiden Stellen ein. 87 LINDEMANN, Theologie, 284; NOORMANN, Himmelsbürger, 210. 88 WENGST, Paulinismus, 54: „Ihr Verfasser (sc. der Schrift an Diognet) redet zwar auch ebenfalls von der himmlischen Bürgerschaft, aus der sich auch bei ihm ergibt, daß die Christen auf der Erde nur Fremdlinge und Beisassen sind (5,5). Aber diese Vorstellung ist hier ohne die Dynamik, die sie bei Paulus hat. Wesentlich näher als bei Paulus stehen seine Aussagen bei einer [...] Stelle Philons“ [sc. conf. 77f]. 89 WENGST, Paulinismus, 53. 90 Lona, Diognet, 161: „Die Distanz zwischen Himmel und Erde [...] geht bei Philo auf eine stark platonisierende Anthropologie zurück, die durch die Abkehr von der materiellen Welt und die Hinwendung zur geistigen Ebene gekennzeichnet ist. Wer zu dieser Welt gehört, wird immer nur ein Beisasse in der Welt der Materie und der sinnlichen Wahrnehmung bleiben. In Diog ist dieser Aspekt nicht vorhanden, auch wenn manche Formulierung in dieser Richtung verstanden werden könnte.“ Der Vorstellung wird bei Philo eine andere Richtung gegeben. Während im Philipperbrief und in der Schrift an Diognet die Adressaten die irdische Existenz jeweils durch Beispiele ihrer eigenen Lebenswirklichkeit inhaltlich füllen können und im Falle von Diog 5,1ff sogar Aspekte aus dem alltäglichen Leben genannt werden, geht es bei Philo um die Bestimmung

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bei dem RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L nicht um eine polemische Zurückweisung gegnerischer Terminologie handelt. Das RQNKVGWOC ist eine bereits jetzt bestehende normative Größe, die nach Paulus eine bestimmte Gesinnung auf Erden begründen soll: Die Christen sollen nicht auf Irdisches gesinnt sein (QK VC? G RKIGKC HTQPQWPVGL), sondern ausgerichtet sein auf die sich im RQNKVGWOC G P QW TCPQ”L manifestierende C PY MNJUKL in Phil 3,14. Insofern stimmen Diog 5,9 und Phil 3,19f in der Aussageintention überein, dass für die Christen in ihrem irdischen Leben eine Grundorientierung gilt, die sich aus der Zugehörigkeit zur himmlischen Bürgerschaft ergibt!91 Abgesehen davon, dass das Fehlen des eschatologischen Aspekts an dieser Stelle nicht bedeuten muss, dass Diog 5,9 sich nicht auf Phil 3,20 bezieht (immerhin kann der Vf. gute Gründe gehabt haben, auf den eschatologischen Bezugsrahmen erst später zu kommen, nämlich in 6,8 und 10, 2, als es um die DCUKNGKC geht), muss m.E. mit Lona92 zur Bestimmung des Welt- und Zeitverständnisses des Verfassers der Schrift der gesamte Kontext betrachtet werden.93 In beiden Texten, in der Schrift an Diognet wie bei Paulus, geht es um die Bestimmung des Besonderen der christlichen Existenz in der Welt, was in beiden Fällen für Nichtchristen insofern paradox erscheint, als die gewohnte Zugehörigkeit zu einem räumlich oder rechtlich definierten Lebensraum bei den Christen stark relativiert oder gar aufgelöst erscheint. Paulus fordert nun seinerseits mittels des Motivs der himmlischen Bürgerschaft in für die Adressaten plausibler Weise zum Perspektiv- und Instanzwechsel auf: Seid Bürger des Evangeliums (Phil 1,27)! In der Schrift an Diognet stellt sich der Verfasser die Aufgabe, am Christentum interessierten Heiden das Weltverständnis der Christen zu erklären. Wenngleich das Motiv der himmlischen Bürgerschaft hier zwar nicht so deutlich wie im Philipperbrief mit einer Aufforderung verbunden wird, kann er aus dem Motiv ethische Aussagen (5,10ff) ableiten und zu dem eingangs zitierten Satz gelangen: „Was im Leib die Seele ist, das sind in der Welt die Christen“ (6,1). Die Zugehörigkeit zur himmlischen Instanz wird ferner bei Paulus wie im Diognetbrief mit einer soteriologischen Erwartung bzw. Hoffnung verbunden (Phil 3,20b und Diog 6,894). des „wahren“ Heimatortes der Seele des Weisen. Dies geschieht mittels des Bildes von der Seelenreise und von der schließlich erfolgenden Heimkehr in die RCVTKL 91 NOORMANN, Himmelsbürger, 214. 92 LONA, Diognet, 167. 93 Phil 3,20f wird auch nicht isoliert betrachtet, sondern z.B. mit Blick auf den Philipperhymnus in 2,6–11 und die sich hieraus ergebene Christologie. Auch Phil 1,27 und 3,20 sind sachlich aufeinander bezogen und ergeben zusammen die Vorstellung von der himmlischen Bürgerschaft. 94 Die Stelle muss hier m.E. auf jeden Fall mit hinzugenommen werden, da sich Kap. 5 und 6 aufeinander beziehen und sachlich-thematisch wie auch strukturell als Einheit zu betrachten sind (vgl. mit Recht LONA, Struktur, 32–43 und DERS., Diognet, 201ff).

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3.5 Ertrag In dem als thematische Einheit anzusehenden Textkomplex Diog 5–6 werden wie in kaum einem anderen zeitgleich anzusetzenden christlichen Text die Lebensaspekte „Integration“ und „Abgrenzung“ von Christen in bzw. von der Welt deutlich und differenziert, aber auch bewusst ohne historische Anspielungen, vorgestellt. Die Formel „in der Welt, aber nicht von der Welt“ bezeichnet der Verfasser der Schrift an Diognet als RCTCFQEQP und spricht so mit Blick auf seine (heidnischen und am Christentum interessierten) Adressaten ein zentrales Problem an: Wie ist christliche Existenz in der Welt möglich? Wo ist Integration in das soziale, kulturelle und politische Umfeld vereinbar und an welcher Stelle ergeben sich aus dem christlichen Bekenntnis erforderliche Abgrenzungen? Die Beantwortung dieser Grundfrage gibt der Verfasser in zweierlei Weise: Zunächst ist ein Teil seiner Antwort die bewusste Ausformulierung des Paradoxen der christlichen Existenz, was z.B. in 1Petr unterbleibt.95 Christliche Existenz in der Welt ist nur als paradoxe möglich. Beim zweiten Teil der Antwort greift der Vf. auf ein politisches Bild zurück, das ihm mit größter Wahrscheinlichkeit durch das Paulusstudium bekannt geworden ist und ihm für seine Aussageabsicht äußerst plausibel erscheint: Christen leben zugleich Y L RQN”VCK und Y L EGPQK in der Welt, verweilen auf der Erde und besitzen ein himmlisches Bürgerrecht (V. 9). Daraus ergibt sich zwar keine reale Überwindung der als paradox empfundenen Lebenswirklichkeit christlicher Existenz, propagiert wird aber eine Relativierung der Bedeutung irdisch-politischer bzw. soziokultureller Bezugsgrößen, als deren herausragendes Beispiel das Bürgerrecht „als gewichtige und privilegierte Ausdrucksform politisch-sozialer Existenz“ (G. Alföldy) gewählt wird.

4. Der Diognetbrief und kosmopolitische Ideen der Jüngeren Stoa – ein Versuch der geistesgeschichtlichen Einordnung Der Diognetbrief und sein philosophischer Kontext 4.1 Der stoische und popularphilosophische Hintergrund der Schrift an Diognet In der Forschungsgeschichte zur Schrift an Diognet wird in unterschiedlicher Akzentuierung auf den philosophisch-kulturellen Hintergrund der Schrift eingegangen, ohne dabei aber auch nur annähernd zu einheitlichen 95 In 1Petr – nach FELDMEIER, Christen, 104 – durch die Fremdlingsmetapher, die nicht positiv erweitert wird, die Erfahrung von „Nicht-Identität“ als Spezifikum christlicher Identität formuliert.

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Schlussfolgerungen für die Datierung, den, bzw. die Adressaten oder die Aussageabsicht der Schrift zu gelangen. Neben der einleitungswissenschaftlichen Frage, ob es sich bei dem Adressaten Diognet um den Lehrer Kaiser Marc Aurels handelt, wie vor allem Molland es vertreten hat,96 geben immer wieder einzelne Textbeobachtungen, Begriffe und Formulierungen Anlass, nach philosophischen Einflüssen und Übereinstimmungen zu fragen. Für W. Eltester beispielsweise knüpft der Verfasser der Schrift an Diognet in der Verwendung des OWUVJTKQP-Begriffs in 4,6 nicht an die neuplatonische Mystik alexandrinischer Provenienz an, sondern „greift auf den genuinen Plato zurück und steht damit noch bei der im zweiten Jahrhundert einsetzenden Platorenaissance, die auf die Akademie, nach ihrer radikalen Abwendung von aller spekulativen Erkenntnislehre, wieder den Zug zur Religion, das allgemeine Kennzeichen der hellenistischen Philosophie, übertrug.“97 Andere setzen bei den vor allem im sechsten Kapitel enthaltenen Aussagen über die Seele an. Damit werde – so Lona in seinem Kommentar – ein den Adressaten bekanntes und gleichermaßen vertrautes Thema angesprochen.98 Neben der auf die Seele bezogenen Aussagen (vor allem 6,1ff beginnend) steht auch die Verwendung und sprachliche Ausgestaltung des Motivs der himmlischen Bürgerschaft in einem Zusammenhang zu Gedanken der stoischen Philosophie und besonders kosmologischer Ideen der sogenannten Jüngeren Stoa.99 M.E. ist die Schrift an Diognet als Zeugnis für einen Dialog zwischen einem philosophisch gebildeten christlichen Autor und einem christlich interessierten philosophisch-stoisch orientierten Adressaten(kreis) zu verstehen. Die im fünften und sechsten Kapitel der Schrift an Diognet unternommene Beschreibung der christlichen Existenz in der Welt weist unübersehbar auf stoisches Weltverständnis, kosmopolitische Ideen und besonders auf politische Metaphorik in philosophischen Texten der „Jüngeren Stoa“ 96 MOLLAND, Stellung, 304–305. 97 ELTESTER, Mysterium, 286. Vgl. auch BRÄNDLE, Art. Diognet, 239: „Die Gottesvorstellung ist beeinflußt v. Mittelplatonismus.“ 98 LONA, Diognet, 207: „Die Erklärung des Textes hat gezeigt, dass die hier vorgetragenen Ansichten über die Seele sich global unter die Kategorie des ‚Platonismus‘ einordnen lassen.“ 99 Hin und wieder ist auch von Mittlerer Stoa zu lesen. Eine Orientierung an HIRSCHBERGER, Geschichte (Bd. I), 247f zeigt aber, dass die hier zur Diskussion stehende Epoche, die mit den Philosophen Seneca (gest. 65), Epiktet (gest. nach 138) und Marc Aurel (gest. 180) verbunden ist, als „Jüngere Stoa“ zu bezeichnen ist. Unter „Mittlerer Stoa“ wird dagegen die stoische Philosophie des zweiten und ersten Jahrhunderts v.Chr. bezeichnet. Die Hauptvertreter dieser Epoche sind Panaitios (gest. 110 v.Chr.) und Poseidonios von Apamea (gest. 51 v.Chr.). Vgl. auch PATZIG, Art. Stoa, 385–386, der allerdings von der „späten Stoa“ spricht, an deren Übergangsphase von der Mittleren Stoa das Wirken Senecas anzusetzen sei. POHLENZ, Stoa (Bd. I), 327ff benennt die Epoche „Stoa der Kaiserzeit“.

Der Diognetbrief und sein philosophischer Kontext

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der Kaiserzeit hin.100 Im Rahmen einer Einbeziehung des popularphilosophischen Hintergrundes kann auch die These wieder an Gewicht gewinnen, die Schrift könne an Diognet, einen der Lehrer des Kaisers Marc Aurel, gerichtet sein, von dem er selbst in den „Selbstbetrachtungen“ sagt (1,6): „Von Diognetos (lernte ich), sinnloses Streben zu vermeiden, dem Gerede der Wundertäter und Zauberer über Beschwörungen, Teufelsaustreibungen und ähnliches nicht zu glauben, keine Wachteln zu halten und keine vergleichbaren Leidenschaften zu haben, ein offenes Wort zu vertragen, ein enges Verhältnis zur Philosophie zu gewinnen (MCK? VQ? QK MGKY-JPCK HKNQUQHK) und zuerst Bakchios, dann Tandasis und Markian zu hören, schon als Kind Dialoge zu schreiben, ein niedriges Bettgestell und ein Fell zu verlangen und was sonst noch mit der Lebensweise eines griechischen Philosophen zu tun hat.“

Demnach scheint Diognet ein philosophischer Lehrer gewesen zu sein, über den aber keine näheren Details überliefert sind. Für den Kaiser ist die Philosophie jedenfalls die einzige Helferin, die mittels des göttlichen Geistes den Menschen in seinem Innern vor Schaden und Verletzung bewahrt. Hinzu tritt eine sich zunächst skeptisch-pessimistisch gebende Weltsicht (2,17): „Die Dauer des menschlichen Lebens ist nur ein Augenblick, seine Existenz in dauerndem Fluss [...] Kurz: Alles Körperliche (RCPVC VC? OGP VQW UYOCVQL) ist ein Fluss, alles Seelische Schall und Rauch, das Leben – Krieg und ein kurzer Aufenthalt eines Fremden (EGPQW G RKFJOKC), der Nachruhm – vergessen. Was kann uns da noch stützen und helfen. Einzig und allein die Philosophie“.101 100 Vgl. dazu LONA, Diognet, 208. Lona zitiert mit Blick auf Diog 6,1ff einen Text des Maximus von Tyrus als Beispiel für die Aktualität der platonischen Lehre im zweiten Jahrhundert n.Chr. (diss. 7,2) und resümiert: „Das Verhältnis von Leib und Seele als Bild wird hier auf die politische Wirklichkeit übertragen, wie es in Diog 6 die Lage der Christen in der Welt verdeutlicht. Durch die thematische Einheit mit Kap. 5 kommt die politische Komponente noch deutlicher zum Ausdruck. Dort stand nämlich im Mittelpunkt die ‚eigenartige Beschaffenheit‘ der christlichen RQNKVGKC (5,4). Die Christen in der Welt sind auch die Christen in der RQNKL und dort verkörpern sie ebenfalls die Rolle der Seele.“ Auf die philosophische Prägung von Kap. 5 und 6 weist auch BRÄNDLE, Ethik, 81 in (er vermutet – zusammengestellt auf engstem Raum – ein Konglomerat aus verschiedenen Prägungen, die der Vf. verarbeitet haben dürfte: AT, Apokalyptik, Himmelsstadt, paulinische, philonische und stoische Gedanken). 101 Vgl. auch 7,21: „Nah ist die Zeit, dass du alle vergisst, nah die Zeit, dass alle dich vergessen“ oder 5,33, 1–2: „Gleich schon Asche oder Skelett und entweder bloßer Name oder nicht einmal Name. Der Name ist Schall und Widerhall. Das im Leben Vielgeehrte ist leer und faul usw.“. Hierbei handelt es sich um klassische VQRQK einer skeptischen Popularphilosophie, wie sie seit Jahrhunderten tradiert werden. Vgl. den unter 2.4 genannten Komödiendichter Menander, der in mehreren erhaltenen Fragmenten sich frappierend ähnlich äußert: „Willst du es wissen, wer du selber bist, so geh / und schaue dir die Grabdenkmäler an auf deinem Weg! / Sie decken Knochen und den Staub, der nichts mehr wiegt, / von Königen, Tyrannen, Philosophen auch / und Leuten, die sehr stolz gewesen sind auf ihr / Vermögen und auf ihre Herkunft, ihren Ruhm / und körperliche Schönheit – doch die Zeit / beließ von alldem ihnen nichts! Gemeinsamer Besitz / für alle Menschen ist der dunkle Hades nur! / Auf dieses blicke hin – und du erkennst dich selbst“ (Frgm. 43 übersetzt bei Goldschmidt, Menander, 137). In die Nähe der hellenistischen Popularphilosophie

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Die himmlische Bürgerschaft in Diog 5

In Verbindung mit 2,17, d.h. mit dem Hauptgedanken RCPVC VC? OG?P VQW UYOCVQL RQVCOQL, steht 4,36: „Nichts liebt die Allnatur so sehr, wie die Dinge zu wandeln und Neues von gleicher Art zu schaffen.“ Hier wird deutlich, wie sehr Marc Aurel von der griechischen Philosophie (z.B. Heraklit102) ebenso geprägt ist wie von der Älteren und Mittleren Stoa.103 Aus diesem Skeptizismus, der bisweilen die Form eines „hoffnungslosen Pessimismus“ (Pohlenz) anzunehmen scheint, führt Marc Aurel der Einsatz der sittlichen Persönlichkeit des Menschen heraus: „Und gerade weil unser Leben so schnell verrinnt, folgert er: ‚Nütze die Zeit!‘, nicht im Sinne des Carpe diem zum Genuß, sondern zur Erfüllung deiner menschlichen Bestimmung. Das Vergangene liegt hinter dir, die Zukunft ist unsicher. Aber die Gegenwart stellt dir Aufgaben und zeigt dir die Möglichkeit, als Glied des großen Weltorganismus an deinem Teile zur Wohlfahrt des Ganzen mitzuwirken.“104

Dieser politische Pragmatismus105 ist verbunden mit den alten römischen Idealen (vgl. 2,5,1). Das Motiv der Bürgerschaft im Kosmos wird an keiner Stelle deutlicher als in 6,44 [a]: RQNKL MCK? RCVTK?L Y L OGP $PVYPKP OQK J 5YOJ Y L FG? C P-TYR Q MQUOQL106



In 3,11 ist das Motiv der Zugehörigkeit zum „höchsten Gemeinwesen“ enthalten:

des dritten Jahrhunderts v.Chr. wird auch gerade wegen ähnlicher Gedanken die alttestamentlichweisheitliche Schrift Kohelet gerückt (siehe z.B. BRAUN, Kohelet, 14–43 und 66–83). Kurzum: Geistesgeschichtlich atmet die Zeit, in der Mark Aurels Schrift entsteht, den Geist dieser alten philosophischen Tradition. 102 Für die Ontologie Heraklits sind bildliche Vorstellungen prägend, vor allem der Fluss, dessen Wasser ständig wechselt und der doch derselbe bleibt. Alles fließt (RCPVC T G” – dieses bekannte Wort ist allerdings nicht wörtlich überliefert) und nichts verharrt in beständigem Sein. Siehe HIRSCHBERGER, Geschichte (Bd. I), 27ff und PATZIG, Art. Heraklit, 229–230. 103 Vgl. POHLENZ, Stoa (Bd. I), 349f.: „In allem herrscht das Stirb und Werde. Der heraklitische Fluss der Dinge beschäftigte auch sonst die Gedanken der Kaiserzeit. Aber wenn der Platoniker Plutarch diese Vorstellung als Gegenbild zu dem ewig unveränderlichen Sein der immateriellen Gottheit braucht, bringt sie dem Stoiker nur die ganze Nichtigkeit und Vergänglichkeit des Irdischen zum Bewusstsein. Schon bei Seneca taucht sie gelegentlich auf, bei M. Aurel wird sie zum beherrschenden Zuge der Lebensbetrachtung.“ 104 POHLENZ, Stoa (Bd. I), 350. 105 Philosophie wird von Marc Aurel weniger als ein theoretischer Diskurs, sondern pragmatisch verstanden. Sie ist für ihn „Herrscherkunst“; vgl. dazu die bekannte Passage 9,29: „Hoffe nicht auf Platos Staat, sondern gib dich damit zufrieden, wenn auch nur in den geringsten Kleinigkeiten etwas vorankommt, und betrachte dieses Resultat nicht als unwesentlich.“ 106 Dt.: „Stadt und Heimat sind für mich als Antonius Rom, als Mensch aber der Kosmos“. Nach Cicero, leg. II 5 haben alle Bürger eine zweifache Heimat: die eine am Geburtsort, die andere in der staatlichen Gemeinschaft. Die Vorstellung der „doppelten Bürgerschaft“ wird also bei Marc Aurel kosmologisch geweitet.

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C P  -TYRQP RQNKVJP Q P  VC RQNGYL VJL C PYVCVJL ¸L CK NQKRCK? RQNGKL Y U  RGT QK MKCK GK UKP107



Unverkennbar sind hier die aristotelische Abbild-Theorie und die platonische Ideenlehre rezipiert. Von der Grundidee, dem höchsten Gemeinwesen, leiten sich die einzelnen ab. Dies wird verdeutlicht in dem Vergleich RQNKL – QK MQL Das Lebensziel des \QP NQIKMQP, welches zugleich auch ein \QP RQNKVKMQP ist (10,2), bedeutet für Marc Aurel, der Vernunft und dem „Gesetz des ehrwürdigsten Staates“ zu folgen, so in 2,16: VGNQL FG? NQIKMYP \QP VQ? G RGU-CK V VJL RQNGYL MCK? RQNKVGKCL VJL RTGUDWVCVJL NQI MCK? -GUO 

Kosmopolitismus und römischer Herrschaftsanspruch des Kaisers stehen in den „Selbstbetrachtungen“ Marc Aurels eng beieinander. Die politische Dimension ist hier keineswegs ausgeblendet, sondern bewusst enthalten, denkt man bei der ältesten Stadt doch unweigerlich an Rom. Marc Aurel verbindet mit dem kosmisch gedeuteten RQNKVGWOC ganz in der Tradition stoischer Sozialethik auch ethische Implikationen, wie es in 11,8 erkennbar wird: „So ist also auch ein Mensch, der sich von einem Menschen trennt, abgeschnitten von der Gemeinschaft. Er weiß aber nicht, dass er sich zugleich auch von der Gemeinschaft als ganzer (Q NQW RQNKVGWOCVQL) abgeschnitten hat.“ 4.2 Lukian von Samosata und die himmlische Stadt Das kosmopolitische Motiv des himmlischen Gemeinwesens bzw. der himmlischen Stadt im Zusammenhang philosophischer Betrachtungen hat noch an anderer Stelle im zweiten Jahrhundert seinen literarischen Niederschlag gefunden: bei Lukian von Samosata (ca. 120–180 n.Chr.), dem bedeutenden Schriftsteller der „Zweiten Sophistik“. Untersuchungen zum Motivkomplex „himmlische Stadt“ oder zum Diognetbrief allgemein versäumen es, auf Lukian zu verweisen.108 In einem seiner Dialoge tritt Lukian als Spötter Lykinos auf und erweist einem älteren Schüler der Stoa (!) die Überlegenheit des Skeptizismus gegenüber der Schulphilosophie. Dieser Dialog, der überschrieben ist mit „Hermotimos oder über die philosophi107 „Der Mensch ist Bürger des obersten Gemeinwesens, zu dem die übrigen Gemeinwesen wie Häuser gehören“. 108 Nur bei BETZ, Lukian, 92–96 wird die Textstelle aus Hermot. 22ff behandelt und von Lukian her auf Texte des NT (namentlich Gal 4,25f und Phil 3,20) bezogen. Die andere Blickrichtung, z.B. vom Diognetbrief auf Lukian zu schauen, unterbleibt in der Forschung m.E. völlig. Eine ausführlichere Behandlung der popularphilosophischen Ethik und des Lukiantextes (Hermot. 22–24) bietet dagegen PLÜMACHER, Identitätsverlust, 26–30.

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schen Richtungen“ führt Lukian – alias Lykinos – seinen Gesprächspartner Hermotimos auf folgenden Vergleich: „Ich will mir also einbilden, die Tugend sei eine Stadt, deren Einwohner [...] samt und sonders die seligsten Menschen der Welt sind, Weise im höchsten Grade, tapfer, gerecht, mäßig, kurz: beinahe Götter.“ Die Bewohner dieser „Tugendstadt“ leben in Frieden und Harmonie (G P GK TJP MCK? Q OQPQK EWORQNKVGWQPVCK). Ohne auf materielle Güter ausgerichtet zu sein, führen die Einwohner ein ruhiges und ausschließlich glückliches Leben: EW?P GW PQOK MCK? K UQVJVK MCK? G NGW-GTK MCK? VQ”L C NNQKL C IC-Q”L 

Zwar steht der ganze Dialog unter einem ironischen Vorzeichen, doch zeigt die Selbstverständlichkeit, mit der das Motiv der „Tugendstadt“ hier eingebracht wird, dass die stoische Konzeption hier explizit im Hintergrund steht. Indem Lykinos Hermotimos auf dieses (zu dessen Schulwissen gehörende) Motiv im fiktiven Dialog mit einem Stoiker anspricht und ihn herausfordert, ist ablesbar, dass kosmopolitische Vorstellungen im weitesten Sinne Mitte des zweiten Jahrhunderts verbreitet und geläufig waren. Im weiteren Verlauf des Dialogs geht Hermotimos sofort auf Lykinos ein und fragt ihn: QW M C EKQP C RCPVCL G RK-WOG”P RQNKVCL IKIPGU-CK VJ L VQKCWVJL RQNGYL >@ G IITCHJUGU-CK MCK? CW VQK? MCK? OG-GZGKP VJL RQNKVGKCL109 

Dieser Abschnitt ist nun deutlich geprägt von einer politischen Sprache, indem termini technici aus dem Bereich staatsbürgerlicher Existenz verwendet werden: RQNKVJL RQNKL G IITCHY,110 OG-GZGKP VJL RQNKVGKCL111 Lykinos fährt sodann fort, indem er die logische Konsequenz aus dem Votum des Hermotimos zieht: Man müsse sich beeilen, die Heimat (RCVTKL) und die Familie zurückzulassen, um in die Tugendstadt zu gelangen. In dieser Stadt gibt es nur Fremde (G RJNWFGL MCK? EGPQK), nicht einen geborenen Einwohner, alle sozialen Gruppen, materielle Unterschiede und Privilegien gelten hier nicht. Alle Einwohner leben gleichberechtigt zusammen, egal welcher Herkunft sie sind.112 109 „Sollten also nicht alle Menschen, die es mit sich selbst gut meinen, vor Verlangen brennen, Bürger einer solchen Stadt zu werden [...] in die Bürgerliste eingeschrieben zu werden und an dieser Staatsordnung teilzuhaben?“ 110 Dieses Verb ist epigraphisch belegt als terminus technicus für das Einschreiben in Bürgerlisten (siehe dazu oben I.6), ferner verwendet es Philo als Analogie für die Zugehörigkeit zum himmlischen Gemeinwesen (G IITCHY mit RQNKVGWOC). 111 Dieser Ausdruck ist bei Aristoteles, pol. 1275 A 22 und 1264 A 19 belegt. 112 Die egalitäre Sozialstruktur in dieser Tugendstadt erinnert an Gal 3,28 (so auch bei BETZ, Lukian, 96). Der Gleichheitsgedanke spielte – wie oben (I.4) ausgeführt wurde – bereits in der Älteren Stoa und auch in den folgenden Jahrhunderten eine Rolle in der stoischen Philosophie.

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In Hermot. 25 wird zudem die Herkunft dieser Konzeption benannt: Sie stamme von Hesiod. Das Gespräch verlagert sich in Hermot. 27 auf die Frage nach dem richtigen Weg, um in diese Stadt zu gelangen (der Weg Platos oder Epikurs). Nach H.D. Betz wird im Dialog Hermotimos die Himmelsstadt, die Lukian in den Verae historiae 2,11ff113 beschreibt, hier ethisch umgedeutet.114 Die Vorstellung, die – wie andeutungsweise gezeigt wurde – mit kosmopolitischen Ideen zusammenhängt, ist im zweiten Jahrhundert in philosophischen Texten geläufig und spiegelt in gewisser Weise als Gegenfolie zu bestimmten politisch-historischen Entwicklungen eine philosophische Bewältigungsstrategie.115 Damit eignet ihr neben der philosophischen Seite auch eine religiöse Dimension, wie man in den genannten Stellen bei Marc Aurel deutlich erkennen konnte. 4.3 Ertrag Vor diesem Hintergrund erklärt sich m.E. der Zusammenhang zwischen der Schrift an Diognet und dem geistesgeschichtlichen Klima in der frühen zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts. Die an eine gebildete, am Christentum interessierte (vgl. Diog 1,1) Adressatenschaft gerichtete Schrift, die vor allem in ihrer selbstbewussten Argumentationsweise sicher auch als Vergewisserung des eigenen Standpunkts der christlichen Gemeinde gedacht war, bedient sich zeitgenössischer stoisch-popularphilosophischer VQRQK und Sprachformen und setzt diese in den eigenen theologischen Bezugsrahmen, der sich vor allem aus der Theologie des Johannes und des Paulus speist. Das Anliegen des Verfassers ist es dabei, in für die Adressaten plausibler Sprache und Motivwahl zentrale christliche Grundaussagen der beiden Apostel auf einem hohen sprachlich-formalen und inhaltlichgedanklichen Niveau zu präsentieren, um gewissermaßen „auf Augenhöhe“ mit den Philosophen der Zeit in Diskurs zu treten. Wie etwa Marc Aurel in seinen „Selbstbetrachtungen“ sich auf seine tatsächlichen philosophischen Lehrer (z.B. 1,6.12) und seine Lehrer im Geiste (z.B. Epikur, Heraklit u.a.) bezieht, so stellt der Verfasser der Schrift an Diognet die beiden heraus113 3QNKL RCUC ZTWUJ VQ? FG? VG”ZQL RGTKMGKVCK UOCTCIFKPQP RWNCK FG? GK UKP G RVC [...]. Auffällig sind die Bezüge zur Beschreibung des himmlischen Jerusalem in der Johannesoffenbarung (Apk 21,11f.18ff). Die sieben Säulen erinnern an die Weisheitsliteratur des Alten Testaments und der jüdisch-hellenistischen Zeit (dazu siehe STAERK, Säulen, 232–261 und oben I.2 zu Joseph und Aseneth). 114 BETZ, Lukian, 95. 115 So die mit Recht vertretene Sichtweise bei PLÜMACHER, Identitätsverlust, 28–30. Die popularphilosophische Ethik in Form von Statusegalisierung und Gleichheit aller Bewohner der Tugendstadt sieht Plümacher als „Weg aus der Krise“.

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ragenden christlichen Theologen Paulus und Johannes nicht als Autoritäten, sondern in ihren theologischen Aussagen als den Philosophen ebenbürtig dar. Der Verfasser veranschaulicht mit dem Motiv der „himmlischen Bürgerschaft“ das christliche Weltverständnis in dialektischer Weise. Er zitiert dabei nicht etwa, sondern setzt das Motiv wie Paulus selbst adressatenbezogen ein, indem er es ausweitet und zum Ausdrucksmittel der als paradox empfundenen christlichen Existenz in der Welt werden lässt. Es geht dabei nicht um die Frage, ob es sich um ein angepasstes Christentum handelt, welches der Verfasser hier vertritt, sondern um die Frage für die christlichen Gemeinden, wie sie im Spannungsverhältnis von sozialer, kultureller und politischer Integration und religiös-philosophisch motivierter Abgrenzung ihre Identität aufrecht erhalten können.

VI. Der Motivkomplex in weiteren christlichen Texten des zweiten Jahrhunderts Der Motivkomplex in christlichen Texten des zweiten Jahrhunderts

1. Einleitung Einleitung Untersuchungen zum Motiv der himmlischen Bürgerschaft und ähnlicher Motive in frühchristlicher Literatur fehlen in der neueren Forschung. Bis heute wird diesbezüglich auf die Untersuchung von K.L. Schmidt „Die Polis in Kirche und Welt“ aus dem Jahr 1940 verwiesen. Schmidt, der sich auch in weiteren Veröffentlichungen1 mit dem Themenbereich befasst hat, verfolgt einen eher lexikographischen Ansatz. Ähnlich wie vor ihm W. Ruppel2 untersucht Schmidt zunächst die Bedeutungsebenen der Wortfamilie RQNKL RQNKVGKC RQNKVGWGU-CK und RQNKVGWOC in antiker Literatur, um von hier aus auf den neutestamentlichen, frühchristlichen und jüdischen Sprachgebrauch einzugehen. Das ihn leitende Interesse ist die Frage, ob in den Texten von einem staatsrechtlich-technischen Verständnis der betreffenden Wortfamilie vom Stamm RQNKV- die Rede sein kann oder ob die ursprüngliche Bedeutung „in einem abgeschliffenen Sinne (‚wandeln‘) gebraucht ist“.3 In der Exegese zeigt sich immer noch diese Auffassung vor allem an der Übersetzung des Wortes RQNKVGWOC bzw. RQNKVGKC mit „(Lebens-)Wandel“ statt mit „Bürgerrecht, Bürgerschaft, Staat“ und des entsprechenden Verbs RQNKVGWQOCK mit „wandeln“.4 Der Grund für diese Bedeutungsverschiebung liegt wohl in der lateinischen Übersetzung.5 Hieronymus übersetzt RQNKVGWOC in Phil 3,20 mit conversatio, die Vetus Latina dagegen mit municipatus. Tertullian rezipiert bereits Phil 3,20 (Marc. III 24,3: politeuma nostrum, id est municipatum). Auch an zwei weiteren Stellen unterlässt es Tertullian, von conversatio zu sprechen: In cor. 13,4 heißt es von einem Soldaten, der sich einer militärischen Zeremonie verweigert, er sei ein peregrinus mundi huius et cuius civitatis supernae Hierusalem, noster municipatus in caelis.6 Auch in mart. III 3 fällt der Ausdruck politia in caelis, also das „Bürgerrecht im Himmel“, welches den 1 SCHMIDT, Art. DCUKNGKC (D), 573–595, DERS., Jerusalem und DERS., Stellung, 269–296. 2 RUPPEL, Politeuma. 3 SCHMIDT, Polis, 44. 4 Siehe dazu ausführlich oben I.6. 5 So weist z.B. EHRHARDT, Metaphysik (Bd. 2), 105–106 auf eine „entpolitisierende Tendenz“ der lateinischen Übersetzung der griechischen Vokabeln RQNKVGWOC und RQNKVGWGU-CK hin, wodurch oftmals die „politische Spitze abgebogen“ werde. 6 Übersetzung: „Aber du bist ein Fremdling in dieser Welt, ein Bürger Jerusalems, der himmlischen Stadt. Unser RQNKVGWOC heißt es, ist im Himmel. Du hast deine eigene Satzung, deinen eigenen Festkalender, nichts darfst du mit den Freuden der Heidenwelt gemein haben, du musst ihnen vielmehr entgegen sein.“

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Der Motivkomplex in christlichen Texten des zweiten Jahrhunderts

Märtyrern in Aussicht gestellt wird.7 Nach K. Aland setzt die Wandlung der Bedeutung mit Cyprian ein. Dieser habe RQNKVGWOC aus Phil 3,20 stets mit conversatio übersetzt.8 Damit ist der erste Untersuchungsaspekt des folgenden Kapitels angesprochen. Es geht um die Frage, wie speziell und konkret das Motiv der himmlischen Bürgerschaft und damit verwandte Motive aus dem Bereich des Staatswesens in frühchristlicher Literatur und in der Apologetik noch Verwendung finden. Dabei ist die These Alands, Schmidts u.a. zu überprüfen, dass die politische Färbung der Ausdrücke RQNKVGWOC RQNKL oder RQNKVGWGU-CK tatsächlich bereits früh zurückgetreten, und eine allgemeinere, „abgeschwächte“ oder „ethisierte“ Bedeutung festzustellen sei.

Der zweite Aspekt der Untersuchung hat mit der Beobachtung zu tun, dass sich das Motiv der himmlischen Bürgerschaft in der frühchristlichen Literatur zunehmend seltener findet bzw. sich abzeichnet, dass das Motiv, wie es noch Paulus und der Autor der Schrift an Diognet verwenden, nicht mehr für sich steht, sondern bereits Deutungen, Ergänzungen und Herleitungen verschiedenster Art mitgeliefert werden. Das sinnfälligste Beispiel ist Clemens von Alexandrien, strom. IV 172,2-3. Zu dieser Stelle macht S. Vollenweider am Rande seiner Ausführungen zur Vorstellung der Weltstadt die Bemerkung, dass Clemens sowohl die stoische Himmelsstadt als auch Platos RCTCFGKIOC auf die Kirche deute.9 Hinzu kommt auch noch Material aus einem Eurypidesfragment und aus der griechischen Mythologie (Homer, Herodot), welches in strom. IV 172 mit biblischen Traditionen verwoben wird. Dies wird im folgenden Kapitel zum Anlass genommen, am Beispiel des Clemens die Veränderung in der Verwendung des Motivs der himmlischen Bürgerschaft aufzuzeigen.

2. Überblick über frühchristliche Belege für den Motivkomplex „himmlische Zugehörigkeit“/„himmlische Bürgerschaft“ Belege des Motivs in frühchristlicher Literatur Im ersten Clemensbrief10 finden sich wenige Anklänge an den Motivbereich, ohne dass hier allerdings explizit von der „himmlischen Bürgerschaft“ die Rede wäre. Das Verb RQNKVGWGU-CK wird aber an einigen Stellen verwendet (3,4): „Deshalb sind Gerechtigkeit und Friede in weiter Ferne, weil jeder die Furcht Gottes verlassen und beim Glauben an ihn den klaren Blick verloren hat, auch nicht in den Satzungen seiner Gebote wandelt (RQTGWGU-CK) und sein Leben nicht [so] führt, wie es 7 Vgl. dazu auch ALAND, Christen, 249f. 8 ALAND, Christen, 250. 9 VOLLENWEIDER, Freiheit, 55 A. 129 mit Bezug auf strom. IV 172,2f. 10 Erwogen wird meist eine Datierung in die Zeit Kaiser Domitians (ermordet im Jahr 96). Zur Datierung des Briefes siehe Näheres bei LONA, 1Clem, 75–78.

Belege des Motivs in frühchristlicher Literatur

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Christus entspricht (RQNKVGWGU-CK MCVC? VQ? MC-JMQP V ;TKUVà), sondern jeder nach den Begierden seines bösen Herzens wandelt (DCFK\GKP), ungerechte und gottlose Eifersucht tragend, wodurch ja der Tod in die Welt hineingekommen ist.“

Auffällig ist die sprachlich-formale Gestalt des Textes.11 Zwei Verben mit C-privativum (C RQNKRG”P und C ODNWYRJUCK) im Infinitiv Aorist folgen drei Verben im Infinitiv Präsens: RQTGWGU-CK RQNKVGWGU-CK und DCFK\GKP Neben der Alliteration, die die ersten beiden Formen bilden, fällt auf, dass zwei Ausdrücke des Gehens den Infinitiv RQNKVGWGU-CK einschließen. Die Frage ist hierbei, ob es sich bei RQNKVGWGU-CK um eine stilistisch bedingte Wortwahl (R-Alliteration) oder schlicht um eine variatio im Ausdruck handelt.12 Die dritte Möglichkeit wäre eine bewusste Verwendung des Verbs unter Berücksichtigung der ihm eignenden politischen Bedeutung. Zudem hat der Ausdruck MC-JMQP eine lange Tradition in der Stoa und damit eine spezielle philosophische Bedeutung („das Angemessene“13). Die popularphilosophische Bedeutung ist ebenfalls sehr verbreitet gewesen („die Pflicht“, „das Gebührliche“, „Geziemende“). Es handelt sich um einen allgemein-ethischen Ausdruck des dem gesunden Menschenverstand entsprechenden moralisch Gebotenen.14 Zum besseren Verständnis sollten die weiteren RQNKVGWGU-CK-Belege im ersten Clemensbrief hinzugenommen werden. An drei Stellen werden Adverbien mit RQNKVGWGU-CK verbunden, u.a. das clementinische Vorzugswort Q UKYL:15 (6,1:) „Diesen gottgefällig wandelnden Männern wurde hinzugesellt eine große Menge von Auserwählten, die viele Martern und Qualen wegen Eifersucht erlitten haben und zum vorzüglichen Beispiel bei uns geworden sind.“ (21,1:) „Seht zu, Geliebte, dass nicht seine vielen Wohltaten uns zum Gericht werden, wenn wir nicht seiner würdig wandelnd das vor ihm Gute und Wohlgefällige tun in Eintracht.“ Und ferner: (44,6:) „Wir sehen nämlich, dass ihr einige, die einen guten Wandel führen (MCNYL RQNKVGWQOGPQWL), aus dem von ihnen untadelig in Ehren gehaltenen Dienst herausgedrängt habt.“ Zu nennen wäre auch noch 51,2, wo RQNKVGWGU-CK als Partizip mit OGVC? HQDQW MCK? C ICRJL verbunden wird („die mit Furcht und Liebe wandeln“).

Die Kombination eines Adverbs aus dem ethisch-moralischen oder religiösen Bereich, mit dem RQNKVGWGU-CK ist weit verbreitet. In 1Clem 21,1 ist allerdings die Nähe zu Paulus auffällig (siehe Phil 1,27).16 Insgesamt ist 11 Dazu LONA, 1Clem, 143f. 12 So LONA, 1Clem, 145. 13 Vgl. SCHLIER, Art. MC-JMY 441f; LONA, 1Clem, 145; POHLENZ, Stoa (Bd. I), 130f. 14 Nach LONA, 1Clem 145 ist der Sprachgebrauch in 1Clem 3,4 aber beeinflusst durch die Sprache des hellenistischen Judentums. Im NT kommt der Ausdruck nur in Röm 1,28 vor (im Neutrum Plural VC? OJ? MC-JMQPVC). 15 So LONA, 1Clem, 168 mit Belegen. 16 Mit LINDEMANN, Paulus, 78 hält es LONA, 1Clem, 275 für unbegründet, einen direkten Einfluss anzunehmen.

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Der Motivkomplex in christlichen Texten des zweiten Jahrhunderts

an keiner der zitierten Stellen ersichtlich, dass der spezifisch politische Wortsinn für den Sinn der Aussage notwendig wäre, ganz zu schweigen von Anklängen an das Motiv einer Bürgerschaft bzw. eines Bürgerrechts im Himmel.17 An einer Stelle hält K.L. Schmidt es jedoch für möglich, dass die Bürgerschaftsmetapher im Hintergrund stehen könnte: In 1Clem 54 geht es zunächst um die Aufforderung an die Gemeinde, im Frieden mit den bestellten Gemeindeältesten zu leben (V. 2). Danach heißt es in V. 3f: „Wer dies tut, wird für sich großen Ruhm in Christus erwerben, und jeder Ort wird ihn aufnehmen. Denn „des Herrn ist die Erde und ihre Fülle“. Das haben die, die den nicht zu bereuenden „Wandel“ Gottes beschreiten, getan und werden es tun: VCWVC QK RQNKVGWQOGPQK VJ?P C OGVCOGNJVQP RQNKVGKCP VQW -GQW G RQKJUCP MCK? RQKJUQWUKP 

Das Substantiv RQNKVGKC kommt außer an dieser Stelle nur noch in 2,8 vor (V RCPCTGV MCK? UGDCUOK RQNKVGKm MGMQUOJOGPQK – „die mit ganz tugendhaftem und verehrungswürdigen Wandel geschmückt sind“). Für Schmidt deutet die Verbindung von Substantiv und Verb doch eher auf die Übersetzung hin: „diejenigen, die als Bürger des Gottesreiches leben, was nicht reut“.18 Plausibel wird für Schmidt ein solches Verständnis der Stelle 54,4 durch die Hinzunahme der Fremdlingsmetapher aus 1Clem 1,119 „eine ausgesprochene Ethisierung der ganzen Vorstellung“.20 Hinter 54,3f aber Anklänge an kosmopolitische Vorstellungen im Sinne etwa Demokrits, Epiktets oder Senecas zu sehen, ist nach Lona nicht angemessen. Die Argumentation des Verfassers liege auf einer anderen Ebene als auf der philosophischen.21 Für das Motiv der himmlischen Bürgerschaft gibt es in 1Clem keine Belege. Die Idee der Himmelsstadt oder gar die Vorstellung des himmlischen Jerusalem kommen ebenfalls nicht vor. Interessant ist allerdings – völlig jenseits der politischen Metaphorik – die Formulierung in 5,7: Von Paulus heißt es: QW VYL C RJNNCIJ VQW MQUOQW MCK? GK L VQ?P C IKQP VQRQP C PGNJOH-J W RQOQPJL IGPQOGPQL OGIKUVQL W RQITCOOQL22

17 Das entspricht dem Urteil bei SCHMIDT, Polis, 46, „daß der erste Clemensbrief die Rede vom himmlischen Bürgertum unmittelbar nicht kennt.“ 18 SCHMIDT, Polis, 45 im Anschluss an KNOPF, Väter, 132. 19 + G MMNJUKC VQW -GQW J RCTQKMQWUC 5YOJP V G MMNJUKm VQW -GQW V RCTQKMQWU .QTKP-QP

20 SCHMIDT, Polis, 46. 21 LONA, 1Clem, 559: „Es handelt sich bei ihm (sc. Verf. des 1Clem) nicht um Kosmopolitismus noch um eine unverlierbare Bindung an den Kosmos, was die Gewißheit begründet, überall auf der Welt Aufnahme zu finden, sondern um die Macht Gottes über seine Schöpfung.“ 22 „So ist er aus der Welt geschieden und ist an den heiligen Ort gelangt – größtes Vorbild der Geduld“.

Belege des Motivs in frühchristlicher Literatur

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Ähnlich ist auch die Wendung in 5,4: „Petrus, der wegen ungerechtfertigter Eifersucht nicht eine und nicht zwei, sondern viele Mühen erduldet hat und der so – nachdem er Zeugnis abgelegt hatte – gelangt ist an den [ihm] gebührenden Ort der Herrlichkeit (GK L VQ?P Q HGKNQOGPQP VQRQP VJL FQEJL).“ Hierbei handelt es sich um eine u.a. im Kontext des Martyriums verbreitete Anschauung vom eschatologischen Heilsort (vgl. z.B. auch Polykarp 9,2; Hermas, sim. IX 27,3; ähnlich auch: Ignatius, Magn. 5,1).23 Im Polykarpbrief24 findet sich in 5,1f eine sprachlich mit 1Clem 21,1 und Phil 1,27 verwandte Stelle: „In dem Bewusstsein nun, dass Gott sich nicht verspotten lässt, müssen wir seinem Gebot und seiner Ehre angemessen wandeln (C EKYL  FQEJL RGTKRCVG”P). Ebenso [wandeln] die Diakone untadelig vor seiner Gerechtigkeit, als Gottes und Christi, nicht aber der Menschen Diener; nicht verleumderisch [...] nach der Wahrheit des Herrn (RQTGWQOGPQK MCVC? VJ?P C NJ-GKCP VQW MWTKQW), der Diener aller geworden ist. Wenn wir ihm wohlgefällig sind in der gegenwärtigen Weltzeit, werden wir auch die zukünftige empfangen; denn er hat uns versprochen, uns von den Toten zu erwecken und dass wir, wenn wir seiner würdig als Bürger leben, auch mit ihm herrschen werden, wenn wir nur glauben.“25.

Deutlich ist hier im Gegensatz zu den bisher genannten Stellen in 1Clem die eschatologische Dimension erkennbar, die bereits durch den Gegensatz G P V PWP CK YPK – VQ?P OGNNQPVC angezeigt wird und durch das Futur RQNKVGWUYOG-C zusammen mit UWODCUKNGWUQOGP CW V fortgeführt wird. Die Aussage erinnert an 2Tim 2,12a („dulden wir, so werden wir mit ihm herrschen“). Nach Bauer/Paulsen liegt beiden Texten eine eschatologische Überlieferung zugrunde, die von Polykarp paränetisch interpretiert wird.26 Der eschatologische Grundgedanke in 5,1f erinnert zudem stark an Paulus (vgl. nur Röm 6,8 oder 1Thess 4,17: MCK? QW VYL RCPVQVG UW?P MWTK G UQOG-C und Phil 1,23: UW?P ;TKUV GœPCK).27 23 Auf das textkritische Problem (siehe LONA, 1Clem, 166 A. 7) kann hier nicht eingegangen werden. $PGNJOH-JP ist ein Hinweis auf einen terminus technicus für die Aufnahme in den Himmel (vgl. im Neuen Testament Mk 16,19; Apg 1,11; 1Tim 3,16, vgl. auch TestHiob 39,8–40,4). 24 Der Polykarpbrief ist wohl um 135 n.Chr. geschrieben, möglicherweise als antimarcionistisches Schreiben kurz nach den Ignatiusbriefen, siehe BAUER/PAULSEN, Ign/Pol, 113. 25 .CK? Q VK G C?P RQNKVGWUYOG-C C EKYL CW VQW MCK? UWODCUKNGWUQOGP CW V 26 BAUER/PAULSEN, Ign/Pol, 118. 27 Hinzuweisen ist auch auf Röm 8,17b: GK RGT UWORCUZQOGP K PC MCK? UWPFQECU-YOGP Dem Mitleiden mit Christus folgt eine Verherrlichung mit ihm. In Röm 8,17–29 fallen die mit UWP- zusammengesetzten Formen auf. Besonders der Ausdruck UWOOQTHQL in 8,29 ist hier zu nennen, weil er sonst nur in Phil 3,20 vorkommt (beachtenswert das Partizip UWOOQTHK\QOGPQL in Phil 3,10!). Der in Röm 8,17b geäußerte Grundgedanke ist i.ü. mit Phil 3,19–21 vergleichbar. Als Gegenstück zur gegenwärtigen Niedrigkeit (Phil 3,20: UYOC VJL VCRGKPYUGYL) wird den Christen die Zusage der Verherrlichung mit Christus gemacht.

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Der Motivkomplex in christlichen Texten des zweiten Jahrhunderts

In der Schrift Hirt des Hermas28 begegnet das Motiv der himmlischen RQNKL zur Veranschaulichung des Verhältnisses von Christen zur nichtchristlichen Umwelt.29 Auch die Fremdlingsmetapher ist am Beginn des ersten Gleichnisses (sim. I) enthalten in: QK FCVG HJUKP Q VK G RK? EGPJL MCVQKMG”VG W OG”L QK FQWNQK VQ¤ -GQW30

Mit einer gewissen gedanklichen Nähe zu Hebr 13,14 fährt der Verfasser fort: J IC?T RQNKL W OYP OCMTCP G UVKP C RQ? VJL RQNGYL VCWVJL GK QW P Q›FCVG HJUK VJ?P RQNKP W OYP G PÄ OGNNGVG MCVQKMG”P VKØFG W OG”L G VQKOC\GVG C ITQWL31 

Auch in sim. I 3 und I 6 tritt die Fremdlingsmetapher hervor:32 „Du Tor, du Zweifler, du unseliger Mensch, bedenkst du nicht, dass dies alles [dir] fremd ist und unter eines anderen Gewalt steht? (Q VK VCWVC RCPVC C NNQVTKC GK UK MCK? W R+ G EQWUKCP G VGTQW GK UKP;).“ In I 6 wird für den Aufenthalt in der Fremde empfohlen, nur bescheidenen Besitz zu erwerben: Y L G RK? EGPJL MCVQKMYP OJFG?P RNGQP G VQKOC\G UGCWV GK OJ? VJ?P CW VCTMGKCP VJ?P C TMGVJP UQK MCK? G VQKOQL IKPQW K PC Q VCP -GN Q FGURQVJL VJL RQNGYL VCWVJL G MDCNG”P UG C PVKVCECOGPQP V PQO CW VQW G EGN-L G M VJL RQNGYL CW VQW MCK? C RGN-L G P V RQNGK

Wer sich dagegen zu viel Besitz verschafft, erweckt den Eindruck, als wolle er für immer in dieser Stadt bleiben, statt in die eigene zurückzukehren (sim. I 2: QW FWPCVCK G RCPCMCO[CK GK L VJ?P

UQW MCK? V U PQO ZTJU C PWDTKUVYL C ICNNKYOGPQL33

K FKCP RQNKP). 

28 Zur Einordnung der Schrift vgl. LINDEMANN/PAULSEN, Väter, 325: „Der ‚Hirt‘ des Hermas ist eine vermutlich noch in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts in Rom verfaßte Bußschrift im Gewand einer Apokalypse. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß die Angaben über den Abfassungsort und über den Verfasser (Vis I 1 u.ö.,) nicht fiktiv, sondern zutreffend sind.“ 29 Vgl. dazu insgesamt die Ausführungen bei LEUTZSCH, Wahrnehmung, 192–214. 30 „Ihr wisst, ihr Knechte Gottes, dass ihr in der Fremde wohnt.“ Hiermit wird an Bekanntes angeknüpft. Dieser Verweis wird mit dem im Hirten ansonsten seltenen Verb GK FGPCK gestaltet und erinnert ein wenig an das QK FCVG in 1Thess 2,1–2. 31 „Denn eure Stadt ist fern von dieser Stadt. Wenn ihr nun eure Stadt kennt“, fuhr er fort, „in der ihr wohnen sollt, warum erwerbt ihr euch hier Äcker?“ 32 Vgl. dazu LEUTZSCH, Wahrnehmung, 194: „Die interpretierende Erinnerung ist offenbar notwendig, da die Fremdheit der Christen in der Welt aus der Sicht des Hermas bzw. des Bußengels von den Christen entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht (mehr) adäquat empfunden und gelebt wird.“ 33 „Erwirb dir als einer, der im fremden Lande wohnt, nicht mehr, als was du brauchst und was dir ausreicht, und sei bereit, dass du, wenn der Herr dieser Stadt dich wegen Ungehorsams gegen sein Gesetz ausweisen will, seine Stadt verlässt und in die deine auswanderst, um dort fröhlich und ungekränkt nach deinem Gesetz zu leben.“ Hinzuweisen ist auf den Übersetzungsfehler bei ALAND, Christen, 251, der V U PQO auf RQNKL bezieht und mit „nach deren Gesetz“ statt „nach deinem Gesetz“ übersetzt.

Belege des Motivs in frühchristlicher Literatur

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Im „Hirt des Hermas“ wird die Fremdlingschaft der Christen mit dem eschatologischen Zwei-Städte-Schema interpretiert.34 Die Wahl dieses Bildes lässt m.E. darauf schließen, dass der Verfasser mit einer starken identitätsbildenden Kraft, mit der ein städtisches Gemeinwesen auf die Adressaten wirkt, rechnet. Was zu einer städtisch geprägten Identität gehört, wurde bereits bei der Untersuchung zu Philippi deutlich. Im Hirt des Hermas wird vor allem auf den Aspekt des Besitzes abgehoben. Die argumentative Spitze findet sich in dem Appell: „Erwirb dir als einer, der im fremden Lande wohnt, nicht mehr, als was du brauchst und was dir ausreicht (I 6).“ Die beiden Städte stehen sinnbildlich für zwei Welten: Die eine steht für die irdische Welt, ihre Normen und die sozialen Bezüge, in denen auch Christen leben (vgl. Diog 5,1–9). Die andere ist die bessere, eigene Stadt, in die der Christ zurückkehren wird und deren Normen sein Leben bestimmen sollen. Die beiden RQNGKL fungieren als Sinnbilder für die Distanz der Christen zu ihrer Umwelt und zugleich für die erstrebte, eigentliche Existenz. Dass die eigene Stadt der Christen allerdings im Himmel zu denken sei oder dass es sich um die mit Jerusalem zu identifizierende Stadt handelt, teilt der Verfasser nicht mit.35 M.E. lässt sich auf dieser Basis eine gedankliche Linie von Paulus (Phil 1,27; 3,2–21, v.a. 3,17–21) über die Schrift an Diognet (Kap. 5–6, v.a. 5,1–9) bis hin zum Hirt des Hermas ziehen. Die Übereinstimmung besteht darin, dass die Lebenswelt der Christen in ihrer Realität und in ihrer Konfliktträchtigkeit bewusst aufgenommen wird. Die Bezugsgrößen, die sich aus dem Evangelium ergeben, werden in allen drei Fällen in der Sprache und Bildhaftigkeit der realen Welt beschrieben. In allen drei Fällen ergeben sich deutliche ethische Implikationen aus den Vorstellungen von der himmlischen Bürgerschaft bzw. der „anderen Stadt“. Der gemeinsame Nenner dieser ethischen Implikationen liegt in der gedanklichen Ausrichtung auf die Welt und die Normen Gottes, statt auf irdische Größen, sei es Bürgerrecht, Statussymbole oder Besitz.

34 Dazu LEUTZSCH, Wahrnehmung, 196–197. 35 Hier liegt das Besondere der Vorstellung im „Hirt des Hermas“. Auch bei dieser Schrift bietet es sich also nicht an, die Vorstellung allzu schnell unter die Rubrik „himmlisches Jerusalem“ zu stellen oder in die Apokalyptik zu versetzen (siehe dazu oben Kap. I.1). Vgl. dazu treffend LEUTZSCH, Wahrnehmung, 198: „Bei Hermas ist das Zwei-Städte-Schema ohne die traditionellen Städtebezeichnungen, ohne Bezug auf das derzeit zerstörte irdische Jerusalem und ohne (ausdrückliche) Verwendung der Vorstellung von der endzeitlichen Herabkunft der Himmelsstadt aufgenommen. Anders als in der Apokalyptik gibt es hier (und ähnlich in Hb) keine Indizien dafür, daß die Stadt in der Endzeit eine besondere Örtlichkeit ist.“

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Der Motivkomplex in christlichen Texten des zweiten Jahrhunderts

3. Die himmlische Bürgerschaft bei Clemens von Alexandrien Die himmlische Bürgerschaft bei Clemens von Alexandrien 3.1 Einleitung Der vielfach gebildete, sprachgewandte Theologe und christliche Philosoph Clemens von Alexandrien, den Hieronymus als omnium eruditissimus (epist. 70,4) bezeichnet, versteht es, jüdisch-hellenistisches Bildungswissen, biblische Motive und vor allem die Philosophie Platos zusammenzubringen. Geläufig sind ihm aber auch die stoische Philosophie sowie die Ethik der hellenistischen Popularphilosophie. Methodisch ist er in seiner oftmals allegorischen Schriftauslegung stark an Philo orientiert, zeigt aber auch originelle hermeneutische Zugänge zu bestimmten Überlieferungen und Problemstellungen.36 Über die Biographie des Clemens von Alexandrien ist sehr wenig bekannt. Anzunehmen ist nach Euseb, h. e. V 10,1, dass der zum Christentum übergetretene Stoiker Pantainos sein Lehrer in Alexandrien war. Im Jahre 202/203 dürfte Clemens im Rahmen von härter gewordenen Maßnahmen gegen Christen geflohen sein. 211 wird er als theologischer Berater des Bischofs von Jerusalem erwähnt. Um 215/16 bzw. 221 dürfte Clemens gestorben sein.37

Sein Zugang zu Philosophie und überliefertem Bildungsgut ist grundsätzlich eklektisch – eine Methode, die Clemens selbst ausdrücklich empfiehlt.38 In die Gedanken des Clemens fließen neben Ideen aus dem Platonismus39 auch vor allem stoische Elemente ein, so dass für die gebildeten Adressaten der christliche Standpunkt des Clemens als philosophisch fundiert und begründet nachvollziehbar erscheint.40 Und doch bleibt Clemens, was seine Bewertung der griechischen Philosophie angeht, durchaus zwiespältig,41 insofern sie der Weg hin zur wahren Gnosis ist, nicht aber diese selbst. Ihm gilt die Philosophie als „königlichste Lehre“,42 und er sieht in ihr eine 36 Vgl. VAN DEN HOECK, Art. Clemens von Alexandrien, 395–396. 37 Siehe dazu insgesamt RITTER, Klemens von Alexandrien, 121f. 38 Strom. I 37,6: „Wenn ich aber von Philosophie spreche, so meine ich nicht die stoische, die platonische oder die epikureische und aristotelische, sondern alle diejenigen guten Gedanken, die bei jeder einzelnen von diesen Richtungen ausgesprochen werden und Gerechtigkeit zusammen mit frommem Wissen lehren – diese ganze Auswahl nenne ich Philosophie.“ 39 MARKSCHIES, Jerusalem, 323 betont diesen Aspekt mit Recht: Clemens verfüge als erster christlicher Theologe über „wirklich gründliche Platonkenntnisse“. 40 Dabei lässt Clemens freilich keinen Zweifel darüber aufkommen, dass trotz seiner Hochschätzung der griechischen Philosophie diese eben doch nur der Weg zur wahren Gnosis ist und nicht diese selbst. In strom. I 87,1 wird die Philosophie als „ein kleines Feuer“ gesehen, nach V 29,5 handelt es sich um den „Schein eines glimmenden Dochtes“. 41 Vgl. FRÜCHTEL, Art. Clemens Alexandrinus, 185. 42 Strom. I 80,6.

Die himmlische Bürgerschaft bei Clemens von Alexandrien

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Vorstufe der „wahren christlichen Philosophie“.43 Die theoretische Grundlegung für sein Philosophieverständnis entfaltet Clemens analog zu Philo von Alexandrien durch die allegorische Deutung der beiden Frauengestalten Sara und Hagar. Die Propädeutik und die enzyklischen Wissenschaften müssen – wie Hagar – Magd bleiben und der Weisheit als der wahren biblischen Philosophie (Sara) dienen.44 Clemens führt die Allegorese allerdings weiter, indem er das von Philo Übernommene um neutestamentliche Texte ergänzt, vor allem dadurch, dass er mit Verweis auf Joh 14,6 (G IY GK OK J C NJ-GKC) eine Präzisierung vornimmt und so den höheren Anspruch seiner Philosophie deutlich werden lässt.45 Sein Programm ist orientiert an Paulus (1Kor 9,22), wie er es selbst mehrfach äußert, wenn er z.B. nicht ganz frei von Humor festhält (strom. I 15,3ff): „Unsere Aufzeichnungen werden auch keine Bedenken tragen, die schönsten Stücke der Philosophie und der übrigen Vorstufen der Bildung zu verwenden. Denn es ist nicht nur, wie der Apostel sagt, verständig, wegen der Hebräer und der unter dem Gesetz Stehenden ein Jude zu werden, sondern auch wegen der Griechen ein Grieche, auf dass wir alle gewännen. Und jedermann und ihn in aller Weisheit unterrichtend, um einen jeden in Christus zur Vollkommenheit zu führen. [...] So ist auch der Reichtum an ausgewählten Lesefrüchten den würzigen, der Speise eines Wettkämpfers beigemengten Zutaten zu vergleichen, der dadurch nicht die Neigung zum Schwelgen, sondern die rechte Lust zum Essen bekommen soll.“

Bei der inhaltlich-gedanklichen Bandbreite, die Clemens in seinen drei Hauptschriften (3TQVTGRVKMQL 3CKFCIYIQL und 6VTYOCVG”L) bietet, ist es zunächst nicht auffällig, dass Clemens in seiner reichen Bilder- und Metaphernsprache auch das Motiv der himmlischen Bürgerschaft und des himmlischen Gemeinwesens verarbeitet hat.46 43 Vgl. dazu SCHNEIDER, Theologie, 232: „Die Stufenlehre reflektiert Clemens grundsätzlich. Sie ist eng verbunden mit dem Philosophiegebrauch: Die bisherige heidnische Philosophie gilt als Vorstufe zur ‚wahren Philosophie‘. Das ist nicht nur ein apologetisches, nach ‚außen‘ gerichtetes Argument, mit ihm muss Clemens auch nach ‚innen‘ die Philosophiekritiker unter seinen christlichen Zeitgenossen beruhigen. [...] Die heidnischen Inhalte und Akzentuierungen sollen durch biblische ersetzt werden.“ 44 Siehe dazu strom. I 30–32 und bei Philo, congr. 9f.14.20f.77.80, vgl. ferner POHLENZ, Klemens von Alexandreia, 109 und SCHNEIDER, Theologie, 233ff. 45 Siehe dazu im Detail SCHNEIDER, Theologie, 232–264. 46 Es findet sich in der überaus reichhaltigen Forschungsliteratur zu Clemens von Alexandrien und seinem Werk keine nähere Untersuchung des Motivs der himmlischen Bürgerschaft. Zu nennen ist die ältere Dissertation von TSERMOULAS, Bildersprache. Tsermoulas behandelt die Bilder aus dem staatlichen Bereich allerdings äußerst knapp und ohne tiefergehende Deutung (S. 88–90). MEES, Zitate, 204–205 nennt Phil 3,20 als Zitat bei Clemens. Die Kommentare zum Philipperbrief oder zum Diognetbrief gehen entweder gar nicht oder nur am Rande auf Clemens ein, z.B. LONA, Diognet, 57 (Parallele zwischen Diog 5,9 und paed. III 99,1) und 167 (in der Auslegung zu 5,9). Der einzige, der eine wirkliche Zusammenschau aller jüdisch-hellenistischen, neutestamentlichen, frühchristlich und altkirchlichen Belegstellen für das Motiv der himmlischen Bürgerschaft bietet,

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Der Motivkomplex in christlichen Texten des zweiten Jahrhunderts

Bemerkenswerter ist, dass sich das Motiv von der himmlischen Bürgerschaft bei Clemens erkennbar in seiner Bedeutung verändert. Dies könnte – vordergründig gedacht – an der ganz eigenen Art des Clemens liegen, in der er biblische Texte rezipiert. In einer von allegorischer, typologischer und metaphorischer Auslegung geprägten Textrezeption ergeben sich bisweilen auch Bedeutungsverschiebungen. Doch an einzelnen Texten kann man m.E. nachweisen, dass sich bei Clemens eine Entwicklung des Motivs vollzieht, die in der weiteren christlichen Theologie der Alten Kirche fortgesetzt wird und die andere Ursachen hat als die Art der Textrezeption.

3.2 Andeutung und Entfaltung der himmlischen Bürgerschaft bei Clemens Betrachtet man die Texte im einzelnen, so fällt auf, dass das Motiv der himmlischen Bürgerschaft als den Lesern bekannt vorausgesetzt wird und es über das Werk des Clemens verteilt in seiner Bedeutung recht variabel eingesetzt werden kann. Eine systematische Entfaltung wie etwa in der Schrift an Diognet (Kap. 5) sucht man allerdings vergebens. In den Stromateis wird an zwei Stellen explizit Phil 3,20 zitiert: In starker Anlehnung an Paulus diskutiert Clemens in strom. III 95,2–3 das Für und Wider der Ehe. In diesem Zusammenhang heißt es dort: „Auch sagt er (sc. Cassianus): Die Untertanen weltlicher Herrscher zeugen und werden gezeugt, unser Bürgerrecht aber ist im Himmel, von wo wir auch den Retter erwarten (J OYP FG? VQ? RQNKVGWOC G P QW TCP G E Q¨ MCK? UYVJTC C RGMFGZQOG-C). Dass dies nun auch richtig gesagt ist, wissen wir, denn wie Fremdlinge und Gäste sollen wir leben (Y L EGPQK MCK? RCTGRKFJOQWPVGL RQNKVGWGU-CK Q HGKNQOGP), die Heiratenden, als ob (Y L OJ) sie nicht heiraten, die Erwerbenden, als ob sie nicht erwürben, diejenigen, die Kinder zeugen als solche, die Sterbliche zeugen, das heißt als solche, die bereit sind, ihren Besitz zurückzulassen, als solche, die, wenn es nötig ist, auch ohne Gattin leben würden, die Schöpfung nicht mit leidenschaftlichem Verlangen genießen, sondern mit aller Dankbarkeit und mit dem Gefühl innerer Erhabenheit.“

Hier hat man nicht den Eindruck, als entfalte Clemens die himmlische Bürgerschaft selbst näher. Vielmehr dienen ihm Zitate aus Phil 3,20; Hebr 11,13; 1Petr 2,11 und die analog zu Paulus geformten Y L-OJ-Sätze (1Kor 7,29–31) dazu, sein eigenes Eheverständnis biblisch zu untermauern. Die andere Stelle kann als der zentrale Text für das Motiv der himmlischen Bürgerschaft bei Clemens angesehen werden.47 Nach dem Zitat eines ist SCHMIDT, Jerusalem, 207–248, vgl. aber die unter 2.6 und bei MARKSCHIES, Jerusalem, 340 geäußerte Kritik an Schmidt. 47 Nach SCHMIDT, Jerusalem, 239 handelt es sich um die „gefüllteste und beziehungsreichste Stelle bei Clemens Alexandrinus“ zum Motiv der „himmlischen Bürgerschaft“.

Die himmlische Bürgerschaft bei Clemens von Alexandrien

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Euripidesfragments führt Clemens als Abschluss des vierten Buches der Stromateis (172,2–3) aus: „Ich aber bete, dass der Geist Christi mich beflügeln wird hin zu meinem Jerusalem; denn auch die Stoiker sagen, dass nur der Himmel im eigentlichen Sinn eine RQNKL sei, was aber hier auf Erden ist, keine RQNGKL seien; zwar würden sie so genannt, seien es aber nicht, denn die RQNKL sei etwas ‚Erstrebenswertes‘ (URQWFC”QP) und das Volk eine angenehme Gemeinschaft und eine Menschenmenge, die vom Gesetz gelenkt werde, gleichwie die Kirche (G MMNJUKC) unter dem Logos eine nicht zu erobernde und nicht zu unterjochende Stadt auf der Erde [ist], der Wille Gottes auf Erden wie im Himmel. Abbilder (GK MQPGL) eben dieser Stadt schaffen auch die Dichter, wenn sie schreiben: Denn die Städte der Hyperboreer und der Arimaspen und die Elysischen Gefilde sind die RQNKVGWOCVC der Gerechten; wir wissen aber, dass auch die RQNKL Platos ein RCTCFGKIOC ist, welches im Himmel vorhanden ist.“

Clemens führt unter Aufnahme jüdisch-christlicher und vor allem philosophischer und mythologischer Traditionen das Motiv von der himmlischen Bürgerschaft aus. Dies beginnt mit dem einleitenden Zitat eines Euripidesfragments: Das Aufsteigen in die Höhe des Himmels mit dem Ziel der Gemeinschaft mit Zeus erinnert an die bei Plato im Dialog Theaitetos geäußerte Q OQKYUKL -G (Tht. 176B),48 welche Clemens bereits im zweiten Buch der Stromateis explizit aufgenommen und christlich umgedeutet hatte zu G EQOQKQWU-CK V MWTK MCVC? VQ? FWPCVQP (strom. II 80,5). Damit steht Clemens bereits in einer längeren philosophischen Tradition, wird doch das Q OQKY-JPCK -G schon vor Augustus – möglicherweise angeregt durch die Platoexegese des Poseidonios – in den Schulen der Platoniker und Peripatetiker als Lebensziel des Menschen gesehen. Dieses Lebensziel müsse die theoretische Erkenntnis Gottes zur Voraussetzung haben, aber auch im konkreten Handeln seinen Niederschlag (vgl. das von Clemens aus dem Theaitetos in strom. II 80,5 zitierte FKMCKQP MCK? Q UKQP OGVC? HTQPJUGYL) finden.49 In seiner Auslegung in Gebetsform (GW ECKOJP) deutet Clemens die mythologische Vorlage des Euripides christlich um, indem er an dieser Stelle das RPGWOC ;TKUVQW zur „beflügelnden“ Kraft werden lässt, die ihn schließlich zu „seinem Jerusalem“ trägt. Hier ist deutlich die Vorstellung vom himmlischen (bzw. oberen) Jerusalem rezipiert, die Clemens auch an anderer Stelle geläufig ist (paed. I 45,1–2, wo er die C PY ,GTQWUCNJO explizit erwähnt und ebenfalls zusammen mit der Vorstellung von der himmlischen Bürgerschaft rezipiert). Das bemerkenswerte an strom. IV 172,2 ist 48 Im Zusammenhang heißt es: „Deshalb muss man auch danach trachten, von hier dorthin (sc. zu den Göttern) zu entfliehen aufs schleunigste. Die Flucht (HWIJ) dorthin ist die Verähnlichung (Q OQKYUKL) mit Gott so weit als möglich (MCVC? VQ? FWPCVQP); und diese Verähnlichung, dass man gerecht und fromm sei mit Einsicht (FKMCKQP MCK? Q UKQP OGVC? HTQPJUGYL).“ 49 Dazu POHLENZ, Stoa (Bd. I), 357f.

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Der Motivkomplex in christlichen Texten des zweiten Jahrhunderts

nun, dass Clemens die biblische Vorstellung vom oberen Jerusalem und von der himmlischen Bürgerschaft, bzw. der himmlischen RQNKL gemeinsam rezipiert und diese in Bezug zu literarischen und philosophischen Parallelen setzt.50 Clemens nimmt zuerst die Stoiker auf – der Überlieferung nach ein Fragment des Philosophen Chrysipp,51 wonach nur der Himmel im wahren Sinne eine Polis sei. Hier fällt ein Zentralwort in der stoischen Philosophie auf: URQWFC”QL Abgeleitet von URQWFJ (Eifer, Eile) bzw. URQWFC\Y (sich beeilen, sich eifrig um etwas bemühen) kennt die Philosophie, namentlich schon Aristoteles, den Ausdruck URQWFC”QL als Gegensatz zu HCWNQL oder RQPJTQL im moralischen Sinn mit der Bedeutung „sittlich wertvoll“.52 In der Stoa ist der URQWFC”QL derjenige, der an der C TGVJ unmittelbar Anteil hat (vgl. Diog. Laert. VII 94: OGVGZQPVC VJL C TGVJL53). Die URQWFC”QK sind die wahrhaft sittlichen Menschen, die den HCWNQK, d.h. denen, die am Denken und Schauen der Stoiker keinen Anteil haben, gegenüberstehen und im Grunde die wahren UQHQK sind.54 Die Aufnahme der stoischen Terminologie und darüber hinaus auch der philosophisch-ethischen Konzeption ist hier beispielhaft und typisch für das Werk des Clemens. Vom sittlich Guten als abstractum führt er hinüber zur RQNKL, die nach stoischer Lehre nur als himmlische „RQNKL“ im eigentlichen Sinn ist, um dann die Kirche und den Logos mit der RQNKL gleichzusetzen. Die Hinzufügung des Verses aus dem Vaterunser -GNJOC -G”QP G RK? IJL Y L G P QW TCP (vgl. Mt 6,10) macht unter dem Vorzeichen des zu erstrebenden G EQOQKQW U-CK V MWTK deutlich, worauf der Christ gerichtet sein soll: auf die himmlische Polis Gottes, das obere Jerusalem. In dieser Form erstmalig in christlichen Schriften ist die Verbindung zu bekannten antiken mythologischen55 und philosophischen 50 Zugleich ist eine Individualisierung festzustellen, die an der Formulierung „mein Jerusalem“ deutlich wird. Der Weg über Philosophie und Bibel zur wahren christlichen Gnosis ist für Clemens letztlich immer der Weg des einzelnen Menschen selbst. 51 Dieses Fragment wird nur von Clemens überliefert (im TLG findet es sich unter den fragmenta moralia 327). 52 In diesem Sinne wird URQWFC”QL auch schon von Xenophon verwendet, siehe dazu HARDER, Art. URQWFC\Y MVN, 560. 53 Dies ist schon bei Aristoteles so verstanden worden, allerdings neutral-abstrakt, nicht auf Personen bezogen: VQ? FG? URQWFC”QP GœPCK G UVK VQ? VC?L C TGVC?L G ZGKP (m. mor. 1,1,2). 54 Vgl. im Detail HARDER, Art. URQWFC\Y MVN, 560f. 55 Mythologische Stoffe werden von Clemens vielfach aufgenommen und christlich umgedeutet. Ein Beispiel dafür ist protr. I 2–4 wo Clemens die Sangeskunst antiker Sagengestalten, u.a. des Orpheus, aufnimmt. Seiner Ansicht nach brachten diese Männer – in seinen Augen Betrüger – unter dem Deckmantel der Musik Unheil über das Leben der Menschen. Sie feierten ihre Freveltaten in Orgien und machten menschliches Leid zum Gegenstand religiöser Verehrung. Ja, sie hätten die Verkehrtheit heidnischer Religion erst aufgebaut und jene wahrlich herrliche Freiheit derer, die unter dem Himmel als freie Bürger lebten, durch ihre Lieder und Zaubergesänge unter das Joch der Sklaverei gespannt. „Aber so ist nicht mein Sänger; er ist gekommen, um binnen kurzem die bittere Knechtschaft der tyrannischen Dämonen zu zerstören; und indem er uns zu dem sanften und menschenfreundlichen Joch der Frömmigkeit hinführt, ruft

Die himmlische Bürgerschaft bei Clemens von Alexandrien

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Traditionen von der himmlischen Stadt, wie Clemens sie im folgenden andeutet: Er nennt die Städte der Hyperboreer und Arimaspier, womit er Herodot (IV 13,32–36) aufnimmt. Das Elysion, in dem „stets des Zephyros linde Lüfte blasen“, findet sich bei Homer in der Odyssee (IV 563ff).56 Schließlich zitiert Clemens Plato (rep. IX 592B): RQNKP RCTCFGKIOC G P QW TCP MGKOGPJP 

All diese Städte bezeichnet Clemens als FKMCKYP RQNKVGWOCVC – „Bürgerschaften der Gerechten“. Mit dieser Stelle ist eine andere Reflexionsebene erreicht, als es bei den Belegen für die himmlische Bürgerschaft oder des himmlischen Jerusalem bisher der Fall war.57 Standen bisher politische oder auch philosophische Vorstellungen im Hintergrund und bildeten gewissermaßen unausgesprochen die semantischen Voraussetzungen für den metaphorischen Ausdruck, so geht es Clemens von Alexandrien darum, das christlich bekannte Motiv von der himmlischen Bürgerschaft mit ebenfalls bekannten vergleichbaren Vorstellungen zu verbinden und die Gemeinsamkeiten, die in seinen Augen bestehen, hervorzuheben, um sie dann auf die Kirche deuten zu können.58 Dabei geht es ihm nicht um eine jenseitige Größe, sondern um die unter dem Logos stehende Kirche als C RQNKQTMCVQL C VWTCPPJVQL RQNKL G RK? IJL – also als „unbelagerte, unbeherrschte Stadt auf Erden“ (strom. IV 172,2). Auch an anderer Stelle spricht Clemens von der Bürgerschaft im Himmel. In protr. IX 82,5–6 heißt es: „Ich glaube, wenn er (sc. der Glaubende) aber eingeschrieben und Bürger geworden ist (G IITCH MCK? RQNKVGW-) und den Vater erlangt hat, wird er in das Haus des Vaters59 aufgenommen werden; dann wird er für würdig erachtet werden, das Erbe zu er die auf die Erde Geschleuderten zum Himmel zurück.“ Christus ist also das himmlische und neue Lied der Befreiung von heidnischer Religiosität. 56 Siehe dazu DANIÉLOU, Message, 94 mit Parallelen in der altkirchlichen Literatur. 57 Dies betont auch mit Recht WYRWA, Platonaneignung, 295 z.B. gegen LOHSE, Art. 6KYP, 338. Lohse erklärt zu strom. IV 172: „Die Vorstellung vom oberen Jerusalem wird von Cl(emens) Al(exandrinus) dazu verwendet, um den idealen Staat, dessen Urbild sich nach der platonischen Philosophie im Himmel befindet, Jerusalem zu nennen.“ 58 Vgl. dazu die seltenen Bezüge in der Forschungsliteratur: WERNER, Entstehung, 643. Er spricht hier von der „Idee von der Kirche als dem Gottesstaat, die vor Augustin nicht Origenes, sondern vor diesem bereits Clemens Al. als erster deutlich postuliert“; SCHMIDT, Jerusalem, 239: „Das alles (sc. die mythologischen und philosophischen Vorstellungen) wird mit Jerusalem als der himmlischen Stadt gleichgesetzt und mit der vom Logos geleiteten Kirche verglichen. Es handelt sich um eine mythologisch-philosophische Vorstellung, die mit biblischen Aussagen verbrämt ist. Wie Clemens hier an die dritte Bitte des Vaterunsers, Matth. 6,10, erinnern will, so spielt er auch sonst auf Bibelstellen u n d antike Städte an“; vgl. beiläufig auch VOLLENWEIDER, Freiheit, 55 (A. 129); MARKSCHIES, Jerusalem, 323. Nach WYRWA, Platonaneignung, 296 „spricht Clemens selbst von der himmlischen, bzw. der obersten Kirche, um die eschatologische Vollendung zu umschreiben.“ 59 Vgl. Eph 2,19 „Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“, siehe Kap. IV.1.

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Der Motivkomplex in christlichen Texten des zweiten Jahrhunderts

erhalten; dann wird er gemeinsam mit dem echten Sohn, dem Geliebten, an der Königsherrschaft des Vaters Anteil haben. Denn dies ist die Kirche der Erstgeborenen, die aus vielen guten Kindern besteht; dies sind die Erstgeborenen, die in den Himmeln aufgeschrieben sind und zusammen mit so vielen Myriaden von Engeln Feste feiern.“

Das Bild vom Eingeschriebensein im Himmel begegnete bereits häufig im Zusammenhang mit dem Motiv der himmlischen Bürgerschaft. Hier ist nicht nur an Phil 4,3 (VC? Q PQOCVC G P DKDN \YJL), sondern vor allem an Philo von Alexandrien zu erinnern, bei dem G IITCHY sich häufig mit RQNKVGWOC verbindet. Wiederum mit Bezug zu Phil 3,20 und auch Diog 5,9 heißt es in strom. IV 12,6: DKY FG? J FJ G P UCTMK? Y ?P Y L G P QW TCP RQNKVGWQOGPQL60

Dies erinnert auf den ersten Blick stark an Paulus, dem sich Clemens, wie bereits gesagt, immer wieder verpflichtet weiß, doch der wesentliche Unterschied besteht m.E. darin, dass Clemens die Kirche als himmlische Polis derer beschreibt, die den von ihm geforderten Weg der Gotteserkenntnis über die Vorstufe Philosophie mitgehen. Seine Philosophie dient dazu, den Menschen zu befähigen, zur Kirche als der Gemeinschaft der in das himmlische RQNKVGWOC Eingeschriebenen zu gehören und damit in die Nähe des Vaters und des Sohnes zu gelangen, vgl. protr. VIII 81, : VQVG VJL DCUKNGKCL VJL RCVTCL MQKPYPJUGK V IPJUK 

Eine weitere wichtige Stelle,61 die in diesem Zusammenhang zu nennen ist, findet sich in paed. III 99,1: „dadurch, dass der Mensch auf Erden erzogen wird, erlangt er Bürgerrecht im Himmel“: MCK? RQNKVGWGVCK OG?P G P QW TCPQ”L G RK? IJL RCKFCIYIQWOGPQL



Auch hier ist eine Parallele zu Phil 3,20 und Diog 5,9 erkennbar, doch das Motiv hat hier eine andere Zielrichtung: Durch die Unterrichtung in der Philosophie als Vorstufe zur wahren christlichen Philosophie wird die Zugehörigkeit zur himmlischen Bürgerschaft, die Clemens mit der Kirche identifiziert, konstituiert. Für Paulus wäre diese Vorstellung so nicht denkbar. Allein durch das Christusereignis haben die Christen Anteil am himm60 „Ich lebe aber, obwohl ich noch im Fleische bin, als wäre ich Bürger im Himmel.“ 61 Es ließen sich noch weitere Texte anführen, die das Motiv der himmlischen Bürgerschaft andeuten, z.B. paed. II 119,1: NK-QKL FG? C IKQKL VJ?P C PY ,GTQWUCNJ?O VGVGKZKU-CK paed. I 45,1: VGVKOJOG-C VJL C PCRCWUGYL VJ?P G NRKFC VJ?P C PY ,GTQWUCNJO GW CIIGNK\QOGPQK strom. IV 22,2: VQ?P IPYUVKMYL RQNKVGWQOGPQP; strom. III 40, 4: Q MQUOKYL RQNKVGWUCOGPQL oder paed. III 81,2–3: C EKYL VJL DCUKNGKCL RQNKVGWYOG-C, was sich sehr nah mit Paulus in Phil 1,27 (OQPQP C EKYL VQ?P GW CIIGNKQP RQNKVGWGU-G) berührt. Auf diese und weitere Belege einzugehen, ist hier nicht erforderlich, da sie die bisherige Interpretation bestätigen.

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lischen Politeuma bzw. sind dem „oberen Jerusalem“ als Stadt der Freiheit zugehörig (Gal 4,26). Daher kann Paulus auch von seinen Adressaten im Philipperbrief einfordern, dass sie ihre irdische Gesinnung (Phil 3,19) ablegen und die Ankunft des Retters vom Himmel erwarten (Phil 3,20b). Und auch in der Schrift an Diognet dient das Motiv der himmlischen Bürgerschaft nicht dazu, einen wie auch immer zu denkenden Heilsort oder bereits die Kirche zu versinnbildlichen, sondern im Bilde das Paradoxe der christlichen Existenz in der Welt plausibel zu erklären. Christen leben in der Welt und in ihren sozialen Bezügen, aber sind als „Bürger des Himmels“ auf eine sie in ihrem Leben bestimmende neue Bezugsgröße ausgerichtet.

4. Das weitgehende Fehlen des Motivs der himmlischen Bürgerschaft in apologetischer Literatur – mögliche Gründe Die weitere Entwicklung des Motivs Der einzige Beleg des Wortes RQNKVGWOC in apologetischer Literatur findet sich bei Tatian in der Rede an die Griechen.62 Dort heißt es in 19,2: MQUOQW OG?P IC?T J MCVCUMGWJ? MCNJ? VQ? FG? G P CW V RQNKVGWOC HCWNQP63 

K. Alands Einschätzung64 des RQNKVGWOC an dieser Stelle kann nicht überzeugen. Gerade wenn das Wort in apologetischem Zusammenhang nur hier vorkommt, ist zunächst nicht naheliegend, dass es mit seiner nicht-spezifischen Bedeutung im Sinne von „Lebenswandel“ verwendet worden sein soll.65 Ein genauerer Blick auf diesen vielfach nur am Rande genannten Theologen des zweiten Jahrhunderts hilft dabei, auch diesen „überaus schwerfällig zum Ausdruck gebrachten Gedanken“ (Geffcken) geistesgeschichtlich einordnen zu können. Tatian ist nämlich die Vorstellung von der einen weltumspannenden RQNKVGKC durchaus geläufig, wie ein Blick in Kap. 28,1 bestätigt: OKCP OG?P IC?T G ZTJP GœPCK MCK? MQKPJ?P C RCPVYP VJ?P RQNKVGKCP66 Im Zusammenhang mit der besonderen Form der Seelenlehre ist bei Tatian zudem ein weiterer Abschnitt von Belang (13,2): „Wenn sie (sc. die Seele) daher ihr Leben für sich allein führt, so neigt sie sich herunter zur Materie und stirbt zusammen mit dem Fleisch, hat sie aber Gemeinschaft 62 Bezeichnender Weise hält man in der Forschung die „Rede an die Griechen“ weniger für eine Apologie als vielmehr für einen Lehrvortrag (so ELZE, Art. Tatian, 621–622). 63 Übersetzung: „Denn der Bau der Welt ist gut, aber das RQNKVGWOC darin ist schlecht.“ 64 ALAND, Christen, 251 „Hier hat sich der ‚Wandel‘ bereits voll durchgesetzt.“ 65 Was RUPPEL, Politeuma, 292 in seiner viel zitierten Untersuchung zu Tatian schreibt, ist auch wenig weiterführend. Er schlägt die beiden Alternativen „Menschengeschlecht“ („hellenistische Bedeutung“ des RQNKVGWOC) oder „menschliches Leben“ („attische Bedeutung“) vor. Siehe auch GEFFCKEN, Apologeten, 110, A. 3. 66 Siehe auch GEFFCKEN, Apologeten, 110.

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mit dem göttlichen Geist, ist sie nicht hilflos, sondern steigt hinauf in jene Gegenden, zu denen sie der Geist führt: denn die Wohnung des Geistes ist oben, ihr [sc. der Seele] Ursprung aber ist unten“: C PGTZGVCK FG? RTQ?L C RGT CW VJ?P Q FJIG” ZYTKC VQ? RPGWOC VQW OG?P IC?T G UVKP C PY VQ? QK MJVJTKQP VJL FG? MCVY-GP G UVKP J IGPGUKL

Dieser Gedanke ist charakteristisch für die Anthropologie Tatians. Er geht von der Sterblichkeit der Seele aus, daher VJL FG? MCVY-GP G UVKP J IGPGUKL67 Tatian schreibt in einer Zeit, in der die Auseinandersetzung mit popularphilosophischen Lehren ganz selbstverständlich ist.68 So deduziert Tatian die Gottheit des Logos gleichsam philosophisch aus der Einheit Gottes. Auch sein Lehrer Justin kam unter platonischem Einfluss zu seiner Lehre vom NQIQL URGTOCVKMQL – i.ü. auch ein terminus technicus der Stoa. Schaut man auf zeitgleich und im gleichen kulturell-geistigen Umfeld entstandene Texte, so erscheint der oben zitierte Satz aus 13,2 keineswegs mehr als abwegig, und auch die Möglichkeit, RQNKVGWOC als Bürgerschaft bzw. Bürgerrecht zu verstehen, ist durchaus denkbar. Tatian verlässt im Jahr 172 die römische Gemeinde und geht nach Syrien.69 Die Schrift ad Graecos dürfte daher nach übereinstimmender Forschungsmeinung um 170 geschrieben sein. Damit ist man abermals auf die Regierungszeit Marc Aurels verwiesen, einer Zeit, in der eine aus platonischen, stoischen, epikureischen und anderen Lehren zusammengesetzte Popularphilosophie Hochkonjunktur hatte. In dieser Zeit – so die bereits erläuterte These – dürfte auch die Schrift an Diognet abgefasst sein. Der Vergleich mit einer kosmologischen Passage bei Marc Aurel (4,4) mag es wahrscheinlicher machen, dass Tatian in 13,2 sehr wohl an die kosmologische Lehre vom „Weltbürgertum“ dachte, zumal, wenn man auch 28,1 hinzunimmt: OKCP MCK? MQKPJ?P C RCPVYP VJ?P RQNKVGKCP Auf weitere Belege des Motivbereichs der himmlischen Zugehörigkeit in apologetischer Literatur detaillierter einzugehen, würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen.70 Dennoch sei noch auf einzelne Textbeobachtun67 Dazu ausführlicher ELZE, Tatian, besonders 94–96. 68 Siehe dazu HUNT, Christianity, 74ff und 98ff. 69 Zu Tatian als Lehrerfigur siehe NEYMEYR, Lehrer, 182ff. 70 Siehe dazu z.B. die Arbeit von SCHÄFKE, Widerstand, 562–572 zur „Stadt der Christen“. Er bringt einen guten Überblick über die einschlägigen Belege des Motivs „himmlische Stadt“, „himmlische Bürgerschaft“ in frühchristlicher Literatur. Er zieht jedoch eine Linie von Phil 3,20 bis zu Märtyrern, die auf die Frage, aus welcher Stadt sie stammten, zur Antwort geben, sie seien Christen (vgl. das Eusebzitat über den Diakon Sanctus aus Vienne S. 563). M.E. differenziert Schäfke nicht genau: So fasst er das RQNKVGWOC in Phil 3,20 als „Heimat“. Der Christ werde „durch seine Organisation in der Kirche dem Himmel verbunden“, „er ist der irdischen Gemeinschaft entzogen“. Diese Einschätzung ist nicht zutreffend, wie die Untersuchung bisher

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gen hingewiesen. Von Belang ist die bereits erwähnte gemeinsame Rezeption von Gal 4,26 und Phil 3,20 bei Tertullian (Marc. 24,3). Tertullian verwendet ferner zur Verteidigung des Christentums auch die Idee des „Weltbürgertums“ (apol. 38, 3): nulla est necessitas coetus nec ulla magis res aliena quam publica. unam omnium rem publicam agnoscimus, mundum.71 Wenn das Motiv der himmlischen Bürgerschaft auch nicht direkt genannt wird, so ist doch eine Passage im Dialog Octavius von Minucius Felix interessant (17,1–2): „Ich lehne es keineswegs ab, was Caecilius vor allem zu beweisen suchte: dass der Mensch sich selbst erkennen müsse, dass er sein Wesen, seinen Ursprung und seine Bestimmung erforschen solle. [...] Das können wir aber wiederum nicht erforschen und erkennen, ohne das Ganze der Welt zu untersuchen (sine universitatis inquisitione). Denn diese Fragen hängen so eng zusammen, sind so sehr miteinander verknüpft, ja verkettet, dass man das Wesen des Menschen nicht erkennen kann, wenn man nicht zuvor das Wesen der Gottheit sorgfältig untersucht hat; ebenso kann man ja auch Probleme des Staates nicht zufriedenstellend lösen, wenn man diesen allumfassenden Staatsorganismus des Kosmos nicht kennt (nisi cognoveris hanc communem omnium mundi civitatem).“

Dem Menschen, so Octavius, ist der Blick zum Himmel gegeben (quibus suspectus in caelum datus est). In einer gewissen Parallelität zu Kol 3,1-2 heißt es: sacrilegii enim vel maxime instar est humi quaerere, quod in sublimi debeas invenire – „Es wäre geradezu ein schweres Vergehen am Heiligsten, wollte man im Staube suchen, was man doch in der Höhe finden muss.“ Hier verbindet sich die allgemeine religiöse Vorstellung, dass Gottes Welt im Himmel zu denken ist, mit einer kosmopolitisch beeinflussten Anschauung und einer Anspielung auf die biblisch belegte Aussage, sich „nach oben“ auszurichten (vgl. Kol 3,1–2 und negativ Phil 3,19). Bei Justin, der als erster christlicher Autor Plato zitiert (apol. 3,3; IIapol. 10,5), findet sich das Motiv der himmlischen Zugehörigkeit nicht. gezeigt hat. Auch andere Beobachtungen Schäfkes fordern kritische Anfragen. Er schreibt z.B., dass die himmlische Stadt bzw. der himmlische Stadt „auch sonst" in der altkirchlichen Literatur begegne (S. 565). Er nennt dann die bekannten Stellen bei Tertullian und Origenes. Dass aber das Motiv der himmlischen Bürgerschaft in seiner politischen Konnotation nahezu gar nicht mehr in eigenständiger christlicher Argumentation zur Deutung christlichen Weltverständnisses wie z.B. bei Paulus und im Diognetbrief, sondern nur noch in der Bibelexegese vorkommt, sagt er nicht. Eine Bedeutungsverschiebung des Motivs sieht Schäfke offenbar nicht. Er deutet auch schon das RQNKVGWOC in Phil 3,20 auf die Kirche. Diese Deutung steht wohl aber erst am Ende eines Entwicklungsprozesses Ende des zweiten Jahrhunderts. 71 „Daher gibt es für uns keine Notwendigkeit zu Versammlungen, und keine Sache ist uns mehr fremd als die Sache aller, der Staat. Einen Staat nur kennen wir für alle: die Welt.“ Zu Tertullian und dem Thema Verweigerung und Anpassung der Christen gegenüber dem Staat siehe FREUDENBERGER, „Noster municipatus in caelis“, 275–286.

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Dagegen ist bei ihm viel eher eine philosophisch-rationalere Formulierung (OGVC? NQIQW DKQWP) an die Stelle der bildhaften Rede getreten (apol. 46,4).72 Ebenfalls bei Justin ist die Formulierung DCUKNGKC OGVC? -GQW zu lesen (apol. 11,1). Politische Begrifflichkeit wie die UWORQNKVGKC oder das entsprechend Verb UWORQNKVGWGU-CK sucht man hier – wie auch sonst bei den Apologeten – aber vergeblich. Bei Origenes, der in seinem umfangreichen Werk an zahlreichen Stellen – vor allem in Bibelexegesen – auf den Motivbereich „himmlische Bürgerschaft“ und „himmlisches Jerusalem“ zu sprechen kommt, findet sich in Cels. VIII 5 eine Stelle, wo er das christliche Verständnis des himmlischen RQNKVGWOC als christliche Bezugsgröße gegen den Vorwurf verteidigt, dies sei die „Sprache des Aufruhrs“: „Also ist nicht die ‚Sprache des Aufruhrs‘ (QW UVCUGYL HYPJ) bei denen zu finden, die solches bedenken und nicht ‚mehreren Herren dienen‘ wollen. Sie haben an dem Herrn Jesus Christus genug, der die ihm Dienenden selbst unterweist, mit der Absicht, sie, wenn sie wohl unterwiesen und zu einem Gottes würdigen ‚Königtum‘ geworden sind (IGPQOGPQWL „DCUKNGKCP“ C EKCP -GQW), Gott dem Vater zu übergeben. Es ist wahr, sie sondern sich ab und ‚reißen sich los‘ von jenen, die nicht zur ‚Gemeinde Gottes‘ (VJL RQNKVGKCL VQW -GQW) gehören und seinem ‚zweifachen Bunde fremd sind‘, damit sie G P QW TCPQ”L RQNKVGWOC RQNKVGWUYPVCK hinzutretend ‚zum lebendigen Gott‘ und ‚zur Stadt Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu Myriaden von Engeln, einer Festversammlung und Gemeinde von Erstgeborenen, die aufgeschrieben sind im Himmel: C RQIGITCOOGPYP G P QW TCP.“73 MCK? RQNGK -GQW ,GTQWUCNJ?O G RQWTCPK MCK? OWTKCUKP C IIGNYP RCPJIWTGK MCK? G MMNJUKm RTYVQVQMYP 

Hierbei handelt es sich um ein höchst seltenes Zeugnis für die Verwendung des Motivs der himmlischen Bürgerschaft in apologetischem Kontext. Insgesamt wird aber immer deutlicher, dass in apologetischen Zusammenhängen das Motiv der himmlischen Bürgerschaft offensichtlich nicht (mehr) plausibel genug erscheint, um die christliche Identität in der soziokulturellen und geistig-philosophischen Umwelt zu veranschaulichen. Das dialektische Verständnis des „in der Welt, aber nicht von der Welt“ wird von den Autoren am Ende des zweiten Jahrhunderts offensichtlich immer weniger verwendet. Dies dürfte mit folgenden Faktoren zu tun haben: (1) Insgesamt ist die historische Entwicklung der römischen Bürgerrechtspolitik zu bedenken. Gegen Ende des zweiten Jahrhunderts und dann vollends nach 212 (mit der Constitutio Antoniana) sind mit dem Bürgerrecht zunehmend weniger Privilegien verbunden. Die Vergabe des Bürgerrechts wurde längst liberaler gehandhabt vor allem gegenüber Kollektiven, 72 Dazu SCHMIDT, Jerusalem, 238. 73 Übersetzung nach KOETSCHAU, Origenes, 305.

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was zuvor doch weitaus weniger üblich war. Das römische Bürgerrecht war kein so wichtiges Privileg und keine soziale Barriere mehr wie noch in paulinischer Zeit. Eine metaphorische Rede vom „Bürgerrecht im Himmel“ als Gegenanalogie zum realen Bürgerrecht verliert daher an Aussagekraft. (2) Theologisch geht es erstens zunehmend um die Frage nach der individuellen Vollendung des Menschen, weniger um die Frage der nahenden Gottesherrschaft. So ist – wie es für Justin erwähnt wurde – z.B. vom Reich „mit“ Gott die Rede, nicht vom Gottesreich (von biblischen Zitaten freilich abgesehen). Zweitens ist eine Veränderung dahingehend festzustellen, dass die christliche Lehre und Lebensweise zunehmend mit philosophischen Kategorien beschrieben werden, die direkt mit der Philosophie kompatibel sind. Dabei bieten sich weniger die (alten) Bilder an, die ein Gegenüber von christlicher und paganer Welt enthalten (wie die Fremdlingsmetapher, die in apologetischen Texten überhaupt nicht mehr vorkommt oder eben die himmlische Bürgerschaft). (3) Die stoische Idee der Weltstadt, kosmopolitisch beeinflusste Bibelinterpretationen und die Verwendung des Motivs der himmlischen Bürgerschaft verlieren in der christlichen Theologie auch an Bedeutung, da sich die kirchlichen Strukturen wandeln. Der Einfluss der lokal gebundenen Kirche gegenüber der Universalkirche verschiebt sich zunehmend. Im Blick auf das vergleichbare Motiv des himmlischen Jerusalem, einer ebenfalls universal und kollektiv gedachten Größe wie der himmlischen Bürgerschaft, schreibt Markschies: „Je stärker die Bischöfe bestimmter Städte seit dem dritten Jahrhundert Führungsrollen für die antike Christenheit beanspruchten und sie theologisch zu begründen suchten, desto stärker geriet das irdische Jerusalem in eine geographische wie theologische Randlage.“74

Dies führt dazu, dass sich auch die christliche Bildsprache verändert. Bisher noch plausible Metaphern bedürfen zunehmend der philosophischen und theologischen Erklärung und können nicht mehr für sich stehen. Die politische Metaphorik konnte sogar in der Verteidigung gegen der Vorwurf der Illoyalität gegenüber dem römischen Staat kontraproduktiv sein (wie das Origeneszitat belegt, wenn von UVCUGYL HYPJ die Rede ist). (4) Unberücksichtigt bleiben darf auch nicht die Situation der christlichen Gemeinden ab der Mitte des zweiten Jahrhunderts. Auch wenn es noch keine planmäßigen Christenverfolgungen gab (die erste ist 250 unter Kaiser Decius anzusetzen), so kommt es doch vermehrt zu lokalen Verfolgungssituationen und Martyrien (155/168 Polykarp, 165 Justin, 177 Lyon, die Märtyrer von Scili 201/02). Auch die heidnische Polemik gegen Christen 74 MARKSCHIES, Jerusalem, 331.

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nimmt zu (Fronto, Celsus, Pantainos u.a.). In diesem Zusammenhang ist es nötig, das Christentum mit anderen Argumenten als der paulinisch-johanneischen Dialektik des Seins „in, aber nicht von der Welt“ zu begegnen. Die Apologetik muss sich gegen konkrete Vorwürfe und Vorurteile zur Wehr setzen, wie man es bei Minucius Felix und Tertullian in reichlichem Maße sehen kann.

VII. Zusammenfassende Thesen Die himmlische Bürgerschaft Zusammenfassende Thesen 1. Die Untersuchung des sprachlichen Motivs der „himmlischen Bürgerschaft“ hat eine Fülle von Einzelaspekten ur- und frühchristlicher Theologie berührt. Sie hat neben der erkennbaren Entwicklung in der Bedeutung und Verwendung des Motivs über fast zwei Jahrhunderte immer wieder den Blick eröffnet auf ein Spannungsfeld, in dem sich die frühen Christen von Beginn an befanden. Sie standen zwischen ihren innerweltlichen, d.h. sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Bezügen, und der durch den Glauben an Jesus Christus und das Evangelium eröffneten Welt Gottes. 2. Das Motiv der „himmlischen Bürgerschaft“ mit seinen verschiedenen

Motivfacetten, wie z.B. „der himmlischen Stadt“, besitzt eine eigene theologische Valenz, insbesondere gegenüber der Fremdlingsmetapher, in der sich christliche Identität sehr stark über die Abgrenzung von weltlichen Bezugsgrößen definiert (wie im 1. Petrusbrief). Insbesondere bei Philo von Alexandrien verbindet sich die himmlische Bürgerschaft mit der Fremdlingsmetapher und der Vorstellung der Seelenreise. Dem Verfasser des Hebräerbriefes ist die Fremdlingsmetapher geläufig, doch er verarbeitet daneben mehrere Konzeptionen, die mit der himmlischen Zugehörigkeit des Christen zu tun haben (himmlisches Vaterland, himmlisches Jerusalem, zukünftige Stadt, die MCVCRCWUKL-Vorstellung). 3. Traditionsgeschichtlich kann das Motiv der himmlischen Bürgerschaft nicht in gerader Linie oder gar ausschließlich auf die vor allem in apokalyptischen Zusammenhängen verbreitete Vorstellung vom himmlischen Jerusalem zurückgeführt werden; vielmehr stehen philosophische Traditionen mindestens gleichrangig im Hintergrund. Die unmittelbare Wechselwirkung zwischen der historischen Wirklichkeit und dem jeweils verwendeten sprachlichen Motiv ist als motiv- und darüber auch traditionsbildende Voraussetzung nicht zu unterschätzen. So wie die kosmische RQNKL im Zusammenhang mit dem realen Bedeutungsverlust der griechischen Stadtstaaten zu sehen ist, so kommt der christlichen Rede vom himmlischen Staat, der himmlischen Stadt oder Bürgerschaft vor allem in den Städten und Gesellschaften des römisch beherrschten Mittelmeerraums in der frühen Kaiserzeit eine hohe Plausibilität zu.

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4. Paulus ordnet die Vorstellung von der himmlischen Bürgerschaft (Phil 3,20) als innovatives sprachliches Motiv ein in seine endzeitlich und christologisch geprägte Ekklesiologie. Im Philipperbrief erscheint das himmlische RQNKVGWOC bzw. das RQNKVGWGU-CK C EKYL VQW GW CIIGNKQW ;TKUVQW (Phil 1,27) als geeignetes Ausdrucksmittel für den durch Jesus Christus erreichten Herrschaftswechsel und die Ausrichtung auf die wahre Bezugsgröße des Christen, d.h. auf den Gekreuzigten selbst und das Evangelium. Die besondere politische Prägung der römischen Kolonie Philippi ist der maßgebliche Verstehenszusammenhang für die nur hier von Paulus verwendeten Ausdrücke. In der Sache handelt es sich um Aussagen, die von Beginn an Inhalt der paulinischen Verkündigung sind (siehe 1Thess 1,9–10). Phil 3,20–21 liest sich daher vor allem als Aktualisierung und Politisierung der urchristlichen Verkündigung. 5. Im Galaterbrief kann Paulus durch die asymmetrische Gegenüberstellung des jetzigen und oberen Jerusalem die durch Christus gewonnene Freiheit veranschaulichen. Die Textpassage 4,21–5,1 ist dabei weniger durch eine Auseinandersetzung mit Politik oder Kultur geprägt, sondern vielmehr von einem theologischen Richtungsstreit, der wohl auch mit dem angemessenen Verständnis des PQOQL zu tun hat. Daher argumentiert Paulus hier auch sehr nah an der Schrift unter Zuhilfenahme der Allegorese. Steht im Philipperbrief der Instanzwechsel im Vordergrund, so scheint es in Galater 4 um einen Dimensionswechsel zu gehen: Die Gegenwart (PWP ,GTQWUCNJO) wird durchkreuzt durch die horizontale Dimension, die auf die Welt Gottes als C PY ,GTQWUCNJO verweist. Bei Paulus insgesamt fungiert die Ausrichtung auf die himmlische Welt Gottes als eindringlicher Gegenimpuls zu einem seiner Ansicht nach schädlichen Rückfall der Glaubenden in vorchristliche Religiosität. Paulus verheißt den Gemeindegliedern keinen eschatologischen Heilsort wie die jüdisch-christliche Apokalyptik, baut keine geistige Tugendstadt wie Philo und die stoische Philosophie, er kennt weder die Himmelsreise der Seele noch die Sammlung der Gläubigen in einer Zufluchtsstadt (wie die RQNKL MCVCHWIJL in JosAs). Es geht Paulus vor allem um Relationen, nicht um Topographien! 6. Die Einbeziehung von 2Kor 5,1–10 hat zum einen geholfen, das Motiv von der himmlischen Bürgerschaft schärfer zu konturieren. Zum anderen konnte durch die Darstellung der nicht zu übersehenden Unterschiede in den eschatologischen Vorstellungen des Paulus gezeigt werden, dass neben der These von der „Entwicklung“ im eschatologischen Denken des Paulus auch die jeweilige Kommunikationssituation in den Gemein-

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den in den Blick zu nehmen ist. Hierbei ist (wie in Phil 3) ebenfalls festzustellen, dass die paulinische Verkündigung einem erkennbaren Akkulturationsdruck unterliegt. 7. Insbesondere die paulinische Verwendung des Motivs der himmlischen Bürgerschaft hat sichtbare Spuren in deuteropaulinischen Texten hinterlassen, wie an Epheser 2,19 und Kolosser 3,1–4 deutlich wird. Die Ausrichtung auf die obere Welt Gottes (VC? C PY) und die Bürgergemeinschaft der Gläubigen sind gewiss paulinisches Erbe. Zwar müssen Unterschiede in der eschatologischen (und ekklesiologischen) Grundkonzeption zwischen den beiden Briefen und Paulus festgestellt werden, doch vor allem die Auseinandersetzung im Kolosserbrief mit einer (wie auch immer im Detail gearteten) Philosophie veranlassen den Verfasser, auf die paulinische Motivik zu rekurrieren und – wie der Apostel selbst – auf diese Weise Bezugsgrößen zurechtzurücken 8. Die deutlichsten Spuren hat das Motiv der himmlischen Bürgerschaft aus Phil 3,20 in der Schrift an Diognet hinterlassen (Kap. 5). Dies mag an der in der Forschung unstrittigen Vorliebe des Verfassers für johanneische und vor allem paulinische Theologie liegen, findet aber wohl seine vorrangige Begründung in einer ähnlichen Kommunikationssituation wie in Phil 3. Es geht um die Vermittlung christlichen Selbst- und Weltverständnisses in primär nichtchristlichen Verhältnissen. Der christliche Verfasser der Schrift an Diognet richtet sich an gebildete Heiden und zugleich an eine christliche Gemeinde, die im letzten Drittel des zweiten Jahrhunderts höchstwahrscheinlich in einer Auseinandersetzung mit (popular-)philosophischen Denkern steht – eine These, die durch die Vergleiche mit den „Selbstbetrachtungen“ Marc Aurels und anderer zeitgenössischer Philosophen wahrscheinlicher wird. In diesen Zusammenhängen jedenfalls kommt der dialektischen Redeweise (G RK? IJL FKCVTKDQWUKP C NN+ G P QW TCPQ”L RQNKVGWQPVCK) in Diognet 5,9, eine hohe Plausibilität zu. 9. Diese dialektische Art der Beschreibung christlicher Existenz in der Welt ist auch Clemens von Alexandrien noch vertraut. Doch insbesondere bei ihm, dem die Philosophie als Weg zur wahren christlichen Gnosis gilt, beginnt sich das Motiv der himmlischen Bürgerschaft in seiner Bedeutung und Ausdruckskraft zu verändern. Es kann zum einen immer weniger für sich stehen und infolge der sich verändernden historisch-politischen Voraussetzungen immer weniger als Analogie zum staatlich-politischen Bürgertum plausibel sein, sondern es bedarf zum rechten Verständnis der philosophischen Erklärungen, der biblischen

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Auslegung und der Ergänzung durch sachlich parallele Motive, z.B. aus der griechischen Mythologie, wie die Betrachtung von strom. IV 172,2–3 zeigt. Zum anderen – so eine Tendenz in der frühen altkirchlichen Literatur – werden das himmlische Politeuma und noch stärker die himmlische RQNKL mehr und mehr ein Bild für die sich zunehmend institutionalisierende Kirche. Es verwundert daher auch nicht, dass Augustin seine Lehre von der Civitas Dei maßgeblich auf die Texte aufbaut, die in dieser motivgeschichtlichen Untersuchung behandelt wurden. Neben dieser innertheologischen Entwicklung kommt aber auch hinzu, dass die dialektische Formulierung des „in der Welt aber nicht von der Welt“, also der Verneinung bei gleichzeitiger Bejahung der Welt, immer weniger dazu dienen kann, christliches Leben und christlichen Glauben in einer zunehmend von Polemik und Verfolgung gekennzeichneten Zeit sprachlich zu veranschaulichen. Die Apologetik greift daher (in dieser politischen Form) nicht mehr auf das Motiv der himmlischen Bürgerschaft zurück, sondern muss sich vielmehr gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, illoyal und feindlich gegenüber dem Staat eingestellt zu sein. 10. Das Besondere und im übrigen auch das über die Jahrhunderte hinweg Bleibende an dem Motiv der himmlischen Bürgerschaft ist aber wohl die bildhafte Vergegenwärtigung der Relation zur Welt Gottes, die nicht erst im Eschaton, sondern im Hier und Jetzt Konsequenzen hat für das Leben als Christ, der im Zeichen der C PY MNJUKL (Phil 3,14) lebt und dabei seine Bezugsgrößen nicht im Irdischen suchen soll (Phil 3,19). Eine scharf trennende Zuordnung des Motivs zur individuell oder kollektiv verstanden Eschatologie kann m.E. nicht vorgenommen werden. Das Motiv ist beides: eine kollektiv-ekklesiologische Größe, allein schon durch die politische Metaphorik des RQNKVGWOC Der sich daraus ergebenden Zugehörigkeit entspringt aber auch eine individuelle und ethische Dimension, wie sie sich in Phil 1,27 zeigt: Verantwortlich ist der einzelne Christ in seinem Handeln als „Bürger des Evangeliums“.

Literatur Literatur Die himmlische Bürgerschaft

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Die himmlische Bürgerschaft

2. Textausgaben und Übersetzungen 2.1 Biblische Texte, Apokryphen, Qumranschriften, Jüdisch-hellenistische Texte a) Biblische Texte Biblia Hebraica Stuttgartensia, hg. v. Elliger, Karl/Rudolph, Wilhelm, Stuttgart 41990. Septuaginta, Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes, hg. v. Rahlfs, Alfred, Bd. 1–2, Stuttgart 71962 (Nachdruck Stuttgart 1979). Biblia sacra iuxta vulgatam versionem ... recensuit et brevi apparatu instruxit Robertus Weber OSB. Tomus I: Genesis-Psalmi, Tomus II: Proverbia-Apocalypsis. Appendix, Stuttgart 1969. Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, hg. v. Aland, Barbara/Aland, Kurt u.a., Stuttgart 271993. Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments nach der deutschen Übersetzung D. Martin Luthers, Berlin 1907. Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. Revidierte Fassung von 1984, Stuttgart 1985.

b) Apokryphen, Texte von Qumran, jüdisch-hellenistische Texte BECKER, JÜRGEN, Die Testamente der zwölf Patriarchen, in: Unterweisung in lehrhafter Form (JSHRZ III/1), Gütersloh 21980. BURCHARD, CHRISTOPH/BURFEIND, CARSTEN u.a. (Hg.), Joseph und Aseneth (PVTG 5), Leiden/ Boston 2003. BURCHARD, CHRISTOPH/BURFEIND, CARSTEN (Hg.), Gesammelte Studien zu Joseph und Aseneth (SVTP 13), Leiden u.a. 1996, 161–209. BURCHARD, CHRISTOPH, Joseph und Aseneth, in: Unterweisung in erzählender Form (JSHRZ II/4), Gütersloh 1983, 577–736. CLEMENTZ, HEINRICH, Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer. Übersetzt und mit Einleitung und Anmerkungen versehen, Wiesbaden 142004. COHN, LEOPOLDUS/WENDLAND, PAULUS (Hg.), Philonis Alexandrini opera quae supersunt, Berlin I (1896), II (1897), III (1898), V (1906), VI (1915), VII (1926). COHN, L./LEISEGANG, H./HEINEMANN, I. u.a. (Hg.), Philo von Alexandrien. Die Werke in deutscher Übersetzung, Breslau/Berlin 1909–1964. DE JONGE, MARINUS (Hg.), The Testaments of the Twelve Patriarchs, A Critical Edition of the Greek Text (PVTG I/2), Leiden 1978. KLIJN, A. FREDERIK J., Der lateinische Text der Apokalypse des Esra (mit einem Index Grammaticus von Gerhard Mussies), TU 131, Berlin 1983. KLIJN, A. FREDERIK J., Die syrische Baruch-Apokalypse, in: Apokalypsen (JSHRZ V/2), Gütersloh 1976, 103–191. LOHSE, EDUARD (Hg.), Die Texte aus Qumran. Hebräisch und Deutsch, mit masoretischer Punktation, Übersetzung, Einführung und Anmerkungen, München 21971. MAIER, JOHANN, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. 1–2, München 1995, Bd. 3, München 1996. MICHEL, OTTO/BAUERNFEIND, OTTO (Hg.), Flavius Josephus, De Bello Iudaico. Der jüdische Krieg I–III, Darmstadt 1959–1969. Flavii Iosephi Opera recognovit BENEDICTUS NIESE, Bd. 1–7, Berlin 21955. SCHREINER, JOSEF, Das 4. Buch Esra, in: Apokalypsen (JSHRZ V/4), Gütersloh 1981. SCHNEEMELCHER, WILHELM (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. 2: Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, Tübingen 61997. WOLTER, MICHAEL, 5. Esra-Buch, 6. Esra-Buch, in: Unterweisung in lehrhafter Form (JSHRZ III/7), Gütersloh 2001.

Literatur

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2.2 Inschriften und Papyri BEAN, G.E., Notes and Inscriptions from Pisidia – Part II, in: Anatolian Studies 10 (1960) 43–82. COWEY, JAMES M.S./MARESCH, KLAUS, Urkunden des Politeuma der Juden von Herakleopolis (144/3–133/2 v.Chr.) (P.Polit.Iud.), Abhandlungen der nordrhein-westfälischen Akademie der Wissenschaften, Sonderreihe Papyrologica Coloniensa (Bd. 29), Wiesbaden 2001. DITTENBERGER, WILHELM, Sylloge Inscriptionum Graecarum (Bd. 1–4), Leipzig 31920, Nachdruck Hildesheim 1960 [SIG3]. FREIS, HELMUT, Historische Inschriften zur römischen Kaiserzeit von Augustus bis Konstantin, Darmstadt 21994. IHNKEN, THOMAS, Die Inschriften von Magnesia am Sipylos. Mit einem Kommentar zum Sympolitievertrag mit Smyrna (IK 8), Bonn 1978. LÜDERITZ, GERT, Corpus jüdischer Zeugnisse aus der Cyrenaica, BTAVO (Reihe B) 53, Wiesbaden 1983. PETZL, GEORG, Die Inschriften von Smyrna Teil II/1 (IK 24/1), Bonn 1987. SHERK, ROBERT K., Roman Documents from the Greek East: „senatus consulta“ and „epistulae“ to the age of Augustus, Baltimore 1969. WILAMOWITZ-MOELLENDORF, ULRICH VON/MOMMSEN, THEODOR, Die Einführung des Asianischen Kalenders, in: Mitteilungen des kaiserlichen Deutschen Archäologischen Instituts: Athenische Abteilung, Bd. 24, Athen 1899, 275–293. WILCKEN, ULRICH/MITTEIS, L., Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde, Bd. 1: Historischer Teil, 2. Hälfte von U. Wilcken, Leipzig 1912, Nachdruck Hildesheim 1963. WILCKEN, ULRICH (Hg.), Urkunden der Ptolemäerzeit (ältere Funde) Bd. 1: Papyri aus Unterägypten, Berlin/Leipzig 1927; Bd. 2: Papyri aus Oberägypten, Berlin 1957.

2.3 Antike griechisch-römische Autoren Textsammlungen DIELS, H./KRANZ, W. (Hg.), Die Fragmente der Vorsokratiker, Bd. 1–3, Berlin 61951. NESTLE, WILHELM, Die Nachsokratiker in Auswahl übersetzt und herausgegeben, Jena 1923. Stoicorum Vetera Fragmenta, collegit Ioannes ab Arnim, Bd. 1–4, Leipzig 1903–1905/1924, editio stereotypa: Stuttgart 1964–1968 [SVF].

Textausgaben und Übersetzungen ACHILLES TATIUS: Leukippe und Kleitophon, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Karl Plepelits (BGrL 11), Stuttgart 1980. ACHILLES TATIUS with an English translation by S. Gaselee (LCL), London 1961. AELII ARISTIDES Smyrnaei quae supersunt omnia ed. Bruno Keil, Bd. 2 (Orationes XVII–LIII), 1898, Neudruck Berlin 1958. ARISTOTELES, Politica recognovit brevique adnotatione critica instruxit W.D. Ross (SCBO), Oxford 1972. ARISTOTELES, Politik (übersetzt u. kommentiert v. Gigon, Olof), BAW.GR, Zürich/München 21971. AULUS GELLIUS: The Attic Nights in three Volumes, with an English translation by John C. Rolfe (LCL), Cambridge (Mass.) 1960-1961. AULUS GELLIUS (hg. v. Hertz, M./Hosius, K.), 1903 M. TULLIUS CICERO, De legibus (Textkritische Ausgabe mit Einleitung, Anmerkungen und erklärendem Eigennamenverzeichnis hg. v. Ziegler, K.), Heidelberger Texte/Lateinische Reihe Bd. 20, Heidelberg 21963 . MARCUS TULLIUS CICERO: Gespräche in Tusculum. Tusculanae disputationes, lateinisch-deutsch (mit ausführlichen Anmerkungen neu herausgegeben v. Gigon, Olof) Darmstadt 71998. MARCUS TULLIUS CICERO: De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln, lateinisch-deutsch (kommentiert und hg. v. Gunermann, H.) Stuttgart (Reclam) 2003.

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MARCUS TULLIUS CICERO: De natura deorum (hg. v. Dyck, A.R), Cambridge 2003. M. TULLI CICERONIS Pro C. Rabirio Postumo Oratio, recognovit Ioannes C. Giardina, Mailand 1967. MARCUS TULLIUS CICERO: Orationes in Verrem (hg. v. Greve, Rudolf), Paderborn 1965. MARCUS TULLIUS CICERO: De re publica (hg. v. Schwamborn, Herbert), Paderborn 2000. DIONIS CHRYSOSTOMI orationes post Ludovicum Dindorfium (hg. v. de Bude, Guy), BSGRT, Leipzig 1916/1919. DIODOROS: Griechische Weltgeschichte Buch XI–XIII, übersetzt von Otto Veh, eingeleitet und kommentiert von Wolfgang Will (BGrL 45), Stuttgart 1998. DIODORUS SICULUS, Library of History in twelve Volumes with an English translation by Charles H. Oldfather (LCL), Cambridge (Mass.) 1958–1967. DIOGENES LAERTIUS, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, aus dem Griechischen übersetzt v. O. Apelt unter Mitarbeit von H.G. Zekl (neu hg. v. Reich, K.), PhB 53/54, Hamburg 21967. DIOGENES LAERTIUS, Lives of the Eminent Philosophers in two volumes with an English translation by Robert D. Hicks (LCL), London 1965–1966. EPICTETI dissertationes ab Arriani digestae (hg. v. Schenkl, Heinrich), BiTeu, Leipzig 1916 (Nachdruck Stuttgart 1965) The scriptores HISTORIAE AUGUSTAE in three volumes with an English translation by D. Magie (LCL), London 1960/1967/1982. HERODOT, Die Bücher der Geschichte I–IV, Übertragung, Einleitung und Anmerkungen von W. Sontheimer, Stuttgart (Reclam) 1988. HOMER, Odyssee. Griechisch und deutsch mit Urtext, Anhang und Registern, übertragen von Anton Weiher, Sammlung Tusculum, Zürich 122003. QUINTUS HORATIUS FLACCUS, Satiren, lateinisch-deutsch (hg. v. Fink, Gerhard), Düsseldorf/ Zürich 2000 ISOKRATES: Sämtliche Werke Bd. 1: Reden I–VIII, übersetzt von Ch. Ley-Hutton, eingeleitet und erläutert von Kai Brodersen, BGrL 36, Stuttgart 1993 LUCIAN in eight Volumes with an English translation by Austin M. Harmon (LCL), Bd. 6, London 1959. LUKIAN: Parodien und Burlesken, auf Grund der Wielandschen Übertragung (hg. v. Ermatinger, Emil u. Hoehn, Karl), BAW.GR 29, Zürich 1948. Kaiser MARC AUREL, Wege zu sich selbst/0$5.28 $17:1,128 $872.5$72526 7$ 2 (,6 ($8721 (hg. v. Theiler, W.), BAW.GR, Zürich 1974. MARC AUREL, Wege zu sich selbst. Griechisch und deutsch (hg. und übersetzt v. Nickel, Rainer, Sammlung Tusculum, München/Zürich 1990. MENANDRI quae supersunt (hg. v. Körte, A./Thierfelder, A.), Bd. 1, Leipzig, 31957, Bd. 2, Leipzig 2 1959. MENANDER, Die Komödien und Fragmente, eingeleitet und übertragen v. Günther Goldschmidt, BAW.GR, Zürich 1949. C. MUSONII RUFI reliquiae (hg. v. Hense, O.), Leipzig 1905. PLATONIS Opera recognovit brevique adnotatione critica instruxit Ioannes Burnet, Bd. 1–5, SCBO, Oxford 1946–1978. PLATON, Sämtliche Werke in 10 Bänden, Griechisch und Deutsch nach der Übersetzung Friedrich Schleiermachers, ergänzt durch Übersetzungen von F. Susemihl u.a. (hg. v. Hülser, K.), Frankfurt a.M./Leipzig 1991. POLYBIOS, The Histories in six Volumes with an English translation by William R. Paton, (LCL), London 1954–1960. QUINTILIAN: The institutio oratoria in four volumes with an English translation by Harold E. Butler (LCL), Cambridge (Mass.) 1977–1980. SENECA, Moral Essays, Bd. 1 (hg. v. Gummere, R.M.), 1967, Bd. 2 (hg. v. Basore, J.W.), LCL, Cambridge (Mass.)/London 1965. LUCIUS ANNAEUS SENECA: Apocolocyntosis (hg., übersetzt und kommentiert von Lund, Allan A.), WKLGS, Heidelberg 1994.

Literatur

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2.4 Apostolische Väter, Autoren der frühen Kirche Textsammlungen DIE APOSTOLISCHEN VÄTER. Griechisch-deutsche Parallelausgabe auf der Grundlage der Ausgaben von Funk, F.X./Bihlmeyer, K./Whitaker, M. mit Übersetzungen von M. Dibelius und D.A. Koch (hg. v. Lindemann, A./Paulsen, H.), Tübingen 1992. DIDACHE (Apostellehre), BARNABASBRIEF, ZWEITER KLEMENSBRIEF, SCHRIFT AN DIOGNET (hg. v. Wengst, Klaus), in: Schriften des Urchristentums Bd. 2, Darmstadt 1984. FRÜHCHRISTLICHE APOLOGETEN und Märtyrerakten aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzt: Die Apologie des Philosophen Aristides von Athen; Die beiden Apologien Justins des Märtyrers; Der Brief an Diognet; Tatians des Assyrers Rede an die Bekenner des Griechentums; Des Athenagoras von Athen Bittschrift für die Griechen, in: BKV, Bd. 1, Kempten/ München 1913.

Textausgaben und Übersetzungen SANCTI AURELII AUGUSTINI, De Civitate Dei, Libri XI–XXII, Corpus Christianorum. Series Latina: XLVIII Aurelii Augustini Opera Pars XIV, 2, Turnholt 1955. CLEMENS ALEXANDRINUS I, Protrepticus und Paedagogus (hg. v. Stählin, O.), GCS 12, Leipzig 1909 (hg. v. Treu, Ursula), Berlin 31972. CLEMENS ALEXANDRINUS II, Stromata I-VI (hg. v. Stählin, O.), GCS 15, Leipzig 1906 (mit Nachträgen hg. v. Treu, Ursula) Berlin 41985. CLEMENS ALEXANDRINUS III, Stromata Buch VII und VIII u.a. (hg. v. Stählin, O.), GCS 17, Leipzig 1909 (hg. v. Früchtel, Ludwig/Treu), Ursula, Berlin 21970. CLEMENS ALEXANDRINUS IV, Register 1–2 (hg. v. Stählin, O.), GCS 39/1.2, Leipzig 1936 (hg. v. Treu, Ursula), Berlin 21980. CLEMENTE DE ROMA. Carta a los Corintios. Homilia anónima (hg. v. Ayan Calvo, J.J.), Fuentes Patristicas 4, Madrid 1994. CLEMENS VON ROM: Epistola ad Corinthios. Brief an die Korinther, griechisch-lateinisch-deutsch (hg. v. Schneider, G.), FC 15, Freiburg 1994. DIDYMUS DER BLINDE: Kommentar zum Ecclesiastes (Tura-Papyrus), Teil I.1: Kommentar zu Eccl. 1,1–2,14: Einleitung, Text, Übersetzung, Indices (hg. v. Binder, G./Liesenborghs, L.), PTA 25, Bonn 1979. The Epistle to DIOGNETUS. The Greek Text with Introduction, Translation and Notes (hg. v. Meecham, Henry G.), Manchester 1949. HIPPOLYTUS WERKE, III, Refutatio omnium haeresium (hg. v. Wendland, P.), GCS 26, Leipzig 1916.

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Die himmlische Bürgerschaft

HIPPOLYTUS: Refutatio omnium haeresium, hg. v. Marcovich, M., PTS 25, Berlin/New York 1986. IUSTINI MARTYRIS Dialogus cum Trypho (hg. v. Marcovich, M.), PTS 47, Berlin/New York 1997. IUSTINUS: Apologies, introduction, texte critique, traduction, commentaire et index par André Wartelle, in: Études Augustiennes, Paris 1987. M. MINUCIUS FELIX: Octavius, lateinisch und deutsch (hg. v. Kytzler, B.), München 1965. Des ORIGENES acht Bücher gegen Celsus, aus dem Griechischen übersetzt von Paul Koetschau, II. Teil: Buch V–VIII, in: Des Origenes Ausgewählte Schriften Bd. III, BKV 53, München 1927. Kirchenväter-Commission der Königl. Preussischen Akademie der Wissenschaften (Hg.), Die Griechischen Christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte: ORIGENES, Bd. 2, Leipzig 1899. TATIANI Oratio ad Graecos (hg. v. Marcovich, M.), PTS 43/44, Berlin/New York 1995. TERTULLIANS ausgewählte Schriften ins Deutsche übersetzt (hg. v. Kellner, K.A.H./Esser, G., Bd. 2: Tertullians apologetische, dogmatische und montanistische Schriften, BKV 24, Kempten/ München 1915. TERTULLIAN Adversus Marcionem (hg. v. Evans, E.), Oxford 1972. TERTULLIAN: Apologeticum. Verteidigung des Christentums. Lateinisch-deutsch (hg. und übersetzt v. Becker, C., München 21961.

Sekundärliteratur ALAND, KURT, Die Christen und der Staat nach Phil. 3, 20, in: Mélanges offerts à Marcel Simon: Paganism, Judaisme, Christianisme. Influences et affrontements dans le monde antique, Paris 1978, 247–259. ALFÖLDY, GÉZA, Römische Sozialgeschichte, Wiesbaden 31984. ALVAREZ CINEIRA, DAVID, Die Religionspolitik des Kaisers Claudius und die paulinische Mission (HBS 19), Freiburg i.B. u.a. 1999. ANDERMATT, MICHAEL, Verkümmertes Leben, Glück und Apotheose. Die Ordnung der Motive in Achim von Arnims Erzählwerk, Bern u.a. 1996. ANDRESEN, CARL, Art. Diognetbrief, RGG3 II (1958) 200. ANDRIESSEN, PAUL, The Authorship of the Epistula ad Diognetum, VigChr 1 (1947) 129–136. APPLEBAUM, SHIMON, The Organization of the Jewish Communities in the Diaspora, in: Safrai, S./ Stern, M., The Jewish People in the First Century. Historical Geography, Political History, Social, Cultural and Religious Life and Institutions, Bd. I (CRI 1) Assen 1974, 464–503. ARNIM, JOHANNES VON, Art. Diognetos, RE V (1905) 784–786. ASCOUGH, RICHARD S., Paul's Macedonian Associations. The Social Context of Philippians and 1 Thessalonians (WUNT II.161), Tübingen 2003. AUSBÜTTEL, FRANK M., Untersuchungen zu den Vereinen im Westen des römischen Reiches (FAS 11), Kallmünz 1982. BALZ, HORST, Art. Philipperbrief, TRE 26 (1996) 504–513. BAMMEL, ERNST, Ein Beitrag zur paulinischen Staatsanschauung, ThLZ 85 (1960) 837–840. BARCLAY, JOHN M.G., Jews in the Mediterranean Diaspora. From Alexander to Trajan (323 BCE– 117 CE), Hellenistic Culture and Society 33, Edinburgh 1996. –, Mirror-Reading a Polemical Letter: Galatians as Test Case, JSNT 31 (1987) 73–93. BARNARD, LESLIE W., The Epistle ad Diognetum, ZNW 56 (1965) 130–137. BARTH, GERHARD, Der Brief an die Philipper (ZBK.NT 9), Zürich 1979 [Phil]. BARTH, KARL, Erklärung des Philipperbriefes, Zürich 61947. BATIFFOL, PIERRE, Le Livre de la Prière d'Aseneth, in: Studia Patristica 1, 1889–1890, 1–87. BAUER, WALTER/PAULSEN, HENNING, Die Apostolischen Väter II: Die Briefe des Ignatius von Antiochia und der Polykarpbrief (HNT 18), Tübingen 21985. BAUMBACH, GÜNTHER, Die von Paulus im Philipperbrief bekämpften Irrlehrer, in: Tröger, K.W. (Hg.), Gnosis und Neues Testament. Studien aus Religionswissenschaft und Theologie, Berlin 1973, 293–310.

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