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German Pages 566 Year 2015
Studien zu Umweltökonomie und Umweltpolitik Herausgegeben von Prof. Dr. Erik Gawel
Band 12
Die Governance der Wasserinfrastruktur Band 2: Nachhaltigkeitsinstitutionen zur Steuerung von Wasserinfrastruktursystemen
Herausgegeben von
Erik Gawel
Duncker & Humblot · Berlin
ERIK GAWEL (Hrsg.)
Die Governance der Wasserinfrastruktur Band 2
Studien zu Umweltökonomie und Umweltpolitik Herausgegeben von Professor Dr. Erik Gawel
Band 12
Die Governance der Wasserinfrastruktur Band 2: Nachhaltigkeitsinstitutionen zur Steuerung von Wasserinfrastruktursystemen
Herausgegeben von
Erik Gawel
Duncker & Humblot · Berlin
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Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Meta Systems GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-0238 ISBN 978-3-428-14778-6 (Print) ISBN 978-3-428-54778-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84778-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Auf langlebige technische Infrastrukturen gestützte Dienstleistungen der Wasserver- und Abwasserentsorgung sind ökologisch, ökonomisch und sozial eine Schlüsselherausforderung für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft. Die traditionellen zentralen Infrastruktursysteme in Deutschland und Europa geraten angesichts steigender gesellschaftlicher Anforderungen an Ressourceneffizienz und Wirtschaftlichkeit sowie als Folge globaler wie regionaler Wandlungsprozesse (Klima, Demografie, Konsummuster) zunehmend unter Veränderungsdruck. Gesucht sind flexiblere und anpassungsfähige Systemlösungen, die sich auch an kleinräumige und schnell wechselnde demografische und klimatische Veränderungen anpassen lassen, um die Funktionsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und „Erschwinglichkeit“ der Versorgungssysteme zu sichern. Technisch-ökonomische „Systeminteressen“ (Kapazitätsauslastung, Anschluss- und Benutzungszwang, Kostendeckung) müssen an Nachhaltigkeitsinteressen (Flexibilisierung, Dezentralisierung, Ressourcenschonung, Affordability) ausgerichtet werden. Die traditionellen Lösungen sind jedoch eingebettet in ein System sozio-ökonomischer „Garantie- und Steuerungsinstitutionen“ und bilden dadurch zugleich Pfadabhängigkeiten aus (Transformationsproblem). Als „Institution“ gelten dabei in der Neuen Institutionenökonomik sämtliche Regeln, die individuelles Verhalten steuern und begrenzen. Diesem Regelwerk gilt hier das Hauptaugenmerk: Wie müssen Regeln für Wasserdienstleistungen der Ver- und Entsorgung ausgestaltet werden, um eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen und anzustoßen? Die in den beiden vorgelegten Bänden1 zur „Governance der Wasserinfrastruktur“ zusammengestellten interdisziplinären Beiträge aus Wissenschaft und Praxis analysieren die Zukunftsfähigkeit der öffentlichen Wasserver- und Abwasserentsorgung in Deutschland und Europa im Hinblick auf regional diversifizierte demografische und sozio-ökonomische Prozesse, unterschiedliche Auswirkungen des Klimawandels sowie systemische Nachhaltigkeits-Zielkonflikte und entwickeln auf dieser Grundlage Überlegungen zur Gestaltung von „Institutionen“ zur Sicherung einer nachhaltigen Steuerung langfristiger Infrastrukturentscheidungen. Die Beiträge gehen zurück auf das vom Bundesforschungsministerium (BMBF) geförderte Forschungsvorhaben InfraWass („Nachhaltigkeitsinstitutionen zur Governance langlebiger technischer Infrastruktursysteme am Beispiel der europäischen 1 Siehe auch den ersten Band: Gawel, E. (Hrsg.): Die Governance der Wasserinfrastruktur. Band 1: Rahmenbedingungen, Herausforderungen und Optionen, Berlin: Duncker & Humblot 2015. ISBN 978-3-428-14777-9.
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Vorwort
Wasserver- und Abwasserentsorgung unter den Bedingungen des klimatischen und demografischen Wandels“: www.ufz.de / infrawass). Das im Rahmen des Programms „Wirtschaftswissenschaft für Nachhaltigkeit 2“ geförderte Projekt (FKZ: 01UN1013, Laufzeit 2010 – 2013) wurde in Kooperation des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), Department Ökonomie (Prof. Dr. Erik Gawel (Leitung)) und Department für Umwelt- und Planungsrecht (Dr. Moritz Reese), des Instituts für Infrastruktur und Ressourcenmanagement der Universität Leipzig (Prof. Dr. Holländer) und der Universität Kassel, Institut für Wirtschaftsrecht (Prof. Dr. Laskowski), durchgeführt. Das Forschungsteam wurde mit dem KompetenzNetzwerk HAMBURG WASSER und der KWL – Kommunale Wasserwerke Leipzig GmbH durch zwei hochkompetente Praxispartner unterstützt, denen die Forschungsnehmer viele wertvolle Anregungen verdanken. Besonderer Dank gilt hierbei Herrn Dr.-Ing. Uwe Winkler (KWL Leipzig) und Dr.-Ing. Axel Waldhoff (Hamburg Wasser), die das Projekt persönlich begleitet und durch vielfältige Impulse überaus befruchtet haben. Die nunmehr vorgelegten Bände fassen die wesentlichen Ergebnisse des Forschungsvorhabens zusammen. Dabei ist es gelungen, nicht nur die wissenschaftlichen Beiträge aus dem Kreis der Forschungsnehmer zu versammeln, sondern auch zahlreiche weitere Beiträge aus Wissenschaft und Praxis einzubeziehen, die im Rahmen mehrerer Projekt-Workshops sowohl von unseren Praxispartnern als auch von externen Experten aus dem In- und europäischen Ausland beigesteuert wurden. Einige aktuelle Aufsätze aus anderen Projektzusammenhängen, doch in enger Verknüpfung mit dem Generalthema, runden die Bände ab. Diese beiden Werke wären nicht zustande gekommen ohne die engagierte und tatkräftige Mitwirkung aller Projektbeteiligten weit über die eigentliche Projektlaufzeit hinaus. Für die stets angenehme Zusammenarbeit ist der Herausgeber allen Beteiligten sehr zu Dank verpflichtet. Dies schließt auch die sehr zahlreichen helfenden Hände ein, die bei der Endredaktion und beim Layout mitgewirkt haben. Mein besonderer Dank gilt allerdings Herrn Dipl.-Volksw. Norman Bedtke, der nicht nur das Projekt selbst, sondern auch die Buchpublikationen mit großer Umsicht, Hartnäckigkeit und Kompetenz fachlich und organisatorisch koordiniert hat. Mögen die beiden Bände einen Beitrag zur gegenwärtig so intensiv geführten Debatte um eine zukunftsfähige Wasserwirtschaft in Deutschland und Europa leisten, indem Wissenschaft und Praxis sowie die verschiedenen Disziplinen und Diskursstränge künftig noch enger miteinander verbunden werden. Leipzig, im August 2015
Erik Gawel
Inhaltsverzeichnis I. Die Transformation von Wasserinfrastruktursystemen aus Sicht der Neuen Institutionenökonomik Norman Bedtke Transformationsprozesse und Institutionen – eine theoretische Perspektive für die Wasserwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Norman Bedtke und Erik Gawel Flexibilität von Wasserinfrastruktursystemen – Konzepte und institutionelle Ansatzpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Entgelte als Schlüsselinstitutionen einer Nachhaltigkeitstransformation Erik Gawel Komparative Analyse von Verfahren der Entgeltkontrolle: Kostenpreise versus Missbrauchsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Erik Gawel Die Berücksichtigung von Umwelt- und Ressourcenkosten nach Art. 9 WRRL – interdisziplinäre Herausforderungen für die Wasserpreispolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Erik Gawel Mikroverunreinigungen und vierte Reinigungsstufe: Das Leipziger Modell zur Finanzierung des Ausbaus von Behandlungsanlagen aus Mitteln der Abwasserabgabe . . . . . . 229 Erik Gawel Preise für Wasserdienstleistungen in Deutschland: Die Legende von der Kostendeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Uwe Winkler Unterstützung von Klimaanpassungsprozessen im Kanalnetz durch monetäre Anreizfunktionen in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
III. Die Governance-Architektur der Wasserwirtschaft: Daseinsvorsorge, Wettbewerb, Planung Erik Gawel und Norman Bedtke Ordnungskonzepte der deutschen Wasserwirtschaft zwischen Modernisierung und Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
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Inhaltsverzeichnis
Mark Oelmann Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen – Entwicklung ökonomischer Beurteilungskriterien sowie deren Anwendung auf die englische Wassermarktregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Mónica García Quesada Examining Water Governance Beyond the Privatisation Debate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Martin Wickel Planung als Instrument der besseren Vernetzung von Siedlungswasserwirtschaft und Stadtentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
IV. Transformationsprozesse am Beispiel der Niederschlagswasserbewirtschaftung Stefan Geyler, Norman Bedtke und Erik Gawel Technologische und institutionelle Anpassungsoptionen im Wechselspiel: Herausforderungen einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Axel Waldhoff und Juliane Ziegler Zukünftiger Umgang mit Regenwasser – eine kommunale Gemeinschaftsaufgabe am Beispiel Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 Stefan Geyler und Christopher Krohn Optionen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung – eine empirische Analyse des Entscheidungsverhaltens privater Grundstückseigentümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565
Transformationsprozesse und Institutionen – eine theoretische Perspektive für die Wasserwirtschaft Von Norman Bedtke*
I. Einleitung: Die Transformation wasserwirtschaftlicher Infrastruktursysteme Unter einer Transformation können Prozesse einer umfassenden Umwandlung und Umformung verstanden werden. In den Sozialwissenschaften sind Transformationen grundlegende gesellschaftliche Veränderungen, wie jene, die beispielsweise im Zusammenhang mit der industriellen Revolution einhergingen oder bei einem Übergang zwischen verschiedenen Gesellschaftsordnungen auftreten.1 Auch verdeutlicht die gegenwärtig als notwendig erachtete „Transformation der Gesellschaft“ im Sinne eines nachhaltigen weltweiten Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft, dass damit weitreichende Veränderungen verbunden werden.2 Zuweilen wird zwischen den Begriffen Transition und Transformation unterschieden: In der politikwissenschaftlichen Transformationsforschung wird unter Transition der zumeist politisch beeinflusste Wandel eines (gesellschaftlichen) Teilsystems und unter einer Transformation ein umfassender gesellschaftlicher Wandel auf verschiedenen Ebenen verstanden (z. B. postsozialistische Transformation), der sich zumeist einer direkten Steuerung entzieht.3 Im Schrifttum zur Theorie technologischer Transitionen (siehe Abschnitt II.3.) werden davon abweichend zwei Arten von Transitionen unterschieden: 1. Evolutionäre Transitionen bei denen das Ergebnis ungeplant und wenig vorbestimmt ist, * Meinem akademischen Lehrer Erik Gawel danke ich für zahlreiche wertvolle Hinweise und Anregungen. 1 Zur „großen Transformation“ der Gesellschaft im Zuge der Industrialisierung siehe Polanyi (1990); stellvertretend für die zahlreichen politik- und wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen postkommunistischer Systemtransformation siehe Sandschneider (1995); Eissrich (2001); Merkel (2010). 2 Vgl. WBGU (2011). Dazu kritisch u. a. von Weizsäcker (2011); Gawel (2014); ders. (2015d). Zur Nachhaltigkeitstransformation als „großer Transformation“ aus institutionenökonomischer Sicht jüngst im Überblick Gawel / Bedtke (2016). 3 Vgl. Brand (2012), S. 118.
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2. Ziel-orientierte Transitionen, bei denen vage Zielvorstellungen oder Visionen handlungsleitend für öffentliche und private Akteure sind.4 Im Beitrag soll dem Verständnis ziel-orientierter Transitionen gefolgt werden. Aufgrund der unterschiedlichen Begriffsauffassungen innerhalb der Literatur5 sollen zudem aus Gründen der Vereinfachung die Begriffe Transition und Transformation im Folgenden weitgehend synonym verwendet werden. Auch im Zusammenhang mit einer nachhaltigen Ausrichtung netzgebundener Infrastruktursysteme der Wasserver- und Abwasserentsorgung findet der Transformationsbegriff in der wissenschaftlichen Diskussion zunehmend Anwendung. 6 Ursächlich hierfür sind einerseits dynamische Veränderungen der Rahmenbedingungen sowie andererseits veränderte gesellschaftliche Anforderungen, 7 die jeweils als Treiber auf eine Umgestaltung der Wasserinfrastruktursysteme hinwirken, welche über allgemeine Anpassungsprozesse erkennbar hinausgeht.8 Unter dem Begriff der „Wasserinfrastruktursysteme“ können dabei vor allem die technischen Komponenten zusammengefasst werden, die zur Realisierung der Dienstleistungen der Wasserver- und Abwasserentsorgung benötigt werden. Hierzu zählen die Leitungs- und Kanalnetze der Ver- und Entsorgung einschließlich Pumpstationen und Rückhaltebecken sowie die Kläranlagen und Wasserwerke. In einem breiteren Verständnis von Wasserinfrastruktur umfasst dies auch alle weiteren Bauwerke (Talsperren, Fernversorgungssysteme, Wassertürme etc.) entlang der Wertschöpfungskette, die benötigt werden, um schließlich die Dienstleistungen der Wasserwirtschaft bereitzustellen.9 Im Rahmen der Transformationsdiskussion werden für die Bereitstellung der Ver- und Entsorgungsdienstleistungen verstärkt kleinere, (semi-)dezentrale Systemlösungen, welche Nachhaltigkeitsaspekten (z. B. Kreislaufschließung, Flexibilität) größere Beachtung schenken, als Alternativen zu den zentralen Systemen in Erwägung gezogen.10 Transformationen stellen in einem technologiefokussierten VerVgl. Loorbach / Rotmans (2006), S. 189 f. So definiert Geels technologische Transitionen als „major technological transformations“, Geels (2002), S. 1257; siehe auch Konrad et al. (2004), S. 15, die den Begriff der Transformation aufgrund seiner größeren Offenheit im Vergleich zum Begriff der Transition verwenden. 6 Stellvertretend für viele Konrad et al. (2004); Kluge / Libbe (2006); dies. (2010); Scheele et al. (2008); Truffer et al. (2010). 7 Vgl. Bedtke (2015); Reese et al.(2015) m. w. Nachweisen. 8 Wenngleich ein System in langer Frist auch allein durch graduelle Erneuerungen deutliche Veränderungen erfahren kann, werden permanente Anpassungsmaßnahmen, wie beispielsweise der Umbau für veränderte Bedarfssituationen oder die Modernisierung der Anlagen nicht als Transformation verstanden. 9 Ausführlich dazu u. a. Gujer (2007). Im Rahmen des Beitrags wird dem engeren Verständnis von Wasserinfrastruktursystemen im Sinne von städtischen netzgebundenen Leitungsnetzen und deren Knotenpunkten gefolgt, wenngleich eine trennscharfe Abtrennung nicht immer möglich ist. So spielen die Systeme der Fernwasserversorgung in einigen Regionen eine bedeutende Rolle bei der Bereitstellung von Trinkwasser. 10 Für eine Übersicht zu den Technologieoptionen der Wasserver- und Abwasserentsorgung u. a. Staben (2008); Geyler / Lautenschläger (2015). 4 5
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ständnis demnach Brüche und Übergänge dar, die in Form eines weitreichenden Wechsels der Systemtechnik auftreten.11 Im Zusammenhang mit der Systemtransformation greift eine Reduzierung auf den technologischen Wandel jedoch zu kurz. Die technischen Komponenten sind in einen komplexen institutionellen Rahmen eingebettet, innerhalb dessen sich die Technologien entwickeln. D. h. es kommt auf jenes System an „Regeln“ (Institutionen) an, die das Verhalten von Akteuren steuern.12 Hierzu zählen so unterschiedliche Institutionen wie das (wasser-)rechtliche Normengefüge, die technischen Regelwerke, die Entgeltsysteme zur Finanzierung der Wasserdienste, die kommunalen und unternehmensinternen Organisationsstrukturen, die Wettbewerbsordnung auf den Ver- und Entsorgungsmärkten u. v. a. Vermittels dieser institutionellen Bedingungen werden die jeweiligen Entscheidungskompetenzen sowie die Anforderungen und Möglichkeiten einer Systementwicklung mehr oder minder direkt beeinflusst. Ein weitreichender technischer Umbruch erfordert und bewirkt typischerweise auch erhebliche Veränderungen des institutionellen und organisatorischen Rahmens. Mit Blick auf die sozialwissenschaftliche Technik- und Innovationsforschung kann eine Transformation großtechnischer Infrastruktursysteme unter dem Begriff der „soziotechnischen Transformation“ gefasst werden.13 Diese zeichnet sich dadurch aus, dass neben einem weitreichenden technologischen Wandel auch ein signifikanter Wandel auf institutioneller, sozialer und gesellschaftlicher Ebene erfolgt. Insbesondere aus der Sicht politischer Entscheidungsträger stellt sich die Frage, in welchem Umfang umfassende Transformationsprozesse zielgerichtet gestaltet werden können. Hierfür analysieren zahlreiche theoretische und empirische Arbeiten verschiedener Wissenschaftsdisziplinen (u. a. der Soziologie, Wirtschaftswissenschaften, Politikwissenschaften, Psychologie) zunehmend trans- und interdisziplinär die Prozesse technologischen oder soziotechnischen Wandels, um diese möglichst gut zu verstehen und daraus Steuerungsimplikationen abzuleiten.14 Die Leitfragen dabei sind: Wie gestaltbar sind Transformationsprozesse? Wo liegen die Grenzen einer Steuerung komplexer Transformationen? Eine zentrale Rolle innerhalb dieser Prozesse nehmen Institutionen ein, die als Regeln und Regelsysteme das Verhalten der Akteure und damit letztendlich auch die technologische Entwicklung maßgeblich beeinflussen. So geben Institutionen Vgl. Koziol et al. (2006), S. 10 f. Unter Institutionen werden in der Neuen Institutionenökonomik und im Rahmen dieses Beitrages Regeln und Regelsysteme einschließlich ihrer Durchsetzungsmechanismen verstanden, mit denen das Verhalten von Akteuren gesteuert wird, siehe auch III.1. Innerhalb der hier vorgestellten Konzepte sind Institutionen nicht einheitlich definiert, können aber im weiteren Sinne als „verhaltenssteuernde Regeln“ verstanden werden. 13 Vgl. Dolata (2011a). 14 Für einen Überblick zu den Konzepten der sozialwissenschaftlichen Technik- und Innovationsforschung siehe u. a. Grupp (1997), S. 49 ff.; Geels (2005), S. 28 ff.; Häußling (2014). 11
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u. a. vor, welche Technologien überhaupt Anwendung erfahren dürfen, wie diese finanziert werden und wie die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten verteilt werden, oder vermitteln die entsprechenden Anreize für die Akteure, bestimmte Technologien einzusetzen.15 Im deutschen Energiesektor zeichnet sich die technische Dimension der gegenwärtigen Transformation („Energiewende“) durch den Übergang von einer zentralistischen Stromerzeugung hin zu einer zunehmend dezentralen Erzeugungsstruktur unter Verwendung erneuerbarer Energieträger aus. Durch den Einsatz der neuen Technologien und als Folge veränderter Akteurskonstellationen müssen sich auch die organisatorisch-institutionellen Kontexte des Energiesektors erheblich verändern (z. B. beim Strommarktdesign, den Förder- und Regulierungsinstrumenten, Instrumenten zur Steuerung und Koordinierung der Akteure).16 Eine ähnliche Situation, wenngleich mit einer geringeren Dynamik, zeigt sich auch im Wassersektor: Auch hier rücken innovative Systemlösungen in den Fokus, die mit einer (partiellen) Abkehr von den bisher dominierenden netzgebundenen zentralen Ver- und Entsorgungssystemen („modernes Infrastrukturideal“)17 einhergehen und bestehende, darauf ausgerichtete Institutionen in Frage stellen. So sind u. a. die Entgeltsysteme auf die Refinanzierung heutiger Infrastrukturnetze ausgelegt, die kommunalrechtlichen Bestimmungen des Anschluss- und Benutzungszwangs mit dezentralen technischen Lösungen weitgehend unvereinbar und die technischen Regelwerke noch unzureichend auf innovative Lösungen ausgerichtet.18 In den soziotechnischen Ansätzen der Transformationsforschung findet das Wechselspiel zwischen Institutionen, Akteuren und technischen Elementen im Rahmen eines ko-evolutionären Verständnisses der technologischen und institutionellen Entwicklung umfassende Berücksichtigung.19 Auch werden die vielfältigen Ausprägungen institutionellen Wandels, die innerhalb soziotechnischer Transformationen auftreten können, vertiefend betrachtet.20 Weitgehend unbeachtet bleiben dagegen Fragen zu den Ursachen und Mechanismen institutionellen Wandels: Was sind die Treiber und Hemmnisse institutioneller Veränderungen? Wodurch ergeben sich die 15 Eine ausführliche Analyse des Wechselspiels zwischen zentralen Steuerungsinstitutionen und Technologien am Beispiel der Regenwasserbewirtschaftung findet sich bei Geyler et al. (2015). 16 Vgl. Rohracher (2007), S. 133 ff. 17 Unter dem modernen Infrastrukturideal wird die in Industrieländern dominierende Vorstellung der angebotsorientierten Bereitstellung von Dienstleistungen der kommunalen Daseinsvorsorge mit Hilfe eines flächendeckenden Einsatzes netzgebundener zentralistischer Infrastruktursysteme (build-and-supply), meist im Rahmen von Gebietsmonopolen, verstanden, siehe hierzu Graham / Marvin (2001); Moss et al. (2008). 18 Für institutionelle Reformnotwendigkeiten siehe u. a. Kluge / Libbe (2006); dies. (2010); Bedtke / Gawel (2015a). 19 Vgl. stellvertretend für viele Unruh (2000); Geels (2004), S. 904 ff.; Rohracher (2007), S. 136 ff. 20 Vgl. Dolata (2011b), S. 274 ff.
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unterschiedlichen Ausprägungen institutionellen Wandels? Wie kann ggf. auf den Prozess des institutionellen Wandels Einfluss genommen werden?21 Diese Fragen greift insbesondere die ökonomische Theorie des institutionellen Wandels auf und sucht eine Erklärung für die Entstehung und Veränderung von Institutionen mit Hilfe institutionenökonomischer Methoden. Unter Nutzung speziell dieses Theoriegebäudes soll im Rahmen dieses Beitrages ein besseres Verständnis der Prozesse institutionellen Wandels erlangt werden und darauf aufbauend die Situation für die Sektoren der Wasserver- und Abwasserentsorgung näher betrachtet werden. Hierfür werden im ersten Teil des Beitrags wesentliche theoretische Grundlagen und Konzepte zur Abbildung soziotechnischer Transformationsprozesse vorgestellt (Abschnitt II.). Dabei sollen insbesondere die institutionellen Aspekte im Rahmen dieser Ansätze hervorgehoben werden. Darauf aufbauend wird die Perspektive durch die (institutionen-)ökonomische Theorie des institutionellen Wandels erweitert (Abschnitt III.). Ein letzter Abschnitt (IV.) diskutiert die konkreten Ergebnisse für die Siedlungswasserwirtschaft.
II. Theoretische Konzepte zur Abbildung von Transformationsprozessen soziotechnischer Systeme 1. Transformationen soziotechnischer Systeme Mit den Arbeiten des Technikhistorikers Thomas P. Hughes zu großtechnischen Systemen (Large Technical Systems) rückten die Wechselwirkungen zwischen technischen und nicht-technischen Elementen in den Blickpunkt der heute zumeist interdisziplinär ausgerichteten sozialwissenschaftlichen Technikforschung. 22 Für Hughes entwickeln sich großtechnische Systeme, um eine bestimmte gesellschaftliche Leistung (bspw. die Wasser- oder Energieversorgung) zu erbringen. Hierbei wirken zahlreiche heterogene technische, aber auch soziale, gesellschaftlich-institutionelle, kulturelle, ökonomische, rechtliche und naturwissenschaftliche Faktoren, die eng miteinander verwoben sind („seamless web“)23, als kohärentes System zusammen und werden von zentralen Akteuren, den Systembauern („system builder“)24 aufeinander 21 So für den Energiebereich Verbong / Loorbach (2012); Grunwald / Schippl (2013). In Ansätzen werden dabei auch die Ursachen institutioneller Pfadabhängigkeiten erläutert – vgl. Unruh (2000), S. 824 f. 22 Vgl. Hughes (1983); ders. (1987); Mayntz / Hughes (1988). 23 Vgl. Hughes (1986). 24 Als „system builder“ gilt beispielsweise Thomas A. Edison, dessen Erfindung der Glühbirne für sich genommen noch wenig Nutzen erbracht hätte. Vielmehr galt es, für das Ziel einer elektrischen Beleuchtung auch die hierfür erforderlichen technischen und institutionellen Rahmenbedingungen zu schaffen, wofür auch vielfältige Akteursgruppen (Nutzer, Unterneh-
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abgestimmt und angepasst.25 Auch Nelson und Winter wiesen in ihren evolutionsökonomischen Arbeiten früh darauf hin, dass die technologische Entwicklung von Routinen und Handlungsparadigmen relevanter Akteure (z. B. von Ingenieuren) maßgeblich geprägt und hierdurch das bestehende Technologieregime oftmals gefestigt wird.26 Ihr Konzept der „technologischen Regime“ wurde später in den interdisziplinären Arbeiten der Transition-Forschung (siehe Abschnitt II.3.) um die Betrachtung weiterer Faktoren, insbesondere von Regeln27, erweitert und letztendlich zu Konzepten von „soziotechnischen Regimen / Systemen“ verdichtet. Für einen Vertreter dieses Forschungsstrangs, Frank Geels, umfassen soziotechnische Systeme die Elemente der Herstellung, Verbreitung und Verwendung von Technologien, welche funktionsbezogen miteinander in Verbindung stehen. Dies umfasst so verschiedene Dinge wie die Technologien selber, Regulierungsrahmen, Nutzerverhalten, Märkte, kulturelle Aspekte, Infrastrukturen sowie Vertriebs- und Wartungsnetzwerke. 28 In der Literatur besteht seit langer Zeit eine kontroverse Diskussion zu der Frage, ob für den soziotechnischen Wandel vorrangig neue Technologien oder soziale Prozesse verantwortlich sind.29 Der lange Zeit dominierende Ansatz eines Technikdeterminismus betonte die Bedeutung von Technologien als wesentliche Impulsgeber sozioökonomischen und institutionellen Wandels und betrachtete die Technologieentwicklung als exogenes unbeeinflussbares Phänomen.30 Sozialkonstruktivistische Konzepte verabschiedeten sich von diesem Paradigma und verwiesen auf die Bedeutung sozialer Prozesse sowie der strukturellen, institutionellen und kulturellen Rahmenbedingungen für die Technologieentwicklung.31 Für diesen Beitrag soll den vermittelnden Konzepten einer Ko-Evolution von Technik und Gesellschaft gefolgt werden, bei denen eine wechselseitige Beeinflussung anerkannt wird, zugleich aber kein Technik- oder Sozialdeterminismus betont wird.32 So argumentiert Rohracher, dass von Technologien zwar Änderungsimpulse men, Behörden, Politiker etc.) von der Idee zu überzeugen waren, siehe Häußling (2014), S. 242 f., unter Bezugnahme auf Hughes (1983). 25 Einen Überblick zur Theorie großtechnischer Systeme gibt Häußling (2014), S. 242 ff; siehe auch Monstadt (2009). 26 Vgl. Nelson / Winter (1982). 27 Rip und Kemp definieren ein technologisches Regime als „rule-set or grammar embedded in a complex of engineering practices, production process technologies, product characteristics, skills and procedures, ways of handling relevant artifacts and persons, ways of defining problems – all of them embedded in institutions and infrastructures“, siehe Rip / Kemp (1998), S. 338. 28 Vgl. Geels (2004), S. 900; ders.(2005), S. 682. 29 Zu dieser Diskussion Dolata / Werle (2007), S. 15 ff.; Grunwald (2007), S. 63 ff. 30 Vgl. Häußling (2014), S. 132 ff. 31 Vgl. Häußling (2014), S. 226 ff. 32 So auch Hughes (1987), S. 51: „Technological systems contain messy, complex, problem-solving components. They are both socially constructed and society shaping“, siehe dazu auch Dolata / Werle (2007), S. 16, 37 f., m. w. Nachweisen; Häußling (2014), S. 355 ff.
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und -potenziale ausgehen, ein soziotechnischer Wandel jedoch das Ergebnis der Eigenschaften von Technologien, Institutionen und sozialen Praktiken, der Interaktion von Akteuren und externer Bedingungen (u. a. Ressourcenverfügbarkeit) darstellt, also Faktoren, welche die Entwicklung limitieren und ermöglichen können. Dabei nehmen die Akteure eine zentrale Position ein, da sie einerseits den institutionellen Rahmen gestalten, zugleich aber auch innerhalb desselben Institutionenrahmens die Technologieentwicklung gestalten. Technische Neuerungen können hingegen die Anpassung institutioneller Strukturen erforderlich machen. Folglich sollen soziotechnische Beziehungen als vielfältig ausgeartete Interaktion von Technologien, Institutionen und Akteuren aufgefasst werden (siehe Abbildung 1).33
Te chnologie n, te chnis che Innova tione n
Tre ibe r de s Wa nde ls
Ins titutione n, P ra ktike n, s ozia le S trukture n
ge s ta lte nd e rmögliche nd / beschr änke nd
e rmögliche nd / besch rä nke nd
gestalten d / sele ktie re nd
gestaltend / re produzie re nd
Akte ure , Ha nde ln
Quelle: Rohracher (2007), S. 137.
Abbildung 1: Grundstrukturen soziotechnischer Beziehungen
Auch Unruh weist in seinen Arbeiten zu Nachhaltigkeitsinnovationen auf die Wechselwirkungen zwischen technischen und institutionellen Elementen hin. Für seinen soziotechnischen Ansatz prägte er den Begriff des „techno-institutionellen Komplexes“.34 Dessen Wirkmechanismen erklärt er u. a. am Beispiel des Mobilitätssektors (siehe Abbildung 2):35 Innerhalb des Verkehrssektors war und ist der Ausbau des Straßennetzes zur Sicherstellung des Personen- und Güterverkehrs ein Kennzeichen einer wachstumsorientierten Industriegesellschaft. Mit der Vergrößerung dieser technologischen Komponente gingen weitere technische und institutionelle Netzwerkeffekte einher. So wurde u. a. ein flächendeckendes Netz an Tankstellen installiert und eine umfangreiche Verkehrsbürokratie aufgebaut. Hierdurch wird wiederum eine Zunahme des Straßenverkehrs bewirkt, da dessen Attraktivität 33 34 35
Vgl. Rohracher (2007), S. 137; so auch Geels (2004), S. 903. Vgl. Unruh (2000), S. 818. Hierzu Unruh (2000), S. 825 ff.
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für die Nutzer durch neue und besser ausgebaute Verbindungsnetze steigt. Eine soziale Reaktion von Individuen ist es folglich, dass der Automobilverkehr als Mobilitätslösung anerkannt wird. Weiterhin passen sich die Erwartungen der Nutzer an. So reduziert die zunehmende Verbreitung die Unsicherheit über das Fortbestehen dieser Lösungen und fördert deren allgemeine Akzeptanz. Aber auch auf institutioneller Seite ergeben sich Reaktionen: Die Zunahme des Straßenverkehrs generiert für den Staat Steuereinnahmen, die auch abseits der Verkehrsinfrastrukturen Verwendung finden. Folglich werden neben dem ureigenen Ziel der Sicherstellung der Mobilität auch weitere staatliche Ziele begünstigt. Das staatliche Interesse am Erhalt des Automobilverkehrs führt nicht zuletzt durch die stetige Zunahme der Nachfrage zu einem weiteren Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Wenngleich diese Darstellung stark vereinfacht ist, eignet sie sich sehr gut, um die Problematik eines solchen selbstreferentiellen Systems zu verstehen. Es sind nicht allein die institutionellen oder technischen Aspekte, welche die Entwicklung der Systeme bestimmen, sondern es ist insbesondere auch deren Wechselspiel.36
Technisches System Netzwerk
Vergrößerung
Kulturelle Anpassung
Ausbau des Straßennetzes
Zunahme des Straßenverkehrs
Adaptive Erwartungen
Steigende Steuereinnahmen Erhöhung
Soziale Reaktion
Lernen
Institutionelle Reaktion Quelle: Unruh (2000), S. 827.
Abbildung 2: Technoinstitutioneller Komplex des automobilbasierten Verkehrssektors 36 Für die Erläuterung der Mechanismen hinter dem „carbon lock-in“ siehe ebenfalls Unruh (2000).
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Wenngleich zahlreiche „soziotechnische“ Forschungsansätze mit unterschiedlichen Forschungsinteressen existieren,37 so weisen doch alle im Kern darauf hin, dass sich gesellschaftliche Aspekte und Technologien wechselseitig prägen. Die Untersuchung der Entwicklung (Transformation) eines solchen Systems heterogener, einander beeinflussender Einzelkomponenten erfordert folglich eine integrative Betrachtung aller Komponenten.
2. Verlaufsformen soziotechnischer Transformationen In der realen Welt weist der allgegenwärtige Wandel unterschiedliche Ausprägungen auf, wobei die Bandbreite von „schleichend und kaum wahrnehmbar“ bis hin zu radikalen Umbrüchen reichen kann. Wie ordnet sich eine Transformation von komplexen soziotechnischen Systemen hierbei ein und welche Rolle spielen dabei Institutionen? Theoretische Arbeiten zu institutionellem Wandel unterstellen regelmäßig, dass dieser überwiegend schleichend und graduell verläuft und nur bei außergewöhnlichen Ereignissen, wie Revolutionen, radikale Änderungen formeller Regeln auftreten.38 Diese Vorstellung gradueller Entwicklung kann auch für die Transformation soziotechnischer Systeme übernommen werden.39 Obwohl eine Transformation letztendlich immer einen grundlegenden Wandel bedeutet, ist dies nicht gleichzusetzen mit einer abrupten Abkehr von den bestehenden technologischen und institutionellen Paradigmen. Die seit dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima 2011 forcierten Veränderungen im Rahmen der deutschen Energiewende mögen zwar im Ergebnis einen vergleichsweise radikalen Charakter aufweisen, jedoch wird sich auch die – im Übrigen bereits weit früher eingeleitete – Umstrukturierung des deutschen Energiesektors geplant über mehrere Jahrzehnte hinziehen und dabei maßgeblich durch die bestehenden soziotechnischen Rahmenbedingungen beeinflusst werden. Eine graduelle Entwicklung gilt umso mehr noch für die Sektoren der Wasserver- und Abwasserentsorgung, in denen der Anpassungsdruck weit weniger offensichtlich und zudem kein Teil der politischen Agenda ist. Allein die Unterscheidung der Transformationen im Energie- und Wassersektor zeigt aber bereits, dass sich die graduelle Entwicklung hinsichtlich ihrer Intensität und Geschwindigkeit deutlich unterscheiden kann. Dolata stellt in seinen Arbeiten zu soziotechnischen Transformationen heraus, dass spezifische Formen institutionellen Wandels im Rahmen soziotechnischer Transformationen auftreten.40 Dabei zeichnet sich institutioneller Wandel mitunter Einen weiteren Überblick geben Büscher / Schippl (2013); Häußling (2014). Vgl. North (1992), S. 105 ff.; Mahoney / Thelen (2010), S. 1 ff. 39 Vgl. Dolata / Werle (2007), S. 34; Dolata (2011b), S. 273. 40 Hierzu ausführlich Dolata (2011b), S. 274 f., bezugnehmend auf Mahoney / Thelen (2010). 37 38
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durch hohe Passivität aus. So können anpassungsunfähige Institutionen an Bedeutung verlieren, wenn deren Neuausrichtung an sich ändernde Bedingungen verpasst wird (Drift) oder aber Institutionen im Zuge von Veränderungen schlicht überflüssig werden (Erschöpfung). Dagegen stehen andere Ausprägungen des institutionellen Wandels mehr oder weniger stark für eine aktive Gestaltung der Institutionen. Ein Wandel bestehender Institutionen kann durch eine Ergänzung und Erweiterung um neue Regeln, Normen und Orientierungen erfolgen. Aber auch der Umbau des bestehenden institutionellen Arrangements ist denkbar, wenn Ziele, Funktionen und Zwecksetzungen vorhandener Institutionen an neue Herausforderungen und veränderte Interessenlagen angepasst werden. Ferner können unter- oder nachgeordnete Regelungen und Orientierungen institutioneller Arrangements mit der Zeit an Bedeutung gewinnen, dominant werden und die alten Institutionen sukzessive verdrängen (Ersatz). Nach Dolata sind die Verlaufsformen soziotechnischer Transformationen durch spezifische Kombinationen dieser Formen institutionellen Wandels geprägt, wobei er einen inkrementellen, einen architektonischen, einen substitutiven Wandel und eine lang anhaltende Koexistenz als idealtypische Ausprägungsformen ausmacht (siehe Abbildung 3).41 Die Variante einer lang anhaltenden Koexistenz kann dabei als charakteristisch für Transformationsverläufe großtechnischer Systeme angesehen werden.42 Ausgehend von einer Situation hoher technischer und sozialer Stabilität entwickelt sich ein alternativer Pfad mit eigenen aussichtsreichen Technologien, Akteuren und Regeln, der als Nische in Koexistenz zum etablierten Sektor existiert. Obwohl die Nische die bestehenden Grundstrukturen des Sektors anfangs nicht in Frage stellt, kann es durch Fortschritte innerhalb der Nische zu deren Bedeutungszuwachs kommen. Daraus kann sich eine rivalisierende Beziehung zwischen Nische und bestehendem sozialistischem Regime ergeben, bis dahin, dass die Nische als soziotechnische Alternative zum bestehenden System angesehen wird. Der Phase der Koexistenz können nun zwei abweichende Entwicklungen folgen: – Einerseits ist eine radikale Form substitutiven Wandels möglich, bei welcher das bestehende veränderungsresistente System aufgrund technologischer Inferiorität, aber auch durch neu auf die innovative Technologie zugeschnittene Institutionen, zunehmend unter Druck gerät. Denn im Zuge des Prozesses treten neue Akteure auf, die auf das institutionelle Geflecht einwirken und es in ihrem Sinne gestalten. Es resultieren Institutionen, die mit dem bestehenden institutionellen Gefüge nicht vereinbar sind und auf einen Ersatz bestehender Strukturen abzielen (Ersatz und Umbau). Etablierte Akteure versuchen, diesem Wandel mit moderaten Anpassungen der institutionellen Rahmenbedingungen zu begegnen, können den Bedeutungsverlust der „alten“ Institutionen (Drift und Erschöpfung) jedoch nur 41 Vgl. Dolata (2011), S. 136 ff. Zu idealtypischen Mustern von Transformationsprozessen siehe auch Konrad et al. (2004), S. 71 ff.; Geels / Schot (2007). 42 Vgl. Dolata (2011), S. 285 ff.
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abdämpfen. Somit erfolgt letztendlich ein schrittweiser Übergang zu einem grundlegend veränderten System von neuen Technologien, Akteuren und Institutionen. Als Beispiel kann der Einfluss des aufkommenden Internets auf den Musiksektor angesehen werden.43 – Andererseits ist es auch eine Anpassung des etablierten Systems als Folge der zunehmenden Bedrohung durch die Nische denkbar, die in einem sektoralen Umbau im Sinne eines architektonischen Wandels mündet. Der Sektor zeichnet sich in diesem Fall durch eine hohe Adaptionsfähigkeit aus, da sich die Etablierten auf den Wandel einlassen, um die Möglichkeiten neuer Technologien für sich zu nutzen. Hierzu greifen sie vergleichsweise früh auf die neuen Technologien zurück und richten ihre Aktivitäten (Forschung, Produktion, Organisation) auf diese aus. Der Transformationsprozess zeichnet sich nicht durch eine grundlegende Abkehr von bestehenden technologischen und institutionellen Strukturen aus. Es erfolgt kein vollständiger Austausch etablierter Technologien, sondern deren Verknüpfung mit innovativen Lösungen. Der institutionelle Wandel verläuft nach dem gleichen Muster einer fortwährenden Erneuerung und Neugestaltung (Erweiterung und Umbau), während ein radikaler Austausch bestehender Elemente eher untypisch ist. Wenngleich letztendlich ein weitreichender Wandel resultiert, bleiben die Grundstrukturen des Sektors (Akteure, Institutionen) erhalten. Der Wandel in der US-Pharmaindustrie durch das Aufkommen der Gentechnologie gilt als Beispiel. 44
Es soll festgehalten werden, dass unterschiedliche Verlaufsformen gradueller Transformationsprozesse auftreten können. Deren Intensität ist von mehr oder weniger aktiv gestalteten Formen institutionellen Wandels geprägt. Wenngleich die Arbeiten von Dolata die Prozesse soziotechnischer Transformationen und die Bedeutung von Institutionen näher beleuchten, lassen sich konkrete Steuerungsimplikationen nicht ableiten. Aufbauend auf seinen Arbeiten erscheint es jedoch plausibel, dass Transformationsprozesse beschleunigt werden können, wenn Technologien proaktiv aufgegriffen und die damit verbundenen Institutionen und Strukturen zur Verbreitung der Technologie gezielt gestaltet werden.
3. Die Theorie technologischer Transitionen (Transition Management) Mit dem Ziel, konkrete Steuerungsvorschläge für Transformationsprozesse abzuleiten, fanden insbesondere die Arbeiten der sog. Transition-Forschung (auch Transition Management) in den letzten Jahren größere Beachtung. Das Transition Management beschäftigt sich mit Fragen der Governance von Systeminnovationen vor dem Hintergrund komplexer Gesellschaftsprobleme und findet im Kontext der allgemeinen Debatte zur gesellschaftlichen Nachhaltigkeitstransformation regelmäßig 43 44
Vgl. Dolata (2011a), S. 146 ff. Vgl. Dolata (2011a), S. 148 f.
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Norman Bedtke For men gr aduellen Wandels
passiv – reaktiv- defensiv Er schöpfung (exhaustion)
Dr ift (drift)
initial - proaktiv Er weiter ung (layering)
Umbau (conversion)
Expansion (expansion)
Er satz (displacement)
spezifische Kombinationen prägen
Varianten gradueller Transformation
Inkr ementeller Wandel
Architektonischer Wandel
Dynamische Reproduktion und selektive Modernisierung
Weitreichende Rekonfiguration und substanzielle Neuausrichtung
Erosion und radikaler Umbruch
Moderate Veränderung und Erweiterung (moderate conversion and layering)
Nischenexpansion (niche expansion)
Nischenexpansion und Ersatz (niche expansion and displacement)
Substanzielle Erweiterung und Umbau (substantial layering and conversion)
reformorientiert
Substitutiver Wandel
Drift und Erschöpfung (drift and exhaustion)
radikal
Reichweiten des Wandels Quelle: nach Dolata (2011b), S. 281.
Abbildung 3: Formen und Varianten gradueller Transformation
Anwendung.45 Insbesondere in den Niederlanden, Großbritannien und Belgien wurden zahlreiche Anstrengungen unternommen, um auf Basis der interdisziplinären Arbeiten Transformationsstrategien für die Bereiche Energie, Gesundheitswesen, Mobilität oder auch Wassermanagement abzuleiten.46 45 Exemplarisch für die Anwendung im Kontext einer gesellschaftlichen Nachhaltigkeitstransformation Smith et al. (2010); Kemp / Loorbach (2003); Loorbach / Rotmans (2006); für Netzsektoren Konrad et al. (2004); Kemp (2010); Schneidewind / Scheck (2012); das niederländische Wasserressourcenmanagement van der Brugge et al. (2005).
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Im Zentrum der Arbeiten des Transition Managements stehen (technologische) Transitionen. Transitionen sind langfristige Veränderungsprozesse, innerhalb derer sich eine Gesellschaft oder ein Teilsystem der Gesellschaft grundlegend ändert. 47 Für Geels stellt die Transition den Übergang von einem soziotechnischen Regime zu einem anderen dar.48 Charakteristisch für Transitionen ist die Ko-Evolution von ökonomischen, kulturellen, technologischen und institutionellen Entwicklungen auf unterschiedlichen Ebenen, die letztendlich in einem radikalen strukturellen Wandel des Systems münden.49 Der Ansatz verfolgt eine integrierte, komplexe Systemperspektive und versteht Systemwandel grundsätzlich als das Ergebnis vielfältiger, miteinander verwobener Prozesse, die auf mehreren Ebenen erfolgen. Ein zentrales Konzept zur Analyse dieser Prozesse stellt die Mehrebenen-Perspektive (Multi-Level-Perspektive) dar, welche drei Ebenen identifiziert, die in einer hierarchischen wechselseitigen Beziehung stehen:50 1. Soziotechnische Nische (Mikroebene): Die unterste Ebene stellen Nischen dar. Dies sind geschützte Räume, in denen (radikale) Innovationen entstehen, ohne dass diese dabei anfangs in direkter Konkurrenz zum etablierten Regime stehen. Hierdurch können sich noch unstabile soziotechnische Konfigurationen mit geringer Performance weiterentwickeln. 2. Soziotechnisches Regime (Mesoebene): Das soziotechnische Regime stellt die mittlere Ebene dar und bezieht sich ganz allgemein auf die vielfältigen Aspekte, welche die Koordinierung und Orientierung der Akteure im Zusammenhang mit der Gestaltung soziotechnischer Systeme beeinflussen.51 Ausgangspunkt war das evolutionsökonomisch geprägte Konzept technologischer Regime, bei dem die herausragende Bedeutung vorherrschender kognitiver Routinen bei Ingenieuren für die Technologieentwicklung und das Entstehen technologischer Trajektorien betont wurde.52 Später wurde die Perspektive durch den Einbezug von Regeln und Regelsystemen erweitert.53 Geels schließlich ergänzt die Sichtweise im Konzept sozio46 Die wissenschaftlichen Arbeiten zum Transition-Management haben ihren Ursprung in den Niederlanden, wo der Ansatz heute Grundlage der offiziellen Regierungspolitik ist – siehe dazu und für weitere Anwendungsfälle Loorbach / Rotmans (2010), S. 238. 47 Vgl. Rotmans et al. (2001), S. 15. 48 Vgl. Geels (2004), S. 897. 49 Vgl. Schneidewind / Scheck (2012), S. 47 f. unter Verweis auf Rotmans / Loorbach (2010), S. 108. 50 Vgl. Geels (2002), S. 1259 mit Verweis auf die grundlegenden Arbeiten; ders. (2011), S. 26 ff. 51 Vgl. Geels (2002), S. 1260. 52 Vgl. Nelson / Winter (1982). 53 Vgl. Rip / Kemp (1998), S. 340, welche ein technologisches Regime als „[…] the rule-set or grammar embedded in a complex of engineering practices, production process technologies, product characteristics, skills and procedures, ways of handling relevant artefacts and persons, ways of defining problems; all of them embedded in institutions and infrastructures“ definieren.
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technischer Regime durch den Einbezug weiterer Elemente. Für ihn üben auch Nutzer, politische Entscheidungsträger, gesellschaftliche Gruppen, Anbieter, Wissenschaftler und Kapitalgeber, die innerhalb verschiedener Teilregime agieren, einen erheblichen Einfluss auf die Technologieentwicklung aus und prägen hierdurch ein soziotechnisches Regime. Aufgrund der vielfältigen und komplexen Verflechtungen der zahlreichen Elemente zeichnen sich soziotechnische Regime durch ausgeprägte Stabilität aus. 3. Soziotechnische Landschaft (Makroebene): Die Landschaftsebene umfasst die exogen vorgegebenen Rahmenbedingungen, welche die Entwicklungen auf Nischenund Regimeebene mitbestimmen. Hierzu zählen übergreifende Paradigmen, die Entwicklung des Klimas, demografische Faktoren, aber auch globale Regeln und Institutionen. Diese Größen verändern sich in langer Frist und sind nur bedingt gestaltbar. Die Mehrebenen-Perspektive zeigt Prozesse auf den verschiedenen Ebenen auf, die als idealtypisch für soziotechnische Transformationen angesehen werden (siehe auch Abbildung 4):54 – (Radikale) Innovationen gewinnen durch Lernprozesse, ihre stetige Verbesserung und steigende Unterstützung durch einflussreiche Gruppen eine zunehmende Eigendynamik (internal momentum); – Veränderungen auf der Landschaftsebene bewirken einen zunehmenden Veränderungsdruck für das bestehende soziotechnische Regime; – die damit verbundene Destabilisierung des soziotechnischen Regimes eröffnet Möglichkeitsfenster für Nischeninnovationen.
Nach dem Verständnis der Mehrebenen-Perspektive gibt es jedoch keine einfachen Kausalitäten, wie beispielsweise einen einzelnen Auslöser von Transformationen. Erst durch die interdependenten Prozesse auf den verschiedenen Ebenen können sich Situationen ergeben, bei denen Innovationen das bestehende Regime zunehmend in Frage stellen und ggf. verdrängen können.55 Das Transition Management setzt an der Gestaltung dieser Prozesse an. Dabei wird anerkannt, dass sich Transformationen einer klassischen Steuerung (top-down) entziehen, da sie das Ergebnis einer unüberschaubaren Anzahl an Prozessen darstellen, die zudem vielfach auch außerhalb einer möglichen Gestaltung liegen (z. B. kultureller Wandel).56 Dennoch bestehen mehrere Möglichkeiten, auf die Richtung und Geschwindigkeit der Entwicklung direkt und indirekt einzuwirken.57 Die grundlegende Steuerungsphilosophie des Transition Managements ist es, eine an einer übergeordneten Leitidee (u. a. nachhaltiger Verkehr, emissionsfreie Energiegewinnung) ausgerichtete Politik unter Ausnutzung von Transformationsdynamiken 54 55 56 57
Vgl. Geels (2002), S. 1261; Geels / Schot (2007), S. 400. Vgl. Geels (2011), S. 29. Vgl. Loorbach / Rotmans (2006), S. 194; Loorbach (2010), S. 173 ff. Vgl. Loorbach / Rotmans (2006), S. 194 f.
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Quelle: Geels (2011), S. 28.
Abbildung 4: Soziotechnische Transformationen aus Sicht der Multi-Level-Perspektive
zu verfolgen, bei der insbesondere in Nischen stattfindende Innovationsaktivitäten (Mikro-Ebene) forciert werden und zugleich auf das bestehende soziotechnische Regime (Meso-Ebene) Einfluss genommen wird. Dies ist möglich durch das Ausnutzen von Marktmechanismen, wenn über das Vermitteln von Preissignalen die individuelle Produkt- und Dienstleistungswahl im Sinne der Transformationsziele beeinflusst wird. So können (nachhaltige) Innovationen durch Subventionen befördert, aber auch das bestehende Regime (u. a. durch Steuern und Abgaben) unter Veränderungsdruck gesetzt werden. Weiterhin stellen Planungsansätze, welche die Transformationsziele widerspiegeln, einen Ansatz zentraler Steuerung wirtschaftlicher Aktivitäten dar. Eine weitere Möglichkeit wird im Einrichten von „transition arenas“58 gesehen. Darunter wird der Aufbau von Netzwerken verstanden, mit denen 58
Ausführlich dazu Kemp / Loorbach (2006), S. 111.
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die Interaktion und der Wissensaustausch bei zentralen Akteuren des Innovationsprozesses befördert werden sollen, um hierdurch Transformationsgrundlagen zu schaffen (u. a. Transition-Agenda, Transition-Experimente).59 Die theoretischen Arbeiten zum Transition Management gestehen Institutionen im Rahmen der Steuerung von Transformationsprozessen folglich eine erhebliche Rolle zu. So werden einerseits institutionelle Ansatzpunkte einer Steuerung benannt (u. a. marktbasierte Förderinstrumente, Planungsinstrumente), andererseits aber auch institutionelle Hemmnisse formeller (stabilisierende Regeln) und informeller Natur (Routinen, Ideologien) als relevant erachtet. Dennoch werden institutionelle Aspekte bei der Analyse soziotechnischer Transformationen regelmäßig vernachlässigt oder erfolgen lediglich nachgelagert (left-over category).60 Geels versucht die „black box“ der Institutionen für technische Transitionen zu öffnen und identifiziert verschiedene Arten von Regelsystemen, welche ein soziotechnisches Regime prägen:61 1. Regulative Institutionen: Diese umfassen beispielsweise formelle Regeln, Gesetze, Protokolle, Standards und Anreizstrukturen. Die Durchsetzung erfolgt über gesetzlich legitimierte Sanktionen. 2. Normative Institutionen: Hierzu zählen u. a. Aspekte wie Werte und Normen, aber auch Rollenerwartungen oder Pflichten. Die Durchsetzung dieser Institutionen erfolgt durch soziale Sanktionsmechanismen. 3. Kognitive Institutionen: Hierunter fallen Prioritäten, Paradigmen, Wirklichkeitsmodelle, Suchheuristiken oder Kategorisierungen. Jede dieser Institutionenkategorien findet sich vielfach in den Teilregimen (technologisches Regime, Wissenschaftsregime, Politik-Regime, sozio-kulturelles Regime, Nutzer- und Marktregime), die ein soziotechnisches Regime ausmachen, und bestimmt das Verhalten der jeweiligen Akteure und Akteursgruppen (siehe Tabelle 1). 62 So bestimmen regulative Institutionen, wie technische Standards oder Forschungssubventionen, aber auch die vorherrschenden kognitiven Institutionen (z. B. Routinen und Problemlösungsstrategien von Ingenieuren) ganz eindeutig die Entwicklung im technologischen Regime. Gleichzeitig wirken aber auch höchst unterschiedliche institutionelle Aspekte im Wissenschafts-Regime (z. B. Forschungsprogramme zu neuen Technologien), Politik-Regime (u. a. Sicherheitsanforderungen, Subventionspolitik) und sozio-kulturellen Regime (z. B. gesellschaftliche Einstellungen zu den Technologiefolgen) sowie dominierende Nutzerpraktiken und -präferenzen auf die Technologieentwicklung ein.
59 60 61 62
Vgl. Loorbach / Rotmans (2006), S. 194 f. Vgl. Geels (2004), S. 899. Vgl. Geels (2004), S. 905, unter Verweis auf Scott (1995). Vgl. Geels (2004), S. 906.
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Tabelle 1 Beispiele für Regeln in soziotechnischen Teilregimen Regulative Institutionen
Normative Institutionen
Kognitive Institutionen
Technologisches Regime
Technische Standards, Produktspezifikationen, Funktionsanforderungen
Unternehmensselbstverständnis (Wofür stehen wir als Unternehmen?), Testprozeduren
Suchheuristiken, Routinen, Leitprinzipien, Erwartungen, Problemlösungsstrategien
WissenschaftsRegime
Forschungsprogramme, Subventionsregeln
Review-Prozeduren, Zi- Paradigmen, Kriterien tationsregeln, akademi- und Methoden der sche Wertvorstellungen Wissensgewinnung
Administrative Vorgaben und Prozeduren innerhalb der Gesetzgebungsprozesse, formelle Anforderungen an Technologien (z. B. Sicherheitsstandards), Subventionsprogramme, Beschaffungsprogramme
Politikziele, Beziehungsmuster zwischen Wirtschaft und Politik, Rollenverständnis der Regierung
Vorstellungen zur Effektivität von Instrumenten, Leitprinzipien (z. B. Liberalisierung)
Soziokulturelles Regime
Regeln, welche die Verbreitung von Informationen beeinflussen (z. B. Mediengesetze)
Kulturelle Werte der Gesellschaft und Sektoren, Arten der NutzerFirmen-Interaktion
Symbolische Bedeutung von Technologien, Vorstellungen zu den Technologiefolgen
Nutzer- und Marktregime
Markt- und Wettbewerbsregeln, Eigentumsrechte, Vorgaben zur Produktqualität, Subventionen
Beziehung zwischen Nutzern und Unternehmen, gegenseitige Wahrnehmung und Erwartungen
Nutzerpraktiken, Präferenzen, Nutzerkompetenzen, Interpretationen
PolitikRegime
Quelle: Auswahl nach Geels (2004), S. 906.
4. Zwischenfazit: Soziotechnische Transformationen als Phänomene institutionellen Wandels Die vorgestellten Ansätze zeigen unabhängig von ihrer disziplinären Zuordnung und ihrer Schwerpunktsetzung ein durchaus ähnliches Verständnis von Transformationsprozessen soziotechnischer Systeme. Diese verlaufen, wenngleich mit unterschiedlichen Dynamiken, graduell und sind regelmäßig dadurch geprägt, dass technische Innovationen aus Nischen heraus in Konkurrenz zu bestehenden soziotechnischen Regimen treten. Durch den alternativen technologischen Pfad kann das beste-
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hende soziotechnische Regime verändert oder verdrängt werden. Aufgrund ihrer soziotechnischen Perspektive betonen alle Ansätze auch die Bedeutung von Institutionen. Die Kernaussagen dabei sind: – Eine Vielzahl von formellen aber auch informellen Institutionen ist charakteristisch für ein soziotechnisches Regime, welches hierdurch eine ausgeprägte Stabilität erhält; – soziotechnische Transformationen werden durch verschiedentliche Formen institutionellen Wandels geprägt; – institutioneller Wandel innerhalb von Transformationen kann durch den Bedeutungsverlust von Institutionen erfolgen (passiv), aber auch aktiv gestaltet werden; – Institutionen sind ein zentrales Element bei der Gestaltung von Transformationsprozessen, da auf das bestehende soziotechnische Regime und die Entwicklung von Nischentechnologien eingewirkt werden kann.
Unabhängig von den vielfältigen Anknüpfungspunkten werden Institutionen bei der Analyse von Innovationsprozessen und soziotechnischen Transformationen jedoch oftmals nur unzureichend adressiert. So bleiben beispielsweise die Mechanismen institutionellen Wandels weitgehend unbeleuchtet. Zwar wird anerkannt, dass Institutionen durch Akteure geschaffen werden; unbeachtet bleibt aber, warum Akteure Institutionen verändern und in welcher Weise dies geschieht. Um das besser erklären zu können, soll im folgenden Abschnitt eine Brücke zu den Theorien der neuen Institutionenökonomik geschlagen werden. Diese erweitern die Vielzahl bestehender sozialwissenschaftlicher Konzepte zum Systemwandel um eine ökonomische Perspektive.63 Bei den nachfolgenden Betrachtungen soll vor allem die Arbeit von Douglass C. North im Fokus stehen, welcher seit Jahrzehnten institutionenökonomische Ansätze zur Erklärung von institutionellen Wandlungsprozessen erarbeitet und in einer Theorie des institutionellen Wandels verdichtet hat. 64
63 Die Neue Institutionenökonomik (NIÖ) basiert auf dem Gerüst der neoklassischen Theorie, setzt aber an deren institutionellen Blindstellen an (institutionelles Vakuum), um hierdurch deren Anwendungsbereich zu erweitern. Während die neoklassische Theorie idealtypische Annahmen trifft und Institutionelles vielfach ausblendet, weist die NIÖ diese Annahmen in einer Welt voller Unsicherheit zurück und betont die Bedeutung von Institutionen im Wirtschaftsprozess. Zudem ist es mit Hilfe der statischen Theorieansätze der Neoklassik nicht möglich, dynamische Entwicklungen und Lernprozesse angemessen zu berücksichtigen – vgl. Smyth (1998); Richter / Furubotn (2010). 64 Es gibt verschiedene Theorien und Konzepte zur Erklärung institutionellen Wandels, siehe hierzu Kingston / Caballero (2009).
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III. Die ökonomische Theorie des institutionellen Wandels zur Analyse von Transformationsprozessen 1. Institutionen und Wandel – der institutionenökonomische Ansatz Ganz allgemein versteht man in der neuen Institutionenökonomik unter Institutionen „ein System miteinander verknüpfter, formgebundener (formaler) und formungebundener (informeller) Regeln (Normen) einschließlich der Vorkehrungen zu deren Durchsetzung“.65 Für North sind Institutionen „die Spielregeln einer Gesellschaft, oder förmlich ausgedrückt, die von Menschen erdachten Beschränkungen menschlicher Interaktion“.66 Dabei unterscheidet er ebenfalls zwischen formellen (u. a. Gesetze, Verträge) und informellen (u. a. Gebräuche, Traditionen, Sitten) Institutionen.67 Während formelle Institutionen meist schriftlich fixiert und gestaltbar sind, entziehen sich informelle Institutionen zumeist einer direkten Gestaltung. Für die ökonomische Analyse von Institutionen sieht North die Erforderlichkeit einer Unterscheidung zwischen Organisationen (Spielern) und Institutionen (Spielregeln). 68 Die regulativen und normativen Institutionen im Rahmen der Theorie technologischer Transitionen (siehe oben Abschnitt II.3.) können mit den formellen bzw. informellen Institutionen bei North gleichgesetzt werden. Die als dritte Kategorie vorgeschlagenen kognitiven Institutionen stellen dagegen keine Institutionen im Sinne der Institutionenökonomik dar, finden aber in Form sog. „mentaler Modelle“ (siehe nachfolgend III.2.) wesentliche Berücksichtigung bei der Erklärung institutionellen Wandels. Regelmäßig wird bei der Analyse institutioneller Ordnungen auf einen hierarchischen Aufbau von Institutionen unterschiedlicher Arten hingewiesen, wobei sich die Ebenen in ihrer Entwicklung gegenseitig beeinflussen.69 Für Dietl sind es zunächst fundamentale Institutionen (z. B. das Rechtsempfinden), die an oberster Stelle in der Hierarchie stehen und dabei den Rahmen für die Gestaltung sekundärer Institutionen (z. B. Gesetze, Verträge) bilden (siehe Abbildung 5).70 Dies hat mehrere Konsequenzen: Zum einen verringert sich der Spielraum bei der Gestaltung sekundärer Institutionen, je weiter man sich in der Institutionenhierarchie nach unten begibt. Zum anderen wird die Institutionengestaltung auf höheren Ebenen zunehmend schwieriger, da der Gestaltungsspielraum stetig zunimmt, bis er auf der Ebene der fundamentalen In-
65 66 67 68 69 70
Richter / Furubotn (2010), S. 6. North (1992), S. 3. Vgl. North (1997), S. 4; Häder (1997). Vgl. North (1992), S. 5 f. Vgl. Dietl (1993), S. 72 f.; Williamson (2000), S. 596 f.; Ostrom (2005). Vgl. Dietl (1993), S. 72.
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stitutionen praktisch unendlich wird. Der Versuch einer rationalen Planung von fundamentalen Institutionen ist damit aufgrund der begrenzten menschlichen Fähigkeiten zum Scheitern verurteilt. Weiterhin wirkt die innerhalb der Institutionenhierarchie nach unten hin abnehmende Veränderungsgeschwindigkeit als Korrektiv etwaigen Instabilitäten entgegen.71 Zugleich ist es für einen dauerhaften „Erfolg“ einer Institution erforderlich, dass diese mit der übergeordneten Ebene vereinbar ist. So können sekundäre Institutionen, die mit den fundamentalen Institutionen einer Gesellschaft nicht in Einklang zu bringen sind, nicht auf Dauer bestehen, da ansonsten Instabilitäten und institutionelle Ineffizienzen entstehen.72
Fund amentale Institutionen bilden den Rahmen für Sekund äre (ab geleitet e) Institutionen (Stufe 1) bilden den Rahmen für Sekund äre (ab geleitet e) Institutionen (Stufe 2) bilden den Rahmen für Sekund äre (ab geleitet e) Institutionen (Stufe n)
Quelle: Dietl (1993), S. 74.
Abbildung 5: Institutionenhierarchie fundamentaler und sekundärer Institutionen
An dieser Stelle gilt es festzuhalten, dass es offensichtlich verschiedene Arten von Institutionen gibt, die sich hinsichtlich der Art, wie sie transportiert werden (formell, informell), ihrer Durchsetzungsmechanismen, aber auch ihrer Gestaltbarkeit deutlich unterscheiden können. Wenngleich eine Vielzahl an institutionenökonomischen Arbeiten zur Erklärung von institutionellem Wandel existiert, so zeichnen sich doch grundsätzlich zwei theoretische Erklärungsmuster ab:73 71 72 73
Vgl. Dietl (1993), S. 72. Vgl. Dietl (1993), S. 75 f.; North (1997). Vgl. Kingston / Caballero (2009), S. 155 ff.
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1. Der evolutionäre Ansatz: Bei dieser Sichtweise treten neue Institutionen in Konkurrenz zu den bestehenden Regeln und Kooperationsmechanismen. Bei Vorteilhaftigkeit werden die neuen Institutionen übernommen und bestehende Regeln verdrängt. Institutioneller Wandel entsteht folglich nicht durch bewusste zentrale Steuerung, sondern als das „spontane“ Ergebnis unkoordinierter dezentraler Handlungen vieler einzelner Akteure. Als Beispiel für eine ungeplante und spontane Institutionenemergenz gilt die Entstehung des Geldes.74 2. Der konstruktivistische Ansatz: Hierbei sind die Institutionen das Ergebnis bewusster (rationaler) Gestaltung, die entweder durch einzelne Individuen (z. B. Monarchen, Manager) verfolgt wurde oder aber das Ergebnis eines kollektiven Aushandlungsprozesses darstellt. Insbesondere im zweiten Fall spiegelt damit das institutionelle Ergebnis auch die Interessen und die jeweilige Verhandlungsstärke der Akteure wider. Der im Transformationsprogramm des WBGU75geforderte Ordnungsrahmen für eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung steht beispielhaft für den Institutionenwandel eines „gestaltenden Staates“. Der zentrale Unterschied zwischen beiden Erklärungsansätzen besteht demnach im Selektionsmechanismus, welcher die Institutionenentwicklung bestimmt. Während im konstruktivistischen Ansatz eine zentrale Instanz den institutionellen Wandel induziert, sind es im evolutionären Ansatz dezentrale Selektionsprozesse, analog zu den Mechanismen des Wettbewerbs, welche die Institutionenentwicklung beeinflussen.76
2. Zentrale Aussagen der ökonomischen Theorie des institutionellen Wandels Einen bedeutenden Beitrag zur Erklärung der Entstehung und des Wandels von Regeln und gesellschaftlichen Ordnungen leistete Douglass C. North mit seiner Theorie des institutionellen Wandels.77 Unter Nutzung der Theorien und Methoden der Neuen Institutionenökonomik ist die zentrale Hypothese seiner Arbeiten, dass institutioneller Wandel im Kern ein ökonomisches Entscheidungsproblem darstellt. Wandel erfolgt demnach dann, wenn und soweit er den Akteuren einen „Zugewinn“ verspricht. Diese Ansicht vertrat auch bereits Demsetz, welcher die Entstehung von Eigentumsrechten dadurch begründet sieht, dass die Internalisierung von Externalitäten mit Nutzengewinnen einhergeht.78 Um die grundsätzlichen Mechanismen in74 75 76 77 78
Vgl. Menger (1892). Vgl. WBGU (2011). Vgl. Kingston / Caballero (2009), S. 160. Hierzu insbesondere North (1988); ders. (1992); ders. (2005). Vgl. Demsetz (1967), S. 350.
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stitutionellen Wandels zu veranschaulichen, geht North von einem theoretischen Zustand eines institutionellen Gleichgewichts aus. In einem solchen Gleichgewicht ist es für keinen Akteur vorteilhaft, auf eine Veränderung des institutionellen Rahmens hinzuwirken. Diese Situation muss nicht effizient sein und trifft auch keine Aussage über das Niveau der Zufriedenheit der Akteure. Sie sagt lediglich aus, dass die Kosten-Nutzen-Überlegungen der Akteure gegen eine Änderung der Institutionen sprechen.79 Dabei wird unterstellt, dass die Neuvereinbarung von institutionellen Regelungen nicht ohne Kosten möglich ist. Neuordnungen gehen nämlich regelmäßig mit erheblichen Transaktionskosten einher, namentlich Such-, Informations- und Verhandlungskosten sowie Implementations-, Durchsetzungs- und Kontrollkosten. Aufbauend auf diesen generellen Überlegungen präzisiert North die Mechanismen institutionellen Wandels, wofür er fünf Thesen unterbreitet: 80 – Kontinuierliche Interaktion zwischen Institutionen und Organisationen: Der Schlüssel institutionellen Wandels liegt für North im interdependenten Wechselspiel zwischen Organisationen (Spielern) und dem bestehenden institutionellen Rahmen (Spielregeln) begründet. Die gegebenen Institutionen setzen die Anreize, definieren Beschränkungen und geben den Alternativenraum für die Organisationen vor, die sich in einer Welt der Knappheit dem allgegenwärtigen Wettbewerb stellen müssen. Institutioneller Wandel muss hierbei als Kosten-Nutzen-Abwägung der Organisationen verstanden werden. Etablierte oder neue Organisationen wirken dann auf eine Veränderung der Regeln hin, wenn sie sich im Zuge der Nutzung einer Möglichkeit und damit verbundener institutioneller Veränderungen, die regelmäßig mit Kosten verbunden sind, besser stellen. Dies kann im Fall politischer Organisationen direkt erfolgen, während wirtschaftliche und soziale Organisationen dies durch einen Druck auf politische Akteure indirekt bewirken. – Lernprozesse und Wissensaufbau: In einer Welt von Wettbewerb und Knappheit liegt der Schlüssel für das Überleben von Organisationen in deren dauerhaftem Bestreben, ihre relative Effizienz zum Wettbewerber zu verbessern. Hierfür werden Investitionen in die Fähigkeiten und das Wissen der Organisation notwendig, in deren Folge sich auch die Wahrnehmung von Chancen und Möglichkeiten und hierdurch auch die Anreizstrukturen für institutionellen Wandel für die Akteure verändern können.81 Sofern sich hierdurch neue Ansätze für einen lohnenswerten institutionellen Wandel ergeben, werden die Organisationen auf diesen hinwirken. Die Anreize zum Wissensaufbau und zum Lernen sind dabei maßgeblich von der Intensität des Wettbewerbs beeinflusst, so dass im Umkehrschluss Organisationen, die sich keinem Wettbewerb stellen müssen (z. B. öffentliche Monopole), weniger ausgeprägte Anreize für Investitionen in Wissen und Lernen und damit letztendlich auch zur Veränderung des institutionellen Rahmens haben. Vgl. North (1992), S. 101 f. Vgl. North (1995a), S. 15 ff. 81 Neue Anreizsituationen können sich daneben auch durch exogenen Wandel der Rahmenbedingungen (veränderte relative Preise) ergeben. 79 80
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– Richtung des Wissensaufbaus und Lernens: Die beiden vorhergehenden Theoreme benennen Faktoren, welche die Intensität des institutionellen Wandels beeinflussen. Weiterhin kann bezüglich der Richtung des Wandels unterschieden werden. Die bestehenden Institutionen setzen die Anreize, in welche Art von Wissen und Fähigkeiten die Organisationen investieren. Dabei werden die Organisationen die Fähigkeiten erlernen, die unter den bestehenden Regeln die größte Auszahlung versprechen. North verdeutlicht dies in einem Beispiel: Sofern der institutionelle Rahmen die Piraterie mit den größten Auszahlungen belohnt, werden Organisationen in Fähigkeiten und Wissen investieren, die sie erfolgreiche Seeräuber werden lassen. Insgesamt setzt der institutionelle Rahmen jeder Gesellschaft sowohl Anreize für redistributive (rent seeking) als auch für produktivitätssteigernde Aktivitäten (profit seeking), so dass deren relatives Gewicht bestimmt, ob letztlich der Erhalt der Strukturen oder ein Wandel erfolgt. 82 – Mentale Modelle und Ideologien: In diesem Zusammenhang ist es bedeutsam, wie die Wahrnehmung und Interpretation von Informationen durch Individuen erfolgt. Dies wird maßgeblich durch sog. mentale Modelle beeinflusst. Mentale Modelle sind individuell erlernte Regeln zur Wahrnehmung und Strukturierung von Sachverhalten, die eine Orientierung und Entscheidungsfindung in einer Welt der Komplexität und Unsicherheit vereinfachen.83 Die mentalen Modelle, die Individuen entwickeln, basieren dabei auf Aspekten wie der kulturellen Herkunft oder früheren Lernprozessen (z. B. im Umgang mit Alltagsproblemen). Hierdurch kann regelmäßig eine Konvergenz mentaler Modelle und die Entstehung ähnlicher Denkstrukturen in Form von Ideologien beobachtbar werden (shared mental models).84 Aufgrund ihres evolutionären Charakters verändern sich mentale Modelle insgesamt nur schleichend. Dies kann geschehen, wenn sich bestimmte Denkmuster bei der Lösung von Problemen als ungeeignet erwiesen haben, zunehmend in Frage gestellt werden und durch neue ersetzt werden. Es ist aber auch denkbar, dass öffentliche Diskussionen vor dem Hintergrund neuer Probleme angestoßen werden, um bestehende mentale Modelle bzw. Ideologien in Frage zu stellen.85 – Institutionelle Pfadabhängigkeiten: North betont in seinen Arbeiten die pfadabhängige Entwicklung von Institutionen. Frühere Entscheidungen generierten den institutionellen Rahmen, der heutige Entscheidungen beeinflusst und wiederum die zukünftige institutionelle Ausgestaltung mitbestimmt („history matters“). 86 Bezugnehmend auf die Arbeiten zu technologischen Pfadabhängigkeiten87 führt North das Konzept der Pfadabhängigkeit für die Analyse institutionellen Wandels 82 83 84 85 86 87
Vgl. North (1995a), S. 10. Vgl. Denzau / North (1994), S. 3 m. w. Nachweisen. Vgl. Denzau / North (1994), S. 3 ff. Vgl. Leschke (2012), S. 32. Vgl. North (1992), S. 98 ff. Vgl. David (1985); Arthur (1994).
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ein. Auch hier existieren selbstverstärkende Mechanismen in Form zunehmender Erträge, die für die Stabilisierung eines einmal eingeschlagenen Pfades verantwortlich sind und Pfadwechsel blockieren.88 Hierdurch können auch ineffiziente Pfade beibehalten werden (lock-in), wenn ein Wechsel mit prohibitiv hohen Kosten einhergehen würde. Dies begründet sich zum einen durch die Investitionen in den Aufbau von Institutionen (Einrichtungskosten), deren Wert nur bei Weiterbestand der Regeln erhalten bleibt, während Pfadwechsel versunkene Kosten bedeuten. Zum anderen treten transaktionskostensenkende Lerneffekte beim Umgang mit den bestehenden Institutionen auf, so dass die Akteure innerhalb des bestehenden Rahmens ihre Aktivitäten optimieren. Auch dieses Wissen kann bei einem Pfadwechsel verloren gehen und wirkt dadurch pfaderhaltend. Ferner entwickeln sich im Umgang mit Institutionen Koordinationseffekte. Für einzelne Individuen bedeutet es einen Vorteil, wenn Regelsysteme von einer möglichst großen Zahl von Individuen akzeptiert und glaubhaft befolgt werden. Dies senkt die individuelle Unsicherheit und damit die Transaktionskosten bei Kooperationen. Derartige Netzwerkeffekte ergeben sich mit der Zeit und müssen sich bei neuen alternativen Institutionen erst entwickeln. Zudem spielen adaptive Erwartungen eine Rolle. Mit zunehmender Berücksichtigung einer Institution verringert sich die Unsicherheit über deren zukünftige Existenz, was ebenfalls dazu beiträgt, die individuelle Unsicherheit zu senken. Für North sind zunehmende Grenzerträge (je mehr schon vorhanden ist, desto mehr kann im nächsten Schritt noch zuwachsen) eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für Pfadabhängigkeiten und den Fortbestand ineffizienter Institutionen. Ursächlich sind weiterhin die in der Realität vorherrschenden unvollkommenen Märkte, die regelmäßig mit unvollständigen Informationen und hohen Transaktionskosten (aber auch vorherrschenden mentalen Modellen) einhergehen. Hierdurch wird verhindert, dass sich durch marktbasierte Rückkopplungsprozesse letztendlich effiziente Institutionen durchsetzen. Stattdessen können sich Akteure auf politischen und wirtschaftlichen Märkten Institutionen schaffen, welche ihre Interessen begünstigen.89 Bei der Entwicklung soziotechnischer Systeme besteht zudem eine wechselseitige Abhängigkeit technologischer und institutioneller Pfadabhängigkeiten.90 Die dargestellten fünf Theoreme von North können in flexibilisierende und stabilisierende Elemente unterschieden werden (siehe Tabelle 2).91 Diese Heuristik erlaubt eine grundlegende Einordnung der Gegebenheiten innerhalb des Wassersektors, um darauf aufbauend das Verhältnis aus Stabilität und Flexibilität zu beurteilen und Ansatzpunkte zur Forcierung institutionellen Wandels abzuleiten (dazu IV.). Mentale Modelle sowie die Pfadabhängigkeit institutioneller Entwicklung stellen Siehe dazu auch Sydow et al. (2009). Vgl. North (1992), S. 8, 112 ff. 90 Vgl. Unruh (2000), S. 823 f. 91 Die Kategorisierung in flexibilisierende und stabilisierende Elemente erfolgt in Anlehnung an die Arbeit von Kretschmer (2006), S. 220. 88 89
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Faktoren dar, die ein bestehendes institutionelles Arrangement stabilisieren und die Intensität von Wandel hemmen. Demgegenüber zeigt sich, dass mittels entsprechender Anreize auf die Intensität der Interdependenz zwischen Institutionen und Organisationen sowie die Lernprozesse Einfluss genommen werden kann, also den Elementen, die als Ursache institutionellen Wandels ausgemacht wurden. Ferner bestehen Möglichkeiten, um die „Richtung“ des institutionellen Wandels mitzubestimmen. Belohnt die Anreizstruktur überwiegend Lernprozesse und den Wissensaufbau, so ist dies gleichbedeutend mit einer Verstärkung flexibilisierender Elemente und tendenziell weitergehender institutioneller Änderungen. Individuen und Organisationen, für welche der Erhalt der bestehenden Strukturen dagegen die größten Auszahlungen verspricht, werden sich Wissen und Fertigkeiten aneignen, um auf den Erhalt des Status quo hinzuwirken. Wenngleich hierdurch ebenfalls institutioneller Wandel bewirkt wird, ist dieser weniger weitreichend und verfolgt das Ziel der Festigung und Akzentuierung bestehender Strukturen. Tabelle 2 Flexibilisierende und stabilisierende Elemente institutionellen Wandels Flexibilisierende Elemente
Stabilisierende Elemente
1. Eine kontinuierliche Interaktion zwischen Akteuren und Institutionen in einer Welt der Knappheit und des Wettbewerbs ist der Schlüssel zu institutionellem Wandel.
4. Institutioneller Wandel verläuft aufgrund von zunehmenden Grenzerträgen (und unvollkommenen Märkten) überwiegend inkrementell und pfadabhängig.
2. Wettbewerb zwingt die Akteure fortwährend 5. Die Wahrnehmung und Interpretation von zu Lernprozessen und Wissensaufbau. Die Möglichkeiten wird durch die mentalen MoFähigkeiten und das Wissen verändern die delle der Akteure maßgeblich beeinflusst. Wahrnehmung von Möglichkeiten und damit die Entscheidungen. 3. Das relative Verhältnis der Anreize für Strukturerhalt und Wandel bestimmt die Entwicklung. Akteure investieren in die Kenntnisse und Fähigkeiten, mit denen sie die höchste Entlohnung erzielen. Quelle: eigene Erstellung nach North (1995), S. 15 ff.
Institutioneller Wandel alleine wäre folglich kein Garant für eine Entwicklung, die eine Transformation begünstigt. Es bedarf zugleich einer normativen Vorgabe, an welcher sich die institutionelle Entwicklung ausrichten sollte. Im Rahmen seiner Theorie des institutionellen Wandels92 schlägt North das Konzept der Anpassungseffizienz vor, ein Effizienzmaß, das Regeln für die Entwicklung einer Gesellschaft über die Zeit bestimmen und für Entscheidungsträger handlungsleitend sein 92 Siehe dazu North (1988); ders. (1992). Für einen Überblick zu Theorien mit Bezug zum institutionellen Wandel siehe Kingston / Caballero (2009), S. 151 ff.
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sollte.93 Denn, so sein Argument, „in einer Welt der Unsicherheit kennt niemand die richtige Antwort auf die Fragen, die sich uns stellen.“94 Die Abkehr vom klassischen Effizienzkriterium der (statischen) Allokationseffizienz begründet North damit, dass es zwangsläufig zu ungewünschten und unbeabsichtigten Ergebnissen kommen wird, wenn für eine Entscheidungsfindung in dynamischen Umwelten und unter Unsicherheit statische Theoriekonzepte zugrunde gelegt werden.95 North vermag keine abschließende Definition von Anpassungseffizienz zu geben, diese sieht er jedoch am ehesten dann gegeben, wenn die „Bereitschaft einer Gesellschaft, Wissen und Bildung zu erwerben, Innovationen zu bewirken, Risiko zu übernehmen und in verschiedenster Hinsicht kreativ tätig zu werden sowie Probleme bzw. Engpässe in der Gesellschaft im Verlaufe der Zeit zu bewältigen“ 96 besonders ausgeprägt ist. Die Idee dahinter ist, dass im Zuge eines ausgeprägten Such- und Entdeckungsverfahrens und damit einhergehender Lernprozesse neue Lösungen für (gesellschaftliche) Probleme gefunden werden sollen. Denn es sind nach North die Gesellschaften, die die größte Zahl von Versuchsmöglichkeiten gestatten, welche am ehesten im Laufe der Zeit Probleme lösen werden.97 Wenngleich hierfür zahlreiche Faktoren verantwortlich sind, nehmen die institutionellen Rahmenbedingungen für North eine Schlüsselrolle ein. Die Institutionen sollten deshalb so gestaltet sein, dass die Erforschung alternativer Problemlösungen möglichst stark begünstigt wird, wofür zwei Anforderungen an den Institutionenrahmen erfüllt sein müssen: 1. Geeignete Institutionen müssen die ökonomische und politische Flexibilität bereitstellen, um neue Gelegenheiten wahrzunehmen, d. h. es müssen möglichst viele Freiheitsräume für Akteure zum Ausprobieren neuer Lösungen gegeben sein. 2. Zugleich sollten die entsprechenden Anreize vermittelt werden, um diese Prozesse anzustoßen und in die richtige Richtung zu lenken. Diese dem Grundanliegen der Anpassungseffizienz entgegenkommenden Forderungen streiten wiederum für günstige Möglichkeiten eines institutionellen Wandels. So ist institutioneller Wandel insbesondere auch dann erforderlich, wenn Innovationen, die naturgemäß nicht vorhersehbar sind, institutionell berücksichtigt werden sollen. Nur durch institutionellen Wandel können die Regeln, Normen und Anreizsysteme dem technologischen Fortschritt Rechnung tragen und eine Diffusion innovativer Lösungen ermöglichen. Durch die Aussagen der Theorie des institutionellen Wandels wird ersichtlich, dass das Verhältnis zwischen den stabilisierenden und flexibilisierenden Elementen die Möglichkeiten für institutionellen Wandel maßgeblich bestimmt. 93 94 95 96 97
Hierzu auch Richter / Furubotn (2010), S. 580 f. North (1992), S. 96. Vgl. North (1995b); ders. (2005), S. 21. North (1992), S. 96. Vgl. North (1992), S. 96.
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3. Zwischenfazit: Zusammenspiel der Bedingungen für institutionellen Wandel Aufbauend auf den theoretischen Vorüberlegungen ergibt sich das folgende Verständnis für die weitere Analyse (siehe Abbildung 6): Institutioneller Wandel ist ein Prozess, der von den jeweils bestehenden Institutionen maßgeblich beeinflusst wird; diese bilden einen Bedingungsrahmen für den institutionellen Wandel aus. Dieser Bedingungsrahmen umfasst sowohl flexibilisierende, d. h. einen institutionellen Wandel begünstigende Elemente, als auch stabilisierende Elemente, die einen Erhalt der bestehenden institutionellen Strukturen befördern. Die Wirkung der flexibilisierenden Elemente ist maßgeblich von den bestehenden Anreizstrukturen abhängig. Sofern die bestehenden Anreize eine kontinuierliche Interaktion zwischen Akteuren und institutionellem Rahmen sowie Lernprozesse und Wissensaufbau befördern, begünstigt dies die Initiierung von Wandel. Zugleich setzt der Institutionenrahmen die Anreize, welche die Richtung der Entwicklung determinieren. Die Akteure werden letztendlich in jene Fähigkeiten und das Wissen investieren, welche die größten Auszahlungen versprechen, wobei umverteilende (strukturerhaltende) aber auch produktivitätssteigernde (Wandel befördernde) Aktivitäten honoriert werden. Abhängig vom relativen Gewicht kann sowohl ein Strukturerhalt als auch ein Wandel durch die bestehenden Anreizstrukturen bewirkt werden. Zugleich können exogene Faktoren die relativen Preise und damit die vorherrschenden Anreizstrukturen verändern. Dagegen wirken die stabilisierenden Elemente per se strukturerhaltend. Pfadabhängigkeit ergibt sich zunächst durch zunehmende Grenzerträge (Einrichtungskosten, Lerneffekte, Koordinationseffekte, adaptive Erwartungen), die als selbstverstärkende Mechanismen den bestehenden Pfadverlauf stabilisieren. Für institutionelle Pfadabhängigkeiten bedarf es zugleich unvollkommener Märkte, da wettbewerbliche Selektionsmechanismen ansonsten eine effiziente Entwicklung bewirken würden. Aufgrund der ko-evolutionären Entwicklung von Technik und Institutionen können technologische Pfadabhängigkeiten ebenfalls stabilisierend auf die Entwicklung wirken. Die subjektiven mentalen Modelle der Akteure leisten weiterhin einen Beitrag zum Fortbestand ineffizienter Institutionen, da hierdurch regelmäßig neue Möglichkeiten ausgeblendet und bestehende Strukturen unzureichend hinterfragt werden. Sofern die Anreize für einen Strukturerhalt überwiegen und Pfadabhängigkeiten und mentale Modelle ausgeprägte Stabilitätswirkungen entfalten, muss insgesamt mit Situationen ausgeprägter struktureller Stabilität gerechnet werden (institutionelles Gleichgewicht).98 Sofern starke Anreize für einen Wandel der institutionellen Rahmenbedingungen bestehen, kann dagegen mit einer Überwindung eines bisherigen (ineffizienten) Gleichgewichts gerechnet werden. 98 Unter der Annahme ansonsten weitgehend stabiler (exogener) Rahmenbedingungen, die ansonsten ebenfalls einen Einfluss auf die bestehenden Anreizstrukturen ausüben und Wandel induzieren könnten (z. B. exogene Schocks, technischer Fortschritt).
Exogene Faktoren
Ler neffekte
Koor dinationseffekte
Zunehmende Gr enzer tr äge Adaptive Er war tungen
Stabilisierend
Stabilisierend
Strukturerhalt oder Wandel
Abbildung 6: Bedingungen des institutionellen Wandels
Stabilitätsneigung eingeschlagener Pfade aufgrund positiver Rückkopplungen
Technolog ische Pfadabhängigkeit
Selbstverstärkende Mechanismen erhöhen den Nutzen (bzw. senken die Kosten) bei zunehmender Anwendung und Verbreitung
Einr ichtungskosten
Unvollkommene Mär kte Fehlende (Informations-)Rückkopplung ineffizienter Institutionen
Stabilitätsneigung eingeschlagener Pfade aufgrund positiver Rückkopplungen
Instit utionelle Pfadabhängigkeit
Eingeschränkte Wahrnehmung von Alternativen und unzureichendes Hinterfragen der bestehenden Strukturen
Mentale Modelle
Relatives Gewicht umverteilender und produktivitätssteigernder Anreize bestimmt die Richtung der Entwicklung
Richtung des Wissensaufbaus und Ler nens
Veränderte Beurteilung und Erkennen neuer Möglichkeiten
Lernpr ozesse und Wissensa ufbau
Interessensgeleitete Gestaltung des institutionellen Rahmens durch Profiteure des Wandels
Inter aktion zwischen Institutionen und Org anisationen
Quelle: eigene Erstellung.
Stabilisier ende Elemente
Flexibilisierende Elemente
Anreizstr ukturen
Veränderung der relativen Preise = veränderte Anreizstrukturen
Technische Entwicklung
Ko-Evolution
Institutione lle Entwicklung
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Es wird deutlich, dass in einem Transformationskontext die flexibilisierenden Elemente und auf Veränderungen abzielende Anreize besonders ausgeprägt sein sollten, um die erforderlichen (weitreichenden) institutionellen und technologischen Wandlungsprozesse zu bewirken. Im Folgenden soll vor dem zuvor aufgespannten theoretischen Hintergrund geklärt werden, wie sich die Situation in der deutschen Siedlungswasserwirtschaft gegenwärtig darstellt.
IV. Der institutionelle und technologische Wandel in der Siedlungswasserwirtschaft 1. Flexibilisierende Elemente und Anreize für institutionellen Wandel Im Kontext der Transformation der deutschen Siedlungswasserwirtschaft gilt es, die Anreizsituation für relevante Akteursgruppen innerhalb des soziotechnischen Regimes (Unternehmen der Wasserver- und Abwasserentsorgung, politische Entscheidungsträger, Planer und Ingenieure, Nutzergruppen sowie die Wissenschaft) zu prüfen. Den Schlüssel institutionellen Wandels sieht North in der interessengeleiteten Gestaltung des institutionellen Rahmens, d. h. durch Akteure, die sich in Folge dieses Wandels besser stellen. Nach North ist die Dynamik solcher Prozesse insbesondere dann ausgeprägt, wenn die Akteure miteinander im Wettbewerb stehen oder aber durch Wissensaufbau und Lernprozesse neue Möglichkeiten ausmachen konnten. Der Druck zum Wissensaufbau wird dabei ebenfalls vom Grad des vorherrschenden Wettbewerbs determiniert. North führt dazu aus: „When competition is ‚muted‘ (for whatever reasons) organizations will have less incentive to invest in new knowledge and in consequence will not induce rapid institutional change. Stable institutional structures will be the result. Vigorous organizational competition will accelerate the process of institutional change.“99
Aufbauend auf diesen Überlegungen muss bereits für die Gruppe der Ver- und Entsorgungsunternehmen angenommen werden, dass nur gemäßigte Anreize bestehen, um weitreichenden Wandel zu forcieren. Denn sowohl der wettbewerbsfreie kartellrechtliche Ausnahmebereich der Wasserversorgung als auch die hoheitlich geregelte Abwasserentsorgung in Deutschland weisen keine wettbewerblichen Strukturen auf. Es gelten unverändert die traditionellen Gebietsmonopole der Verund Entsorgung. Aufgrund der Monopolsituation in den Wassersektoren ist die Erforderlichkeit von Investitionen in neue Fertigkeiten und Wissen sowie der Einsatz neuer Technologien, um im direkten Wettbewerb bestehen zu können, bei den Unternehmen der Wasserver- und Abwasserentsorgung nicht gegeben.100 Die kartell99 100
North (1995a), S. 16. Siehe dazu auch Tauchmann et al. (2009), S. 873.
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rechtliche Missbrauchskontrolle im Sektor der Wasserversorgung weist zwar durch die Anwendung des Vergleichsmarktkonzepts im Kern einen wettbewerblichen Ansatz auf, aufgrund der unzureichenden prozeduralen Absicherung (u. a. ex-postKontrolle, Aufgreifermessen der Kartellbehörden, hohe Fragmentierung behördlicher Zuständigkeiten nach Bundesländern) entfaltet dieser „Wettbewerbs-Hebel“ jedoch nur begrenzte Wirkungen.101 Die bisher erfolgten Bemühungen zur Integration weitergehender wettbewerblicher Elemente im Wassersektor, getrieben durch EUKommission und Monopolkommission, stoßen regelmäßig auf erhebliche Widerstände der Branche und unterstützender politischer Entscheider und lassen eine Umsetzung sobald nicht erwarten.102 Zudem erstrecken sich die Reformvorschläge typischerweise nicht auf den hoheitlichen Sektor der Abwasserentsorgung, in welchem ein weit stärkerer institutioneller Wandel erforderlich werden würde, um den Einsatz innovativer Lösungen zu begünstigen. Dies ist nicht gleichbedeutend damit, dass die Wasserver- und Abwasserentsorger auf dem gleichen Wissens- und Technologiestand stehen bleiben; die Motivation für Lernprozesse und den Einsatz neuer Technologien ist jedoch nicht wettbewerbsinduziert,103 sondern findet sich vorwiegend in anderen Treibern (Klimawandel, demografischer Wandel, rechtliche Anforderungen u. ä.). Im Wettbewerb stehende Unternehmen versuchen dagegen regelmäßig durch Produkt- und Prozessinnovationen Wettbewerbsvorteile zu generieren, um einen Unternehmenserfolg zu sichern. Es erscheint plausibel, dass das Einwirken auf den institutionellen Rahmen, um z. B. die Berücksichtigung neuer technischer Lösungen in Regelwerken oder durch kommunalrechtliche Bestimmungen zu ermöglichen, durch Unternehmen des Wassersektors durch die fehlende Wettbewerbssituation insgesamt weniger intensiv ausgeprägt ist. Obwohl die anreiztheoretischen Überlegungen nachvollziehbar sind, gestaltet sich ein Nachweis der Situation für die Praxis schwierig. Vergleiche mit hochkompetitiven Wassersektoren sind in Ermangelung solcher nicht möglich. 104 Insgesamt zeigt sich aber, dass im Wassersektor, wie auch in anderen Netzsektoren, nur gering ausgeprägte Anreize für das Ausprobieren innovativer Lösungen bestehen, was auch vielfach durch mangelnden Wettbewerb und einen defizitären Ordnungsrahmen erklärt werden kann.105 Beispielhaft kann auch der institutionelle Wandel im Bereich der Regenwasserbewirtschaftung betrachtet werden. Praxisreife dezentrale Dazu ausführlich Gawel (2015a). So sprach sich die Monopolkommission für die Einführung einer sektorspezifischen Regulierung nach dem Modell der englischen Anreizregulierung (yardstick competition) aus, während die EU-Kommission durch die Reform des Vergaberechts einen Wettbewerb um den Markt im Wassersektor installieren wollte, dazu Gawel / Bedtke (2015) m. w. Nachweisen. 103 Vgl. Tauchmann et al. (2006), S. 157. 104 Es gibt allenfalls Indizien, dass ein verstärkter wettbewerblicher Druck eine erhöhte Innovationstätigkeit und damit verbundenen institutionellen Wandel im Wassersektor induziert, vgl. Cave (2009). 105 Vgl. Clausen / Rothgang (2004), S. 147 ff.; Markard / Truffer (2006), S. 609 ff.; Tauchmann et al. (2006), S. 157; Tauchmann et al. (2009), S. 863 ff. 101 102
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Regenwassertechnologien weisen neben ökologischen auch wirtschaftliche Vorteile gegenüber konventionellen Systemen auf, da in Folge der Entlastung des Kanalnetzes u. a. geringer dimensionierte Kanalnetze Anwendung erfahren können oder der Ausbau von Regenrückhaltebecken unnötig wird.106 Um eine sinnvolle Integration dezentraler Elemente im Entwässerungssystem zu ermöglichen, bedarf es institutioneller Veränderungen. Zentral sind dabei die Anpassung der kommunalen Entwässerungssatzungen, um die Nutzung der Technologien für Grundstückseigentümer zu erlauben, sowie der Gebührensysteme, um die erforderlichen Anreize zu setzen. 107 Letztendlich sind die Öffnung der kommunalen Entwässerungssatzungen für dezentrale Bewirtschaftungsmaßnahmen und die Einführung einer gesplitteten Abwassergebühr annähernd flächendeckend erfolgt. Dies ist aber vor allem als Reaktion auf die geänderte Rechtsprechung anzusehen.108 Sofern ein Interesse der kommunalen Entsorgungsunternehmen bestanden hätte, von den (auch wirtschaftlichen) Vorteilen der dezentralen Technologien stärker zu profitieren, wäre ein diesbezüglicher institutioneller Wandel aufgrund der bestehenden Satzungsgewalt auch früher möglich gewesen.109 Aber auch weitere potenzielle „Agenten des Wandels“ besitzen wenige Anreize, um einen umfassenden Wandel zu verfolgen. Für viele kommunale Politiker stellen Wasserinfrastruktursysteme kein zentrales Handlungsfeld dar. Der in der finanzwissenschaftlichen Literatur thematisierte (politische) Wettbewerb der Gebietskörperschaften, in dessen Folge eine präferenzgerechte Bereitstellung öffentlicher Güter erfolgt,110 entfaltet für den Wassersektor nur marginale Wirkungen. Eine Abwanderung von Bürgern hin zu Gemeinden, die ihre individuellen Präferenzen besser bedienen (voting by feet), ist u. a. mit erheblichen Transaktions- und Mobilitätskosten verbunden und erst dann zu erwarten, wenn ausgesprochen hohe Steuerbelastungen mit einem unzureichenden Angebot öffentlicher Leistungen zusammenfallen. Zugleich würde dies nur eine ernstzunehmende Wirkung entfalten, wenn der Widerspruch kollektiv erfolgt, wofür die Probleme im Kontext kollektiven Handelns (hohe Transaktionskosten der Organisation, Trittbrettfahrerproblem) 111 überwunden werden müssen. Der interkommunale, politische „Wettbewerb“ um günstige Ver-
106 Vgl. Becker / Raasch (2005), S. 9; Sieker / Sieker (2009), S. 797; Geiger et al. (2009), S. 27 ff.; Felmeden et al. (2010). 107 Vgl. Geyler et al. (2015). 108 In § 55 Abs. 2 WHG 2010 wurde der Grundsatz einer ortsnahen Niederschlagswasserbeseitigung durch Versickerung oder Verrieselung bzw. im Wege direkter oder zumindest vermischungsfreier Zuführung in ein Gewässer verankert, siehe Lauer (2011); in der Folge einiger obergerichtlicher Urteile (OVG Münster, U. v. 18. 12. 2007 – 9 A 3648 / 04 – KStZ 2008, 74; ähnlich auch VGH Mannheim, U. v. 11. 3. 2010 – 2 S 2938 / 08 – VBlBW 2010, 481) erfolgte die Einführung der gesplitteten Abwassergebühr. 109 Die Praxis sieht jedoch nach wie vor eine möglichst vollständige Ableitung der Niederschlagsabflüsse aus dem Siedlungsbereich vor, dazu Sieker / Sieker (2009), S. 797. 110 Vgl. Tiebout (1956). 111 Vgl. Olson (1965).
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und Entsorgungsbedingungen der jeweiligen kommunalen Aufgabenträger, befeuert durch Benchmarking-Ansätze und öffentliche Debatten, dürfte im Regelfalle ebenfalls kaum ausreichenden Druck auf Entscheidungsträger ausüben. Hinzu kommt, dass die Ver- und Entsorgungsdienstleistungen im deutschen Wassersektor weit überwiegend ein hohes Niveau aufweisen und sich durch hohe Qualität und Zuverlässigkeit auszeichnen. Preis- und Effizienzfragen treten demgegenüber in den Hintergrund. Abweichend zu den Zeiten, als die unzureichende Abwasseraufbereitung mit (sichtbarer) Gewässerverschmutzung und Artenverlust einherging, besteht heute kein bedeutendes öffentliches Interesse daran, auf Veränderungen im Wassersektor hinzuwirken.112 Die Probleme in Folge ausbleibender Transformation von Wasserinfrastruktursystemen (z. B. Unter- und Überlastung der Systeme, schleichender Substanzverlust und unzureichende Ressourceneffizienz) liegen in ferner Zukunft und üblicherweise außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung.113 Folglich steht nicht zu erwarten, dass als Folge der Transformationsversäumnisse durch umfangreiche Wanderungsbewegungen (exit) oder gleichsam „an der Wahlurne“ (voice) ein bedeutender und zugleich Politikfeld-spezifischer Handlungsdruck für kommunale Politiker generiert wird.114 Ähnliches lässt sich im Kontext der Effizienzdiskussion beobachten, wo die zuweilen nicht gehobenen Effizienzpotenziale (und die damit verbundenen potenziellen Wasserpreissenkungen) für Nachfrager von außen nicht sichtbar sind und zudem von der Kundenseite auch nicht unmittelbar sanktioniert werden (können), etwa als Folge des kommunalen Anschluss- und Benutzungszwanges.115 Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass aufgrund der Langlebigkeit der Systeme die Konsequenzen heutiger Richtungsänderungen innerhalb der Siedlungswasserwirtschaft erst in ferner Zukunft sichtbar werden. Politiker, die wohl eher in Legislaturperioden von vier oder fünf Jahren denken, werden sich folglich vorrangig jenen Projekten widmen, die sichtbare und kurzfristigere Erfolge liefern, um hierdurch ihre Wiederwahl oder die politische Zustimmungsrate zu begünstigen.116 Dies ist insbesondere auch deshalb der Fall, weil viele der diskutierten Maßnahmen einer Systemtransformation (z. B. Ressourcenrückgewinnung) zumindest anfangs mit Investitionen und damit kurzfristig spürbaren individuellen Zusatzkos112 So kann ein politischer Zusammenhang zwischen der Durchsetzbarkeit der Reform der Abwasserabgabe im Jahr 1991 (Aufnahme der Schadparameter Phosphor und Stickstoff als Bemessungsgrundlage) und den ausdrucksstarken Bildern vom Robbensterben in der Nordsee Ende der 1980er Jahre vermutet werden – siehe Gawel (2014), S. 78. 113 Vgl. Klinkenberg (2007), S. 121. 114 Hirschman (1970) zeigt in seiner Exit-Voice-Theorie auf, dass Nachfrager auch auf beschränkten Märkten ihre Präferenzen kommunizieren können, indem sie entweder die Geschäftsbeziehung beenden (exit) oder aber durch Widerspruch (voice) einen Einfluss auf die Entwicklung ausüben. 115 Wenngleich die Mehrzahl der Wasserkunden mit den Wasserpreisen zufrieden ist [vgl. Pöhls (2014)], so bedeutet dies jedoch nicht, dass sie sich einem Nutzenzuwachs durch Preissenkungen infolge gehobener Effizienzpotenziale verschließen würden. Zur Effizienzdiskussion siehe auch Gawel / Bedtke (2015) m. w. Nachweisen. 116 Vgl. Klinkenberg (2007), S. 121, 188 f.
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ten (Gebührenbelastungen) einhergehen und erst später Erträge (noch dazu zumeist in Form öffentlicher Güter, z. B. der Systemeffizienz) generieren können. Ferner können bestimmte Maßnahmen aufgrund von Komforteinbußen sogar auf unmittelbare Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung bis hin zu politischem Widerstand stoßen.117 Von den bestehenden Strukturen profitieren auch Planer und Ingenieure, die bei der Technologiegestaltung zugleich eine bedeutende Rolle einnehmen. So ist beispielsweise der planerische Aufwand bei dezentralen Systemen der Regenwasserbewirtschaftung vergleichsweise hoch, da die Planung eine Vielzahl unterschiedlicher, zu gestaltender Einzelanlagen umfasst und städtebauliche sowie freiraumplanerische Aspekte Berücksichtigung finden müssen. Konventionelle Ableitungssysteme samt ihrer Sonderbauwerke können dagegen nach systematischen Regeln mit geringerem Aufwand geplant werden. Dem relativ hohen Aufwand dezentraler Planung stehen jedoch üblicherweise weit niedrigere Planungshonorare gegenüber,118 da diese sich an den Investitionskosten orientieren, welche im Fall zentraler Systeme weit höher ausfallen. Diese institutionelle Konzeption wird als wesentlicher Grund erachtet, warum sich die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung trotz zahlreicher Vorteile nur zögerlich durchsetzt.119 Aufgrund der Allgemeingültigkeit der Honorarordnung ist die gleiche Situation für den Bereich der Schmutzwasserentwässerung zu erwarten. Vor diesem Hintergrund ist es aus anreiztheoretischer Sicht unwahrscheinlich, dass die Mehrheit der Planer und Ingenieure eine bedeutende Rolle einnimmt, wenn es darum geht, einen technologischen und institutionellen Wandel zu forcieren.120 Auch die Nachfrager nach Wasserdienstleitungen können durch ihr Verhalten die technologische und institutionelle Entwicklung mitbestimmen, da sich das Angebot naturgemäß an der Nachfrage orientiert. Für den hypothetischen Fall, dass ein Großteil der Konsumenten veränderte Präferenzen äußert (z. B. den Wunsch nach ressourceneffizienteren Technologien), müsste ein Einfluss auf die Technologieentwicklung erwartet werden. Für die meisten Nachfrager sind jedoch primär nur die Qualität und der Preis der Dienstleistung entscheidend, während die dahinterstehende Infrastruktur eine „Black Box“ darstellt. Der weit überwiegende Teil der
117 Akzeptanzstudien zeigen aufgrund der technologischen Vielfalt höchst unterschiedliche Ergebnisse bei innovativen Lösungen der Siedlungswasserwirtschaft: Überwiegend hohe Zufriedenheit besteht bei Grauwasserbehandlungs- und Wärmerückbehandlungsanlagen, siehe Hefter et al. (2015); Urinseparationstoiletten erfahren dagegen geringe Akzeptanz, siehe Romich et al. (2012); in Bezug auf die Wiederverwendung von Abwässern als Brauchwasser bestehen starke Vorbehalte (Ekelfaktor), siehe Russel / Lux (2009). 118 Geregelt in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) in der Fassung vom 30. 04. 2009. 119 Siehe dazu Sieker / Sieker (2009), S. 923. 120 Auch wenn es Planer gibt, die aus intrinsischen Motiven (z. B. Umweltschutz) oder aufgrund einer Spezialisierung auf dezentrale Technologien Interesse an einem Wandel haben, werden diese nicht die überwiegende Mehrheit darstellen.
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Konsumenten ist mit der Qualität der Dienstleistungen zufrieden.121 Dies begründet sich jedoch wohl auch durch das begrenzte Wissen über die Herausforderungen der Siedlungswasserwirtschaft und denkbare Alternativen. Da beispielsweise die bestehenden ökologischen Verfehlungen beim konventionellen System (u. a. frischwassergespeiste Schwemmwasserkanalisation, Nichtnutzung von Ressourcen) weitgehend unbekannt sind,122 können diesbezüglich keine Präferenzen artikuliert werden. Pilotprojekte zur Grauwasserwiedernutzung und Wärmerückgewinnung deuten allerdings an, dass Umweltaspekte für einzelne Konsumenten von Wasserdienstleistungen durchaus eine Rolle spielen.123 Auch zeigen empirische Arbeiten am Beispiel der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung, dass die Technologiewahl von Grundstückseigentümern nicht ausschließlich durch reine Kosten-Nutzen-Überlegungen begründet ist.124 Unabhängig davon wird die Umsetzung und Erprobung neuer technischer Lösungen, wodurch Erfahrungswissen generiert werden könnte, nur unzureichend honoriert. So sind u. a. die über die Entgeltsysteme vermittelten Anreize zur Umsetzung dezentraler Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung nur gering ausgeprägt.125 Insgesamt sind deshalb keine bedeutenden Impulse für einen Wandel durch die Nachfrager zu erwarten. Im Gegenteil dürften alle Maßnahmen, deren Erträge aus den vorgenannten Gründen typischerweise wenig sichtbar sind und erst in der Zukunft anfallen, aber über die Entgelte individuelle Kosten in der Gegenwart verursachen, auf Widerstände stoßen. Hier sind mithin eher stark hemmende Einflüsse zu vermuten. Die Wissenschaft stellt eine Akteursgruppe innerhalb des soziotechnischen Regimes der Wasserwirtschaft dar, die einen Wandel grundsätzlich forciert. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Forschungsprojekte widmet sich dem Thema der Systemtransformation im Kontext von Wasserinfrastrukturen. In der Forschungslandschaft herrscht weitgehend Konsens, dass eine Transformation der Infrastruktursysteme erforderlich ist und dass innovative Technologien eine stärkere Verbreitung erfahren müssen.126 Durch die sozialwissenschaftliche Erforschung der Transformationskontexte sowie die natur- und ingenieurswissenschaftliche Entwicklung und Erprobung neuer Technologien erfolgt eine Reduzierung der Unsicherheiten im Zusammenhang mit Infrastrukturtransformationen. Über den Transfer der Ergebnisse in Politik und Praxis ist hierdurch ein gewisser Beitrag zum institutionellen und technologischen Wandel zu erwarten.
Vgl. ATT et al. (2015), S. 60 ff. Vgl. Hefter et al. (2015), S. 28 f. 123 Vgl. Hefter et al. (2015), S. 28 ff. 124 Vgl. Geyler / Krohn (2015). 125 Vgl. Geyler et al. (2015). 126 Exemplarisch sei auf die Arbeiten im Rahmen des Forschungsverbunds „netWorks“ verwiesen, siehe http://www.networks-group.de/de/publikationen/networks-paper.html, abgerufen am 24. 06. 2015. 121 122
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2. Institutionelle Pfadabhängigkeiten im Wassersektor Die institutionelle Entwicklung kann einen pfadabhängigen Verlauf nehmen, wenn die Nutzung der Institutionen mit zunehmenden Erträgen einhergeht und unvollkommene Märkte vorherrschen. Dass im Sektor der Wasserwirtschaft aufgrund des im Ergebnis weithin fehlenden Wettbewerbs das Kriterium unvollkommener Märkte erfüllt ist, wurde bereits dargelegt. Aber auch zunehmende Grenzerträge, also positive Rückkopplungseffekte, die aus der Anwendung, Nutzung und Verbreitung einer gegebenen Institution entstehen und einen bestehenden Pfad stabilisieren, können hier ausgemacht werden. Zunehmende Grenzerträge resultieren aus hohen Einrichtungskosten von Institutionen, Lerneffekten im Umgang mit diesen, transaktionskostensenkenden Koordinationseffekten und adaptiven Erwartungen unter Anwendung der Institutionen. An zwei Beispielen soll dies nachfolgend verdeutlicht werden.
a) Zur Rolle des technischen Regelwerkes Die Sektoren der Wasserver- und Abwasserentsorgung werden aufgrund ihrer hohen gesellschaftlichen Bedeutung durch umfassende rechtliche Vorschriften auf europäischer, nationaler und Länderebene geregelt.127 Um die vom Gesetzgeber erlassenen (zunächst technologieneutralen) Schutz- und Sicherheitsziele im Wassersektor zu konkretisieren, werden im Rahmen der technischen Selbstverwaltung Regelwerke durch die regelsetzenden Verbände verfasst. Die Dokumentation der technischen Normen erfolgt in Arbeitsblättern, Merkblättern und Arbeitsberichten, die im Fall der Siedlungswasserwirtschaft insbesondere durch die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) sowie den Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches e. V. (DVGW) erarbeitet werden. Weiterhin erfolgen technische Normierungen durch den Deutschen Industrie- und Normungsausschuss (DIN), den Verein Deutscher Ingenieure (VDI) und das Europäische Komitee für Normung (CEN). Obwohl die Regelwerke keine unmittelbare formalrechtliche Bindungskraft besitzen, definieren sie faktisch die anerkannten Regeln der Technik und können als Beurteilungsmaßstab hinsichtlich einer ordnungsgemäßen technischen und organisatorischen Betriebsführung herangezogen werden.128 Die Erarbeitung des Regelwerks stellt einen komplexen mehrstufigen Prozess dar, welcher verschiedene Fachgremien durchläuft und mehrere Jahre in Anspruch nimmt.
127 Einen umfassenden Überblick zum wasserwirtschaftsrechtlichen Regelungskontext bietet Laskowski (2010), S. 719 ff. Siehe auch Köck (2015). 128 Unmittelbare rechtliche Verbindlichkeit können die Normen jedoch durch Verweise in den EU-Richtlinien bzw. nationalen Rechtsvorschriften (Bund- und Landesgesetzen, Bundesund Landesverordnungen) erlangen. Überdies werden sie von Gerichten als Bewertungsmaßstab im Sinne einer anerkannten Regel der Technik herangezogen, siehe dazu Rothenberger (2003), S. 71; Cyris (2010), S. 20 f.; Reinhardt (2012), S. 650 f.
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Allein die Gesamtliste des DWA-Regelwerks umfasst ca. dreihundert Ausarbeitungen.129 Der Aufbau der Regelwerke ist demnach gleichbedeutend mit sehr hohen Einrichtungskosten. Bei weitreichenden technischen Pfadwechseln würde eine Vielzahl technischer Regeln obsolet werden. Die früheren Investitionen in den Aufbau des Regelwerks würden hierdurch verloren gehen (versunkene Kosten). Zudem würde eine Neuformulierung von Regeln für technisch stark veränderte Lösungen erforderlich werden. Die Erfahrungen im Bereich neuartiger Sanitärsysteme (NASS) zeigen gerade die Schwierigkeiten bei der Erarbeitung von Regelwerken für innovative Lösungen auf. Der DWA-Fachausschuss KA-1 „Neuartige Sanitärsysteme“ befasst sich seit seiner Gründung im November 2004 in verschiedenen Arbeitsgruppen mit Fragen zu den neuartigen Systemlösungen und der Erarbeitung des Regelwerks. In einem anhaltenden Prozess werden die Besonderheiten von NASS gegenüber konventionellen Systemen in Bezug auf Konzeption, Planung, Implementierung und Betrieb herausgearbeitet. Wenngleich mit dem DWA-Arbeitsblatt DWA-A 272 die Grundsätze für die Planung und Implementierung neuartiger Sanitärsysteme in 2014 festgeschrieben wurden, ist man noch weit davon entfernt, detaillierte Bemessungshinweise für NASS im technischen Regelwerk zu verankern.130 Diese Kosten in Zusammenhang mit einem Pfadwechsel wirken stabilisierend auf den Erhalt bisheriger Strukturen. Mit der Nutzung der technischen Regelwerke gehen weiterhin Lerneffekte und der Aufbau von Humankapital einher. Ingenieure legen die Regelwerke ihren wiederkehrenden Planungen zugrunde, während sie von Juristen u. a. zur Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe (allgemein anerkannte Regeln der Technik) herangezogen werden.131 Durch den regelmäßigen Umgang mit den Regelwerken gewinnen diese Berufsgruppen Erfahrungswissen und sind hierdurch mit den wesentlichen Inhalten (u. a. Vorgehensweise, Anforderungen) zunehmend besser vertraut. Wesentliche Grundsätze und Bemessungsgrundlagen werden bei erfahrenen Akteuren vermutlich so verinnerlicht sein, dass ein Heranziehen des Regelwerks oftmals sogar unnötig ist. Wie bereits Häder im Zusammenhang mit umweltpolitischen Instrumenten anmerkte, umfassen diese Lernprozesse auch weniger greifbare Dinge, wie Erfahrung und Fingerspitzengefühl im Umgang mit den bestehenden Regeln (idiosynkratisches Wissen), die zudem auf Regeln ähnlichen Spielmusters übertragbar sind.132 Dieses spezifische Wissen ist gleichbedeutend mit dem Aufbau von Humankapital und mit Kosteneinsparungen gleichzusetzen, welche bei einer grundlegenden Abkehr von alten Strukturen verloren gehen. Denn, die im Rahmen der Transformation der Wasserwirtschaft diskutierten Technologien würde teilweise einen radikalen 129 Vgl. http://de.dwa.de/tl_files/_media/content/PDFs/Abteilung_VuM/Gesamtliste%20des %20DWA-Regelwerkes.pdf, abgerufen am 25. 06. 2015. 130 Vgl. Schneider (2007), S. 133; Hillenbrand (2012), S. 132 f. 131 Vgl. Reinhardt (2012), S. 650. 132 Vgl. Häder (1997), S. 203.
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Bruch mit der bisherigen technischen Vorgehensweise bedeuten. Eine umfassende Reformierung des Regelwerks, welche diesen Aspekten Rechnung trägt, erfordert ein komplettes Umdenken. Die im Zuge zentralistischer Planung und Konzeption der Systeme erworbenen Kenntnisse werden auf alternative Technologien regelmäßig nicht anwendbar sein. Spezifisches Wissen, welches im Zuge eines Pfadwechsels nicht länger anwendbar ist, erhöht aber die Kosten eines Wandels. Auch Koordinationseffekte und adaptive Erwartungen können Institutionen wie das technische Regelwerk festigen. Koordinationseffekte treten dann auf, wenn die zunehmende Akzeptanz einer Regel die Transaktionskosten eines Einzelnen senkt. 133 Der ureigene Sinn von Standards und Normen, das Senken der Transaktionskosten,134 wird durch deren zunehmende Verbreitung verstärkt. Im Fall des Regelwerks führt die steigende Anwendung und Verbreitung z. B. eines Arbeitsblattes dazu, dass Akteure Sicherheit darüber erlangen, dass die darin festgelegten Grundsätze oder Bemessungsgrundlagen praxisgerecht umsetzbar sind. Durch die flächendeckende Anwendung und Generierung von Praxiswissen kommt es infolge der Fortschreibung des Regelwerks weiterhin zu dessen stetiger Aktualisierung und Verfeinerung. Aufgrund dieser Netzwerkeffekte wird das Regelwerk letztlich eine Vielzahl der in der Praxis denkbaren Situationen abdecken und hierfür Lösungen bereitstellen. Insbesondere bei der Neufassung von Regelwerken für neuartige Lösungen (wie dem DWA A-272) kann dieses breite Praxiswissen noch nicht bestehen und folglich keine Berücksichtigung erfahren. Adaptive Erwartungen treten auf, wenn die zunehmende Berücksichtigung einer Institution die Unsicherheit über ihr weiteres Bestehen und damit die Transaktionskosten senkt. Die Infrastrukturplanung im Wassersektor erfolgte lange Zeit in einem Umfeld weitgehend stabiler Rahmenbedingungen. Regelwerke werden deshalb nur inkrementell fortgeschrieben oder bleiben lange Zeit unverändert.135 Eine ausgeprägte Unsicherheit in Bezug auf den Fortbestand der mittels Regelwerk konkretisierten technischen Vorgaben wird folglich kaum bestehen. Insgesamt zeigt sich bereits bei einer für die Technologieentwicklung zentralen Institution, den technischen Regelwerken, dass die vier selbstverstärkenden Mechanismen, die einen pfadabhängigen Verlauf bewirken, allesamt feststellbar sind. Dies führt zu einer permanenten Festigung der technischen Standards der Siedlungswasserwirtschaft, die von den Fach-Gemeinschaften und den Verbänden weitergegeben werden. Verstärkt wird diese Entwicklung durch die wechselseitige Abhängigkeit von Technik und technischem Wissen, welche bei Anlagenherstellern, Betreibern und Nutzern ein zunehmendes Beharrungsvermögen auslöst.136 Vgl. Häder (1997), S. 87. Vgl. David / Greenstein (1990); DIN (2000), S. 13. 135 Die Arbeitsblätter zu „Entwurf und Bauplanung von Abwasserbehandlungsanlagen aus dem Jahr 1995 (ATV-A 106) sowie die „Richtlinien für die Bemessung und Gestaltung von Regenentlastungsanlagen in Mischwasserkanälen“ (ATV-A 128) von 1992 seien beispielhaft genannt. 136 Vgl. Libbe (2011), S. 1. 133 134
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b) Zur Rolle der Systemkosten Während es am grünen Tisch ohne weiteres möglich ist, eine neue Systemarchitektur aus zentralen und dezentralen Elementen zu entwerfen, die den veränderten Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Anforderungen besser Rechnung trägt (effizienter Pfad), sorgt der historische Ausbaustand von zentralen Systemen für ein lock-in, das sich selbst gegen Veränderung immunisiert. Neben den langen Nutzungsdauern von mehreren Jahrzehnten (bis hin zu Jahrhunderten im Bereich der Kanalisation) sind es vor allem die bedeutenden Systemkosten, die eine Fortführung des gegenwärtigen Pfades bedingen. Technische Wasserinfrastrukturen zählen zu den kostenintensivsten Infrastruktursystemen überhaupt. Der Wiederbeschaffungswert der in Deutschland installierten Ver- und Entsorgungssysteme wird auf über 700 Milliarden Euro beziffert.137 Diese Einrichtungskosten würden bei einem Pfadwechsel als versunkene Kosten zu Buche schlagen, sofern die Lebensdauer der Systemkomponenten noch nicht erreicht wurde. Als eine der Voraussetzungen für zunehmende Erträge begründen diese Einrichtungskosten eine technologische Pfadabhängigkeit.138 In deren Folge ergibt sich zudem eine fortlaufende „Investitionsspirale“, die den Pfad über die Refinanzierungsnotwendigkeit stabilisiert: Um die Funktionsfähigkeit der Systeme sicherzustellen und einem Substanzverlust entgegenzuwirken, werden erhebliche Investitionen getätigt. Die stetige Instandsetzung, Modernisierung, aber auch Erweiterung der Anlagen verursacht gegenwärtig jährliche Kosten von über 2 Milliarden Euro im Sektor der Trinkwasserversorgung139 und weitere 4,8 Milliarden Euro im Abwassersektor.140 Die institutionellen Regelungen (u. a. kommunale Satzungen, Gemeindeordnungen, Kommunalabgabengesetze) sowie der aufgebaute Verwaltungsapparat sind darauf ausgerichtet, dieses System durch ein auf dem Solidarprinzip basierendes Refinanzierungsmodell zu stützen: Die Refinanzierung der Investitionen wird in Deutschland überwiegend durch kostendeckende Nutzer-Entgelte141 in Form privatrechtlicher Entgelte und öffentlich-rechtlicher Gebühren institutionell abgesichert. Zugleich sorgen die Bestimmungen des kommunalrechtlichen Anschluss- und Benutzungszwangs dafür, dass die Auslastung der Systeme hoch und die zur Finanzierung heranzuziehende Nutzergruppe möglichst groß ist. Hierdurch soll eine nachträgliche Entwertung früher getätigter Investitionen in zentrale Systeme vermieden und insoweit auch eine Stabilisierung der Erlössituation für Betreiber zentraler Einrichtungen erreicht werden.142 Vgl. Herz et al. (2002), S. 2. Zugleich können auch die anderen Ursachen zunehmender Erträge (und damit technologischer Pfadabhängigkeit), wie Lerneffekte (im Umgang mit den technischen Lösungen), Koordinierungseffekte und adaptive Erwartungen in Folge eines erwarteten Fortbestands der Technologien, vielfach festgestellt werden. 139 Vgl. ATT et al. (2015), S. 76. 140 Vgl. Leptien et al. (2014), S. 5. 141 Kritisch zum Grad der Kostendeckung Gawel (2015b). 137 138
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Vor dem Hintergrund einer zurückgehenden Auslastung der Systeme in Folge abnehmender Nutzerzahlen und rückläufiger spezifischer Verbrauchsmengen gestaltet sich die Refinanzierung jedoch zunehmend schwierig.143 Die Kosten für die Bereitstellung der Infrastruktursysteme bleiben aufgrund des hohen Fixkostenanteils auch bei Auslastungsrückgang weitgehend gleich und lassen sich in kurzer Frist nicht anpassen (Kostenremanenz). Hierdurch verteilen sich vielerorts die Kosten auf eine abnehmende Zahl von Nutzern, was gleichbedeutend mit steigenden Pro-Kopf-Ausgaben für Wasserdienstleistungen ist. In der Folge droht eine sogenannte „Fixkostenfalle“, also die Situation, dass die steigenden Entgelte zu einer weiteren Verbrauchsreduktion führen. Vor diesem Hintergrund ist eine für die verstärkte Verbreitung dezentraler Elemente zwingend erforderliche Öffnung des kommunalen Anschluss- und Benutzungszwangs144 unwahrscheinlich, da dies gleichbedeutend mit einer weiteren Erosion der Finanzierungsbasis ist. Es ist folglich nicht verwunderlich, dass die Kommunen Ausnahmen und Befreiungen vom Anschluss- und Benutzungszwang nur selten bewilligen und Ansprüche der Nutzer auf eine Befreiung regelmäßig nicht durchgreifen.145 Aufgrund des primären Zwecks einer Refinanzierung des bestehenden Anlagenbestands honorieren die gegenwärtigen Entgeltsysteme zudem nur ungenügend neuartige Lösungen.146 Damit verbunden ist die unzureichende Offenheit der Entgeltsysteme für neue Lösungen. So ist es beispielsweise unklar, wie eine Berücksichtigung der Wertschöpfung neuartiger Konzepte (Ressourcenrückgewinnung)147 oder ein Kapazitätsrückbau mittels der bestehenden Entgeltmodelle umgesetzt werden könnte. Entweder wären dann – soweit eine Ansatzfähigkeit der Kosten aus solchen Investments gegeben ist – spürbare Entgelterhöhungen erforderlich, was auf politischen Zustimmungsmärkten nicht mehrheitsfähig ist oder so von Entscheidungsträgern eingeschätzt wird (zumal der Nutzen im politischen Raum kaum erkannt oder als Zukunftsnutzen nicht ausreichend wertgeschätzt werden dürfte), oder aber diese Kosten müssten mangels Ansatzfähigkeit über allgemeine Haushalte getragen werden, die ohnehin für die Mehrheit der Kommunen seit langem an fiskalische Leistungsgrenzen stoßen. Die Systemerhaltungsinteressen spiegeln sich folglich in zentralen Institutionen zur Steuerung der technischen Entwicklung wider. Auch auf institutioneller Seite greifen dabei die Mechanismen einer Pfadabhängigkeit durch zunehmende Grenzerträge, die u. a. in der Einrichtung der Verwaltungsstrukturen und der Ausgestaltung der Institutionen (Einrichtungskosten), dem Aufbau spezifischen Wissens im UmVgl. Queitsch (2002). Vgl. Dittrich-Wesbuer et al. (2015); Geyler / Bedtke (2015); Bedtke (2015). 144 Vgl. Laskowski (2012); dies. (2015). 145 Vgl. Queitsch (2014), § 6, Rn. 112 ff.; ders. (2012). 146 Siehe dazu Geyler et al. (2015) für den Fall dezentraler Niederschlagswasserbewirtschaftung. 147 Vgl. DWA (2011), S. 654. 142 143
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gang mit den Verwaltungsvorschriften auf Seiten der Bürokraten, aber auch in Koordinationseffekten (z. B. Mustersatzungen) zu finden sind. Auch hierbei handelt es sich um Kosten, die im Zuge eines Pfadwechsels anfallen. Die Beharrungstendenzen im Wassersektor sind dabei besonders durch die wechselseitigen Verflechtungen technologischer und institutioneller Pfadabhängigkeit geprägt, die an die von Unruh skizzierte Wirkungsweise eines techno-institutionellen Komplexes erinnert (dazu oben II.1.). 3. Mentale Modelle und Ideologien Bei mentalen Modellen handelt es sich um individuell erlernte Regeln zur Wahrnehmung und Strukturierung von Sachverhalten. Sie dienen der Komplexitätsreduktion, um eine Orientierung und Entscheidungsfindung in einer Welt der Unsicherheit zu vereinfachen (siehe oben II.2.).148 Mentale Modelle können einen entscheidenden Beitrag zu pfadabhängigen Entwicklungsverläufen leisten, weil neue Ansätze „ausgeblendet“ werden und hierdurch keine Berücksichtigung erfahren.149 Im Bereich der Wasserinfrastrukturen werden mentale Modelle vor allem bei den in der Praxis tätigen Planern und Ingenieuren gesehen.150 Innerhalb des soziotechnischen Regimes hält sich beharrlich das Bild eines „modernen Infrastrukturideals“ flächendeckender Ver- und Entsorgung, welche durch zentralistische großtechnische Systeme sichergestellt wird.151 Nach Thomas und Ford äußert sich dies in einem „monument syndrome“, dem historisch gewachsenen und stetig überlieferten Ingenieursverständnis, dass Wasserinfrastruktursysteme als großtechnische Systeme zu konzipieren sind.152 Ähnlich argumentieren Brown und Keath, die von einem „big pipes in, big pipes out“-Paradigma sprechen.153 Auch in zentralen Arbeitshilfen für Ingenieure der Siedlungswasserwirtschaft, wie dem Taschenbuch der Stadtentwässerung,154 spielen alternative Lösungen keine Rolle.155 Das Verhalten der Ingenieure, also ihre üblichen Routinen, Leitprinzipien und Problemlösungsstrategien, ist von diesem Verständnis regelmäßig geprägt und manifestiert sich in der Gestalt der Technologie. In der Folge dominiert auch heute beim Neubau regelmäßig eine zenVgl. Denzau / North (1994), S. 3 ff. Vgl. Denzau / North (1994), S. 27; North (1995), S. 15 ff. 150 Vgl. Kahlenborn / Kraemer (1999), S. 41; Thomas / Ford (2005), S. 162 f.; Voss / Bauknecht (2007), S. 126; abzugrenzen davon sind Ingenieure in der Forschung, die regelmäßig ein ausgeprägtes Interesse an neuen Lösungen besitzen. 151 Vgl. Graham / Marvin (2001); Moss et al. (2008). 152 Vgl. Thomas / Ford (2005), S. 162 f. 153 Vgl. Brown / Keath (2008), S. 73. 154 Vgl. Imhoff et al. (2010). 155 Vgl. u. a. Kiparsky et al. (2013); Thomas / Ford (2005) zum Innovationsdefizit des Wassersektors; siehe dazu auch den deutschen Innovationsreport 2014 des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, vgl. Rammer et al. (2015). 148 149
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tralistische leitungsgebundene Planung,156 bestehende Netzstrukturen werden vielfach erneuert anstatt in Frage gestellt (dies auch in Regionen mit Bevölkerungsverlust) und die Suche nach Lösungen zur Problembewältigung (z. B. Umgang mit Starkregenereignissen) erfolgt meist innerhalb des vorherrschenden Technologieparadigmas. Durch dieses verinnerlichte Vorgehen sind Planer regelmäßig kognitiv geprägt und können „blind“ für abweichende Entwicklungen werden.157 Es ist nicht abwegig anzunehmen, dass – durch das dominierende Ingenieursverständnis und durch frühere Erfahrungen beeinflusst –, auch bei kommunalen Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung die kognitiv vorgeprägte Vorstellung einer qualitativ hochwertigen Ver- und Entsorgung mittels großtechnischer leitungsgebundener Systemlösungen vorherrscht. Zumindest können eine für die vermehrte Anwendung von innovativen Technologien erforderliche Offenheit und die Akzeptanz anfänglicher Probleme, welche im Zuge des Einsatzes innovativer Lösungen in der Praxis zu erwarten sind, nicht beobachtet werden. Dies kann freilich durch zu geringe Anreize begründet sein, aber auch durch das konservative und regelmäßig risikoaverse Selbstverständnis von kommunalen Akteuren,158 die bei den wasserwirtschaftlichen Aufgaben (Durchführung, Organisation und Finanzierung) auf bewährte Lösungsansätze zurückgreifen. Diesbezüglich mahnt die LAWA an, dass eine mögliche Abweichung vom technischen Regelwerk auf kommunaler Ebene zu selten erfolgt, auch wenn andere Lösungen womöglich die kostengünstigere Option dargestellt hätten.159 Ferner sind die Konsumenten eine bedeutende Akteursgruppe, bei der stabilisierende mentale Modelle angetroffen werden können. Durch einen annähernd flächendeckenden Ausbau der Ver- und Entsorgungssysteme ist der heutige Zustand einer Vollversorgung mit Wasserdienstleistungen für den Großteil der Bevölkerung Standard. Der damit verbundene Komfort der Rundum-Vollversorgung („Um-nichtskümmern-Müssen“) wurde von den Konsumenten verinnerlicht und soll nicht aufgegeben werden. Dies ist vor allem ein anreiztheoretisches Problem, da eine aktive Beteiligung und Eigenverantwortung bei neuartigen Lösungen (z. B. Transaktionskosten im Zuge des Einsatzes dezentraler Lösungen, erhöhter Reinigungsaufwand bei Urinseparationstoiletten) mit einem Nutzenverlust (Kosten, Einbuße an Lebensqualität) gleichzusetzen ist. Gleichwohl kann durch das mentale Modell der „Daseinsvorsorge als Vollversorgung“ auch eine kognitive Prägung dafür sorgen, dass bei der Lösung von Problemen neuartige Ansätze unbeachtet bleiben. So ist es beispielsweise bei lokalen städtischen Überflutungsproblemen nicht unwahrscheinlich, dass 156 Trotz des Rückgangs der deutschen Bevölkerung seit Mitte der 2000er Jahre konnte allein zwischen 2004 und 2010 ein Ausbau der Abwasserkanäle von ca. 514.000 km auf 562.000 km beobachtet werden, vgl. Berger / Falk (2011), S. 38; Statistisches Bundesamt (2013), S. 23. 157 Vgl. Nelson / Winter (1982); Geels (2004), S. 910. 158 Vgl. Farelly / Brown (2011), S. 727. 159 Vgl. LAWA (2001), S. 8.
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diese durch Konsumenten auf ein Versagen der Abwasserentsorgung zurückgeführt werden (Unterdimensionierung der Kanalisation) und Lösungsansätze einer dezentralen Regenwasserbewirtschaftung durch Grundstückseigentümer nicht ergriffen werden, auch weil der Ansatz einer Eigenverantwortung durch das vorherrschende mentale Modell der kommunalen Vollversorgung „ausgeblendet“ ist. 160 Weiterhin kann im Wassersektor die Verbreitung einer „Einzigartigkeitslehre“ beobachtet werden, die tief im öffentlichen Bewusstsein verankert ist. Kern dieser Lehre ist die Auffassung, dass dem Sektor aufgrund der Besonderheiten der Ressource Wasser („Lebensmittel Nummer 1“) eine Sonderrolle zukommt, durch welche eine rein öffentliche Bereitstellung unter Ausschluss von Marktkräften vorzugswürdig sei. Diese emotional aufgeladene Vorstellung (Ideologie) erschwert maßgeblich die Umsetzung institutioneller Reformen des Ordnungsrahmens. 161 4. Zwischenfazit: Das institutionelle Gleichgewicht der Wasserwirtschaft Konventionelle Infrastruktursysteme weisen unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten erhebliche Schwächen auf. Es kann wenig Zweifel daran bestehen, dass die Wasserver- und Abwasserentsorgung vor dem Hintergrund veränderter Rahmenbedingungen und gesteigerter gesellschaftlicher Anforderungen gegenwärtig und mit Blick auf die Zukunft einen insgesamt ineffizienten (nicht-nachhaltigen) Pfad bestreitet. Die institutionellen Rahmenbedingungen der Sektoren sind daran maßgeblich beteiligt. Die Evolution von (ineffizienten) historisch gewachsenen Institutionen (u. a. kommunale Rechtsvorschriften, technische Regelwerke, Planungsverfahren, Finanzierungslösungen), die einen erheblichen Einfluss auf die Systementwicklung ausüben162 begründet sich zum einen durch Pfadabhängigkeiten. Die Anwendung, Verbreitung und Berücksichtigung der Institutionen generiert zunehmende Erträge, die durch positive Rückkopplungen eine Stabilisierung des bestehenden Pfades bewirken: So ist der Aufbau der spezifischen und komplexen Institutionen (z. B. Regelwerke) durch hohe Einrichtungskosten gekennzeichnet, während aus der Regelnutzung durch Lerneffekte eine Akkumulation spezifischen Wissens sowie Koordinationseffekte und eine Anpassung der adaptiven Erwartungen resultieren. Im Zuge einer Transformation würden viele der auf zentrale Systeme ausgerichteten Institutionen einen Bedeutungsverlust erleiden oder obsolet werden. Der damit verbundene Verlust des spezifischen Wissens bedeutet versunkene Kosten, 160 So zeigen Umfragen im Zusammenhang mit Hochwasserschutzmaßnahmen, dass der weit überwiegende Teil der Bürger die Hochwasservorsorge in der Verantwortung öffentlicher Einrichtungen sieht, vgl. Restemeyer et al. (2012), S. 21. 161 Siehe dazu Schönefuß (2004), S. 31 ff.; Janda (2012), S. 187 f. 162 Institutionen bestimmen die Entscheidungskompetenzen im Hinblick auf die Technologiewahl, definieren die erlaubten Technologien und setzen mehr oder minder stark ausgeprägte Anreize für deren Verbreitung. Zu dem Wechselspiel von Institutionen und Technologien am Beispiel der Regenwasserbewirtschaftung siehe Geyler et al. (2015).
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die bei einem Pfadwechsel zu den Einrichtungskosten neuer (auf veränderte technologische Situationen ausgerichtete) Regelsysteme hinzuzurechnen sind. Zugleich gehen die Transaktionskosten senkenden Wirkungen von Koordinationseffekten und adaptiven Erwartungen bei einem Bruch mit bestehenden Institutionen verloren. Die Eigenschaften der technologischen Komponenten von Wasserinfrastruktursystemen, die ihrerseits eine pfadabhängige Entwicklung aufweisen, verstärken diese Wirkung. Aufgrund der hohen Systemkosten und der langen technischen Nutzungsdauern wurden kommunalrechtliche und kommunalwirtschaftliche Institutionen (Anschluss- und Benutzungszwang, Entgeltsysteme) geschaffen, die auf einen Erhalt des zentralen technischen Systems ausgerichtet sind und zugleich den technischen Optionenraum für alternative Lösungen beschränken. Zudem stützen die vorherrschenden mentalen Modelle und Ideologien bei relevanten Akteuren der Siedlungswasserwirtschaft die ineffizienten Institutionen bzw. führen dazu, dass diese nicht in ausreichendem Maße hinterfragt werden. Sie wirken hierdurch ebenfalls stabilisierend und dem für eine Nutzung neuartiger Lösungen erforderlichen institutionellen Wandel entgegen. Zugleich fehlt aufgrund unvollkommener Märkte das Korrektiv wettbewerblicher Selektionsmechanismen, welche, so die ökonomische Standardlehre, zu effizienten Situationen führen würden. So aber bewirken nach North unvollständige Märkte eine allenfalls bruchstückhafte Informationsrückkopplung sowie erhebliche Transaktionskosten, so dass die subjektiven Modelle von Akteuren, die sowohl von unvollkommener Rückkopplung als auch von Ideologien beeinträchtigt sind, den Entwicklungsverlauf bestimmen.163 Neben ineffizienten Pfadverläufen führt dies auch zu einer weiteren Verfestigung der bestehenden Denkstrukturen und der Beeinflussung zukünftiger Entscheidungen.164 Häder mahnt zusammenfassend an: „Treffen ineffiziente, redistributionsorientierte Regeln bei unvollständiger Informationsrückkopplung auf mentale Modelle, die die Institutionen als fair und richtig interpretieren, können diese auf lange Frist fortbestehen“.165 Zugleich können effiziente Regeln in solchen Umgebungen scheitern.166 Es zeigt sich also, dass die stabilisierenden Elemente von Institutionen im Wassersektor ausgeprägt sind und die zum Fortbestand ineffizienter Institutionen beitragenden Mechanismen stark ineinander greifen. Demgegenüber stehen die flexibilisierenden Elemente, die in der Lage sind, einen institutionellen Wandel anzustoßen bzw. bestehende Strukturen „aufzuweichen“. Die Prüfung zeigte, dass diese Elemente allenfalls schwach ausgeprägt sind (siehe auch Tabelle 3). Eine Dynamik, bei der relevante Akteure auf die Veränderung der institutionellen Rahmenbedingungen hinwirken, kann kaum ausgemacht werden. Dies ist primär auch auf einen schwa-
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Vgl. North (1992), S. 113. Vgl. ebenda. Häder (1997), S. 89. Vgl. ebenda.
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chen Wettbewerb innerhalb der wirtschaftlichen und politischen Märkte zurückzuführen. Durch das „Wettbewerbsvakuum“ bestehen für Unternehmen und kommunale Entscheider nur geringe Anreize, Veränderungen einzuleiten. Im Fall der politischen Entscheider kommt hinzu, dass der Nutzen erst stark verzögert eintritt und sie nicht kurzfristig davon profitieren können. Im Wassersektor kann deshalb nur ein schleichender institutioneller Wandel beobachtet werden, bei dem Systemerhaltungsinteressen im Vordergrund stehen. So konnte sich beispielsweise der Sektor der Wasserversorgung wettbewerbsorientierten Reformvorschlägen bisher erfolgreich entziehen. Der von einer allgemeinen Öffnung anderer Netzsektoren (Strom, Gas, Telekommunikation) in den 1990er Jahren ausgehende Reformdruck konnte in eine wenig substanzielle Modernisierungsstrategie kanalisiert werden, bei welcher die grundlegenden Strukturen des Ordnungsrahmens erhalten blieben.167 Bemühungen der Monopolkommission zur Einführung einer sektorspezifischen Anreizregulierung wurden, wie der Versuch der EU-Kommission zur Reform des Vergaberechts für Dienstleistungskonzessionen, ebenfalls erfolgreich abgewehrt.168 Dies begründet sich auch durch starke Interessensgruppen, wie LobbyVerbände, in denen sich kommunale Unternehmen organisieren und den Reformprozess beeinflussen (Rent-Seeking-Verhalten), wobei sie sich gegen ordnungspolitische Reformvorschläge aussprechen. Durch die starke Ablehnung von Maßnahmen einer Liberalisierung und Privatisierung der Wasserwirtschaft durch die Öffentlichkeit wird die Macht der Verbände enorm verstärkt.169 Die geringen Anreize für Veränderung resultieren zugleich darin, dass Lernprozesse und Wissensaufbau (innovatives Lernen) primär in der akademischen Sphäre und weniger in der Praxis stattfinden. Von der Wissenschaft ausgehende Impulse zur Transformation der Wasserwirtschaft genügen nicht und scheitern wie dargelegt an Ideologien, geringen Anreizen für Veränderung und Sachzwängen (z. B. kommunale Haushaltslage). Die Beispiele verdeutlichen, dass dem Wassersektor ein „institutionelles Gleichgewicht“ im Sinne Norths attestiert werden muss, also eine Situation, in der eine Vielzahl von (relevanten) Akteuren es nicht vorteilhaft findet, Mittel auf die Neuformulierung der institutionellen Vereinbarungen aufzuwenden. Der Nutzen, der für die meisten Akteure aus dem bestehenden Institutionenrahmen erwächst, erscheint höher als jener, welcher im Zuge einer Änderung zu erwarten ist, insbesondere, wenn die Wechselkosten hinzugenommen werden. Hierdurch bleiben die vorherrschenden Strukturen erhalten. Vor dem Hintergrund der weitreichenden Umwälzun-
Vgl. Gawel / Bedtke (2015). Vgl. Gawel / Bedtke (2015) m. w. Nachweisen. 169 So scheiterten die Vorschläge der EU-Kommission zur Reform des Vergaberechts (Konzessionsrichtlinie) für den Wassersektor unter dem fälschlichen Label „Privatisierung“ an massiven und emotional aufgeladenen Protesten („Wasser ist ein Öffentliches (sic!) Gut, keine Handelsware“ [vgl. http://www.right2water.eu / de / node / 5, abgerufen am 1. 7. 2015]). Dies obwohl das Ziel einer transparenten Vergabe von Dienstleistungs-Konzessionen grundsätzlich auch Konsumenteninteressen verfolgte. 167 168
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gen, die im Zuge einer Transformation erforderlich werden, erscheint dieser Zustand ungeeignet für umfassenden Wandel. Transformationen bedeuten einen Bruch mit der Vergangenheit und das Gehen neuer Wege. Solange die institutionellen Strukturen jedoch einen Erhalt der bestehenden Systeme deutlich begünstigen und sich durch eine geringe Offenheit für neue Lösungen auszeichnen, ist die in der wissenschaftlichen Debatte vorherrschende Vorstellung einer gestalteten Transformation unwahrscheinlich. Viel eher muss erwartet werden, dass Anpassungen erst dann erfolgen werden, wenn durch weitere Veränderungen der exogenen Rahmenbedingungen (u. a. Klimawandel, demografischer Wandel, Technologiefortschritt, Entwicklung der Ressourcenpreise) sich die relativen Preise stark verändern oder aber System-Krisen (z. B. Über- oder Unterschreitung technischer Funktionsschwellen) auftreten. Infolgedessen verändern sich die Anreizstrukturen abrupt, innovative Lösungen werden womöglich lohnend oder aber schlicht alternativlos, so dass ein Wandel einsetzt. Tabelle 3 Flexibilisierende und stabilisierende Elemente institutionellen Wandels mit Beispielen aus der Siedlungswasserwirtschaft Flexibilisierende Elemente 1. Eine kontinuierliche Interaktion zwischen Akteuren und Institutionen –
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Mangelnder Wettbewerbsdruck aufgrund der Monopolsituation für Ver- und Entsorgungsunternehmen im Wassersektor Vergleichsmarktkonzept der Wasserpreiskontrolle entfaltet nur geringe Wirkung Beim Wettbewerb der Kommunen nehmen Wasserinfrastruktursysteme aufgrund der gegenwärtig überwiegend zufriedenstellenden Leistung keine bedeutende Rolle ein
Stabilisierende Elemente 3. Institutionelle Pfadabhängigkeiten –
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à Eine insgesamt geringe Wettbewerbsintensität auf wirtschaftlichen und politischen Märkten resultiert in einer deutlich abgemildertenDynamik,wodurchnureine geringe Einflussnahme auf den Institutio- – nenrahmen genommen wird
Ein komplexes technisches Regelwerk generiert zunehmende Grenzerträge (hohe Einrichtungskosten, spezifisches Wissen, Transaktionskosten senkende Netzwerkeffekte und adaptive Erwartungen) und erhöht hierdurch die Kosten eines Pfadwechsels Die hohe Kapitalintensität der Systeme und lange Nutzungsdauern bewirken kommunalrechtliche Institutionen (u. a. Anschluss- und Benutzungszwang, Gebührensysteme), welche die Refinanzierung und Auslastung der Systeme sicherstellen und aus deren Anwendung zugleich zunehmende Grenzerträge resultieren („Verwaltungspraxis“) Unvollkommene Märkte (u. a. Monopolstrukturen, beschränkte Rationalität) verhindern effizienzfördernde Rückkopplungsprozesse
à Vielfältige institutionelle Pfadabhängigkeiten stabilisieren den bestehenden (ineffizienten) Pfad Fortsetzung nächste Seite
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Fortsetzung Tabelle 3 2. Lernprozesse und Wissensaufbau –
–
4. Mentale Modelle und Ideologien
– Aufgrund der Monopolstrukturen im Wassersektor ist die Erforderlichkeit von Investitionen in Fertigkeiten und Wissen, um im direkten Wettbewerb bestehen zu können, bei den Unternehmen der Wasserver- und Abwasserentsorgung nicht gegeben Innovatives Lernen erfolgt vorwiegend in der akademischen Sphäre; die Impulse zum Wandel sind zu gering
à Durch eine insgesamt geringe Wettbewerbsintensität bleibt das innovative Lernen stark limitiert
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Das vorherrschende Leitbild eines „modernen Infrastrukturideals“ prägt die Vorstellung relevanter Akteure: – Planer und Ingenieure entwickeln Routinen, Problemlösungsstrategien, Suchheuristiken etc., die geringe Offenheit für Innovationen bieten – (Risikoaverse) kommunale Entscheidungsträger verfolgen das moderne Infrastrukturideal und bevorzugen die Nutzung erprobter (Praxis-)Lösungen – Vorstellung „kommunaler Vollversorgung“ bei Konsumenten Vorherrschende „Einzigartigkeitslehre“ im Wassersektor
à Mentale Modelle, in deren Folge Akteure ineffiziente Institutionen als richtig erachten und unzureichend hinterfragen 5. Richtung des Wissensaufbaus und Lernens (relatives Gewicht strukturerhaltender und wandelinduzierender Anreize) – Keine vollständige Internalisierung der relativ höheren (Umwelt-)Kosten aufgrund zahlreicher institutioneller Defizite (u. a. bei Wassernutzungsabgaben, intransparente Wasserbepreisung – Langfristigkeit der Entscheidungen und zukünftiger Nutzen eines Systemumbaus lassen Kosten und Nutzen von Transformationsbemühungen zeitlich auseinanderfallen – Unzureichende Honorierung einer Umsetzung und Erprobung neuer technischer Lösungen bei Grundstückseigentümern – Planungshonorare orientieren sich an den Investitionskosten, weshalb kostenintensive großtechnische Systeme durch Ingenieure bevorzugt werden – Hohe Kundenzufriedenheit generiert geringen Handlungsdruck für kommunale Unternehmen und politische Entscheider à Vorwiegend Anreize für umverteilende Aktivitäten und Lernprozesse, während produktive Aktivitäten unzureichend honoriert werden Quelle: eigene Erstellung.
V. Implikationen für die Transformation von Wasserinfrastruktursystemen Der vorliegende Beitrag stellte unter Nutzung eines heuristischen Analyserahmens die flexibilisierenden und stabilisierenden Elemente institutionellen Wandels einander gegenüber. Diese Elemente wurden für die Wasserwirtschaft diskutiert und darauf aufbauend wurde ein „Beharrungsgleichgewicht“ identifiziert, also eine Situation, die sich durch eine ausgeprägte strukturelle Stabilität der institutionellen
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Komponenten des soziotechnischen Systems der Wasserver- und Abwasserentsorgung auszeichnet.170 Die Folge sind das Ausbleiben von Innovationen im Wassersektor und ein institutioneller Reformstau. Die erforderlichen Weichenstellungen für eine nachhaltige Entwicklung können unter diesen Gegebenheiten von den Entscheidern nicht ausgemacht werden.171 Die Vorstellung eines umfassenden Wandels (Transformation) und der bestehende institutionelle Rahmen aus überwiegend stabilisierenden Elementen sind folglich unvereinbar. Es stellt sich die Frage, wie Prozesse angestoßen werden können, die zu einer Überwindung dieses ineffizienten Gleichgewichts führen und eine Dynamik des Wandels befördern. Da eine geschlossene Transformationstheorie nicht existiert, kann die Herleitung von Handlungsempfehlungen nur auf der Basis allgemeiner (ökonomischer) Theorieparadigmen erfolgen.172 Den Aussagen der Theorie des institutionellen Wandels folgend, sollten die flexibilisierenden Elemente begünstigt werden und die Wirkung stabilisierender Elemente – sofern möglich – abgedämpft werden. Damit verbunden sollte der Institutionenrahmen dem Kriterium der Anpassungseffizienz Rechnung tragen, also vor allem die Erforschung alternativer Problemlösungen möglichst stark begünstigen. Hierfür müssen möglichst viele Freiheitsräume für Akteure zum Ausprobieren neuer Lösungen gegeben sein und die entsprechenden Anreize vermittelt werden, um diese Prozesse anzustoßen und in die richtige Richtung zu lenken. Die Anreizstrukturen sollten dabei nicht umverteilenden, sondern produktiven Aktivitäten die höchsten Auszahlungen versprechen. Aufbauend auf diesen Überlegungen sollen nachfolgend einige Handlungsfelder diskutiert werden.
1. Stärkung wettbewerblicher Strukturen Ein lebhafter Wettbewerb wird von North als wichtigster Treiber angesehen, um Lernprozesse und Wissensaufbau sowie die Dynamik eines institutionellen Wandels zu erhöhen.173 Unter diesem Gesichtspunkt sollte die Erhöhung des Wettbewerbsdrucks als „Impuls von außen“ ein gewichtiges Anliegen sein. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre wurden vielfältige Versuche unternommen, um Wettbewerbselemente im Sektor zu integrieren. Aufgrund der besonderen Eigenschaften von Wasser eignet sich die Option eines Wettbewerbs im Markt für den Sektor weniger, dagegen sind 170 Der Grad der Stabilität eines solchen Gleichgewichts wird aufgrund vielfältiger Einflussfaktoren (u. a. Alter und Zustand des bestehenden Infrastruktursystems, Siedlungsstruktur, Bevölkerungsentwicklung, klimatische Situation, Rechtsregime, individuelle Motivation der Akteure u. v. a.) lokal variieren. Wenngleich in einigen Kommunen hierdurch bessere Rahmenbedingungen (insbesondere stärkere Anreize) für Wandel vorherrschen, sollte das die identifizierten grundlegenden Mechanismen nicht in Frage stellen. 171 Siehe Reese et al. (2015); Bedtke / Gawel (2015b) für institutionelle Ansatzpunkte einer nachhaltigen Ausrichtung von Wasserinfrastrukturen. 172 Vgl. Oberender et al. (2003), S. 3. 173 Vgl. North (1995a), S. 16.
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Optionen eines Wettbewerbs um den Markt sowie Formen eines Vergleichswettbewerbs vorstellbar.174 Die primäre Zielstellung der Reformdebatte ist die Sicherstellung einer kosteneffizienten Bereitstellung der Versorgungsdienstleistung innerhalb des bestehenden Technologieparadigmas (statische Effizienz). Daneben sollte die gegenwärtige Reformdiskussion im Wassersektor zugleich vor dem Hintergrund ihrer dynamischen Wirkungen beurteilt werden. Wettbewerb bewirkt ein Such- und Entdeckungsverfahren sowie den Einsatz der wirtschaftlichsten Lösungen. Vor dem Hintergrund der vielerorts überdimensionierten und kostenintensiven zentralen Systeme und der Wertschöpfungsmöglichkeiten (Ressourcenrückgewinnung) ist mittelbis langfristig zu erwarten, dass neuartige (semi-)dezentrale Systemlösungen auch wirtschaftliche Vorteile gegenüber konventionellen Systemen aufweisen. Hohe Potenziale bestehen dabei insbesondere in ländlichen Regionen mit Bevölkerungsrückgang.175 Der Logik Norths folgend, würden nun die Akteure – hier vor allem die Unternehmen – im Zuge einer in Aussicht gestellten Besserstellung (Kostenersparnis, Wettbewerbsfähigkeit) dergestalt auf den institutionellen Rahmen einwirken, dass die neuen Lösungen verstärkt umsetzbar wären. Institutionelle Hemmnisse für neue Lösungen (z. B. Finanzierungssysteme, kommunalrechtliche Satzungen) würden sukzessive an die neuen Erfordernisse angepasst oder es würde auf deren Anpassung hingewirkt werden. Ohne wirksamen Wettbewerb sind Kostenorientierung und Effizienzdenken bei den Unternehmen weit weniger ausgebildet, da wirksame Sanktionsmechanismen (z. B. Verlust der Konzession an Wettbewerber 176, „name and shame“177) oder die entsprechenden Anreize (z. B. durch Anreizregulierung178) fehlen und zudem regelmäßig die Kosten auf die Verbraucher überwälzt werden können. Dass durch einen solchen Impuls von außen eine Dynamik innerhalb des Sektors angeregt werden kann, konnte u. a. in den bisherigen Veränderungen bei den Organisationsstrukturen innerhalb des Wassersektors als Reaktion auf die „Effizienzdebatte“ bereits beobachtet werden.179 Dies ist nicht gleichbedeutend damit, dass die komplexe Nachhaltigkeitstransformation allein effizienzsichernden Wettbewerbsvehikeln anzuvertrauen ist. Jedoch sollten die auch im Wassersektor möglichen Wettbewerbspotenziale unter Berücksichtigung anderer Nachhaltigkeitsbelange möglichst ausgeschöpft werden. Der bisher in Deutschland verfolgte Ansatz einer „Modernisierungsstrategie“ kann diesbezüglich nicht die erforderlichen Anreize setzen. Die Strategie erscheint aus ökonomischer Sicht konzeptionell und in der Umsetzung ungenügend, um Wirtschaftlich-
174 Vgl. Bedtke / Gawel (2015a) für einen Überblick zu den Optionen; Gawel / Bedtke (2015) zur Verbreitung dieser Ansätze in der europäischen Wasserwirtschaft. 175 Siehe hierzu Tauchmann et al. (2006), S. 279. 176 Zur Idee des Wettbewerbs um den Markt siehe u. a. Ewers et al. (2001). 177 Im Rahmen der Sunshine-Regulierung werden Unternehmen anhand bestimmter Kriterien bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit verglichen, siehe dazu De Witte / Saal (2010). 178 Vgl. Oelmann (2005), S. 51 ff. 179 Vgl. Wackerbauer (2009), S. 135 ff.
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keitsziele ernsthaft zu verfolgen.180 Daher sind die zögerlich begonnenen Bemühungen um die Hebung anerkannter Effizienzpotenziale sowie der Abbau evidenter institutioneller Defizite konsequent weiterzuverfolgen. 2. Preissignale Die Fortführung eines insbesondere auch aus ökologischen Gesichtspunkten problematischen Pfades der Infrastrukturentwicklung (u. a. frischwassergespeiste Schwemmwasserkanalisation, keine Ressourcenrückgewinnung, hohe Energieintensität) begründet sich auch an der ungenügenden Internalisierung aller Umweltexternalitäten. Unter Berücksichtigung aller (Umwelt-)Kosten würden sich die relativen Preise der Dienstleistungsbereitstellung zugunsten neuartiger Systemlösungen verändern, die in Bezug auf ökologische Aspekte (Ressourceneffizienz / -rückgewinnung) merkliche Vorteile gegenüber konventionellen Systemen besitzen.181 Durch die relative Verteuerung des bisherigen Pfads haben, gemäß der zentralen Aussage der Theorie des institutionellen Wandels, die Akteure (und hier vor allem die Nachfrager der Dienstleistungen) stärkere Anreize, auf eine Veränderung der Situation und damit verbundener Institutionen hinzuwirken. Dieser Druck fehlt gegenwärtig aufgrund zahlreicher institutioneller Defizite fast gänzlich. Zwar sind Bemühungen einer Internalisierung von Umweltkosten in Ansätzen erkennbar, jedoch besteht noch erheblicher Reformbedarf. So ist die in Art. 9 der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)182 formulierte Forderung des europäischen Gesetzgebers, bei Wasserdienstleistungen kostendeckende Entgelte unter Einbezug der Umwelt- und Ressourcenkosten zu verlangen, als eindeutiger Auftrag zu verstehen, die Preisgestaltung der Dienstleistungen der kommunalen Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung an ihren tatsächlichen (umweltbezogenen) Kosten auszurichten und ferner Anreize für eine effiziente Nutzung von Wasserressourcen zu setzen. 183 Wenngleich in Deutschland die Meinung bei Bund und Ländern überwiegt, dass diesem Auftrag bereits Rechnung getragen wird, ist diese Ansicht höchst zweifelhaft. Weder kann bezüglich der betriebswirtschaftlichen Kostendeckung Vollzug gemeldet werden, noch sind die Umwelt- und Ressourcenkosten adäquat berücksichtigt.184 Vielmehr muss noch ein erheblicher Klärungsbedarf bezüglich der Integration von Umwelt- und Ressourcenkosten konstatiert werden.185 Eine bedeutende Rolle kommt weiterhin den Wassernutzungsabgaben (Wasserentnahmeentgelte, AbVgl. Gawel / Bedtke (2015). Hierzu statt vieler Felmeden et al. (2010). 182 Richtlinie 2000 / 60 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23. 10. 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl. L 327 v. 22. 12. 2000, S. 1. 183 Vgl. Gawel (2015c). 184 Vgl. Gawel (2012); ders. (2015b). 185 Vgl. Gawel / Unnerstall (2014); Gawel (2015c); Palm et al. (2011). 180 181
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wasserabgabe) zu, die als Umweltinstrumente die Verpflichtungen aus Art. 9 WRRL transportieren und über ihre Anreizwirkungen einen Strukturwandel anstoßen können.186 Beispielsweise würde eine Berücksichtigung von Umwelt- und Ressourcenkosten mit höheren Kosten der Wassernutzung einhergehen. Die Folge wäre eine effizienzorientierte Umstrukturierung der Nachfragerückgang (effizientes Wassersparen, wassereffiziente Technologien, Regenwassersubstitution etc.), wodurch der Veränderungsdruck zur Anpassung der heute bereits regelmäßig unterausgelasteten Systeme erhöht würde.187 Die hierfür existierenden Instrumente können in ihrer Lenkungsfunktion jedoch deutlich gestärkt werden, wenn sie beispielsweise im Fall der Wasserentnahmeentgelte bundesweit eingeführt (gegenwärtig nur 13 Bundesländer)188 und die bisherigen Abgabesätze neu justiert sowie die zahlreichen Ausnahmen bereinigt würden.189 Zudem stehen institutionell bedingte Hemmnisse (z. B. intransparente Wasserrechnung innerhalb einer im Nachhinein gestellten Betriebskostenabrechnung) der vollständigen Preiswahrnehmung auf Haushaltsebene entgegen.190 Auch auf der Abwasserseite bestehen institutionelle Entwicklungspotenziale: Grundsätzlich muss hier der Abwasserabgabe eine höhere dynamische Anreizwirkung als dem Ordnungsrecht zugeschrieben werden, die sich in einem kontinuierlichen Innovationsstreben der Einleiter zu Kostensenkung niederschlägt. 191 In der Praxis sind die Innovationseffekte der Abwasserabgabe jedoch nur schwach ausgebildet, weshalb diesbezüglich bestehende Defizite (u. a. inflatorisch bedingter Verlust der Anreizwirkung, ungeeignete Verschränkung mit dem Ordnungsrecht, fehlende Anreize bei Indirekteinleitern) perspektivisch abzubauen sind. 192 Neben der Lenkungsertüchtigung der Schmutzwasserabgabe sind auch ein Erhalt und eine stärkere Lenkungsausrichtung der bislang pauschalierten und von Ausnahmeoptionen Vgl. Gawel / Fälsch (2011), S. 839 f. Vielfach wird in diesem Zusammenhang argumentiert, dass Wassersparen vor dem Hintergrund des reichlichen potenziellen Dargebots und der Unterauslastung der Infrastrukturen in Deutschland sinnlos sei. Dem muss einerseits entgegnet werden, dass Rohwasser als Ressource in der raumzeitlichen Auflösung durchaus an Verfügbarkeitsgrenzen stößt und eine Inanspruchnahme der darauf gestützten Wasserdienste (Gewinnung, Aufbereitung, Transport, Verteilung) mit (Alterativ-)Kosten verbunden ist und diese Güter und Dienste daher aus ökonomischer Sicht selbstverständlich ein knappes Gut darstellen, was nicht mit einem „Mangelgut“ zu verwechseln ist – dazu Gawel et al. (2011); Gawel / Fälsch (2011). Andererseits kann es nicht im Sinne des Ziels einer langfristig nachhaltigen Ausrichtung von Wasserinfrastrukturen sein, die Auslastung überdimensionierter, wenig ressourcenschonender Infrastrukturen gerade durch einen „verschwenderischen“ Ressourceneinsatz dauerhaft sicherstellen zu wollen, auch wenn dies für die heutigen Betreiber sicherlich die angenehmste Lösung darstellen mag. 188 Vgl. ATT et al. (2015), S. 28 f . 189 Vgl. Gawel et al. (2011), S. 197 ff. 190 Vgl. Gawel et al. (2011), S. 128. So kennen nur wenige Haushalte ihren konkreten Wasserpreis, dazu auch Messner / Ansmann (2007). 191 Vgl. Gawel et al. (2011), S. 101; Gawel et al. (2014). 192 Dazu ausführlich Gawel et al. (2011), S. 168 ff. 186 187
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perforierten „Neben-Abgaben“ erforderlich (Niederschlagswasserabgabe193, Kleineinleiterabgabe194). Neben den Impulsen von übergeordneter Ebene bestehen auf kommunaler Ebene weitere Möglichkeiten, um den Einsatz neuer Lösungen verstärkt zu honorieren. So kann mittels der gesplitteten Abwassergebühr195 der Einsatz dezentraler Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung über finanzielle Anreize befördert werden. Einem stärkeren Lenkungserfolg stehen jedoch die schleppende flächendeckende Umsetzung und eine inkonsistente sowie anreizarme Ausgestaltung der Entgeltsysteme entgegen.196 Aufgrund der Größenvorteile von zentralen Systemen muss bei Wirtschaftlichkeitsvergleichen auch insbesondere die Wertschöpfung neuartiger Lösungen (u. a. Phosphat-, Energierückgewinnung) bei einem Vergleich berücksichtigt werden. Zugleich müssen die Tarife die Wertschöpfung widerspiegeln und entsprechend honorieren. Ihre Verursachergerechtigkeit ist auch unter Wasserressourcengesichtspunkten zu verbessern; rein betriebswirtschaftlich motivierte und auf die aktuelle Systemauslastung gerichtete Modelle weisen hier unter langfristigen Nachhaltigkeitsvorzeichen den falschen Weg.197 Insgesamt zeigt sich eine Reihe von möglichen Reformoptionen auf verschiedenen Ebenen, mit denen ein günstigeres Verhältnis von strukturerhaltenden und Wandel induzierenden Anreizen für Akteure geschaffen werden kann. Insbesondere die Ertüchtigung von Umweltinstrumenten wie den Umweltnutzungsabgaben, aber auch die Ertüchtigung von Entgeltmodellen verspricht dabei ökologisch orientierte Wandlungsimpulse. 3. Information und Aufklärung Das institutionelle Gleichgewicht im Wassersektor besteht wie oben dargelegt deshalb, weil die Kosten von Veränderungen von Entscheidungsträgern höher erachtet werden als deren Nutzen. Diese Einschätzung beruht vielerorts womöglich auf einer zu kurzsichtigen Bewertung der Situation, bei der die heutige hohe Qualität der Leistungsbereitstellung den vorwiegend erst in der Zukunft zu erwartenden und insgesamt noch „diffusen“ Problemlagen gegenübergestellt wird. So unterliegen insbesondere kleinräumige Bevölkerungsprognosen hohen Unsicherheiten,198 die konkreten Konsequenzen des Klimawandels auf lokaler Ebene sind schwer vorSiehe Rüger et al. (2015); Gawel (2011). Dazu Gawel (2011); Gawel et al. (2015). 195 Dazu statt vieler Brüning (2012); Queitsch (2014), § 6, Rn. 199 ff., mit jeweils zahlreichen weiteren Nachweisen. 196 Vgl. Geyler et al. (2015). 197 Zur Debatte der Neuausrichtung von Wasser-Tarifmodellen siehe u. a. Oelmann / Gendries (2012); Rehberg et al. (2014); siehe auch Hoque / Wichelns (2013) für eine internationale Bestandsaufnahme von Tarifmodellen und ihren Effekten. 198 Vgl. Bohk (2012). 193 194
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herzusagen199 und die Entwicklung des Rechtsrahmens bedeutet „oft ungenaue, wachsende Herausforderungen“200. Die wahren Kosten eines „Weiter so“ sind deshalb vielerorts entweder nicht bekannt oder werden womöglich systematisch unterschätzt. In vielen Fällen muss jedoch bei einem ausbleibenden Richtungswechsel mit zukünftig höheren Kosten gerechnet werden: Eine permanente Unterauslastung der Systeme bedeutet den vorzeitigen Verschleiß von Komponenten und einen Anstieg der Betriebskosten (u. a. Maßnahmen der Netzspülung),201 ein vorzeitiger Umbau (zu stark) unterausgelasteter Systeme stellt (versunkene) Kosten dar und ausbleibende Investitionen in ressourcenschonende Technologien bedeuten vor dem Hintergrund ansteigender Ressourcenpreise auch (steigende) Opportunitätskosten. Eine bessere Kenntnis und Berücksichtigung der zukünftigen Entwicklungen und Kosten verschiebt das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer Transformation zugunsten des Wandels. Um diesen Effekt zu verstärken, sollten neben dem Aufzeigen der „Beharrungskosten“ zugleich die „Kosten des Wandels“ reduziert werden, indem vorherrschende Informationsdefizite in Bezug auf die Transformation selber abgebaut werden. Hierzu muss den Kommunen beispielsweise das erforderliche und regelmäßig fehlende Wissen202 für ein erfolgreiches Transformationsmanagement bereitgestellt werden (capacity building).203 Die Bereitstellung möglichst umfassender Informationen für Entscheidungsträger stellt demnach einen Ansatz dar, um Wandel zu begünstigen. Dies ist eine Aufgabe, die innerhalb des soziotechnischen Regimes vorrangig der Wissenschaft vorbehalten ist. 4. Kultur des Ausprobierens Die Arbeiten der sozialwissenschaftlichen Technikforschung zeigen, dass soziotechnische Transformationen regelmäßig graduell verlaufen und ihren Ursprung in Nischen haben (siehe Abschnitt II.2. und II.3.). Auch im Bereich der Wasserverund Abwasserentsorgung kann man gegenwärtig die Entstehung eines alternativen Technologiepfads am Beispiel neuartiger (zunehmend dezentraler) Systemlösungen der Wasserver- und Abwasserentsorgung innerhalb einer Nische beobachten. Damit diese Nische verstärkt in Konkurrenz zum vorherrschenden soziotechnischen Regime netzgebundener Infrastruktursysteme treten kann, ist neben den oben genannten Maßnahmen einer Destabilisierung bestehender (institutioneller) Strukturen auch die Erprobung von Nischentechnologien von besonderer Bedeutung. In Nischen können neue Technologien geschützt zur Marktreife gebracht und Erfahrungswissen generiert werden. In den letzten Jahren wurden einige Pilotprojekte in Vgl. LAWA (2010). Schubert (2015), S. 2. 201 Vgl. Koziol et al. (2006), S. 47 ff. 202 Vgl. Farelly / Brown (2011), S. 727. 203 Diesen Ansatz verfolgen auch die Arbeiten des netWorks-Forschungsverbunds, siehe Kluge / Libbe (2006); dies. (2010). 199 200
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Deutschland und Europa initiiert, in denen neuartige Systemlösungen zur Erprobung installiert wurden. Dies reicht von Ergänzungen konventioneller Systeme (z. B. Wärmerückgewinnung im Kanal, Membranfiltration) bis hin zu neu errichteten Stadtquartieren, in denen gänzlich neue Ansätze der Ver- und Entsorgung verfolgt werden.204 Vor dem Hintergrund des Vorhabens einer weitreichenden Transformation der Wasserinfrastruktursysteme scheint dies insgesamt zu wenig. Hierfür bedarf es der Erfahrungen bezüglich der Praxistauglichkeit der Lösungen unter einer Vielzahl verschiedener Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren (Klima, Siedlungsstruktur, sozio-ökonomische Faktoren, Infrastrukturbestand u. v. a.). Einzelne Versuchsanlagen, womöglich noch unter Laborbedingungen, können diese Vielfalt nur bedingt abbilden. Von daher scheint es erforderlich, dass bereits heute auch auf kommunaler Ebene vermehrt alternative Lösungen erprobt werden, um ein breites Praxiswissen bei der Anwendung von neuen technischen Lösungen gewinnen zu können. Ein solches Vorgehen ist derzeit freilich nicht vorgesehen. Mit möglichst wenig Risiko und höchster Rechtssicherheit werden die Leistungen der Daseinsvorsorge durch kommunale Aufgabenträger bereitgestellt,205 eine Vorgehensweise, die mit einem möglichen Scheitern im Zuge einer Trial-and-Error-Methode nicht vereinbar ist. Eine „Kultur des Lernens und Experimentierens“ wird jedoch als bedeutender Faktor für das Gelingen einer Transformation von Wasserinfrastruktursystemen angesehen206 und ist zugleich im Sinne der North’schen Idee von Anpassungseffizienz (siehe oben III. 2.). Um eine solche Kultur zu etablieren, bestehen eine Reihe von Ansatzpunkten: Hierzu gehört der verstärkte Aufbau von sog. Reallaboren, in denen sich konkrete Transformations-Realexperimente initiieren und wissenschaftlich begleiten lassen.207 Die finanzielle Unterstützung durch den Staat ist dabei ein wesentlicher Einflussfaktor für den Erfolg der Projekte. 208 Aber auch allein die strategische Ausweisung als „Pilotprojekt“, wodurch implizit die Möglichkeit eines Scheiterns kommuniziert wird, kann helfen kommunale Widerstände (Risikoaversion, Vorbehalte) zu überwinden.209 Ein bedeutendes Hemmnis wird jedoch bereits auf Pilotprojektebene auch in den bestehenden institutionellen Strukturen gesehen. Die (Neu-)Verhandlung von Regeln und Regularien, um eine (rechts-)sichere Implementation der Lösungen zu ermöglichen, geht mit erheblichen Transaktionskosten einher und ist regelmäßig der Grund für Projektverzögerungen.210 Lon204 Für eine Übersicht Tauchmann et al. (2006), S. 301 ff.; siehe auch www.deus21.de; http:// www.hamburgwatercycle.de/index.php/das-quartier-jenfelder-au.html, abgerufen am 14. 07. 2015. 205 Vgl. Farelly / Brown (2011), S. 727; Londong / Hartmann (2014), S.10; so auch LAWA (2001), S. 8. 206 Vgl. Farrelly / Brown (2011), S. 721 ff.; Brandes / Kriwoken (2006), S. 81; so auch Van der Brugge / Rottmans (2007), S. 259: „because the road is unclear, experimentation is essential in order to learn.“ 207 Siehe dazu Schneidewind / Singer-Brodowski (2014), S. 124 ff. 208 Vgl. Farelly / Brown (2011), S. 729. 209 Vgl. ebenda. 210 Vgl. ebenda.
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dong und Hartmann schlagen deshalb räumlich begrenzte institutionelle Ausnahmezustände auf Zeit vor. Hierdurch können Ansätze und Technologien genutzt, erprobt und verbessert werden, die im bestehenden Verwaltungsgeflecht ansonsten nicht funktionieren würden. Langfristig könnte hierdurch ein weitergehender Wandlungsprozess angestoßen werden, auch weil Erfahrungswissen der bestehenden Rechtsunsicherheit entgegenwirken könnte.211
5. Überwindung von Pfadabhängigkeiten und mentaler Modelle Die stabilisierenden Elemente von institutionellem Wandel entziehen sich einer direkten Steuerung. Pfadabhängigkeiten sind das Resultat selbstverstärkender Mechanismen, die im Zeitablauf dazu führen, dass das Beibehalten eines Pfades vorteilhaft wird. Der Ansatzpunkt zur Überwindung von Pfadabhängigkeiten kann nur darin bestehen, Anreizstrukturen zu schaffen, bei denen ein Nutzen die Kosten eines Pfadwechsels überwiegt, worauf die entsprechenden Prozesse eines Wandels angestoßen werden. Ideologien und mentale Modelle, die als fundamentale Institutionen (siehe II.1.) eingeordnet werden können, sind jedoch das Ergebnis langfristiger evolutionärer Lernprozesse und entziehen sich weitgehend einer rationalen Gestaltung.212 Die hinter der Veränderung von mentalen Modellen stehenden Prozesse sind längst nicht vollständig verstanden, jedoch spielen Lernprozesse (Was wird gelernt?) eine zentrale Rolle.213 Mentale Modelle verändern sich nur dann, wenn die ihnen zugrunde liegenden Lernprozesse eine Veränderung erfahren. Auf die Fragestellung einer Transformation von Wasserinfrastruktursystemen übertragen, sollten folglich bei Planern und Ingenieuren bereits innerhalb des Ausbildungswegs neue Technologien eine größere Berücksichtigung erfahren. Hierfür sind u. a. forschungsseitig begleitete inter- und transdisziplinäre Demonstrationsprojekte erforderlich (siehe den vorherigen Punkt), da nur hierdurch neues Erfahrungswissen im Umgang mit Problemen unter Anwendung neuer Technologien erlangt und weitergegeben werden kann.214 Es ist zu erwarten, dass positive Erprobungen neuer Lösungen zu (graduellen) Veränderungen der mentalen Modelle bei Ingenieuren und hierdurch auch den Entscheidungsträgern führen werden. Es zeigt sich dabei jedoch das Problem, dass hierfür zuallererst die vermehrte Anwendung neuer Lösungen überhaupt ermöglicht werden muss. Zugleich können die mentalen Modelle bei Konsumenten möglicherweise überwunden werden, wenn eine öffentliche Debatte angestoßen wird, welche vermittelt, dass die Wasserwirtschaft vor erheblichen Herausforderungen steht und hierdurch 211 212 213 214
Vgl. Londong / Hartmann (2014), S. 9 f. Vgl. Dietl (1993), S. 71 ff. Vgl. Denzau / North (1994). Vgl. DWA (2011), S. 654.
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Anpassungen erforderlich werden, die mit einer Abkehr der „Rundum-Vollversorgung“ einhergehen können. Das Aufzeigen der Problemlagen und möglicher Transformationsszenarien, z. B. durch einen Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Öffentlichkeit, lässt langfristig eine größere Offenheit für Veränderungen auf Seiten der Konsumenten erwarten. Diese Offenheit ist insbesondere für technologische Optionen erforderlich, die u. U. gewisse Komforteinbußen für die Konsumenten bedeuten. Dass ein Bewusstseinswandel und veränderte Einstellungen grundsätzlich bewirkt werden können, zeigen freilich die Erfolge der früheren Wassersparkampagnen, die zu einem anhaltenden Rückgang des Wasserverbrauchs führten und nachhaltig die Vorstellung von Wasserressourcen als knappem Gut gefestigt haben.
VI. Fazit Wasserinfrastruktursysteme stellen komplexe soziotechnische Systeme dar. Deren Steuerung ist zwar nur (kurz- und mittelfristig) eingeschränkt möglich, jedoch können die Intensität und die Richtung einer künftigen Entwicklung beeinflusst werden. Gegenwärtig kann beobachtet werden, dass die pfadabhängigen Entwicklungsverläufe der auf Wachstum und Funktionalität ausgelegten Systeme auf dynamische und sich stark verändernde Rahmenbedingungen stoßen. Eine umfassende, langfristige Neuausrichtung der Wasserinfrastruktursysteme (Transformation) scheint geboten, die hierfür erforderlichen Weichenstellungen können in der Praxis jedoch nicht beobachtet werden. Nähert man sich der Situation aus theoretischer Sicht, so kann ein institutionelles Beharrungsgleichgewicht identifiziert werden. Dies bedeutet eine Situation, in welcher der erforderliche institutionelle Wandel ausbleibt, da relevante Akteure sich innerhalb der bestehenden Strukturen so eingerichtet haben, dass die Kosten-Nutzen-Beurteilung zuungunsten Wandels ausfällt und für einen Strukturerhalt spricht. In der Folge werden die notwendigen Maßnahmen nicht ergriffen oder es entstehen sogar Widerstände, da Wandel regelmäßig mit Verlusten für etablierte Akteure einhergeht. Um effizienten Wandel zu induzieren, bestehen verschiedene Ansatzpunkte, die auf das Auflösen des Beharrungsgleichgewichts abzielen (Tabelle 4): Beispielsweise ist es möglich, durch Impulse von außen eine Veränderung der Anreizstrukturen zu bewirken. Das Weiterverfolgen der Reformbemühungen des ökonomischen Ordnungsrahmens zur Implementation wettbewerblicher Strukturen (unter Berücksichtigung der Besonderheiten und Bedeutung des Wassersektors) ist aus statischen aber insbesondere auch dynamischen Effizienzgesichtspunkten ein vielversprechender Ansatz. Zudem sollte durch eine Internalisierung der Umweltkosten der gegenwärtig bestrittene Pfad eine relative Verteuerung gegenüber dem Pfad der Nachhaltigkeitstransformation erfahren, wodurch verstärkt Anreize für einen ökologisch orientierten Umbau der Infrastruktursysteme gegeben wären. Die Veränderung des relativen Gewichts strukturerhaltender und Wandel induzierender Anreize kann
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Norman Bedtke Tabelle 4 Ansatzpunkte zur Überwindung des Beharrungsgleichgewichts der Siedlungswasserwirtschaft
Handlungsfeld
Reformansatz
Maßnahmen Angemessene Weiterentwicklung der Wettbewerbsordnung im Wassersektor, hier vor allem sektorspezifische Ansätze eines Vergleichswettbewerbs oder eines Wettbewerbs um den Markt
Wettbewerbliche Strukturen
– Veränderung der Anreizstrukturen – Impulse zur Überwindung von politischen Blockaden – Bewirken einer Anpassungsdynamik
Preissignale
– Ertüchtigung der Umweltnut– Internalisierung von Umweltkosten zur relativen Verteuerung zungsabgaben (Wasserentnahmeentgelte, Abwasserabgabe), des gegenwärtigen (ineffizieninsbes. Erhalt und Ertüchtigung ten) Pfades der Niederschlagswasserabgabe – Ressourcenlenkung als preis– Abbau institutioneller Blockapolitisches Ziel stärken den zur verursachergerechten Preiswahrnehmung und Wälzung (z. B. auf Indirekteinleiter) – Getrennte Niederschlagswassergebühr – Adäquate Tarifmodelle
Information und Aufklärung
– Fehlendes Problembewusstsein durch Aufzeigen der realen Kosten eines ausbleibenden Pfadwechsels – Transformationskosten (Transaktionskosten) senken
– Wissensbereitstellung – Wissensaufbau (capacity building) im Bereich TransitionManagement
Kultur des Ausprobierens
– Generierung von Praxis- und Erfahrungswissen – Trial-and-Error-Verfahren initiieren
– (finanzielle) Förderung von Nischenexperimenten – Einrichtung von Reallaboren – Abbau institutioneller Defizite, um eine Erprobung in der Praxis zu ermöglichen – Lockerung des Anschluss- und Benutzungszwangs – Lockerung des Örtlichkeitsprinzips
Überwindung von – Beeinflussung vorherrschender – Lernprozesse gestalten Denkstrukturen, um Transfor– Erfahrungswissen generieren Pfadabhängigkeimationsoffenheit zu begünstigen – Aufklärung und öffentliche ten und mentaler Debatte (siehe Information und Modelle Aufklärung) Quelle: Eigene Erstellung.
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zugleich durch Information und Aufklärung geschehen, wenn einerseits die realen Kosten eines „Weiter so“ aufgezeigt und zugleich die Transformationskosten verringert werden. Insgesamt bedarf es einer verstärkten Bereitschaft und Mutes zum Ausprobieren neuer Lösungen. Wenngleich selbige auch durch die anreizbasierten Reformansätze induziert werden, kann dies durch staatliche Eingriffe zusätzlich befördert werden (finanzielle Förderung, Reallabore). Mentale Modelle und Pfadabhängigkeiten werden dann überwunden, wenn die flexibilisierenden Elemente einen Wandel forcieren und die bestehenden Strukturen somit zunehmend hinterfragt werden. Zugleich kann aber auch ein Einfluss auf die Lernprozesse einzelner (zentraler) Akteure genommen werden, etwa durch öffentliche Diskussion, zu der auch die Wissenschaft beitragen muss. All diese Maßnahmen sollten nicht isoliert voneinander betrachtet werden, da eine wechselseitige Abhängigkeit besteht. So werden z. B. Lernprozesse und Experimente insbesondere dann eine Umsetzung erfahren, wenn die entsprechenden Anreize durch wettbewerblichen Druck oder entsprechende Preissignale gegeben sind. Gleichwohl ist anzunehmen, dass das gegenwärtige Beharrungsgleichgewicht wohl auch durch schlichtes Abwarten irgendwann überwunden würde. Exogene Faktoren wie klimatischer und demografischer Wandel, aber auch eine steigende Ressourcenverknappung haben das Potenzial, die bestehenden Anreizstrukturen maßgeblich zu verändern. Die vielfältigen Kosten eines „Weiter so“ (ineffiziente Auslastung, Kapitalbindung, Schadensereignisse u. v. a.) werden hierdurch ansteigen, während Alternativen durch technischen Fortschritt womöglich günstiger werden. Hierdurch werden Situationen bewirkt, in denen ein Wandel zunehmend lohnenswert wird. Dies gilt insbesondere, wenn deutlich wahrnehmbare Probleme (Krisen) auftreten. Es darf jedoch angezweifelt werden, dass das Abwarten ein aus gesamtgesellschaftlicher Sicht vorzugswürdiges Vorgehen im Vergleich zur Nutzung der sich bereits heute auftuenden Möglichkeitsfenster für Wandel darstellt. Dabei geht es dann nicht nur darum, den effizienten Pfad (irgendwann) aufzufinden, sondern zugleich darum, einen effizienten Zeitpunkt für den Pfadübergang zu organisieren. Zudem bleibt offen, ob ein unter hohem Systemdruck „zu spät“ und dann eher kurzfristig in Gang gesetzter Veränderungsprozess tatsächlich ein neues effizientes Gleichgewicht hervorzubringen vermag. Insoweit bleibt die Organisation von Wandel in der Wasserwirtschaft hin zu einer nachhaltigen Entwicklung heute die entscheidende Herausforderung.
Literatur Ackermann, R. (2001): Pfadabhängigkeit, Institutionen und Regelreform, Tübingen. Arthur, W. B. (1994): Increasing Returns and Path Dependence in the Economy, Ann Arbor. ATT / BDEW / DBVW / DVGW / DWA / VKU (2015): Branchenbild der deutschen Wasserwirtschaft – 2015, Bonn.
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Norman Bedtke
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Flexibilität von Wasserinfrastruktursystemen – Konzepte und institutionelle Ansatzpunkte Von Norman Bedtke und Erik Gawel
I. Zur Notwendigkeit flexibler Wasserinfrastruktursysteme 1. Wasserinfrastruktursysteme – Planung unter zunehmender Unsicherheit Netzgebundene Infrastruktursysteme, wie jene der Wasserver- und Abwasserentsorgung, werden üblicherweise für eine Dauer von mehreren Jahrzehnten ausgelegt. Schon immer bestand dabei die Herausforderung, dass sich die für die Dimensionierung und konkrete Systemausgestaltung relevanten Rahmenbedingungen in Zeithorizonten verändern können, die deutlich kürzer sind als die Nutzungsdauern dieser Systeme. Ziel einer langfristig orientierten Ausgestaltung von Wasserinfrastrukturen ist es demnach, Systeme zu konzipieren, die auch zukünftigen Erfordernissen bestmöglich gerecht werden und dazu die Fähigkeit besitzen, auf zwischenzeitliche Veränderungen angemessen zu reagieren. Der zugrundliegende Planungsansatz für langlebige technische Infrastruktursysteme war dabei lange Zeit durch Paradigmen wie Wachstum und Stationarität geprägt. Dabei wurden eine zukünftig steigende Auslastung unterstellt und relevante Einflussfaktoren, wie Bevölkerungsentwicklung, technischer Optionenraum, rechtliche Anforderungen, Wirtschaftslage, Klima und öffentliche Akzeptanz technologischer Lösungen als weitgehend konstante und vorhersehbare Größen betrachtet.1 Dieses für das „moderne Infrastrukturideal“2 typische Vorgehen kommt zukünftig an seine Grenzen, da eine verlässliche Vorhersage bedeutender Einflussfaktoren zunehmend schwieriger wird. Eine zentrale Unbekannte ist die Entwicklung der Gesamtnachfrage nach Wasserdienstleistungen der Ver- und Entsorgung, welche für die Auslegung der Kapazitäten die Bemessungsgrundlage darstellt. Um diese zu bestimmen, genügen nicht länger Bedarfsprognosen, die auf der Extrapolation bisheriger Entwicklungsverläufe basieren. Aufgrund dynamischer Veränderungen der absoluten Bevölkerungsanzahl3 und
1 2
Vgl. Hug et al. (2010), S. 488. Vgl. Graham / Marvin (2001), S. 39 ff.
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Norman Bedtke und Erik Gawel
der spezifischen Wassernachfrage4, beides Größen, welche die Gesamtnachfrage von Haushalten determinieren, ist diese Vorgehensweise verstärkt fehleranfällig. Ferner ging die Wassernachfrage der Industrie aufgrund des Rückgangs wasserintensiver Branchen, einer gesteigerten Wassereffizienz sowie der Zunahme an Eigenversorgung und Wiederverwendung deutlich zurück.5 Diese Entwicklungen führten dazu, dass die Gesamtnachfrage in vielen Regionen deutlich unter den früheren Bedarfsprognosen liegt und Infrastruktursysteme oftmals unterausgelastet sind.6 Erschwerend kommt dazu, dass diese Entwicklungen regional höchst unterschiedlich ausfallen und dynamischen Veränderungen unterliegen. Folglich sind verlässliche Aussagen zur längerfristigen Entwicklung der Gesamtnachfrage kaum noch gewährleistet. Die zunehmende Unsicherheit begrenzt sich nicht allein auf die Nachfrageseite. So wurde auch beim Wasserressourcenmanagement jüngst das Ende stationärer Rahmenbedingungen proklamiert.7 Bedingt durch den Klimawandel wird es zukünftig nicht mehr möglich sein, Veränderungen des Wasserhaushalts verlässlich vorherzusagen, da die zu erwartenden Schwankungen zu stark ausfallen. Für das lokale Wasserressourcenmanagement und die darauf aufbauende Infrastrukturplanung fehlt hierdurch eine zentrale Planungsgröße.8 Weiterhin ist bereits abzusehen, dass die Anforderungen an die Wasserinfrastruktursysteme in einer nachhaltigkeitsorientierten Gesellschaft immer strenger und über die alleinigen Aufgaben einer Ver- und Entsorgung mit Wasser hinausgehen werden. Neben den Forderungen nach verbesserter Reinigungsleistung, heute vor allem in Bezug auf anthropogene Spurenstoffe,9 ist es insbesondere die Ressourceneffizienz konventioneller Systemlösungen, die verstärkt hinterfragt wird. Aufgrund der stofflichen und energetischen Zusammensetzung wird die Verwertung der Abwasserressourcen (u. a. Nährstoffgewinnung, Energieerzeugung) zunehmend eine 3 Wenngleich Bevölkerungsprognosen als vergleichsweise valide gelten, sind diese im planungsrelevanten Zeitraum von mehreren Jahrzehnten mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Dies gilt insbesondere für die Infrastrukturplanung bedeutsamen regionalen Bevölkerungsprognosen, da auf kleinräumiger Ebene vermehrt schnelle, wechselhafte und gegenläufige Entwicklungen vorherrschen, siehe dazu Bohk (2012), S. 155 ff.; Just (2011), S. 1 ff. 4 Die Vorhersage der Entwicklung des spezifischen Wasserverbrauchs der Haushalte aufgrund zahlreicher veränderlicher Einflussfaktoren (u. a. Konsumverhalten, technischer Fortschritt im Bereich der Wassereffizienz) als schwierig. So gingen Prognosen im Jahr 1980 von einem Wasserverbrauch von bis zu 219 Litern pro Kopf und Tag [l / (E·d)] im Jahr 2000 aus. Tatsächlich stellte sich für das Jahr 2000 ein durchschnittlicher Verbrauch von 136 l / (E·d) ein, welcher bis 2012 weiter auf 120 l / (E·d) sank, siehe BDEW (2014), S. 3. 5 Vgl. Rothenberger (2003), S. 11; Kluge et al. (2003), S. 29. 6 In einigen größeren Städten in den neuen Bundesländern weisen die Wasserinfrastrukturen im Mittel Auslastungsquoten von weniger als 30 Prozent der ursprünglich angedachten Kapazitäten aus, siehe dazu Koziol (2007), S. 25. 7 Vgl. Milly et al. (2008); Craig (2010). 8 Vgl. Milly et al. (2008), S. 573 f.; Pinnekamp et al. (2008). 9 Vgl. DWA (2008a); Kümmerer (2010); Schärer (2014).
Flexibilität von Wasserinfrastruktursystemen
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Rolle spielen.10 Sofern sich diese gesteigerten Anforderungen im institutionellen Rahmen der Siedlungswasserwirtschaft widerspiegeln, können auch technologische Anpassungen des Systems unterschiedlicher Eingriffstiefe notwendig werden. Dabei können unvorhersehbare Ereignisse den Anpassungsdruck unvermittelt erhöhen. So bewirkt die deutsche Energiewende, die in ihrer Intensität nicht absehbar war, auch eine Neubewertung der Energieeinspar- und -erzeugungspotenziale der Siedlungswasserwirtschaft, die sich in der konventionellen Ausgestaltung durch einen hohen Energieverbrauch auszeichnet.11 Neben den planungsrelevanten Größen verändern sich freilich auch die Optionenräume. Technologischer Fortschritt führte dazu, dass konventionelle Wasserinfrastrukturlösungen nicht länger alternativlos sind und heute eine breite Palette an Technologielösungen bereitsteht. Gerade im Hinblick auf die Erfüllung strengerer Anforderungen im Bereich der Ressourceneffizienz und -rückgewinnung weisen diese neuartigen Lösungen (u. a. neuartige Sanitärsysteme) gegenüber den traditionellen Technologien Vorteile auf und könnten das bestehende System ergänzen oder teilweise ersetzen.12 Die Annahme, dass die Rahmenbedingungen im Zeitablauf weitgehend stabil bleiben, hat folglich keinen Bestand, da sich diese unvorhersehbar und abrupt ändern können. Es muss vielmehr akzeptiert werden, dass ein bedeutender Teil der für die Infrastrukturplanung relevanten Faktoren schwer vorhersehbar ist. Hierbei reicht der Grad der Unsicherheit von einer geringen Kenntnis der Entwicklung (z. B. Entwicklung des Verbrauchs) bis hin zu völliger Unwissenheit (z. B. im Hinblick auf zukünftige Anforderungen und technologische Innovationen).
2. Die Anpassungsfähigkeit konventioneller Wasserinfrastruktursysteme Den Sektoren der Wasserver- und Abwasserentsorgung wird weithin eine ausgesprochen geringe Flexibilität attestiert, nicht zuletzt im Vergleich mit anderen netzgebundenen Versorgungsbereichen (Tabelle 1). Diese Beurteilung bezieht sich dabei üblicherweise auf die Fähigkeit des technischen Systems, mit veränderten Bedarfsmengen umzugehen.13 Diese Aussage muss differenzierter betrachtet werden. Es ist gängige Planungspraxis, die Systemkapazitäten mit einem Sicherheitsaufschlag zu versehen, um hierdurch eine steigende Nachfrage ohne einen Systemumbau abzufangen. Zugleich zeigen Erfahrungen aus Städten mit einem rapiden Bevölkerungsverlust, dass ein Betrieb der Systeme auch mit weniger als 40 Prozent14 der Kapazitätsauslastung
10 11 12 13
Vgl. DWA (2010b); Faulstich / Baron (2014). Vgl. Flasbarth (2012), S. 560 ff. Vgl. Koziol et al. (2006); DWA (2008b). Siehe nur Herz et al. (2002), S. 5; Spirco et al. (2007), S. 71.
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Norman Bedtke und Erik Gawel
möglich ist.15 Da ein relativ breiter Nachfragebereich ohne investive Maßnahmen bedient werden kann, könnte man argumentieren, dass auch konventionelle Wasserinfrastruktursysteme durchaus flexibel mit Veränderungen der Bedarfsstrukturen umgehen können. Die Feststellung einer unzureichenden Flexibilität von Wasserinfrastrukturen ist dennoch berechtigt. Liegen dauerhaft Situationen der Über- oder Unterauslastung vor, welche die technische Funktionsfähigkeit in Frage stellen, werden investive Anpassungsmaßnahmen, wie die Veränderung der Leitungsquerschnitte notwendig. Diese gestalten sich aufgrund der zumeist unterirdischen Verbauung der Kanal- und Leitungsnetze im Netzsektor Wasser als schwierig. Weiterhin können Anpassungsmaßnahmen meist nur unter Berücksichtigung der Kompatibilität mit den bestehenden Strukturen erfolgen.16 Neben rein technischen Anpassungshemmnissen sind es zudem insbesondere die sehr langen wirtschaftlichen Nutzungs- und Abschreibungsdauern der Anlagen, die eine Anpassung erschweren. Ein Austausch kostenintensiver Leitungen und Kanäle vor Ende der geplanten Nutzungsdauern stellt nicht zuletzt aufgrund der prekären Finanzlage zahlreicher Kommunen eine große Herausforderung dar. 17 So können vorzeitige Außerdienststellungen von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens nicht weiter über Gebühren refinanziert werden, und neue Investments in angepasste Infrastrukturen ließen die kommunalen Entgelte u. U. sprunghaft ansteigen, was zu Akzeptanzproblemen führt. Gegenwärtig ist aus diesem Grund in vielen Regionen der neuen Bundesländer die Möglichkeit einer baulichen Anpassung besonders stark eingeschränkt. In diesen Regionen erfolgte ein drastischer Rückgang der Verbrauchsmengen kurze Zeit nach der kostenintensiven Modernisierung der Infrastruktursysteme, die dabei auf zu große Verbrauchsmengen ausgelegt wurden.18 Neben der geringen Anpassungsfähigkeit an veränderte Mengenbedarfe können Wasserinfrastruktursysteme zuweilen auch nur begrenzt auf neue funktionale Anforderungen reagieren. Dies ist zum einen technisch bedingt, da einigen Nachhaltigkeitszielen unter dem vorherrschenden Technologieparadigma nur in Grenzen nachgekommen werden kann. So steht u. a. das Prinzip der Schwemmwasserkanalisation, welches auf hohe Durchflussmengen angewiesen ist, im starken Widerspruch zur Zielstellung erhöhter Wasser- und Energieeffizienz. Auch Ansätze einer Ressourcenrückgewinnung können im zentralen System nur eingeschränkt Anwendung Vgl. Koziol (2007), S. 25. Auch wenn aufgrund funktionaler Einschränkungen betriebliche Maßnahmen (z. B. Netzspülungen) erforderlich werden können und das System keine betriebswirtschaftlich optimale Auslastung erfährt, ist die grundsätzliche Funktionsfähigkeit zumeist nicht in Frage gestellt. 16 Vgl. Spirco et al. (2007), S. 71. 17 Vgl. Reidenbach et al. (2008); Lattmann (2011). 18 Vgl. Moss (2008), S. 436 ff. 14 15
Flexibilität von Wasserinfrastruktursystemen
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Tabelle 1 Anpassungsfähigkeit verschiedener Ver- und Entsorgungssektoren Anpassungsfähigkeit Elektroenergie
Betriebliche Maßnahmen
Investive Maßnahmen (Anpassung, Stilllegung, Rückbau)
+
Veränderung der Schaltzustände
Kabel, Trafostationen
Gas
+/–
Netzänderung, Druckstufenänderung
Leitungen, Druckregelanlagen
Fernwärme
––
Änderungen der Betriebsweise
Trassen, Wärmeübergabestationen, Reduzierung von 4- auf 2-Leitersystem
Trinkwasser
––
Netzänderung, Rohrnetzspülung, Druck- Leitungen, Querschnittsreduzierung, Behälter, Druckerhöhungsanlagen stufenänderung
Abwasser
–
Kanalreinigung
Querschnittsreduzierung, Entlastungsbauwerke
Quelle: Herz et al. (2002), S. 5.
erfahren. Zwar gibt es auch Ansätze einer Ressourcenrückgewinnung innerhalb des zentralen Systems, die dortige Verdünnung und Durchmischung von Teilströmen erschwert jedoch die Rückgewinnung von Nährstoffen. Weiterhin sind Verfahren der Wärmerückgewinnung am Entstehungsort aufgrund der vorherrschenden höheren Abwasserwärme vorteilhafter. Zum anderen spielen auch institutionelle Aspekte eine zentrale Rolle, da diese die technische Entwicklung maßgeblich beeinflussen. Innerhalb der bestehenden institutionellen Rahmenbedingungen (u. a. kommunales Satzungsrecht, technische Regelwerke, Refinanzierung über Gebühren etc.) können alternative Lösungen nur bedingt Anwendung erfahren. Erschwert wird dies dadurch, dass auch die Institutionen im Wassersektor als ausgesprochen anpassungsträge gelten.19
3. Die Notwendigkeit flexibler Ver- und Entsorgungskonzepte Insgesamt kann festgehalten werden, dass der Umgang mit nicht-stationären Rahmenbedingungen eine adäquate Dimensionierung und Ausgestaltung von Wasserinfrastruktursystemen sowohl auf Ver- als auch Entsorgungsseite erschwert und konventionelle Systeme nur begrenzt auf diese dynamischen Veränderungen reagieren können. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Umdenken bei der Planung und Ge-
19
Vgl. Brown / Keath (2008), S. 73 ff.; Kiparsky et al. (2013), S. 395.
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Norman Bedtke und Erik Gawel
staltung von Wasserinfrastruktursystemen geboten, wobei verschiedene Ansätze denkbar sind. Eine Möglichkeit besteht darin, die Systeme durch Reservekapazitäten (Sicherheitsaufschläge, Regenrückhaltebauwerke, Netzdimensionierung) robuster gegenüber Veränderungen der Rahmenbedingungen zu gestalten, um hierdurch die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass Systeme an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen. Ein solches Vorhalten von – meist ungenutzten – Reservekapazitäten geht jedoch mit hohen Kosten einher und kann dennoch nicht immer die erforderlichen Mengen bedienen (z. B. im Fall von Starkregenereignissen). Weiterhin betrifft dies nur einige Aspekte veränderlicher Rahmenbedingungen. Einem starken Rückgang der Nachfragemengen und neuen Systemanforderungen (Ressourcenrückgewinnung) kann hierdurch nicht entsprochen werden, vielmehr stehen die Maßnahmen diesen Zielen sogar entgegen. Eine weitere Möglichkeit kann in dem Versuch gesehen werden, die Planungsprozesse zu verbessern, um hierdurch zukünftige Entwicklungen besser vorherzusagen. Es liegt nahe, dass ein höherer Planungsaufwand und die Verwendung neuer Methoden und Verfahren zu besseren Prognosen und damit adäquateren Infrastruktursystemen führen können.20 Zugleich ist aber anzunehmen, dass auch diese Ansätze in einer nichtstationären dynamischen Umwelt insbesondere bei längeren Prognosezeiträumen an ihre Grenzen kommen. Ein anderer Ansatz könnte folglich darin bestehen, die Infrastruktursysteme von vornherein so zu gestalten, dass diese möglichst flexibel auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren können. Ein solches Vorgehen wird beim Umgang mit Unsicherheiten als erfolgversprechender erachtet, als der Versuch einer Vorhersage, Planung und Kontrolle aller systemrelevanten Faktoren.21 So verwundert es auch nicht, dass zunehmend die Notwendigkeit von flexiblen Wasserinfrastruktursystemen bzw. -konzepten betont wird.22 Jedoch bleibt diese Forderung entweder vage oder es zeigt sich, dass hinsichtlich des konkreten Gehalts von Flexibilität unterschiedliche Vorstellungen vorherrschen. Während von ingenieurswissenschaftlicher Seite üblicherweise technische Optionen als Ansatzpunkt zur Erhöhung der Flexibilität ins Gespräch gebracht werden, weisen sozialwissenschaftliche Arbeiten auf die Bedeutung der institutionellen Rahmenbedingungen hin.
20 Als Beispiel sei die RIF-Methode (Regional Infrastructure Foresight) genannt, bei welcher ein partizipativer Planungsprozess mit den Entscheidungsträgern der Abwasserwirtschaft unter Nutzung regionaler Zukunftsszenarien initiiert wird, siehe dazu Dominguez / Gujer (2006); Truffer et al. (2010); ähnlich Hiessl et al. (2012); zum Einsatz von Verfahren der Unsicherheitsermittlung im Rahmen von Modellprognosen für Abwasserbehandlungsanlagen siehe Belia et al. (2009), S. 1929 ff. 21 Vgl. De Haan et al. (2011), S. 924 mit Verweis auf Allen / Torrens (2005), S. 581 ff. 22 Stellvertretend für viele weitere: Kahlenborn / Kraemer (1999), S. 25 ff.; Hillenbrand / Hiessl (2007), S. 52; Koziol et al. (2006), S. 124; Kluge / Libbe (2006), S. 55; Bieker / Frommer (2010), S. 311 ff.; Laskowski (2012), S. 597.
Flexibilität von Wasserinfrastruktursystemen
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Ziel dieses Beitrags ist es, diese Sichtweisen zusammenführen und der Frage nachzugehen, wodurch sich flexible Wasserinfrastrukturen bzw. -konzepte auszeichnen und welche Maßnahmen eine solche Flexibilität befördern. Aufgrund der technischen und institutionellen Komplexität des Sektors Siedlungswasserwirtschaft ist es nicht der Anspruch des Beitrages, alle Optionen zur Erhöhung der Flexibilität zu dokumentieren. Vielmehr soll die Vielfalt der Themen aufgezeigt werden, die im Zusammenhang mit der Flexibilisierung der Siedlungswasserwirtschaft regelmäßig diskutiert werden, um Handlungsfelder zu identifizieren. Weiterhin sollen die Maßnahmen, die sich hinsichtlich der zeitlichen Umsetzbarkeit, Wirkung und Eingriffstiefe in die bestehenden Strukturen deutlich unterscheiden, kategorisiert werden.
II. Das Konzept der Flexibilität 1. Flexibilität – eine Begriffsannäherung Der Begriff der Flexibilität erfährt alltägliche Anwendung, und dennoch bleibt der konkrete Bedeutungsgehalt oftmals unklar. Gerade bei der Diskussion von Problemlösungen besteht deshalb die Gefahr, dass der Begriff zu einem weitgehend inhaltslosen „Buzzword“23 und einer „rhetorischen Silberkugel“24 verkommt. Aus diesem Grund wird zuallererst die Notwendigkeit einer begrifflichen Schärfung gesehen. Allein in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur findet sich eine unüberschaubare Anzahl an Arbeiten, die sich dem Konzept der Flexibilität in unterschiedlichen Kontexten widmen.25 Bereits in frühen Arbeiten wurde gezeigt, dass sich das Risiko eines Investors mit zunehmender Mobilität der investierten Ressourcen grundsätzlich verringert, da auf veränderte Rahmenbedingungen (u. a. Nachfragesituation) besser reagiert werden kann.26 Diesbezüglich wurde später verstärkt auf den inversen Zusammenhang von Flexibilität und der sog. „Spezifizität“ unternehmerischer Investments hingewiesen:27 Investitionen, die hochspezifisch auf ganz bestimmte Verwendungen ausgerichtet sind und anschließend kaum mehr für anderweitige Nutzungen mobilisiert werden können, schränken den Bewegungsspielraum des Investors stark ein und schaffen institutionelle Pfadabhängigkeiten. Im Rahmen der Theorien der Unternehmung wurde ferner gezeigt, dass die Bedeutung unternehmerischer Flexibilität bei Produktionsanlagen, Investitionen und Portfoliogestaltung sowie im Bereich von Forschung und Entwicklung mit zunehmenden Grad
23 24 25 26 27
Vgl. Carthey et al. (2011). Vgl. Wolff (2011). Eine Übersicht geben Sethi / Sethi (1990). Vgl. Lavington (1921), S. 21. Vgl. Ghemawat / Del Sol (1998), S. 26 ff.; Dewit / Leahy (2004), S. 195 ff.
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Norman Bedtke und Erik Gawel
von Unsicherheit deutlich zunimmt.28 In der jüngeren wirtschaftswissenschaftlichen Literatur konzentriert sich die Suche auf flexible Organisationsstrukturen und Fertigungsstrecken, mit denen unsicheren und unvorhersehbaren Rahmenbedingungen aus unternehmerischer Sicht besser begegnet werden kann.29 Trotz der Vielfalt an Themen ist vielen der Arbeiten gemein, dass sie auf den ökonomischen Wert von Flexibilität verweisen. Bei großtechnischen Wasserinfrastruktursystemen wird dieser vor allem in den Einsparungen gesehen, die mit einer Reduzierung ungenutzter Kapazitäten einhergehen. So vermeidet eine sich näher am tatsächlichen Verbrauch orientierende Kapazitätsvorhaltung die (Opportunitäts-) Kosten einer Bereitstellung von Reservekapazitäten.30 Auch nach jahrzehntelanger Beforschung des Konzepts der Flexibilität zeigt sich, dass Flexibilität aufgrund des „polymorphen“ und „mehrdimensionalen Charakters“ nur schwer zu greifen ist.31 Allgemeinsprachlich wird unter Flexibilität jedenfalls entweder eine körperliche Beschaffenheit im Sinne von Biegsamkeit und Elastizität verstanden oder aber – im übertragenen Sinne – die Fähigkeit, sich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen.32 Das im Rahmen dieses Beitrages verwendete zweite Verständnis, die Fähigkeit zur Anpassung an Wandel, spiegelt sich in einer Vielzahl von Definitionen wider. 33 Wenngleich mit unterschiedlichen Interpretationen wird dabei mit Flexibilität oftmals die Bandbreite möglicher Optionen und eine damit verbundene Anpassungszeit adressiert.34 Dabei wird zugleich zwischen einer statischen und einer dynamischen Komponente von Flexibilität unterschieden. Mandelbaum definiert hierfür Flexibilität als „the ability to respond effectively to changing circumstances“35 und schlägt weiterhin die Unterscheidung in „state flexibility“ und „action flexibility“ vor.36 Während Erstere die Fähigkeit adressiert, die Funktion eines Systems trotz veränderter Rahmenbedingungen aufrecht zu erhalten, bezieht sich Letztere auf die Fähigkeit Maßnahmen vor dem Hintergrund von Veränderungen ergreifen zu können.37 Ähnlich argumentiert Slack, welcher zwischen einer „range flexibility“, der Bandbreite möglicher Optionen“ und der „response flexibility“, der benötigten Zeit für die Umsetzung der Maßnahmen unterscheidet.38 Diese beiden Arten von FlexiVgl. Marschak / Nelson (1962), S. 57. Vgl. Slack (1983), S. 4; Golden / Powell (2000), S. 73. 30 Vgl. Hug et al. (2010), S. 496 f. 31 Siehe dazu die Literaturübersichten von Sethi / Sethi (1990); De Toni / Tonchia (1998) mit weiteren Quellen. 32 Vgl. Bibliographisches Institut GmbH (2013). 33 Vgl. Sethi / Sethi (1990), S. 295; De Toni / Tonchia (1998), S. 1590 ff. 34 Siehe dazu die umfangreiche Aufarbeitung der Literatur von De Toni / Tonchia (1998), S. 1590 ff. 35 Mandelbaum (1978), S. 20. 36 Mandelbaum (1978) nach Sethi / Sethi (1990), S. 292. 37 Vgl. Mandelbaum (1978). 28 29
Flexibilität von Wasserinfrastruktursystemen
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bilität können unterschiedlich stark ausgeprägt sein und sich zuweilen wechselseitig beeinflussen.39 Weiterhin wird hervorgehoben, dass Flexibilität nur dann gegeben ist, wenn die Anpassung mit einem geringen Aufwand einhergeht. Upton definiert Flexibilität als „the ability to change or react with little penalty in time, effort, cost, or performance“.40 Der Punkt der geringen Anpassungsmühen ist bedeutend, denn unter Einsatz vieler Ressourcen und bei entsprechend langen Anpassungszeiträumen könnte ansonsten jedes System als flexibel verstanden werden. Regelmäßig wird deshalb auch auf den engen Zusammenhang von Zeit und Kosten verwiesen.41 So kann die Anpassungszeit durch zusätzliche Kosten oftmals verkürzt werden und umgekehrt können die Kosten reduziert werden, wenn die Zeit für die Anpassung verlängert wird. 42 Unter Berücksichtigung der genannten Punkte kann Flexibilität vollständig beschrieben werden als:43 – die gesamte Bandbreite bzw. Anzahl möglicher Zustände, – die Zeit, die es benötigt, um von einem Zustand zu einem anderen zu wechseln, – die erforderlichen Kosten, um den Zustand zu verändern.
Dabei zeigt sich das Problem, dass Flexibilität nur schwer konkret zu operationalisieren ist. Augenscheinlich müssen Systeme, die sich durch lange Anpassungszeiten (bzw. hohe Anpassungskosten) und einen engen Alternativenraum auszeichnen, als inflexibel erachtet werden, während eine kurze Anpassungszeit und viele Optionen für eine hohe Flexibilität sprechen. Möchte man die Flexibilität eines Systems erhöhen, so kann dies eine Erweiterung der Optionen oder aber die Verkürzung der Anpassungszeiten bedeuten. Welche dieser beiden Maßnahmenkategorien letztendlich zu einer höheren Systemflexibilität beiträgt, kann hingegen nur schwer bestimmt werden (siehe Abbildung 1). Zwar existieren Ansätze, um Flexibilität messbar zu machen und hierdurch Entscheidungsalternativen hinsichtlich ihrer (späteren) Flexibilität in eine Rangordnung bringen können,44 deren Praxistauglichkeit wird jedoch von der Komplexität der Sachverhalte und der Datenverfügbarkeit maßgeblich beeinflusst. Vgl. Slack (1983), S. 39. So zeichnen sich Fertigungsstrecken, die eine ausgeprägte Flexibilität bei der Bandbreite aufweisen, üblicherweise durch eine schlechtere Flexibilität bei der zeitlichen Anpassung aus und umgekehrt, siehe Slack (1983), S. 39. 40 Upton (1994), S. 73. 41 Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Anpassungszeit und Kosten verzichten viele Arbeiten auf eine Unterscheidung, siehe dazu De Toni / Tonchia (1998), S. 1591. 42 Vgl. Slack (1983). 43 Vgl. Slack (1983), S. 8; De Toni / Tonchia (1998), S. 1591. 44 So finden sich im Bereich der Regenwasserbewirtschaftung ingenieurswissenschaftliche Ansätze und Methoden, um die Flexibilität verschiedener Systemlösungen abzubilden und zu bewerten, siehe dazu Helm et al. (2009); Eckart et al. (2010); Peters et al. (2011). 38 39
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Norman Bedtke und Erik Gawel
kurz (niedrig)
Wenige
geringe Flexibilität
unbestimmt
Viele
Alternativenraum
Anpassungszeit / (-kosten) lang (hoch)
unbestimmt
hohe Flexibilität
Quelle: eigene Erstellung.
Abbildung 1: Dimensionen von Flexibilität
Der Flexibilitätsbegriff weist Schnittmengen mit einer Vielzahl ähnlich gelagerter Begriffe und Konzepte auf. Wenngleich die Begriffe allesamt die Fähigkeit eines Systems im Umgang mit Veränderungen adressieren, bestehen einige Unterschiede bei der Verwendung der Konzepte (siehe Tabelle 2).45 Die Unterschiede bestehen zum einen bezüglich der adressierten Zeithorizonte. So kann sowohl der Wandel der Rahmenbedingungen, der abrupt in Form von Schocks oder Störungen (z. B. Naturkatastrophen) aber auch in Form langfristiger Veränderungen (z. B. Klimawandel, demografischer Wandel) auftreten kann, aber auch die Reaktion (permanent, einmalig) unterschiedliche Zeitskalen umfassen. Weiterhin kann die Fähigkeit eines Systems, mit den Folgen von Wandel umzugehen, aktiv gestaltet werden oder bereits eine inhärente Eigenschaft des Systems darstellen. Flexibilität ordnet sich bei dieser Kategorisierung als ein Konzept ein, welches auf den Umgang mit langfristigen Veränderungen abzielt, bei dem der Wandel regelmäßig vorhergesehen wird und deshalb ein System aktiv daraufhin vorbereitet wurde. „Damit grenzt sich ‚Flexibilität‘ zugleich von ‚Anpassungsfähigkeit‘ (adaptivity) ab: Bei Letzterer ist ein System nur grundsätzlich in der Lage, im Wege später erst zusätzlich zu ergreifender Anpassungsschritte die nötige Anpassung vorzunehmen; ein bloß anpassungsfähiges System ist aber noch nicht in dem Sinne ‚flexibel‘, dass es schon aus sich heraus, also in der jetzigen Systemauslegung und lediglich durch Umnutzung, auch mit veränderten Bedingungen zurecht kommen kann.“ 46 45 Mit Hilfe eines Data-Mining-Verfahrens wurden von De Haan und Kollegen 11.000 wissenschaftliche Artikel ausgewertet, um den Bedeutungsgehalt der Begriffe näher zu spezifizieren und Ko-Notationen zu identifizieren, siehe dazu De Haan et al. (2011), S. 923 ff. 46 So handelte es sich um ein flexibles Verkehrs-System, wenn bereits ein bestimmter UBahn-Tunnel für den späteren Anschluss eines neuen Stadtteils prophylaktisch und im Vorgriff
Flexibilität von Wasserinfrastruktursystemen
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Diesem grundlegenden Verständnis von Flexibilität soll im Rahmen dieser Arbeit gefolgt werden, da eine flexible Auslegung von Wasserinfrastruktursystemen vor dem Hintergrund langfristiger Veränderungen erfolgt, hierdurch eine langfristige Aufgabe darstellt und zugleich Maßnahmen betrachtet werden, mit denen aktiv auf einen flexiblen Umgang mit Veränderungen hingewirkt werden soll.47 Tabelle 2 Abgrenzung des Flexibilitätsbegriffs von ähnlichen Konzepten
Flexibilität – Umgang mit langfristigen Veränderungen – Wandel wird (oftmals) vorhergesehen – ein flexibles System ist auf den Umgang mit Veränderungen (weitgehend) durch präventive Systemauslegung vorbereitet – umfangreicher Wandel, dessen Reichweite vorab nicht spezifiziert ist – impliziert geringe Kosten einer Anpassung
AnpassungsFähigkeit
Resilienz
– Umgang mit lang- – Umgang mit kurzfristigen fristigen VerändeVeränderungen rungen (Schocks / – Wandel wird nicht Störungen) vorhergesehen – ein anpassungsfä- – Wandel wird (eher) nicht higes System ist vorhergesehen nur grundsätzlich vorbereitet mit den – das resiliente System besitzt Folgen der Verdie Fähigkeiten, änderungen umum sich von den zugehen Folgen der – konkrete AnpasVeränderungen sung setzt aber zu erholen weitere Eingriffe („bouncing in das System back“) voraus – Fähigkeit des Wandels nur innerhalb bestehender Grenzen
Robustheit – (tendenziell) Umgang mit langfristigen Veränderungen – Wandel wird nicht vorhergesehen – Umgang mit Wandel erfolgt ohne ein System zu verändern, da ein robustes System bereits in der Lage ist, die Folgen der Veränderungen zu absorbieren – bezieht sich eher auf Vorkehrungen, die getroffen werden, um mit unerwarteten Ereignissen umgehen zu können (z. B. Kapazitätsvorhaltung) – geht tendenziell mit hohen Kosten einher
Quelle: eigene Erstellung nach den Inhalten von De Haan et al. (2011), S. 931; Spirco et al. (2007), S. 74.
ausgebaut wurde. Hier wurde aktiv eine Maßnahme ergriffen, um ggf. später bei verändertem Bedarf unter wenig Aufwand das System anders einzusetzen („prepared for the change and only needs to be employed differently“ – De Haan et al. (2011), S. 931). Ein anpassungsfähiges U-Bahn-Netz wäre dagegen bereits dann gegeben, wenn es die Umstände (z. B. geeignete Trassenführung, Baurecht) erlauben, dies in längerer Frist umzubauen, wenn mit einmal neuer Bedarf bestehen sollte („ability to change along with the circumstances“ – De Haan et al. (2011), S. 931). 47 Wenngleich diesem Verständnis von Flexibilität gefolgt wird, werden die Begriffe Anpassungsfähigkeit und Flexibilität im Folgenden synonym verwendet. Auch in der Literatur zur Transformation von Wasserinfrastruktursystemen erfolgt üblicherweise keine Differenzierung zwischen Anpassungsfähigkeit und Flexibilität, vgl. u. a. Bieker / Frommer (2010), S. 311; Horn et. al (2013), S. 674.
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Weiter oben wurde gezeigt, dass konventionelle Wasserinfrastruktursysteme als insgesamt wenig anpassungsfähig gelten. Unter Verwendung des erarbeiteten Flexibilitätsverständnisses zeigt sich, dass diese Inflexibilität regelmäßig nicht dadurch begründet werden kann, dass ein Mangel an Anpassungsoptionen vorherrscht. Sowohl auf technologischer wie auch institutioneller Seite stehen eine Vielzahl von Optionen bereit, mit denen veränderten Rahmenbedingungen adäquat begegnet werden kann. Die technische Inflexibilität begründet sich vielmehr durch die langen Nutzungs- und Lebensdauern der Systeme sowie den hohen Installations- und Einrichtungskosten sowohl der technischen Systeme als auch des Institutionenrahmens. Die zur Bewältigung der Veränderungen erforderlichen Maßnahmen können unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten üblicherweise erst zum Ende der Nutzungsdauern ergriffen werden, da ansonsten bedeutende Abschreibungssummen sowie neue Installationskosten erforderlich werden. Eine regelmäßige Anpassung der Systeme an neuer Erfordernisse und Nachfragebedingungen würde folglich mit prohibitiv hohen Kosten einhergehen. Von daher scheinen insbesondere Maßnahmen zur Flexibilisierung von Wasserinfrastruktursystemen geeignet, welche die Anpassungszeiten verkürzen und / oder die hierbei anfallenden Kosten verringern. Die institutionelle Inflexibilität dürfte maßgeblich die Folge vielfältiger Interessenkonflikte in Bezug auf die Ausgestaltung der Ver- und Entsorgungsdienste sein, verbunden mit insgesamt eher geringer öffentlicher Sensibilisierung für die Problematik, was den politischen Handlungsdruck gering hält. Zudem werden hohe Transaktionskosten von Umstellungen gescheut. Dies führt insgesamt zu einer gewissen Lähmung des politischen Reformprozesses, wie am Beispiel der Debatte um eine verbesserte Wirtschaftlichkeit der Wasserver- und Abwasserentsorgung in Deutschland deutlich wird.48 Es ergeben sich institutionelle Pfadabhängigkeiten trotz offensichtlicher Verbesserungsoptionen. 2. Kategorisierung der Maßnahmen zur Flexibilisierung der Siedlungswasserwirtschaft Will man die in vielfältiger Weise geäußerten Forderungen nach Flexibilität im Wassersektor näher präzisieren, so ergibt sich eine Vielzahl an Maßnahmen, welche sich hinsichtlich zahlreicher Merkmale unterscheiden. Im Rahmen dieses Beitrages soll hinsichtlich der folgenden Kriterien unterschieden werden: – Sektorale Wirkung: Die Siedlungswasserwirtschaft umfasst die Sektoren der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung. Maßnahmen zur Erhöhung der Flexibilität können sektorenübergreifend wirken, aber auch auf jeweils einen der beiden Sektoren begrenzt sein. – Zeitliche Umsetzung und Wirkung: Die Maßnahmen können dahingehend unterschieden werden, in welcher Geschwindigkeit diese umgesetzt werden können 48
Siehe dazu insbesondere Schönefuß (2004); Janda (2012), S. 135 ff.; Gawel / Bedtke (2013).
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und wann sie ihre Wirkung entfalten. Neben kurzfristig umsetzbaren Beiträgen zur Flexibilität der Siedlungswasserwirtschaft, können andere Maßnahmen langwierige Prozesse darstellen, die ihre Wirkung erst nach mehreren Jahrzehnten entfalten. – Eingriffstiefe in das System: Flexibilitätserhöhende Maßnahmen können unterschiedlich starke Eingriffe in die Strukturen sozio-technischer Systeme erforderlich machen. Dies reicht von inkrementellen Eingriffen, bis hin zu Formen radikalen Wandels, bei dem grundlegende Neuordnungen und Neukonfigurationen der technischen und institutionellen Strukturen erforderlich werden. 49 – Zielstellung: Die Maßnahmen können das Ziel erhöhter Flexibilität in unterschiedlicher Weise adressieren. So kann es das vorrangige oder gar ausschließliche Ziel einer Maßnahme sein, die Flexibilität des Systems zu erhöhen. Es ist aber auch denkbar, dass weitere Zielstellungen verfolgt werden oder gar die Flexibilität als Nebenprodukt aus dem Verfolgen eines übergeordneten Ziels resultiert. – Flexibilisierungswirkung: Weiterhin kann unterschieden werden, ob die Erhöhung der Flexibilität durch eine Erweiterung des Optionenraums, durch kürzere Anpassungszeiten und oder geringere Anpassungskosten erreicht wird.
III. Flexible Wasserinfrastruktursysteme 1. Flexibilität von sozio-technischen Systemen Unter Wasserinfrastruktursystemen werden vornehmlich die technischen Komponenten verstanden, die zur Realisierung der Wasserver- und Abwasserentsorgung benötigt werden. Hierzu zählen insbesondere die Leitungs- und Kanalnetze der Verund Entsorgung sowie die Klär- und Wasserwerke. In einem breiteren Verständnis von Wasserinfrastruktur umfasst dies auch alle weiteren Bauwerke (Talsperren, Fernversorgungsysteme, Pumpenhäuser, Wassertürme etc.), die benötigt werden, um die Dienstleistungen der Wasserwirtschaft bereitzustellen. Zugleich besteht das Gesamtsystem aus einer Vielzahl nicht-technischer Elemente (Akteure, Institutionen), welche zur Organisation, Koordination und Steuerung der technischen Komponenten benötigt werden. In ungezählten Forschungsarbeiten finden sich Konzepte, die das Zusammenspiel von technischen und nicht-technischen Elementen berücksichtigen.50 Hierzu zählen u. a. die frühen Arbeiten zu großtechnischen Systemen,51 neuere Arbeiten zu sozio49 Dolata weist jedoch darauf hin, dass im Zuge sozio-technischer Transformationen selbst ein radikaler Wandel letztlich das Ergebnis gradueller Veränderungsprozesse darstellt, siehe Dolata (2011a), S. 265 ff. 50 Siehe dazu auch Bedtke (2015) m. w. Nachweisen. 51 Vgl. Hughes (1983); Mayntz / Hughes (1988).
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technischen Regimen im Rahmen der Transition-Forschung52 sowie Arbeiten der Innovationsökonomik53 und Techniksoziologie.54 Wenngleich zahlreiche „soziotechnische“ Ansätze existieren, haben alle Konzepte gemein, dass sie auf die Bedeutung des Zusammenhangs zwischen technischen und sozialen Elementen hinweisen.55 Auch im Kontext einer Flexibilisierung von Wasserinfrastruktursystemen erfordert die wechselseitige Beeinflussung technischer und institutioneller Einzelkomponenten eine integrative Betrachtung. Die flexible Ausgestaltung von Wasserinfrastruktursystemen erfordert Veränderungen auf technischer Ebene, wobei dies die Erhöhung der Leistungsfähigkeit bestehender Komponenten, aber auch die Verwendung neuer Systemlösungen umfassen kann. Zugleich sind die technischen Systeme in ein breites institutionelles Rahmenwerk eingebettet, so dass kaum technische Änderungen erfolgen können, die nicht zugleich Anpassungen des bestehenden Institutionenrahmens erforderlich machen. Unter „Institutionen“ versteht man dabei – der Neuen Institutionenökonomik folgend – formelle und informelle Regeln und Regelsysteme, mit denen individuelles Verhalten gesteuert werden kann, einschließlich ihrer Durchsetzungsmechanismen.56 Man unterscheidet dabei Organisationen, Normen (rechtliche, soziale) und gesellschaftliche Entscheidungsverfahren, z. B. Märkte oder das „Hierarchieprinzip“ (etwa in Gestalt ordnungsrechtlicher Ge- und Verbote). Folglich stellt sich auch die Frage, wie derartige Institutionen ausgestaltet sein müssen, um ein flexibles (bzw. flexibleres) Gesamtsystem zu gestalten. Obwohl die Arbeiten zu sozio-technischen Systemen die „Verwobenheit“ von technischer und institutioneller Dimension betonen,57 soll aus Darstellungsgründen im Folgenden zwischen technologischen und institutionellen Ansatzpunkten zur Erhöhung der Systemflexibilität unterschieden werden, wobei jedoch auf die jeweiligen Zusammenhänge verwiesen wird.
2. Technologische Flexibilität Im Folgenden sollen Ansatzpunkte vorgestellt werden, mit denen die technologische Komponente des sozio-technischen Systems der Siedlungswasserwirtschaft flexibler gestaltet werden kann. Dabei sollen sowohl Maßnahmen aufgezeigt werden, die innerhalb des dominierenden Technologieparadigmas verbleiben [Abschnitt III.2.a)], als auch innovative technische Lösungen [III.2.b)]. 52 53 54 55 56 57
Vgl. Geels (2002). Vgl. Nelson / Winter (1982). Vgl. Rohracher (2007); Dolata (2011b). Für einen Überblick, siehe Geels (2004), S. 897 ff.; Büscher / Schippl (2013), S. 11 ff. Vgl. Richter / Furubotn (2010), S. 7 mit Verweis auf Schmoller (1900), S. 61. Vgl. Hughes (1986).
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a) Technische Flexibilisierungspotenziale im konventionellen System Wenngleich sich konventionelle Wasserinfrastruktursysteme durch eine insgesamt geringe Flexibilität auszeichnen, bestehen auch unter Beibehaltung des vorherrschenden technologischen Paradigmas (Netzgebundenheit, Zentralität) Ansatzpunkte, um die Flexibilität der Systeme zu erhöhen. Einige der Optionen zielen darauf ab, die zukünftige Anpassungsfähigkeit der Systeme an veränderte Verbräuche sicherzustellen, um damit z. B. technische Probleme oder einen unwirtschaftlichen Betrieb auszuschließen. Hierbei bestehen vielfältige Optionen. (1) Einfachere Technik / kürzere Nutzungsdauern: Eine Möglichkeit besteht in der Verwendung von einfacherer Technik mit kürzeren Nutzungsdauern, wobei dies nicht gleichbedeutend damit ist, dass qualitative Abstriche im Bereich der Wasserdienstleistungen hinzunehmen sind. Es bestehen jedoch erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Kosten und Lebensdauern bei den verwendeten Werkstoffen. Die gegenwärtige Praxis sieht üblicherweise vor, die Systeme auf möglichst lange Zeiträume auszulegen, weshalb bei Neuerschließungen und Sanierungen langlebige und damit zumeist kostenintensive Materialien Verwendung finden, die Nutzungs- und Abschreibungsdauern im Bereich von 100 Jahren und länger aufweisen können.58 Der Einsatz von Bauwerken und Maschinentechnik mit kürzeren Lebenszeiten eröffnet die Möglichkeit, dass nach dem Ablauf einer vergleichsweise kurzen Nutzungsdauer neue Systemlösungen zum Einsatz kommen, die dann veränderten Rahmenbedingungen und technischen Fortschritt Rechnung tragen können. Damit verbunden ist die Auslegung der Sicherheitsreserven der Systeme, die bei geringerer Nutzungsdauer reduziert werden können.59 (2) Begehbare Leitungsgänge für Ver-und Entsorgungsnetze: Die bauliche Anpassung netzgebundener Wasserinfrastruktursysteme wird durch die meist unterirdische Verbauung erschwert, da regelmäßig Bodenarbeiten und Straßenabsperrungen für einen Leitungsaustausch notwendig werden.60 Eine höhere Systemflexibilität kann deshalb durch den Aufbau begehbarer Leitungsgänge für Ver- und Entsorgungsnetze erreicht werden, mit denen ein Austausch von Rohren und Leitungen zur Anpassung an veränderte Bedarfsmengen und die Integration neuer technischer Lösungen sehr kostengünstig und schnell durchführbar sind.61 Ein weiterer Vorteil dieses Ansatzes ist die Möglichkeit der Zusammenführung aller notwendigen Leitungen der Ver- und Entsorgung, also neben Trink- und Abwasser auch Gas, Strom, Telekommunikation und Fernwärme.62
Vgl. LAWA (2012). Vgl. Bellefontaine et al. (2010), S. 678. 60 Die Reduzierung des Anpassungsaufwands spricht demnach auch für den grabenlosen Leitungsbau als Flexibilisierungsmaßnahme, siehe Tauchmann et al. (2006), S. 147. 61 Vgl. Tauchmann et al. (2006), S. 143 ff., Pfeiffer et al. (2006), S. 34. 62 Vgl. Pfeiffer et al. (2006), S. 34. 58 59
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Die erhöhte Flexibilität resultiert bei diesen beiden Maßnahmen vor allem aus den zukünftig kürzeren Anpassungszeiten. Zugleich erhöht sich der Alternativenraum zukünftiger Optionen, bspw. im Fall begehbarer Leitungsgänge, welche die Integration neuer Technologien in das Gesamtsystem vereinfachen. Andere Maßnahmen zielen dagegen darauf ab, die Funktionsfähigkeit des bereits bestehenden Systems und / oder dessen Wirtschaftlichkeit trotz des Wandels zu erhalten bzw. zukünftig zu verbessern: (3) Erschließen neuer Kundengruppen:63 Um die Folgen der fehlenden Auslastung der Wasserversorgung abzudämpfen, besteht die Möglichkeit, freigewordene Kapazitäten zur Belieferung bisheriger Eigenversorger einzusetzen. Hierzu zählt insbesondere die Kundengruppe der Landwirtschaft, deren Bewässerungsbedarf in einigen Städten eine Größenordnung aufweist, die dem Rückgang des Bedarfs der Bevölkerung entspricht. Die hierfür notwendigen investiven Maßnahmen werden als gering erachtet.64 (4) Co-Vergärung: Der im Rahmen der Abwasserreinigung anfallende Klärschlamm wird in größeren Kläranlagen üblicherweise zur Biogaserzeugung vergärt, um Strom und Wärme zu gewinnen. Bei einer Unterauslastung der Faulbehälter ist die Verwertung weiterer vergärbarer Substrate (u. a. Bioabfälle) unter bestimmten technischen Voraussetzungen möglich. Die Maßnahme zielt folglich darauf ab, freigewordene Kapazitäten zu nutzen und die Folgen einer bestehenden Unterauslastung eines Teils der Systeme abzudämpfen.65 (5) Kanalnetzsteuerung: Bei Mischwasserkanalisationen besteht im Fall von Extremwetterereignissen die Gefahr der Überlastung, wodurch es zum Überlauf ungeklärter Abwässer in den Vorfluter kommen kann (Entlastungsereignisse). Um diesem zu begegnen, kann neben der Möglichkeit des Ausbaus von Reservekapazitäten (z. B. Regenrückhaltebecken) die Installation einer Kanalnetzsteuerung erfolgen. Mit dieser Maßnahme kann das Abflussgeschehen der Kanalisation aktiv gesteuert werden, wodurch einerseits die Auslastung der Kläranlage verbessert, aber auch das Speichervolumen in der Kanalisation besser genutzt werden kann. Die wenigen Beispiele verdeutlichen bereits, dass die Optionen, die zur Erhöhung der Flexibilität von Wasserinfrastruktursystemen diskutiert werden, sich im Hinblick auf die adressierten Ziele, den Sektor, die zeitliche Dimension, die Eingriffstiefe in die bestehenden technischen Strukturen und damit auch die verbundenen Flexibilisierungspotenziale deutlich unterscheiden (siehe Tabelle 3). Das Erschließen neuer Kundengruppen und die Co-Vergärung sind Maßnahmen, die mit relativ geringem technischem Aufwand und kurzfristig umsetzbar sind. 63 Das Erschließen neuer Kundengruppen kann als ebenfalls als institutionelle Option angesehen werden. Jedoch werden hierbei auch technische Anpassungen, u. a. die Verlegung neuer Leitungen, notwendig. 64 Vgl. Prinzler (2013), S. 18 ff. 65 Vgl. Tauchmann et al. (2006), S. 135 ff.; Koch (2009).
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Hierdurch erhöht sich der Spielraum der Systeme dahingehend, dass der Unterauslastungsproblematik durch eine alternative Verwendung der vorhandenen Kapazitäten entgegengewirkt werden kann. Zugleich zeichnen sich beide Maßnahmen – aus technischer Sicht – durch eine hohe Reversibilität aus. Die Maßnahmen bedeuten jedoch nur eine Nutzung bestehender Flexibilisierungspotenziale eines konventionellen Systems, also eine mit relativ geringen Anpassungsmühen verbundene Reaktion auf die veränderten Bedarfsstrukturen die auf eine Erweiterung des Optionenraums abzielt. Die alleinige Umsetzung dieser Maßnahmen wird jedoch keine weitreichende Flexibilisierung in der Zukunft bewirken, da grundlegende Systemeigenschaften, welche eine geringe Anpassungsfähigkeit begründen, unverändert bleiben. Zugleich sind den Maßnahmen vielfältige Grenzen gesetzt. So kann einem anhaltenden Rückgang der Wassernachfrage nicht unbegrenzt durch das Erschließen neuer Kundengruppen begegnet werden. Weiterhin wird die Unterauslastung der Abwasserentsorgung hierdurch nicht adressiert. Die Tragweite der technischen Flexibilisierung ändert sich erst bei Maßnahmen wie kürzeren Nutzungsdauern, begehbaren Leitungsgängen und einer Kanalnetzsteuerung, die als eine graduelle Anpassung des konventionellen Systems verstanden werden können. Unter Beibehaltung des grundlegenden technologischen Paradigmas netzgebundener Ver- und Entsorgungssysteme erfolgt eine Umsetzung von Maßnahmen, welche die netzgebundene Systeme zukünftig z. T. deutlich flexibler auf veränderte Bedarfsstrukturen und im Fall begehbarer Leitungsgänge auch auf technische Neuerungen reagieren lassen können. Allerdings benötigt die technische Realisierung einige der Maßnahmen deutlich länger Zeit. Während eine Kanalnetzsteuerung relativ kurzfristig umgesetzt werden kann, sollte ein Austausch langlebiger durch kurzlebige Komponenten allein aus Wirtschaftlichkeitsüberlegungen regelmäßig am Ende der regulären Nutzungsdauern erfolgen. Der Aufbau eines umfassenden, zugleich mit anderen Versorgungsleitungen (Gas, Elektrizität, Fernwärme, Kommunikation) abgestimmten, begehbaren Leitungsganges sollte im Rahmen (abgestimmter) notwendiger Erneuerungsmaßnahmen erfolgen. Da hierbei die Abkehr vom konventionellen Ansatz des Leitungsbaus erfolgt, kann die Maßnahme als größerer Eingriff in die bestehenden Systemstrukturen ausgewiesen werden, die eine längere Zeit der Umsetzung benötigt und zudem vermutlich hohe Investitionskosten bewirkt. Jedoch verspricht die Maßnahme eine langfristig höhere Flexibilität und sektorenübergreifende Synergieeffekte.66
66
Vgl. Pfeiffer et al. (2006), S. 34 ff.
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Norman Bedtke und Erik Gawel Tabelle 3 Technische Flexibilisierungspotenziale im konventionellen System (Auswahl)
Maßnahme
Sektor
Zeitliche Umsetzung
Eingriffstiefe in das System
Ziel
Bewertung der Flexibilität
gering bis mittel, da lediglich Verwendung anderer Materialien
Erhöhung der zukünf- – Verkürzung der zutigen Anpassungsfäkünftigen Anpashigkeit insbesondere sungszeiten im Hinblick auf eine – langfristige Erhöadäquate Auslastung hung der der Systeme Flexibilität durch Veränderung der Systemeigenschaften
mittel bis hoch, da Abkehr von konventioneller Leitungsverlegung
Erhöhung der zukünf- – Verkürzung der zutigen Anpassungsfäkünftigen Anpashigkeit insbesondere sungszeiten im Hinblick auf eine – langfristige Erhöadäquate Auslastung hung der der Systeme, aber auch Flexibilität durch in Bezug auf die InVeränderung der tegration neuer TechSystemeigennologielösungen schaften
Abwasser mittelfristig Kanalnetzsteuerung
gering, Implementation in bestehendes Kanalnetz
– Erhöhung der – Erweiterung des Speicherkapazitäten Optionenraums im bestehenden bei StarkregenerSystem eignissen – Optimierung der – Langfristige ErhöKläranlagenauslashung der Flexibilität tung durch Veränderung der Systemeigenschaften
Co-Vergärung
gering, ggf. technische Anpassung der Faultürme
– Ausnutzung freier – Ausnutzung besteReservekapazitäten hender Flexibilitätsvon Faultürmen potenziale – Erhöhung der Wirt- – Erweiterung des schaftlichkeit Optionenraums beim Problem der – Ausnutzung der Unterauslastung Energieund der Zielstellung erzeugungspotenziRessourcenale effizienz – keine wesentliche Veränderung der Systemflexibilität
Kürzere Nutzungsdauern
Trink- und mittel- bis langAbwasser fristig, erfordert sukzessiven Umbau des bestehenden Leitungssystems und bestehender Anlagenbestände
Trink- und BegehAbwasser bare Leitungssysteme
mittel- bis langfristig, erfordert sukzessiven Umbau des bestehenden Leitungssystems
Abwasser kurzfristig möglich
Erschlie- Trinkßen neuer wasser Kundengruppen
kurz- bis mittel- gering, ggf. neue Entschärfung der wirtschaftlichen und fristig möglich Leitungsnetze technischen Folgen notwendig der Unterauslastung des Leitungsnetzes
Quelle: eigene Erstellung.
– Ausnutzung bereits bestehender Flexibilitätspotenziale – Erhöhung des Optionenraums bei Unterauslastung – keine wesentliche Veränderung der Systemflexibilität
Flexibilität von Wasserinfrastruktursystemen
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b) Technische Flexibilisierung durch alternative Systemlösungen Aufgrund der technisch bedingten Inflexibilität konventioneller Wasserinfrastruktursysteme kann eine umfassende Systemflexibilisierung nur mit Hilfe veränderter Systemlösungen erreicht werden. Ein solcher technischer Paradigmenwechsel stellt seit geraumer Zeit den Kern einer Vielzahl von Forschungsaktivitäten dar, die sich einer Transformation von Wasserinfrastruktursystemen widmen.67 Tenor dieser Arbeiten ist es, dass eine (teilweise) Abkehr von netzgebundenen großtechnischen Systemen notwendig wird, um bestimmten Nachhaltigkeitsanforderungen gerecht zu werden, da neben der Forderung nach Ressourceneffizienz insbesondere die zukünftige Flexibilität für Modularität und (semi-)dezentrale Ansätze streitet. Die im Rahmen der Transformationsdiskussion genannten technischen Lösungen sind dabei äußerst vielfältig. Zentrale Themen sind hierbei: (1) (Semi-)dezentrale Abwasserbehandlung: Seit geraumer Zeit werden – vornehmlich für den ländlichen Raum – (semi-)dezentrale Entsorgungslösungen als Alternative zu zentralen netzgebundenen Systemen diskutiert. Dezentrale Systeme umfassen zahlreiche Ausprägungen, die von Einzellösungen (z. B. Kleinkläranlagen) bis hin zum Zusammenschluss mehrerer Haushalte (Gruppenlösungen) reichen und die sich hinsichtlich ihres Umgangs mit Niederschlags-, Schmutzwasser und Klärschlamm sowie der Verantwortlichkeiten der Akteure merklich unterscheiden können.68 Einen Beitrag zur erhöhten Flexibilität der Siedlungswasserwirtschaft leisten (semi-)dezentrale Systeme dadurch, dass auf weitreichende Kanalnetze zum Abtransport der Abwässer verzichtet wird und die Systeme zugleich kürzere Nutzungsdauern aufweisen. Hierdurch ist eine adäquate Ausrichtung der Entsorgungslösungen an die veränderlichen Bedarfsstrukturen deutlich besser zu leisten. Auch im Hinblick auf die Implementation neuartiger Technologielösungen weisen dezentrale Systemansätze eine größere Offenheit als zentrale Ansätze auf. 69 (2) Neuartige Sanitärsysteme (NASS): Vor allem im Bereich der Abwasserentsorgung werden eine Vielzahl von Optionen neuartiger Sanitärsysteme (NASS) diskutiert, die sich eine weitgehende Nutzung der Ressourcen des Abwasserstroms verfolgen. Dies spricht grundsätzlich für eine Stoffstromtrennung, weshalb üblicherweise eine Erfassung, Ableitung, Behandlung und Wiedernutzung von Teilströmen
67 Zur Transformation von Wasserinfrastruktursystemen, siehe u. a. Kluge / Libbe (2006); Koziol et al. (2006); Tauchmann et al. (2006). 68 Eine klare Einordnung technischer Lösungen in Kategorien wie dezentral oder zentral gestaltet sich aufgrund der Vielfalt technologischer Optionen als schwierig. Im Folgenden werden unter dezentralen Ansätzen Einzellösungen (z. B. Kleinkläranlagen) verstanden, während semi-dezentral für den Zusammenschluss mehrerer Haushalte (Gruppenlösungen) steht, siehe dazu Geyler / Holländer (2005), S. 7 f. 69 Dies begründet sich vor allem dadurch, dass im zentralen System üblicherweise eine Durchmischung der Abwasserströme erfolgt, so dass eine Reihe technologischer Lösungen (z. B. Ansätze der Wiederverwertung von Grauwasser, Düngemittelgewinnung aus Urin) nicht ohne weiteres umsetzbar sind.
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des Abwassers erfolgt.70 Neben der Ressourceneffizienz spricht insbesondere die Flexibilität für NASS, da diese oftmals auf einem modularen Konzept aufbauen. Daher zeichnen sich die Systeme durch eine bessere Skalierbarkeit, Erweiterbarkeit aber auch Reversibilität aus, die eine höhere Flexibilität ermöglichen, um sich an stark veränderte Rahmenbedingungen wie demografischen und klimatischen Wandel oder erhöhte Ansprüche an den Gewässerschutz anzupassen.71 (3) Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung:72 Veränderungen der siedlungsstrukturellen, klimatischen sowie der rechtlichen Rahmenbedingungen führen dazu, dass konventionelle zentrale Systeme mit der Aufgabe einer flächendeckenden nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung zunehmend überfordert werden.73 Vor diesem Hintergrund bieten sich dezentrale Ansätze einer Regenwasserbewirtschaftung als Option an, die seit der WHG-Novelle 2010 auch ausdrücklich in § 55 Abs. 2 WHG gleichrangig vorgesehen sind.74 Dazu zählen vor allem Maßnahmen zum Rückhalt, zur Versickerung und zur örtlichen Nutzung von Regenwasser.75 Diese Maßnahmen leisten zugleich auf vielfältige Weise einen Beitrag zur Erhöhung der Flexibilität der Siedlungswasserwirtschaft. Einerseits erweitern dezentrale Lösungen heute den technologischen Optionenraum im Umgang mit Niederschlagswasser, wobei zahlreiche Ansätze (z. B. Rigolen, Mulden) ohne großen Aufwand rückgängig gemacht werden können. Aufgrund der hohen Reversibilität werden dezentrale Bewirtschaftungsmaßnahmen regelmäßig als sog. „No-regret-Maßnahme“ im Zuge der Anpassungsstrategien an den Klimawandel vorgeschlagen.76 Die zukünftige Flexibilität des Gesamtsystems wird weiterhin dadurch erhöht, dass durch eine Versickerung und den lokalen Rückhalt von Niederschlagswasser der Spitzenwasserabfluss reduziert werden kann, wodurch eine Entlastung zentraler Systeme erfolgt. Hierdurch können u. U. investive Maßnahmen (u. a. Regenrückhaltebecken, Vergrößerung der Kanaldimensionierung) vermieden werden, die lange Nutzungsdauern aufweisen und das konventionelle System weiter festigen würden.77 70 Eine weitgehende Ressourcennutzung spricht für Verfahren der Stoffstromtrennung. In einigen Fällen können jedoch auch 1-Strom-Lösungen als NASS angesehen werden, siehe DWA (2010a), S. 7. 71 Vgl. Tauchmann et al. (2006), S. 147; DWA (2010a), S. 12; Horn et al. (2013), S. 674. 72 Maßnahmen der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung stellen einen Teilbereich dezentraler Abwasserbehandlung dar, können aber auch unabhängig von dezentralen Ansätzen der Schmutzwasserbehandlung erfolgen. 73 Siehe dazu Geyler et al. (2014a), S. 96 f. mit weiteren Quellen. 74 Danach „soll“ „Niederschlagswasser […] ortsnah versickert, verrieselt oder direkt oder über eine Kanalisation ohne Vermischung mit Schmutzwasser in ein Gewässer eingeleitet werden, soweit dem weder wasserrechtliche noch sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften noch wasserwirtschaftliche Belange entgegenstehen.“ 75 Für eine Übersicht technologischer Optionen der Regenwasserbewirtschaftung, siehe Geyler et al. (2014a), S. 99 ff. 76 Vgl. Becker et al. (2009), S. 5 f. 77 Die durchschnittliche Nutzungsdauer für Regenbecken wird von der LAWA mit 40 – 70 Jahren angegeben, siehe dazu Sieker / Sieker (2003), S. 51.
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Die hier genannten Ansätze versprechen aus technologischer Sicht eine höhere Flexibilität als die Maßnahmen, die innerhalb des vorherrschenden Technologieparadigmas ergriffen werden können. Gleichwohl muss festgestellt werden, dass die Flexibilität sich auf verschiedene Zielstellungen bezieht (siehe auch Tabelle 4). Maßnahmen der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung stellen insbesondere einen Ansatz dar, um flexibel mit den veränderten Anforderungen an die Niederschlagsbewirtschaftung umzugehen. Sie wirken aber weiterhin dadurch flexibilitätserhöhend, da sie kostenintensive Ergänzungsbauten zum Regenrückhalt vermeiden, die die bestehenden Strukturen langfristig festigen würden. Dezentrale Systeme stellen insbesondere eine Maßnahme dar, um veränderten Bedarfsstrukturen besser begegnen zu können. Die Zielstellung erhöhter Ressourceneffizienz wird dagegen erst durch den Einsatz neuartiger Sanitärsysteme adressiert. Hierbei zeigt sich deutlich, dass keine allgemeingültige Lösung für alle zukünftigen Anforderungen besteht. Die Ansätze finden in der Siedlungswasserwirtschaft gegenwärtig in unterschiedlich starkem Maße Berücksichtigung. (Semi-)dezentrale Ansätze der Abwasserbehandlung werden seit jeher in Gebieten genutzt, in denen sich der Aufbau eines zentralen Systems nicht lohnt.78 Die Trends eines Bevölkerungsrückganges und einer anhaltenden Urbanisierung werden zukünftig vermutlich zu einer Zunahme jener Regionen führen, in denen (semi-)dezentrale Ansätze Vorteile gegenüber zentralen Systemen aufweisen können.79 Alternative Ansätze der Niederschlagswasserbeseitigung finden nicht zuletzt durch die Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes insbesondere in Neubaugebieten zunehmend Berücksichtigung.80 Die Nutzung neuartiger Sanitärsysteme erfolgt bisher ausschließlich im Rahmen von Pilotprojekten. 81
3. Institutionelle Flexibilität Für die Entwicklung von Wasserinfrastruktursystemen spielen „Institutionen“ eine bedeutende Rolle, also die für Individuen als Entscheidungsträger handlungsleitenden formellen und informellen Regelsysteme (u. a. soziale und rechtliche Normen, Entscheidungsverfahren, Organisationsstrukturen). Im Fall der Siedlungswasserwirtschaft werden zentrale Aspekte wie u. a. die Eigentumsrechte, die Kompetenz- und Entscheidungsverteilung, die Finanzierung oder die Definition von Anforderungen (z. B. Umwelt- und Qualitätsnormen) über Institutionen festgelegt.
78 Bei etwa 3,4 Prozent der Bevölkerung Deutschlands erfolgt die Abwasserentsorgung über dezentrale Abwasserbehandlungsanlagen, siehe dazu Statistisches Bundesamt (2013). 79 Vgl. Tauchmann et al. (2006), S. 279 f.; BMVI (2009), S. 4 f. 80 Im § 55 Abs. 2 WHG ist der Grundsatz einer ortsnahen Niederschlagswasserbeseitigung durch Versickerung oder Verrieselung verankert. 81 Für eine Übersicht von Pilotprojekten innovativer Lösungen der Wasserver- und Abwasserentsorgung siehe Tauchmann et al. (2006), S. 306 ff.
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Norman Bedtke und Erik Gawel Tabelle 4 Technische Flexibilisierungspotenziale bei alternativen Systemlösungen (Auswahl)
Maßnahme
Zeitliche Umsetzung
Sektor
Eingriffstiefe in das System
Abwasser Semidezentrale Abwasserbehandlung
– Siedlungsbestand: mittel- bis langfristig, – Neubau: umgehend
Neuartige vorwiegend Sanitärsys- Abwasser, durch Wieteme derverwendung von Abwässern zugleich jedoch auch Einfluss auf Trinkwassersektor (Verbrauchsrückgang)
abhängig vom tendenziell verwendeten mittel- bis System langfristig, da sukzessiver Ersatz des konventionellen Systems; jedoch abhängig vom verwendeten System
Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung
vorwiegend Abwasser, bei Regenwassernutzung im Haushalt jedoch auch Einfluss auf Trinkwassersektor
mittel- bis langfristig
Quelle: eigene Erstellung.
Ziel
Bewertung der Flexibilität
hoch, da eine Ab- – Abwasserbesei- – Verkürzung der kehr vom vorherrtigung unter zukünftigen Anschenden TechnoBerücksichtipassungszeiten logieparadigma gung der Anfor(durch kürzere erfolgt derungen an die Nutzungsdauern) Abwasserauf– langfristige Erhöbereitung hung der Flexibilität im Hinblick – Erhöhung der auf veränderte zukünftigen Bedarfsstrukturen Anpassungsfädurch Verändehigkeit rung der Systemeigenschaften – Rückkehr zu zentralem System schwierig – Erhöhung der zukünftigen Anpassungsfähigkeit – nachhaltige Nutzung oder Wiederverwertung von Stoffströmen
– langfristige Erhöhung der Flexibilität durch Veränderung der Systemeigenschaften – Verkürzung der zukünftigen Anpassungszeiten (durch kürzere Nutzungsdauern – deutliche Erweiterung des Optionenraums im Hinblick auf die Zielstellung der Ressourceneffizienz
mittel bis hoch, ein – Beitrag zum Er- – Erweiterung des Ansatz (semi-)dehalt des natürliOptionenraums zentraler Regenchen Wasserbei der Regenwasserbewirthaushalts wasserbewirtschaftung wirkt schaftung – Entlastung zensich auf Auslastraler Entwässe- – Verkürzung der tung und Ausrungsanlagen zukünftigen Angestaltung des passungszeiten – Erhöhung der Gesamtsystems durch Vermeidung zukünftigen (u. a. Dimensiolangfristiger InAnpassungsfänierung der Leivestitionen in Erhigkeit tungen, Anzahl weiterungsbauten der Regenrückhaltebecken etc.) aus
Flexibilität von Wasserinfrastruktursystemen
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Da der technologische Alternativenraum durch einen umfassenden institutionellen Rahmen vorgegeben und (an-)gesteuert wird, kann eine Flexibilisierung der Systeme nicht losgelöst von der institutionellen Dimension diskutiert werden. Zur Steigerung der Flexibilität finden sich wie auch bei den Technologien Ansätze auf verschiedenen Ebenen mit unterschiedlicher Reichweite. a) Erhöhung der institutionellen Flexibilität konventioneller Systeme Unter Beibehaltung des konventionellen Systems besteht u. a. die Möglichkeit, den Folgen der Unterauslastung durch Nachfragemanagement zu begegnen. Die Idee dahinter ist es, mittels Preissteuerung die Wasserkonsumenten zu einem Nachfrageverhalten zu bewegen, welches Belastungsspitzen dämpft und die Grundauslastung in nachfrageschwachen Zeiträumen erhöht. In der ökonomischen Preistheorie werden derartige Konzepte als „peak-load pricing“ bezeichnet.82 Hierdurch kann eine gleichmäßigere Auslastung der Systeme erreicht werden, die es u. U. ermöglicht, investive Maßnahmen zu vermeiden oder zeitlich zu verschieben. Die Einführung flexibler Tarifsysteme, die im Energiesektor bei Industriekunden und z. T. bei Haushalten (Niedertarifstrom) bereits zur Steuerung der Lastverschiebung Anwendung finden, wäre hierfür ein zentrales Instrument.83 Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass eine Nachfrageänderung vorrangig bei Industriekunden erzielbar ist, da bei einem Großteil des Haushaltswassergebrauchs (u. a. Körperhygiene, Kochen) nur eine geringe Reaktionsanpassung seitens der Konsumenten zu erwarten ist. b) Institutionelle Anpassungen als Grundlage für technologische Flexibilität Bedeutende Zuwächse an Flexibilität können, wie in Abschnitt III.2.b) dargelegt wurde, insbesondere durch einen (partiellen) Technologiewechsel erzielt werden. Hierbei sind Institutionen von zentraler Bedeutung, da der technologische Alternativenraum durch die institutionellen Rahmenbedingungen vielfach (z. B. rechtlich) vorgegeben wird und über die durch sie definierten Anreizstrukturen eine Verbreitung und Akzeptanz neuer Lösungen maßgeblich beeinflussen. Daneben können auch indirekte Wirkungen institutioneller Maßnahmen, wie u. a. die Förderung von Forschungsvorhaben und Pilotprojekten, die institutionellen Weichen für einen Pfadwechsel stellen. Gegenwärtig zielen die institutionellen Rahmenbedingungen jedoch überwiegend auf den Erhalt der bestehenden Strukturen ab, so dass auch die Verbreitung neuartiger, oftmals ökonomisch und ökologisch sinnvoller und hinsichtlich der Flexibilität 82 83
Für eine Literaturübersicht siehe Crew et al. (1995). Vgl. Moss (2008), S. 130.
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konventionellen Ansätzen überlegener Lösungen behindert wird.84 Folglich gilt es institutionelle Anpassungen vorzunehmen, die eine größere Offenheit für neuartige Lösungen liefern, um hierdurch Nachhaltigkeitsziele und dabei insbesondere eine erhöhte technischen Anpassungsfähigkeit zukünftig besser zu berücksichtigen. Hierfür existieren mehrere Ansatzpunkte, die im Folgenden vorgestellt werden: (1) Flexible betriebliche Planungsprozesse: Der bereits bei den technologischen Optionen genannte Vorschlag kürzerer Nutzungsdauern erfordert neben der Verwendung anderer Materialien und Technologien insbesondere auch eine veränderte Vorgehensweise bei den Planungsverfahren, die gegenwärtig noch auf langfristige Zeithorizonte ausgelegt sind. Ansatzpunkte für eine flexiblere betriebliche Planung sind das Ansetzen von kürzeren Nutzungsdauern der Leitungssysteme im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Investitionsplanungen und Vergleichsrechnungen. 85 Zugleich kann durch das Reduzieren von Sicherheitsaufschlägen eine erhöhte zukünftige Flexibilität erreicht werden, da weniger weitreichende bauliche Vorkehrungen getroffen werden müssen, die mit einer Kostenreduzierung und kürzeren Abschreibungsdauern einhergehen.86 Ein solches Umdenken der Unternehmen erfordert neben der grundsätzlichen Bereitschaft auch die Möglichkeiten, um in kürzeren Zeithorizonten zu planen. Des Weiteren bedarf es auch der verbesserten Koordination auf überbetrieblicher Ebene. Ein Ansatzpunkt stellt dabei die verstärkte Integration kommunaler Planungsprozesse dar, da zuweilen stark segmentierte Zuständigkeitsordnungen vorherrschen, die eine Umsetzung alternativer (z. B. dezentraler) Lösungen hemmen. Hierbei ist vor allem eine mangelnde Integration von Stadtentwicklung und Siedlungswasserwirtschaft zu nennen, deren Aufgaben getrennten Verwaltungsressorts unterliegen.87 Für eine zielgerichtete Langfristperspektive und Koordination betrieblicher Entscheider, werden abgestimmte Prozesse erforderlich, wobei den Gemeinden eine möglichst hohe Wahlfreiheit gegeben sein muss.88 Eine solche Wahlfreiheit muss sich in den Abwasserbeseitigungskonzepten der Gemeinden widerspiegeln. Wie dargelegt wurde, stellen (semi-)dezentrale Entwässerungssysteme und neuartige Sanitärsysteme eine Möglichkeit zur Erhöhung technischer Flexibilität dar. Für deren Etablierung müssen jedoch kommunale Institutionen und Handlungslogiken angepasst werden. So wird eine Vereinfachung der Integration privater Selbstentsorgungsmodelle in langfristige kommunale Abwasserbeseitigungskonzepte als Voraussetzung für dezentrale Systeme gesehen. Obwohl eine Reihe rechtlicher Konstruktionen einer „Indienstnahme Dritter“ denkbar sind, steht die Rechtsprechung diesen Konzepten bislang skeptisch gegenüber, so dass diese wegen der 84 Vgl. Koziol et al. (2006), S. 27; Laskowski (2012), S. 597 ff.; Londong / Hartmann (2014), S. 1 ff. 85 Vgl. Bellefontaine et al. (2010) S. 678. 86 Vgl. ebenda. 87 Vgl. Wickel (2015). 88 Vgl. ebenda.
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eingeschränkten kommunalen Zugriffsmöglichkeiten oder aufgrund von Bedenken hinsichtlich des Gewässerschutzes bisher regelmäßig abgelehnt werden. 89 Gleichwohl kann sich eine Gemeinde dazu entscheiden, in bestimmten Gebieten eine bestehende zentrale Entsorgung zugunsten dezentraler Entsorgungsoptionen aufzugeben. (2) Flexiblere Organisationsformen: Bezüglich der Rechtsform eines Unternehmens bestehen erhebliche Unterschiede in der unternehmerischen Flexibilität und damit der Fähigkeit, auf bestimmte Entwicklungen adäquat zu reagieren. Mit zunehmender rechtlicher und wirtschaftlicher Selbstständigkeit weisen Unternehmen eine größere Flexibilität in Bezug auf investive Maßnahmen und Personalausstattung auf und profitieren von den verkürzten Entscheidungswegen durch eigene Organe, so dass in der Regel Entscheidungen einfacher und schneller getroffen werden können. Eine schnellere Anpassung kann zugleich von den veränderten internen Anreizstrukturen befördert werden, die eine Suche nach neuen (effizienten) Lösungen womöglich begünstigen.90 Klassische Organisationsformen der Wasserver- und Abwasserentsorgung (v. a. Regiebetriebe) werden dagegen aufgrund ihrer engen kommunalen Verflechtung als überaus inflexibel erachtet.91 Die Vorteile einer erhöhten organisatorischen und rechtlichen Selbstständigkeit können dabei bereits durch den Übergang von einem Regiebetrieb zu einem Eigenbetrieb erreicht werden, gelten jedoch umso mehr noch für auch rechtlich selbstständige Organisationsformen. Hierzu zählen eigenständigere öffentlich-rechtliche Organisationsformen (z. B. Anstalten öffentlichen Rechts), aber insbesondere auch privatrechtlich organisierte Unternehmensformen.92 Dabei ist zu beachten, dass eine erhöhte unternehmerische Flexibilität auf Kosten der kommunalen Mitbestimmung erkauft wird. (3) Anschluss- und Benutzungszwang: Eine Umsetzung der in ihrer Ausrichtung geänderten Ver- und Entsorgungskonzepte macht vielfältige institutionelle Anpassungen erforderlich. Auf kommunaler Ebene sind es insbesondere die satzungsrechtlichen Regelungen zum Anschluss- und Benutzungszwang, die neu zu gestalten sind. Diese regeln die Entscheidungskompetenzen bezüglich der im Einzugsgebiet genutzten Technologien der Abwasserbeseitigung (Grundstücksbesitzer und / oder Aufgabenträger). Wenngleich den Grundsätzen der Abwasserbeseitigung auch durch dezentrale Lösungen entsprochen werden kann (§ 55 Abs. 1 WHG), besitzen Grundstückseigentümer bei der Wahl der Entwässerungstechnologie regelmäßig keine Freiheitsgrade, da bei Vorhandensein eines zentralen Systems dessen Nutzung unter Verweis auf Gründe des Allgemeinwohls (u. a. Volksgesundheit) üblicherweise verpflichtend ist.93 Dezentrale Lösungen können folglich innerhalb des bestehenden inVgl. Laskowski (2012), S. 602 f. Vgl. Spelthahn (1994), S. 87 ff.; Haug (2008). 91 Vgl. Spelthahn (1994), S. 87. 92 Für eine Übersicht zu den möglichen Organisationsformen der Siedlungswasserwirtschaft siehe Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft (2003); Bedtke / Gawel (2015). 89 90
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stitutionellen Rahmens und der restriktiven Rechtsprechung keine nennenswerte Praxis-Anwendung erfahren. Dies gilt auch dann, wenn die regionalspezifischen Gegebenheiten eine Vorteilshaftigkeit dezentraler Systeme gegenüber konventionellen zentralen Systemen vermuten lassen. Um flexible kommunale Entsorgungskonzepte langfristig etablieren zu können, wird deshalb vorgeschlagen, die Befreiungsmöglichkeiten zu erweitern, so dass auch vollständige Befreiungen aus Gründen des Umwelt- und Ressourcenschutzes unter Berücksichtigung des demografischen Wandels möglich werden.94 Als positives Beispiel können die Entwicklungen im Bereich der Niederschlagswasserbewirtschaftung erachtet werden. So ermöglicht eine erhöhte Offenheit der kommunalrechtlichen Regelungen zum Anschluss- und Benutzungszwang für die Maßnahmen einer ortsnahen Niederschlagswasserbewirtschaftung, den Einsatz einer Vielzahl weiterer Technologieoptionen.95 Dagegen muss bei neuartigen Sanitärsystemen die gegenwärtige Ausprägung des Anschluss- und Benutzungszwangs als erschwerendes Implementationshemmnis ausgemacht werden. 96 (4) Anpassung des Wasser- und Abfallrechts: Die Einführung der o. g. flexibilitätserhöhenden technischen Konzepte und Verfahren macht zuweilen Anpassungen des wasser- und abfallrechtlichen Rahmens erforderlich. Dies begründet sich damit, dass eine klare Grenzziehung zwischen (Ab-)Wasser- und Abfallrecht bei einer Ressourcenverwertung des Abwasserstroms zusehends schwerer fällt. So besteht bei neuartigen Sanitärsystemen (NASS) oftmals noch Klärungsbedarf dahingehend, ob die zu behandelnden Medien und deren Produkte dem Abwasserrecht oder dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht unterliegen. Aufgrund der bisherigen Unbedeutsamkeit sind viele der im Rahmen der stofflichen Verwertung anfallenden Rohstoffe von den bisherigen rechtlichen Regelungen kaum erfasst.97 Weiterhin schenkt die gegenwärtige Bewertung der Emissionen der Abwasserströme dem technischen Ansatz von NASS keine ausreichende Beachtung. NASS weisen aufgrund der geringen Verdünnung hohe Stoffkonzentrationen auf, auch wenn die emittierte Gesamtmenge im Vergleich zu konventionellen Lösungen geringer ausfallen kann. Aus diesem Grund wird eine verstärkte Berücksichtigung der Immissionssituation als zielführender erachtet.98 Auch die Verbreitung der der Co-Vergärung, die einer Unterauslastung von Teilen der Kläranlage entgegenwirken kann, wird gegenwärtig noch durch aufwändige Genehmigungsverfahren gehemmt, da sowohl abwasser93 Gegenwärtig liegt es weitgehend im Ermessen der Gemeinden, im Rahmen ihrer Satzungen über Ausnahmen und Befreiungen zu entscheiden; Ansprüche der Nutzer auf eine bestimmte Ermessensausübung greifen regelmäßig nicht durch, siehe Laskowski (2008). 94 Vgl. Laskowski (2012), S. 605 f. 95 Vgl. Geyler et al. (2014a), S. 99; sofern die räumlichen Gegebenheiten die Nutzung von Technologielösungen einer ortsnahen Regenwasserbewirtschaftung zulassen, ist die Niederschlagswasserableitung vielerorts vom Anschluss- und Benutzungszwang ausgenommen, siehe dazu Geyler et al. (2014b), S. 218 ff. 96 Vgl. DWA (2014). S. 16. 97 Vgl. DWA (2011), S. 652 ff.; DWA (2014), S. 24. 98 Vgl. Londong / Hartmann (2014), S. 9; DWA (2014), S. 24.
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als auch eine abfallrechtliche Zulassungen erforderlich werden. Der Hauptzweck der Kläranlage liegt in der Abwasserbehandlung, weshalb diese Vorgänge überwiegend wasserrechtlich zu beurteilen sind. Bei einer Vergärung zusätzlicher Abfälle gelten für diese vor der Einbringung die abfallrechtlichen Bestimmungen, ebenso für die anfallenden Klärschlämme.99 Ein institutioneller Ansatzpunkt könnte folglich die Vereinfachung der Genehmigungsverfahren für Co-Vergärung darstellen, um Betreibern kommunaler Kläranlagen den Zugriff auf diese Option zu erleichtern. Die nicht länger in Nordrhein-Westfalen geforderte Hygienisierung von vergorenen Klärschlamm-Abfall-Mischungen im Fall einer abschließenden Verwertung Verbrennungsanlagen kann hier als Beispiel für die Vereinfachung institutioneller Vorgaben herangezogen werden.100 Zugleich sollte eine Zusammenfassung der abwasser- und abfallrechtlichen Zulassung angestrebt werden. (5) Technisches Regelwerk: Weiterhin wird für die Umsetzung neuer technischer Optionen die Anpassung technischer Normen und Regeln erforderlich. Ein umfangreiches und detailliertes technisches Regelwerk konkretisiert in Deutschland die vom Gesetzgeber erlassenen Schutz- und Sicherheitsziele im Wassersektor. Im Hinblick auf den Einsatz flexibilitätserhöhender Technologieoptionen kann das Regelwerk mit seinen Normen und Standards ein bedeutendes Hemmnis bei der Umsetzung flexibilitätserhöhender Technologien darstellen. Obwohl die Regelwerke keine unmittelbare formalrechtliche Bindungskraft besitzen, definieren sie faktisch die anerkannten Regeln der Technik und können als Beurteilungsmaßstab hinsichtlich einer ordnungsgemäßen technischen und organisatorischen Betriebsführung herangezogen werden.101 Das technische Regelwerk schränkt den technologischen Alternativenraum hierdurch ein, wobei der Grund dafür nicht der explizite Ausschluss neuer Technologien ist, sondern vielmehr in einer Regelungslücke in Bezug auf Neuerungen zu sehen ist. In Folge dessen sind vom Regelwerk nicht erfasste Lösungen nur schwer implementierbar, was insbesondere auch auf die Risikoaversion von Entscheidungsträgern und die damit einhergehende fehlende Bereitschaft, die Konsequenzen aus den vom Regelwerk abweichenden Lösungen zu tragen, zurückzuführen ist.102 Das Problem verschärft sich durch die meist langwierigen Verfahren einer Anpassung des Regelwerks, welche sich durch den Einbezug der interessierten Kreise und eine Konsensbildung auszeichnen.103 Grundsätzlich wird der Dynamik und dem permanenten Wandel der technischen Entwicklung und Rahmenbedingungen durch die Nutzung unbestimmter Rechtsbegriffe im Zuge des Verfahrens der technischen Regelsetzung bereits Rechnung getragen.104 Jedoch zeigen die Be99 Siehe zu den rechtlichen Rahmenbedingungen Bayrisches Landesamt für Umwelt (2011), S. 7 ff. 100 Vgl. Emschergenossenschaft / Lippeverband (o. J.). 101 Vgl. Rothenberger (2003), S. 71; Cyris (2010), S. 20 f.; Reinhardt (2012), S. 650 f. 102 Vgl. LAWA (2001), S. 10 ff.; Rothenberger (2003), S. 71. 103 Vgl. Cyris (2010), S. 21. 104 Vgl. Tauchmann et al. (2006), S. 43.
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mühungen im Bereich neuartiger Sanitärsysteme die Schwierigkeiten bei der Erarbeitung neuer Regelwerke auf. In einem langwierigen Prozess werden die Besonderheiten von NASS gegenüber konventionellen Systemen in Bezug auf Konzeption-, Planung-, Implementierung und Betrieb herausgearbeitet. 105 Die jüngst erfolgte Verabschiedung eines DWA-Arbeitsblattes (DWA-A 272) kann als erster Schritt angesehen werden, um NASS den konventionellen Lösungen gleichzustellen. Zugleich ist man aber noch weit davon entfernt, detaillierte Bemessungshinweise für NASS im technischen Regelwerk zu verankern, vor allem auch da hierfür Praxiserfahrungen erforderlich sind.106 Ansätze, um die hemmende Wirkung des technischen Regelwerks zu verringern, können in einem beschleunigten Verfahren der Fortschreibung des Regelwerks gesehen werden. Hierzu könnten u. a. Ingenieurbüros oder Hochschulen mit der Entwurfsfassung und Begleitung der Ausschussarbeit beauftragt werden.107 Ein weiterer Ansatz könnte darin bestehen, die Bereitschaft zur Nutzung von Lösungen zu fördern, die vom Regelwerk abweichen, indem Maßnahmen, wie eine Beratung bei der Planung, Versicherungslösungen oder Schulung der Entscheidungsträger forciert werden.108 Weiterhin gibt es auch Vorschläge, die technische Regelsetzung grundlegend zu reformieren. Um eine „Vorab-Festlegung“ auf bestimmte Technologien zukünftig auszuschließen könnten technologie-neutrale Regelwerke Verwendung finden, die qualitative und quantitative Zielvorgaben definieren, anstatt die zu verwendenden Technologien festzuschreiben.109 Einige der diskutierten technischen Optionen stellen durchaus einen radikalen Bruch mit den bestehenden Strukturen dar. Aufgrund der von institutionellen und technischen Pfadabhängigkeiten geprägten Entwicklung großtechnischer Systeme sind radikale Innovationen hier besonders schwierig zu implementieren. Neben der Verletzung von Partikularinteressen etablierter Akteure und Akzeptanzproblemen ist es vor allem die ungenügende Berücksichtigung neuer Lösungen im bestehenden institutionellen Rahmen, die eine Umsetzung hemmen. Hierfür sind auch (Rechts-) Unsicherheiten in Bezug auf neue Lösungen verantwortlich. Um dennoch praktische Erfahrungswerte bei der Anwendung von neuen technischen Lösungen zu gewinnen, werden räumlich begrenzte institutionelle Ausnahmezustände auf Zeit vorgeschlagen.110 Hierdurch können Technologien genutzt, erprobt und verbessert werden, die im bestehenden institutionellen Rahmen ansonsten nicht funktionieren würden. Langfristig könnte hierdurch ein weitergehender Wandlungsprozess ange105 Der DWA-Fachausschuss KA-1 „Neuartige Sanitärsysteme“ befasst sich seit seiner Gründung im November 2004 in verschiedenen Arbeitsgruppen mit Fragen zu den neuartigen Systemlösungen und dabei unter anderem auch zum Regelwerk und rechtlichen Fragestellungen, siehe dazu Schneider (2007), S. 133. 106 Vgl. Hillenbrand (2012), S. 132 f. 107 Vgl. LAWA (2001), S. 10. 108 Vgl. LAWA (2001), S. 10 ff. 109 Vgl. OECD (2007), S. 52; Londong / Hartmann (2014), S. 8 f. 110 Vgl. Londong / Hartmann (2014), S. 9 f.
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stoßen werden, auch weil Erfahrungswissen der bestehenden Rechtsunsicherheit entgegenwirken könnte.111 (6) Revision von mentalen Modellen und Ideologien: Obwohl zahlreiche technische und institutionelle Optionen zur Erhöhung der Flexibilität bereitstehen, erfahren nur wenige Optionen eine Umsetzung. Als Grund für die starken Beharrungstendenzen können die in der Wasserwirtschaft können auch die etablierten Routinen und Handlungslogiken ausgemacht werden, die das Verhalten zentraler Akteure entscheidend prägen.112 Aus Sicht der Neuen Institutionenökonomik handelt es sich dabei um mentale Modelle, die als informelle Institutionen die Entwicklung bestimmen. Nach wie vor hält sich beispielsweise das Bild eines „modernen Infrastrukturideals“ flächendeckender Ver- und Entsorgung, die durch zentralistische großtechnische Systeme und eine monopolistische sowie öffentliche Leistungserbringung sichergestellt wird.113 In der Folge dominiert beim Neubau regelmäßig eine zentralistische Planung, bestehende Netzstrukturen werden auch in Regionen mit Bevölkerungsschwund fortwährend erneuert anstatt in Frage gestellt und die Suche nach Lösungen zur Problembewältigung (z. B. Umgang mit Starkregenereignissen) erfolgt überwiegend innerhalb des vorherrschenden zentralistischen Technologieparadigmas. Es besteht die Gefahr, dass in einer dynamischen Umwelt mentale Modelle vorherrschen, die für die Lösung von (neuen) Problemen ungeeignet sind. So sind Planer und Ingenieure regelmäßig kognitiv geprägt, wodurch sie „blind“ für abweichende Entwicklungen werden können.114 Dies gilt vor allem auch für viele der Akteure des Wassersektors, die ihre Routinen in einer Welt des modernen Infrastrukturideals erlernen.115 Folglich muss ein Handlungsfeld die Gestaltung der Lernprozesse von Planern und Ingenieuren sein, bei der neue Technologien eine größere Berücksichtigung erfahren sollten.116 Hierfür sind u. a. forschungsseitig begleitete inter- und transdisziplinäre Demonstrationsprojekte erforderlich, da nur hierdurch neues Erfahrungswissen im Umgang mit Problemen unter Anwendung neuer TechVgl. Londong / Hartmann (2014), S. 9 f. Vgl. Kahlenborn / Kraemer (1999), S. 41; Voss / Bauknecht (2007), S. 126; Bedtke (2015). 113 Vgl. Graham / Marvin (2001); ähnlich Brown und Keath, die von einem „big pipes in, big pipes out-Paradigma“ sprechen, siehe Brown / Keath (2008), S. 73; sowie Thomas und Ford, die auf ein fest etabliertes „monument syndrome“ in den Wasser- und Abwassersektoren verweisen, siehe Thomas / Ford (2005), S. 162 f. Siehe auch Schönefuß (2004), S. 31 ff., der eine im Wassersektor vorherrschende „Einzigartigkeitslehre“ identifiziert, die tief im öffentlichen Bewusstsein verankert ist. Zentral ist dabei die Auffassung, dass aufgrund der Besonderheiten der Ressource Wasser eine rein öffentliche Bereitstellung von Wasserdienstleistungen unter Ausschluss von Marktkräften vorzugswürdig sei. 114 Vgl. Nelson / Winter (1982); Geels (2004), S. 910. 115 Vgl. Kahlenborn / Kraemer (1999), S. 41; Thomas / Ford (2005), S. 162 f.; Voss / Bauknecht (2007), S. 126. 116 Dies beginnt bereits mit der verstärkten Berücksichtigung von neuartigen Lösungen (z. B. NASS) in Standardwerken für Wasserbauingenieure, wie dem Taschenbuch der Stadtentwässerung. 111
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nologien erlangt und weitergegeben werden kann.117 Es ist zu erwarten, dass positive Erprobungen neuer Lösungen zu (graduellen) Veränderungen der Ideologien führen werden. Es zeigt sich dabei jedoch das Problem, dass hierfür zuallererst die vermehrte Anwendung neuer Lösungen überhaupt ermöglicht werden muss. (7) Anpassungseffiziente Institutionen (adäquate Anreizstrukturen) Die bisher dargestellten institutionellen Ansatzpunkte zur Erhöhung der Flexibilität von Wasserinfrastruktursystemen können unter Rückgriff auf Arbeiten der Neuen Institutionenökonomik um eine weitere Perspektive erweitert werden. 118 Mit dem Kriterium der Anpassungseffizienz schlägt Douglass C. North in seiner Theorie des institutionellen Wandels ein Effizienzmaß vor, welches in einer Welt der Unsicherheit handlungsleitend sein sollte.119 Anpassungseffizienz ist nach North insbesondere dann gegeben, wenn ein ausgeprägtes Such- und Entdeckungsverfahrens befördert wird, damit Lösungen für (gesellschaftliche) Probleme gefunden werden können. Hierfür müssen Institutionen 1) die politische und ökonomische Flexibilität aufweisen, um das Ausprobieren neuer Lösungen zu ermöglichen und 2) die entsprechenden Anreize vermitteln, um diese Prozesse anzustoßen und in die richtige Richtung zu lenken. Flexibilität kommt im Kontext von Anpassungseffizienz folglich eine doppelte Bedeutung zu. Zum einen zeigt sich, dass eine hinreichende Flexibilität der institutionellen Rahmenbedingungen erforderlich ist, damit neuartige Technologielösungen ausprobiert und Erfahrungswissen gewonnen werden können. Flexibilität kann demnach als konstituierendes Element einer anpassungseffizienten Wasserwirtschaft verstanden werden. Zum anderen wird durch anpassungseffiziente Institutionen die breite Anwendung von Technologien befördert, die aus rein technischen Gesichtspunkten Flexibilitätsvorteile gegenüber dem konventionellen System aufweisen. Die Bedeutung von Institutionen für das Erreichen einer flexiblen Wasserwirtschaft ist demnach augenfällig. Bisher wurden zahlreiche institutionelle Ansatzpunkte gezeigt, mit denen Hemmnisse für die Verbreitung von Innovationen im Wassersektor abgebaut werden können. Dies alleine wird dem Kriterium der Anpassungseffizienz jedoch noch nicht gerecht. Es ist weiterhin zu fragen, wie die entsprechenden Anreizstrukturen im Wassersektor geschaffen werden können, die eine Verbreitung innovativer Lösungen begünstigt. Letztlich ist es auch das ökonomische Entscheidungskalkül von Akteuren, welches die Verbreitung von Innovationen maßgeblich determiniert. Dies umfasst die Entscheidungen kommunaler Aufgabenträger und Politiker, denen sowohl betriebswirtschaftliche als auch politökonomische Abwägungen zugrunde liegen, aber auch die Entscheidung von Grundstückseigentümern (z. B. Technologiewahl). 117 118 119
Vgl. DWA (2011), S. 654. Ausführlich dazu Bedtke (2015). North (1992), S. 96; ders. (2005), S. 21; Richter / Furubotn (2010), S. 579 ff.
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Maßgebliche institutionelle Ansatzpunkte sind hierbei insbesondere die Ausgestaltung der Entgeltsysteme sowie der Kompetenzordnung. Während den Grundstückseigentümern über Entgeltsysteme Anreize zur Nutzung bestimmter Technologien vermittelt werden können,120 bedarf es auf höheren Ebenen womöglich geeigneter Impulse durch den ökonomischen Ordnungsrahmen oder Veränderungen der Organisationsformen.121 Anpassungseffizienz streitet grundsätzlich für Wettbewerb, der als bedeutendster Treiber für Such- und Entdeckungsverfahren erachtet werden muss.122 Die Etablierung von wettbewerbsorientierten Verfahren gestaltet sich im Wassersektor jedoch als schwierig. Wenngleich seit den 1990er Jahren europaweit eine Liberalisierung und Deregulierung von Netzsektoren stattfindet, stellt der Wassersektor weiterhin einen wettbewerblichen Ausnahmebereich dar. Stattdessen verfolgt man in Deutschland gegenwärtig eine vermittelnde Strategie der Modernisierung, die einzelne Reformfelder unter grundsätzlicher Beibehaltung der bestehenden Strukturen benennt.123 Unabhängig davon wird die Diskussion möglicher Reformoptionen fortgeführt, wobei verschiedene Ansätze zur Preisregulierung und Erhöhung der Effizienz erwogen werden. So forderte jüngst die Monopolkommission eine sektorspezifische (Ex-ante-)Regulierung der Wasserversorgung, während es von Seiten der EU-Kommission Bestrebungen gab, die Reform des Vergaberechts bei Dienstleistungskonzessionen auch auf den Sektor der Wasserversorgung zu erstrecken.124 Wenngleich die Frage nach geeigneten institutionellen Arrangements für den Wassersektor nicht allgemeingültig beantwortet werden kann, ist festzuhalten, dass sich die ökonomischen Reformoptionen auch daran messen lassen müssen, ob sie einen Beitrag dazu leisten, die adäquaten Anreize zur Suche und dem Einsatz neuer Lösungen zu vermitteln. Nur so werden in der Wasserwirtschaft neue technische Lösungen eine Umsetzung erfahren, die Nachhaltigkeitsanforderungen (u. a. Flexibilität) besser gerecht werden. Es ist zweifelhaft, ob die konzeptionell schwache und in der Umsetzung stagnierende Modernisierungsstrategie hierfür geeignet ist. 125 Aber auch Optionen der Preisregulierung müssen kritisch dahingehend geprüft wer120 Zu nennen sei hier die Ausgestaltung der Niederschlagswasserentgelte, bei welcher über die Höhe und ggf. Honorierung einzelner Technologielösungen durch Reduktionsfaktoren die entsprechenden Anreize zum Einsatz dezentraler Technologien der Niederschlagswasserbewirtschaftung gesetzt werden können, siehe dazu Geyler et al. (2014a), S. 101. 121 Vgl. Clausen / Rothgang (2004); Finger et al. (2005); Tauchmann et al. (2009); Lieberherr / Truffer (2014). Organisationsformen [dazu bereits oben (2)] bestimmen dabei sowohl über den Alternativenraum als auch über Anreizstrukturen. 122 Vgl. Hayek (1968). 123 Zu den Kernelementen gehören Leistungsvergleiche von Unternehmen, die steuerliche Gleichstellung von Trink- und Abwasser, die Pflichtenübertragung auf Dritte, eine Lockerung des Örtlichkeitsprinzips sowie ein stärkeres internationales Engagement, siehe dazu BTDrs. 16 / 1094, S. 4 ff. Kritisch dazu Gawel / Bedtke (2015). 124 Siehe dazu Janda (2012), S. 135 ff.; Oelmann / Czichy (2013), S. 145 ff.; Gawel / Bedtke (2015). 125 Vgl. Janda (2012); Gawel / Bedtke (2013), S. 299 f.; Gawel / Bedtke (2015).
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den, ob sie neben der Zielstellung der Kosteneffizienz auch als anpassungseffizient gelten. So kann eine regelgebundene Ex-Ante-Regulierung die Flexibilität und die Spontaneität des Wettbewerbs in Netzsektoren einschränken und sich hierdurch negativ auf die dynamische Effizienz auswirken.126 Zusammenfassend können unter anpassungseffizienten Institutionen alle Maßnahmen verstanden werden, die eine hinreichende Offenheit für das Ausprobieren neuer Lösungen bieten und zugleich die hierfür notwendigen Anreize setzen, damit ein solcher Prozess begünstigt wird (siehe Tabelle 5). Tabelle 5 Institutionelle Flexibilisierungspotenziale im Wassersektor Maßnahme Nachfragemanagement (Flexible Tarife)
Sektor
Zeitliche Umsetzung
Trinkwasser, relativ kurzindirekte Be- fristig möglich einflussung der Entsorgungsmengen
Flexible Pla- sektorenüber- kurzfristig möglich nungsprozes- greifend se
Anschlussund Benutzungszwang (Satzungsrecht)
Flexible Organisationsformen
126
Abwasser
mittelfristig
sektorenüber- kurz- bis mitgreifend; im telfristig Abwassersektor jedoch nur eingeschränkt möglich
Eingriffstiefe in das System
Ziel
Bewertung der Flexibilität
gering, lediglich Steuerung der Ver– Erweiterung lokale Anpassung brauchsentwicklung, des Optionender Tarifsysteme um Unterauslastung raums und Spitzenlast
mittel, da Abkehr – kürzere Planungs- – Verkürzung der vom vorherrhorizonte zukünftigen schenden PlaAnpassungs– verbesserte Integnungsparadigma zeiten (durch ration von Stadtlanger Nutzungskürzere Nutplanung und Sieddauern und damit zungsdauern) lungswasserwirtverbundener insschaft – schnellere Antitutioneller Repassung durch gelungen erforvereinfachte derlich wird Abstimmung kommunalen Entscheider mittel bis hoch, erfordert ggf. neue Abwasserbeseitigungskonzepte, die radikal vom bisherigen Vorgehen abweichen können gering bei Organisationsprivatisierung; mittel bei Einbezug privater Dritter
Vgl. Haucap / Uhde (2008), S. 253.
Öffnung des kommunalen Satzungsrechts für verstärkten Einbezug dezentraler Lösungen Maßnahmen, die sowohl in HinGrößere unternehme- blick auf den rische Flexibilität Optionenraum aufgrund rechtlicher als auch die Anund wirtschaftlicher passungszeit Selbständigkeit und und -kosten eine hierdurch verkürzte erhöhte FlexibiliAnpassungszeiten; tät versprechen zugleich veränderte bzw. diese beinterne Anreizstruk- günstigen. turen
Flexibilität von Wasserinfrastruktursystemen
Technische Standards und Regelwerke
sektorenübergreifend
mittelfristig, aufgrund des Verfahrens, das auf Konsensfindung und Einbezug aller Interessensgruppen basiert
mittel, da bestehende Standards und Regelwerke ggf. grundlegend überdacht werden müssen
Berücksichtigung neuer Systemlösungen, um bestehende Rechtsunsicherheiten abzumildern; ggf. institutionelle Ausnahmezustände für Übergangszeiten
Auflösen mentaler Modelle
sektorenübergreifend
langfristig, erfordert langwierige Lernprozesse und Aufbau von Erfahrungswissen
mittel, keine komplette Neuorientierung der Ideologien erforderlich, sondern erhöhte Offenheit für alternative (ergänzende) Lösungen
erhöhte Offenheit etablierter Akteure für neue Herangehensweisen bei der Planung, Konzeption und Umsetzung von Systemen sowie der Problembewältigung
sektorenAdäquate Anreizstruk- übergreifend turen
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abhängig von abhängig von der Etablierung von langder jeweiligen jeweiligen Maß- fristig effizienten institutionellen Rahnahme Maßnahme menbedingungen, die sich durch Anreizstrukturen auszeichnen, die ein Such- und Entdeckungsverfahren initiieren (z. B. wettbewerbliche Strukturen; flexible Entgeltmodelle)
Quelle: eigene Erstellung.
IV. Flexibilität im Widerspruch zu Stabilität Bisher wurde ausschließlich auf die Vorzüge flexibler Wasserinfrastruktursysteme eingegangen, wodurch der Eindruck entsteht, dass eine größtmögliche Flexibilisierung der Wasserinfrastruktursysteme verfolgt werden sollte. Einige Beispiele werden verdeutlichen, dass diese Sichtweise zu kurz greift und auch bedeutende Nachteile mit technologischer und institutioneller Flexibilität einhergehen, welcher einer umfassenden Flexibilisierung Grenzen setzen. Wie dargestellt wurde, sind Maßnahmen zur Erhöhung der technologischen Flexibilität oftmals mit der Verwendung von technischen Lösungen verbunden, die einen Bruch mit bestehenden Technologien erforderlich machen. Hierzu zählen vor allem (semi-)dezentrale Ansätze der Abwasserentsorgung und neuartige Sanitärsysteme, deren Vorzüge vor allem in einer besseren Anpassungsfähigkeit an veränderte Bedarfsstrukturen und bei der Adressierung neuer Funktionen gesehen werden. Zugleich sprechen auch wirtschaftliche Argumente für die Lösungen, da zentrale Leitungssysteme und Kläranlagen bei Überdimensionierung im Laufe ihrer Betriebsdauer unnötige Kosten verursachen. Dies gilt insbesondere, wenn die Opportunitäts-
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kosten des langfristig in überdimensionierten Infrastruktursystemen gebundenen Kapitals in diese Betrachtung mit einbezogen werden. Jedoch sprechen auch gerade wirtschaftliche Gesichtspunkte für das Beibehalten zentraler und damit inflexibler Strukturen. Hierzu zählen insbesondere die technisch bedingten Größen- und Verbundvorteile bei Aufbau und Betrieb von Netzinfrastrukturen. Diese bewirken, dass eine Bereitstellung von Infrastrukturdienstleistungen für den jeweiligen relevanten Markt mittels einer großen (zentralen) Infrastrukturanlage in Gebieten mit hoher Siedlungsdichte regelmäßig kostengünstiger möglich ist als im Fall vieler einzelner (dezentraler) Anlagen. 127 Die Forderungen nach Dezentralität erfahren zugleich aus institutionell-organisatorischen Gesichtspunkten Einschränkungen, da die Fähigkeit zur Kontrolle und Steuerbarkeit von Wasserinfrastruktursystemen durch eine zunehmende Dezentralisierung nachteilig beeinflusst würde. Dezentralisierung äußert sich in der Verlagerung von Pflichten, Aufgaben und Kompetenzen auf eine Vielzahl von Grundstückseigentümern und geht mit der Aufgabe der alleinigen Planungs- und Dispositionshoheit des Aufgabenträgers einher. Daraus resultiert eine erschwerte und zugleich mit höheren Transaktionskosten verbundene Koordination der Systemkomponenten. Ähnliches gilt für Kontrollaufgaben des Aufgabenträgers. So ist alleine die Überprüfung von Umwelt- und Qualitätsnormen, die im konventionellen System an zentralen Stellen (Kläranlagen) erfolgt, bei räumlich verteilten und diversifizierten Gruppen- und Einzellösungen ungleich aufwändiger und mit erhöhten Kosten verbunden. Steuerbarkeit und Kontrolle sind folglich Zielstellungen, die für eine Dominanz zentraler Strukturen und überschaubare Anzahl der aktiv beteiligten Akteure streiten. Ein Abweichen von zentralen Strukturen weist demnach neben den Vorteilen in Bezug auf Anpassungsfähigkeit auch unbestreitbare Nachteile auf. Es stellt sich von daher nicht die Frage nach einem Maximum an Flexibilität durch Dezentralität, sondern in welchen Kontexten großtechnische zentrale Systeme effektiver und kosteneffizienter sind und wann Einzel- und Gruppenlösungen vorteilhafter werden. Da dies maßgeblich von der spezifischen, insbesondere räumlichen Situation abhängig ist, kann darauf keine allgemeingültige Antwort gegeben werden. Unter Nutzung zentraler und dezentraler Lösungen müssen regionale Abwasserkonzepte entwickelt werden, die langfristig eine jeweils zielbezogene bestmögliche Anpassung an veränderte Bedarfsstrukturen ermöglichen. Zunehmend wird aber deutlich, dass sich die Wirtschaftlichkeit (semi-)dezentraler Lösungen insbesondere aus dynamischer Sicht und unter Berücksichtigung von Unsicherheitsaspekten stetig verbessert.128 Weiterhin wurde die Flexibilisierung institutioneller Regelungen als notwendige Voraussetzung für technische Flexibilität identifiziert. Dies kann einerseits erreicht werden, wenn die Regeln innerhalb kurzer Zeit angepasst werden können oder sich andererseits a priori durch eine verstärkte Offenheit auszeichnen. Beide Ansätze 127 128
Siehe dazu Maurer (2009), S. 2121 mit weiteren Quellen. Vgl. Koziol et al. (2006), S. 37; Hug et al. (2010); Tauchmann et al. (2006), S. 279 f.
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sind mit Nachteilen verbunden, denn wie dargelegt wurde, schaffen Institutionen Richtlinien für das Verhalten von Akteuren und schränken deren Alternativenraum ein. Eine Hauptfunktion von Institutionen besteht darin, eine stabile Ordnung zu schaffen und die Unsicherheit menschlicher Interaktion zu verringern. 129 Um ihre eigentliche Funktion erfüllen zu können, sind damit an Institutionen stabile Erwartungen gebunden. Vielmehr basiert auf der Persistenz institutioneller Strukturen und einer gewissen Erwartbarkeit der dauerhaften Geltung der Regeln deren Effizienz bei der Koordination von Interaktionen.130 Die erhöhte Offenheit von Regeln stellt einen weiteren Ansatzpunkt der Flexibilisierung dar und würde der Notwendigkeit eines permanenten Wandels von Institutionen entgegenwirken. Denn je weniger präzise Sachverhalte im vornherein geregelt werden, umso langsamer veralten die Steuerungsbefehle, beispielsweise angesichts des raschen technischen Fortschritts.131 Diese Stabilität wird jedoch mit einer wachsenden Rechtsunsicherheit erkauft, da konkrete Einzelfragen regelmäßig nicht institutionell geregelt sein können. Ob eine bestimmte Technologie oder Verfahren den gesetzlichen Anforderungen im gewünschten Maße nachkommt, kann bei einer unzureichend präzisen Ausformulierung des technischen Regelwerks offen bleiben, was gleichbedeutend mit einer erhöhten Rechtsunsicherheit für die Aufgabenträger ist. Aus diesem Grund wird eine der Rechtsprechung innewohnende Flexibilität und die Forderung nach Rechtssicherheit als unvereinbar angesehen.132 Auch aus institutioneller Sicht zeigt sich folglich ein Zielkonflikt zwischen Stabilität und Flexibilität. Es ist einerseits notwendig, dass Institutionen stabil sind, andererseits wurde gezeigt, dass ein adäquater Umgang mit Unsicherheit – insbesondere unter dem Gesichtspunkt von Anpassungseffizienz – einen hinreichenden Grad an Flexibilität benötigt.133 Wie auch bei der technischen Flexibilität gilt es zwischen den widerstreitenden Anforderungen zu vermitteln und einen optimalen Grad institutioneller Flexibilität zu bestimmen. Eine Reihe der o. g. Maßnahmen weisen einen solchen vermittelnden Charakter auf. So ist die Forderung, dass Regeln über eine gewisse Mindestlaufzeit relativ unverändert bleiben müssen, nicht gleichbedeutend mit einem gänzlichen Ausschluss von Wandel. Es gilt hier insbesondere, die Institutionen zu identifizieren und anzupassen, die in ihrer Ausgestaltung als überholt angesehen werden müssen. Hierzu zählen vor allem die rechtlichen Regelungen, die sachgrundlos hemmend auf die Verbreitung innovativer Lösungen wirken. Um einen Wandel zu induzieren, gleichzeitig aber radikale Brüche zu vermeiden, können Übergangsregelungen (AusnahVgl. North (1992), S. 4; Kiwit / Voigt (1995), S. 2 ff. Zu diesem Punkt ausführlich Priddat (1996), S. 18 f. 131 Vgl. Reinhardt (2012), S. 649. 132 Vgl. Wolff (2011), S. 549 ff. 133 In diesem Sinne auch De Toni / Tonchia (1998), S. 1590: „[…] an organization must possess some procedures which enhance its flexibility in order to avoid becoming rigid, but it must also be anchored in some way in order to avoid chaos.“ 129 130
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mezustände) unter Beibehaltung stabiler Grundstrukturen einen Ansatz darstellen.134 Ein Kompromiss zur Erhöhung der Offenheit von Regeln könnte darin gesehen werden, dass vermehrt Zielzustände festgelegt werden, während die konkreten Maßnahmen weniger restriktiv vorgegeben werden und sich zugleich nicht länger an bestehenden Strukturen orientieren.135
V. Fazit Der vorliegende Beitrag versucht, der weithin zu vernehmenden, aber wenig konturierten Forderung nach erhöhter Flexibilität bei Wasserinfrastruktursystemen mehr Gehalt zu verleihen. Es wurde gezeigt, dass der Grad der Flexibilität grundsätzlich durch den gegebenen Alternativenraum sowie die Anpassungsdauer und -kosten determiniert wird. Darauf aufbauend konnten für das das sozio-technische Wasserinfrastruktursystem Handlungsfelder sowohl auf Seite der Technologien wie auch der Institutionen ausgemacht und konkrete Maßnahmen benannt werden (siehe Abbildung 2). Es zeigte sich, dass eine Erhöhung der Flexibilität von Wasserinfrastruktursystemen nicht gleichbedeutend mit einem Systemwechsel sein muss und dass auch im konventionellen System flexibilitätserhöhende Maßnahmen ergriffen werden können. Aus technischer Sicht sind es Maßnahmen wie das Erschließen neuer Kundengruppen oder eine Co-Vergärung in Kläranlagen, welche den Optionenraum erweitern und einen Beitrag dazu leisten können, die Funktionsfähigkeit bzw. Wirtschaftlichkeit unterausgelasteter Systeme aufrecht zu erhalten. Allerdings eröffnen sich bedeutend mehr Flexibilitätspotenziale, wenn eine (partielle) Abkehr von bisherigen technischen Ansätzen erfolgt. Dabei sind Maßnahmen möglich, bei denen das Paradigma netzgebundener Infrastruktursysteme nicht in Frage gestellt wird, jedoch durch technische Maßnahmen eine (zukünftig) erhöhte Anpassungsfähigkeit gegeben ist. Andererseits können auch radikalere Ansätze ohne die Nutzung weiträumiger Leitungsnetze Anwendung finden, die der Zielstellung der Flexibilität insgesamt am meisten Rechnung tragen. Es wurde weiterhin gezeigt, dass für eine Flexibilisierung von Wasserinfrastruktursystemen zahlreiche institutionelle Ansatzpunkte existieren. So können institutionelle Maßnahmen im konventionellen System als Reaktion auf veränderte Bedarfsstrukturen ergriffen werden (Nachfragemanagement). Weit bedeutender sind Institutionen jedoch für die Steuerung der flexibilitätserhöhenden Technologien. Um deren Anwendung und Verbreitung zu ermöglichen, sind zuweilen weitreichende Anpassungen des institutionellen Rahmens erforderlich. Neben relativ kurzfristig umsetzbaren Maßnahmen kann dies auch langfristige institutionelle Reformprozesse von 134 135
Vgl. Londong / Hartmann (2014), S. 9. Vgl. Londong / Hartmann (2014), S. 8.
hemmt
(z. B. einfachere Technik, begehbare Leitungsgänge)
Gr aduelle Anpassung des konventi onellen Systems
ermöglichend / beschränkend
(z. B. Planungsverfahren, rechtliche Rahmenbedingungen)
ausschließend
befördert
(z. B. NASS, semi-dezentrale Ansätze der Abwasserbewirtschaftung)
Alter native Systemlösungen
ermöglichend / beschränkend
(z. B. wettbewerbsorientierte Lösungen)
Adäquate Anr eizstr ukturen
befördert
Technische Dimension
(z. B. Förderung von Lernprozessen)
Revision von mentalen Modellen und Ideologien
befördert
Abbildung 2: Technische und institutionelle Handlungsfelder zur Flexibilisierung von Wasserinfrastruktursystemen
Quelle: eigene Erstellung.
(z. B. neue Kundengruppen, Co-Vergärung)
Flexibilisier ung im konventi onellen System
ermöglichend / beschränkend
(z. B. Nachfragemanagement)
Flexibilisier ung im konventi onellen System
hemmt
Insti tuti onelle Anpassungen als Gr undlage für technologische Flexibilität
Anpa ssungse ffiziente Institutionen
Institutionelle Dimension
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rechtlichen Rahmenbedingungen und technischer Standards bedeuten. Noch länger benötigt die Anpassung informeller Institutionen. Historisch gewachsene Handlungslogiken und Ideologien stellen institutionelle Hemmnisse dar, die sich einer kurzfristigen Steuerbarkeit entziehen. Eine möglichst große Offenheit des institutionellen Rahmens für das Ausprobieren neuer Lösungen wurde zugleich als ein bedeutender Bestandteil von anpassungseffizienten Institutionen ausgewiesen. Weiterhin erfordert Anpassungseffizienz adäquate Anreizstrukturen. Die Umsetzung innovativer Verfahren und Lösungen wird regelmäßig nur dann erfolgen, wenn neben der Möglichkeit zur Umsetzung auch die erforderlichen Anreize bestehen. Insgesamt sollte die Infrastrukturplanung in der Wasserwirtschaft deshalb nicht länger als Investitionsplanung verstanden werden, sondern die Initiierung und Förderung kreativer Lösungen im Vordergrund stehen. 136 Um im Sektor weiterhin einen Kostendruck zu simulieren und damit den Prozess zur Suche nach neuen Lösungen zu befördern, stellen wettbewerbsorientierte Lösungen einen weiteren Ansatzpunkt dar. Nicht jede der im Rahmen der Arbeit vorgestellten Lösung kann allen Flexibilitätsanforderungen in gleichem Maße gerecht werden. Während einige Ansätze insbesondere den dynamischen Bedarfsstrukturen Rechnung tragen, zeichnen sich andere Lösungen auch verstärkt durch eine erhöhte Offenheit für neue Technologielösungen aus, mit denen zugleich andere Zielstellungen wie eine erhöhte Ressourceneffizienz nachgekommen werden kann. Jede der aufgezeigten Maßnahmen erhöht in unterschiedlicher Weise die zukünftige Flexibilität im Sektor der Siedlungswasserwirtschaft, kann diese zugleich an anderer Stelle auch einschränken. So würde die Umsetzung begehbarer Leitungsgänge die Flexibilität des konventionellen Systemansatzes deutlich erhöhen. Allerdings würde durch die damit verbundene Festigung der Netzstrukturen ein späterer Pfadwechsel zu – möglicherweise langfristig flexibleren – Lösungen außerhalb des netzgebundenen Paradigmas auf lange Frist erschwert werden. Auch die Maßnahmen, die innerhalb des konventionellen Systems ergriffen werden können, wirken ambivalent. Einerseits können hierdurch akute Problemlagen, wie eine Unterauslastung entschärft werden, andererseits wird hierdurch der Anpassungsdruck vermindert und damit die Umsetzung langfristig womöglich flexiblerer Systeme gehemmt. Zugleich wurde gezeigt, dass Flexibilität regelmäßig nicht „umsonst“ zu haben ist und auf vielfältige Weise Kosten verursacht. In technischer Hinsicht bestehen diese vornehmlich durch den Verlust der Größenvorteile zentraler (inflexibler) Systeme im Vergleich zu (flexibleren) semi-dezentralen Systemen. Aus institutioneller Sicht sind es der mit einer Dezentralisierung verbundene Kontroll- und Steuerungsverlust sowie die mit einer erhöhten Offenheit von Rechtsvorschriften einhergehende Rechtsunsicherheit, die gegen eine uneingeschränkte Flexibilisierung sprechen.
136
Vgl. Kluge / Scheele (2008), S. 167.
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Zusammenfassend soll festgehalten werden, dass eine erhöhte Flexibilität in der Siedlungswasserwirtschaft aufgrund der dynamischen Rahmenbedingungen geboten scheint. Welche Maßnahmen hierfür ergriffen werden sollten, hängt jedoch in starkem Maße von den jeweiligen lokalspezifischen Herausforderungen und Rahmenbedingungen ab. Vor allem gilt es zu klären, welche Ziele durch die Flexibilität (Funktionsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit, neue Funktionen) erreicht werden sollen und ob hierfür ein Verlassen des vorherrschenden Technologieparadigmas erforderlich wird. Weiterhin sollte eine genaue Abwägung der Zielkonflikte erfolgen. Denn es kann nicht darum gehen, die Systeme auf höchstmögliche Flexibilität auszurichten, sondern unter Abwägung aller Vor- und Nachteile sollte ein optimales Verhältnis aus Flexibilität und Stabilität zu erreicht werden. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die vorherrschenden Optionen wie auch die Anpassungszeit. So könnte die optimale Strategie auch darin bestehen, die Zeit bis zum Ende der Nutzungsdauern durch kurzfristige Maßnahmen (Nachfragemanagement, Co-Vergärung) zu überbrücken, um anschließend weitreichende Umbaumaßnahmen zu ergreifen. Die Balance zwischen Stabilität und Flexibilität spiegelt sich in den Ver- und Entsorgungskonzepten der Kommunen wider. In Kommunen, bei denen eine besonders starke Unsicherheit bezüglich der Nachfrageentwicklung und weiterer bedeutender Einflussfaktoren vorherrscht, sollte flexibilitätserhöhenden Maßnahmen besondere Beachtung geschenkt werden. Wenngleich die Flexibilisierung der Wasserwirtschaft eine bedeutende Herausforderung darstellt, sind die Flexibilitätsanforderungen des Wassersektors im Vergleich zu anderen Infrastrukturen vergleichsweise gering. Während der Bereich der Informationstechnologie durch extrem rasch veränderte Rahmenbedingungen (Nachfrage, Technologie) gekennzeichnet ist, erfolgen die Veränderungen im Wassersektor vergleichsweise langsam. Die Herausforderungen resultieren vielmehr aus der jetzigen Trägheit und Lock-In-Situation, die mit den sich wandelnden Rahmenbedingungen unvereinbar sind sowie der sehr langfristigen Planungsperspektive. Daher müssen vielerorts bereits heute Maßnahmen ergriffen werden, um zukünftig flexible(re) Wasserinfrastruktursysteme bereitstellen zu können.
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Komparative Analyse von Verfahren der Entgeltkontrolle: Kostenpreise versus Missbrauchsaufsicht* Von Erik Gawel
I. Regime der Entgeltkontrolle für Wasserpreise 1. Problemstellung Die Entgelte der Wasserwirtschaft in Deutschland sind spätestens seit der erstmaligen Aktivierung der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle durch das Landeskartellamt Hessen Ende der 90er / Anfang der 2000er Jahre heftig umstritten. Bereits 1997 hatten die Kartellbehörden des Bundes und der Länder vereinbart, die Aufsicht über Wasserpreise zu intensivieren.1 Seit längerem bereits wird eine allgemeine Effizienzdiskussion über die deutsche Wasserwirtschaft geführt, die der Frage nachgeht, inwieweit geeignete Rahmenbedingungen für eine effiziente Leistungsabgabe bestehen.2 Im Mittelpunkt der neueren Debatte steht freilich die Kontrolle der Entgelthöhe bei der Trinkwasserversorgung. Als sog. natürliches Monopol steht die netzgebundene Trinkwasserversorgung nicht nur wegen der rechtlichen Zuweisung als Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge3 bzw. als kartellrechtlicher Ausnahmebereich nach § 31 GWB außerhalb des Wettbewerbssektors; eine wettbewerbliche Organisation der Trinkwasserversorgung ist darüber hinaus auch aus ökonomischen Gründen vernünftigerweise ausgeschlossen, weil die netzgestützte Versorgungsaufgabe wegen der besonderen produktionstechnischen Bedingungen des Netzbetriebs von einem Monopolisten günstiger ausgeführt werden kann als von mehreren konkurrierenden Anbietern. Selbst die in anderen Netzmonopolbereichen wie Strom, Telekommunikation und Eisenbahn im Rahmen von „Liberalisierung“ durchgeführte „funktionale Entbündelung“ von Netzbetrieb und netzgestützter Servicedienstleistung wird im Trinkwasserbereich aus technischen Gründen für praktisch undurchführbar gehalten.4 * Aktualisierte und stark erweiterte Fassung des Beitrages Gawel (2013). 1 Siehe „Entschließung der Kartellreferenten des Bundes und der Länder vom 18. 9. 1997 zur kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle der Wasserpreise von Haushaltskunden“, in: Hempel / Franke (2006), Abschnitt 1. 2. 2 (Entschließungen und Berichte zum GWB). 2 Siehe dazu im Überblick Gawel / Bedtke (2015). 3 § 50 Abs. 1 WHG i. V. m. Art. 28 Abs. 2 GG bzw. ausdrückliche landesrechtliche Aufgabenzuweisungen an die Gemeinden, z. B. in § 47a LWG NW.
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Daher bedarf die in öffentlicher Aufgabenträgerschaft stehende und als Lokaloder Regionalmonopol organisierte Trinkwasserversorgung im Interesse der Nutzer, denen marktliche Wahlmöglichkeiten insoweit nicht zur Verfügung stehen, einer kompensatorischen staatlichen Entgeltkontrolle. Diese kann verfassungsrechtlich auf das Verhältnismäßigkeitsgebot staatlichen Handelns gestützt werden, etwa im Falle einer Gebührenerhebung, aber auch auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG, der für die „Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung“ die konkurrierende Gesetzgebung vorsieht. Tatsächlich unterliegen die Entgelte für Wasserversorgungsdienstleistungen in Deutschland je nach Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Versorger und Wassernachfrager höchst unterschiedlichen Regelungssystemen für die Entgeltkontrolle aus dem Gebühren-, Tarif-, Zivil-, Kartell- und Gemeinschaftsrecht:5 Insbesondere den traditionellen kommunalabgabenrechtlichen Vorschriften für Benutzungsgebühren im Falle eines öffentlich-rechtlichen Nutzungsverhältnisses steht – nach verstärkter Aktivitätsentfaltung einiger Kartellbehörden und zustimmender obergerichtlicher Judikatur6 – zunehmend auch eine kartellrechtliche Missbrauchskontrolle7 gegenüber. Diese erstreckt sich freilich bislang nur auf privatrechtliche Entgelte, auch wenn der BGH unlängst diese vermeintlich klare Sphärentrennung wieder in Frage gestellt und eine ausnahmsweise Erstreckung der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle auch auf Gebühren zumindest für möglich erachtet hat.8 Die 8. GWB-Novelle 2013 hat demgegenüber in § 130 Abs. 1 Satz 2 GWB ausdrücklich klargestellt, dass die Sanktionsgewalt der Kartellbehörden auf privat-rechtliche Entgelte beschränkt bleibt. 9 Damit bleibt es bei der grundlegenden Dichtotomie der Verfahren der Entgeltkontrolle aus dem Gebührenrecht einerseits und aus dem Wettbewerbsrecht andererseits. Diese beiden Entgeltkontrollregime im Gebührenrecht und im Wettbewerbsrecht basieren auch materiell auf vollkommen verschiedenen Regelungskonzepten (Tab. 1): Dem kommunalabgabenrechtlichen Kostenpreis, der die Entgelthöhe an beobachtbare, nach bestimmten Regeln zu bewertende Ressourcenverbräuche (Kosten) des jeweiligen Anbieters knüpft, steht im Rahmen der neuerdings verstärkt herangezogenen kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht insbesondere ein Vergleichsmarktkonzept gegenüber, das die Legitimation von Entgeltforderungen im Wesentlichen anhand der Vergleichbarkeit mit beobachteten Preisen anderer Unternehmen Meran (2011), S. 27, 28 f.; Oelmann (2008), S. 113; Bedtke / Gawel (2015), S. 366 ff. Siehe zum Entgeltrecht allgemein im Überblick auch Schäfer / Reimer (2011). 6 Siehe hierzu BGH, B. v. 2. 2. 2010 – KVR 66 / 08; OLG Düsseldorf, B. v. 8. 12. 2010 – VI-2 Kart 1 / 0 (V); OLG Frankfurt, B. v. 3. 3. 2011 – 11 W 2 / 11(Kart); OLG Düsseldorf, B v. 24. 2. 2014 – VI-2 KArt. 4 / 12 (V). 7 Hierzu im Überblick statt vieler Lotze / Reinhardt (2009a). 8 BGH, B. v. 18. 10. 2011 – KVR 9 / 11; dazu Hellriegel (2012), S. 118 f., sowie Hellriegel / Teichmann (2012). Zu dieser Frage auch Reinhardt (2010b); Wolf (2013); Brüning (2012). Zur neueren Rechtsprechung zu Wasserentgelten allgemein auch Queitsch (2014a); ders. (2014b). 9 Dazu sehr kritisch Coenen / Haucap (2014); Schmidt / Weck (2013); zustimmend erwartungsgemäß für den VKU Ammermüller u. a. (2014). 4 5
Komparative Analyse von Verfahren der Entgeltkontrolle
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Tabelle 1 Gebührenrecht und Wettbewerbsrecht als Entgeltkontrollregime Regelungsaspekt
Gebührenrecht
Materielles Kontrollkonzept
Kostenpreis (Kostendeckungsprinzip, z. B. § 6 I KAG NW)
(räumliches) Vergleichsmarktkonzept / Kostenkontrolle (§§ 31 IV, 19 II GWB)
Prozedurale Sicherung
u. a. Kommunalaufsicht; Verwaltungsgerichte
Kartellbehörden; Zivilgerichte
Preispolitische Perspektive
Interessenausgleich (Refinanzierung / Erschwinglichkeit)
Wirtschaftlichkeit
Anwendungsbereich de lege lata
öff.-rechtliche Gebühren / privatrechtliche Entgelte
privatrechtliche Entgelte
Anwendungsbereich de lege ferenda
Wettbewerbsrecht
privatrechtl. Entgelte (öff.-rechtl. Gebühren?)
Quelle: eigene Erstellung.
überprüft, jedenfalls soweit diese „ähnliche“ Produktions- und Versorgungsbedingungen aufweisen. Daneben finden allerdings auch bei der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht Kostenprüfungen Anwendung, die nach der 8. GWB-Novelle 2013 nunmehr in § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB auch ausdrücklich erwähnt sind. Die sich aus den Unterschieden im materiellen Prüfansatz ergebenden Auswirkungen auf die Kontroll- und Begrenzungskompetenz der beiden Entgeltregime sind erheblich (dazu näher III.). Neben der Unterscheidung nach rechtlicher Ausgestaltung des Nutzungsverhältnisses (privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich) sind zudem bei Wasserdienstleistungen die Art der erbrachten Leistung (wirtschaftliche versus hoheitliche Betätigung, etwa im Abwasserbereich) sowie die Rechtsform des Betriebes (etwa im Umsatzsteuerrecht) von Bedeutung für die Entgeltgestaltung. Insgesamt unterliegen damit die Regelungen für Preise von Wasserdienstleistungen der Ver- und Entsorgung einer historisch bedingten, vielfachen Fragmentierung nach Leistungsbereich, Entgeltart und Betriebsrechtsform, welche jedenfalls nicht durch ökonomisch abweichende Produktions- oder Versorgungsbedingungen gestützt oder gar indiziert ist und daher immer wieder zu Forderungen nach rechtspolitischer Harmonisierung Veranlassung gibt.10 Daneben sorgen Landeskompetenzen beim materiellen Recht 10 So mit Blick auf eine einheitlich zu gestaltende kartellrechtliche Entgeltkontrolle Monopolkommission (2010); dies. (2012); Bundeskartellamt (2012); Coenen / Haucap (2014). Das juristische Schrifttum zeigt sich bisher ablehnend, siehe statt vieler Daiber (1996), S. 361, 362 f.; Emmerich (2007), § 130, Rn. 39; Breuer (2009), S. 1249 f.; Kühling (2010), S. 205,
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(Kommunalabgaben) oder im Vollzug (Landeskartellbehörden) für eine weitere regionale Ausdifferenzierung von Entgeltanforderungen und Entgeltstrukturen.
2. Aktuelle Debattenstränge Die aktuelle Diskussion um die Kontrolle von Trinkwasserentgelten11 wird von der Problematik der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht beherrscht. Dabei kreist die Debatte einerseits um Reichweite und materiellen Gehalt des gegebenen entgeltkontrollierenden Wettbewerbsrechts nach §§ 19, 31 GWB: In Frage stehen hierbei zunächst, für welche Fallgestaltungen der Wasserversorgung die kartellrechtliche Missbrauchskontrolle im Einzelnen rechtlich eröffnet ist. Insbesondere ist zu konkretisieren, wie die jeweils auferlegten Beweislasten sowie die Anforderungen an die Vergleichbarkeit („gleichartige“ Unternehmen nach § 31 Abs. 4 Nr. 2 GWB) bzw. die Preisrechtfertigung nach § 31 Abs. 4 Nr. 2 und 3 GWB („nicht zurechenbare Umstände“, „angemessene Überschreitung“; „rationelle Betriebsführung“) für die Praxis auszulegen sind. Andererseits wird – auch nach der 8. GWB-Novelle – eine mögliche grundsätzliche Reform des kartellrechtlichen Kontrollregimes diskutiert, insbesondere mit dem Ziel eines umfassenden Zugriffs der Entgeltkontrolle nach GWB, unabhängig von den jeweiligen institutionellen Ausgestaltungen des Versorgungsträgers oder des Versorgungsverhältnisses.12 Darüber hinaus wird gefordert, anstelle einer (umfassend gültigen) Missbrauchsaufsicht für den Wassersektor eine neuartige sektorspezifische Anreizregulierung zu etablieren. 13 Neben diesen wettbewerbsrechtlichen Fragen wird eher vereinzelt der Frage nachgegangen, inwieweit auch Nachhaltigkeitsanforderungen des Gewässerschutzes Einfluss auf die kommunale Entgeltgestaltung nehmen (sollen), insbesondere im Lichte der gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an die Entgeltgestaltung für Wasserdienstleistungen nach Art. 9 WRRL.14
212; Reinhardt (2010b), S. 296. Rajczak (2014), S. 409, betont, die Fragmentierung sei aus Respekt vor der föderalen Kompetenzverteilung „hinzunehmen“ und spricht von „Harmonisierungsresistenz“. 11 Siehe nur Oelmann (2005); Berg / Soyez (2006); Böschen (2006); Lotze (2008); Reinhardt (2008); Breuer (2009); Ünlü (2009); Markert (2009); Gerstner (2009); Lotze / Reinhardt (2009a); Kühling (2010); Lotze (2010); Ritzenhoff (2010); Daiber (2010a); ders. (2010b); ders. (2013); Klaue (2010); Kiesl et al. (2010); Fabry / Meßmer (2008); dies. (2010); Reinhardt (2010a); ders. (2010b); Büdenbender (2010); Queitsch (2010); Monopolkommission (2010), dies. (2012); Brömmelmeyer (2011); Rösch (2011); Säcker (2012); Wolfers / Wollenschläger (2012); dies. (2014); Janda (2012); Meran (2012); Gawel (2012a); Kerber (2013); Rajczak (2014); Wiehage (2015). 12 Janda (2012), S. 356 f.; Monopolkommission (2010); dies. (2012); Coenen / Haucap (2014). 13 Monopolkommission (2010); dies. (2012); Coenen / Haucap (2014). 14 Die Auswirkungen von Art. 9 WRRL auf die kommunalen Entgelte diskutieren Schmutzer (2006), S. 228; Reinhardt (2008), S. 125, 131; Gawel (2012b), S. 1; Desens (2008), S. 266 ff.; Kolcu (2008), S. 139 ff.
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Hiervon wiederum völlig unbeeindruckt wird im Schrifttum auch der ältere kommunalabgabenrechtliche Debattenstrang fortgeführt, welcher die Gestaltungsvorgaben des Kommunalabgabenrechts für Höhe und Struktur von Benutzungsgebühren auch für Wasserversorgungsdienste erörtert.15 Bislang darf man wohl je nach Rechtsmaterie weitgehend separierte Diskursstränge konstatieren.16 Eine integrierte Betrachtung der „Kontrolle der Wasserpreisgestaltung zwischen Kommunalabgabenrecht, Wettbewerbsrecht und Gewässerschutz“17 ist bislang jedenfalls Mangelware. Dies ist schon deshalb erstaunlich, weil in einer einzigen Variablen, dem Preis für Wasserversorgungsdienstleistungen, so unterschiedliche preispolitische Zielsetzungen wie Effizienz der Produktionsbedingungen, Erschwinglichkeit der Entgelte, Anreize zum Schutz natürlicher Wasserressourcen sowie auskömmliche Refinanzierung für die Dienstleister sichergestellt und sinnvoll miteinander versöhnt werden müssen. Die bislang überwiegend gepflogene isolierte Diskussion von Teilaspekten anhand partieller Zielvorgaben einzelner Rechtsgebiete – etwa die Bedeutung von Art. 9 WRRL für kommunale Entgelte, Reichweite und Gehalt von Art. 31 Abs. 4 GWB oder aber die Rolle gebührenrechtlicher Kalkulationsmaximen – dürfte jedenfalls in dieser Form nicht mehr weiterführend sein. Auch die gegenwärtig die Debatte beherrschende Besorgnis einer die besondere Marktstellung missbräuchlich nutzenden Entgeltüberhöhung fokussiert allzu einseitig auf den Aspekt der Produktionseffizienz bei der Preisgestaltung. Stattdessen werden Konzepte benötigt, welche die bislang separat kodifizierten entgeltrechtlichen Wertungen diverser Rechtsbereiche (WRRL, Kommunalabgabengesetze, GWB, Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB) möglichst bruchlos zu einem konsistenten Anforderungssystem an die Entgelte für Wasserdienstleistungen zusammenzufügen versteht. Denn auch wissenschaftlich erscheint bislang noch weitgehend unklar, wie in der Praxis eine überzeugende, integrierte Lösung aller konkurrierenden Preisansprüche in einem konsistenten Entgeltrecht18 aussehen könnte.
3. Leistungsfähigkeit von Entgeltkontrollregimen als wissenschaftliche Herausforderung Ein wichtiger Schritt in diese Richtung könnte zunächst eine nähere Betrachtung der eigentlichen Leistungsfähigkeit der beiden de lege lata dominierenden Entgeltkontrollregime von Gebührenrecht und Wettbewerbsrecht darstellen. Jedenfalls Siehe nur Schulte / Wiesemann (2015), § 6, Rn. 490 ff.; Franz (2003); Gawel (1999). Zu diesem Phänomen – wenngleich am Beispiel der „richtigen“ Wasserverbrauchsmenge – instruktiv Wissen (2009), S. 115 ff. 17 So der Titel des integrativen Ansatzes von Reinhardt (2008). Siehe insoweit auch Hellriegel / Schmitt (2010), die immerhin vergleichend gebühren-, tarif-, zivil- und kartellrechtliche Entgeltmaßstäbe betrachten, freilich die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen und wasserrechtlichen Verschränkungen ausblenden. 18 Zum gegenwärtigen Stand im Überblick auch Schäfer / Reimer (2011). 15 16
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führt die Frage nach der komparativen Leistungsfähigkeit alternativer Kontrollregime bislang rechtspolitisch ein Schattendasein: Gebühren- wie Kartellrecht zielen aber bei der Entgeltkontrolle gleichermaßen darauf ab, die Marktmacht eines monopolistischen Versorgers zu begrenzen und dadurch die Nutzer vor „übermäßiger finanzieller Beanspruchung“19 zu bewahren. Sie referieren damit beide auf ein durchaus vergleichbares Zielkonzept von kompensatorischer Entgeltkontrolle und -begrenzung zur Balancierung zuvor rechtlich eröffneter wirtschaftlicher Macht als Folge einer lokalen oder regionalen Monopolstellung. Ob die Maßstäbe und Regelungskonzepte der gebührenrechtlichen im Vergleich zur kartellrechtlichen Preismissbrauchskontrolle dabei „,besser‘ oder ‚schlechter‘, ‚effizienter‘ oder ‚weniger effizient‘ sind“, mag aus juristischer Sicht zunächst als bloßer Gegenstand eines „rechtspolitischen Wettbewerbs der Aufsichtsregime“20 anzusehen sein – was freilich immerhin der rechtspolitischen Weiterentwicklung von Entgeltregeln wissenschaftliche Argumente zuführen könnte. Aus ökonomischer Sicht ist hingegen klar, dass – gemessen an noch zu explizierenden Kriterien – die Feststellung eines „Besser“ oder „Schlechter“ der Kontrollregime von großer Relevanz ist und die rechtspolitischen Entscheidungen maßgeblich anleiten kann. Darüber hinaus wird im juristischen Schrifttum (zum Teil implizit) auch von „gleichwertigen“ Kontrollsystemen ausgegangen,21 an deren Funktionsäquivalenz bisweilen sogar verfassungsrechtliche Ausschlusswirkungen geknüpft werden, die eine parallele Anwendbarkeit beider Kontrollregime ggf. gegenseitig ausschließen könne.22 Daher verdient die nähere Betrachtung der komparativen Leistungsfähigkeit beider Entgeltkontrollregime wohl auch über die rechtspolitische Dimension hinaus durchaus eine höhere Aufmerksamkeit in der aktuellen Diskussion. Im wettbewerbsökonomischen Schrifttum werden alternative Ansätze zur Entgeltkontrolle durch Simulation von Wettbewerb unter den Bedingungen eines natürlichen Monopols seit langem theoretisch-abstrakt23 sowie in neuerer Zeit auch verstärkt mit Blick auf die Wasserversorgung diskutiert.24 Dabei stehen aber typischerweise weder die sich gegenwärtig in der Praxis gegenüberstehenden Kontrollsysteme des Gebühren- und Kartellrechts im Vordergrund noch werden hierbei die institutionellen Bedingungen der jeweiligen konkreten Steuerungsansätze des deutschen Entgeltrechts berücksichtigt. Auf eher abstrakter Ebene wird in ökonomischen Analysen
19 Reinhardt (2008), S. 125, 144, der insoweit auch von einer „einheitlichen Aufgabe“ spricht. 20 Wolfers / Wollenschläger (2012), S. 273, 279. 21 So ausdrücklich Reinhardt (2010b), der bei öffentlich-rechtlichen Versorgungsverhältnisse entgegen mancher Vermutung eine ebenso wirksame Missbrauchskontrolle gegeben sieht. 22 So jedenfalls mit Blick auf die föderale Kompetenzverteilung nach Art. 70 ff. GG und das Ziel der Monopolmachtbegrenzung Wolfers / Wollenschläger (2012), S. 273, 277. 23 Laffont / Tirole (1993); Shleifer (1985); Littlechild (1988); Böhm (2010). 24 Siehe z. B. Oelmann (2005); ders. (2008), S. 113; Stuchtey (2002); Böschen (2006); Meran (2012); ders. (2011); Gawel (2012a); Bedtke / Gawel (2015).
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der im juristischen Schrifttum verbreiteten Einschätzung der funktionalen Äquivalenz und wohl auch Suffizienz von Gebühren- und Kartellrecht bei der Aufgabe der Monopolmachtbegrenzung die Anti-These der dreifachen Insuffizienz entgegen gestellt: Weder erscheinen gebührenrechtliche Kostenpreise noch punktuelle behördliche Missbrauchsverfügungen für sich genommen jeweils ausreichend, um Wettbewerbsergebnisse in Monopolbereichen wirksam zu simulieren, noch wird hier eine funktionale Gleichwertigkeit beider Kontrollregime angenommen.25 Dies nimmt etwa die Monopolkommission zum Anlass, kurzfristig eine Ausdehnung des als überlegen wahrgenommenen Missbrauchskontrollkonzeptes im GWB auf sämtliche Wasserversorgungsverhältnisse (auch im Gebührenbereich) zu fordern sowie – wegen insgesamt immer noch unbefriedigender Wirkmacht der so erzielbaren Kontrolle – perspektivisch eine noch weitergehende Unterstellung des Wassersektors unter die (Anreiz-)Regulierung durch die Bundesnetzagentur für geboten zu erachten. 26 Der jedenfalls in der aktuellen Debatte beschworene Antagonismus zwischen den Regelungskonzepten des Gebühren- und des Wettbewerbsrechts dürfte hinsichtlich des materiellen Steuerungs- und Kontrollgehaltes für Wasserentgelte auch keineswegs überzeichnet sein, wie Reinhardt andeutet:27 Zwar lassen sich verschiedene wechselseitige Referenzen des öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Kontrollregimes finden, etwa die Erstreckung von Anforderungen des Gebührenrechts auch auf privatrechtliche Entgelte nach Maßgabe des Landesrechts 28 bzw. grundlegend nach der Lehre vom Verwaltungsprivatrecht29 oder aber die jüngsten Erwägungen des BGH in Bezug auf eine kartellrechtliche Missbrauchskontrolle auch im Gebührenbereich nach altem GWB.30 Dies zeigt aber wohl nur, dass naturgemäß keine völlige Sphärentrennung der Versorgungsbereiche besteht; die auf diese Weise rechtlich eröffneten materiellen und prozeduralen Unterschiede in der Entgeltkontrolle sind gleichwohl ganz erheblich und stellen rechtspolitisch durchaus Legitimations- und Konsistenzfragen (dazu unten III.). Daher dürfte zweifelhaft sein, inwieweit die als geboten erachtete „grundsätzlich einheitliche Betrachtungsweise“31 gegenwärtig durch das multipel fragmentierte Entgeltrecht tatsächlich gewährleistet werden kann. Siehe etwa Oelmann (2005). Siehe dazu die Nachweise in Fn. 9. 27 Reinhardt (2008), S. 125, 134 f.: Die „kategorische Gabelung des Versorgungsrechts […] suggeriert […] eine größere Ungleichheit der inhaltlichen Ausgestaltung der Wasserpreiskontrolle als dies bei näherem Hinsehen tatsächlich der Fall ist.“ 28 So sehen die Kommunalabgabengesetze einiger Länder eine unmittelbare Erstreckung gebührenrechtlicher Anforderungen auf privatrechtliche Entgelte vor, z. B. § 7 Abs. 9 KAG RP oder § 2 Abs. 6 Satz 2 ThürKAG. 29 BGH, NJW 1992, 171, 173; siehe auch Stelkens (2004). Von „fruchtbar“ zu machenden Wertungen von Gebührenrecht und öffentlichem Preisrecht für die Missbrauchskontrolle spricht auch Brüning (2015), S. 179. 30 Siehe Fn. 8. 31 Reinhardt (2008), S. 125, 135. 25 26
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Vor diesem Hintergrund erscheint es daher nicht nur rechtspolitisch hilfreich, eine komparative Leistungsfähigkeitsanalyse für die beiden de lege lata tatsächlich relevanten Kontrollsysteme vorzunehmen – und dies auch unter Berücksichtigung ihrer konkreten institutionellen Ausgestaltung und Wirkbedingungen zu tun. Zu diesem Zwecke wäre zunächst zu fragen, woran sich „Leistungsfähigkeit“ eines Entgeltkontrollregimes eigentlich konkret festmachen lässt (Performanzkriterien – Abschnitt II.), welches Kontrollregime denn nach diesem Verständnis leistungsfähiger erscheint (III.) und was hieraus für die Debatte um die Reichweite des Wettbewerbsregimes, das Verhältnis der Kontrollsysteme untereinander sowie den rechtspolitischen Reformbedarf folgt (IV.).
II. Performanzkriterien für die komparative Leistungsfähigkeit der Kontrollregime Ein Entgeltkontrollregime zur Begrenzung preislicher Monopolmacht kann als „leistungsfähig“ gelten, wenn folgende Zielkriterien erfüllt sind: – Effektivität: Gelingt durch das Kontrollregime tatsächlich eine wirksame Begrenzung der Entgelthöhe? – Kosten-Effizienz: Werden beim Versorger durch das Entgeltkontrollregime Anreize gesetzt, bei gegebenen Qualitätsanforderungen zu Minimalkosten zu produzieren und damit die Preisforderungen an die Nutzer von nicht erforderlichen Kostenbestandteilen freizustellen? Gelingt es mithin, eine effektive Entgeltbegrenzung gerade auch effizient (verschwendungsfrei) ins Werk zu setzen? – Nachfrage-Effizienz: Gelingt eine Entgeltgestaltung derart, dass zugleich die Verbraucher Anreize erhalten, „Wasserressourcen effizient zu nutzen“, wie es Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 1 WRRL formuliert, indem auch sog „Umwelt- und Ressourcenkosten“32 im Preis angemessen abgebildet werden? – Integration: Werden konkurrierende preispolitische Ziele, die möglicherweise in unterschiedlichen Rechtsbereichen kodifiziert sind, berücksichtigt und auch konsistent verarbeitet?
Das zuletzt genannte Anliegen einer stimmigen Integration konkurrierender preispolitischer Ziele ist deshalb von Bedeutung, weil Wasserpreise nicht nur dem Ziel der Wirtschaftlichkeit zu folgen haben, sondern zugleich eine auskömmliche Refinanzierung und dauerhafte Sicherung der Betriebsbereitschaft (Substanzerhalt) für den Versorger ermöglichen müssen und zudem Anreize zu effizienter Ressourcennutzung bei den Nachfragern setzen sollen (Art. 9 WRRL). Ein ausschließlich auf Produktionseffizienz ausgelegtes Entgeltkontrollregime versagt daher vor der Anforderung, eine Lösung für konkurrierende Preisgestaltungsansprüche zu finden. 32
Siehe zum Begriff und zur Verankerung in Art. 9 WRRL Gawel (2014) m. w. Nachw.
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Tatsächlich erweisen sich Wasserpreise vor dem Hintergrund des pluralen preispolitischen Zielfächers gegenwärtig einerseits als „zu hoch“ (weil Monopolrenten enthaltend),33 andererseits als „zu niedrig“ (weil durch Zuschüsse subventioniert und ohne Umwelt- und Ressourcenkosten kalkuliert). So bestehen jedenfalls ernstliche Zweifel, ob etwa im Lichte der Anforderungen aus Art. 9 WRRL die derzeitigen Entgelte für Wasserdienstleistungen in Deutschland insgesamt bereits als „kostendeckend“ gelten können.34 Dies gilt völlig unabhängig von der Frage, ob möglicherweise gleichzeitig die Entgelte dadurch „überhöht“ anmuten, dass mangels Wettbewerb bzw. äquivalentem Kostendruck Monopolrenten durch nicht „erforderlichen“ Werteverzehr entstehen. Beide Phänomene können gleichzeitig auftreten und erschweren eine einfache Außendiagnose über die Angemessenheit der Entgelte. In der ökonomischen Theorie wird dieses Problem zeitgleich „zu hoher“ und „zu niedriger“ Preisforderungen seit langem an dem für die Wasserversorgung durchaus einschlägigen Beispiel eines Monopolanbieters diskutiert, der ein Produkt mit externen Umwelt- und Ressourcenkosten herstellt.35 In diesem Falle führt eine rein wettbewerbsorientierte Monopolpolitik zu Wohlfahrtsverlusten, soweit die Auswirkungen auf die Umwelt nicht berücksichtigt werden; erst eine integrierte Betrachtung und instrumentell modifizierte Monopolkontrolle kann eine gesellschaftlich optimale Monopolpolitik sicherstellen.36 Bedauerlicherweise bleiben die Ausführungen der Monopolkommission zur Regulierung des Trinkwassersektors ohne erkennbare Referenz auf diese bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts formulierten Notwendigkeiten einer integrierten Preiskontrolle bei Monopolbetrieben.37 Ein Kontrollregime jedenfalls, das vor allem dem Wirtschaftlichkeitsziel Raum gibt, muss daher klären, wie dadurch ausgelöster regulativer Kostendruck bei den Versorgern verarbeitet wird und inwieweit dabei konkurrierende preispolitische Belange (Substanzerhalt, Gewässerschutz etc.) noch ausreichend berücksichtigt werden können. Diesem Gedanken soll hier mit dem Performanzkriterium der „Integration“ preispolitischer Teilziele Raum gegeben werden.
33 An dieser ökonomischen Ineffizienzvermutung ändern auch nichts die Entlastungsversuche der Wasserwirtschaft, wonach im internationalen Vergleich das deutsche Wasser seinen Preis wert sei und gerade nicht überteuert anmute – vgl. BDEW (2015). 34 Dazu im Einzelnen auch mit Blick auf die empirischen Überprüfungen der Kostendeckungsgrade in der deutschen Wasserwirtschaft Gawel (2012c); ders. (2015). 35 Buchanan / Stubblebine (1962); Buchanan (1969); in „neuerer“ Zeit Barnett (1980). 36 Siehe etwa Barnett (1980). 37 In ähnlicher Weise wurden und werden die erhofften Preissenkungen durch Liberalisierung des Stromsektors immer wieder vermeintlich konzeptwidrig in Gefahr gesehen durch administrierte Preisaufschläge durch das EEG und das KWKG; dabei wird verkannt, dass beide Regelungskonzepte (Liberalisierung, Preisaufschläge) unterschiedlichen Zielen dienen, nämlich analog der Abschmelzung von Monopolrenten der Stromerzeuger und gleichzeitig der Begrenzung energiebedingter externer Umweltkosten durch Klimaschäden oder Strahlungsrisiken.
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III. Komparative Leistungsfähigkeitsanalyse 1. Materielle und prozedurale Prüfmaßstäbe Prüft man das Gebühren- und das Kartellrecht mit Hilfe der vier Performanzkriterien, so ist jeweils die materielle Kontrollkompetenz (Was wird in Bezug worauf begrenzt?) und deren prozedurale Sicherung zu unterscheiden (Wer besorgt diese Begrenzung wie genau: Akteure, Interessen, Verfahren, Transaktionskosten?). Folglich ist zu fragen, auf welche Weise die Preisbildung jeweils durch welche Akteure mit welcher Zielstellung und nach welchen materiellen Regeln kontrolliert wird. Bei der Bewertung der prozeduralen Sicherung kommen Aspekte in Betracht wie der Zeitpunkt der Kontrolle (ex ante, ex post), die Reichweite der Überprüfung (fallweise, flächendeckend), das Eigeninteresse der Kontrollinstanz an Wirtschaftlichkeit, der Fragmentierungsgrad (dezentrale, zentrale Kontrolle) sowie die kalkulatorische Prüfkompetenz von Kontrollinstanzen und der Grad der Informationsasymmetrie zwischen Versorger und Prüfinstanz.
2. Gebührenrechtliche Kostenpreise a) Materielles Kontrollkonzept Das grundlegende Regelungskonzept des Gebührenrechts ist der Kostenpreis: Danach sollen die Entgelte die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten des jeweiligen Versorgers regelmäßig nicht überschreiten (z. B. § 6 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 KAG NW). Nach der Lehre von den sog. Ertragsgebühren38 sind die Entgeltgestaltungsspielräume bei Leistungen von Unternehmen mit sog. wirtschaftlicher Betätigung, zu der auch die Trinkwasserversorgung zählt, jedoch erweitert (z. B. § 6 Abs. 1 Satz 4 KAG NW i. V. m. § 109 Abs. 1 Satz 2 GO NW): Danach soll „der Jahresgewinn der wirtschaftlichen Unternehmen als Unterschied der Erträge und Aufwendungen […] so hoch sein, dass außer den für die technische und wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens notwendigen Rücklagen mindestens eine marktübliche Verzinsung des Eigenkapitals erwirtschaftet wird.“ Hierbei ist zunächst zu beachten, dass die so ermöglichte Gewinnerzielung als Überschuss der Erträge über die Aufwendungen definiert ist und daher nicht unmittelbar mit einer Kostenrechnung nach § 6 KAG NW vergleichbar ist, in der Anliegen der Substanzerhaltung und die angemessene Verzinsung des Eigenkapitals ebenfalls Berücksichtigung finden, aber dort gerade als ansatzfähige Kosten verrechnet werden. Die materielle Differenz zwischen beiden Konzepten ist daher kleiner als vielfach angenommen wird, zumal die „Gewinnerzielung“ nach § 109 Abs. 1 Satz 2 GO NW ausdrücklich an die vorrangige Erfüllung des „öffentlichen
38
Dazu Schulte / Wiesemann (2015), § 6, Rn. 88 f.
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Zwecks“ gebunden bleibt:39 So stellen Schulte / Wiesemann zu Recht fest, dass sowohl eine marktübliche Verzinsung des Eigenkapitals als auch gewisse Substanzerhaltungsaspekte nach § 6 KAG NW auch bei „nicht-wirtschaftlichen“ Unternehmen ohne weiteres – dort aber im Kostengewand – möglich sind, so dass sich der faktische Unterschied auf jene Mehrkosten einer Substanzerhaltung verdünnt, welche dem technischem Fortschritt geschuldet sind: Denn die herrschende und vom OVG Münster bestimmte Rechtsprechung zur Substanzerhaltung durch Benutzungsgebühren (entwickelt für „nicht-wirtschaftliche“ Unternehmen) sieht lediglich einen Werterhaltungsausgleich für das tatsächlich bestehende Anlagevermögen vor („gleiche Art und Güte“40),41 nicht hingegen für künftig notwendig erscheinende größere Mengen oder Qualitäten an Anlagevermögen. Selbst die Erweiterung der Kalkulation auf Erfordernisse einer Wiederbeschaffung unter Berücksichtigung des technischen Fortschritts ist zumindest betriebswirtschaftlich mit dem Ziel der (insoweit erweiterten) Substanzerhaltung durchaus vereinbar und steht insoweit nicht kategorial außerhalb einer Kostenkalkulation.42 Für die Zwecke unserer Analyse erscheint aber die Feststellung ausreichend, dass jedenfalls die Entgelte für Trinkwasserversorgungsleistungen kaum wesentlich über die das Gebührenrecht für „nicht-wirtschaftliche“ Leistungen bestimmten Kostendeckungsgrenzen hinaustreten können. Wir wollen diese Unterscheidung zur Vereinfachung fortan vernachlässigen und kurzerhand vom Gebot der Kostendeckung sprechen, das aus dem Kommunalabgabenrecht folgt. Damit wird die Entgelthöhe im Wesentlichen an einen im Unternehmen selbst entstandenen und nach außen dokumentierbaren Werteverzehr geknüpft (Konzept des Kostenpreises). Die bei anderen Unternehmen anfallenden Kosten und Entgelte sind hierbei regelmäßig unbeachtlich. Die dadurch grundsätzlich mögliche Begrenzungswirkung für die Entgeltforderungen ist freilich apriorisch perforiert, da der Gesetzgeber die konkrete Entgelthöhe an die vom jeweiligen Satzungsgeber gestaltbare Höhe betriebswirtschaftlich ansatzfähiger Kosten knüpft. Wie das OVG Münster zutreffend ausführt, wird dadurch das Überschreitungsverbot „insoweit inhaltsleer und erlangt erst durch die Bestimmung ansatzfähiger Kosten […] seine Beschränkungsfunktion“. Die Ansatzfähigkeit wird im Rahmen des sog. „wertmäßigen Kostenbegriffs“, der nach einhelliger Auffassung den Kommunalabgabengesetzen der Länder zugrunde liegt,43 zunächst durch die jeweilige Zielsetzung der Kalkula39 Zu dieser öffentlichen Bindung insbesondere Cronauge / Westermann (2006), Rn. 124; siehe auch VerfGH Berlin, U. v. 21. 10. 1999 – VerfGH 42 / 99 – NVwZ 2000, 794, der einen vom Berliner Landesgesetzgeber vorgesehenen Zuschlag von 2% beim Eigenkapitalzins der Berliner Wasserbetriebe und noch darüber hinausgehende Verzinsungsspielräume „bei dauerhafter Steigerung der betriebswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“ (§ 3 Abs. 4 TeilPrivG BWB) für nichtig erklärt hat. 40 OVG Münster, U. v. 5. 8. 1994 – 9 A 1248 / 92. 41 Dazu eingehend Gawel (1999). 42 Siehe zu den verschiedenen Zielkonzepten der Gebührenkalkulation und ihrem Entgelthöheneinfluss Gawel (1995), S. 197 ff. und 275 ff.; ders. (1999). 43 Vgl. Schulte / Wiesemann (2015), § 6, Rn. 45 ff., m. w. Nachw.
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tion bestimmt (z. B. Refinanzierung oder diverse Konzepte von Substanzerhalt) und kann nach Maßgabe betriebswirtschaftlicher Grundsätze kalkulatorisch umgesetzt werden (z. B. durch Ansatz von Anschaffungs- oder von Wiederbeschaffungszeitwerten), soweit nicht verfassungsrechtliche Gebührenprinzipen (Äquivalenzprinzip, Gleichbehandlung) oder einfachgesetzliche Normierungen entgegen stehen. Damit wird aber dem Satzungsgeber ein ganz erheblicher Gestaltungsspielraum für die Ansatzfähigkeit von Kosten und damit auch für die daran geknüpften Entgelte geboten. Dies war nachgerade der Sinn der Kommunalabgabenrechtsreform der späten 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, die betriebswirtschaftliche Kalkulationsverfahren im Kommunalbereich ermöglichen sollte und die genannten Freiheitsgerade der dezentralen Ziel- und Kostendefinition wesensmäßig einschloss. 44 Damit wird bereits konzeptionell klar, dass dem Regelungskonzept des Kommunalabgabenrechts offensichtlich keine Wirtschaftlichkeits- und Effizienzkontrolle zugrunde liegt, sondern ein in bestimmter Weise ausgeprägter Interessenausgleich zwischen kostenrechnenden öffentlichen Einrichtungen einerseits, die eine nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen angemessene Kostenabgeltung erhalten sollen und hierzu über nicht unerhebliche Freiheitsgrade der selbstbestimmten Angemessenheitsdefinition verfügen sollen, und den Nutzern dieser Einrichtungen andererseits, deren Finanzierungslast durch bestimmte grundsätzliche Vorgaben (Kostenanbindung, Äquivalenzgebot u. a.) sowie ergänzende Detailbestimmungen (Kostenarten, Kostenbewertung etc.) grundsätzlich begrenzt wird:45 – Der Leistungserbringer wird in die Lage versetzt, den im Interesse der Gebührenpflichtigen verursachten, aber nach eigenem Ermessen bestimmten Ressourcenverzehr vollständig und nach zum Teil eigener Bewertung abgelten zu lassen. Hierzu wird er von markttypischen Refinanzierungsrisiken weitgehend freigestellt, indem er ggf. einen bestimmten Nutzerkreis als Zwangsnachfrager zugeteilt erhält („Anschluss- und Benutzungszwang“) und die Entgelte so kalkulieren darf, dass die entstandenen Kosten jeweils gedeckt werden („Kostendeckungsgarantie“). – Die Gebührenpflichtigen hingegen erhalten gerichtlich überprüfbare Entgeltmaßstäbe, welche die Nutzer insbesondere vor ungleichbehandelnden, unverhältnismäßigen und nicht-leistungsproportionalen Entgeltforderungen schützen, in die zudem nur bestimmte ansatzfähige und erforderliche Kosten einbezogen sein dürfen. Eine freie, „unternehmerische“ Preisfestsetzung ist damit gerade ausgeschlossen, mit Blick auf die Kostendeckungsgarantie aber für den Leistungserbringer auch gar nicht notwendig, da dieser in seinen Vergütungs- und Kapitalerhaltungsansprüchen saturiert erscheint. Einen darüber hinaus gehenden Anspruch der Nutzer auf „effiziente“ Versorgung oder „marktübliche“ Entgelte kennt das Gebührenrecht freilich gerade nicht.
44 45
Siehe zum Herkommen Holtbrügge (2014), § 1, Rn. 1. Siehe dazu Gawel (2011), S. 329 f.
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Die Zielperspektive der gebührenrechtlichen Entgeltregulierung ist damit vorrangig der Gebührenschuldnerschutz, jedoch im Rahmen eines angemessenen Interessenausgleichs;46 effizienzorientierter Kostendruck auf die Versorger ist gerade nicht beabsichtigt. Im Rahmen dieses Interessenausgleichs, der bereits eine gewisse „Integration“ konkurrierender Ansprüche an die Entgeltgestaltung vermittelt, bleiben daher die – freilich gebundenen – Entgeltgestaltungsspielräume der Versorger zentral: Soweit also nicht der jeweilige Landesgesetzgeber kommunalabgabenrechtliche Detail-Vorgaben zur Kalkulation formuliert, wie dies in unterschiedlichem Ausmaß, insgesamt aber sehr zurückhaltend in den einzelnen KAGs der Länder der Fall ist (etwa das weithin normierte Verzinsungsverbot für zuschussfinanziertes Anlagevermögen, z. B. nach § 6 Abs. 2 Satz 4 2. HS. KAG NW), bleibt es Sache des jeweiligen Aufgabenträgers, die Kostenhöhe selbst zu definieren und hieran dann die Entgelthöhe zu knüpfen. Daher finden wir materiell eine nach Landesrecht durchaus zersplitterte kommunalabgabenrechtliche Regelungslandschaft vor, in der jedoch den Versorgern durchgängig die Befugnis eingeräumt wird, innerhalb bestimmter Grenzen den Kostenansatz (nach Wert und Menge des Ressourceneinsatzes) im eigenen Ermessen zu bestimmen. Da Kosten als bewerteter Güterverzehr stets das Produkt aus einer Mengenkomponente und einer Bewertungskomponente darstellen, ist zu beachten, dass insbesondere beim Mengengerüst nur wenige Begrenzungen für die Kostenentstehung gegeben sind: Soweit nur nach dem Äquivalenzprinzip (und auch nach der betriebswirtschaftlichen Kostendefinition47) ein konkreter Leistungsbezug der Werteverzehre besteht, wird die Ansatzfähigkeit bejaht. Damit scheiden zwar Leistungen für Dritte als kostenfähige Positionen aus; ob aber der (leistungsbezogene) Fuhrpark, der Personaleinsatz oder das Leitungsnetz insgesamt „üppig“ oder gar überdimensioniert sind und damit „(zu) hohe“ Kosten verursachen, bleibt zunächst außerhalb der kommunalabgabenrechtlichen Begrenzungswirkung. Diese Lücke wurde im Wege richterrechtlicher Rechtsfortbildung durch den Grundsatz der Erforderlichkeit der Kosten versucht zu schließen (Abb. 1):48 Danach sollen nur solche Werteverzehre hinsichtlich der Ansatzfähigkeit legitimiert sein, wenn sie über die einfachgesetzlich kodifizierten Anforderungen hinaus zusätzlich ausschließen können, „übermäßig“ oder „überflüssig“ zu sein49 (sog. kostenmäßige Erforderlichkeit). Die betriebswirtschaftliche Kostendefinition („bewerteter, leistungsbezogener Normal-Güterverbrauch einer Periode“) schließt demgegenüber zwar nicht betriebsbedingte, 46 Siehe insoweit auch den Ausgleichsgedanken in § 10 GO NW: „Die Gemeinden haben ihr Vermögen und ihre Einkünfte so zu verwalten, dass die Gemeindefinanzen gesund bleiben. Auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Abgabepflichtigen ist Rücksicht zu nehmen.“ 47 Kosten gelten danach als bewerteter, betriebsbedingter (= leistungsbezogener) NormalGüterverzehr einer Periode – siehe dazu Wöhe / Döring (2008), S. 922 f. 48 Siehe dazu im Überblick Schulte / Wiesemann (2015), Rn. 69 ff.; Mildner (2005), S. 155 ff. 49 OVG Münster, U. v. 3. 9. 1980 – 2 A 2258 / 79; OVG Lüneburg, U. v. 8. 8. 1990 – 9 L 182 / 89 – DÖV 991, 338.
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periodenfremde und auch außerordentliche Aufwendungen vom Kostengeschehen aus, kennt aber begrifflich keine „Erforderlichkeit“: Diese ist auch in einem wettbewerblich-marktlichen Umfeld, das den Kostenbegriff in seinem Herkommen geprägt hat, entbehrlich, denn ein im Wettbewerb stehendes, gewinnorientiertes Unternehmen wird im eigenen Interesse die Kosten so gering wie möglich halten, um den residualen Gewinn so groß wie möglich zu machen; einer gesonderten definitorischen Erforderlichkeitsprüfung für die eigene Kostenrechnung bedarf es insoweit nicht mehr. Bei einem öffentlichen Monopol-Unternehmen mit gesetzlicher Kostendeckungsgarantie und über Anschluss- und Benutzungszwänge gesicherten Zwangsnachfragern kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass diese ein Eigeninteresse entwickeln, zu Minimalkosten zu produzieren. Denn jeder in den oben genannten Grenzen entstehende Werteverzehr wird mit einem gesetzlichen Deckungsanspruch versehen, dem die Nutzer auch nicht durch Wahl eines anderen Anbieters ausweichen können. Insoweit kann gerade das richterrechtliche Erforderlichkeitsprinzip als besondere gebührenrechtliche Ausprägung eines Wettbewerbssurrogats gelten, das den oben beschriebenen Interessenausgleich zusätzlich um eine spezielle Effizienzprüfung anreichert und insoweit im Vergleich mit dem Kartellrecht besondere Beachtung verdient.50 (For males) Kosten deckungspr inzip: Modell des Kostenpreises Delegation der Kontrollkompetenzen an
Mater ielle Ansatzfähigkeit von Kosten
Richter rechtliches Er for der lichkeitspr inzip
Nur punktuelle Kalkulationsvorgaben durch KAGs (in Bezug auf Bewertung + Mengengerüst) Freiheitsgrade durch Ziel-, Bewertungs- und Ansatzermessen (Mengengerüst!) Unterschiede nach Bundesländern und nach fallweiser Reichweite des Verwaltungsprivatrechts Verfassungsrechtliche Gebührenschranken zielen eher auf die sog. Bemessung denn auf die Höhe (Äquivalenz, Gleichbehandlung)
Ergänzung
Kostenbegriff/Zielkonzept der Kostenbewertung: Substanzerhalt (nicht: Ressourcenschutz!)
Nur bei Fremdleistungsentgelten und Überkapazitäten (Betriebsgröße) überhaupt geprüft Nur grobe Verhältnismäßigkeitsprüfung Keine allgemeine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung!
Quelle: eigene Erstellung.
Abbildung 1: Gebührenrechtliche Entgeltkontrolle durch Kostenpreise
Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit der richterrechtliche Grundsatz der Erforderlichkeit der Kosten eine wirkungsvolle Begrenzung der Entgeltrelevanz unwirtschaftlicher Produktion sicherzustellen vermag. Zunächst berührt das Erforderlichkeitsprinzip grundlegende unternehmerische Entscheidungen über den Ressourceneinsatz zur Leistungserstellung und stellt daher eine Ermessensentscheidung dar, 50
So wohl auch Brüning (2012).
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die gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist und nicht dazu führen darf, dass „Gerichte ihr Ermessen an die Stelle der Gestaltungs- und Beurteilungsfreiheit des öffentlich-rechtlichen Trägers setzen“.51 Insoweit sind überhaupt nur die Grenzen dieses Ermessensspielraums im Rahmen einer groben Verhältnismäßigkeitsprüfung überprüfbar.52 In der Praxis verdünnt sich das Erforderlichkeitspostulat noch weiter, da naturgemäß zwischen Versorgern und Gerichten asymmetrisch verteilte Information darüber vorliegen dürfte, ob und inwieweit sich ein bestimmter Einsatz von Produktionsfaktoren zur Erstellung der Leistung als „überflüssig“ oder auch nur als „übermäßig“ darstellt, und der Rechtsprechung insoweit regelmäßige tragfähige Anhalte für eine so fundierte Effizienzprüfung fehlen. Tatsächlich lassen sich der Judikatur überhaupt nur im Bereich der Kontrolle von Entgelten für in Anspruch genommene Fremdleistungen (sog. Fremdkosten) sowie bei der Beurteilung von Überkapazitäten kalkulationsrelevante Bezugnahmen auf das Erforderlichkeitsprinzip entnehmen.53 Selbst diese beschränken sich auf den Ausschluss besonderer Einzelfälle offensichtlicher Unvertretbarkeit von Kapazitätsvorhaltung 54 oder lassen grobe Anhalte für die Erforderlichkeit gelten (preis- und vergaberechtliche Ordnungsmäßigkeit bei Fremdleistungen55). Eine flächendeckende, wirksame und durchgreifende Effizienzprüfung der Produktionsumstände der Versorgung ist damit weder beabsichtigt noch leistbar. Soweit die Länder daneben einen speziellen Rechtsrahmen für privatrechtliche Entgelte geschaffen haben (Tarifrecht), wie etwa das Land Berlin mit dem Berliner Betriebe-Gesetz (BerlBG), ergibt sich kein anderer Befund: Nach § 16 BerlBG werden die wesentlichen materiellen Maßstäbe des Kommunalabgabenrechts und damit das Konzept des Kostenpreises übernommen. Auch der Billigkeitsmaßstab nach § 315 BGB beinhaltet gerade keine Kostenprüfung oder effizienzorientierte Vergleichsbetrachtung,56 sondern rekurriert im Wesentlichen auf die kommunalabgabenrechtlichen Maßstäbe. Denn die nachweisliche Einhaltung der jeweiligen landesrechtlichen Gebühren- oder Tarifrechtsmaßstäbe begründet zunächst einmal die Vermutung der Billigkeit, deren angebliche Verletzung dann vom Nutzer darzutun ist. 57 Aus ökonomischer Sicht kann von Kostenpreisen ohnehin grundsätzlich keine Effizienz erwartet werden, da hier Anreize fehlen, zu Minimalkosten zu produzieren:58 Eine vom Versorger durch wirtschaftliche Betriebsführung erzielte Effizienz51 Schulte / Wiesemann (2015), § 6, Rn. 69, unter Verweis auf OVG Münster, U. v. 29. 1. 1980 – 2 A 262 / 79 – KStZ 1980, 112. 52 BVerwG, U. v. 14. 12. 1989 – 4 C 28.76 – BVerwGE 59, 249, 252 f.; BVerwG, B. v. 30. 4. 1998 – 8 B 105 / 97; ebenso Mildner (2005), S. 156 f. 53 Siehe dazu Schulte / Wiesemann (2015), § 6, Rn. 72 ff.; Mildner (2005), S. 155 ff. 54 Siehe Schulte / Wiesemann (2015), § 6, Rn. 73 ff., m. w. Nachw. 55 Siehe Schulte / Wiesemann (2015), § 6, Rn. 194 ff., m. w. Nachw. 56 Siehe Gerstner (2009), S. 52, 57; Hellriegel / Schmitt (2010), S. 276, 279. 57 VG Berlin , U. v. 15. 2. 2005 – 7 U 140 / 04. 58 Siehe dazu statt vieler Oelmann (2008); Meran (2011).
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dividende müsste gebührenrechtlich im Wege einer Entgeltabsenkung an die Nachfrager abgegeben werden. Umgekehrt lassen sich einmal produzierte Kosten in den allgemeinen entgeltrechtlichen Grenzen vollständig auf die Nutzer abwälzen. Selbst dem Versuch einer Effizienzkontrolle von außen, die – wie dargelegt wurde – konzeptionell im Kommunalabgabenrecht gar nicht angelegt und im Wege einer richterlichen Erforderlichkeitsprüfung auch kaum ergänzend wirkmächtig auszugestalten ist, werden ökonomisch keine effektiven Kontrollwirkungen zugeschrieben: Aufgrund der unvermeidlichen Informationsasymmetrie zwischen Versorger und Kontrollinstanz lassen sich Abweichungen von Minimalkostenkombinationen von außen kaum zuverlässig beobachten oder gar rechtsstaatlich tragfähig nachweisen. Im Gegensatz zum kartellrechtlichen Vergleichsmarktkonzept, das den Prüfmaßstab aus öffentlich zugänglichen Informationen über die Preise anderer Versorger gewinnt, müsste eine Effizienzprüfung von Kostenpreisen ja über Informationen über die hypothetische Minimalkostensituation des betreffenden Versorgers verfügen. Dies erscheint jedoch illusorisch. Daher mutet aus ökonomischer Sicht das Gebot sparsamer und wirtschaftlicher Betriebsführung59 im Zusammenhang mit einer KostenpreisRegulierung mangels Anreiz für den Versorger und mangels Beobachtbarkeit von außen letztlich als kontrafaktische, aber in der Praxis kraftlose Rechtsprosa an. Die Minimalkostenkombination der Versorgung ist für den gesetzlichen Regulator ebenso wie für die Rechtsprechung unbekannt und vermittels Kostenpreisen auch nicht dezentral auffindbar. Der hilfsweise Versuch des Gebührenrechts, eine materielle Kostenbegrenzung ins Werk zu setzen durch a) das Kostendeckungsprinzip, b) Regeln zur Ansatzfähigkeit von Kosten (Kostenbegriff, Zielkonzept der Bewertung, Äquivalenzprinzip, einfachgesetzliche Kalkulationsregeln etc.) und c) das richterrechtliche Erforderlichkeitsprinzip von Kosten führen jedoch weder zu einer effektiven noch zu einer effizienten Kosten- und Entgeltbegrenzung: – Das Kostendeckungsprinzip selbst erweist sich als rein formal („inhaltsleer“) und ohne materielle Begrenzungswirkung. – Die kommunalabgabenrechtliche Zielperspektive der Entgeltregulierung ist ein von Effizienzansprüchen weitgehend freier Gebührenschuldnerschutz, jedoch im Rahmen eines angemessenen Interessenausgleichs mit erheblichen beabsichtigten Gestaltungsspielräumen der Versorger zur Sicherung ihrer Refinanzierungs- und Substanzerhaltungsansprüche. Deren Spielräume sind zwar begrenzt, jedoch sollen die Versorger gerade nicht unter Kostendruck gesetzt werden, sondern aus zulässigen Kostenbewertungs- und Entgeltsgestaltungszielen auswählen und eigene Zielstellungen zur Deckung ihrer Finanzbedürfnisse verfolgen dürfen. – Die darüber hinaus gehenden konkreten kommunalabgabenrechtlichen Kalkulationsvorschriften bilden eine zersplitterte landesrechtliche Regelungslandschaft
59 Entweder als haushaltsrechtlicher Grundsatz (vgl. § 75 Abs. 1 Satz 1 GO NW) oder aber als Ausdruck des allgemeinen verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – so etwa VerfGH NRW, U. v. 2. 9. 2003 – 6 / 02 – NWVBl. 2003, 419.
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aus, in der insgesamt lediglich zurückhaltend genauere Vorgaben zur Entgeltermittlung gemacht werden (z. B. zu kalkulatorischen Kosten), aber durchgängig den Versorgern die Befugnis eingeräumt wird, innerhalb gewisser Missbrauchsgrenzen den Kostenansatz in Menge und Bewertung im eigenen Ermessen festzulegen und somit den Rahmen der Kostendeckung selbst zu bestimmen. – Das ergänzende richterrechtliche Erforderlichkeitsprinzip als genuines Prüfkriterium für Effizienz läuft demgegenüber in seiner Begrenzungswirkung faktisch leer,60 und zwar sowohl hinsichtlich der Prüftiefe, der angewandten Prüfreichweite sowie der grundsätzlichen richterlichen Prüfkompetenz.
Dem Gedanken der preispolitischen Integration trägt das Gebührenrecht bereits insoweit Rechnung, als ein Interessenausgleich zwischen Versorgern und Nutzern in der Variable Kostenpreis gesucht wird; Effizienzmaßstäbe bleiben dabei jedoch – jenseits eines Ausschlusses gröblicher Verfehlungen – konzeptionell wie rechtspraktisch weitgehend unberücksichtigt.
b) Prozedurale Sicherung durch Recht Die prozedurale Absicherung der materiellen gebührenrechtlichen Anforderungen61 erfolgt – jeweils ex post – im Wege – der gerichtlichen Kontrolle, sei es über den Verwaltungsrechtsweg bei Anfechtungen von Gebührenbescheiden auf der Grundlage von Kommunalabgabengesetzen der Länder, sei es über den Zivilrechtsweg, soweit auf der Grundlage von § 315 BGB die Billigkeit privatrechtlicher Entgelte unter Heranziehung kommunalabgabenrechtlicher Maßstäbe im Rahmen der Lehre vom Verwaltungsprivatrecht62 in Streit steht, – der Kommunalaufsicht der Länder, z. B. nach §§ 119 ff. GO NW, – sowie ggf. auch der Landesrechnungshöfe und staatlicher Rechnungsprüfungsämter, z. B. nach §§ 91, 92 LHO NW.
Betrachtet man diese drei prozeduralen Kontrollinstanzen des materiellen Rechts unter den Gesichtspunkten der Relevanz des Prüfmaßstabes der Wirtschaftlichkeit sowie des Interesses der Prüfinstanz an dessen Einhaltung, des Zeitpunktes, der Reichweite und des Fragmentierungsgrades der Kontrolle sowie der kalkulatori-
60 Zurückhaltend auch Mildner (2005), der den Nutzern regelmäßig auch solche Kosten zumuten möchte, „die nicht auf einem geringstmöglichen Mitteleinsatz beruhen, aber gleichwohl nicht grob unangemessen sind“. Erst bei Überschreiten „der äußersten Grenze“ seien schutzwürdige Belange der Entgeltpflichtigen zu berücksichtigen (S. 160). Das „Risiko für wirtschaftlich unsinniges Verhalten“ gehe erst „jenseits einer äußersten Grenze“ auf die Allgemeinheit über (S. 163). 61 Siehe dazu auch Hellriegel / Schmitt (2010), S. 276, 278. 62 Siehe dazu die Nachweise in Fn. 24.
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schen Prüfkompetenz, die der kontrollierenden Instanz jeweils zu eigen ist, so ergibt sich das in Tab. 2 dargestellte Bild. Tabelle 2 Prozedurale Sicherung des materiellen Gebührenrechts – Leistungsfähigkeitsanalyse Aspekt
Gerichtliche Kontrolle
Maßstab
Kostenpreis nach Maßgabe von 16 KAGs
Auskömmlichkeit / Berücksichtigung preispoliti- Erschwinglichkeit scher Ziele
Kommunalaufsicht
Rechnungshöfe Kostenpreis / Wirtschaftlichkeit
Auskömmlichkeit
Wirtschaftlichkeit, Auskömmlichkeit
Prüfmaßstab Wirtschaftlichkeit
nur sehr eingeschränkt (Überkapazitäten, „Fremdkosten“)
nein
ja
Zeitpunkt
ex post
ex ante und ex post
ex post
Reichweite
fallweise
theoretisch flächendeckend, faktisch fallweise
fallweise nach Opportunitätsprinzip
Fragmentierungsgrad
hoch (Richterrecht, 16 Landesgesetze, Relevanz v. Entgeltart / Betriebsform)
hoch
hoch (nach Land und Behörden)
Interesse an Wirtschaftlichkeit
gering (richterliche low-cost decision)
gering: formelle Rechtskonformität und Ausschöpfung der Nutzerfinanzierung für Länder prioritär!
hoch (Profilierung als unabhängige Prüfer)
Kalkulatorische Prüfkompetenz
hoch (Verwaltungsgerich- niedrig te / niedrig (Zivilgerichte)
niedrig
Quelle: eigene Erstellung.
Insgesamt dürfen wohl an die prozedurale Absicherung der ohnehin schwach ausgeprägten materiellen Wirtschaftlichkeitsanforderungen [dazu oben III.2.a)] keine allzu hohen Erwartungen geknüpft werden: Während die richterliche Kontrolle überhaupt nur fallweise ex post eine Einzelfall-Überprüfung vornehmen kann,63 bei der Wirtschaftlichkeitsfragen („Erforderlichkeit“) nur sehr eingeschränkt 63 Zu den Schwächen einer fallweisen ex-post-Kontrolle gegenüber einer flächendeckenden ex-ante-Regulierung auch Haucap / Uhde (2008).
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in den Fokus geraten, kommen eher geringe Anreize für ein nachhaltiges richterliches Interesse an der Einhaltung dieser Vorgaben64 sowie die insbesondere bei Zivilkammern mit umfangreichem Fallprogramm aus dem gesamten bürgerlichen Recht eher überschaubare kalkulatorische Prüfkompetenz erschwerend hinzu. Auch die in der Literatur häufig als Kontrollinstanz betonte Kommunalaufsicht der Länder lässt keine durchgreifende Absicherung materieller Anforderungen zur Entgeltbegrenzung erwarten: Zunächst liegt deren rechtlicher Auftrag, aber auch ihr institutionelles Interesse gerade nicht auf maximaler Wirtschaftlichkeit der kommunalen Leistungserstellung, sondern in erster Linie auf der bloßen Rechtsförmlichkeit: So formuliert etwa § 119 Abs. 1 GO NW: „Die Aufsicht des Landes erstreckt sich darauf, dass die Gemeinden im Einklang mit den Gesetzen verwaltet werden (allgemeine Aufsicht).“ Zwar gehört hierzu auch der Imperativ der wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung (z. B. § 75 Abs. 1 GO NW), aber eben nur als eine unter zahlreichen Maßgaben rechtsförmlicher Wirtschaftsgebarung, die jedenfalls nicht in besonderer Weise im Aufsichtsprogramm herausgehoben wäre. Tatsächlich werden die Länder in Bezug auf die Ausschöpfung von entgeltlichen Finanzierungsspielräumen der Kommunen wegen ihrer (insbesondere finanziellen) Gewährleistungsstellung gegenüber den Kommunen (Art. 28 Abs. 3 GG) ein hohes Interesse daran besitzen, dass der Spielraum zur Deckung des kommunalen Finanzbedarf über Entgelte weitgehend ausgeschöpft wird. Folgerichtig formuliert auch § 77 Abs. 1 GO NW den Vorrang spezieller Entgelte bei der kommunalen Einnahmebeschaffung, welcher zugleich auch den Steueranspruch der Kommune im Rahmen des vertikalen Finanzausgleichs dämpft. Dementsprechend halten Kommunalaufsichten in der Praxis nicht selten die kommunalen Träger gerade zu Entgeltanhebungen an; Treuhänder der Effizienz oder der Nutzerinteressen an niedrigen Entgelten stellen Landes-Kommunalaufsichten hier in der Praxis gewiss nicht dar, zumal die Kommunalaufsicht ausschließlich im öffentlichen Interesse erfolgt und keine Anspruchsgrundlage für die Bürger bietet, gegen abgaberechtswidrige Gebührensatzungen vorzugehen.65 Nimmt man etwa die Selbstdarstellung der Gemeindeprüfungsanstalt NRW zum Maßstab, der gemäß § 115 GO NW die überörtliche Prüfung obliegt, so versteht sie sich „als Einrichtung, die Kommunen in Nordrhein-Westfalen im partnerschaftlichen Dialog prüft, auf Wunsch berät und durch Serviceleistungen unterstützt.“66 Hier klingt wohl eher Service-Orientierung denn durchsetzungsbeflissener Prüfanspruch an; die GPA spricht die Kommunen 64 Während die ökonomische Analyse des Rechts von der (gegenüber Gesetzgebungsakten) höheren Effizienz richterlicher Einzelfallentscheidungen ausgeht (vgl. Schäfer / Ott (2005), S. 499 ff.), betont die Theorie der Kleinkostenentscheidungen (dazu Kirchgässner (1992), S. 305; ders. (2008), S. 164 f.), dass die mangelnde persönliche Verantwortung für die wirtschaftlichen Folgen der richterlichen Entscheidungsfindung (daher low-cost decision) Abweichungen vom effizienten Ergebnis unter Verfolgung individueller richterlicher Zielfunktionen wahrscheinlich macht. 65 Siehe Hellriegel / Schmitt (2010), S. 275, 279. 66 http://www.gpa-in-nrw.de, abgerufen am 28. 04. 2015.
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denn auch konsequenterweise öffentlich als „Kunden“ an.67 Schließlich können je nach landesrechtlicher Regelung auch die Landesrechnungshöfe im Einzelfall außerhalb der Landesverwaltung prüfend tätig werden, so etwa nach Maßgabe der §§ 91, 92 LHO NW, ohne jedoch mit Blick auf den hier erlangten Befund einer nur begrenzten prozeduralen Absicherung zu einer Neubewertung Anlass geben zu können (vgl. Tab. 1). c) Prozedurale Sicherung durch demokratische Kontrolle Bislang in der gesamten Debatte vollkommen unterbelichtet ist die prozedurale Kontrolle von Gebühren durch demokratische Mitwirkung (Wahlen, öffentliche Meinung). Die Höhe öffentlich-rechtlicher Gebühren ist durch kommunales Satzungsrecht festzulegen. Damit hat die Gebührenfestlegung ein öffentliches Verfahren der politischen Willensbildung zu durchlaufen und ist von politischen Entscheidungsträgern öffentlich im Rahmen der demokratischen Kontrolle zu verantworten. Diese demokratische Kontrolle ist in der Praxis äußerst wirkmächtig, da der Satzungsgeber mit dem politischen Entgeltwiderstand der Gebührenpflichtigen rechnen muss.68 Dies führt empirisch in vielen Fällen sogar zur Kostenunterschreitung der Entgelte, wenn etwa schleichender Substanzverzehr im Kanalnetz billigend in Kauf genommen wird und auf die ohne Weiteres gebührenfähigen Ersatzinvestitionen zum Netzerhalt verzichtet wird, um politisch unwillkommene Gebührenerhöhungen zu vermeiden. Der politische Druck wirkt sich naturgemäß besonders stark auf Investments in von außen schwer beobachtbare Infrastrukturqualität (Netzerhalt) aus oder aber gegen Entgeltbestandteile zur Abgeltung abstrakter Umwelt- und Ressourcenkosten. Letzteres zeigt sich etwa im massiven Widerstand der Kommunalbetriebe gegen eine angemessene Ausgestaltung von Abwasserabgabe und Wasserentnahmeentgelten,69 die doch aus betrieblicher Sicht lediglich „durchlaufende Posten“ wären und auf die Endnutzer umgelegt werden könnten. Genau dies wird aber aus politischen Gründen gescheut. Die Möglichkeit, über Wahlen und öffentliche Meinung auf die Entgelthöhe Einfluss zu nehmen, besteht in dieser Form nur bei öffentlich-rechtlichen Gebühren, kaum je aber bei den privatrechtlichen Entgeltforderungen privater Versorger, wo allenfalls die rechtlichen Rahmenbedingungen, nicht aber die konkrete Entgelthöhe demokratisch legitimiert sein muss.70
http://www.gpa-in-nrw.de, abgerufen am 28.04.2015. So auch Merkel (2014). 69 Siehe dazu für die Abwasserabgabe und die dagegen vorgebrachte Kritik aus der Gebührenperspektive Gawel et al. (2014). 70 Eine gewisse Ausnahme dürfte hier das Berliner Tarifrecht darstellen (TeilPrivG BWB, BerlBG), das per (demokratisch kontrollierter) Gesetzgebung die Entgeltspielräume der Berliner Wasserbetriebe recht detailliert regelt. 67 68
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Die demokratische Kontrolle der Gebühren „an der Wahlurne“ und durch die öffentliche Meinung ist sehr wirkungsvoll, aber zugleich vollkommen effizienzblind. Diese Form der prozeduralen Entgeltkontrolle kann ferner dazu führen, dass nicht einmal „Kostendeckung“ erreicht wird, weil ein struktureller Bias zu politisch motivierten Unterdeckungen zu Lasten des allgemeinen Haushaltes (mit seiner deutlich intransparenteren Belastungs-Inzidenz) besteht. In einem „politischen Gebührenpreis“ können daher in der Praxis durchaus Unwirtschaftlichkeit der Betriebsführung und strukturelle Kostenunterdeckung ohne weiteres nebeneinander und gleichzeitig Platz finden. Zugleich stehen Entgeltbestandteile, die Umwelt- und Ressourcenkosten der Wasserdienste abgelten sollen, unter besonderem politischem Druck.
3. Kartellrechtliches Vergleichsmarktkonzept a) Materielles Kontrollkonzept Das gegenüber dem Gebührenrecht völlig abweichende Regelungskonzept71 der kartellrechtlichen Missbrauchsabwehr stützt sich zur Entgeltkontrolle auf die nebeneinander anwendbaren Rechtsgrundlagen des § 19 Abs. 1 u. 2 GWB sowie des § 31 GWB.72 Nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB liegt ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vor, wenn ein Unternehmen „Entgelte […] fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden; hierbei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen“. In § 31 Abs. 4 Nr. 2 GWB wird ein Missbrauch u. a. dann angenommen, wenn „ein Wasserversorgungsunternehmen […] ungünstigere Preise […] fordert als gleichartige Wasserversorgungsunternehmen, es sei denn, das Wasserversorgungsunternehmen weist nach, dass der Unterschied auf abweichenden Umständen beruht, die ihm nicht zurechenbar sind“. Daneben kommt ein Missbrauch nach § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB auch in Betracht, wenn ein WVU „Entgelte fordert, die die Kosten in unangemessener Weise überschreiten; anzuerkennen sind die Kosten, die bei einer rationellen Betriebsführung anfallen.“ Die als „verschärft“ titulierte Missbrauchsaufsicht des § 31 GWB sieht eine Beweislastumkehr zu Lasten der Unternehmen für „nicht zurechenbare“ Umstände vor (Preisrechtfertigung). Die Behörde trägt hingegen auch hier die Beweislast für die Vergleichbarkeit der Unternehmen („gleichartig“). Ein vorliegender Missbrauch berechtigt je nach Zuständigkeit von Landes- oder Bundeskartellbehörde (dazu 71 So auch Hellriegel / Schmitt (2010), S. 275, 280, die aufgrund der „Entgeltbildung am Maßstab der Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung“ resümieren, dass sich „[das Kartellrecht] wesentlich von den […] kostenbasierten Entgeltmaßstäben des Abgaben-, Tarif- und Zivilrechts [unterscheidet].“ 72 Eingehend dazu – noch zum alten Recht vor der 8. GWB-Novelle – Lotze / Reinhardt (2009b), sowie die in Fn. 11 genannte Literatur.
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§§ 48 ff. GWB) insbesondere zu behördlichen Verfügungen über die Entgelthöhe (§ 31b GWB). Bereits nach dem alten Recht war neben dem Vergleichsmarktkonzept (jetzt § 31 Abs. 4 Nr. 2 GWB) auch eine Missbrauchsprüfung nach einer individuellen Kostenkontrolle (jetzt § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB) möglich und zum Teil (etwa in BadenWürttemberg) auch in der Praxis üblich. Das auf die §§ 19, 31 GWB gestützte materielle Kontrollprinzip wird aber im Wesentlichen durch das Vergleichsmarktkonzept beschrieben, das in unterschiedlichen Spielarten (Entgeltvergleich oder Erlösvergleich73) die Legitimation einer Entgeltforderung danach bemisst, inwieweit vergleichbare, andere Unternehmen ähnliche Entgelte verlangen bzw. eventuelle Abweichungen durch nicht zu vertretende Umstände des Einzelfalles bedingt sind. 74 Im Rahmen des Vergleichsmarktkonzeptes werden mithin Preisvergleiche mit anderen Unternehmen herangezogen, um Missbrauch aufzudecken und ggf. Preissenkungsverfügungen durchzusetzen (Als-ob-Wettbewerb). Die Preisrechtfertigung ungünstigerer Entgelte kann auf strukturbedingte Mehrkosten gestützt werden, steht aber selbst dann unter dem Vorbehalt, dass sämtliche Rationalisierungspotenziale ausgeschöpft werden; einen Bestandsschutz für (monopolbedingte) Ineffizienzen kennt das Kartellrecht nicht.75 Dabei reicht die gesetzliche definierte Missbrauchssphäre in § 31 Abs. 4 Nr. 2 GWB grundsätzlich bis zum Entgeltniveau des günstigsten Vergleichsunternehmens, soweit keine Entlastungstatbestände des Einzelfalles greifen. Der Ermächtigungsnorm wohnt damit zumindest konzeptionell eine nivellierende Tendenz auf dem Niveau des günstigsten Versorgers inne. Zwar wird in der Praxis das Preissenkungsniveau im Rahmen des Vergleichsmarktkonzeptes in den Ländern höchst unterschiedlich festgelegt und dabei der theoretisch eröffnete Spielraum bis zum günstigsten gleichartigen Unternehmen (unter Berücksichtigung aller Rechtfertigungsgründe und sog. Sicherheits- und Erheblichkeitszuschläge) nicht voll ausgeschöpft.76 Gleichwohl lässt sich dem Vergleichsmarktkonzept konzeptionell durchaus das Leitbild einheitlicher Wasserpreise auf dem Niveau des effizientesten Versorgers entnehmen – auch wenn in der Praxis die zu berücksichtigenden, unvermeidlichen Individualbedingungen zu einer Ausdifferenzierung auch einer kartellrechtlich um Missbräuche vollständig bereinigten Entgeltlandschaft führen werden. Dies ist deshalb beachtlich, weil es dem Leitbild der kommunalabgabenrechtlichen Entgeltregulierung grundsätzlich widerspricht (vgl. Abschnitt III.1.): Hier nämlich wird jedem Versorger bzw. dessen Träger die Formulierung eigener Zielstellungen zur Kostenbewertung und zur Entgeltermittlung zugebilligt, welche im Rahmen eines Interessenausgleichs mit den Leistungsempfängern lediglich allgemeine GrenzDazu Gussone / Siebeck (2012). In Baden-Württemberg wird daneben auch eine auf § 19 GWB gestützte Kostenprüfung praktiziert – vgl. Gussone / Siebeck (2012). 75 BGH, LKV 2010, 174, 176; BGH, NJW 2000, 76, 78. 76 Vgl. Gussone / Siebeck (2012). 73 74
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ziehungen zu beachten haben; eine Nivellierung oder gar Vereinheitlichung des Entgeltniveaus widerspricht hingegen der Kontrollkonzeption des Kommunalabgabenrechts und möglicherweise auch dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG (dazu unten). Die implizite Tendenz zur Uniformität der Entgelte nach dem Vergleichsmarktkonzept steht mithin in einem nicht unerheblichen Spannungsverhältnis a) zu den kommunalabgabenrechtlich eröffneten Freiheitsgraden der Kalkulation, die gerade gegenüber anderen Versorgern abweichende bzw. eigenständige Zielsetzungen der Entgeltermittlung einräumen (z. B. Refinanzierung, Kapitalerhaltung, bestimmte Substanzerhaltungskonzepte wie Brutto- oder Netto-Substanzerhaltung u. a. m. 77), und b) zum kommunalen Organisationsermessen aus Art. 28 Abs. 2 GG, das in erster Linie einer demokratischen Kontrolle unterliegt und daher vorrangig über Wahlen kontrolliert wird und nicht durch Kartellbehörden oder Gerichte. Hier stellt sich die interessante Frage, inwieweit die Inanspruchnahme der im Rahmen der verfassungsrechtlich garantierten kommunalen Selbstverwaltung eröffneten Gestaltungsspielräume zur Regelung örtlicher Angelegenheiten zugleich kartellrechtlich als Missbrauch angesehen werden kann, wenn nur andere Träger ihr Organisationsermessen anders nutzen mit der Folge niedrigerer Entgelte. So können Versorgungsdienste selbstredend auch mit höherer Service- oder Versorgungsqualität erbracht oder nach ambitionierteren Substanzerhaltungszielen kalkuliert werden, was insoweit höhere Entgelte nach sich zieht, ohne dass dies entgeltrechtlich zunächst beanstandet werden könnte. In diesen Fällen nach den Tatbeständen der §§ 19, 31 GWB Missbrauchsindikationen zu stellen, überzeugt offensichtlich nicht. Ferner drohen Friktionen mit den preisrechtlichen Wertungen anderer Entgeltrechtsbereiche: Eine europarechtskonforme Entgeltgestaltung nach Art. 9 WRRL – z. B. über Kalkulationen, die Anreize zur effizienten Nutzung setzen78 – darf wohl kaum deswegen für missbräuchlich erkannt werden, nur weil sie zu einer Abweichung gegenüber dem günstigsten Vergleichsunternehmen führt, das möglicherweise eine andere oder gar keine Umsetzung der Art. 9 WRRL zu entnehmenden Preisgestaltungsgebote vorgenommen hat. Das Gleiche gilt für landesrechtlich abweichende Gebührenkalkulationsregeln, z. B. das in den Kommunalabgabengesetzen der Länder höchst unterschiedlich ausgestaltete Wahlrecht zugunsten von Zeitwertabschreibungen: Erodiert nun kartellrechtlich dieser Anspruch, weil einzelne Versorger darauf verzichten und damit die Benchmark im Rahmen des Vergleichsmarktkonzeptes setzen? Oder werden die abweichenden preisrechtlichen Wertungen in den Rang von Entlastungstatbeständen im Sinne von § 31 GWB erhoben? Zwar betonen etwa Hellriegel / Schmitt , dass „zwingende Vorgaben“ des Abgaben- oder Tarifrechts als strukturbedingte Umstände anzusehen seien, die einen Missbrauch im kartellrechtlichen Sinne ausschlössen.79 Allerdings sind Abgaben77 78 79
Dazu im Überblick Gawel (1999), S. 55 ff. Dazu im Einzelnen Gawel (2012b). Hellriegel / Schmitt (2010), S. 276, 281.
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und Tarifrecht gerade weitgehend frei von „zwingenden“ Ansätzen und formulieren ganz überwiegend vielmehr negatorisch die als unzulässig anzusehenden Ansätze. „Ansatzfähige“ Kosten (etwa nach § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG NW) sind gerade keine „zwingend anzusetzenden“ Kosten. Wie also soll das Kartellrecht bei bloßen Wahlrechten verfahren? Und wie zuverlässig lässt sich beurteilen, inwieweit sich Entgeltunterschiede gerade darauf zurückführen lassen? Fest steht, dass erhebliche Wertungswidersprüche drohen, wenn eine konsistente Abstimmung preisrechtlicher Wertungen des Gebühren-, Tarif- und Kartellrechts, der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB und der Anforderungen aus Art. 9 WRRL unterbleibt – jedenfalls soweit immer stärker einer parallelen Anwendung des Kartellrechts das Wort geredet wird. Hier stellen sich auch entgeltrechtsdogmatisch noch erhebliche Herausforderungen.80 Darüber hinaus treten im kartellrechtlichen Kontrollregime gravierende methodische Probleme einer trennscharfen Missbrauchsaufdeckung auf: Zunächst steht naturgemäß die Anforderung der Vergleichbarkeit der Produktionsbedingungen zwischen unterschiedlichen Unternehmen in Frage (Betriebsgröße, Beschaffungs- und Verteilungsaufwand, Aufbereitungsnotwendigkeit, auferlegte Gewässerschutzkosten u. a. m.). Dieser Punkt wird derzeit intensiv und kontrovers diskutiert 81 und braucht hier nicht weiter vertieft zu werden. Die Herausforderung, mit Heterogenität der Unternehmen im Rahmen effizienzorientierter Regulierung umzugehen, ist auch in der Regulierungs- und Wettbewerbstheorie von Anfang an gesehen und erörtert worden.82 Ferner muss beachtet werden, dass die den zu vergleichenden Wasserpreisen jeweils zugrunde liegenden gebührenrechtlich verbindlichen Preis-Kalkulationsregeln gar nicht für Wirtschaftlichkeitsvergleiche geeignet sind: Da auch bei den der Missbrauchskontrolle unterliegenden privatrechtlichen Entgelten die grundlegenden Anforderungen öffentlicher Wirtschaftsgebarung zu beachten sind, wie sie sich aus den jeweiligen Kommunalabgabengesetzen ergeben, stellt sich nämlich folgendes Zusatzproblem: Eine Kostenrechnung unter Verwendung des wertmäßigen Kostenbegriffs ist stets auf einen Kalkulationszweck hin ausgerichtet; je nach Informationsbedürfnis des Kalkulierenden ergeben sich demnach auch unterschiedliche Kostenergebnisse („different costs for different purposes“). 83 In der Betriebswirtschaftslehre werden vor diesem Hintergrund insbesondere Kostenrechnungen unterschieden, die der Ermittlung einer Preisuntergrenze dienen, und von solchen abgegrenzt, die dem Vergleich der Wirtschaftlichkeit von Betrieben dienen sollen. Ein Beispiel mag dies 80 So sprechen etwa Hellriegel / Schmitt (2010), S. 281, von der Möglichkeit von „Wechselwirkungen“, ohne diese jedoch näher zu entfalten. 81 Siehe hierzu statt vieler rechtfertigend Daiber (2010b); differenzierter Holländer et al. (2008); Holländer et al. (2009); Weiß et al. (2010); sehr kritisch hingegen Röstel (2011). 82 Siehe etwa Shleifer (1985). 83 Siehe Schneider (1997), S. 44: „Der Rechnungszweck bestimmt über das Rechnungsziel den Rechnungsinhalt“; für den Gebührenbereich u. a. Gawel (1999), S. 49.
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verdeutlichen: Will man – wie im Kommunalabgabenrecht üblich – Kosten kalkulieren, um einen kostendeckenden Preis zu ermitteln, so mag es genügen, bereits voll abgeschriebene, aber noch Leistungen abgebende Wirtschaftsgüter trotz ihres aktuellen Werteverzehrs nicht mehr in die Kostenrechnung zu übernehmen, da z. B. ein Refinanzierungsziel durch die Vollabschreibung längst erfüllt ist.84 Bei einem auf die aktuelle Periode bezogenen Wirtschaftlichkeitsvergleich mit einem anderen Versorger hingegen müsste dieser Werteverzehr aber zwingend berücksichtigt werden, um nicht verzerrte Ergebnisse zu erzeugen; ansonsten nämlich würden Abschreibungsfehler der Vergangenheit dazu führen, dass ein Unternehmen mit vorschneller Abschreibung im Vergleich scheinbar „günstiger“ dasteht, obwohl u. U. in beiden Betrieben dasselbe Anlagevermögen in der aktuellen Betrachtungsperiode dasselbe Leistungsvolumen abgibt. Altersstruktureffekte im Anlagevermögen führen so zu Vergleichbarkeitsproblemen bei kalkulatorischen Kosten, wenn zwar nach KAG kalkuliert wird, diese Ergebnisse anschließend aber im Rahmen des Vergleichsmarktkonzepts unbesehen zu Wirtschaftlichkeitsvergleichen herangezogen werden.85 Schließlich ist die notwendige Vergleichbarkeit der Entgelte schon dadurch verletzt, dass sich die zumindest im Rahmen des Verwaltungsprivatrechts jeweils zu beachtenden landesspezifischen Entgeltermittlungsvorgaben in insgesamt sechzehn Kommunalabgabengesetzen bzw. Gebührengesetzen signifikant unterscheiden.86 Entgeltunterschiede, die auf differentes Kalkulationsrecht der Länder zurückgehen, kommen wohl kaum als missbräuchliche Ausnutzung von marktbeherrschender Stellung in Frage. Ein letztes wichtiges Problem muss in den Blick genommen werden: Wie ventiliert sich ein – etwa durch Kartellaufsicht ausgeübter – administrierter Kostendruck unter Verfolg von Effizienzzielen mit Blick auf die Erfüllung anderer als Wirtschaftlichkeitsziele? Betrachten wir also das Performanzkriterium der Integration etwas näher. In der aktuellen Debatte wird vielfach die Besorgnis geäußert, dass sich der durch die Missbrauchsaufsicht erzeugte Kostendruck negativ auf andere Ziele der Versorgung auswirken könnte (etwa die Trinkwasserqualität oder die gewässerschutzbezogene Nachhaltigkeit der Versorgung).87 Auch in der ökonomischen Theorie werden Qualitätsprobleme und Investitionszurückhaltung als Folge von Effizienzregulierung institutionenökonomisch als sog. Hold-up-Problem88 des Aufschiebens von Investitionen kritisch diskutiert.89 Denn ein reguliertes Unternehmen 84 Siehe dazu Gawel (1994), in kritischer Auseinandersetzung mit OVG Münster, U. v. 5. 8. 1994 – 9 A 1248 / 92. 85 So mit Blick auf den verzerrenden Einfluss von Baukostenzuschüsse auch zu Recht Kiesl / Lindt (2010). 86 Siehe nur Gawel (2012b); Kiesl / Schielein (2009). 87 Siehe nur Brackemann et al. (2000); Merkel (2010); Röstel (2011). 88 Dazu modelltheoretisch Holmström / Roberts (1998). 89 Bös (2001), S. 2. Hold-up-Probleme beschreiben in der ökonomischen Vertrags- und Agency-Theorie allgemein ausgedrückt Situationen, in denen Informationen erst ex post er-
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wird grundsätzlich Investitionen in betriebsspezifische wasserwirtschaftliche Infrastruktur nur dann tätigen, wenn es ausreichend Gewähr hat, die entsprechenden Ausgaben auch entgolten zu bekommen. Hier schneidet offensichtlich eine Kostenpreis-Regulierung günstig ab, denn sie stellt – zumindest rechtlich – keinerlei Risiko für die Refinanzierung dar, kann das Unternehmen doch seinen Refinanzierungsbedarf über die Kosten im Wesentlichen selbst bestimmen. Effizienzorientierte Preisregulierungen hingegen lassen es je nach Ausgestaltung weniger sicher erscheinen, ob die Investitionsausgaben – etwa im Vergleichsmarktmaßstab – als entgeltfähig angesehen werden. Zu der Frage, ob und inwieweit nun die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht vor diesem Hintergrund die Erfüllung von Qualitätszielen der Versorgung strukturell gefährdet, bestehen zwei unterschiedliche Sichtweisen: Einerseits wird argumentiert, dass eine unabhängig von der Entgeltkontrolle bestehende Qualitäts- und Gewässerschutzregulierung die Erfüllung der dort formulierten Anforderungen unbeeinflusst vom jeweils zugestandenen Kostenniveau sicherstellen könne und insoweit eine negative Auswirkung von Effizienzregulierung nicht zu besorgen sei.90 Die entgegengesetzte Auffassung betont demgegenüber die Gefahr, dass Effizienzdruck auf die Entgelte a) zu einem Mangel an Effektivität der Daseinsvorsorge und zu Qualitätseinbußen beim Trinkwasser selbst, beim Service, aber auch mit Blick auf eine nachhaltige Gewässerbewirtschaftung beitrage, und b) Unternehmen in einem wirtschaftlich ungünstigem Umfeld komplett aus dem Markt dränge, soweit „der Preis von der günstigsten ‚peer firm‘ gesetzt wird“91.92 Der Streit kann hier nicht entschieden werden, jedoch liegt es auf der Hand, dass sich effizienzorientierte Entgeltregulierungsverfahren mit dieser Verschränkungsproblematik sorgfältig auseinander setzen müssen. Dies gilt erst recht dann, wenn die Reichweite etwa von kartellrechtlicher Missbrauchskontrolle ausgedehnt oder gar das Regulierungsregime – etwa als Anreizregulierung – künftig noch verschärft werden wird. Natürlich ist die Problematik nicht völlig neu und stellt sich auch in sichtlich werden und dazu führen, dass ex ante unter Informationsunsicherheit nicht die richtigen Verhaltensanreize geschaffen werden. 90 Siehe nur Meran (2011), S. 41, der entsprechende Besorgnisse „aus dem Blickwinkel von Mainstream-Ökonomen“ für „völlig unverständlich“ hält, was insoweit überrascht, als dieselben Ökonomen kontrafaktische Setzungen des Rechts typischerweise erst einmal auf ihre Anreizkompatibilität untersuchen (hat der Normunterworfene einen Eigenanreiz, so zu handeln?) bzw. die Möglichkeiten einer wirksamen Außenkontrolle prüfen (kann das Verhalten von außen überhaupt zuverlässig beobachtet und zielgerichtet gesteuert werden?). Im Falle der Kostenpreis-Regulierung wurde ja ökonomisch mit denselben Argumenten eine Wirksamkeit kontrafaktischer Normierung regelmäßig geradezu maliziös verneint [siehe oben III.1a)]. Aus dem übrigen Schrifttum, das dieses Problem zumindest für beherrschbar hält, BReg, Stellungnahme zum 18. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 17 / 4305, Ziff. 12; Oelmann (2008). 91 Meran (2011), S. 41. 92 In diesem Sinne etwa statt vieler Brackemann et al. (2000); Merkel (2010); Röstel (2011); Holländer (2011), S. 396, 409 f.; Schubert (2010).
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anderen Netzsektoren. Allerdings wird gegenwärtig eben auch mit Blick auf die Anreizregulierung der Stromnetzbetreiber die Frage kritisch diskutiert, inwieweit diese Form der Entgeltbegrenzung mit einem jetzt geforderten raschen und großmaßstäblichen Ausbau der Netze im Rahmen der Energiewende vereinbar sein kann. 93 Jedenfalls reicht der bloße Verweis auf die Bestimmungen der parallelen Qualitätsregulierungen und Nachhaltigkeitsgebote nicht aus. Forcierte Kostenschrumpfung kann sich zu Lasten von Qualität und Nachhaltigkeit auswirken; hier handelt es sich keineswegs um Chimären: Bereits jetzt treten vorrangig im Abwasserbereich Qualitätsprobleme durch laufenden Substanzverlust in den Rohrleitungsnetzen als Folge eines anhaltenden Sanierungsstaus auf.94 Zwar gestattet die Kostenpreis-Regulierung die Umlage entsprechender Netzinvestitionen auf die Entgelte, aus entgeltpolitischen Gründen wird darauf jedoch zumeist verzichtet. Erst recht wird sich der Druck verstärken, wenn alle Investments auf den kartellrechtlichen Prüfstand gestellt werden müssen. Weiter treten schon heute Qualitätsprobleme durch unzureichenden Wasserdurchsatz auf; einige Versorger weisen bereits darauf hin, dass bei weiterem Nachfragerückgang die Aufrechterhaltung der Trinkwasserqualität mit großen Schwierigkeiten einhergehen wird.95 Es bleibt abzuwarten, ob diesem Problemdruck politisch durch extrem kostenintensive Investitionen zur Qualitätssicherung oder aber durch situative Anpassung von Qualitätsnormen abgeholfen werden wird. Die Lockerungen der Legionellen-Prüfung für größere Warmwasseranlagen, immerhin ein erstrangiges Gesundheitsrisiko, durch die Novellierung der Trinkwasserverordnung 2012 96 zeigt ebenfalls auf, dass auch Qualitätsmaßstäbe zugunsten höchster Schutzgüter durchaus auf Kostendruck reagieren. Insoweit ist die Verschränkung zwischen zugestandener bzw. durchsetzbarer Kostenmasse und den vielfältigen Qualitätsdimensionen der Versorgung durchaus offensichtlich und auch praktisch relevant. Ganz abgesehen davon existieren natürlich auch unregulierte Qualitätsdimensionen, etwa im Servicebereich, die nicht durch entsprechende Vorgaben geschützt sind. Insgesamt zeigt die kartellrechtliche Missbrauchskontrolle zwar ein hohes Effektivitätspotenzial bei der wirksamen Begrenzung der Entgelthöhe [zur prozeduralen Umsetzung noch unten III.3.b)], hinsichtlich der dezentralen Auffindung kostenminimaler Produktionsstrukturen müssen jedoch bereits Abstriche gemacht werden: Weder lassen sich aufgrund der fortbestehenden Informationsasymmetrie im Wege von kartellrechtlichen Verfahren die jeweiligen Minimalkostenkombinationen aufspüren noch können so entsprechende Anreize für die Versorger gesetzt werden. 93 Siehe nur Bayer (2011); Brunekreeft (2011); Brunekreeft / Meyer (2011); Korte / Gawel (2015). 94 Merkel (2009). 95 Mohajeri et al. (2006), S. 87. 96 Durch die Novelle der Trinkwasserverordnung 2012 haben Hauseigentümer ein Jahr länger, bis zum 31. Dezember 2013, Zeit für die Erstprüfung. Außerdem müssen sie den Test danach nicht jedes Jahr wiederholen, wie ursprünglich vorgesehen, sondern nur noch alle drei Jahre. Und dies, obwohl doch sogar Lebensgefahr bei entsprechender Kontaminierung besteht, die bei Großobjekten im Übrigen durchaus keine Seltenheit ist.
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Die konkrete Angemessenheit der ersatzweise genutzten Anhalte in Form von Preisforderungen „günstigerer“, aber „gleichartiger“ Versorger bleibt jeweils im Dunklen. Immerhin gelingt so aber eine explizite, wenn auch unvollkommene Wirtschaftlichkeitsbetrachtung der Produktionsbedingungen. Besondere Schwierigkeiten bereitet dem Vergleichsmarktkonzept indes die Integration anderer preispolitischer Belange, denn es ist explizit allein auf die Wirtschaftlichkeitssicherung fokussiert. Dabei treten in Theorie und Praxis erhebliche methodische Probleme und Wertungswidersprüche auf, die erst überzeugend gelöst werden müssen, bevor weitreichende Umgestaltungen der Entgeltregime in der Praxis ins Auge gefasst werden. Diese notwendige Debatte wird bislang dadurch erschwert, dass sich nicht nur das kartellrechtliche Kontrollkonzept selbst, sondern auch seine Protagonisten gegenüber anderen preispolitischen Geboten kaum öffnen. Wegen der bereits aus der Regulierungstheorie seit langem bekannten Verschränkungswirkungen erscheint aber die Vorstellung eines rein additiven, im Übrigen aber friktionslosen Einsatzes von Effizienzregulierungen zur isolierten Verfolgung von Wirtschaftlichkeitszielen auch für die Praxis als Trugbild. Die hierzu anstehende Debatte hat freilich erst begonnen. Vergleicht man schließlich die komparative Leistungsfähigkeit von Vergleichsmarktkonzept und Kostenkontrolle als den nach § 31 Abs. 4 Nr. 2 und 3 GWB eröffneten Indikatorkonzepten für Missbrauch, so liegt es auf der Hand, dass – aus den zuvor unter III.2.a) genannten Gründen – die Kostenprüfung noch schwächere Kontrollwirkung entfaltet als das Vergleichsmarktkonzept.97 Die Kostenkontrolle ist auf die behördliche Aufdeckung privaten Kostenwissens des Wasserversorgers angewiesen und hat strukturelle Operationalisierungs- und Beweisprobleme bei den gesetzlichen Maßstäben „rationeller Betriebsführung“ und „unangemessener Kostenüberschreitung“. Dagegen lassen sich Vergleichspreise deutlich einfacher gewinnen. Die Beweislastumkehr des § 31 Abs. 4 Nr. 2 BWB (Wasserversorger muss nachweisen, dass Abweichungen von Vergleichspreisen auf nicht zu vertretende Umstände zurückgehen) erleichtert auch prozedural den Missbrauchsnachweis nach dem Vergleichsmarktkonzept. Die Effektivität der Entgeltkontrolle ist bei Vergleichspreisen deutlich höher; über die komparative Effizienz beider Maßstäbe kann jedoch allgemein wenig ausgesagt werden: Beide Verfahren können Abweichungen von effizienter Betriebsführung kaum zuverlässig unterbinden, schon weil sie nur fallweise ex post eingreifen können [dazu nachfolgend b)]. Eine Ziel-integrierte Entgeltkontrolle können beide Verfahren ohnehin gleichermaßen nicht leisten.
b) Prozedurale Sicherung Die materiell-rechtlichen Anforderungen, die sich aus dem Vergleichsmarktkonzept ergeben, müssen ebenfalls erst im Vollzug umgesetzt und daher prozedural 97
So auch Daiber (2013).
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noch gesichert werden. Hier ergeben sich auch für den kartellrechtlichen Ansatz durchaus empfindliche Effektivitätseinbußen: Zunächst sind nach den Zuständigkeitsregeln der §§ 48 ff. GWB mit dem Vollzug der Missbrauchskontrolle Landeskartellbehörden oder aber das Bundeskartellamt betraut. Die danach zu erwartende Ausdifferenzierung in Vollzugsaktivität und Vollzugsverfahren lässt sich auch empirisch eindrucksvoll belegen.98 Demnach ergeben sich ganz erhebliche Unterschiede der Vollzugspraxis hinsichtlich der Prüfmaßstabes (Vergleichsmarktkonzept nach Preis- oder Erlösvergleich, Kostenprüfung), des Ansatzes kalkulatorischer Kosten, der Handhabung sog. Sicherheits- und Erheblichkeitszuschläge, des typischen Inhalts von Missbrauchsverfügungen bzw. Verpflichtungszusagen (Preissenkung, Preiserhöhungsverbot, Erlösobergrenze, Rückzahlung) sowie des maßgeblichen Preissenkungsniveaus (mittleres Niveau der Vergleichsunternehmen, Niveau eines besonders „ähnlichen“ Vergleichsunternehmen u. a. m.). Ob überhaupt behördliche eine Aktivitätsentfaltung hinsichtlich der Kontrolle der Wasserentgelte unternommen wird, obliegt zudem dem Aufgreifermessen der Kartellbehörden, von dem bislang regional höchst unterschiedlich Gebrauch gemacht wird. Insbesondere der materielle und regionale Fragmentierungsgrad der Kontrolle ist damit beachtlich; zusammen mit dem Zeitpunkt des Zugriffs (erst im Nachhinein) ergeben sich so ernstliche Hindernisse im Verfahren für eine effektive Entgeltbegrenzung (vgl. Tab. 3). Tabelle 3 Prozedurale Sicherung der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle – Leistungsfähigkeitsanalyse Kriterium
Aufsicht durch Kartellbehörden
Prüfmaßstab
Vergleichsmarktkonzept / Kostenanalyse (§§ 19, 31 GWB)
Berücksichtigung preispolitischer Ziele
Wirtschaftlichkeit (Exklusivziel)
Prüfmaßstab Wirtschaftlichkeit
ja
Zeitpunkt
ex post
Reichweite
fallweise nach Opportunitätsprinzip (behördliches Aufgreifermessen)
Fragmentierungsgrad
sehr hoch (nach Land und Behörden)
Interesse an Wirtschaftlichkeit
hoch (Profilierung als Wettbewerbshüter)
Kalkulatorische Prüfkompetenz
im Zeitablauf zunehmend (Expertisenbildung)
Quelle: eigene Erstellung.
98
Dazu instruktiv im Überblick Gussone / Siebeck (2012).
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Auf der anderen Seite sind die effizienzbezogenen Prüfmaßstäbe, das explizite Wirtschaftlichkeitsziel der Überprüfung sowie das behördliche Eigeninteresse an einer Profilierung als Wettbewerbshüter (jedenfalls soweit das Aufgreifermessen genutzt wird) Verstärker in Bezug auf die Effektivität der Entgeltkontrolle. Auch die Prüfkompetenz wird sich in Behörden, die den Wassersektor regelmäßig in den Blick nehmen, rasch erweitern. Insgesamt bleibt jedoch das Bild ernüchternd: Eine flächendeckende, an einheitlichen Kriterien ausgerichtete, wirkungsvolle Entgeltkontrolle erscheint unter den Auspizien des gegebenen Kartellrechts jedenfalls kaum leistbar.
IV. Fazit: Implikationen für den rechtspolitischen Reformbedarf Der Gesamt-Befund hinsichtlich der vier Kriterien Effektivität, Kosten- und Nachfrage-Effizienz sowie Integration für die beiden betrachteten Entgeltkontrollregime des Gebühren- und des Kartellrechts fällt durchaus ernüchternd aus (Tab. 4): Das Gebührenrecht verfügt bereits konzeptionell weder über eine wirksame Entgeltbegrenzung (Effektivität) noch über eine zureichende Handhabe, den im Preis verrechneten Werteverzehr auf ein „erforderliches Maß“ zu beschränken (Effizienz). Einzig die Integration konkurrierender preispolitischer Ziele wird durch die Konzeption des Interessenausgleichs bei den Gebühren zumindest teilweise bedient, jedoch unter ausdrücklicher Ausklammerung des Effizienzziels. Das Kartellrecht hingegen zeigt in den Bereichen Effektivität und Effizienz vor allem in materieller Hinsicht eine höhere, wenn auch noch keine wirklich zufriedenstellende Leistungsfähigkeit. Insbesondere die prozedurale Absicherung zeigt wegen des Aufgreifermessens und der hohen Fragmentierung im Vollzug erkennbare Schwächen. Hinsichtlich der Integration ist das Kartellrecht bislang überfordert, da es explizit nur das Ziel der Wirtschaftlichkeitskontrolle verfolgt und preisrechtliche Wertungswidersprüche zum Gebühren-, Zivil-, Tarif- und Gemeinschaftsrecht nicht zu verarbeiten vermag, da es implizit von der freilich theoretisch wie empirisch brüchigen Annahme ausgeht, Effizienzanliegen ließen sich gleichsam additiv auf andere preisrechtliche Entgeltregime aufsetzen, ohne in Bezug auf diese eine relevante Ingerenz zu begründen. Der hier vorgestellte, problematische Befund zu den Kriterien Effektivität und Effizienz der Entgeltkontrolle von Wasserversorgern motiviert gerade die ökonomischen Reformüberlegungen, etwa der Monopolkommission, zur Weiterentwicklung der Wettbewerbsordnung im Wassersektor: Beide Regime, Gebühren- wie Kartellrecht, erscheinen für sich genommen jeweils weder suffizient noch äquivalent in der Zielerfüllung zur Begrenzung von Monopolmacht. Vielmehr bestehen signifikante Wirkunterschiede und Leistungsdefizite. Die Analyse hat zugleich deutlich gemacht, dass auch keine bruchlose Komplementarität beider Systeme besteht, sondern im Falle paralleler Anwendung Ingerenz zu besorgen ist, die zu einer sogfälti-
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Tabelle 4 Zusammenfassender Befund zur komparativen Leistungsfähigkeitsanalyse von Entgeltkontrollregimen Kriterium
Kommunalabgabenrecht
Kartellrecht
Effektivität
–
O
Kosten-Effizienz
–
O
Nachfrage-Effizienz
–
–
Integration
O
–
– schwach, o mittel Quelle: eigene Erstellung.
gen Abstimmung der preisrechtlichen Wertungen der verschiedenen entgeltrechtlich relevanten Rechtsbereiche des Gebühren-, Zivil-, Tarif-, Kartell- und Gemeinschaftsrechts Veranlassung gibt. Die hierzu nötigen dogmatischen Klärungen – insbesondere zur Rolle preisrechtlicher Wertungen anderer Entgeltrechtsbereiche für die Missbrauchsindikation des Kartellrechts – stehen dabei erst am Anfang. Umgekehrt besteht mangels Äquivalenz aber auch keine perfekt substitutive Beziehung, so dass insbesondere das Gebührenrecht in seiner gegenwärtigen dogmatischen Gestalt und einfachgesetzlichen Ausprägung eine wirksame Effizienzkontrolle durch wettbewerbspolitische Maßnahmen keineswegs erübrigen kann.99 Bei Entscheidungen über die künftige Ausgestaltung von Entgeltkontrollregimen im Wassersektor ist vor diesem Hintergrund sicherlich zu berücksichtigen, dass die gebührenrechtliche Kostenkontrolle über Kostenpreise strukturell „schwach“ aufgestellt ist und damit kaum geeignet ist, die Forderung nach ergänzenden Verfahren eines „Als-ob-Wettbewerbs“ zu entkräften. Gleichzeitig gilt aber, dass Preise multiple Funktionen besitzen und dass auch das preispolitische Ziel des Ressourcenschutzes derzeit nur schwach verankert ist; Entgelte erscheinen daher oftmals gleichzeitig „zu hoch“ und „zu niedrig“. Will man (zunächst) allein die Wirtschaftlichkeit verbessern, bieten sich anreizorientierte Verfahren durchaus an (Missbrauchskontrolle, Anreizregulierung), denn der Wassersektor ist sicherlich kein wettbewerblicher Ausnahmebereich in dem Sinne, als dass hier keinerlei regulative Mühewaltung vonnöten sei, um die Preisforderungen der Versorger auch unter Effizienzmaßstäben kritisch zu überprüfen. Allerdings sind derartige effizienzorientierten Verfahren genauer zu prüfen: Inwieweit verbessert sich dadurch unter Praxisbedingungen tatsächlich die Effektivität (wirksame Kostenbegrenzungen) und die Effizienz (Auffinden von Minimalkosten)? Welche Probleme und Herausforderungen sind damit im Vollzug verbunden? Wie lassen sich die Auswirkungen auf andere (preispolitische) Ziele integrieren? 99
So aber wohl Reinhardt (2010b) und Wolfers / Wollenschläger (2012).
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Die Erforschung von Anwendungsvoraussetzungen und Konsequenzen eines durch simulierten Wettbewerb erzeugten Kostendrucks sowie eine komparative Institutionenanalyse des dazu eingesetzten Regulierungsverfahrens sind vorab dringend nötig. Insbesondere bleiben konzeptionelle und verfahrenspraktische Bemühungen um das Verhältnis von Wirtschaftlichkeitsdruck und Erfüllung anderer Ziele ebenso auf der Agenda wie die rechtspolitische Abstimmung verschiedener preisrechtlicher Wertungen (Gebühren-, Tarif-, Zivil- und Wettbewerbsrecht, WRRL). Eine derartige Analyse würde wohl auch die Konsensfähigkeit rechtspolitischer Reformvorhaben deutlich verbessern, soweit nämlich weitreichende politische Gestaltungsempfehlungen nicht länger allein auf der Grundlage allgemeiner ordnungspolitischer Grundsätze („mehr Wettbewerb!“, „Monopolpreise begrenzen!“), sondern vielmehr in Kenntnis der institutionellen Voraussetzungen und mutmaßlichen Wirkungen differenziert abgeleitet und dabei die übrigen Diskursstränge zum Entgeltrecht angemessen berücksichtigt werden.
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Die Berücksichtigung von Umweltund Ressourcenkosten nach Art. 9 WRRL – interdisziplinäre Herausforderungen für die Wasserpreispolitik* Von Erik Gawel
I. Problemstellung Der europäische Gesetzgeber verlangt von den Mitgliedstaaten in Art. 9 der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL),1 bei „Wasserdienstleistungen“ den „Grundsatz der Deckung der Kosten […] einschließlich umwelt- und ressourcenbezogener Kosten“ zu „berücksichtigen“ (Abs. 1 UAbs. 1). Zugleich wird den Mitgliedstaaten aufgegeben, dafür „zu sorgen“, dass „die Wassergebührenpolitik angemessene Anreize für die Benutzer darstellt, Wasserressourcen effizient zu nutzen, und somit zu den Umweltzielen dieser Richtlinie beiträgt“ (Abs. 1 UAbs. 2). Schließlich können die Mitgliedstaaten „dabei“, also bei der Erfüllung ihrer Pflichten aus UAbs. 1 und 2, insbesondere „den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Kostendeckung“ „Rechnung tragen“ (Abs. 1 UAbs. 3). Art. 9 Abs. 1 WRRL hat insgesamt folgenden Wortlaut: „Die Mitgliedstaaten berücksichtigen unter Einbeziehung der wirtschaftlichen Analyse gemäß Anhang III und insbesondere unter Zugrundelegung des Verursacherprinzips den Grundsatz der Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen einschließlich umwelt- und ressourcenbezogener Kosten. Die Mitgliedstaaten sorgen bis zum Jahr 2010 dafür, – dass die Wassergebührenpolitik angemessene Anreize für die Benutzer darstellt, Wasserressourcen effizient zu nutzen, und somit zu den Umweltzielen dieser Richtlinie beiträgt; – dass die verschiedenen Wassernutzungen, die mindestens in die Sektoren Industrie, Haushalte und Landwirtschaft aufzugliedern sind, auf der Grundlage der gemäß Anhang III vorgenommenen wirtschaftlichen Analyse und unter Berücksichtigung des Verursacherprinzips einen angemessenen Beitrag leisten zur Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen. * Aktualisierte und stark erweiterte Fassung des Beitrages Gawel (2015a). 1 Richtlinie 2000 / 60 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23. 10. 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl. L 327 v. 22. 12. 2000, S. 1.
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Die Mitgliedstaaten können dabei den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Kostendeckung sowie die geographischen und klimatischen Gegebenheiten der betreffenden Region oder Regionen Rechnung tragen.“
Was genau den Mitgliedstaaten durch Art. 9 Abs. 1 WRRL aufgegeben sein soll, ist schwer zu ermitteln.2 Noch schwerer dürfte freilich die Feststellung fallen, dass eine Wasserpreisgestaltung zweifelsfrei gegen Art. 9 verstoße. Die Norm ist von mühsamen Kompromissen im Gesetzgebungsverfahren gekennzeichnet3 und zudem durchsetzt mit auslegungsbedürftigen Begriffen, über die im Schrifttum sowie zwischen Kommission und Mitgliedstaaten Streit herrscht.4 Dies gilt in besonderer Weise für den Begriff der „Umwelt- und Ressourcenkosten“ (URK). Dieser ist ersichtlich aus der Umweltökonomik entlehnt, dortselbst aber so gar nicht gebräuchlich. Wirtschaftswissenschaftliche Begrifflichkeiten und Konzepte spielen in Art. 9 zweifellos eine Schlüsselrolle (Kostendeckung, Ressourceneffizienz, Anreize, wirtschaftliche Analyse).5 Zwar betont das juristische Schrifttum, dass die WRRL nicht etwa ein bestimmtes ökonomisches Konzept verbindlich mache, sondern naturgemäß eine eigenständige, der Auslegung bedürftige Normierung des Problemkreises vornehme,6 nicht ohne sich anschließend hilfesuchend der ökonomischen Disziplin zuzuwenden, um dort Aufschluss über die fraglichen Konzepte und Begriffe zu gewinnen.7 2 Unnerstall (2012), S. 103, spricht trotz umfangreicher eigener Bemühungen nachvollziehbar davon, dass „der Gehalt der Bestimmungen des Art. 9 Abs. 1 WRRL […] kaum vollständig aufzuklären“ sei. 3 Siehe zum Entstehungsprozess der WRRL und den Streit um die Ausgestaltung der Kostendeckung in Art. 9: Brockmann (2003); Unnerstall (2006a); ders. (2006b); sowie Kaika / Page (2003). 4 Dabei steht meist der zentrale Begriff der Wasserdienstleistung im Zentrum der Kontroverse, die auch durch den EuGH-Entscheid 2014 (Rs. C-525 / 12) zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland [dazu etwa Reese (2013), S. 361 ff.; Gawel (2014g)] kaum geklärt sein dürfte – siehe die kritischen Kommentierungen bei Gawel (2014h); ders. (2015b); ders. (2015c); Lindhout / van Rijswick (2015); a. A. offenbar Reinhardt (2014); differenzierter Seuser (2014) und Melsheimer (2015), der sich zwar gegen den als zu weit empfundenen Regelungsanspruch der Kommission wendet, aber zugleich klarstellt, dass „der EuGH in keiner Weise eine Entscheidung darüber getroffen [hat], ob die Auffassung der Bundesrepublik zutreffend ist, dass die Kostenpflicht [sic!] […] sich nur auf die Wasserversorgung und die Abwasserbehandlung bezieht“ (ebenda, S. 62). Für eine Einbeziehung weiterer „infrastruktureller“ Dienstleistungen (Aufstau von Gewässern für Wasserkraft und Binnenschifffahrt) auch Lange / Kroll (2014). 5 So auch Hansjürgens / Messner (2006), S. 424: „Hinter diesem Ansatz steht eine umweltökonomische Perspektive […].“ 6 Desens (2008), S. 110; Kolcu (2008), S. 88, sieht gar einen „diktatorischen Anspruch“ der ökonomischen Theorie, den es natürlich abzuwehren gelte. Gegen eine „Wirtschaftswissenschaftlichkeit des Rechts“ verwahrt sich auch Reinhardt (2006). In ähnlicher Weise – wenngleich auf Wasserentnahmeentgelte bezogen – insistieren auch Durner / Waldhoff (2013), S. 91, geradezu empört: „Den Zweck des Gesetzes bestimmt nach wie vor der Gesetzgeber und nicht Umweltökonomen.“ Dies darf man wohl so verstehen, dass die Deutungshoheit bei den (gesetzesauslegenden) Juristen liegen müsse, nicht aber bei Wirtschaftswissenschaftlern. 7 Siehe etwa die entsprechenden Auswertungen des ökonomischen Schrifttums bei Desens (2008), S. 95 ff., S. 199 ff., passim.
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Die vielbeklagte Unschärfe des Art. 9 betrifft in besonderer Weise das Konzept der URK, denn diese werden überhaupt nur in Erwägungsgrund 38 und in Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1 erwähnt und finden zudem in der Wirtschaftswissenschaft kein dogmatisch gesichertes und implementationstaugliches Analogon vor. So halten etwa Hansjürgens / Messner fest: „Dabei stellen […] insbesondere Umwelt- und Ressourcenkosten eine vollkommen neue Herausforderung dar, für die zwar bestimmte Verfahren in der Wissenschaft diskutiert werden, für die die Praxis aber noch keine allgemein gültigen Lösungen zur Hand hat.“ 8
URK stellen damit eine besondere und bisher nicht zufriedenstellend gelöste interdisziplinäre Herausforderung des Wasserrechts dar. Zunächst ist daher zu fragen, was sich hinter dem Begriff inhaltlich verbirgt (Abschnitt II.). Sodann ist die Stellung der URK in der Normarchitektur des Art. 9 WRRL zu klären (III.). Ferner fragt sich, „was“ genau kostenmäßig abzudecken sein soll (IV.) und auf welche Weise („wie“) eine „Berücksichtigung“ von URK bzw. deren Einschluss bei der Kostendeckung konkret organisiert werden kann (V.). Ein Fazit (VI.) beschließt diesen Beitrag.
II. Begriff der Umwelt- und Ressourcenkosten Bereits der konkrete Begriffsgehalt von „Umwelt- und Ressourcenkosten“ (URK) ist nicht leicht zu erfassen und hat im Schrifttum vorwiegend Ratlosigkeit erzeugt.9 Das Verständnis wird nicht unerheblich dadurch erschwert, dass „umweltund ressourcenbezogene Kosten“ weder in Art. 2 WRRL legaldefiniert noch in dieser sprachlichen Wendung in der Wirtschaftswissenschaft gebräuchlich oder auch nur bekannt sind. Die ökonomische Theorie hält stattdessen eine Vielzahl an anderen Begrifflichkeiten vor. Diese beschreiben entweder Werteverzehre, die nicht marktlich verarbeitet und einem Ressourcennutzer daher nicht im Marktpreis signalisiert werden (soziale Kosten, externe Kosten, Umweltschäden) oder aber eine bestimmte Konzeption zur Bewertung von Werteverzehren verkörpern (Opportunitätskosten, auch: Alternativkosten).10 Es sind also marktlich nicht berücksichtigte WerHansjürgens / Messner (2006), S. 424. Siehe nur die entsprechenden Auslegungsbemühungen im juristischen Schrifttum: Desens (2008), S. 192 ff.; Kolcu (2008), S. 64 ff.; Unnerstall (2012), S. 87 ff., mit jeweils weiteren Nachweisen. 10 Die Idee, dass uns der Einsatz einer werthaltigen, aber knappen Ressource für einen bestimmten Zweck gerade den Verzicht auf deren alternative Verwendung (und den daraus zu ziehenden Nutzen) „kostet“, ist für die Wirtschaftswissenschaft elementar. Dieses Kostenverständnis gestattet es auch, jenseits von Geldausdrücken „reale Kosten“ zu beschreiben und von bloßen Ausgaben abzuschichten: Die Lektüre dieses Aufsatzes mag bestimmte Ausgaben zur Erlangung des Mediums erfordert haben, vor allem aber kostet sie die geneigten Leser(innen) die Nutznießung alternativer Zeitverwendungen. Die Opportunitätskostenanschauung ist nicht auf externe Kosten begrenzt, sondern gilt auch für private (betriebswirtschaftliche, „finanzielle“) Kosten. Sie können im Übrigen nicht gemessen, sondern müssen (zielbezogen) 8 9
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teverzehre, gleichsam als bisher vergessene Kostenarten einerseits (soziale / externe Kosten) von konzeptionellen Vorstellungen zum Kostenbegriff selbst, insbesondere seiner Bewertungskomponente (Opportunitätskosten) zu unterscheiden. Die bisher im Rahmen der gemeinsamen Implementationsstrategie vorgelegten Definitionsansätze (u. a. EU-Kommission,11 WATECO,12 Drafting Group Eco 213 und Aquamoney14) suchen „Umweltkosten“ und „Ressourcenkosten“ im Wesentlichen zu dissoziieren und unter Verwendung eines grundsätzlich additiven Konzepts als zusätzlich zu berücksichtigende, aber disjunkte Kostenarten zu begreifen.15 In diesem Ansatz steckt bereits der Keim des Scheiterns. – Umweltkosten werden dabei im Kern regelmäßig als Umweltschadenskosten (damage costs) beschrieben;16 dies entspricht kategorial den „externen Kosten“ im Sinne einer Kostenergänzungsvorschrift um marktlich nicht abgebildete Werteverzehre. Zudem kommt eine Eingrenzung von „umweltbezogenen Kosten“ lediglich als Teilmenge sämtlicher externen Kosten im ökonomischen Sinne in Betracht – etwa mit Blick auf Erwägungsgrund 38, der URK spezifiziert nur „im Zusammenhang mit Beeinträchtigungen oder Schädigungen der aquatischen Umwelt“ sieht; – Ressourcenkosten werden dagegen ebenso durchgängig mit dem Opportunitätskostenansatz assoziiert und im Kern als „costs of foregone opportunities“17 bzw. „bewertet“ werden. Opportunitätskosten sind nur in einer „Paradiesökonomie“ Null, wo uns „freie“ Güter bei ihrer Nutzung keinerlei Verzichte zumuten, weil sie unbegrenzt vorhanden sind oder sich stets „von selbst“ reproduzieren. 11 KOM 1997, 49 endg. v. 15. 4. 1997, ABl. 184 / 20 v. 17. 6. 1997 (Initiativvorschlag der Kommission); KOM 2000, 477 endg. v. 26. 7. 2000 (Preisgestaltungsmitteilung der Kommission). 12 WATECO (2003). 13 Drafting Group Eco2 (2004). 14 Brouwer (2006). 15 Exemplarisch dafür ist die – vielfach reproduzierte – Graphik bei Rogers et al. (1998), S. 7, die – übersetzt in den heutigen Sprachgebrauch – als „economic costs“ gerade die Summe aus „financial“, resource“ und „environmental costs“ ausweist. Rezipiert u. a. bei WATECO (2003), S. 117, und Ammermüller (2011), S. 87. 16 „Costs of damage that water uses impose on the environment and ecosystems and those who use the environment” (WATECO (2003), S. 121); “costs of environmental damage that certain water users impose on other users” (KOM 1997, 49, ABl. 184 / 20 v. 17. 6. 1997); „environmental damage costs of aquatic ecosystem degradation and depletion caused by a particular water use” (DG Eco2, S. 2); “Kosten für Schäden, die der Wasserverbrauch für Umwelt, Ökosysteme und Personen mit sich bringt” (KOM 2000 (477) endg, S. 10); „environmental damage to a water system” (Brouwer (2006), S. 8). 17 WATECO (2003), S. 120: „costs of foregone opportunities which other uses suffer due to the depletion of the resource beyond its natural rate of recharge or recovery“; Brouwer (2006), S. 8: „total economic market and non-market based value (welfare loss) of the opportunities foregone of alternative water use and exploitation of a water body or river basin as a result of the limited availability of water (of a certain quality)”; KOM 2000 (477) endg, S. 10: „Kosten für entgangene Möglichkeiten, unter denen andere Nutzungszwecke infolge einer
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„opportunity costs“18 bezeichnet. Hier steht die Bewertungskorrektur im Vordergrund, d. h. die Art und Weise der Wertzuschreibung, unabhängig davon, ob die berührten Ressourcen bereits (vollständige) Marktpreise besitzen oder nicht. Eine solche Unterscheidung wird freilich in der ökonomischen Theorie gar nicht getroffen, wie Brouwer zu Recht feststellt: „Although no explicit distinction is made in the existing environmental economics literature between environmental and resource costs […], the terms have been interpreted and defined as two separate concepts.”19
Vielmehr ist der Opportunitätskostengedanke als Bewertungsprinzip umfassend, denn der Verzehr an alternativen Verwertungschancen einer Ressource kann sich auf den dabei zu leistenden Faktoreinsatz, auf externe Wertminderungen oder künftige Nutzungsoptionen beziehen.20 Anstatt es aber dabei zu belassen, Art. 9 Abs. 1 insoweit einerseits die Ergänzung um vernachlässigte, aber relevante Werteverzehre (Kostenergänzung) und andererseits eine insgesamt knappheitsorientierte Bewertung von Wasserressourcen in ihrem marktlichen und außermarktlichen Werteverzehr (Kostenbewertung) zu entnehmen,21 wurde – absehbar erfolglos – nach zwei verschiedenen, grundsätzlich additiven „Kostenkategorien“ gefahndet und mit Hilfe widersprüchlicher und reichlich umständlicher Definitionen mehr Verwirrung gestiftet als Aufklärung betrieben. Alle vorliegenden Definitionen haben daher gerade unter dem Gesichtspunkt unzureichender Abgrenzung und fehlender Überschneidungsfreiheit reichlich verdiente Kritik geerntet.22 Vielfach werden nämlich Abgrenzungen zwischen Umwelt-
Nutzung der Ressource über ihre natürliche Wiederherstellungs- oder Erholungsfähigkeit hinaus leiden“. 18 Drafting Group Eco2 (2004), S. 2: „opportunity costs of using water as a scarce resource in a particular way”. 19 Brouwer (2006), S. 6; dazu auch Schaafsma / Brouwer (2006). Dies hält ihn freilich nicht davon ab, selbst eine eigene Unterscheidung einzuführen zwischen „conflicting human water use“ und „environmental damage costs“ (Brouwer (2006), S. 7; Hervorh. i. Orig.), was bei einem wohl notwendig anthropozentrischen Bewertungsfokus wenig einbringt. 20 Pearce / Markandya (1989), S. 39 ff. Zum Ganzen auch im Überblick Gawel (2014e). 21 In diese Richtung verweist noch die Tabelle bei WATECO (2003), S. 116, bei der „economic costs“ – anders als in der Graphik der Folgeseite – einerseits durch Kostenergänzung um vergessene Werteverzehre („include all non-priced environmental costs“) und andererseits durch zutreffende Bewertung („replace [distorted] market prices by opportunity (or resource) costs“) charakterisiert werden. 22 Siehe nur Brouwer (2006); Görlach / Interwies (2004), S. 10 ff.; Proeger (2009), S. 22 ff.; Kolcu (2010), S. 79 f. Auch die Schöpfer der Definitionen kritisieren sich munter wechselseitig – siehe nur die Kritik von Brouwer (2006) und Drafting Group Eco2 an WATECO. Dass die selbst definierten Kostenkategorien nicht einfach addiert werden können, ist auch den Urhebern nicht verborgen geblieben – siehe etwa Drafting Group Eco2 (2004), S. 2: „environmental costs may be part of the net benefits with which the resource costs are calculated“, „risk of double counting“.
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kosten und Ressourcenkosten bemüht, die so theoretisch gar nicht bestehen: Externalitäten im Sinne der ökonomischen Theorie (also induzierte, nicht-kompensierte Wertminderungen bei Dritten als Folge des eigenen Ressourcenzugriffs 23) sind nicht nur bei „Folgekosten“ gegeben (landwirtschaftliche Bewässerung führt zu verstärkten diffusen Gewässerbelastungen), sondern definitorisch auch bei der Verdrängung rivaler (aber gleichartiger) Nutzungsmöglichkeiten in einem Ressourcenpool 24 (Entnahmen für Bewässerung können nicht mehr als Kühlwasser genutzt werden und stehen auch für Bewässerungszwecke durch Dritte nicht mehr zur Verfügung). Der Externalitätenbegriff der ökonomischen Theorie ist deutlich weiter als das mit Umweltschäden üblicherweise Assoziierte. Und Knappheitskosten treten umgekehrt nicht nur bei gleichartigem Ressourcenzugriff auf (Reicht die Wassermenge für alle Entnahmewünsche?), sondern auch bei einer Nutzungskonkurrenz durch Folgeeffekte (Abwassereinleitung vereitelt Fischzucht am Unterlauf). Die Gewässerressource ist hier dadurch knapp, dass nicht beide Ansprüche (Senkenfunktion, Produktionsmittel) gleichzeitig befriedigt werden können. Im Beispiel äußert sich das Knappsein gerade durch eine negative Externalität. Es geht mithin in allen Fallgestaltungen des Zugriffs auf Wasserressourcen um ein Knappheitsphänomen durch konkurrierende (rivale) Nutzungsansprüche, bei dem die direkten und indirekten Auswirkungen der eigenen Ressourcenverfügung auf Dritte oder die Allgemeinheit in Menge und / oder im Wertansatz marktlich nicht adäquat abgebildet ist und diese verzerrten Marktsignale insoweit der staatlichen Korrektur bedürfen. 25 Insbesondere die gewillkürte Gegenüberstellung aus ‚Knappheitskosten‘ und ‚Externalitäten‘ führt vollständig in die Irre. Vor diesem Hintergrund ist eine zufriedenstellende Aufhellung des Begriffspaares mit der Suchmaßgabe, zwei wohlabgrenzbare und möglichst disjunkte Kostenarten zu definieren, absehbar nicht gelungen. Zu dem additiven Verständnis gesellte sich alsbald der Verdacht einer womöglich insgeheim hierarchischen Konzeption, bei der ironischerweise – je nach Auslegung – sowohl Umweltkosten die Ressourcenkosten einschließen können wie auch gerade umgekehrt.26 Die bisherigen DefiniSiehe etwa Pearce / Turner (1990). Die Theorie der öffentlichen Güter spricht hier von Verdrängungskosten bei common pool resources (sog. Allmendegütern) – siehe Stiglitz / Schönfelder (1994), S. 102. D. h. Externalitäten treten bei rivaler joint consumption auf (also bei teilöffentlichen Gütern: Überfüllungskosten bei Mautgütern, Verdrängungskosten bei Allmendegütern), aber auch als technologische spill-overs bei separate consumption (d. h. bei rein privaten Gütern). 25 Die gedanklich mühsam getrennten Knappheitsaspekte überlagern sich dabei in praxi: Fische, die durch Fang einem Oberflächengewässer entnommen werden, können – soweit die Reproduktionsrate überschritten ist – nicht mehr von einer anderen Person gefangen, aber auch nicht mehr beim Tauchen bestaunt werden oder zu einem intakten aquatischen Ökosystem beitragen, was ungünstigenfalls am Ende komplexer Wirkungsketten Freizeitnutzungen des Fanggewässers ausschließen sowie zu Wertminderungen bei Anliegergrundstücken führen könnte. 26 Instruktiv aufgezeigt bei Proeger (2009), S. 22 ff. Begriffskonfusionen sind freilich kein Privileg umweltbezogener Kosten- und Wertkonzepte, wie Pongkijvorasin / Roumasset (2007), S. 1, festhalten: „Inconsistent and interchangeable usage of marginal user cost, net price, re23 24
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tionsversuche sind vor allem daran gescheitert, dass sie externe Kosten gegen Opportunitätskosten abzugrenzen versucht haben, was zu Widersprüchen führen muss, weil sie eine Kostenergänzungsvorschrift mit einer Bewertungsvorschrift konfundiert. Es verwundert nicht, dass Inhalt und Verhältnis beider Teilbegriffe zueinander mittlerweile unnötigerweise als unklar und umstritten gelten. Zumeist behilft sich die Literatur daher im Ergebnis mit einem Verständnis als letztlich nicht klar gegeneinander abgrenzbarem „Begriffspaar“.27 Dies kann als unschädlicher Behelf gelten, verunklart aber doch bedauerlicherweise das dem Konzept durchaus sinnvoll Entnehmbare. Es enthält nämlich zwei überschaubare Gebote: – Achte beim Ressourcenzugriff auf evtl. bislang vernachlässigte Auswirkungen auf Dritte bzw. die Allgemeinheit und betrachte auch die dort eintretenden Wertminderungen als Deine Kosten der Ressourcennutzung! – Bewerte die Ressourceninanspruchnahme grundsätzlich nach den Opportunitätskosten: Vorgefundene Marktbewertungen sind im Verzerrungsfalle dementsprechend zu korrigieren, unentgeltliche Ressourcen sind ersatzweise nach dem höchsten entgangenen Nutzen alternativer Verwendungen anzusetzen!
Werden beide Gebote beachtet, findet – neben der „Berücksichtigung“ des „Kostendeckungsgrundsatzes“ zugleich eine „effiziente“ Ressourcennutzung i. S. v. Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 1 statt (dazu unten III. 4.). Aus ökonomischer Sicht wird Effizienz durch Kostendeckung gerade bewirkt.
III. Stellung der Umwelt- und Ressourcenkosten in der Normarchitektur des Art. 9 1. Problemstellung „Umwelt- und ressourcenbezogene Kosten“ werden in Art. 9 WRRL lediglich in Abs. 1 UAbs. 1 ausdrücklich genannt. Daneben findet sich eine analoge Erwähnung in Erwägungsgrund 38, der ebenfalls den „Grundsatz der Deckung der Kosten der Wassernutzung einschließlich umwelt- und ressourcenbezogener Kosten im Zusammenhang mit Beeinträchtigungen oder Schädigungen der aquatischen Umwelt“ bei Maßnahmenprogrammen und deren „wirtschaftlichen Instrumenten“ als „zu berücksichtigen“ ausweist („sollte“).
source rent, shadow price and royalty promotes confusion and policy errors regarding resource valuation and extraction incentives.”. 27 LAWA (2003), S. 75; LAWA (2013); Palm et al. (2011), S. 364; Gawel et al. (2011), S. 44; Gawel / Unnerstall (2014a), S. 50. Auch Unnerstall (2012), S. 101, geht von einem je „weiten“ Verständnis mit „Überschneidungen” aus. Ein stärker abgesetztes Verständnis von Umweltkosten und Ressourcenkosten vertreten wohl Reese (2013) und Ammermüller (2011).
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Zugleich finden sich über den gesamten Art. 9 verteilt, insbesondere in Abs. 1 UAbs. 2 („angemessene Anreize zu effizienter Ressourcennutzung“), in UAbs. 3 („dabei den Auswirkungen der Kostendeckung Rechnung tragen“) sowie in Abs. 2 („Schritte zur Durchführung von Abs. 1“; „Deckung der Kosten“) Verweise auf den Grundsatz der Kostendeckung, der in Abs. 1 UAbs. 1 „einschließlich URK“ eingeführt wird. Es stellt sich daher die Frage, welche genaue Rolle URK innerhalb der ohnehin strittigen Normarchitektur des Art. 9 Abs. 1 einnehmen.
2. Interpretationen der Normarchitektur Bei den Versuchen einer Interpretation der Normarchitektur von Art. 9 Abs. 1, insbesondere mit Blick auf die Frage, wie das Verhältnis von „Berücksichtigen“ in Abs. 1 UAbs. 1 und „Sorgen für“ in UAbs. 2 in Bezug auf URK zu verstehen sein soll, lassen sich im Schrifttum zwei Ansätze unterscheiden: Klammerungsansätze versuchen eine einheitliche Interpretation der Norm, Separationsansätze hingegen sehen zwei grundsätzlich getrennt zu erfassende materielle Gebote bzw. Verbindlichkeitsgrade. Die hier interessierende Frage, ob und inwieweit URK auch Bestandteil der strikteren Verpflichtung aus Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 1 sind („sorgen für“), wird dann aber im Ergebnis doch überwiegend selbst bei separater Betrachtung bejaht: – Als Vertreter des Klammerungsansatzes kann Kolcu gelten. Er versteht den UAbs. 1 gleichsam als gesetzgebungstechnisches Präludium, dem eine „Initiativund Ankündigungsfunktion“ zukomme. UAbs. 2 konkretisiere dann das in UAbs. 1 lediglich grundsätzlich Umschriebene, wohingegen UAbs. 3 eine Relativierung eröffne. URK seien im Rahmen dieses Ansatzes zugleich als „ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal“28 von UAbs. 2 zu verstehen und vollumfänglich einbezogen („vollumfängliche Kostendeckung“). Soweit demnach in Art. 9 von Kostendeckung die Rede sei, müsse stets die definitorische Inklusionsvorschrift des UAbs. 1 – gleichsam vor der Klammer – beachtet werden. – Separationsansätze werden von der Mehrzahl der Autoren verfolgt, freilich mit unterschiedlichem Ergebnis: Köck sieht eine Dualität aus schwächeren „Berücksichtigungspflichten“ (UAbs. 1) und strikteren „Erfüllungspflichten“ (UAbs. 2).29 URK gelten hierbei gleichwohl aus inhaltlichen Gründen als Teil der durch den Effizienzauftrag von UAbs. 2 angesonnenen „vollen“ Kostendeckung.30 Unnerstall will hingegen unter Berufung auf die unterschiedliche Entstehungsgeschichte der Textpassagen die UAbs. „in einem ersten Interpretationsschritt zunächst unabhängig voneinander“ lesen und „vollständig verstehen“. Erst danach komme eine Integration zu einem „kohärenten Konzept“ in Betracht. Mit Blick auf die 28 Kolcu (2008), S. 110 ff.; ders., (2010), S. 77. Dagegen Unnerstall (2012), Fn. 7 („nicht plausibel“). 29 Köck (2011), S. 65 ff.; Gawel et al. (2011), S. 46. 30 Gawel et al. (2011), S. 48.
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URK hatte Unnerstall zunächst – abermals unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte des UAbs. 2 (hier: den diesbezüglichen Entwurf des Umweltausschusses des Europäischen Parlaments) – eine Einbeziehung der URK in UAbs. 2 vertreten.31 Neuerdings will er in der Gesamtschau der Norm wegen der fehlenden Erwähnung der URK in UAbs. 2 (und der mangelnden Abwegigkeit eines unterschiedlichen Verpflichtungsgrades für einzelne Kostenarten) einen zwischen UAbs. 1 und 2 abweichenden Kosteninhalt erkennen:32 URK wären demnach nur im schwächeren Berücksichtigungsmodus des UAbs. 1 relevant. Im Ergebnis ganz ähnlich sieht schließlich Desens – ebenfalls unter Verweis auf abweichenden Verbindlichkeitsgrad und die Entstehungsgeschichte – grundsätzlich Unabhängigkeit der UAbs. 1 und 2, die sich freilich materiell überlagerten, wobei UAbs. 1 nur ausnahmsweise, nämlich in Bezug auf die URK, über UAbs. 2 hinausgehe.33 Sie hält aber entstehungsgeschichtlich einen absichtlichen „plötzlichen“ vollständigen Wegfall der URK in UAbs. 2 für „schwer vorstellbar“34 und sieht im Ergebnis einen geringeren Verbindlichkeitsgrad der URK (gegenüber anderen Kostenarten), jedoch wohl grundsätzlich als Teil einer Kostendeckung in beiden, einander überlagernden UAbs. Insgesamt gelangt die wohl h. M. im Ergebnis zu der Auffassung, dass URK zugleich Bestandteil der Erfüllungspflicht aus UAbs. 2 Sp.str. 1 seien, wobei die der URK-Inkulsion zukommende Verbindlichkeit unterschiedlich eingeschätzt wird. 35 Dass URK zugleich Bestandteil von UAbs. 2 sind, lässt sich im Übrigen auch durch Auslegung des Begriffes der „effizienten“ Ressourcennutzung in UAbs. 2 gewinnen, was bisher unterblieben ist (dazu unten 4.). Der durchaus gelungene Versuch von Kolcu, dem Abs. 1 insgesamt kohärenten Sinn zu entnehmen durch eine systematische Auslegung, die zugleich mit dem Wortlaut vereinbar ist, überzeugt am ehesten. Dem Nachhall entstehungsgeschichtlicher Kontroversen in angeblich materiell unterschiedlichen „Unterabsätzen“ nachspüren zu wollen, verunklart hingegen die Sicht auf den Kostendeckungsgrundsatz, wie er sich insgesamt nunmehr als Synthese der streitigen Positionen darstellt und dem in einer systematischen Auslegungsperspektive auch durchaus Sinn zu entnehmen ist. Nachdem die zeitlichen Unterschiede zwischen den UAbs. 1 und 2 („sofort“ versus „bis 2010“)36 bereits Geschichte sind, bleibt die Inhaltsfrage: Ersicht-
Unnerstall (2006b). Unnerstall (2012), S. 95. 33 Desens (2008), S. 115 ff., hier: 117 u. 119. 34 Ebenda, S. 191. 35 Kolcu (2008), S. 112; ders. (2010); Unnerstall (2006b); Köck (2011), S. 65 ff.; Gawel et al. (2011), S. 46 ff.; wohl auch Desens (2008), S. 189 ff., wenngleich nur mit der schwächeren Verbindlichkeit aus UAbs. 1; wohl auch implizit Reese (2013), S. 373 f., der jedenfalls Wasserentnahmeentgelte und Abwasserabgabe als URK-Anlastungsinstrumente im Zusammenhang mit dem Vollzug von UAbs. 2 diskutiert. A. A. neuerdings Unnerstall (2012), S. 95. 36 Dazu etwa Desens (2008), S. 118, m. w. Nachw. 31 32
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lich beschreibt Abs. 1 insgesamt Facetten von Kostendeckungsfragen, die stimmig zusammen gedacht werden müssen. Ein Verständnis, das UAbs. 1 als vor die Klammer gezogene Ausführungen versteht, die in UAbs. 2 präzisiert und in UAbs. 3 relativiert werden, wird der Norm am ehesten gerecht.37 Demnach führt UAbs. 1 die Idee („Grundsatz“) kostendeckender Entgelte für Wasserdienstleistungen zunächst allgemein ein und stellt zugleich die Inklusion von URK („einschließlich“) in diese Kostendeckungsvorschrift grundsätzlich klar. Diese Idee kostendeckender Entgelte ist – mit ihrer Inklusion – zu „berücksichtigen“, was durch die nachfolgenden UAbs. 2 und 3 spezifiziert wird.
3. „Effiziente Ressourcennutzung“ als Schlüsselbegriff Nach wohl h. M. sind URK zugleich Bestandteil der Erfüllungspflicht aus UAbs. 2, Sp.str. 1 (dazu oben III. 2.). Dieses Ergebnis lässt sich insbesondere auch mit Hilfe einer ökonomisch fundierten Auslegung des Schlüsselbegriffs der „effizienten Ressourcennutzung“ in UAbs. 2 Sp.str. 1 gewinnen. Wann genau wird denn über eine Ressource nach ökonomischer Vorstellung effizient verfügt? Ausgangspunkt der Effizienzkonzepte in der Wirtschaftstheorie ist stets das Phänomen der ökonomischen Knappheit, d. h. der Begrenztheit der Ressourcen im Verhältnis zu den gesellschaftlichen Ressourcenansprüchen. Ökosystemleistungen von Gewässern sind ökonomisch knapp, weil nicht alle an sie gerichteten quantitativen oder qualitativen menschlichen Ansprüche – etwa als Lebensraum, als Badegewässer und als Schadstoffsenke für Abwassereinleitungen – gleichzeitig in unbegrenztem Umfange erfüllbar sind. Mit der Abwesenheit von hydrologischem Wassermangel in Deutschland, auf den an dieser Stelle unter Verweis auf ein unausgeschöpftes Wasserdargebot oft, aber unzutreffend hingewiesen wird,38 erledigt sich leider nicht zugleich die ökonomische Knappheit von Ökosystemleistungen der Gewässer. Diese werden im Übrigen auch nicht global für ein Kalenderjahr, sondern raumzeitlich spezifiziert abgerufen und können so auch zeitlich und örtlich zu Knappheiten führen. Auch an Brot oder Mobiltelefonen herrscht in Deutschland kein Mangel, wohl aber sind diese Güter im ökonomischen Sinne knapp und tragen daher zu Recht einen Preis, der ihre Knappheit zum Ausdruck bringt, nämlich den Wert der zu ihrer Herstellung benötigten Ressourcen, die auch anderweitig nutzbringend hätten eingesetzt werden können, aber eben nicht wurden. Den Verzicht auf diese nutzbringenden Alternativen „kostet“ uns der Einsatz der Ressourcen in der jeweils gewählten Form (Opportunitäts- oder Alternativkosten – 37 A. A. Desens (2008), S. 117, die den Unterschied in der Verbindlichkeit als Sperre auffasst, UAbs. 1 „als Grundregel“, UAbs. 2 hingegen „als Konkretisierung zu begreifen“. Dies überzeugt freilich nicht, da das offene „Berücksichtigen“ auch eine stärkere Verbindlichkeit im Rahmen einer Konkretisierung nicht ausschließt. 38 Zu dieser hartnäckigen Verwechslung von Wassermangel und (ökonomischer) Wasserknappheit Gawel / Fälsch (2011); Gawel (2013).
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dazu oben II.). Nichts anderes gilt für Ökosystemleistungen von Gewässern: Wer in einen Wasserkörper Abwasser einleitet, schließt damit typischerweise Badegelegenheiten aus und verschlechtert zugleich den aquatischen Lebensraum, d. h. er oder sie mutet anderen Verzichte zu, verursacht also „Kosten“. Im Angesicht dieser ökonomischen Knappheit stellt sich aber stets unvermeidlich ein Rationierungsproblem: Da die Ressourcen nicht für alle Verwendungszwecke ausreichen, muss eine Auswahl getroffen werden. Hält man das Faustrecht oder das Windhundprinzip („Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“) für wenig überzeugende Verfahren im Umgang mit Knappheitssituationen, so bietet sich das von der Wirtschaftswissenschaft entwickelte Effizienzprinzip als Lösungskonzept an: Danach soll eine knappe Ressource grundsätzlich so eingesetzt werden, dass die Nützlichkeit des in ihr verwahrten potenziellen Nutzungsvorrats durch tatsächliche Inanspruchnahmen insgesamt maximal wird. Über die „Nützlichkeit“ kann dabei dezentral-individuell entscheiden werden (Präferenzen) oder aber zentral durch politische und durch sie legitimierte administrative Entscheidungsträger. „Effizienz“ als Nutzungsregel sorgt damit für eine besondere Form einer unvermeidlichen Rationierung knapper Ressourcen – nämlich nach relativer Dringlichkeit des individuellen Bedarfs: Die knappe Ressource wird dort genutzt, wo sie den höchsten Netto-Nutzen erzeugt, also am sinnvollsten eingesetzt werden kann (ökonomischer Aspekt). Zugleich komprimiert diese Regel den Ressourcengebrauch, und zwar genau auf ökonomisch effiziente Nutzungen (ökologischer Aspekt). Ob, inwieweit und wo genau gesellschaftliche Nettonutzen anfallen, kann im Übrigen staatlich bestimmt oder überformt werden, ist also nicht zwingend an Marktakteure überantwortet. Daher ist das Effizienzprinzip nicht zwingend zugleich ein reines Markt-, Zahlungsbereitschafts- oder gar Zahlungsfähigkeitsprinzip.39 Effizienz ist auf diese Weise zugleich ein ökologischer Vorsorgehebel, der die Ressourcenbasis schont, und eine ökonomische Klugheitsregel, welche die Nützlichkeit aus der jeweils verbleibenden Ressourceninanspruchnahme so hoch wie möglich ansetzen möchte. Dem entspricht es spiegelbildlich, wenn die der Gesellschaft durch den knappheitsbedingt unvermeidlichen Ressourcenverzicht insgesamt auferlegten Kosten minimal bleiben. Ressourceneffizienz muss deshalb auch nicht kategorial mit Ressourcenschonung versöhnt,40 sondern allenfalls hinsichtlich des Umfangs der erstrebten Ressourcennutzung „kalibriert“ werden; das Effizienzprinzip kann die Ressourceninanspruchnahme bei geeigneter Ausgestaltung genau auf diesen Zielwert komprimieren und zugleich ökonomische Vernunft walten lassen.
Zu diesen Varianten des Effizienzprinzips Gawel (2001a), S. 9 ff. So aber wohl Reimer (2013), S. 448 f., wenn er einen effizienten Zustand „zielbezogen“ in einen Zustand umdeutet, wo im Wesentlichen die Ressourcenziele erreicht sind. Dabei ist ein effizienter Zustand doch gerade definiert als eine Situation, in dem das Ziel erreicht ist, dies aber zusätzlich mit minimalen Kosten. 39 40
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In diesem Sinne effizient wird über Wasserressourcen so zu verfügen sein, dass der zusätzliche Nutzen aus der letzten Einheit der Inanspruchnahme gerade noch die dabei auftretenden Zusatzkosten abdecken kann. Wäre dies nicht mehr der Fall (d. h. wären die Grenzkosten höher als die Grenznutzen), so würde die Wertschöpfung, die aus der Ressource insgesamt gespeist werden kann, bereits sinken. M. a. W.: Effizienz setzt stets eine gesamtwirtschaftliche (Netto-)Werterhöhung im Umgang mt der Ressource voraus und vermeidet Ressourcenzugriffe mit (Netto-) Wertvernichtung. Während die (Zusatz-)Kosten von Wasserdienstleistungen gerade mit Hilfe von Art. 9 staatlich überformt werden und insbesondere auf ein „kostenwahres“ Niveau anzuheben sind, bleiben dem Staat die privaten Nützlichkeiten von Wasserdiensten und die dabei entstehenden betriebswirtschaftlichen Kosten notwendig verborgen. 41 Diese dezentralen Informationen können nur durch ein Verfahren für die Steuerung der Ressourceninanspruchnahme gehoben und fruchtbar gemacht werden, bei dem die individuellen Ressourcennutzer jeweils für sich die Nützlichkeit des eigenen Ressourcenzugriffs mit den (staatlich korrigierten) gesellschaftlichen Kosten dieser Inanspruchnahme vergleichen und so effiziente (werterhöhende) Einzelentscheidungen fällen können. Preise, durch welche zutreffende Informationen über den gesamtwirtschaftlichen Ressourcenverzehr vermittelt werden, sind ein solches Verfahren. Jedes auf Gewässer direkt oder indirekt zugreifende Individuum gleicht so für sich ab, ob der durch eine weitere Nutzungseinheit vermittelte Zusatznutzen noch höher liegt als der im Preis (annahmegemäß zutreffend) abgebildete gesamtwirtschaftliche Verzicht, den das Individuum damit den übrigen Gesellschaftsmitgliedern zumutet. Es liegt auf der Hand, dass zur nötigen Kostenwahrheit auch Ressourcenverzehre gehören, die außerhalb der Sphäre des Dienstleistungsanbieters oder des Ressourcennutzers selbst, nämlich bei Dritten, der Allgemeinheit oder erst in der Zukunft anfallen (sog. externe Lasten – dazu oben II.). Zugleich sind alle Werteverzehre nach dem Opportunitätskostenprinzip zu bewerten. Andernfalls könnte einzelwirtschaftlich nicht effizient über Ressourcen entschieden werden, da der Abgleich von angeeigneten Werterhöhungen (Nutzen) und zugemuteten Wertminderungen (Kosten) fehlerhaft wäre. Ineffizienz wäre die Folge. Kostendeckung einschließlich von marktlich nicht berücksichtigten oder fehlbewerteten URK ist mithin zwingende Voraussetzung einer effizienten Ressourcenverfügung. Damit unvereinbar wäre eine Preisgestaltung, – die für das jeweilige Funktionskonzept (Verhaltenssteuerung, Kostenabgeltung / Finanzierung) wesentliche, durch die individuelle Ressourcenaneignung verursachte gesellschaftliche Werteverzehre unberücksichtigt ließe und insoweit zu falschen Nutzen-Kosten-Abwägungen der Entscheider führte (Notwendigkeit formeller Kostendeckung),
41 Zu dieser von Hayek (1945), stets betonten Informationsproblematik zentraler Steuerung für den Umweltbereich Streißler (1994), S. 245 ff.
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– insbesondere externe Werteverzehre, die nicht beim Wasserdienstleister, sondern bei Dritten, der Allgemeinheit oder in der Zukunft anfallen, aber durch die heutige individuelle Ressourcenverfügung ausgelöst werden, außer Acht ließe (Notwendigkeit des Einbezugs von URK), – eine Bewertung des insoweit relevanten Werteverzehrs, die an Refinanzierung oder Wiederbeschaffung von Finanzmitteln des Dienstleisters ausgerichtet ist anstelle der Signalfunktion der Preise, zu effizientem Ressourcengebrauch anzuhalten (Notwendigkeit der materiellen Kostendeckung unter Ressourcenlenkungsaspekten), – zwar im Preis volle Kosten (einschl. URK), ggf. auch materiell angemessen, verarbeitet, aber nicht die jeweiligen Ressourcenaneigner mit dieser Knappheitsinformation konfrontiert, sondern Dritte oder die Allgemeinheit (Notwendigkeit verursachergerechter Anlastung). So könnte zwar noch die Finanzierung von Maßnahmen, nicht aber mehr effizientes Ressourcennutzungsverhalten adressiert werden. Dann nämlich fallen Ressourcenentscheider, Dienstleistungs-Nutznießer und Kostenträger in eins; es werden volkswirtschaftlich „richtige“ (effiziente) Entscheidungen getroffen.
Daher wird „effiziente Nutzung von Wasserressourcen“ durch drei Aspekte gesichert: – Berücksichtigung aller funktional relevanten Kostenarten, auch von URK, in vollem Umfange (Kostendeckungsgrad 100 %), – Kostenbewertung nach dem Ressourcenlenkungsziel (materielle Kostendeckung), – und schließlich eine verursachergerechte Anlastung der so abgegrenzten und bewerteten Kosten.
Eine „Wasserpreisgestaltung“ platziert im Sinne von Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 Sp. str. 1 dann „angemessene Anreize für die Benutzer“, sofern sie die drei vorgenannten Effizienzvoraussetzungen erfüllt.42 Dabei sind die Abweichungsmöglichkeiten des Art. 9 Abs. 1 UAbs. 3 im Blick zu behalten, wonach im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung den „dabei“, d. h. bei der Erfüllung der Verpflichtungen aus UAbs. 1 und 2, auftretenden „sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Kostendeckung“ sowie den „geographischen und klimatischen Gege42 Konzeptionell verfehlt ist hingegen die Deutung von Kolcu (2008), S. 112, wonach ein Anreiz „unangemessen“ sei, „wenn die Inkaufnahme des Wasserpreises bei gleich bleibendem Ressourceneinsatz sich für den Wassernutzer wirtschaftlicher darstellt, als eine mögliche geringere Ressourceninanspruchnahme.“ Effizienz in der Ressourcennutzung ist als überindividuelles Konzept zu verstehen, das gerade ineffiziente von effizienten Zugriffen dezentral abzuschichten sucht und dabei selbstverständlich auch zulässt, dass bei hoher individueller Wertschätzung der Ressource keine Verhaltensänderung erfolgt: Das Verhalten nicht zu ändern wäre bei höheren Grenznutzen als Grenzkosten ja gerade effizient. „Angemessene“ Anreize zu effizientem Ressourcengebrauch müssen dies respektieren und beschränken sich darauf, ineffiziente Nutzungen zu verdrängen und nur dadurch die Ressource zu schonen.
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benheiten der betreffenden Region oder Regionen“ Rechnung getragen werden kann. Als „angemessen“ erweist sich damit zusammenfassend ein verhältnismäßigkeitsgewogener Verfolg formeller und verursachergerechter Kostendeckung auf der Basis des Ressourcenlenkungszwecks und nach Klärung der Deckungsfunktion. Aufgrund der vorgenannten Überlegungen gilt daher – in Übereinstimmung mit der wohl h. M. –, dass der Erfüllungspflicht aus Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 1 WRRL nur durch Preisforderungen an die Nutzer genügt werden kann, die auch URK im vorgenannten Sinne „einschließen“. Überlässt man die Abgeltung von URK speziellen pretialen Instrumenten (z. B. den Umweltabgaben) oder ordnungsrechtlichen Anforderungen, so beschränkt sich die durch Entgelte zu leistende Kostendeckung auf den betrieblichen Werteverzehr, der jedoch im Lichte des Erfordernisses zu „effizienten Nutzungsanreizen“ noch zweckbezogen zu bewerten (Ressourcenlenkungsziel) und verursachergerecht zu überbringen ist.43
4. Relevante und irrelevante URK Unabhängig davon, was ökonomisch als URK gelten mag, statuiert Art. 9 eine eigenständige Abgrenzung des grundsätzlich zur Deckung Anstehenden. Besonderes Augenmerk richtet die Literatur mithin auch darauf, was im Zusammenhang mit der URK-Berücksichtigung jedenfalls nicht mehr geboten sein soll. Hierzu zählen einerseits begriffliche Abschichtungen, die dem Wortlaut der WRRL entnommen werden. Da ist zunächst die Beschränkung auf Kosten der Wasserdienstleistungen zu nennen (Abs. 1 UAbs. 2), was bei entsprechend enger Auslegung44 die Reichweite der URK-Relevanz stark verkürzt. Ferner wird auf die Spezifikation in Erwägungsgrund 38 verweisen, worin die „in Zusammenhang mit Beeinträchtigung oder Schädigung der aquatischen Umwelt“ stehenden URK angeführt werden. Dem wird übereinstimmend entnommen, dass etwa Auswirkungen auf die Umweltmedien Luft und Boden nicht ohne weiteres Gegenstand von Art. 9 seien;45 allerdings weist Unnerstall zu Recht darauf hin, dass der Begriff der „aquatischen Umwelt“ deutlich weiter gefasst sei als nur wasserbezogene Aspekte i. e. S.46 Jedenfalls zielt Art. 9
43 Der Abstand zum gegenwärtigen Kommunalabgabenrecht ist offensichtlich: Weder ist dort flächendeckend eine Kostendeckung zu 100 % verbindlich, noch bezieht sich das Kostenbewertungskonzept für ansatzfähige Kosten auf Anreize zur Ressourceneffizienz durch die Nutzer, noch gelten durchgängig verursachergerechte Bemessungsregeln – siehe nur Gawel (2012a); Desens (2008), S. 267 ff.; Schmutzer (2006), S. 228. Grundlegend zu den gesamtwirtschaftlichen Defiziten der Gebührenkalkulation Gawel (1995a); Färber (2001), S. 57 ff. 44 Zu dieser Kontroverse jüngst im Überblick Reese (2013), S. 361 ff., sowie die Kommentierungen der EuGH-Entscheidung zur Reichweite des Wasserdienstleistungsbegriffs (Rs. C-525 / 12 – Kommission / Deutschland) in Fn. 4. 45 Statt vieler Kolcu (2008), S. 60; Palm et al., (2011), S. 364; a. A. jedoch Ewringmann et al. (2004), S. 6. 46 Unnerstall (2007), S. 133; ders. (2006c), S. 530.
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wohl nicht auf schlechthin sämtliche Externalitäten im Umgang mit Wasserressourcen, was aber die ökonomische Allokationstheorie nahelegen würde. Die WRRL deckt allerdings selbst für aquatische Ökosysteme nicht alle bekannten Belastungsfaktoren ab. Neue Stoffe, wie Mikrokontaminanten oder Arzneimittelrückstände und -abbauprodukte haben negativen Einfluss auf die chemische Qualität von Gewässern und der Nutzbarkeit als Rohwasser für die Trinkwasserversorgung und werden, soweit sie nicht die ökologische Qualität von Oberflächengewässern mittelbar beeinträchtigen, nicht durch das regulatorische Instrumentarium aus ordnungs- und planungsrechtliche Vorgaben erfasst. Ebenso ist die mikrobiologische / ökologische Situation des Grundwassers kein Aspekt der Qualitätskriterien der WRRL. Auswirkungen von Wasserdienstleistungen, etwa die Versalzung von Böden durch Bewässerungsmaßnahmen, die Inanspruchnahme von Flächen oder die Folgen des Energieverbrauchs bei der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung für das Klima stehen ebenso nicht im Fokus der WRRL. Und schließlich beschränkt die Erlaubnis z. B. einer Wasserentnahme die Möglichkeit, eine andere Wasserentnahme zu genehmigen, wenn die Genehmigungen kumulativ negativen Einfluss auf die Gewässerqualität hätten. Fraglich ist, ob diese Aspekte und Wirkungsstrukturen über URK erfasst werden können oder sollen. Hinsichtlich chemischer Stoffe, die noch nicht in zu den prioritären Stoffen zählen und für die auch kein Stand der Technik definiert ist, wäre zumindest eine Berücksichtigung bei den URK möglich und sinnvoll. Hinsichtlich der negativen Wirkungen einer Wasserdienstleistung auf terrestrische Ökosysteme oder das Klima ist eine Berücksichtigung eher problematisch, weil damit quasi in andere Politikbereiche wie Bodenschutzpolitik und Klimaschutz- bzw. Energiepolitik übergegriffen wird, die ggf. anderen kompetenzrechtlichen Anforderungen unterliegen. Zwar wären von einem ökonomischen Standpunkt aus alle Umweltwirkungen für eine effiziente Allokation der knappen Ressourcen einzubeziehen, aber dieses „Übergreifen“ wäre nicht zuletzt kompetenzrechtlich zu prüfen. Schließlich bleibt die Frage, ob auch die Verdrängung bestimmter Wasserdienstleistungen durch gleichartige Inanspruchnahmen wegen Ausschöpfens des Zielwertes Berücksichtigung bei den URK finden kann. Damit ist die Frage der Einbeziehung der Opportunitätskosten angesprochen. Aus der Perspektive des Ziels der WRRL, auch einen Rahmen für eine nachhaltige und effiziente Nutzung von Wasserressourcen zu setzen (Art. 1), erscheint die grundsätzliche Berücksichtigung von Opportunitätskosten wohl unerlässlich. Mit Blick auf die Grenzen der URK-Berücksichtigung werden ferner konzeptionelle Abschneidekriterien angeführt. Neben der angeblich entbehrlichen Abgeltung einer Restnutzung („URK nicht zwingend jenseits ordnungsrechtlicher Gebote“ – Abschnitt V. 6.) wird vielfach auch eine damit verwandte Abschneidegrenze im „Erreichen von Zielzuständen“ gesehen (dazu unten IV. 4.). Wegen der besonderen Prominenz und konzeptionellen Reichweite werden diese Punkte später ausführlicher aufgegriffen.
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5. Zwischenergebnis Insbesondere unter Beachtung des Effizienzgebotes sind URK „ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal“47 von Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 1, mithin auch Teil der (strikteren) Erfüllungspflicht. Der europäische Gesetzgeber hat insoweit ein bestimmtes materielles Kostendeckungskonzept verbindlich gemacht, das die Funktion von Preisen in ihrer Signal- und Lenkungsfunktion gegenüber den Ressourcennutzern in den Mittelpunkt rückt. URK sind zwingender Bestandteil dieser Konzeption. Dies ergibt sich sowohl aus der allgemeinen, vor die Klammer gezogenen Inklusionsvorschrift des UAbs. 1 („einschließlich“) als auch aus dem Effizienzbegriff und dem Ziel des UAbs. 2 zu nutzerbezogener Anreizsetzung. Für Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 2 gilt nichts anderes: Denn soweit verschiedene Wassernutzungssektoren „einen angemessenen Beitrag“ „zur Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen“ zu leisten haben und zu diesen Kosten auch URK zählen, müssen die Wassernutzungssektoren auch dafür „angemessen“ aufkommen“. Über das konkrete „Wie“ einer entsprechenden Einbeziehung in den Kostendeckungsauftrag ist damit aber konkret ebenso wenig etwas ausgesagt wie darüber, „was“ genau abzudecken sein soll. Schließlich werden in den UAbs. 1 bis 3 nur abwägungsoffene Grundsätze formuliert (Kostendeckung, Inklusion von URK, Verursacherprinzip, Ressourceneffizienz, Verhältnismäßigkeit), die weder eine bestimmte Methodik noch ein bestimmtes Ergebnis vorgeben, aber andererseits auch nicht frei von normativem Gehalt und daher nicht ohne weiteres dispensabel sind.
IV. URK als Teil der Deckung von Kosten: Was ist abzudecken? Umwelt- und Ressourcenkosten sind nach UAbs. 1 Bestandteil der Kostenmasse, zu deren Deckung die Wasserpreispolitik der Mitgliedstaaten grundsätzlich aufgefordert ist („einschließlich“). Will man URK bei der „Berücksichtigung des Grundsatzes der Kostendeckung“ einschließen, ist zunächst ein gesichertes Verständnis dieser „Deckung der Kosten“ durch Preise erforderlich. Im Schrifttum wurde aber bisher dem Problem der „Deckung“ von Kosten zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Die Vorstellung, es gebe hier in Bezug auf URK einen eindeutigen, nur leider (noch) unbekannten Eurobetrag, der mit Hilfe elaborierter Methoden aufzuklären und sodann zu 100 % den Verursachern zuzurechnen sei, geht gleich aus verschiedenen Gründen methodisch fehl.
47
Kolcu (2010), S. 74, 76; ders. (2008), S. 112.
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1. Grundsatz der Zweckbezogenheit der Kosten Der Auftrag, „die Kosten“ einer Dienstleistung zu decken, ist aus ökonomischer Sicht nämlich weit weniger eindeutig, als es zunächst den Anschein haben mag: „Kosten“ sind bewerteter Werteverzehr, der bei der Erstellung einer Leistung anfällt.48 Es ist mithin ein Bewertungsvorgang erforderlich (dazu bereits oben II.); dies gilt nicht nur für URK, sondern schlechthin für sämtliche Kosten. Kosten sind folglich keine im naturwissenschaftlichen Sinne exakt messbare Erscheinung, sondern das Ergebnis eines stets zielbezogenen Bewertungsaktes: Die Kostenhöhe soll im Hinblick auf eine bestimmte Zwecksetzung Informationen über den Verzehr an Ressourcen liefern; je nach Informationsbedürfnis fällt dann aber auch die Bewertung desselben physischen Werteverzehrs unterschiedlich aus. In der Betriebswirtschaftslehre gilt deshalb der Satz „different costs for different purposes“.49 Dies ist der Kern des sog. „wertmäßigen Kostenbegriffs“50 im Rahmen der Opportunitätskostenlehre, der die Kostenhöhe mit Blick auf einen bestimmten Kostenrechnungszweck ermittelt: Soll etwa die Kostenhöhe über einen bestimmten Refinanzierungsbedarf informieren oder über die Wirtschaftlichkeit der Produktion? Entsprechend wären etwa Abschreibungen von Wirtschaftsgütern, die bereits voll abgeschrieben wurden, aber noch Leistung abgeben, entweder zu vernachlässigen (weil die Refinanzierung bereits gesichert wurde) oder aber zwingend einzubeziehen (weil ansonsten eine Verzerrung der periodenbezogenen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung einträte).51 Wer wissen will, ob „die Kosten“ gedeckt werden, muss also zunächst einmal explizieren, worauf die Kostenrechnung zwecklich ausgerichtet ist und wie sich vor diesem Hintergrund die anzusetzenden Kosten jeweils darstellen – m. a. W: um welchen Werteverzehr es sich bei „den“ zu deckenden Kosten genau handelt. Die anschließende Abdeckung dieser Kostengröße zu 100 % ist nur noch ein formaler Vorgang (formelle Kostendeckung). Entscheidend ist vielmehr die Vorfrage, welche Kosten eigentlich zu decken sind (materielle Kostendeckung). Das OVG Münster hat dieses Problem mit Blick auf die Kalkulation kommunaler Benutzungsentgelte klar erkannt und gesteht etwa dem gebührenrechtlichen Kostendeckungsprinzip daher zu Recht lediglich den Stellenwert einer formalen Hülle zu: „Wenn auch aus dem Kostenüberschreitungsverbot abzuleiten ist, dass die Gemeinde mit den Gebühren keine die ansatzfähigen Kosten übersteigenden Gewinne erwirtschaften darf, lässt sich dem Kostenüberschreitungsverbot jedoch nicht entnehmen, wann denn solche unzulässigen Gewinne vorliegen. Das Kostenüberschreitungsverbot ist insoweit inhaltsleer und erlangt erst durch die Bestimmung der ansatzfähigen Kosten […] seine BeschränkungsSiehe Wöhe / Döring (2008), S. 305. Siehe Schneider (1997), S. 44: „Der Rechnungszweck bestimmt über das Rechnungsziel den Rechnungsinhalt“; für den Gebührenbereich u. a. Gawel (1999a), S. 49. 50 Dazu Wöhe / Döring (2008), S. 922 f.; für den Gebührenbereich Gawel (1995a), S. 240 ff. 51 Dazu Gawel (1994a). 48 49
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funktion; mithin knüpft das Kostenüberschreitungsverbot lediglich an den Kostenbegriff […] an, bestimmt aber nicht dessen Inhalt.“52
Mit anderen Worten: Zunächst ist zweckbezogen zu klären, welches die jeweils ansatzfähigen Kosten sind, bevor eine materielle Konkretion des Kostendeckungsgebotes (oder Überschreitungsverbotes) erfolgen kann.53 Art. 9 WRRL greift ersichtlich in diese Debatte ein. Vor diesem Hintergrund ist es daher unerlässlich, sich über den durch Art. 9 WRRL konturierten Kalkulationszweck und die daraus abzuleitenden „ansatzfähigen Kosten“ Klarheit zu verschaffen, bevor die Erfüllung von Kostendeckungspflichten konkret überprüfbar wird.54
2. Der Kostenzweck des Art. 9 WRRL Nach der WRRL soll der anthropogene Nutzungsdruck auf die Gewässer so weit reduziert werden, dass die Ziele der Richtlinie, insbesondere die Umweltziele aus Art. 4, erreicht werden können. Art. 9 stellt klar, dass hierzu auch über Preise vermittelte Kosteninformationen an die Nutzer einzusetzen sind. Der Zielerreichung nicht dienlich wären jedenfalls Preissignale, die nicht den vollen Werteverzehr bei der Inanspruchnahme von Wasserdienstleistungen widerspiegeln und damit zu „ineffizienter“ Übernutzung Veranlassung geben (dazu unten 4.). Unvollständige Preissignale (fehlende Vollkostendeckung) verzerren dieses Kalkül und begünstigen eine gesamtwirtschaftlich suboptimale Übernutzung, die sich als Zustandsverschlechterung der Gewässer ausdrückt. Die Deckung der Kosten (einschließlich URK) verfolgt damit ein Ressourcenlenkungsziel. Art. 9 ist ersichtlich weder an der Refinanzierung historisch eingesetzten Kapitals von Einrichtungen des Wasserdienstleistungssektors noch an der Substanzerhaltung der dort zum Einsatz kommenden Infrastruktur interessiert.55 Art. 9 verpflichtet vielmehr auf eine Preisgestaltung, die eine effiziente Nutzung der (ökonomisch) knappen Ressource Wasser ermöglicht.
OVG Münster, U. v. 1. 7. 1997 – 9 A 6103 / 95, S. 14. Folgerichtig konzentriert sich die kommunalabgabenrechtliche Debatte über die „richtige“ Gebührenhöhe seit langem auf die Frage, welches denn im Rahmen der Daseinsvorsorge angemessene Kalkulationsziele seien und wie diese kalkulatorisch zielkonform in Entgelte umzusetzen sind: Es ist der Streit um die zielbezogen „ansatzfähige Kosten“. Dazu im Überblick Gawel (1995a); ders. (1999a); Schulte / Wiesemann (2015), § 6 Rn. 22 ff. 54 Daher genügt mit Blick auf die Gebühren und Entgelte der Wasserwirtschaft der bloße Verweis auf das „inhaltsleere“ Kostendeckungsprinzip des Kommunalabgabenrechts nicht ansatzweise den Anforderungen einer sachgerechten Auslegung. Zu dieser Diskussion um den aus Art. 9 WRRL abzuleitenden Entgelt-Kalkulationszweck und seine Ausstrahlung auf das nationale Kommunalabgabenrecht Gawel (2011a), S. 299 ff.; ders. (2012a); ders. (2012b). 55 Dies sind aber die in der Gebührendogmatik herrschenden Kostendeckungsziele für kommunale Entgelte der Ver- und Entsorgung – vgl. Schulte / Wiesemann (2015) § 6 Rn. 45 ff., 78 ff.; Gawel (1999a), S. 64 ff. 52 53
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Zu diesem Zweck sind den Nutzern von Wasserdienstleistungen über den Preis zutreffende Informationen über den beim Genuss von Wasserdienstleistungen eintretenden volkswirtschaftlichen Werteverzehr zu vermitteln, der insbesondere die Auswirkungen auf den Gewässerzustand umgreift. Art. 9 verfolgt damit ganz offensichtlich eine Ressourcenlenkungsperspektive.56 Das gemeinschaftsrechtliche Kostendeckungsgebot zerfällt damit in eine formale Deckungskomponente, wonach die identifizierten Kosten – vorbehaltlich des Ausnahmeregimes nach Art. 9 Abs. 1 UAbs. 3 – jeweils vollumfänglich durch Entgelte zu decken sind (100 %-Regel), und eine materielle Komponente, der zu entnehmen ist, was jeweils als relevanter, zu deckender Werteverzehr anzusehen ist – nämlich eine Bewertung, die gerade effiziente Nutzungsanreize beim Leistungsempfänger setzt. Diese materielle Komponente, also die Feststellung, was nach Art. 9 Abs. 1 WRRL als ansatzfähige Kosten anzusehen ist, wurde bislang überhaupt noch nicht angemessen ausgeleuchtet. Erst recht wurde bisher keine überzeugende Verbindung zur gebührendogmatischen Diskussion um ansatzfähige Kosten im Rahmen des wertmäßigen Kostenbegriffs57 des nationalen Rechts hergestellt, um Diskrepanzen zum geltenden Kommunalabgabenrecht aufzudecken. Lediglich mit Blick auf einzelne Ansatzfähigkeitsprobleme, etwa der Zinsfreiheit des sog. Abzugskapitals, zeigen sich im Schrifttum Bemühungen.58 Mit Blick auf die kommunalen Entgelte im Bereich der wasserbezogenen Verund Entsorgungsdienstleistungen hat Art. 9 Abs. 1 schlicht einen neuartigen Kalkulationszweck verbindlich gemacht: Nicht länger eine jeweils auf die leistende Einrichtung bezogene finanzwirtschaftliche Refinanzierungsperspektive oder eine betriebswirtschaftliche Substanzerhaltungsperspektive sollen die Kalkulation anleiten, sondern vielmehr eine gesamtwirtschaftlich ausgerichtete Ressourcenlenkungsperspektive:59 Danach informieren die Entgelte (einschließlich evtl. Ergänzungsinstrumente wie Abgaben) über die volkswirtschaftliche Knappheit der in Anspruch genommenen Wasserressourcen und halten die Nutzer zu effizienten Entscheidungen an. Dies ist bei europarechtskonformer Auslegung des Kommunalabgabenrechts zwar ohne weiteres mit der Ansatzfähigkeit von Kosten „nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen“ (z. B. § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG NW) vereinbar, denn die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung kann auch diesen Kalkulationszweck abbilden, sieht man einmal von (externen) Umwelt- und Ressourcenkosten ab, die zweckmäßigerweise durch ergänzende Preisinstrumente jenseits der Kommunalentgelte abzudecken sind.60 Eine solche Auslegung muss aber zunächst 56 Zu den verschiedenen Zielsetzungen, die eine Gebühren-Kostenrechnung anleiten können Gawel (1995a), S. 197 ff. 57 Dazu u. a. Franz (2003), S. 520 ff.; Gawel (1995a), S. 240 ff.; Schulte / Wiesemann (2015), § 6 Rn. 45 ff. 58 Siehe Schmutzer (2006), sowie die Analysen von Kolcu (2008), und Desens (2008). 59 Dazu Gawel (1995a), S. 197 ff. 60 Ebenda, S. 221 ff.
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einmal vorgenommen und die Konsequenzen für die Wassergebührenkalkulation gezogen werden. Hiervon zeigen sich bisher jedoch Kommentarliteratur und Rechtsprechung unbeeindruckt. Jedenfalls werden lenkende Absichten bei der Kalkulation von (Ab-)Wassergebühren nach wie vor in die „zweite Reihe“ der bloßen Bemessung platziert, wo sie sich zunächst einmal vor den grundlegenden Anforderungen des Äquivalenzprinzips rechtfertigen müssen.61 Art. 9 WRRL spielt in der kommunalabgabenrechtlichen Kommentarliteratur erstaunlicherweise bislang praktisch keine Rolle.62
3. Zustands- und funktionsabhängiges Ausmaß von URK Schließlich darf nicht übersehen werden, dass es auch nicht „das“ festzustellende Ausmaß von URK gibt (Bewertungsfragen einmal beiseite gelassen), sondern ihre Höhe zudem noch von Art und Umfang der Wasserinanspruchnahmen, d. h. vom Zustand der Gewässer abhängt. Ressourcennutzer wären idealiter mit ihren jeweiligen URK zu konfrontieren: Diese fallen insgesamt aber höher aus bei schlechten Zuständen und niedriger bei guten Zuständen. Doch welche sollen nun im Umsetzungsprozess die Referenz abgeben? Erneut stellt sich also die Frage: 100 % wovon? In der ökonomischen Internalisierungstheorie wird ein Umweltnutzer „nur“ mit dem speziellen Grenzschaden seiner Aktivität in einer besonderen Situation, nämlich dem Kosten-Nutzen-Optimum zu konfrontieren sein, etwa durch eine PigouSteuer.63 Dies ist eine abstrakte, aber zugleich hochspezifische Anlastungsvorschrift. Der Umweltnutzer erhält dadurch nämlich präzise den Verhaltensanreiz, seine Ressourceninanspruchnahme genau auf das „optimale“ Maß zu reduzieren; mit seiner Zahllast (d. h. dem Abgabesatz in Höhe des Marginalschadens im Optimum, multipliziert mit der Restnutzungsmenge) gilt er aber typischerweise nicht den Restschaden ab, sondern eine für die Allokationssteuerung irrelevante Fiktivgröße.64 Bereits die Konzeption einer Pigou-Steuer ist mithin eine Abstraktion auf das Wesentliche, hier: das ökonomisch „optimale“ Umweltverhalten. Auf die Abgeltung oder Schadenskompensation kommt es hier für den allein erwünschten sog. Substitutionseffekt der Verhaltensänderung gar nicht an.65 So etwa Driehaus (2015), § 1, Rn. 6. Soweit eine Auseinandersetzung nicht völlig fehlt, ist nur eine kursorische Erwähnung festzustellen, siehe Schulte / Wiesemann (2015), § 6, Rn. 345 und 490. 63 Siehe etwa Endres (2013), S. 42 ff. 64 Dazu bereits Gawel / Unnerstall (2014b). 65 Insbesondere eine „Opferkompensation“ erscheint so entbehrlich, ja u. U. sogar kontraproduktiv, wenn dadurch sinnvolle eigene Schadensminimierungsaktivitäten der Betroffenen ausgehebelt werden – dazu eingehend Endres (1976). Allerdings hat langfristig das Ärmeroder Reicherwerden (Einkommenseffekt) durchaus Einfluss auf das Allokationsergebnis (ebenda). 61 62
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Die ökonomische Theorie kann daher für allgemeine Aussagen über Kostendeckungsgrade (von Umweltschäden) zu 100 % ohne weiteres gar nicht in Anspruch genommen werden. Schon gar nicht geht es in der Theorie um die (besonders hohen) URK im Ausgangszustand ohne staatliche Umweltpolitik. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass es zur Implementation des Kostendeckungsgrundsatzes auch einer Deckungskonzeption bedarf, d. h. einer Aussage darüber, was mit welcher Deckung eigentlich genau bezweckt werden soll. Die Internalisierung über eine PigouSteuer verfolgt eine ganz spezielle Deckungskonzeption: Diese ist in erster Linie an kurzfristigen Marginaleffekten der Verhaltenssteuerung interessiert und nicht an Vollkostendeckung im Sinne einer Abgeltungs- oder Ausgleichsfunktion für Umweltschäden einer bestimmten Höhe. Die Zahllast für die Restinanspruchnahme entspricht – trotz des Ansatzes der „Internalisierung“ – nicht etwa den URK im Optimum, sondern repräsentiert diese allenfalls. Dem Grundsatz der Kostendeckung in Art. 9 Abs. 1 lässt sich gewiss über bloße kurzfristige Substitutionseffekte beim Dienstleistungsempfänger hinaus eine umfassende Verhaltenssteuerung durch „angemessene Anreize“ zu „effizienter“ Ressourcennutzung entnehmen, die nicht nur langfristige und Einkommenseffekte der URK-Anlastung, sondern wohl auch das Moment der Kostenabgeltung und der Finanzierung umgreift. Dafür sprechen die Einbettung der Kostendeckung nach Abs. 1 UAbs. 1 in die wirtschaftliche Analyse, die besondere Maßgabe des Verursacherprinzips sowie die Kostenkorrektur zwischen den wassernutzenden Sektoren in Abs. UAbs. 2 Sp.str. 2. Umso weniger eindeutig ist dann aber mit Hilfe der ökonomischen Theorie die Frage zu beantworten, wo die gedankliche Referenz einer „Vollkostendeckung zu 100 %“ liegen mag. Dies hängt nämlich entscheidend von der einer Kostendeckung zugedachten Funktion ab (Verhaltenssteuerung, Wettbewerbsneutralität, Schadensabgeltung, Finanzierung66). Daher muss stets ein eigenständiges Konzept formuliert werden, das über die angestrebte Funktion der Kostendeckung und die dadurch begründete Bemessung der als funktional relevant erachteten Kosten Auskunft geben kann.67 Auch dies fordert methodisch Versuche, im Vollzug Kostendeckungsgrade schlicht „berechnen“ zu wollen (dazu unten V.2.). Im Schrifttum findet sich nun verschiedentlich die Wendung von der „Zielbezogenheit“ des durch Art. 9 Angesonnenen.68 Dies könnte als ein solches materielles 66 So wird in der Formenlehre lenkender Abgaben auch von der Anreizfunktion und der Ausgleichsfunktion gesprochen – siehe OVG Münster, Urt. v. 20. 9. 1983, DVBl. 1984, 348, 350; VGH Mannheim, Beschl. v. 27. 1. 1984, DVBl. 1984, 345 f.; BayVGH, Beschl. v. 18. 1. 1984, BayVBl. 1984, 279, 280. Dies dürfte im Wesentlichen den ökonomischen Konzepten von Substitutions- und Einkommenseffekten entsprechen (Verhaltensanreiz und Kaufkraftabschöpfung). 67 Palm et al. (2011), S. 364, sprechen etwa von einer „Informations- und Anreizfunktion (die im Wortlaut des Art. 9 explizit genannt wird) sowie eine[r] Finanzierungsfunktion“; Ammermüller (2011), S. 51 ff., sieht zudem auch ein übergreifendes Transparenzziel über wahrgenommene Kostenverantwortung.
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Deckungskonzept aufzufassen sein. Mit Blick auf die Umweltziele der WRRL seien danach im Wesentlichen die URK zwischen dem Ausgangs- und dem Zielzustand für eine Kostendeckung nach Art. 9 relevant.69 Die URK-Anlastung hätte danach die Aufgabe, zur Erreichung der Umweltzielzustände nach Art. 4 beizutragen. Weitergehende Ansprüche an die URK-Anlastung bestünden dann nicht mehr. In einem solchen Konzept stellt sich mithin die Frage, ob die URK-Anlastung (analog zur Zustandsverbesserung) laufend bis auf null abschmelzen kann oder ob es auch im Zielzustand noch URK aus verbleibenden Opportunitätskosten geben soll – für die Implementation, insbesondere für die Berechnung von Kostendeckungsgraden, wohl keine unerhebliche Frage. Zudem fragt sich, ob Art. 9 oder der WRRL insgesamt ein solches Deckungskonzept überhaupt entnommen werden kann (dazu nachfolgend 4.).
4. Zustandsbezug als Deckungskonzept: Erreichung von Umweltzielen nach Art. 4 WRRL als Abschneidegrenze? Nach einer im Schrifttum durchaus verbreiteten Auffassung soll die Berücksichtigung von URK entfallen können, soweit nur die jeweiligen Umweltziele aus Art. 4 WRRL erreicht seien. Die „Zielbezogenheit“70 des Kostendeckungsgrundsatzes aus Art. 9 mache weitere Berücksichtigungsbemühungen entbehrlich, wenn der Zielzustand bereits erreicht sei. Exemplarisch formuliert die DWA-Arbeitsgruppe „Ökonomische Aspekte der WRRL“ diese Position: „Das Erfordernis, die URK in die Deckung der Kosten nach Artikel 9 einzubeziehen, ist nur solange von Bedeutung, als die ökologischen Ziele noch nicht erreicht sind. Für Wasserkörper, deren guter ökologischer Zustand erreicht ist, ist davon auszugehen, dass die zu deckenden URKs im Wasserpreis ausreichend berücksichtigt sind. Die URK beziehen sich nur auf durch Wasserdienstleistungen bedingte Gewässerbelastungen, die zu Defiziten bezüglich der Erreichung der Bewirtschaftungsziele führen.“71
Diese Position vertritt auch die LAWA, die die Obsoleszenz von URK sogar für jedwede, also selbst für (temporär) reduzierte Zielzustände annehmen will: „Kostenbetrachtungen sind auf Basis des „guten Zustandes“ anzustellen, d. h. diese Zielerreichung kann als Abschneidekriterium bei der Kostenidentifikation herangezogen werden. […] 68 Statt vieler siehe Reimer (2013), S. 448 f.; Palm et al. (2011), S. 364: „Kostenbetrachtungen sind mit unmittelbarem Bezug zum Bewirtschaftungsziel anzustellen“. 69 So etwa Palm et al. (2011), S. 364; Fries / Nafo (2006), S. 156 f.; LAWA (2013). 70 Dabei wird bisweilen höchst unscharf wahlweise auf die Umweltziele nach Art. 4 WRRL einerseits oder aber auf die allgemeinen „Ziele der WRRL“ andererseits referiert. Während sich Art. 9 kaum den Zielstellungen der WRRL insgesamt entziehen kann, lässt sich mit dieser Feststellung doch noch keine Zielbezogenheit speziell für Umweltziele nach Art. 4 begründen. 71 Palm et al. (2011), S. 364. Ähnlich bereits Fries / Nafo (2006), S. 156 f.
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Nach dem Verständnis der EG-WRRL sind URK daher nur soweit und solange zu betrachten, wie die jeweils maßgeblichen Umweltziele (beispielsweise guter ökologischer Zustand, gutes ökologisches Potenzial oder weniger strenge Ziele) noch nicht erreicht sind bzw. das erreichte Ziel auf Dauer erhalten werden muss (Verschlechterungsverbot).“ 72
Dreh- und Angelpunkt dieser Argumentation ist die Annahme eines strikten Zielbezugs von Art. 9 hinsichtlich der Umweltziele aus Art. 4:73 „Die ökonomischen Anforderungen des Art. 9 sind kein eigenständiges Element der Richtlinie, sondern stehen im Kontext der EG-WRRL als flankierende Instrumente zur Erreichung der Umweltziele im Sinne des Art. 4 WRRL (ibs. Verschlechterungsverbot und „guter Zustand“). Das Erfordernis, die Umwelt- und Ressourcenkosten in die Deckung der Kosten nach Art. 9 einzubeziehen, ist – nach Maßgabe der EG-WRRL – nur solange von Bedeutung, als diese Ziele noch nicht erreicht sind.“74
Dieser Auffassung ist bereits überzeugend entgegen getreten worden. 75 Weder sind URK im jeweiligen Zielzustand ökonomisch funktionslos (a) noch lässt sich Art. 9 in ein ausschließliches instrumentelles Unterordnungsverhältnis zu Art. 4 rücken (b).
a) Funktionalität der URK-Anlastung im Zielzustand Ob die URK-Anlastung bei „Erreichung der (Umwelt-)Ziele“ entfallen kann, ist einerseits ökonomisch zu prüfen, da das Konzept erkennbar der Wirtschaftstheorie entnommen ist und da die Frage zu klären ist, ob URK-Anlastung in diesem Fall funktionslos wird. Das Ergebnis der ökonomischen Analyse zur Funktionalität von URK dürfte auch rechtlich von Bedeutung sein, denn soweit der Text der WRRL einen Interpretationsspielraum lässt, kann unterstellt werden, dass die am Gesetzgebungsprozess Beteiligten nicht willentlich hinter den Stand der ökonomischen Erkenntnis zurückfallen, sondern eher daran anknüpfen wollten. Nicht ganz klar wird bei dem vorgeschlagenen „Abschneidekriterium“, ob die URK-Anlastung jenseits der Zielmarken dem Umfang nach (aber jederzeit) entfallen können soll (Modell des Freibetrages: mengenmäßiges Abschneiden) oder aber lediglich dem Zeitpunkt nach (also ab Zeitpunkt der Erreichung der jeweiligen Ziele: zeitliches Abschneiden). Denkbar wäre auch ein Entfallen nach Maßgabe der jeweils örtlich vorgefundenen Knappheit bzw. regionalen Zielerreichung (örtliches Abschneiden). Unabhängig von diesen Unschärfen ist die Anlastung von URK bei den Verursachern sowohl in dem über das Punktziel hinausgehenden Umfange nach als auch
LAWA (2013), S. 2. Reimer (2013), S. 448, spricht von einem „zielbezogenen Verständnis der Norm“ und meint damit ebenfalls die Umweltziele aus Art. 4. 74 LAWA (2013), S. 1. 75 Gawel / Unnerstall (2014a). 72 73
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dauerhaft über den Zeitpunkt erstmaliger Zielerreichung hinaus ökonomisch keineswegs funktionslos – und zwar aus fünf Gründen:76 1. Effiziente Strukturierung unmittelbarer Anstrengungen zur Minderinanspruchnahme: Die URK-Anlastung bezweckt nicht nur eine beliebige, globale Mindernutzung von Wasserressourcen bis zum Zielwert, sondern gerade eine effiziente Zusammensetzung der Einzel-Anstrengungen zur Zielerreichung. Das bedeutet, dass z. B. Emissionen gerade dort vermieden werden, wo dies am billigsten möglich ist. URK-Anlastung trägt systematisch dazu bei, einen Zielzustand zu minimalen volkswirtschaftlichen Kosten (z. B. bei der Abwassereinleitung) zu erreichen. Bei Wegfall der URK-Anlastung veränderten sich erneut die Preisrelationen, die Zusammensetzung der Verzichtsbeiträge erfolgte nicht mehr kostenorientiert, und der diesbezügliche Effizienzauftrag könnte hinfort nicht mehr erfüllt werden. 2. Effizienter Strukturwandel der Volkswirtschaft über Markt- und Preiseffekte: Die URK-Anlastung bezweckt nicht nur unmittelbar (technische) gewässerbezogene Maßnahmen bei den direkt Belasteten, sondern auch eine Weiterwälzung der Preiskorrektur in der Wertschöpfungskette: Spürbare URK bewirken eine Rentabilitätsbelastung des in einer wasserintensiven Produktion eingesetzten Kapitals, möglicherweise auch – je nach Überwälzungsgrad – erhöhte Produktpreise. Ob dies auf der Konsumentenseite zu Mindernachfragen oder auf der Angebotsseite zu Produktionseinschränkungen, Produktionsumstellungen, Produkt- oder Verfahrensinnovationen oder zum Abzug des Kapitals in volkswirtschaftlich ergiebigere Verwendungen mit höherer Renditechance führt, bleibt den marktlichen und betrieblichen Entscheidern überlassen. Diese Markt- und Preiseffekte auf vorgelagerten Faktormärkten (z. B. Kapitalmarkt) und nachgelagerten Absatzmärkten tragen langfristig tendenziell zu einem ökologischen Strukturwandel bei, der ebenfalls von Mindernutzungen des Wasserhaushaltes begleitet ist. Diese Markt- und Preiseffekte sind erwünschter Bestandteil der ökonomischen Funktionalität von URK und dürfen nicht einfach abgeschaltet werden, weil ein Ziel erreicht sei: Ihre Anlastung sichert eine effiziente Restrukturierung aller wasserbezogenen Produktions- und Konsumprozesse unter Beachtung der wahren Faktorkosten der Wasserinanspruchnahme. Zwar kann ein ökologisches Ziel auch anderweitig (nämlich ineffizient) erreicht werden, die dauerhafte URK-Anlastung sichert aber gerade den Effizienz-Mehrwert bei der Zielerreichung. 3. Beibehaltung des Zielzustandes: Bei Wegfall der über URK bewirkten Preiskorrektur wird eine dauerhafte Zielerreichung gefährdet, die annahmegemäß nur deshalb erreicht werden konnte, weil die relativen Preise zuungunsten der Wassernutzung verschoben wurden. Werden die alten Preisrelationen, d. h. jene ohne Berücksichtigung der URK, wieder hergestellt, dürfte das erreichte Zielniveau mittelund langfristig kaum zu halten sein. Die URK-Anlastung muss ein erreichtes Zielniveau dauerhaft durch ihre Anreizwirkung zum neuen ökonomischen Optimum bei
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Dazu bereits Gawel (2013), S. 45; Gawel et al. (2014a).
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den Nutzern machen können und damit die Zielerreichung nachhaltig in das Eigeninteresse der Wassernutzer stellen.77 4. Automatische Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen (dynamische Effizienz): Dauerhaft angelastete URK konfrontieren die Nutzer mit den verbleibenden Opportunitätskosten ihrer Gewässerinanspruchnahme und halten sie zu einer permanenten Überprüfung an, ob sich der individuelle Nutzen ihrer Wassernutzung angesichts der durch URK angezeigten gesellschaftlichen Kosten dieser Inanspruchnahme noch „rentiert“. Datenänderungen bei den Kosten, bei Technologien und Marktbedingungen, die eine veränderte ökonomisch rationale Nutzung nahelegen, werden dezentral und daher transaktionskostenarm durchgeführt, ohne auf gegendruckanfällige und verzögerte ordnungsrechtliche Implementation von „Stand der Technik“ angewiesen zu sein. Auch Rejustierungen der Nutzungsansprüche durch Newcomer (z. B. neue Einleiter) oder Strukturwandel wird so geräuschlos und ohne Wettbewerbsverzerrung verarbeitet. 5. Innovation: Das permanente Nachdenken über den angemessen Ressourcenverbrauch schließt auch den Anreiz zu Innovationen ein, die zu einer Kostenminderung und zugleich zu einer Minderinanspruchnahmen der Gewässer beitragen können. Aus ökonomischer Sicht ist daher die URK-Zahllast, die auf nicht vermiedene „Restnutzungen“ auch im Zielzustand anfällt, essenzieller Bestandteil der Ressourcenlenkung: Nur sie vermittelt den nötigen vollständigen Kaufkraftentzug, der die Rentabilität wasserintensiver Produktionsprozesse entsprechend den sozialen Kosten der Ressourcennutzung belastet, die Preise der hieraus hervorgegangenen Produkte auf ihr „kostenwahres“ Niveau anhebt, alle Ressourcennutzer wettbewerbsneutral anhand „ökologisch wahrheitsgetreuer“ Preise entscheiden lässt und permanent zu Innovationen zwecks Kostenminderung und weiterer Ressourcenentlastung anhält. Die URK-Anlastung ist daher auch bei „Zielerreichung“ mitnichten überflüssig, sondern vermittelt vielmehr den aus Effizienzgründen notwendigen Kaufkraftentzug als Entgelt für die Faktornutzung. Der explizite Effizienzauftrag bei der Nutzung von Wasserressourcen aus Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 1 WRRL kann mithin nicht (mehr) erfüllt werden, wenn die Anlastung der URK bei Zielerfüllung ausgesetzt oder gar in Höhe des Übererfüllungsbetrages von vorneherein als Freibetrag ausgereicht würde. Diese Argumente gelten ebenso im Falle, dass es das bis hierher unterstellte Punktziel gar nicht gibt, sondern es um die Beeinflussung der Richtung der ökonomischen und technischen Fortentwicklung hin zu weniger Ressourceninanspruchnahme geht: Denn im Berücksichtigungsmodus der „Demeritorisierung“ (z. B. bei der Abwasserabgabe) zielt die URK-Anlastung gerade auf einen permanenten öko-
77 Diese Garantiefunktion wird von der LAWA auch ausdrücklich anerkannt: LAWA (2013), S. 2: Eine URK-Anlastung sei auch erforderlich, soweit „das erreichte Ziel auf Dauer erhalten werden muss (Verschlechterungsverbot)“.
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logischen Strukturwandel ab – ohne ein punktuelles Ziel: Vorgegeben wird lediglich eine Richtung der Mindernutzung, deren konkrete Ausgestaltung dezentralen Entdeckungsverfahren überlassen wird, die in ihrem aggregierten „Lenkungserfolg“ wiederum politisch bewertet werden müssen.
b) Zielbezug von Art. 9 WRRL Unabhängig von der zuvor beschriebenen ökonomischen Dysfunktionalität einer Suspendierung von URK bei der Erfüllung der Umweltziele fragt sich, ob eine derartige „Abschneidegrenze“ in der WRRL überhaupt eine rechtliche Stütze findet. Am Anfang der Überlegungen steht die Behauptung, Art. 9 WRRL sei kein eigenständiges Element der Richtlinie, sondern solle zur Erreichung der Umweltziele beitragen und diene daneben im Wesentlichen der Finanzierung.78 Dabei könnte man sich auf die Wendungen in Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 1 und Abs. 2 berufen wollen, die dem Wortlaut nach einen Bezug zu den Umweltzielen herstellen. Aus der Formulierung in Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 1 („und somit zu den Umweltzielen dieser Richtlinie beiträgt“) lässt sich freilich keine rein instrumentelle Funktion entnehmen: Zunächst bezieht sich der Halbsatz nur auf die Verpflichtung des UAbs. 2 Sp.str. 1 und nicht auf UAbs. 1 oder UAbs. 2 Sp.str. 2, also nur auf die Effizienzanreize setzende Wassergebührenpolitik und nicht auf die Einbeziehung von URK schlechthin. Es ist auch nicht klar, ob der eher indikativisch formulierte Halbsatz als normative Einschränkung gemeint ist, wie letzteres bei den Verweisen auf die „Angemessenheit“ oder das Verursacherprinzip in z. B. UAbs. 1 der Fall ist. Auch aus dem Text des Art. 9 Abs. 2 WRRL („Schritte zur Durchführung von Absatz 1, die zur Verwirklichung der Umweltziele dieser Richtlinie beitragen werden“) ergibt sich nichts anderes, da im nächsten Halbsatz („sowie über den Beitrag der verschiedenen Wassernutzungen zur Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen“) die Kostendeckung nicht funktional reduziert wird. Zudem schließen sich der Charakter als ein eigenständiges Instrument und die Funktion, auch zu etwas beizutragen, wohl grundsätzlich nicht aus. Nur wenn man die ausschließliche Funktion in der Unterstützung der Erreichung der Umwelt-Ziele sähe, käme eine eigenständige Funktion in der Tat abhanden. Auch das in Abschnitt III.3. beschriebene besondere Verhältnis zwischen Effizienz der Ressourcennutzung und der Erreichung von Umweltzielen (die demgegenüber üblicherweise als Effektivität bezeichnet wird), spricht gegen eine „zielbezogene Auslegung“, die den Effizienzauftrag bereits an der Schwelle der Zielerreichung enden lassen möchte: Durch die angebliche Ziel-Referenz von Ressourceneffizienz79 wird das Gebot aus UAbs. 2 Sp.str. 1 zu günstigem Aufwands-ErtragsSo stellvertretend Palm et al. (2011). So etwa Reimer (2013), S. 449: „Der wertungsbedürftige Begriff der Effizienz muss mit Blick auf die Ziele der Richtlinie […] ausbuchstabiert werden.“ An anderer Stelle ist von ei78 79
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Verhältnis (Effizienz) unversehens zur guten Zielerreichung (Effektivität) verdünnt und zugleich fehlinterpretiert: Zielerreichung kann nämlich effizient (d. h. mit minimalem Kosteneinsatz) oder aber ineffizient (also unter Inkaufnahme von Verschwendung) gelingen; Art. 9 Abs. 1 Uabs 2 Sp.str. 1 erfordert aber eine effiziente Zielerreichung. Die Effizienzfunktionen von kostendeckenden Preisen sichern die ökologische Zielerreichung (ökologischer Aspekt), gehen aber modal darüber hinaus (ökonomischer Aspekt) und können daher nicht einfach abgeschaltet werden, wenn die bloße Effektivität gewährleistet ist. Im Übrigen spricht auch die analoge Systematik von Art. 9 und Art. 10 WRRL gegen eine instrumentell reduzierte Funktion allein des Art. 9: Im Maßnahmenprogramm nach Art. 11 ist über Maßnahmen nach Art. 10 und Art. 9 WRRL zu berichten. Niemand ist bislang auf die Idee gekommen, den kombinierten Ansatz aus Art. 10 nur als Instrument zur Erreichung der Ziele von Art. 4 WRRL ansehen. Nach der textlichen Anordnung von Art. 9 und Art. 10 ist nicht zu sehen, warum Art. 9 hier eine andere Position einnehmen soll als Art. 10. Bei beiden „Instrumenten“ spricht gegen ein rein funktionelles Verständnis auch die Einordnung als „Basismaßnahmen“ und nicht als nur „ergänzende Maßnahmen“. Diese Maßnahmen sind auf jeden Fall zu ergreifen, auch wenn die Ziele des Art. 4 WRRL schon erreicht sind. Die Anforderungen z. B. der Kommunalabwasserrichtlinie entfallen nicht etwa bei Zielerreichung. Alle in Art. 11 Abs. 3 aufgezählten Maßnahmen sind grundlegend, weil sie in allen Wasserkörpern unabhängig von deren Zustand zu ergreifen sind, etwa die Etablierung von Genehmigungspflichten in Abs.3 lit. e, f, j u. a. Eine funktionelle Einschränkung auf die Ziele des Art. 4 WRRL findet sich allenfalls in Abs. 3 lit. c. Daraus ist aber wohl zu schließen, dass es keine solche Einschränkung bei den anderen Maßnahmen gibt. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Beschränkung der Funktion des Art. 9 WRRL auf die Erhebung von Mitteln zur Finanzierung von Maßnahmen. Im Text des Art. 9 findet sich kein Bezug auf Maßnahmen, und die WRRL insgesamt hat die Frage der Finanzierung gar nicht behandelt. Auch in der Entstehungsgeschichte war zu keinem Zeitpunkt Art. 9 ausschließlich als Finanzinstrument für Maßnahmen gedacht. Wenn dies beabsichtigt gewesen wäre, dann hätte man dies viel deutlicher in Art. 9 oder in Art. 11 formulieren können. Dass mit Maßnahmen nach Art. 9 ohnehin nicht die Kosten aller notwendigen Maßnahmen gedeckt werden können, war den Autoren der WRRL bewusst, als sie in Art. 9 Abs. 3 formulierten: „Dieser Artikel steht der Finanzierung besonderer Vorbeuge- oder Abhilfemaßnahmen zur Verwirklichung der Ziele dieser Richtlinie in keiner Weise entgegen.“ Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die WRRL eben nicht eine reine Wasserökologierichtlinie ist, sondern auch das Ziel einer nachhaltigen Nutzung von Wasser verfolgt (Art. 1 lit. b; Erwägungsgrund 23; Art. 11 Abs. 3 lit. c). Aus kompetenzrechtlichen Gründen war die Bedeutung quantitativer Bewirtschaftungsfragen im nem notwendig „zielbezogene[n] Verständnis der Norm“ (Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 1) die Rede (S. 448).
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Verhandlungsprozess sensibel, weil nach Art. 175 Abs. 2 S. 1 Sp.str. 2 EGV (jetzt Art. 192 Abs. 2 lit. b Sp.str. 2 AEUV) für Fragen der mengenmäßigen Bewirtschaftung Einstimmigkeit erforderlich war. Um die Einstimmigkeit (erfolgreich) zu sichern, wurden Regelungen der Wassermengensteuerung im Entstehungsprozess zurückgedrängt, aber nicht komplett ausgeklammert, wie die Definition des mengenmäßigen Zustandes bei Grundwasserkörpern zeigt, ebenso wie die Zielbestimmung einer effizienten und nachhaltigen Wassernutzung.80 Die Funktion des Art. 9 erschöpft sich mitnichten in der Erhebung von Mitteln für Maßnahmen zur Erreichung des „guten Zustandes“. Auch sind die Umweltziele in Art. 4 nicht auf die Herstellung eines „guten Zustandes“ oder „guten Potenzials“ begrenzt: Als Ziele sind dort auch der Erhalt von – soweit noch vorhanden – sehr guten Zuständen (Art. 4 Abs. 7), die Vermeidung von Verschlechterungen von Gewässerzuständen etc. anzuerkennen. Als weitergehendes spezielles Umweltziel, das jenseits des guten Zustandes wichtig ist, wären noch die Verpflichtungen in Art. 7 zu erwähnen, dessen Abs. 2 normiert: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass jeder Wasserkörper gemäß Absatz 1 nicht nur die Ziele des Artikels 4 gemäß den Anforderungen dieser Richtlinie für Oberflächenwasserkörper, …, erreicht, sondern dass das gewonnene Wasser unter Berücksichtigung des angewandten Wasseraufbereitungsverfahrens […] auch die Anforderungen der Richtlinie 80 / 778 / EWG in der durch die Richtlinie 98 / 83 / EG geänderten Fassung erfüllt.“
Abs. 3 ergänzt: „Die Mitgliedstaaten sorgen für den erforderlichen Schutz der ermittelten Wasserkörper, um eine Verschlechterung ihrer Qualität zu verhindern und so den für die Gewinnung von Trinkwasser erforderlichen Umfang der Aufbereitung zu verringern. Die Mitgliedstaaten können Schutzgebiete für diese Wasserkörper festlegen.“
Ähnliches gilt für die Gewässerqualität, die für eine Nutzung als Badegewässer verlangt wird. Diese gelten als Schutzgebiete nach Art. 6, und die hier gestellten Anforderungen gehen ebenfalls potenziell über den „guten Zustand“ hinaus. Besonders problematisch an der Reduktion der Einbeziehung von URK bei Art. 9 UAbs. 1 auf die Funktion, Umweltziele zu erreichen und die dazu notwendigen Maßnahmen zu finanzieren, ist die Konsequenz in den Fällen von abgeschwächten Umweltzielen: Bei hydromorphologischen Veränderungen, die für eine Trinkwasserversorgung notwendig sind, so dass eine HMWB-Ausweisung als erheblich verändertes oder künstliches Gewässer gerechtfertigt ist, sind evtl. keine Maßnahmen mehr notwendig, um ein gutes ökologisches Potenzial zu erreichen. Die verbleibenden Umweltschäden, der Verlust an unbeeinträchtigten aquatischen Ökosystemen und den damit verbunden Nutzungsoptionen wären, weil die Wasserversorgung eine höherwertige Nutzung darstellte, plötzlich keine Umweltschäden mehr. Es bleibt unerfindlich, warum in den Fällen hilfsweise und temporär herabgesetzter Umweltziele nicht gerade die Kostenverantwortung nach Art. 9 dazu beitra80
Siehe Brockmann (2003).
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gen können soll, durch fortlaufende Zustandsverbesserungen und „schrittweise“ Entlastungen (Art. 1 lit. a, c, d) dann zu einem späteren Zeitpunkt doch noch unverminderte Zielzustände zu erreichen bzw. sich diesen anzunähern. Jedenfalls formuliert Art. 4 in Abs. 3 lit. b Satz 2 und Abs. 5 lit. d jeweils mit Blick auf die verminderten Anforderungen Überprüfungsvorbehalte mit Fristsetzung, denen zu entnehmen ist, dass das unveränderte Vorliegen der Voraussetzungen regelmäßig zu prüfen und das Ausnahmeregime bei Wegfall der Voraussetzungen aufzuheben oder entsprechend anzupassen ist. Zwischenzeitlich aufrechterhaltene und ungekappte Kostenverantwortung nach Art. 9 kann genau dazu entscheidend beitragen. Schließlich wird man im Übrigen vordinglich alles, was in Art. 1 der WRRL genannt wird, als „Ziele der WRRL“ selbst ansehen können, die noch durch Aussagen über Ziele in der Präambel und in den Erwägungsgründen zu ergänzen wären. Es erscheint überzeugender, Art. 9 als den Zielen der WRRL insgesamt dienlich anzusehen, nicht nur eines einzigen anderen Artikels, zumal der Kostendeckungsgrundsatz nicht als Absatz von Art. 4, sondern als eigenständiger Artikel formuliert wurde. Art. 1 WRRL weist als Ziel der Richtlinie u. a. „die Schaffung eines Ordnungsrahmens“ für den Gewässerschutz aus, der zu „Schutz und Verbesserung des Zustands der aquatischen Ökosysteme“ sowie zur „Förderung einer nachhaltigen Wassernutzung auf der Grundlage eines langfristigen Schutzes der vorhandenen Ressourcen“ beitragen soll. Des Weiteren werden „schrittweise Verbesserungen“ der aquatischen Umwelt und eine „schrittweise Reduzierung der Verschmutzung des Grundwassers“ angestrebt. Art. 9 ist ersichtlich Teil dieses „Ordnungsrahmens“, da er das Prinzip der Kostenverantwortung von Nutznießern von Gewässerleistungen etabliert und dadurch die „Förderung einer nachhaltigen Wassernutzung auf der Grundlage eines langfristigen Schutzes der vorhandenen Ressourcen“ preispolitisch ebenso untersetzt wie das Anliegen zu „schrittweiser Zustandsverbesserung“, ohne dass diese dynamische Funktion in Art. 1 bereits grundsätzlich auf bestimmte Zustände begrenzt würde. Art. 9 ist sicherlich zielbezogen – wie alle übrigen, materielle Anforderungen statuierenden Artikel auch; allerdings ist Art. 9 gerade nicht als Absatz von Art. 4 formuliert worden, sondern trägt eigenständig und auf spezifische Weise zur Erfüllung der Ziele der Richtlinie insgesamt, insbesondere im Sinne von Art. 1, bei.81 5. Zwischenfazit Die WRRL bietet damit insgesamt weder dem Wortlaut des Art. 9 nach noch bei teleologischer oder systematischer Auslegung einen Anhaltspunkt für den systematischen Wegfall der URK-Anlastung „bei Umweltzielerreichung“. Kostenverant81 Insoweit offensichtlich bei Weitem verkürzt die Sichtweise bei Durner / Waldhoff (2013), S. 43, bei denen „Art. 9 nur ein Instrument unter mehreren [ist], die […] allesamt auf das Ziel gerichtet sind, die Oberflächengewässer und das Grundwasser in der gesamten Gemeinschaft in einen guten Zustand zu bringen und eine Verschlechterung ihres Zustands zu verhindern.“
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wortung ist ein fundamentales Ordnungsprinzip in einer Welt knapper Ressourcen und insoweit auch eigenständiger Teil des durch die WRRL etablierten Ordnungsrahmens. Will man lediglich Substitutionseffekte bis in den Zielzustand initiieren, könnte eine URK-Anlastung im Zielzustand u. U. wohl entfallen; sind URK aber Teil einer ordnungspolitischen Grundentscheidung zur Kostenverantwortung im Ressourcenumgang, von der sowohl weitere, laufende Zustandsverbesserungen und Innovationen als auch Einkommenseffekte (Abbau von Wettbewerbsverzerrungen, Signale entlang der gesamten Wertschöpfungskette), verursachergerechte Lastkorrektur und nicht zuletzt Finanzmittel erwartet werden, verbietet sich ein „Abschalten“ im Zielzustand. Benötigt wird aber in jedem Fall ein Funktions-Konzept für das „Decken“ von Kosten – wozu ist deren Deckung konzeptionell dienlich, was soll dadurch erreicht werden? Daraus ergeben sich zugleich erste Antworten zur angemessenen Höhe des Werteverzehrs und seiner Bewertung. Soweit ersichtlich, verfolgt Art. 9 Abs. 1 insoweit ein umfassendes Konzept der Kostenverantwortung, das Kostendeckung sowohl zur Platzierung von (effizienten) Verhaltensanreizen nutzt (UAbs. 2) als auch zur Kaufkraftabschöpfung zum Ausgleich von Werteverzehren, zur Herstellung von Verursachergerechtigkeit zwischen Rechts- und Wirtschaftssubjekten und implizit wohl auch zur Finanzierung von Maßnahmen. Dies entspricht im Wesentlichen der aus der nationalen Rechtsprechung zu lenkenden Umweltabgaben bekannten kombinierten „Antriebs- und Ausgleichsfunktion“ staatlich administrierter Preiskorrekturen einschließlich deren öffentlicher Finanzierungswirkung.
V. Konzepte der „Berücksichtigung“ von URK: Wie ist abzudecken? 1. Auslegungsbemühungen im juristischen Schrifttum: Berücksichtigung als Verbindlichkeitsproblem Sind URK auch konzeptionell als Bestandteil von Kostendeckung im Allgemeinen und des Anreiz- und Effizienzauftrages aus Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 1 im Besonderen anzusehen, so bleibt weiterhin noch unklar, wie sie im Rahmen dieser grundsätzlichen Maßgaben konkret zu „berücksichtigen“ („einzuschließen“) sein sollen.82 Da URK in die zu deckenden Kosten einzuschließen sind, bezieht sich der Berücksichtigungsauftrag aus Abs. 1 UAbs. 1 zugleich auch auf diese Kosten. Die „Berücksichtigung“ von URK verweist dabei sowohl auf das vorgelagerte Inklusionsproblem als auch auf die gedanklich anschließend nach Maßgabe der UAbs. 2 und 3 insgesamt näher zu gestaltende Deckung aller relevanten Kosten (Vollkosten-
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Siehe zum Ganzen bereits Gawel (2014f).
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deckung). Wir wollen beides zusammenfassen zur Frage der (durch UAbs. 2 und 3 spezifizierten) „Berücksichtigung“ von URK. Diese stellt eine besondere Herausforderung dar, weil URK typischerweise nicht in Form von leicht ermittelbaren Marktbewertungen vorliegen, sondern zunächst nur „reale Kosten“ darstellen, für die ein Geldausdruck erst noch zu gewinnen und zum Bestandteil einer „angemessenen“ Wasserpreispolitik zu machen ist. Es stellt sich daher die Frage der praktischen „Berücksichtigung“ von URK angesichts der hier typischerweise gegebenen erheblichen Informationsdefizite hinsichtlich Werteverzehr, Bewertung und verursachergerechter Zuordnung. Das juristische Schrifttum nähert sich dem Problem höchst unterschiedlich. Verschiedene Autoren83 sehen ohnehin nur einen unzureichenden normativen Gehalt von Art. 9 Abs. 1, wobei sie sich auf die zurückhaltenden Gebote aus UAbs. 1 („Grundsatz“, „berücksichtigen“) sowie die nochmalige Abwägungsklausel in UAbs. 3 stützen. Im Ergebnis verbleibe nur eine programmatische Leitnorm ohne Verbindlichkeit. Die These vom unzureichenden normativen Gehalt, der dann wohl die URK-Berücksichtigung zur bloßen Option nationaler Umsetzung verdünnen würde, überzeugt jedoch nicht.84 Dagegen sprechen schon die in Abs. 2 und Abs. 4 Satz 2 verankerten Berichts-, Dokumentations- und Rechtfertigungspflichten, wonach über Vorkehrungen und Maßnahmen, die „zur Anwendung dieses Grundsatzes [der Kostendeckung] getroffen wurden“ zu berichten ist (Abs. 2) und die Nichtanwendung von Abs. 1 UAbs. 2 „in vollem Umfange“ zudem in den Bewirtschaftungsplänen zu dokumentieren und zu rechtfertigen ist (Abs. 4 S. 2 WRRL). Damit kaum vereinbar wäre eine Auslegung, wonach in UAbs. 1 und 2 schlechterdings „gar nichts“ geboten wäre.85 Auch eröffnen die Relativierungen in Abs. 1 UAbs. 3 wohl kaum eine vollständige Suspendierung der URK-Berücksichtigung, sondern lediglich das Rechnungtragen der „Auswirkungen der Kostendeckung“, die „dabei“ auftreten, nämlich gerade bei der URK-Berücksichtigung nach UAbs. 1 und 2. Umgekehrt wäre eine eigene Relativierungsvorschrift wohl entbehrlich, wenn durch 83 Insbesondere Schmalholz (2001), S. 88 f.; Knopp (2003), S. 3 f.; Reinhardt (2006), S. 740 f. („Worthülse“, „überwiegend programmatische Vorgabe“); Reinhardt (2008), S. 43; Kessler (2002), S. 5 / 4; Durner / Waldhoff (2013), S. 51 ff. („beschränkt sich letztlich auf eine programmatische Vorprägung der nationalen Umsetzungen, die sehr unterschiedlich ausfallen können“, S. 126). 84 Dagegen auch zu Recht Unnerstall (2007); ders. (2006c); ders. (2006b); ders. (2006a); ders. (2009); ders. (2012), S. 87 ff.; Schmutzer (2006); Hansjürgens / Messner (2006), S. 399 ff.; Breuer (2008), S. 47 ff.; Köck (2011), S. 65 ff.; Kolcu (2008), S. 93 ff.; ders. (2010); Desens (2008), S. 204 f.; Palm / Wermter (2008); Ammermüller (2011); Gawel et al. (2011), S. 40 ff.; Gawel et al. (2014a); Gawel (2012a); ders. (2012c); ders. (2014a); jüngst auch Reese (2013), S. 376. Siehe auch Ginzky / Rechenberg (2006), S. 348, die die Erhebung einer Abwasserabgabe als „EG-rechtlich zwingend geboten“ ansehen; ähnlich Zöllner (2012), Rn. 5; Laskowski (2010), S. 728. 85 So aber Waldhoff (2011), S. 5; die gesamte WRRL sei rechtspolitisch für nationale Abgabenlösungen gar „schlicht irrelevant“. Auch Reinhardt (2006), S. 740, kann nur „Worthülsen“ erkennen.
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UAbs. 1 keinerlei materieller Gehalt gegeben wäre.86 Schließlich wurde bereits in Abschnitt 3.b) aufgezeigt, dass die UAbs. 2 und 3 gerade als Spezifikationen der Berücksichtigung aus UAbs. 1 aufgefasst werden können und nicht etwa eigene, weitgehend unverbundene Kostendeckungsregime ohne URK-Bezug verkörpern. Ein anderer, von Unnerstall vertretener Ansatz will als „Berücksichtigung“ „im Sinne einer Abwägung mit anderen zu berücksichtigenden Aspekten“87 auch eine prozentuale Reduzierung des Kostendeckungsgrades auf deutlich unter 100 %88 sowie Abschwächungen „bei der verursachergerechten Verteilung der Kosten sowie hinsichtlich der Einbeziehung von URK und deren Verteilung“89 als zulässig ansehen, freilich jeweils mit einer „materiellen Untergrenze“. Auch Gawel / Köck u. a. sehen in der Berücksichtigungsmaßgabe „keine zwingende Verpflichtung zur Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen“, „sondern lediglich einen an die Mitgliedstaaten gerichteten Auftrag […], den Kostendeckungsgrundsatz im Rahmen der Ausgestaltung der konkreten Wasserpolitik zur Erreichung der europäisch gesetzten Ziele abwägend zu berücksichtigen (Regelungsermessen)“. Dem Kostendeckungsgrundsatz werde „aber nicht nur im Abwägungsvorgang, sondern – jedenfalls im Regelfalle – auch im Abwägungsergebnis Rechnung“ zu tragen sein; dies ergebe sich aus den strikteren Maßgaben in UAbs. 2.90 Auch wurde vorgeschlagen, die als praktisch äußerst schwierig eingeschätzte URKBerücksichtigung einstweilen und so lange komplett zu suspendieren, bis die gegenwärtig noch ungelösten Erfassungs-, Monetarisierungs- und Internalisierungsprobleme externer Kosten durch die Wirtschaftswissenschaft überzeugend gelöst seien. 91 Die zuvor bereits (Abschnitt III.2.) als überzeugend eingeschätzte systematische Auslegung von Kolcu, der dem Berücksichtigungsgebot aus UAbs. 1 eine eher dramaturgische Rolle als „Ankündigungs- und Initiativfunktion“92 für die eigentlichen Erfüllungspflichten in UAbs. 2 und die Relativierungsoptionen in UAbs. 3 entnehmen will, löst das materielle Auslegungsproblem gerade nicht, sondern verlagert es auf die diesbezügliche Auslegung des konkretisierenden UAbs. 2. Hier sieht Kolcu aber im Wesentlichen weite Spielräume.93 So zu Recht auch Unnerstall (2012), S. 89. Ebenda, S. 91. 88 Unnerstall (2009), S. 235 („70%“); gegen einen konkreten „Mindestkostendeckungsgrad“ wohl zu Recht Kolcu (2010), S. 74 f. 89 Unnerstall (2012), S. 90. 90 Gawel et al. (2011), S. 45 f. 91 Desens (2008), S. 207 f. („vorerst ganz verzichten“), unter Verweis auch auf die Entstehungsgeschichte, bei der „allen Beteiligten klar” gewesen sei, „dass URK erst dann einbezogen werden können, wenn eine einheitliche Methodik für ihre Erfassung gefunden worden ist.” (S. 192). 92 Kolcu (2010), S. 75. 93 Kolcu (2008), S. 112: Hinsichtlich der konkreten Bemessung „aufgrund der unbestimmten Rechtsbegriffe durchaus flexibel“. 86 87
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Insgesamt sind die juristischen Auslegungsbemühungen eher am Verbindlichkeitsgrad, weniger am materiellen Modus der Inklusion interessiert. Diesbezüglich wird regelmäßig auf die Methoden- und Instrumentenoffenheit von Art. 9 verwiesen und damit ein entsprechender Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten betont. 94
2. Berücksichtigung als Rechenproblem Weitgehend gelöst von den Überlegungen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum und dem dort herausgestellten Ermessensspielraum angesichts der Methodenoffenheit des Art. 9, verdichten sich gleichzeitig mit Blick auf die Umsetzung Vorstellungen einer „Berechnung“ von URK und von Kostendeckungsgraden auf der Basis monetarisierter externer Kosten („cost recovery assessment“ 95). Ohne nähere Auslegungsbemühungen bezüglich Art. 9 gehen diese Stimmen implizit von einer eher rechenhaften Ermittlung von URK aus bzw. apostrophieren diese als „wünschenswert“.96 So führt etwa die Europäische Umweltagentur in ihrer Bestandsaufnahme zur Kostendeckung aus: „Comparable systems for the reporting of utility costs and revenues are desirable, especially for the inclusion of environmental and resource costs […]. An international reporting system for the recovery of environmental and resource costs can be created by ensuring that the data collected […] contain the information needed to get an idea of whether environmental and resource costs are truly being incorporated into the costs recovered by the utilities.“ 97
Auch die EU-Kommission zählt zu den Anhängern einer „rechenhaften“ Bewältigung der URK-Berücksichtigung. Dies legen jedenfalls die Argumentation der Kommission im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland sowie die Anforderungen im Rahmen des laufenden Reportings nahe, wo auch in Bezug auf URK ungerührt „Kostendaten“ und „Kostendeckungsgrade“ abgefragt werden. Unter Anlehnung an das – in der Umweltökonomik als praktische Richtschnur der Umweltpolitik längst verabschiedete – theoretische Leitbild der Internalisierung sollen auf diese Weise URK ebenso handhabbar gemacht werden wie Marktkosten. „Berücksichtigen“ heißt hier im Wesentlichen „Berechnen“ und ebenso Behandeln wie marktmäßig erfassbare Kosten. Entsprechende methodische Vorschläge wurden u. a. von Ammermüller98, im Rahmen des EU-Projektes Aquamoney99, von einer DWA-Arbeitsgruppe100 sowie von Proeger101 vorgelegt. Statt vieler Desens (2008), S. 204; Kolcu (2008), S. 112. Ammermüller (2011), S. 157 ff. 96 In diesem Sinne etwa Ammermüller (2011), S. 157, die von einem “ideal path to cost-recovery” spricht, an den “an iterative approximation” nach Art. 9 statthaft sei, und EEA (2013), S. 14. 97 EEA (2013), S. 14. 98 Ammermüller (2011), S. 157 ff. 99 Siehe dazu die Ergebnisse auf IVM (o. J.), insbesondere Görlach et al. (2007). 94 95
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Die Diskussion kreist bei diesem Ansatz naturgemäß um die bekannten Probleme einer vollumfänglichen Erfassung, Monetarisierung und verursachergerechten Zurechnung102 von URK in der Praxis.103 Beispielhaft wird dies in der Arbeit von Ammermüller deutlich: Ausgehend von einer gleichrangigen Betrachtung von zur Deckung anstehenden „finanziellen Kosten“, Umweltkosten und Ressourcenkosten 104 führen Erfassungs- und Bewertungsprobleme zur Notwendigkeit pragmatischer Handhabung, bis denn diese Probleme dereinst gelöst seien: „Environmental and resource costs continue to pose major difficulties for implementation across European Member States. While pan-European research projects are under way, which will deliver insights on the applicability of economic monetisation approaches […] their area-wide application will not prove feasible for the next implementation cycle (at least). Hence, pragmatic intermediate approaches need to be relied upon in the meantime.“105
Auch den Veröffentlichungen der Europäischen Umweltagentur ist das Bedauern über die mangelnde Praxiseignung des selbst für maßgeblich erklärten „Rechenansatzes“ sowie der Wunsch zu entnehmen, den Abstand fortlaufend pragmatisch zu verkürzen. Insoweit mögen nämlich „comparable systems for the reporting of utility costs“106 wünschenswert sein und die nötige Transparenz schaffen, um den Vollzug von Art. 9 WRRL zu überprüfen: „It would be particularly useful to have a system, standardised to a certain degree across EU Member States, that indicates which areas of environmental and resource costs are covered, and the level of coverage.“107
Ein solches Berichtssystem, das freilich bisher nicht einmal in Ansätzen verfügbar ist (während Berücksichtigungs- und Effizienzgebote aus Art. 9 freilich bereits wirksam sind), würde zwar, wenn wir es denn hätten, Vergleiche zwischen den Mitgliedstaaten ermöglichen und ein Zurückbleiben der nationalen URK-Inklusionsbemühungen hinter der von diesem Berichtssystem methodisch herangezogenen Vollkostendeckungsreferenz aufdecken können. Der Nachweis eines Verstoßes gegen den Berücksichtigungsgrundsatz aus UAbs. 1 oder das Effizienzgebot aus UAbs. 2 wäre so jedoch – ganz abgesehen von der ergänzenden Rechtfertigungsoption über UAbs. 3 – schon deshalb nicht möglich, weil UAbs. 1 und 2 eben keine solche Vollkostendeckungsreferenz definieren und den Mitgliedstaaten entsprechende Freiheitsgrade einräumen. Dies mag man rechtspolitisch bedauern, unionsrechtlich wird Palm et al. (2011); dies. (2013). Proeger (2009). 102 Siehe dazu allgemein den instruktiven Überblick bei Endres / Holm-Müller (1998). 103 Görlach / Interwies (2004); Hansjürgens / Messner (2006), S. 409 ff.; Ammermüller (2011), S. 157 ff.; EEA (2013), S. 98 ff. 104 Ammermüller (2011), S. 86. 105 Ebenda, S. 260 f. 106 EEA (2013), S. 14. 107 Ebenda. 100 101
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aber durch bloße Abweichungen von einem je etablierten Berichtssystem allein noch kein Rechtsverstoß nachweisbar sein.108 Ganz abgesehen davon, dass entsprechende Bemühungen wegen der Komplexität der Problematik und der kaum lösbaren Schwierigkeiten einer intersubjektiv überprüfbaren Erfassung, Bewertung und individuellen Zurechnung von URK gegenwärtig kaum über Desiderata oder Ideenskizzen hinausreichen, ist damit naturgemäß noch nicht die Frage beantwortet, inwieweit eine solche „rechenhafte“ Vorgehensweise durch Art. 9 Abs. 1 WRRL zwingend vorgegeben wäre. Als Stütze für eine solche Einschätzung können wohl auch nicht die Anforderungen an die „wirtschaftliche Analyse“ in Anhang III herangezogen werden, auf die in Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1 Bezug genommen wird (Berücksichtigung des Kostendeckungsgrundsatzes einschließlich URK „unter Einbeziehung der wirtschaftlichen Analyse gemäß Anhang III“). In Anhang III werden zwar „Informationen in ausreichender Detailliertheit“ angefordert, „damit […] die einschlägigen Berechnungen durchgeführt werden können, die erforderlich sind, um dem Grundsatz der Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen gemäß Artikel 9 […] Rechnung zu tragen.“
Bereits der Wortlaut lässt einen freilich ratlos zurück: Was ist unter „ausreichend detaillierten“ Informationen als Grundlage „einschlägiger Berechnungen“ zu verstehen, die aber nur erforderlich sein sollen, um einem „Grundsatz“ „Rechnung zu tragen“? Umgekehrt aber enthält Anhang III die klare Mahnung, auch bei der Informationsbeschaffung das Verhältnis aus Grenzkosten und Grenznutzen nicht aus den Augen zu verlieren, denn die Informationserhebung der wirtschaftlichen Analyse hat „unter Berücksichtigung der Kosten für die Erhebung der betreffenden Daten“ zu erfolgen. Die offenbar verbreitete Vorstellung, der europäische Gesetzgeber habe den Mitgliedstaaten hier eine Rechenaufgabe aufgegeben, bei der zu ermitteln sei, wie hoch die zu berücksichtigenden Kosten einerseits und die jeweils berücksichtigten Kosten andererseits seien, geht nicht nur rechtlich wegen der Relativierungen in UAbs. 1 und 3 (sowie auch in Anhang III) fehl, sondern verkennt auch ökonomisch, dass sich das Berücksichtigungsproblem mangels eindeutiger Kostenbewertung (100 % wovon genau und nach welchem Konzept bewertet?) nicht auf das Formalproblem eines zu berechnenden Kostendeckungsgrades reduzieren lässt (dazu oben 3.a) bis c). Diese bewertungsbedingten Schwierigkeiten treten selbst dann auf, wenn nur betriebswirtschaftliche Kosten zu betrachten sind, die weitgehend frei von kaum lösbaren Erfassungs- und Zurechnungsproblemen sind (wie im Falle der URK): Um etwa festzustellen, ob kommunale Entgelte der Wasserver- und Abwasserentsorgung zumindest die betriebswirtschaftlichen Kosten (vielfach im Zusammenhang mit Art. 9 als Lehnübersetzung aus dem Englischen auch als „finanzielle Kosten“ bezeichnet) „voll“, d. h. zu 100 % decken, müsste eindeutig feststehen, worin 100 % 108 Kolcu (2008), S. 112, spricht von einer lediglich eröffneten „überschlägigen Plausibilitätskontrolle“ dezentraler Ansätze.
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dieser Kosten jeweils bestehen. Genau dies ist aber gar nicht möglich, da es auf das zielbezogene Bewertungskonzept der ansatzfähigen Kosten ankommt (Refinanzierung, Substanzerhaltung, Wirtschaftlichkeitsvergleich, Ressourcenlenkung):109 Vollkostendeckung kann daher je nach Ziel- und Bewertungskonzept bei ansonsten gleichem Sachverhalt gleichzeitig höher oder niedriger ausfallen. Allein für die Substanzerhaltung kennt die BWL Dutzende von Unterkonzepten zur Bewertung. 110 Da die sich hier stellende Herausforderung mithin keine Rechenaufgabe, sondern ein Bewertungsakt ist, kann die Antwort auch nicht einfach nur „errechnet“ werden. Dies gilt für URK naturgemäß in verschärfter Form, da hier – anders als bei betriebswirtschaftlichen Kosten – nicht einmal der zugrundeliegende Werteverzehr bekannt ist, der zustands- und zweckbezogen zu ermitteln und anschließend zu bewerten sowie verursachergerecht zuzurechnen wäre. Vor diesem Hintergrund sind Aufwand und möglicher Ertrag eines elaborierten Berichtswesens kritisch zu würdigen. Denn ein weiteres Problem tritt hinzu: Nicht nur wird Art. 9 ein vom europäischen Gesetzgeber gar nicht vorgegebenes Methodenset im Umgang mit URK kurzerhand unterlegt; angesichts der Unmöglichkeit einer praktischen Umsetzung des selbst postulierten URK-Berücksichtigungskonzeptes der „Internalisierung“ muss anschließend auf derivative Hilfskonzepte ausgewichen werden, die sich dem Ansatz „pragmatisch“ nähern sollen (Experteneinschätzungen, Maßnahmenkostenansatz usw.). Während dabei überwiegend auf einer grundsätzlich rechenhaften Behandlung von URK beharrt wird,111 bilden die für den Vollzug auf dieser Basis entwickelten „pragmatischen Lösungen“ ein hochdiverses Spektrum an Vorgehensweisen aus, die im Ergebnis wenig miteinander gemein haben und letztlich doch nur den Methodenpluralismus und die Ermessensoffenheit der URK-Berücksichtigung bestätigen. Die Pragmatik wird so notwendig zur Kasuistik. Dabei aber büßen die pragmatischen Varianten die dem Ansatz wohl zugedachte besondere Legitimation durch die ökonomische Theorie weitgehend ein: Wo gleichzeitig viele pragmatische „Wege nach Brüssel“ eröffnet sind, mutet doch jeder von ihnen gerade deshalb als wenig zwingend an. Dies gilt in besonderem Maße für lediglich scheingenaue Berechnungsergebnisse: Eine „Buchführung“ z. B. über die Abdeckung staatlicher Maßnahmenkosten hat mit der Internalisierung externer Umweltauswirkungen und der individuellen Anlastung kostenwahrer Knappheitspreise kaum noch etwas gemein, soll aber offenbar mit deren ökonomischer Autorität beliehen und zugleich womöglich noch für „alternativlos“ erklärt werden. Dem widerspricht es auch nicht, dass Theorie und Praxis der ökonomischen Bewertung von Umweltgütern hochentwickelt sind und fortlaufend Fortschritte maDazu eingehend Gawel (2012a); ders. (2012b). Siehe dazu Wöhe (1997), S. 359 ff.; mit Blick auf kommunale Entgelte auch Gawel (1995a), S. 275 ff. 111 Exemplarisch Ammermüller (2011), S. 188, die pragmatische Erfassungsprozeduren mit der Hoffnung verbindet, diese „may progressively and iteratively move to a fully monetised environmental cost assessment“. 109 110
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chen.112 Ja, es lässt sich durchaus projektbezogen, d. h. für eine fokussierte Fragestellung, unter ganz erheblichem Aufwand öffentlich geförderter Forschungsvorhaben, unter Zehrung erheblicher Zeit und in Anwendung einer von zahlreichen, jeweils mit Vor- und gravierenden Nachteilen versehenen Bewertungsmethoden sowie unter Verwendung eines umfangreichen und voraussetzungsvollen Annahmensets eine Bewertung praktisch aller Umweltgüter und ihrer Wertaspekte im Rahmen des sog. ökonomischen Gesamtwerts113 vornehmen – bis hin zu einem Geldausdruck, falls gewünscht. Was die ökonomische Bewertungslehre aber nicht kann, ist eine flächendeckende, im Verwaltungsvollzug zu vertretbaren Kosten leistbare, fortlaufend zeitnah zur Verfügung stehende Bewertung sämtlicher Knappheitsund Umwelt-Auswirkungen hochdiverser Zugriffe auf Wasserkörper, deren Ergebnisse noch dazu sowohl wissenschaftlich „eindeutig“ als auch politisch konsentiert und damit zugleich im Vollzugsergebnis rechtsfriedenstiftend wären.114 Verständliche Sorgen der EU-Kommission um den ansonsten schwer kontrollierbaren Vollzug des Art. 9 und nachvollziehbarer Stolz der Vertreter der Bewertungsökonomik oder deren Interesse an einer weitreichenden Bewertungsbürokratie, der auf Jahrzehnte hinaus einträglich zuzuarbeiten wäre, sollten freilich nicht zu dem Fehlschluss verleiten, dieser Weg sei der durch Art. 9 vorgegebene oder auch nur der zweckmäßigste und überzeugendste. Auch Hansjürgens / Messner gehen zwar zunächst vom Leitbild einer Monetarisierung und Internalisierung aus, sehen aber klar die Notwendigkeit pragmatischer Schritte und eines durch dieses Leitbild lediglich angeleiteten Prozesses: „[…] mit dem in der WRRL niedergelegten Anspruch zur Erhebung kostendeckender Wasserpreise [ist] zunächst nur eine bestimmte Richtung (im wahrsten Sinne des Wortes: ein Rahmen) vorgegeben worden […]. Die konkrete Umsetzung dieses Anspruches ist ein offener Prozess. Dieser Prozess […] enthält durch die Fokussierung auf die volkswirtschaftliche Perspektive (unter Einbeziehung von Umwelt- und Ressourcenkosten) eine dauerhafte Gerichtetheit und Zielorientierung.“115 112 Dies gilt sowohl für die Theorie der Bewertung [siehe nur den Überblick bei Endres / Holm-Müller (1998); Hanley / Spash (1993)] als auch die zahllosen praktischen Studien und Leitfäden zur Bewertungsanalyse [statt vieler Schaafsma / Brouwer (2006)]. 113 Der ökonomische Gesamtwert (total economic value) wird als zusammengesetzt gedacht aus dem Gebrauchswert einer Ressource (direkter Nutzwert, indirekter Nutzwert, z. B. über Ökosystemfunktionen, und Optionswert) sowie dem Nicht-Gebrauchswert (Existenzund Vermächtniswert) – siehe etwa Pearce / Moran (1994), S. 19 ff. Ob (grundsätzlich spiegelbildliche) Werte oder Kosten (als Werteverzehre) einer Ressource betrachtet werden, hängt von der Betrachtungsweise ab – siehe auch Brouwer (2006), S. 4 f. 114 Ähnlich wohl auch Ammermüller (2011), die mit Blick auf die Bewertungsstudien einräumt, diese seien „time-consuming (and often expensive) in execution. […] their area-wide application will not prove feasible“ (S. 339). Und: „The present data and information base in most European Member States will only allow for a comprehensive assessment at case study level. Given limited resources for the relevant assessments and severe time constraints, an area-wide assessment of environmental costs for the first implementation process (and likely beyond) may thus only be achieved through alternative procedures.“ (S. 188). 115 Hansjürgens / Messner (2006), S. 423 f.
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Dies entspricht ziemlich genau dem Stand der ökonomischen Theorie der Umweltpolitik, die auf das theoretische Konzept der Internalisierung weiterhin als Orientierungs- und Rechtfertigungsmoment zurückgreift, von diesem aber nicht mehr erwartet, die umweltpolitische Lastausteilung in der Praxis konkret anzuleiten.116 Eine solche „aufgeklärte“ Perspektive erlaubt es im Übrigen, den Blick auch auf einfache Verbesserungen bei der URK-Berücksichtigung gegenüber einem Zustand der Nicht-Berücksichtigung zu richten und diese „kleinen“ Verbesserungen auch wertzuschätzen. Eine solche Perspektive vermeidet zugleich, sich über die Fixation auf einen fortbestehenden Abstand zu einem imaginären, perfekten und umfassenden Internalisierungsszenario entweder entmutigen zu lassen (Aufschieben, bis Probleme gelöst), zu zweifelhaften Derivaten zu greifen (Maßnahmenkosten als Proxy-Variable) oder mit irgendwelchen vorhandenen Daten Schimären zu „kalkulieren“ (formelle Kostendeckungsgrade, wovon auch immer). Auch Ammermüller sieht letztlich die Bedeutung von Art. 9 weniger in einem zahlenbasierten Glasperlenspiel, als in einem Informations- und Transparenzinstrument, das dazu zwingt, bislang vergessene Kosten und damit zusammenhängende Zielkonflikte ausdrücklich zu bearbeiten und sich dazu fortlaufend berichtend zu äußern („cost transparency“): „For the assessment, it is not required to be able to pinpoint the impact of uncovered resource costs exactly (e.g. whether overall cost recovery has to be adjusted from 96 per cent to 91 per cent or to 85 per cent). What is required, however, is a better understanding of tradeoffs related to the provision of water services and their potential influence on the overall degree of cost recovery.“117
Die Idee „rechenhafter“ URK hat die Implementations-Diskussion in eine zweifelhafte Sackgasse geführt und gleichzeitig zu einem Zerfall der Grundidee in eine kaum mehr überschaubare Vielzahl an Ansätzen beigetragen (kasuistische Pragmatik). In diesem Zusammenhang werden auch fragwürdige Derivate feilgeboten, die sich vom eigentlichen Auftrag aus Art. 9 Abs. 1 denkbar weit entfernen; als Beispiel sei hier der Maßnahmenkostenansatz näher betrachtet (dazu nachfolgend 3.). Vor dem Hintergrund dieser insgesamt unbefriedigenden Annäherungen an ein auch für die Praxis geeignetes „Berücksichtigungskonzept“ stellt sich umso mehr die Frage, welche Konzepte einer Berücksichtigung eigentlich in der Umweltökonomik selbst seit Jahrzehnten für die Umweltpolitik diskutiert werden und inwieweit die dort gewonnenen Erkenntnisse eine Implementation von Art. 9 anleiten können (dazu nachfolgend 4.).118 Schließlich wird das Problem einer URK-Berücksichtigung nicht erst seit 2000 im Rahmen der Auslegung und Umsetzung von Siehe dazu etwa Endres (2013), S. 50 ff. („unverzichtbare Vision“); Gawel (1994b). Ammermüller (2011), S. 204. 118 Dieser Ansatz wird vorbildlich auch von Proeger (2009), S. 12 ff., verfolgt, wenn er die ökonomischen Konzepte für eine praktische Umweltpolitik der letzten Jahrzehnte daraufhin auswertet, welche Erkenntnisse sich „für die Bewertung und Betrachtung der URK in der WRRL“ gewinnen lassen. 116 117
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Art. 9 WRRL diskutiert, sondern beschäftigt die umweltökonomische Theorie seit nunmehr über 100 Jahren.119 3. Approximation von URK durch Maßnahmenkosten? Da eine vollständige und perfekte Internalisierung sämtlicher hochdiverser URK bei einer kaum übersehbaren Vielzahl an Nutzungen und Auswirkungen in der Praxis offensichtlich illusionär ist, haben derivative Konstrukte Konjunktur. So ist in der Literatur ist wiederholt vorgeschlagen worden, das Problem der URK-Ermittlung pragmatisch dadurch zu lösen, dass kurzerhand eine Approximation durch die jeweiligen Maßnahmenkosten bis zur Erreichung des durch die WRRL angestrebten Zielzustandes ausreichen solle: „Die Kosten dieser Maßnahmenprogramme können als monetärer Anhaltswert für den Umfang der Gewässerbelastung angesehen werden. Somit ist davon auszugehen, dass mit einer Annahme von Kosten umweltbezogener Maßnahmen stellvertretend als Wertuntergrenze für die URK die Anforderungen der WRRL an eine angemessene Berücksichtigung der URK erfüllt werden.“120
Zur Begründung wird die angebliche Aussage aus der ökonomischen Lehre zur Bewertung von Umweltgütern bemüht, dass hilfsweise auch eine kostenbasierte Abschätzung einer Untergrenze für Umweltschäden anhand von „Vermeidungskosten“ vorgenommen werden könne. Dieser Ansatz mutet wohl insoweit charmant an, als er einerseits eine rechenhafte, d. h. scheingenaue Lösung des URK-Problems verspricht, und zwar auf der Grundlage lösbarer Datenprobleme; noch dazu scheint dieser Ansatz als Derivat unmittelbar mit dem Internalisierungs- und Bewertungsansatz der ökonomischen Theorie in Verbindung zu bringen sein und insoweit dessen methodische Autorität zu genießen. Es verwundert daher nicht, dass dieser Ansatz an Zuspruch gewinnt.121 Je stärker der Druck auf eine „rechenhafte“ Lösung der URK-Berücksichtigung wird, etwa von Seiten der EU-Kommission, desto stärker dürfte sich dieser „Ausweg“ anbieten. Leider ergeben sich hierbei zwei nicht unwesentliche Probleme: Weder lässt sich die ökonomische Bewertungstheorie in dieser schlichten Form für die Approxima119 Als Ahnherr gilt Pigou (1912), der einen Abgabesatz in Höhe des marginalen externen Schadens im ökonomischen Optimum (Ausgleich von Grenzvermeidungskosten und Grenzschäden) als Internalisierungsinstrument zur Korrektur von Umweltexternalitäten konzipierte und damit zugleich die ökonomische Theorie der Umweltpolitik begründete. 120 Palm et al. (2011), S. 365. Ähnlich bereits Fries / Nafo (2006), S. 156: „Die vereinfachte Bewertung der externen URK über die Umweltschutzkosten geht davon aus, dass die Schadenskosten mindestens so hoch sind wie die Umweltschutzkosten.“; Proeger / Buchs (2012), S. 193 ff. Siehe auch Ammermüller (2011), S. 336: „[…] the cost-based approach, which draws on the information provided by the programme of measures, could be applied.“. 121 Neben der in Fn. 120 genannten Literatur u. a. auch LAWA (2013). Die Approximation von URK durch Maßnahmenkosten wurde bereits in Drafting Group Eco2 (2004) und Görlach / Interwies (2004), S. 19 f., angesprochen.
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tion von Umweltschäden durch staatliche Maßnahmenkosten in Anspruch nehmen,122 noch gelingt auf diese Weise eine gewässerschutzpolitisch überzeugende Umsetzung des von Art. 9 Angesonnenen – im Gegenteil denaturiert die URK-Berücksichtigung hier zum bloßen Finanzierungshebel politisch definierter Maßnahmen. Zunächst zur Beleihung des Konzepts mit der Autorität der ökonomischen Bewertungslehre: Dort wird als Näherungsgröße für den nicht direkt messbaren Wert eines Schadens bei den Betroffenen ersatzweise – als eine Methode unter vielen – auch der beobachtbare freiwillige Mitteleinsatz der Geschädigten selbst zur Abwehr oder zur Begrenzung dieser Schäden herangezogen.123 Diese beobachtbaren marktlichen Abwehrkosten gelten als Untergrenze, da man davon ausgehen kann, dass bei rationalen Entscheidern die privaten Abwehrkosten den gefühlten Schaden nicht übersteigen, ggf. aber hinter diesem zurückbleiben können.124 Ein Beispiel mag dies verdeutlichen:125 Leiden Anwohner eines Flughafens unter Fluglärm, so können sie sich aus eigenen Mitteln Dreifachverglasung zulegen. Falls dies auch wirklich geschieht, können die Kosten hierfür als Anhalt (Untergrenze) für die erlittenen Lärmschäden gelten. Auch diese besser als „Abwehrkosten“ zu bezeichnenden „Vermeidungskosten“ sind präferenzbasierter Ausdruck einer individuellen Bewertung von Schäden durch die Betroffenen. Sie sind umso größer, je höher der Schaden (d. h. je schlechter der Umweltzustand) ist, nicht umgekehrt! Relevant wäre daher die Kurve der marginalen Zahlungsbereitschaft für die Abwehr von Schäden, gemessen in beobachteten Ausgaben zur Schadensvermeidung und -begrenzung durch die Geschädigten selbst.126 Hier stehen die Kosten zur Schadensbegrenzung als – weiterhin präferenzbasierte – Proxy-Variable für den nicht beobachtbaren Wert der Schädigung. Diese Abwehrkosten besitzen in der ersten Ableitung das gleiche Vorzeichen wie die Schadenskosten: Sie steigen nämlich mit sich verschlechterndem Zustand. Mit den Grenzvermeidungskosten als Maßnahmenkosten hat dies ersichtlich wenig zu tun: Die Maßnahmenkosten nämlich steigen mit verbessertem Zustand und sind insoweit kategorial ungeeignet als Proxy, weil sie den falschen Gradienten besitzen; sie können darüber hinaus nicht für sich die ökonomische Schadensbewertungslehre in Anspruch nehmen, da sie gerade nicht auf individuelle Bewertungsakte zurückgehen, sondern auf politisch angesonnene Maßnahmenprogramme. Dazu eingehend Gawel / Unnerstall (2014b). Hanley / Spash (1993), S. 99 f., definieren den Ansatz wie folgt: „The value of an improvement of environmental quality can be inferred directly from reductions in [households’] expenditures on defensive activities; that is, from reductions in averting expenditure“. Siehe dazu auch Courant / Porter (1981). 124 Siehe Bartik (1988). Ebenso Harrington / Portney (1987); Shortle / Roach (1989). 125 Konkrete Studien für den Wasserbereich nach der Methode der „Abwehrkosten” wurden u. a. vorgelegt von Abdalla (1990); Abdalla et al. (1992). 126 Siehe dazu auch das graphische Modell der Kosten- und Schadensfunktionen bei Gawel / Unnerstall (2014b). 122 123
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Endres / Holm-Müller sprechen mit Blick auf die Deformation der vielfach missverständlich als „Vermeidungskostenansatz“ betitelten Methode (besser: Ansatz der individuellen Schadensabwehraufwendungen) von „äußerst problematischen Verletzungen“ des Grundkonzepts in der Praxis durch hilfsweise Verwendung von staatlichen Aufwendungen, Aufwendungen der Verursacher oder bloß hypothetischen Kosten als Ersatz für die Kosten individuell beobachtbaren Abwehrverhaltens der Geschädigten. Die Autoren resümieren: „Die Analyse politischen Entscheidungsverhaltens [i. S. von staatlich bestimmten Maßnahmenkosten; d. Verf.] kann nur als Notlösung akzeptiert werden, deren Ergebnisse deshalb nur geringe Überzeugungskraft besitzen.“127
Nun könnte man einwenden, die zuvor aufgezeigten methodischen Mängel seien schlicht der Preis für eine notwendig pragmatische Handhabung – schließlich entfernten sich ja auch die nachfolgend noch unter 4.) vorzustellenden umweltökonomischen Konzepte einer URK-Berücksichtigung ganz erheblich vom Gedanken einer unmittelbaren Internalisierung der Umweltfolgen; kein Ansatz komme schließlich um eine gewisse Pragmatik herum. Dem ist allerdings zweierlei entgegen zu halten: – Art. 9 Abs. 1 gebietet eine schlichte preispolitische „Berücksichtigung“ von URK ohne jedwede Methodenvorgabe; das unbedingte Festhalten an dem Versuch, die URK auch in der Praxis quantitativ zu fassen, und sei es durch (fragwürdige) Approximationen, überzeugt vor diesem Hintergrund nicht. Ein zwingender quantitativer Approximationsanspruch ist Art. 9 nicht zu entnehmen. – Die ersatzweise Heranziehung von politisch bestimmten Maßnahmenkosten hat aber auch gewässerschutzpolitisch fragwürdige Effekte, die den Ansatz zusätzlich in Frage stellen: Sind die URK faktisch identisch mit den Maßnahmenkosten, so drängt sich ein prominentes Missverständnis über die angeblich fehlende Funktionalität von URK bei „erreichten Zielen“ (dazu Abschnitt IV.4.) geradezu auf: Denn wo Zielzustände erreicht wurden, sind unmittelbar keine weiteren Maßnahmen erforderlich, ergo scheint es auch an den (durch Maßnahmenkosten indizierten) URK zu fehlen.128 Die Zielsicherungs- und Effizienzleistungen der URK werden so aber verkannt. Das „Maßnahmenkostenkonzept“ ist deswegen auch geeignet, über die konzeptionelle Additivität von Anpassungslast (Kosten der Verhaltensänderung bis zum Zielzustand) und Zahllast (für nicht-vermiedene Nutzungen) beim Ressourcengebrauch zu desorientieren, indem die Maßnahmenkosten gleichsam zweimal gezählt werden: als tatsächlich geschulterte Anpassungslast und – dank Approximation – zugleich auch als angerechnete (und überwälzte) Scha-
127 128
Endres / Holm-Müller (1998), S. 51. So schon – insoweit zutreffend – Kolcu (2008), S. 70.
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denskosten. Volkswirtschaftlich wird aber die Anpassungslast auch bei Nutzerüberwälzung nur einmal getragen. Aus ökonomischen Gründen sind hingegen beide Lasten zu tragen: Ein ökonomischer Internalisierungsansatz bedeutet sowohl eine Anpassungslast für die Gesellschaft, nämlich die Kosten einer Verhaltens- und damit auch einer Gewässerzustandsänderung (= Maßnahmenkosten) bis zum Optimum, und zusätzlich eine Zahllast für die verbleibenden Gewässerinanspruchnahmen: Gewässer erhalten hier wie alle übrigen Güter in einer Marktwirtschaft ihren Knappheitspreis für die nicht vermiedenen Nutzungen. Werden als URK-Proxy die Maßnahmenkosten der WRRL herangezogen, bleibt es im Wesentlichen bei der Unterverteilung einer politisch bestimmten Ausgabensumme; dies hat mit der Schadens-Approximation durch Selbstoffenbarung ebenso wenig zu tun wie mit der Effizienzwirkung eines Faktorpreises für die Gewässernutzung auf sämtliche wasserintensiven Produktions- und Konsumprozesse in der Volkswirtschaft. Die URK-Anlastung denaturiert dann zu einem Finanzierungsinstrument für erforderlichen Maßnahmenkosten, dessen verbleibende Effizienzleistung von einer verursachergerechten Anlastung abhängt: Werden dann nämlich – abermals pragmatisch – „irgendwelche“ Konsumenten oder Produzenten von Wasserdienstleistungen pauschaliert zur Refinanzierung herangezogen, bleibt vom Effizienzanspruch nichts mehr übrig. Gelten die Maßnahmenkosten als Proxy für URK, so wäre die Berücksichtigung der Kostendeckung stets definitorisch gesichert – und zwar unter Verweis auf die jeweils getätigten Maßnahmenprogramme: Deren Ausgaben sollen ja annahmegemäß zugleich den URK entsprechen. Auf diese Weise wird das URK-Problem gleichsam definitorisch gelöst, da die nach Maßgabe der Bewirtschaftungspläne zu unternehmenden Maßnahmenprogramme die URKFrage gleich mit zu erledigen scheinen. Ein weiteres Problem tritt bei der Prüfung „unverhältnismäßiger Kosten“ nach Art. 4 Abs. 3 lit. b, Abs. 5, Abs. 7 lit. d WRRL auf: Hierbei sollen ersichtlich zwei unabhängige Größen in Relation gesetzt werden, nämlich Maßnahmenkosten im Vergleich zu den Erträgen der Zustandsverbesserung, die wohl gerade in den reduzierten Schäden (also den URK) bestehen dürften. Wenn aber nun der Ertrag einer Schadensreduktion betraglich gleichzeitig per definitionem in den ersparten Maßnahmenkosten bestünde, dann könnte es nie in irgendeinem Sinne ein Missverhältnis zwischen beiden Größen geben – es sei denn, man betrachtete insoweit URK jenseits von Art. 9.
Es fragt sich daher, was durch ein solches Konzept – methodische Bedenken einmal hintangestellt – eigentlich für den Gewässerschutz gewonnen sein soll, der doch das eigentliche Ziel der WRRL verkörpert? Die URK-Berücksichtigung verdünnt sich hier offensichtlich im Wesentlichen zur Rechtfertigung einer Refinanzierung von politisch bestimmten WRRL-Ausgaben. Vollkostendeckung bei der Nut-
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zung von Gewässern als Konsum- und Produktionsgut einschließlich der Kosten verbleibender Inanspruchnahmen wird auf diese Weise gerade verfehlt, ja sogar absichtlich ausgeschlossen, wenn zugleich das Abschneidekriterium bei Zielerreichung (dazu V.2.) zur Anwendung kommt. Daher erscheinen staatlich definierte Maßnahmenkosten der WRRL zur Approximation der URK nicht nur aus methodischen, sondern vor allem aus gewässerschutzpolitischen Gründen zur Lösung der preispolitischen Herausforderungen aus Art. 9 WRRL wenig geeignet, ja sie widersprechen dem Effizienz- und Anreizauftrag aus UAbs. 2. Der Ersatz von schwer ermittelbaren URK durch Maßnahmenkosten der WRRL ist aber nicht nur methodisch und gewässerschutzpolitisch fragwürdig, er ist – wie noch zu zeigen wird – überdies auch gar nicht erforderlich, zieht man die in der Umweltökonomik seit über 40 Jahren diskutierten pragmatischen Konzepte einer URK-Berücksichtigung heran. Demeritorisierende Abgaben wie die Abwasserabgabe demonstrieren seit Jahrzehnten, wie grundsätzlich in pragmatischer Weise mit URK angemessen verfahren werden kann, ohne auf zweifelhafte Approximationen zurückgreifen zu müssen (dazu nachfolgend 4.).
4. Berücksichtigungskonzepte der umweltökonomischen Theorie Bei der Frage der konkreten „Berücksichtigung“ von URK, also des „Wie?“, befassen sich weite Teile der Literatur und der Vollzugsinstanzen bisher mit dem Ansatz einer (idealiter vollständigen) Erfassung, Monetarisierung und exakten Zurechnung externer Umweltfolgen („Internalisierungsansatz“), der jedoch in der Praxis notwendig scheitern muss, was seit langem bekannt und in jedem umweltökonomischen Lehrbuch nachzulesen ist. Zwar lassen sich die Herausforderungen in der Theorie sowie in einzelnen Fallstudien unter hohem wissenschaftlichem Zeit- und Geld-Aufwand exemplarisch lösen – es existiert aber keinerlei konsentierte Methodenkonvention, die flächendeckend in der Verwaltungspraxis mit vertretbarem Aufwand und allseits akzeptiertem Ergebnis durchführbar wäre. Im Ergebnis löst sich der Internalisierungsansatz dann in einer pragmatischen Kasuistik auf, die zweifelhafte derivative Konzepte wie den Maßnahmenkostenansatz (dazu soeben V.3.) hervorgebracht hat. Kaum ernsthaft erörtert werden hingegen andere Formen der „Berücksichtigung“, wie sie sich insbesondere aus der jahrzehntelangen Befassung der umweltökonomischen Literatur mit der Thematik ergeben: Dogmengeschichtlich wurden in der Umweltökonomik verschiedene Stufen der „Berücksichtigung“ von URK in der praktischen Umweltpolitik diskutiert, auf die die Debatte um Art. 9 zurückgreifen sollte. Dabei liegt jeweils ein bestimmtes „Kostendeckungskonzept“ zugrunde (dazu oben IV.3.), dem zu entnehmen ist, mit welchem Anspruch und mit welcher Funktion administrierte „Kostendeckung“ von URK umweltpolitisch ins Werk gesetzt wird – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Informationsanforderungen für politische Entscheider.
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An die Stelle des dogmengeschichtlich ältesten Ansatzes, des auf Kosten-Nutzen-„Optimalität“ abzielenden Internalisierungskonzeptes („Pigou-Steuer“), trat schon 1971 der sog. Standard-Preis-Ansatz,129 gefolgt von einem noch einfacheren zielfreien Minderungsansatz („Demeritorisierung“) in der Praxis der lenkenden Umweltabgaben.130 Die Berücksichtigung der URK in diesen Konzepten stellt sich dabei höchst unterschiedlich dar (Tab. 1): Der Internalisierungsansatz verfolgt eine exakte Ermittlung, Bewertung und individuelle Anlastung von URK mit dem Ziel einer ökonomisch optimalen Ressourcenallokation; allerdings wird hier nur der (in der Praxis völlig unbekannte) „Grenzschadens im Optimum“ als Abgabesatz vorgegeben mit dem Ziel, den Ressourcennutzer zu einer „Kosten-Nutzen-optimalen“ Umweltnutzung zu veranlassen. Die Zahllast im Optimum entspricht annahmegemäß nicht den verbleibenden URK, sondern ist eine Fiktivgröße; ein Opferausgleich ist aus Effizienzgründen (Anreize zur Schadensminimierung) ausdrücklich nicht vorgesehen. Dies führt noch einmal klar vor Augen, welche konzeptionellen Gestaltungsspielräume selbst ein Internalisierungsansatz bereits für den Umgang mit URK bietet. Schon die Pigou-Steuer ist lediglich eine Abstraktion von einer vollständigen Internalisierung aller Schadensfunktionen bei den Verursachern. Demgegenüber will der Standard-Preis-Ansatz aus Gründen der nur noch ein politisch formuliertes Punkt-Ziel kosteneffizient erreichen, ohne im Sinne eines Kosten-Nutzen-Abgleichs noch zugleich einen „optimalen“ Zielzustand erreichen zu wollen.131 An dessen Stelle tritt ein politisches Ziel. Zu dessen exakter Erreichung müssten umweltpolitische Entscheidungsträger „nur noch“ die aggregierte Grenzvermeidungskostenfunktion aller Umweltnutzer kennen. Der Demeritorisierungsansatz schließlich verzichtet auch auf eine Punktzielformulierung und belastet nach politischem Ermessen mit dem bloßen Ziel einer fortwährenden Mindernutzung (Richtungsziel). Die URK werden dabei von Preisadministrierungen, z. B. einem Abgabesatz, eher repräsentiert als noch exakt abgebildet. Die Funktionen der Kostenabgeltung (Ausgleichsfunktion) und der Finanzierung stehen theoretisch jeweils hinter den allokativen Zielstellungen zurück, können aber von der praktischen Umweltpolitik ebenfalls akzentuiert werden; das Ergebnis sind dann z. B. kombinierte Wirkungszweck- / Verwendungszweckabgaben132 oder aus rechtlicher Sicht Konstruktionen von Abgaben mit Antriebs- und Ausgleichsfunktion.133
Baumol / Oates (1971), S. 42 ff. Ewringmann / Schafhausen (1985); Gawel (2011b), S. 213 ff. 131 Baumol / Oates (1988), S. 159 ff., sprechen hier von „efficiency without optimality“. 132 Ewringmann / Schafhausen (1985). 133 So wird in der Formenlehre lenkender Abgaben auch von der Anreizfunktion und der Ausgleichsfunktion gesprochen – siehe OVG Münster, Urt. v. 20. 9. 1983, DVBl. 1984, 348, 350; VGH Mannheim, Beschl. v. 27. 1. 1984, DVBl. 1984, 345 f.; BayVGH, Beschl. v. 18. 1. 1984, BayVBl. 1984, 279, 280. Dies dürfte im Wesentlichen den ökonomischen Kon129 130
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Tabelle 1 Modi der Berücksichtigung von Umwelt- und Ressourcenkosten (URK) nach umweltökonomischen Lenkungskonzepten Ressourcenpolitisches Ziel
Bemessung der angelasteten URK
Rolle der URK
Internalisierungsansatz
offen (wird dezentral als Ergebnis der Internalisierung bestimmt)
exakt nach externalisiertem Werteverzehr; bei PigouSteuer aber nur in Form des Grenzschadens im Optimum
Rechtfertigung der Belastung + Anleitung der Bemessung + individuelle Zurechnung (aber keine Abgeltung der URK im Optimum!)
Standard-PreisAnsatz
politisch definiertes Punktziel
im Ausmaß wie gerade zur PunktzielErreichung nötig
(ergänzende) Rechtfertigung der Belastung
Lenkungskonzept
Demeritorisierungs- Strukturwandel (all- nach politischem Eransatz gemeine Mindernut- messen zung ohne Punktziel) Quelle: verändert nach Gawel (2012c), S. 98.
Die in der bundesdeutschen Praxis anzutreffenden Wassernutzungsabgaben (Abwasserabgabe, Wasserentnahmeabgaben) unterfallen dem hier genannten dritten Typus.134 Demeritorisierungsansätze besitzen für politische Entscheidungsträger „angenehme“ Eigenschaften, da sie eine öffentliche Soll-Ist-Überprüfung von Umweltpolitik anhand fester Zielmarken nicht zulassen. Man muss allerdings auch sehen, dass in der Praxis etwa der Abwasserabgabe die theoretischen Alternativen einer Internalisierung, ja selbst eines Standard-Preis-Ansatzes gar nicht durchführbar sind:135 Eine monetäre Berechnung der Umwelt- und Ressourcenkosten ist in der Praxis mangels belastbarer, wissenschaftlich abgesicherter Methoden nicht möglich und wäre im Übrigen auch nur scheingenau. Auch die Versuche des SRU in seinem Gutachten von 1974,136 eine Einzelparameter-bezogene Berechnung des Abgabesatzes der Abwasserabgabe anhand des Standard-Preis-Ansatzes vorzunehmen, überzeugen in der Praxis aufgrund der breiten Palette an Schadparametern und der nach Branchen, Technologien und Stoffen variierenden Grenzvermeidungskostenfunktionen und deren fortlaufender Änderung nicht: Es ist daher in der Praxis nicht möglich, für zahlreiche Schadparameter einen einheitlichen Abgabensatz auf der Grundzepten von Substitutions- und Einkommenseffekten entsprechen (Verhaltensanreiz und Kaufkraftabschöpfung). 134 Siehe dazu Gawel et al. (2011), S. 68 ff.; Gawel (2011b), S. 220. 135 Dazu Gawel et al. (2014a), Abschnitt 3.1.4. 136 SRU (1974), S. 82.
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lage des Internalisierungs- oder des Standard-Preis-Ansatzes auch nur ansatzweise methodisch belastbar zu „berechnen“. Weder könnte so eine bessere Legitimation der „Abgabenpreise“ gelingen, noch wäre für den Gewässerschutz etwas gewonnen, wollte man sich auf praktisch undurchführbare und methodisch angreifbare „Berechnungen“ verlassen. Der Staat steht hier weiterhin klar in der politischen Gestaltungsverantwortung, der rechtlich nur bei evidenter Unverhältnismäßigkeit Grenzen gezogen sind. Bei der Lösung der Frage, in welcher praxistauglichen Form eine „Berücksichtigung“ von URK möglich und zielführend ist, weist daher die umweltökonomische Theorie seit Jahrzehnten gangbare Wege auf, ohne sich in der flächendeckenden Ermittlung etwa von Existenz- und Optionswerten für Fischpopulationen zu verstricken; die Abwasserabgabe demonstriert bereits seit 1976, wie eine Berücksichtigung von URK in der Praxis aussehen kann, ohne an übermächtigen Informationsanforderungen zu scheitern oder die Berücksichtigung von URK gar zu suspendieren, bis eine perfekte Internalisierung auch in der Praxis möglich erscheint, mithin zum Nimmermehrstag, wie mitunter gefordert wurde.137 Die bisher wenig produktiv auf Monetarisierung und Internalisierung fixierte URK-Debatte sollte endlich den im Begriff der „Berücksichtigung“ offensichtlich eröffneten weiten Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten zur Kenntnis nehmen und dabei auf Erkenntnisse einer jahrzehntelangen Befassung der Umweltökonomik mit der Problematik zurückgreifen. Demeritorisierende Wassernutzungsabgaben weisen hier einen pragmatischen Ausweg.138
5. Kritik an dezisionistischen Berücksichtigungskonzepten Wird – wie im Demeritorisierungskonzept – über Höhe und individuelle Zurechnung von URK in pauschalierter Form vom Gesetzgeber politisch entschieden, so wird das Berücksichtigungsgebot aus Art. 9 im Vollzug einem dezisionistischen Ansatz überantwortet. Hieran ist verschiedentlich Kritik laut geworden. So wird die Besorgnis geäußert, rein politisch definierte URK fielen hinter den Anspruch von Art. 9 zurück139 und würden die Gefahr einer „ineffizienten Ressourcenallokation“140 bergen. Eine rein politische URK-Festlegung sei unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte auch „nicht gewollt“.141 Selbst wenn sich dies aus der überaus komplexen Gesetzgebungshistorie zweifelsfrei herleiten ließe, so dürfte damit wohl eher die Besorgnis einer unzureichenden Umsetzung des Kostendeckungsgebotes So bei Desens (2008), S. 208. Gawel / Unnerstall (2014a). So wohl auch das Fazit bei Kolcu (2008), S. 90 f., der bei ähnlicher Abwägung Abgaben als pragmatische Lösung sieht. 139 So etwa Desens (2008), S. 208. 140 Ebenda, S. 205. 141 Ebenda, S. 208. 137 138
Die Berücksichtigung von Umwelt- und Ressourcenkosten nach Art. 9 WRRL
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zum Ausdruck kommen als ernstliche methodische Einwände, zumal diese fachwissenschaftlich in der Umweltökonomik gar keine Stütze fänden. Rechtspolitisch ist im Übrigen die Befugnis des Gesetzgebers zur politisch determinierten Anlastung von URK (bzw. zur Abschöpfung von gewässerbezogenen Sondervorteilen) typischerweise eher von Übermaß- denn von Untermaßbedenken begleitet: Hier steht der Gesetzgeber wohl eher im Verdacht, dass etwa die Fiskalfunktion von Instrumenten, welche pauschaliert angelastete URK zugleich als Aufkommen zu etatisieren verstehen (z. B. Abgaben), zu einer Überdehnung der Kostendeckungs- bzw. Lenkungsrechtfertigung Veranlassung gäbe.142 Insoweit kann jedenfalls demeritorisierenden Abgabenkonzepten kaum ernstlich entgegengehalten werden, sie böten generell aus Untermaßgründen keine ausreichende Gewähr für eine insoweit „angemessene“ (UAbs. 2 Sp.str. 1) Anreizsetzung durch URK-Berücksichtigung. Die Einschätzung einer Verdünnungsgefahr des aus Art. 9 Gebotenen bei „rein politischer Definition“ von URK, die wohl auch von der EU-Kommission geteilt wird,143 mutet rechtlich schon deshalb überraschend an, wenn man die – bisweilen sogar als fruchtlos eingeschätzte – Mühewaltung betrachtet, Art. 9 Abs. 1, insbesondere aber dem UAbs. 1 überhaupt etwas verbindlich „Gebotenes“ zu entnehmen. Vor dem Hintergrund des Auslegungsstreites um Art. 9 und der Schwierigkeiten, allein den Begriff der Umwelt- und Ressourcenkosten handhabbar zu machen, überrascht es, dass gleichzeitig pragmatische Vollzugskonzepte als unzureichend gelten sollen, wo doch das Referenzszenario des angeblich „Zureichenden“ gar nicht zur Verfügung steht. In Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1 ist den Mitgliedstaaten aufgegeben, den „Grundsatz“ der Kostendeckung zu „berücksichtigen“ und insoweit URK einzuschließen. Auf welche Weise diese Berücksichtigung eines Grundsatzes zu erfolgen hat, wird wohlweislich über die Präzisierungen in UAbs. 2 hinaus gerade nicht festgelegt. Art. 9 enthält keine Methodik zur Erhebung oder Inklusion der URK.144 Vielmehr ist Anhang III ausdrückliche eine kritische Abwägung von informationellem Datenbeschaffungsaufwand und dessen Ertrag zu entnehmen. Informations- und Datenprobleme setzen daher nicht nur praktisch und konzeptionell, sondern auch rechtlich dem insoweit im Vollzug Geschuldeten Grenzen. Es ist nicht im Ansatz ersichtlich, inwieweit eine Vorgehensweise, die ordnungsrechtlich zugestandene Restinanspruchnahmen von Gewässerdiensten nach Maßgabe politisch festgelegter Preisadministrierungen zu deren verbleibenden URK heranzieht und damit nach gängiger ökonomischer Lehre zur Effizienz der Gewässer142 Der Hinweis auf den angeblichen „Finanzhunger“ des Lenkungsabgaben-Gesetzgebers als legislativen Treiber ist notorisch – siehe nur Kirchhof (2000), der dadurch lenkende Abgaben gar „in Verruf“ geraten sieht. 143 Dies legen jedenfalls die Argumentation der Kommission im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland sowie die detaillierten Anforderungen im Rahmen des laufenden Reportings nahe. 144 Ebenso Unnerstall (2012), S. 101.
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nutzung145 beiträgt, hinter dem Auftrag zurückbleiben würde, den bloßen „Grundsatz“ zu „berücksichtigen“, die Kosten der Wasserdienstleistungen auch unter Einschluss von URK durch die Nutznießer decken zu lassen. Dass ein Tätigwerden eines nationalen Gesetzgebers insoweit die „genaue“ Kenntnis externer Werteverzehre oder gar ihrer jeweiligen Verursachungsbeziehungen auf der Ebene der einzelnen Gewässernutzer voraussetzen würde, ist nicht erkennbar und wäre im Übrigen auch gar nicht sinnvoll, weil es ihm jedwedes Tätigwerden unmöglich machen würde. Die vielfachen Relativierungen in UAbs. 1 („Grundsatz“, „berücksichtigen“) und UAbs. 3 (nochmalige Verhältnismäßigkeitsprüfung der „Auswirkungen der Kostendeckung“) beziehen sich gleichermaßen auf den Umstand, das Ausmaß und die Art und Weise einer „Berücksichtigung“ von URK. Es ist nicht überzeugend anzunehmen, das Ob und der Umfang der Kostendeckung bzw. des dabei vorgenommenen Einschlusses von URK sei abwägender Gestaltung der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber offen, nicht hingegen die Art und Weise des Einbezugs von URK.146 Art. 9 ist offensichtlich durchsetzt mit Ermessensspielräumen der Mitgliedstaaten; ausgerechnet die ohnehin kaum leistbare Ermittlung, Bewertung und Anlastung der URK soll hiervon ausgenommen sein? Wegen der weitreichenden Relativierungsbefugnis in UAbs. 3 besteht ohnehin keine Handhabe für eine methodisch ermessensfreie Implementation. Zumindest in der nationalen Rechtsprechung ist im Übrigen seit langem anerkannt, dass die Kostenbestimmung (konkret also etwa eine Abgabesatzfestlegung) notwendig politisch-dezisionistische Elemente enthalten muss, weil der Stand der umweltökonomischen Erkenntnisse Präziseres für die Praxis nicht zulässt. 147 In der Debatte um die URK-Anlastung im Rahmen von Art. 9 WRRL ist ein solch sicherer Rechtsboden mangels einschlägiger europäischer Rechtsprechung zwar noch nicht erreicht, die jahrzehntelange nationale juristische Befassung mit Abwasserabgabe und Wasserentnahmeentgelten lässt aber den Schluss zu, dass die Berücksichtigung von Umwelt- und Ressourcenkosten qua demeritorisierender Abgabe auch ein adäquater Ansatz zur Implementation von Art. 9 WRRL ist.148 Nachgerade paradox gerät aber die Sorge um eine politisch bedingte Verwässerung, wenn dieselben Autoren die zuvor für maßgeblich erklärten, ambitionierteren Ansätze der Internalisierung mangels Umsetzbarkeit mitunter sogar bis auf Weiteres 145 Effizienz bedeutet hier gerade nicht zwingend (Kosten-Nutzen-)Optimalität in der Ressourcennutzung – siehe Baumol / Oates (1988), S. 159 ff. 146 So wohl auch Reese (2013), S. 376: „All in all, this Article seems to provide an ample margin of discretion as to how and how far Member States apply the CRP [cost recovery principle] and pricing instruments“. 147 Siehe BVerfG, Beschl. v. 20. 1. 2010, NVwZ 2010, 831 – Wasserpfennig Niedersachsen. 148 So auch Gawel et al. (2014b). Ähnlich wohl auch Kolcu (2008), S. 90 f., der den „wirtschaftswissenschaftlich elegantesten Weg“ anzweifelt und vielmehr darauf geachtet sehen möchte, „wie ökonomische Instrumente auf praktikable und kostenwirksame Weise in den Dienst der WRRL gestellt werden können“.
Die Berücksichtigung von Umwelt- und Ressourcenkosten nach Art. 9 WRRL
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gänzlich zur Disposition zu stellen bereit sind.149 Bei der relevanten Alternative, ein theoretisch ambitioniertes Konzept wegen unlösbarer Praxisprobleme auf absehbare Zeit gar nicht, ein pragmatisches, bereits vielfach erprobtes und im Übrigen auch zielfunktionales Konzept hingegen sofort und mit vertretbarem Implementationsaufwand flächendeckend einsetzen zu können, kann dem konzeptionellen Zurückfallen des pragmatischen Ansatzes hinter das theoretische Konzept wohl kaum eine Schwächung des Berücksichtigungsauftrages für die Praxis entnommen werden. Das Gegenteil ist offensichtlich der Fall: Erst die pragmatischen Berücksichtigungskonzepte machen den Auftrag, beim Grundsatz der Kostendeckung auch URK „einzuschließen“, überhaupt erst handhabbar. Aus dem gleichen Grunde überzeugt auch die Sorge vor „ineffizienten Ressourcenallokationen“150 als Folge einer nur politisch geschätzten URK-Anlastung nicht: Abgesehen davon, dass alle verfügbaren Bewertungsmethoden lediglich – im Übrigen einander widersprechende – Schätzungen darstellen können, dürfte der Verzicht auf URK-Anlastung (oder die Wahl einer anderen Schätzung) dieses Unschärfeproblem kaum überzeugend aus der Welt schaffen. Dass der nationale Gesetzgeber insoweit an ein bestimmtes „Berechnungsergebnis“ zur Überwindung von Schätzunschärfen gebunden wäre, kann wohl ernstlich nicht behauptet werden und wird durch die in Art. 9 eingeräumten Ermessensspielräume ja gerade ausgeschlossen. Die Kritik verkennt schließlich auch die politische Gegendruckanfälligkeit scheingenauer Berechnungen: Stützt sich ein nationaler Gesetzgeber statt auf seine politische Bewertung auf eines von zahlreichen wissenschaftlich denkbaren Berechnungsergebnissen, die letztlich auch nur mögliche Schätzungen abgeben können, so dürfte die politische Legitimation umweltpolitischen Handelns weitaus brüchiger sein, da es für Interessengruppen ein Leichtes ist, Gegen-Berechnungen vorzulegen und die Argumentation zu erschüttern. So sind gegenwärtig auf dem Studien-Markt für die „URK des Klimawandels“ Werte zwischen 0 und 120 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent zu haben.151 Es ist offensichtlich, dass ein solch ambitionierter Quantifizierungsansatz mit zu hohem Detailanspruch klimapolitisches Handeln schwächt, nicht etwa stützt. Im Gegensatz zum Maßnahmenkostenansatz wahrt der Demeritorisierungsansatz im Übrigen auch eine eigenständige allokative Funktionaliät und belässt es nicht nur bei der Unterverteilung ohnehin anstehender Finanzierungslasten. Die besondere Qualitätssicherung, zu der gerade konzeptionell „verdünnte“ politische Demeritorisierungsansätze über Abgaben als ökonomische Preishebel in der Praxis in der Lage sind, wird nämlich noch deutlicher, nimmt man die im Schrifttum vorgeschlagenen pragmatischen „Internalisierungsderivate“ in den Blick (dazu oben V.4.): Hier wird Internalisierung mitunter eher symbolisch simuliert als theoretisch überzeugend umgesetzt. Schätzunschärfen können so allenfalls scheingenau gebannt, nicht aber wirklich überwunden werden. 149 150 151
So Desens (2008), S. 208. Ebenda, S. 205. Siehe etwa Tol (2012).
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Ersichtlich sind die gegen eine „politische Bestimmung“ geäußerten Bedenken getragen von der Sorge um ein „Untermaß-Szenario“, bei dem die Mitgliedstaaten durch politische Setzungen die URK-Inklusion gleichsam hintertreiben. Insoweit mögen „comparable systems for the reporting of utility costs“ 152 durchaus wünschenswert sein und die nötige Transparenz schaffen, um den Vollzug von Art. 9 WRRL zu überprüfen. An den durch Art. 9 eröffneten nationalen Umsetzungsspielräumen ändert dies aber nichts. Die gegen eine politisch-dezisionistische URK-Anlastung geäußerten Bedenken können mithin nicht überzeugen: Die Umsetzung des Art. 9 ist eine notwendigerweise mit erheblichen politisch-administrativen Entscheidungsspielräumen versehene Aufgabe und wird durch ein in der Praxis unmögliches Internalisierungskonzept ebenso wenig „gezügelt“ wie durch untaugliche Versuche, die Bewertung durch ein pragmatisches Rechenexempel oder durch derivative Konzepte zu ersetzen, die etwa den Nachweis der URK-Anlastung schlicht an den Verweis auf die Kosten durchgeführter Maßnahmen erledigen wollen. Die Implementation von Wassernutzungsabgaben, die eine „Restnutzung“ belasten, also ohne „abgeschnittene“ URK, aber auf Basis einer politischen Setzung operieren, vermag hier in der Praxis weitaus mehr zur Kostendeckung, zum Rückgang von Gewässerbelastungen und zur Erreichung guter Zustände beizutragen als eine fruchtlose Endlos-Diskussion um „noch bessere“ Internalisierungskonzepte, durch irrelevantes Datensammeln oder eine durch Hinweis auf Maßnahmenkosten bewirkte definitorische Schein-Lösung – selbst wenn die Höhe der Abgabe dabei letztlich eben „nur politisch“ definiert ist und nicht auf genauer Kenntnis der URK beruhen mag. Dieser dezisionistische Ansatz wird von Art. 9 WRRL gleichberechtigt eröffnet. Eine politische Bestimmung der URK, doch mit voller Restnutzungsveranlagung, dürfte jedenfalls deutlich weniger Abweichungen von perfekter, aber unmöglicher Internalisierung bringen als die durch Maßnahmenkosten willkürlich approximierten URK, die noch dazu bei Zielerreichung gleich ganz entfallen sollen. Sowohl unions- wie auch verfassungsrechtlich sind dem Gesetzgeber weite Spielräume zur Abschöpfung von Sondervorteilen und zur „Berücksichtigung“ von Umwelt- und Ressourcenkosten eröffnet. Eine umfassende Monetarisierung und flächendeckende individuell-verursachergerechte Zurechnung von externen Kosten ist praktisch nicht durchführbar und von UAbs. 1, der lediglich von einer Inklusion bei der „Berücksichtigung“ eines „Grundsatzes“ spricht, auch nicht alternativlos angesonnen. Weder könnte so eine bessere Legitimation der „Abgabenpreise“ gelingen, noch wäre für den Gewässerschutz etwas gewonnen, wollte man sich auf praktisch undurchführbare und methodisch angreifbare und damit politisch dauerhaft strittige „Berechnungen“ verlassen.153 Der Staat steht hier weiterhin klar in der politischen Gestaltungsverantwortung, der rechtlich nur bei evidenter Unverhältnismäßigkeit Grenzen gezogen sind. 152 153
EEA (2013), S. 14. Dazu näher Gawel / Unnerstall (2014a), S. 50 ff.; Gawel (2014b); ders. (2014c).
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6. Instrumente der Berücksichtigung Die Frage, wie eine URK-Berücksichtigung konkret ins Werk gesetzt werden soll, verweist nicht zuletzt auf die möglichen Instrumente einer URK-Anlastung. Als wohl unstrittig kann gelten, dass Art. 9 keine explizite Vorgabe von bestimmten preispolitischen Instrumenten zu entnehmen ist.154 Vielmehr ist dem Grundsatz einer URK-Berücksichtigung Genüge zu tun, wobei die Wahl der dazu ausersehenen Mittel den Mitgliedstaaten anheimgestellt bleibt. Ebenso unstrittig dürfte ferner sein, dass Wassernutzungsabgaben als funktionaler Hebel einer ergänzenden URKBerücksichtigung bei Wasserdienstleistungen insoweit in Betracht kommen. 155 Am stärksten wird dies bei Desens betont, die – ohne andere Instrumente dadurch auszuschließen – kurzerhand feststellt: „Die Richtlinie sieht in Art. 9 WRRL verbindlich den Einsatz von Abgabeninstrumenten vor.“156
Mithin kommen zur „Berücksichtigung“ von URK grundsätzlich sowohl direkt bepreisende Instrumente in Frage, die beim Nutzer eine Zahllast verursachen, als auch Maßnahmen, die indirekt, nämlich über eine bewirkte Verhaltensanpassung und die dabei zu schulternde „Lenkungslast“, eine Kostenübernahme sicherstellen.157 Umstritten ist hingegen, inwieweit bei einer konkret vorzunehmenden URK-Berücksichtigung auf ökonomische Instrumente gänzlich verzichtet werden kann, die eine URK-Anlastung auch im Wege einer Bepreisung der verbleibenden Restinanspruchnahme von Wasserressourcen vornehmen. Im juristischen Schrifttum ist die Formel verbreitet, dass auch das Wasserordnungsrecht insoweit ausreichend sei, da es hier ebenfalls zu einer gewissen Internalisierung externer Kosten komme: „In gleicher Weise wie das Recht der Abgaben und Gebühren ist jedoch grundsätzlich auch das Ordnungsrecht in der Lage, das Verursacherprinzip zu verwirklichen und die Internalisierung externer Umweltkosten sicherzustellen.“ 158
Dabei wird freilich regelmäßig verkannt,159 dass der europäische Gesetzgeber in UAbs. 2 Konkretisierungen der Anforderungen an die URK-Berücksichtigung vorgenommen hat, die nicht außer Betracht bleiben können (dazu oben III.4.). Im Zentrum steht dabei das Gebot, gegenüber den Inanspruchnehmern von Wasserdienstleistungen „angemessene Anreize“ zu einer gerade „effizienten Nutzung von WasStatt vieler Desens (2008), S. 205; Köck (2011), S. 65 ff. Kolcu (2008), S. 91; Gawel et al. (2011), S. 45 ff.; so auch Palm / Wermter (2008). 156 Desens (2008), S. 205. Auch Kolcu (2008), S. 91, sieht verursachergerechte Umweltabgaben im Rahmen der URK-Berücksichtigung bei Wasserdienstleistungen als geboten an. 157 So auch Reimer (2013), S. 448 („indirekte Wassergebührenpolitik“). 158 Durner / Waldhoff (2013), S. 59; ähnlich zuletzt Reimer (2013), S. 448 ff. A. A. Desens (2008), S. 205. 159 Dazu auch Gawel (2014d). 154 155
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serressourcen“ zu platzieren (UAbs. 2 Sp.str.1 – dazu oben III.4.). Käme es lediglich auf das Grundsatz-Berücksichtigungsgebot aus UAbs. 1 an, so wären die erheblichen Unterschiede ordnungsrechtlicher und ökonomischer Instrumente bei der Internalisierung externer Ressourcennutzungsfolgen160 in der Tat kaum beachtlich. Bisher sind aber im durchaus umfänglichen rechtswissenschaftlichen Schrifttum zu Art. 9 keine intensiven Bemühungen um Aufhellung des speziellen Gebotes erkennbar, den Wasserdienstleistungsnutzern „angemessene Anreize“ zu gerade „effizienter Ressourcennutzung“ zu überbringen.161 Im Lichte dieser Anforderung zur Ressourceneffizienz nämlich wirken sich die allokativen Unterschiede im Internalisierungsanspruch und in der Internalisierungsmethode ordnungsrechtlicher und sog. „ökonomischer“ Instrumente durchaus in erheblicher Weise aus.162 Zunächst sind Formulierungen, wonach auch das Ordnungsrecht „zur Internalisierung der externen Kosten“ beitrage“,163 unbestreitbar richtig, jedoch ohne Trennschärfe in Bezug auf die sich hier zu klärende Frage, inwieweit das Ordnungsrecht insoweit zugleich hinreichend sein kann. Auch steuerfinanzierte staatliche Maßnahmenprogramme „tragen“ – wenngleich homöopathisch verdünnt und außerhalb des Verursacherprinzips – nach Maßgabe der Inzidenz des Steuer- und Abgabensystems zur Internalisierung von URK „bei“. Die eigentlich interessierende Frage dürfte doch wohl sein, ab wann von „angemessenen“ Anreizen gesprochen werden kann, welche die Nutzer im Interesse des Gewässerschutzes zu nur noch „effizientem“ Ressourcenzugriff veranlassen. Die zutreffend zugespitzte Frage, „ob die Vorgabe einer ‚Wassergebührenpolitik‘ nach Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 1 WRRL – vorbehaltlich der zulässigen Ausnahmen – der Unentgeltlichkeit [der Ressourcennutzung] entgegensteht“164, und damit das Ordnungsrecht als nicht hinreichend ausweist, wird selten gestellt und vor allem bisher nicht überzeugend beantwortet. Unter Berufung auf ein „zielbezogenes Verständnis der Norm“, wonach die WRRL Effizienz „in den Dienst an den ökologischen Zielen“ stelle, will etwa Reimer auch andere Maßnahmen, insbesondere „an wasserfachlichen Kriterien orientierte Zulassungen“, die „sachgerecht“ zur Umwelt160 Dazu statt vieler Michaelis (1996); Endres (2013); Kemper (1993); mit Blick auf die Defizite des Umweltordnungsrechts eingehend Gawel (1994c); ders. (1999b), S. 237 ff.; ders. (1995b); ders. (1999c); ders. (1996); ders. (2009), S. 197 ff. 161 Reimer (2013), S. 449, spricht vom „wertungsbedürftigen Begriff der Effizienz“ und deutet ihn faktisch zur Effektivität um („Zielbezogenheit“); Kolcu (2008), S. 111, sieht lediglich eine „geringe Bestimmtheit“ und erkennt nicht den Zusammenhang zum Kostendeckungsprinzip. Desens (2008), verzichtet gänzlich auf eine explizite Auslegung. 162 Insoweit erstaunlich die kühne Behauptung von Durner / Waldhoff (2013), S. 59, das Ordnungsrecht sei gegenüber Abgabenlösungen mit Blick auf die URK-Anlastung gar „aus ökonomischer Sicht völlig gleichwertig“. 163 Reimer (2013), S. 448; ähnlich Durner / Waldhoff (2013), S. 59. 164 Reimer (2013), S. 448. Ähnlich auch Reese (2013), S. 367, mit Blick auf eine URK-Anlastung durch Standardsetzung: „Of course, there always remain the residual emissions of admissible pollutant loads.” Er sieht Abgaben durch Abs. 1 UAbs. 2 „gerechtfertigt”; inwieweit ihr Fehlen zu einem Vollzugsdefizit beitragen könnte, bleibt aber unklar.
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zielerfüllung beitragen, genügen lassen, ja hält diese gar für geeigneter. Eine „Fixierung auf direkte Bepreisung“ oder „instrumenteller Aktivismus“ seien demnach jedenfalls nicht geboten. Leider wird damit die Ausgangsfrage, ob Unentgeltlichkeit der Ressourcennutzung mit deren Nutzungseffizienz vereinbar sei, gar nicht beantwortet. Und durch die angebliche Ziel-Referenz von Ressourceneffizienz (dazu bereits oben III.4.) wird das Gebot zu günstigem Aufwands-Ertrags-Verhältnis (Effizienz) unversehens zur guten Zielerreichung (Effektivität) verdünnt und zugleich fehlinterpretiert: Zielerreichung kann nämlich effizient (mit minimalem Kosteneinsatz) oder aber ineffizient (unter Inkaufnahme von Verschwendung) gelingen; Art. 9 Abs. 1 UAbs 2 Sp.str. 1 erfordert aber eine effiziente Zielerreichung. Dass auch andere Maßnahmen Ziele erreichen können, beantwortet nicht die Frage, ob ihnen dies zugleich auf effizientem Wege gelingen kann. Das juristische Schrifttum weicht hier bislang der entscheidenden Frage aus. In diesem Zusammenhang ist nämlich kritisch zu würdigen, durch welche Defizite sich das Ordnungsrecht bei der Erfüllung dieser Effizienz-Aufgabe strukturell auszeichnet.165 Jahrzehntelange umweltökonomische Forschung hat hierzu eine erdrückende theoretische166 und empirische167 Evidenz zusammengetragen, von der sich das juristische Schrifttum im Ergebnis bisher weitgehend unbeeindruckt zeigt. Das in diesem Zusammenhang beliebte Argument, auf die besondere Effizienzleistung ökonomischer Instrumente komme es umwelt- oder verfassungsrechtlich letztlich nicht an,168 dürfte freilich mit Blick auf die explizite Effizienzforderung in UAbs. 2 Sp.str. 1 kaum mehr verfangen: Hier ist – anders als im übrigen Umweltrecht – erstmals und unmittelbar vom europäischen Gesetzgeber ein Effizienzgebot formuliert worden, dem zu entsprechen ist. Es geht also nicht mehr nur um einen (rechtlich unerheblichen) Mängelvorwurf der ökonomischen Disziplin, sondern um einen gesetzlichen Auftrag. Auch der aus der Instrumentendebatte bekannte (und im Bereich der Gefahrenabwehr auch beachtliche169) Umkehrvorwurf mangelnder ökologischer Schutzgewähr lediglich anreizender, auf umweltpolitisch geeignete Marktantworten bloß „hoffender“ Instrumente, greift hier ersichtlich nicht, wenn es gerade „nur“ um flankierende Vollkostendeckung von Wasserdienstleistungen geht. Vielmehr muss sich das Ordnungsrecht an dieser Stelle umstandslos und direkt in seinem komparativen Leistungsvermögen zu effizienter Anreizsetzung behaupten. Hier nun rücken die strukturellen Defizite des Ordnungsrechts bei der Bewirkung einer effizienten Ressourcenallokation ins Blickfeld:
165 Kritisch äußert sich Reese (2013), S. 373, der mit Blick auf die begrenzte Anreizwirkung von Emissionsstandards ausführt: „As a consequence, there are only limited incentives to reduce the pollution load“. 166 Siehe dazu nur Gawel (1994c); ders. (1999b); ders. (1995b); ders. (1996); ders. (2009), m. jew. w. Nachw. 167 Siehe hierzu nur die zahlreichen Studien, zitiert bei Wicke (1993). 168 Statt vieler Meßerschmidt (1999), S. 361 ff. m. w. Nachw. 169 Siehe dazu Gawel (1992); ders. (2001b), S. 249 ff.
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– Ordnungsrechtliche Steuerung setzt keine Anreize zu einer statisch effizienten Ressourcennutzung: Weder erhalten die Normadressaten Anreize zur Realisierung ihrer jeweiligen individuellen Minimalkostenkombination (stattdessen ist vordefinierter Stand der Technik zu realisieren) oder werden die Mindernutzungen im Nutzerkollektiv kostenminimal zusammengesetzt (Vermeidungskosten spielen allenfalls als Übermaßgrenze eine Rolle) noch können mangels Restnutzungsveranlagung die vollen Ressourcenkosten über Überwälzungsvorgänge allen Ressourcennutznießern entlang der Wertschöpfungskette signalisiert und diese ebenfalls zu effizienten Ressourcenentscheidungen angehalten werden. Ressourcenbezogene Wettbewerbsverzerrungen werden so gerade nicht beseitigt. – Ordnungsrechtliche Steuerung setzt darüber hinaus auch keine Anreize zu einer dynamisch effizienten Ressourcennutzung: Weder erfolgt eine automatische, dezentrale Verarbeitung von veränderten Rahmenbedingungen der Knappheitssituation (stattdessen zeitverzögerte Formulierung neuer Anforderungen und vollzugsdefizitäre und gegendruckanfällige Umsetzung über Bescheide) noch können Wettbewerbsprobleme (Reallokation von Ressourcennutzungen; Berücksichtigung von Newcomern) zufriedenstellend gelöst oder mit ökonomischen Instrumenten vergleichbare Innovationsanreize platziert werden.
Dass vor diesem Hintergrund eine Umsetzung von Art. 9, die umstandslos eine unentgeltliche Restnutzung gestattet, insoweit als „angemessener Anreiz“ zu „effizienter Ressourcennutzung“ gelten kann, erscheint doch – vorbehaltlich der Einschränkungen aus UAbs. 3 – höchst fraglich. Man mag die Frage der „Angemessenheit“ von Effizienzanreizen letztlich über UAbs. 3 dezisionistisch lösen wollen; danach könnte eine Beschränkung auf eine ordnungsrechtlich angesonnene Teil-Internalisierung gerade der nach UAbs. 3 zugestandenen Abwägung mit den Kostendeckungsfolgen entspringen (z. B. Schonungsmotive mit Blick auf die Belastung der Nutzer). Dabei sind jedoch auch die in UAbs. 3 und Abs. 2 angelegten Begrenzungen der Nichtbeachtung der Gebote aus UAbs. 1 und 2 im Blick zu behalten (Berichtspflicht aus Abs. 2; Referenz der Abwägung in Abs. 1 UAbs. 3 auf die Erfüllung des aus UAbs. 1 und 2 Gebotenen – „dabei“)170. Die beherzten Versuche jedoch, dem Ordnungsrecht bereits kategorial umstandslos eine äquivalente Effizienzleistung bei der Ressourcennutzung anzutragen wie den in Erwägungsgrund 38 ausdrücklich genannten „wirtschaftlichen Instrumenten“, überzeugen nicht einmal im Ansatz. Dies umso mehr, als damit abermals – und zwar nunmehr über die Instrumentenfrage – impliziert würde, dass Art. 9 im Ergebnis nichts weiter zu entnehmen sein sollte, als sich bereits aus den traditionellen ordnungsrechtlichen Antworten auf die übrigen Artikel der WRRL ergibt. Für die angeblich simultane Lösung des „Kostendeckungsproblems“ durch das jeweils herrschende Ordnungsrecht hätte es aber wohl kaum eines eigenen Artikels in der WRRL bedurft. Die Argumentation steht 170
Dazu zutreffend Kolcu (2010), S. 79 f.
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daher in bedenklicher Nähe zu anderen Versuchen, den Auftrag aus Art. 9 – soweit ihm nicht ohnehin jeglicher normativer Gehalt abgesprochen wird – zumindest definitorisch für den Vollzug zu erübrigen – durch enge Definition des Dienstleistungsbegriffs, durch vermeintlich simultane ordnungsrechtliche URK-Berücksichtigung bzw. durch angebliche Identität von Umweltschäden mit Maßnahmenkosten (Abschnitt V.3.) oder diverse Abschneidegrenzen (IV.4.). Jenseits der unbestrittenen grundsätzlichen Instrumentenoffenheit des Art. 9 stellt sich aber doch die Frage, welche Instrumente eigentlich praktisch geeignet und zugleich hinreichend sein sollen, Art. 9 Abs. 1 zu genügen, insbesondere „angemessene Anreize“ zu „effizienter“ Ressourcennutzung zu platzieren? Die Instrumentenoffenheit des Art. 9 impliziert jedenfalls nicht, dass es jenseits von Abgaben- und Entgeltlösungen wirklich praxisrelevante Alternativen zur hinreichenden Bewältigung der Vollkostendeckungsherausforderung – und nicht etwa zur allgemeinen Erreichung von Umweltzielen171 – gäbe. Bisher sind solche jedenfalls nirgends erwähnt worden und auch nicht ersichtlich. Hält man das Haftungsrecht oder Lizenzlösungen als Anreizhebel im Gewässerschutz für wenig praktikabel, so führt faktisch wohl an Wassernutzungsabgaben kein Weg vorbei. Dies wird wohl auch von Reese gesehen, wenn er betont: „Member States are, in any case, obliged to thoroughly assess the options of recovering financial, ecologic and resource costs and of stimulating mitigation efforts by levies and charges.“172
Dass dabei kaum eine flächendeckende Landschaft aus Abgaben das Ergebnis sein wird, liegt schon an dem spezifischen Problemlösungsbeitrag, den jeweiligen Einsatz-Anforderungen an und den Lenkungsgrenzen von Umweltabgaben.173 Insofern sind Vorstellungen „umfassender“ Wassernutzungsabgaben174 wohl von vorneherein illusorisch.175 Gleichwohl lässt sich der spezifische Auftrag aus Art. 9 umgekehrt kaum flächendeckend und dauerhaft mit Hilfe traditioneller ordnungsrechtlicher Ansätze bewältigen, welche die URK aus den jeweils noch zugestandenen Gewässerinanspruchnahmen gerade systematisch nicht berücksichtigen und keine Ressourceneffizienz für sich in Anspruch nehmen können. Art. 9 wäre wohl schlechthin überflüssig, wollte man ihm nur den Auftrag entnehmen, die bereits zur Erfüllung der übrigen Artikel der WRRL notwendigen ordnungsrechtlichen Maßnahmen zu ergreifen.
171 Dies wird bei Durner / Waldhoff (2013), S. 42 ff., konfundiert, die eine herausgehobene Stellung von Abgaben aufgrund von Art. 9 deshalb verneinen, weil Maßnahmenprogramme nach Art. 11 zur Erreichung der Umweltziele instrumentelle Diversifikation erfordern, was niemand bestreitet. 172 Reese (2013), S. 376. 173 Dazu auch Gawel (2012d). 174 Dazu aber insbesondere Palm (2006); Palm / Wermter (2008); Palm (2012), S. 215 ff.; Grünebaum et al. (2007) entwerfen ein analoges System von Kostenumlagen auf „alle“ Verursacher. 175 Dazu auch eingehend und differenziert Gawel et al. (2011).
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VI. Fazit Trotz der zweifellos erheblichen Auslegungsprobleme des Art. 9 WRRL lässt sich eine Berücksichtigung von Umwelt- und Ressourcenkosten materiell durchaus substantiieren. Hierzu trägt ein ohne weiteres zu gewinnendes, kohärentes Gesamtverständnis der drei Unterabsätze des Abs. 1 ebenso bei wie die bisher stiefmütterlich behandelte Auslegung des Anreiz- und Effizienzauftrages aus UAbs. 2, der URK inkludiert, ja konzeptionell voraussetzt: URK sind zugleich Bestandteil der Erfüllungspflicht aus UAbs. 2 („effiziente Ressourcennutzung“). Der nach Abs. 2 zugleich berichtspflichtige „Berücksichtigungsauftrag“ aus Abs. 1 UAbs. 1 wird in UAbs. 2 konkretisiert und in UAbs. 3 relativiert. Art. 9 Abs. 1 ist insoweit mitnichten ohne jeden normativen Gehalt; dies ergibt bereits eine systematische Auslegung. Allerdings lässt Art. 9 offen, wie die Inklusion und Berücksichtigung von URK methodisch oder instrumentell bewerkstelligt werden kann. Vor diesem Hintergrund überzeugt das unbedingte Festhalten an dem Versuch, die URK auch in der Praxis quantitativ zu fassen und wie Marktkosten handhabbar zu machen, nicht. Dieser Ansatz erzeugt nicht nur unvermeidlich (fragwürdige) Approximationen und derivative Konzepte, er lenkt zugleich die Aufmerksamkeit weg von den sich im Kern stellenden Aufgaben der Kostenverantwortung im Ressourcenumgang. Art. 9 Abs. 1 gebietet methodenoffen die schlichte „Berücksichtigung“ eines Grundsatzes; hier ist an den Erkenntnisstand der ökonomischen Theorie der Umweltpolitik anzuknüpfen, die sich von Internalisierungsansätzen als praktischer Handlungsgrundlage seit Jahrzehnten verabschiedet hat. Diese mittlerweile 100-jährige Debatte muss nicht neu geführt werden. Die Umweltökonomik diskutiert zudem seit über 40 Jahren konkrete Verfahren einer praxistauglichen „grundsätzlichen Berücksichtigung“ von URK im Rahmen einer komplexen und informationsbegrenzten Umweltpolitik, nämlich Instrumente der Umweltpolitik. Auf diesem dogmatischen Wissensstand muss aufgebaut werden. Eine Verabschiedung von einem zwingenden, quantitativen Approximationsanspruch ist dringend erforderlich, auch wenn die Ökonomie der Bewertung theoretisch und in aufwendigen Einzelfallstudien auf das Erfassungs- und Bewertungsproblem durchaus Antworten geben kann. Die dagegen vorgebrachten Bedenken, die an „rein politischer“ URK-Bestimmung Anstoß nehmen, überzeugen weder rechtlich noch konzeptionell. Insbesondere leisten die ins Spiel gebrachten Alternativen (Zuwarten, Datensammeln usw.) ersichtlich weit weniger für den Gewässerschutz. Trotz formaler Instrumentenoffenheit erfüllen faktisch nur Preisinstrumente, insbesondere Umweltabgaben die Kostenergänzungsfunktion konzeptionell hinreichend und zugleich praktisch umsetzbar. Insoweit gebietet Art. 9 für Wasserdienstleistungen (und zu deren Kosten beitragende sonstige Wassernutzungen) die preiskorrigierende Kostenergänzung durch Wassernutzungsabgaben, soweit nicht andere Instrumente die Erfüllungspflicht aus UAbs. 2 „angemessen“ sicherstellen oder eine
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nachvollziehbare Ausnahmerechtfertigung nach UAbs. 3 gelingt. Diese Ausnahmerechtfertigung ist aber nach Abs. 2 auch ausdrücklich vorzutragen und zu begründen. Sie dürfte im Übrigen kaum zu einer dauerhaften und vollständigen Suspendierung der URK-Berücksichtigung berechtigen. Eine URK-Obsoleszenz bei „guten“ oder gar herabgesetzten Umwelt-Zielzuständen sowie reine Maßnahmenkosten als URK-Proxy sind konzeptionell abzulehnen; sie finden auch in Art. 9 bzw. der WRRL insgesamt keine Stütze und führen konzeptionell in eine Sackgasse. Selbst wenn man der einschränkenden Auslegung der Bundesregierung auf Wasserver- und Abwasserentsorgungsdienste im Rahmen des Kostendeckungsgrundsatzes für Wasserdienstleistungen durch Art. 9 folgen wollte, ergeben sich aus der hier vorgestellten Auslegung durchaus auch für Deutschland interessante rechtspolitische Defizite. Dies betrifft etwa den Umstand, dass Bayern, Hessen und Thüringen weiterhin ohne ein Wasserentnahmeentgelt auskommen, wobei der Systemwettbewerb der 13 übrigen Erhebungsländer wohl das naheliegende Argument der „Unverhältnismäßigkeit“ gemäß Abs. 1 UAbs. 3 abschneiden dürfte.176 Außerdem bleiben die Kommunalabgabengesetze der Länder weiterhin ohne jede Referenz auf das Entgeltziel einer „effizienten Ressourcennutzung“ bei der Bewertung ansatzfähiger Kosten und stehen in vielfältige Weise in erheblichem Spannungsverhältnis zu den Kostendeckungs-Anforderungen aus Art. 9, dem nicht mit dem schlichten Hinweis auf einen hergebrachten Grundsatz ähnlichen Namens (aber völlig anderen Inhalts177) im Gebührenrecht beizukommen ist. Schließlich fragt sich, inwieweit die in Abs. 1 UAbs.2 Sp.str. 2 unmittelbar im Zusammenhang mit dem polluter paysPrinzip genannte Landwirtschaft weiterhin flächendeckend in Gewässerschutzfragen nachgerade in Umkehrung des durch Art. 9 Angesonnenen nach dem Grundsatz polluter profits behandelt werden kann.178 Auch ohne extensive URK-Buchführung oder die jahrzehntelange Klärung offener Methoden- und Datenfragen stellen sich so auch für Deutschland durchaus reizvolle sofortige Implementationsaufgaben auf der Grundlage völlig ausreichender Handlungs-Informationen. Die praktische Wirksamkeit des Prinzips der Kostenverantwortung nach Art. 9 als Teil eines Ordnungsrahmens für eine nachhaltige und ressourcenschonende Gewässerbewirtschaftung hat gegenwärtig wohl zwei einander entgegengesetzte, aber wirkmächtige Implementationsbremsen zu gewärtigen. Zum einen zeigt sich gerade im juristischen Schrifttum vielfach eine erstaunliche Mühewaltung um Ausweich- und Abwehrreaktionen gegenüber dem durch Art. 9 Dazu Gawel (2012c), S. 92. Siehe Gawel (2012a). 178 Siehe etwa das nordrhein-westfälische Wasserentnahmeentgeltgesetz (WasEG), wo landwirtschaftliche Bewässerung nicht nur von der Entgeltpflicht ausgenommen wird (§ 1 Abs. 2 Nr. 10 WasEG), sondern zugleich über Verrechnungen Anreize ausgebracht werden, die Landwirtschaft darüber hinaus auch als Destinatar von Zahlungen der Trinkwasserversorger einzusetzen (§ 8 Abs. 1 WasEG) – dazu kritisch mit Blick auf Art. 9 Gawel (2014a). 176 177
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Gebotenen: Angeblich unklarer und unaufklärbarer Normgehalt, Suffizienz des herkömmlichen Ordnungsrechts und des (materiell doch klar abweichenden) Kostendeckungsgrundsatzes im Kommunalabgabenrecht der Länder, enger Dienstleistungsbegriff, Abschneiden des URK-Berücksichtigungsauftrages bei Umweltzielerreichung und definitorische Erledigung der URK durch die ohnehin erforderlichen Kosten staatlicher Maßnahmen machten den Art. 9 als eigenständigen und besonderen Teil des Ordnungsrahmens einer nachhaltigen Wasserwirtschaft, der die Kostenverantwortung der Ressourcennutzer betont und im Interesse der Gewässerschonung einfordert, eigentlich komplett überflüssig. So wird eine ungeliebte und weithin wohl unverstandene Norm gleichsam definitorisch entsorgt. Dieser Marginalisierungsstrategie wird aber zu Recht weithin nicht gefolgt: Art. 9 bringt – auf legislativer Ebene – etwas grundsätzlich Neues in die Gewässerbewirtschaftung ein und „formulates new and unprecedented objectives for water management in Europe whose implementation will require the adaptation of existing practices“. 179 Diesem Auftrag müssen sich die Mitgliedstaaten stellen. Ungemach droht aber auch von der entgegengesetzten Seite: Denn auch Bestrebungen, die nunmehr mit Art. 9 endlich die Stunde der bisher doch längst überzeugend gescheiterten Internalisierungsstrategie der Umweltpolitik schlagen sehen und sich auf Jahrzehnte in fruchtlosen Diskussionen über „pragmatische“, aber kaum weniger aufwändige Buchführungen des kaum Greifbaren einrichten wollen, tun dem Gewässerschutz keinen Gefallen. Sie machen naheliegende Erfolge einer Strategie der Kostenverantwortung womöglich sogar unwahrscheinlicher, indem sie stattdessen den Blick auf ein fernes Trugbild, den großen Internalisierungswurf, richten und einfachere dezisionistische Ansätze tendenziell delegitimieren. Selbst eine gewaltige Bewertungs- und Buchführungsbürokratie um sektorspezifische Kostendeckungsgrade und Gebirge an Studien über deren methodische Eignung, die sich am Horizont abzuzeichnen drohen, werden aber kaum die politische Gestaltungskraft zur Lösung ganz schlichter Fragen wie die Heranziehung der Landwirtschaft zu den Folgekosten ihrer Gewässerinanspruchnahme ersetzen können. Einzelne Mitgliedstaaten zeigen seit langem mit pragmatischen Ansätzen wie der Abwasserabgabe (Deutschland) oder einer Pestizidabgabe (Dänemark, Schweden), 180 wie dem Prinzip der Kostenverantwortung im Interesse des Gewässerschutzes Genüge getan werden kann. Dem weitergehenden Druck zu umfassender und verbindlicher Kostenverantwortung im Umgang mit Gewässern sind die Mitgliedstaaten bereits bei der Formulierung des Art. 9 erfolgreich ausgewichen. Die auf gesetzlicher Ebene dadurch fehlende Verbindlichkeit nunmehr gleichsam im Vollzug des gemeinsamen Implementationsprozesses nachträglich zu erzwingen, erscheint nicht nur rechtlich fragwürdig – sie droht auch in einer bürokratischen Scheinblüte eines fruchtlosen URK-Berichtswesens zu verpuffen. Wertvolle Ressourcen werden so in zweifelhafte Kanäle gelenkt, und viel Zeit wird darüber verstreichen können. 179 180
Ammermüller (2011), S. 331. Zu einer Übersicht siehe OECD (2010).
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Es erscheint daher wohl sinnvoller und zugleich für die Ziele der WRRL aussichtsreicher, den Erkenntnisstand der ökonomischen Theorie der Umweltpolitik zur Umsetzung von Kostenverantwortung in praktischer Politik heranzuziehen, als abermals das bereits als unlösbar enttarnte Internalisierungsproblem nunmehr lösen zu wollen. Eine Gewässerschutzpolitik, die stets berücksichtigt, dass auch entgeltfreie Ökosystemleistungen niemals gesellschaftlich kostenlos sind (etwa bei zugestandenen Restnutzungen) und die zugehörige Kostenverantwortung im Lichte der Erkenntnisse der Umweltökonomik verursachergerecht, aber instrumentell differenziert ausgestaltet (Ge- und Verbote, Abgabenlösungen, Entgeltkalkulationsvorschriften), handelt im Sinne von Art. 9 WRRL. Ein standardisiertes Berichtswesen bzw. ein Benchmarking-Ansatz können hier die nötige Transparenz zwischen den Nutzungssektoren, Gewässerschutzbereichen und Mitgliedstaaten schaffen. Fatalistischer Attentismus, hypertropher Datensammlungsaktivismus oder eine Anschauung, die dezisionistische Ansätze zu delegitimieren sucht, erscheinen hier indes kaum weiterführend.
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Mikroverunreinigungen und vierte Reinigungsstufe: Das Leipziger Modell zur Finanzierung des Ausbaus von Behandlungsanlagen aus Mitteln der Abwasserabgabe Von Erik Gawel
I. Hintergrund Die Diskussion um die Anforderungen an die Abwasserbehandlung wird in jüngerer Zeit verstärkt von der Herausforderung der Elimination sog. Mikroverunreinigungen beherrscht. Hierunter werden Stoffe verstanden, die in sehr geringen Konzentrationen auftreten1 und nicht durch natürliche physiochemische oder biologische Prozesse entstanden sind. Obwohl nach heutigem Kenntnisstand eine Gefahr für die menschliche Gesundheit durch Mikroverunreinigungen nicht sicher belegt ist2 und auch die Auswirkungen auf Ökosysteme zwar belegbar aber noch in weiten Teilen unbekannt sind, mehren sich Stimmen, welche insbesondere im Hinblick auf organische Substanzen3 Handlungsbedarf im Bereich des Gewässerschutzes erkennen.4 Zur Eindämmung der Ausbreitung von Mikroverunreinigungen in Gewässern werden unter Verweis auf die vielen verschiedenen Herkunftsbereiche (u. a. Kosmetika, Reinigungs- und Arzneimittel oder Lebensmittelzusatzstoffen bis hin zu Industrie- und Agrarchemikalien) sowie Pfade, über die diese Verunreinigungen in Gewässer gelangen (u. a. Industrieabwässer, kommunale Kläranlagen, Bergbau, Deponien, Landwirtschaft, Atmosphäre) in aller Regel die Kombination mehrerer 1 Es existiert keine einheitliche Auffassung darüber, ab welcher Konzentration genau von Mikroverunreinigungen gesprochen werden sollte. Die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft (DWA) verweist auf Stoffkonzentrationen unter einem Milliardstel Gramm pro Liter, vgl. DWA (2013). Das Schweizer Bundesamt für Umwelt (BAFU) nennt hingegen die Größenordnung Millionstel und verweist auf unterschiedliche Vorstellungen in dieser Hinsicht, die je nach Umweltverhalten der Stoffe bzw. der verwendeten Analytik variieren [BAFU (2006) S. 56]. Abbeglen / Siegrist (2012), S. 8, nennen ebenfalls einen schwankenden Bereich von Nano- bis Mikrogramm pro Liter. 2 Z. B. Cunningham et al. (2009); Touraud et al. (2011). 3 Grundsätzlich umfasst der Begriff Mikroverunreinigung sowohl organische als auch anorganische Stoffe. Die Bedenken hinsichtlich der Wirkung von Mikroverunreinigungen im Wasser beziehen sich jedoch weitgehend auf organische Substanzen, siehe BAFU (2006), S. 56. 4 Z. B. Alliance for the Great Lakes (2011); Association of Metropolitan Water Agencies (2013); Emschergenossenschaft (2012); Schweizer Nationalrat (2013).
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Maßnahmen empfohlen, die entlang der gesamten Verursacherkette von Produktion, Vertrieb, Konsum und Entsorgung bis hin zur Wasseraufbereitung ansetzen.5 Eine herausragende Rolle spielen in der Diskussion aber zusätzliche Maßnahmen auf zentralen Kläranlagen („vierte Reinigungsstufe“). Obwohl einzelne Substanzen auch in Konzentrationen von Millionstel Gramm je Liter bereits in konventionellen Kläranlagen mit mechanischer und biologischer Behandlungsstufe weitgehend eliminiert werden,6 besteht überwiegend Konsens, dass der Umfang der Elimination in vielen Fällen unzureichend ist.7 Werden zentrale Kläranlagen als wichtiger Baustein in einer Strategie zur Reduzierung dieser Stoffe in Gewässern betrachtet, 8 müssen diese also mit zusätzlicher Behandlungstechnologie aufgerüstet werden. Bisher lag jedoch noch kein tragfähiges Finanzierungskonzept vor, wie die nicht unerheblichen Kosten einer Nachrüstung aufgebracht und dabei Kosteneffizienz und Fairness gleichermaßen Rechnung getragen werden kann. Im Auftrag des Umweltbundesamtes wurde dazu 2015 in einer umfassenden Studie das „Leipziger Modell“ entwickelt,9 dessen wesentliche Ergebnisse in diesem Beitrag referiert werden.
II. Das Schweizer Modell als Referenz Ausgangspunkt der Überlegungen war das „Schweizer Modell“. In der Schweiz sollen über die nächsten 20 Jahre rund 100 der dortigen 700 öffentlichen „Abwasserreinigungsanlagen“ (ARA) zur gezielten Entfernung von Mikroverunreinigungen ausgebaut werden. Zur Finanzierung wird ab 2016 für rund 25 Jahre eine neu geschaffene „Abwasserabgabe“ erhoben. Diese belastet die nicht in das Programm einbezogenen Kläranlagen pro angeschlossenem Einwohner mit maximal 9 CHF und wird zweckgebunden zur Bezuschussung von 75 % der Investitionskosten eingesetzt.10 In Deutschland wird bereits seit 1981 eine Abwasserabgabe nach dem Abwasserabgabengesetz (AbwAG) erhoben. Diese ist allerdings keine Finanzierungsabgabe, sondern richtet sich nach der Schädlichkeit des von industriell-gewerblichen und kommunalen Direkteinleitern stammenden Abwassers und hat daher einen Lenkungsauftrag. Auch sind die den Bundesländern zufließenden Mittel für die im Gesetz bestimmten Gewässerschutzzwecke (§ 13 AbwAG) längst verplant und stehen nicht zur nochmaligen Neuverteilung an. Dennoch fragt sich, in5 Bernath et al. (2012), S. 1; Daughton / Ruhoy (2013); Emschergenossenschaft (2012), S. 22; ISOE (2008), S. 36; IKSR (2010); Joss et al. (2008), S. 254; Kümmerer (2009), S. 2361; Metz (2013), S. 17 f.; Minister of Public Works and Government Services Canada (2007), S. 31; Stuart et al. (2012), S. 30 ff. 6 Etwa einige Steroide – siehe Smith / Rockett (2012), S. 35. 7 Z. B. Kosma (2014); o. V. (2013). 8 Siehe UBA (2015). 9 Gawel et al. (2015). 10 BAFU (2014).
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wieweit die deutsche Abwasserabgabe in ähnlicher Weise wie in der Schweiz zur Finanzierung von Behandlungsmaßnahmen gegen Mikroverunreinigungen bei ausgewählten Kläranlagen (etwa der Größenklasse 5) beitragen könnte.
III. Optionen einer Unterstützung der vierten Reinigungsstufe durch die Abwasserabgabe für ein deutsches Finanzierungsmodell Zum Zwecke der Unterstützung der Implementation der vierten Reinigungsstufe könnte die Abwasserabgabe grundsätzlich entweder unmittelbar eigenständige Eliminationsanreize in Bezug auf Mikroverunreinigungen ausbringen (Lenkungsfunktion), eine ggf. einzuführende diesbezügliche wasserrechtliche Anforderung im Vollzug unterstützen (Vollzugshilfe) oder aber einen Finanzierungsbeitrag leisten, und zwar entweder bei der Zahllast (Schonung bei der Erhebung) oder aber bei der anschließenden Mittelverwendung. Die Studie hat ergeben, dass eigenständige Anreize in Bezug auf eine Elimination von Mikroverunreinigungen im Rahmen des AbwAG entweder praktisch kaum implementierbar oder im Umfang zu schwach sind. Zudem wären diese von negativen Begleiterscheinungen mit Blick auf die Lenkungsfunktion gegenüber anderen Schadparametern oder gar dem Wesenskern einer Lenkungsabgabe sowie dem unionsrechtlichen Prinzip der Kostendeckung geprägt. Aus diesen Gründen scheiden eine Erweiterung des Parameterkataloges nach § 3 AbwAG, eine Prämierung durch Halbierung des Abgabesatzes analog § 9 Abs. 5 und 6 AbwAG oder die Inanspruchnahme oder gar Ausweitung von Verrechnungen nach § 10 Abs. 3 AbwAG aus. Dies gilt ebenso für die Heranziehung dieser instrumentellen Optionen zur Unterstützung einer eventuellen ordnungsrechtlichen Basis-Verpflichtung zur Elimination von Mikroverunreinigungen. Insgesamt weist eine aus dem Aufkommen der Abwasserabgabe gespeiste Förderpolitik mit Selbstbehalt unter Berücksichtigung eines gewissen Selbstfinanzierungseffektes die beste instrumentelle Kosten-Nutzen-Relation auf. Sie wäre zu flankieren durch eine Lenkungsertüchtigung der Abwasserabgabe mit Aufkommenserhöhung, um so die nötigen Mittel bereitzustellen und gleichzeitig andere Finanzierungszwecke sowie den eigentlichen Lenkungszweck der Abgabe nicht zu gefährden. Die Abwasserabgabe würde insgesamt lenkungspolitisch ertüchtigt und erbrächte dadurch ein höheres Aufkommen, das für eine Förderung eingesetzt werden kann. Das Zusatzaufkommen stockt sodann den Lenkungseffekt gezielt im Bereich der vierten Reinigungsstufe auf. Dies entspricht dem ursprünglichen „Aufstockungsmodell“ des Umweltsachverständigenrates (SRU).11
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SRU (1974).
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IV. Fördermodell mit Selbstbehalt Aus Effizienz- und Belastungsverteilungsgründen kommt stets nur eine Förderregelung mit Selbstbehalt in Betracht (wie in der Schweiz), d. h. der Betreiber wird nicht von allen Kosten freigestellt, sondern spürt noch eine relevante Last, die ihn selbst zu kostenminimaler Zielerreichung anhält. Die Notwendigkeit eines Selbstbehaltes ergibt sich nicht nur aus den betriebswirtschaftlichen Kosteneffizienzanforderungen für Eliminationsmaßnahmen, sie lässt sich auch aus den konkurrierenden Finanzierungszwecken der Abwasserabgabe herleiten: Denn je mehr (begrenzte) Mittel dem Zweck der Elimination von Mikroverunreinigungen zugeführt werden müssen, desto weniger stehen für andere wichtige Zwecke des Gewässerschutzes, etwa den Maßnahmenprogrammen nach der WRRL, zur Verfügung. Auch hier gebietet das Effizienzprinzip eine Beschränkung des Entlastungsvolumens. Ein drittes Argument ergibt sich aus Art. 9 WRRL, wo für Abwasserentsorgungsdienste der Grundsatz der Kostendeckung statuiert wird: Jede Ermäßigung der Refinanzierungslast über Gebühren stellt eine Verschonungssubvention dar, die zwar unionsrechtlich nach Art. 9 Abs. 1 UAbs. 3 WRRL als Ausnahme von der Regel gerechtfertigt werden könnte, aber dieser Rechtfertigung zunächst einmal bedarf. Es wird analog zur Regelung in der Schweiz ein Selbstbehalt in Höhe von 25% der Investitionskosten vorgeschlagen. Bei den Betriebskosten wird von einem begrenzten Selbstfinanzierungseffekt ausgegangen. Dieser ergibt sich durch eine gewisse Schädlichkeitsminderung des Abwassers als Folge einer vierten Reinigungsstufe.
V. Die Belastungs-Architektur des Leipziger Modells Die durch das Gesamtmodell eintretende Lastverteilung ist konzeptionell gut begründbar und auch zumutbar. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass alle durchgeführten Maßnahmen zur Elimination von Mikroverunreinigungen in vollem Umfang gebührenfähig sind. Die dafür anfallenden Aufwendungen sind uneingeschränkt ansatzfähige Kosten im Sinne des Kommunalabgabenrechts (z. B. nach § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG NRW) und damit von den Nutzern der jeweiligen Abwasserbehandlungsanlage zu tragen. Die Einrichtungsträger wären also nicht gehindert, die entsprechenden Kosten auf die Nutzer der Abwasserbeseitigungseinrichtungen umzulegen. Dies entspräche im Übrigen auch dem Kostendeckungsgrundsatz für Wasserdienstleistungen aus Art. 9 Abs. 1 WRRL. Der Hinweis auf „hohe Kosten“ einer vierten Reinigungsstufe ist deshalb – soweit nicht die volkswirtschaftliche Effizienz der vierten Reinigungsstufe insgesamt in Frage gestellt wird – im Wesentlichen ein Hinweis auf die politischen Kosten einer Gebührenerhöhung. Die Finanzierung der vierten Reinigungsstufe, soweit angeordnet oder freiwillig durchgeführt, kann daher ohne weiteres durch Regel-Refinanzierung über Entgelte erfolgen. Eine Lastminderung durch Bezuschussung verstößt insoweit sogar gegen den Grundsatz der Kostendeckung aus Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1 und 2 WRRL.
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Allerdings könnte die (sehr ungleiche) Verteilungswirkung einer volkswirtschaftlich effizienten Teillösung (wenige Kläranlagen reinigen unter hohem Aufwand, aber relativ am günstigsten, stellvertretend für viele) Veranlassung zu einer Ausnahme nach Art. 9 Abs. 1 UAbs. 3 WRRL geben. Danach können die Mitgliedstaaten „dabei“, also bei der Erfüllung ihrer Kostendeckungspflichten, insbesondere „den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Kostendeckung“ „Rechnung tragen“. Vorliegend kommt eine Abweichung vom Kostendeckungsgrundsatz aufgrund der „wirtschaftlichen“ und „sozialen Auswirkungen“ in Betracht, die eine volle Kostendeckung über Entgelte mit sich bringen würde. Aus volkswirtschaftlichen Effizienzgründen erfolgt die Elimination von Mikroverunreinigungen vorrangig im Abwassersektor und hier wiederum nur bei ausgewählten Großkläranlagen. Das bedeutet, dass aus Kosten-Gründen die Lasten – bei insgesamt komplexer Verursacher- und Eintragsstruktur – bewusst selektiv zugewiesen werden (Ansatz der sog. cheapest-cost avoider12). Die davon Betroffenen erbringen mithin ein „Effizienzopfer“ für die Allgemeinheit, indem sie zur Minderung der Belastung durch Mikroverunreinigungen im öffentlichen Interesse „günstig“ beitragen, aber die Minderungskosten allein übernehmen müssen. Zur Finanzierung des öffentlichen Gutes „Minderung der Belastung der Gewässer durch Mikroverunreinigungen“ könnten daher in angemessener Form auch diejenigen herangezogen werden, die zwar ebenfalls Verursachungsbeiträge zum Gewässergüteproblem leisten, aber aus Effizienzgründen dennoch maßnahmefrei bleiben. Dies würde es rechtfertigen, nicht die volle Kostenlast durch die Benutzer derjenigen Kläranlagen refinanzieren zu lassen, die Maßnahmen ergreifen, sondern einen Teil der Mehrbelastung gebührenmindernd auf andere Nutznießer zu verlagern. Dazu könnte gerade die Abwasserabgabe mit ihrem Mittelaufkommen beitragen, das von allen Direkteinleitern aufgebracht wird und damit auch jene Benutzer zur Finanzierung heranziehen würde, deren Abwasserbeseitigungsanlage, an deren Netz sie angeschlossen sind, keine spezifischen Maßnahmen zur Elimination von Mikroverunreinigungen vornimmt. Es ergäbe sich eine partielle Solidarfinanzierung der abwassereinleitenden Verursacher für die aus Effizienzgründen ausgewählten kommunalen Groß-Anlagen. Den Selbstbehalt tragen dann die Gebührenzahler der behandelnden Kläranlage, die übrigen Kosten alle Gebührenzahler gleichmäßig (Ausgleich des „Effizienzopfers“). Diese Überlegungen würden es zugleich legitimieren, dass die Belastung aus der Abwasserabgabe insgesamt für alle Einleiter anzuheben ist, um den beschriebenen Ausgleich dieses „Effizienzopfers“ der Wenigen für Viele zu finanzieren, ohne zugleich die übrigen Finanzierungszwecke der Abwasserabgabe über Gebühr zu beeinträchtigen. 12 Bei diesem rechtsökonomischen Konzept wird man bei komplexer Verursacher-Struktur vernünftigerweise denjenigen als Adressaten einer Regelung auswählen, der die kostengünstigsten Einwirkungsmöglichkeiten auf das Problem und den dazu besten Kenntnisstand bzw. das größte Informationsaufdeckungs- und Innovationspotenzial besitzt. Der zur Handlung verpflichtete „Verursacher“ wird also nach Effizienzgesichtspunkten ausgewählt – siehe dazu Schäfer / Ott (2005), S. 221 ff.
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VI. Leipziger und Schweizer Modell im Vergleich Die Konstruktion ähnelt dem Schweizer Modell, unterscheidet sich aber auch von diesem (vgl. Tab. 1). Gleichartig ist die Förderkomponente, unterschiedlich hingegen die Mittelbeschaffung. Das „partielle Solidarprinzip“ wird auch in der Schweiz angewendet: Auch dort erfolgt eine volkswirtschaftlich effiziente Reinigung nur durch „wenige“, eine Lastverteilung aber auf „viele“, die aber ebenfalls in einem Verursacherzusammenhang stehen. Ebenso wird ein 25prozentiger Selbstbehalt realisiert. Die beim AbwAG durch Ertüchtigung der Abgabe zu mobilisierenden zusätzlichen Mittel (Zusatzaufkommen) entsprechen dann dem Fördertopf des Schweizer Modells. Zugleich geht aber die deutsche Abwasserabgabe als kombinierte Wirkungszweck- / Verwendungszweckabgabe weiterhin konform mit dem Lenkungsanspruch ökonomisch effizienter Vorsorge bei der Abwasserbehandlung, ist also kein reines Solidarmodell der Refinanzierung, sondern ein kombiniertes „Aufstockungsmodell“ im Sinne des SRU. Die Mittelbeschaffung bleibt daher an den Lenkungsanspruch gebunden. Tabelle 1 Das Schweizer und das Leipziger Modell zur Finanzierung der Elimination von Mikroschadstoffen im Abwasser im Vergleich Modellelement
Schweizer Modell
Leipziger Modell
Grundkonzept
Finanzielle Förderung der MV-Elimination bei ausgewählten öffentlichen Groß-Kläranlagen
Kreis der Maßnahmenträger
100 von insgesamt 700 öff. Abwasserreinigungsanlagen (ARA)
Z. B. öff. Abwasserbehandlungsanlagen der GK5 (ca. 247 von rd. 9.500)
Finanzierungsquelle
(Schweizerische) Abwasserabgabe nach § 60b Gewässerschutzgesetz / Abwasserentgelte
(Bundesdeutsche) Abwasserabgabe nach AbwAG / Abwasserentgelte
Abgabetyp
Verwendungszweck-Abgabe
Kombinierte Wirkungszweck- / VerwendungszweckAbgabe
Erhebungsdauer
Befristet (bis 2040)
Unbefristet
Bemessungsgrundlage der Abgabe
Anzahl der an Nicht-Maßnahmen-ARA angeschlossenen Einwohner
„Schädlichkeit“ von industriell-gewerblichem und kommunalem Abwasser nach § 3 AbwAG
Belastungsgrund
Kostenumlage
Lenkung
Mikroverunreinigungen und vierte Reinigungsstufe
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Lenkungsimpuls in Bezug auf Schädlichkeitsminderung / Umwelt- und Ressourcenkosten der Abwassereinleitung
Bestimmungsgrund für die Höhe der Abgabe
Umlagebedarf aufgrund der Förderausgaben, maximal 9 CHF pro Einwohner
Mittelverwendung
Zweckgebunden für MV-Eli- Zweckgebunden für Gewäsmination serschutzzwecke nach § 13 AbwAG
Zuschussquote
75 % der Investitionskosten von Maßnahmen-Kläranlagen
Funktions-Logik der Förderung
Umverteilung von Kosten: (partielles) Solidarmodell durch Teilkompensation des „Effizienzopfers“
Flächendeckender Lenkungsanreiz mit a) Aufstockungseffekt und b) (partieller) Solidarkomponente durch Teilkompensation des „Effizienzopfers“
Ordnungsrechtliche Basisverpflichtung
Ausbau wird über Anforderungen der Gewässerschutzverordnung (GSchV) gesteuert
– Bewirtschaftungsbezogen nach WRRL (bisher nur in einigen Bundesländern praktiziert) – Emissionsanforderungen nach StdT (bisher nicht in AbwV verankert)
VII. Die Schlüsselrolle des Ordnungsrechts Für die Funktionalität der Abwasserabgabe ist die Verzahnung mit ordnungsrechtlichen Anforderungen an eine Elimination von Mikroverunreinigungen essenziell. Diese könnten emissionsorientiert nach dem Stand der Technik in der Abwasserverordnung niedergelegt oder aber bewirtschaftungsorientiert gemäß WRRL je nach Gewässersituation formuliert werden, wie dies gegenwärtig z. B. in NRW geschieht. Wollte man die Abwasserabgabe ohne eine solche ordnungsrechtliche Basis-Verpflichtung für Zwecke der Elimination von Mikroverunreinigungen einsetzen, so müsste entweder eine ineffiziente Vollfinanzierung aller Projekte erfolgen oder der Erfolg bliebe auf einzelne Pilot-Maßnahmenträger begrenzt bzw. auf Bundesländer, die die Problematik der Mikroverunreinigungen auch bewirtschaftungsorientiert angehen wollen. Die Abwasserabgabe kann daher letztlich immer nur flankierend wirken.
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VIII. Nachteile eines Fördermodells Allerdings ist die Teilfinanzierung der Elimination von Mikroverunreinigungen über Abgabemittel auch nicht frei von Nachteilen: Es stellt sich die Frage, inwieweit das von der Abwasserabgabe bereitgestellte Mittelaufkommen überhaupt ausreichen kann, um den absehbaren Zuschussbedarf zu befriedigen. Dies gilt insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass diese Mittel auch bisher nach § 13 AbwAG zweckgebunden Gewässerschutzmaßnahmen zugeführt wurden. Der neue Zweck der Förderung der vierten Reinigungsstufe träte damit in Konkurrenz zu den bisherigen, vielfältigen Verwendungszwecken, für die wiederum andere Finanzierungsquellen mobilisiert werden müssten. Im Rahmen des Leipziger Modells wird je nach Behandlungstechnik von einem jährlichen Zuschussbedarf in Höhe von 100 – 130 Mio. Euro für 15 Jahre13, d. h. ca. 33 bis 43% des gegenwärtigen Aufkommens der Abwasserabgabe (rund 300 Mio. Euro pro Jahr) ausgegangen. Es könnten sich überdies verzerrende Effekte zwischen den Ländern einstellen, je nachdem, wie hoch der Anteil an Groß-Kläranlagen ist: Müssen pro Land zahlreiche Kläranlagen der GK 5 mit einer vierten Reinigungsstufe nachgerüstet werden, so werden die Landes-Abgabemittel stark angespannt. Entsprechend wenige Restmittel verbleiben für die bislang aus dem Aufkommen finanzierten Zwecke. Dies könnte zu erheblichen Unwuchten zwischen den Ländern beitragen. Allerdings sind diese Unwuchten bereits durch die Auswahlregel für cheapest-cost avoider, d. h. Groß-Kläranlagen, bedingt und bestehen insoweit unabhängig von der gewählten Finanzierungslösung.
IX. Simultane Aufstockung des Aufkommens durch Lenkungsertüchtigung Im Rahmen des Modells ist daher eine gezielte Erhöhung des Aufkommens aus der Abwasserabgabe sinnvoll. Hierfür kommen vorzugsweise Änderungen im Regelwerk der Abwasserabgabe in Betracht, die gleichzeitig den Wesenskern der Abgabe als ökonomischen Hebel zur effizienten Vorsorge im Gewässerschutz für eine breite Palette an Schadparametern nicht antasten bzw. sogar stärken. Insoweit kann hier auf die Empfehlungen zur „Lenkungsertüchtigung“ der Abwasserabgabe zurückgegriffen werden.14 Eine Teil-Finanzierung von Maßnahmen zur Implementierung der vierten Reinigungsstufe aus dem Aufkommen der Abwasserabgabe bei gleichzeitiger Erhöhung dieses Aufkommens aufgrund einer lenkungsorientierten Ertüchtigung der Abgabenkonstruktion würde beiden Zielstellungen (Lenkung und Finanzierung) gleichermaßen gerecht. Zugleich würde eine unangemessene „Kanni-
13 14
Gawel et al. (2015), Abschnitt 6.4. Gawel et al. (2014).
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balisierung“ von Finanzierungszwecken, die aus dem Aufkommen der Abgabe zu bestreiten sind, eingedämmt.
X. Belastungseffekte für Abgabenschuldner und Gebührenzahler Die von dieser Lösung ausgehende Mehrbelastung der Abgabepflichtigen und der Gebührenzahler dürfte insgesamt auch vertretbar sein. Ohne Berücksichtigung von Reduzierungen der Abwasserabgabenschuld durch verbesserte Behandlungsleistung und von Bezuschussungen der Kapitalkosten ist gegenwärtig je nach Behandlungsverfahren von Mehrkosten der vierte Reinigungsstufe in Höhe von 8 bis 11 Ct / cbm Jahresabwassermenge auszugehen.15 Diese Größenordnung wird in der Literatur bestätigt.16 Zwar werden die höheren Betriebskosten auf Anlagen mit vierter Reinigungsstufe nur zu einem geringen Teil durch eine geringere Abwasserabgabe als Folge der zusätzlichen Reinigungswirkungen zu kompensieren sein.17 Andererseits kann die im Zuge des Reformszenarios „Lenkungsertüchtigung“ vorgeschlagene Messlösung zu Einsparungen bei der Abgabeschuld großer Kläranlagen beitragen. Die Realisierung der vierten Reinigungsstufe hat zweifellos erhebliche volkswirtschaftliche Lasten zur Folge, die aber je nach Bewertung der schwer bezifferbaren gesellschaftlichen Nutzen (vermiedene Umweltkosten von Mikroverunreinigungen in Gewässern) mehr als aufgewogen sein könnten.18 Eine Heranziehung bestimmter Teile des Abwassersektors als mutmaßlicher cheapest cost avoider ist dann unter Verursachergesichtspunkten nicht unangemessen. Ist die Entscheidung pro vierter Reinigungsstufe gefallen, so müssen die Lasten in jedem Falle in irgendeiner Form verteilt werden. Im Rahmen des „Leipziger Modells“ findet innerhalb des Abwassersektors eine Lastteilung statt: Diese wird organisiert über die 75%-Zuschussregel, den Selbstbehalt der Maßnahmenträger, den Selbstfinanzierungseffekt der Abwasserabgabe und über die strukturelle Anhebung der Abwasserabgaben-Zahllast zur Mobilisierung zusätzlicher Mittel. Selbst bei einer Verdoppelung des gegenwärtigen nominellen Abgabeaufkommens von knapp 300 Mio. Euro jährlich würden inflationsbedingt lediglich 80% des realen Kaufkraftentzuges der Abwasserabgabe aus dem Jahre 1994 realisiert.19 Dies ändert zwar nichts an einer (auch sprunghaften) nominellen Mehrbelastung als Folge einer Lenkungsertüchtigung eines refor-
Gawel et al. (2015), Abschnitt 6.4. Mertsch et al. (2013); Metzger et al. (2013). 17 Gawel et al. (2015), Abschnitt 6.4. 18 Dies belegen Zahlungsbereitschafts-Studien aus der Schweiz – siehe Logar et al. (2014); dies. (2015). 19 Gawel et al. (2014), S. 376. 15 16
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mierten AbwAG. Es zeigt aber deutlich, dass jedenfalls von einer unverhältnismäßigen oder unvertretbaren Belastung keine Rede sein könnte, denn sie würde nicht einmal das reale Niveau von Mitte der 1990er Jahre erreichen. Was die Belastung der Gebührenzahler angeht, so macht die Zahllast der Abwasserabgabe für kommunale Direkteinleiter recht konstant gerade einmal 2 – 5 % der gebührenfähigen Kosten der Abwasserbeseitigung aus.20 Diese Werte dürften zwar durch die extensive Nutzung von Verrechnungstatbeständen nach unten verzerrt sein; dennoch zeigen auch sie, dass eine künftige Mehrbelastung durch höhere Zahllasten der Abwasserabgabe durchaus keine unvertretbaren Zumutungen bereithalten dürfte. Die Auswirkungen auf die Abwassergebührensätze insgesamt ergeben sich freilich aus verschiedenen, z. T. gegenläufigen Effekten: – Erhöhung der ansatzfähigen und über Gebühren umzulegenden Kosten durch die jährlichen Kapitalkosten (Abschreibungen, Zinsen) sowie die Betriebskosten der Maßnahmen zur Implementation der vierten Reinigungsstufe, – Minderung der Kosten durch Bezuschussung der Kapitalkosten in Höhe von 75%, – Minderung der Kosten durch rückläufige Zahllast der Abwasserabgabe als Folge verbesserter Reinigungsleistung, – Erhöhung der Kosten durch Anhebung der Zahllast einer reformierten (lenkungsertüchtigten) Abwasserabgabe.
Die Nutzer von Anlagen ohne Maßnahmen zur Elimination von Mikroverunreinigungen wären nur durch den letzten Punkt betroffen. Sie müssten mit einer Erhöhung ihrer nominellen Belastung vor allem dann rechnen, wenn Investitionen bisher zu einer signifikanten Minderung der Abwasserabgabenschuld über Verrechnungen geführt haben. Für alle anderen Gebührenzahler, die Nutzer einer Kläranlage mit Elimination von Mikroverunreinigungen sind, machen sich hingegen sämtliche genannten Punkte bei der Gebührenhöhe bemerkbar. Der Netto-Effekt dieser EinzelEinflüsse ist naturgemäß nur grob abzuschätzen. In Bezug auf die Gebühren-Effekte einer Kläranlage mit bezuschusster vierter Reinigungsstufe gehen erste Schätzungen von einem geringen zweistelligen Cent-Betrag pro cbm aus, der über Abwassergebühren zusätzlich aufzubringen wäre.21
XI. Konzeptionelle Grundfragen bleiben Dass in einer übergreifenden Betrachtung die gesellschaftlichen Nutzen einer vierten Reinigungsstufe für ausgewählte Kläranlagen deren Gesamtkosten volks20 BGW / ATV-DVWK (2003), S. 3; http://www.bdew.de (abgerufen am 17. 04. 2013); ATT et al. (2015), S. 26. 21 Grünebaum et al. (2014), S. 882.
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wirtschaftlich übersteigen, muss – mangels genauer Bezifferbarkeit vor allem der Nutzen – politisch argumentiert und vertreten werden; dies wird im Rahmen des Leipziger Modells vorausgesetzt.22 Bei einer entsprechenden Begrenzung der Maßnahmen auf große Abwasserbehandlungsanlagen der GK 5 (zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit) sprechen jedenfalls weder das Verursacherprinzip 23 noch die Existenz anderer Eintragspfade (z. B. diffuse Quellen) oder die absolute Kostenhöhe a priori gegen diese grundlegende Annahme. Bei der Diskussion um die „Kosten“ der vierten Reinigungsstufe muss beachtet werden, dass zu den volkswirtschaftlichen Kosten auch die Umwelt- und Ressourcenkosten gehören, die dadurch anfallen, dass in Gewässer Mikroschadstoffe eingetragen werden. Und ist die Entscheidung zugunsten der vierten Reinigungsstufe gefallen, dürfen die „Mehrbelastungen“ für Abgabepflichtige und Gebührenzahler methodisch korrekt nur mit alternativen „Mehrbelastungen“ anderer Finanzierungsmodelle (etwa Steuererhöhungen) verglichen werden, nicht mehr aber mit dem Status quo. Nach dem Ansatz des cheapest-cost avoiders erscheint ein selektiver Zugriff auf ausgewählte Groß-Kläranlagen zur Adressierung der Problematik der Mikroverunreinigungen auch konzeptionell angemessen. Dass der Umweltstaat schließlich auch ohne wissenschaftlich exakten Nachweis bestimmter Gefahrenpotenziale im Umweltschutzinteresse handelt, entspricht dem Vorsorgeprinzip.
XII. Fazit Die Abwasserabgabe kann über Finanzierungen mit Selbstbehalt einen sinnvollen Beitrag zu einer selektiven Implementation der vierten Reinigungsstufe leisten. Sie sollte zu diesem Zweck gezielt fortentwickelt werden. Hierfür bietet sich das in der Leipziger Abwasserabgaben-Studie von 201424 entwickelte Reformszenario einer Lenkungsertüchtigung mit Zusatzaufkommen an. Für den Gesamt-Erfolg ist jedoch eine ordnungsrechtliche Basisverpflichtung zur Behandlung von Mikroverunreinigungen essenziell.
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22 Siehe aber die Schweizer Studien dazu von Logar et al. (2014); dies. (2015), die diese Annahme wissenschaftlich stützen. 23 Siehe dazu Gawel / Schindler (2015). 24 Schäfer / Ott (2005), S. 221 ff.
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Preise für Wasserdienstleistungen in Deutschland: Die Legende von der Kostendeckung Von Erik Gawel
I. Problemstellung Die EU-Mitgliedstaaten haben nach Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1 WRRL1 den Grundsatz der Kostendeckung (einschließlich Umwelt- und Ressourcenkosten) für Wasserdienstleistungen zu berücksichtigen („Berücksichtigungspflicht“). Ferner waren sie gemäß Art 9 Abs. 1 UAbs. 2 verpflichtet, bis 2010 dafür zu sorgen, dass ihre Wasserpreisgestaltung für die Wasserdienstleistungen angemessene Anreize für die Benutzer setzt, Wasserressourcen effizient zu nutzen („Erfüllungspflicht“ 2). Abweichungen hiervon sind unter Verweis auf „soziale, ökologische und wirtschaftliche Auswirkungen der Kostendeckung“ zwar zulässig (Art. 9 Abs. 1 UAbs. 3), aber auch berichtspflichtig (Art. 9 Abs. 2). Statuieren diese Vorgaben auch für die Wasserpreispolitik in Deutschland konkrete Anforderungen und folgt daraus eine Reformagenda – oder erschöpfen sich diese unionsrechtlichen Maßgaben in Preisgestaltungselementen, die in Deutschland längst hinreichend implementiert sind? Die für die deutsche Wasserpreispolitik zuständigen Gebietskörperschaften des Bundes und der Länder scheinen sich darauf verständigt zu haben, dass Deutschland außerhalb jedweder zusätzlicher Anforderungen aus Art. 9 WRRL stehe und sich mithin die entsprechenden Verpflichtungen ausschließlich an andere Mitgliedstaaten richteten. Das argumentative Grundgerüst hierfür besteht aus drei Elementen: – der Verkürzung des Wasserdienstleistungsbegriffs auf Wasserversorgung und Abwasserentsorgung (ohne Eigendienste), – den Verweis auf ein bereits seit langem implementiertes, gebührenrechtliches Kostendeckungsprinzip in den Kommunalabgabengesetzen der Länder, das Gebühren und (privatrechtliche) Entgelte der Wasserwirtschaft anleitet, – und den Hinweis auf die ergänzenden Wassernutzungsabgaben in diesem Bereich, die in Gestalt der Bundesabwasserabgabe und den derzeit in 13 Ländern er1 Richtlinie 2000 / 60 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23. 10. 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl. L 327 v. 22. 12. 2000, S. 1. 2 Köck (2011), S. 65 ff.
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hobenen Wasserentnahmeentgelten auf die Umwelt- und Ressourcenkosten der Wasserdienste zielen und diese preislich „berücksichtigen“. Unter Verwendung dieses Narrativs wurde jedenfalls seit Inkrafttreten der WRRL im deutschen Recht keinerlei rechtspolitische Mühewaltung sichtbar, eine Anpassung der deutschen Wasserpreispolitik an Art. 9 WRRL vorzunehmen. Soweit dieser Norm nicht sogar jedweder Verpflichtungsgehalt rundweg abgesprochen wurde, 3 begnügte man sich mit der Haltung, dass das Erforderliche in Deutschland längst geschehen sei. An dieser vorschnellen Genügsamkeit sind erhebliche Zweifel anzumelden. Dass Art. 9 WRRL nichts Konkretes oder jedenfalls Verpflichtendes zu entnehmen sei, ist an anderer Stelle bereits überzeugend zurückgewiesen worden.4 Im vorliegenden Beitrag soll es daher vielmehr um die Erfüllung der materiellen Anforderungen des Kostendeckungsprinzips aus Art. 9 WRRL in der deutschen Wasserpreispolitik gehen. Dazu ist zunächst ein Blick auf den Begriff der „Wasserdienstleistung“ zu werfen, auf den Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1 die Berücksichtigung des Kostendeckungsgrundsatzes beschränkt (Abschnitt II.). Sodann ist der kommunalabgabenrechtliche Kostendeckungsgrundsatz in den Blick zu nehmen (Abschnitt III.): Gibt dieser bereits ein tragfähiges wasserpreispolitisches Kostendeckungskonzept nach Art. 9 WRRL ab? Die Versuche eines empirischen Kostendeckungsnachweises sind Gegenstand von Abschnitt IV. In Abschnitt V. schließlich ist zu prüfen, wie es um die Deckung der „Umwelt- und Ressourcenkosten“ bestellt ist. Weite Teile des Schrifttums teilen jedenfalls die Einschätzung einer in Deutschland bereits vollumfänglich gelungenen Implementation des Art. 9 WRRL nicht. Dies gilt sowohl für die unverkennbaren Defizite des Kommunalabgabenrechts bei den Regelungen über die Entgeltkalkulation für Wasserver- und Abwasserentsorgung (III.),5 für die empirischen Kostendeckungsgrade dieser Entgelte (IV.),6 aber auch für die konzeptionellen Mängel und Lücken bei der Bepreisung für Umweltund Ressourcenkosten durch Abwasserabgabe und Wasserentnahmeentgelte (V.)7 sowie schließlich für die unterstellte Reichweite des Wasserdienstleistungsbegriffs (II.)8.
3 Siehe etwa Reinhardt (2006); Durner / Waldhoff (2013); jüngst wohl auch erneut Durner (2015), S. 178: „sybillinisch formulierte[r] Wortlaut“ ohne „weitreichende Konsequenzen“. 4 Siehe Gawel (2015a) m. w. Nachw. 5 Siehe nur Gawel (2012a); Desens (2008), S. 249 ff.; Kolcu (2008), S. 139 ff.; Schmutzer (2006). 6 Dazu insbesondere Gawel (2012b). 7 Dazu etwa Gawel (2015a). 8 Für einen weiten Dienstleistungsbegriff neben der EU-Kommission u. a. Unnerstall (2012); Stangl et al. (2012); Lindhout (2012); Lindhout / van Rijswick (2015); a. A. u. a. Reese (2013); Lange / Krull (2014).
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II. Begriff der Wasserdienstleistungen: Zur Reichweite der Kostendeckungspflichten Der Kostendeckungsgrundsatz und die Verpflichtung zu angemessenen Anreizen zu effizienter Ressourcennutzung aus Art. 9 Abs. 1 WRRL beziehen sich lediglich auf Wasserdienstleistungen, die in Art. 2 Nr. 38 WRRL legaldefiniert sind. Danach sind Wasserdienstleistungen „alle Dienstleistungen, die für Haushalte, öffentliche Einrichtungen oder wirtschaftliche Tätigkeiten jeder Art folgendes zur Verfügung stellen: a) Entnahme, Aufstauung, Speicherung, Behandlung und Verteilung von Oberflächen- oder Grundwasser; b) Anlagen für die Sammlung und Behandlung von Abwasser, die anschließend in Oberflächengewässer einleiten“. Die h. M., darunter Deutschland, will hierin lediglich Vorgänge erkennen, die auf der Grundlage menschlich erbrachter Dienste im Zusammenhang mit Wasserver- und Abwasserentsorgung stehen.9 Dem werden wohl überwiegend auch Eigenentnahme und Eigenentsorgung gleichgestellt.10 Eine Mindermeinung,11 darunter allerdings auch die Europäische Kommission, die darüber ein (freilich erfolgloses) Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland vor dem EuGH betrieben hat,12 sieht hingegen einen weiten Dienstleistungsbegriff, der – nicht zuletzt inspiriert durch das Konzept der „ecosystem services“13 – auch solche Aktivitäten umgreift, die keinen direkten Bezug zur Ver- oder Entsorgung aufweisen. Als Beispiele werden angeführt „die Entnahme, Aufstauung, Speicherung, Behandlung und Verteilung von Oberflächenoder Grundwasser für Zwecke wie Bergbauarbeiten, Kühlung von Industrieanlagen, Elektrizitätsversorgung, Schifffahrt, Hochwasserschutz und Bewässerung.“ 14 In dieser Frage gehen die Auffassungen von Europäischer Kommission einerseits und den Mitgliedstaaten Deutschland sowie Österreich, Schweden, Finnland, Ungarn, UK und Dänemark, die dem Verfahren als Streithelfer beigetreten waren, zu der Frage weit auseinander, ob Art. 9 WRRL hinsichtlich des Dienstleistungsbegriffes 9 Durner / Waldhoff (2013), S. 29 ff.; Reese (2013), S. 363 f.; Desens (2008), S. 148 f.; Kolcu (2008), S. 57. 10 Kolcu (2008), S. 57; Gawel et al. (2011b); Europäische Kommission (2011), Rn. 18. A. A. Durner / Waldhoff (2013). 11 Unnerstall (2006), S. 529; ders. (2009), S. 236 ff.; ders. (2012), S. 96 ff.; Stangl et al. (2012), S. 80; Lindhout (2012); van Rijswick / Havekes (2012), S. 430 ff.; Brackemann et al. (2002), S. 38 ff. Auch WATECO (2003), S. 73, spricht von einem „intermediary between the natural environment and the water use itself“, verlangt allerdings stets „human activities“. Wasserdienstleistung schließt nach dieser Interpretation auch hydromorphologische Veränderungen ein, die der Wasserversorgung oder dem Hochwasserschutz (Talsperren), der Schifffahrt oder der Energieversorgung dienen (S. 143). 12 Siehe EuGH, Urt. v. 11. 09. 2014 – C-525 / 12. Siehe auch die Klageerhebung durch die Kommission, ABl. C. 26 vom 26. 01. 2013, S. 35, und die auslösende Beschwerde der europäischen Umweltverbände: http://www.eeb.org/publication/20060717-EEB-WWF-ComplaintEC-on-WFD-application-final.pdf, abgerufen am 14. 04. 2015. 13 Statt vieler Jacobs et al. (2013); Grunewald / Bastian (2013). 14 Europäische Kommission (2011), Rn. 18.
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nach Art. 2 Nr. 38 WRRL weit oder eng auszulegen sei. Freilich hat der EuGH die Gelegenheit des Verfahrens erstaunlicherweise nicht genutzt, begriffliche Klarheit herzustellen; die konkrete Reichweite des Dienstleistungsbegriffs der WRRL bleibt damit bis auf weiteres unklar.15 Nachdem also auch das von der EU-Kommission gegen Deutschland angestrengte Vertragsverletzungsverfahren nicht zu einer klärenden Rechtsprechung des EuGH zum Begriff der „Wasserdienstleistung“ beitragen konnte und die enge Interpretation Deutschlands zwar nicht explizit bestätigt, aber eben auch nicht beanstandet wurde,16 sind damit konkrete Implementationsbemühungen um Art. 9 WRRL in Deutschland bis auf weiteres praktisch suspendiert, da hierzulande bereits umfassende Vollzugsmeldung in Bezug auf Wasserver- und Abwasserentsorgung erstattet wird. Dies fällt umso leichter, als inhaltlicher Auftrag und konkreter Verpflichtungsgehalt des Art. 9 WRRL umstritten und Gegenstand umfangreicher, zum Teil kontroverser Auslegungsbemühungen im Schrifttum sind. Auch nach über zehnjähriger intensiver Debatte sind unverändert Schlüsselbegriffe wie „Wasserdienstleistungen“ oder „Umwelt- und Ressourcenkosten“ ebenso umstritten wie der konkrete rechtliche Verpflichtungsgehalt17. Dabei sind die gegen eine weite Interpretation des Wasserdienstleistungsbegriffs vorgebrachten Argumente18 keineswegs zwingend: Die menschliche Mitwirkung beim „Dienstleisten“ ist gerade im Zusammenhang mit Naturleistungen (ecosystem services) konzeptionell nicht mehr begriffsprägend. Darüber hinaus hat der Begriff der „Dienstleistung“ im Deutschen eine deutlich engere Bedeutung als das englische „service“ in „water services“. Dem Hinweis auf angeblich kaum noch verbleibende komplementäre „Wassernutzungen“ bei zu extensivem Verständnis der Wasserdienstleistungen steht spiegelbildlich die Sorge der Kommission gegenüber, bei zu engem Verständnis verbleibe kaum eine spürbare Relevanz für das auf Dienstleistungen begrenzte Kostendeckungsprinzip. Und die dem Wort „und“ in der Aufzählung von Art. 2 Nr. 38 lit. a WRRL („Entnahme, Aufstauung, Speicherung, Behandlung und Verteilung von Oberflächen- oder Grundwasser“) bisweilen beigemessene Bedeutung als Hinweis auf eine begriffsnotwendige Verknüpfung aller dort benannten Vorgänge, was demnach auf Wasserversorgung schließen lasse, die diese Verknüpfung tatbestandlich erfülle, dürfte bereits sprachlich so kaum hinreichen. Von einer schlichten Aufzählung („A, B und C“) kann nicht ohne weiteres auf 15 Siehe zu Urteilskommentierungen Lindhout / van Rijswick (2015); Gawel (2015b); ders. (2015c); Seuser (2014); Reinhardt (2014). 16 So auch Melsheimer (2015), S. 62. 17 Exemplarisch für die Kritiker Schmalholz (2001), S. 89, der „sehr weitreichende Abweichungsmöglichkeiten“ bei gleichzeitig „überaus vagen und interpretationsfreundlichen Tatbestandsvoraussetzungen“ sieht. Ähnlich Reinhardt (2006), S. 740 f. („Worthülse“, „überwiegend programmatische Vorgabe“); Durner / Waldhoff (2013); Durner (2015) („sybillinisch“). Zu Recht a. A. Unnerstall (2009), S. 234; Kolcu (2010), S. 74; Desens (2008); Breuer (2008), S. 47 ff.; Köck (2011); Gawel (2014c). 18 Dazu zusammenfassend Reese (2013), S. 361 ff.
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eine logische Konjunktion geschlossen werden. Die WRRL macht an zahlreichen Stellen unbefangen von der Konjunktion „und“ Gebrauch, ohne dabei jeweils zugleich auch eine logische Konjunktion zu bezeichnen („die Sektoren Industrie, Haushalte und Landwirtschaft“ – Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 Sp.tr. 2; „Schätzungen der Menge, der Preise und der Kosten“ – Anhang III lit. a WRRL). Ganz im Gegenteil ist nämlich in Art. 2 Nr. 38 lit. a WRRL ausdrücklich die Rede davon, dass die genannten Vorgänge („Entnahme, Aufstauung, Speicherung, Behandlung und Verteilung von Oberflächen- oder Grundwasser“) für „wirtschaftliche Aktivitäten jedweder Art“ „zur Verfügung“ gestellt werden. Hätte der europäische Gesetzgeber eine schlichte Beschränkung auf Ver- und Entsorgung zum Ausdruck bringen wollen (und gerade nicht das Zurverfügungstellen für Aktivitäten jedweder Art), wäre dies sprachlich weitaus einfacher möglich gewesen. Wie auch immer man den Begriff der Wasserdienstleistungen auslegen mag: Der Begriff zielt nach einhelliger Auffassung zunächst im Kern auf die Sektoren der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung; er schließt dabei nach wohl h. A. auch die Eigenversorgung (Wasserentnahme) und die Eigenbeseitigung (Direkteinleitung von Abwässern in Gewässer) ein,19 erfasst aber nach h. M. nicht alle Handlungen, die mit Zugriffen auf das Wasser verbunden sind.20 Der Auftrag zu kostendeckender Wasserpreispolitik richtet sich damit im Kern zunächst unstrittig an die Preisgestaltung für die Dienstleistungen der kommunalen Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung. Damit sind zugleich die Kommunalabgabengesetze der Länder und die Tarifanforderungen für privatrechtliche Entgelte berührt. Bislang sind freilich unter pauschalem Verweis auf den Kostendeckungsgrundsatz im deutschen Gebührenrecht auch hier keinerlei Bemühungen um eine Anpassung der rechtlichen Anforderungen an Art. 9 WRRL erkennbar (dazu III.). Weitere Wassernutzungen durch Schifffahrt, Landwirtschaft oder Wasserkraft bleiben ebenfalls außerhalb rechtspolitischer Überlegungen zur Umsetzung von Art. 9 WRRL, da wohl auch nach dem EuGH-Urteil von 2014 vertreten werden kann, dass ihnen bereits tatbestandlich die Eigenschaft einer „Wasserdienstleistung“ abgehe.21
III. Der kommunalabgabenrechtliche Kostendeckungsgrundsatz als wasserpreispolitisches Kostendeckungskonzept nach Art. 9 WRRL? Beschränkt man sich im Folgenden auf Dienste der Wasserver- und Abwasserentsorgung, so fragt sich, inwieweit der Grundsatz der Kostendeckung bei deren Wasserpreispolitik bereits angemessen berücksichtigt bzw. den Erfüllungspflichten 19 Für eine Einbeziehung u. a. Kolcu (2008), S. 57 f.; Gawel et al. (2011b); Europäische Kommission (2011), Rn. 18. A. A. Durner / Waldhoff (2013). 20 Kolcu (2008), S. 57 f. 21 So die Argumentation der Bundesregierung, im Verfahren C-525 / 12.
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aus Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 WRRL Genüge getan wird. Zentrales Argument von Bund und Ländern ist hierbei der Verweis auf den kommunalabgabenrechtliche Grundsatz der Kostendeckung, der nach der Rechtsprechung als wesentlicher Grundsatz der öffentlich-rechtlichen Finanzgebarung auch für privatrechtliche Entgelte über § 315 BGB („Billigkeit“) Maßgeblichkeit22 beansprucht. Mit diesem Gebührengrundsatz sei bereits eine angemessene und ausreichende Umsetzung des aus Art. 9 Abs. 1 WRRL Gebotenen gewährleistet, was weitergehenden Handlungsbedarf erübrige.23 Bei dieser beherzten Argumentation wird freilich vollkommen verkannt, dass das kommunalabgabenrechtliche Kostendeckungsprinzip zunächst inhaltsleer ist und vollständig von der materiellen Bestimmung der sog. „ansatzfähigen Kosten“ abhängt.24 D. h. es muss die Frage gestellt werden: Abdeckung zu 100 %, aber von welchen Werteverzehren genau? Kosten als bewerteter Güterverzehr sind kein Gegenstand physikalischer Messungen, sondern ökonomischer Bewertungen, die höchst unterschiedlich ausfallen können – je nach Bewertungskonzept, von denen es sehr viele gibt.25 Daher kann das Kostendeckungsprinzip des Gebührenrechts als Beleg für die angemessene Umsetzung von Art. 9 Abs. 1 WRRL überhaupt erst dann herangezogen werden kann, wenn zugleich auch die Art und Weise der Ermittlung ansatzfähiger Kosten nach einem mit Art. 9 übereinstimmenden Ziel- und Bewertungskonzept erfolgt. Dies ist bisher aber nicht der Fall. Die Kalkulationszielsetzungen im Kommunalabgabenrecht sind bislang allesamt einrichtungs- und kaum je ressourcenbezogen und unterliegen hinsichtlich der Zielstellung der Kalkulation überdies dem Streit. Zudem wird die Ansatzfähigkeit der Kosten von 16 Landesgesetzgebern höchst unterschiedlich ausgelegt – mit der Folge ganz erheblicher denkbarer Preisspannen. Der Auftrag, „die Kosten“ einer Dienstleistung zu decken, ist aus ökonomischer Sicht weit weniger eindeutig, als es zunächst den Anschein haben mag: „Kosten“ sind bewerteter Werteverzehr, der bei der Erstellung einer Leistung anfällt. 26 Es ist mithin ein Bewertungsvorgang erforderlich. Daher sind Kosten keine im naturwissenschaftlichen Sinne exakt messbare Erscheinung, sondern das Ergebnis eines stets zielbezogenen Bewertungsaktes: Die Kostenhöhe soll im Hinblick auf eine bestimmte Zwecksetzung Informationen liefern; je nach Informationsbedürfnis fällt dann aber auch die Bewertung desselben physischen Werteverzehrs unterschiedlich aus. In der Betriebswirtschaftslehre gilt deshalb der Satz „different costs for different
Dazu im Überblick Reinhardt (2008), S. 125 ff. m. w. Nachw. Siehe nur UBA (2001), S. 45 f.; so auch BMU (2010), S. 80; ähnlich Knopp (2001), S. 13, 15; Budnick (2001), S. 101, 106; Hansjürgens / Messner (2006), S. 423; Schulte / Wiesemann, in: Driehaus (2015), § 6, Rn. 490; Schmalholz (2001), S. 88. 24 So überzeugend OVG Münster, Urt. v. 1. 7. 1997 – 9 A 6103 / 95, S. 14. 25 Siehe Gawel (2012a). 26 Siehe Wöhe (2008), S. 305. 22 23
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purposes“.27 Dies ist der Kern des sog. „wertmäßigen Kostenbegriffs“,28 der die Kostenhöhe mit Blick auf einen bestimmten Kostenrechnungszweck ermittelt: Soll etwa die Kostenhöhe über einen bestimmten Refinanzierungsbedarf informieren oder über die Wirtschaftlichkeit der Produktion? Entsprechend wären etwa Abschreibungen von Wirtschaftsgütern, die bereits voll abgeschrieben wurden, aber noch Leistung abgeben, entweder zu vernachlässigen (weil die Refinanzierung bereits gesichert wurde) oder aber zwingend einzubeziehen (weil ansonsten eine Verzerrung der periodenbezogenen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung einträte). 29 Wer wissen will, ob „die Kosten“ gedeckt werden, muss also zunächst einmal explizieren, worauf die Kostenrechnung zwecklich ausgerichtet ist und wie sich vor diesem Hintergrund die anzusetzenden Kosten jeweils darstellen – m. a. W: um welchen Werteverzehr es sich bei „den“ zu deckenden Kosten genau handelt. Die anschließende Abdeckung dieser Kostengröße zu 100 % ist nur noch ein formaler Vorgang. Entscheidend ist vielmehr die Vorfrage, welche Kosten eigentlich zu decken sind. Das OVG Münster hat dieses Problem mit Blick auf die Kalkulation kommunaler Benutzungsentgelte klar erkannt und gesteht dem gebührenrechtlichen Kostendeckungsprinzip daher zu Recht lediglich den Stellenwert einer formalen Hülle zu: „Wenn auch aus dem Kostenüberschreitungsverbot abzuleiten ist, dass die Gemeinde mit den Gebühren keine die ansatzfähigen Kosten übersteigenden Gewinne erwirtschaften darf, lässt sich dem Kostenüberschreitungsverbot jedoch nicht entnehmen, wann denn solche unzulässigen Gewinne vorliegen. Das Kostenüberschreitungsverbot ist insoweit inhaltsleer und erlangt erst durch die Bestimmung der ansatzfähigen Kosten in § 6 Abs. 2 KAG seine Beschränkungsfunktion; mithin knüpft das Kostenüberschreitungsverbot lediglich an den Kostenbegriff des § 6 Abs. 2 KAG an, bestimmt aber nicht dessen Inhalt.“ 30
Mit anderen Worten: Zunächst ist zweckbezogen zu klären, welches die jeweils ansatzfähigen Kosten sind, bevor eine Konkretion des Kostendeckungsgebotes (oder Überschreitungsverbotes) erfolgen kann. Folgerichtig konzentriert sich die kommunalabgabenrechtliche Debatte über die „richtige“ Gebührenhöhe seit langem auf die Frage, welches denn im Rahmen der Daseinsvorsorge angemessene Kalkulationsziele seien und wie diese kalkulatorisch zielkonform in Entgelte umzusetzen sind: Es ist der Streit um die zielbezogen „ansatzfähige Kosten“.31 Art. 9 WRRL greift ersichtlich in diese Debatte ein. Vor diesem Hintergrund ist es daher unerlässlich, sich über den durch Art. 9 WRRL konturierten Kalkulationszweck und die daraus abzuleitenden „ansatzfähi27 Siehe Schneider (1997), S. 44: „Der Rechnungszweck bestimmt über das Rechnungsziel den Rechnungsinhalt“; für den Gebührenbereich u. a. Gawel (1999a), S. 49. 28 Dazu Wöhe (2008), S. 922 f.; für den Gebührenbereich Gawel (1995a), S. 240 ff. 29 Dazu Gawel (1994b), S. 248. 30 OVG Münster, Urt. v. 1. 7. 1997 – 9 A 6103 / 95, S. 14. 31 Dazu im Überblick Gawel (1999a); Schulte / Wiesemann, in: Driehaus (2015), § 6, Rn. 22 ff.
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gen Kosten“ Klarheit zu verschaffen, bevor die Erfüllung von Kostendeckungspflichten konkret überprüfbar wird. Der bloße Verweis aus das „inhaltsleere“ Kostendeckungsprinzip des Kommunalabgabenrechts genügt daher nicht ansatzweise den Anforderungen einer sachgerechten Auslegung. Eine solche Diskussion um den aus Art. 9 WRRL abzuleitenden Entgelt-Kalkulationszweck und seine Ausstrahlung auf das nationale Kommunalabgabenrecht ist bisher – soweit ersichtlich – nicht einmal begonnen worden.32 Worin besteht nun der Kostenzweck des Art. 9 WRRL? Nach der WRRL soll der anthropogene Nutzungsdruck auf die Gewässer so weit reduziert werden, dass die Ziele der Richtlinie, insbesondere des „guten Zustandes“, erreicht werden können. Art. 9 stellt klar, dass hierzu auch über Preise vermittelte Kosteninformationen an die Nutzer einzusetzen sind. Der Zielerreichung nicht dienlich wären jedenfalls Preissignale, die nicht den vollen Werteverzehr bei der Inanspruchnahme von Wasserdienstleistungen widerspiegeln und damit zu „ineffizienter“ Übernutzung Veranlassung geben. Ökonomisch „effizient“ ist eine Ressourcennutzung dann, wenn die Grenznutzen der Inanspruchnahme die (vollen sozialen) Grenzkosten gerade noch ausgleichen können. Unvollständige Preissignale (fehlende Vollkostendeckung) verzerren dieses Kalkül und begünstigen eine gesamtwirtschaftlich suboptimale Übernutzung, die sich als Zustandsverschlechterung der Gewässer ausdrückt. Die Deckung der Kosten (einschließlich der Umwelt- und Ressourcenkosten) verfolgt damit ein Ressourcenlenkungsziel. Art. 9 WRRL ist ersichtlich weder an der Refinanzierung historisch eingesetzten Kapitals von Einrichtungen des Wasserdienstleistungssektors noch an der Substanzerhaltung der dort zum Einsatz kommenden Infrastruktur interessiert. Art. 9 WRRL verpflichtet auf eine Preisgestaltung, die eine effiziente Nutzung der (ökonomisch) knappen Ressource Wasser ermöglicht. Zu diesem Zweck sind den Nutzern von Wasserdienstleistungen über den Preis zutreffende Informationen über den beim Genuss von Wasserdienstleistungen eintretenden volkswirtschaftlichen Werteverzehr zu vermitteln, der insbesondere die Auswirkungen auf den Gewässerzustand umgreift. Art. 9 WRRL verfolgt damit ganz offensichtlich eine Ressourcenlenkungsperspektive.33 Das gemeinschaftsrechtliche Kostendeckungsgebot zerfällt damit in eine formale Deckungskomponente, wonach die identifizierten Kosten – vorbehaltlich der Ausnahmeregime nach Art. 9 Abs. 1 UAbs. 3 – jeweils vollumfänglich durch Entgelte zu decken sind (100%-Regel), und eine materielle Komponente, der zu entnehmen
32 Trotz umfangreicher Prüfung belässt es etwa Kolcu (2008), S. 148, dabei, Art. 9 WRRL ebenfalls einen wertmäßigen Kostenbegriff zu entnehmen und insoweit „Übereinstimmung“ mit dem Kommunalabgabenrecht festzustellen. Desens (2008), S. 309 ff., hält zu Recht die Anwendung „betriebswirtschaftlicher Grundsätze“ zur Ermittlung der Ansatzfähigkeit für mit Art. 9 vereinbar, prüft aber nur kalkulatorische Einzelfragen. Siehe aber aus der ökonomischen Literatur Ammermüller (2011), S. 61 ff., die wiederum nicht die Ausstrahlung auf das deutsche Gebührenrecht analysiert. In jüngerer Zeit aber dazu Gawel (2011), S. 299 ff.; ders. (2012a). 33 Zu den verschiedenen Zielsetzungen, die eine Gebühren-Kostenrechnung anleiten können Gawel (1995a), S. 197 ff.
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ist, was jeweils als relevanter, zu deckender Werteverzehr anzusehen ist – nämlich eine Bewertung, die gerade effiziente Nutzungsanreize beim Leistungsempfänger setzt. Diese materielle Komponente, also die Feststellung, was nach Art. 9 WRRL als ansatzfähige Kosten anzusehen ist, wurde bislang überhaupt noch nicht angemessen ausgeleuchtet. Erst recht wurde bisher keine überzeugende Verbindung zur gebührendogmatischen Diskussion um ansatzfähige Kosten im Rahmen des wertmäßigen Kostenbegriffs34 des nationalen Rechts hergestellt, um Diskrepanzen zum geltenden Kommunalabgabenrecht aufzudecken. Lediglich mit Blick auf einzelne Ansatzfähigkeitsprobleme, etwa der Zinsfreiheit des sog. Abzugskapitals, zeigen sich im Schrifttum Bemühungen.35 Art. 9 WRRL hat schlicht einen neuartigen Kalkulationszweck für kommunale Entgelte im Bereich der wasserbezogenen Ver- und Entsorgungsdienstleistungen verbindlich gemacht: Nicht länger eine jeweils auf die leistende Einrichtung bezogene finanzwirtschaftliche Refinanzierungsperspektive oder eine betriebswirtschaftliche Substanzerhaltungsperspektive sollen die Kalkulation anleiten, sondern vielmehr eine gesamtwirtschaftlich ausgerichtete Ressourcenlenkungsperspektive: 36 Danach informieren die Entgelte über die volkswirtschaftliche Knappheit der in Anspruch genommenen Wasserressourcen und halten die Nutzer zu effizienten Entscheidungen an. Dies ist bei europarechtskonformer Auslegung des Kommunalabgabenrechts zwar ohne weiteres mit der Ansatzfähigkeit von Kosten „nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen“ (z. B. § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG NW) vereinbar, denn die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung kann auch diesen Kalkulationszweck abbilden, sieht man einmal von (externen) Umwelt- und Ressourcenkosten ab, die zweckmäßigerweise durch ergänzende Preisinstrumente jenseits der Kommunalentgelte abzudecken sind.37 Eine solche Auslegung muss aber zunächst einmal vorgenommen und die Konsequenzen für die Wassergebührenkalkulation gezogen werden. Hiervon zeigen sich bisher jedoch Kommentarliteratur und Rechtsprechung unbeeindruckt. Jedenfalls werden lenkende Absichten bei der Kalkulation von (Ab-)Wassergebühren nach wie vor in die „zweite Reihe“ der bloßen Bemessung platziert, wo sie sich zunächst einmal vor den grundlegenden Anforderungen des Äquivalenzprinzips rechtfertigen müssen.38 Art. 9 WRRL spielt in der kommunalabgabenrechtlichen Kommentarliteratur bislang praktisch keine Rolle. 39 34 Dazu u. a. Franz (2003); Gawel (1999a); Schulte / Wiesemann, in: Driehaus (2015), § 6, Rn. 22 ff. 35 Siehe Schmutzer (2006), S. 228, sowie die Analysen von Kolcu (2008) und Desens (2008). 36 Dazu Gawel (1995a), S. 197 ff. 37 Ebenda, S. 221 ff. 38 So etwa Driehaus, in: ders. (2013), § 1, Rn. 6. 39 Soweit eine Auseinandersetzung nicht völlig fehlt, ist nur eine kursorische Erwähnung festzustellen, siehe Schulte / Wiesemann, in: Driehaus (2015), § 6, Rn. 345 und 490.
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Ferner sind die einfachgesetzlichen Detailregelungen der Kommunalabgabengesetze der Länder auf den Prüfstand zu stellen, die über die allgemeine Geltung „betriebswirtschaftlicher Grundsätze“ hinaus konkrete, einschränkende Kalkulationsvorgaben formulieren, die erkennbar auf eine Begrenzung der Gebührensatzhöhe gerichtet sind und eher aus Überlegungen zu einrichtungsbezogenen Refinanzierungsnotwendigkeiten oder des Gebührenschuldnerschutzes heraus motiviert sind als der gesamtwirtschaftlichen Ressourcenlenkungsperspektive entsprechen. Dass dabei erhebliche Defizite zutage treten, ist im Schrifttum bereits hinlänglich ausgebreitet worden,40 ohne freilich rechtspolitisch Resonanz zu erzeugen. Fassen wir zusammen: Art. 9 WRRL hat einen neuartigen Kalkulationszweck für kommunale Entgelte im Bereich der wasserbezogenen Ver- und Entsorgungsdienstleistungen etabliert: Nicht länger sollen eine jeweils auf die leistende Einrichtung bezogene finanzwirtschaftliche Refinanzierungsperspektive oder eine betriebswirtschaftliche Substanzerhaltungsperspektive die Kalkulation anleiten, sondern vielmehr eine gesamtwirtschaftlich ausgerichtete Ressourcenlenkungsperspektive: Danach informieren die Entgelte (einschließlich ergänzender Wassernutzungsabgaben) zutreffend über die volkswirtschaftliche Knappheit der in Anspruch genommenen Wasserressourcen und halten die Nutzer zu ökonomisch effizienten Entscheidungen an. Dies ist bei europarechtskonformer Auslegung des Kommunalabgabenrechts zwar ohne weiteres mit der Ansatzfähigkeit von Kosten „nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen“ vereinbar, nicht aber mit deren herrschender Auslegung, der Marginalisierung lenkender Zwecke im Gebührenrecht und erst recht nicht mit punktuellen Kalkulationsvorgaben der Landesgesetzgeber, denen ersichtlich an Refinanzierungserfordernissen und Aspekten der Schonung von Gebührenschuldner gelegen ist, nicht aber vollkostendeckende Ressourcenpreise ermöglichen (Vertretbarkeitsgrenzen, Degressionstarife, Zinsverbote etc.). Auch die herrschende, kostenwie verursacherabstrakte Dogmatik der Bemessung nach „Leistung“ muss im Lichte von Art. 9 WRRL überdacht werden. Es unterliegt daher keinem Zweifel, dass Art. 9 WRRL gerade auch im Bereich der kommunalen Gebühren und Entgelte konkreten Anpassungsbedarf auslöst, und zwar auf der Ebene der Kommunalabgabengesetze sowie der verbindlichen Einbeziehung privater Entgelte, aber auch hinsichtlich der Auslegung „betriebswirtschaftlicher“ Kalkulationsgrundsätze. Die Länder stehen in der Pflicht, den Vorgaben aus Art. 9 WRRL nunmehr durch eine Reform der Kommunalabgabengesetze gerecht zu werden.41 Ferner muss auch die Gebührendogmatik die Neuorientierung durch Art. 9 WRRL zur Kenntnis nehmen und die herkömmlichen Maßstäbe der Entgeltbeurteilung für den Wasserbereich weiterentwickeln.
Siehe Desens (2008); Kolcu (2008); Schmutzer (2006); Gawel (2012a). Aktuelle Reformgesetze übergehen das Unionsrecht abermals völlig – siehe etwa zur Novelle des BayKAG 2013, welche aber nur die Finanzierungsspielräume speziell der bayerischen Wasserwirtschaft erweitern sollte: Gawel (2013). 40 41
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IV. Die empirischen Kostendeckungsbelege Ergänzt wird die verbreitete Fehl-Einschätzung über die Kongruenz von kommunalabgabenrechtlichem und unionsrechtlichem Kostendeckungsprinzip durch die Interpretation eigens in Auftrag gegebener empirischer Untersuchungen, wonach jedenfalls der faktische Kostendeckungsgrad der Entgelte der deutschen Wasserwirtschaft ausreichend nahe bei 100 % läge und auch insoweit eine Kostendeckung im Sinne des Art. 9 WRRL in der Praxis gegeben sei.42 Dem ist bereits an anderer Stelle deutlich entgegen getreten worden.43 Ein auf empirische Kostendeckungsrechnungen gestützter Entlastungsbeweis für die Erfüllungspflichten aus Art. 9 WRRL mutet bereits deshalb voreilig an, weil auf diesem Wege wesentliche Aspekte der gemeinschaftsrechtlichen Erfüllungspflichten noch nicht hinreichend geprüft werden können: Dies betrifft den materiellen Gehalt der Kostendeckungspflicht selbst (welche – wie zu bewertenden – Kosten sind abzugelten?), die angemessene Einbeziehung externer Umwelt- und Ressourcenkosten, eine verursachergerechte und „effiziente Anreize“ setzende Bemessung (d. h. Verteilung auf den einzelnen Nutzungsfall) sowie mögliche Rechtfertigungen von Abweichungen von der Kostendeckung nach Art. 9 Abs. 1 UAbs. 3 WRRL. Doch auch soweit man sich auf die bloße Entgelthöhe (und nicht auf Bemessungsfragen) sowie hierbei wiederum auf die betriebswirtschaftlichen Kosten (sog. „finanzielle Kosten“ nach WATECO (2003), S. 70) beschränkt und nur insoweit den jeweils erreichten Kostendeckungsgrad (ohne Umwelt- und Ressourcenkosten) betrachtet, so ergeben sich erhebliche Zweifel an der empirischen Vollkostendeckung. Die dazu vorgelegten empirischen Studien sind aus methodischen Gründen nicht einmal in der Lage, die bloß formale Deckung allein der finanziellen Kosten im Sinne des Art. 9 WRRL zu belegen. Hierfür sind folgende Gesichtspunkte maßgeblich: – Der ex-post-Abgleich von einrichtungsbezogenen Einnahmen mit je nach Datenverfügbarkeit herangezogenen Ist-Aufwands- oder Ist-Ausgabengrößen aus Haushaltsdaten entspricht nicht den Kalkulationsgrundlagen auf der Basis einer nach einzelnen Gebührentatbeständen scharfen Kostenrechnung und erzeugt deshalb systematische Messfehler (Messung von Irrelevantem, fehlende Messung von Relevantem); ein solcher Abgleich ist daher methodisch gar nicht in der Lage, ex ante unzureichende Kostenkalkulation (als Prognoserechnungen) aufzudecken. – Die entscheidende Frage nach der „richtigen“ (zielbezogenen) Bewertung des Werteverzehrs anhand des Ressourcenlenkungszwecks und nach seiner Berücksichtigung in Entgeltrecht und Kalkulationspraxis, d. h. die Herausforderung der materiellen Kostendeckung, kann so ebenfalls nicht beantwortet werden; rein formale Deckung von „irgendwelchen“ Werteverzehren reicht jedoch gerade nicht aus. 42 43
LAWA (2008); Donner et al. (2009), S. 18 ff. Siehe Gawel (2012b).
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– Dennoch wurden empirisch formale Unterdeckungen bis unter 70% festgestellt; maßgeblich hierfür sind vor allem fortgesetzte Subventionierungen in der Wasserwirtschaft. Dies ist unter Kostendeckungsgesichtspunkten äußerst unbefriedigend und gestattet wohl kaum die Aussage im Wesentlichen in der Praxis erreichter Kostendeckung.
Die sich aus Art. 9 WRRL – über die Deckung finanzieller Kosten hinaus – ergebenden Herausforderungen der Bemessung und Tarifierung einerseits sowie die Einbeziehung der Umwelt- und Ressourcenkosten andererseits bleiben selbst bei gelungener formaler und materieller Kostendeckung sog. „finanzieller Kosten“ noch offen und können keineswegs gleichsam als miterledigt gelten.
V. Die Deckung der Umwelt- und Ressourcenkosten Was schließlich die angemessene Berücksichtigung auch der Umwelt- und Ressourcenkosten (URK) angeht, so lautet das materielle Entlastungs-Narrativ in Deutschland – sieht man noch einmal von den erneut vorgetragenen Verweisen auf angeblich mangelnde Klarheit des Begriffs und unzureichenden Verpflichtungsgehalt der WRRL ab44 – wie folgt: Da Art. 9 WRRL instrumentenoffen sei, könne auch das Wasserordnungsrecht eine Berücksichtigung von URK leisten; zudem kenne das deutsche Wasserrecht mit Abwasserabgabe und Wasserentnahmeentgelten bereits zwei auf die Umweltfolgen von Abwasserbeseitigung und Wasserentnahme gerichtete Lenkungsabgaben, die diese Ergänzungsfunktion in Bezug auf URK übernehmen könnten. Jedwede Unzureichendheit dieser Instrumentierungen wiederum lasse sich über Art. 9 Abs. 1 UAbs. 3 WRRL noch rechtfertigen. 45
1. Wasserordnungsrecht Formulierungen, wonach auch das Ordnungsrecht „zur Internalisierung der externen Kosten“ beitrage“,46 erscheinen unbestreitbar richtig, sind jedoch ohne Trennschärfe in Bezug auf die hier zu klärende Frage, inwieweit das Ordnungsrecht insoweit zugleich hinreichend sein kann. Auch steuerfinanzierte staatliche Maßnahmenprogramme „tragen“ – wenngleich homöopathisch verdünnt und außerhalb des Verursacherprinzips – nach Maßgabe der Inzidenz des Steuer- und Abgabensystems zur Internalisierung von URK „bei“. Die eigentlich interessierende Frage dürfte doch wohl sein, ab wann insbesondere von „angemessenen“ Anreizen gesprochen werden kann, welche die Nutzer im Interesse des Gewässerschutzes zu nur noch „effizientem“ Ressourcenzugriff veranlassen. 44 45 46
Dazu Gawel (2015a). Siehe zu diesem „Erzählstrang“ Gawel (2014a). Reimer (2013), S. 448; ähnlich Durner / Waldhoff (2013), S. 59.
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Die zutreffend zugespitzte Frage, „ob die Vorgabe einer ‚Wassergebührenpolitik‘ nach Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 1 WRRL – vorbehaltlich der zulässigen Ausnahmen – der Unentgeltlichkeit [der Ressourcennutzung] entgegensteht“47, und damit das Ordnungsrecht als nicht hinreichend ausweist, wird selten gestellt und vor allem bisher nicht überzeugend beantwortet. Unter Berufung auf ein „zielbezogenes Verständnis der Norm“, wonach die WRRL Effizienz „in den Dienst an den ökologischen Zielen“ stelle, will etwa Reimer auch andere Maßnahmen, insbesondere „an wasserfachlichen Kriterien orientierte Zulassungen“, die „sachgerecht“ zur Umweltzielerfüllung beitragen, genügen lassen, ja hält diese gar für geeigneter. Eine „Fixierung auf direkte Bepreisung“ oder „instrumenteller Aktivismus“ seien demnach jedenfalls nicht geboten. Leider wird damit die Ausgangsfrage, ob Unentgeltlichkeit der Ressourcennutzung mit deren Nutzungseffizienz vereinbar sei, gar nicht beantwortet. Und durch die angebliche Ziel-Referenz von Ressourceneffizienz wird das Gebot zu günstigem Aufwands-Ertrags-Verhältnis (Effizienz) unversehens zur guten Zielerreichung (Effektivität) verdünnt und zugleich fehlinterpretiert: Zielerreichung kann nämlich effizient (mit minimalem Kosteneinsatz) oder aber ineffizient (unter Inkaufnahme von Verschwendung) gelingen; Art. 9 Abs. 1 UAbs 2 Sp.str. 1 erfordert aber gerade eine effiziente Zielerreichung. Dass auch andere Maßnahmen Ziele erreichen können, beantwortet nicht die Frage, ob ihnen dies zugleich auf effizientem Wege gelingen kann. Das juristische Schrifttum weicht hier bislang der entscheidenden Frage aus. In diesem Zusammenhang ist nämlich kritisch zu würdigen, durch welche Defizite sich das Ordnungsrecht bei der Erfüllung dieser Effizienz-Aufgabe strukturell auszeichnet.48 Jahrzehntelange umweltökonomische Forschung hat hierzu eine erdrückende theoretische49 und empirische50 Evidenz zusammengetragen, von der sich das juristische Schrifttum im Ergebnis bisher weitgehend unbeeindruckt zeigt. Das in diesem Zusammenhang beliebte Argument, auf die besondere Effizienzleistung ökonomischer Instrumente komme es umwelt- oder verfassungsrechtlich letztlich nicht an,51 dürfte freilich mit Blick auf die explizite Effizienzforderung in Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 1 WRRL kaum mehr verfangen: Hier ist – anders als im übrigen Umweltrecht – erstmals und unmittelbar vom europäischen Gesetzgeber ein
47 Reimer (2013), S. 448. Ähnlich auch Reese (2013), S. 367, mit Blick auf eine URK-Anlastung durch Standardsetzung: „Of course, there always remain the residual emissions of admissible pollutant loads.“ Er sieht Abgaben durch Abs. 1 UAbs. 2 „gerechtfertigt“; inwieweit ihr Fehlen zu einem Vollzugsdefizit beitragen könnte, bleibt aber unklar. 48 Kritisch äußert sich Reese (2013), S. 373, der mit Blick auf die begrenzte Anreizwirkung von Emissionsstandards ausführt: „As a consequence, there are only limited incentives to reduce the pollution load.“ 49 Siehe dazu nur Gawel (1994a); ders. (1999b), S. 237 ff.; ders. (1995b), S. 201 ff.; ders, (1996), S. 521 ff.; ders. (2009), S. 197 ff., m. jew. w. Nachw. 50 Siehe hierzu nur die zahlreichen empirischen Studien im In- und Ausland, die bei Wicke (1993) zitiert werden. 51 Statt vieler Meßerschmidt (1999), S. 361 ff. m. w. Nachw.
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Effizienzgebot formuliert worden, dem zu entsprechen ist. Es geht also nicht mehr nur um einen (rechtlich unerheblichen) Mängelvorwurf der ökonomischen Disziplin, sondern um einen gesetzlichen Auftrag. Auch der aus der Instrumentendebatte bekannte (und im Bereich der Gefahrenabwehr auch beachtliche52) Umkehrvorwurf mangelnder ökologischer Schutzgewähr lediglich anreizender, auf umweltpolitisch geeignete Marktantworten bloß „hoffender“ Instrumente, greift hier ersichtlich nicht, wenn es gerade „nur“ um flankierende Vollkostendeckung von Wasserdienstleistungen geht. Vielmehr muss sich das Ordnungsrecht an dieser Stelle umstandslos und direkt in seinem komparativen Leistungsvermögen zu effizienter Anreizsetzung behaupten. Hier nun rücken die strukturellen Defizite des Ordnungsrechts bei der Bewirkung einer effizienten Ressourcenallokation ins Blickfeld: – Ordnungsrechtliche Steuerung setzt keine Anreize zu einer statisch effizienten Ressourcennutzung: Weder erhalten die Normadressaten Anreize zur Realisierung ihrer jeweiligen individuellen Minimalkostenkombination (stattdessen ist vordefinierter Stand der Technik zu realisieren) oder werden die Mindernutzungen im Nutzerkollektiv kostenminimal zusammengesetzt (Vermeidungskosten spielen allenfalls als Übermaßgrenze eine Rolle) noch können mangels Restnutzungsveranlagung die vollen Ressourcenkosten über Überwälzungsvorgänge allen Ressourcennutznießern entlang der Wertschöpfungskette signalisiert und diese ebenfalls zu effizienten Ressourcenentscheidungen angehalten werden. Ressourcenbezogene Wettbewerbsverzerrungen werden so gerade nicht beseitigt. – Ordnungsrechtliche Steuerung setzt darüber hinaus auch keine Anreize zu einer dynamisch effizienten Ressourcennutzung: Weder erfolgt eine automatische, dezentrale Verarbeitung von veränderten Rahmenbedingungen der Knappheitssituation (stattdessen zeitverzögerte Formulierung neuer Anforderungen und vollzugsdefizitäre und gegendruckanfällige Umsetzung über Bescheide) noch können Wettbewerbsprobleme (Reallokation von Ressourcennutzungen; Berücksichtigung von Newcomern) zufriedenstellend gelöst oder mit ökonomischen Instrumenten vergleichbare Innovationsanreize (technischer Fortschritt) platziert werden.
Dass vor diesem Hintergrund eine Umsetzung von Art. 9, die umstandslos eine unentgeltliche Restnutzung gestattet, insoweit als „angemessener Anreiz“ zu „effizienter Ressourcennutzung“ gelten kann, erscheint doch – vorbehaltlich der Einschränkungen aus UAbs. 3 – höchst fraglich. Wäre dem so, könnten auch die in Deutschland seit längerem bestehende Abwasserabgabe sowie die in 13 Ländern erhobenen Wasserentnahmeabgaben ohne weiteres entfallen. Dies wird jedoch zu Recht überwiegend abgelehnt.53 Da das Abweichen von den Geboten der KostendeSiehe dazu Gawel (1992), S. 267 ff.; ders. (2001), S. 249 ff. Köck (2011); Gawel et al. (2011b). Ginzky / Rechenberg (2006), S. 348, sehen die Erhebung einer Abwasserabgabe sogar als „EG-rechtlich zwingend geboten“ an; ähnlich Zöllner, in: Landmann / Rohmer (2015), zu AbwAG, Vorbem. Rn. 5; Laskowski (2010), S. 728. Auch Kolcu (2008), S. 155 ff., und Breuer (2008), S. 47 ff., sehen in Bezug auf Wasserentnahmeab52 53
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ckung, der effizienten Anreizsetzung und der verursachergerechten Verteilung der Kosten aus Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 WRRL nach Art. 9 Abs. 4 S. 2 WRRL ausdrücklich dokumentations- und rechtfertigungsbedürftig gestellt ist, soweit eine Umsetzung „nicht in vollem Umfang“ erfolgt,54 so dürfte mit Blick auf die Pflicht zur Einbeziehung von URK und zur Platzierung von Effizienzanreizen insbesondere rechtfertigungsbedürftig sein, wenn auf vorhandene Instrumente, die sich für die Realisierung dieser Kosten in besonderer Weise eignen, wie das Wasserentnahmeentgelt und die Abwasserabgabe, verzichtet werden soll.55 Man mag die Frage der instrumentellen „Angemessenheit“ von Effizienzanreizen letztlich über UAbs. 3 dezisionistisch lösen wollen; danach könnte eine Beschränkung auf eine ordnungsrechtlich angesonnene Teil-Internalisierung gerade der nach UAbs. 3 zugestandenen Abwägung mit den Kostendeckungsfolgen entspringen, z. B. unter Abwägung mit Schonungsmotiven angesichts der wirtschaftlichen oder sozialen Belastung der Nutzer. Dabei sind jedoch auch die in UAbs. 3 und Abs. 2 angelegten Begrenzungen der Nichtbeachtung der Gebote aus UAbs. 1 und 2 im Blick zu behalten: Dem Kostendeckungsgrundsatz kommt ein normativer Mindestgehalt zu, der sich sowohl aus der Berichtspflicht gemäß Abs. 2 ergibt, aber auch aus der Referenz der Abwägung in Abs. 1 UAbs. 3 auf die Erfüllung des aus UAbs. 1 und 2 Gebotenen („dabei“, nämlich bei der Pflichterfüllung aus UAbs. 1 und 2 „Rechnung tragen“56). Schließlich bedürfte es keiner Relativierung in UAbs. 3, wenn zuvor materiell gar keine Verpflichtung statuiert worden wäre. 57 Vor diesem Hintergrund überzeugen jedenfalls die beherzten Versuche, dem Ordnungsrecht bereits kategorial umstandslos eine äquivalente Effizienzleistung bei der Ressourcennutzung anzutragen wie den in Erwägungsgrund 38 ausdrücklich genannten „wirtschaftlichen Instrumenten“,58 nicht einmal im Ansatz. Dies umso mehr, als damit abermals – und zwar nunmehr über die Instrumentenfrage – impliziert würde, dass Art. 9 im Ergebnis nichts weiter zu entnehmen sein sollte, als sich bereits aus den traditionellen ordnungsrechtlichen Antworten auf die übrigen Artikel der WRRL ergibt. Für die angeblich simultane Lösung des „Kostendeckungsproblems“ durch das jeweils herrschende Ordnungsrecht hätte es aber wohl kaum eines eigenen Artikels in der WRRL bedurft. Die Argumentation steht daher in bedenklicher Nähe zu anderen Versuchen, den Auftrag aus Art. 9 – soweit ihm nicht ohnehin jeglicher normativer Gehalt abgesprochen wird – zumindest definitorisch
gaben die Möglichkeit unionsrechtlicher Verstöße bei „sachgrundlosem“ völligem Verzicht auf oder der Perforierung von bestehenden Abgaben. 54 „Die Mitgliedstaaten stellen in den Bewirtschaftungsplänen für die Einzugsgebiete dar, aus welchen Gründen sie Absatz 1 Unterabsatz 2 nicht in vollem Umfang anwenden.“ (Art. 9 Abs. 4 Satz 2 WRRL). 55 Gawel et al. (2011b), S. 50; Köck (2011). 56 Dazu zutreffend Kolcu (2010), S. 79 f. 57 So zu Recht Unnerstall (2009), S. 234. 58 So aber gerade Durner / Waldhoff (2013), S. 59.
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für den Vollzug zu erübrigen – durch enge Definition des Dienstleistungsbegriffs,59 durch vermeintlich simultane ordnungsrechtliche URK-Berücksichtigung, durch Wegfall von URK bei Erreichung der Umweltzielzustände60 oder durch Approximation von Umweltschäden durch bloße Maßnahmenkosten61. Jenseits der unbestrittenen grundsätzlichen Instrumentenoffenheit des Art. 9 stellt sich dann aber doch die Frage, welche Instrumente eigentlich praktisch geeignet und zugleich hinreichend sein sollen, den Geboten aus Art. 9 Abs. 1 WRRL zu genügen, insbesondere „angemessene Anreize“ zu „effizienter“ Ressourcennutzung zu platzieren? Die Instrumentenoffenheit des Art. 9 impliziert jedenfalls nicht, dass es jenseits von Abgaben- und Entgeltlösungen wirklich praxisrelevante Alternativen zur hinreichenden Bewältigung der Vollkostendeckungsherausforderung – und nicht etwa zur allgemeinen Erreichung von Umweltzielen 62 – gäbe. Bisher sind solche jedenfalls nirgends aufgezeigt worden und auch nicht ersichtlich. Hält man das Haftungsrecht oder Lizenzlösungen als Anreizhebel im Gewässerschutz für wenig praktikabel und kommunale Gebühren und Entgelte mit der URK-Berücksichtigung für überfordert63, so führt faktisch wohl an ergänzenden Wassernutzungsabgaben kein Weg vorbei. Dies wird wohl auch von Reese gesehen, wenn er betont: „Member States are, in any case, obliged to thoroughly assess the options of recovering financial, ecologic and resource costs and of stimulating mitigation efforts by levies and charges.“64
Dass dabei kaum eine flächendeckende Landschaft aus Abgaben das Ergebnis sein wird, liegt schon an dem spezifischen Problemlösungsbeitrag, den jeweiligen Einsatz-Anforderungen an und den Lenkungsgrenzen von Umweltabgaben.65 Insofern sind Vorstellungen „umfassender“ Wassernutzungsabgaben66 wohl von vorneherein illusorisch.67 Gleichwohl lässt sich der spezifische Auftrag aus Art. 9 WRRL umgekehrt kaum flächendeckend und dauerhaft mit Hilfe traditioneller ordnungsrechtlicher Ansätze bewältigen, welche die URK aus den jeweils noch zugestande-
Dazu jüngst im Überblick Reese (2013), S. 361 ff. So etwa Fries / Nafo (2006), S. 154 ff.; Palm et al. (2011), S. 362; LAWA (2013). Dagegen Gawel / Unnerstall (2014a); Gawel (2014c). 61 Ebenda. 62 Dies wird bei Durner / Waldhoff (2013), S. 42 ff., konfundiert, die eine herausgehobene Stellung von Abgaben aufgrund von Art. 9 deshalb verneinen, weil Maßnahmenprogramme nach Art. 11 zur Erreichung der Umweltziele instrumentelle Diversifikation erfordern, was niemand bestreitet. 63 So bereits Gawel (1995a), S. 221 ff. 64 Reese (2013), S. 376. 65 Dazu auch Gawel (2012c). 66 Dazu aber insbesondere Palm (2006); Palm / Wermter (2008), S. 782; Palm (2012), S. 215 ff. In ähnlicher Weise konzipieren Grünebaum et al. (2007) ein umfassendes Kostenträger-Umlagemodell. 67 Dazu auch eingehend und differenziert Gawel et al. (2011b), S. 217 ff. 59 60
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nen Gewässerinanspruchnahmen gerade systematisch nicht berücksichtigen und keine Ressourceneffizienz für sich in Anspruch nehmen können. Art. 9 WRRL wäre wohl schlichtweg überflüssig, wollte man ihm nur den Auftrag entnehmen, die bereits zur Erfüllung der übrigen Artikel der WRRL notwendigen ordnungsrechtlichen Maßnahmen zu ergreifen. Neben der positiven Gebotswirkung wirkt der Kostendeckungsgrundsatz im Übrigen zugleich auch in negativer Form als Verbot „sachgrundloser Verschonungssubventionen“.68
2. Wassernutzungsabgaben Ob und inwieweit die aktuelle Landschaft aus Wassernutzungsabgaben im Lichte von Art. 9 WRRL zu überzeugen weiß, erscheint ebenfalls fraglich. Eine umfassende Studie zu dieser Frage von 2011 kommt jedenfalls zu dem Ergebnis, dass sowohl die bundesrechtliche Abwasserabgabe als auch die derzeit von 13 Ländern erhobenen Wasserentnahmeabgaben erhebliche Defizite in der ökonomischen Effizienz bei der Ressourcennutzung aufweisen und entsprechender rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht.69 Bei der Abwasserabgabe ist die Feststellung von Effizienzdefiziten, die der Gesetzgeber durch eine ungeeignete Ausgestaltung der Abgabe zu verantworten hat, notorisch und begleitet das Abwasserabgabengesetz seit seiner Verabschiedung 1976.70 Bei den Wasserentnahmeentgelten ist bereits der Umstand zu nennen, dass drei Bundesländer (Hessen, Bayern, Thüringen) gegenwärtig ohne Wasserentnahmeabgabe auskommen, dass teilweise nur Grundwasser-, nicht aber Oberflächenwasserentnahmen bepreist werden (so in Berlin, Hamburg71 und im Saarland) und auch der dann noch verbleibenden abgabepflichtige Bereich von zahlreichen Ausnahmen72 und Ermäßigungsregelungen73 durchsetzt ist. Hinzu kommen nicht unerhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Landesregelungen, die zu einer (auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten) problematischen Fragmentierung der Abgabepflichten beitragen. Im Ergebnis sind auch hier angemessene Anreize zu einer effizienten Wasserressourcennutzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 WRRL deutlich in Frage gestellt.
So insbesondere Breuer (2008), S. 47 ff.; ähnlich Unnerstall (2009), S. 241. Siehe Gawel et al. (2011b), S. 69 ff.; Gawel et al. (2011a). 70 Siehe nur Hansmeyer (1976); ders. (1989). 71 Allerdings hat der Hamburgische Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 i. V. m. Anlage 2 Ziff. 2. 1. 1 UmwGebO unter bestimmten Umständen Benutzungsgebühren für die Entnahme von Wasser aus oberirdischen Gewässern für gewerbliche Zwecke vorgesehen. Dabei bemisst sich der Gebührentatbestand nicht nach der entnommenen Menge, sondern nach der „erlaubten Jahresmenge“. 72 Siehe Gawel (2015d). 73 Dazu am Beispiel von NRW jüngst Gawel (2015e); allgemein dazu auch Gawel (2014d). 68 69
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VI. Fazit Die kommunalen Wasserdienstleistungen der Ver- und Entsorgung sind – im Gegensatz zu anderen Wassernutzungen – zwar unstrittig von der konkreten Erfüllungspflicht des Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 WRRL erfasst, dafür werden sie in Deutschland von den Adressaten der Norm, also Bund und Ländern, kurzerhand außerhalb jedweden Handlungsbedarfes gesehen, da der Kostendeckungsauftrag „bereits weitgehend“ umgesetzt sei.74 Damit ergibt sich die paradoxe Situation, dass einerseits die mit Blick auf Art. 9 WRRL unstrittig relevanten Wasserdienstleistungen (Wasserver- und Abwasserentsorgung) keinen Umsetzungsbedarf mehr auslösen sollen, andererseits aber jene Wassernutzungen mit unverkennbarem Nachholbedarf bei der Kostendeckung (Schifffahrt, Landwirtschaft, Wasserkraft u. a. m.) jedoch außerhalb des unmittelbaren Geltungsbereichs des Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1 WRRL angesiedelt werden. Verbleibende Umsetzungsdefizite, etwa bei der Landwirtschaft mit Blick auf Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 Sp.str. 2 WRRL75, könnten sodann noch mit der Ausnahmeregel des Art. 9 Abs. 1 UAbs. 3 WRRL (Berücksichtigung der sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Kostendeckung) gerechtfertigt werden. Und da die Instrumente der Abwasserabgabe und auch die Wasserentnahmeentgelte zahlreicher Bundesländer Ansatzpunkte für die Anlastung von Umweltund Ressourcenkosten bieten, scheint Deutschland als „Vorbild bei der Kostendeckung“ jenseits aller zusätzlichen Verpflichtungen aus Art. 9 zu liegen. 76 Man tut freilich wohl gut daran, mit Blick auf den Kostendeckungsanspruch aus Art. 9 WRRL auf voreilige Entwarnungen hinsichtlich des rechtspolitischen Handlungsbedarfs zu verzichten. Auch Deutschland wird durch Art. 9 WRRL sowohl hinsichtlich der Kalkulations- und Veranlagungspraxis bei den Entgelten der Wasserwirtschaft, aber auch in Bezug auf die diesbezüglichen entgeltrechtlichen Anforderungen durchaus spürbar gefordert. Dies gilt im Übrigen auch für die systematische Berücksichtigung von Umwelt- und Ressourcenkosten und das Ausreichen von Anreizen zu effizientem Ressourcenumgang, soweit etwa bislang nicht einmal alle Bundesländer überhaupt ein Wasserentnahmeentgelt verlangen. Dabei muss insbesondere die Frage geklärt werden, inwieweit die derzeit höchst disparaten landesrechtlichen Entgeltvorschriften für Wasser und Abwasser jeweils mit Art. 9 WRRL übereinstimmen können. Derzeit ist entgeltrechtlich von Teildeckung der pagatorischen Kosten bis hin zu ambitionierten substanzerhaltenden Zeitwertkalkulationen vieles zulässig und absichtlich ins Ermessen der kalkulierenden Einheit gestellt (Kalkulationswahlrechte). Zudem ist unklar, wie sich die in neuerer
So BMU (2010), S. 80. Siehe Gawel et al. (2011), S. 217 ff. 76 Folgerichtig wird Art. 9 auch eher als Auftrag an „andere“ Mitgliedstaaten verstanden – siehe Reinhardt (2006), S. 741 f. 74 75
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Zeit verschärfte kartellrechtliche Missbrauchskontrolle im Bereich privatrechtlicher Entgelte in die europarechtlichen Anforderungen einer effizienten Nachfragsteuerung unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten einzufügen vermag.77 Eine konsistente entgeltrechtliche Implementation der europarechtlichen Anforderungen aus Art. 9 WRRL steht daher selbst im Kernbereich der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung allenfalls am Anfang. Nimmt man alle Argumente des verbreiteten Narrativs gegen Implementationsanforderungen aus Art. 9 WRRL zusammen, so machen diese den Art. 9 als eigenständigen und besonderen Teil des Ordnungsrahmens einer nachhaltigen Wasserwirtschaft, der die Kostenverantwortung der Ressourcennutzer betont und im Interesse der Gewässerschonung einfordert, eigentlich komplett überflüssig: 78 Angeblich unklarer und unaufklärbarer Normgehalt, Suffizienz des herkömmlichen Ordnungsrechts und des (materiell doch klar abweichenden) Kostendeckungsgrundsatzes im Kommunalabgabenrecht der Länder, enger Dienstleistungsbegriff, Abschneiden des URK-Berücksichtigungsauftrages bei Umweltzielerreichung79 und definitorische Erledigung der URK durch die ohnehin erforderlichen Kosten staatlicher Maßnahmen80 lauten hier die Stichworte. Demgegenüber bleibt festzuhalten: Auch für Deutschland hält Art. 9 WRRL über das geltende Recht hinaus Verpflichtungen bereit. Mindestens erfordern diese eine erkennbare und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den Postulaten und eine Begründung von jeweiligen Abweichungen. Die angeblich vollumfängliche Kostendeckung der deutschen Wasserwirtschaft ist demgegenüber kaum mehr als eine rechtspolitisch bequeme „Legende“ – selbst wenn man die konkreten rechtlichen Anforderungen aus Art. 9 WRRL anders bewertet. Auch jenseits unionsrechtlicher Handlungsimperative gibt es jedenfalls gute Gründe, den gegenwärtigen Stand der deutschen Wasserpreispolitik im Geiste des Art. 9 WRRL rechtspolitisch weiterzuentwickeln. Literatur Ammermüller, B. (2011): Assessing Cost Recovery: A New Comparative Framework in Line with WFD Article 9, Frankfurt a. M. BMU [Bundesministerium für Umwelt. Naturschutz und Reaktorsicherheit] (2010): Wasserwirtschaft in Deutschland. Teil 1, Bonn.
Dazu Reinhardt (2008); Gawel (2015f). Besonders irritierend in diesem Zusammenhang der Antrag des Generalanwalts Jääskinen vor dem EuGH in der Rechtssache 525 / 12, der die Kostendeckung gar als mit dezentraler Bewirtschaftungsplanung unvereinbar ansieht und Kostendeckungsanforderungen über Wasserpreise daher strikt zu begrenzen sucht – dazu kritisch Gawel (2014b). 79 Siehe dazu Gawel (2014c); Gawel / Unnerstall (2014b). 80 Siehe im Überblick Gawel (2014c). 77 78
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Unterstützung von Klimaanpassungsprozessen im Kanalnetz durch monetäre Anreizfunktionen in der Praxis Von Uwe Winkler
I. Einleitung Die möglichen Veränderungen der klimatischen Bedingungen werden in der Öffentlichkeit sowie in der themenbezogenen Fachwelt seit Jahren diskutiert. Für den Raum Sachsen wird nach den letzten Klimaprojektionen von einer Zunahme der Starkregenereignisse in den Sommermonaten in Kombination mit längeren Trockenwetterphasen sowie feuchteren Wintern ausgegangen. Für die Kommunen sowie die Betreiber von abwassertechnischen Anlagen ergibt sich daraus die Aufgabe, sich strategisch mit den möglichen Auswirkungen der o. g. veränderten Rahmenbedingungen zu beschäftigen. Zielstellung ist es, geeignete Strategien und Konzepte zu entwickeln, wie die verschiedenen betroffenen Bereiche der öffentlichen Infrastruktur langfristig an die neuen Anforderungen angepasst werden können. In diesem Zusammenhang arbeitet die Kommunale Wasserwerke Leipzig GmbH auch eng mit der Stadt Leipzig zusammen, die derzeit die Erstellung eines umfassenden Klimaschutzanpassungsprogrammes vorbereitet. Dieses umfasst neben den wasserwirtschaftlichen Themengebieten u. a. auch eine Analyse der prognostizierten Veränderungen auf die: – Gesundheit der Bürger, – Sicherung von Frischluftkorridoren, – Vermeidung von Überhitzungsbereichen, – Auswirkungen auf die Lebensqualität sowie – Veränderungen in der Tier- und Pflanzenwelt.
Nachfolgend soll die grundsätzliche Herangehensweise an die Thematik im wasserwirtschaftlichen Bereich bei der Kommunale Wasserwerke Leipzig GmbH näher erläutert werden. Darüber hinaus werden praktische Fragen einer zielgerichteten monetären Anreizfunktion durch die Entgeltgestaltung für eine anzustrebende Reduzierung der Niederschlagswasserableitungen durch die Kommunen und privaten Haushalte diskutiert.
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II. Prognostizierte Klimaänderungen Für das Gesamtgebiet der Bundesrepublik werden derzeit trockenere Sommer sowie feuchtere und mildere Wintern prognostiziert. Regional bestehen allerdings erhebliche Unterschiede, welche bei den jeweiligen Betrachtungen Berücksichtigung finden müssen: – Für den Bereich Nord- und Ostsachsen werden Niederschlagsrückgange um mehr als 30% in den Sommermonaten bis zum Jahr 2100 vorhergesagt, während sich die Winterniederschläge nur unwesentlich ändern werden (Bandbreite und örtliche Differenzierung für verschiedene Szenarien gemäß Abbildung 1). – Die Temperaturen werden in Sachsen bis zum Jahr 2100 um etwa 2 bis 3 Grad ansteigen, wobei die projizierte Zunahme der Lufttemperatur jahreszeitliche Unterschiede aufweist. Der stärkste Temperaturanstieg wird im Winter erwartet. 1
Neben den mittleren Trends bei Temperaturen und Niederschlägen sind vor allen Dingen die Extremwerte im oberen Bereich von Bedeutung. Obwohl es in Sachsen im Sommer künftig trockener werden soll, werden lokal eng begrenzte, extreme Starkniederschläge zunehmen.2 Die genaue Ausprägung dieser Ereignisse kann statistisch signifikant derzeit nur sehr eingeschränkt prognostiziert werden. Hinzu kommt, dass über die Frage der möglichen natürlichen und / oder anthropogen Ursachen von (zunehmenden) Extremereignissen derzeit erhebliche Unsicherheiten bestehen.
III. Allgemeine Anforderungen an die Niederschlagswasserentsorgung und bestehende Probleme Bislang waren die Anforderungen an die Niederschlagswasserentsorgung primär durch den Gedanken einer möglichst vollständigen, schnellen und gefahrlosen Ableitung geprägt. Nach dem DWA Merkblatt M 1533 konzentriert sich die Kritik an dieser Vorgehensweise auf folgende Punkte: – starker Rückgang der Verdunstung und Bodenspeicherung sowie erhöhter und beschleunigter Regenabfluss von versiegelten Flächen gegenüber Grünflächen, – Verschiebung des natürlichen Gleichgewichts im Wasserkreislauf mit Auswirkungen auf das Kleinklima und die örtliche Grundwasserneubildung, – hydraulische Belastung von Kläranlagen und Regenwasserbehandlungsanlagen durch gering verschmutztes Regenwasser in großer Menge, 1 2 3
Vgl. Sächsisches Landesamt (2013). Vgl. Sächsisches Landesamt (2013). Vgl. DWA (2012).
Abbildung 1: Projektionen der Niederschlagsänderungen Monate Juni – August im Zeitraum 2091 – 2100 auf der Basis WEREX IV im Vergleich zur Klimanormalperiode 1961 – 1990
Quelle: Schmidt et al. (2011), Anlagen Kartenreihe 1_3c.
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– hydraulische und qualitative Beeinträchtigung der Gewässer durch hohe Abflüsse an punktuellen Einleitungen.
Dementsprechend sind in der Neufassung des Wasserhaushaltsgesetzes Prämissen festgeschrieben, die auf die Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Wasserhaushalts abzielen und eine Vergrößerung und Beschleunigung des Wasserabflusses vermeiden sollen. Das Wasserhaushaltsgesetz enthält eine ganze Reihe von konkreten Regelungen bezüglich des Umganges mit Niederschlagswasser, wobei auf eine weitgehende Vermeidung sowie die Verringerung der Durchmischung und Ableitung der Niederschlagswässer abzielt wird. Nach § 55 Abs. 2 WHG soll das Niederschlagswasser ortsnah versickert, verrieselt oder direkt über eine Kanalisation ohne Vermischung mit Schmutzwasser in ein Gewässer eingeleitet werden, soweit dem weder wasserrechtliche noch sonstige öffentlich – rechtliche Vorschriften noch wasserwirtschaftliche Belange entgegenstehen. Im § 57 WHG wird zudem als Voraussetzung für die Erteilung einer Erlaubnis für die Einleitung in ein Gewässer (Direkteinleitung) gefordert, die Menge und Schädlichkeit des Abwassers so gering zu halten, wie dies bei Einhaltung der jeweils in Betracht kommenden Verfahren nach dem Stand der Technik möglich ist. Mit den o. g. Prämissen eines nachhaltigen Gewässerschutzes werden auch die Vorgaben der WRRL der EU zur Erreichung eines guten Zustandes der Gewässer umgesetzt.
IV. Das bestehende Mischwasserkanalsystem der Stadt Leipzig Die Stadt Leipzig besitzt ein historisch gewachsenes Mischsystem im innerstädtischen Bereich, welches im Zuge der schnellen städtebaulichen Entwicklung der Stadt von innen nach außen ab 1850 schrittweise errichtet wurde. Derzeit ist der Zustand des Leipziger Kanalnetzes im Bereich der Zustandsklassen 0 – 2 mit ca. 47 % deutlich schlechter als im Bundesdurchschnitt mit 22% (inkl. unbewertete Kanäle). 4 Für die erforderliche Sanierung des Leipziger Kanalnetzes, insbesondere des Mischsystems, wurde daher in den Jahren 2007 – 2013 eine umfassende Sanierungsstrategie erarbeitet. Im Ergebnis ist es vorgesehen, im Rahmen eines investiven Schwerpunktprogramms über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren den Zustand des Leipziger Kanalnetzes wesentlich zu verbessern. Die Begrenzung der Abflüsse des bestehenden Mischwassersystems bei Niederschlagsereignissen erfolgt über verschiedene Überläufe sowie Becken und Rückhaltesysteme (z. B. Stauraumkanäle, Kanalnetzsteuerung). Im innerstädtischen Bereich der Stadt Leipzig können nach jahrelangen umfangreichen Baumaßnahmen derzeit 4
Vgl. Berger / Falk (2009).
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ca. 47.900 m³ Stauraumvolumen durch große Kanäle genutzt werden, was die Dimensionen der Rückhaltesysteme in großstädtischen Systemen verdeutlicht. Die spezifische Entlastungsfracht betrug 1999 noch ca. 630 kg CSB / hared / a und konnte durch die o. g. Maßnahmen auf derzeit nur noch ca. 136 kg CSB / hared / a gesenkt werden. Unabhängig davon werden auch weiterhin noch umfangreiche Abschläge im Leipziger Mischsystem erfolgen. Die Größenordnung liegt nach den vorliegenden Simulationsrechnungen bei ca. 2,1 Mio. m³ / a mit einer zugehörigen CSB Fracht von ca. 286.000 kg CSB / a. Die Niederschlagswasserentsorgung im Leipziger Mischsystem entspricht damit heute, unabhängig von zahlreichen noch umzusetzenden Maßnahmen insbesondere bei der Umgestaltung von Einleitstellen in die Gewässer, im Wesentlichen dem zu erreichenden Stand der Technik.
V. Zukünftige Anforderungen an die Niederschlagswasserbeseitigung 1. Wichtige perspektivische Anforderungsprofile für die Netzbetreiber Für die Betreiber der Kanalisation besteht die Aufgabe, die Funktionsfähigkeit sowie einen akzeptablen Zustand der Netze auch für nachfolgende Generationen zu gewährleisten. Aufgrund der langen Nutzungsdauern sowie der enormen Kosten für die Sanierung der Kanalnetze sind aus Betreibersicht Überlegungen zu möglichen zukünftigen langfristigen Trends sowie daraus resultierenden veränderten Anforderungen an den Kanalnetzbetrieb unabdingbar. Besonderes Augenmerk ist dabei den derzeit nur ungenau prognostizierbaren Entwicklungen und unsicheren Randbedingungen im Bereich der klimatischen Veränderungen zu widmen. Im Mittelpunkt stehen Überlegungen zur Gefahrenabwehr im Zusammenhang mit Überflutungsereignissen infolge von Extremereignissen. Die hier erforderlichen planerischen Überlegungen und Lösungsansätze müssen neben den spezifischen siedlungswasserwirtschaftlichen Fragestellungen auch die ganze Palette der stadtplanerischen Aspekte im Sinne einer kommunalen Gemeinschaftsaufgabe umfassen. Zielstellung ist eine weitergehende Vernetzung aller Beteiligen zur Realisierung von örtlich optimal angepassten Lösungsansätzen mit dem Fokus auf einer verstärkten Niederschlagswasservermeidung, temporären Zwischenspeicherung und gefahrlosen Ableitung unter Berücksichtigung von Objektschutzprioritäten. Nachfolgend werden wichtige ausgewählte Teilaspekte in den Bereichen – Demografie / längere Trockenwetterperioden im Sommer infolge Klimawandel, – zunehmenden Starkregenperioden im Sommer infolge Klimawandel, – abnehmende Leistungsfähigkeit der Vorfluter infolge Klimawandel, – anthropogene Spurenstoffe,
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– Energiekostenentwicklung sowie – Anwendung von kostengünstigen Renovierungsverfahren bei der Kanalsanierung
hinsichtlich von möglichen Trendaussagen untersucht. Dabei wird nachfolgend ausschließlich auf den Mischwasserbereich Bezug genommen.
2. Anforderungen aus Demografie und längeren Trockenwetterperioden im Sommer infolge Klimawandel Für die Leipziger Kanalisation ist im innerstädtischen Bereich eine Entwässerung im Mischsystem typisch. Die Mischwasserkanalisation muss ihre Funktion sowohl im Trockenwetterfall als auch im Regenwetterfall erfüllen. Dementsprechend sind perspektivische Veränderungen immer mit ihren möglichen Auswirkungen sowohl im unteren (Trockenwetterfall) als auch im oberen Nutzungsbereich (Niederschlagsfall) zu betrachten (Abbildung 2). In Leipzig wird der Trockenwetteranfall in bestimmten Stadtgebieten durch Bevölkerungsrückgänge sowie ein allgemeines Absinken der einwohnerspezifischen Abwassermengen (derzeit ca. 87 l / E / d) geprägt. Bei konstanten baulichen Verhältnissen führen diese Veränderungen zu verringerten Fließgeschwindigkeiten. In den Sommermonaten werden sich zudem infolge des Klimawechsels mit einer Ausdehnung der Phasen längerer Trockenheit die Spülintervalle durch Niederschläge in den Mischsystemen verlängern. Damit kommt es zur zunehmenden Häufigkeit von Pha-
Quelle: Schmidt et al. (2011), S. 96.
Abbildung 2: Mögliche Auswirkungen abflussreduzierender Faktoren sowie von Klimaänderungen bei der Mischwasserkanalisation (Allgemeinschema)
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sen mit geringerer bzw. ohne eine ausreichende Remobilisierung von Ablagerungen in den Mischwasserkanälen. Tendenziell ist mit einer erhöhten Häufigkeit von Ablagerungen im Kanalnetz zu rechnen. Dies trifft insbesondere bei kleineren Kanälen aufgrund des gegenüber größeren Kanälen ungünstigeren hydraulischen Radius sowie in Bereichen mit relativ geringen Gefälleverhältnissen zu. Eine praktikable Möglichkeit zur Gegensteuerung stellt bei gewachsenen innerstädtischen Kanalnetzen die Reduzierung von Nennweiten (unter Beachtung der Mindestnennweiten für Verstopfungssicherheit) bzw. eine veränderte Profilwahl (z. B. Ei-Profile, Profile mit Trockenwetterrinnen) dar. Bei Neuverlegungen sind ggf. die Gefälleverhältnisse zu erhöhen. 3. Anforderungen aus zunehmenden Starkregenperioden im Sommer infolge Klimawandel Die Bemessung von Niederschlag führenden Mischwasserkanälen nach oben basiert auf statistischen Regenereignissen unter Berücksichtigung eines bestimmten angestrebten Entwässerungskomforts. Bei einer wesentlichen Überschreitung der für die Bemessung der Überstausicherheit nach DIN EN 752 bzw. DWA-A 118 5 zugrunde gelegten Regenereignisse kann es zu Überlastungen der Kanalnetze u. a. in Form von Wasseraustritten oder oberflächigen Abflüssen kommen. Aufgrund der unsicheren Prognosen zur zukünftigen Entwicklung der Extremereignisse werden derzeit keine bemessungstechnischen Veränderungen bei den Kanälen (z. B. Sicherheitszuschläge) empfohlen.6 Unabhängig davon ist es unter Risikogesichtspunkten angezeigt, die möglichen Auswirkungen (Überflutungen, Schadenspotentiale) auf die bestehende Infrastruktur abzuschätzen und nach Möglichkeit zu verringern. Dazu können im Einzelfall verschiedene technische Maßnahmen im Bereich der Vermeidung, Drosselung und Ableitung ergriffen werden. Innerhalb der o. g. Maßnahmenbereiche kommt den städtebaulichen Zielprämissen für die unversiegelten Flächen (z. B. private Flächen, öffentliche Grünzüge) eine besondere Bedeutung zu, da durch deren Nutzung für wasserwirtschaftliche Aufgaben die möglichen Folgen des Klimawandels abgeschwächt werden können. Ein strategisches langfristiges Flächenmanagement bildet damit die Grundlage für eine Reduzierung der abflusswirksamen Flächen. Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt resultiert aus den bestehenden Möglichkeiten bei Hochwasserereignissen die in der Stadt Leipzig anfallenden Niederschlagswässer in die Vorfluter abzugeben. Bei sehr hohen Wasserführungen der Vorfluter ist ein Abschlag in die Gewässer aus der Mischwasserkanalisation sowie aus dem Klärwerk nur eingeschränkt möglich – es kommt zu einem Rückstau aus dem Gewässer in das Kanalnetz verbunden mit einer Beeinträchtigung der Funktionsweise. Beispiel-
5 6
Vgl. DWA (2006). Vgl. Schmitt (2009).
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haft hierfür ist das Hochwasser der Weißen Elster im Juni 2013, wo infolge von flächigen Niederschlägen in Sachsen u. a. die Pegelstände der Weißen Elster sehr hoch waren (Abbildung 3). Auch hier können Reduzierungen / Verzögerungen von Niederschlagsmengen zu funktionalen Entlastungen im Kanalnetz beitragen.
Quelle: Bildrechte liegen beim Autor.
Abbildung 3: Eingeschränkte Vorflut – Hochwasser der Weißen Elster Juni 2013
4. Anforderungen aus der abnehmenden Leistungsfähigkeit der Vorfluter infolge Klimawandel Neben den aufgezeigten Aspekten der Gefahrenabwehr sind langfristig auch die Möglichkeiten einer Einleitung von gereinigten / verdünnten Abwässern in die bestehenden Vorfluter zu betrachten. Infolge der Klimaänderungen sind durch das abnehmende sommerliche Wasserdargebot Verschlechterungen der Wasserqualität (u. a. bezüglich Wassertemperatur, Sauerstoff- und Ammoniumgehalt) zu erwarten. Konkrete Untersuchungen zu dieser Thematik bei den Fließgewässern im Leipziger Raum zeigen, dass diese eine hohe Empfindlichkeit (Vulnerabilität) gegenüber Austrocknungen aufweisen (Abbildung 4). Unter der Maßgabe eines auch weiterhin an-
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zustrebenden guten Gewässerzustandes bei den Fließgewässern reduzieren sich damit u. U. zukünftig die maximal einleitbaren Schmutzfrachten in die Vorfluter. Eine Gegensteuerung kann in Form der Ausbindung von Einleitungsflächen und / oder einer vergrößerten Rückhaltung im System erfolgen.
Quelle: Schmidt et al. (2011), S. 88.
Abbildung 4: Sensitivität und Exposition von Fließgewässern bzw. ihrer Vulnerabilität gegenüber Austrocknung
5. Anforderungen zur Entfernung anthropogener Spurenstoffe Zu den anthropogenen Spurenstoffen zählen insbesondere bestimmte Human- und Veterinärpharmaka, Körperpflegemittel, Pflanzenschutzmittel, Industriechemikalien und Nahrungsmittelinhaltsstoffe, wobei die Wirkungen der einzelnen Stoffe auf Menschen und Tiere sowie die tatsächlich schädlichen Konzentrationen häufig noch ungeklärt sind. Sie können über verschiedene Eintragspfade in die Gewässer (Abbildung 5) sowie das Grundwasser gelangen und damit u. a. die Grundlagen der Trinkwassergewinnung beeinträchtigen. Zur weitergehenden Abschätzung der Auswirkungen wurden 2009 für das Berliner Gewässersystem Untersuchungen zu den bestehenden Umweltrisiken bestimmter Stoffgruppen durchgeführt. Dabei zeigte
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sich, dass von einer ganzen Reihe von Stoffgruppen negative Auswirkungen auf die Umwelt ausgehen.7
Quelle: Firk (2012), S. 14.
Abbildung 5: Eintragspfade von anthropogenen Spurenstoffen in die Gewässer
Priorität sollte sowohl aus technischer als auch aus finanzieller Sicht einer Vermeidung des Anfalles sowie des Eintrages von schädlichen anthropogenen Spurenstoffen in den Wasserkreislauf zukommen (Ansatz an der Quelle, z. B. in Krankenhäusern oder in Industriebetrieben). Technische Maßnahmen im Rahmen der nachgelagerten kommunalen Abwasserreinigung sind grundsätzlich möglich, erfordern jedoch sehr hohe Investitionskosten und verursachen einen zusätzlichen Betriebsaufwand. Die Einführung einer flächendeckenden Reinigungsstufe für die kommunale Abwasserreinigung zur Elimination von Spurenstoffen wird daher gegenwärtig aus der Sicht der DWA als nicht sachgerecht beurteilt.8 Nach Untersuchungen einer DWA-Arbeitsgruppe aus dem Jahr 2013 ist die Entfernung der anthropogenen Spurenstoffe mit einem Anstieg der einwohnerbezogenen Jahreskosten von ca. 4,9 % verbunden,9 was die finanziellen Dimensionen einer solchen technischen Nachrüstung nochmals aufzeigt. Im Hinblick auf die Niederschlagswasserentsorgung bedeuten die zukünftigen möglichen Anforderungen an die Entfernung von anthropogenen Spurenstoffen, dass eine Vermischung von Niederschlagswasser und von mit anthropogenen Spu7 8 9
Vgl. Adam (2009). Vgl. DWA (2013). Vgl. Tränckner et al. (2013).
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renstoffen belastetem Schmutzwasser im Hinblick auf die negativen Auswirkungen auf die Menge und Beschaffenheit der in den Kläranlagen zu behandelnden Volumenströme vermieden werden sollte.
6. Anforderungen aus Energiekostenveränderungen Zur Ableitung und Reinigung des Abwassers wird sehr viel Energie benötigt. Veränderungen auf diesem Sektor haben dementsprechend erhebliche Auswirkungen auf die Kosten, was auch anhand der konkreten Zahlen der KWL deutlich wird. Während im Jahr 2002 die Energiekosten noch ca. 2,542 Mio. € / a lagen, stiegen diese bis zum Jahr 2011 auf 3,985 Mio. € / a bei einem vergleichbaren Verbrauch an. Gegensteuerungen erfolgen im Unternehmen durch Maßnahmen im Beschaffungsmanagement (Einkauf an der Strombörse nach Lastprofilen) sowie bei den technischen Anlagen. Unter den vorhandenen vielfältigen Ansatzpunkten bei den technischen Anlagen ist u. a. auf die hohe Bedeutung einer Absenkung der zu fördernden Niederschlagswassermengen in den Pumpstationen sowie auf den Kläranlagen zu verweisen. Entsprechende Ausbindungen führen zu deutlichen Verringerungen der Energiekosten, wobei sich besondere hohe Effekte bei einem mehrfachen erforderlichen Nachheben der Volumenströme erzielen lassen.
7. Anwendung von kostengünstigen Renovierungsverfahren bei der Kanalsanierung Zur Erarbeitung einer strategischen Kanalsanierungskonzeption für das alte Leipziger Mischsystem wurde zunächst zur Zustandserfassung eine optische Inspektion mit Kameras durchgeführt. Anschließend erfolgte eine Zustandsbewertung sowie eine Ermittlung der jeweiligen haltungsspezifischen Sanierungskosten für die verschiedenen Sanierungsalternativen Reparatur, Renovierung und Erneuerung. Die Vorzugslösung wurde auf der Basis einer dynamischen Kostenvergleichsrechnung nach LAWA unter Berücksichtigung der abweichenden Nutzungsdauern ermittelt. Dabei zeigte sich, dass bei vielen Haltungen durch den Einsatz der Renovierungsverfahren Schlauchliner bzw. Einzelrohreinzug Kostenvorteile erzielt werden können. Diese Verfahren der geschlossenen Bauweise zeichnen sich im innerstädtischen Bereich u. a. durch eine kürzere Bauzeit, eine Reduzierung der Verkehrsbeeinträchtigungen sowie keine / geringere Probleme mit kreuzenden oder parallel verlaufenden Ver- und Entsorgungsleitungen aus. Nachteilig ist insbesondere bei den Einzelrohreinzugsverfahren der erforderliche Ringraum, welcher zu kleineren nutzbaren Querschnitten führt und nicht durch verbesserte hydraulische Eigenschaften ausgeglichen werden kann. Der Vorteil der Einzelrohreinzugsverfahren liegt hingegen in einer der offenen Bauweise vergleichbaren Nutzungsdauer von 80 Jahren, während bei den Schlauchlinern aufgrund der örtlichen Herstellungsbedingun-
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gen derzeit bei den KWL unter Risikoaspekten nur eine Nutzungsdauer von 40 Jahren in Ansatz gebracht wird. Im Ergebnis der strategischen Untersuchungen, aber auch basierend auf den Erfahrungen aus zahlreichen durchgeführten Einzelvorhaben, ist häufig eine Abwägung der erzielbaren Kostenvorteile bei einer geschlossenen Bauweise gegenüber den Nachteilen durch die hydraulischen Einschränkungen bei Renovierungsvorhaben erforderlich. Neben der ggf. erforderlichen Schaffung von Rückhaltevolumen an anderen Stellen im Netz mit zusätzlichen Kosten ist aus strategischer Sicht auch eine veränderte Einleitung von Niederschlagswasser durch dezentrale Rückhaltungen / Reduzierungen von abflusswirksamen Flächen eine Alternative. Eine Reduzierung von Regenwasserableitungen kann hier zu Kostenvorteilen führen.
8. Überblick über die Anforderungen an die Niederschlagswasserentsorgung Die einzelnen Anforderungen an die Niederschlagswasserentsorgung sind in der Tabelle 1 für die betrachtete Mischwasserkanalisation nochmals mit den wichtigsten Aspekten zusammengestellt. Es wird deutlich, dass aus Betreibersicht eine Veränderung der bestehenden zentralen Mischsysteme mit schneller Ableitung und zentraler Behandlung hin zu einer stärker dezentral geprägten Regenwasserbewirtschaftung strategisch sinnvoll ist. Eine besondere Bedeutung bei der Vielzahl der möglichen und erforderlichen technischen Maßnahmen kommt bei allen Anforderungen einer Reduzierung der Niederschlagswasserabflüsse zu. Diese kann u. a. durch eine Minderung der abflusswirksamen Flächen erreicht werden.
VI. Bestehende wirtschaftliche Anreize zur Reduzierung der befestigten Flächen 1. Gesplittete Entgelte Eine Reduzierung der abflusswirksamen Flächen kann u. a. durch wirtschaftliche Anreize für Bürger, Gewerbe- und Industriekunden sowie die Kommunen unterstützt werden. Dabei wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass durch höhere Kosten eine Steuerungsfunktion erreicht wird. In Abbildung 6 ist die Entwicklung der Entgelte (brutto) für die öffentliche Straßenoberflächenentwässerung sowie das private Niederschlagswasser der KWL im Zeitraum 2000 – 2013 dargestellt. Es ist ersichtlich, dass die Entgelte sich in einem relativ breiten Korridor bewegt haben und heute etwa 10 Cent unterhalb des Niveaus des Jahres 2000 liegen. Die Ursachen liegen u. a. sowohl in einer Reduzierung der Aufwendungen für den Betrieb als auch in einer veränderten strategischen
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Investitionstätigkeit des Unternehmens in den letzten Jahren, welche im Rahmen des Vollkostendeckungsprinzips an die Kunden weitergegeben wurden. Tabelle 1 Überblick über Anforderungen sowie mögliche übergreifende technische Maßnahmen bei der Mischwasserkanalisation Quelle der Anforderungen
Zielgröße / Veränderung
Rechtliche Vorgaben
Niederschlagswasser soll ortsnah versickert, verrieselt oder direkt über eine Kanalisation ohne Vermischung mit Schmutzwasser in ein Gewässer eingeleitet werden
Rückläufige Demografie und längere Trockenwetterperioden im Sommer infolge Klimawandel
Verringerung der Schwankungsbreiten der hydraulischen Belastungen (Trocken- bzw. Mischwasserfall) sind aus betrieblicher Sicht vorteilhaft
Zunehmende Starkregen- Risikovorsorge und Nachweisfühperioden im Sommer in- rung einer gefahrlosen Ableitung folge Klimawandel Probleme mit Mischwasserabschlag bei hohen Vorflutwasserständen abnehmende Leistungsfähigkeit der Vorfluter infolge Klimawandel
Verringerung der einleitbaren Schmutzfrachten
Entfernung anthropogener Spurenstoffe
Vermeidung / Reduzierung einer Vermischung von Regen- und sonstigem Schmutzwasser u. a. zur Verringerung der zu behandelnden Volumenströme auf der Kläranlage
Energiekostensteigerungen
Verringerung des Energieeinsatzes (u. a. für Hebungen)
Kanalsanierung
Kompensation hydraulischer Einschränkungen beim Einsatz kostengünstiger Renovierungsverfahren (insbesondere Rohreinzugsverfahren mit Ringraum)
Quelle: eigene Erstellung.
Wichtige übergreifende technische Maßnahme
Reduzierung der abflusswirksamen Flächen für Regenwasser
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Uwe Winkler
Quelle: eigene Erstellung.
Abbildung 6: Entwicklung der KWL-Entgelte für die Straßenoberflächenentwässerung sowie das private Niederschlagswasser zwischen 2000 und 2013 (brutto)
Im Jahr 2012 lag der prozentuale Anteil der flächenbezogenen Entgelte für die private Niederschlagswasserentsorgung sowie die Straßenoberflächenentwässerung an den Gesamtentgelten der Schmutzwassersparte von 50.635 Mio. € (netto) bei 47% (Abbildung 7). Damit entfällt rund die Hälfte der Entgelte auf die Niederschlagswasserentwässerung, was deren erhebliche Bedeutung unterstreicht. Straßenoberflächenentwässerung 9.642 Mio. € 19%
Schmutzwasser 27.157 Mio. € 53%
Niederschlagswasser 14.016 Mio. € 28%
Quelle: eigene Erstellung.
Abbildung 7: Aufteilung der Entgelte (netto) auf die Straßenoberflächenentwässerung, das private Niederschlagswasser sowie das Schmutzwasser bei den KWL im Jahr 2012
Unterstützung von Klimaanpassungsprozessen im Kanalnetz
281
2. Anreizfunktion der gesplitteten Entgelte für die Ausbindung von Regenwasser Mit der Einführung der gesplitteten Entgelte wurde unzweifelhaft das Bewusstsein bei den Kunden für die Kosten der Leistungen der Regenwasserentsorgung geschärft. Unabhängig davon waren seit der Einführung des gesplitteten Entgeltes im Jahr 2000 keine gravierenden Veränderungen bei den befestigten Flächen insgesamt im Entsorgungsgebiet der KWL zu verzeichnen (Abbildung 8).
Quelle: eigene Erstellung.
Abbildung 8: Entwicklung der Flächen für die private Niederschlagswasserentwässerung sowie die Straßenoberflächenentwässerung zwischen 2000 und 2013 (Vorschauwert)
Die Ursachen liegen einerseits im Bereich der im konkreten Einzelfall ggf. vorhandenen eingeschränkten technischen Möglichkeiten (z. B. Verfügbarkeit von Versickerungsflächen) und anderseits auf der monetären Ebene. Mit einem Entgelt für 1 m² entwässerte reduzierte Fläche von 0,89 €/ a (brutto) für die private Niederschlagswasserentwässerung können unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten allenfalls einfachste bauliche Maßnahmen umgesetzt werden. Größere bauliche Maßnahmen, z. B. die Änderungen der Dachentwässerungen / Grundleitungen unter Häusern, Einbau von Ökopflaster, Pflasterarbeiten mit Gefällewechsel, größere Zisternen) rechnen sich hingegen in überschaubaren Zeiträumen nicht. Hinzu kommen die allgemeinen Erschwernisse jeder baulichen Maßnahme im persönlichen Umfeld (Lärm, Staub), die durch eine monetäre Bewertung nicht erfasst werden. Darüber hinaus erfolgt über die Eigentümer im Mietwohnungsbereich eine direkte Umlage auf die Mieter im Rahmen der Nebenkostenabrechnungen. Steuerungseffekte zur Reduzierung von befestigten Flächen sind aufgrund dieser Sachlage und bei den vorhan-
282
Uwe Winkler
denen relativ geringen Entgelten außerhalb von primär ökologisch motivierten Intentionen damit praktisch nur eingeschränkt vorhanden. Im Bereich der Straßenoberflächenentwässerung sind primär die Kommunen in der Verantwortung. Aufgrund der vielfach fehlenden Finanzkraft sind diese häufig nicht oder nur eingeschränkt in der Lage Investitionen (und zwar unabhängig von der jeweiligen Wirtschaftlichkeit im Einzelfall) umzusetzen. Zudem wirkt sich die starke Spezialisierung für technische und kaufmännische Aufgaben in größeren Verwaltungseinheiten u. U. hemmend auf die erforderliche gesamtheitliche Betrachtung von Kosten (u. a. für Straßenoberflächenentwässerung versus Straßenbaumaßnahmen) aus. Reduzierungen von Flächen führen weiterhin aufgrund der hohen Fixkostenanteile zu erhöhten spezifischen Entgelten und wirken dementsprechend nur sehr langsam / eingeschränkt auf die Gesamtkosten. In Abbildung 9 wurde auf der Basis einer aufgrund von Erfahrungswerten basierenden Kostenschätzung von 15 € / m² für die Entsiegelung von 1 m² befestigter Fläche der zugehörige Refinanzierungszeitraum statisch (ohne Zinseffekte) berechnet. Demnach ist von einem Zeitraum von mindestens 14 – 17 Jahren auszugehen.
Quelle: eigene Erstellung.
Abbildung 9: Übersicht über die erforderlichen Refinanzierungszeiträume (statischer Ansatz) bei den gegenwärtigen Entgelten für privates Niederschlagswasser sowie die Straßenoberflächenentwässerung
Die aufgeführten Aspekte zeigen deutlich, dass für die aufgrund von strategischen Zielfunktionen langfristig anzustrebende Veränderung der Regenwasserableitung und -behandlung die gegenwärtig vorhandenen monetären Anreizfunktionen nicht ausreichend sind. Es ist daher notwendig, weitergehende Ansätze im Bereich der Entgeltkalkulation zu entwickeln, welche den notwendigen Umbau der Regen-
Unterstützung von Klimaanpassungsprozessen im Kanalnetz
283
wassersysteme durch weitergehende monetäre Anreizfunktionen unterstützen. Neben Modifikationen und Öffnungsklauseln bei den Vorgaben für eine kostendeckende Kalkulation in den Kommunalabgabengesetzen sind auch Anreizfunktionen im Bereich der Abwasserabgabe für Niederschlagswasser denkbar. Hier bieten sich sowohl die Verrechnung von entsprechenden Investitionen, die Umstellung von der fiktiven einwohnerbezogenen Pauschalisierung auf den sachbezogenen Flächenmaßstab sowie eine Differenzierung der Abgabepflicht nach der tatsächlichen Ressourcennutzung entsprechend der Abbildung 10 sowie der Tabelle 2 an.
Quelle: Gawel et al. (2014), S. 341.
Abbildung 10: Hierarchie zum abgabenrechtlichen Umgang mit Niederschlagswasser
Tabelle 2 Bewertungspunkte des Regenabflusses in Abhängigkeit von der Herkunftsfläche nach DWA Merkblatt M 153 Flächenverschmutzung
gering
Beispiele
Typ
Punkte
Gründächer, Gärten, Wiesen und Kulturland mit möglichem Regenabfluss in das Entwässerungssystem
F1
5
Dachflächen und Terrassenflächen in Wohn- und vergleichbaren Gewerbegebieten
F2
8
F3
12
Rad- und Gehwege außerhalb des Spritz- und Sprühfahnenbereichs von Straßen (Abstand über 3 m) Hofflächen und Pkw-Parkplätze ohne häufigen Fahrzeugwechsel in Wohn- und vergleichbaren Gewerbegebieten
Fortsetzung nächste Seite
284
Uwe Winkler
Fortsetzung Tabelle 2 Flächenverschmutzung gering
mittel
Beispiele
Typ
Punkte
wenig befahrene Verkehrsflächen (bis zu 300 Kfz / 24h) in Wohn- und vergleichbaren Gewerbegebieten, z. B. Wohnstraßen
F3
12
Straßen mit 300 bis 5.000 Kfz / 24h, z. B. Anlieger-, Erschließungs-, Kreisstraßen
F4
19
Hofflächen und Pkw-Parkplätze ohne häufigen Fahrzeugmittelwechsel in Misch-, Gewerbe- und Industriegebieten
F5
27
F6
35
F7
45
Straßen mit 5.000-15.000 Kfz / 24h, z. B. Hauptverkehrsstraßen Pkw-Parkplätze mit häufigem Fahrzeugwechsel, z. B. von Einkaufszentren Straßen und Plätze mit starker Verschmutzung, z. B. durch Landwirtschaft, Fuhrunternehmen, Reiterhöfe, Märkte stark
Straßen über 15.000 Kfz / 24h, z. B. Hauptverkehrsstraßen mit überregionaler Bedeutung, Autobahnen stark befahrene Lkw-Zufahrten in Gewerbe-, Industrie- oder ähnlichen Gebieten, z. B. Deponien Lkw-Park- und Stellplätze
Quelle: DWA (2012).
Basierend auf den o. g. Ansätzen werden stärker verschmutzte Flächenanteile verursachergerecht in einem höheren Maßstab an den allgemeinen Ressourcennutzungskosten beteiligt. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich diese Flächen (primär Straßen) überwiegend in der Verantwortung der Kommunen befinden, welche damit stärker belastet werden. Dies führt in der Konsequenz auch zu grundlegenden Fragen der Akzeptanz solcher monetärer Anreizmodelle bei den kommunalen Gesellschaftern.
VII. Zusammenfassung Im Rahmen der anstehenden Kanalsanierung werden in den nächsten Jahren in Leipzig über 100 Millionen Euro in die vorhandene Mischwassernetze investiert. Die sanierten Kanäle werden in vielen Fällen eine Nutzungsdauer von über 120 Jahren erreichen. In diesem Zusammenhang ist es aus Betreibersicht unabdingbar, sich
Unterstützung von Klimaanpassungsprozessen im Kanalnetz
285
mit den möglichen langfristigen veränderten unsicheren Anforderungen an die Systeme zu beschäftigen und die entsprechenden Investitionsentscheidungen auch unter den nachfolgenden strategischen Gesichtspunkten zu beurteilen: – Welche Auswirkungen ergeben sich durch den Klimawandel (u. a. mögliche Zunahme von Extremereignissen, schwächere Vorfluter)? – Welche Systemanpassungen sind bei einem ggf. erforderlichen weitergehenden Rückhalt von Feststoffen sowie von prioritären Stoffen von Vorteil? – Wie kann der Energieeinsatz in den Systemen bei steigenden Preisen weiter reduziert werden? – Wie können Reduzierungen der hydraulischen Speicherkapazitäten bei Kanalsanierungen mit kostengünstigen Sanierungsverfahren mit Querschnitteinschränkungen (Ringraum) im Netz kompensiert werden?
Allen o. g. Aspekten ist gemeinsam, dass sie sowohl stark von den jeweiligen örtlichen Randbedingungen als auch durch große Unsicherheiten (z. B. bei den Klimaprognosen) gekennzeichnet sind. Entsprechend den Grundsatzvorgaben des WHG, den Empfehlungen des DWA-M 153 sowie den aufgezeigten zukünftigen Anforderungen ist perspektivisch aus Betreibersicht eine stärkere Verankerung dezentraler Systemkomponenten der Niederschlagswasserbewirtschaftung anzustreben. Ein wesentlicher Eckpfeiler hierbei ist eine Reduzierung der befestigten Flächenanteile als Ansatz an der Quelle. Zur Umsetzung entsprechender Prämissen ist eine langfristige und strategisch geprägte Herangehensweise unter Einbeziehung der verschiedenen Akteure (u. a. Wasserwerke, Stadtplanung, Kunden) unbedingt erforderlich. Eine Analyse der bisherigen Erfahrungen bei der Einführung gesplitteter Entgelte im Bereich der KWL zeigt, dass bislang keine nennenswerte Veränderung des Kundenverhaltens (Ausbindungen usw.) insbesondere im Bestand zu verzeichnen war. Unabhängig von ideellen Kundenentscheidungen aus ökologischen Aspekten sowie technischen Einschränkungen sind gegenwärtig auf der Basis der bestehenden Entgelte die ökonomischen Anreizfunktionen nicht ausreichend, stärkere Ausbindungen von Regenwasser in den Systemen zu unterstützen. Eine weitergehende monetäre Unterstützungsfunktion kann u. a. durch Anpassungen im Bereich der gesetzlichen Vorgaben für die Entgeltkalkulationen (KAG) bzw. durch Anpassungen bei der Abwasserabgabe für Niederschlagswasser (Umstellung auf den Flächenmaßstab) erfolgen.
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Uwe Winkler
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Ordnungskonzepte der deutschen Wasserwirtschaft zwischen Modernisierung und Regulierung Von Erik Gawel und Norman Bedtke
I. Die deutsche Wasserwirtschaft zwischen Effizienzkritik und „Modernisierung“ 1. Die deutsche Wasserwirtschaft in der Effizienzkritik Nachdem die Sicherstellung der Aufgaben der Daseinsvorsorge lange Zeit die dominierende Zielstellung im deutschen Wassersektor war, ist die nationale Wasserwirtschaft spätestens seit der EU-Deregulierungspolitik in den Netzsektoren des europäischen Binnenmarktes in den 1990er Jahren unter erheblichem Druck. Den nationalen Startschuss der Debatte gab die vielbeachtete Weltbankstudie von 1995 ab,1 die erhebliche Effizienzmängel der deutschen Wasserver- und Abwasserentsorgung ausmachte und Reformen anmahnte. Als Hauptsymptom dieser Effizienzdefizite gelten die Wasserpreise. Die deutschen Entgelte für Wasserdienstleistungen der Ver- und Entsorgung werden im internationalen Vergleich als (zu) hoch angesehen.2 Zudem bestehen zwischen den (äußerst zahlreichen, oft kleinskaligen) Dienstleistern der Ver- und Entsorgung ganz erhebliche Unterschiede bei den Wasserpreisen. Empirische Effizienzanalysen gehen davon aus, dass fehlender Wettbewerb und Effizienzmängel dazu entscheidend beitragen.3 Abweichende Produktionsbedingungen oder rechtlich unterschiedliche Kalkulationsvorgaben sind zwar ebenfalls maßgebliche Ursachen,4 können die Abweichungen alleine aber wohl nicht erklären. Dieser Befund wurde vielfach mit – durchaus kontroversen – rechtspolitischen Vorschlägen einer Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens der Wasserwirtschaft, insbesondere zur Entgeltkontrolle, beantwortet.5 Davon weitgehend unbeeindruckt Vgl. Briscoe (1995). Kritisch dazu, weil keine Berücksichtigung der jeweiligen Leistungsniveaus erfolgt, BDEW (2015). 3 Vgl. Hirschhausen et al. (2009); Zschille / Walter (2010); Zschille (2013). 4 Vgl. Holländer et al. (2008). 5 Vgl. Ewers et al. (2001); Monopolkommission (2010); dies. (2012a); dies. (2014). 1 2
288
Erik Gawel und Norman Bedtke
hat der Gesetzgeber 2002 den Druck eher vorsichtig mit Hilfe einer vermittelnden „Modernisierungsstrategie“ zu kanalisieren versucht.6 Weitergehenden Forderungen wurde zuletzt im Rahmen der 8. GWB-Novelle 2013 nochmals eine klare Absage erteilt, mit der eine vielfach geforderte substanzielle Stärkung der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht über Wasserpreise ausbleibt. Auch neuere Impulse aus dem europäischen Vergaberecht mit Blick auf die Konzessionsvergabe-Richtlinie 2014 / 23 / EU wurden auf öffentlichen Druck hin für die Wasserwirtschaft ausgespart. Damit bleibt die „Modernisierungsstrategie“ weiterhin die zentrale Antwort auf die Effizienzkritik im Wassersektor – Grund genug, nach über zehn Jahren Bilanz zu ziehen hinsichtlich des Debattenstandes und der komparativen Leistungsfähigkeit der rechtspolitischen Weiterentwicklungsvorschläge.
2. Die Liberalisierungs- und Effizienzdebatte auf europäischer und nationaler Ebene Seit den 1990er Jahren konnte ein europaweiter Trend der wettbewerblichen Öffnung (Liberalisierung) und eine zunehmende Bedeutung von Privatunternehmen (Privatisierung) im Bereich von Infrastruktur- und Netzsektoren und damit die Verdrängung langer Zeit bestehender Staatsmonopole beobachtet werden. Insbesondere ein sich seinerzeit änderndes „Staatsverständnis“ war hierfür verantwortlich, bei dem sich der Staat zunehmend aus der traditionellen Rolle des Leistungsstaats verabschiedete und die Rolle eines Gewährleistungsstaates einnimmt.7 Als dieser garantiert der Staat nicht länger die eigentliche Leistungsproduktion, sondern stellt sicher, dass die Grundversorgung zu vereinbarten Qualitäts- und Preisstandards erfolgt.8 Dieses moderne Leitbild der Daseinsvorsorge wird auch auf europäischer Ebene verfolgt und spiegelt sich in weitreichenden Liberalisierungsbemühungen wider. Die Ziele, die damit verfolgt werden, sind die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes sowie das Anregen von Wettbewerb in Netzsektoren, um brachliegende Effizienzpotenziale auszuschöpfen und mithin eine Verbesserung der Marktergebnisse zu erzielen. Bereits Mitte der 1990er Jahre wurden aus diesem Grund für die Sektoren Telekommunikation, Post, Energie und Verkehr konkrete EU-Rahmenrichtlinien erlassen, mit denen eine schrittweise Liberalisierung der Sektoren eingeleitet wurde.9 Das in den Farbbüchern der Europäischen Kommission entwickelte Konzept für Dienstleistungen der Daseinsvorsorge klassifiziert die Wasserversorgung als „DienstBT-Drs. 14 / 7177; BT-Drs. 16 / 1094. Vgl. Schuppert (2005). 8 Vgl. Einig (2008) S. 17. 9 So erfolgte beispielsweise die schrittweise Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte durch drei Legislativpakete, die zwischen 1996 bis 2009 verabschiedet wurden. Das derzeit gültige dritte Energiepaket beinhaltet die Richtlinien zu Elektrizität (2009 / 72 / EG) sowie Gas (2009 / 73 / EG). 6 7
Ordnungskonzepte der deutschen Wasserwirtschaft
289
leistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“10, wodurch die Anwendung von EU-Wettbewerbsregeln in Frage käme. Allerdings wurden für den Wassersektor bis heute keine Richtlinien zu einer Marktöffnung erlassen, da im Laufe des Prozesses klar wurde, dass eine Liberalisierung der Wasserversorgung nach dem Vorbild anderer Netzsektoren nicht möglich ist, da einerseits technische Gründe dagegensprechen, aber auch die politische Durchsetzbarkeit fraglich ist.11 Da zudem das Europäische Parlament die Liberalisierung des Sektors ablehnte,12 wurden die Bemühungen um eine Wasserliberalisierung auf EU-Ebene für einige Jahre weniger forciert. Zugleich forderte das Europäische Parlament eine „Modernisierung“, bei der „wirtschaftliche Grundsätze mit Qualitäts- und Umweltstandards sowie mit der erforderlichen Effizienz im Einklang stehen müssen“13, ohne aber diese Forderungen weiter zu präzisieren. Ungeachtet der Tatsache, dass auf EU-Ebene vorerst von der Strategie einer breiten Marktöffnung abgesehen wurde, stellte sich in einigen Staaten auch im Wassersektor ein Prozess der Liberalisierung ein, so dass hierfür typische Charakteristika, wie u. a. die zunehmende Beteiligung des Privatsektors, eine differenzierte Betrachtung der Wertschöpfungsstufen und länderübergreifende Aktivitäten vorherrschen. 14 Während der Telekommunikationssektor in den europäischen Staaten einen hohen Liberalisierungsgrad aufweist und zugleich zahlreiche private Akteure im Sektor aktiv sind, zeigt sich im Bereich der Trinkwasserversorgung kein einheitliches europäisches Bild (siehe Tabelle 1). Die Vielfalt der Governance-Optionen für den Wassersektor zeigt sich allein in idealtypischen Formen, die von einer streng regulierten und vollprivatisierten englischen Wasserversorgung über das französische Modell eines Wettbewerbs um den Markt bis hin zu einer per Gesetz ausgeschlossenen Privatisierung der Wasserversorgung in den Niederlanden reicht.15 Zwischenzeitlich nahmen die Reformbemühungen auf EU-Ebene erneut Fahrt auf, als die EU-Kommission im Dezember 2011 ihre Richtlinienvorschläge zur Überarbeitung des europäischen Vergaberechts unterbreitete. Insbesondere der Vorschlag zur Einführung einer neuen Richtlinie über die Regelung der Konzessionsvergabe16 wurde kontrovers diskutiert, da eine Erstreckung des Vergaberechts auf Dienstleistungskonzessionen auch im Wassersektor vorgesehen war. Wenngleich die direkten Konsequenzen aufgrund von Schwellenwerten und Ausnahmebereichen für die deutsche Wasserwirtschaft letztendlich überschaubar gewesen wären, wurde dahinter vielerorts der Versuch einer „Liberalisierung durch die Hintertür“ Vgl. Europäische Kommission (2003). Vgl. Schenner (2006), S. 109. 12 Vgl. Europäisches Parlament (2003). 13 Vgl. Europäisches Parlament (2003), Rn. 47. 14 Vgl. ENGREF et al. (2003), S. 139 f. 15 Vgl. Scheele (2007). 16 KOM (2011) 896 endgültig (Vorschlag für Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe). 10 11
290
Erik Gawel und Norman Bedtke Tabelle 1 Grad der Liberalisierung verschiedener Netzsektoren in ausgewählten Ländern Deutsch- Spanien Frankland reich
Italien
Schweden
Großbritannien
Schweiz
Telekommunikation
hoch+
hoch
hoch
mittel
hoch
hoch+
hoch
Luftverkehrsdienste
hoch
mittel
mittel
hoch
hoch
hoch
mittel
Energiesektor
mittel
mittel+
niedrig
niedrig
hoch
hoch+
niedrig
Schienenverkehr
niedrig
niedrig
niedrig
niedrig
hoch
hoch+
niedrig
Postsektor
mittel
hoch
niedrig
niedrig
hoch+
mittel
niedrig
Wassersektor (bezieht sich auf Wettbewerb um den Markt)
mittel
hoch
hoch+
niedrig+ niedrig
hoch+
niedrig
Quelle: Garcia et al. (2007), S. 62.
gesehen.17 Nachdem Anfang 2013 der Binnenmarktausschuss des Europaparlaments den Vorschlägen zustimmte, galt die Einführung der europaweit einheitlichen Regelungen zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen in allen Sektoren als sicher. Nach heftigen Bürgerprotesten, die beispielsweise in der ersten erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative „right2water“18 mündeten, ruderte die Kommission Ende Juni 2013 zurück und erklärte, dass die kommenden Neuregelungen der Richtlinie nicht für den Wassersektor gelten werden.19 In der letztlich vom Europäischen Gesetzgeber verabschiedeten Richtlinie über die Konzessionsvergabe (2014 / 23 / EU)20 sowie dem am 8. 7. 2015 vom Bundeskabinett verabschiedeten deutschen Gesetzentwurf zur Modernisierung des Vergaberechts wurde der Wassersektor folglich ausgespart.21 Die jahrelange Debatte zur Liberalisierung netzgebundener Infrastrukturen erfasste auch den deutschen Wassersektor, da auch hier vermutet wurde, dass ein erStellvertretend für viele: VKU (2013). http://www.right2water.eu, abgerufen am 28. 02. 2015 19 http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/11496_de.htm, abgerufen am 28. 02. 2015. 20 Die Richtlinie dazu: „Konzessionen in der Wasserwirtschaft unterliegen häufig spezifischen und komplexen Regelungen, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen, da Wasser als öffentliches Gut für alle Bürger der Union von grundlegendem Wert ist. Die besonderen Merkmale dieser Regelungen rechtfertigen im Bereich der Wasserwirtschaft Ausschlüsse aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie“ (2014 / 23 / EU, Rn. 40). 21 Die besondere Ausnahme des Wassersektors ist in § 149 Abs. 9 VergRModG-E geregelt. 17 18
Ordnungskonzepte der deutschen Wasserwirtschaft
291
höhter Wettbewerbsdruck zu Kostensenkung, Innovationstätigkeit und einer kundenfreundlicheren Versorgung führen wird. Derartige Überlegungen wurden durch eine Studie der Weltbank aus dem Jahr 1995 befeuert, welche eine effiziente Bereitstellung der Versorgungsdienstleistungen in Frage stellte. In der Studie wurden die hohen technischen Standards und das Qualitätsniveau der deutschen Wasserversorgung positiv hervorgehoben, zugleich aber auch die relativ hohen Preise und die geringe Weltmarktpräsenz deutscher Unternehmen kritisiert, was zugleich auf die hohe Kleinteiligkeit des Sektors und eine mangelnde Integration von Ver- und Entsorgung zurückgeführt wurde.22 In einem vom Bundeswirtschaftsministerium beauftragten Gutachten wurden daraufhin die „Optionen, Chancen und Rahmenbedingungen einer Marktöffnung für eine nachhaltige Wasserwirtschaft“ für Deutschland geprüft und eine „systemkonforme Marktöffnung“ empfohlen.23 Die Empfehlungen wurden jedoch kontrovers aufgenommen und stießen auch auf Kritik.24 Abbildung 1 gibt einen Überblick über Verlauf und Stoßrichtung der Effizienzdebatte seit 1995. 3. Die vermittelnde Strategie einer „Modernisierung“ Letztendlich überwogen jedoch in Deutschland, wie auch auf europäischer Ebene, die Vorbehalte gegenüber einer weitreichenden Marktöffnung, wie sie in anderen Netzsektoren vollzogen wurde. So wurden in zwei zentralen Gutachten des Umweltbundesamts25 und des Sachverständigenrats für Umweltfragen26 massive Bedenken hinsichtlich einer Liberalisierung und Privatisierung des Sektors geäußert, da insbesondere im Bereich Umwelt- und Gesundheitsschutz Abstriche im Zuge von Wettbewerbsdruck und privater Gewinnorientierung zu erwarten wären. Ein Handlungsbedarf wurde letztendlich dennoch gesehen, so dass der Bundestag die Bundesregierung 2002 damit beauftragte, eine „Modernisierungsstrategie für die deutsche Wasserwirtschaft“ zu entwerfen.27 Die Verabschiedung der Kernelemente einer Modernisierungsstrategie, die als Ergebnis eines langwierigen Prozesses im Jahre 2006 vorgestellt wurde,28 kann damit als die deutsche Alternative zu weitergehenden Reformmaßnahmen gesehen werden. Im Rahmen dieser vermittelnden Strategie wurden potenzielle Stellschrauben abseits von Wettbewerbskonzepten und unter einer
Vgl. Briscoe (1995). Vgl. Ewers et al. (2001), S. 9; so auch anfangs der Sachverständigenrat für Umweltfragen, siehe SRU (2000). 24 Vgl. Brackemann et al. (2000); SRU (2002). 25 Vgl. Brackemann et al. (2000). 26 Vgl. SRU (2002). 27 Im Antrag des Bundestags heißt es dazu: „Gleichwohl ist der Deutsche Bundestag der Auffassung, dass es Modernisierungsbedarf in der Wasserwirtschaft gibt. Es gibt bedeutende Potenziale, um zu mehr Effizienz im Sinne einer optimalen betriebswirtschaftlichen Bereitstellung bester Wasserqualität zu kommen.“ BT-Drs. 14 / 7177, S. 2. 28 BT-Drs. 16 / 1094. 22 23
Abbildung 1: Meilensteine der nationalen Diskussion zu Reformen des Ordnungsrahmens der Trinkwasserversorgung
Quelle: eigene Fortführung von Janda (2012), S. 135.
292 Erik Gawel und Norman Bedtke
Ordnungskonzepte der deutschen Wasserwirtschaft
293
grundsätzlichen Beibehaltung der bestehenden Strukturen benannt, mit denen eine nachhaltige und effiziente Wasserwirtschaft in Deutschland sichergestellt werden sollte.29 Die Modernisierungsstrategie umreißt dabei drei Handlungsfelder: 30 – „Sicherheit, Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit“ der Daseinsvorsorge sollen dauerhaft gewährleistet werden, wobei „Modernisierung“ hierbei als ein „Nochbesser-Werden“ in Bezug auf diese Punkte verstanden werden soll. – Der Ausbau „effizienter, kundenorientierter und wettbewerbsfähiger Dienstleistungsunternehmen“: Dabei geht es um mehr „Effizienz“ durch eine optimale betriebswirtschaftliche Bereitstellung aller Wasserdienstleistungen und um eine kritische Betrachtung der Struktur und Arbeitsweisen der Unternehmen. – Ein stärkeres internationales Engagement bei der Umsetzung der Millenniumsziele im Wasserbereich.
Betrachtet man die benannten Ziele einer Modernisierung, dann sind diese Aussagen z. T. inhaltlich deckungsgleich mit den Punkten, die bereits das Weltbankgutachten – wenn auch deutlich kritischer formuliert – angesprochen hatte. Hinsichtlich der Qualität steht der Erhalt des hohen Versorgungs-Niveaus im Vordergrund. Im Hinblick auf die Effizienz wird eine vorsichtige Verbesserung der bisherigen Praxis angeregt. Auch die Forderung einer verstärkten internationalen Aktivität Deutschlands im Wasserbereich findet sich in der Modernisierungsstrategie der Bundesregierung wieder. Diese stützt sich im Wesentlichen auf die folgenden Kernelemente: – Einführung eines flächendeckenden und transparenten Benchmarkings, – Lockerung des Örtlichkeitsprinzips im Gemeindewirtschaftsrecht, – Übertragung der Abwasserbeseitigungspflicht auf Dritte, – steuerliche Gleichbehandlung von Trink- und Abwasser – sowie ein stärkeres internationales Engagement der deutschen Wasserwirtschaft.
Diese Kernelemente der Modernisierungsstrategie adressieren laut Bundesregierung spezifische Gegebenheiten der deutschen Wasserwirtschaft, die als Hemmnisse für die Ausbildung zeitgemäßer, wettbewerbsfähiger Strukturen und eine mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit ausgemacht wurden.31 Auch wenn es nicht darum ging, eine verbindliche Strategie für die gesamte Wasserwirtschaft vorzugeben, wurde sie als die Grundlage eines kontinuierlichen Erneuerungsprozesses angesehen, um die Strukturen der Wasserwirtschaft den heutigen, steigenden Wettbewerbserfordernissen anzupassen.32 29 Allerdings wurde im ursprünglichen Antrag auch gefordert, „jenseits der bewährten kartellrechtlichen Regelung nach GWB § 103 (alt) […] auch mögliche[n] Änderungsbedarf im Ordnungsrahmen zu prüfen“, siehe BT-Drs. 14 / 7177, S. 3. 30 BT-Drs. 16 / 1094, S. 4. 31 Vgl. BMWi (2007). 32 Vgl. BMWi (2007), S. 34.
294
Erik Gawel und Norman Bedtke
II. Modernisierungsstrategie und 8. GWB-Novelle als rechtspolitische Antworten auf die Effizienzkritik 1. Reichweite und Implementationsstand der „Modernisierung“ Mit Blick auf die „Modernisierungsstrategie“ stellt sich die Frage, in welchem Umfang die zentralen strategischen Elemente mittlerweile „geprüft“ oder bereits umgesetzt wurden und ob, ggf. in welcher Weise, diese überhaupt geeignet sind, die ökonomischen Effizienzanforderungen an den Wassersektor zu adressieren bzw. auch nur die selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Es stellen sich also Fragen der Implementation einerseits und der Adäquanz andererseits. a) Einführung eines Verfahrens zum Leistungsvergleich zwischen Unternehmen Ein Kernelement der Strategie ist die Etablierung eines Verfahrens zum Leistungsvergleich zwischen Unternehmen. Ein solches Benchmarking wurde im Antrag von 200133 gefordert, ohne aber die Ausgestaltung des Instruments näher zu präzisieren. Die Verbände der Wasserwirtschaft gingen bereits vor der Verabschiedung der Strategie in Vorleistung und präsentierten in zwei Verbändeerklärungen 34 ihre Vorstellungen zur Ausgestaltung des Benchmarkings. Die Verbände erkennen dabei an, dass Benchmarking ein „bewährtes Instrument zur Optimierung der technischen und wirtschaftlichen Leistung und Effizienz der Unternehmen“ 35 darstellt, wobei sie festhalten, dass hierbei der Grundsatz der Freiwilligkeit gegeben sein müsse. Wenngleich die Bemühungen und Fortschritte der Branche im Bereich Benchmarking zu würdigen sind und dies auch dasjenige Element der Modernisierungsstrategie ist, welches die größten Fortschritte gemacht hat,36 gibt es doch eine ganze Reihe kritikwürdiger Punkte. Die Freiwilligkeit des Systems beruht auf der Idee eines „Lernens von den Besten“.37 Hierzu sollen durch den Dialog der Unternehmen untereinander erfolgreiche Methoden und Prozesse identifiziert und verbreitet werden, um die betriebliche Leistungsfähigkeit zu steigern. Insbesondere in der Freiwilligkeit der Teilnahme wird allerdings eine erhebliche Schwäche des deutschen Benchmarking-Ansatzes gesehen. So wurde bereits früh die Motivation der Unternehmen an einer Teilnahme in Frage gestellt.38 Zum einen werden in der jetzigen Ausgestaltung jegliche Effizienzzugewinne als Folge des Benchmarkings auf33 34 35 36 37 38
BT-Drs. 14 / 7177, S. 3. Vgl. ATT-DVKW et al. (2003); ATT et al. (2005). ATT et al. (2005), S. 1. Vgl. Janda (2012), S. 155. Vgl. BDEW (2012). Vgl. Oelmann (2005b), S. 52.
Ordnungskonzepte der deutschen Wasserwirtschaft
295
grund der aggregierten Daten der gesamten Branche zugeordnet, während die Kosten für eine Kennzahlenerhebung und das Umsetzen effizienzfördernder Maßnahmen nur die teilnehmenden Unternehmen zu tragen haben. Folglich besteht hierbei ein Trittbrettfahrerproblem, da der Erfolg sozialisiert wird, während die Kosten nur bei den Unternehmen anfallen, welche die Effizienzpotenziale heben. 39 Es ist auch fraglich, ob strukturell ineffiziente Unternehmen auch unter dem Schutze der Anonymität genügend Anreize haben, um sich am Lernprozess zu beteiligen. Dass die damaligen Bedenken hinsichtlich geringer Anreize zur Teilnahme nicht unbegründet waren, zeigt sich darin, dass bis heute keine annähernd flächendeckende Teilnahme an Benchmarkingprojekten erreicht werden konnte.40 Derzeit nehmen insbesondere größere Unternehmen am Benchmarking teil. In der Folge vermittelt eine Teilnahmequote gemessen am Wasseraufkommen den Eindruck einer überwiegenden Beteiligung; und doch sind weiterhin genau die (kleineren) Unternehmen nicht beteiligt, bei denen strukturelle Effizienzdefizite am wahrscheinlichsten sind. Ein weiteres bedeutendes Problem besteht darin, dass bis heute keine Vereinheitlichung der Bewertungsmaßstäbe erfolgt ist, wodurch eine elementare Voraussetzung für den Vergleich von Unternehmen fehlt.41 Es bleibt abzuwarten, ob gegenwärtige Bemühungen einer Vereinheitlichung der Kennzahlensysteme die bestehenden Praxisprobleme überwinden können.42 Freiwilligkeit und Vertraulichkeit bleiben damit die großen Schwachstellen des aktuellen Benchmarking-Ansatzes. Trotz der defizitären Ausgestaltung muss das Benchmarking aus heutiger Sicht als zentrales Element der Modernisierungsstrategie angesehen werden. Einerseits, weil hier bisher die meisten Fortschritte erzielt werden konnten, und andererseits, weil mit Hilfe eines solchen Verfahrens durchaus Effizienzpotenziale gehoben werden können. Ob dies in der jetzigen Ausgestaltung möglich ist, bleibt jedoch mehr als fraglich. b) Steuerliche Gleichstellung von Trink- und Abwasser Die weiteren Kernelemente der Modernisierungsstrategie zielen darauf ab, die Rahmenbedingungen für Kooperationen zu verbessern.43 Hierzu zählt zunächst die steuerliche Gleichbehandlung von Trink- und Abwasser. Gegenwärtig sind zwei steuerrechtliche Besonderheiten im Wassersektor festzuhalten 44 (siehe auch Tabelle 2): Vgl. Oelmann (2005b), S. 52. Vgl. Brenck et al. (2010), S. 8 ff.; ATT et al. (2011), S. 80; Löhner (2011), S. 16. 41 Vgl. Löhner (2011), S. 17 ff. 42 Siehe dazu http://www.springerprofessional.de / benchmarking-im-wassersektor–wiegeht-es-weiter / 4920730.html, abgerufen am 28. 02. 2015. Im Rahmen des von der DVGW initiierten Forschungsvorhabens „Entwicklung eines Hauptkennzahlensystems der deutschen Wasserversorgung“ sollen ca. 120 verbindliche Kennzahlen erarbeitet werden, siehe dazu Knackfuß (2014). 43 Ein weiteres Kernelement, die „Stärkung des internationalen Engagements“, zielt jedoch nicht auf Effizienzaspekte ab – siehe hierzu BT-Drs. 16 / 1094, S. 29 ff. 44 Vgl. Schulte / Wiesemann (2014), § 6, Rn. 132 ff.; siehe auch Tabelle 3. 39 40
296
Erik Gawel und Norman Bedtke Tabelle 2 Umsatzsteuerrechtliche Heranziehung der Wasserverund Abwasserentsorgung Wasserversorgung
Abwasserentsorgung
Privatrechtliche Organisationsform
7 Prozent
19 Prozent
Öffentlich-rechtliche Organisationsform
7 Prozent
umsatzsteuerbefreit
Quelle: eigene Erstellung.
– Einerseits bestehen zwischen den beiden Sektoren der Wasserwirtschaft Unterschiede: Wasserversorgungsunternehmen sind unabhängig von ihrer Rechtsform als Betriebe gewerblicher Art, die einer „wirtschaftlichen Tätigkeit“ nachgehen, körperschaft-, gewerbe- und umsatzsteuerpflichtig, wobei ein ermäßigter Umsatzsteuersatz Anwendung findet. Im Abwassersektor, der hoheitliche Dienste erbringt, unterliegen hingegen die Hoheitsbetriebe nicht der Ertrags- und Umsatzsteuerpflicht, jedenfalls soweit sie öffentlich-rechtlich organisiert sind. In dieser steuerlichen Ungleichbehandlung der Sektoren wird ein Hemmnis für die Herausbildung zeitgemäßer Organisationsformen, namentlich der als sinnvoll erachteten unternehmerischen Zusammenführung von Ver- und Entsorgungsunternehmen gesehen.45 – Ein weiterer Unterschied findet sich innerhalb des Abwassersektors, in welchem privat-rechtliche Unternehmen dem vollen Umsatzsteuersatz unterliegen, während öffentlich-rechtliche Unternehmen umsatzsteuerbefreit sind. In der steuerlichen Mehrbelastung wird ein erheblicher Wettbewerbsnachteil für Privatunternehmen gesehen.46 Zudem unterliegen im Wege einer Privatisierung gebildete Kapitalgesellschaften rechtsformbedingt (§ 1 Abs. 1 Nr 1 KStG, § 2 Abs. 2 GewStG) der Steuerpflicht, auch wenn sie Tätigkeiten ausüben, die bei der Kommune Gegenstand eines steuerbefreiten Hoheitsbetriebes wäre.
Das Steuerrecht dokumentiert so nur besonders augenfällig die historisch gewachsene, multiple Fragmentierung der Rahmenbedingungen je nach Leistungsart (gewerblich vs. hoheitlich) und nach betrieblicher Rechtsform. Hinzu tritt bei der Entgeltkontrolle noch die Unterscheidung nach der Rechtsform des Nutzungsverhältnisses (öffentlich-rechtlich vs. privat-rechtlich), was den Gebührenbereich vom Bereich privatrechtlicher Entgelte trennt mit ihren je eigenen Kontrollregimen.47 Eine steuerrechtliche Harmonisierung täte daher unbedingt Not. Allerdings ist es um dieses Kernelement der Modernisierungsstrategie äußerst ruhig geworden, zu45 46 47
Vgl. Arndt (2005); BMWi (2007). Vgl. Arndt (2005). Vgl. Gawel (2013); ders. (2015).
Ordnungskonzepte der deutschen Wasserwirtschaft
297
mal in jedem Koalitionsvertrag seit dem Antrag zur Modernisierungsstrategie 2002 eine generelle Steuerpflicht für Abwasser ausgeschlossen wurde. 48 Bereits im eigentlichen Bericht zur Modernisierungsstrategie wurde hinsichtlich der Einführung einer Besteuerung im Entsorgungssektor eine Kehrtwende vorgenommen. So heißt es dort, dass eine der Maßnahmen, um die Zielstellungen einer Modernisierung, „[…] Erhöhung der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit bei Gewährleistung einer hohen Versorgungssicherheit“ zu erreichen, die Beibehaltung des Steuerprivilegs für die Abwasserentsorgung darstellt.49 Bereits Janda verweist auf die Absurdität, Kernelemente einer Strategie vorzustellen und zugleich das Gegenteil als Lösungsvorschlag zu präsentieren.50
c) Lockerung des Örtlichkeitsprinzips Als eines der Kernstücke der Modernisierung wird ferner die Förderung von Kooperationen angesehen, wobei sowohl eine informelle Zusammenarbeit als auch Fusionen benachbarter Wasserver- und -entsorgungssysteme angesprochen werden.51 Hierbei wird die Kleinteiligkeit des Sektors adressiert, einer der größten und regelmäßig angebrachten Kritikpunkte an der deutschen Wasserwirtschaft. Gegenwärtig existieren ca. 6.000 Wasserversorgungsunternehmen und mehr als 6.900 Abwasserbeseitigungsbetriebe.52Auch wenn die jeweilige optimale betriebswirtschaftliche Größe eines Unternehmens von zahlreichen Faktoren abhängt, muss davon ausgegangen werden, dass eine bedeutende Zahl kleinerer Versorgungsunternehmen unterhalb einer betriebsoptimalen Größe agieren und Effizienzsteigerungspotential existiert.53 Die Vermutung, dass aufgrund der hohen Anzahl an Unternehmen Ineffizienzen bestehen, erstreckt sich ebenfalls auf den Entsorgungssektor.54 Die geringe Unternehmensgröße ist jedoch nicht nur aus Effizienzsicht zu hinterfragen. Auch im Hinblick auf eine der weiteren Forderungen, dem stärkeren internationalen Engagement deutscher Unternehmen, wird oftmals das Argument angebracht, dass insbesondere die geringe Größe deutscher Unternehmen einem internationalen Engagement im Weg steht.55 Das gegenwärtig starre Örtlichkeitsprinzip wird als Hindernis für Unternehmenszusammenführungen zu betriebswirtschaftlich optimalen Unternehmensgrößen so-
Vgl. z. B. CDU / CSU / FDP (2009). BT-Drs. 16 / 1094, S. 8. 50 Vgl. Janda (2012), S. 153. 51 BT-Drs. 16 / 1094, S. 4. 52 Vgl. Statistisches Bundesamt (2013); ATT et al. (2015), S. 31 ff. 53 Vgl. Rothenberger (2003), S. 50; Haug (2006); Zschille / Walter (2010); Zschille et al. (2010). 54 Vgl. Briscoe (1995); Oelmann (2007); Tauchmann et al. (2009). 55 Vgl. Wackerbauer (2009), S. 44; BMWi (2007). 48 49
298
Erik Gawel und Norman Bedtke
wie für eine internationale Betätigung deutscher Unternehmen am internationalen Wassermarkt erachtet.56 Folglich sieht die Modernisierungsstrategie eine Lockerung des Örtlichkeitsprinzips vor, damit kommunalen Unternehmen die Möglichkeit eröffnet wird, auch außerhalb ihres Versorgungsgebietes und über bisherige kommunale Kooperationen hinaus tätig zu werden. Dies umfasst insbesondere eine Beteiligung am Wettbewerb im Rahmen von Ausschreibungen anderer Versorgungsgebiete. Erwartet wird, dass sich hierdurch die Wettbewerbschancen deutscher Unternehmen auf dem internationalen Wassermarkt verbessern bzw. eine Teilnahme überhaupt erst möglich wird. Weiterhin soll ein Einbahnstraßenwettbewerb verhindert werden, d. h. die Situation, dass kommunale Unternehmen einer Konkurrenz im Stammgebiet ausgesetzt sind, zugleich aber ihre Leistungen nicht außerhalb davon anbieten können.57 Bei diesem Kernelement weist die Strategie der Bundesregierung lediglich einen empfehlenden Charakter auf, da die Handlungskompetenz hierfür bei den Ländern verortet ist. Die Länder weisen jedoch bezüglich des Vorschlags unterschiedliche Positionen auf. Während mehrere Länder eine Lockerung befürworten und diese zwischenzeitlich voranzubringen versuchten, wurde von anderen Ländern kein Veränderungsbedarf gesehen bzw. eine Lockerung abgelehnt.58 Aufgrund der Unverbindlichkeit des Elements sowie den konträren Positionen ist es nicht verwunderlich, dass sich bis heute wenig getan hat.59 Zumindest trugen zwischenzeitlich erfolgte Novellierungen des Gemeinderechts den Zielen der Modernisierungsstrategie keine Rechnung, so dass diesbezüglich ein Stillstand zu attestieren ist.60
d) Übertragung der Abwasserbeseitigungspflicht auf Dritte Ein weiteres Kernelement der Modernisierungsstrategie adressiert die Übertragung der Abwasserbeseitigungspflicht auf Dritte. Die Abwasserbeseitigungspflicht stellt gemäß den Landeswassergesetzen eine Pflichtaufgabe der Kommunen dar. Das Wasserhaushaltsgesetz (§ 18a Abs. 2a WHG i. d. F. vom 19. 8. 2002) eröffnete den Ländern jedoch die Möglichkeit zu regeln, unter welchen Bedingungen die Abwasserbeseitigungspflicht von einer Kommune auf einen Dritten ganz oder teilweise befristet und widerruflich übertragen werden kann. Obwohl dies bereits seit 1996 möglich war, nutzten bis 2006 mit Baden-Württemberg, Sachsen und Sachsen-Anhalt lediglich drei Bundesländer diese Möglichkeit. In der fehlenden Umsetzung der entsprechenden Regelungen in die Länderwassergesetze wurde ein bedeuVgl. BMWI (2007). BT-Drs. 16 / 1094, S. 27. 58 BT-Drs. 16 / 1094, S. 28. 59 Auch die Bundesregierung besitzt keine Informationen bezüglich der Umsetzung dieses Elements und verweist lediglich auf die Länderkompetenz bei den Regelungen zum Örtlichkeitsprinzip, siehe BT-Drs. 17 / 2625, S. 5. 60 Vgl. Janda (2012), S. 173 f. 56 57
Ordnungskonzepte der deutschen Wasserwirtschaft
299
tendes Modernisierungshemmnis ausgemacht.61 Mit der Benennung dieses Handlungsfeldes ging es jedoch um keine generelle Privatisierung der Abwasserentsorgung, sondern um die die zeitgemäße notwendige Flexibilisierung der Regelungen, die einen verstärkten Einbezug privater Dritter ermöglichen sollen, sofern dies von den Kommunen im Rahmen ihrer eigenständigen Organisation der Abwasserentsorgung als zweckmäßige Option erachtet wird.62 Die landeswassergesetzlichen Regelungen stellen dabei zunächst nur die Ermächtigungsgrundlage dar, während durch erst noch auszulegende Verordnungen die Voraussetzungen für eine Aufgabenprivatisierung geschaffen würden.63 Jedoch ist bezüglich dieses Kernelements seit Verabschiedung der Strategie ein Rückschritt zu beobachten. Mit der Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 31. Juli 2009 wurden bisherige Rahmenregelungen im WHG durch Vollregelungen abgelöst, weshalb § 18a Abs. 2a WHG 2002 nicht fortgeführt wurde. Wenngleich die Frage der Übertragung der Abwasserbeseitigungspflicht auf Private auch vor der Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes auf Länderebene entschieden wurde, ist nunmehr die Position der Länder weiter gestärkt und der Einfluss des Bundes weiter verringert worden. Dies erscheint vor dem Hintergrund der Ziele der Modernisierungsstrategie fragwürdig und lässt eine baldige Umsetzung dieses Elements unwahrscheinlich werden.64
e) Fazit zum Ansatz einer Modernisierung Das Fazit zum bisherigen rechtspolitischen Umgang mit der Effizienzproblematik im Wassersektor mit Hilfe der „Modernisierungsstrategie“ fällt ernüchternd aus: Die Strategie einer Modernisierung ist aus ökonomischer Sicht konzeptionell unzureichend, da Wirtschaftlichkeitsziele nur in geringer Weise adressiert werden (Adäquanzprobleme). Weiterhin stagniert die Umsetzung der zentralen Kernelemente oder diese wurden gar stillschweigend wieder von der rechtspolitischen Agenda gestrichen (Implementationsprobleme) (siehe Tabelle 3). Insgesamt ist festzuhalten, dass die Modernisierungsstrategie überwiegend Organisationsfragen der Leistungsabgabe („Effizienz durch Organisation“: Kooperationen, Einschaltung Dritter, Internationalisierung) adressiert und dabei effizienzorientierte Regelungsformen, welche den Refinanzierungs-Interessen der kommunalen Träger direkt zuwiderlaufen könnten, etwa wirksame Entgeltkontrollen, sorgsam vermeidet. Dies gilt auch für die Ausgestaltung des Benchmarkings, das dem Gedanken von „Effizienz durch Wettbewerb“ wohl am nächsten von allen „Kernelementen“ steht: Insbesondere in der freiwilligen Teilnahme und in der Veröffentli61 62 63 64
Vgl. BMWi (2007). BT-Drs. 16 / 1094, S. 26. Vgl. BMWi (2007); Janda (2012), S. 150 f. Vgl. Janda (2012), S. 174.
300
Erik Gawel und Norman Bedtke Tabelle 3 Ziele und Effizienzbezug der Kernelemente der Modernisierungsstrategie Element
Ziel
Effizienzbezug
Leistungsvergleich Optimierung der techni- Effizienzsteigerung zwischen Unterneh- schen und wirtschaftli- durch Aufdecken chen Leistungsfähigkeit und Heben von men Verbesserungspotenzialen
Umsetzung Defizitäre Ausgestaltung, keine flächendeckende Anwendung; keine Teilnahmeverpflichtung
Steuerliche Gleichbehandlung
Beseitigung steuerlicher Ungleichbehandlung (zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Unternehmen / zwischen den Sektoren)
Wettbewerbsgleich- Umsetzung derzeit heit (der Organisa- unwahrscheinlich tionsformen); Förderung unternehmerischer Zusammenführungen
Übertragung der Abwasserbeseitigungspflicht auf Dritte
Einheitliche Rahmenbedingungen für den Sektor der Abwasserentsorgung
Rückschritte, Umindirekt: höhere Flexibilität bei Wahl setzung derzeit unwahrscheinlich der Organisationsform
Lockerung des Örtlichkeitsprinzips
Optimierung der gemeindewirtschaftlichen Strukturen
Förderung unternehmerischer Zusammenführungen
Umsetzung derzeit unwahrscheinlich
Stärkeres internatio- Beitrag zur Lösung der Kein direkter Bezug Gewisse Fortschritte nales Engagement weltweiten Wasserproble- zum Effizienzziel (jedoch auf anderem me; Teilnahme am umHandlungsfeld)65 satzstarken Weltmarkt Quelle: in Anlehnung an Janda (2012), S. 155.
chung ausschließlich anonymer Daten liegen Schwächen des deutschen Benchmarking-Ansatzes, der auf Kommunikation und Austausch sowie gegenseitiges Lernen setzt und nur geringe Anreize zur Teilnahme bietet.66 Ein weiterer Kritikpunkt betrifft das bisher unzureichend abgestimmte Vorgehen innerhalb der länderspezifischen Benchmarking-Projekte, welche hinsichtlich Harmonisierung und Vergleichbarkeit stark verbesserungswürdig sind.67 Die weiteren Kernelemente des Modernisierungsansatzes lassen im Übrigen sogar weiter auf sich warten, 68 obwohl ein Er65 Zu nennen ist hier insbesondere der Aufbau der German Water Partnership, einem Netzwerk aus privaten und öffentlichen Akteuren der Wasserwirtschaft, mit dem Ziel, die Aktivitäten, Informationen und Innovationen des deutschen Wassersektors zu bündeln und hierdurch die Position auf den internationalen Märkten zu stärken. 66 Vgl. Oelmann (2005b), S. 52 ff. Zu den Beteiligungs- und Wiederholungsquoten BDEW (2012), S. 17. 67 Siehe hierzu Löhner (2011).
Ordnungskonzepte der deutschen Wasserwirtschaft
301
folg der Modernisierungsstrategie nur dann in Aussicht gestellt wurde, wenn alle Elemente zur Umsetzung gelangen.69 Insgesamt ermangelt es der Modernisierungsstrategie an Mut, die offensichtlichen Probleme klar zu benennen und auch konkrete Lösungswege aufzuzeigen.70 Zwar benennt die Modernisierungsstrategie einzelne Handlungsfelder zur „Effizienzsteigerung“ des Sektors (u. a. Kleinteiligkeit, fehlende Leistungsvergleiche), dabei kommt aber bereits ein abweichender Effizienzbegriff zur Anwendung: Effiziente Leistungsabgabe scheint eher (in irgendeiner Weise) „leistungsfähig“ denn frei von Verschwendung oder gar kostenminimal zu meinen. Mit dieser semantischen Verschiebung gewinnt man vermeintlich die Interpretationshoheit über die „Effizienz“ zurück, redet aber doch nur tapfer aneinander vorbei. So wird von Verbändeseite im Benchmarking-Zusammenhang hartnäckig die hohe Kunden- und Preiszufriedenheit als Leistungsbeleg bemüht;71 ein Effizienznachweis im ökonomischen Sinne ist dies offensichtlich nicht, denn womöglich ließe sich die Kundenzufriedenheit noch dadurch steigern, dass dieselbe Leistung zu geringeren Kosten abgegeben würde, wonach naturgemäß aber nicht gefragt wird.72 Zudem ist die instrumentelle Untersetzung selbst dieser bescheidenen Ziele der Modernisierungsstrategie erkennbar schwach: Ein lediglich kursorischer Ansatz (Regeln zur Entgeltkontrolle und spürbarer Wettbewerbsdruck fehlen völlig) wird in ungeeigneter Ausgestaltung konzipiert (z. B. anreiztheoretisch fragwürdiges Benchmarking) und dann letzten Endes auch nur noch partiell umgesetzt (Umsetzungsträgheit / Umsetzungsstillstand zentraler Kernelemente). Angesichts des selbst formulierten Anspruches, dass „die Modernisierungsstrategie […] insgesamt nur erfolgreich sein können [wird], wenn sie in allen ihren Elementen zur Umsetzung gelangt“73, darf man die Strategie der „Modernisierung“ füglich als gescheitert betrachten. Vor diesem Hintergrund kann es kaum überraschen, dass zwischenzeitlich überhaupt nur wenige erkennbare Veränderungen im Sektor erfolgten. Die Größenstrukturen im Sektor sind annähernd unverändert (siehe Abbildung 2),74 kosteneffiziente 68 Eine generelle Steuerpflicht für den Abwassersektor wurde in den Koalitionsverträgen seither explizit ausgeschlossen; und die Streichung von § 18a Abs. 2a WHG verlagert die Kompetenzen zur Ausgestaltung der Privatisierungsoption nun gänzlich auf die Länder – siehe Janda (2012), S. 174. 69 Vgl. BMWi (2007), S. 34. 70 Schon 2007 kritisierten zu Recht Bündnis90 / Die Grünen: „Neben der Auflistung bereits bekannter Positionen fehlt es an konkreten Vorschlägen zur Problemlösung.“ BT-Drs. 16 / 6630, S. 1. 71 Vgl. BDEW (2013); VKU (2014a); dies. (2014b). 72 So empfanden 2012 immerhin 34 Prozent der Wasserkunden ihren Wasserpreis als zu hoch, siehe Pöhls (2012), S. 24. 73 Vgl. BMWi (2007). 74 Wenngleich in den letzten Jahren insgesamt ein fortwährender Rückgang der Anzahl der Unternehmen im Ver- und Entsorgungssektor der Wasserwirtschaft beobachtbar ist, hat die Kleinteiligkeit der deutschen Wasserwirtschaft weiterhin Bestand.
302
Erik Gawel und Norman Bedtke
Preise vor dem Hintergrund unzulänglicher Entgeltkontrollregime fraglich und die historisch gewachsene sektorale Trennung von Trink- und Abwasser sowie betrieblichen Rechtsformen weiterhin unverändert.
60%
60% 48,7
2001
50% 40%
35,4
40%
34,8
30%
24,8
20%
13,9
12,4
1,5
10,6
7,1
6,6
10% 2,0
0,9
14,1
12,7
11,6
7,0
6,8
10%
35,0
34,8
30%
25,0
20%
50,1
2004
50%
1,9
0,8
1,5
0%
0%
unter 0.1 0,1 - 0,5 0,5 - 1 Mio. 1 - 5 Mio. 5 - 10 Mio. über 10 Mio. Mio. m³/Jahr Mio. m³/Jahr m³/Jahr m³/Jahr m³/Jahr m³/Jahr
unter 0.1 0,1 - 0,5 0,5 - 1 Mio. 1 - 5 Mio. 5 - 10 Mio. über 10 Mio. Mio. m³/Jahr Mio. m³/Jahr m³/Jahr m³/Jahr m³/Jahr m³/Jahr
60%
60%
2007
50% 40%
49,2
40%
35,2
34,8
30%
6,7
10%
8,3
10% 1,9
1,6
0%
16,1
12,8
10,8
7,2
0,9
33,8
20%
14,1
12,6
45,7 36,8
35,7
30%
25,2
20%
2010
50%
8,1 1,6
1,2 0%
unter 0.1 0,1 - 0,5 0,5 - 1 Mio. 1 - 5 Mio. 5 - 10 Mio. über 10 Mio. Mio. m³/Jahr Mio. m³/Jahr m³/Jahr m³/Jahr m³/Jahr m³/Jahr
unter 0.1 Mio. 0,1 - 0,5 Mio. m³/Jahr m³/Jahr
Anzahl der Wasserversorgungsunternehmen
0,5 - 1 Mio. m³/Jahr
1 - 10 Mio. m³/Jahr
über 10 Mio. m³/Jahr
Wasseraufkommen
Quelle: ATT et al. (2005), S. 17; dies. (2008), S. 14; dies. (2011), S. 36; dies. (2015), S. 33.
Abbildung 2: Entwicklung der Größenstrukturen in der deutschen Wasserversorgung 2001 – 2010 (Anteile in Prozent, ab 2010 Zusammenfassung der Gruppen 1 – 5 Mio. m³ / Jahr und 5 – 10 Mio. m³ / Jahr)
Zudem ist die Modernisierungsstrategie letztlich auch nur ein Resultat des politischen Drucks aus der Kosten- und Effizienzdiskussion und sucht darauf eine zwischen Beharrung und Veränderung vermittelnde Antwort. Der Zielfächer einer nachhaltigen Wasserwirtschaft ist jedoch weitaus breiter: Dabei spielen Effizienzgesichtspunkte, aber auch andere Nachhaltigkeitszielstellungen eine wichtige Rolle. 75 Das Fehlen der Nachhaltigkeitsperspektive im Regierungsdokument 2006, die noch im Auftrags-Beschluss des Bundestages 2002 prominent adressiert war („nachhaltige Wasserwirtschaft“), wurde schon 2007 von Bündnis 90 / Die Grünen76 kritisiert. Die Modernisierungsstrategie erweist sich so als bloße Hülle, die in der konkreten Politikgestaltung zur Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens der Wasserwirt75 76
Vgl. Reese et al. (2015). BT-Drs. 16 / 6630, S. 1.
Ordnungskonzepte der deutschen Wasserwirtschaft
303
schaft kaum Berücksichtigung findet (wie bei der 8. GWB-Novelle – dazu nachfolgend 2.) und im Wesentlichen eine „Nebelkerze“ bereithält, um weitergehende Reformen zu verhindern. Als Ausdruck symbolischer Politik77 unternimmt sie eine Kanalisierung von Problemdruck, zeigt sich jedoch an der Lösung der in der kritischen Debatte aufgezeigten Probleme im Interesse der Kommunalwirtschaft gar nicht interessiert. 2. Die 8. GWB-Novelle 2013 Auch die 8. GWB-Novelle78 2013 hätte Gelegenheit geboten, Effizienzerwartungen an den Wassersektor instrumentell zu untersetzen, und wurde dementsprechend intensiv diskutiert. Die Entgelte der Wasserwirtschaft in Deutschland sind spätestens seit der erstmaligen Aktivierung der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle nach GWB durch das Landeskartellamt Hessen Ende der 90er / Anfang der 2000er Jahre und der grundsätzlichen Bestätigung durch die Rechtsprechung heftig umstritten. Bereits 1997 hatten die Kartellbehörden des Bundes und der Länder vereinbart, die Aufsicht über Wasserpreise zu intensivieren.79 Seit 2007 die hessische Kartellbehörde eine erste Preisverfügung gegen den Wasserversorger ENWAG in Wetzlar aussprach und der Bundesgerichtshof am 2. Februar 2010 eine vielbeachtete Grundsatzentscheidung zugunsten der Wettbewerbsbehörde fällte,80 standen weitere Wasserversorger im Fokus einzelner Landeskartellbehörden sowie des Bundeskartellamtes. Die vormals wenig praktizierte Wettbewerbsaufsicht hängt seitdem wie ein Damoklesschwert über dem Sektor, bewirkt aber neben Preissenkungsverfügungen sowie Verpflichtungszusagen81 auch kritisch zu sehende Entwicklungen, wie eine zunehmende Re-Kommunalisierung mit dem einzigen Ziel, der Missbrauchsaufsicht durch Gebührenerhebung zu entkommen.82 Daher wurde mit Spannung erwartet, welche Auswirkungen die 8. GWB-Novelle für den Sektor der Wasserwirtschaft mit sich bringen würde. Insbesondere die Frage der Reichweite des entgeltkontrollierenden Wettbewerbsrechts sollte hier endgültig Vgl. Edelman (1976); Hansjürgens / Lübbe-Wolff (2000). BGBl. I 2013, S. 1738. 79 Siehe „Entschließung der Kartellreferenten des Bundes und der Länder vom 18. 9. 1997 zur kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle der Wasserpreise von Haushaltskunden“, in: Hempel / Franke (2006), Abschnitt 1. 2. 2 (Entschließungen und Berichte zum GWB). 80 BGH, Beschl. v. 2. 2. 2010 – KVR 66 / 08. 81 Preissenkungen ohne Gerichtsverfahren auf Basis von Verpflichtungszusagen nach § 32b GWB erfolgten in Mainz sowie Frankfurt am Main – siehe dazu Bundeskartellamt (2012); Daiber (2013). 82 Eine solche Entwicklung konnte konkret in Hessen beobachtet werden: Als Reaktion auf die höchstgerichtlich bestätigten Preissenkungsverfügungen hatte die Enwag das Wassergeschäft zum 1. Januar 2011 an die Stadt Wetzlar zurückgegeben und sich hierdurch dem Zugriff durch die Landeskartellbehörde entzogen. Auch die Wasserversorgung in Kassel wurde rekommunalisiert, um einer Preissenkungsverfügung von 37 Prozent zu entgehen. 77 78
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Erik Gawel und Norman Bedtke
durch den Gesetzgeber geklärt werden. Die Monopolkommission hatte in ihrem Sondergutachten zur 8. GWB-Novelle die Forderung erhoben, bis zur Einführung einer spezifischen Sektorregulierung übergangsweise die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht auch bei Gebühren anzuwenden.83 Die Monopolkommission wollte damit die Problematik einer „Flucht ins Gebührenrecht“ adressieren, d. h. der Möglichkeit, dass sich Versorgungsunternehmen durch Änderung ihrer Rechtsform bzw. der Rechtsform ihrer Entgeltforderungen an die Kunden (öffentlich-rechtliche Gebühren statt privatrechtlicher Entgelte) der Aufsicht durch die Kartellbehörden entziehen können. Die Rechtmäßigkeit einer Anwendung des Kartellrechts auf Gebühren wurde überwiegend angezweifelt.84 Deshalb und weil man die bestehenden Kontrollregime für angemessen erachtete, stieß die Forderung auf zahlreiche Widerstände.85 Im Rahmen der Novelle erfolgte die gesetzliche Klarstellung dahingehend, dass öffentlich-rechtliche Gebühren keiner kartellrechtlichen Kontrolle unterliegen (§ 130 Abs. 1 Satz 2 GWB). Weiterhin wurde festgelegt, dass keine Durchleitungsansprüche im Trinkwassersektor bestehen, so dass es keinen Missbrauch darstellt, wenn ein Wasserversorger die Einspeisung eines anderen Versorgers – insbesondere aufgrund technischer oder hygienischer Gründe – verweigert (§ 31 Abs. 5 GWB). Eher deklaratorisch ist zudem die ausdrückliche Nennung der Kostenkontrolle als Form der Missbrauchsaufsicht in § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB anzusehen: Kartellbehörden dürfen demnach Wasserpreise unabhängig vom Vergleichsmarktkonzept auf Basis der individuell zugrundliegenden Kosten prüfen. Hierbei dürfen Entgelte die Kosten nicht in „unangemessener Weise“ überschreiten, wobei der Maßstab einer „rationellen Betriebsführung“ zugrundezulegen ist. Neben der Festschreibung von Verpflichtungszusagen, d. h. der Möglichkeit, Verfahren einer verschärften Missbrauchsaufsicht nach Einigung zwischen Versorger und Kartellbehörde zu beenden, erfolgte zudem noch die Integration der Übergangsregelungen zum kartellrechtlichen Ausnahmebereich des Wassersektors in den Hauptteil des GWB (§§ 31 – 31b GWB). Neben der zu begrüßenden Integration der wasserwirtschaftlichen Regelungen in das Gesetzeswerk und lediglich klarstellenden Formulierungen (Option der vom BGH bereits zugelassenen Kostenkontrolle neben dem Vergleichsmarktkonzept 86, Verfahrenseinstellung durch Verpflichtungszusage) schirmt die Novelle aber im Übrigen die Versorger gezielt vor zusätzlichem Wettbewerbsdruck ab: Neben der Ablehnung von Durchleitungsansprüchen gegen Trinkwassernetze (§ 31 Abs. 5 GWB) untersagt der Gesetzgeber insbesondere die Erstreckung der Missbrauchskontrolle auf öffentlich-rechtliche Gebühren (§ 130 Abs. 1 GWB) und schreibt damit die viel-
83 Bereits im 18. Hauptgutachten wies die Kommission daraufhin, dass das die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht ihrer Auffassung nach auf Gebühren anwendbar ist [Monopolkommission (2010) S. 5, Rn. 12]. 84 Vgl. Brüning (2012); Wolfers / Wollenschläger (2012). 85 Vgl. Deutscher Städtetag u. a. (2012). 86 Vgl. Daiber (2013).
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beklagte Fragmentierung der Entgeltkontrolle87 fest und eröffnet den Versorgern die „Flucht in das Gebührenrecht“.88 Damit hat der Gesetzgeber mit Blick auf die aktuellen Kartellrechts-Debatten im Wesentlichen eine „Druckminderung“ zugunsten der Versorger bewirkt: Die öffentlich-rechtlichen Gebühren bleiben hinsichtlich der Missbrauchskontrolle zugriffsfrei, und der Vergleichsdruck zwischen den Versorgern im Rahmen des Vergleichsmarktkonzepts wird durch die Aufwertung des traditionellen und regulativ deutlich schwächeren Konzepts der Kostenprüfung.89 eher noch symbolisch gemindert. Eine Lösung der dahinter liegenden Probleme der Entgeltkontrolle durch die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht nach GWB konnte so weder gelingen, noch war diese überhaupt beabsichtigt. Ganz im Gegenteil bleiben wesentliche Schwachpunkte der Missbrauchsaufsicht unverändert bestehen. So wird die vielfache Fragmentierung der Entgeltkontrolle in der Wasserwirtschaft dadurch perpetuiert, dass die Missbrauchsaufsicht weiterhin nur privatrechtliche Entgelte betrifft. Ein durchgreifender Effizienzansatz fehlt auch weiterhin; es bleibt bei punktuellen ex-post-Kontrollen nach Maßgabe des Aufgreifermessens der Kartellbehörden. Und die Herausforderung einer wechselseitigen Abstimmung der höchst unterschiedlichen preispolitischen Vorgaben aus dem Kommunalabgabenrecht der Länder, dem allgemeinen Entgeltrecht des § 315 BGB („Billigkeit“), den unionsrechtlichen Anforderungen aus Art. 9 WRRL, einem ggf. landesspezifischen Tarifrecht (wie in Berlin) und dem GWB bleibt ebenfalls komplett ungelöst. Der Bund, der den finanzpolitischen Spielraum der Kommunen und ihrer Unternehmen in anderen Politikfeldern sowohl auf der Einnahmen- wie auch auf der Ausgabenseite direkt (Steuerpolitik, soziale Sicherung) und indirekt (Schuldenbremse der Länder) vielfach beschränkt hat, konnte und wollte sich hier zugunsten der kommunalen Aufgabenträger großzügig zeigen. Die 8. GWB-Novelle wahrt exakt die bisherigen Entgeltgestaltungsspielräume der Wasserwirtschaft und zeigt dieser über das Gebührenrecht einen bequemen Ausweg vor dem Druck der Missbrauchskontrolle auf. Dies fiel umso leichter, da hier Einnahmepotenziale zu Lasten Dritter (nämlich der Kunden) gewahrt wurden (und nicht etwa innerstaatliche Verteilungskämpfe betroffen waren).
3. Zwischen-Fazit Mit der „Modernisierungsstrategie“ und der 8. GWB-Novelle sind die offensichtlichen Effizienzprobleme des Wassersektors und die Defizite des aktuellen Regulierungsrahmens mitnichten gelöst, sondern im Wesentlichen sogar bewusst perpetuiert worden. Die Modernisierungsstrategie darf wohl eher als symbolische Politikantwort auf den allgemeinen Effizienzdruck angesehen werden, welche die kommunalen 87 88 89
Vgl. Monopolkommission (2010); Gawel (2013), S. 13. Vgl. Daiber (2013); Monopolkommission (2014). Vgl. Gawel (2015).
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Aufgabenträger aus der Schusslinie manövrieren möchte, ohne dort allzu schmerzliche Einschnitte zuzumuten. Auch die Änderungen im Wettbewerbsrecht als Folge der 8. GWB-Novelle gehen die Effizienzfrage nicht an bzw. beziehen sogar gegen weiterreichende Forderungen klar Stellung. So wird durch den Ausschluss einer kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht bei Gebühren der Druck auf die Versorger gezielt abgewehrt und die bestehende entgeltrechtliche Fragmentierung perpetuiert. Damit bleibt das zentrale Problem eines angemessenen Ordnungsrahmens für eine effiziente und nachhaltige Wasserwirtschaft weiterhin ungelöst. Es bestehen fort die unbefriedigende Fragmentierung des Entgeltrechts (nach Leistungsbereich, Rechtsnatur der Entgeltforderung und Betriebsrechtsform) und auch seine materielle Widersprüchlichkeit (nach Gebühren-, Zivil-, Tarif-, Wettbewerbs- und Unionsrecht). Es bleibt ferner die multiple Insuffizienz der aktuellen Entgeltkontrollregime: Gebührenrechtliche Kostenkontrolle und ex-post-Missbrauchsaufsicht bleiben je für sich unzureichend, und sie sind auch weder perfekte Substitute noch bruchlos komplementär.90 Auch die bisweilen angedeutete „Konvergenz“ beider Regime91 bleibt eher Desiderat denn Faktum. Mit diesem ernüchternden „zurück auf Start“ richtet sich das Augenmerk verstärkt auf die rechtspolitischen Empfehlungen der Effizienzkritiker, mit denen die beschriebenen Übel angeblich zu beseitigen seien. Doch auch bei diesen Regulierungsalternativen de lege ferenda ist eine sorgfältige Prüfung angezeigt: Welche theoretischen Modelle werden herangezogen, von welchem Zielsystem der Wasserwirtschaft wird dabei ausgegangen, wie steht es um die praktische Eignung der Vorschläge, welche Zielkonflikte treten dabei auf und wie lassen sie sich ggf. unter Praxisbedingungen angemessen lösen? Nachfolgend sei daher ein Blick auf den ökonomischen Alternativenraum und die konkreten rechtspolitischen Empfehlungen für die Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens für die deutsche Wasserwirtschaft geworfen.
III. Der ökonomische Alternativenraum 1. Regulierungsalternativen zum jetzigen Vorgehen Im wettbewerbsökonomischen Schrifttum werden alternative Ansätze zur Entgeltkontrolle durch Simulation von Wettbewerb unter den Bedingungen eines natürlichen Monopols seit langem theoretisch-abstrakt92 sowie in neuerer Zeit auch verstärkt mit Blick auf die Wasserversorgung diskutiert.93 Dabei stehen aber typischerweise weder die sich gegenwärtig in der Praxis gegenüberstehenden Kontrollsys-
Vgl. Gawel (2013); ders. (2015). Vgl. Brüning (2015). 92 Vgl. Laffont / Tirole (1993); Shleifer (1985); Littlechild (1988); Böhm (2010). 93 Vgl. Oelmann (2005a, 2008); Oelmann / Czichy (2013); Stuchtey (2002); Böschen (2006); Meran (2011); ders. (2012); Gawel (2012a); Winkler (2005); Rüttgers (2009). 90 91
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teme des Gebühren- und Kartellrechts im Vordergrund, noch werden hierbei die institutionellen Bedingungen der jeweiligen konkreten Steuerungsansätze des deutschen Entgeltrechts berücksichtigt. Gemeinsamer Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass in den netzgebundenen Sektoren der Wasserver- und Abwasserentsorgung natürliche Monopole bestehen. Dabei führt eine subadditive Kostenfunktion dazu, dass ein einzelnes Unternehmen die wasserwirtschaftlichen Dienstleistungen im mengenrelevanten Bereich zu den geringsten Kosten bereitstellen kann. Zugleich ist der Markt nicht „bestreitbar“,94 d. h. auch ein potenzieller Wettbewerbsdruck existiert nicht, da erhebliche Markteintrittsschranken bestehen. Lange Zeit galt deshalb, dass Netzsektoren einen wettbewerblichen Ausnahmebereich darstellen und somit eine staatliche Bereitstellung oder die Regulierung des Sektors notwendig werden, um ein wohlfahrtsschädliches Verhalten von Monopolisten abzuwenden. Allerdings ist auch in diesen Sektoren die Etablierung von Wettbewerbselementen möglich. Die dahinterstehende Idee einer disaggregierten Regulierung95 unterscheidet nach Wertschöpfungsstufen und zielt auf eine Disziplinierung nur jener Netzbereiche, in denen eine stabile Marktmacht besteht (monopolistische bottlenecks). Die monopolistischen Engpassbereiche finden sich regelmäßig auf der Verteilungsebene, während ein Wettbewerb um Endkunden erfolgen kann, wenn der diskriminierungsfreie Netzzugang gesichert ist. Mit dem Konzept konnte in den Sektoren Telekommunikation, Gas und Strom ein Wettbewerb im Markt durch die gemeinsame Netznutzung etabliert werden. Die in anderen Netzsektoren etablierte Trennung von Netzbetrieb und Verteilung lässt sich allerdings aufgrund der Eigenschaften von Wasser sowie dessen räumlicher Gebundenheit nicht uneingeschränkt auf den Wassersektor übertragen.96 Auch die Installation eines parallelen Leitungsnetzes ist nur selten wirtschaftlich. Der ebenfalls denkbare Einsatz von Zwischenhändlern findet bisher nur in Schottlands RetailMarkt Anwendung.97 Insgesamt herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass ein Wettbewerb im Markt als Option weit weniger Bedeutung als in anderen Netzsektoren erlangt und sich potenzielle Liberalisierungselemente im Wassersektor vorwiegend auf Ansätze eines Wettbewerbs um den Markt oder einen Vergleichswettbewerb, kombiniert mit einer Regulierung des Sektors, beschränken werden. 98 Aufgrund des umfangreichen Schrifttums zu den Wettbewerbs- und Regulierungsoptionen für die Wasserwirtschaft werden diese nachfolgend nur kurz aufgerufen (siehe Tabelle 4). Zur Theorie der bestreitbaren Märkte siehe Baumol (1982). Siehe dazu allgemein Knieps (2008), für den Trinkwasserversorgungssektor Winkler (2005); Rüttgers (2009). 96 Ein Durchleitungswettbewerb analog zu anderen Netzsektoren wird insbesondere aufgrund der problematischen Durchmischung von Wassern verschiedener Qualitäten, den hohen Transportkosten sowie aufgrund eines fehlenden flächendeckenden Verteilnetzes ausgeschlossen. 97 Vgl. Sawkins (2012). 98 Vgl. Ewers et al. (2001); Oelmann (2005a). 94 95
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Erik Gawel und Norman Bedtke Tabelle 4 Effizienzregulierung der Wasserwirtschaft – der ökonomische Alternativenraum
Regulierungs- und Wettbewerbskonzept
Grundidee
Anwendung / rechtliche Verortung
Wettbewerb im Markt
– Wasserwirtschaft als wettbewerbliAlle Maßnahmen zur cher Ausnahmebereich in DeutschÖffnung der Gebietsland (§ 31 GWB); Kommunaler Anmonopole und Etablieschluss- und Benutzungszwang rung von Wettbewerb als Marktbarriere durch gemeinsame Netznutzung, freien Lei- – Freier Leitungsbau in England möglich aber bedeutungslos („Cross tungsbau oder Einbezug Border Competition“) von Zwischenhändlern – Einsatz von Zwischenhändlern für Nicht-Haushalte in Schottland seit 2008
Wettbewerb um den Markt
Zeitlich befristete Versteigerung der Monopolstellung in einem Gebiet, an den Bieter, welcher die geringsten Preise fordert
Vergleichswettbewerb
Vergleich der Leistungs- – Yardstick-Competition als Form der Anreizregulierung fähigkeit von Unternehmen anhand ver– Verpflichtendes Benchmarking mit schiedener Kriterien Veröffentlichung der Ergebnisse („Sunshine regulation“ ) in den Niederlanden
Ausschreibungswettbewerb findet breite Anwendung in der Wasserwirtschaft Frankreichs („französisches Modell“)
– (abzugrenzen vom freiwilligen und anonymen Benchmarking in Deutschland) Preisregulierung ex ante: Kostenorientierte WasKostenpreise serpreisbindung zur Deckung der Betriebsund Kapitalkosten unter Sicherstellung einer angemessenen Kapitalrendite zur Finanzierung von Wasserinfrastruktur
Kostendeckungsprinzip des Kommunalabgabenrechts für Gebühren (und privatrechtl. Entgelte) (z. B. § 6 KAG NW)
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Fortsetzung Tabelle 4 Regulierungs- und Wettbewerbskonzept
Grundidee
Anwendung / rechtliche Verortung
Preisregulierung ex ante: Vorab festgelegte ErlösAnreizregulierung bzw. Preisobergrenzen für eine Periode ermöglichen den Unternehmen durch Kostensenkungen Gewinne zu realisieren; Verschränkung mit Benchmarking möglich („yardstick competition“)
Anwendung der Anreizregulierung in der Wasserver- und Abwasserentsorgung von England / Wales; in Deutschland seit 2009 Anreizregulierung im Strom- und Gasmarkt durch Bundesnetzagentur (ARegV).
Preisregulierung ex post: Regulierender Eingriff Missbrauchsaufsicht durch die Kartellbehörden, wenn ein Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung aktiv missbraucht
§§ 19, 31 GWB für privatrechtliche Entgelte (Vergleichsmarktkonzept, Kostenpreise)
Quelle: eigene Errstellung.
Bei einem Wettbewerb um den Markt bleiben die Gebietsmonopole erhalten, jedoch wird durch die zeitlich befristete Versteigerung der Monopolstellung ein Wettbewerb um die Gebiete entfacht. Im Zuge eines solchen Ausschreibungswettbewerbs99 erhält der Bieter den Zuschlag, welcher für die Bereitstellung der Dienstleistungen die niedrigsten Preise verlangt, wobei unterstellt wird, dass dies einhergeht mit den niedrigsten Kosten und der höchsten Effizienz der Unternehmen. Ein intensiver Ausschreibungswettbewerb ist theoretisch geeignet, um Marktmacht und Informationsasymmetrien entgegenzuwirken und kann im Ergebnis zur Markteffizienz führen. Allerdings zeigt die ernüchternde Praxis in Frankreich, dass hohe Anforderungen an das Vergabeverfahren und die Festlegung von Rechten und Pflichten (z. B. innerhalb der Konzessionsverträge) gestellt werden. Insbesondere durch Preisabsprachen und Nachverhandlungen, bei denen regelmäßig die Verhandlungsmacht bei den Unternehmen liegt, reduziert sich die Effektivität des Ansatzes erheblich. 100 Eine weitere Möglichkeit zur Etablierung von Wettbewerbselementen in den Sektoren der Wasserwirtschaft besteht in Form eines vergleichenden oder auch virtuellen Wettbewerbs. Hierbei stehen die Unternehmen nicht im direkten Wettbewerb um Endkunden oder Ver- und Entsorgungsgebiete, sondern werden anhand ausge99 100
Vgl. Demsetz (1968). Vgl. Meran (2012).
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wählter Kriterien hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit miteinander verglichen. Dabei können höchst unterschiedliche Verfahren zur Anwendung kommen, die sich hinsichtlich des Gegenstands des Leistungsvergleichs, ihrer Reichweite aber auch der damit verbundenen Konsequenzen erheblich unterscheiden.101 Der deutsche Benchmarking-Ansatz verfolgt dabei einen freiwilligen und anonymen Ansatz und kann nicht als Wettbewerbssurrogat angesehen werden (siehe II.1.a)). Ein darüber hinausgehender Ansatz, der in den Niederlanden Anwendung findet, ist die sog. „Sunshine Regulation“.102 Hierbei handelt sich um ein verpflichtendes Benchmarking-Verfahren, dessen Ergebnisse öffentlich gemacht werden. Hierdurch sollen leistungsschwache Unternehmen öffentlich bloßgestellt werden („naming and shaming“), damit diese effizienzerhöhende Maßnahmen ergreifen, Einer realen Wettbewerbssituation am nächsten kommt die Yardstick-Competition103, die eine Form der Anreizregulierung darstellt. Die grundlegende Idee von Verfahren der Anreizregulierung ist es, durch das Setzen von Preis- bzw. Erlösobergrenzen für eine bestimmte Zeitperiode den Unternehmen Anreize zur Kostensenkung zu vermitteln, da diese die Differenz als Gewinn realisieren können. Die Preisobergrenzen werden dabei exogen durch den Regulierer vorgegeben, wobei im Rahmen einer Yardstick-Competition Informationen aus dem Benchmarking-Prozess zur Ermittlung der Preisobergrenzen Eingang finden. Eine solche Regulierung findet in der Wasserwirtschaft von England / Wales Anwendung (siehe IV.4.).104 Wie auch bei der Anreizregulierung erfolgt im Rahmen der für Deutschland typischen Kostenpreise die Preisregulierung vorab (ex ante). Ziel der kostenorientierten Regulierung ist die Unterbindung monopolistischer Ausbeutung unter Abdeckung der laufenden Betriebs- sowie Kapitalkosten und einer garantierten Kapitalrendite. Dieser Regulierungsansatz wird jedoch regelmäßig für die vermittelten Anreize zur Überinvestition kritisiert. Die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht stellt dagegen eine Form der Preisregulierung dar, bei welcher die Intervention der Wettbewerbsbörden ex post erfolgt, sobald der Verdacht besteht, dass eine missbräuchliche Preisfestsetzung gegeben ist. 2. Die Vorschläge der Monopolkommission Von besonderer Bedeutung für die deutsche Debatte sind die Vorschläge der Monopolkommission. In ihrem 18. Hauptgutachten widmete sich die Monopolkommission erstmalig ausführlich und sehr kritisch dem Sektor der Trinkwasserversorgung und forderte: „Mehr Effizienz bei der Bereitstellung von Trinkwasser!“ 105 Die Mo-
101 102 103 104 105
Vgl. Clausen / Scheele (2001); Oelmann (2005b). Vgl. De Witte / Saal (2010). Vgl. Shleifer (1985). Ausführlich dazu auch Winkler (2005), S. 238 ff. Vgl. Monopolkommission (2010).
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nopolkommission kritisiert die auffallenden Unterschiede in den Trinkwasserentgelten und äußert „[…] beträchtliche Zweifel daran, ob sich die Wasserpreise und -gebühren stets an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung orientieren.“ 106 Damit verbunden ist die Kritik an der kleinteiligen Struktur des Sektors, welche aus Sicht der Kommission technologisch nur schwer zu rechtfertigen sei und durch welche erhebliche Größenvorteile und Kostendegressionspotenziale ungenutzt blieben. Weiterhin sieht die Kommission in der derzeitigen Koexistenz von privatrechtlichen Preisen und öffentlich-rechtlichen Gebühren ein „ernst zu nehmendes Problem der faktischen Ungleichbehandlung an sich gleicher Sachverhalte“107 und betont zudem den Punkt, dass im Fall der Kommunalaufsicht die Effizienz der Leistungsbereitstellung nur eine untergeordnete Rolle spielt und somit auch die Gefahr der Akzeptanz ineffizient hoher Kosten besteht. Auch zum Urteil des BGH im Fall Wetzlar positioniert sich die Monopolkommission und argumentiert, dass die Verfolgung eines Preishöhenmissbrauchs im Bereich natürlicher Monopole prinzipiell nicht für eine kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht spricht, da eine einmalige Intervention der Kartellbehörde einem Preismissbrauch durch ein Wasserversorgungsunternehmen nicht dauerhaft entgegenwirken kann.108 Insgesamt kommt die Monopolkommission in ihrem Gutachten zur Überzeugung, dass die Bereitstellung der Trinkwasserversorgung in Deutschland ineffizient sei. Aus diesem Grund fordert sie eine Reihe von Reformmaßnahmen, die auf die „explizite Ausrichtung der Wasserversorgung an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung“ abzielen. Neben dem Abstellen der Ungleichbehandlung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Unternehmen ist die Einführung einer sektorspezifischen Regulierung ein zentrales Element dieser Reformvorschläge. Die Monopolkommission sieht hierfür eine Anreizregulierung nach dem Vorbild bei Strom und Gas sowie den Einsatz von Benchmarking-Methoden zur Bestimmung der Erlösobergrenzen vor – eine Aufgabe, die zunächst durch die Bundesnetzagentur übernommen werden sollte. Damit soll eine Vollkostenkontrolle vermieden sowie wirtschaftliche Anreize zur Vermeidung von Ineffizienzen gesetzt werden. Insbesondere verspricht sich die Kommission davon, dass Trinkwasserversorger mit ineffizient hohen Gemeinkosten mit anderen Unternehmen fusionieren und so der Kleinteiligkeit des Sektors entgegengewirkt wird.109 Um weitere Wettbewerbselemente im Sektor zu implementieren, schlägt die Monopolkommission des Weiteren eine Stärkung des Wettbewerbs um den Markt vor, indem vermehrt Ausschreibungswettbewerbe Anwendung finden sollen.110 Obwohl die Bundesregierung die Absicht der Monopolkommission in ihrer Stellungnahme begrüßte und grundsätzlich dem Ziel einer effizienten Wasserwirtschaft 106 107 108 109 110
Vgl. Monopolkommission (2010), Einleitung, S. 1; Rn. 2 f. Vgl. Monopolkommission (2010), Rn. 10. Vgl. Monopolkommission (2010), Rn. 17; Monopolkommission (2012a), Rn. 109. Vgl. Monopolkommission (2010), Rn. 22. Vgl. Monopolkommission (2010), Rn. 25.
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beipflichtete, erteilte sie den Vorschlägen der Kommission eine klare Absage, da sie den bestehenden Ordnungsrahmen vorerst für geeignet hält, um die kritisierten Punkte anzugehen.111 Trotz der Absage erneuerte die Monopolkommission ihre Forderungen im 19. Hauptgutachten112 und im Sondergutachten zur 8. GWB-Novelle.113 Die Bundesregierung entgegnete eher knapp, dass sie „eine sektorspezifische Regulierung des Wasserbereichs weiter nicht für zielführend“ halte.114 Bei der Gesetzesnovelle bleiben durchaus folgerichtig alle weitergehenden rechtspolitischen Anregungen der Monopolkommission unberücksichtigt. Dies wird von der Monopolkommission in ihrem 20. Hauptgutachten kritisiert, da hierdurch „nun eine gewisse Rechtssicherheit dafür vor[liegt], dass durch eine (Schein-)Rekommunalisierung eine „Umgehung“ der kartellrechtlichen Entgeltaufsicht möglich ist“.115 Auch hält die Kommission die bisherigen Bemühungen des Sektors, u. a. im Bereich des Benchmarking, für unzureichend und fordert weiterhin die mittelfristige Etablierung einer Entgeltregulierung.116 Parallel dazu fordert die Monopolkommission eine insgesamt verbesserte Transparenz des kommunalen Handelns, wobei insbesondere die Gebührenaufsicht durch eine erhöhte Erlöstransparenz gestärkt werden soll. Dies soll durch eine Prüfung der Gemeindeordnungen auf grundlegende Transparenzstandards sowie die Aufnahme von Transparenzvorgaben zur Gebührenhöhe in die Kommunalabgabengesetze realisiert werden.117 In den vorgeschlagenen Transparenzvorgaben sieht die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum 20. Hauptgutachten einen geeigneten Ansatz, um „bestehende Defizite kommunaler Wirt111 BT-Drs. 17 / 4305. Zugleich sind einige Aussagen in der Stellungnahme der Bundesregierung dahingehend interpretierbar, dass den Vorschlägen der Monopolkommission keine endgültige Absage erteilt wurde. Vielmehr heißt es: „Die Bundesregierung lehnt zum derzeitigen Zeitpunkt eine Änderung der ordnungspolitischen und rechtlichen Rahmenbedingungen durch die Einführung einer sektorspezifischen Regulierung ab“, BT-Drs. 17 / 4305, Tz. 11. Auch dass die Bundesregierung die Bedenken der Monopolkommission hinsichtlich des uneinheitlichen Ordnungsrahmens bei Gebühren und Preisen teilt und angibt, die weitere Entwicklung der Branche gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Rückkehr ins Gebührenrecht aufmerksam zu beobachten (ebd., Tz. 14), vermittelt ebenso wie der Appell an die Branche, „die derzeitigen Entwicklungen als Chance zu begreifen und die Wasserwirtschaft zu modernisieren“ (ebd., Tz. 15), einen gewissen Bewährungscharakter. 112 Vgl. Monopolkommission (2012a). 113 Vgl. Monopolkommission (2012b). 114 Vgl. BT-Drs. 17 / 12940, Tz. 84. 115 Vgl. Monopolkommission (2014), Rn. 200. 116 Vgl. ebenda. 117 Vgl. Monopolkommission (2014), Rn. 1186 ff; Rn. 1229 ff. Die Monopolkommission sieht eine „Schutzlücke“ in der Gebührenaufsicht und empfiehlt daher eine Veröffentlichungspflicht des „Erlöses pro Mengeneinheit der Leistung“ in die jeweiligen Kommunalabgabengesetze aufzunehmen. Ziel ist es, das Vergleichsmarktkonzept für die Überprüfung von Benutzungsgebühren allgemein anwendbar zu machen. Aufgrund der regelmäßig fehlenden Vergleichswerte für die Stückerlöse aus anderen Kommunen ist dieses Vorgehen im Moment meist nicht möglich, weshalb die Überprüfung der Gebühren in erster Linie über die Kosten erfolgt und die damit verbundenen Schwierigkeiten mit sich bringt dazu – Monopolkommission (2014), Rn. 1230 ff.
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schaftstätigkeit im Interesse der Bürger zu reduzieren und den öffentlichen Zweck besser zu erfüllen.118 Von Verbandsseite wird dagegen argumentiert, dass die Veröffentlichung spezifischer Gebührenerlöse lediglich zu einer „Scheintransparenz“ führt und auf die fehlende unmittelbare Vergleichbarkeit von Entgelten bzw. Erlösen verwiesen.119
3. Probleme einer isolierten Effizienzstrategie Über Verfahren einer strikteren Effizienzkontrolle der Wasserentgelte nachzudenken, begegnet in Theorie und Praxis zwei großen Herausforderungen: der Pluralität der preispolitischen Ziele und der Problematik einer Integration in den gegebenen Ordnungsrahmen. (1) Zielpluralität: Die Berücksichtigung konkurrierender preispolitischer Ziele ist deshalb von Bedeutung, weil Wasserpreise nicht nur dem Ziel der Wirtschaftlichkeit zu folgen haben, sondern zugleich eine auskömmliche Refinanzierung und dauerhafte Sicherung der Betriebsbereitschaft (Substanzerhalt) für den Versorger ermöglichen müssen und zudem Anreize zu effizienter Ressourcennutzung bei den Nachfragern setzen sollen (Art. 9 WRRL). Ein ausschließlich auf Produktionseffizienz ausgelegtes Entgeltkontrollregime versagt daher vor der Anforderung, eine Lösung für konkurrierende Preisgestaltungsansprüche zu finden. Man kann Entgelte, die diesen Anspruch umfassend einzulösen beabsichtigen, als „nachhaltige Entgelte“ bezeichnen. Tatsächlich erweisen sich die Wasserpreise vor dem Hintergrund des pluralen preispolitischen Zielfächers gegenwärtig einerseits als „zu hoch“ (weil Monopolrenten enthaltend), andererseits als „zu niedrig“ (weil durch Zuschüsse oder Kostendeckungsverzicht politisch subventioniert und zudem ohne angemessene Umwelt- und Ressourcenkosten kalkuliert). So bestehen jedenfalls ernstliche Zweifel, ob etwa im Lichte der Anforderungen aus Art. 9 WRRL die derzeitigen Entgelte für Wasserdienstleistungen in Deutschland insgesamt bereits als „kostendeckend“ gelten können.120 Dies gilt völlig unabhängig von der Frage, ob möglicherweise gleichzeitig die Entgelte dadurch „überhöht“ anmuten, dass mangels Wettbewerb bzw. äquivalentem Kostendruck Monopolrenten durch nicht „erforderlichen“ Werteverzehr entstehen. Beide Phänomene können gleichzeitig auftreten und erschweren eine einfache Außendiagnose über die Angemessenheit der Entgelte. In der ökonomischen Theorie wird dieses Problem zeitgleich „zu hoher“ und „zu niedriger“ Preisforderungen seit langem an dem für die Wasserversorgung durchaus einschlägigen Beispiel eines Monopolanbieters diskutiert, der ein Produkt mit exterVgl. BT-Drs. 18 / 47212, Rn. 78. Vgl. VKU (2015). 120 Dazu im Einzelnen auch mit Blick auf die empirischen Überprüfungen der Kostendeckungsgrade in der deutschen Wasserwirtschaft Gawel (2012b). 118 119
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nen Umwelt- und Ressourcenkosten herstellt.121 In diesem Falle führt eine rein wettbewerbsorientierte Monopolpolitik zu Wohlfahrtsverlusten, soweit die Auswirkungen auf die Umwelt nicht berücksichtigt werden; erst eine integrierte Betrachtung und instrumentell modifizierte Monopolkontrolle kann eine gesellschaftlich optimale Monopolpolitik sicherstellen.122 Bedauerlicherweise bleiben die Ausführungen der Monopolkommission zur Regulierung des Trinkwassersektors ohne erkennbare Referenz auf diese bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts formulierten Notwendigkeiten einer integrierten Preiskontrolle bei Monopolbetrieben.123 Ein Kontrollregime jedenfalls, das vor allem (einseitig) dem Wirtschaftlichkeitsziel Raum gibt, muss daher klären, wie dadurch ausgelöster regulativer Kostendruck bei den Versorgern verarbeitet wird und inwieweit dabei konkurrierende preispolitische Belange (Substanzerhalt, Gewässerschutz etc.) noch ausreichend berücksichtigt werden können.124 Nicht ohne Grund befindet sich gegenwärtig die Anreizregulierungsverordnung für Stromnetze in der Kritik, da sie im Verdacht steht, notwendige Netzinvestitionen im Zuge der Energiewende zu behindern.125 In der ökonomischen Theorie werden Qualitätsprobleme und Investitionszurückhaltung als Folge von Effizienzregulierung institutionenökonomisch als sog. Hold-up-Problem126 des Aufschiebens von Investitionen kritisch diskutiert.127 Denn ein reguliertes Unternehmen wird grundsätzlich Investitionen in betriebsspezifische wasserwirtschaftliche Infrastruktur nur dann tätigen, wenn es ausreichend Gewähr hat, die entsprechenden Ausgaben auch entgolten zu bekommen. Hier schneidet offensichtlich eine Kostenpreis-Regulierung günstig ab, denn sie stellt – zumindest rechtlich – keinerlei Risiko für die Refinanzierung dar, kann das Unternehmen doch seinen Refinanzierungsbedarf über die Kosten im Wesentlichen selbst bestimmen. Effizienzorien-
Vgl. Buchanan / Stubblebine (1962); Buchanan (1969); Barnett (1980). Vgl. Barnett (1980). 123 In ähnlicher Weise wurden und werden die erhofften Preissenkungen durch Liberalisierung des Stromsektors immer wieder vermeintlich konzeptwidrig in Gefahr gesehen durch administrierte Preisaufschläge durch das EEG und das KWKG; dabei wird verkannt, dass beide Regelungskonzepte (Liberalisierung, Preisaufschläge) unterschiedlichen Zielen dienen, nämlich analog der Abschmelzung von Monopolrenten der Stromerzeuger und gleichzeitig der Begrenzung energiebedingter externer Umweltkosten durch Klimaschäden oder Strahlungsrisiken. 124 Mit einer gewissen Berechtigung kann allerdings für eine Effizienzorientierung auch in Anspruch genommen werden, zugleich über die Preishöhe soziale Belange („Erschwinglichkeit“) zu adressieren – siehe Rüttgers / van de Locht (2012) mit dem programmatischen Titel „Mit Wettbewerb zu gerechten Wasserpreisen“. 125 Vgl. Korte / Gawel (2013); dies. (2015). 126 Dazu modelltheoretisch Holmström / Roberts (1998). 127 Bös (2001), S. 2. Hold-up-Probleme beschreiben in der ökonomischen Vertrags- und Agency-Theorie allgemein ausgedrückt Situationen, in denen Informationen erst ex post ersichtlich werden und dazu führen, dass ex ante unter Informationsunsicherheit nicht die richtigen Verhaltensanreize für Investments geschaffen werden. 121 122
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tierte Preisregulierungen hingegen lassen es je nach Ausgestaltung weniger sicher erscheinen, ob die Investitionsausgaben – etwa im Vergleichsmarktmaßstab – als entgeltfähig angesehen werden. Zu der Frage, ob und inwieweit nun die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht vor diesem Hintergrund die Erfüllung von Qualitätszielen der Versorgung strukturell gefährdet, bestehen zwei unterschiedliche Sichtweisen: Einerseits wird argumentiert, dass eine unabhängig von der Entgeltkontrolle bestehende Qualitäts- und Gewässerschutzregulierung die Erfüllung der dort formulierten Anforderungen unbeeinflusst vom jeweils zugestandenen Kostenniveau sicherstellen könne und insoweit eine negative Auswirkung von Effizienzregulierung nicht zu besorgen sei.128 Die entgegengesetzte Auffassung betont demgegenüber die Gefahr, dass Effizienzdruck auf die Entgelte a) zu einem Mangel an Effektivität der Daseinsvorsorge und zu Qualitätseinbußen beim Trinkwasser selbst, beim Service, aber auch mit Blick auf eine nachhaltige Gewässerbewirtschaftung beitrage129 und b) Unternehmen in einem wirtschaftlich ungünstigen Umfeld komplett aus dem Markt dränge, soweit „der Preis von der günstigsten ‚peer firm‘ gesetzt wird“130.131 Der Streit kann hier nicht entschieden werden, jedoch liegt es auf der Hand, dass sich effizienzorientierte Entgeltregulierungsverfahren mit dieser Verschränkungsproblematik sorgfältig auseinander setzen müssen. Dies gilt erst recht dann, wenn die Reichweite etwa von kartellrechtlicher Missbrauchskontrolle ausgedehnt oder gar das Regulierungsregime – etwa als Anreizregulierung – künftig noch verschärft werden wird. Natürlich ist die Problematik nicht völlig neu und stellt sich auch in anderen Netzsektoren. Allerdings wird gegenwärtig eben auch mit Blick auf die Anreizregulierung der Stromnetzbetreiber die Frage kritisch diskutiert, inwieweit diese Form der Entgeltbegrenzung mit einem jetzt geforderten raschen und großmaßstäblichen Ausbau der Netze im Rahmen der Energiewende vereinbar sein kann. 132 Jedenfalls reicht der bloße Verweis auf die Bestimmungen der parallelen Qualitätsre128 Siehe nur Meran (2011), S. 41, der entsprechende Besorgnisse „aus dem Blickwinkel von Mainstream-Ökonomen“ für „völlig unverständlich“ hält, was insoweit überrascht, als dieselben Ökonomen kontrafaktische Setzungen des Rechts typischerweise erst einmal auf ihre Anreizkompatibilität untersuchen (hat der Normunterworfene einen Eigenanreiz, so zu handeln?) bzw. die Möglichkeiten einer wirksamen Außenkontrolle prüfen (kann das Verhalten von außen überhaupt zuverlässig beobachtet und zielgerichtet gesteuert werden?). Im Falle der Kostenpreis-Regulierung wurde ja ökonomisch mit denselben Argumenten eine Wirksamkeit kontrafaktischer Normierung regelmäßig geradezu maliziös verneint (siehe oben III.1.a)). Aus dem übrigen Schrifttum, das dieses Problem zumindest für beherrschbar hält, BReg, Stellungnahme zum 18. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 17 / 4305, Ziff. 12; Oelmann (2008). 129 Vgl. Brackemann et al. (2000); SRU (2002); Merkel (2010); Röstel (2011). 130 Vgl. Meran (2011), S. 41. 131 In diesem Sinne etwa statt vieler Brackemann et al. (2000); Merkel (2010); Röstel (2011); Holländer (2011), S. 396, 409 f.; Schubert (2010). 132 Vgl. Bayer (2011); Brunekreeft (2011); Brunekreeft / Meyer (2011); Korte / Gawel (2015).
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gulierungen und Nachhaltigkeitsgebote nicht aus. Forcierte Kostenschrumpfung kann sich zu Lasten von Qualität und Nachhaltigkeit auswirken; hier handelt es sich keineswegs um Chimären: Bereits jetzt treten vorrangig im Abwasserbereich Qualitätsprobleme durch laufenden Substanzverlust in den Rohrleitungsnetzen als Folge eines anhaltenden Sanierungsstaus auf.133 Zwar gestattet die Kostenpreis-Regulierung die Umlage entsprechender Netzinvestitionen auf die Entgelte, aus entgeltpolitischen Gründen wird darauf jedoch zumeist verzichtet. Erst recht wird sich der Druck verstärken, wenn alle Investments auf den kartellrechtlichen Prüfstand gestellt werden müssen. Weiter treten schon heute Qualitätsprobleme durch unzureichenden Wasserdurchsatz auf; Versorger weisen daher darauf hin, dass bei weiterer Schrumpfung der Systeme der Erhalt der Trinkwasserqualität im Netz Schwierigkeiten bereitet.134 Es bleibt abzuwarten, ob diesem Problemdruck politisch durch extrem kostenintensive Investitionen zur Qualitätssicherung oder aber durch situative Anpassung von Qualitätsnormen abgeholfen werden wird. Insoweit ist die Verschränkung zwischen zugestandener bzw. durchsetzbarer Kostenmasse und den vielfältigen Qualitätsdimensionen der Versorgung durchaus offensichtlich und auch praktisch relevant. Ganz abgesehen davon existieren natürlich auch unregulierte Qualitätsdimensionen, etwa im Servicebereich, die nicht durch entsprechende Vorgaben geschützt sind. (2) Integration in den gegebenen Ordnungsrahmen: Gerade wegen der bereits aus der Regulierungstheorie seit langem bekannten Verschränkungswirkungen (etwa zwischen Qualität und Kosteneffizienz) erscheint zudem die Vorstellung eines rein additiven, im Übrigen aber friktionslosen Einsatzes von Effizienzregulierungen zur isolierten Verfolgung von Wirtschaftlichkeitszielen auch für die Praxis als Trugbild. Eine umfassend gedachte Missbrauchskontrolle nach GWB oder eine neuartige Anreizregulierung nach dem Vorbild der Strom- und Gasnetzregulierung lassen sich nicht bruchlos auf einen im Übrigen unveränderten Ordnungsrahmen für die Wasserwirtschaft „aufsatteln“. Betrachten wir dazu die Logik des Vergleichsmarktkonzepts bei der Missbrauchsaufsicht etwas näher: Hier reicht die gesetzliche definierte Missbrauchssphäre in § 31 Abs. 4 Nr. 2 GWB grundsätzlich bis zum Entgeltniveau des günstigsten Vergleichsunternehmens, soweit keine Entlastungstatbestände des Einzelfalles greifen. Der Ermächtigungsnorm wohnt damit zumindest konzeptionell eine nivellierende Tendenz auf dem Niveau des günstigsten Versorgers inne. Zwar wird in der Praxis das Preissenkungsniveau im Rahmen des Vergleichsmarktkonzeptes in den Ländern höchst unterschiedlich festgelegt und dabei der theoretisch eröffnete Spielraum bis zum günstigsten gleichartigen Unternehmen (unter Berücksichtigung aller Rechtfertigungsgründe und sog. Sicherheits- und Erheblichkeitszuschläge) nicht voll ausgeschöpft.135 Gleichwohl lässt sich dem Vergleichsmarkt133 134 135
Vgl. Merkel (2009). Vgl. Mojaheri et al. (2006), S. 87. Vgl. Gussone / Siebeck (2012).
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konzept konzeptionell durchaus das Leitbild einheitlicher Wasserpreise auf dem Niveau des effizientesten Versorgers entnehmen – auch wenn in der Praxis die zu berücksichtigenden, unvermeidlichen Individualbedingungen zu einer Ausdifferenzierung auch einer kartellrechtlich um Missbräuche vollständig bereinigten Entgeltlandschaft führen werden. Dies ist deshalb beachtlich, weil es dem Leitbild der kommunalabgabenrechtlichen Entgeltregulierung grundsätzlich widerspricht: Hier nämlich wird jedem Versorger bzw. dessen Träger die Formulierung eigener Zielstellungen zur Kostenbewertung und zur Entgeltermittlung zugebilligt, welche im Rahmen eines Interessenausgleichs mit den Leistungsempfängern lediglich allgemeine Grenzziehungen zu beachten haben; eine Nivellierung oder gar Vereinheitlichung des Entgeltniveaus widerspricht hingegen der Kontrollkonzeption des Kommunalabgabenrechts und möglicherweise auch dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG. Die implizite Tendenz zur Uniformität der Entgelte nach dem Vergleichsmarktkonzept steht mithin in einem nicht unerheblichen Spannungsverhältnis a) zu den kommunalabgabenrechtlich eröffneten Freiheitsgraden der Kalkulation, die gerade gegenüber anderen Versorgern abweichende bzw. eigenständige Zielsetzungen der Entgeltermittlung einräumen (z. B. Refinanzierung, Kapitalerhaltung, bestimmte Substanzerhaltungskonzepte wie Brutto- oder Netto-Substanzerhaltung u. a. m. 136), und b) zum kommunalen Organisationsermessen aus Art. 28 Abs. 2 GG, das in erster Linie einer demokratischen Kontrolle unterliegt und daher vorrangig über Wahlen kontrolliert wird und nicht durch Kartellbehörden oder Gerichte. Hier stellt sich die interessante Frage, inwieweit die Inanspruchnahme der im Rahmen der verfassungsrechtlich garantierten kommunalen Selbstverwaltung eröffneten Gestaltungsspielräume zur Regelung örtlicher Angelegenheiten zugleich kartellrechtlich als Missbrauch angesehen werden kann, wenn nur andere Träger ihr Organisationsermessen anders nutzen mit der Folge niedrigerer Entgelte. So können Versorgungsdienste selbstredend auch mit höherer Service- oder Versorgungsqualität erbracht oder nach ambitionierteren Substanzerhaltungszielen kalkuliert werden, was insoweit höhere Entgelte nach sich zieht, ohne dass dies entgeltrechtlich zunächst beanstandet werden könnte. In diesen Fällen nach den Tatbeständen der §§ 19, 31 GWB Missbrauchsindikationen zu stellen, überzeugt offensichtlich nicht. Ferner drohen Friktionen mit den preisrechtlichen Wertungen anderer Entgeltrechtsbereiche: Eine europarechtskonforme Entgeltgestaltung nach Art. 9 WRRL – z. B. über Kalkulationen, die Anreize zur effizienten Nutzung setzen137 – darf wohl kaum deswegen für missbräuchlich erkannt werden, nur weil sie zu einer Abweichung gegenüber dem günstigsten Vergleichsunternehmen führt, das möglicherweise eine andere oder gar keine Umsetzung der Art. 9 WRRL zu entnehmenden Preisgestaltungsgebote vorgenommen hat. Das Gleiche gilt für landesrechtlich abweichende Gebührenkalkulationsregeln, z. B. das in den Kommunalab136 137
Dazu im Überblick Gawel (1999), S. 55 ff. Vgl. Gawel (2012a).
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gabengesetzen der Länder höchst unterschiedlich ausgestaltete Wahlrecht zugunsten von Zeitwertabschreibungen: Erodiert nun kartellrechtlich dieser Anspruch, weil einzelne Versorger darauf verzichten und damit die Benchmark im Rahmen des Vergleichsmarktkonzeptes setzen? Oder werden die abweichenden preisrechtlichen Wertungen in den Rang von Entlastungstatbeständen im Sinne von § 31 GWB erhoben? Zwar betonen etwa Hellriegel und Schmitt, dass „zwingende Vorgaben“ des Abgaben- oder Tarifrechts als strukturbedingte Umstände anzusehen seien, die einen Missbrauch im kartellrechtlichen Sinne ausschlössen. Allerdings sind Abgabenund Tarifrecht gerade weitgehend frei von „zwingenden“ Ansätzen und formulieren ganz überwiegend vielmehr negatorisch die als unzulässig anzusehenden Ansätze. „Ansatzfähige“ Kosten (etwa nach § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG NW) sind gerade keine „zwingend anzusetzenden“ Kosten.138 Wie also soll das Kartellrecht bei bloßen Wahlrechten verfahren? Und wie zuverlässig lässt sich beurteilen, inwieweit sich Entgeltunterschiede gerade darauf zurückführen lassen? Fest steht, dass erhebliche Wertungswidersprüche drohen, wenn eine konsistente Abstimmung preisrechtlicher Wertungen des Gebühren-, Tarif- und Kartellrechts, der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB und der Anforderungen aus Art. 9 WRRL unterbleibt – jedenfalls soweit immer stärker einer parallelen Anwendung des Kartellrechts das Wort geredet wird. Hier stellen sich auch entgeltrechtsdogmatisch noch erhebliche Herausforderungen.139 Ferner muss beachtet werden, dass die den zu vergleichenden Wasserpreisen jeweils zugrunde liegenden gebührenrechtlich verbindlichen Preis-Kalkulationsregeln gar nicht für Wirtschaftlichkeitsvergleiche geeignet sind: Da auch bei den der Missbrauchskontrolle unterliegenden privatrechtlichen Entgelten die grundlegenden Anforderungen öffentlicher Wirtschaftsgebarung zu beachten sind, wie sie sich aus den jeweiligen Kommunalabgabengesetzen ergeben, stellt sich nämlich folgendes Zusatzproblem: Eine Kostenrechnung unter Verwendung des wertmäßigen Kostenbegriffs ist stets auf einen Kalkulationszweck hin ausgerichtet; je nach Informationsbedürfnis des Kalkulierenden ergeben sich demnach auch unterschiedliche Kostenergebnisse („different costs for different purposes“).140 In der Betriebswirtschaftslehre werden vor diesem Hintergrund insbesondere Kostenrechnungen unterschieden, die der Ermittlung einer Preisuntergrenze dienen, und von solchen abgegrenzt, die dem Vergleich der Wirtschaftlichkeit von Betrieben dienen sollen. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Will man – wie im Kommunalabgabenrecht üblich – Kosten kalkulieren, um einen kostendeckenden Preis zu ermitteln, so mag es genügen, bereits voll abgeschriebene, aber noch Leistungen abgebende Wirtschaftsgüter trotz ihres aktuellen Werteverzehrs nicht mehr in die Kostenrechnung zu über-
Vgl. Hellriegel / Schmitt (2010), S. 281 So sprechen etwa Hellriegel / Schmitt (2010), S. 281, von der Möglichkeit von „Wechselwirkungen“, ohne diese jedoch näher zu entfalten. 140 Siehe Schneider (1997), S. 44: „Der Rechnungszweck bestimmt über das Rechnungsziel den Rechnungsinhalt“; für den Gebührenbereich u. a. Gawel (1999), S. 49. 138 139
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nehmen, da z. B. ein Refinanzierungsziel durch die Vollabschreibung längst erfüllt ist.141 Bei einem auf die aktuelle Periode bezogenen Wirtschaftlichkeitsvergleich mit einem anderen Versorger hingegen müsste dieser Werteverzehr aber zwingend berücksichtigt werden, um nicht verzerrte Ergebnisse zu erzeugen; ansonsten nämlich würden Abschreibungsfehler der Vergangenheit dazu führen, dass ein Unternehmen mit vorschneller Abschreibung im Vergleich scheinbar „günstiger“ dasteht, obwohl u. U. in beiden Betrieben dasselbe Anlagevermögen in der aktuellen Betrachtungsperiode dasselbe Leistungsvolumen abgibt. Altersstruktureffekte im Anlagevermögen führen so zu Vergleichbarkeitsproblemen bei kalkulatorischen Kosten, wenn zwar nach KAG kalkuliert wird, diese Ergebnisse anschließend aber im Rahmen des Vergleichsmarktkonzepts unbesehen zu Wirtschaftlichkeitsvergleichen herangezogen werden.142 Schließlich ist die notwendige Vergleichbarkeit der Entgelte schon dadurch verletzt, dass sich die zumindest im Rahmen des Verwaltungsprivatrechts jeweils zu beachtenden landesspezifischen Entgeltermittlungsvorgaben in insgesamt sechzehn Kommunalabgabengesetzen bzw. Gebührengesetzen signifikant unterscheiden. 143 Entgeltunterschiede, die auf differentes Kalkulationsrecht der Länder zurückgehen, kommen wohl kaum als missbräuchliche Ausnutzung von marktbeherrschender Stellung in Frage. Für all diese Fragen müsste ein künftiges, Effizienz stärker akzentuierendes Entgeltkontrollregime überzeugende Antworten finden. Die Einbettung des Effizienzanliegens in den bestehenden Ordnungsrahmen ist dabei keineswegs trivial und berührt offensichtlich vielfältige und grundlegende Rechts- und Ordnungsfragen kommunaler Leistungserstellung. Eine simple Erstreckung der Missbrauchskontrolle des GWB auf Gebühren – bei ansonsten unverändertem Rechts- und Ordnungsrahmen – wäre gerade kein sinnvoller Beitrag zur Effizienzsteigerung des Wassersektors, sondern würde nicht zuletzt der weiteren Chaotisierung der wasserwirtschaftlichen Rahmenbedingungen unnötig Vorschub leisten. Die Implementation effizienzfördernder Strukturen braucht vielmehr eine mit dem bisherigen Ordnungsrahmen sorgfältig abgestimmte und integrierte Vorgehensweise.
4. Grenzen einer sektorspezifischen Anreizregulierung im Wassersektor Tritt man darüber hinaus der noch weitergehenden Idee einer sektorspezifischen Anreizregulierung näher, so ergeben sich auch hier bereits klar erkennbare Grenzen 141 Siehe dazu Gawel (1994), in kritischer Auseinandersetzung mit OVG Münster, U. v. 5. 8. 1994 – 9 A 1248 / 92. 142 So mit Blick auf den verzerrenden Einfluss von Baukostenzuschüssen auch zu Recht Kiesl / Lindt (2010). 143 Vgl. Gawel (2012a); Kiesl / Schielein (2009).
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des Ansatzes. Zunächst müsste eine derartige „sektorspezifische“ Anreizregulierung für deutsche Verhältnisse überhaupt erst einmal entwickelt werden. 144 Bisher ist diese nicht einmal in Ansätzen erkennbar und in Deutschland allenfalls Gegenstand eines konzeptionellen Ideenwettbewerbs. Erfahrungen im Ausland mit Anreizregulierungen lassen jedenfalls keine hochfliegenden Erwartungen zu. Das wahrscheinlich umfassendste Regulierungssystem der Siedlungswasserwirtschaft besteht in England / Wales. Nach der materiellen Privatisierung der Wasserwirtschaft in 1989 wurde die Water Services Regulation Authority (OFWAT) mit dem Ziel der Preisregulierung im Ver- und Entsorgungssektor installiert. Hierzu bedient man sich einer Mischform aus Höchstpreisregulierung (Price-Cap Regulierung) und Yardstick-Competition, bei welcher die OFWAT in 5-Jahres-Perioden die Preisobergrenzen vorgibt.145 Hierdurch sollen missbräuchliche Preise verhindert und Anreize zur Kostensenkung gegeben werden. Zur Bestimmung der Preisobergrenzen übermitteln die Wasserunternehmen die erwarteten Kosten an die Regulierungsbehörde OFWAT, welche darauf aufbauend und nach Prüfung der Plausibilität die Preise festsetzt. Ein Überblick der zahlreichen Untersuchungen zu den Privatisierung- und Regulierungsfolgen in England / Wales zeigt, dass insgesamt eine Erhöhung der Effizienz und Produktivität erzielt wurde, welche primär der Regulierung zuzuschreiben ist.146 Die Studien zeigen jedoch auch, dass die Effizienzzuwächse insgesamt nur gering ausfielen und in starker Abhängigkeit von der Ausgestaltung der Anreizregulierung stehen. So fiel die Effizienz zuweilen hinter das Niveau der Vorprivatisierung zurück und konnte insbesondere in den ersten zehn Jahren die versprochenen Erwartungen nicht erfüllen, was auf zu eine laxe Auslegung der Preisobergrenzen durch die Regulierungsbehörde OFWAT zurückzuführen ist.147 Es zeigt sich zudem, dass die gegenwärtige Regulierungspraxis Schwierigkeiten im Umgang mit Informationsasymmetrien zwischen Regulierer und Unternehmen aufweist, so dass die Preise nicht die Kostenrealität widerspiegeln und erhebliche Unternehmensgewinne zu Lasten der Verbraucher ermöglichen.148 Das englische Beispiel verdeutlicht ferner, dass speziell das Festlegen der Preisobergrenzen einen erheblichen bürokratischen Aufwand und damit Transaktionskosten verursacht. 149 144 Den begrenzten „Blaupausen“-Charakter der Strom- und Gasnetzregulierung betont auch Brüning (2015). 145 Vgl. Saal et al. (2007); Byatt (2013). 146 Vgl. Abott / Cohen (2009). 147 Vgl. Saal et al. (2007). 148 So bestehen für Wasserunternehmen starke Anreize, die Informationsnachteile des Regulierers auszunutzen, um durch überhöhte Aufwandserwartungen ihre Gewinne zu erhöhen. Zwischen 1995 und 2006 lagen die Investitionen der Wasserunternehmen 9,5 Prozent (4,36 Mrd. Pfund) unter den ursprünglich gegenüber OFWAT veranschlagten Kosten, siehe Hall / Lobina (2007), S. 14. 149 Vgl. Thaler (2010).
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Dies ist umso bemerkenswerter, da sich die Wasserwirtschaft in England / Wales durch eine starke Konzentration auszeichnet und lediglich 32 Unternehmen den Ver- und Entsorgungsmarkt bestreiten.150 Folglich stellt sich zurecht die Frage, wie die Anreizregulierung der kleinteiligen Wasserwirtschaft in Deutschland mit ihren ca. 6.000 Wasserversorgern und 6.600 Abwasserentsorgern praktikabel gestaltet werden soll.151 Auf Seiten der Bundesnetzagentur beschränken sich die Erfahrungen mit einer Anreizregulierung im Gas- und Strom-Sektor mit ca. 890 Stromnetzbetreibern und ca. 730 Gasnetzbetreibern auf eine deutlich geringere Anzahl von Unternehmen.152 Auch auf Unternehmensseite werden insbesondere kleinere Unternehmen den erforderlichen Regulierungsaufwand kaum stemmen können, so dass eine Anreizregulierung mit einem Bruch der bestehenden – funktionierenden – Organisationsstrukturen der Wasserwirtschaft einhergehen muss.153 Zwar strebt die Monopolkommission – auch gerade durch die Einführung der Anreizregulierung – eine Abkehr von der Kleinteiligkeit des Sektors an, jedoch muss eine umfassende Konzentration der Wasserwirtschaft, wie sie in anderen europäischen Ländern erfolgte,154 aufgrund der kommunalen Strukturen in Deutschland kurz- bis mittelfristig als unrealistisch erachtet werden. Weiterhin wird eine sektorspezifische Regulierung im Wassersektor durch die im Vergleich zu anderen Netzsektoren hohe Komplexität der Versorgungsbedingungen erschwert. So muss das methodische Rüstzeug weiterentwickelt werden, um die vielfältigen strukturellen Rahmenbedingungen in Deutschland bei der Bildung von Preis- oder Erlösobergrenzen im Wassersektor angemessen berücksichtigen zu können. Im Zuge der Kartelldebatte wurde auf die Bedeutung und Komplexität zahlreicher Strukturparameter für die Wasserpreisbildung hingewiesen.155 Deren Erhebung und ökonometrische Erfassung sind mit erheblichem Aufwand verbunden, werden zugleich aber Grundvoraussetzung für ein funktionsfähiges Regulierungsinstrument angesehen.156 Auch in England konnte für dieses Problem trotz jahrelanger Regulierungspraxis keine befriedigende Lösung gefunden werden, so dass die „YardstickCompetition“ umstritten ist: So wird bezweifelt, dass alle relevanten Erklärungsvariablen (v. a. auch historische Aspekte, Zufallseinflüsse) berücksichtigt werden, und 150 Siehe http://www.ofwat.gov.uk/industryoverview/today/watercompanies, abgerufen am 24. 04. 2015. 151 Vgl. Janda (2012), S. 144. 152 Siehe Bundesnetzagentur (2015). 153 Vgl. Mühlenkamp / Ammermüller (2014). 154 So wies die englische Wasserwirtschaft mit 2.000 Unternehmen in 1915 ebenfalls eine starke Zersplitterung auf. In mehreren Phasen erfolgte seit den 1940er Jahren die Zusammenfassung auf die heutige Zahl; in den Niederlanden gab es 1975 noch 111 kommunale Trinkwasserunternehmen, die aufgrund gesetzlich vorgegebener Größen (Mindestabgabemenge, Anschlüsse) auf nunmehr 14 Unternehmen reduziert wurden, siehe dazu Winkler (2005), S. 220 f.; 236 f. 155 Vgl. Holländer et al. (2008); Holländer et al. (2009). 156 Vgl. Lenk et al. (2010).
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beklagt, dass sich die ökonometrischen Modelle durch geringe Transparenz und eine Unstetigkeit der Variablen auszeichnen.157 Systeme der Anreizregulierung weisen zudem das Problem auf, dass die vermittelten Anreize nicht zwingend in einer effizienteren Bereitstellung münden, sondern oftmals auch zu Lasten anderer Punkte gehen. So können die regulierten Unternehmen ihre Rendite auch durch eine Absenkung des Qualitätsniveaus oder aber durch ein Unterlassen der erforderlichen Netzinvestitionen erhöhen, wodurch langfristig die Gefahr einer Verschlechterung von Versorgungsqualität und -sicherheit gegeben ist.158 In der Wasserwirtschaft von England / Wales bestätigte sich dieser Kritikpunkt nur teilweise.159 Durch erhebliche Investitionsprogramme konnten die Qualität der Wasserver- und Abwasserentsorgung erheblich verbessert160 und zugleich die Innovationsaktivitäten in den Sektoren erhöht werden.161 Jedoch konnten in England / Wales auch negative beschäftigungspolitische Effekte beobachtet werden. Neben einem starken Beschäftigungsabbau wurden zahlreiche Beschäftigte in der Branche über Leih- und Subunternehmen zu schlechteren Konditionen weiterbeschäftigt. 162 Insgesamt wird ersichtlich, dass eine Anreizregulierung der Wasserwirtschaft in Deutschland mit erheblichem Aufwand einhergehen würde. Deshalb wird auch regelmäßig das Argument angebracht, dass der zu erwartete Nutzen einer Regulierung deren Aufwand womöglich nicht rechtfertige.163 Erste Schätzungen sehen aufgrund des hohen Anteils fixer Kosten eine max. Regulierungsrendite von lediglich 2 Prozent, die den erheblichen Transaktionskosten gegenüberzustellen sei.164 Dabei dürfen jedoch nicht die Impulse für die langfristig effiziente Entwicklung des Sektors vergessen werden, die mittels adäquater Regulierung induziert werden können. Allerdings lassen sich mögliche Effizienzsteigerungen durch Innovationen kaum ex ante abschätzen. Schließlich gilt: Obwohl eine Anreizregulierung auch für den Abwasserbereich grundsätzlich möglich wäre,165 konzentriert sich die deutsche Diskussion bisher al-
Vgl. Winkler (2005), S. 247 f. Vgl. Hirschhausen et al. (2004); Égert (2009). 159 Auch die erste Evaluierung der ARegV im Strom- und Gassektor zeigt kein verändertes Investitionsverhalten seit Inkrafttreten der ARegV, siehe Pavel et al. (2014). Ob dies aussreichend ist, um auch die besonderen Herausforderungen der Energiewende zu meistern, ist umstritten – dazu Korte / Gawel (2015). 160 Vgl. Byatt (2013); OFWAT (2006); dies. (2009). 161 Vgl. Cave (2009); Saal / Parker / Weyman-Jones (2007), dies ist jedoch keine direkte Wirkung der Anreizregulierung, sondern Folge der festgeschriebenen Investitionshöhen und umweltpolitischen Vorgaben sowie dem schlechten Ausgangsniveau der englischen Wasserwirtschaft zum Zeitpunkt der Privatisierung. 162 Vgl. Thaler (2010), S. 48. 163 Vgl. Deutscher Städtetag u. a. (2012). 164 Vgl. Lenk et al. (2010). 165 Vgl. Kerber (2013). 157 158
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lein auf den Trinkwassermarkt, so dass die Fragmentierung u. U. bestehen bliebe. Ganz grundsätzlich muss eine Anreizregulierung neben der praktischen Lösung des Hold-up-Problems, insbesondere zur Sicherung von Qualität und Substanzerhalt, auch angemessene Antworten finden, mit den gegenwärtigen Anreizen zu „politischer Unterdeckung“ bei den Entgelten und der unzureichenden Einbeziehung von Umwelt- und Ressourcenkosten überzeugend umzugehen.
IV. Fazit Der Wassersektor stellt gewiss keinen effizienzfreien Ausnahmebereich dar, für den ambitionierte Bemühungen um Wirtschaftlichkeit der Leistungserstellung keine Bedeutung entfalteten oder als Zielstellung grundsätzlich anders einzuschätzen wären als in den übrigen Netzsektoren. Daher sind die zögerlich begonnenen Bemühungen um die Hebung anerkannter Effizienzpotenziale sowie den Abbau evidenter institutioneller Defizite konsequent weiterzuverfolgen. Der Ansatz der „Modernisierung“ sowie die Anpassungen des Wettbewerbsrechts im Rahmen der jüngsten GWB-Novelle 2013 können das Effizienzproblem freilich nicht lösen und sollen dies wohl auch nicht. Die Strategie einer „Modernisierung“ erscheint aus ökonomischer Sicht konzeptionell und in der Umsetzung ungenügend, um Wirtschaftlichkeitsziele ernsthaft zu verfolgen. Sie ist gescheitert und ringt beim Benchmarking um letzte Reste von Glaubwürdigkeit. Die 8. GWB-Novelle nimmt zugunsten der Ver- und Entsorger lediglich Druck aus der aktuellen Debatte, löst aber keines der drängenden Probleme, sondern perpetuiert sie stattdessen, etwa was die anhaltende Fragmentierung im Regulierungsrahmen für Wasser und Abwasser sowie für privatrechtliche Entgelte und öffentlich-rechtliche Gebühren angeht. Umgekehrt erscheint aber auch eine eindimensionale Effizienzperspektive bei der Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens und der schlichte Verweis auf die Vorzüge der Anreizregulierung bei Strom und Gas unzureichend: Die Zielkonflikte zwischen betriebswirtschaftlicher Kosteneffizienz und gesamtwirtschaftlichen Nachhaltigkeitszielstellungen müssen gerade im Wassersektor spezifisch gelöst werden. Auch ist die Eignung einer Anreizregulierung nach dem Modell Strom / Gas kritisch zu prüfen, um die Konsequenzen des simulierten Kostendrucks zu klären. Nicht ohne Grund steht die ARegV wegen der Investitionserfordernisse der Energiewende gegenwärtig in der Kritik.166 Zudem sind die ernüchternden Erfahrungen im europäischen Ausland mit Regulierungsansätzen sorgfältig auszuwerten. Daher sind konkrete rechtspolitische Empfehlungen ausschließlich auf der Grundlage von allgemeinen ordnungspolitischen Grundsätzen („mehr Wettbewerb!“, „Monopolpreise runter!“) deutlich zu wenig. Ausgehend von den Defiziten bisheriger Ansätze muss geklärt werden, wie ein Mehr an Effizienz gerade unter den Nebenbedingungen von Praxistauglichkeit (Anreizregulierung für viele tausend Ver- und womöglich auch 166
Vgl. Korte / Gawel (2013); dies. (2015).
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Entsorger?) sowie von Verträglichkeit in einem mehrdimensionalen Zielsystem erreicht werden kann, das auch Qualitätskontrolle, ökologische Nachhaltigkeit und effizienten Wasserressourcenumgang umgreift. Daher gilt für alle künftigen Reformansätze, was Kluge und Scheele zu Recht beim Modernisierungsansatz bemängeln: „In der sogenannten Modernisierungsstrategie der Wasserwirtschaft überwiegt eine Instrumenten-Debatte über betriebliche Effizienzsteigerung. Die Verbindung und der Zusammenhang zu Zielen der Nachhaltigkeit, zur Ökologie und zu den sozialen Komponenten sind noch randständig und zu wenig ausgebaut.“167 Dies erfordert nicht zuletzt eine dringende Abstimmung der gegenwärtig konkurrierenden preispolitischen Vorgaben des Gebühren-, Tarif-, Wettbewerbs- und Unionsrechts für Wasserdienstleistungen der Ver- und Entsorgung und nicht etwa ein bloßes Aufsatteln einer isolierten Anreizregulierung auf eine im Übrigen unangetastete Landschaft fragmentierter und z. T. widersprüchlicher Entgeltanforderungen der einzelnen Rechtsgebiete.
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Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen – Entwicklung ökonomischer Beurteilungskriterien sowie deren Anwendung auf die englische Wassermarktregulierung Von Mark Oelmann
I. Einleitung: Hintergrund des Artikels Die deutsche Wasserwirtschaft erbringt eine wichtige Leistung der Daseinsvorsorge. Die Verantwortung für die Erbringung dieser Leistung liegt gemäß § 28 II GG in den Händen der Kommunen. Lange Zeit schien der Fokus auf einer maximalen Qualität, weniger aber auf einer effizienten Dienstebereitstellung zu liegen. Mittlerweile haben sich die Zeiten etwas geändert. Unter dem Druck nationaler und internationaler Erwartungen haben wasserwirtschaftliche Verbände das System des Benchmarkings vorangetrieben. Diese Vergleichsverfahren zwischen Unternehmen sollen Ineffizienzen in Produktionsprozessen offenbaren und die Unternehmen anhalten, bei gleich bleibender Qualität kostengünstiger zu wirtschaften. Es ist anzunehmen, dass dieses System – und hier insbesondere die verschiedenen Formen des Prozessbenchmarkings – signifikante Verbesserungen hervorbrachte. Gleichwohl zeigen sowohl internationale Vergleichsanalysen von Benchmarkingmodellen 1 als auch Rückmeldungen aus der Praxis2, dass Optionen zur Weiterentwicklung des deutschen Weges diskutiert werden sollten. Insbesondere die Freiwilligkeit der Teilnahme sowie die Anonymität von Unternehmensergebnissen werden kritisiert. Wichtig aber ist, dass sich die Diskussion um einen nachhaltigen Ordnungsrahmen in der Wasserwirtschaft nicht allein auf die Frage der Ausgestaltung des Benchmarkings beschränken sollte. Das Thema ist größer. Führen wir uns als Ausgangspunkt die Ziele vor Augen, die eine Wasserver- und Abwasserentsorgung zu erreichen versucht: Erstens sollen Qualitäts- und Umweltstandards eingehalten und zweitens effizientes Arbeiten gefördert werden. Beide geraten häufig miteinander in Konflikt, müssen es aber nicht, wie Oelmann zeigt.3
1 2 3
Vgl. etwa Oelmann (2007). Vgl. etwa Egerer / Wackerbauer (2006), S. 64 ff. Vgl. Oelmann (2005).
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Mark Oelmann
Im Rahmen der weiteren Analyse wird von folgender Zielgewichtung ausgegangen: Wasserwirtschaftliche Unternehmen sollen möglichst effizient arbeiten unter der Nebenbedingung, dass von außen vorgegebene Qualitäts- und Umweltstandards nicht unterschritten werden. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, wie hoch diese Standards angesetzt werden. Angenommen wird lediglich, dass sie formuliert sind und nicht in dem Ziel einer „Maximierung der Qualität und Nachhaltigkeit“ verschwimmen, was nicht selten unter dem „Vorsichtsprinzip“ in der deutschen Wasserwirtschaft auch aktuell noch verfolgt wird. Wie nun wird effizientes Wirtschaften bei Unternehmen hervorgerufen? Die ökonomische Antwort hierauf ist simpel: Es ist die Institution Wettbewerb, die die Unternehmen vorantreibt. Im Hinblick auf Branchen, in denen wir aufgrund hoher versunkener Kosten und einem Sinken der Durchschnittskosten bei steigender Ausbringungsmenge von sog. „natürlichen Monopolen“ reden, ergibt sich der Wettbewerb nicht aus sich selbst heraus. In diesem Fall reicht es nicht aus, dass der Staat lediglich Rahmenbedingungen setzt, damit sich fairer Wettbewerb entwickeln kann. Vielmehr greift er in Branchen wie Telekommunikation, Strom oder Gas dadurch ein, dass er durch Regulierung Wettbewerbern einen diskriminierungsfreien Zugang zum Engpassfaktor „Netz“ ermöglicht und so auf der Erzeugerebene einerseits und der Vertriebsebene andererseits einen tatsächlichen Wettbewerb ermöglicht. Im Wassersektor wird ein solcher „Wettbewerb im Markt“ im allgemeinen kritischer gesehen.4 Hohe Transportkosten aufgrund hoher Masse des Gutes Wasser / Abwasser und Probleme der Mischbarkeit unterschiedlicher (aufbereiteter) Rohwässer führen dazu, dass die Schaffung eines diskriminierungsfreien Netzzugangs als Regulierungsverfahren von untergeordneter Bedeutung ist. De facto würden auch nach einem vollkommenen Abbau von institutionellen Marktzutrittsschranken – die es z. B. in der deutschen Wasserwirtschaft noch gibt – nicht angreifbare natürliche Monopole bestehen bleiben. Vor diesem Hintergrund werden andere Verfahren wie der in Frankreich übliche Ausschreibungswettbewerb, ein verpflichtendes Benchmarking wie in den Niederlanden oder die Yardstick Competition bzw. das „System vergleichenden Wettbewerbs“5, das seit Anfang der 1990er in England und Wales6 praktiziert wird, sowie nun der Weg gen Durchleitungswettbewerb diskutiert. – Erkenntnisziel und Gang der Analyse
Die Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen – egal ob freiwilliges deutsches Benchmarking, verpflichtendes niederländisches Benchmarking, französischer Ausschreibungswettbewerb, englisches System vergleichenden Wettbewerbs oder nun der Weg gen Durchleitungswettbewerb – muss kriteriengeleitet erBöschen (2006) ist hier ein Gegenbeispiel. Für das englische System sind verschiedene Begriffe in der Fachliteratur gebräuchlich. Die Begriffe „System vergleichenden Wettbewerbs“, „Yardstick Competition“ sowie „Englische Wassermarktregulierung werden im Weiteren synonym verwandt. 6 Das englische Regulierungsverfahren findet sowohl für England als auch für Wales Anwendung. Im Begriff „englisch“ ist damit in der Folge stets auch „walisisch“ gemeint. 4 5
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
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folgen. Ökonomisch ergeben sich diese zwangsläufig: Das, was sich auf wettbewerblichen Märkten von ganz alleine einstellt, Effizienz, soll sich auch auf natürlichen Monopolmärkten weitestmöglich herausbilden. Vor diesem Hintergrund werden wir im nun folgenden Kapitel zunächst die verschiedenen Dimensionen von Effizienz vorstellen und uns so dem Begriff der Effizienz nähern. Die verschiedenen Dimensionen stellen sodann ganz grundsätzlich die Basis zur theoretischen Beurteilung von Ordnungsregimen für die Wasserwirtschaft dar. In Kapitel III. werden wir dies am Beispiel des englischen Systems des vergleichenden Wettbewerbs durchexerzieren. Dieses hatte seine Hochzeit zwischen etwa 1995 und 2007. Vor diesem Hintergrund nutzen wir zur Aufarbeitung ebenfalls die zu dieser Zeit publizierte Literatur. Gleiches gilt für die Beurteilung des Erfolgs dieses ersten regulatorischen Systems in Abschnitt III.6. Spannend nun ist, dass sich mit Hilfe der verschiedenen Dimensionen der Effizienz genauso darstellen lässt, weswegen seit dem sog. „Albion-Fall“ 2007 langsam aber stetig ein Regimewechsel gen „Wettbewerb im Markt“ oder Durchleitungswettbewerb vorangetrieben wird (Kapitel IV.). Als einziger Nicht-Brite im „Advisory Panel on Future Regulation“ (2009 – 2013) des englischen Wasserregulierers OFWAT rieb sich der Autor dabei nicht selten die Augen, als wie relativ einfach ein solcher Regimewechsel von den britischen Kollegen angesehen wurde. Hervorzuheben ist, dass es in diesem Artikel nur sehr am Rande um die Frage geht, ob sich das englische Modell für Deutschland anwenden ließe. Es ist sehr viel zu komplex, als dass rund 6.000 deutsche Wasserver- und 7.000 Abwasserentsorger realistischerweise einem solchen System unterworfen werden könnten. Viel eher soll gezeigt werden, dass sich die ökonomischen Effizienzdimensionen eignen, wasserwirtschaftliche Ordnungsrahmen zunächst strukturiert beschreiben und sodann beurteilen zu können. Gemeinhin wird an dieser Stelle entgegnet, alternative nicht-ökonomische Ziele seien für das „Lebensmittel Nummer Eins“ in besonderer Weise zu beachten. Dem wird hier nicht widersprochen. Im Gegenteil: Der Ökonom wird sich niemals in die Diskussion einmischen, wie hoch einzelne Standards etwa zur Trinkwasser- oder Umweltqualität zu setzen sind. Er kann lediglich dazu beitragen, Regime zu entwickeln, die effizientes Wirtschaften – unter Beachtung der Qualitätsvorgaben! – hervorbringen. Nächste wertvolle Schritte könnten daher sein, den deutschen wasserwirtschaftlichen Ordnungsrahmen einer ähnlichen Analyse zu unterziehen wie dies in diesem Artikel für den englischen wasserwirtschaftlichen Ordnungsrahmen erfolgt. Allererste, noch nicht abschließend entwickelte Querbezüge werden im zusammenfassenden Kapitel V. gelegt.
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Mark Oelmann
II. Dimensionen der Effizienz Funktionsfähiger Wettbewerb sorgt auf Märkten für effizientes Wirtschaften. Was aber impliziert der volkswirtschaftliche Effizienzbegriff genau? Gebräuchliche Dimensionen sind die statische, dynamische, technische und qualitative Effizienz. Sie werden knapp vorgestellt.7 – Statische Effizienz
Bei der statischen Effizienz – auch Kosten- oder Produktionseffizienz genannt – geht es um die Produktion eines Outputs zu minimalen Kosten bzw. eines maximalen Outputs bei gegebenen Kosten. Daraus leitet sich die Frage ab, inwiefern ein wasserwirtschaftliches Ordnungsmodell Anreize zur Kostensenkung setzt. – Dynamische Effizienz
Dynamische Effizienz ist erfüllt, sofern Innovationen dort durchgeführt werden, wo sie die größte Wirkung haben. Hinter „größter Wirkung“ verbirgt sich die Feststellung, dass Innovationen nicht per se gut sind, sondern deren Kosten zumindest durch den zusätzlichen Nutzen, den sie schaffen, gedeckt sein müssen. Bei gegebener Budgetrestriktion ist eine Innovation volkswirtschaftlich umso besser je größer dessen Nettonutzen ist. Für die Wasserwirtschaft ist dieses Kriterium höchst virulent. Die Branche ist immer neuen Umweltanforderungen ausgesetzt. Zu denken ist etwa an die EU-Wasserrahmenrichtlinie, die seitens der Nationalstaaten umzusetzen ist. 8 Unter dem Gesichtspunkt der dynamischen Effizienz wäre hier folglich zu fragen, ob ein Regulierungsverfahren Anreize für die Entwicklung von unter Kosten / Nutzen-Gesichtspunkten innovativen Lösungen setzt. – Technische Effizienz
Technische Effizienz ist gegeben, sofern die Unternehmen in ihren jeweiligen Betriebsoptima produzieren. Betriebsoptimum – von besonderer Bedeutung in der Theorie natürlicher Monopole – besagt, dass Unternehmen weder zu groß noch zu klein, weder zu integriert noch zu desintegriert sind. Sie nutzen ihre jeweiligen Größen- und Verbundvorteile optimal. Wann aber hat ein Unternehmen die optimale Größe? Exogen wird man dies sicher nicht bestimmen können. Die im Einzelfall optimale Größe von wasserwirtschaftlichen Unternehmen wird zwangsläufig stark differieren. Zu unterschiedlich sind die natürlichen und demografischen Gegebenheiten; zu wesentlich sind insbesondere die Transportkosten des Gutes Wasser. 7 Zur Diskussion des volkswirtschaftlichen Effizienzbegriffs siehe bspw. Kerber (2003), S. 301, oder Knieps (2001), S. 4 ff. 8 Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Analyse von Frost & Sullivan [o. V. (2013)]. Grundsätzlich sehen sie die Märkte für Wasser- und Abwasseraufbereitungsanlagen in einer Reifephase. Angesichts der Situation aber, dass immer mehr bindende (Umwelt-)Gesetze erlassen werden, wird dennoch ein signifikantes Marktwachstum prognostiziert.
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
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Angesichts der Unmöglichkeit, die ökonomisch aber gewünschte optimale Größe sowie den optimalen Integrationsgrad (etwa bezüglich einer Zusammenfassung von Wasser und Abwasser) am „Reißbrett“ zu bestimmen,9 wäre ein jedes denkbares Ordnungsmodell daraufhin zu untersuchen, inwiefern es Raum lässt, dass sich endogen – quasi aus dem System heraus – Unternehmensgrößen verändern können. – Qualitative Effizienz
Auf „normalen“ Märkten spiegeln Gewinne und Verluste von Unternehmen die jeweiligen Leistungen im Wettbewerb wider. Im Umkehrschluss impliziert dies, dass Gewinne nicht das Resultat dauerhafter Monopolstellungen sind, sondern sich durch relativ bessere Leistungen für ihre Kunden begründen. Das Angebot richtet sich an den Zahlungsbereitschaften der Nachfrager aus. Qualitative Effizienz ist gegeben. Da zumindest der wasserwirtschaftliche Haushaltskunde keine Möglichkeit besitzt, seinen Anbieter zu wechseln, muss das Wasserwirtschaftsunternehmen in seinem Serviceangebot nicht notwendigerweise den Präferenzen der Kunden entsprechen. Unter dem Stichwort der qualitativen Effizienz ist ein Regulierungsverfahren daher daraufhin zu überprüfen, ob es zum einen Anreize setzt, dass sich der wasserwirtschaftliche Gebietsmonopolist für die Zahlungsbereitschaften seiner Kunden interessiert.10 Diese können sich interregional sehr unterscheiden. Zum Zweiten ist zu fragen, was das wasserwirtschaftliche Unternehmen mit der Kenntnis der Zahlungsbereitschaften macht. Beinhaltet das entsprechende Ordnungsmodell Anreize, dass sich das Angebot an der über die Zahlungsbereitschaften erfragten Nachfrage ausrichtet?
III. Effizienzdimensionen und englische Wassermarktregulierung Im weiteren ist zu prüfen inwiefern die englische Regulierungsbehörde OFWAT („The Water Services Regulation Authority“) bislang versucht, die englischen Wasserver- und Abwasserentsorger zu im ganzheitlichen Sinne effizientem Wirtschaften anzuhalten.11 Zunächst wird die zentrale Grundlage, die Vorgehensweise zur Be9 Siehe hierzu etwas die Studien von Haug (2006); Kletzan (2007); Sauer (2005); Oelmann (2005) oder Stuchtey (2002), die jeweils zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der optimalen Betriebsgröße kommen. Eine Auswertung internationaler Vergleichsstudien liefern Abbott / Cohen (2009). 10 Die Betonung liegt hier auf Zahlungsbereitschaften. Die Kunden werden also nicht gefragt, was sie sich generell wünschen, sondern für welche denkbare Qualitätsverbesserung sie bereit wären, wie viel zu zahlen. Volkwirtschaftlich ergibt sich so der Grenznutzen, der den anfallenden Grenzkosten einer solchen Maßnahme gegenübergestellt werden kann. Dabei sind negative externe Effekte zu quantifizieren und zu internalisieren. 11 „Bislang“ impliziert, dass Änderungen aktuell im Gange sind. Dies ist aktuell tatsächlich der Fall. Es wird gezeigt werden, dass das derzeitige Modell einzelne der zuvor vorgestellten
338
Mark Oelmann
stimmung der relativen Effizienzen der Unternehmen, vorgestellt. Auf dieser Basis gliedert sich dann das weitere Kapitel nach Maßgabe der Effizienzdimensionen.
1. Das Kernstück: Bestimmung der relativen Effizienzen Wasserwirtschaftliche Dienstleistungen werden mit Betriebsführungsausgaben („operating expenditures“ – opex) und Kapitalerhaltungsausgaben („capital maintenance expenditures“ – capex)12 erbracht. Sämtliche Opex-Ausgaben in der Wasserversorgung werden einer von vier unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen zugeordnet: (1) Wasserverteilung, (2) Rohwasserförderung, (3) Rohwasseraufbereitung, (4) Energie und sonstige Geschäfts- / Verwaltungsaktivitäten. Für die Abwasserentsorgung sind dies fünf Wertschöpfungsstufen. Wir wollen am Beispiel der Wertschöpfungsstufe der Rohwasserförderung / -aufbereitung zeigen, wie die relativen Effizienzen mit Hilfe einer Regressionsanalyse auf dieser Stufe berechnet werden. 13 Die einzelnen Schritte sind auch Abbildung 1 zu entnehmen.14 In einem ersten Schritt werden für die Regressionsanalyse die Kostentreiber für die Ausgaben im Bereich der Rohwasserförderung / -aufbereitung gesucht. So könnten die Kosten umso höher liegen, aus je mehr Quellen Rohwasser bezogen wird. Ebenso ist gemeinhin die Aufbereitung aus Flusswasser teurer als die von weit stärker vor Verschmutzung geschütztem Grundwasser. Nachdem die Regulierungsbehörde OFWAT eine Idee davon besitzt, welche Input-, Output- und welche Strukturdaten sie für die Berechnung relativer Effizienzen auf dieser Wertschöpfungsstufe benötigt, werden diese in einem zweiten Schritt von den Unternehmen eingefordert. Nach nun fast 25 Jahren der Regulierung durch OFWAT liegen vergleichbare Daten unterschiedlicher Jahre vor. Die Regulierungsbehörde ist damit nicht nur auf die Kostenangaben des abgelaufenen Jahres beschränkt, sondern kann über Trendbetrachtungen die eingereichten Daten validieren. Sie berücksichtigt selbstverständlich Veränderungen in den Strukturdaten, die seitens der Unternehmen jährlich zu aktualisieren sind. Sämtliche der eingereichten Daten werden alljährlich von den sog. Reportern validiert.15 Effizienzdimensionen nicht ausreichend erreicht. Überlegungen, die in Kapitel IV beschrieben werden, setzen genau hier an. Da das „System vergleichenden Wettbewerbs“ bzw. die englische Wassermarktregulierung aktuell noch in Gebrauch ist, wird im Weiteren das Präsens als Zeitform genutzt. 12 Capex meint hier damit nur Kapitalerhaltungsmaßnahmen, nicht aber – wie gemeinhin üblich – auch Kapitalerweiterungsmaßnahmen. 13 Für die Berechnung der relativen Effizienzen auf anderen Wertschöpfungsstufen werden andere Verfahren, z. B. das der Standardkostenanalyse angewandt. Diese sind insbesondere relevant für die Bestimmung von Kapitalerweiterungsmaßnahmen. 14 Bei der Bestimmung der relativen capex-Effizienzen findet ein zweites, leicht abgewandeltes Verfahren Anwendung, auf das wir in Abschnitt III.2. noch knapp eingehen werden.
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
339
Stufe 1 Fachkundige Überprüfung möglicher Kostentreiber Stufe 2 Sammlung und Überprüfung eingereichter Daten Stufe 3 Identifikation von atypischen Besonderheiten und spezifischen Sonderfaktoren Stufe 4 Überarbeitung der Daten für die statistische Analyse Stufe 5 Entwicklung plausibler konzeptioneller Modelle Stufe 6 Statistische Analyse zur Generierung robuster Beziehungen zwischen Ausgaben und erklärenden (Output-)Faktoren
In der Praxis gibt es bei der Entwicklung und Verfeinerung der Modelle eine Reihe von Iterationen zwischen den Schritten 5, 6 und 7.
Stufe 7 Fachkundige Überprüfung der statistischen Modelle Stufe 8 Vorläufige Bewertungen der relativen Kosten Stufe 9 Überprüfung spezieller Faktoren jeweiliger Unternehmen zur Einschätzung der Validität und des Einflusses auf das vorläufige Urteil Stufe 10 Überprüfung der Ergebnisse der nichtökonometrischen Analyse und Einschätzung des Einflusses auf das vorläufige Urteil Stufe 11 Abschließendes Urteil über die relative Effizienz
Quelle: OFWAT (2002a), Appendix 1, Übersetzung M. O.
Abbildung 1: OFWAT – Vorgehen bei der Bestimmung der Modelle zur relativen Effizienz 15 Bei den Reportern handelt es sich um von den Unternehmen beauftragte, unabhängige Fachleute. Eine von OFWAT in Auftrag gegebene Studie (KPMG Management Consulting, 1998) kommt zu dem Schluss, dass im Allgemeinen den Reportern eine sehr gute Arbeit zu bescheinigen ist. Trotzdem stellt sich auch hier die Frage, wie die Überwachenden zu überwachen sind. Von Zeit zu Zeit müssen sich die Reporter gegenüber einem von OFWAT eingesetzten Expertengremium rechtfertigen, vgl. OFWAT (2003d), S. 8.
340
Mark Oelmann
Um eine Vergleichbarkeit der Unternehmen zu erzielen, müssen im dritten Schritt Kosten, die nur einzelne Unternehmen betreffen, identifiziert und quantifiziert werden. Dabei definiert OFWAT im Detail, welche Kosten als atypisch anzusehen sind. 16 Ebenso werden solche Kosten berücksichtigt, die auf extreme Wettersituationen zurückzuführen sind. Im Gegensatz zu den atypischen Kosten sind spezifische Kosten nicht im Detail festgelegt. Für den Fall, dass ein Unternehmen spezifische Ausgaben in Abzug bringen will, hat es dies zu begründen. OFWAT entscheidet letztlich, wobei sie die Argumentation des Unternehmens und die Begründung der eigenen Entscheidung in Publikationen der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Die in einem vierten Schritt zusammengestellten, validierten und bereinigten Daten werden sodann für die eigentliche Effizienzermittlung genutzt. Das Ziel besteht darin, den statistisch signifikantesten Zusammenhang zwischen Kosten und Kostentreiber zu ermitteln. Die zu erklärenden Kosten können dabei als absolute (logarithmierte, normierte, quadrierte …) Kosten oder aber als (logarithmierte, normierte, quadrierte …) Stückkosten dargestellt werden. In unserem Beispiel sind die Kosten der Wasserförderung und -aufbereitung in Abhängigkeit der Wohnbevölkerung zu erklären (Tabelle 1). Letztendlich wird der / werden die Kostentreiber ausgewählt, der / die am ehesten die Kostengröße zu erklären vermag / vermögen (Schritte fünf bis sieben). In unserem Beispiel sind dies die Anzahl der Quellen pro geförderter Tagesmenge sowie der Anteil des Flusswassers am gesamten Rohwasseraufkommen. Je höher diese beiden Kostentreiber sind, umso gerechtfertigter scheinen relativ höhere Kosten pro Einwohner. Dieser Zusammenhang wird deutlich an den positiven Vorzeichen der Koeffizienten (Tabelle 1). Die Regressionsgerade, die sich ergibt, verläuft streng monoton steigend.17 Die ermittelte Regression erlaubt es OFWAT, den tatsächlichen Kosten pro Einwohner für Rohwasserförderung und -aufbereitung prognostizierte Größen für jedes einzelne Unternehmen gegenüberzustellen. Sind letztere höher, ergibt sich eine im Verhältnis zum Durchschnitt höhere Effizienz. Die tatsächlich ermittelten Durchschnittskosten dieses Unternehmens lägen unterhalb der ermittelten Regressionsgerade. 16 Diese Formulierung suggeriert, dass die Regulierungsbehörde sehr autokratisch handelt. Dies ist insofern zu relativieren, als die Branche stets im Vorfeld um ihre Meinung gefragt wird. So ist das grundlegende „Framework and Approach“-Papier [OFWAT (2003g)] das Ergebnis eines ursprünglichen Entwurfes [OFWAT (2002b)], zu dem die Branche eingeladen war, sich zu äußern. Eingereichte Meinungen und sich jeweils anschließende Stellungnahmen von OFWAT sind der Öffentlichkeit in OFWAT (2003e) zugänglich. Gleiches gibt es für die Preisregulierungsperiode 2010 – 2015 [OFWAT (2008)]. Die Statements von Unternehmen finden sich unter http://www.ofwat.gov.uk / pricereview / sds / (abgerufen am 15. 04. 2015). 17 Die Methodik dieser einfachen Regression ist sicher zu hinterfragen. In England geht OFWAT daher dazu über, die eigenen Ergebnisse durch zusätzliche DEA- und SFA-Berechnungen zu überprüfen. Dies gelingt gleichwohl aufgrund der geringen Anzahl von Unternehmen insbesondere bei der SFA nur unzureichend. Vgl. zur Methodendiskussion Coelli et al. (2006).
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
341
Tabelle 1 Regression Wertschöpfungsstufe Rohwasserförderung / -aufbereitung Water service:
Resources and treatment expenditure
Data:
June return 2003
Modelled cost:
Resources and treatment functional expenditure less power expenditure (£m), less Environment Agency charges (£m), divided by resident population (millions)
Explanatory variables:
Coefficient
Standard error
1.485
1.927
Number of sources divided by distribution input
16.770
6.268
Proportion of supplies derived from river sources
5.124
2.449
Constant
Form of model:
(Resources and treatment expenditure (£m) less Environment Agency charges and power) / resident population (millions) = 1.485 + 16.770 x (number of sources / distribution input (MI/d)) + 5.124 x (proportion of supply from rivers)
Statistical indicators:
Number of observations: 22
R2: 0.274
Model Standard Error 1.859
Model significance (Ftest): 0.048
Quelle: nach OFWAT (2003f), S. 45.
Für den überbetrieblichen Vergleich wird hingegen nicht die Effizienzposition eines Unternehmens im Verhältnis zu dem durchschnittlichen Unternehmen dargestellt, sondern es interessiert der Vergleich mit dem grundsätzlich effizientesten Unternehmen. „Grundsätzlich“ bedeutet hier, dass nicht unbedingt das effizienteste Unternehmen als „Benchmark“ für die Bestimmung individueller X-Faktoren im Rahmen der Preisobergrenzenbestimmung ausgewählt wird. Schließlich ist es zentral, dass die Vorgaben von den weniger effizienten Unternehmen auch potenziell erreichbar sein müssen. Ein nach den Daten effizientes Unternehmen wird dann nicht als „Benchmarking-Unternehmen“ gesehen, wenn dessen Daten nicht von ausreichender Qualität sind,18 spezifische Sonderfaktoren zu konstatieren sind oder das Unternehmen eine nicht ausreichende Größe aufweist. Ebenso tut sich OFWAT schwer, ein Unterneh18 Bezüglich der Kategorisierung der Qualität von eingereichten Daten wird auf OFWAT (2003a), S. 8 f., verwiesen.
342
Mark Oelmann
men als Benchmark zu bestimmen, das einem größeren Verbund angehört. 19 Die Gefahren einer verdeckten Quersubventionierung wären gegeben.20 Hat OFWAT ein Benchmark-Unternehmen bestimmt, berechnet es für jedes Unternehmen und für jede einzelne der vier Wertschöpfungsstufen im Bereich Wasserversorgung die relative Effizienzposition. Diese Ergebnisse der Vergleichsmarktanalyse werden jedoch nicht unmittelbar für Regulierungsentscheidungen genutzt. Vielmehr haben sie einen informativen Charakter für die Unternehmen. Sie erfahren, bei welchen Wertschöpfungsstufen besonders hohe Einsparpotenziale liegen sollten. Zudem ist diese Transparenz eine Ausgangsvoraussetzung dafür, dass jedes Unternehmen seine jeweiligen, von OFWAT bestimmten Preisobergrenzenvorgaben nachvollziehen kann. Die bis zum siebten Schritt für jede einzelne Wertschöpfungsstufe für jedes Unternehmen ermittelten tatsächlichen Opex-Kosten einerseits und prognostizierten Opex-Kosten andererseits werden im achten Schritt jeweils aufaddiert. Die relative Effizienzposition wird hingegen erst im Anschluss an die Schritte neun und zehn bestimmt. Die tatsächlichen Opex werden zunächst um solche Kosten bereinigt, für deren Auftreten das betroffene Unternehmen nicht verantwortlich gemacht werden kann. Die im nationalen Vergleich hohen Löhne im Südosten Englands sind ein Beispiel für einen solchen spezifischen Sonderfaktor. Angesichts der grundsätzlichen Gefahr einer zu mechanistischen Anwendung einer solchen Produktivitätsmessung ist es üblich, dass bei verbleibenden Zweifeln an den Ergebnissen weitere Anpassungen erfolgen. Im abschließenden elften Schritt wird die Rangfolge der relativen Effizienzen erstellt. Nach einer ersten grundsätzlichen Einführung in das Kernstück des englischen Systems, dem Bestimmen der relativen Effizienzen, orientiert sich die nun folgende weitere Analyse an den einzelnen Effizienzdimensionen. Dabei erfolgt die Argumentation schwerpunktmäßig auf Publikationen der Jahre bis 2005. Dieses Vorgehen wird deshalb gewählt, da in späteren Veröffentlichungen die hier darzustellenden Zusammenhänge nicht mehr nachgelesen werden können. Sie werden schlicht als bekannt vorausgesetzt. Einem Leser, der sich demnach in die grundsätzlichen Konzeptionen hineindenken möchte, helfen daher die Publikationen, auf die hier verwiesen wird, mehr.
Vgl. OFWAT (2003e), S. 39. Dies ist der Grund, weswegen OFWAT nicht nur bei tatsächlichen Fusionen, sondern auch bei der Übernahme von Wettbewerbern durch ausländische Unternehmen eine zumeist kritische Position einnimmt. 19 20
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
343
2. Englische Wassermarktregulierung und statische Effizienz21 Es gibt zwei Mechanismen, mit Hilfe derer englische wasserwirtschaftliche Unternehmen zur Produktion eines Outputs zu minimalen Kosten angetrieben werden sollen. Beide leiten sich unmittelbar aus der zuvor vorgestellten Berechnung relativer Effizienzen ab. – Hohe Transparenz der Unternehmensergebnisse
Die Ergebnisse der relativen Effizienzen wurden bis Ende der 2000er Jahre im jährlich erscheinenden Bericht „Water and sewerage service unit costs and relative efficiency“ veröffentlicht.22 Tabelle 2 stellt diese für 2002 / 03 beispielhaft dar. Relative Effizienzen bei Betriebsführungsausgaben und Kapitalerhaltungsmaßnahmen werden dargestellt. Hiernach erfährt die interessierte Öffentlichkeit, dass die Unternehmen Portsmouth, Severn Trent, South Staffordshire, Wessex und Yorkshire 2002 / 03 im Hinblick auf die Operating expenditures die effizientesten waren und nur maximal um 5 %-Punkte von der geltenden Benchmark entfernt lagen. Gleichzeitig überzeugt aber nur Portsmouth auch bei den Kapitalerhaltungskosten. Der Bericht zu den relativen Effizienzen wird – ebenso wie die anderen vier jährlich erscheinenden Berichte – von der Öffentlichkeit genauso wie von den privaten Anteilseignern interessiert zur Kenntnis genommen. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Transparenz durchaus geeignet ist, das Management der Unternehmen unter einen enormen Druck zu setzen. – Verknüpfung der Unternehmensperformance mit Preisen
Die Ergebnisse aus der Berechnung relativer Effizienzen sind für OFWAT eine ganz wesentliche Grundlage für die Bestimmung der individuellen Preisobergrenzen. Im Rahmen ihrer alle fünf Jahre stattfindenden „Periodic Review“ (PR) berechnet sie für jedes der zehn Wasserver- und Abwasserentsorgungsunternehmen und der heute zwölf reinen Wasserversorger individuelle Preisobergrenzen. In Beziehung zum aktuellen Preis wird für jedes Unternehmen i berechnet, wie sich der neue Preis unter sonst gleichen Bedingungen maximal verändern darf (p i ).23 Für jedes einzelne der folgenden fünf Jahre ergibt sich nun für jedes Unternehmen ein
Elemente dieses Abschnitts wurden bereits in Oelmann (2011) beschrieben. Die aktuell jeweils gültigen Wasserver- und Abwasserentsorgungspreise sind für Kunden mit und ohne Wasserzähler auf folgender Internetseite abrufbar: http://www.ofwat.gov.uk / consumerissues / chargesbills, abgerufen am 15. 04. 2015. 23 Die Betonung liegt hier auf „unter sonst gleichen Bedingungen“. Bei der Auseinandersetzung mit dem Kriterium der dynamischen Effizienz wird sich zeigen, dass Unternehmen in Abhängigkeit ihrer aktuellen Ausgangssituation und den zukünftigen Herausforderungen einen unterschiedlichen Investitionsbedarf haben. Da die Preise kostendeckend sein sollen, mag dies implizieren, dass der absolute Preis für den Endkunden zwangsläufig steigen kann. Die Veränderung dieses absoluten Preises ist aber nicht mit dem hier analysierten relativen pi zu verwechseln. 21 22
344
Mark Oelmann Tabelle 2
Operating efficiency banding
OFWAT: Relative Opex- und Capex-Effizienzen 2002 / 03 A Within 5 % of benchmark
Wessex, Yorkshire
B Between 5% and 15 % of benchmark
Northumbrian, United Utilities, Southern, Sutton & East
Anglian, Bournemouth & W. Hants, Cambridge, Dee Valley, South East, Three Valleys
C Between 15 % and 25 % of benchmark
Dŵr Cymru, Bristol, Mid Kent, Tendring Hundred
South West
D Between 25 % and 35 % of benchmark
Severn Trent, South Staf- Portsmouth fordshire
Thames
Folkestone & Dover
E Greater than 35 % of benchmark E Greater than 40% of benchmark
D Between 30 % and 40 % of benchmark
C Between 20% and 30% of benchmark
B Between 10% and 20 % of benchmark
A Within 10% of benchmark
Capital maintenance efficiency banding (combined) Quelle: nach OFWAT (2003f), S. 30.
maximal zulässiger Preis. Sofern die Einnahmen in der Folge größer sind als die Kosten, macht das Unternehmen Gewinn, andernfalls Verlust. Als börsennotierte Aktiengesellschaften stehen die Wasserbetriebe ihren Anteilseignern gegenüber unter dem Druck, durch das Heben von Effizienzpotentialen die Schere aus Einnahmen und Kosten zu maximieren.24 Um sicherzustellen, dass die Unternehmen für
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
345
die PR angekündigte Investitionen zum Zweck der kurzfristigen Gewinnaufblähung nicht plötzlich unterlassen, sind die Unternehmen zu überwachen. Dies geschieht mit den alljährlichen „June Returns“ (JR), ihrerseits auch die Grundlage für die Erstellung der für die Öffentlichkeit bestimmten Berichte. Relevant nun ist, wie sich die zulässigen Preisveränderungsraten pi berechnen. Dies geschieht nach folgender Formel: pi ¼ RPI þ =
P þ =; K i þ =
OPAi
Dabei gibt es Faktoren, die ein jedes Unternehmen gleichermaßen betreffen. Hierzu zählt die Entwicklung des Verbraucherpreisindexes (RPI – Retail Price Index). Gleiches gilt für P, den angenommenen Produktivitätsfortschritt für die gesamte Branche. Auf Basis extern vergebener Studien wird analysiert, in welchem Maße Effizienzverbesserungen von den Wasserwirtschaftsunternehmen erzielbar sein sollten. Im Rahmen der Studie für die zu Beginn 2005 angelaufene 5-JahresPeriode kamen so London Economics, Black & Veatch Consulting und Shutler25 zu dem Schluss, dass sowohl Wasserver- als auch Abwasserentsorgung in ähnlichen Dimensionen effizienter werden sollten wie die Volkswirtschaft insgesamt. 26 Unter Berücksichtigung auch weiterer Studien kommt OFWAT27 zu dem Schluss, dass z. B. bei den Betriebsführungsausgaben in der Wasserversorgung (Water Service Base) sich selbst das beste Unternehmen um 0,6 % pro Jahr verbessern sollte. Wie Tabelle 3 zeigt, geht die Prognose der Effizienzentwicklung für die gesamte Branche P von 0,6 % p. a. für Water Service Base nicht komplett in pi ein. Eine Hälfte (0,3%) findet sich unter der Rubrik „Stick“ (Continuing improvement factor), die andere Hälfte unter „Carrot“ (Continuing out-performance). Die Aussage ist die folgende: Für die Gewährleistung, dass der aktuelle Qualitätsstand im Bereich der Wasserversorgung (Water Service Base) gehalten wird, ist zwar insgesamt anzunehmen, dass selbst das aktuell beste Unternehmen Effizienzpotentiale von 0,6 % pro Jahr erschließt. Vom Wasserversorger wird aber nur erwartet, dass er sich in seiner operativen Tätigkeit um 0,3 %-Punkte verbessert. Schafft es diese Vorgabe unter „Stick – Continuing improvement factor“ nicht, macht das Unternehmen unter sonst gleichen Bedingungen einen relativen Verlust. Generiert 24 Es sei bemerkt, dass z. B. in den Niederlanden ein Privatisierungsverbot herrscht. Die dortigen Unternehmen unterliegen einem verpflichtenden Benchmarking. Die Ergebnisse werden alle drei Jahre publiziert und sind beachtlich. Siehe hierzu VEWIN (2013) oder interpretierend Oelmann (2007). 25 Vgl. London Economics / Black & Veatch Consulting / Shutler (2003). 26 Im Vorfeld der PR99 kamen Europe Economics / Crafts (1998), S. ii, noch zu dem Schluss, dass die Effizienzpotentiale in gerade kürzlich deregulierten Branchen besonders hoch sind und empfahlen Vorgaben zur Effizienzverbesserung von jährlich nahe 3%. Für eine Darstellung der in den anderen Periodic Reviews zu Grunde gelegten Produktivitätsfortschrittsraten siehe Maziotis et al. (2013). 27 Vgl. OFWAT (2004c), S. 148.
346
Mark Oelmann Tabelle 3 Annahmen zur durchschnittlich erreichbaren jährlichen Effizienzverbesserung „Betriebsführung“
Potential outperformance Efficiency improvement factors Operincentive assumed in our draft ating determinations expenditure – „Sticks“ „Carrots“ annual Total ContiCatch-up Total ContiCatch-up average out-pernuing outout-per‚stick‘ nuing improverate of improve- improve- formance perfor- formance ment improve‚carrot‘ mance ment ment factor ment factor factor
Likely overall scope
Water service – base
1.1%
0.3%
1.4%
0.7%
0.3%
1.0%
2.4%
Water service – enhancements
1.4%
0.45%
1.85%
0.4%
0.45%
0.85%
2.7%
Sewerage service – base
0.8%
0.5%
1.3%
0.5%
0.5%
1.0%
2.3%
Sewerage service – enhancements
1.0%
0.75%
1.75%
0.3%
0.75%
1.05%
2.8%
Quelle: nach OFWAT (2004c), S. 148.
das Unternehmen über diese 0,3%-Punkte hinaus weitere Effizienzgewinne, kann es diese zunächst behalten. Der Anreizcharakter dieser Regulierungsart besteht folglich aus zwei Komponenten: Der „Stick“ soll sicherstellen, dass einfach zu generierende Effizienzgewinne unmittelbar verwirklicht werden und nicht zuerst als Gewinn zu den Unternehmen fließen, sondern den Endkunden über relative Preissenkungen unmittelbar zu Gute kommen. Werden aber diese Mindestanforderungen erfüllt, greift der Anreizcharakter der „Carrot“. Alle weiteren Effizienzgewinne können zunächst von den Unternehmen vereinnahmt werden und fließen erst im Folgejahr über erneute Preissenkungen an die Endkunden.28 Beide Effekte, „Stick“ und „Carrot“, führen dazu, dass 28 Diese Einjahresfrist gilt für die Betriebsführungsausgaben. Über die „Stick“-Vorgabe hinausgehende Effizienzgewinne bei den Kapitalausgaben können von den Unternehmen hinge-
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
347
das Unternehmen kontinuierliche Anreize hat, seine Effizienz maximal zu verbessern. Es braucht nicht betont werden, dass die Unternehmen am liebsten vollständig auf den „Stick“-Anreiz verzichten würden. Abgesehen davon wie das P, der angenommene Produktivitätsfortschritt für die gesamte Branche, in das pi einfließt, verweist Tabelle 3 auf zwei weitere zentrale Aspekte: – Es wird lediglich die Kostenkategorie „Betriebsführung“ („operating expenditure“) betrachtet. Von der vorgestellten Methodik vergleichbar wird mit den sog. „Kapitalerhaltungskosten“ („capital maintenance“) und „Kapitalerweiterungskosten“ („capital enhancement cost“) verfahren. Gerade auf letztere wird unter dem Kriterium der dynamischen Effizienz noch einmal näher zurückzukommen sein.29 – Es tauchen die Spalten „Catch-up improvement factor“ und „Catch-up out-performance“ auf. Der addierte Wert beider Größen gibt an, welcher Verbesserungsumfang von einem einzelnen Unternehmen im Schnitt über die für alle gleiche Vorgabe hinaus erzielbar sein sollte. Der Wert berechnet sich aus den Größen K und OPA (Overall Performance Assessment).30 Diesen beiden soll sich nun zugewandt werden.
Im Gegensatz zu RPI und P, die für alle Unternehmen den gleichen Wert aufweisen, unterscheiden sich K und OPA von Unternehmen zu Unternehmen. Das Prinzip beider Größen ist einfach: Je relativ schlechter ein Betrieb gegenüber dem besten Unternehmen im Ausgangszustand ist, umso eher wird von ihm erwartet, sich hinsichtlich der Effizienz zu verbessern. Konkret hieß dies etwa für die Fünf-Jahres-Periode 2005 – 2010, dass Wessex Water nur jene 0,3%-Punkte aus dem P zu erzielen hat. Die Tatsache, dass ihm keine weiteren „Stick“-Auflagen gemacht wurden, lässt darauf schließen, dass es im Ausgangszustand in der Kategorie „Betriebsführung Wasserversorgung“ das effizienteste Unternehmen war. Wessex Water gegenüber stehen Thames Water oder South West Water. Ihnen gen über fünf Jahre einbehalten werden. Erst nach dieser Zeitspanne fließen die generierten Einsparungen über Preissenkungen an die Endkunden. OFWAT spricht hier vom sog. „rolling incentive mechanism“. 29 Für ein ganzheitliches Verständnis von Tabelle 3 mag folgende Ergänzung helfen: Die Umsetzung bspw. der Wasserrahmenrichtlinie ist für die Unternehmen mit Kosten verbunden. Die vorgegebene Aufgabe „Umsetzung“ geht dabei mit Kosten der Betriebsführung und denen der Kapitalerweiterung einher. Tabelle 3 wäre in diesem Zusammenhang für den Bereich der Wasserversorgung zusätzlich zu entnehmen, dass bei solchen neu hinzukommenden Aufgaben („Water service – enhancements“) unter sonst gleichen Bedingungen die Betriebsführung pro Jahr sich um 2,7%-Punkte verbessern sollte. Hierbei aber ist der „Stick-“ relativ zum „Carrot“-Anteil größer, als es bei „Water service – base“ zu beobachten war. Die Logik hierhinter ist einfach. OFWAT geht davon aus, dass innovativere Techniken bei vollkommen neuen Aufgaben leichter umsetzbar sind. 30 Streng genommen ist der OPA Teil des K-Faktors. Der besseren Illustration halber wird aber hier diese Unterscheidung vorgenommen.
348
Mark Oelmann
wird ein „Stick“ von jeweils 2,5% pro Jahr auferlegt.31 Wie nun berechnet sich zunächst K? Im Kern sind drei Schritte zu unterscheiden: – Bestimmung der relativen Effizienzposition eines Unternehmens, – Bestimmung des „Benchmark-Unternehmens“, – Festlegung der zu erreichenden individuellen Effizienzziele.
Den ersten Schritt haben wir bereits hinreichend im vorangegangenen Abschnitt besprochen. Dort wurde knapp die Regressionsanalyse besprochen. Der Illustration halber sollen die weiteren beiden Schritte anhand der Standardkostenanalyse dargelegt werden. Wie bereits angesprochen findet die Standardkostenanalyse bei sämtlichen zukunftsgerichteten Kapitalmaßnahmen Anwendung. Im Kern reichen hier die Unternehmen für rund 120 Güter bzw. Arbeitsprozesse (genauer: 71 für Wasserversorgung, 53 für Abwasserentsorgung32) Standardkosten ein. Eine Reihung der Unternehmen bezüglich ihrer Effizienz ergibt sich unmittelbar. Unternehmen 19 in Abbildung 2 ist so mit Standardkosten von A bspw. im Arbeitsprozess „Legen eines Meters Abwasserkanal eines spezifischen Durchmessers in Grasland“ relativ ineffizienter als die Unternehmen 1 bis 18, aber effizienter als die Unternehmen 20 und 21.
Quelle: OFWAT (2003a), S. 18.
Abbildung 2: Bestimmung der relativen Effizienz und Ableiten der Aufschlussvorgabe
31 32
Vgl. OFWAT (2004c), S. 63 ff. Vgl. OFWAT (2003a), S. 9.
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
349
Unabhängig davon, ob die Reihung der Unternehmen durch Regressions- oder Standardkostenanalyse erfolgte, ist im zweiten Schritt das „Benchmark-Unternehmen“ zu bestimmen. Dies ist wie zuvor knapp angerissen grundsätzlich das aktuell effizienteste Unternehmen, wobei aber die eingereichten Daten von ausreichender Qualität sein müssen, Sonderfaktoren nicht konstatiert werden dürfen und das Unternehmen eine halbwegs repräsentative Größe aufzuweisen hat.33 Sofern die Reihung über Standardkosten erfolgt, wird gewöhnlich ein Unternehmen für eine ganze Reihe vergleichbarer Stückkosten als Benchmark gewählt.34 Solche Vorkehrungen sollen gewährleisten, dass die gewählte Richtschnur auch tatsächlich von jedem Unternehmen erreicht werden kann. In Abbildung 2 fungiert Unternehmen 5 als Benchmark. Dieses hat Standardkosten von C. Für Unternehmen 19 ergibt sich folglich eine Effizienzlücke von A-C. Im dritten Schritt sind nun die zu erreichenden individuellen Effizienzziele festzulegen. Die Effizienzlücke ist zwischen „Stick“ und „Carrot“ aufzuteilen. In Abbildung 2 wird angenommen, dass die Hälfte (schwarz unterlegte Fläche) als Teil von K in pi eingeht. Unter Bezugnahme auf die Begriffswahl in Tabelle 3 handelt es sich hier also um einen Teil des „Catch-up improvement factor“. Die verbleibende Hälfte hingegen würde unter die Spalte „Catch-up out-performance“ fallen. Wie sich in Kapitel III.6. noch herausstellen wird, sind die Effizienzerfolge der englischen Unternehmen beachtlich. Dies ist zunächst positiv. Daneben aber hatte diese Entwicklung zwangsläufig zur Folge, dass sich die Unternehmen hinsichtlich ihrer Performance einander nach oben hin annähern. Tatsächlich zeigt der Vergleich der bereits zuvor präsentierten Tabelle 2 mit Tabelle 4, dass genau dies passiert ist. 35 Die Mehrzahl der Unternehmen erreicht 2003 / 04 in beiden Kategorien Betriebsführungskosten und Kapitalerhaltungskosten mindestens die Einordnung unter B. Vor diesem Hintergrund mag man argumentieren, dass aus der Verbesserung der Branche insgesamt36 sowie auch der Veränderung der Verteilungsstruktur der Unternehmen zueinander, die Ineffizienzen in der Branche nun weitgehend ausgeräumt sein sollten. Ist die Aufgabe für OFWAT damit nicht weitgehend erfüllt? Hier ist die Regulierungsbehörde anderer Meinung. Während es in der Vergangenheit vorrangiges Ziel war, über monetäre Anreize die offensichtlichen Effizienzpotentiale schwacher Unternehmen zu heben, geraten nun die besten Unternehmen in den Fokus. Dass diese sich weiter verbessern, ist fortan ein mindestens ebenso Vgl. OFWAT (2003g), S. 39. Vgl. OFWAT (2003a), S. 12. 35 Noch sehr viel größer ist der Kontrast, wenn die relativen Effizienzen der Unternehmen zueinander von Mitte der 1990er Jahre herangezogen würden. Das Tableau aus jener Zeit ist sehr viel gleichmäßiger gefüllt. Die Diskrepanzen zwischen „guten“ und „schlechten“ Unternehmen waren sehr viel größer. 36 Vgl. OFWAT (2002a) S. 37. 33 34
350
Mark Oelmann Tabelle 4 Relative Effizienzen der englischen Wasserversorger 2003 / 04
Operation efficiency banding (2003 – 04)
A Within 5% of benchmark
Southern
Yorkshire, Bournemouth & Severn Trent, W HampWessex, shire, Cambridge Portsmouth, South Staffordshire
B Within 5 % and 15 % of benchmark
Anglian, Dŵr Cymru, United NorthUtilities, umbrian, Mid Kent, Dee Valley South East, Sulton & East Three Valleys Surrey, Tendring Hundred
C Between 15% and 25 % of benchmark
South West, Thames, Folkstone & Dover
Bristol
D Between 25% and 35 % of benchmark E Greater than 35 % of benchmark E Greater than 40% of benchmark
D Between 30% and 40 % of benchmark
C Between 20 % and 30% of benchmark
A B Within 10% Between of bench10% mark and 20 % of benchmark
Capital maintainance efficiency banding (combined) Quelle: nach OFWAT (2005), S. 36.
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
351
wichtiges Ziel. Die Fachtermini der englischen Wassermarktregulierung nutzend, geht es nun weniger um den sog. „move to the efficiency frontier“, sondern vielmehr um den „move of the efficiency frontier“. Dieser Überlegung liegt zugrunde, dass ein bereits effizientes Unternehmen es relativ schwerer hat, neue Effizienzpotentiale ausfindig zu machen und umzusetzen. Gleichzeitig sind aber diese für das gesamte System von ganz besonderer Bedeutung, weil sie die Höhe der Aufschlussvorgaben für die schlechteren Unternehmen in der Zukunft determinieren. Daher arbeitet OFWAT fortan mit einem Multiplikatoren-System, um zusätzliche Anreize für die bereits besten Unternehmen zu generieren. Die effizientesten Unternehmen erhalten ihre zusätzlichen Effizienzgewinne mit einem Faktor 1,5, die noch relativ guten Unternehmen mit dem Faktor 1,25 gutgeschrieben. Tabelle 5 gibt hier einen Eindruck. Im Wasserversorgungsbereich kommen hiernach sechs bis acht von insgesamt 22 Unternehmen in den Genuss eines solchen zusätzlichen monetären Anreizes. Im Abwasserentsorgungsbereich sind dies drei bis vier von insgesamt zehn Unternehmen. Tabelle 5 Zusätzliche Förderung der bereits besten Unternehmen Companies at the efficiency frontier 50% uplift (1.5 multiplier)
Companies within 5 % of the efficiency frontier 25 % uplift (1.25 multiplier)
Water – operating expenditure
South Staffordshire, Portsmouth, Wessex
Bournemouth & W Hampshire, Cambridge, Severn Trent, Southern, Yorkshire
Water – capital expenditure
South West, Wessex, Yorkshire
Dŵr Cymru, Folkestone & Dover, Severn Trent
Sewerage – operating expenditure
Thames, Yorkshire, Wessex
Severn Trent
Severn Trent
Dŵr Cymru, Wessex
Sewerage – capital expenditure
Quelle: nach OFWAT (2004c), S. 159.
Nach RPI, P und K ist der OPA (Overall Performance Assessment) der letzte Summand, der in die Berechnung des pi eingeht. Er wird eingehender bei der Prüfung gem. dem Kriterium der qualitativen Effizienz analysiert. An dieser Stelle sei
352
Mark Oelmann
lediglich bemerkt, dass über diesen OPA die so zentralen Faktoren wie Umweltqualität, Trinkwasserqualität und Kundenservice Berücksichtigung finden.
3. Englische Wassermarktregulierung und dynamische Effizienz Die Abgrenzung von statischer zu dynamischer Effizienz ist nicht immer leicht, da beide Dimensionen vielfältige Berührungspunkte haben. Die Situation aus dem vorherigen Abschnitt, dass Unternehmen durch Transparenzzwang und monetäre Anreize immer neu herausgefordert sind, sich über innovativere Lösungsverfahren Gedanken zu machen, wäre auch unter dem Stichwort der dynamischen Effizienz zu behandeln gewesen. Daneben gibt es aber zwei spezifische weitere Elemente, die dazu beitragen, erst im Zeitverlauf neu auftretende Herausforderungen möglichst innovativ zu lösen. – Konkurrenz in der Standardsetzung
In Deutschland etwa – ebenso wie in vielen anderen Ländern – ist es üblich, dass Verbände Regelsetzungsbefugnisse, ja Regelsetzungsmonopole haben. Dies wird mit Verweis auf die Wichtigkeit von Normen begründet. Tatsächlich aber wird in Fragen der Normung zunächst zwischen koordinierende und regulierende Normen unterschieden.37 Nur bei ersteren ist eine branchenweite, auch internationale Abstimmung zentral. So ermöglichen z. B. einheitliche, Kompatibilität sichernde Maße überhaupt erst eine Massenfertigung. Eine Abstimmung bei den regulierenden Normen hingegen birgt die Gefahr, dass ebenfalls denkbare, unter Kosten-Nutzen-Aspekten für spezifische Rahmenbedingungen bessere Lösungswege außen vor bleiben.38 In England hat sich über die Zeit ein interinstitutioneller Wettbewerb eingestellt, der für die Entwicklung regulierender Normen als grundsätzlich interessant zu beurteilen wäre. In den 1980er Jahren hatte das Water Research Center (WRc PLC) in der Setzung regulierender Normen eine unangefochtene Monopolstellung. Auch heute hat das WRc PLC noch eine herausgehobene Stellung. Dieses Institut muss sich aber gegenüber konkurrierenden Unternehmen, die alternative Lösungswege auf ihre Eignung hin prüfen, behaupten. – Rechtfertigung der Kapitalerweiterungen vor OFWAT
Zunächst unterstützt OFWAT die Unternehmen bei der eigenen Zielformulierung und Maßnahmenplanung. Des Weiteren sind die Vorhaben aber auch OFWAT vorzulegen. Immerhin sind die Kosten für notwendige Neuinvestitionen eine signifiSiehe hierzu Swann (2000). In Deutschland versucht man der Gefahr durch sog. Öffnungsklauseln – etwas vereinfacht ausgedrückt „weniger komplexe Vorgaben bei günstigeren Rahmenbedingungen“ – zu begegnen. 37 38
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
353
kante Größe und beeinflussen unmittelbar pi.39 Je höher die als notwendig erachteten Investitionen, umso stärker werden sich die Preise gegenüber dem Ausgangszustand erhöhen müssen. Mit dem UKWIR-Kapitalplanungsinstrument40 demonstriert ein Unternehmen OFWAT gegenüber, wie es z. B. die Wasserrahmenrichtlinie umzusetzen gedenkt. Nur sehr bedingt wissend, welche Lösungswege sämtliche anderen Unternehmen einschlagen, müssen die Unternehmen sich bemühen, die Darstellung ihrer Kapitalerfordernisse nicht zu „überreizen“.41 Angesichts der Tatsache, dass jedes Unternehmen vor ähnlichen Aufgaben steht, ist OFWAT in der Lage, zur Beurteilung der Lösungskonzeption eines Unternehmens die ausgearbeiteten Verfahren aller anderen Unternehmen zu nutzen. Wiederum wirkt eine hinreichend große Anzahl von Unternehmen zum Vorteil der Regulierungsbehörde. Zudem sei daran erinnert, dass z. B. für Tiefbaumaßnahmen über die vorgestellte Standardkostenanalyse Daten vorliegen, wie bewilligte Kapitalmaßnahmen am effizientesten durchgeführt werden können. Etwaige Aufschlussvorgaben, wie sie im vorangegangenen Abschnitt zur statischen Effizienz vorgestellt wurden, werden den Unternehmen auch bei den Kapitalerweiterungsmaßnahmen auferlegt. Auch hier gilt: Wenn die Unternehmen die Effizienzvorgaben erfüllen, greift der Anreizcharakter der „carrot“.42 Weitere Effizienzgewinne können die Unternehmen zunächst einbehalten.
4. Englische Wassermarktregulierung und technische Effizienz Ein Regulierungsmodell ist dann technisch effizient, wenn es Raum lässt, dass sich die im Einzelfall optimale Unternehmensgröße endogen herausbilden können. Wie gesagt: Am „Reißbrett“ lässt sich diese nicht bestimmen; zu unterschiedlich sind u. a. demografische und naturräumliche Gegebenheiten. Zu hoch sind die anteiligen Verteilkosten, als dass für den Einzelfall stets die Losung „Big is beautiful“ ausgegeben werden könnte. Dies sah man gleichwohl in England anders. 39 Zur Erinnerung: Bei der Analyse der einzelnen Summanden RPI, P, K und OPA im vorigen Abschnitt wurde angenommen, dass es um die Bestimmung der Preisveränderungsrate unter sonst gleichen Bedingungen ging. 40 Zum Ablauf des Verfahrens siehe UKWIR (2002). Eine knappe Analyse dieses Konzepts findet sich auch in Oelmann (2005), S. 256 ff. 41 Dies setzt voraus, dass die Kapitalrendite, die OFWAT ansetzt, über dem Zinssatz liegt, den das Unternehmen für Investitionen am Markt zu zahlen hat. Tatsächlich ist die Bestimmung der anzusetzenden Kapitalrendite von entscheidender Bedeutung im englischen System, um eine Allokationsverzerrung sowohl in Richtung Unterinvestition (sog. „Hold-upProblem“) als auch in Richtung Überinvestition (sog. „Averch-Johnson-Effekt“) zu vermeiden. 42 „Catch-up out-performance“ und „Continuing out-perfomance“ in Tabelle 3.
354
Mark Oelmann
In England ging man den Weg über Zwangszusammenlegungen. So schrumpfte die Zahl der Abwasserentsorger bis zur Privatisierung 1989 auf zehn Unternehmen.43 Sämtliche dieser „Regional Water Authorities“ führten integriert auch Dienste der Wasserversorgung durch. Daneben gab es zu diesem Zeitpunkt für die Versorgungsseite weitere 30 bereits privatwirtschaftliche Unternehmen, die für rund 25% der Trinkwasserabgabe verantwortlich waren. Auf Seiten der damals bereits privatwirtschaftlichen Unternehmen gab es in der Folge weitere Konzentrationsprozesse. Aktuell gibt es noch zwölf reine Wasserversorger. OFWAT hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass es Fusionen gegenüber sehr kritisch eingestellt ist.44 Gemäß der Kriterien der dynamischen, statischen und – wie sich noch zeigen wird – auch der qualitativen Effizienz ist diese Position gut nachvollziehbar. Hinsichtlich der Forderung aber, ein technisch effizienter regulatorischer Rahmen müsse dafür Sorge tragen, dass sich endogen die optimale Betriebsgröße herausbildet, ist diese Position extrem kritisch zu sehen. Insgesamt wird man konstatieren müssen, dass es hier einen unauflösbaren Trade-off zwischen regulatorischen Informationserfordernissen einerseits und der Förderung jeweils effizienter Branchenstrukturen andererseits gibt. Trotz dieses grundsätzlichen Kritikpunkts versucht das englische Modell gemäß dem Kriterium der technischen Effizienz gleichwohl das „Beste aus der Situation zu machen“. Zunächst wird anerkannt, dass möglicherweise die Grobstruktur stimmen mag (resp. diese aus anderen Gründen nicht verändert werden soll), an der Feinstruktur aber kontinuierliches Verbesserungspotential besteht. Der bisherigen Argumentation folgend wird es aber nie OFWAT sein, die die jeweils optimale Gebietsstruktur von außen determiniert; vielmehr ist es der wasserwirtschaftliche Rahmen, der dafür Sorge tragen soll, dass sich endogen immer wieder neu die optimale Struktur herausbildet. Wie nun geschieht dies? Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Ansatzpunkte: – So ist es denkbar, dass einzelne Kunden eines Unternehmens ökonomisch sinnvoller von dem Nachbarunternehmen ver- und / oder entsorgt werden sollten. Dies ist durch die Zulassung eines Wettbewerbs im Markt seit den frühen 2000ern möglich. Es gibt Leitlinien über Netzzugangsbedingungen. Dennoch wurde Netzzugang bis dato kaum nachgefragt. Schönbäck et al. bemerken bei der konkreten Ausgestaltung der Netzzugangsregulierung daher wesentliches Verbesserungspotential.45 Der SRU stellt am Beispiel des Netzzugangscodes von Severn Trent Water zu Recht dar, dass die Netzzugangsbestimmungen sehr komplex, mögli43 Genaueres zur geschichtlichen Entwicklung in England und allgemeiner Großbritanniens siehe Zabel / Rees (1997), S. 606 ff. 44 Selbst Ende 2003 ist dies noch eine zentrale Position von OFWAT. In OFWAT (2003b), S. 19 ist zu lesen: „A merger between two water companies would result in the loss of an independent comparator. There would also be one less independent management team aiming to improve returns to investors and push back the efficiency frontiers.“ 45 Vgl. Schönbäck et al. (2003), S. 157.
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
355
cherweise in ihrer aktuellen Form zu komplex sind. Unter ökonomischem Gesichtspunkt liegt das Problem ganz wo anders.46 OFWAT gewährte den Unternehmen, die um Durchleitung nachgesucht wurden, das Recht die Durchleitungsgebühren nach der „Efficient Component Pricing Rule“ zu bestimmen. Das Competition Appeal Tribunal (2007) verfügte nun in letzter Instanz, dass demnach die sog. „revenue-minus“-Preissetzung nicht zulässig, sondern kostenseitig zu starten sei. Dem Netzinhaber werden insofern nicht seine entgangenen Erlöse, sondern lediglich die Kosten, die ihm bei der Gewährung von Durchleitung anfallen, entgolten. Hiervon versprach man sich, den „Wettbewerb im Markt“ attraktiver zu machen. Angesichts der Entscheidung, diesen für die Zukunft sowieso zum Regelfall zu erklären – mehr hierzu in Kapitel IV –, wird sich nicht nachweisen lassen, ob sich ein solcher Durchleitungswettbewerb aus sich heraus entwickelt hätte. – OFWAT erkennt daneben an, dass nicht unbedingt jeder Teil einer jeden Wertschöpfungsstufe integriert innerhalb eines Unternehmens ablaufen muss. Für unterschiedliche Aufgaben, die sich einem Unternehmen stellen, wird es unterschiedliche optimale Betriebsgrößen geben. Vor diesem Hintergrund ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass der Weg zur Ausschreibung einiger Dienstleistungen über die Zeit frei wurde.47
5. Englische Wassermarktregulierung und qualitative Effizienz Ohne funktionsfähigen Markt kann man sich an das Kriterium der qualitativen Effizienz mit zwei Fragen herantasten: – Ist das wasserwirtschaftliche Unternehmen bemüht, Informationen über die Zahlungsbereitschaften seiner Kunden zu erlangen? – Welche Anreize bestehen, dass der wasserwirtschaftliche Gebietsmonopolist die ermittelte Qualitätsnachfrage möglichst effizient bedient?
Bezüglich des ersten Punktes ist erneut zu betonen, dass ein Großteil bereitzustellender Qualität über europäische Direktiven bereits festgelegt ist. Die Erbringung
Vgl. SRU (2002), S. 299. Siehe hierzu die ökonomische Analyse des „Dwr Cymru“-Falles in Oelmann (2005), S. 217 ff. Neben der Bedeutung für die Integration des Ausschreibungswettbewerbs in das englische Benchmarking ist der Fall dieses walisischen Wasserunternehmens auch unter der Überschrift „Rekommunalisierung privater Unternehmen“ diskutiert worden. Ohne hier in die Tiefe zu gehen, sei lediglich bemerkt, dass man in England alles andere als unzufrieden mit der Effizienzentwicklung der privaten Unternehmen ist. Es wird lediglich der Versuch unternommen, den Unternehmen auf diese Weise Möglichkeiten einer preisgünstigeren Finanzierung zu ermöglichen. Bei Vorkehrungen, dass die Effizienz nicht sinkt, und gleichem Risiko käme dies den Kunden über sinkende Preise ebenso zu Gute. 46 47
356
Mark Oelmann
dieser Qualitätsgrößen beschäftigte uns bereits unter dem Kriterium der dynamischen Effizienz. Gleichzeitig gibt es aber eine Reihe anderer Qualitätsdimensionen, deren Festlegung in der Hoheit nationaler Gebietskörperschaftsebenen liegt und die mit – ökonomisch ausgedrückt – keinen externen Kosten einhergehen. An dieser Stelle wäre es unter dem Kriterium qualitativer Effizienz angeraten, die Zahlungsbereitschaften der Kunden zu erfragen. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass auf „normalen Märkten“ der Kunde seine Unzufriedenheit mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis mit einem Wechsel des Anbieters artikulieren kann. Diese Möglichkeit hat der Kunde auf einem wasserwirtschaftlichen Markt nur äußerst eingeschränkt. In England ist das Erheben von Zahlungsbereitschaften Teil der Kapitalplanung, die im Abschnitt zur dynamischen Effizienz bereits angesprochen wurde. Die Kernidee besteht darin, dass das Wasserwirtschaftsunternehmen über eine solche Erhebung nachweisen muss, dass der Kunde eine Verbesserung der Qualität auch tatsächlich zu zahlen bereit ist. Anhand eines etwa von Yorkshire Water eingesetzten Modells wird beispielhaft gezeigt, wie Zahlungsbereitschaften in der Praxis bestimmt werden. Grundsätzlich ist jedes Unternehmen frei, eigene Wege bei der Bestimmung der Zahlungsbereitschaften zu gehen. Ein alternatives Modell muss lediglich von OFWAT als für ausreichend gut befunden werden.48 In Tabelle 6 sind für 14 verschiedene Qualitätsgrößen – deren Signifikanz im Vorfeld immer wieder neu abgeprüft wird – jeweils vier verschiedene Szenarien dargestellt. Das derzeitige Qualitätsniveau könnte erhalten bleiben (Spalte: Ausmaß Investitionen aktuell), es könnte in zwei unterschiedlichen Varianten innerhalb der kommenden fünf Jahre erhöht werden (Spalten: Ausmaß Investitionen +1 und +2) oder aber es könnte ein Rückgang im bestehenden Qualitätsniveau hingenommen werden (Spalte: Ausmaß Investitionen -1), sofern ganz auf Investitionen verzichtet würde. Jeder der in Einzelgesprächen zu befragenden repräsentativen Kunden bekommt jeweils vier verschiedene, zufällig ausgewählte Szenarien zur Bewertung vorgelegt. Jedes dieser Szenarien enthält drei Optionen, in denen ihrerseits jeweils bis zu vier verschiedene Niveaus unterschiedlicher Qualitätsziele kombiniert sind. Auf Basis über die Jahre durchgeführter kontingenter Bewertungen49 und der eigenen Kosten48 Abgesehen von diesen Erhebungen, die Unternehmen durchführen, gibt auch OFWAT seit längerer Zeit Studien zur Berechnung von Zahlungsbereitschaften in Auftrag. Gleiches taten in der Vergangenheit die anderen Marktakteure. Angesichts des Problems, dass Studien nicht immer zu gleichem Ergebnis kamen, entschloss sich nach rund 15 Jahren Regulierung die gesamte Branche, eine gemeinsame Studie erstellen zu lassen [MVA (2003)]. Auftraggeber waren neben OFWAT die Trinkwasserbehörde DWI, die Umweltbehörde EA, das zuständige Ministerium DEFRA, der Welsh Assembly Government, die Verbraucherorganisation WaterVoice (heute: Consumer Council for Water), der Unternehmensverband Water UK sowie die Umweltschutzorganisationen English Nature und Wildlife and Countryside Link.
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
357
Tabelle 6 Qualitätserbringung in Abhängigkeit unterschiedlicher Investitionstätigkeiten Ausmaß Investitionen Qualitätsgröße
Maßzahl
-1
aktuell
+1
+2
Versorgungssicherheit
Wasserdargebot in v. H. der Nachfrage bei bisher schlimmster Trockenheitsphase
20
30
40
50
Trinkwasserqualität
Anzahl der nicht die Vorgaben erfüllenden Wasserproben (von 250.000 Proben)
750
275
125
25
Kanalrückstau
Anzahl von Rückstau bedrohte Einheiten
1.200
540
450
400
Verschmutzungszwischenfälle
Anzahl der Zwischenfälle
640
320
160
80
unzureichender Wasserdruck
Anzahl betroffener Einheiten
1.000
200
150
100
Versorgungsunterbrechung
Anzahl betroffener Einheiten (7-12 Stunden)
8.000
4.000
2.000
1.000
Wasserverluste
Wasserverlust in v. H.
30
24
21
15
Blei
Jahr, in dem Vorgabe von 10 µg erreicht
n/a
2013
2010
2007
Trinkwassertrübung Anzahl der sich beschwerenden Einheiten
20.000 15.000 10.000 5.000
Gebietsüberflutung
v. H. geschütztes überflutungsgef. Gebiet
20
35
50
100
Flussqualität
v. H. der Flusslänge, in der „Wasserleben“ möglich
60
75
85
90
2.000
600
300
150
Geruch und Fliegen Anzahl betroffener Einheiten Freizeitwert
Anzahl Binnen-Erholungsgebiete
n/a
0
4
12
Badestrände
v. H. Verbesserung der Standards über aktuelle Standards hinaus
n/a
100
150
200
Quelle: Acutt (2003), S. 40, Übersetzung M. O.
49 Das kontingente Bewertungsverfahren zählt ebenso wie z. B. ein multinominales LogitModell zu den direkten Methoden einer Präferenzermitlung. Daneben gäbe es indirekte Verfahren. Das eingängigste Verfahren wäre hier die Auswertung von Kundenbeschwerden. Eine gute Darstellung der verschiedenen Verfahren findet sich in Endres / Holm-Müller (1998). Auf wasserwirtschaftliche Fragestellungen wurde es etwa angewandt von Ribaudo / Hellerstein (1992).
358
Mark Oelmann
und Leistungsrechnung werden dem Kunden für jede Option die unmittelbaren Auswirkungen auf die eigene Wasserrechnung verdeutlicht. Die Auswertungen der vier jeweils letztendlich gewählten Optionen lassen Rückschlüsse auf Kundennutzen und Zahlungsbereitschaft zu. Ein solches Vorgehen steht im Widerspruch zur Vorgehensweise in Deutschland. Immerhin wird die Tatsache, dass England sehr viel höhere Wasserverluste aufweist als Deutschland, gerne als Beleg dafür genutzt, dass das englische System nicht funktioniere. Dies ist eine extrem oberflächliche und wenig differenzierte Betrachtung. Es sollte klar geworden sein, dass es in England nicht um die Minimierung, sondern die Optimierung von Wasserverlustraten geht. Wenn in England das Ziel ausgegeben würde, Wasserverlustraten auf dem Niveau Deutschlands zu erzielen, würden sie mit der englischen Regulierungsmethodik ebenfalls erreicht werden können. Man mag sich in Deutschland über eine derartig andere Zielgewichtung (Optimierungs- vs. Minimierungsgebot) wundern. Für England aber ist festzustellen, dass sofern Maßnahmen nicht von den Kunden gefordert sind und gleichzeitig keine signifikanten externen Effekte vorliegen, OFWAT für die Verringerung der Wasserverlustrate keine Investitionsmittel zugesteht. Im Einklang mit der ökonomischen Theorie geht es für unseren Beispielfall um die Bestimmung des „economic level of leakage“. Nach den Dürreperioden 2007 im Südosten Englands wird der „economic level of leakage“ neu beurteilt.50 Nur am Rande sei bemerkt, dass nicht nur die Rechtfertigung von Qualitätserweiterungsmaßnahmen nachgewiesen werden muss. Auch die Mittel für Ersatzinvestitionen werden nicht in jedem Fall von OFWAT aufgestockt. Die Logik lässt sich am Beispiel von Substanzerhaltungsmaßnahmen bei Wasserversorgungsnetzen demonstrieren (Tabelle 7). Hiernach würden nur dann zusätzliche Mittel bereitgestellt, wenn entweder die Qualität des Versorgungsnetzes im Verhältnis zu der anderer Unternehmen unterdurchschnittlich ist (horizontale Achse), oder aber sich die sog. Nachhaltigkeitsgröße oder „Serviceability Indicator“ (SI) (vertikale Achse) verschlechtert hat. Eine Nachhaltigkeitsgröße ist immer ein Output- / Outcome-Wert. In diesem Fall mag z. B. die Entwicklung der Wasserverlustrate als ein solcher fungieren. Würde man zunehmende Wasserverluste messen, ließe sich hieraus schließen, dass in der Vergangenheit zu wenig in den Netzerhalt investiert wurde. Die Mittel hierfür müssten folglich aufgestockt werden. Die Beantwortung der zweiten Frage nach den Anreizen, eine ermittelte Qualitätsnachfrage möglichst effizient zu bedienen, kann knapp gehalten werden. Der englische wasserwirtschaftliche Gebietsmonopolist wird deshalb zu einer effizien-
50 Siehe hierzu die Diskussion in OFWAT (2006b) und OFWAT (2007), S. 10, bzw. v. a. Pitt (2008).
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
359
Tabelle 7 Matrix zur Bestimmung der Höhe zusätzlicher Kapitalzuweisungen bei Infrastrukturerhaltungsmaßnahmen Relative Qualität der Versorgungsnetze Entwicklung Nachhaltigkeitsgröße (SI)
#
•
×
verbessert
0%
0%
5%
konstant
0%
0%
10 %
marginal verschlechtert
10 %
15%
25 %
signifikant verschlechtert
20 %
30%
50 %
mit: # besser als Durchschnitt • Durchschnitt × schlechter als Durchschnitt Quelle: eigene Erstellung. Gespräch mit Gordon Allen, ehemaliger Leiter Capital Maintenance Team, OFWAT, am 9. 7. 2003.51
ten Erbringung angespornt, weil jegliche Maßnahmen der Qualitätsverbesserung, die OFWAT bewilligt, den bekannten „Stick“- und „Carrot“-Anreizen ausgesetzt sind. Das Kriterium der qualitativen Effizienz ist hier folglich erfüllt. Unter ökonomischem Blickwinkel wurde die Grenznachfrage über die Ermittlung der Zahlungsbereitschaften korrekt erhoben; gleichzeitig wird ein Anbieten zu Grenzkosten (+ Outperformance „Carrot“) eingefordert. Eigentlich wäre die Analyse der Kernpunkte des englischen Verfahrens nun abgeschlossen. Eine „Altlast“ besteht gleichwohl noch. Wir haben den sog. Overall Performance Indicator (OPA) bei der Bestimmung der Preisobergrenzen eingeführt, uns dessen Besprechung aber bis zu diesem Abschnitt zu Qualität aufbewahrt. Der OPA zeigt die Bedeutung der Nachhaltigkeit im englischen Verfahren. Nicht nur betriebswirtschaftliche Kostengrößen werden betrachtet, sondern sämtliche Elemente von Qualität fließen in einem einzigen Indikator zusammen, dem OPA. Wie bereits beim Kriterium der statischen Effizienz angesprochen ist der OPA eigentlich ein Teil des K.52 Nach Tabelle 8 erhält der Wasserversorger South Staffordshire eine Anpassung seines K von 0,4 %-Punkten. Er kann also seinen Preis unter sonst gleichen Umständen um jene Differenz anheben, was sich unmittelbar in einem höheren Gewinn ausdrückt. South Staffordshire wird so für seine Bemühungen belohnt, einen im Verhältnis zu allen anderen Unternehmen sehr viel besseren OPA51 Werte zufällig ermittelt; Vorgehen bestätigt im Rahmen eines Treffens des OFWAT Advisory Panels on Future Regulation am 8. 6. 2011. 52 Zur Erinnerung: K = die für jedes einzelne Unternehmen jeweils individuell zu berechnende Effizienzverbesserungsauflage. Dabei gilt das Prinzip, dass je schlechter ein Unternehmen im Ausgangszustand ist, umso eher wird von ihm erwartet, sich hinsichtlich der Effizienz zu verbessern.
360
Mark Oelmann
Wert erzielt zu haben. Es hat – wie Tabelle 8 zeigt – über 98% der maximal zu erreichenden Punktzahl erreicht. Wie nun setzt sich dieser Wert zusammen? Tabelle 8 Relatives OPA-Ergebnis und Auswirkung auf individuelle Preisobergrenzen Performance band (percentage Adjustment of maximum achievable overall to K factors in 2005 – 06 performance score)
Company
> 98 % and significantly higher than average
0.4
South Staffordshire, Tendring Hundred
> 98 % and within average
0.3
Folkestone & Dover, Portsmouth
> 96 %
0.2
Bristol, Cambridge, South East
0.1
Anglian, Dŵr Cymru, Severn Trent, Wessex, Yorkshire, Bournemouth & W Hampshire, Dee Valley, Mid Kent, Sutton & East Surrey, Three Valleys
> 90 %
< 90 % and within average < 90 % and significantly lower than average
0 – 0.1
Northumbrian, Southern, Thames South West, United Utilities
Quelle: nach OFWAT (2004c), S. 162.
Tabelle 9 gibt hierzu Auskunft. Es zeigt sich, dass tatsächlich sämtliche Qualitätskriterien Eingang finden. Wasserqualität, Gewässerschutz sind hier ebenso aufgenommen wie bereits bekannte Größen (z. B. Rückstaus in der Abwasserentsorgung) und bislang nicht in Erscheinung getretene Qualitätsindikatoren wie der Kundenservice. Unter theoretischem Gesichtspunkt sind gerade letztere interessant. Aus der Theorie der Qualitätsregulierung53 ist bekannt, dass ein unregulierter privater Monopolist dazu tendiert, eine eher schlechte Qualität anzubieten. Der unregulierte öffentliche Monopolist hingegen neigt dazu, solche Qualitätskriterien, die mit hohen Investitionen verbunden sind, eher überdimensioniert anzubieten. Bei solchen Qualitätsgrößen aber, die der japanische Volkswirt Kidokoro54 „effort-related service quality“ nennt, ist ein eher schlechtes Abschneiden zu erwarten. Hierunter würde z. B. der Kundenservice fallen. Im Ergebnis ist es damit Aufgabe der grundsätzlich notwendigen Regulierung, sowohl die Investitionsplanungen der Unternehmen kritisch zu hinterfragen als auch sicherzustellen, dass der Kundenservice
53 Sowohl formal als auch auf wasserwirtschaftliche Fragen angewandt, siehe Oelmann (2005), Kap. 4. 54 Vgl. Kidokoro (2002).
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
361
Tabelle 9 Aufbau des OPA bei integrierter Wasserver- und Abwasserentsorgung Overall Performance Assessment (WaSC) Weight
Max unweighted
Water, Supply, Levels of Service
3
200
DG2 – risk of low pressure score
0.75
50
37.5
DG3 – unplanned interruption score
0.75
50
37.5
Hosepipe bans
0.5
50
25
Water quality
1
50
50
Sewerage Service, Levels of Service (WaSCs only)
1.5
150
75
Sewer flooding incidents (capacity) score
0.5
50
25
Sewer flooding incidents (other causes) score
0.75
50
37.5
Company assessed risk of flooding more than once in 10 years (score)
0.25
50
12.5
Customer Service
1.5
100
Company contact score
0.75
50
37.5
Other customer service
0.75
50
37.5
Environmental Performance (WaSCs only)
2.75
300
137.5
Categories 1, 2 pollution incidents per million equivalent resident population (score)
0.5
50
12.5
Category 3 pollution incidents per million equivalent resident population (score)
0.25
50
12.5
Categories 1 & 2 pollution incidents – WATER
0.25
50
12.5
% equivalent population served by STWs in breach of their consent (score)
1
50
50
Sludge
0.25
50
12.5
Leakage
0.5
50
25
Totals
8.75
750
437.5
Output
Max weighted 150
75
Quelle: Eigene Erstellung und weiterführende Berechnungen in Anlehnung an OFWAT (2003c), S. 42.
362
Mark Oelmann
adäquat erbracht wird. Dieser Punkt wird häufig übersehen, wie Oelmann an anderer Stelle zeigt.55 Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen erscheint es wichtig, knapp darzustellen, wie Kundenservice anreizorientiert berücksichtigt werden kann. Customer Service unterteilt sich in „Company Contact Score“ und „Other Customer Service“56 (Tabelle 9). Insgesamt sind jeweils 37,5 Punkte zu erreichen (s. Spalte „Max weighted“). „Other Customer Service“ untergliedert sich seinerseits in sieben gleichgewichtete Elemente. Neben u. a. der Qualität von Informationsbroschüren oder den besonderen Diensten für alte und behinderte Bürger findet sich hier auch die Kompensationspolitik eines Unternehmens. Die maximale Punktzahl von umgerechnet 5,4 Punkten57 wird dem Unternehmen gut geschrieben, sofern es einen „guten Service“ anbietet. Dieser definiert sich wie folgt: „[Good service] goes significantly beyond the provision of Guaranteed Standards Scheme in terms of: a) value of payments; and b) extended range of compensation payments.”58
Aus Sicht eines deutschen, niederländischen oder französischen Kunden wäre man bereits für die Selbstverpflichtungen der Unternehmen dankbar, die im Guaranteed Standards Scheme vorausgesetzt werden. So hat ein Wasserversorger bspw. seinen Kunden spätestens 48 Stunden vor einer geplanten Lieferunterbrechung zu benachrichtigen. Versäumt er dies, hat er unaufgefordert 20 britische Pfund Kompensation zu zahlen. Muss der Kunde sein Wasserunternehmen an die Zahlung erinnern, werden weitere 10 GBP fällig. Gleiches gilt, wenn er die angekündigte Zeit für die Reparatur überschreitet, z. B. weil die Monteure nicht pünktlich erscheinen. Die maximale Punktzahl für den OPA in der Klasse Kompensationspolitik ließe sich folglich nur erreichen, wenn ein Unternehmen signifikant mehr leistet. Portsmouth Water Ltd. z. B. zahlt grundsätzlich 30 GBP für jeglichen Verstoß, der sich im Guaranteed Standards Scheme findet.59
Vgl. Oelmann (2004). Teilweise ist anstatt des Begriffs des „Other Customer Service“ auch der Begriff des „Assessed Customer Service“ zu lesen. Beide werden synonym gebraucht. 57 37,5 Punkte / 7 gleichgewichtete Elemente = 5,4. Dies heißt gleichzeitig, dass 5,4 der insgesamt 437,5 Punkte durch eine gute Leistung im Bereich der Kompensationspolitik erreicht werden können. Rufen wir uns die Ergebnisse aus Tabelle 8 in Erinnerung, so ist anzunehmen, dass nahezu alle Unternehmen eine gute Kompensationspolitik für ihre Kunden anbieten. 58 OFWAT (2004a), S. 47. 59 Zu sämtlichen Inhalten des Guaranteed Standards Scheme siehe OFWAT (2004b). 55 56
Zur Beurteilung wasserwirtschaftlicher Ordnungsrahmen
363
6. Erfolg der englischen Wassermarktregulierung Der Erfolg des englischen Verfahrens lässt sich empirisch prüfen. Zunächst wird im Rahmen dieses Abschnitts die Entwicklung bis zum Jahre 2005 dargestellt. Dies geschieht erstens deshalb, weil aus den benannten Gründen auch bei der inhaltlichen Auseinandersetzung in diesem Kapitel schwerpunktmäßig auf diese Phase von Regulierung eingegangen wurde. Zweitens sind die Zahlen vergleichbarer, da bis 2004 etwa die Wasserabgabe vergleichsweise konstant blieb. Drittens sind in den neueren Veröffentlichungen zumeist nicht mehr die Vergleichsdaten aus der Zeit vor Einführung von Regulierung ausgewiesen. Tabelle 10 Entwicklung Wasserversorgungspreise und Trinkwasserabgabe im Zeitverlauf, 2003 / 04 Preise 1992 – 93 1993 – 94 1994 – 95 1995 – 96 1996 – 97 1997 – 98 (p / m³) Cost to Customers Water delivered Ml / d
(p / m³)
(p / m³)
(p / m³)
(p / m³)
(p / m³)
75
78
73
70
73
76
12.622
12.495
12.707
13.286
13.002
12.661
1998 – 99 1999 – 00 2000 – 01 2001 – 02 2002 – 03 2003 – 04 (p / m³) Cost to Customers Water delivered Ml / d
(p / m³)
(p / m³)
(p / m³)
(p / m³)
(p / m³)
79
79
72
72
71
70
12.364
12.541
12.541
12.699
12.698
12.936
Quelle: Eigene Erstellung nach OFWAT (2005), S. 16.
Das Berichtsjahr 1992 / 93 ist das erste Jahr, ab dem die Preisentwicklungen den Regulierungsbemühungen OFWATs sinnvoll zugeordnet werden können. Bis 2003 / 04 beobachten wir real sinkende Trinkwasserpreise bei relativ konstant verlaufender Wassernachfrage (Tabelle 10). Dies ist bemerkenswert, zeigt doch Abbildung 3, dass sich die Investitionstätigkeiten nach der Privatisierung 1989 dauerhaft nahezu verdoppelten. Die Ausgaben für den Infrastrukturerhalt und für notwendige Erweiterungsmaßnahmen lagen in den 1980er Jahren kumuliert lediglich bei jährlich rund 1,8 Mrd. GBP; im Durchschnitt der folgenden Jahre wurden und werden Ausgaben von knapp 3,5 Mrd. GBP getätigt. Diese Investitionen sind die Ursache für die nun sehr viel höhere Qualität. Die Trinkwasserqualität etwa stieg von 99,28 % Vorgabeneinhaltung in 1994 auf 99,94 % in 2004.60 60
DWI (2004), S. 25.
364
Mark Oelmann
Quelle: OFWAT (2004c), S. 122.
Abbildung 3: Entwicklung der Investitionen im Zeitverlauf
Hervorzuheben ist auch die Entwicklung des OPA. Tabelle 8 ließ bereits erahnen, dass die Unternehmen die Integration des OPA in K als ausreichend attraktiv empfinden, einen guten OPA-Wert zu erzielen.61 Fast alle Wasserversorger erreichten Werte von über 90% der maximal erreichbaren Punktzahl. Noch deutlicher zeigt sich die Wirkung der monetären Anreize bei der Analyse der Entwicklung der OPA-Ergebnisse über die Zeit. Abbildung 4 stellt dar, wie sehr sich die Unternehmen in qualitativer Hinsicht seit der Periode 1996 – 1999 verbessert haben. Man mag langsam die Frage stellen, ob immer noch Anreize zur weiteren Qualitätsverbesserung gesetzt werden sollten. Möglicherweise ist es ein Zugeständnis an die englischen Konsumentenvertretungen, im Bereich der Kompensationszahlungen die Leistungen im Guaranteed Standard Scheme noch weiter auszuweiten. Tatsächlich sind einzelne Leistungen in der Folgezeit gesunken.62 In der Summe lässt sich folglich ableiten, dass in den ersten 15 Jahren der Wassermarktregulierung signifikante Effizienzverbesserungen generiert wurden. Reale Preise sind bei gleichzeitigem starken Anstieg der Investitionen – und daraus folgender Qualitätsverbesserung – real gesunken. Bisweilen werden die sog. „green 61 Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass ein logischer Bruch im System zu konstatieren ist. Wenn es stimmt, dass gegebenenfalls ein Unternehmen z. B. für die Sicherung von Rückstaus keine weiteren Mittel von OFWAT zur Verfügung gestellt bekommt, so hat es auch nur begrenzte Möglichkeiten sich im OPA-Ranking relativ zu verbessern. 62 OFWAT (2006a), S. 10.
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Quelle: OFWAT (2004c), S. 160.
Abbildung 4: Entwicklung des OPA im Zeitverlauf
dowry“ (1,5 Mrd. GBP) oder die gewährten Abschreibungen von Altschulden (5 Mrd. GBP) im Zuge der Privatisierung als Subvention gewertet. 63 Zabel stellt dem gleichwohl die 5,23 Mrd. GBP gegenüber, die im Gegenzug von den Investoren an den Staatshaushalt überwiesen wurden.64 Ferner holte sich der Staat einen Teil der – seiner Ansicht nach ungerechtfertigt hohen – Gewinne durch die sog. „Windfall Tax“ 1997 zurück (1,67 Mrd. GBP). Im Ergebnis ist folglich keine Subventionierung wasserwirtschaftlicher Investitionen zu sehen.
IV. Effizienzdimensionen und der Weg gen Durchleitungswettbewerb Die folgende Abbildung 5 zeigt, dass die Haushaltsbelastungen nach 2005 wieder anstiegen. Zwar war dies vor allem eine Folge zunehmender Investitionen, etwa in Folge der Umsetzung weiterer EU-Auflagen. Dennoch verlor OFWAT zunehmend Rückhalt. Zum einen lag dies möglicherweise daran, dass es Unternehmen nicht mehr so leicht wie zuvor fiel, Effizienzpotentiale zu heben. Zum anderen zog aber auch OFWAT den Zorn der Unternehmen auf sich. Immer mehr Informationen fragte die Regulierungsbehörde ab.65 Diese beginnende Unzufriedenheit, der möglicherweise Vgl. hierzu Metropolitan Consulting Group (2006), S. 94. Vgl. Zabel (2001), S. 234 f. 65 Keith Mason, Director of Finance and Networks bei OFWAT, berichtet, dass sich die Daten, die heute gegenüber dem Beginn der Regulierung abgefragt werden verzwanzigfacht hät63 64
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Mark Oelmann
durch eine größere Bescheidenheit OFWATs im Vorfeld hätte begegnet werden können, brach sich nun zunehmend Bahn. Wiederum lassen sich die Kritikpunkte den dargestellten Effizienzdimensionen zuordnen.
Quelle: OFWAT (2014).
Abbildung 5: Entwicklung der durchschnittlichen Haushaltsbelastungen 1989 – 90 bis 2014 – 15
1. Durchleitungswettbewerb und Effizienz im Allgemeinen Wie eingangs berichtet gehen wir in der Wasserwirtschaft wie selbstverständlich davon aus, dass ein Durchleitungswettbewerb analog Strom, Gas oder Telekommunikation nicht möglich ist. Auch OFWAT vertrat diese Ansicht. Die Regulierungsbehörde meinte, dass sie mit dem Vorgehen eines verhandelten Netzzugangs ihre Pflicht und Schuldigkeit im Bereich der gemeinsamen Netznutzung getan hatte. Im bereits angesprochenen Verfahren „Albion Water vs. OFWAT“ unterlag die Regulierungsbehörde.66 Dieses Urteil nahm das House of Lords – Select Committee on Regulators67 zum Anlass, insgesamt in Frage zu stellen, dass man Wettbewerb simulieren müsse, weil man keinen Wettbewerb einführen könne. Sie schreiben: „Whether or not the physical characteristics argument [Besonderheiten der Wasserversorgung ten (Meeting des „OFWAT-Advisory Panels on Future Regulation“, London, 8. Juni 2011). Zunehmend akzeptiert OFWAT nun, den „regulatory burden“ für Unternehmen übertrieben zu haben und ändert zukünftig sein Verfahren – vgl. Nickel et al. (2013), S. 68. 66 Vgl. Competition Appeal Tribunal (2007). 67 Vgl. House of Lords – Select Committee on Regulators (2007).
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gegenüber Netzsektoren bspw. aufgrund etwaiger Qualitätsprobleme, MO] is a valid one will never be put to the test until the barriers to competition presented by the threshold and the access pricing rule have been removed.“ OFWAT reagierte: Die Grenze (= threshold), ab der ein Kunde seinen Wasserversorger wechseln kann, ist im Februar 2011 von 50.000 m³ auf 5.000 m³ Jahresnachfrage verringert worden. Die sog. „retail-minus“-Regel wird gen einer “cost-plus”-Regel geändert.
2. Durchleitungswettbewerb und dynamische Effizienz In diese Kerbe schlug auch Martin Cave in dem nach ihm benannten „Cave-Report“.68 Auch wenn der bisherige Erfolg der englischen Wassermarktregulierung unbestreitbar sei, so hält er nun ein Umdenken für nötig. Das bisherige Modell eigne sich wenig, wirkliche Innovationen hervorzubringen. Diese aber brauche das Land angesichts der Herausforderungen durch Klimawandel und Bevölkerungswachstum insbesondere in den durch Wasserknappheit gekennzeichneten Regionen Englands. Diese Kritik nimmt Gray auf.69 Aus seiner Sicht habe die derzeitige Wassermarktregulierung bei den Unternehmen ein zu kurzfristig ausgerichtetes Denken befördert. Wirkliche Innovationen, die Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft liefern, sind nur durch die Einführung von tatsächlichem und nicht nur durch einen Vergleich von Unternehmen simuliertem Wettbewerb zu erwarten. Vor- und nachgelagerte Wertschöpfungsstufen sollen daher analog Strom, Gas und Telekommunikation dem Wettbewerb zugänglich gemacht werden. Wasserproduktion sowie der Vertrieb von Wasser – zunächst für Gewerbe- und Industriekunden – werden schrittweise liberalisiert.70 Es wird interessant sein zu sehen, wie erfolgreich ein solches System sein wird. Überraschend war, dass die ins Advisory Panel von OFWAT entsandten Vertreter von Environment Agency (EA) und Drinking Water Inspectorate Probleme für den Gewässer- und Gesundheitsschutz für beherrschbar hielten. Die Zusammenarbeit von EA und OFWAT im Bereich der Neuregelung des Wasserentnahmeregimes71 gestaltet sich aktuell sehr fruchtbar und bringt Regelungen hervor, die für das deutsche wasserwirtschaftliche Gemüt – inklusive das des Autors – gewagt erscheinen.
3. Durchleitungswettbewerb und technische Effizienz Gelingt es, in der Wertschöpfungsstufe Produktion durch ein System der Knappheitspreise bei der Allokation von Rohwasser sowie in der Wertschöpfungsstufe 68 69 70 71
Vgl. Cave (2009). Vgl. Gray (2011). Vgl. OFWAT (2013). Vgl. Environment Agency / OFWAT (2011).
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Vertrieb tatsächlichen Wettbewerb einzuführen, so mag sich hier jeweils die optimale Betriebsgröße sowie der optimale Integrationsgrad von selbst herausbilden. Für die Wertschöpfungsstufe Netz bleibt alles wesentlich beim Alten. Die Bestimmung eines effizienten Netzbetriebs wird analog der deutschen Vorgehensweise in der Strom- oder Gasnetzregulierung oder auch der bisherigen englischen Wassermarktregulierung voraussetzen, dass relative Effizienzen zu bilden sind. Hier bleibt es dabei, dass eine ausreichende Anzahl von Vergleichsunternehmen vorhanden sein müssen. Zusammenschlüssen von Netzbetreibern wird OFWAT, deren Aufgaben sich durch einen Regimewechsel nicht substantiell vermindern, folglich auch bei einem Durchleitungswettbewerb kritisch gegenüberstehen.
4. Durchleitungswettbewerb und qualitative Effizienz Dass OFWAT vorgeworfen wurde, lediglich kurzfristiges Handeln zu befördern, traf die Regulierungsbehörde hart. Als Reaktion findet aktuell ein Umdenken statt. OFWAT will sich noch weniger als in der Vergangenheit in die Frage einmischen, ob einzelne Ziele überhaupt sinnvoll sind. Während OFWAT früher Maßnahmen, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgegangen wären, stets eine Absage erteilt hätte, zieht sich der Regulierer aus dieser Frage zunehmend zurück. Interessante Diskussionen betreffen aktuell die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass etwa freiwillige, über das gesetzliche Maß hinausgehenden Maßnahmen im Sinne der Bürger sein könnten. Einmütigkeit besteht darin, dass die Rolle OFWATs durch Konsumentenorganisationen übernommen werden soll.72 Diese sollen fortan in den Gremien integriert sein, die zusammen mit der Environment Agency und den Unternehmen entscheiden, welche Gewässer- und Gesundheitsziele mit welchen Maßnahmen in der eigenen Flussgebietseinheit verfolgt werden sollen. Interessant ist die sich anschließende Frage, wie man denn eine repräsentative, alle Interessen abbildende Konsumentenvertretung bilden könnte.73 Summa summarum bleibt abzuwarten, wie erfolgreich ein solches Modell des Durchleitungswettbewerb werden wird. Hervorzuheben ist, dass die englische Diskussion um den geeignetsten Wasserordnungsrahmen sich ganz wesentlich aus dem Ringen um die effizienteste Form der Organisation speist. Effizienz meint dabei nicht nur die statische Effizienz („Output bei minimalen Kosten“), sondern beinhaltet als Beurteilungskriterien stets auch die weiteren Effizienzdimensionen dynamische, technische sowie qualitative Effizienz.
72 73
Vgl. OFWAT (2011). Siehe hierzu Nickel et al. (2013), S. 67.
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V. Zusammenfassung und erste Implikationen für die deutsche Wasserwirtschaft Auch wenn aktuell in England ein Durchleitungswettbewerb analog zur Stromnetz-, Gasnetz- und Telekommunikationsnetzregulierung vorangetrieben wird, so muss sich dessen Vorzugswürdigkeit gegenüber anderen Marktordnungsverfahren doch noch beweisen. Nicht umsonst unterscheidet sich die Organisation der englischen Wasserwirtschaft von der in verschiedenen Ländern stark. Was macht man nun mit dieser Erkenntnis? Gemeinhin wird schnell festgestellt, dass die Rahmenbedingungen in den verschiedenen Ländern andere sind. Gerne werden Modelle auch dadurch diskreditiert, dass eigene Ziele als universell betrachtet werden. Ein Land, welches entsprechend gar nicht das Ziel hat, Qualität zu maximieren wird folglich als verfehlt abgetan. Dieser Artikel versucht, einen anderen Weg zu gehen. Ihm liegt die These zu Grunde, dass Eingriffe in natürliche Monopolmärkte sich immer daran messen lassen müssen, inwiefern es ihnen gelingt, die Effizienzdimensionen, die sich bei funktionierendem Wettbewerb stets automatisch einstellen, ebenfalls zu erreichen. Damit ist die Analyse, inwiefern Marktteilnehmer dazu angehalten werden, statisch, dynamisch, technisch und qualitativ effizient zu arbeiten, der entscheidende Untersuchungsgegenstand. Am Beispiel der englischen Wassermarktregulierung wurde diese Analysemethode hier durchgeführt. Gleiches wäre angeraten für die wasserwirtschaftlichen Ordnungsrahmen anderer Länder. Damit bewegen wir uns entsprechend auf einer anderen Ebene: Es geht nicht darum, Ordnungsrahmen anderer Länder etwa auf Deutschland „überzustülpen“. Es wird lediglich vorgeschlagen zu fragen, inwiefern Deutschland danach strebt, effizientes Wirtschaften in seinen verschiedenen Dimensionen anzuregen. Dass dann der internationale Vergleich von wasserwirtschaftlichen Ordnungsrahmen helfen kann, einzelne Elemente anderer Länder auch etwa für Deutschland zu überdenken, wäre der nächste Schritt. Vor diesem Hintergrund sollen nun die Kerngedanken, wie die englische Wassermarktregulierung ganzheitlich effizientes Wirtschaften anzuregen versuchte, noch einmal zusammenfassend dargestellt werden. Sehr knappe Bezüge zur deutschen wasserwirtschaftlichen Ordnung erfolgen. Inwiefern sich später der nun in England vorangetriebene Durchleitungswettbewerb zu einer interessanten Option für die Organisation von Wasser- und Abwassermärkten entwickeln könnte, wird die Zeit zeigen. Aktuell erscheint jede Form der Beurteilung noch sehr hypothetisch. – Englische Wassermarktregulierung und statische Effizienz
Um den Unternehmen Anreize zu bieten, ihre Effizienz zu verbessern, wird im englischen System vor allem auf monetäre Anreize gesetzt. Es wird sowohl mit dem Sanktionsmechanismus „Stick“ als auch dem Belohnungsmechanismus „Carrot“ gearbeitet. Im Wesentlichen wird der insgesamt denkbare Effizienzverbesse-
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rungsspielraum auf beide Größen aufgeteilt, wobei nur der „Stick“-Anteil unmittelbaren Eingang in pi findet. Unter ökonomischer Perspektive ist hervorzuheben, dass ein Unternehmen so kontinuierliche Anreize besitzt, sich zu verbessern. Daneben ist von herausragender Bedeutung, dass sofern eine Mindestzahl von Vergleichsunternehmen existiert, kein Unternehmen Anreize hat, sich strategisch zu verhalten. Zu unwesentlich sind die eigenen Kosten für die eigenen Auflagen. Nun ist ein solches komplexes System für die deutsche Wasserwirtschaft bei rund 6.000 Wasserver- und rund 7.000 Abwasserentsorgern aktuell in dieser Form kaum nutzbar. Man kann gleichwohl auch sehr viel unmittelbarer an Bisherigem ansetzen. Im Zusammenhang mit der Diskussion um das deutsche Benchmarking ließe sich aus den englischen Erfahrungen ableiten, dass eine erhöhte Transparenz von Unternehmensergebnissen effizienzfördernd sein sollte. Möglicherweise müsste nicht jedes Unternehmen an einem Benchmarking teilnehmen; jedes müsste aber Informationen bereitstellen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind.74 Will man die Ergebnisse von Vergleichsanalysen nicht für das Setzen von Preisobergrenzen nutzen, zeigen internationale Erfahrungen, dass man Kapitalzuwendungen an die relative Leistung eines Unternehmens knüpfen oder aber eine besonders gute Performance durch Auszeichnungen honorieren könnte.75 Gleichfalls muss man nicht nur Richtung Benchmarking denken, will man die Anreize zur statischen Effizienz erhöhen. Ein Ausschreibungswettbewerb ist eine andere Option. Um eine ausreichende Beteiligung zu erlangen, wäre zu überlegen, wie private und kommunale, öffentliche Unternehmen in einen fairen Wettbewerb miteinander treten könnten. Der aktuelle Trend zur Rekommunalisierung auch als Folge drohender Kartellverfahren ist kritisch zu sehen. Die Beibehaltung der unterschiedlichen Aufsichtsregime durch einerseits Kommunalaufsichtsbehörden der Länder und andererseits Kartellämter in der jüngsten GWB-Novellierung ist unter rein ökonomischem Blickwinkel ein Fehler.76 – Englische Wassermarktregulierung und dynamische Effizienz
Qualitäts- und Umweltstandards sind in der Vergangenheit kontinuierlich erhöht worden und werden auch weiterhin verschärft. Ohne an dieser Stelle über die Sinnhaftigkeit zu urteilen, ist ihre Umsetzung mit unmittelbaren Kosten für die Wasserwirtschaft verbunden. Ein Bewusstsein, diese Kosten durch das Setzen von monetären Anreizen zu beeinflussen und dynamisch effizientes Wirtschaften einzufordern, besteht im englischen Modell. 74 Siehe die Argumentation in Oelmann (2007) oder auch Oelmann (2005), S. 233 ff. Das rheinland-pfälzische Benchmarking scheint aktuell stärker in Richtung individuelle Transparenz zu gehen. Vgl. hierzu Graf et al. (2013). 75 Dies geschieht in Ländern wie Kenia, Tansania und vor allem Sambia. Ihre jeweiligen wasserwirtschaftlichen Ordnungsrahmen gründen sämtlich auf der englischen Herangehensweise. 76 Für eine intensivere Auseinandersetzung mit Zielen und Aufsichtsregimen von Preisen und Gebühren siehe etwa Gawel (2013).
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Im Bereich der Wasserversorgung liegen OFWAT Lösungsverfahren von 22 verschiedenen Unternehmen für ein und dieselbe Aufgabe vor. Dies ermöglicht es der Regulierungsbehörde, zur Beurteilung der Lösungskonzeption eines einzelnen Unternehmens die ausgearbeiteten Verfahren aller anderen Unternehmen zu nutzen. Bei der tatsächlichen Umsetzung der letztendlich bewilligten Kapitalerweiterungen wird die bereits bekannte „Stick“- und „Carrot“-Anreizlogik angewendet. Ein ähnliches Vorgehen in Deutschland wäre bei der gegebenen Marktstruktur ebenfalls nur schwer vorstellbar. Auch hier ließe sich aber erneut einen Schritt zurücktreten und feststellen, dass die Lösungskonzeptionen der englischen Unternehmen nur deshalb signifikant unterschiedlich sein können, weil die Unternehmen aufgrund des fehlenden Regelsetzungsmonopols eines Branchenverbandes überhaupt Wahlmöglichkeiten haben. Solche Wahlmöglichkeiten schafft man in Deutschland zwar durch vielfältige Öffnungsklauseln im DWA- und DVGW-Regelwerk. Inwieweit eine stärkere Konkurrenz von Regelsetzungsinstitutionen sinnvoll erschiene oder aber inwiefern das bisherige System sich zur Schaffung von mehr Wahlfreiheiten weiterentwickeln ließe, wäre ein wichtiger Untersuchungsgegenstand für die Zukunft.77 Hinsichtlich der dynamischen Effizienz in der deutschen Wasserwirtschaft sei daneben kritisch bemerkt, dass nicht selten Kommunalpolitik eine effiziente Investitionstätigkeit beeinflusst. Dies geschieht in beide Richtungen: Nicht selten drängt ein Bürgermeister darauf, notwendige Investitionen zu unterlassen, um etwa Preis- / Gebührensteigungen vor Wahlen zu verhindern. Genauso werden Investitionen mitunter getätigt, um die Differenz aus kalkulatorischen und bilanziellen Kosten nicht im Unternehmen zu belassen, sondern an die Gesellschafter auszuschütten. – Englische Wassermarktregulierung und technische Effizienz
Ein Unternehmen arbeitet technisch effizient, wenn es seine Größen- und Verbundvorteile optimal nutzen kann. Diese aber unterscheiden sich sowohl im Raum als auch in der Zeit. Durch technische Entwicklungen mag sich die jeweils optimale Betriebsgröße kontinuierlich (leicht) verändern. Keiner aber ist in der Lage, „von außen“ zu bestimmen, wie groß ein Unternehmen im Einzelfall sein sollte. Alles andere wäre eine „Anmaßung von Wissen“. Vor diesem Hintergrund ist es so zentral, Anreizsysteme zu kreieren, die das Herausbilden einer optimalen Struktur fördern. Mit der Zwangszusammenlegung von Unternehmen hat man sich in England sicherlich einer „Anmaßung von Wissen“ schuldig gemacht. Durch die zunehmende Integration von Elementen eines Wettbewerbs im Markt und des Ausschreibungswettbewerbs wird zwar in England nun ein solcher Rahmen geschaffen, der ein endogenes Herausbilden der jeweils optimalen Betriebsgröße fördern soll. In der Praxis ist dies allerdings bislang kaum der Fall. Mit dem Erfolg Albions vor dem Competition Tribunal bezüglich der Bestimmung der Durchleitungsentgelte könnte der „Wettbewerb im Markt“ an Attraktivität gewinnen. 77
Siehe zu dieser Diskussion etwa Böhm et al. (1999) oder Oelmann (2005), S. 156 ff.
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Wünschte man in Deutschland einen „großen Wurf“, sollte man vorurteilsfreier Grundelemente eines Einsatzes gemeinsamer Netznutzung prüfen. Unabhängig hiervon könnte der Ausschreibungswettbewerb geeignet sein, dass sich – dort wo sinnvoll – größere Cluster bilden. Dies setzt erneut voraus, dass private und öffentliche Unternehmen miteinander in einen fairen Wettbewerb um Konzessionen treten dürften. Ebenfalls sollte alles auf den Prüfstand geraten, was die Kommunen dazu anhält, die Wasserver- und Abwasserentsorgung in eigener Regie zu betreiben, obwohl eine Anbindung an eine benachbarte Einheit sinnvoller wäre. – Englische Wassermarktregulierung und qualitative Effizienz
Bei der Auseinandersetzung mit dem englischen Verfahren stießen wir zunächst auf den Overall Performance Assessment. Dieser OPA ist ein Instrument, der dem englischen Wasserkunden auf einen Blick demonstriert, wie die bereitgestellte Qualität eines Unternehmens sich über die Zeit und im Verhältnis zu den anderen Unternehmen entwickelt. Bei sämtlichen Qualitätsgrößen, die mit hohen Investitionen verbunden sind, ist dies eigentlich unnötig, da sie bei den Investitionsplanungen bereits hinreichend Beachtung fanden (vgl. dynamische Effizienz). Bei Qualitätsgrößen der sog. „effort-related service quality“ hingegen ist der OPA auch für England weiterhin von Bedeutung. So etwas wie ein „Guaranteed Standards Scheme“ ließe sich in Deutschland durchaus auch einführen. Eurawasser in Rostock ging vor einigen Jahren mit einer solchen Serviceerklärung voran.78 Unabhängig vom OPA tauchte daneben bei der Auseinandersetzung mit den Wasserverlusten der sog. „economic level of leakage“ auf. Gerade in einer Situation, in der Investitionen nicht mehr ohne Weiteres auf die Bürger umgelegt werden können, weist die englische Herangehensweise auf einen für die deutsche Wasserwirtschaft ganz sensiblen Punkt hin: Ist es tatsächlich das Ziel, eine maximale Qualität bereitzustellen? Ökonomisch betrachtet überzeugt die englische Methodik der Suche nach einer optimalen Qualität mehr. Natürlich ist die Entscheidung nach dem gültigen Qualitätsniveau letztendlich immer eine politische. Dennoch sei darauf hingewiesen, dass pro Einwohner in England nicht viel weniger investiert wird als in Deutschland. Wird sich daneben vergegenwärtigt, dass die Unternehmen vom Prinzip her nur investieren dürfen, wenn entweder die Ausgangsqualität sehr schlecht ist, die Qualität sich über die Zeit verschlechtert hat oder die Bürger dies explizit wollen, so können wir annehmen, dass das Geld, das in England investiert wird im Durchschnitt besser angelegt sein wird als dies in Deutschland der Fall ist. In Zeiten demografischen Wandels, Klimawandels und Bevölkerungswanderungen zeigen die englischen Erfahrungen, dass Investitionswünschen unterschiedliche Prioritäten zukommen. Kosten- / Nutzen-Analysen von angedachten Investitionen sollten wie in so vielen anderen Ländern und Sektoren wesentlich stärker genutzt werden.
78
Vgl. o. V. (2001).
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Examining Water Governance Beyond the Privatisation Debate By Mónica García Quesada
I. Introduction The participation of private companies in the provision of water services has been a topic of acute political debate in the last two decades. The 1990s witnessed the development of a stronger role of private companies in the supply of water and sanitation services around the world, which incited debates confronting critics and supporters of this phenomenon.1 Critics of private companies’ involvement have argued that privatisation allows water companies to increase profits at the expense of consumers’ welfare by imposing higher water tariffs or reducing water service quality. It is argued that, as companies operate in a monopolistic environment and facing scant competition, privatisation tends to benefit the water operators’ shareholders over the public interest.2 Even where delegation – and not asset divestiture – is concerned, a delegation period from 15 up to 30 years gives water operators significant time to exercise exclusive powers over those water assets, even when the water operator does not own the water assets.3 Critics have referred to the cases of Cochabamba, Buenos Aires, Manila, Indonesia, etc. to show that this has been commonly the case.4 Water privatisation is considered to ignore the preferences of the citizens and damages the interests of the most vulnerable sectors of society. Supporters of the increased role of the water companies have defended the role of further participation of public companies in the provision of services traditionally under the aegis of the state and stressed the failures of the public sector to provide water services.5 They have highlighted the costs savings that derive from scale economies of international water providers arguing that large-scale water companies are able to purchase products and materials at lower prices and to access to more advantageous financial products to fund the infrastructure plans that water services require.6 Water companies may also derive higher savings from differences in labour 1 2 3 4 5
Sciandra (2005); Prasad (2006); World Bank / PPIAF (2006). Bel / Warner (2008). Hall / Lobina (2006). See for instance Casarin et al. (2007). World Bank (2004); Winpenny (2003).
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practices – such as requiring more work from employees, use the least qualified personnel able to perform each task, and less social protection than employees of the public sector. Even though competition is more limited than in other network industries, bidding for contracts provides water companies with incentives to streamline operating and capital expenditure, which may also revert in greater costs savings. In this sense, rivalry amongst competitors for the right to operate as a monopoly helps to bring costs down and to achieve better standards – inexistent when the service is publicly operated.7 The debate between critics and supporters of private sector involvement in the provision of water services has helped to examine in depth the role of water companies in the management of the water utilities. It has shown that who owns the provision of water services in a country has important repercussions. Indeed, service ownership determines how the industry’s assets, profits and risks are allocated. However, certain voices have recently highlighted the insufficiency of this debate to explain crucial features of water services provision and have stressed that analysing water services provision should also pay attention of other institutional and regulatory features that are not necessarily determined by the involvement of the private sector, such as the existence of measures regarding water environmental sustainability, the regulation of the water tariffs, the setting of customer standards or the provisions for social protection.8 They argue for the need to complement the debate on water privatisation with an analysis of “water governance”, understood as the range of political, social, economic and administrative systems that are in place to develop and manage water resources, and the delivery of water services, at different levels of society.9 Water governance encompasses the many different existing variations in institutional arrangements and mechanisms to regulate a country’s water services and resources, beyond the prevalent public / private dichotomy. Despite a growing interest in understanding water governance, a fundamental difficulty remains with regards to the lack of clear delineation of what water governance entails, as well as with the lack of concrete examples of different types of water service governance. While significant effort has been made to examine the impact of the participation of private companies and the internationalisation of regulation in the provision of water services in different countries, we still have a scarce understanding of the different water governance features and regimes. The present chapter attempts at providing an approach to this topic by developing key criteria of water service governance, which allow assessing and comparing different models across the world. It focuses on two countries that have followed different routes regarding the ownership of their water industry – England and Scotland – to analyse Wolff / Palaniappan (2004). Demsetz (1968). 8 See Bakker (2010); Budds / McGranahan (2003); Morgan (2011); Cashman (2006); Hendry (2010). 9 Rogers / Hall (2003), p. 7. 6 7
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to what extent different ownership models may cause differences in governance of their water services. The approach to analyse such governance principles, and the findings of the present article, have been developed as part of a wider research project examining water services in six European countries – England, France, Italy, the Netherlands, Scotland and Spain.10 Three main contributions are made. First, this chapter aids to an understanding of water governance by proposing an analytical framework to examine water services provision beyond the public / private dichotomy. Thus it contributes to the characterisation of the concept of water governance by breaking it down into its main constituent features: access to information, consumers’ participation and access to justice. Secondly, the chapter provides a systematic comparative examination of water services governance in England and Scotland, thus showing its applicability. Finally, the article reflects on the relationship between the water services governance and the participation of the private sector in water services provision in a country. It argues that, while the involvement of private utilities is a main element characterising the water services provision of a country, it does not determine what legal arrangements are developed to allow consumers to access to information, to participate in decision-making processes and to access to justice. The remainder of the chapter is organised in three parts. The following section discusses the meaning of water governance and its constituent features. The next part applies the identified criteria to the cases of England and Scotland, pointing out to their similarities and differences in two cases that have taken different approaches to water service ownership. The chapter concludes with a section re-evaluating the concept of water services governance in light of the chapter’s findings.
II. Defining the Constituent Elements of Water Services Governance Although its origins in the English language can be traced back to the 17th or 18th century,11 the use of the term governance spread during the 1990s and 2000s to reflect the existence of new modes of regulation and service provision. 12 Changes have taken place in the regulation of water utilities in the last few years at the national level, which have made necessary to reconsider the role of the state as service provider.13 The privatisation of public services, the development of large international companies and the internationalisation of regulation are referred to as common causes of the development of new governance structures.
10 11 12 13
García Quesada (2011). Megginson / Netter (2001). Corkery (1999). Jordana / Levi-Faur (2005); Bitran / Valenzuela (2003); Prasad (2006).
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Despite the development of analysis and studies about “governance”, the term remains elusive to definition and operationalization due to its complex and multifaceted nature. The UNECE Convention on Access to Information, Public Participation in Decision-making and Access to Justice in Environmental Matters (the Aarhus Convention), adopted on 25 June 1998, has made an important contribution to the conceptual clarification of ‘governance’ by establishing that access to information, public participation and access to justice are ruling principles of the term. Following these principles, an analysis of water governance entails the identification in a systematic way of the regulatory and institutional provisions that facilitate the water customers to be informed, to take part in the decision-making process and to have the right to an expeditious redress procedure before the judiciary or administrative authorities when they consider that a decision is unlawful or unreasonable. From the principles of the Aarhus Convention, fourteen criteria are derived. They allow for a systematic assessment of the particular governance features in different regulatory and institutional frameworks, as well a comparison across them all. The criteria have been developed essentially by deduction, that is, by narrowing down the general principle to its specific constituting elements. In this sense, the fourteen criteria correspond to the most salient, characterising and significant features of governance. The principle of transparency is generally considered to refer to “governing according to published rules, and ensuring that information and procedures that are accessible to the public”.14 Five different criteria have been set to assess the degree of transparency in water services provision: 1. Access to information employed for the decision-making process. This first element asks whether water consumers can have access to the documents that responsible bodies and authorities employ to reach a decision, such as those regarding investment, operation, water tariffs, or service quality. Its objective is to examine whether consumers can, if they wish, gather information on the functioning of the water industry. 2. Access to information regarding the decision making process. A fundamental element for the involvement of water consumers in the decision-making process concerns the access to information regarding the procedural rules followed to take decisions affecting water consumers. This criterion refers to whether these procedural rules are clearly regulated so that the consumers can find out how decisions are reached. 3. Access to information on final decision. This criterion asks whether decisions concerning water services provision are published so consumers know what has been agreed. It is a fundamental point as it regards the degree of transparency of decisions that have a direct impact on the services that consumers receive.
14
Hood (2007).
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4. Access to information on the reasoning behind a particular decision. As well as knowing about the final decisions affecting the services that they receive, transparency also refers to the degree to which consumers have access to the reasons for a particular decision. This criterion examines the existence of mechanisms ensuring that the basis and the objectives of particular decision are accessible for consumers. 5. Formal mechanisms to protect the right to access information. Whereas the aspects analysed previously have referred to the legal provisions guaranteeing the rights to access to different kinds of information about the functioning of water services provision, this criterion concerns the protection of such rights. It asks about the particular safeguards put in place to ensure that the consumers receive accurate and timely information. It regards, for instance, the procedures that can be initiated if consumers consider that their right of information has been breached, and / or the existence of bodies responsible for dispute settlement for cases concerning access to information. As well as access to information, public participation is a core principle of water services governance.15 Four criteria help to examine the nature and the degree of citizens’ participation in the decision making process for water services provision. 6. Right to public participation. This element asks whether consumers have a recognised right to participate in the regulatory process and whether consumers’ participation ensured in the regulatory framework. 7. Areas of decision-making open to public participation. Linked to the point above, this criterion refers to the areas of decision-making where consumers are allowed participation. This aspect asks for the existence of limits to the topics where consumers may have an input, whether restricted to certain areas or extended to all topics of decision-making. 8. Degree of participation in the decision-making process. Arnstein defended in a seminal article that participation can be classified into different types according to the extent of “citizens’ power in determining the end product”, so consumers’ involvement in the decision making process can run from “rubberstamp” to citizen control.16 The present criterion concerns precisely the degree of participation of consumers in the decision-making process for water services. 9. Obligation to provide a response to consumers. This criterion relates to the obligation to provide a response to consumers regarding the extent to which their opinion is taken into account in the final decision. The interest of analysing this feature consists in focusing on the existence of mechanisms to ensure that consumers’ input in consultations is weighed and acted upon.
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Delli Priscoli (2004). Arnstein (1969).
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Along with transparency and public participation, accountability is a main principle of governance. It exists when decisions can be challenged in an effective way if they are thought to be unfair or incompetent.17 Accountability means that, when the behaviour or performance of an actor is exposed as inappropriate, measures are put into place to hold that actor responsible for their actions.18 In this sense, the concepts of accountability and of access to justice are pillars of a working political system based on the rule of law. Analysing access to justice involves an examination of the mechanisms to correct and deter responsible authorities and operators from infringing their obligations to provide water services to consumers. Five different criteria are employed to assess and compare the degree of access to justice: 10. Non-judicial mechanisms against water providers. The first criterion concerns the existence of non-judicial mechanisms so consumers can initiate proceedings against the organisations providing the service. The objective is to analyse whether aggrieved consumers can challenge water providers via administrative bodies such as regulatory agencies, commissions or complaints boards. 11. Non-judicial proceedings against relevant authorities. When the focus of contention concerns the activities of relevant authorities, consumers can initiate non-judicial proceedings against them. Regulatory agencies and Ombudsmen can receive consumers’ complaints against the actors in charge of the adequate provision of water services. 12. Judicial procedures against water providers. The third element concerns the initiation of judicial procedures against water service providers. It assesses whether water service providers can be penalised in courts if they have failed to fulfil their service duties. 13. Judicial procedures against relevant authorities. The fourth element assesses the existence of judicial mechanisms to make relevant authorities accountable for their decisions and performance. It thus asks whether water users can initiate proceedings against decisions taken by public authorities regarding water services. 14. Financial help for consumers initiating judicial procedures. This criterion enquires about the existence of legal aid for petitioners of judicial procedures against water companies or public authorities. It focuses on the help given to consumers to initiate a review of decisions, in order to establish whether the costs of initiating judicial procedures might be an obstacle to consumers to exercise their right to access to justice.19
17 18 19
Stern / Holder (1999). Graham (1998). Cornwall / Gaventa (2001); Kayaga / Franceys (2007).
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III. Water Services Governance in England and Scotland With these fourteen criteria it is possible to examine the governance of water services in countries with different institutional and regulatory features and traditions irrespectively of the ownership model for water services of the country, which might be helpful to focus on beyond the public-private debate. This section does precisely so with the cases of England and Scotland. These two countries provide the opportunity to examine water services in two places that have followed different paths with regards to the ownership of the sector – even when they belong to the same state. Indeed, whereas most water services in England have been provided since 1989 by ten licensed private regional water and sewerage companies, in Scotland this is the responsibility of Scottish Water,20 a “public corporation of a trading nature”21 owned by the government of Scotland and answerable to the Scottish Parliament. Thus, England and Scotland provide a particularly interesting comparison, because they have developed two different models for water services provision since 1989, while many of their policy objectives and instruments influencing water services provision remain the same. The 14 criteria help to characterise the water governance features in these two cases and to understand the similarities and differences in the role of water users in the management of water services. Each of the criteria is considered in turns below.
1. Access to Information Employed for the Decision-Making Process Certain differences exist between England and Scotland with regards to the availability of documents employed by the responsible bodies and authorities to reach a decision. In England, all public authorities are under the obligation of disseminating information about the activities they carry out and of making it available upon request, by means of the Freedom of Information Act 2000 (FOIA) and the Environmental Information Regulations 2004 (EIR). Consumers have the right to access to a wide rage of information kept by public authorities, although certain exceptions exist to the duty to disseminate information: withholding some kinds of information is acceptable for reasons of confidentiality22 or may be justified until the affected individual or business gives express consent.23 In any case, the duty to inform does not involve the information kept by private water companies. In effect, neither the FOIA nor the EIR create obligations upon organisations that, whilst private, provide
20 Some small private companies provide water services separately from Scottish Water to business as well as small rural private supplies. 21 Water Industry (Scotland) Act 2002 (WISA), s. 20. 22 Freedom of Information Act 2000 (FOIA), part II. 23 Freedom of Information Act 2000 (FOIA), s. 43.
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a public service – such as the water companies.24 Instead, information on water companies’ activities is collected by regulatory bodies – in particular, the Water Services Regulation Authority (commonly known as OFWAT) which is responsible for the economic regulation of the water companies.25 Such distinction does not exist in Scotland, where access to information is regulated equally in two texts: The Freedom of Information (Scotland) Act 2002 (FOISA), which is concerned with the conditions of access to information held by public authorities, and the Environmental Information (Scotland) Regulation 2004 (EISR), which refers specifically to environmental information that public bodies keep. As in England, these texts create obligations on public authorities to be active suppliers of information on the activities they undertake, and establish mechanisms for consumers to request information when this is not readily available. This task is essentially undertaken by the Water Industry Commission for Scotland (WICS), 26 which is the non-departmental public body with statutory responsibilities for the economic regulation of the Scottish water industry and the promotion of the interests of customers.27 Also, as in England, public authorities are authorised to reserve information away from the public in certain cases, such as when information disclosure may affect the privacy of particulars or seriously prejudice the commercial interests of any person or organisation.28 However, the Scottish regulatory framework is broader in its protection of the right to information on water services as Scottish consumers can, unlike in England, make requests of information to the water provider. As a public entity, Scottish Water is affected by the requirements of the legislation, as so it needs to provide access to information to consumers if they request so, which is not the case for the English private companies.
2. Access to Information Regarding the Decision Making Process In this regard, England and Scotland display similar traits. The procedure to reach key decisions concerning water services such as the water tariffs or service standards is not established in a Parliamentary Act, but defined by the economic regulators – OFWAT in England and WICS in Scotland. Indeed, every five years, OFWAT and the WICS forecast the total costs of providing the service at certain standards and the expected inflation in order to decide on maximum price cap that water companies can charge to consumers during a period of five years. Such prices incorporate the cost of adopting environmental and social protection standards. When setting the price cap, OFWAT and WICS are legally obliged to involve water stake24 25 26 27 28
Ministry of Justice (2007). Water Industry Act 1991 (WIA), s. 2A. Water Industry (Scotland) Act 2002 (WISA), s. 29. Water Industry (Scotland) Act 2002 (WISA), s. 1. Freedom of Information (Scotland) Act 2002 (FOISA), part II.
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holders. To do so, they provide information for the public on the timing and the procedure they will follow to decide on these matters. This information is widely made available online and on paper to all interested parties. In this sense, England and Scotland provide similar opportunities to water consumers to have access to information on procedures to reach key decisions, despite the differences in the ownership of their water sector. 3. Access to Information on Final Decision Important guarantees exist in both countries to ensure that consumers receive information on decisions that affect them. The responsible body in charge for giving this information varies. In Scotland, the obligation to inform about standards and charges falls on the water service provider Scottish Water29 whereas in England, the responsibility has been carried out by OFWAT.30 Consumers can, in any case, have full access to information on decisions affecting them, such as tariff modifications or changes in service standards, as both Scottish Water and OFWAT publish their decisions widely, both online and in printed documents. In this sense, consumers in both in England and Scotland enjoy similar mechanisms to access to information on final decisions. 4. Access to Information on the Reasoning Behind a Particular Decision Public authorities in the two countries have similar obligations to inform about the reasons for a decision affecting water services provision. Indeed, in England, the Secretary of State is required to inform all interested parties about decisions such as the conditions of the appointment of the water companies, their licence, the termination or revocation of a licence, etc.31 In Scotland, the Scottish Government needs to provide information about any initiative concerning the management of freshwaters and maritime areas.32 In addition, the WICS and OFWAT are required to publish the reasoning behind their major regulatory decisions, 33 such as the final decisions on charge limits and customer standards. Both economic regulators commonly accompany their decision with an outline of the conclusions and the responses raised during the consultation process. Significantly, however, this requirement to inform does not extent to the water operators in England. Indeed, while Scottish Water has committed in its Consultation Code to publish the reasoning of 29 30 31 32 33
Water Industry (Scotland) Act 2002 (WISA), s. 34. Water Industry Act 1991 (WIA), s. 27. See Water Industry Act 1991 (WIA), s. 195A; Better Regulation Executive (2008). Scottish Government (2008). Water Industry Commission for Scotland (2010a); OFWAT (2004a).
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the decisions it takes,34 water companies in England can decide on whether to provide consumers with explanations for their decisions. Examining the water companies’ corporate publications shows that water companies have not done so voluntarily. In this sense, the Scottish regulatory framework, with the Scottish Water Code of Practice’s demand to publish a reasoning of the company’s decisions, provides greater opportunities for water consumers to have access to information than the English regulatory framework.
5. Formal Mechanisms to Protect the Right to Access Information Both England and Scotland have habilitated mechanisms for citizens to exercise their rights to receive information about the activities of public authorities. Certain differences, however, exist. In England, if consumers consider that the information they receive on water services is insufficient, they are entitled to demand further access to information held by public authorities and / or a review of a decision limiting their access. If unsatisfied with the response by the public authority, consumers can initiate an appeal to the Information Commissioner, which is an independent body in charge of investigating complaints concerning how public authorities handle requests for information.35 The Commissioner can investigate the cases raised and is entitled to ask for further information from the affected bodies.36 If a failure to communicate information is detected, the Commissioner can issue “decision notices”, which outline the steps that the authority needs to take to correct this failure, as well as the timeframe to act. 37 Ultimately, the Commission can issue legal sanctions against public authorities – such as the government, OFWAT and the Environment Agency – that ignore or refuse to accept their obligation to disclose information.38 In Scotland, if consumers are dissatisfied with the way in which a public authority has dealt with a requirement for the release of information, they can also request a review of the refusal.39 Similarly to what happens in England, if they remain unhappy with the way that a Scottish public authority has responded to a demand for information, they can appeal to the Scottish Information Commissioner. 40 The Commissioner handles complaints, investigates the case, examines the evidence and the reasons given by the authorities to withhold information, and decides whether the 34 35 36 37 38 39 40
Scottish Water (2011a). Freedom of Information Act 2000 (FOIA), s. 47. Freedom of Information Act 2000 (FOIA), s. 51. Freedom of Information Act 2000 (FOIA), s. 50. Freedom of Information Act 2000 (FOIA), s. 52. Freedom of Information (Scotland) Act 2002 (FOISA), s. 20 – 21. Freedom of Information (Scotland) Act 2002 (FOISA), s. 47.
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authority’s decision complied with legal requirements. Like with its English counterpart, the decisions of the Commissioner in Scotland are legally binding; the Commissioner has powers to enforce decisions, which may entail the disclosing of previously withheld information, or to support and justify the right of the public authority to refuse the publication of the requested information. Hence, the mechanisms to protect the right of information are, in this sense, very similar in both England and Scotland. However, as a public authority, Scottish Water is subject to the monitoring and enforcement powers of the Scottish Information Commissioner. This is not the case for the water companies operating in England. Consumers have, in this sense, more protection in Scotland than in England.
6. Right to Public Participation The right to public participation receives a firmer protection in Scotland than in England. Indeed, while users in England and Scotland have similar rights to participate in decision-making process regarding the provision of water services when they are initiated by the Government and the economic regulators, 41 differences exists when the consultations are initiated by the water provider. Scottish Water is required to involve consumers when deciding on topics that concern them,42 but such an obligation does no exist in England. Here, water companies have a statutory duty to carry out consultations on their water resources management plans and their drought plans at regular intervals (every three to five years), but involving government departments and regulators exclusively and not consumers directly.43
7. Areas of Decision-Making Open to Public Participation The different protection of the right to public participation, discussed above, has an impact on the areas of decision-making open to public participation. In Scotland, the Scottish Government initiates public consultations for topics concerning environmental protection and social development, which contribute to inform the development of a particular policy by canvassing the preferences and opinions of those directly affected.44 Similarly, in England, government departments’ consultations refer to overarching policy objectives for the water sector, including issues such as environmental and consumer protection, which have an impact on water tariffs and consumer standards. To ensure consistency in the consultation exercises, both the Scottish Government and the Department for Environment, Food and Rural Affairs
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Water Industry Act 1991 (WIA), s. 30ZA. Water Industry (Scotland) Act 2002, s. 28. Water Industry Act 1991 (WIA), ss. 37A.8 and 39A.7. Scottish Government (2011).
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(DEFRA), which is the government department responsible for water resources and services provision, have issued guidelines on how to carry out a consultation exercise, providing advice to all government departments conducting consultations, and specifying the steps to take to initiate consultation.45 As for the regulators, the WICS initiates wide public consultation for a large range of topics, most importantly every five years on occasion of the strategic review of prices, when the regulator sets how they intend to carry out the review and, later on, it publishes a draft price limit towards the end of the review, inviting water stakeholders to offer their views prior to the final decision. 46 The scope of the participation of consumers is similar in England. For the setting of the water price limits, OFWAT indicates the instances when consumers can offer their opinions and views on major regulatory decisions.47 OFWAT is also obliged to involve consumers in the major decisions and prior to implementing any key regulatory decision.48 To facilitate participation, OFWAT has issued guidelines on consultations that indicate the main features of the consultations, such timetable or sections to be included.49 The main difference between the two jurisdictions concerns the consultation initiated by the water providers, as Scottish consumers can participate and provide their opinion on concrete management topics that may affect water users (infrastructure building, tariff increases within the price cap, etc.) including debates on priorities, impact and planning of operations. Scottish Water has indicated the characteristics of its consultations in a Code that identifies the topics of consultation, the procedures and the methods employed to collect data. Such opportunities to participate may exist in England too, but they are at the discretion of the water companies, which can decide whether or not to involve water users in their management decisions. 8. Degree of Participation in the Decision-Making Process Consumers are exclusively entitled to participate in the decision making process by consultation, both in England and Scotland. No further degree of participation is guaranteed in either case. In England, DEFRA’s Code of Practice for consultation includes minimum requirements guiding government departments, such as a minimum consultation period of 12 weeks. OFWAT’s consultations tend to be much shorter with the consultation period will vary from 2 to 12 weeks depending on the nature of the topic consulted (whether broad matters of regulatory policy or more 45 46 47 48 49
Scottish Government (2008); Better Regulation Executive (2008). Water Industry Commission for Scotland (2010b). OFWAT (2011a). Water Industry Act 1991 (WIA), s. 30ZA. OFWAT (2004b).
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detailed issues).50 In Scotland, interested parties usually have a minimum of 12 weeks to produce their contributions for consultations initiated by the Scottish Government51 and by Scottish Water.52 In this sense, consumers have opportunities to have a say in the areas that the relevant authorities open for comments to the public, which nonetheless does not necessarily have to become part of the final decision. 9. Obligation to Provide a Response to Consumers Similar requirements exist in England and Scotland regarding the obligation to provide a response to consumers. In England, the government is expected to give feedback to the responses received, and refer to how they have influenced the policy.53 OFWAT has established in its consultation code that it will comment publicly on the points made in consultation responses and how these have affected the final decisions.54 Water companies have no legal obligation to involve water consumers in their consultation proceedings so providing feedback to consumers is done at their discretion. In Scotland, the governmental guidance for consultation indicates that Scottish Government is to provide feedback to the input by participants, and to place their responses in the Scottish Government library – unless they request confidentiality.55 The WICS does not make reference to the provision of feedback to the consultations it initiates, whereas Scottish Water has committed itself to give feedback to all responses and to indicate how they have influenced the final outcome.56
10. Non-judicial Mechanisms Against Water Providers When consumers in England and Scotland disagree with a decision taken by the water providers, they can initiate certain non-judicial mechanisms. In England, the first point of call for consumers wishing to complain about water bills and levels of service are the water companies themselves.57 England has developed a statutory instrument to protect certain service standards, known as the “Guaranteed Service Standards”.58 If a company fails to meet any of the guaranteed standards, such as re50 51 52 53 54 55 56 57 58
OFWAT (2004c). Scottish Government (2008). Scottish Water (2011a). Better Regulation Executive (2008). OFWAT (2004a). Scottish Government (2008). Scottish Water (2011a). OFWAT (2010). Water Supply and Sewerage Services (Customer Service Standards) Regulations 1989.
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sponding to account inquiries, and dealing with planned or unplanned interruptions to the water supply, customers are entitled to a direct automatic compensation payment, without having to initiate any procedure except reporting the incident. Similarly to England, the law ensures in Scotland that water consumers receive certain standards of service, called “Guaranteed Standards Scheme”.59 By virtue of the scheme, if Scottish Water fails to meet any of the scheme standards, it has automatically to make a payment to the consumers affected.60 Subsequently, consumers may turn to their representative organisations to ask for support in their complaint procedures to intervene if they consider that water companies have not responded appropriately to their concerns or / and they disagree with a decision by the water companies. In England, it is the Consumer Council for Water (CCWAter). If CCWater considers the complaint to be well-founded and within its jurisdiction, investigations are initiated.61 If the complaint is considered justified, the affected water company will be asked to restore the damage caused. In Scotland, consumers can refer their claims against Scottish Water to the consumer organisation WaterWatch, which may initiate an investigation on the matter after the consumer has attempted to resolve it with the water supplier – or an unreasonable length of time has passed since the consumer raised the complaint.62 WaterWatch collects all information about the dispute from the consumer and the water company, and intermediates by proposing solutions to the conflict.63 Finally, in England customers may request the intervention of OFWAT,64 which can mediate when consumers consider that the water companies are not complying with their statutory duties or licence conditions. OFWAT can require the water company to take a particular course of action, or may side with the company if it considers that their activities are lawful.65 The decisions taken by OFWAT are final.66 In Scotland, however, the economic regulator does not act as mediator between Scottish Water and consumer’s complaints, but if WaterWatch and Scottish Water do not find an agreement, they may refer the case to the Scottish Government, whose decision is final.67 Thus, apart from this differentiating element, English and Scottish non-judicial mechanisms against the decisions of water companies are very similar.
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Water Industry (Scotland) Act 2002 (WISA), ss. 26 – 27. Scottish Water (2011b). Water Industry Act 1991 (WIA), s. 29A.1. Water Industry (Scotland) Act 2002 (WISA), s. 6A. WaterWatch Scotland (2010). Water Industry Act 1991 (WIA), s. 29. Water Industry Act 1991 (WIA), s. 30A. Water Industry Act 1991 (WIA), s. 30A-5. Water Industry (Scotland) Act 2002 (WISA), s. 6A-8.
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11. Non-judicial Proceedings Against Relevant Authorities What about non-judicial measures adopted by the relevant authorities – water regulators and government departments? Do consumers have mechanisms to complain against the decisions taken by these institutions? As with the procedures against water providers, the regulatory framework in England and Scotland is very similar. In England, if consumers disagree with a decision by OFWAT, they can initiate internal appeals within the regulator itself. OFWAT has stated its commitment to investigate the concerns and to make amendments if appropriate.68 DEFRA has also identified an internal procedure for consumers to complain about the department’s standards of service – hence, DEFRA does not deal with complaints about substantive policy matters, but with failures in the provision of their departmental duties. First consumers should raise their concern with the relevant DEFRA division and ask for a review of their case and, if the result is not satisfactory, they may refer to the Department’s Impartial Complaint Adjudicator, which is responsible for investigating any complaints regarding standards of service, and committed to providing a swift response.69 Similarly, in Scotland, if the dissatisfaction is with a WICS decision, water consumers can initiate a Complaints Procedures within the regulator, either personally and directly or via WaterWatch. If the point of contention is with the service given by the Scottish Government, the complaining procedure involves, first, raising the issue with the officials of the department responsible for the decision. If this fails to give a satisfactory answer to the consumers, they are entitled to refer the case to a “Complaints Officer”, who is a senior official particularly appointed to look into the complaint and provide help to resolve it. After this, if the complaint is still not resolved, the consumer can ask for the issue to be reviewed by the relevant Director within the Government.70 In any case, as in England, consumers cannot appeal a decision that been published by WICS and accepted by Scottish Government if it has met adequately all formal controls all the different stages of the Price Review. 71 Nonetheless, they can, unlike in England, make “statutory recommendations” via WaterWatch on matters concerning water tariffs or standards, which need to taken into consideration.72 Beyond the complaints resolved internally within the relevant authority, in England consumers can refer their complaints against OFWAT and DEFRA to the Parliamentary and Health Service Ombudsman (the Ombudsman).73 Since 1967, the
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OFWAT (2011b). Department for Environment Food and Rural Affairs (2010). Scottish Government (2010). Water Industry (Scotland) Act 2002 (WISA), s. 32. Water Industry (Scotland) Act 2002 (WISA), ss. 2(4)(b) and 2(5)(c). Parliamentary Commissioner Act 1967, c.13.
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Ombudsman carries out independent and free investigations into complaints about the performance of all government department and public bodies. However, consumers cannot address the Ombudsman directly, but exclusively through their Members of Parliament.74 The Ombudsman can require the parties to produce evidence relevant to the investigation (s. 8), and also publish a report with their findings.75 The Ombudsman lacks formal coercive powers, but his / her influence works at a moral and reputational level. The evidence gathered by the Ombudsman can, nonetheless, be employed in court to back sanctions against OFWAT and DEFRA.76 In Scotland, consumers can refer their complaints to the Scottish Public Services Ombudsman, which was set up in 2002 to investigate complaints made against organisations that provide public services in Scotland.77 The Scottish Ombudsman has more powers than its English counterpart to defend the interest of water services consumers. As with its English counterpart, the Ombudsman can request the investigated authorities to supply information or produce documents relevant to the investigation, and while s / he holds no enforcement power, can exert strong moral pressure for the adoption of their recommendations. But besides, unlike the Ombudsman in England, the Scottish Ombudsman can accept cases directly from the public without the need to refer the case first to a Member of Parliament. 78 Also, the Scottish Ombudsman can initiate investigations against all publicly-owned companies, and this includes Scottish Water.79
12. Judicial Procedures Against Water Providers Although customers tend to approach the regulator to take non-judicial action on their behalf when a disagreement with the water provider arises, court actions can be brought against water companies both in Scotland and England. A water company’s failure to provide a service at a required standard is not usually a criminal offence, but it may be a civil wrong, actionable in the civil courts. Civil actions may be brought by an individual, for example breach of the duty to supply wholesome water, or breach of another service standard, but there may be restrictions within the sectoral law, such as a time bar80 or a statutory defence such as reasonableness or due diligence.81 When cases have gone to court, in England they have sometimes been 74 75 76 77 78 79 80 81
Parliamentary Commissioner Act 1967, s. 5. Parliamentary Commissioner Act 1967, s. 10. Parliamentary Commissioner Act 1967, s. 9. Scottish Public Services Ombudsman Act (2002). Scottish Public Services Ombudsman Act (2002), s. 9(1). Scottish Public Services Ombudsman Act (2002), s. 3(3). See Weir v East of Scotland Water Authority 2001 SLT. 1205. Water Industry Act 1991 (WIA), s. 54.
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brought by private persons, but more often by the relevant authorities (for example, the Environment Agency for water discharge consents, or the Drinking Water Inspectorate for the supply of water unfit for human consumption). In Scotland it is very rare to have a prosecution by any person or body other than the public prosecutor, usually in the Sheriff Court or sometimes the High Court. Overall, in both jurisdictions, prosecution for drinking water offences has been very rare, while offences for breach of a discharge consent for waste water have been more common. 13. Judicial Procedures Against Relevant Authorities The regulatory framework is the same with regards to the judicial procedures that consumers can raise in England and Scotland. In both cases, the courts can be asked to intervene to review the decisions taken by independent regulators and the government via a judicial review.82 The cases that courts deal with do not refer to the sufficiency or appropriateness (the “merits”) of a regulatory measure, but intervene in cases when public authorities are accused of exceeding their powers, taking into account legally irrelevant matters, overlooking a matter that was required to consider, or abused their powers or acted unlawfully.83 In this sense, courts accept and decide on cases when the lawfulness of a decision is questioned, and not the political consequences or substance of such decisions. As a result of the judicial review, a decision taken by a public authority (government or regulator) on water services provision may be overturned, the public authority may be required to stop acting in an unlawful way or carrying out a articular action. Amongst the criteria for judicial review is the idea that a court will not substitute its decision for that of the public authority, unless it is clear that there was only one decision that the authority could lawfully make. Thus, a judicial review should start only when all formal mechanisms for review of the decision have been exhausted. To bring about a judicial review, citizens both from England and Scotland have to prove that they have standing in order to be able to sue. Any natural or legal person with “sufficient interest in the matter to which the application relates” may bring a claim for judicial review.84
14. Financial Help for Consumers Initiating Judicial Procedures Both in Scotland and England, consumers can receive help to bring their claims before the courts. In England, the Legal Services Commission (LSC) contributes to
82 Regulated by Civil Procedure Rules (1998) in England; by chapter 58 of Rules of Court of Session 1994 in Scotland. 83 Mullen (2009); Association of the Councils of State and Supreme Administrative Jurisdictions of the European Union (2009). 84 Association of the Councils of State and Supreme Administrative Jurisdictions of the European Union (2009).
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covering legal fees of applicants with limited financial resources 85 whereas in Scotland, it is the duty of the Scottish Legal Aid Board (SLAB).86 Similar provisions exist in both countries to give financial help to water consumers that want to raise their claims to court. Both the LSC and the SLAB have established an income threshold to ensure that applicants falling below that threshold are granted legal aid. They take account of personal and professional circumstances of the applicants, such as age, dependants, employment, so the financial aid may help to cover either the full or partial costs of bringing a case before the courts, encompassing activities such as advice on legal problems or offering legal representation. No major difference has been identified with regards to the degree of financial help between jurisdictions.
IV. Conclusions: From Water Privatisation to Water Governance Debates? The current water crisis, with over 1.1 billion people lacking access to safe drinking water and around 2.6 billion people having no access to adequate sanitation worldwide,87 has been widely claimed to be the result of faulty political, administrative, economic and social systems adopted to the changing conditions affecting water resources and services.88 Poor governance structures have been considered obstacles for ensuring the delivery of water services in different parts of the world, causing difficulties for designing and implementing effective water policies to guarantee access to good quality drinking water and ensure that waste water is efficiently collected and suitably treated to acceptable standards. This chapter has argued that, given the broad scope of the concept of governance, it is helpful to operationalize its meaning and content in order to employ it in crossnational comparisons of particular governance structures to identify specific water governance deficits and also good practices. To do so, it has proposed to use an analytical framework composed of 14 criteria to analyse and compare water services provision with greater nuance and beyond the division between public / private. These criteria derive from three main principles of governance as identified by the Aarhus Convention: access to information, public participation and access to justice. Focusing on England and Scotland – where the water industry is, respectively, private and publicly owned – has permitted a detailed examination of the management of water services in countries with different ownership models. The comparison has helped to identify the differences in water governance in two overall very similar models. Indeed, the English regulatory framework appears to provide some fewer opportunities for consumers to access information, to partici85 86 87 88
Access to Justice Act (1999). Legal Aid (Scotland) Act (1986). UNICEF / WHO (2004). Solanes / Jouravlev (2006); Plummer / Slaymaker (2007); Winpenny (2003).
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pate in the decision making process and to initiate procedures against service providers than their Scottish counterparts. The English regulatory framework has not introduced the same demands for the private service providers than for the public bodies, whereas in Scotland, Scottish Water faces the same obligations as the government and the regulatory agencies to ensure the involvement of water consumers. Despite the differences, the similarities between Scotland and England are major: both countries have developed parallel mechanisms for access to information, public participation and access to justice even when they have different water ownership models. Their regulatory frameworks introduce provisions that ensure an extensive access to information on water regulatory matters to water consumers and have developed mechanisms specially defined to ensure that these rights are protected, such as the Information Commissioners. As for participation, the Scottish and the English regulatory frameworks protect equally the right to water consumers to participate in the decision making process, and guarantee that they do so in consultation proceedings. Regarding the access to justice principle, both the Scottish and the English systems rely on non-judicial and internal mechanisms rather than on external and judicial mechanisms for redressing consumers’ concerns. Appeals to courts are limited to some cases when non-judicial redress has failed, and for these cases, English and Scottish consumers may receive financial aid from public bodies. Hence, employing the 14 criteria has aided the debate on water governance by pointing the precise instances where different models may vary. The cases of England and Scotland show that, with certain notable exceptions, the mechanisms in place for governance of water services provision are largely independently from the involvement of the private sector in the management of water services. Indeed, private sector participation has important consequences in the management of water resource, as it allocates property rights, risks and profits amongst private water companies, but it does not determine the water customers’ opportunities and mechanisms to get involved in decision-making processes to decide on water services. The involvement of the private sector (or, conversely, its absence) does not necessarily entail a particular approach to these governance principles, which belong to the realm of the broader regulatory framework and political decision-making. The debates regarding water services provision during the last 20 years have mainly focused on the virtues or the deficiencies of the participation of the private sector in the supply of drinking water and sanitation, and however, the public / private dichotomy is unable to reflect the actual complexity of the provision of water services around the world. The distinction between governance models and modes of involvement of the private sector is necessary in the current state of debates on how best to provide water services and ensure sufficient, affordable and safe water and sanitation services to the population. While crucial decisions need to be made regarding whether publicly or privately owned organisations are to be responsible for offering water services, the debate does not stop there. Developing venues for the involvement of consumers at different stages of the decision making process is a
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key factor that policy-makers need to take into account, so much so in the current state of affairs. As the water sector faces new challenges deriving from population growth, increasing energy demands and environmental pressures around the world, involving water consumers may become a smart decision to develop a necessary wider policy consensus for the provision of water services. In this context, unbundling ownership and governance helps to clarify and to inform the different options available to facilitate consumers’ access to information, participation and access to justice regarding decisions that concern them closely. The present chapter has attempted to lay the foundations for such a distinction.
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Planung als Instrument der besseren Vernetzung von Siedlungswasserwirtschaft und Stadtentwicklung Von Martin Wickel
I. Einleitung Die Errichtung der Infrastrukturen für die Versorgung mit Wasser und die Beseitigung von Abwasser stellt sich als komplexe Aufgabe dar. In beiden Bereichen stand und steht die Gewährleistung der Gesundheit der Bevölkerung im Mittelpunkt. Das bedeutet, dass zum einen Wasser in der erforderlichen Qualität zur Verfügung zu stellen ist und zum anderen das Abwasser so zu entsorgen ist, dass Gefährdungen der Gesundheit vorgebeugt wird. In der Vergangenheit standen hierfür nur wenige technische Lösungen – zumeist auf zentrale Anlagen ausgerichtete Systeme – zur Verfügung. Das Gewicht des Ziels und der Mangel an Alternativen bedingten, dass eine aufwendige Planung nicht erforderlich war. Es dominierte ein inkrementalistischer build-and-supply-Ansatz. Die Fragestellung hat sich jedoch verändert. Zum einen stehen neue technische Lösungen – etwa dezentrale oder semizentrale Systeme – zur Verfügung, die in der Lage sind, die beschriebenen zentralen Ziele der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung ebenfalls zu erreichen. Gleichzeitig verlieren die genannten Ziele zwar nicht an Bedeutung, es treten aber weitere wesentliche Aspekte hinzu, die ebenfalls Beachtung verlangen. Zu nennen sind beispielhaft die Anforderungen, die der Klimawandel und die demografische Entwicklung an die siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen stellen. Diese veränderte Situation erfordert, dass bei der Herstellung von siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen komplexe Entscheidungen getroffen werden, in deren Mittelpunkt die Auswahl zwischen verschiedenen Systemen steht. Die Auswahl zwischen Alternativen ist im bundesdeutschen Verwaltungsrecht ein zentrales Element der planerischen Entscheidung, die durch eine Abwägung gekennzeichnet ist. Die Abwägung ist in der Lage, die verschiedenen von der Entscheidung betroffenen Belange zu berücksichtigen und in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu setzen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit die Herstellung der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen einem Planungsregime unterliegt oder wie ein solches Planungsregime aussehen könnte. Im Folgenden soll untersucht werden, ob und in welcher Weise die siedlungswasserwirtschaftlichen Bereiche der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung
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Gegenstand von Planungsentscheidungen – im Wasserrecht des Bundes und insbesondere der Länder (III.) und im Rahmen der Bauleit- und Raumordnungsplanung (IV.) – sind. Weiterhin wird ein Vorschlag zu einer Schaffung eines siedlungswasserwirtschaftlichen Planungsinstrumentariums entwickelt (V.). Diesen Betrachtungen ist eine Erörterung der Erforderlichkeit von Planungen im Bereich der Siedlungswasserwirtschaft vorangestellt (II.).
II. Planungserfordernis Die Frage nach der Einbindung der Entwicklung siedlungswasserwirtschaftlicher Infrastrukturen in ein Planungssystem ist nur sinnvoll, wenn vom Bestehen eines Planungserfordernisses auszugehen ist. Dieses kann nicht einfach vorausgesetzt werden. Technisch ist die Herstellung der notwendigen infrastrukturellen Einrichtungen der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung auch im Rahmen eines inkrementalistischen Vorgehens in Form eines build-and-supply-Ansatzes denkbar.1 Auch die Stadtplanung hat sich in Teilen von einer Angebotsplanung zu einer projektorientierten Reaktionsplanung, die eine höhere Flexibilität gewährleistet, gewandelt.2 In gleicher Weise könnte auch der Sinn einer Infrastrukturplanung, die auf Annahmen über die zukünftigen Anforderungen der Stadtentwicklung beruht, hinterfragt werden. Dementsprechend sind Gründe zu benennen, die eine siedlungswasserwirtschaftliche Planung notwendig erscheinen lassen.
1. Erfordernis einer integrierten, langfristigen Planung Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass die Herstellung siedlungswasserwirtschaftlicher Infrastrukturen nicht allein als technische Problemstellung begriffen werden sollte, die im Wege einer reinen „Ingenieurplanung“ gelöst werden kann. Vielmehr bedarf es der Berücksichtigung einer Vielzahl von Aspekten. Die Entscheidung und das Entscheidungsverfahren müssen also die Integration der verschiedensten Gesichtspunkte gewährleisten können.
a) Zu integrierende Gesichtspunkte Zu den einzubeziehenden Gesichtspunkten gehören zunächst die vielfältigen Wechselwirkungen mit anderen Bereichen wie der Stadtentwicklung 3 oder der EntVgl. dazu Kluge / Scheele (2008), S. 157. Vgl. dazu Wickel (2013), Rn. 6; Krautzberger (2010), S. 214; Bunzel / Meyer (1996), S. 214. 3 So stellen sich siedlungswasserwirtschaftliche Infrastrukturen aus der Sicht des Städtebaus als Bestandteil der notwendigen Erschließung von Grundstücken dar. Vgl. z. B. Löhr 1 2
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wicklung anderer technischer Infrastrukturen, etwa im Bereich des Verkehrs oder der Energie.4 Daneben sind die Auswirkungen der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen auf die Umwelt, insbesondere Qualität der Gewässer und Quantität des Wasserdargebots, zu betrachten. Verschiedene Umweltgesichtspunkte werden auch in § 6 Abs. 1 WHG als Grundsätze einer nachhaltigen Gewässerbewirtschaftung genannt. Zu den zu berücksichtigenden Gesichtspunkten zählt weiterhin die Erhaltung der Nutzbarkeit der Gewässer für die öffentliche Wasserversorgung (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 WHG), die Nutzung zum Wohl der Allgemeinheit und im Interesse Einzelner (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 WHG). Hinzu treten Aspekte des Hochwasserschutzes (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 WHG). Weiterhin sollten bei der Entwicklung von siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen auch langfristige Entwicklungen berücksichtigt werden, welche die Rahmenbedingungen der siedlungswasserwirtschaftlichen Entwicklung wesentlich beeinflussen können. Zu nennen sind hier die demografische Entwicklung5 und die zu erwartenden Folgen des Klimawandels (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 WHG).6 Schließlich sind bei der Konzipierung siedlungswasserwirtschaftlicher Infrastrukturen, das heißt bei der Wahl zwischen verschiedenen technischen Lösungen – beispielsweise zentrale oder dezentrale Abwasserbeseitigung – auch Erwägungen zur Wirtschaftlichkeit anzustellen.7 Dies gilt schon deshalb, weil die entstehenden Kosten in der Regel von den Nutzern, in Form von Beiträgen und Gebühren, getragen werden. Diese Aufzählung von Aspekten, die nicht zum Kernbereich der siedlungswasserwirtschaftlichen Fragen gehören, die aber gleichwohl bei der Entscheidung über die siedlungswasserwirtschaftliche Infrastruktur zu berücksichtigen sind, ist nicht abschließend. Gerade im Einzelfall können weitere Gesichtspunkte eine Rolle spielen, die sich einer verallgemeinernden Betrachtung entziehen.
b) Abwägung als Instrument der Auflösung von Zielkonflikten Es zeigt sich, dass die Entscheidungen über die siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen für alle Belange, die unmittelbar und mittelbar, gegebenenfalls über Wechselwirkungen betroffen sind, geöffnet werden müssen. Als Beispiel mag der (2009), § 30 Rn. 16. Das Vorhandensein der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastruktur oder die Möglichkeit ihrer Bereitstellung ist zugleich eine Voraussetzung der durch die Bauleitplanung gesteuerten Stadtentwicklung (siehe unten 3. Teil A. II.). Andererseits definiert die Siedlungsentwicklung maßgebliche Vorgaben für die siedlungswasserwirtschaftliche Infrastruktur. 4 Das zeigt z. B. § 6 Abs. 1 S. 2 WHG, der die Gewässerbewirtschaftung auch auf das Ziel des Klimaschutzes verpflichtet, womit vor allem auf die Nutzung der Wasserkraft als regenerativer Energie abgezielt wird. Kritisch dazu Berendes (2011), § 6 Rn. 30. 5 Vgl. Reese (2010), S. 187. 6 Vgl. Reese (2010), S. 36 f., S. 180 f. 7 Vgl. Moss (2009), S. 62.
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Umweltbereich dienen. Hier verlangt § 6 Abs. 1 S. 2 WHG die Erreichung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt, wobei die Regelung ausdrücklich die Berücksichtigung von Verlagerungseffekten fordert.8 Schon der Gedanke der Nachhaltigkeit gebietet aber eine Berücksichtigung von Wechselwirkungen auch über ökologische Belange hinaus. Dabei kann es zwischen den zu berücksichtigenden Aspekten auch zu Zielkonflikten kommen. Dies zeigt sich bereits an den zum Teil gegenläufigen Bewirtschaftungsgrundsätzen des § 6 Abs. 1 S. 1 WHG, die in einen Ausgleich zu bringen sind.9 Als Mittel zur Auflösung solcher Konflikte steht im Rahmen eines Planungsregimes das Instrument der Abwägung zur Verfügung. Dieses gewährleistet, dass die betroffenen Belange zunächst ermittelt, sodann bewertet und schließlich in einen verhältnismäßigen Ausgleich zueinander gebracht werden.
c) Kognitive Entscheidungsgrundlage bei zukunftsgerichteter Entscheidung: Prognosen und Unsicherheit Dabei ist zu beachten, dass die Konzipierung siedlungswasserwirtschaftlicher Strukturen ein deutlich zukunftsgerichtetes Element in sich trägt. Das lässt sich schon aus dem allgemeinen in § 6 WHG zum Ausdruck kommenden Bewirtschaftungsgedanken ableiten. Die Bewirtschaftung der Gewässer verlangt eine vorausschauende, koordinierende Steuerung.10 Hinzu treten die Lebensdauer der Anlagen der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung, die langfristigen Auswirkungen, die von siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen ausgehen können, und schließlich langfristige Entwicklungen etwa des Klimawandels oder der demografischen Struktur.11 Die Einbeziehung zukünftiger Entwicklungen erfordert Prognosen, die in die Entscheidung einzustellen sind. Dabei ist zu beachten, dass es aufgrund der langen Lebensdauer siedlungswasserwirtschaftlicher Infrastrukturen häufig nur schwer oder gar nicht möglich sein wird, Prognosen für den gesamten Lebenszyklus der Anlagen anzustellen. In diesem Fall ist die Entscheidung von Unsicherheit geprägt.12 Dies gilt im Übrigen auch für den Eintritt von Ereignissen, die sich nicht mit hinreichender Sicherheit prognostizieren lassen. Diese Unsicherheit ist in der Entscheidung ebenfalls zu berücksichtigen.13 Von zentraler Bedeutung kann hier die Revisibilität der Entscheidung sein. 8 Kotulla (2002), S. 1410, bezeichnet die Vorgängerregelung des § 1a Abs. 3 S. 3 WHG a. F. ausdrücklich als Integrationsgrundsatz. 9 Vgl. Berendes (2011), § 6 Rn. 8. 10 Pape (2013), § 6 Rn. 11, Rn. 5. 11 Zum Erfordernis der Berücksichtigung sich ändernder Umweltbedingungen Köck (2012), S. 73 f.; vgl. auch Laskowski (2012), S. 597, mit der Forderung nach einer „differenzierten, langfristig vorsorgenden wasserwirtschaftlichen Planung und Anpassung der Infrastrukturen“. 12 Vgl. dazu für die Folgen des Klimawandels Köck (2013), S. 271. 13 Zum Aspekt der Unsicherheit im Kontext der Klimaanpassung Reese (2010), S. 17 ff.
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d) Plan als Instrument der integrierten, langfristigen Entscheidung Der Entscheidungsprozess muss sowohl in seiner inneren wie äußeren Struktur gewährleisten, dass die beschriebenen Anforderungen erfüllt werden. Als Instrument für die Bewältigung dieser Entscheidungsaufgabe bietet sich der Plan an. aa) Äußere Struktur der Planungsentscheidung Die äußere Struktur muss die Grundlage für die Schaffung einer breiten kognitiven Entscheidungsgrundlage bieten. Das Verfahren muss in einer Weise strukturiert sein, die gewährleistet, dass alle betroffenen Aspekte artikuliert werden können. Erforderlich ist neben der Einbeziehung institutionalisierter Interessen auch die Öffnung für die Interessen der nicht organisierten Öffentlichkeit. Das den Entscheidungsprozess vorbereitende Verfahren muss demgemäß die Partizipation der Träger öffentlicher und privater Belange sicherstellen. Diese äußere Struktur weisen Planungsverfahren auf. Allerdings sind auch andere Entscheidungsverfahren denkbar, die in gleicher Weise geeignet sind, die kognitive Grundlage für die Entscheidung über die Infrastrukturentwicklung herzustellen. Dies allein ist somit noch kein zwingendes Argument für die Adaption des Plans als Instrument. bb) Innere Struktur der Planungsentscheidung Neben den genannten Anforderungen an die äußere Struktur des Entscheidungsprozesses muss jedoch zusätzlich die innere Struktur in der Lage sein, alle betroffenen Aspekte in ein Verhältnis zueinander zu setzen und Konflikte aufzulösen. Zugleich muss die Struktur es ermöglichen, mit Ungewissheit über die Entscheidungsgrundlagen umgehen können. Auch hier bietet der Plan als Instrument die notwendigen strukturellen Anforderungen. Den rechtlichen Rahmen für die Gewährleistung der Integration aller relevanten Belange, der Einbeziehung zukünftiger Entwicklungen im Wege von Prognosen sowie den Umgang mit Ungewissheit bietet das Abwägungsgebot. Die Geltung des Abwägungsgebots wird unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet, womit es unabhängig von seiner gesetzlichen Anordnung für jede rechtsstaatliche Planung gilt.14 Die wesentlichen Grundsätze wurden vom Bundesverwaltungsgericht zunächst für die Bauleitplanung formuliert15 und später auf das Fachplanungsrecht übertragen.16
14 BVerwG, Urt. v. 23. 01. 1981 – 4 C 4 / 78 –, BVerwGE 61, 295, 301; BVerwG, Urt. v. 11. 12. 1981 – 4 C 69 / 78 –, BVerwGE 64, 270, 272 f. 15 Grundlegend BVerwG, Urt. v. 12. 12. 1969 – IV C 106 / 66 –, BVerwGE 34, 301; dazu Hoppe (2003), S. 697; BVerwG, Urt. v. 05. 07. 1974 – IV C 50 / 72 –, BVerwGE 45, 309, 314 ff.
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Das Abwägungsgebot knüpft an das Bestehen eines Gestaltungsspielraums im Rahmen von Planungsentscheidungen an. Ein solcher ergibt sich, wenn eine Entscheidung sich nicht konditional aus der Erfüllung bestimmter rechtlicher Voraussetzungen ableiten lässt, sondern einem final strukturierten Entscheidungsprogramm unterworfen wird.17 Typisch ist das Vorhandensein von Entscheidungsalternativen, die die Auswahl einer Lösung und die Verwerfung anderer rechtfertigungsbedürftig machen.18 Diese Situation besteht auch im Bereich der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen. In dem Maße, wie sich Entscheidungsalternativen ergeben, etwa die Entscheidung über zentrale oder dezentrale Abwasserbeseitigungsmodelle oder die Dimensionierung der Wasserversorgungsanlagen,19 entsteht ein planerischer Gestaltungsspielraum, dessen Ausübung durch das Abwägungsgebot gesteuert wird. Das Abwägungsgebot hält die nötigen dogmatischen Grundlagen für die formulierten Anforderungen an die Entscheidung über siedlungswasserwirtschaftliche Infrastrukturen bereit.20 Das Abwägungsgebot verlangt, dass im Rahmen der Abwägung alle relevanten Belange ermittelt und in die Abwägung eingestellt werden, die Bedeutung und Gewichtung dieser Belange zutreffend erkannt wird und zwischen diesen ein Ausgleich hergestellt wird, der nicht außer Verhältnis zu ihrer objektiven Gewichtung steht.21 Damit kann das Abwägungsgebot die Integration aller relevanten Gesichtspunkte gewährleisten. Dies gilt im Übrigen auch speziell für die Einbeziehung zukünftiger Entwicklungen, die als Belange zu ermitteln und zu bewerten 16 Vgl. z. B. BVerwG, Urt. v. 14. 02. 1975 – 4 C 21 / 74 –, BVerwGE 48, 56, 63; hierzu ausführlich Hoppe (2003), S. 703 f. Die Anwendung des Abwägungsgebots findet sich z. B. in BVerwG, Beschl. v. 20. 12. 1988 – 7 NB 2 / 88 –, BVerwGE 81, 128 in Bezug auf Abfallentsorgungspläne nach § 6 AbfG a. F. Zur Krankenhausbedarfsplanung BVerwG, Urt. v. 25. 07. 1985 – 3 C 25 / 84 –, BVerwGE 72, 38, 47. 17 Zur Unterscheidung von finalen und konditionalen Entscheidungsprogrammen Hoppe (2010), § 7 Rn. 11; zur Kritik hieran Durner (2005), S. 318 f.; Di Fabio (2000), S. 84 ff. 18 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 20. 12. 1988 – 7 NB 2 / 88 –, BVerwGE 81, 128, 136 f. 19 Ein gutes Beispiel für den sich bei der Wahl zwischen zentraler und dezentraler Abwasserbeseitigung ergebenden normgeberischen „Handlungsspielraum“ – im konkreten Fall ging es um Regelungen einer Satzung – bietet OVG Lüneburg, Urt. v. 21. 03. 2002 – 7 KN 233 / 01 –, juris Rn. 24 ff. Von einem normsetzerischen Ermessen geht auch OVG Bautzen, Beschl. v. 07.12.2009 – 4 A 344 / 09 –, juris Rn. 9, aus. 20 Das Bestehen eines Gestaltungsspielraums wird auch in der Rechtsprechung bestätigt. OVG Münster, Urt. v. 18. 06. 1997 – 22 A 1406 / 96 –, juris Rn. 15, spricht von Planungsermessen. OVG Lüneburg, Beschl. v. 03. 04. 1997 – 9 L 179 / 96 –, juris Rn. 2 ff., spricht von einer umfassenden Abwägung und nennt das Willkürverbot und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Grenzen. OVG Schleswig, Urt. v. 24. 02. 1999 – 2 L 68 / 97 –, juris Rn. 28, spricht von der Übertragung eines im Rahmen kommunaler Planung zuzubilligenden Entscheidungsspielraums. Vgl. auch SHLT-Drs. 12 / 1109, S. 54. Von einem Gestaltungsspielraum, der die Wahl zwischen zentraler und dezentraler Abwasserbeseitigung zulässt, spricht auch OVG Bautzen, Beschl. 01. 11. 2012 – 4 D 5 / 12 –, juris Rn. 3 f. 21 Vgl. Wickel (2013), Rn. 135.
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sind.22 Die damit einhergehenden Unsicherheiten können und müssen im Rahmen der Abwägung in ein Verhältnis zu den rechtfertigungsbedürftigen Eingriffen gestellt werden.23 e) Entscheidung über siedlungswasserwirtschaftliche Infrastrukturen als Planungsentscheidung Es zeigt sich im Ergebnis, dass die Entscheidung über die Entwicklung wasserwirtschaftlicher Infrastrukturen alle Merkmale einer Planungsentscheidung trägt. Der Sache nach handelt es sich unabhängig von ihrer formalen Ausgestaltung und Bezeichnung um Planungsentscheidungen, die auch den allgemein geltenden Anforderungen an solche Entscheidungen, wie etwa dem Abwägungsgebot, unterworfen sind.24 Damit bietet sich eine entsprechende Formalisierung an. Diese stellt sich in diesem Fall nicht unbedingt als zusätzliche Regulierung dar, einschließlich aller damit verbundenen negativen Effekte. Im Gegenteil unterstützt die Formalisierung die planenden Stellen, indem sie den äußeren und inneren Entscheidungsprozessen eine klare Struktur vorgibt, was die Bewältigung des Entscheidungsprozesses erleichtert und das Ergebnis rechtlich absichert. Wichtig ist an dieser Stelle auch das richtige Verständnis der Planungsentscheidung. Anders als etwa die Planfeststellung müssen Pläne nicht notwendig alle Aspekte einer Infrastrukturentscheidung erfassen, sondern können, soweit solche Entscheidungen noch nachfolgen, auch Entscheidungsspielräume für nachgelagerte Entscheidungen lassen. Das bedeutet, dass nicht alle Entscheidungen im Bereich der Siedlungswasserwirtschaft, etwa auch über die Zulassung konkreter Anlagen, bereits auf der Planungsebene getroffen werden müssten. Sie benötigen aber einen Rahmen, der bereits bestimmte strategische Entscheidungen enthält, in den die konkreten Zulassungsentscheidungen eingebunden sind. Hier ergibt sich das Bild eines abgeschichteten Entscheidungsprozesses, der für eine Rahmen setzende Planung typisch ist.
22 Hierzu Hoppe (2008), S. 938; in Bezug auf die Aufklärung und Bewertung möglicher Folgen des Klimawandels, insofern aber verallgemeinerbar, Köck (2013), S. 270. 23 BVerwG, Urt. v. 08. 07. 1998 – 11 A 53 / 97 –, BVerwGE 107, 142, 146. Vgl. dazu Köck (2013), S. 272 f. 24 Vgl. auch den Hinweis von Reese / Möckel (2010), S. 173, dass keine Gemeinde auf eine Abwasserentsorgungsplanung verzichten könne. Vgl. auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 03. 04. 1997 – 9 L 179 / 96 –, juris Rn. 2; OVG Lüneburg, Beschl. v. 22. 01. 1997 – 9 L 4525 / 95 –, juris Rn. 4. Ohne dass in Niedersachsen kommunale Abwasserbeseitigungskonzepte gesetzlich vorgesehen sind, verlangt das Gericht solche Abwasserbeseitigungskonzepte und formuliert Anforderungen an diese.
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2. Klimawandel Die erforderliche Anpassung an den Klimawandel schafft Herausforderungen auch für die siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen. Neue Anlagen sind auf die Anforderungen auszurichten und bestehende Systeme sind diesen Anforderungen anzupassen. Bereits oben wurde aufgezeigt, dass der Klimawandel zu den Gesichtspunkten gehört, die in die Entscheidung über die Entwicklung von siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen einfließen müssen. Die durch den Klimawandel ausgelöste Anpassungsdynamik stellt die siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen vor besondere Probleme, da die Anlagen über lange Zeiträume genutzt werden. So werden etwa Gewinnungsanlagen, Verteilungsnetze und sonstige technische Anlagen über Nutzungszeiträume von 50 – 100 Jahren abgeschrieben. Dies macht es schwierig, auf sich verändernde Wasserressourcen zu reagieren. Hieraus folgt die Notwendigkeit den Entscheidungen über die siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen Prognosen zugrunde zu legen. Auch sollten diese Entscheidungen revisibel sein. Weiterhin zeigt sich, dass die zu erwartenden Veränderungen sich regional unterscheiden werden. Das schließt einheitliche Lösungen für größere Planungsräume aus. Stattdessen sind kleinräumige Betrachtungen erforderlich. Zugleich ist, etwa bei regional nicht ausreichendem Wasserdargebot, ein überregionaler Ausgleich zu gewährleisten.25 Im Hinblick auf die Abwasserbeseitigung ist insbesondere der Umgang mit dem Niederschlagswasser als Gegenstand einer Anpassungsstrategie zu berücksichtigen.26 Die Versickerung von Niederschlagswasser, statt einer Ableitung in Oberflächengewässer, kann sich günstig auf die Hochwassersituation auswirken. Gleichzeitig fördert es die Grundwasserneubildung, was der Wasserversorgung zugutekommt.27 Auch die Konzipierung der Ableitungssysteme, Trennsysteme oder Mischsysteme, ist im Hinblick auf den Klimawandel relevant. Einerseits kann getrennt abgeleitetes Niederschlagswasser durch zunehmende Trockenheit betroffenen örtlichen Gewässern zugutekommen. Zum anderen stellen Starkregenereignisse ein besonderes Problem bei der Dimensionierung von Kanalsystemen dar, da es zu Überläufen kommen kann.28 Auch die Entwicklung einer sinnvollen Niederschlagswasserbeseitigungskonzeption erfordert eine planerische Vorgehensweise. 29
25 Vgl. Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (2011), S. 30 f.; Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft des Freistaates Sachsen (2012), S. 12 f. Zur Erforderlichkeit planerischer Regelungsansätze wie deren Eignung zur Schaffung effektiver Klimaanpassung Reese (2010), S. 181 ff., 424 ff. 26 Vgl. auch Kluge / Scheele (2008), S. 159 f. Vgl. aber etwa auch Laskowski / Ziehm (2010), Rn. 88, zum Konzept des „abwasserlosen Grundstücks“. 27 Gruber (1997), S. 521. 28 Vgl. Reese (2010), S. 187; sowie Reese / Möckel (2010), S. 173 f. 29 Reese (2010), S. 115 f., S. 187 f.; sowie Reese / Möckel (2010), S. 173 f.
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3. Demografischer Wandel Ein weiterer Gesichtspunkt, dem zukünftig bei der Entwicklung siedlungswasserwirtschaftlicher Infrastrukturen zunehmende Bedeutung zukommen wird, ist die demografische Entwicklung. Sinkende Bevölkerungsdichte und eine sich verändernde Altersstruktur können Auswirkungen auf den Wasserverbrauch haben. Dies stellt für die Wasserversorgung insofern ein Problem dar, als die Dimensionierung von Trinkwasserleitungen sehr eng an den Bedarf gekoppelt ist. Eine Minderabnahme führt zu geringeren Fließgeschwindigkeiten, bis hin zur Stagnation, was hygienische Probleme nach sich zieht.30 Erforderlich ist demgemäß eine Wasserbedarfsprognose, in die neben anderen Faktoren eben auch der demografische Wandel einfließt, als Grundlage einer regional differenzierten Sicherstellung der Wasserversorgung.31 Im Bereich der Abwasserbeseitigung kommt dem demografischen Wandel bei der Konzipierung künftiger Entsorgungssysteme besondere Bedeutung zu. Der für viele Regionen prognostizierte Bevölkerungsrückgang erfordert, kleinräumige lokale Abwasserlösungen unter Einbeziehung dezentraler Kläranlagen stärker in die Überlegungen der Konzeption von Abwasserbeseitigungssystemen einzubeziehen.32 Auch die Notwendigkeit der langfristigen Unterhaltung und Finanzierung der Systeme macht eine besondere Berücksichtigung des demografischen Wandels nötig. 33 Es wird deutlich, dass in die Entscheidung über die Entwicklung der Wasserversorgung demografische Faktoren miteinzubeziehen sind.34 Von dem zukünftig zu erwartenden Bedarf hängt die Entscheidung ab, ob die Systeme auszubauen oder anzupassen sind.35 Eine isolierte, kleinräumige Entscheidung, etwa über die Erschließung eines neuen Baugebiets kann diesen Faktor nicht angemessen berücksichtigen. Hierzu bedarf es einer vorgelagerten, übergeordneten und strategischen Planungsentscheidung. Diese ist in der Lage, Prognosen über die demografische Entwicklung auf kommunaler und regionaler Ebene angemessen zu berücksichtigen und für nachgelagerte Entscheidungsebenen operationabel zu machen.
Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft des Freistaates Sachsen (2012), S. 12. Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (2011), S. 30 f. 32 Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft des Freistaates Sachsen (2007), S. 10 f. 33 Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft des Freistaates Sachsen (2007), S. 10 f. 34 Vgl. auch Kluge / Scheele (2008), S. 160 f. 35 Vgl. Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft des Freistaates Sachsen (2012), S. 12. 30 31
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4. Berücksichtigung alternativer / dezentraler Konzepte Zum inhaltlichen Kern von Planungsentscheidungen gehört in vielen Fällen die Auswahl zwischen verschiedenen Alternativen.36 Stärker als in der Vergangenheit, in der eine starke, fast ausschließliche Konzentration auf zentrale Systeme der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung bestand, stehen nunmehr auch dezentrale oder semi-zentrale Systeme37 im Fokus.38 § 55 Abs. 1 S. 2 WHG zeigt dies neben § 55 Abs. 2 WHG für den Bereich der Abwasserbeseitigung deutlich. Mit der Einfügung der Regelung in § 18a WHG a. F. sollte den Gemeinden ein größerer Spielraum eröffnet werden.39 Damit geht jedoch auch die Verpflichtung einher, zwischen den verschiedenen Handlungsalternativen zu wählen und diese Entscheidung im Rahmen einer Abwägung zu rechtfertigen. Neben dem allgemeinen Kostengesichtspunkt, der für eine dezentrale Abwasserbeseitigung sprechen kann,40 spielt in diesem Kontext auch die demografische Entwicklung eine Rolle. Kleinräumige dezentrale Abwasserlösungen weisen eine kürzere Nutzungsdauer auf. Sie erlauben eine schnellere Reaktion auf die demografische Entwicklung. Weiterhin sind die Investitionskosten geringer, was eine niedrigere Belastung der Bevölkerung nach sich zieht. Insgesamt können dezentrale Lösungen ein höheres Maß an abwassertechnischer Flexibilität bieten.41 Dies sind Gesichtspunkte, die im Rahmen des Entscheidungsprozesses berücksichtigt und in Beziehung zu anderen Aspekten gestellt werden müssen. Für diese Entscheidung erscheint ein Planungsverfahren als das beste Instrument.
5. Sichtbarmachung und Koordinierung siedlungswasserwirtschaftlicher Belange mit der Stadtplanung Die Koordination mit der Stadtplanung ist für die Entwicklung der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen von zentraler Bedeutung.42 Ohne eine entsprechende Siedlungsentwicklung gehen siedlungswasserwirtschaftliche Planungen ins Leere. Nach allgemeinen Grundsätzen des Planungsrechts ist ein Plan, der aufgrund Vgl. Steinberg / Wickel / Müller (2012), § 3 Rn. 178 ff. Zur Definition dezentraler und semi-zentraler Systeme Laskowski (2012), S. 598. 38 Vgl. Wissen / Naumann (2008), S. 18. 39 BT-Drs. 13 / 4788, S. 20. 40 Vgl. BT-Drs. 13 / 4788, S. 20. Das gilt insbesondere auch für eine dezentrale Regenwasserversickerung, vgl. Gruber (1997), S. 521. 41 Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft des Freistaates Sachsen (2007), S. 10 f. 42 Zum Erfordernis einer integrierten, zeitgleichen städtebaulichen und entwässerungstechnischen Planung und Entwicklung Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (2011), S. 32. 36 37
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mangelnder Aussicht auf Umsetzung funktionslos wird, rechtswidrig und tritt außer Kraft.43 Diese allgemeine Aussage beansprucht auch gegenüber einer formalisierten siedlungswasserwirtschaftlichen Planung Gültigkeit. Demgegenüber ist das Schicksal der Bauleitplanung nur sehr lose mit dem Vorhandensein einer siedlungswasserwirtschaftlichen Konzeption verbunden. Im Wesentlichen reicht es aus, wenn die Erschließung möglich und ein entsprechender Wille zu Erschließung bekundet ist. 44 Auf das Vorliegen einer detaillierten siedlungswasserwirtschaftlichen Planung kommt es hingegen nicht an. Diese Ungleichgewichtigkeit kann zu einer asynchronen Entwicklung führen. Die städtebauliche Planung kann voranschreiten, ohne dass die siedlungswasserwirtschaftlichen Aspekte im Detail artikuliert sind. Zwar gehören die Belange der Wasserversorgung (§ 1 Abs. 6 Nr. 8 lit. e BauGB) und der Abwasserbeseitigung (§ 1 Abs. 6 Nr. 7 lit. e BauGB) zu den in der Bauleitplanung zu berücksichtigenden Belangen. Belange finden in die Abwägung jedoch nur insoweit Eingang, als sie erkennbar sind.45 In Abwesenheit einer ausgearbeiteten siedlungswasserwirtschaftlichen Konzeption mangelt es an dieser Erkennbarkeit. Deswegen stellt sich die Frage, wie gewährleistet werden kann, dass siedlungswasserwirtschaftliche Belange in effektiver Weise Eingang in die Bauleitplanung, aber auch in die Gesamtplanungen insgesamt, finden. Das setzt voraus, dass die siedlungswasserwirtschaftlichen Belange uneingeschränkt sichtbar und damit aus der Perspektive der Abwägung der Gesamtplanung erkennbar sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Komplexität siedlungswasserwirtschaftlicher Belange insgesamt so hoch ist, dass sie sich einer ad hoc Formulierung in einem Planungsverfahren der Gesamtplanungen entziehen dürften. Schon der zeitliche Ablauf der Planungsverfahren gebietet es somit, dass die siedlungswasserwirtschaftlichen Belange definiert sind, bevor sie seitens der Gesamtplanung in einem Planungsverfahren abgefragt werden. Auch ihr thematischer Schwerpunkt – Steuerung der Grundstücksnutzung innerhalb einer Gemeinde (§ 1 Abs. 1 BauGB) beziehungsweise auf der Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes (§ 1 Abs. 1 ROG) – lässt die Planungsverfahren der Gesamtplanung für eine erstmalige Artikulation siedlungswasserwirtschaftlicher Belange ungeeignet erscheinen.46 Speziell auf die siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen bezogene Verfahren dürften hier besser geeignet sein.
43 Vgl. BVerwG, Urt. v. 29. 04. 1977 – IV C 39 / 75 –, BVerwGE, 54, 5, 9; BVerwG, Urt. v. 07. 07. 1978 – 4 C 79 / 76 –, BVerwGE 56, 110, 122. 44 Vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 21. 03. 2002 – 4 CN 14 / 00 –, BVerwGE 116, 144, 150. 45 Siehe unten V. 3. 46 Siehe dazu unten IV. 1. b) bb); 2. c).
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6. Information und Beteiligung relevanter Akteure Die Planung der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung hat erhebliche Auswirkungen auf die Bevölkerung. Zugleich erfordert die Planung der entsprechenden Systeme die Einbeziehung aller relevanten Informationen zur Herstellung einer angemessenen kognitiven Entscheidungsbasis.47 Damit kommen alle für die Beteiligung der Öffentlichkeit sprechenden allgemeinen Erwägungen zum Tragen, etwa die Information der Behörde durch die Öffentlichkeit, ebenso wie die Information der Öffentlichkeit, die Steigerung der Akzeptanz gegenüber der Entscheidung, der Gesichtspunkt des vorgelagerten Rechtsschutzes durch Verfahren und schließlich die zusätzliche Legitimation der Entscheidung.48 Zu den Akteuren, die an den jeweiligen Entscheidungsprozessen zu beteiligen sind, gehören einerseits die Träger öffentlicher Belange, also insbesondere Behörden, aber auch beispielsweise privatisierte Wasserunternehmen. Andererseits ist die Öffentlichkeit einzubeziehen, und zwar die allgemeine Öffentlichkeit sowie die organisierte Öffentlichkeit in Gestalt von Umweltvereinigungen. Das Umweltrecht- und Planungsrecht kennt verschiedene Trägerverfahren, die Partizipation in diesem Umfang gewährleisten. Dabei kommt es nicht notwendigerweise auf die Qualifikation als Planungsverfahren an. Auch andere Zulassungsverfahren, wie etwa das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren, enthalten leistungsfähige Beteiligungselemente. Insofern ist die Notwendigkeit der Partizipation keine hinreichende Bedingung für die Forderung nach einem Planungsverfahren. Planungsverfahren erfüllen – abhängig von ihrer Ausgestaltung – die genannten Anforderungen jedoch auch. 7. Gewährleistung der Verhältnismäßigkeit Bei der Entwicklung von siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen eröffnen sich Alternativen – beispielsweise zentrale, semi-zentrale oder dezentrale Systeme –, die mit verschiedenen Auswirkungen für die Betroffenen – finanzielle Lasten, Nutzbarkeit von Grundstücken – einhergehen.49 Das Bestehen einer Alternative, die mit geringeren Belastungen für die Betroffenen verbunden ist, macht die Wahl einer anderen Lösung, insbesondere mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit, rechtfertigungsbedürftig.50 Gerade wenn mit der Ausgestaltung der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen langfristige oder übergeordnete51 Zwecke ver47 Vgl. Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft des Freistaates Sachsen (2007), S. 16 f. 48 Vgl. Wickel (2013), Rn. 71. 49 Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 21. 03. 2002 – 7 KN 233 / 01 –, juris Rn. 30 ff. 50 Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 21. 03. 2002 – 7 KN 233 / 01 –, juris Rn. 30 ff. 51 So rechtfertigt OVG Lüneburg, Urt. v. 21. 03. 2002 – 7 KN 233 / 01 –, juris Rn. 31, eventuell entstehende höhere Kosten unter anderem mit dem Hinweis auf den Grundwasserschutz.
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folgt werden sollen, kann diese Rechtfertigung bei der isolierten Betrachtung von Einzelfällen nur schwer oder gar nicht gelingen. Die jeweiligen Entscheidungen müssen ihre Grundlage vielmehr in übergeordneten Konzepten finden, aus denen sich konkrete Entscheidungen mit Blick auf die siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen ableiten lassen.52 Solche Konzepte lassen sich als Planungsentscheidungen darstellen.
8. Zwischenfazit Es hat sich gezeigt, dass die Entscheidung über die Entwicklung siedlungswasserwirtschaftlicher Infrastrukturen verschiedene Charakteristika aufweist und einer Reihe von inhaltlichen Anforderungen genügen muss, die die Auskleidung als Planungsentscheidung sinnvoll erscheinen lässt. Das Erfordernis einer integrierten, auch langfristige Entwicklungen einbeziehenden Entscheidung macht einen Entscheidungsprozess notwendig, der sowohl seiner äußeren, wie inneren Struktur nach die Bewältigung dieser Integration gewährleistet. Die Planungsentscheidung weist aufgrund ihrer Einbettung in ein Planungsverfahren und der Anforderung der planerischen Abwägung diese Strukturen auf. Der Klimawandel und der demografische Wandel erfordern jeweils, dass bei der Entscheidung über siedlungswasserwirtschaftliche Infrastrukturen langfristige Entwicklungen berücksichtigt werden, wobei insbesondere im Bereich des Klimawandels auch der Faktor der Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen einzubeziehen ist. Die Planung räumt den entscheidenden Stellen einerseits den Freiraum ein, unterschiedliche Konzepte – zu denken ist hier etwa an zentrale und dezentrale Wasserversorgungs- und Abwasserbeseitigungskonzepte – zu verfolgen. Zugleich schafft die Anforderung des Abwägungsgebots eine Struktur, in der die Entscheidung über verschiedene Alternativen im Rahmen dieses Freiraums einem rationalen Entscheidungsprogramm unterworfen ist. Auch das Erfordernis siedlungswasserwirtschaftliche Aspekte einerseits gegenüber anderen Planungen, insbesondere der Siedlungs- und Raumentwicklung, in besonderer Weise sichtbar zu machen, sie andererseits mit diesen Planungen zu koordinieren, legt den Rückgriff auf ein Planungsinstrumentarium nahe. Ein solches Instrumentarium ist in der Lage, die siedlungswasserwirtschaftlichen Belange zunächst zu artikulieren und sie sodann mit anderen Planungen zu koordinieren. In besonderer Weise sind Planungsverfahren durch ihre umfassenden Elemente der 52 Vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 25. 02. 2011 – 5 K 630 / 10 –, juris Rn. 39, als Beispiel wie der satzungsmäßige Verzicht auf die Überlassung von Abwasser durch von einem „auf eine systematisch und sinnvoll geordnete Entwicklung der Abwasserbeseitigung gerichteten Konzept“ geleitet wird und dies als Umsetzung des Abwasserbeseitigungskonzepts erscheint. Einschränkend bezüglich des Durchschlagens eines Mangel eines Abwasserbeseitigungskonzepts auf einen Anschluss- und Benutzungszwang OVG Bautzen, Urt. v. 18.12.2007 – 4 B 541 / 05, juris Rn. 28.
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Partizipation auch geeignet, die Information und Beteiligung aller relevanten Akteure zu gewährleisten. Und schließlich sind Pläne in der Lage, punktuelle Entscheidungen in ein rechtfertigendes und insbesondere die Verhältnismäßigkeit sicherndes Gesamtkonzept einzubetten. Die genannten Gründe sprechen dafür, die Entscheidung über siedlungswasserwirtschaftliche Infrastrukturen zum Gegenstand von Planungsentscheidungen zu machen. Unabhängig davon, ob die Wahl dieses Instruments aus übergeordneten rechtlichen Gründen ohne Alternative ist, erscheint die Wahl eines Planungsinstrumentariums jedenfalls in hohem Maße zweckmäßig.53 Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der Praxis siedlungswasserwirtschaftliche Infrastrukturen in der einen oder anderen Form ohnehin geplant werden. Eine Formalisierung schafft damit keine neue Aufgabe. Die erhöhten Anforderungen einer Formalisierung dürften weitgehend durch die Vorteile einer damit einhergehenden Anleitung des Verwaltungshandelns kompensiert werden.
III. Die Planung siedlungswasserwirtschaftlicher Infrastrukturen im geltenden Wasserrecht Die Feststellung, dass die Entwicklung siedlungswasserwirtschaftlicher Systeme einem Planungserfordernis unterworfen sein sollten, wirft die Frage auf, inwieweit solche Planungen rechtlich bereits vorgesehen sind. Bei der Betrachtung der bestehenden Regelungen ist jeweils die Frage zu stellen, ob sie den eingangs benannten Kriterien, die eine siedlungswasserwirtschaftliche Planung erfüllen sollte, genügen. Im Einzelnen ist also nach den folgenden Faktoren zu fragen: – Handelt es sich um eine integrierte, langfristige Planung? – Werden die Gesichtspunkte des Klimawandels und des demografischen Wandels besonders berücksichtigt? – Finden alternative und dezentrale Konzepte besondere Berücksichtigung? – Erfolgt eine Koordination mit der Stadtplanung? – Werden die relevanten Akteure informiert und beteiligt?
1. Allgemeine Grundsätze Einige dieser Anforderungen werden bereits aufgrund der Geltung allgemeiner planungsrechtlicher Grundsätze jedenfalls in Ansätzen erfüllt. Soweit also über53 Vgl. zur Forderung nach einer siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturplanung auch Reese (2012), S. 417 f.
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haupt ein Planungsregime besteht, kommen diese Grundsätze zum Tragen. Zunächst ist hier das Abwägungsgebot zu nennen, das allgemein für Planungsentscheidungen Geltung beansprucht. Das Abwägungsgebot erbringt aufgrund der Anforderung, dass alle relevanten Belange ermittelt und in die Entscheidung einbezogen werden müssen, bereits eine Integrationsleistung.54 Bei der Betrachtung der Ausgestaltung der Planungsregime stellt sich jedoch weitergehend die Frage, ob der Gesetzgeber diese Integrationsleistung besonders hervorhebt oder unterstützt, indem er ausdrücklich auf diese Anforderung hinweist oder bestimmte Belange ausdrücklich als relevant benennt. Das gilt insbesondere auch für die Auswirkungen des Klimawandels und des demografischen Wandels, die als relevante Belange wohl ohne weitere Hervorhebung einbezogen werden können. Es ist jedoch davon auszugehen, dass eine ausdrückliche Bezugnahme des Gesetzgebers das Gewicht dieser Aspekte in der Abwägung zumindest unterstreicht. Auch die Prüfung, ob alternative und dezentrale Konzepte genutzt werden können, ist von der Integrationsleistung des Abwägungsgebots im Grundsatz umfasst. Gleichwohl ist auch hier zu fragen, ob das Planungssystem so gestaltet ist, dass auf die Verwirklichung solcher Konzepte besonders hingewirkt wird. Die Koordination mit der Stadtplanung ist für siedlungswasserwirtschaftliche Infrastrukturen unerlässlich und gleichsam selbstverständlich. Sie geschieht im Zweifelsfall über die wechselseitige Berücksichtigung der siedlungswasserwirtschaftlichen Belange und der Belange der Stadtentwicklung im Rahmen der Abwägung. Demgemäß sind die Planungssysteme unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, ob sie diese Koordination in besonderer Weise gleichsam über das „normale“ Maß hinaus unterstützen. Die Information und Beteiligung relevanter Akteure ergibt sich schließlich aus den Verfahrensregelungen.55 Von großer Bedeutung kann das Erfordernis der Durchführung einer Strategischen Umweltprüfung sein. Pläne für siedlungswasserwirtschaftliche Infrastrukturen – es handelt sich um überörtliche und örtliche Pläne im Bereich der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung – fallen potenziell in den Anwendungsbereich der SUP-Richtlinie (2001 / 42 / EG). Betrachtet man die vorhandenen Regelungen zu diesen Plänen, stellt man fest, dass die meisten Pläne, soweit ersichtlich, nicht der Pflicht zur Durchführung einer obligatorischen SUP unterliegen.56 Vielmehr bedarf es in der Regel der Feststellung, dass die Pläne für die relevanten Vorhaben einen Rahmen setzen.57 Einige Unsicherheit dürfte die RechtSiehe dazu oben II. 1. b). Neben den verfahrensrechtlichen Anforderungen, die sich aus der rechtlichen Ausgestaltung der Pläne ergeben, finden sich zum Teil auch in den Gemeindeordnungen der Bundesländer allgemeine Regelungen zur Information und Beteiligung Bürger. Diese bleiben hier jedoch weitgehend außer Betracht, da sie in der Regel zu unspezifisch sind, um eine wirksame Partizipation in Planungsprozessen zu gewährleisten. 56 Eine Ausnahme bildet z. B. der hamburgische Abwasserbeseitigungsplan gem. § 2 Abs. 1 S. 2 HmbUVPG in Verbindung mit Nr. 1 der Anlage 3 zum HmbUVPG. 57 Vgl. als Maßstab die Regelung des § 14b UVPG. 54 55
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sprechung des EuGH zur Auslegung der Bestimmung des Begriffs der „Pläne und Programme“ in Art. 2 lit. a SUP-Richtlinie verursachen. Aufgrund der Formulierung, dass es sich um Pläne und Programme handeln müsse, „die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen“, wurde angenommen, allein Pläne, für deren Aufstellung der Gesetzgeber eine unbedingte Pflicht vorsah, fielen in den Anwendungsbereich, nicht hingegen solche Pläne, deren Erstellung in das Ermessen der Behörden gestellt war.58 Der EuGH vertritt in einer Entscheidung vom 22. 03. 2012 hingegen die Auffassung, dass als Pläne und Programme, die ‚erstellt werden müssen‘, „jene Pläne und Programme anzusehen [sind], deren Erlass in nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften geregelt ist, die die insoweit zuständigen Behörden und das Ausarbeitungsverfahren festlegen“.59 Dies bezieht sich auch auf solche Pläne, deren Erlass im Ermessen der zuständigen Stelle steht, die also nicht in jedem Fall erlassen werden müssen. 60 Damit dürften zahlreiche Pläne potenziell in den Anwendungsbereich der SUP-Pflicht fallen, für die dies bislang nicht angenommen worden war. So hat beispielsweise der rheinland-pfälzische Gesetzgeber in Abweichung zu der früheren Regelung, die die obligatorische Aufstellung von Abwasserbeseitigungskonzepten vorsah, die Erarbeitung nunmehr gemäß § 52 Abs. 5 S. 2 RPWG in das Ermessen der Gemeinden gestellt. Dies mit dem erklärten Ziel, sie aus dem Anwendungsbereich der SUPPflicht herauszunehmen. Diese Intention läuft aufgrund der Rechtsprechung des EuGH wohl ins Leere.61 Hier bedarf es einer Neubewertung. Das betrifft in Rheinland-Pfalz neben den genannten Abwasserbeseitigungskonzepten auch die Abwasserbeseitigungspläne nach § 60 RPWG. Im Saarland besteht die gleiche Problematik. Sowohl die Aufstellung des Abwasserbeseitigungsplans (§ 42 Abs. 1 S. 1 SaarWG) als auch der Abwasserbeseitigungskonzepte (§ 31 Abs. 1 SaarWG) stehen im Ermessen der zuständigen Stellen. Das Gleiche gilt für die Abwasserbeseitigungspläne in Sachsen-Anhalt, deren Aufstellung gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 SanhWG ebenfalls im Ermessen der zuständigen Stelle steht.62 Soweit die Aufstellung von Plänen für siedlungswasserwirtschaftliche Infrastrukturen mit einer Strategischen Umweltprüfung einhergeht, ist die Beteiligung der relevanten Akteure, der Öffentlichkeit und der Behörden, im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung, soweit diese thematisch reicht, gewährleistet.
So z. B. Appold (2012), § 2 Rn. 106. EuGH, Urt. v. 22. 03. 2012 – Rs. C 567 / 10 –, ZUR 2012, 486 Rn. 31. 60 Vgl. EuGH, Urt. v. 22. 03. 2012 – Rs. C 567 / 10 –, ZUR 2012, 486 Rn. 28. Vgl. dazu auch Bunge (2012), S. 593 ff. 61 Vgl. auch Bunge (2012), S. 598. 62 Vgl. Bunge (2012), S. 602. 58 59
Planung als Instrument der besseren Vernetzung
415
2. Siedlungswasserwirtschaftliche Planungen im Wasserrecht des Bundes Aufgrund der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen kann die Normierung eines entsprechenden Planungsregimes sowohl auf der Bundes- als auch auf der Landesebene erfolgen. Das derzeit im WHG vorgesehene Planungsinstrumentarium besteht in dieser Form im Wesentlichen seit dem 7. WHG-Änderungsgesetz 2002.63 Durch diese Novellierung wurde das zuvor bestehende Planungsinstrumentarium, das Abwasserbeseitigungspläne (§ 18a Abs. 3 WHG a. F.), Reinhalteordnungen (§ 27 WHG a. F.), wasserwirtschaftliche Rahmenpläne (§ 36 WHG) und Bewirtschaftungspläne (§ 36b WHG a. F.) vorsah, aufgehoben und durch das neue europarechtlich begründete Instrumentarium bestehend aus Maßnahmenprogrammen (§ 82 WHG) und Bewirtschaftungsplänen (§ 83 WHG) ersetzt. Die Begründung führt hierzu an, dass von dem aufgehobenen Instrumentarium auf Ebene der Länder nur sehr begrenzt Gebrauch gemacht worden sei. Zugleich wird darauf hingewiesen, dass mit den neu eingeführten Instrumenten ein umfassendes Planungsinstrumentarium zur Verfügung stehe.64 Diese Regelung des Planungsinstrumentariums ist auch durch die Novellierung des WHG im Jahre 2009, mit der der Bund von seiner gegenüber der Rahmenkompetenz ausgeweiteten konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG) Gebrauch gemacht hat, nicht wesentlich geändert worden. Zwar postuliert der Gesetzentwurf einen Ausbau der zuvor geltenden rahmenrechtlichen Vorschriften etwa im Bereich der Abwasserbeseitigung zu Vollregelungen, 65 eine Verfeinerung des Planungsinstrumentariums erfolgt jedoch nicht. Der Bewirtschaftungsplan ist gemäß § 83 Abs. 1 WHG räumlich bezogen auf die Flussgebietseinheiten.66 Ihm kommt im Wesentlichen ein dokumentarischer Charakter zu, womit er die Grundlage für die wasserwirtschaftliche Planung, insbesondere die Maßnahmenprogramme nach § 82 WHG legt.67 Daneben enthält er auch gestaltende Elemente.68 Neben dem Bewirtschaftungsplan bestehen Maßnahmenprogramme nach § 82 WHG, in denen die Maßnahmen zur Erreichung der Bewirtschaftungsziele vorzusehen sind. Die Maßnahmenprogramme ergänzen somit die Bewirtschaftungs-
Vgl. dazu Laskowski / Ziehm (2010), Rn. 113 ff. BT-Drs. 14 / 7755, S. 12 f. Vgl. dazu Beaucamp (2001), S. 423 ff. 65 BT-Drs. 16 / 12275, S. 41. 66 Vgl. dazu Beaucamp (2001), S. 424, der auf den Unterschied zu den Bewirtschaftungsplänen alter Fassung hinweist. 67 Ginzky (2013), § 83 Rn. 4; Czychowski / Reinhardt (2003), § 83 Rn. 4; Appel (2011), § 83 Rn. 3. 68 Appel (2011), § 83 Rn. 4. 63 64
416
Martin Wickel
pläne und bilden mit diesen zusammen das planerische Instrumentarium des WHG.69 § 83 Abs. 3 WHG lässt ausdrücklich auch detailliertere Programme und Bewirtschaftungspläne für Teileinzugsgebiete, bestimmte Sektoren und Aspekte der Gewässerbewirtschaftung zu. Damit eröffnet er die Möglichkeit, auch die Wasserversorgung oder die Abwasserentsorgung als Sektoren oder Aspekte der Gewässerbewirtschaftung einer speziellen Planung zu unterziehen. Zugleich zeigt sich aber auch, dass das WHG selbst kein detailliertes Planungssystem für die siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen schafft. Unabhängig von der Frage, ob sich das aus Bewirtschaftungsplanung und Maßnahmenprogramm bestehende Instrumentarium entsprechend nutzen ließe – die Planungsebene der Flussgebietseinheiten spricht jedoch auf den ersten Blick dagegen70 –, dürfte es dem Gesetzgeber unbenommen sein, ein detaillierteres Planungsinstrumentarium für die siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen zu entwickeln. Dieser Befund dürfte nicht nur für die Länder gelten,71 die ein entsprechendes Instrumentarium zum Teil auch vorsehen,72 sondern auch für den Bund, wobei die Grenzen des Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG zu beachten wären.73 3. Siedlungswasserwirtschaftliche Planungen im Wasserrecht der Länder a) Überblick und Allgemeines Eine Betrachtung der landesrechtlich geregelten Planungsinstrumente zeigt, 74 dass sowohl im Bereich der Wasserversorgung als auch im Bereich der Abwasser69 Ginzky (2013), § 82 Rn. 3, § 83 Rn. 11; Appel (2011), § 82 Rn. 3: „ausführende Stufe der Bewirtschaftungsplanung“, sowie Rn. 11 f. zum Verhältnis zwischen Bewirtschaftungsplan und Maßnahmenprogramm. Zur Funktion auch Czychowski / Reinhardt (2003), § 82 Rn. 7 ff. 70 Vgl. Kotulla (2011), § 83 Rn. 25, „großräumig und gesamtheitilich“. 71 Für die Länder Ginzky (2013), § 83 Rn. 36; Kotulla (2011), § 83 Rn. 26. 72 Siehe dazu sogleich. 73 Die wesentliche Grenze für den Bundesgesetzgeber – wie auch die Landesgesetzgeber – wären insofern die europarechtlichen Vorgaben. Hierzu Kotulla (2011), § 83 Rn. 25. 74 Im Folgenden werden vor allem die wasserrechtlichen Planungsinstrumente in den Blick genommen. Diese bilden die Möglichkeiten der Planung in den Bundesländern jedoch nicht unbedingt vollständig ab. So erlaubt etwa § 74 Abs. 3 Nr. 2 BWBO, dass die Gemeinden durch Satzung bestimmen können, dass „Anlagen zum Sammeln, Verwenden oder Versickern von Niederschlagswasser oder zum Verwenden von Brauchwasser herzustellen sind, um die Abwasseranlagen zu entlasten, Überschwemmungsgefahren zu vermeiden und den Wasserhaushalt zu schonen, soweit gesundheitliche oder wasserwirtschaftliche Belange nicht beeinträchtigt werden“. Auch solche Regelungen können für die Konzipierung von siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen genutzt werden. Dies betrifft jedoch nicht die hier im Vordergrund stehende Frage nach einem umfassenden Planungsinstrument, das die Bereiche
Planung als Instrument der besseren Vernetzung
417
beseitigung ein zweistufiges Planungsinstrumentarium bekannt ist. Dieses besteht auf der vorgelagerten Stufe aus einem zumeist landesweiten Plan (Wasserversorgungsplan; Abwasserbeseitigungsplan) und auf der zweiten Stufe aus einem örtlichen Plan (Wasserversorgungskonzept; Abwasserbeseitigungskonzept). Dieses Planungsmodell wird jedoch von fast allen Bundesländern nur fragmentarisch adaptiert. Dabei finden sich alle Abstufungen: das Fehlen einzelner Planungsstufen, das Fehlen von Plänen entweder für die Wasserversorgung oder Abwasserbeseitigung insgesamt oder das Fehlen jeglicher Planungsinstrumente. Betrachtet man ein voll ausgebildetes Planungsinstrumentarium als das anzustrebende Ziel, stellt Sachsen für die Gesamtübersicht das Best Practice-Beispiel dar. Hier findet sich sowohl für die Wasserversorgung als auch für die Abwasserbeseitigung jeweils ein zweistufiges Planungssystem. Tabelle 1 Planung der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen in Sachsen Wasserversorgung
Abwasserbeseitigung
überörtlich
Grundsätze für die Entwicklung der Grundsätze für die Abwasserbeseitigung (§ 49 II SächsWG) öffentlichen Wasserversorgung (§ 42 II SächsWG)
örtlich
Wasserversorgungskonzept (§ 43 I 3 SächsWG)
Abwasserbeseitigungskonzepte (§ 51 SächsWG)
Quelle: eigene Erstellung.
In der nachfolgenden Tabelle 2 wird übersichtsartig dargestellt, welche Planungsinstrumente in den Bundesländern jeweils vorgesehen sind. Eine gewisse Ungenauigkeit ist hierbei nicht zu vermeiden, da die schematische Darstellung nicht alle inhaltlichen Abstufungen enthalten kann. Eine Analyse der verschiedenen Planungsinstrumente zeigt, dass die eingangs definierten Anforderungen an die Pläne, von einzelnen Ausnahmen jeweils abgesehen, fast durchgängig nicht erfüllt wurden. So unterliegen zwar alle Pläne nach allgemeinen Grundsätzen dem Abwägungsgebot.75 Die Integration von Gesichtspunkten, die außerhalb des Bereichs der siedlungswasserwirtschaftlichen Belange liegen, ist aber nur in Ausnahmefällen besonders gefordert.76 Auch der Klimawandel und die deWasserversorgung und Abwasserbeseitigung auf bestimmten Ebenen jeweils vollständig abbilden kann. Das zeigt sich auch daran, dass etwa im Hinblick auf den zitierten § 74 Abs. 3 Nr. 2 BWBO vertreten wird, dieser könne nur im Zusammenhang mit baulichen Aktivitäten, und zwar Neubaumaßnahmen zum Tragen kommen [Sauter (2012), § 74 Rn. 104]. Insofern ist der Anwendungsbereich nicht weit genug, um die Herstellung etwa eines Niederschlagswasserbeseitigungssystems zu tragen. 75 Siehe oben III. 1.
418
Martin Wickel Tabelle 2 Übersicht über die Planungsinstrumente der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen in den Bundesländern Wasserversorgung
Abwasserbeseitigung
Wasserversorgungs- Wasserversorgungsplan konzept
Abwasserbeseitigungsplan
Abwasserbeseitigungskonzept
BW
–
–
–
VwV
BY
–
–
–
Art. 34 II 2 BayWG
BE
–
–
–
–
BB
§ 63 I BbgWG
–
–
§ 66 I 4 BbgWG
HB
–
–
–
–
HH
–
–
§ 3 I HmbAbwG
–
HE
–
–
–
(VwV)
MV
–
–
–
(VwV)
N
–
–
–
Rspr
§ 50a NWWG (Wasserversorgungsbericht)
–
–
§ 53 I 2 Nr. 7 NWWG
RP
§ 50 I RPWG
–
§ 60 RPWG
§ 52 V 2 RPWG
SL
–
–
§ 42 I SaarWG
–
SN
§ 42 II SächsWG (Grundsätze)
§ 43 I 3SächsWG
§ 49 II SächsWG (Grundsätze)
§ 51 SächsWG
ST
–
–
§ 80 I 1 SanhWG
§ 79 SanhWG
NW
SH
–
–
–
§ 31 I SHWG
TH
–
–
–
§ 58a I ThürWG
Quelle: eigene Erstellung.
mographische Entwicklung finden in der Regel keine besondere Hervorhebung.77 Ebenso wirken die Planungsinstrumente zumeist nicht auf eine besondere Förderung alternativer oder dezentraler Wasserversorgungs- oder Abwasserbeseitigungs76 Ein Beispiel bietet § 51 Abs. 1 S. 2 SächsWG: [Bei der Aufstellung von Abwasserbeseitigungskonzepten] „sind die Grundsätze nach § 49 Abs. 2, der Bewirtschaftungsplan nach § 83 WHG und das Maßnahmenprogramm nach § 82 WHG, sonstige Planungsunterlagen, der Gewässerschutz, die demografische Entwicklung und die Begrenzung der Kosten für die Abwassererzeuger insgesamt zu berücksichtigen.“ 77 Ein Beispiel für eine Berücksichtigung bietet § 66 Abs. 1 S. 6 BbgWG: [Das Abwasserbeseitigungskonzept] „soll Kriterien der Nachhaltigkeit und die zu erwartende demografische Entwicklung berücksichtigen.“
Planung als Instrument der besseren Vernetzung
419
modelle hin.78 Auch die Koordination mit der Stadtplanung ist in der Regel nicht besonders hervorgehoben.79 Und schließlich ist auch die Beteiligung der relevanten Akteure, wenn überhaupt, nur unvollständig gewährleistet.80 Alle Pläne müssen die Frage nach der Bindungswirkung beantworten. Für die vorgelagerten, überörtlichen Pläne stellt sich vor allem die Frage, welche Steuerungswirkung sie gegenüber nachgelagerten Planungsebenen, den örtlichen Plänen, erlangen können. Der klarste Weg ist hier die Verbindlicherklärung, die für den ehemals bundesrechtlich vorgesehenen Abwasserbeseitigungsplan gemäß § 18a Abs. 3 WHG a. F. vorgesehen war. Ein anderes Beispiel für die Schaffung einer Bindungswirkung bietet § 79 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 SanhWG, der den Verstoß gegen einen überörtlichen Abwasserbeseitigungsplan als einen Versagungsgrund für das örtliche Abwasserbeseitigungskonzept ausgestaltet. In vielen Bundesländern wird den übergeordneten Plänen hingegen keine besondere Bindungswirkung beigelegt. Einige Bundesländer haben auch ausdrücklich auf die Möglichkeit der Verbindlicherklärung verzichtet oder diese zurückgenommen.81 Dabei kann nicht angenommen werden, dass die übergeordneten Pläne ohne Steuerungswirkung bleiben. Zum einen stellen sie für die nachgelagerten Pläne eine Informationsbasis dar. Zum anderen sind die hier formulierten planerischen Ziele als Belange in der Abwägung bei der Erstellung der nachgelagerten Pläne zu berücksichtigen.82 Das impliziert aber auch die Möglichkeit der Überwindung dieser Ziele. Für die örtlichen Pläne stellt sich vor allem die Frage der Verbindlichkeit gegenüber den Bürgern. Das zentrale Instrument ist hier die Aufstellung von Satzungen. Einige Bundesländer regeln das Zusammenspiel von Abwasserbeseitigungskonzepten83 und örtlichen Satzungen vergleichsweise detailliert.84 Auch in anderen Bundesländern dürfte jedoch die Möglichkeit bestehen, den Inhalten des Abwasserbeseitigungskonzepts, die der Außenwirksamkeit bedürfen, diese durch Satzungsregelungen beizulegen. 78 Eine unterstützende Wirkung ergibt sich vor allem dann, wenn die Abwasserbeseitigungskonzepte die Übertragung der Abwasserbeseitigungspflicht vorsehen. Die Adressaten dieser Übertragungen werden in der Regel alternative oder dezentrale Systeme nutzen. Ein Beispiel bietet § 31 Abs. 1 SHWG. 79 Hier kann sich eine – zumindest – formale Integration der planerischen Festlegungen in die Bebauungspläne begünstigend auswirken. Eine solche ist beispielsweise gemäß § 51a Abs. 2 NWWG für das Niederschlagswasserbeseitigungskonzept eröffnet. 80 Eine tabellarische Übersicht, die die Erfüllung der verschiedenen Kriterien für die örtlichen Abwasserbeseitigungskonzepte, das am weitesten verbreiteten Planungsinstrument, aufschlüsselt, findet sich unter III. 3. e). 81 Vgl. bspw. die Gesetzesbegründung zu § 63 BbgWG, LT-Drs. Bbg 4 / 5052, wonach die früher bestehende Möglichkeit der Verbindlicherklärung des Wasserversorgungsplans aus Gründen der Deregulierung ausdrücklich zurückgenommen wurde. 82 Vgl. Gierke (2013), § 9 Rn. 268. 83 Ein örtliches Planungsinstrument für siedlungswasserwirtschaftliche Infrastrukturen im Bereich der Wasserversorgung besteht nur in Sachsen, siehe unten III. 3. c). 84 Vgl. z. B. § 51a Abs. 2 S. 1 NWWG.
420
Martin Wickel
Insgesamt zeigt sich, dass die Planungsinstrumente im Bereich der Wasserversorgung bei weitem nicht so gut ausgebildet sind wie im Bereich der Abwasserbeseitigung.85 Über die Gründe hierfür kann an dieser Stelle nicht abschließend befunden werden. Naheliegend erscheint die Annahme, dass die Planung der Wasserversorgung herkömmlicherweise weniger Optionen eröffnet als die Planung der Abwasserbeseitigung. Die Qualitätsanforderungen an das Trinkwasser verlangen in der Regel ein System zentraler Aufbereitung und Verteilung. In der Bundesrepublik stehen weitgehend flächendeckend ausreichende Wasserressourcen zur Verfügung. Aber auch hier dürften sich in Zukunft Veränderungen der Rahmenbedingungen ergeben. So kann es – verstärkt durch den Klimawandel – zu absinkenden Grundwasserständen kommen. Damit stehen weniger Ressourcen zur Verfügung, die gegebenenfalls anders verteilt werden müssen. Hier liegt der Einsatz eines Planungsinstrumentariums nahe.
b) Überörtliche Wasserversorgungsplanung Ein Beispiel für ein überörtliches Planungsinstrument im Bereich der Wasserversorgung ist der Wasserversorgungsplan nach § 63 BbgWG.86 Gemäß § 63 Abs. 1 BbgWG stellt das Wasserwirtschaftsamt einen flächendeckenden Plan auf, der Möglichkeiten zur Sicherstellung der öffentlichen Wasserversorgung ausweist. Der Plan soll insbesondere dem Zweck dienen, einen Ausgleich zwischen Wasserüberschuss- und Wassermangelgebieten herbeizuführen. Zur äußeren Form gibt die Regelung vor, dass der Plan aus zeichnerischen und textlichen Darstellungen besteht. Er kann in räumlichen und sachlichen Teilabschnitten aufgestellt werden. Für das Verfahren gibt § 63 Abs. 1 S. 1 BbgWG vor, dass die Gemeinden, die Träger öffentlicher Belange und betroffene Behörden zu beteiligen sind.87 Als Inhalte gibt § 63 Abs. 2 BbgWG die Ausweisung der Wassergewinnungsgebiete mit ihrem Wasserdargebot, die Versorgungsräume und deren Zuordnung zueinander sowie die Schutzzonen der Wasserschutzgebiete und einzelne erforderliche Maßnahmen vor. Die Bindungswirkung des Wasserversorgungsplans ist beschränkt. Die Möglichkeit der Verbindlicherklärung, die nach § 63 Abs. 3 BbgWG a. F. bestand, ist mit der Novelle des BbgWG 2008 aufgehoben worden.88 Die Bindungswirkung dürfte damit auf die Berücksichtigung der durch den Plan zum Ausdruck gebrachten Belange in nachfolgenden Ermessens- und Abwägungsentscheidungen beschränkt sein.89
Dazu sogleich. Die Regelung weist deutliche Parallelen zu § 50 RPWG auf. 87 Zur SUP-Pflicht siehe oben III. 1. 88 Vgl. dazu Gesetzesbegründung zu § 63 BgbWG, LT-Drs. Bbg 4 / 5052; des Weiteren Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg (2009), S. 11. 89 Vgl. Gierke (2013), § 9 Rn. 268. 85 86
Planung als Instrument der besseren Vernetzung
421
c) Örtliche Wasserversorgungsplanung Ein formelles Planungsinstrument für die Wasserversorgung auf örtlicher Ebene ist nur in Sachsen vorgesehen. Gemäß § 43 Abs. 1 S. 3 SächsWG haben die Träger der öffentlichen Wasserversorgung – gemäß § 43 Abs. 1 und 2 SächsWG in der Regel die Gemeinden, ausnahmsweise Verbände – ihr Wasserversorgungskonzept der zuständigen Wasserbehörde vorzulegen. Die Regelung setzt solche Konzepte somit voraus, ohne selbst Regelungen zu Inhalten, Verfahren oder Rechtsform aufzustellen. Die Wasserversorgungskonzepte entstehen somit auf informeller Grundlage. Da Sachsen auch über ein Instrument der überörtlichen Wasserversorgungsplanung verfügt, die Grundsätze für die Entwicklung der öffentlichen Wasserversorgung nach § 42 Abs. 2 SächsWG, ergibt sich hier insgesamt das Bild einer gestuften Planung.90 Für die Erstellung der Wasserversorgungskonzepte hat das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie Methodische Grundlagen herausgegeben.91 Diese verstehen sich als „Richtschnur“ für die Aufstellung und Fortschreibung der Wasserversorgungskonzepte, als „einheitliche Arbeitsgrundlage“ für die Aufgabenträger.92 In den Methodischen Grundlagen werden die Wasserversorgungskonzepte als „wesentliche Instrumente der konzeptionell-planerischen Arbeit“ bezeichnet. Zu berücksichtigen seien vor allem die örtlichen Gegebenheiten, das Verbrauchsverhalten, die demografische Entwicklung und die hydrologischen Verhältnisse. Weiterhin beinhalteten sie „Überlegungen zur technischen Auslegung und zum Betrieb der Wasserversorgungsanlagen und -systeme, zu Maßnahmen, zu Kosten für Bau, Unterhaltung und Betrieb und (…) zu den Wasserpreisen sowie anderen technischen und wirtschaftlichen Kriterien“.93 Die Fortschreibung der Wasserversorgungskonzepte soll der Präzisierung und Anpassung an sich verändernde Bedingungen dienen. Das umfasst vor allem die Entwicklung des Wasserbedarfs in verschiedenen Verbrauchergruppen. Es seien Strategien zu entwickeln, „um in Zukunft die Wasserversorgung unter wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Aspekten zu gewährleisten“. Hingewiesen wird ausdrücklich auch auf die demografische Entwicklung mit regional drastischem Bevölkerungsrückgang und den Klimawandel mit möglichen extremen wasserwirtschaftlichen Verhältnissen. Der Planungszeitraum erstreckt sich über etwa 10 Jahre bis zum Jahr 2020.94 Die Wasserversorgungskonzepte dienen vor allem der Koordinierung der Träger der öffentlichen 90 Dies wird auch durch die Grundsätze bestätigt, wenn dort festgestellt wird, diese seien von den Trägern der öffentlichen Wasserversorgung bei ihren wasserwirtschaftlichen Planungen, insbesondere bei der Erstellung der Wasserversorgungskonzepte zu berücksichtigen, Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft des Freistaates Sachsen (2012), S. 11. 91 Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie des Freistaates Sachsen (2009). 92 Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie des Freistaates Sachsen (2009), S. 4. 93 Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie des Freistaates Sachsen (2009), S. 4. 94 Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie des Freistaates Sachsen (2009), S. 6.
422
Martin Wickel
Wasserversorgung sowie der Aufsicht. Sie entfalten damit lediglich interne Bindungswirkung. Alle anderen Bundesländer verzichten auf die formelle Ausgestaltung der Wasserversorgungsplanung auf dieser Planungsebene. Gerade auf örtlicher Ebene können veränderte Rahmenbedingungen zukünftig aber auch einen höheren „Planungsdruck“ erzeugen. Eine langfristig bedarfsangepasste Versorgung erfordert etwa die Berücksichtigung der demografischen und technischen Entwicklungen, die zu Wassereinsparungen führen können. Gleichzeitig erfordern etwa Anforderungen der Brandbekämpfung eine ausreichende Dimensionierung der Wasserversorgung.95 Und schließlich ist davon auszugehen, dass überdimensionierte Wasserversorgungsanlagen im Durchschnitt höhere Kosten verursachen, die von den Nutzern getragen werden müssen. d) Überörtliche Abwasserbeseitigungsplanung Insgesamt fünf Bundesländer sehen einen Abwasserbeseitigungsplan vor. Dass im Bereich der Abwasserbeseitigung ein überörtliches Planungsinstrument in den Landesgesetzen häufiger zu finden ist als im Bereich der Wasserversorgung, mag damit zusammenhängen, dass der Abwasserbeseitigungsplan früher in § 18a WHG a. F. vorgesehen war. Bei den Abwasserbeseitigungsplänen handelt es sich in der Regel um einen landesweiten, also überörtlichen Plan, der sich demgemäß auf allgemeine Grundsätze und überörtliche Aspekte beschränken kann.96 Als Beispiel für die Flächenbundesländer kann § 80 Abs. 1 S. 2 SanhWG herangezogen werden. Hier werden vergleichsweise detailliert Festlegungen über die Standorte für bedeutsame Abwasserbehandlungsanlagen und ihre Einzugsbereiche, Grundzüge der Abwasserbehandlung, die Gewässer, in die eingeleitet werden soll, sowie die Träger der Maßnahmen beispielhaft als mögliche Inhalte genannt. § 80 Abs. 2 SanhWG regelt formelle Anforderungen. § 80 Abs. 2 S. 1 und 2 SanhWG enthält Beteiligungsregelungen unter anderem für Körperschaften, Verbände, Vereinigungen und Behörden. Gemäß § 80 Abs. 2 S. 3 SanhWG sind die Abwasserbeseitigungspläne im Amtsblatt zu veröffentlichen. Die früher gemäß § 153 Abs. 3 SanhWG a. F. bestehende Möglichkeit, Festlegungen eines Abwasserbeseitigungsplans durch Rechtsverordnung für verbindlich zu erklären, besteht nicht mehr.
e) Örtliche Abwasserbeseitigungsplanung Die örtliche Planung der Abwasserbeseitigung ist von den hier betrachteten Planungsinstrumenten am weitesten verbreitet. Insgesamt zeigt sich, dass in neun BunVgl. dazu OVG Lüneburg, Beschl. v. 22. 10. 2003 – 1 MN 123 / 03 –, juris Rn. 11 f. In Hamburg hat der Abwasserbeseitigungsplan eine darüber hinausgehende Sonderrolle, da die landesweite Ebene mit der örtlichen identisch ist. 95 96
Planung als Instrument der besseren Vernetzung
423
desländern eine entsprechende Planung durch Gesetz oder Verwaltungsvorschrift vorgesehen ist. Aber auch in Bundesländern, die dieses Instrument nicht in der genannten Form instrumentalisiert haben, dürften Abwasserbeseitigungskonzepte auf informeller Ebene zur Anwendung kommen. Als Beleg dafür mag die Rechtsprechung des OVG Lüneburg dienen, die in bestimmten Konstellationen Abwasserbeseitigungskonzepte verlangt97 und auch Anforderungen an diese formuliert,98 ohne dass – soweit ersichtlich – das niedersächsische Landesrecht diese überhaupt formal vorsehen würde. Die Abwasserbeseitigungskonzepte dienen fast ausschließlich der internen Steuerung der gemeindlichen Planungen. Zugleich dienen sie in vielen Fällen als Instrument der Aufsicht. Außenwirkung gegenüber Dritten, wie etwa Grundstückseigentümern erlangen sie durchgängig nicht. Einige Wassergesetze sehen jedoch eine Verknüpfung mit Satzungen vor.99 Vereinzelt sehen die Wassergesetze auch vor, dass Elemente der Abwasserbeseitigungsplanung, die in Satzungen festgesetzt werden können, unter Nutzung der Öffnungsklausel des § 9 Abs. 4 BauGB auch in den Bebauungsplan integriert werden.100 Hierbei handelt es sich aber lediglich um eine formale Integration, die der Übersichtlichkeit des Planwerks dient. 101 Eine integrierte Planung im Sinne einer echten Verschmelzung der Pläne erfolgt nach wohl herrschender Meinung nicht.102 Dies dürfte sich schon daraus ergeben, dass die Länder die Geltung der Vorschriften des BauGB – verfahrensrechtliche Regelungen, materiell-rechtliche Anforderungen, Planerhaltungsvorschriften – durchaus selektiv anordnen können. Die auf Landesrecht beruhenden Festsetzungen unterliegen damit unter Umständen anderen rechtlichen Anforderungen und können beim Vorliegen von Fehlern ein anderes rechtliches Schicksal erleiden als die originär im Bauplanungsrecht wurzelnden Festsetzungen.103 Allerdings kann auch die lediglich formale Integration positive Effekte nach sich ziehen, insbesondere wenn auch die Geltung der verfahrensrechtlichen Regelungen der Bauleitplanung angeordnet wird. Weiterhin kann angenommen werden, dass die Aufnahme in ein einheitliches Planwerk auch die Koordination der Planungen begünstigt. Die nachfolgende Tabelle 3 bietet einen Überblick über die örtliche Abwasserbeseitigungsplanung in den Ländern. Bezüglich verschiedener Kategorien (Integration, Klimawandel, demografischer Wandel, alternative Konzepte, Koordinierung mit der Stadtplanung und Beteiligung) wird eine – grobe – Tendenzaussage getroffen.
OVG Lüneburg, Beschl. v. 03. 04. 1997 – 9 L 179 / 96 –, juris Rn. 2. OVG Lüneburg, Beschl. v. 22. 01. 1997 – 9 L 4525 / 95 –, juris Rn. 4. 99 Vgl. z. B. § 51a Abs. 2 S. 1 NWWG; § 51 Abs. 4 RPWG. 100 Vgl. z. B. § 54 Abs. 4 S. 3 BbgWG; § 51a Abs. 2 S. 2 NWWG. 101 Vgl. Gierke (2013), § 9 Rn. 550, 593. 102 Vgl. Gierke (2013), § 9 Rn. 593, mit Nachweisen auch für die Gegenauffassung. 103 Vgl. Gierke (2013), § 9 Rn. 594. 97 98
Keine Abwasserbeseitigungskonzepte vorgesehen, der Abwasserbeseitigungsplan übernimmt aber Funktionen, die sonst auf der örtlichen Planungsebene zu finden sind.
Abwasserbeseitigungskonzepte sind nicht vorgesehen. Entsprechende Planungen werden jedoch implizit vorausgesetzt.
Abwasserbeseitigungskonzepte sind nicht vorgesehen. Entsprechende Planungen werden jedoch implizit vorausgesetzt.
Abwasserbeseitigungskonzepte sind nicht vorgesehen, werden unter bestimmten Bedingungen jedoch von der Rechtsprechung verlangt.
HH
HE
MV
N
+
Keine Abwasserbeseitigungskonzepte vorgesehen.
5
HB
umfassend
+
++
+
+
○
○
§ 66 I 4 BbgWG
○
BB
+
keine Abwasserbeseitigungskonzepte vorgesehen.
○
BE
○
○
○
○
Beteiligung
nur bei dezentraler Beseitigung erforderlich
+
Koordinierung mit SP
Art. 34 II 2 BayWG
○
alternative Konzepte
BY
○
demografiKlimawandel scher Wandel
○
integrierte Planung
VwV
Fortschreibung (Jahre)
BW
Inhalt
nur bei dezentraler Beseitigung erforderlich / nur häusliches Abwasser
Grundlage
Örtliche Abwasserbeseitigungsplanung104
Tabelle 3
424 Martin Wickel
§ 31 I SHWG
§ 58a I ThürWG
SH
TH
104
umfassend
umfassend
umfassend
6
regelmäßig
5
○
○
○
○
○
○
○
○
○
○
++
○
+
○
+
○
○
○
○
+
○
+
+
Eine Bewertung mit (+), wenn das Merkmal über das normale Maß hinaus erfüllt ist. Die Bewertung (++) signalisiert, dass das Merkmal in besonderer Weise erfüllt ist.
Quelle: eigene Erstellung.
§ 79 SanhWG
++
○
partielle Integr. in BPlan
ST
umfassend
○
§ 51 SächsWG
○
SN
○
○
partielle Integr. in BPlan
kein Abwasserbeseitigungskonzept vorgesehen, aber Regelungen zur dezentralen Beseitigung des Niederschlagswassers in Satzung
○
○
SL
○
○
umfassend
○
§ 52 V 2 RPWG
+
RP
6
umfassend
§ 53 I 2 Nr. 7 NWWG
NW
Planung als Instrument der besseren Vernetzung 425
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IV. Siedlungswasserwirtschaftliche Planung im Rahmen der Gesamtplanungen 1. Bauleitplanung a) Anforderungen an eine siedlungswasserwirtschaftliche Infrastrukturplanung Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung sind schwerpunktmäßig kommunale Aufgaben.105 Demgemäß müssen den Kommunen leistungsfähige Planungsinstrumente bereitgestellt werden. Wie gesehen genügen die siedlungswasserwirtschaftlichen Planungsinstrumente diesen Anforderungen zumeist nicht. Es stellt sich jedoch die Frage, ob nicht auch andere Planungsinstrumente die Aufgabe der siedlungswasserwirtschaftlichen Planung erfüllen können. Der Blick kann hier auch auf die Bauleitplanung gerichtet werden. Das BauGB hält in Form der Bauleitplanung ein hoch entwickeltes zweistufiges kommunales Planungsinstrumentarium bereit. Zunächst stellt sich die Frage, ob die Bauleitplanung auch den oben definierten Anforderungen an eine siedlungswasserwirtschaftliche Infrastrukturplanung genügen würde. aa) Integrierte, langfristige Planung Die Bauleitplanung ist geprägt durch die planerische Gestaltungsfreiheit. Diese ermöglicht den Gemeinden eine umfassend integrierende Planung der städtebaulichen Entwicklung, rechtlich begleitet durch das Abwägungsgebot, das eine angemessene Berücksichtigung aller relevanten Belange fordert.106 Allerdings geht die integrierende Wirkung des Abwägungsgebots im Grunde nicht über die der vorhandenen siedlungswasserwirtschaftlichen Planungen hinaus. Denn wie gesehen sind die Anforderungen des Abwägungsgebots auch dort anwendbar.107 Die integrierende Wirkung einer Planung wird durch eine Normierung der zu berücksichtigenden Belange unterstützt. Auch in diesem Sinne sind die verschiedenen Regelungen des BauGB, die Abwägungsbelange ausdrücklich benennen, zu verstehen. Durch die Benennung des Belangs unterstreicht der Gesetzgeber dessen Bedeutung und fördert seine Verwirklichung durch die Integration in die planerische Entscheidung. Diese Funktion hat der Gesetzgeber des BauGB insbesondere durch die umfängliche Aufzählung von Zielvorgaben (§ 1 Abs. 5 BauGB) und Abwägungsbelangen in §§ 1 Abs. 6, 1a BauGB für die Bauleitplanung stark ausgebaut. 108 105 Laskowski / Ziehm (2010), Rn. 90, 96; Czychowski / Reinhardt (2003), § 50 Rn. 11. Kotulla (2011), § 50 Rn. 5 und § 56 Rn. 9. Vgl. auch Kluge / Scheele (2008), S. 143, mit Hinweis auf die „technisch-ökonomischen“ Besonderheiten. Siehe dazu auch unten V. 1. 106 Dazu oben II. 1. d) bb). Vgl. Wickel (2013), Rn. 135 ff., m. w. N. 107 Dazu oben III. 1. 108 Wickel (2013), Rn. 145.
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bb) Berücksichtigung des Klimawandels und der demografischen Entwicklung In dieser Weise werden auch die Belange des Klimawandels und der demografischen Entwicklung in der Bauleitplanung abgebildet. Zunächst findet der Klimawandel in § 1 Abs. 5 S. 2 BauGB Berücksichtigung. Danach sollen die Bauleitpläne dazu beitragen, den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere auch in der Stadtentwicklung, zu fördern. § 1a Abs. 5 BauGB konkretisiert dies dahin gehend, dass den Erfordernissen des Klimaschutzes sowohl durch Maßnahmen der Mitigation als auch der Adaption Rechnung getragen werden soll. Dies geschieht gemäß § 1a Abs. 5 S. 2 BauGB im Rahmen der planerischen Abwägung. Auch die Bevölkerungsentwicklung gehört durch ihre Nennung in § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB zu den ausdrücklich zu berücksichtigenden Belangen. cc) Information und Beteiligung der relevanten Akteure Die Information und Beteiligung der relevanten Akteure ist in der Bauleitplanung in besonderer Weise gewährleistet, vor allem durch die jeweils zweistufige Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange in den §§ 3 – 4a BauGB. b) Siedlungswasserwirtschaftliche Planung durch Bauleitplanung Es kann also festgestellt werden, dass die Bauleitplanung die grundlegenden Anforderungen, die an ein siedlungswasserwirtschaftliches Planungssystem zu stellen wären, erfüllt. Im nächsten Schritt ist deshalb die Frage zu beantworten, auch in der Lage wäre, siedlungswasserwirtschaftliche Inhalte abzubilden. aa) Konkrete Darstellungs- und Festsetzungsmöglichkeiten Die Möglichkeiten zur Steuerung der siedlungswasserwirtschaftlichen Entwicklung, die die Bauleitplanung bietet, lassen sich am besten anhand der Darstellungsund Festsetzungsmöglichkeiten für Flächennutzungs- und Bebauungspläne aufzeigen. (1) Darstellungsmöglichkeiten im Flächennutzungsplan Gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 BauGB ist im „Flächennutzungsplan (…) für das ganze Gemeindegebiet die sich aus der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung ergebende Art der Bodennutzung nach den voraussehbaren Bedürfnissen der Gemeinde in den Grundzügen darzustellen“. Der Flächennutzungsplan muss als Mindestanforderung somit ein gesamträumliches Entwicklungskonzept für das Gemeindegebiet
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enthalten. Andererseits ist der planerische Detaillierungsgrad durch die Maßgabe, dass der Flächennutzungsplan über die Grundzüge nicht hinausgehen kann, also keine Einzelheiten der Bodennutzung dargestellt werden dürfen, beschränkt.109 Allerdings kann der Detaillierungsgrad durchaus schwanken. Einzelne ins Detail gehende Darstellungen sind nicht ausgeschlossen. Die Begrenzung auf die Grundzüge bedeutet keine starren Vorgaben bezüglich Inhalt, Regelungstiefe oder Parzellenschärfe. Dementsprechend kommen auch parzellenscharfe Darstellungen in Betracht.110 Die wesentlichen Darstellungsmöglichkeiten sind in § 5 Abs. 2 BauGB aufgezählt, wobei die Aufzählung nicht abschließend ist, weitere Darstellungen also denkbar sind. Die zentrale Darstellungsmöglichkeit für den Bereich der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen ergibt sich zunächst aus § 5 Abs. 2 Nr. 4 BauGB. Hiernach können die Gemeinden unter anderem Flächen für die Versorgungsanlagen und die Abwasserbeseitigung sowie Hauptversorgungs- und Hauptabwasserleitungen vorsehen. Im Bereich der Wasserversorgung umfasst die Darstellungsmöglichkeit beispielsweise Flächen für Wasserwerke, Wasserspeicher, Pumpstationen, Druckerhöhungsanlagen und Wasserhauptleitungen.111 Für die Abwasserbeseitigung werden als Beispiele Flächen für Kläranlagen, für offene und gedeckte Abwasser- und Regenwasserrückhaltebecken, für Abwasserpumpwerke und Abwasserhebewerke, für Abwasserverregnungs- und Abwasserverrieselungsanlagen und für die Hauptabwasserleitungen genannt.112 Insbesondere die Bezugnahme auf die Hauptwasser- und Hauptabwasserleitungen zeigt, dass der Flächennutzungsplan kein Instrumentarium für eine kleinteilige Wasserversorgungs- oder Abwasserbeseitigungsplanung bereithält. Im Mittelpunkt stehen die Infrastruktureinrichtungen von gesamtstädtischer Bedeutung. Es bedarf in jedem Fall noch einer Detailplanung, die quartiers- und grundstücksbezogen das jeweilige Konzept ausfüllt. Dies entspricht der im BauGB angelegten Arbeitsteilung zwischen den Bauleitplänen. Entsprechend sieht § 9 Abs. 1 Nrn. 12 – 14 BauGB für Bebauungspläne unter anderem die Möglichkeit der Festsetzung von (Wasser-)Versorgungsflächen, Leitungsführung und Flächen für die Abwasserbeseitigung vor. Weiter ist zu beachten, dass es nicht um die Ausstattung der Gemeinde mit entsprechenden Anlagen geht. Die Funktion des Flächennutzungsplans beschränkt sich insoweit auf die Reservierung der Flächen. Neben der Darstellungsmöglichkeit des § 5 Abs. 2 Nr. 4 BauGB besteht eine Reihe weiterer Darstellungsmöglichkeiten, die im Rahmen der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung nutzbar gemacht werden können. Hierzu zählt etwa § 5 Abs. 2 Nr. 7 BauGB, der unter anderem die Darstellung von Wasserflächen und für
109 110 111 112
BVerwG, Urt. v. 18.08.2005 – 4 C 13 / 05 –, BVerwGE 124, 132, 137. BVerwG, Urt. v. 18.08.2005 – 4 C 13 / 05 –, BVerwGE 124, 132, 138. Söfker (2013), § 5 Rn. 31. So Gierke (2013), § 5 Rn. 165.
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die Wasserwirtschaft vorgesehene Flächen sowie Flächen, die im Interesse des Hochwasserschutzes und der Regelung des Wasserabflusses frei zu halten sind, vorsieht. Bezüglich der Wasserflächen wird zwar festgestellt, dass hierzu nicht die Anlagen der Abwasserbeseitigung gehören.113 Das schließt jedoch nicht aus, dass diesen Flächen insbesondere im Rahmen eines dezentralen Abwasserbeseitigungskonzepts eine Funktion zukommt. Eine strikte Abgrenzung der Darstellungsmöglichkeiten des § 5 Abs. 2 Nr. 4 BauGB einerseits und des § 5 Abs. 2 Nr. 7 BauGB andererseits114 erscheint zu weitgehend. Als Beispiele für die Freihaltung von Flächen zur Regelung des Wasserabflusses werden beispielsweise auch Gräben, Kanäle, Vorfluter, Überschwemmungsgebiete und Retentionsflächen genannt.115 Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 10 BauGB können Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft dargestellt werden.116 Als Elemente einer siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturplanung sind auch Darstellungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. c BauGB vorstellbar. Hiernach kann die Ausstattung des Gemeindegebiets mit Anlagen, Einrichtungen und sonstigen Maßnahmen, die der Anpassung an den Klimawandel dienen, dargestellt werden. Der Klimawandel kann sowohl die Wasserversorgung (z. B. Trockenperioden) als auch die Abwasserbeseitigung (z. B. Starkregenereignisse) betreffen. Als Beispiele für Anlagen zur Bewältigung von Starkregenereignissen werden etwa Wasserrückhaltebecken oder Retentionsflächen genannt.117 Weiterhin ist § 5 Abs. 2 Nr. 5 BauGB zu nennen, der die Darstellung von Grünflächen vorsieht. Grünflächen können insbesondere im Rahmen eines dezentralen Niederschlagswasserbeseitigungsmodells eine wesentliche Rolle spielen.118 Der Katalog des § 5 Abs. 2 BauGB enthält des Weiteren in § 5 Abs. 2 Nr. 1 Hs. 2 BauGB eine konkrete Bezugnahme auf die Abwasserbeseitigung. Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 Hs. 2 BauGB sind Bauflächen, für die eine zentrale Abwasserbeseitigung nicht vorgesehen ist, zu kennzeichnen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Darstellungsmöglichkeit, sondern um eine Kennzeichnungspflicht, die systematisch in den Kontext des § 5 Abs. 3 BauGB gehört. Die Vorschrift verlangt somit nicht, dass der Flächennutzungsplan ein Abwasserbeseitigungskonzept schafft. Ein solches wird vielmehr vorausgesetzt. Durch die Kennzeichnung nimmt der Flächennutzungsplan hierauf lediglich Bezug. Demgemäß ist vor der Darstellung einer BauGaentzsch / Philipp (2012), § 5 Rn. 35. In diese Richtung offenbar Jaeger (2013), § 5 Rn. 57 f.; ebenso Löhr (2009), § 5 Rn. 26; Söfker (2013), § 5 Rn. 48. 115 Gaentzsch / Philipp (2012), § 5 Rn. 35. 116 Zur Möglichkeit mit der parallelen Festsetzungsmöglichkeit des § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB ein Muldensystem zur Rückführung von Niederschlagswasser festzusetzen, BVerwG, Urt. v. 30.08.2001 – 4 CN 9 / 00 –, BVerwGE 115, 77, 80 f. 117 Gierke (2013), § 5 Rn. 155 f. 118 Zur parallelen Festsetzungsmöglichkeit nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB im Rahmen eines dezentralen Abwasserbeseitigungskonzepts BVerwG, Urt. v. 30.08.2001 – 4 CN 9 / 00 –, BVerwGE 115, 77, 80 f. 113 114
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fläche im Flächennutzungsplan zu prüfen, in welcher Weise die Abwasserbeseitigung erfolgen soll.119 Dabei müssen die Details einer dezentralen Entwässerungskonzeption nicht feststehen. Es reicht vielmehr aus, wenn gemäß allgemeiner Prognosegrundsätze angenommen werden kann, dass eine geordnete Abwasserbeseitigung möglich sein wird.120 Tabelle 4 Darstellungsmöglichkeiten in Flächennutzungsplänen § 5 II
Wasserversorgung
Abwasserbeseitigung
Nr. 4
Flächen für Versorgungsanlagen und Hauptversorgungsleitungen
Flächen für Abwasserbeseitigungsanlagen und Hauptabwasserleitungen
Nr. 7
Wasserflächen, Flächen für Wasserwirtschaft, frei zu haltende Flächen (Hochwasserschutz, Wasserabfluss)
Nr. 10
Schutz, Pflege, Entwicklung von Boden, Natur, Landschaft
Nr. 2 c
Maßnahmen zur Anpassung an Klimawandel
Nr. 5
Grünflächen
Nr. 1 Hs. 2
Kennzeichnung der Bauflächen mit dezentraler Abwasserbeseitigung
Quelle: eigene Erstellung.
(2) Festsetzungsmöglichkeiten im Bebauungsplan Für die Schaffung zentraler Systeme sowohl der Wasserversorgung als auch der Abwasserbeseitigung kann § 9 Abs. 1 Nr. 13 BauGB eine Grundlage bilden. Diese Festsetzungsmöglichkeit umfasst die Führung von oberirdischen und unterirdischen Versorgungsanlagen und -leitungen.121 Über den Wortlaut („Versorgung“) hinaus, wird in der Literatur angenommen, dies umfasse auch Abwasserbeseitigungsanlagen, da für diese eine andere Festsetzungsmöglichkeit nicht bestehe.122 Der Begriff der Führung bezieht sich auch auf die Anlagen, was bedeutet, dass auch diese in einem weiteren Sinne Leitungscharakter haben müssen.123 Soll eine
Vgl. hierzu Schrödter (2006), § 5 Rn. 23. Söfker (2013), § 5 Rn. 23. 121 Zur Möglichkeit eine Leitung nach § 9 Abs. 1 Nr. 10 BauGB zu sichern BVerwG, Beschl. v. 08.12.2010 – 4 BN 24 / 10 –, BauR 2011, 803 Rn. 3. 122 Löhr (2009), § 9 Rn. 54; Schrödter, § 9 Rn. 69. 123 Löhr (2009), § 9 Rn. 52, der vertritt, dass dies auch Pumpstationen umfasst, § 9 Rn. 56; ähnlich Söfker (2013), § 9 Rn. 114; Gaentzsch (2012), § 9 Rn. 39. 119
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flächenmäßige Inanspruchnahme erfolgen, besteht im Bereich der Wasserversorgung die Festsetzungsmöglichkeit nach § 9 Abs. 1 Nr. 12 BauGB, wonach Versorgungsflächen ausgewiesen werden können. Damit ergibt sich im Bereich der Wasserversorgung eine Festsetzung etwa der Flächen für Wasserwerke oder Wasserspeicher nach § 9 Abs. 1 Nr. 12 BauGB, während die erforderlichen Leitungen sowie etwa Pumpstationen124 auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 13 BauGB in den Plan aufgenommen werden können. Im Bereich der Abwasserbeseitigung steht für die flächenmäßige Inanspruchnahme die Festsetzungsmöglichkeit nach § 9 Abs. 1 Nr. 14 BauGB zur Verfügung. Hiernach können Flächen für die Abwasserbeseitigung ausgewiesen werden. Das umfasst im Rahmen eines zentralen Abwasserbeseitigungsmodells etwa Kläranlagen. Bei der Festsetzung eines dezentralen Systems der Abwasserbeseitigung kommt ebenfalls zunächst § 9 Abs. 1 Nr. 14 BauGB in Betracht, der auch die Festsetzung von Flächen125 für die Rückhaltung und Versickerung von Niederschlagswasser umfasst. Ein Beispiel für die Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 14 BauGB ist die Festsetzung eines Grünstreifens zur Rückhaltung und Versickerung von Niederschlagswasser.126 § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB erlaubt die Festsetzung von „Flächen oder Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft“. Soweit sich ein Element eines Entwässerungskonzepts als Maßnahme zum Schutz der Natur darstellt, ist es damit einer Festsetzung im Bebauungsplan zugänglich.127 Neben die Festsetzungen, die für die Abwasserbeseitigungsanlagen unmittelbar erforderlich sind, tritt eine ganze Reihe von Festsetzungen, die auf die Abwasserbeseitigung mittelbaren Einfluss haben. Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 16 BauGB können Wasserflächen festgesetzt werden, Flächen für die Wasserwirtschaft, für Hochwasserschutzanlagen und für die Regelung des Wasserabflusses. Die festgesetzten Wasserflächen können insbesondere im Rahmen eines dezentralen Niederschlagwasserbeseitigungskonzepts eine Funktion erfüllen. Gleiches gilt für Flächen zur Regelung des Wasserabflusses. Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 16 BauGB sind abzugrenzen von Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 14 BauGB.128 Wie gesehen betreffen diese Flächen für die Abwasserbeseitigung, einschließlich der Rückhaltung und Versickerung von Niederschlagswasser. Hier wird auf den primären Zweck der Festsetzung abzustellen sein. Zielt diese ausschließlich auf die Abwasserbeseitigung, kommt § 9 Abs. 1 Nr. 14 BauGB zum Tragen. Erfüllt das Gewässer hingegen mehrere Zwecke, erscheint es angemessen, auf § 9 Abs. 1 Nr. 16 BauGB zurückzugreiZu diesem Aspekt Löhr (2009), § 9 Rn. 52. Eine entsprechende Nutzung der Fläche kann damit nicht vorgegeben werden. BVerwG, Urt. v. 30.08.2001 – 4 CN 9 / 00 –, BVerwGE 115, 77, 81; Gaentzsch (2012), § 9 Rn. 40; Gierke (2013), § 9 Rn. 270. 126 BVerwG, Urt. v. 30.08.2001 – 4 CN 9 / 00 –, BVerwGE 115, 77, 82 f. 127 Vgl. BVerwG, Urt. v. 30.08.2001 – 4 CN 9 / 00 –, BVerwGE 115, 77, 80 f. 128 Söfker (2013), § 9 Rn. 134. 124 125
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fen, wobei es unschädlich sein dürfte, dass das Gewässer auch im Rahmen der Niederschlagsbeseitigung eine Funktion übernimmt.129 Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB können unter anderem Grünflächen festgesetzt werden, die auch im Rahmen eines dezentralen Niederschlagswasserbeseitigungskonzepts Bedeutung erlangen können.130 Das Gleiche gilt für Festsetzungen zu wasserspeichernden Bepflanzungen und der Erhaltung kleinerer Gewässer131 nach § 9 Abs. 1 Nr. 25 BauGB.132 Und schließlich kann die Festsetzungsmöglichkeit des § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB, wonach die mit Leitungsrechten zu belastenden Flächen festgesetzt werden können, die siedlungswasserwirtschaftliche Planung unterstützen.133 Im Übrigen können weitere Festsetzungsmöglichkeiten dazu beitragen, den Versiegelungsgrad gering zu halten und die Bebauungsstruktur im Sinne eines Niederschlagswasserbeseitigungskonzepts günstig zu beeinflussen. Tabelle 5 Festsetzungsmöglichkeiten im Bebauungsplan §9 I
Wasserversorgung
Abwasserbeseitigung
Nr. 13
Versorgungsanlagen und -leitungen „Versorgungs“-anlagen und -leitungen
Nr. 12
Versorgungsflächen
Nr. 14
Flächen für die Abwasserbeseitigung
Nr. 20
Flächen o. Maßnahmen für Schutz, Pflege, Entwicklung von Boden, Natur, Landschaft
Nr. 16
Wasserflächen, Flächen für Wasserwirtschaft und Regelung des Wasserabflusses
Nr. 15
Grünflächen
Nr. 25 a
Anpflanzungen
Nr. 25 b
Erhalt von Bepflanzungen und Gewässern
Nr. 21
Leitungsrechte
Leitungsrechte
Quelle: eigene Erstellung.
129 Restriktiver Spannowsky (2013), § 9 Rn. 67; Schrödter (2006), § 9 Rn. 79; Gierke (2013), § 9 Rn. 306. 130 BVerwG, Urt. v. 30.08.2001 – 4 CN 9 / 00 –, BVerwGE 115, 77, 80 ff. 131 Dazu Gaentzsch (2012), § 9 Rn. 65. 132 BVerwG, Urt. v. 21. 03. 2002 – 4 CN 14 / 00 –, BVerwGE 116, 144, 151; siehe auch Dickhaut / Andresen (o. J.), S. 63. 133 Ruf (1998), S. 471.
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bb) Grenzen der Bauleitplanung Betrachtet man allein die verschiedenen Darstellungs- und Festsetzungsmöglichkeiten, können wesentliche Elemente siedlungswasserwirtschaftlicher Infrastrukturen, insbesondere der Abwasserbeseitigungssysteme, im Wege der Bauleitplanung entwickelt werden. Damit die Bauleitplanung hierfür eine Grundlage bilden kann, müssen jedoch weitere Anforderungen an die Inhalte der Pläne erfüllt sein. (1) Städtebauliche Erforderlichkeit (§§ 1 Abs. 3, 9 Abs. 1 BauGB) Im Mittelpunkt steht die Anforderung des § 1 Abs. 3 BauGB, wonach die Inhalte von Bauleitplänen von einem städtebaulichen Erfordernis getragen sein müssen. § 9 Abs. 1 BauGB wiederholt die Anforderung, in dem er verlangt, dass Festsetzungen in Bebauungsplänen aus städtebaulichen Gründen erfolgen müssen. Die Bedeutung dieser Einschränkung lässt sich aus einer zentralen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ableiten. Das Bundesverwaltungsgericht hat in Bezug auf ein von § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB getragenes Muldensystem zur Reduzierung des abzuleitenden Regenwassers zwar das Vorliegen eines städtebaulichen Erfordernisses im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB anerkannt.134 Gleichzeitig wurde jedoch für eine Festsetzung, wonach zur Regenwasserrückführung gesammeltes Niederschlagswasser zur Gartenbewässerung oder im Haushalt (Trinkwassersubstitution) zu verwenden war, das Vorliegen eines städtebaulichen Grundes im Sinne des § 9 Abs. 1 BauGB verneint. Bei dem genannten Einsatz von Niederschlagswasser handele es sich nicht um eine Bodennutzung im Sinne des Städtebaurechts. Daneben fehlten auch sonstige städtebauliche Anknüpfungspunkte, wie etwa eine Qualifizierung als naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahme oder als schonende Inanspruchnahme von Grund und Boden.135 Das Erfordernis eines städtebaulichen Grundes gemäß § 9 Abs. 1 BauGB oder gleichbedeutend eines städtebaulichen Erfordernisses nach § 1 Abs. 3 BauGB schränkt mithin die Eignung der Bauleitplanung als Instrument zur Planung der Abwasserbeseitigung von vornherein ein. Zwar kommt es zu Überschneidungen, das heißt einzelne Elemente der Abwasserbeseitigung lassen sich auch in einem Bebauungsplan festsetzen. Die Planung der Abwasserbeseitigung verfolgt jedoch in jedem Fall primär siedlungswasserwirtschaftliche Zwecke. Eine solche Planung kann auch Festsetzungen erfordern, die keinen bodenrechtlichen Anknüpfungspunkt bieten. Die Planung eines Abwasserbeseitigungssystems auf diesem Wege wird damit in vielen Fällen lückenhaft bleiben. Dieser Gedanke lässt sich auch auf die Planung der Wasserversorgung übertragen. Diese „Lücke“ lässt sich wohl auch nicht durch die Anwendung des § 9 Abs. 4 BauGB schließen. Dieser ermöglicht den Ländern zu bestimmen, dass auf Landes134 135
BVerwG, Urt. v. 30.08.2001 – 4 CN 9 / 00 –, BVerwGE 115, 77, 81. BVerwG, Urt. v. 30.08.2001 – 4 CN 9 / 00 –, BVerwGE 115, 77, 83.
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recht beruhende Regelungen in Bebauungspläne als Festsetzungen aufgenommen werden können. Dies dient zum einen der Übersichtlichkeit des Planwerks.136 Zum anderen dürfte dies auch eine Koordination der Planungen miteinander begünstigen. Dementsprechend sehen einige Bundesländer vor, dass einzelne Elemente ihrer Abwasserbeseitigungskonzepte durch Satzung außenrechtsverbindlich gemacht werden können und dass diese Satzungsregelungen zum Teil auch in Bebauungspläne integriert werden können. Betrachtet man die landesrechtlichen Regelungen jedoch genauer, zeigt sich, dass zumeist nur bestimmte Elemente der Abwasserbeseitigungskonzepte in den Bebauungsplan aufgenommen werden sollen. Es handelt sich um solche Regelungen, die der Wirksamkeit gegenüber Dritten bedürfen. In keinem Fall wird das Abwasserbeseitigungskonzept umfassend zum Gegenstand des Bebauungsplans gemacht. So räumt etwa § 51a Abs. 2 NWWG den Gemeinden das Recht ein, durch Satzung zu regeln, dass und in welcher Weise Niederschlagswasser zu versickern, zu verrieseln oder in ein Gewässer einzuleiten ist, und diese Regelung auch in Bebauungspläne zu integrieren.137 Solche Regelungen setzen jedoch ein Abwasserbeseitigungskonzept voraus.138 Aus diesem und den oben bereits genannten Gründen ist von einer Integration der siedlungswasserwirtschaftlichen Planung in die Bauleitplanung im Sinne einer „Verschmelzung“ eher nicht auszugehen. (2) Grundlegende Zielsetzungen der Bauleitplanung Ein weiteres Problem der Nutzung der Bauleitplanung als Instrument für die siedlungswasserwirtschaftliche Planung erwächst aus den grundlegenden Zielsetzungen der Bauleitplanung. Gemäß § 1 Abs. 1 BauGB liegt die Aufgabe der Bauleitplanung in der Steuerung der baulichen und sonstigen Nutzung der Grundstücke innerhalb einer Gemeinde. Primäres Ziel ist gemäß § 1 Abs. 5 S. 1 BauGB die Gewährleistung einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung. Wie gesehen sind die Bauleitpläne gemäß § 1 Abs. 3 BauGB dem Zweck der städtebaulichen Ordnung und Entwicklung verpflichtet. Dies schließt weitere Zielsetzungen nicht aus, wie die weiteren Zielvorgaben des § 1 Abs. 5 BauGB sowie der breite Katalog der zu berücksichtigenden Belange in § 1 Abs. 6 BauGB und § 1a BauGB zeigen. In diesem Spektrum von Aspekten, die die Bauleitplanung zu berücksichtigen hat, die gleichsam alle sozialen, wirtschaftlichen und naturwissenschaftlich-technischen Implikationen der Stadtentwicklung abdecken, spielen die Gesichtspunkte der Siedlungswasserwirtschaft auch eine Rolle. Eingangs wurde jedoch festgestellt, dass ein wesentliches Motiv für die Schaffung eines Planungsinstrumentariums für die siedlungswasserwirtschaftlichen InfraGierke (2013), § 9 Rn. 550. Vgl. auch § 54 Abs. 4 BbgWG; § 37 Abs. 4 HeWG; § 51 Abs. 4 RPWG; § 49a Abs. 3 SaarWG. 138 Auch Gierke (2013), § 9 Rn. 593, verweist auf den Unterschied zwischen planerischem Konzept und den Instrumenten seiner Umsetzung. 136 137
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strukturen deren Sichtbarmachung gegenüber der Siedlungsentwicklung ist. In vielen Fällen ist es gerade die Form der Siedlungsentwicklung, die einer optimierten siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastruktur entgegensteht.139 Siedlungswasserwirtschaftliche Aspekte treten hier also in Konkurrenz zu Interessen, die im Fokus der Bauleitplanung als Planungssystem stehen, dessen Rationalitäten demgemäß gerade an diesen ausgerichtet sind. Dies bedeutet eine strukturelle Benachteiligung der siedlungswasserwirtschaftlichen Belange in der Bauleitplanung. Für eine erste Artikulation siedlungswasserwirtschaftlicher Bedürfnisse und der Optimierung derselben erscheint die Bauleitplanung damit als weniger geeignet. Grundsätzlich dürfte es im Sinne einer besseren Durchsetzung der siedlungswasserwirtschaftlichen Aspekte effektiver sein, diese zunächst im Rahmen eines anderen Planungsinstruments sichtbar zu machen. Die hier erzielten Ergebnisse können dann in einem insoweit integrierenden Planungsprozess in Relation zu den Anforderungen der Siedlungsentwicklung gesetzt und in der Folge in einen Ausgleich gebracht werden. Zu beachten ist auch, dass die Bauleitplanung selbst in der Regel nur der Abschluss eines zunächst informellen Planungsprozesses ist. In der Regel sind wesentliche Festlegungen bereits getroffen, wenn der Planungsprozess das formalisierte Stadium des Bauleitplanverfahrens erreicht.140 Siedlungswasserwirtschaftliche Belange, die erst in diesem Zeitpunkt sichtbar werden, sind in ihrer Durchsetzung gegenüber anderen Belangen strukturell im Nachteil. (3) Mangelnde Umsetzungsorientierung der Bauleitplanung Weiterhin ist festzustellen, dass die Bauleitplanung gegenüber bestehenden baulichen Strukturen weitgehend wirkungslos ist. Der maßgebliche Vorhabenbegriff des § 29 BauGB umfasst im Kern nur die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung baulicher Anlagen.141 Auch besteht keine Pflicht der privaten Grundstückseigentümer zur Verwirklichung einer festgesetzten Nutzung.142 Veränderungen der siedlungswasserwirtschaftlichen Strukturen im bebauten Bestand sind somit im Wege der Bauleitplanung kaum zu befördern.143Auch die städtebaulichen Gebote der §§ 175 ff. BauGB werden in der Regel nicht die Grundlage für die Umsetzung siedlungswasserwirtschaftlicher Infrastrukturmaßnahmen sein können.144
139 Reese / Köck / Möckel (2010), S. 338, weisen auf die mangelnde Verzahnung des Gewässerschutzes und der räumlichen Gesamtplanung hin. 140 Siehe dazu Wickel (2013), Rn. 7. 141 Wickel (2013), Rn. 201. 142 BVerwG, Beschl. v. 01. 08. 2007 – 4 BN 32 / 07 –, NVwZ 2007, 1310 Rn. 7. Ausdrücklich auch bezüglich der Maßnahmen nach § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB; Gruber (1997), S. 523. 143 Vgl. Gierke (2013), § 9 Rn. 270. Auf diesen Gesichtspunkt weisen auch Koch / Hofmann / Reese (2001), S. 60, im Kontext der Verkehrsplanung hin. 144 Vgl. BVerwG, Urt. v. 30.08.2001 – 4 CN 9 / 00 –, BVerwGE 115, 77, 86. Des Weiteren Gruber (1997), S. 523.
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Festsetzungen, mit denen sich siedlungswasserwirtschaftliche Strukturen effektiv steuern lassen, kommen vor allem für Neubaugebiete in Betracht. Hier kann die Genehmigung baulicher Anlagen beispielsweise an die Verwirklichung einer im Bebauungsplan angelegten Abwasserbeseitigungskonzeption geknüpft werden. Weitergehende Möglichkeiten bestehen auch, wenn von dem Instrumentarium des § 12 BauGB Gebrauch gemacht wird.145 Im Rahmen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans und dem begleitenden Durchführungsvertrag sind Regelungen möglich, die dem „normalen“ Bebauungsplan verschlossen sind.146 In Bestandslagen ist der Bebauungsplan hingegen nur eingeschränkt als Planungsinstrument geeignet, da er keine unmittelbaren Anpassungsmaßnahmen erfordert, den unveränderten Bestand also zunächst unberührt lässt.
c) Rolle der Bauleitplanung Das bedeutet nicht, dass die Bauleitplanung für die Planung der siedlungswasserwirtschaftlichen Strukturen belanglos wäre. Im Gegenteil müssen die siedlungswasserwirtschaftlichen Konzepte Eingang in die Bauleitplanung finden, schon weil sich auch siedlungswasserwirtschaftliche Anlagen zu einem großen Teil als Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB darstellen und somit gemäß § 30 Abs. 1 BauGB den Festsetzungen eines Bebauungsplans zumindest nicht widersprechen dürfen. Auch jenseits dessen kann dem Bebauungsplan aufgrund seines Rechtsnormcharakters in gewissem Umfang rechtliche Steuerungswirkung zukommen. Hierzu bedarf es keiner weiteren Geltungsvermittlung durch gesetzliche Regelungen.147 Damit stellt sich die Berücksichtigung der siedlungswasserwirtschaftlichen Konzeption in der Bauleitplanung als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Realisierung siedlungswasserwirtschaftlicher Infrastrukturen dar. Die Rolle der Bauleitplanung kann damit vor allem in der Koordination verschiedener Planungen liegen. Die Sichtbarmachung der siedlungswasserwirtschaftlichen Anforderungen im Wege einer eigenen Planung ist nur der erste Schritt. Im nächsten bedarf es einer Koordination der siedlungswasserwirtschaftlichen Planung mit der Planung der Stadt- und Siedlungsentwicklung. Diese Koordination kann im Rahmen der Bauleitplanung erfolgen. Diese bietet sich hierfür an, weil sie unter allen kommunalen Planungen am ehesten einen umfassend integrierenden Ansatz aufweist. Weiter ist zu beachten, dass die Stadtentwicklung nicht allein mit der siedlungswasserwirtschaftlichen Entwicklung zu koordinieren ist. Auch andere Infrastrukturbereiche sind koordinierend miteinzubeziehen. Zu nennen sind die Verkehrsinfrastruktur und die Energieinfrastruktur. Die Bauleitplanung steht dabei 145 Vgl. für eine Konstellation, in der dies gelingen kann, BVerwG, Urt. v. 30.08.2001 – 4 CN 9 / 00 –, BVerwGE 115, 77, 86. 146 Vgl. BVerwG, Urt. v. 21. 03. 2002 – 4 CN 14 / 00 –, BVerwGE, 116, 144, 151. 147 BVerwG, Beschl. v. 04. 03. 1997 – 4 B 233 / 96 –, NJW 1997, 2063; OVG Münster, Urt. v. 22. 08. 1996 – 7 A 3508 / 93 –, ZfBR 1997, 46; Krautzberger (2013), § 29 Rn. 63.
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gleichsam im Zentrum eines Systems kommunaler Fachplanungen, die durch Interaktion miteinander koordiniert werden müssen.
2. Raumordnung Im Rahmen sowohl der Wasserversorgung und als auch der Abwasserbeseitigung bestehen überörtliche Koordinierungsbedarfe.148 So sah etwa auch § 18a Abs. 3 WHG a. F. das Instrument der Abwasserbeseitigungspläne, die durch die Länder nach überörtlichen Gesichtspunkten aufzustellen waren. Als Inhalte wurden beispielhaft („insbesondere“) „die Standorte für bedeutsame Anlagen zur Behandlung von Abwasser, ihr Einzugsbereich, Grundzüge für die Abwasserbehandlung sowie die Träger der Maßnahmen“ genannt. Auch für die Wasserversorgung ist von einem überörtlichen Planungsbedürfnis auszugehen, um etwa regionale Bedarfsdefizite ausgleichen zu können.149 So wie bei der örtlichen Planung die Bauleitplanung in das Blickfeld rückt, stellt sich bei der überörtlichen Planung die Frage, ob die Raumordnungsplanung als Instrument der Entwicklung der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastruktur in Betracht kommt. Dies liegt insofern nahe, als nach § 7 Abs. 1 S. 2 ROG die Möglichkeit der Aufstellung von sachlichen Teilplänen besteht, was eine auf die Belange der Siedlungswasserwirtschaft konzentrierte Betrachtungsweise erlaubt.
a) Anforderungen an eine siedlungswasserwirtschaftliche Infrastrukturplanung Ebenso wie die Bauleitplanung unterliegt auch die Raumordnungsplanung gemäß § 7 Abs. 2 ROG dem Abwägungsgebot. Die Raumordnung ist also in ähnlicher Weise geeignet, eine umfassende Integration der betroffenen Belange zu gewährleisten. Dazu gehört auch, wie bereits dargelegt, die Einbeziehung langfristiger Entwicklungen.150 Die Formulierung der Grundsätze der Raumordnung in § 2 ROG erfüllt dabei eine ähnliche Funktion wie die Benennung von Abwägungsbelangen in § 1 Abs. 6 BauGB.151 Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ROG stellen sie Erfordernisse der Raumordnung dar, die wiederum gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 ROG ein Berücksichtigungsgebot auslösen. Der Gesetzgeber bezeichnet die zu berücksichtiSiehe dazu auch unten V. 1. Vgl. Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft des Freistaates Sachsen (2012), S. 12 f. 150 Allerdings übt Kment (2011), S. 129, mit Blick auf die Erfordernisse der Klimaanpassung Kritik an den zu kurz (15 – 20 Jahre) gesteckten Planungszielen und fordert einen längeren Planungshorizont für solche Planinhalte, die einen unmittelbaren Bezug zur Klimaanpassung haben. 151 Spannowsky (2010), § 2 Rn. 9. 148 149
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genden Belange ausdrücklich – in dieser Hinsicht aber nicht abschließend152 – und verleiht ihnen damit ein besonderes Gewicht. Im Rahmen dieser Grundsätze werden in § 2 Abs. 2 Nr. 6 ROG auch der Umwelt- und Klimaschutz berücksichtigt. Danach ist den Erfordernissen der Anpassung an den Klimawandel Rechnung zu tragen.153 Ebenso nimmt der demografische Wandel eine wichtige Rolle im Rahmen der Grundsätze des § 2 Abs. 2 ROG ein. Zum einen ist gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG allgemein den demografischen Herausforderungen Rechnung zu tragen.154 Umfasst werden auch der Rückgang und der Zuwachs der Bevölkerung. § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG verlangt, dass die Versorgung mit Infrastrukturen der Daseinsvorsorge, zur Sicherung der Chancengerechtigkeit in angemessener Weise zu gewährleisten ist.155 Schließlich wird die Information und Beteiligung der relevanten Akteure bei der Aufstellung der Raumordnungspläne durch die Beteiligungsregelung für die Öffentlichkeit und öffentliche Stellen des § 10 ROG gewährleistet.
b) Siedlungswasserwirtschaftliche Planung durch Raumordnung Es lässt sich also aufzeigen, dass die Raumordnung wesentliche Anforderungen, die an die Planung der Entwicklung siedlungswasserwirtschaftlicher Infrastrukturen zu stellen wären, strukturell erfüllen kann. Im Folgenden soll deshalb betrachtet werden, in welcher Weise sich siedlungswasserwirtschaftliche Inhalte auch konkret in Raumordnungsplänen abbilden lassen. aa) Festlegungsmöglichkeiten nach § 8 Abs. 5 ROG Gemäß § 8 Abs. 5 ROG sollen die Raumordnungspläne Festlegungen zur Raumstruktur enthalten. Dabei werden drei zentrale Kategorien von Inhalten beispielhaft156 vorgegeben: die anzustrebende Siedlungsstruktur (Nr. 1), die anzustrebende Freiraumstruktur (Nr. 2) und die zu sichernden Standorte und Trassen für Infrastruktur (Nr. 3). Jede dieser drei Kategorien wird durch Beispiele möglicher Festlegungen weiter spezifiziert. Alle drei Kategorien sind für die Planung der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastruktur relevant. Durch die Festlegungsmöglichkeit des § 8 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 lit. b ROG können die zu sichernden Standorte und Trassen für die Versorgungs- und Entsorgungsinfrastruktur festgelegt werden. Das erlaubt 152 Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16 / 10292, S. 20; des Weiteren Spannowsky (2010), § 2 Rn. 3; Söfker (2009), S. 161 (3. b); Krautzberger / Stüer (2009), S. 183. 153 Vgl. dazu Köck (2013), S. 269 ff. 154 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16 / 10292, S. 21. 155 Krautzberger / Stüer (2009), S. 183. 156 So Goppel (2010), § 8 Rn. 55.
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es, sowohl Anlagen als auch Leitungen für die Wasserversorgung und die Abwasserbeseitigung zu planen. Von zentraler Bedeutung sind aber auch die Festlegungsmöglichkeiten zur anzustrebenden Siedlungs- und Freiraumstruktur. Im Rahmen der Kategorie der Siedlungsstruktur ist es die Siedlungsentwicklung (§ 8 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 lit. d ROG), die den siedlungswasserwirtschaftlichen Planungsanlass liefert. Zugleich ist die Zuordnung von Freiräumen und Siedlungsräumen sowohl für die Wasserversorgung als auch die Abwasserbeseitigung von essenzieller Bedeutung. Im Rahmen der Festlegungen in der Kategorie der anzustrebenden Freiraumstruktur können insbesondere die Nutzungen im Freiraum (§ 8 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 lit. d ROG) für die Zwecke der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung relevant werden. In Verbindung mit § 8 Abs. 7 ROG lassen sich die entsprechenden Funktionen gebietsscharf verorten. bb) Sachliche Teilpläne Besondere Bedeutung zur Verankerung fachspezifischer Gesichtspunkte in der Raumordnungsplanung kann auch die Möglichkeit erlangen, gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 ROG sachliche Teilpläne aufzustellen. In Bereichen, in denen entsprechende Fachplanungen fehlen, lässt sich beobachten, wie die Raumordnungsplanung die Funktion einer Fachplanung übernimmt.157 cc) Grundsätze der Raumordnung Dass siedlungswasserwirtschaftliche Fragen auch zum Inhalt von Raumordnungsplänen gemacht werden können, zeigt sich schließlich an den Grundsätzen der Raumordnung in § 2 Abs. 2 ROG. Ein Bezug zur Wasserwirtschaft lässt sich bereits aus dem übergeordneten allgemeinen Grundsatz des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG ableiten. Dieser spricht von ausgeglichenen infrastrukturellen Verhältnissen im Gesamtraum der Bundesrepublik und seiner Teilräume. Eine nachhaltige Daseinsvorsorge sei zu sichern, Ressourcen nachhaltig zu schützen. Die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG vorgesehene Kooperation innerhalb von Regionen und von Regionen miteinander, die Zusammenarbeit städtischer und ländlicher Räume lässt sich auch auf die Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung beziehen.158 Auch der in § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG angelegte Freiraumschutz, lässt sich für die siedlungswasserwirtschaftliche Planung aktivieren. Die Versorgung mit Infrastrukturen der Daseinsvorsorge wird in § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG direkt angesprochen. Und schließlich werden in § 2 Abs. 2 Nr. 6 ROG ökologische Belange adressiert. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 6 S. 1 ROG ist der „Raum […] in seiner Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der Böden, des Wasserhaushalts, der Tier- und Pflanzenwelt sowie des Klimas einschließlich 157 Vgl. Runkel (2010), § 7 Rn. 20, in Bezug auf die Braunkohlegewinnung in NordrheinWestfalen und Brandenburg. 158 Krautzberger / Stüer (2009), S. 183.
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der jeweiligen Wechselwirkungen zu entwickeln, zu sichern oder, soweit erforderlich, möglich und angemessen, wiederherzustellen“. § 2 Abs. 2 Nr. 6 S. 2 ROG spricht ausdrücklich vom Schutz der Grundwasservorkommen. Ebenso lassen sich der Freiflächenschutz (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 S. 3 ROG) und die Bezugnahmen auf den Naturhaushalt (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 S. 4 ROG) für siedlungswasserwirtschaftliche Planungen in Anspruch nehmen. Und schließlich kommen die in § 2 Abs. 2 Nr. 6 S. 5 ROG genannten Maßnahmen des Hochwasserschutzes, wie Rückgewinnung von Auen, Rückhalteflächen und Entlastungsflächen, auch der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung zugute. Gleiches kann auch für die Gewährleistung der Erfordernisse der Anpassung an den Klimawandel nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 S. 7 ROG gelten. Inhaltlich können die Raumordnungspläne also siedlungswasserwirtschaftliche Planungen abbilden.
c) Grenzen der Raumordnung Ähnlich wie für die Bauleitplanung stellt sich jedoch auch für die Raumordnungsplanung die Frage, wie weit die Möglichkeiten der Planung eines siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastruktursystems reichen. Gemäß § 8 Abs. 5 ROG können in Raumordnungsplänen Festlegungen zur Raumstruktur getroffen werden. Dies umfasst gemäß § 8 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 lit. b ROG insbesondere auch die zu sichernden Standorte und Trassen für die Ver- und Entsorgungsinfrastruktur. Damit liegt der Schwerpunkt der raumordnerischen Kompetenz auf der Standortsicherung. Projektbezogene Ziele der Raumordnung sollen jedoch möglich sein.159 Es ist nicht ausgeschlossen, Standortfestlegungen mit weiteren qualifizierenden Anforderungen zu verbinden. So hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zum Ausbau des Frankfurter Flughafens vom 04. 04. 2012 auch eine Standortfestlegung anerkannt, die mit der Einschränkung versehen war, dass eine einschränkende Betriebsregelung, in diesem Fall ein Nachtflugverbot, getroffen werden muss. Die Möglichkeit, eine Standortfestlegung in dieser Weise mit einer qualifizierenden Einschränkung zu versehen, leitet das Gericht dabei aus dem Auftrag der Raumordnung zum Ausgleich konkurrierender Ansprüche an die Raumnutzung ab. Lasse sich ein durch die Standortausweisung drohender Nutzungskonflikt nur durch eine einschränkende Betriebsregelung bewältigen, dann erstrecke sich der Aufgabenund Kompetenzbereich der Raumordnung auch darauf, eine entsprechende Betriebsregelung zu verlangen. Allerdings sei es dem Träger der Landesplanung verwehrt, eine entsprechende Betriebsregelung selbst zu erlassen.160 Damit sind zugleich auch die Grenzen der Raumordnung umrissen. Überträgt man diese Überlegungen auf den Bereich der Siedlungswasserwirtschaft, dürften die Festlegungsmöglichkeiten insgesamt nicht ausreichen, um eine überörtliche
159 160
Dallhammer (2013), § 8 Rn. 155. BVerwG, Urt. v. 04. 04. 2012 – 4 C 8 / 09 u. a. –, BVerwGE 142, 234 Rn. 305 ff.
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Wasserversorgungs- oder Abwasserbeseitigungsplanung vollständig gewährleisten zu können. Zwar entspringen viele der siedlungswasserwirtschaftlichen Fragestellungen aus Raumnutzungskonflikten. Gerade in der Festlegung der anzustrebenden Siedlungs- und Freiraumstruktur ergeben sich Nutzungskonflikte, die auch einen Bezug zu den siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen haben. Einerseits schafft die Siedlungsentwicklung entsprechende Anforderungen an die siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen. Andererseits stellen die Anforderungen der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung eigene Ansprüche an die Raumstruktur. Hinzu tritt die Möglichkeit, Standorte für die siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen nach § 8 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 lit. b ROG zu sichern. Die alleinige Gründung der überörtlichen Planung siedlungswasserwirtschaftlicher Infrastrukturen auf die Kompetenzen der Raumordnung erscheint jedoch der Komplexität dieser Aufgabenstellung nicht vollständig gerecht zu werden. Die siedlungswasserwirtschaftlichen Planungen müssen eine Konzentration auf siedlungswasserwirtschaftliche Erfordernisse aufweisen, um diesen Fragestellungen gerecht werden zu können. Die Raumordnungsplanung muss hingegen den beschriebenen raumordnerischen Fokus aufweisen. Dabei sind durchaus große Überschneidungsbereiche denkbar. Ähnlich wie im Verhältnis der siedlungswasserwirtschaftlichen Planungen und der Bauleitplanung sind aber auch im Verhältnis zur Raumordnungsplanung Planungsinhalte denkbar, die sich nicht mehr unter den Auftrag der Raumordnung fassen lassen. Zu beachten ist weiterhin, dass die hier geforderte siedlungswasserwirtschaftliche Planung auch der Sichtbarmachung der siedlungswasserwirtschaftlichen Belange dienen soll. Eine umfassende Einbettung in die Raumordnung und sei es auch in der Form eines sachlichen Teilplans nach § 7 Abs. 1 S. 2 ROG würde ebenso wie eine Einbettung der örtlichen Planung in das System der Bauleitplanung dazu führen, dass siedlungswasserwirtschaftliche Belange mit anderen Raumnutzungsansprüchen konkurrieren würden. Aufgrund des abweichenden Fokus der Raumordnungsplanung wäre bereits die erstmalige Artikulation siedlungswasserwirtschaftlicher Belange dem notwendigerweise kompromissbildenden Charakter der Raumordnungsplanung unterworfen. Eine auf siedlungswasserwirtschaftliche Belange bezogene Fachplanung wäre demgegenüber in der Lage, in ihrem Bereich gezielt Akzente zu setzen, was einer Gesamtplanung in der Tendenz weniger zuzutrauen ist. So wird in der Literatur auch festgestellt, dass die Raumordnung bei infrastrukturellen Aussagen Zurückhaltung übt und diese häufig im Kontext der Aussagen zur Siedlungsstruktur stehen.161 Die siedlungswasserwirtschaftlichen Akzente sollten demgemäß zunächst in einer Fachplanung artikuliert und dann erst zu der Gesamtplanung in Verhältnis gesetzt werden, um zu überprüfen, ob sie sich gegenüber den Anforderungen der Gesamtplanung behaupten.162 Domhardt / Geyer / Weick (1999), S. 173; Dallhammer (2013), § 8 Rn. 154. Vgl. zum Verhältnis von Raumordnungsplanung und Fachplanung auch BVerwG, Urt. v. 30.01.2003 – 4 CN 14 / 01 –, NVwZ 2003, 742, 744. 161 162
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V. Elemente eines Konzepts für die Planung siedlungswasserwirtschaftlicher Infrastrukturen Vorstehend wurde festgestellt, dass zwar ein Bedürfnis für ein formalisiertes Planungsinstrumentarium für die Entscheidung über die Entwicklung der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen gegeben ist, dass ein solches Planungsinstrumentarium aber in wesentlichen Teilen nicht besteht und dies auch nicht durch die Instrumente der Gesamtplanung kompensiert werden kann. Deshalb sollen im Folgenden die Grundzüge für ein entsprechendes Planungsinstrumentarium entworfen werden. Aufgrund der Zuordnung des Wasserhaushalts in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung mit Abweichungsmöglichkeit der Länder gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 3 Nr. 5 GG besteht die Möglichkeit, dass dieses Modell sowohl auf der Bundesebene als auch auf der Ebene der Bundesländer übernommen wird.
1. Zweistufige Fachplanung Sowohl die Wasserversorgung als auch die Abwasserbeseitigung sind Aufgaben, die in die Verantwortlichkeit der Städte und Gemeinden fallen. Für die Wasserversorgung sieht § 50 WHG ausdrücklich vor, dass es sich um eine Aufgabe der Daseinsvorsorge handelt. Aber bereits vor der Einführung dieser Regelung wurde angenommen, dass die Wasserversorgung in die Verantwortlichkeit der Städte und Gemeinden fällt.163 Bezüglich der Abwasserbeseitigung enthält sich das WHG einer abschließenden Regelung. § 56 S. 1 WHG bestimmt, dass das Abwasser von den juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu beseitigen ist, die die Landesgesetze hierzu verpflichten.164 Zwar eröffnet § 56 S. 2 WHG die Möglichkeit, dass die Landesgesetzgeber unter bestimmten Voraussetzungen anderen als den nach § 56 S. 1 WHG Abwasserbeseitigungspflichtigen die Aufgabe der Abwasserbeseitigung übertragen. In der Praxis wird die Aufgabe jedoch lokal flächendeckend, allenfalls mit punktuellen Ausnahmen, von einem Abwasserbeseitigungspflichtigen wahrgenommen. Daraus folgt, dass beide Bereiche, Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung, ein lokales Planungsinstrument benötigen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung sich durchaus berühren. So ist der Umgang mit Niederschlagswasser zunächst eine Frage der Abwasserbeseitigung, berührt aber, etwa unter dem Aspekt der Grundwasserneubildung, auch die Wasserversorgung.165 Noch deutlicher ist der Zu163 BVerfG, Beschl. v. 16. 05. 1989 – 1 BvR 705 / 88 –, NJW 1990, 1783; Hünnekens (2013), § 50 Rn. 9 f.; Gruneberg (2011), § 50 Rn. 1. 164 Dies können z. B. Gemeinden, Landkreise, Wasserverbände oder bei Verkehrswegen auch der Bund oder die Länder sein. Vgl. Ganske (2013), § 56 Rn. 12 ff. 165 Gruber (1997), S. 521.
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sammenhang bei Konzepten der Kreislaufführung.166 Gleichwohl wird im Folgenden ein spezialisiertes, getrenntes Planungsinstrumentarium jeweils für die beiden siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen vorgeschlagen, da jenseits der beschriebenen Berührungspunkte die Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung getrennte technische Systeme nutzen. Daneben zeigt sich, dass beide Aufgabenbereiche auch einen überörtlichen Planungsbedarf auslösen. Im Bereich der Wasserversorgung bedarf es etwa einer Zuordnung von Wasserressourcen und Verbrauchsregionen. Auch die Aufgabe der Abwasserbeseitigung lässt eine überörtliche Koordination sinnvoll erscheinen. Dies kam vor allem in § 18a Abs. 3 WHG in der bis 2002 geltenden Fassung zum Ausdruck. Danach stellten die Länder Abwasserbeseitigungspläne nach überörtlichen Gesichtspunkten auf, in denen insbesondere die Standorte für bedeutsame Anlagen zur Behandlung von Abwasser, ihr Einzugsbereich, Grundzüge für die Abwasserbehandlung sowie die Träger der Maßnahmen festzulegen waren.167 Die Zweistufigkeit des Planungssystems führt auch zu einer Entlastung der örtlichen Planungsträger. Indem Grundsätze und Rahmenbedingungen definiert werden, entlastet die vorgelagerte Planungsebene die nachgelagerten Planungsträger von dieser Aufgabe. Zugleich lassen sich auf der vorgelagerten Ebene Konflikte zwischen den Planungsträgern auf örtlicher Ebene koordinieren. Eine zweistufige Planung ermöglicht somit eine abgeschichtete Problemlösung.168 Als räumlicher Anknüpfungspunkt für die überörtliche Planung bieten sich die Bundesländer an. Dies entspricht der in § 18a WHG a. F. gewählten Lösung. Mit Blick auf die Systematik der Maßnahmen- und Bewirtschaftungspläne nach §§ 82 f. WHG ließe sich auch an eine Anknüpfung an Flussgebietseinheiten denken. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass ein zweistufiges Planungsinstrumentarium geschaffen werden sollte, bestehend aus einem überörtlichen Plan und einem lokalen Plan. 2. Verbindlichkeit Ein wesentliches Element in einem gestuften hierarchischen Planungssystem ist die jeweilige Verbindlichkeit der Pläne.169 In dem hier entworfenen Modell einer siedlungswasserwirtschaftlichen Fachplanung sollte den Plänen jedenfalls in Teilen Verbindlichkeit zukommen. Reese (2010), S. 186. Für ein zweistufiges Planungssystem für Hamburg, bestehend aus einem wasserwirtschaftlichen Rahmenplan und einem wasserwirtschaftlichem Begleitplan zum Bebauungsplan Dickhaut / Andresen (o. J.), S. 24 ff. 168 Vgl. hierzu grundsätzlich BVerwG, Beschl. v. 20. 12. 1988 – 7 NB 2 / 88 –, BVerwGE 81, 128, 135 f., am Beispiel der Abfallbeseitigungsplanung. 169 Zur Verbindlichkeit gegenüber anderen Plänen unten V. 4. 166 167
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Für die überörtliche Planungsebene folgt dies aus der Notwendigkeit der überörtlichen Koordination, die anderenfalls nicht zu bewerkstelligen wäre. Die Bindungswirkung der vorgelagerten Planung kann abgestuft werden. Erfordert die Koordination eine strikte Verbindlichkeit, könnten die Pläne eine Beachtenspflicht auslösen. Ansonsten ist auch im Sinne der Wahrung größtmöglicher Gestaltungsfreiheit auf der nachgelagerten Ebene auf eine strikte Verbindlichkeit zu verzichten. Hier ist eine Berücksichtigungspflicht ausreichend. Vorbild kann insofern die Systematik der Ziele und Grundsätze im Bereich der Raumordnung sein. Auf der örtlichen Planungsebene ist jedenfalls eine partielle Verbindlichkeit gegenüber Dritten erforderlich, etwa um Grundstücksnutzungen einzuschränken. Hier empfiehlt es sich, einzelne Elemente der siedlungswasserwirtschaftlichen Planungen zum Gegenstand von Satzungen zu machen. Denkbar ist auch eine Verknüpfung mit der Bauleitplanung nach Maßgabe des § 9 Abs. 4 BauGB.
3. Gewährleistung der Integration Das Kriterium der Integration ist im vorliegenden Zusammenhang in der Weise zu verstehen, dass sich eine siedlungswasserwirtschaftliche Planung nicht allein auf siedlungswasserwirtschaftliche Notwendigkeiten konzentrieren kann, sondern auch andere Gesichtspunkte miteinbezogen werden. Diese Anforderung ergibt sich bereits aus der Geltung des allgemeinen Abwägungsgebots.170 Hiernach sind alle Belange, die von der Planung – gegebenenfalls auch nur mittelbar – berührt werden, in die Planungsentscheidung einzubeziehen.171 Allerdings muss bei der Konzipierung eines Planungsinstrumentariums auch die Frage nach der notwendigen Begrenzung der Integration gestellt werden. Die siedlungswasserwirtschaftliche Planung darf auch nicht zu einer alle Aspekte umfassenden holistischen Umwelt- oder Gesamtplanung entwickelt werden.172 Eine solche Integrationstiefe würde zu einer Überforderung des Planungsprozesses führen. Auch stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zu ähnlichen (Fach-)Planungen. Neben den Gesamtplanungen ist auf Planungssysteme für andere technische Infrastrukturen hinzuweisen, für die ein ähnliches Planungsbedürfnis wie im Bereich der Siedlungswasserwirtschaft besteht. Eine zu große Integrationstiefe würde zu einem ineffizienten System von nebeneinanderstehenden und sich in ihrem Integrationsanspruch überschneidenden Fachplanungen führen. Es bedarf somit der Begrenzung der Integration auf ein in der planerischen Praxis handhabbares Maß.
Siehe dazu oben III. 1. BVerwG, Urt. v. 15. 04. 1977 – IV C 100.74 –, BVerwGE 52, 237, 245. 172 Vgl. zum Begriff der holistischen Umweltplanung Sparwasser / Engel / Voßkuhle (2003), § 2 Rn. 111. Dem Leitbild einer Umweltgesamtplanung entspricht am ehesten die Landschaftsplanung, vgl. Möckel (2013), S. 417 („Umweltleitplanung“). 170 171
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Die Lösung ergibt sich aus den allgemeinen Grundsätzen über das Abwägungsgebot, aus denen sich auch die erforderliche Begrenzung der Integration ableiten lässt. Als Beispiel kann die Ausgestaltung des Abwägungsgebots für die Raumordnungspläne in § 7 Abs. 2 ROG dienen. Hiernach sind bei der Aufstellung der Raumordnungspläne „die öffentlichen und privaten Belange, soweit sie auf der jeweiligen Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind“, in die Abwägung einzustellen. Die Beschränkung auf erkennbare Belange dient der Begrenzung der Ermittlungspflicht der planenden Behörde.173 Die Begrenzung auf Belange, die auf der jeweiligen Planungsebene von Bedeutung sind, lässt sich jedoch als Hinweis auf eine sachliche, in diesem Fall ebenenspezifische Einschränkung der zu berücksichtigenden Belange begreifen. Ebenso, wie im Rahmen eines gestuften Planungssystems eine abgeschichtete sich vertikal über mehrere Planungsebenen erstreckende Abwägung zum Tragen kommt, ist bei der Planung von nebeneinander stehenden (Infrastruktur-)Planungen an eine themenspezifische horizontale Abschichtung im Sinne einer Eingrenzung zu denken. Entscheidend ist in diesem System, dass die jeweiligen Planungen aufeinander bezogen werden und die Abwägungsergebnisse des einen Planungsprozesses jeweils Berücksichtigung in den anderen Planungsprozessen finden. Es lässt sich ein Bild kommunizierender Planungen entwerfen. In diesem System wird den Gesamtplanungen – auf örtlicher Ebene der Bauleitplanung, auf überörtlicher Ebene den Raumordnungsplänen – eine zentrale Funktion zukommen. Zum einen sind alle hier relevanten Infrastrukturen auf die räumliche Entwicklung bezogen, die von der Gesamtplanung gesteuert wird. Die Gesamtplanungen haben somit zu allen Infrastrukturplanungen einen unmittelbaren Bezug. Daneben bestehen unmittelbare Wechselbeziehungen der Infrastrukturplanungen untereinander. Jedenfalls zum Teil stellt sich der Bezug der einzelnen Infrastrukturplanungen zueinander damit über die Gesamtplanungen her. So werden in vielen Fällen die Planung der Energienetze und die Planung der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen nur wenige unmittelbare Berührungspunkte haben. Beide stellen aber Anforderungen an die Siedlungsentwicklung, die sie gegenüber den Gesamtplanungen formulieren. Diese wiederum stehen in Bezug zu allen Infrastrukturplanungen. Auf diesem Wege wirken sich Infrastrukturplanungen mittelbar und reflexiv auch auf die anderen Infrastrukturplanungen aus. Insgesamt ergibt sich hier das Bild einer Fachplanung, die für die Integration grundsätzlich aller betroffenen Belange offen ist. Die Integration wird durch die gesetzliche Ausformung des Planungsinstruments auf zwei Wegen erreicht und gefördert: zum einen durch die gesetzliche Formulierung eines Katalogs regelmäßig zu berücksichtigender Belange,174 zum anderen durch ein Planungsverfahren, das in der Lage ist, einerseits die in dem Katalog genannten Belange zu präzisieren und andererseits den Planungsprozess für noch nicht einbezogene Belange zu öffnen. 173 174
Vgl. Steinberg / Wickel / Müller (2012), § 3 Rn. 163. Vgl. Reese (2012), S. 403.
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4. Gewährleistung der Sichtbarmachung und Koordination mit anderen Planungen Die vorstehenden Erwägungen begründen ein Fachplanungssystem für die Entwicklung der Infrastrukturen der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung, das neben dem System der Gesamtplanungen (Raumordnungs- und Bauleitplanung) sowie gegebenenfalls anderer Infrastrukturplanungen steht. Ein wesentliches Ziel dieses Systems ist die Formulierung siedlungswasserwirtschaftlicher Belange aus einem siedlungswasserwirtschaftlichen Blickwinkel und damit die Sichtbarmachung dieser Belange gegenüber anderen Planungen. Trotz des Erfordernisses der integrativen Planung führt die primäre Fokussierung der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturplanung voraussichtlich zu einem anderen Ergebnis als dies in einem Planungsprozess mit anderem fachlichen Fokus der Fall wäre. Dies ist kein Defizit des hier entworfenen Systems, sondern ein intendierter Effekt.
a) Koordination mit der Gesamtplanung Daraus ergibt sich jedoch die Erforderlichkeit, die siedlungswasserwirtschaftlichen Pläne in Bezug zu anderen Planungen, insbesondere den Gesamtplanungen, aber auch anderen Infrastrukturplanungen zu setzen. Die räumlichen Gesamtplanungen stehen hier im Vordergrund. Zum einen weil die Stadt- und Raumentwicklung im Vergleich zu anderen Einflüssen die stärksten Impulse für die Entwicklung der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen setzen dürfte. Zum anderen, weil die Stadt- und Raumentwicklung einen sehr weitreichenden integrativen Ansatz hat und hier am ehesten ein Ausgleich auch zwischen verschiedenen Fachplanungen erfolgen kann. Dabei soll jedoch nicht übersehen werden, dass der letztgenannte Gesichtspunkt auch die Stadt- und Raumentwicklung überfordern dürfte, da es sich hier eben nicht um umweltzentrierte Gesamtplanungen handelt175 und auch die Integration aller Fachplanungen zunehmend nicht gelingt.176 Auch dort sind der Integration somit Grenzen gesetzt. Die notwendige Interaktion zwischen den Planungssystemen muss sowohl durch die äußere als auch die innere Struktur des Entscheidungsprozesses abgesichert sein.177 Für die äußere Struktur bedeutet dies, dass die jeweiligen Planungsverfahren, sowohl der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturplanung als auch der anderen Planungen, in ihrer Ausgestaltung die Einbeziehung der wechselseitigen Belange gewährleisten müssen. Dies wird in der Regel über entsprechende Beteiligungsregeln für die Träger öffentlicher Belange oder anderer Akteure, die in ihren 175 Vgl. SRU (2008), Tz. 583; zustimmend Reese / Möckel (2010), S. 145 ff. Des Weiteren Möckel (2013), S. 426 f., S. 428, der auf den fachlichen Fokus der Bauleitpläne, insbesondere des Bebauungsplans hinweist. 176 Vgl. Köck (2008), Rn. 70. 177 Vgl. auch hierzu auch Koch / Hofmann / Reese (2001), S. 20 ff.
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Interessen durch die Wechselwirkung zwischen den Planungen betroffen sein können, zu bewerkstelligen sein.178 Für die innere Struktur des Planungsprozesses wird die wechselseitige Berücksichtigung im Grundsatz durch das Abwägungsgebot sichergestellt.179 Bei der Aufstellung der Pläne für die siedlungswasserwirtschaftliche Infrastruktur sind somit insbesondere die durch die Gesamtplanungen formulierten Belange der örtlichen und überörtlichen Stadt- und Raumentwicklung zu berücksichtigen. Das Gleiche gilt für Belange, die im Rahmen anderer Fachplanungen artikuliert werden, soweit sie für die siedlungswasserwirtschaftliche Infrastruktur von Bedeutung sind. Die Pflicht zur wechselseitigen Berücksichtigung sollte auch ausdrücklich vorgesehen werden, da dies in der Steuerungswirkung über eine lediglich implizite Berücksichtigungspflicht hinausgeht.180 Zu beantworten ist auch die Frage der wechselseitigen Bindungswirkungen. Jedenfalls für die erstmalige Artikulation der siedlungswasserwirtschaftlichen Belange in dem hier entworfenen Planungssystem reicht eine Berücksichtigung der Belange der Stadt- und Raumentwicklung aus. Das schließt zwar nicht aus, dass diese Belange in der Abwägung überwunden werden können. Hieraus dürfte jedoch keine Gefahr des „Auseinanderlaufens“ der wasserwirtschaftlichen Planungen und der Bauleit- und Raumordnungsplanung erwachsen. Soweit die Belange der Stadtund Raumentwicklung nicht disponibel sind, entfalten sie in der Abwägung im Rahmen der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturplanung besonderes Gewicht. Eine siedlungswasserwirtschaftliche Planung, die sich so weit von den Gegebenheiten der Stadt- und Raumentwicklung entfernt, dass sie nicht realisierbar erscheint, müsste als gegenstandslos, weil nichtig, betrachtet werden.
b) Änderung der Gesamtplanung Die Formulierung der siedlungswasserwirtschaftlichen Erfordernisse in einem Plan ist der Ausgangspunkt eines dynamischen Prozesses, in dessen Rahmen die siedlungswasserwirtschaftlichen Zielvorstellungen ins Verhältnis gesetzt werden müssen zu Zielvorstellungen anderer Planungen, namentlich der Stadt- und Raumentwicklung, die sich auf die siedlungswasserwirtschaftliche Infrastruktur auswirken können. Sollen im Bereich der Stadt- und Raumordnungsplanung Veränderungen vorgenommen werden, ist zu prüfen, ob die vorgesehenen Modifizierungen mit den siedlungswasserwirtschaftlichen Planungen vereinbar sind, ob sie gegebenenfalls Anpassungsbedarf auslösen und ob an der Veränderung, setzt man sie ins Verhältnis zu Vgl. auch Reese (2012), S. 415. Ein Beispiel bietet OVG Münster, Urt. v. 16. 09. 2002 – 7a D 118 / 00.NE –, juris Rn. 78. Vgl. hierzu Koch / Hofmann / Reese (2001), S. 61. 180 Reese (2012), S. 415. 178 179
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den erforderlichen Anpassungen, festgehalten werden soll.181 Das idealtypische Beispiel ist hier die Erschließung eines neuen Baugebiets. Eine weitere praktische Konstellation ist aber auch der planerische Eingriff in ein bestehendes Gebiet, etwa mit dem Ziel der Nachverdichtung. Es stellt sich also die Frage, wie die siedlungswasserwirtschaftlichen Belange sich in dem entsprechenden Planungs- und Entscheidungsprozess der Gesamtplanung niederschlagen können. Auch hier muss der Entscheidungsprozess von seiner äußeren wie inneren Struktur die erforderliche Interaktion zwischen den verschiedenen Plänen gewährleisten. Der herkömmliche Weg ist eine Beteiligung der Stellen, die siedlungswasserwirtschaftliche Belange vertreten, im Rahmen des Änderungsverfahrens. Diese erfolgt nach § 4 BauGB und § 10 ROG. Dieser Rückgriff auf die herkömmlichen Beteiligungselemente der Bauleitplanung und Raumordnungsplanung hat jedoch den Nachteil, dass die siedlungswasserwirtschaftlichen Belange hier wiederum keine besondere Hervorhebung genießen. Sie gehen wie alle anderen berührten Belange in die Abwägung ein mit dem Risiko, dass sie durch andere Belange überlagert werden. Dies ist in der jeweiligen Entscheidungssituation nicht fernliegend. Wird etwa eine städtebauliche Entwicklung von sehr starken Motiven – etwa wirtschaftlichen, sozialen, städtebaulichen – getragen, besteht die Gefahr, dass diese wegen kollidierender siedlungswasserwirtschaftlicher Belange nicht mehr in Frage gestellt werden. Strukturell wären die siedlungswasserwirtschaftlichen Belange – wie andere Belange auch – benachteiligt. Dies gilt vor allem dann, wenn die siedlungswasserwirtschaftlichen Belange erst zu einem späten Zeitpunkt Eingang in den Planungsprozess finden. Dies steht bei einer Beteiligung nach § 4 BauGB oder § 10 ROG zu befürchten, insbesondere wenn die Modifizierungen der § 13 Abs. 2 BauGB und § 13a Abs. 2 Nr. 1 BauGB zum Tragen kommen. Dem kann durch eine verfahrensmäßige Hervorhebung der siedlungswasserwirtschaftlichen Belange durch die Einrichtung eines gesonderten Koordinierungsverfahrens vorgebeugt werden. In diesem könnten die geplanten Änderungen der Stadt- und Raumentwicklungsplanung auf ihre Vereinbarkeit mit den siedlungswasserwirtschaftlichen Belangen überprüft werden. Ein Beispiel für ein solches Koordinierungsverfahren bietet das ROG mit dem Raumordnungsverfahren des § 15 ROG.182 Die Notwendigkeit der Artikulation der siedlungswasserwirtschaftlichen Belange in hierauf bezogenen, gesonderten Verfahrensschritten würde die Aufmerksamkeit für diese erhöhen und könnte gegenüber einer „einfachen“ Stellungnahme auch eine Verbesserung der Qualität der Artikulation der Belange mit
181 Die umgekehrte Konstellation der Änderung der siedlungswasserwirtschaftlichen Planung dürfte aus der Sicht der siedlungswasserwirtschaftlichen Belange insgesamt weniger problematisch sein. Zu denken ist etwa an die Erneuerung abgängiger Anlagen oder die Verwirklichung einer neuen siedlungswasserwirtschaftlichen Konzeption. In diesen Fällen ist die Planung von siedlungswasserwirtschaftlichen Motiven getragen, weswegen deren Durchsetzbarkeit schon wegen des Ausgangspunkts der Planung hoch sein sollte. 182 Vgl. hierzu Koch / Hofmann / Reese (2001), S. 82 für ein Konzept der Verkehrsplanung.
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sich bringen.183 Das würde diesen Belangen auch unabhängig von der Verbindlichkeit des Ergebnisses eines solchen Abstimmungsverfahrens besonderes Gewicht verleihen.184 In der Ausgestaltung dieses Koordinationsverfahrens wäre zunächst sicherzustellen, dass siedlungswasserwirtschaftliche Belange in einem frühen Stadium Eingang in den Planungsprozess finden. Dies ließe sich durch eine Regelung gewährleisten, wonach bei allen Planungen, die Belange der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung berühren, die zuständigen Stellen möglichst früh über die Planungen zu informieren sind. Daran könnte eine Verpflichtung zur Abgabe einer Stellungnahme anknüpfen, die bei der Erstellung der Pläne zu berücksichtigen ist. Im tatsächlichen Ablauf wird dieses Verfahren der frühzeitigen Behördenbeteiligung nach § 4 Abs. 1 BauGB ähneln. Die siedlungswasserwirtschaftliche Stellungnahme sollte dann im Rahmen der Beteiligung anderer Behörden und der Öffentlichkeit zu den Planunterlagen gehören. Auf diese Weise kann das Koordinierungsverfahren auch für die Beteiligung geöffnet werden. Die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung und der Beteiligung anderer Behörden sollten wiederum in die Stellungnahme der für siedlungswasserwirtschaftliche Belange zuständigen Stelle einfließen. Diese wäre demgemäß über die Ergebnisse des Planungsverfahrens zu informieren. Ebenso sollte die planende Behörde ihren endgültigen Entscheidungsentwurf erneut vorlegen. Hierzu nimmt die für siedlungswasserwirtschaftliche Belange zuständige Stelle erneut Stellung. Die planende Behörde muss diese Stellungnahme berücksichtigen. Weiter sollte der planenden Behörde auferlegt werden, in der Begründung ihrer Entscheidung Auskunft darüber zu geben, in welcher Weise die siedlungswasserwirtschaftlichen Belange in die Planungsentscheidung eingeflossen sind.185 Bei der Gewährleistung der Berücksichtigung der Belange der Siedlungswasserwirtschaft sollte es unabhängig von der Gestaltung der äußeren Struktur bei einer bloßen Berücksichtigung dieser Belange bleiben.186 Den siedlungswasserwirtschaftlichen Belangen ein gesteigertes Gewicht in der Abwägung, insbesondere im Rahmen der Stadt- und Raumentwicklungsplanung, einzuräumen, erscheint mit Blick auf die Vielfalt der zur berücksichtigenden Belange nicht gerechtfertigt. Gerade die Erfahrungen mit dem Raumordnungsverfahren des § 15 ROG zeigen jedoch, dass der Einfluss solcher Verfahren nicht notwendigerweise von der Bindungswirkung der Ergebnisse abhängt.187 183 Vgl. Kment (2010), S. 543, der auf den aus der Qualität erwachsenden großen Einfluss des Ergebnisses des Raumordnungsverfahrens hinweist. 184 Vgl. zur Bedeutung des Raumordnungsverfahrens Goppel (2010), § 15 Rn. 21. 185 Das vorgeschlagene Verfahren ist an den Ablauf der Strategischen Umweltprüfung angelehnt und teilt mit dieser das Element der Frühzeitigkeit und die verfahrensmäßige Absicherung der Berücksichtigung in der abschließenden Entscheidung. 186 Anders für den Bereich der Verkehrsplanung Koch / Hofmann / Reese (2001), S. 63. 187 Zu einem anderen Bild kommen Koch / Hofmann / Reese (2001), S. 63 f., die der Verkehrsplanung gegenüber der Bauleitplanung eine den Zielen der Raumordnung vergleichbare Wirkung zuerkennen würden, mit der Möglichkeit eines „Zielabweichungsverfahrens“ für den
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c) Anpassung der siedlungswasserwirtschaftlichen Planung Setzen sich die in der siedlungswasserwirtschaftlichen Planung artikulierten Belange in der Entscheidung über den Bauleitplan oder den Raumordnungsplan nicht vollständig durch, sollte die siedlungswasserwirtschaftliche Planung einer anlassbezogenen Revision unterzogen werden. In einem entsprechenden Verfahren müsste den Gesamtplanungen eine höhere Verbindlichkeit zukommen, da ihnen wie gesehen eine zentrale Koordinierungsaufgabe zukommt. Die Normierung einer Beachtenspflicht würde jedoch eine Inkongruenz gegenüber der Ausgangssituation der Planung darstellen, bei der lediglich eine wechselseitige Berücksichtigung erfolgt,188 und erscheint letztlich auch nicht erforderlich. Eine siedlungswasserwirtschaftliche Planung, die die geplante Siedlungsentwicklung nicht angemessen berücksichtigt, würde ins Leere gehen, was letztlich ihre Unwirksamkeit nach sich zieht.189 Schon hieraus resultiert eine hohe rechtliche Verbindlichkeit der Gesamtplanungen für die siedlungswasserwirtschaftlichen Planungen. Damit erscheint die Formulierung einer Beachtenspflicht nicht mehr erforderlich.
5. Partizipation Ein wesentliches Element, das durch die Schaffung eines Planungsinstrumentariums für die Wasserversorgung und die Abwasserbeseitigung gewährleistet sein muss, ist die umfassende Beteiligung der Träger öffentlicher Belange und der privaten Öffentlichkeit. Als Orientierung können hier die Regelungen bestehender Planungsverfahren dienen. Für die überörtlichen Pläne bietet sich eine Orientierung an § 10 ROG an.190 Bezüglich der lokalen Pläne kann eine Orientierung an den Beteiligungsvorschriften des Planfeststellungsverfahrens erfolgen. Die zweistufige Beteiligung des Bauleitplanverfahrens, bestehend aus frühzeitiger und förmlicher Beteiligung, erscheint demgegenüber als sehr aufwendig, stellt aber auch eine Option dar. Soweit die siedlungswasserwirtschaftlichen Pläne einer SUP-Pflicht unterliegen, ist die Partizipation der relevanten Akteure durch die Anwendung der §§ 14h ff. UVPG gewährleistet. Allerdings ist zu beachten, dass die Strategische Umweltprüfung ein primär umweltbezogenes Verfahren darstellt. Die Beteiligungsregelungen für die siedlungswasserwirtschaftlichen Pläne sollten so gestaltet sein, dass sie über diese Inhalte hinausreichen und alle betroffenen Belange erfassen.
Fall, dass städtebauliche Interessen sich gegenüber den der Verkehrsplanung durchsetzen müssen. Diese Unterscheidung lässt sich aber durch den im Vergleich zur siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastruktur stärkeren Einfluss der Verkehrsinfrastruktur auf die Stadtstruktur begründen. 188 Siehe oben a). 189 Siehe oben a). 190 Vgl. zur Entwicklung Runkel (2010), § 10 Rn. 1 ff.
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6. Revisibilität Wie gesehen setzt die Planung der Entwicklung von siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen auch die Berücksichtigung langfristiger Entwicklungen voraus. Diese gehen als Gegenstand von Prognosen in die Abwägung ein. Gerade in Bereichen, die sich dynamisch entwickeln und in denen aus Erfahrungen der Vergangenheit nicht ohne weiteres auf zukünftige Ereignisse geschlossen werden kann, ist die Entscheidung von erheblicher Unsicherheit geprägt. Das gilt etwa im Bereich des Klimawandels.191 Neben der Berücksichtigung dieser Unsicherheit im Rahmen der Abwägung muss sich diese auch in der Ausgestaltung der Instrumente niederschlagen. Eine regelmäßige Überprüfung der Pläne, so wie es im Landesrecht partiell auch vorgesehen ist, erscheint geboten. Eine Orientierung an der regelmäßigen sechsjährigen Überprüfung des § 84 WHG erscheint sinnvoll.192 Im Rahmen dieser Revision ist auch zu überprüfen, ob die Entscheidungsgrundlagen der Planung noch Gültigkeit besitzen.193 Soweit aus den Plänen Rechte abgeleitet werden können, sollten diese zeitlich begrenzt sein, um eine Revision nicht zu behindern.194
7. Inhalte Die möglichen Inhalte der Pläne für siedlungswasserwirtschaftliche Infrastrukturen lassen sich zunächst aus bestehenden Beispielen in den Bundesländern ableiten. Daneben sollte jedoch berücksichtigt werden, dass die bestehenden Planungssysteme bislang bestimmte, hier besonders untersuchte Aspekte allenfalls in Ansätzen einbezogen haben. Das gilt zum Beispiel für die Berücksichtigung der langfristigen Folgen des Klimawandels und der demografischen Entwicklung. Alle Pläne sollten zunächst eine umfassende Erfassung des Ist-Zustands enthalten. Das umfasst die vorhandenen natürlichen und technischen Ressourcen sowie das Nutzerverhalten. In einem zweiten Schritt sind dann Entwicklungsziele zu definieren. Hier kommen vor allem Aspekte wie die Anforderungen des Klimawandels und der demografischen Entwicklung zum Tragen. Diese Ziele stehen im Kontext der zu beachtenden übergeordneten Ziele und Vorgaben. Diese ergeben sich insbesondere aus dem europarechtlichen Rahmen, dem WHG, den landesrechtlichen Regelungen und den Bewirtschaftungsplänen und Maßnahmenprogrammen. Schließlich sind Maßnahmen zu benennen, wie die definierten Zielsetzungen erreicht werden sollen. Für die Durchführung der Maßnahmen sollten Zeitpläne erstellt werden. Vgl. Köck (2007), S. 397. Vgl. für ein Konzept der Verkehrsplanung Koch / Hofmann / Reese (2001), S. 76; Reese (2012), S. 416 f. 193 Vgl. dazu Reese (2010) S. 427. 194 Vgl. Kment (2011), S. 131. 191 192
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Hier müssen auch Kostenerwägungen eine Rolle spielen, die häufig die Frage aufwerfen, ob zentrale oder dezentrale Systeme zu wählen sind.195 Diese Überlegungen lassen sich praktisch für alle Pläne anwenden. Die nachfolgenden Überlegungen zeigen lediglich den thematischen Rahmen der einzelnen Inhalte der jeweiligen Pläne auf. In der Praxis wäre die Herausarbeitung weiterer Details erforderlich.
a) Wasserversorgung Eine zentrale Aufgabe der Wasserversorgungsplanung muss die Gewährleistung der mengenmäßig ausreichenden Bereitstellung von Wasserressourcen sein. Dies lässt sich bereits aus § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 WHG ableiten, wonach die Gewässer mit dem Ziel zu bewirtschaften sind, „bestehende oder künftige Nutzungsmöglichkeiten insbesondere für die öffentliche Wasserversorgung zu erhalten oder zu schaffen“.196 aa) Überörtlicher Wasserversorgungsplan In einem überörtlichen Wasserversorgungsplan sollten zumindest enthalten sein:197 – Darstellung des Ist-Zustands der öffentlichen Wasserversorgung und geplante Entwicklungen der Versorgungspflichtigen, – Wassergewinnungsgebiete mit Wasserdargebot, – Versorgungsräume, – Zuordnung der Wassergewinnungsgebiete zu den Versorgungsräumen, – Gebiete, die für die zukünftige Nutzung besonders zu schützen sind, – Wassergewinnungsanlagen von überörtlicher Bedeutung und ihr Einzugsbereich, – Leitungssysteme von überörtlicher Bedeutung, – Entwicklungsziele, – Maßnahmen zur Erreichung der Ziele.
195 Vgl. hierzu Koch / Hofmann / Reese (2001), S. 76 ff., die für die Verkehrsplanung einen Assessmentteil und einen Gestaltungsteil vorsehen. 196 Zum Erfordernis der Ergänzung des planungsrechtlichen Instrumentariums des WHG um ein „Planungsmodul“, das die mengenmäßige Bewirtschaftung gewährleisten kann Reese (2010), S. 192 ff. 197 Vgl. § 63 Abs. 2 BbgWG; § 50a Abs. 1 NWWG; § 50 Abs. 2 RPWG; § 42 Abs. 2 SächsWG.
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bb) Örtliche Wasserversorgungskonzepte – Darstellung des Ist-Zustands der örtlichen Wasserversorgung, – zur Verfügung stehende Wasserressourcen, – Wasserversorgungsanlagen, – Leitungen, – Nutzungen, – Entwicklungsziele, – Maßnahmen zur Erreichung der Ziele.
b) Abwasserbeseitigung Das übergeordnete Ziel der Abwasserbeseitigung schreibt § 55 Abs. 1 WHG vor, indem er vorgibt, dass Abwasser so zu beseitigen ist, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt ist. aa) Überörtliche Abwasserbeseitigungspläne Bei den möglichen Inhalten für überörtliche Abwasserbeseitigungspläne besteht die Besonderheit, dass an der bundesrechtlichen Regelung des § 18a Abs. 3 WHG a. F. angeknüpft werden kann. In den Abwasserbeseitigungsplänen waren gemäß § 18a Abs. 3 S. 2 WHG a. F. „insbesondere die Standorte für bedeutsame Anlagen zur Behandlung von Abwasser, ihr Einzugsbereich, Grundzüge für die Abwasserbehandlung sowie die Träger der Maßnahmen festzulegen“. Betrachtet man dies zusammen mit den Ländern, die über eine überörtliche Abwasserbeseitigungsplanung verfügen, sollten insbesondere die nachfolgenden Inhalte vorgesehen werden: – Beschreibung des Ist-Zustandes unter Einschluss der geplanten Entwicklungen der Beseitigungspflichtigen, – Abwasserbeseitigungsanlagen von überörtlicher Bedeutung mit Einzugsbereich, – Grundzüge der Abwasserbehandlung, – Leitungssysteme von überörtlicher Bedeutung, – Entsorgungsräume, – Gewässer, in die eingeleitet wird, und deren – Zuordnung zueinander. – Entwicklungsziele, – Maßnahmen zur Erreichung der Ziele.
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bb) Örtliche Abwasserbeseitigungskonzepte Wie gesehen ist von allen hier betrachteten Instrumenten die örtliche Planung der Abwasserbeseitigung mittels Abwasserbeseitigungskonzepten am weitesten verbreitet. Vor dem Hintergrund der geltenden Regelungen in den Ländern erscheinen die folgenden Inhalte von besonderer Relevanz:198 – Beschreibung des Ist-Zustandes, – Darstellung der Abwasserbeseitigungspflichtigen, – Gebiete mit zentraler Abwasserbeseitigung, – Gebiete mit dezentraler Abwasserbeseitigung, – Abwassereinleitungen – zentrale Abwasserbeseitigungsanlagen mit Einzugsgebiet, – dezentrale Abwasserbeseitigungsanlagen mit Einzugsgebiet, – Abwasserleitungen, – Einrichtungen der dezentralen Niederschlagswasserbeseitigung, – Gewässer, in die eingeleitet wird, – Entwicklungsziele, – Maßnahmen zur Erreichung der Ziele.
Die Trennung in Schmutzwasserkonzept und Niederschlagswasserkonzept, so wie sie in Sachsen-Anhalt vorzufinden ist, erscheint sinnvoll.
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Technologische und institutionelle Anpassungsoptionen im Wechselspiel: Herausforderungen einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung* Von Stefan Geyler, Norman Bedtke und Erik Gawel
I. Einleitung: Herausforderungen der Regenwasserbewirtschaftung im Siedlungsbestand 1. Problemaufriss Die Erscheinungsformen der Niederschlagsentwässerung1 im Siedlungsbereich sind vielgestaltig: Die Entwässerung umfasst das ungedrosselte oder gedrosselte Ableiten des Regen- bzw. Schmelzwassers, dessen Behandlung und Versickern, Verdunsten oder Einleiten bzw. dessen Nutzung. Die lange Zeit dominierende Ansicht, dass Regenwasser aus Siedlungen möglichst schnell und vollständig mit Hilfe des bestehenden konventionellen Abwassersystems abzuleiten sei, wird zunehmend aufgegeben. Augenfällig wird dieser „Paradigmenwechsel“2 im neuen § 55 Abs. 2 WHG 2010, der den Grundsatz einer ortsnahen Niederschlagswasserbeseitigung durch Versickerung oder Verrieselung bzw. im Wege direkter oder zumindest vermischungsfreier Zuführung in ein Gewässer verankert.3 Maßgeblich hierfür ist die Einsicht, dass konventionelle zentrale Systeme angesichts veränderter klimatischer Rahmenbedingungen und gestiegener rechtlicher Anforderungen an Gewässerschutz und nachhaltige Bewirtschaftung des Wasserhaushaltes mit der Aufgabe einer flächendeckenden nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung zunehmend überfordert sind. So kann zunächst der Überflutungsschutz bei vermehrten Starkregenereignissen kaum zuverlässig gewährleistet werden. Seit Jahren kann eine starke Zunahme von * Aktualisierte und deutlich erweiterte Fassung der Beiträge Geyler / Bedtke / Gawel (2014a); dies. (2014b). 1 Niederschlagswasser ist nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 WHG das von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen gesammelt abfließende Wasser. Im Folgenden werden Niederschlags- und Regenwasser synonym verwendet. 2 Sieker / Sieker (2009a). 3 Lauer (2011).
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baulichen Maßnahmen zur Regenwasserbehandlung beobachtet werden.4 Obwohl diese auch einer verbesserten Auslegung bestehender Systeme an die künftig vermutlich zunehmend auftretenden Extremereignisse5 dienen sollen, zeigen sich in vielen Städten bereits jetzt regelmäßig Überlastungen. Die Folge sind städtische Überflutungen, aber auch vermehrte Überläufe ungeklärter Abwässer in Oberflächengewässer.6 Die damit verbundene hydraulische und stoffliche Belastung von Gewässern ist insbesondere wegen der europarechtlich steigenden Anforderungen an den Gewässerschutz problematisch.7 Daneben ist die ökologische Zielstellung eines möglichst geringen Eingriffs in den natürlichen Wasserhaushalt bedeutsam, welcher konventionelle Ableitungssysteme nur ungenügend nachkommen können.8 Diese Verfehlungen erscheinen umso problematischer, wenn man die hohen Kosten zentraler Bewirtschaftungsansätze in die Bewertung einbezieht: Der kostenintensive Aus- und Umbau klassischer Misch- und Trennsysteme und deren Anpassung an sich ändernde Rahmenbedingungen kommen aufgrund der begrenzten öffentlichen Investitionsmittel an spürbare Grenzen.9 Vor diesem Hintergrund bieten sich aus rechtlichen, ökologischen, aber auch aus finanziellen Gründen Strategien einer dezentralen Regenwasserbewirtschaftung als Lösung an. Bei diesen Ansätzen erfolgt die Ableitung, Rückhaltung, Behandlung, Beseitigung bzw. Nutzung ortsnah zum jeweiligen Ort des Niederschlagsanfalls. Zwischenzeitlich stehen hierfür auch eine Reihe von praxisreifen Technologieoptionen bereit, die zugleich dem Ziel einer Verbesserung der Nachhaltigkeit der Regenwasserbewirtschaftung dienlich sein können. Im Zusammenhang mit Regenwasserbewirtschaftung werden als nachhaltige Ansätze vor allem Maßnahmen zum Rückhalt, zur Versickerung und zur örtlichen Nutzung von Regenwasser angesehen. 10 Aus ökologischer Sicht sprechen der geringere Einfluss auf den natürlichen Wasserhaushalt, aber auch der damit verbundene Rückgang von Überläufen im Falle von Starkregenereignissen für dezentrale Ansätze.11 Wirtschaftliche Vorteile werden im
Brombach (2010). Zu den möglichen Veränderungen von Starkniederschlägen und den Konsequenzen für die Siedlungsentwässerung u. a. Schmitt et al. (2006); Storch / Claussen (2011). 6 Sieker / Sieker (2009b), S. 922. 7 Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie fordert von den Mitgliedsstaaten die Vermeidung einer weiteren Verschlechterung sowie Schutz und Verbesserung des Zustands der aquatischen Ökosysteme (Art. 1 EG-WRRL) sowie die Durchführung aller notwendigen Maßnahmen um eine Verschlechterung des Zustands aller Oberflächenwasserkörper zu verhindern (Art. 4 EG-WRRL). Zur stofflichen, hygienischen und hydraulischen Belastung von Oberflächengewässer durch Niederschlagsentwässerung u. a. Gasse (2009); Brombach / Fuchs (2003); Sieker (2003); Sieker / Sieker (2009c); Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft (2004); Hillenbrand et al. (2007); Fuchs et al. (2010); Peters (2007). 8 Sieker / Sieker (2009a), S. 797. 9 Reidenbach et al. (2008). 10 Geiger et al. (2009), S. 1 ff. 11 Sieker / Sieker (2009a), S. 797; Geiger et al. (2009), S. 27 ff. 4 5
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Vermeiden von Investitionen für Anlagen zur Regenaufbereitung und zum Regenrückhalt in Folge der Abkopplung befestigter Flächen gesehen.12 Weiterhin werden dezentralen Ansätzen Vorteile gegenüber traditionellen Systemen hinsichtlich zukünftiger Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zugeschrieben.13 Gleichwohl können auch zentrale Lösungen weiterhin entsprechend der lokalen Gegebenheiten die Nachhaltigkeitsanforderungen insgesamt am besten bedienen; „dezentral“ und „nachhaltig“ sind daher keinesfalls Synonyme. Auch rechtlich sind durch den „Grundsatz“ der ortsnahen Beseitigung zentrale Lösungen künftig weder ausgeschlossen noch posteriorisiert.14 Vielmehr wird in § 55 Abs. 2 WHG ein nachhaltigkeitsbezogener Optimierungsauftrag formuliert, in den ausdrücklich dezentrale Optionen einzubeziehen sind.15 Ein veränderter Umgang mit Regenwasser ist bereits seit ca. zwei Jahrzehnten verstärkt zu beobachten. Lange vor der WHG-Novelle 2010 oder der europäischen WRRL 2000 wurden auf Länder- und Kommunalebene im Gebühren- sowie im Ordnungsrecht erste Steuerungsinstitutionen implementiert, die dezentrale Ansätze fördern sollen, um so die Nachhaltigkeit der Wasserwirtschaft zu verbessern: – Gebührenrecht: Mit der voranschreitenden Implementation und zwischenzeitlich sogar rechtlichen Verbindlichmachung einer separaten Niederschlagswassergebühr16 bestehen ökonomische Anreize für Grundstücksbesitzer zur Entsiegelung von Flächen sowie zur örtlichen Regenwassernutzung und -versickerung. Während die Stadt Bamberg bereits 1962 eine eigenständige Niederschlagswassergebühr einführte, ist eine flächendeckende Verbreitung erst in jüngerer Zeit als Reaktion auf eine veränderte obergerichtliche Judikatur17 festzustellen. – Ordnungsrecht auf Landes- und Kommunalebene: Seit längerem erfolgt in einigen Bundesländern eine grundsätzliche Bevorzugung ortsnaher Beseitigung bei neu zu errichtenden Gebäuden.18 Auf der Ebene des kommunalen Satzungsrechtes ist mitunter sogar ein Anschluss- und Benutzungsrecht zur Beseitigung von 12 Becker et al. (2004). Beispielsweise gehen Schätzungen für die Emscher-Region davon aus, dass mit Hilfe von Abkopplungsmaßnahmen ein Einsparpotenzial zwischen 20 und 27 Prozent des Gesamtinvestitionsbedarfs für städtische Kanalsanierung besteht – siehe Becker / Raasch (2005), S. 9. 13 Schmitt (2009), S. 129; Sieker / Sieker (2009a), S. 800. 14 Queitsch (2011a), Rn. 116a f. 15 Lauer (2011). 16 Schulte / Wiesemann (2015), Rn. 354 ff. 17 In der Folge von OVG Münster, U. v. 18. 12. 2007 – 9 A 3648 / 04 – KStZ 2008, 74. Ähnlich auch VGH Mannheim, U. v. 11. 3. 2010 – 2 S 2938 / 08 – VBlBW 2010, 481. Zu der (älteren) Diskussion um getrennte Niederschlagswasserentgelte und den bundesweiten Auswirkungen dieser neueren Judikatur u. a. Fabry (2000a); Hennebrüder (2007); Tillmanns (2008); Schöneweiß (2010); Voßschmidt (2010); Queitsch (2011a), Rn. 199 ff.; ders. (2011b); Quaas (2011); Brüning (2012). 18 Z. B. § 51a Abs. 1 LWG NW seit 1. 1. 1996; für einen Ländervergleich siehe Geiger et al. (2009).
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Niederschlagswasser mittels der öffentlichen Kanalisation im Fall der Neubebauung nicht mehr gegeben.19 Während bei neu zu nutzenden Siedlungsflächen die Entwicklung klar in Richtung einer örtlichen, stärker dezentralisierten Regenwasserbewirtschaftung zielt, ist die Situation im Siedlungsbestand juristisch, technisch und sozio-ökonomisch komplexer: Rechtlicher Bestandsschutz und vorhandene langlebige zentrale Infrastrukturen erschweren hier einen System-Übergang – nicht zuletzt infolge der UmbauKosten sowie der bei Dezentralisierung komplexeren Akteursstruktur: Als Entscheidungsträger sind hier neben den kommunalen Aufgabenträgern vor allem die privaten Grundstückseigentümer in den Blick zu nehmen; strukturelle Veränderungen müssen vor diesem Hintergrund durch geeignete institutionelle Arrangements zwischen den Akteuren sinnvoll koordiniert werden. Weiter ist zu beachten, dass dezentrale Strukturen außerordentlich vielfältige Erscheinungsformen besitzen und speziell im Siedlungsbestand nicht nur Vorteile gegenüber zentralen Beseitigungssystemen aufweisen: So bestehen oftmals naturräumliche und siedlungsstrukturelle Einsatzgrenzen, etwa weil eine Versickerung aufgrund räumlicher Gegebenheiten gar nicht möglich ist oder Vernässungsschäden drohen. Aus ökonomischer Sicht sprechen zudem die Entwertung früher getätigter Investitionen, der Wegfall von Gebühreneinnahmen und die damit verbundene Gefahr steigender Gebührensätze u. U. gegen eine Dezentralisierung. 20 Aber auch Kosten im Zusammenhang mit einer dezentraleren Ausrichtung wie der Verlust von Größenvorteilen und ggf. höheren Transaktionskosten21 können Anpassungshemmnisse darstellen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Realisierung einer ökologischen und ökonomischen „Dezentralisierungsdividende“ im Rahmen der Regenwasserbewirtschaftung im Siedlungsbestand von den jeweiligen Rahmenbedingungen und konkreten Zielstellungen sowie der Gewichtung einzelner Teilziele abhängt. Die Entscheidung bezüglich der konkreten Systemwahl bedarf folglich einer fallweisen Bewertung der jeweils zur Verfügung stehenden Alternativen und örtlichen Randbedingungen. Daher stellt sich die Frage, wie dieses Optimierungsproblem für den Siedlungsbestand in der Praxis gelöst wird und inwieweit die hierauf Einfluss nehmenden institutionellen Rahmenbedingungen des Wasser- und KomGeiger et al. (2009). Queitsch (2002). 21 Die größere Anzahl von Akteuren lassen für den Fall dezentraler Regenwasserbewirtschaftung einen im Vergleich zu zentralen Systemen erhöhten Koordinierungs- und Kontrollaufwand vermuten. Auch die Bestimmung der Abwassermenge im Fall einer Brauchwassernutzung, sei es mittels pauschaler Festlegungen oder eines separaten Regenwasserzählers, stellt aus ökonomischer Sicht Monitoring- und damit Transaktionskosten dar. Zu Praxiserfahrungen hierzu vgl. Marcard (2000). Unter Transaktionskosten werden in der Volkswirtschaftslehre allgemein die Kosten der Marktnutzung verstanden. Hierzu zählen u. a. vorvertragliche Such- und Informationskosten, die Kosten einer Vertragsaushandlung sowie nachvertragliche Überwachungskosten – siehe hierzu Richter / Furubotn (2003), S. 53 ff. 19 20
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munalrechts eine solche örtliche Optimierung im Sinne der Nachhaltigkeit überhaupt gestatten. 2. Fragestellung und Vorgehensweise Der vorliegende Beitrag geht vor diesem Hintergrund der Frage nach, in welche Richtung die Niederschlagsbewirtschaftung im Siedlungsbestand derzeit institutionell gesteuert wird, insbesondere, inwieweit in der Praxis dezentrale, grundstücksbezogene Bewirtschaftungslösungen in die Systementwicklung der bisher überwiegend zentralen Regenwasserbewirtschaftung einbezogen werden und inwieweit dies in theoretisch kohärenter Weise geschieht. Die Untersuchung setzt hierbei auf der kommunalen Ebene an, da die Kommunen die zentrale Verantwortung für die Abwasserentsorgung innehaben und hier die Weichen der urbanen Regenwasserbewirtschaftung gestellt werden. Aufgrund der kommunalen Selbstverwaltung und der damit einhergehenden Satzungshoheit haben die Kommunen zugleich ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit bzgl. der strategischen Zielfindung und der institutionellen Umsetzung. Dabei stehen den Kommunen vor allem satzungsrechtliche Regelungen zum Anschluss- und Benutzungszwang und zur Regenwassergebühr als institutionelle Hebel zur Verfügung. Gleichwohl bleibt das kommunale Handeln in ein Bedingungsgefüge wasser- und kommunalrechtlicher Regelungen des Bundes und der Länder eingebunden, das dem Handlungsraum Grenzen setzt. Das Anliegen der Arbeit liegt darin, den gegenwärtigen strategischen Umgang der Kommunen mit den Möglichkeiten dezentraler Regenwasserbewirtschaftung im Siedlungsbestand theoretisch und empirisch zu beleuchten. Diese Bestandsaufnahme setzt dabei nicht an der technologischen Ebene der Regenwasserbewirtschaftung an, sondern an den genannten zentralen kommunalen Steuerungsinstitutionen, die das Verhalten der an der Regenwasserbewirtschaftung beteiligten Akteure koordinieren (Anschluss- und Benutzungszwang, Entgeltsysteme). Die Ausgestaltung dieser Institutionen zeigt viel früher die aktuellen Entwicklungstendenzen an, als dies anhand des später realisierten Phänotyps der eher reaktionsträgen technischen Infrastruktursysteme ablesbar wäre. Es stellt sich daher zunächst die Frage, welches institutionelle Steuerungsdesign theoretisch in besondere Weise geeignet ist, die jeweiligen kommunalen Entwicklungsziele der Regenwasserbewirtschaftung umzusetzen. Anschließend werden die in der Praxis tatsächlich verbreiteten Steuerungsansätze empirisch untersucht. Beide Fragen sind eng miteinander verknüpft; denn um die im Rahmen dieser Untersuchung (Satzungsanalyse und ergänzende Telefoninterviews) erfasste empirische Situation interpretieren zu können, muss das Interplay der relevanten Institutionen theoretisch verstanden werden. Es stellt sich hierbei zum einen die Frage, wie der technologische Alternativenraum durch die einzelnen Institutionen angesteuert wird und wie hierbei Kerninstitutionen des Anschlusszwangs und des Entgeltsystems
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miteinander interagieren. Zum anderen sind mögliche institutionelle Kombinationen in ihrer Zielerfüllung bewertend zu vergleichen. Zu diesem Zweck wird nachfolgend zunächst das verwendete Untersuchungsdesign (Ziele, Strategien und Steuerungsinstitutionen) ausgebreitet (Abschnitt II.). In Abschnitt III. erfolgt anschließend die theoretische Analyse des Einsatzes zentraler kommunaler Steuerungsinstitutionen (Anschluss- und Benutzungszwang, Entgeltsystem) im Hinblick auf konkrete Bewirtschaftungsziele der Niederschlagsentwässerung vor dem Hintergrund des technologischen Alternativenraums. Im Ergebnis werden verschiedene theoretisch konsistente „Strategien“ der Bewirtschaftung identifiziert. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zu den gegenwärtigen strategischen Bewirtschaftungsansätzen in der Praxis werden in Abschnitt IV. vorgestellt und diskutiert. Ein Fazit mit Blick auf die Befunde zu aktuellen Steuerungstendenzen der Regenwasserbewirtschaftung im Siedlungsbestand (Abschnitt V.) beschließt diese Arbeit.
II. Untersuchungsdesign: Ziele, Strategien und Steuerungsinstitutionen der Regenwasserbewirtschaftung 1. Dezentralisierungsoptionen und Akteure Für die konkrete Ausgestaltung der Regenwasserbewirtschaftung vor Ort stehen den kommunalen Aufgabenträgern eine Vielzahl an Bewirtschaftungsansätzen zur Verfügung. Der dadurch aufgespannte Alternativenraum umfasst dabei Technologien, die sich insbesondere in ihrem konkreten Zielerfüllungsprofil, ihrer räumlichen Dimension und hinsichtlich der jeweils entscheidungsrelevanten Akteure signifikant unterscheiden (siehe Abbildung 1). Als dezentrale Bewirtschaftung im engen Sinne werden dabei im Folgenden ortsnahe Maßnahmen verstanden, welche von Grundstückseigentümern auf ihrem privaten Grundstück ergriffen werden können.22 Von maßgeblicher Bedeutung ist, dass die öffentlichen Aufgabenträger keine direkte Verfügungsgewalt über die Grundstücke besitzen und somit die Entscheidungskompetenz erst einmal außerhalb der Aufgabenträger bei den Grundstückseigentümern selbst liegt. Hiervon sind Maßnahmen einer ortsnahen Bewirtschaftung abzugrenzen, die der Aufgabenträger ohne Abstimmung mit anderen Akteuren im öffentlichen Raum, z. B. im Fall der 22 Zur Abgrenzung dezentraler und zentraler Optionen bieten sich räumliche wie akteursbezogene Aspekte an: So wird beispielsweise in § 55 Abs. 2 WHG mit dem Konzept der ortsnahen Bewirtschaftung ein räumlicher Bezug verfolgt [vgl. auch Sieker (2004)]. In den technischen Regeln wird Dezentralität dagegen im Hinblick auf ihren Grundstücksbezug abgegrenzt [vgl. z. B. DWA (2005), S. 9], wobei sowohl eine räumliche als auch eine akteursbezogene Interpretation möglich ist. Die im Rahmen dieser Untersuchung verfolgte Begriffsabgrenzung bezieht sowohl räumliche als auch akteursbezogene Aspekte mit ein.
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Ableitung des Niederschlagswassers von Straßen, selbst durchführen kann.23 Ferner können semi-zentrale Ansätze, bei denen ortsnahe Lösungen grundstücksübergreifend und somit durch Koordination mehrerer Grundstückseigentümer und ggf. unter Einbindung des Aufgabenträgers errichtet und betrieben werden, in Betracht kommen.24 Diese werden jedoch nachfolgend ausgeblendet, da hier zusätzliche Informations- und Koordinationskosten zwischen den Akteuren eine erhebliche Rolle spielen, deren Betrachtung den Rahmen des Beitrags übersteigen würde. Als zentrales System werden schließlich die sich im öffentlichen Raum und in Verantwortung der öffentlichen Aufgabenträger befindlichen und zumeist kanalgebundenen Strukturen zur Niederschlagswasserbewirtschaftung verstanden. Hierbei werden mehrere bzw. viele Grundstücke räumlich übergreifend bewirtschaftet.
Quelle: eigene Erstellung.
Abbildung 1: Maßnahmen zur Regenwasserbewirtschaftung und deren Akteursbezug
2. Ziele und Strategien für die regenwasserbezogene Infrastrukturentwicklung Entscheidungen über eine nachhaltige regenwasserbezogene Infrastrukturgestaltung stehen auch im Bereich des Siedlungsbestandes in einem Grundkonflikt: Nach23 24
Dazu Sieker (2012); Werker et al. (2012a); dies. (2012b). Z. B. Kruse et al. (2009); Dickhaut et al. (2011).
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haltige Regenwasserbewirtschaftung bewegt sich stets im Spannungsfeld zwischen der „Sicherung des zentralen Systems“ einerseits und der „Freistellung bzw. sogar Förderung der Abkoppelung der Grundstückseigentümer aus dem zentralen System“ zur Erwirtschaftung einer „Dezentralisierungsdividende“ andererseits. Beide strategische Ansatzpunkte bedienen in spezifischer Weise die verschiedenen Teilziele einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung. Wir wollen in diesem Zusammenhang fünf Teilziele unterscheiden: 1. Überflutungsschutz: Dieses grundlegende Anliegen der Siedlungsentwässerung zielt auf Vermeidung von Überflutungen von Straßen, Wegen, Flächen sowie Wohnbereichen, so dass nach Niederschlägen keine gesundheitlichen und materiellen Schäden durch Überflutung entstehen. Diese Zielstellung kann sowohl durch zentrale als auch durch dezentrale Systeme erreicht werden. 2. Ökologische Nachhaltigkeit:25 Weiterhin muss die Siedlungsentwässerung die Anforderungen der ökologischen Nachhaltigkeit erfüllen, da Niederschlagswasser i. d. R. in Gewässer abgeleitet sowie der Grundwasserhaushalt maßgeblich durch die Entwässerungsstruktur beeinflusst werden. Gerade in diesem Bereich entwickeln sich die gesellschaftlichen Ansprüche seit einigen Jahren dynamisch weiter und wirken sich auch auf die Siedlungsentwässerung aus. Höhere Anforderungen gegenüber dem Schutz der Fließgewässer vor hydraulischen und stofflichen Belastungen machen es u. a. erforderlich, die Abflussspitzen zu reduzieren bzw. stoffliche Einträge zurückzuhalten. Die hierzu nötigen Systemanpassungen erfordern wiederum kontextbezogene Entscheidung zwischen zentralen und dezentralen Maßnahmen. Sowohl eine Weiterentwicklung der zentralen Systeme, zum Beispiel durch Errichtung von Regenbecken und Stauraumkanälen als auch eine Abflussreduktion durch dezentralen Rückhalt bzw. ortsnahe Verwertung oder Versickerung wirken in diesem Sinne. Demgegenüber erfordert ein weiterer Aspekt der ökologischen Nachhaltigkeit, die flächenhafte Verbesserung des Grundwasserhaushaltes durch eine Erhöhung der Grundwasserneubildung (GWN) tendenziell die Bevorzugung von dezentralen Maßnahmen. Bei der großflächigen Umsetzung von Versickerungsmaßnahmen stoßen die im öffentlichen urbanen Raum liegenden zentralen Systeme demgegenüber an ihre Grenzen. Neben den beiden materiellen Zielen der Entwässerung („was?“) stehen zudem noch Formalziele, die die Frage beantworten, auf welche Weise ein ökologisch nachhaltiger Überflutungsschutz operativ bewirkt werden soll („wie?“). Hierzu zählen die Refinanzierung aller eingesetzten zentralen Anlagen sowie deren Wirtschaftlichkeit und Steuerbarkeit. 3. Refinanzierung: Alle Gestaltungsentscheidungen stehen zunächst unter dem Vorbehalt, dass für den Aufgabenträger eine auskömmliche Refinanzierung sei-
25 Mit dem Zielkriterium „ökologische Nachhaltigkeit“ wird die herausgehobene Bedeutung der Umweltverträglichkeit im Zielkatalog der nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung hervorgehoben – vgl. hierzu Grunwald / Kopfmüller (2006), S. 41 ff.
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nes Investments eröffnet wird. Eine langfristig sichere Refinanzierung der Siedlungsentwässerung erfordert zwingend auch den Erhalt und die angemessene Refinanzierung bestehender zentraler Systeme, da diese das nicht zu ersetzende Fundament einer funktionsfähigen Regenwasserbewirtschaftung im urbanen Raum bilden. Dezentralisierungsmaßnahmen stehen hierbei strukturell einer auskömmlichen Refinanzierung entgegen, da mit jedem Quadratmeter abgekoppelter Fläche tendenziell auch die Refinanzierungsbasis erodiert, obwohl die im Wesentlichen fixen Kosten des Zentralsystems dadurch kaum nennenswert gesenkt werden können. 4. Wirtschaftlichkeit: Die Wasserdienstleistungen sollen sowohl in einer statischen (aktuellen) als auch in einer dynamischen Perspektive jeweils zu geringstmöglichen Kosten abgegeben werden. Insbesondere machen Abweichungen vom statischen Kostenoptimum (Soll-Ist-Abweichungen), aber auch sich fortwährend wandelnde Anforderungen an die Infrastruktur eine Weiterentwicklung des Gesamtsystems erforderlich, die zu geringstmöglichem Ressourcenverzehr bewirkt werden soll. Als Treiber der Weiterentwicklung kommen technologischer Fortschritt, d. h. Veränderungen beim technologischen Alternativenraum, ebenso in Frage wie Veränderungen bei siedlungsstrukturellen Gegebenheiten (Versiegelung) oder naturräumliche Rahmenbedingungen (Klimawandel), auf die reagiert werden muss, um die bestehenden materiellen Ziele möglichst kostenminimal zu erfüllen. Aber auch die Weiterentwicklung der materiellen Ziele selbst erfordert Anpassungsmaßnahmen beim Gesamtsystem im Sinne einer auch dynamisch im Zeitablauf gesicherten Wirtschaftlichkeit. Die technische Umsetzung kann in Abhängigkeit der lokalen Rahmenbedingungen durch Weiterentwicklung des zentralen Systems oder durch Dezentralisierungsmaßnahmen erfolgen. D. h. strategische Entscheidungen im Sinne einer kosteneffizienten Systementwicklung, auch unter Berücksichtigung der Refinanzierungseffekte bei der Dezentralisierung können nicht per se mit zentraler oder dezentraler Strategie verbunden werden und sind kontextabhängig zu fällen. Gleichwohl ist zu vermuten, dass ausgehend von einer gegenwärtig nahezu 100 %igen Zentralisierung des städtischen Entwässerungssystems ein gewisser Dezentralisierungsgrad hier zu Effizienzgewinnen führt. 5. Steuerbarkeit: Schließlich stellt sich das Modal-Ziel einer hinreichenden Steuerbarkeit des Gesamtsystems: Mit einer zunehmenden Dezentralisierung verlagern sich die Pflichten und Aufgaben, aber auch Kompetenzen vom Aufgabenträger auf den Grundstückseigentümer. Dies ist gleichbedeutend mit einem Kontrollverlust des Aufgabenträgers, welcher im zentralen System die alleinige Planungs- und Dispositionshoheit innehat, bzw. mit steigenden Transaktionskosten zur Koordination diversifizierter Systemkomponenten. Somit streitet das Ziel der Steuerbarkeit tendenziell für eine Dominanz zentraler Systeme, bei denen die Anzahl der aktiv beteiligten Akteure überschaubar und zudem in institutioneller Nähe zum Aufgabenträger bleibt.
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Entscheidungen über den Phänotyp, insbesondere den Dezentralisierungsgrad eines Systems der Regenwasserbewirtschaftung, müssen mithin in einem komplexen Spannungsfeld aus Zielkonflikten zwischen den genannten fünf Teilzielen getroffen werden. Zur rationalen Bewältigung dieser Konflikte bedarf es mithin einer kommunalen „Strategie“ des Aufgabenträgers: Hierunter wird im Folgenden eine bewirtschaftungsorientierte Zielkonkretisierung und -priorisierung verstanden, die durch ein adäquates institutionelles Umsetzungsdesign untersetzt ist. Somit erfordert die Strategiefindung der Kommunen als erste Aufgabe, zwischen den konfliktträchtigen Teilzielen einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung – unter Beachtung der lokalen Rahmenbedingungen – abzuwägen. Zugleich steht als zweite Aufgabe an, ein solchermaßen priorisiertes Zielbündel auch institutionell adäquat zu adressieren, also durch ein lokales, bewirtschaftungsbezogenes Institutionendesign so zu untersetzen, so dass das jeweilige Zielsystem auch angemessen realisiert werden kann. Letztlich manifestiert sich eine Strategie dann entweder in einem eher strukturkonservativen Entwicklungspfad mit hoher Zentralität oder aber in einer mehr oder weniger starken Dezentralisierung (dazu näher unten III.3.). Dabei geht es nicht allein um völligen Ausschluss oder ausschließliches Verfolgen von Dezentralisierung, sondern auch um ein gezieltes Hemmen oder Fördern, so dass sich unterschiedlich akzentuierte Phänotypen von niederschlagswasserbezogenen Entwässerungssystemen ausbilden.
3. Institutionen als Stellschrauben der Infrastrukturentwicklung Zur Umsetzung kommunaler Bewirtschaftungsziele und somit zur konkreten Ausgestaltung des jeweiligen System-Phänotyps müssen die Entscheidungsbefugnisse geklärt und geeignete Verhaltensanreize gesetzt werden – kurz: Die Handlungen der relevanten kommunalen Akteure müssen zieladäquat koordiniert werden. Dies ist Aufgabe des Institutionendesigns. Es dient der Abstimmung des kommunalen Aufgabenträgers mit Fach- und Aufsichtsbehörden (z. B. der Wasserbehörde) und insbesondere mit den Grundstückseigentümern. Unter Institutionen werden soziale Regelsysteme inklusive ihrer Durchsetzungsmechanismen verstanden, die individuelles Verhalten (hier: von Aufgabenträgern und Grundstückseigentümern) steuern.26 Zu den Institutionen gehören Regelungen über Entscheidungskompetenzen (Wer entscheidet auf welcher Ebene?) ebenso wie die eigentlichen Entscheidungsverfahren selbst (Wie wird entschieden? Welche Anreize und Restriktionen bestehen?): Mittels einer direkten ordnungsrechtlichen Steuerung, welche den Alternativenraum der Entscheider gezielt verkürzt oder erweitert, wird beispielsweise übergeordneten Anforderungen wie der Gemeinwohlverträglichkeit, der Systemrefinanzierung oder einer abgestimmten Planung Rechnung getragen. Institutionen können aber auch indirekt das Verhalten der Akteure 26
Erlei et al. (2007), S. 23.
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beeinflussen, indem über Entgeltregelungen Anreize gesetzt werden, durch die eine Verbreitung vorzugswürdiger Technologieoptionen begünstigt werden soll, ohne diese unmittelbar vorzuschreiben. Neben dieser verhaltenslenkenden Funktion einzelner Akteure regeln Institutionen auch die Interaktionen zwischen Aufgabenträger, Grundstückseigentümern und staatlichen Aufsichtsbehörden: So nehmen Grundstückseigentümer beispielsweise im konventionellen zentralen System lediglich die Rolle als Konsumenten der Dienstleistungen „Niederschlagsableitung und Überflutungsschutz“ ein, während dem Aufgabenträger die entscheidende Rolle bzgl. Konzeption, Wartung und Haftung zukommt. Bei dezentralen und semizentralen Technologieoptionen ändert sich die Position der Grundstückseigentümer, da diese stärker die Rolle eines Dienstleistungsanbieters einnehmen, indem sie z. B. selber die Dienstleistungen „Überflutungsschutz“ und „Beseitigung“ bereitstellen. Da sich (semi-)zentrale und dezentrale Technologieoptionen hinsichtlich der Pflichten und Aufgaben der Akteure signifikant unterscheiden, ist die klare Zuordnung der jeweiligen Kompetenzen bei der Niederschlagsentwässerung von zentraler Bedeutung. Institutionen regeln damit insbesondere die jeweilige „Entscheidungsbefugnis“ (Wer entscheidet?), den dabei für die Akteure „zugelassenen Alternativenraum“ (Worüber darf entschieden werden?) und die dabei gesetzten „ökonomische Anreize“ (Wie lohnend sind bestimmte Entscheidungen?). Nachfolgend werden für die Zwecke unserer Analyse mit dem Anschluss- und Benutzungszwang [Abschnitt III.2.a)] und den Niederschlagswasserentgelten [Abschnitt III.2.b)] zwei Institutionen herausgegriffen, die für die Ausrichtung der grundstücksbezogenen Niederschlagswasserbewirtschaftung im Siedlungsbestand von zentraler Bedeutung sind und zudem vom kommunalen Aufgabenträger jeweils selbst gesteuert werden können. Diese werden zunächst einzeln sowie anschließend im Zusammenspiel (III.3.) näher analysiert.
4. Das vollständige Untersuchungsdesign Fasst man alle Modellbausteine zusammen, so ergibt sich für die Analyse insgesamt das folgende Untersuchungsdesign (siehe Abbildung 2). Es wird vereinfachend angenommen, dass das Zielsystem der Regenwasserbewirtschaftung – wie in Abschnitt II.2. dargestellt – einerseits aus formellen Systeminteressen (Refinanzierung, Wirtschaftlichkeit, Steuerbarkeit) besteht, andererseits aus den materiellen Zielen der ökologischen Nachhaltigkeit sowie des Überflutungsschutzes. Abhängig von der jeweiligen Gewichtung der einzelnen Teilziele im Zuge einer strategischen Ausrichtung der Regenwasserbewirtschaftung obliegt es grundsätzlich den Kommunen als Aufgabenträger, eine Kombination der Schlüsselinstitutionen zu bestimmen (institutionelles Design), welches insbesondere die Entscheidungskompetenzen (Wer entscheidet?), die zulässigen Technikoptionen (Worüber wird entschieden?) und die Ausgestaltung des Anreizrahmens regelt (Welche Anreize bestehen zu einer
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bestimmten Entscheidung?). Gleichzeitig unterliegen die kommunalen Aufgabenträger jedoch den rechtlichen Vorgaben übergeordneter Gebietskörperschaften, welche den institutionellen Gestaltungsspielraum wasser- und kommunalrechtlich begrenzen („institutionelle Rahmenbedingungen“). Die Grundstückseigentümer entscheiden nun unter den jeweils gesetzten institutionellen Rahmenbedingungen über dezentrale Elemente der Regenwasserbewirtschaftung, wobei ihr Alternativenraum – abhängig vom institutionellen Design – unterschiedlich groß bzw. wirtschaftlich interessant ist. Damit stellt sich auch für die Regenwasserbewirtschaftung die Frage des institutionellen fit und interplay27: Inwieweit wirken nämlich die Institutionen dergestalt zusammen, dass eine konsistente und angemessene Erreichung des individuell priorisierten Zielsystems, d. h. eine konsistente Bewirtschaftungsstrategie gelingt? So sollten institutionelle Regelungen zur Entscheidungsbefugnis, zum Optionenraum und zu den Anreizen einerseits eine Zielerfüllung grundsätzlich ermöglichen (fit) und dabei andererseits konsistent zusammenwirken (interplay). Ein konsistentes „interplay of institutions“ sichert in diesem Zusammenhang nicht zuletzt die Akzeptanz des Gesamt-Systems, und zwar sowohl bei den Nutzern als auch bei den Kommunen selbst.28 Die Zusammenfassung eines priorisierten Zielsystems und eines adäquaten institutionellen Designs war zuvor bereits als „Strategie“ des Aufgabenträgers zur Erfüllung der Aufgaben einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung gekennzeichnet worden (Abschnitt II.2.). Vor diesem Hintergrund stellt sich einerseits theoretisch die Frage, welches institutionelle Setting konsistent zu welchem Zielsystem bzw. welcher strategischen Ausrichtung zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung passt (Abschnitt III.). Andererseits wäre zu fragen, welche Strategien bzgl. des Optimierungskonfliktes für den Siedlungsbestand derzeit in Deutschland von den Kommunen tatsächlich verfolgt werden (Abschnitt IV.): Zu diesem Zweck wurde eine empirische Untersuchung durchgeführt, um einen Überblick über die institutionellen Regelungen zur Steuerung der Niederschlagsbewirtschaftung sowie deren strategische Kohärenz zu gewinnen. Auf diese Weise wird zugleich ein exemplarischer Beitrag zum besseren Verständnis des Zusammenwirkens von institutionellen und technologischen Handlungsoptionen geleistet und die Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung der Wasserwirtschaft29 im besonders dynamischen Bereich der Regenwasserbewirtschaftung empirisch unterfüttert.
27 28 29
Young (2002); Moss (2003). Queitsch (2011a), Rn. 132d. U. a. Koziol et al. (2006); Tauchmann et al. (2006); Kluge / Libbe (2010).
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Quelle: eigene Erstellung.
Abbildung 2: Untersuchungsdesign
III. Steuerungsinstitutionen der Regenwasserbewirtschaftung: Theoretische Überlegungen 1. Der technologische Alternativenraum: Beitrag dezentraler Regenwasser-Technologien zur Zielerreichung Der technologische Alternativenraum bestimmt die Bandbreite der strukturellen Phänotypen bei der Regenwasserbewirtschaftung. Zugleich geben die verfügbaren Technologien die Grenzen vor, innerhalb derer die Ziele der Regenwasserentwässerung umgesetzt werden können und determinieren in gewisser Weise auch die Zielkonflikte bzw. -synergien, die im Zuge von Strukturentscheidungen auftreten können und berücksichtigt werden müssen.
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Im Siedlungsraum dominieren gegenwärtig zentrale Systeme. Diese lassen sich grundsätzlich auch an neue Herausforderungen bzgl. des Überflutungsschutzes und des Gewässerschutzes anpassen.30 Eine Weiterentwicklung bestehender zentraler Strukturen zur flächenhaften Verbesserung der Grundwasserneubildung als Teil der ökologischen Nachhaltigkeit erscheint demgegenüber als weitaus schwieriger.31 Darüber hinaus sind Anpassungsmaßnahmen an zentralen Systemen sehr kostenintensiv. Unter dem Begriff der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung werden vielfältige technologische Ansätze zusammengefasst (siehe Tabelle 1),32 die den Dachab-
Tabelle 1 Technologische Optionen für die dezentrale, grundstücksbezogene Regenwasserbewirtschaftung (Auswahl)33 Technologische Ansätze zur Grundstück bleibt an RW- Grundstück wird von RWdezentralen BewirtschafKanalisation angeschlossen Kanalisation getrennt tung der Niederschläge Bei Dachflächen
Bei versiegelten Grundstücksflächen
Teilweise Versickerung
Vollständige Versickerung
Gründach
Gründach und Versickerung
Zisterne* (Gartenbewässerung)
Zisterne (Gartenbewässerung) + Versickerung
Zisterne (Brauchwassernutzung)
Zisterne (Brauchwassernutzung) und Versickerung
Teilentsieglung (z. B. Rasengittersteine)
Vollständige Entsieglung
Teilweise Versickerung (Einleitung in eine Rigole mit Überlauf an Kanal)
Ableitung von Flächen und vollständige Versickerung
* Ggf. auch Retentionszisternen – vgl. Rott / Meyer (2005). Quelle: eigene Erstellung auf Basis der in Fußnote 11 aufgeführten Quellen.
30 Etwa durch Regenrückhaltebecken, -überlaufbecken, Kanalnetzsteuerung, Querschnittserweiterungen sowie Versickerungsbecken – für einen Überblick und differenzierte Würdigung siehe z. B. Imhoff / Imhoff (2007); Sieker et al. (2006); Hillenbrand et al. (2010); Schmitt (2011). 31 Vgl. Sieker / Sieker (2009a); Stemplewski et al. (2010); Geiger et al. (2009); siedlungsstrukturell sehr differenziert und teilweise a. A. Löber (2001). 32 Bullermann (2000); FBR (1999); dies. (2001); dies. (2009a); dies. (2009b); Sieker et al. (2006); Geiger et al. (2009); Landeshauptstadt Dresden – Umweltamt / Stadtentwässerung Dresden GmbH (2004); BSU (2006); König (2008). 33 Z. B. wird nicht auf die Möglichkeit eingegangen, Regenwasser grundstücksnah in Vorfluter einzuleiten bzw. sie über Teiche zu verdunsten. Außerdem sind weitere Kombinationen von Teillösungen denkbar.
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lauf sowie den Abfluss von versiegelten Flächen speichern, nutzen bzw. versickern oder gedrosselt ableiten. Die Anlagen zur dezentralen Regenwasserbewirtschaftung können hierbei so gestaltet werden, dass das Grundstück am öffentlichen Regenwasserkanal angeschlossen bleibt. Die Technologien bieten aber auch die Möglichkeit, die Regenwasserentsorgung der Grundstücke unabhängig vom öffentlichen Kanal zu gewährleisten. Mit Hilfe der aufgeführten dezentralen Technologien lassen sich wesentliche Ziele der Regenwasserbewirtschaftung in vergleichbarer Weise umsetzen wie mittels zentraler Systeme: Dies betrifft zum einen den Überflutungsschutz sowie den Gewässerschutz als einen Teilaspekt der ökologischen Nachhaltigkeit. Darüber hinaus – und hierbei unterscheiden sich dezentrale Ansätze von den zentralen Lösungen – können dezentrale Lösungen die Grundwasserneubildung verbessern. Einen Beitrag zum Überflutungsschutz leisten die Systeme dann, wenn sie insbesondere bei Starkniederschlägen die Abflussspitzen dämpfen. Dies kann z. B. dadurch erfolgen, dass sie Niederschlagswasser zurückhalten (Gründach), versickern (Entsiegelungs-, Versickerungsanlagen) oder das Wasser speichern (Zisternen). Hierdurch wird das Kanalsystem im kritischen Moment der Spitzenbelastung entlastet und somit der Überflutungsschutz gesichert. Zugleich verringern sich hydraulische Belastungsspitzen bei der Niederschlagseinleitung in die Gewässer und die Häufigkeit von Mischwasserentlastungen. Auf diese Weise kann zum Gewässerschutz als Teil der ökologischen Nachhaltigkeit beigetragen werden.34 Vergleicht man jedoch die einzelnen dezentralen Technologien miteinander, so werden deutliche Unterschiede im Hinblick auf die Zielansprache der Grundwasserneubildung deutlich: Beispielsweise tragen einige der Technologien, wie z. B. Zisternen sowie Gründächer, zwar zur Reduzierung der Abflussspitzen und somit zum Überflutungsschutz sowie zur Entlastung der Gewässer bei. Aber ihr Beitrag zur Grundwasserneubildung bleibt gering (siehe Abbildung 3). Demgegenüber erhöht sich die Grundwasserneubildung bei Entsieglung oder Teilentsieglung von Flächen (Rasengittersteinen) bzw. durch den Einsatz von Versickerungsanlagen (Mulden, Rigolen), die dann ggf. auch den Zisternen- oder den Dachablauf aufnehmen können. Darüber hinaus unterscheiden sich die Anlagen auch bzgl. der Rückwirkungen auf den Trinkwasserverbrauch: Durch die Verwendung von Regenwasser zur Gartenbewässerung und als Brauchwasser im Haushalt können bis zu 40 Prozent des benötigten Trinkwassers eingespart werden;35 andere dezentrale Bewirtschaftungsansätze (Gründach, Versickerung) verändern den Trinkwasserbedarf hingegen nicht.
34 Durch Brauchwasserzisternen kann der Spitzenabfluss aus Baugebieten bei einer flächendeckender Durchdringung um zwischen 4 – 40 % reduziert werden [Dickhaut / Joite (2009)]; bei Gründächern wird eine Abflussreduktion von zwischen 30 – 90 % angesetzt [DDV (2011)]. Zusammenfassungen über die Wirkung dezentraler Anlagen bieten u. a. Bullermann (2000); Sieker et al. (2009). 35 Umweltbundesamt (2005), S. 21. Für empirische Beispiele siehe Rott / Meyer (2005).
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Quelle: eigene Erstellung.
Abbildung 3: Wirkung technologischer Optionen der Regenwasserbewirtschaftung
Gegenüber neu zu planenden Siedlungsgebieten zeichnet sich der Siedlungsbestand dadurch aus, dass alle Grundstückseigentümer i. d. R. über einen bestehenden Zugang zu öffentlicher Regenwasserkanalisation verfügen. Vermittels dezentraler Systeme kann hierbei das Leitungsnetz ergänzt werden, indem z. B. Gründächer oder Zisternen der Kanalisation „vorgeschaltet“ werden; oder aber das Leitungssystem wird in seiner Beseitigungsfunktion für die Grundstücke punktuell oder gebietsweise vollständig ersetzt. Die Wirkung der dezentralen Lösungen auf das bestehende zentrale System lässt sich hierbei nur kontextbezogen beurteilen: Es können die positiven Effekte überwiegen, z. B. infolge der Entlastung der Kanalisation durch Reduzierung der Abflussspitzen. Zu den positiven Effekten zählen auch die Grundwasserneubildung sowie die hydraulische Entlastung der Gewässer bzw. ein verringerter Bedarf an Regenbecken.36 Es können aber auch nachteilige Aspekte wie Gebührensatzschübe für die verbleibenden Zentralsystemnutzer oder Vernässungsprobleme37 überwiegen. Mithin sind Entscheidungen über das sinnvolle Ausmaß an dezentraler bzw. zentraler Regenwasserentwässerung kontextbezogen zu treffen und können auch zwischen Stadtteilen unterschiedlich ausfallen. Auch auf Ebene der Aufgabenträger sind folglich unterschiedliche strategische Schwerpunktsetzungen begründbar: So36 Für einen Überblick über die positiven Wirkungen dezentraler Maßnahmen vgl. auch Sieker (2004); Sieker et al. (2009). 37 Queitsch (2002).
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wohl eher hemmende als auch eher fördernde Ausrichtungen der Steuerungsinstitutionen können demnach fallweise plausibel sein.
2. Steuerungsinstitutionen der grundstücksbezogenen Niederschlagswasserbewirtschaftung a) Der landes- und kommunalrechtliche Anschlussund Benutzungszwang Die in Abschnitt III.1. beschriebenen technischen Optionen zur Versickerung und Verwertung von Regenwasser auf dem eigenen Grundstück sehen eine Abwasserentsorgung außerhalb der öffentlichen Einrichtungen vor und erfordern daher teilweise eine Ausnahme oder Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang zentraler Beseitigungseinrichtungen. Maßgeblich hierfür sind sowohl Vorgaben des Bundes- und Landeswasserrechts als auch des jeweiligen Landeskommunalrechts sowie die darauf gestützten Regelungen des örtlichen Abwassersatzungsrechts. Vorschriften zum Anschluss- und Benutzungszwang klären die praktische Aufgabenverteilung bei der Abwasserbeseitigung, insbesondere durch Definition des Handlungsraumes der Grundstücksbesitzer. Die institutionelle Ausgestaltung des Anschluss- und Benutzungszwangs nimmt insoweit eine Schlüsselstellung ein, da auf diesem Wege die Entscheidungskompetenzen bezüglich der im Einzugsgebiet genutzten Technologien zur Niederschlagwasserbeseitigung und deren Folgewirkungen maßgeblich gesteuert wird. Üblicherweise obliegt die Abwasserbeseitigung zunächst als Pflichtaufgabe den Gemeinden (z. B. § 53 Abs. 1 LWG NW), kann aber im Falle des Niederschlagswassers auf die Grundstücksbesitzer übertragen werden, soweit dabei die Anforderungen des Gemeinwohl erfüllt sind.38 Zur Sicherstellung der Gemeinwohlverträglichkeit der Abwasserbeseitigung, die u. a. Aspekte der Umweltverträglichkeit, aber nach herrschender Auslegung auch die Funktionsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit des zentralen Systems umfasst, werden entweder landeswasserrechtliche Überlassungspflichten normiert (z. B. § 53 Abs. 1c LWG NW) oder die Gemeinden setzen einen landesrechtlich eröffneten Anschluss- und Benutzungszwang (z. B. § 8 Abs. 2 GO LSA) satzungsrechtlich durch. Hierdurch soll nicht zuletzt eine nachträgliche Entwertung früher getätigter Investitionen in zentrale Systeme vermieden und insoweit auch eine Stabilisierung der zugehörigen Abwassergebühren erreicht werden.39 Für die Durchsetzung eines AuBZ für Niederschlagswasser bedarf es freilich einer besonderen (wasserwirtschaftlichen) Rechtfertigung.40 Eine pauschale Be-
Geiger et al. (2009), S. 214 ff. Queitsch (2002). 40 Als Rechtfertigungsgründe werden besondere Verhältnisse des Untergrunds, die Lage in städtischen Verdichtungsbereichen sowie der Schutz des Grundwassers, sonstiger Gewässer 38 39
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gründung eines AuBZ für Niederschlagswasser aus Gründen des Allgemeinwohls und der Volksgesundheit wird von der Rechtsprechung kontrovers beurteilt.41 Die Regelungsbefugnis über den AuBZ liegt – nach näherer Ausgestaltung durch Bundes- und Landesrecht – beim Aufgabenträger selbst. Nach geltender Rechtslage, insbesondere der einschlägigen Rechtsprechung,42 liegt es weitgehend im Ermessen der Gemeinde, im Rahmen ihrer Satzungen über Ausnahmen und Befreiungen zu entscheiden; Ansprüche der Nutzer auf eine bestimmte Ermessensausübung greifen bisher regelmäßig nicht durch.43 Individuelle Rechtsansprüche der Grundstückseigentümer auf Entlassung aus einem mit AuBZ versehenen Zentralsystem werden damit überwiegend verneint. Zu beachten ist, dass ein Anschluss- und Benutzungszwang bei der Regenwasserbewirtschaftung nicht etwa dezentrale Lösungen vollständig ausschließt, sondern lediglich die Wahlfreiheit der Grundstückseigentümer bzgl. der zulässigen technologischen Optionen einengt.44 Denn nicht alle Optionen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung unterliegen den Regelungen zum Anschluss- und Benutzungszwang (siehe Tabelle 2): Maßnahmen zur Flächenentsiegelung, die Option eines Gründachs, aber nach h. M. auch Technologien zur Regenwassernutzung können unabhängig von der Ausprägung des Anschluss- und Benutzungszwangs durchgeführt werden.45 Entweder wirken diese Technologien schon, bevor Regenwasser als Abwasser im rechtlichen Sinne46 gilt (bei Gründächern oder bei einer Teilentsiegelung), oder das Abwasser wird, wie es bei einer Zisternenlösung zur Brauchwassernutzung mit Überlauf an den öffentlichen Kanal der Fall ist, nach Nutzung vollständig dem öffentlichen Abwasserentsorger angedient. Demgegenüber erfasst der Anschluss- und Benutzungszwang alle Optionen, die auf einer (teilweisen) Versickerung von Abwasser beruhen, so dass hierdurch die Abwasserüberlassungspflicht verletzt wird.47 oder von Trinkwasserreservoiren angesehen (siehe dazu BayVerfGH, Entscheidung v. 10. 11. 2008 – Vf. 4-VII-06; ähnlich jüngst auch VG Halle, U. v. 30. 4. 2012 – 3A 865 / 10). 41 Ablehnend OVG Münster, U. v. 28. 01. 2003 – 15 A 4751 / 01, das einen Beitrag zur Volksgesundheit verneint: a. A. BayVerfGH, Entscheidung v. 10. 11. 2008 – Vf. 4-VII-06. 42 Dazu im Überblick Queitsch (2012). 43 Queitsch (2011a), Rn. 112 ff.; kritisch Laskowski (2008); dies. (2015). 44 Queitsch (2002), S. 172. 45 Queitsch (2011a), Rn. 132d; Fabry (2000b). 46 Laut § 54 Abs. 1 Satz 2 WHG ist Abwasser „das von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen gesammelt abfließende Wasser“, vgl. hierzu auch Queitsch (2012). 47 Eine gewisse Unschärfe besteht für die Option „Teilversickerung mit Überlauf an den öffentlichen Kanal“. Bei den im Rahmen der empirischen Befragung (Abschnitt 4) durchgeführten Gesprächen mit einzelnen Aufgabenträgern zeigte sich, dass diese Option von einigen Aufgabenträgern auch als mit dem Anschluss- und Benutzungszwang vereinbar angesehen wird. Da jedoch bei dieser Option nur ein Teil des gesammelten Niederschlagswassers dem öffentlichen Anschluss zugeführt wird und somit der Überlassungspflicht nicht vollständig entsprochen wird, wurde sie hier in die Kategorie „vom AuBZ abhängig“ eingeordnet.
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Tabelle 2 Optionen grundstücksbezogener Regenwasserbewirtschaftung und Relevanz des AuBZ Relevanz des AuBZ
Technologische Ansätze zur dezentralen Bewirtschaftung der Niederschläge Teilentsiegelung von Flächen (z. B. Rasengittersteine) Vollständige Entsiegelung Gründach mit Kanalanschluss
Unabhängig vom AuBZ
Regenwassernutzung (Garten) mit Überlauf in den öffentl. Kanal Regenwassernutzung (Brauchwasser) mit Überlauf in den öffentl. Kanal* Teilversickerung mit Überlauf in den öffentlichen Kanal**
Abhängig vom AuBZ
Vollständige Versickerung Regenwassernutzung mit Versickerung Gründach mit Versickerung
* Bei Brauchwassernutzung ist nach h. M. zudem eine Teilbefreiung vom AuBZ bei Trinkwasser notwendig. ** Siehe Anmerkung in Fn. 19. Quelle: eigene Erstellung.
Die Entscheidung über Fortbestand oder Wegfall des Anschluss- und Benutzungszwanges legt mithin wichtige Grundlagen für die langfristige Entwicklung des Bewirtschaftungssystems und damit für das Ausmaß der jeweils möglichen Zielerreichung: – Ein durchgesetzter Anschluss- und Benutzungszwang verhindert die Nutzung der Versickerungstechnologien und erschwert somit maßgeblich die Zielerreichung „Erhöhung Grundwasserneubildung“ als Teilziel der ökologischen Nachhaltigkeit. Gerade Versickerungsmaßnahmen erlauben erst die ortsnahe Beseitigung des Regenwassers von versiegelten Flächen und von Dachflächen. Andere Maßnahmen, wie Teilentsiegelung und Entsiegelung, greifen nicht bei Dachflächen und sind daher im Siedlungsbestand weniger effektiv in Bezug auf die ortsnahe Grundwasserneubildung. – Der Anschluss- und Benutzungszwang verkürzt zugleich den Alternativenraum an dezentralen Optionen deutlich, da er nicht nur die Versickerung, sondern zugleich auch Verwertungskaskaden verhindert (Gründach mit anschließender Versickerung; Regenwassernutzung und Versickerung des Überlaufs). Dies bedeutet letztendlich die Verteuerung einer kommunalen Dezentralisierungsstrategie als Lösungsansatz in Bezug auf den Überflutungsschutz bzw. den Gewässerschutz
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gegenüber zentralen Strategien. Denn die verbleibenden Technologien erfordern i. d. R. erhebliche Rüstkosten48 und bergen Ineffektivitätsrisiken49. – Eine Aufhebung des Anschluss- und Benutzungszwanges hingegen erweitert die Technologieauswahl für die Grundstückseigentümer.50 Ob freilich dezentrale Freiheitsgrade tatsächlich genutzt werden und welche Technologien dabei jeweils konkret zur Anwendung kommen, bleibt dabei unsicher. Damit erhöhen sich für den Aufgabenträger die Steuerungsrisiken mit Blick auf mögliche Entlastungseffekte des zentralen Systems bzw. die Refinanzierungsrisiken für das zentrale System.
b) Niederschlagswasserentgelte Entgeltregelungen über die Nutzung des zentralen Systems stellen ebenfalls eine zentrale Steuerungsinstitution für grundstücksbezogene Regenwasserbewirtschaftung dar. Die Bereitstellung des zentralen Systems sowie die zentrale Beseitigung des Niederschlagswassers verursachen erhebliche Kosten, welche über die Abwassergebühren abgedeckt werden müssen. Mit der obligatorischen Einführung der gesplitteten Abwassergebühr51 wurde dabei dem Ziel der verursachergerechten Kostenanlastung der Niederschlagswasserbeseitigung Rechnung getragen, da hierbei die bebaute oder befestigte Fläche (und damit die Menge des abzuleitenden Niederschlagswassers) der Gebührenbemessung zugrunde liegen. Neben einer verursachergerechten Refinanzierung erfüllen die Entgelte weitere Preisfunktionen: Zu nennen ist einerseits die Informationsfunktion, da Grundstückseigentümern aufgezeigt wird, dass auch die Beseitigung von Niederschlagswasser mit Ressourcenverzehr verbunden ist. Andererseits besteht eine Lenkungsfunktion: Die Technologiewahl (u. U. begrenzt) rationaler Grundstückseigentümer wird auf Basis einer individuellen Kosten-Nutzen-Abwägung erfolgen, in die die über Niederschlagswasser-Gebühren vermittelten Kosten zentraler Beseitigung einfließen. Neben der Entgelthöhe konnte auch ein verhaltenslenkender Einfluss bestimmter Eigenschaften der Anlagen sowie bevölkerungsgruppenspezifischer Merkmale nachgewiesen werden.52 Insbesondere (vermuteten oder wahrgenommenen) Umweltwirkungen 48 Die Begrünung von Dächern erfordert konstruktive Umbauten am Dach [Drefahl (1995); Ansel et al. (2011)], eine Regenwassernutzung als Brauchwasser bedarf neben dem Einbau einer Zisterne auch der Anpassung der Sanitärinstallationen im Haus [König 2008)]. 49 Die abflussdrosselnde Wirkung von Zisternen hängt davon ab, wie regelmäßig das Wasser genutzt wird und wie groß das freie Zisternenvolumen ist, dass im Falle eines Niederschlags aufgefüllt wird, bevor Regenwasser in die Kanalisation abläuft [König (2008); Dickhaut et al. (2011); Dickhaut / Joite (2009)]. Bei Grundstücken mit einem hohen relativen Anteil abflusswirksamer Dachflächen sind Maßnahmen der Entsiegelung nur begrenzt durchführbar. 50 Zum Beispiel sind die dann erlaubten Versickerungsmulden eine unkomplizierte und kostengünstige Bewirtschaftungsoption. 51 Siehe dazu die Nachweise in Fn. 17.
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(Grundwasser, Wassersparen usw.) kommt bei einzelnen Bevölkerungsgruppen ein messbarer Einfluss zu. Lenkende Niederschlagswasserentgelte53 bieten damit eine Möglichkeit zur gezielten Steuerung des individuellen Verhaltens: Mit einer Erhöhung der Entgeltsätze kommt es zu einer relativen Verteuerung der Nutzung zentraler Systeme mit entsprechenden Anreizwirkungen. Zwar sehen die einschlägigen Kommunalabgabengesetze der Länder kostendeckende Entgelte als Regelfall vor (z. B. § 6 Abs. 1 S. 3 KAG NW); doch ist dies zunächst eine „inhaltsleere“ Formalität,54 da erst geklärt werden muss, was denn die jeweils ansatzfähigen Kosten sein sollen, die zur Deckung anstehen. Kosten sind keine physikalische Messgröße, sondern betriebswirtschaftlich bewerteter Ressourcenverzehr und nach Maßgabe betriebswirtschaftlicher Konzepte der Ansatzfähigkeit mit durchaus beträchtlichen Ermessensspielräumen gestaltbar: 55 So sehen die Kommunalabgabengesetze denn auch beträchtliche Spielräume der Kommunen bei der Unterschreitung der vollen Kostendeckung, beim Ansatz kalkulatorischer Abschreibungen (z. B. Wahlrechte hinsichtlich der Bewertung nach Anschaffungs- oder Zeitwerten sowie hinsichtlich der Abschreibung von beitragsfinanziertem Anlagevermögen), bei den kalkulatorischen Zinsen (Wahl eines kalkulatorischen Zinssatzes) sowie in der Kostenträgerrechnung (Abgrenzung von Schmutzund Regenwasser) vor. Gerade die kapitalintensive Entwässerung bietet über die kalkulatorischen Kostenarten breite Möglichkeiten einer „gestaltenden“ Entgelthöhe.56 Allerdings wirken die Tarifsysteme komplexer als nur über die bloße Entgelthöhe: Ursächlich hierfür ist u. a., dass über die gängigen Bemessungsgrundlagen, z. B. der versiegelten Fläche, nicht alle technologischen Optionen angesteuert werden. So bewirkt die Höhe des Niederschlagswasserentgeltes zwar einen Anreiz bzgl. der Abkopplung von Flächen (vollständige Entsieglung, Versickerung), aber nicht zu solchen Ansätzen, welche zunächst die versiegelte Fläche nicht verändern. Es bedarf daher spezieller Entgeltermäßigungsregelungen in den Tarifmodellen, die dann zielgerichtet andere, nicht flächenwirksame Technologien ansprechen. Dann erst bewirkt die Entgelthöhe in Verbindung mit Ermäßigungsregelungen auch Anreize für Ansätze wie Teilentsiegelung, Gründach, Versickerung mit Kanalanschluss oder Zisternen mit Kanalanschluss (sowohl für Brauch- als auch für Gartenbewässerung). Zwar sind in Fällen, in denen nachweisbar ein nicht unerheblicher Teil des Regenwassers vom Grundstück nicht abfließt, sondern auf diesem verbleibt oder es nach Zwischennutzung als Schmutzwasser verlässt, Entgeltermäßigungen nach KommuSchwarz (2007). Zu lenkenden Entgelten grundsätzlich aus rechtlicher Sicht Schulte / Wiesemann (2015), § 6, Rn. 110 ff.; aus finanzwissenschaftlicher Sicht Gawel (1995). Zum Einfluss von NW-Entgelten auf das Entscheidungsverhalten von Grundstückseigentümern siehe die empirische Arbeit von Geyler / Krohn (2015). 54 So zu Recht in ständiger Rechtsprechung OVG Münster, U. v. 19. 05. 1998 – 9 A 5709 / 97, Rn. 32 (Juris). 55 Gawel (2012). 56 Schulte / Wiesemann (2015), § 6, Rn. 133 ff. 52 53
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nalabgabenrecht grundsätzlich einzuräumen; die Rechtsprechung insbesondere zu Dachbegrünung, „Öko-Pflaster“ und Brauchwassernutzung57 zeigt hierbei jedoch ganz erhebliche Gestaltungsspielräume zugunsten der Kommunen auf. Insgesamt können daher die Aufgabenträger durch ausdifferenzierte Regelungen zu Niederschlagswasserentgelten gezielt bestimmte Technologien fördern bzw. hemmen. c) Förderprogramme und informatorische Instrumente Die Entwicklung der Regenwasserbewirtschaftung wird durch weitere Instrumente und institutionelle Regelungen beeinflusst. Der ökonomische Anreiz für Grundstückseigentümer kann alternativ oder zusätzlich über finanzielle Förderprogramme erhöht werden, indem beispielweise die Installation dezentraler Optionen bezuschusst wird, wodurch sich die Amortisationszeiten der Systeme ebenfalls verkürzen.58 Eine indirekte Form der Verhaltenssteuerung kann ferner über informatorische Instrumente erfolgen: Durch die Bereitstellung von Informationsbroschüren und Beratungsangeboten zu Technologieoptionen und rechtlichen Rahmenbedingungen können Unsicherheit und Informationskosten der Grundstückseigentümer gesenkt sowie eine Sensibilisierung für nachhaltige Regenwasserbewirtschaftung erreicht werden. Diesen Instrumenten wird jedoch im Rahmen dieser Untersuchung nicht weiter nachgegangen. 3. Zusammenspiel der Institutionen: Theoretische Analyse Im Folgenden wird das komplexe Zusammenspiel der beiden zuvor betrachteten Institutionen „Entgeltsystem“ und „Anschlusszwang“ zur Unterstützung einer zielorientierten Bewirtschaftungsstrategie beleuchtet. Ziel ist die Analyse der gegenwärtigen institutionellen Ausprägungen dahingehend, welche kommunalen Strategien eines nachhaltigen Regenwassermanagements durch ein bestimmtes institutionelles Setting sinnvoll adressiert werden (fit) und aufgrund eines „guten“ Zusammenspiels der Institutionen auch als kohärent gelten können (interplay). Für diese Analyse ist zuerst theoretisch die Beziehung zwischen konkretem institutionellem Setting und der zugrunde liegenden Regenwassermanagement-Strategie zu klären (dieser Abschnitt); in einem zweiten Schritt werden die empirischen Ergebnisse (IV.1.) anhand der theoretischen Überlegungen beurteilt (IV.2.). Die Ausführungen in Abschnitt III.2. haben gezeigt, dass ein Anschluss- und Benutzungszwang die von den Grundstückseigentümern wählbaren technologischen Optionen beschränkt, während die Tarifmodelle über Entgelthöhe und ReduktionsDazu Queitsch (2011a), Rn. 207 ff. Zu nennen sind hier beispielsweise die Förderprogramme „Nachhaltiges Wassermanagement“ der Stadt Heidelberg und die Förderung der Regenwassernutzung in Bremen. 57 58
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möglichkeiten mehrere Wirkungen induzieren: einerseits in Bezug auf das Refinanzierungspotenzial des Zentralsystems, andererseits in Gestalt genereller und technologiespezifischer Anreizeffekte zur grundstücksbezogenen Dezentralisierung. Beide Institutionen beeinflussen sich überdies in ihrer Wirkung gegenseitig: Der Anschluss- und Benutzungszwang wirkt sich auf die Anreizwirkung der Entgelthöhe als Tarifhebel für die Dezentralisierung aus: Unter einem strikten Anschluss- und Benutzungszwang und ohne Reduktionsmöglichkeiten erzeugt die Entgelthöhe allein einen Anreiz, Flächen zu entsiegeln, während weitere Optionen, wie eine Brauchwassernutzung zwar erlaubt wären, aber durch ein zu einfaches Tarifmodell nicht honoriert werden würden. Mit Wegfall des Anschluss- und Benutzungszwanges werden hingegen alle Optionen durch den Tarifhebel honoriert, die zur Abkopplung führen. Tabelle 3 Zusammenspiel der Institutionen zur Anreizsetzung gegenüber dezentralen Optionen der Regenwasserbewirtschaftung Relevanz des AuBZ
Wirkung der Entgelthöhe ohne Reduktionsmöglichkeit
Wirkung der Entgelthöhe mit Reduktionsmöglichkeit
Unabhängig vom AuBZ
– Vollständige Entsiegelung
– Teilentsiegelung – Gründach mit Kanalanschluss*** – Regenwassernutzung mit Überlauf in Kanal* / ***
Abhängig vom AuBZ
– Vollständige Versickerung – Gründach mit Versickerung des Ablaufs – Regenwassernutzung* mit Versickerung des Überlaufs
– Teilversickerung mit Überlauf in Kanal**
* Bei Brauchwassernutzung ist jedoch nach h. M. eine Teilbefreiung vom AuBZ bei Trinkwasser notwendig, weiterhin kann eine Verrechnung des im Haushalt genutzten Regenwassers bei der Schmutzwassergebühr erfolgen. ** Es zeigten sich aber auch Praxisfälle, bei denen Teilversickerung mit Überlauf auch unter AuBZ erlaubt war. Da der Benutzungszwang im engen Sinne die Andienung „sämtlichen Wassers“ beschreibt, wurde die Technologie als abhängig vom AuBZ angesetzt. *** Dezentrale Optionen der Regenwasserbewirtschaftung, die wirkungslos in Bezug auf das ökologische Nachhaltigkeitsziel der Grundwasserneubildung bleiben. Quelle: eigene Erstellung.
In Bezug auf die strukturelle Entwicklung eines Regenwasserbewirtschaftungssystems, bei der grundsätzlich zwischen einer verstärkten Dezentralisierung bzw. einer Konservierung zentraler Strukturen auszuwählen sein wird, lassen sich die technologischen Optionen und die dahinter liegenden kommunalen Ziele der Systementwicklung mit Hilfe der drei institutionellen Stellschrauben (AuBZ, Entgelthöhe, Ermäßigungsregelungen) generell auf sehr unterschiedliche Weise ansteuern: Geht man konzeptionell jeweils von einer dichotomen Ausprägung der Institutionen aus
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(z. B. AuBZ: ja oder nein), so ergeben sich in Tabelle 4 insgesamt acht grundlegende Kombinationen von institutionellen Ausgestaltungen, die im Folgenden als Strategien im oben genannten Sinne interpretiert werden. Ein Überblick über diese gebildeten grundlegenden Bewirtschaftungs-Strategien und deren Wirkungen auf die einzelnen Teilziele bietet ebenfalls die Tabelle 4. Auf der Grundlage dieser acht Basis-Strategien der Tabelle 4 treten vor allem vier Strategien hervor, die in besonderer Weise geeignet sind, bestimmte Teilziele aufzugreifen und entsprechende strukturelle Entwicklungen zu induzieren. Diese vier besonders funktionalen Strategien sind in Abbildung 4 in ihrem Zielbezug und ihrem Dezentralisierungsgrad dargestellt. Jeweils zwei der Strategien können den Oberkategorien „Dezentralisierungsstrategien“ („selektive“ und „offensive Dezentralisierung“) sowie „Strukturkonservative Strategien“ („strukturkonservative Entwicklung“, „statischer Strukturerhalt“) zugeordnet werden. Im Folgenden sollen diese funktionalen Strategien und die dahinterstehenden Wirkmechanismen der Schlüsselinstitutionen näher erläutert werden:
Str uktur eller Phänotyp
Kommunale Str ategie
Zielsystem
Ökologische Nachhaltigkeit Überflutungsschutz GW-Neubildung
Gewässerschutz
Wirtschaftlichkeit
Selektive Dezentralisierung
Offensive Dezentralisierung
Dezentr alisier ungsstr ategien
insbesondere Dezentr ale Ver sicker ung
Steuerbarkeit
Refinanzierung
Hoher Dezentr alisier ungsgr ad
Strukturkonservative Entwicklung
Statischer Strukturerhalt
Str uktur konser vative Str ategien
Niedr iger Dezentr alisier ungsgr ad
Quelle: eigene Erstellung.
Abbildung 4: Wirkung ausgewählter kommunaler Strategien zur Umsetzung von Zielbündeln
Dezentralisierungsstrategien
hoch
X
X
X
Strukturkonservativer Ausbau mit Dezentralisierungsoption
Strukturkonservativer Systemausbau
Statischer Strukturund Steuerungserhalt
X
niedrig
Anreizarme Dezentralisierung
Wirkungsminimierende Kompromissstrategie
niedrig
Status-quo-orientierte Konfliktvermeidung
niedrig
niedrig
hoch
hoch
Selektive Dezentralisierung
Entgelthöhe
hoch
AuBZ
viele
wenige
wenige
viele
viele
wenige
wenige
viele
Reduktionsmöglichkeiten
Entgeltsystem
Ausprägung der Institutionen
Offensive Dezentralisierung
Strategie
Quelle: eigene Erstellung.
Strukturkonservative Strategien
Tabelle 4
o
-
o
o
o
o
+
+
Erhöhung GWN
o
+
+
o
o
o
o
-
Refinanzierung
o
+
+
o
o
o
o
+
Wirtschaftlichkeit
o
+
+
o
o
o
o
-
Steuerbarkeit
Effektive Ansteuerung der Teilziele
Setzen von wirkungslosen Anreizen für die Dezentralisierung unter den strukturkonservativen Grundbedingungen des Anschluss- und Benutzungszwanges: Fehlen des Tarifhebels
Hemmung / Hinderung jeglicher Dezentralisierungsmaßnahmen und Wegnahme jeglicher Dezentralisierungsanreize; hierdurch Maximierung der Gebührenbasis (= an das System angeschlossene Fläche) bei niedrigen flächenspezifischen Erlösen
Weitgehende Hemmung von Dezentralisierung, jedoch starke Förderung von Entsiegelungsmaßnahmen; zugleich hohe flächenspezifische Erlöse bei eher geringem Vermeidungsanreiz
Maximale Dezentralisierungsanreize unter den strukturkonservativen Grundbedingungen des Anschlussund Benutzungszwanges
Erlaubnis aller dezentralen Maßnahmen und Setzen von wirkungslosen Anreizen: Fehlen des Tarifhebels
Erlaubnis aller dezentralen Maßnahmen ohne jegliche Honorierung und Anreizsetzung
Starke und fokussierte Förderung von Abkopplungs- / Versickerungsmaßnahmen
Starke Förderung aller dezentralen Technologien bei Wahlfreiheit der Grundstückseigentümer
Anmerkungen
Strategien der Regenwasserbewirtschaftung – institutionelle Komponenten und Zielerfüllungsbeiträge
Herausforderungen einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung 485
486
Stefan Geyler, Norman Bedtke und Erik Gawel
Dezentralisierungsstrategien dienen insbesondere dem Grundwasserschutzziel (GWN) bzw. dem Ziel der Wirtschaftlichkeit (vgl. dazu Abbildungen 4 und 5a; Tabelle 4): 1. Selektive Dezentralisierung: Soll die Dezentralisierung nicht nur der Entlastung der zentralen Systeme dienen, sondern auch akzentuiert die Versickerung von Niederschlagswasser fördern, dann sollte der AuBZ aufgehoben werden, über hohe Entgelte wiederum ein starker Tarifhebel induziert werden, zugleich aber keine weiteren Reduktionsmöglichkeiten erlaubt sein. Wie aus Tabelle 3 ersichtlich wird, werden dann fast ausschließlich Technologien angesteuert, die zumindest teilweise Regenwasser versickern. Demgegenüber wird bei dieser kommunalen Strategie der „selektiven Dezentralisierung“ dem Teilziel der Wirtschaftlichkeit59 nicht unbedingt entsprochen. Die Eingrenzung der Wahlfreiheit bei den dezentralen Optionen verteuert tendenziell eine Dezentralisierungsstrategie.
Quelle: eigene Erstellung.
Abbildung 5a: Dezentralisierungsorientierte Strategiebedienung des Aufgabenträgers durch alternative Gestaltung der Steuerungsinstitutionen – ohne Anschluss- und Benutzungszwang 59 Im Sinne von wirtschaftlicher Umsetzung der Ziele des Überflutungs- und Gewässerschutzes.
Herausforderungen einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung
487
Zugleich erwachsen auch gewisse Refinanzierungsrisiken. Abbildung 5a zeigt, dass bei hohen Entgelten und fehlendem AuBZ ein deutlicher Vermeidungsanreiz besteht. Die Gesamtwirkung aus Erlössteigerung, z. B. durch steigende Entgelte, und mittel- und langfristiger Erlösreduktion aufgrund der Vermeidungsanreize ist unsicher und bedingt das Refinanzierungsrisiko. Weiterhin nimmt bei dieser Strategie die Zahl der an der Regenwasserentsorgung beteiligten Akteure zu, so dass auch die Erreichbarkeit des Teilziels der langfristigen Steuerbarkeit in Frage gestellt ist. 2. Offensive Dezentralisierung: Die Wahrscheinlichkeit einer Dezentralisierung wird maximiert, wenn erstens kein Anschluss- und Benutzungszwang vorliegt, wenn zweitens über hohe Entgeltsätze und somit über einen starken Tarifhebel deutliche Anreize auf die Grundstückseigentümer wirken und wenn drittens viele Reduktionsmöglichkeiten im Tarifsystem enthalten sind. Im Ergebnis sind alle dezentralen Technologieoptionen erlaubt, und es wird deren Nutzung zudem deutlich honoriert. Diese institutionelle Ausprägung setzt die Strategie der „offensiven Dezentralisierung“ um. Diese sollte von der Kommune aufgegriffen werden, sofern z. B. eine kosteneffiziente Systementwicklung das dominierende Teilziel ist und dieses Ziel hierbei aufgrund der örtlichen Rahmenbedingungen nur durch stärkere Dezentralisierung erreicht werden kann. 60 Zugleich wird aber auch dem Ziel der Grundwasserneubildung mit entsprochen, da viele der dezentralen Technologien Regenwasser versickern. Bei Wahl dieser Strategie wird zugleich das höchste Refinanzierungsrisiko sowie eine langfristig deutliche Verringerung der Steuerungsfähigkeit des Systems akzeptiert. Priorisiert die Kommune demgegenüber den Erhalt und die Weiterentwicklung zentraler Systeme, so stehen insbesondere wirtschaftliche, finanzielle Teilziele bzw. Steuerungsaspekte hinter der strategischen Entscheidung (vgl. Abbildung 4, 5b und Tabelle 4): 3. Strukturkonservative Entwicklung: Für eine Stärkung und Weiterentwicklung des bestehenden zentralen Systems, d. h. für eine Sicherung seiner Refinanzierung trotz vergleichsweise hoher Entgelte, müssen der AuBZ aufrechterhalten und durch Verzicht auf Entgeltreduzierungen die wirtschaftliche Attraktivität alternativer Technologieoptionen minimiert werden. Diese Strategie kann sich dann aus Wirtschaftlichkeitsgründen anbieten, wenn eine Weiterentwicklung des zentralen Systems trotz der hohen Entgelte noch kosteneffizienter als eine Dezentralisierung ausfällt.61 Ganz ausschließen lässt sich allerdings hierdurch eine Dezentralisierung nicht, denn selbst unter diesen Restriktionen wird durch die Entgelthöhe noch die Entsiegelung von Flächen honoriert. Insofern induzieren Entgeltsteigerungen auch unter diesen Rahmenbedingungen nicht nur eine Erlösverbesserung, 60 Inwieweit hierbei die kosteneffiziente Systementwicklung mittels Ausbau zentraler Systeme oder durch Dezentralisierung erfolgen soll, lässt sich grundsätzlich nur anhand der lokalen Rahmenbedingungen im Sinne einer Kosteneffizienzvergleiches entscheiden. 61 Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Weiterentwicklung zentraler Systeme über höhere Entgelte refinanziert werden muss; vgl. auch Fußnote 60.
488
Stefan Geyler, Norman Bedtke und Erik Gawel
sondern zugleich auch Vermeidungsreaktionen durch Dezentralisierung. Allerdings fallen die Vermeidungsanreize und somit letztendlich auch das Refinanzierungsrisiko geringer aus als bei der „selektiven Dezentralisierung“ (s. o.). Insofern setzt die Strategie weitgehend das Teilziel der Refinanzierung um. Zugleich korrespondiert die Strategie gut mit dem Ziel der Steuerbarkeit, denn die Verantwortung für das Gesamtsystem verbleibt weitestgehend in der Hand der Kommune. 62 Das Ziel der Grundwasserneubildung wird den anderen Zielen untergeordnet.
Quelle: eigene Erstellung.
Abbildung 5b: Strukturkonservative Strategiebedienung des Aufgabenträgers durch alternative Gestaltung der Steuerungsinstitutionen – mit Anschluss- und Benutzungszwang
4. Statischer Strukturerhalt: Sollen demgegenüber das zentrale System so umfassend wie möglich erhalten bleiben sowie die Kosten auf eine möglichst große Bemessungsfläche aufgeteilt werden bzw. soll die Verantwortung und somit die Steuerbarkeit für das Gesamtsystem möglichst ungeteilt in öffentlicher Hand 62 Durch Entsiegelung erwächst nur eine geringe Vernässungsgefahr, da hier nur der Niederschlag versickert, der auch auf der Fläche anfällt. Demgegenüber wird bei einer Versickerung – zum Beispiel vom Dachablauf – die zur Versickerung pro Fläche anstehende Menge kleinräumig künstlich erhöht.
Herausforderungen einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung
489
bleiben, dann bietet sich die Strategie des „statischen Strukturerhaltes“ an. Die institutionelle Kombination aus AuBZ, niedrigen Entgelten und fehlenden Reduktionsmöglichkeiten minimiert sowohl die Dezentralisierungsoptionen als auch den Dezentralisierungsanreiz. Die Steuerbarkeit durch die öffentliche Hand ist daher langfristig gewährleistet. Das Refinanzierungsrisiko ist gering, jedoch fällt zugleich auch der Erlös je Fläche niedrig aus. Reichen niedrige Erlöse je Fläche jedoch für eine kostendeckende Refinanzierung des Systems aus, so erfüllt die Strategie das Ziel der Refinanzierung.63 Ggf. führt diese Strategie auch zur wirtschaftlichsten Lösung. Unberücksichtigt bleibt bei dieser Strategie das Teilziel der Grundwasserneubildung. Die restlichen verbleibenden vier Strategien aus Tabelle 4 weisen in Bezug auf die damit verbundenen institutionellen Ausprägungen Inkonsistenzen auf in dem Sinne, dass sich für jedes der Teilziele jeweils eine bessere Strategie finden ließe. So werden zum Beispiel Dezentralisierungsoptionen erlaubt (fehlender AuBZ), aber keine64 oder inkonsistente65 Dezentralisierungsanreize gesetzt, oder es werden inkonsistente Anreize gegeben und zugleich Dezentralisierungsoptionen verboten 66 (vgl. Tabelle 4). Das komplexeste Beispiel stellt hierbei die Strategie des „strukturkonservativen Ausbaus mit Dezentralisierungsoption“ dar. Hierbei werden hohe Anreize gesetzt (hohe Entgelte, viele Reduktionsmöglichkeiten), aber zugleich wesentliche Dezentralisierungsoptionen ausgeschlossen (AuBZ). Für jedes der vier Teilziele gibt es eine institutionelle Ausprägung, die effektiver wäre. Die Aufhebung des AuBZ würde zu wirtschaftlicheren67 und grundwasserfreundlicheren Ergebnissen führen, eine Zurücknahme der Reduktionsmöglichkeiten würde die Refinanzierungsrisiko senken sowie dem Refinanzierungsziel dienen. Schließlich würden sowohl eine Rücknahme der Reduktionsmöglichkeiten als auch eine Entgeltsenkung die Steuerbarkeit verbessern.
63 Um eine möglichst große Einnahmenbasis, d. h. reduzierte Fläche zu sichern, muss die spezifische Entgelthöhe niedrig ausfallen. Nur so kann der Anreiz zur Entsieglung minimiert werden. Hohe spezifische Entgelte erhöhen auch unter den Bedingungen des AuBZ das Refinanzierungsrisiko. Dies hat zur Konsequenz, dass sich eine Maximierung der Gesamteinnahmen als Optimierungsproblem zwischen diesen beiden Wirkungen darstellt. 64 Bei der „status-quo-orientierten Konfliktvermeidung“ (kein AuBZ, aber niedrige Entgelte und fehlende Reduktionsmöglichkeiten). 65 Bei der „anreizarmen Dezentralisierung“ (kein AuBZ, viele Reduktionsmöglichkeiten, aber niedrige Entgelte). 66 Wirkungsminimierende Kompromissstrategie (AuBZ, niedrige Entgelte, aber viele Reduktionsmöglichkeiten). 67 Unter der Annahme, dass eine größere Wahlfreiheit bei den dezentralen Anlagen die Kosten der Dezentralisierung als kommunale Strategie verringert.
490
Stefan Geyler, Norman Bedtke und Erik Gawel
4. Zwischenfazit Zur Beantwortung der Frage, in welche Richtung gegenwärtig die Regenwasserbewirtschaftung im Siedlungsbestand gesteuert wird, wurde zunächst im theoretischen Teil das kommunale Zielsystem beschrieben, das durch vier, teilweise in Konflikt zueinander stehende Teil-Zielen geprägt wird: Neben dem materiellen Nachhaltigkeits-Ziel einer Erhöhung der Grundwasserneubildung werden die Ansprüche auf Refinanzierung bestehender zentraler Systeme, die kosteneffiziente Systementwicklung (Wirtschaftlichkeit) insbesondere im Hinblick auf Überflutungs- und Gewässerschutz sowie der Erhalts der Steuerbarkeit des Systems in die Analyse einbezogen. Um diese Ziele mit je unterschiedlicher Gewichtung zu realisieren, stehen zahlreiche technologische Optionen einer dezentralen Regenwasserbewirtschaftung neben zentralen Maßnahmen zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund lassen sich insgesamt acht Bewirtschaftungs-Strategien identifizieren, die zwischen einer „Sicherung des zentralen Systems“ einerseits („strukturkonservative Strategien“) und der „Freistellung bzw. Förderung der Abkoppelung der Grundstückseigentümer aus dem zentralen System“ andererseits („Dezentralisierungsstrategien“) eine jeweils eigene Standortbestimmung vornehmen. Zu ihrer Realisierung bietet sich die gezielte Ausgestaltung bestimmter institutioneller Stellschrauben im Einflussbereich kommunaler Träger an, die insbesondere darüber bestimmen, welchen Alternativenraum private Grundstücksbesitzer für dezentrale Techniken vorfinden und welche Anreize darüber hinaus gegeben werden, Maßnahmen aus diesem Alternativenraum zu ergreifen. Zu diesem Zweck wurden satzungsrechtliche Regelungen zum Anschluss- und Benutzungszwang sowie zum Entgeltsystem der zentralen Niederschlagsentwässerung als Steuerungsinstitutionen betrachtet. Auf theoretischer Ebene wurden die Steuerungswirkungen von Anschluss- und Benutzungszwang und Entgeltregelungen offengelegt und ihre Wechselwirkungen geklärt. Hierbei wurde herausgearbeitet, dass die Aufweichung bzw. Aufhebung des AuBZ weder hinreichend noch notwendig für Dezentralisierung als solche ist und dennoch eine große Rolle spielt, da die Gesamtheit des dezentralen Technologienraumes nur bei Wegfall des AuBZ vollständig genutzt werden kann. Bei den Entgeltregeln wurde die Notwendigkeit konsistenter Systeme aus Entgelthöhe und Reduktionsmöglichkeiten verdeutlicht. Erst durch eine stimmige Tarifausgestaltung gelingt es, Dezentralisierungsanreize über alle Technologien hinweg zu setzen. Der Entgelthöhe kommt hierbei sowohl als Anreizinstrument in Bezug auf Dezentralisierung als auch als Refinanzierungsinstrument für zentrale Systeme eine grundsätzliche Rolle zu. Das Zusammenspiel der beiden Institutionen erweist sich als hoch komplex, da sich die beiden Institutionen in Abhängigkeit ihrer Ausprägung entweder ergänzen oder gegenseitig behindern können. Dieses „Interplay“ lässt sich jedoch letztendlich nur im Hinblick auf konkrete kommunale Strategien und deren spezifische Zielerfüllungsbeiträge bewerten. Für die vier zugrunde gelegten Teilziele konnten institutionelle Ausprägungen eingegrenzt werden, bei denen sich die Wirkungen des
Herausforderungen einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung
491
AuBZ und der Entgeltregelungen jedenfalls in zielführender Weise verstärken und so für sich genommen eine strategisch konsistente Bewirtschaftung institutionell absichern können. Es fragt sich daher, ob und ggf. welche dieser konsistenten Bewirtschaftungsstrategien in der Praxis tatsächlich Verbreitung besitzen (Abschnitt IV.). Daraus lassen sich wiederum Schlussfolgerungen ziehen, in welche Richtung derzeit die Niederschlagsbewirtschaftung im Segment des Siedlungsbestandes gesteuert wird.
IV. Empirische Untersuchung 1. Ergebnisse der Erhebung Vor dem Hintergrund der theoretischen Strategiemuster stellt sich die Frage, welche Strategien für den Siedlungsbestand in der Praxis tatsächlich verfolgt werden, insbesondere, ob dort strategisch konsistente Ausgestaltungen der Institutionen „Entgeltsystem“ und „Anschlusszwang“ anzutreffen sind. Um die derzeitige Steuerungspraxis in Deutschland zu beleuchten, wurden kommunale Satzungen hinsichtlich ihrer Regelungen zum Anschluss- und Benutzungszwang und zur Ausgestaltung ihrer Entgeltmodelle in Bezug auf Niederschlagswasser ausgewertet sowie telefonische Interviews mit ausgewählten Kommunen durchgeführt.68 Um mit vertretbarem Aufwand einen Eindruck von der Variationsbreite kommunaler Steuerungsinstitutionen zu erhalten, wurden im Rahmen einer systematischen Stichprobe 45 Kommunen auf Basis eines Rankings des INSM-Abwassermonitors von 200869 ausgewählt, wobei die Städte mit den jeweils höchsten und niedrigsten Niederschlagswasserentgelten einbezogen wurden.70 Hierdurch ist eine signifikant abweichende Ausgangssituation bezüglich der gesetzten ökonomischen Anreize für dezentrale Niederschlagswasserbewirtschaftung zu erwarten. Um eine breite regionale Streuung zu gewährleisten, wurden ergänzend Städte aus bisher unberücksichtigten Bundesländern betrachtet.71
68 Das Erhebungsdesign erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität oder gar Vollständigkeit. Gleichwohl gibt die Auswertung einen guten Überblick über die Variationsvielfalt kommunaler Regelungen zum Umgang mit Niederschlagswasser im Siedlungsbestand und damit ein erstes verwertbares „Praxisbild“, auf dessen Grundlage sich aktuelle Steuerungstendenzen ableiten lassen. Die Daten entsprechen dem Stand vom September 2012. 69 www.insm-abwassermonitor.de, abgerufen am 16. 04. 2015. 70 Die Auswahl erfolgte anhand der Gebühren- bzw. Entgeltsatzhöhe, d. h. ohne Berücksichtigung von etwaigen Anschluss- und Benutzungsbeiträgen bzw. Baukostenzuschüssen. Im Siedlungsbestand wurden die Beiträge schon in der Vergangenheit geleistet und können durch gegenwärtige Entscheidungen der Haushalte bzgl. einer Dezentralisierung nicht mehr wiedergewonnen werden. Daher sind sie als sunk costs nicht entscheidungsrelevant. Bei der Betrachtung von neu zu errichtenden Siedlungsgebieten wären sie hingegen einzubeziehen.
492
Stefan Geyler, Norman Bedtke und Erik Gawel
Die Erhebung zeigte, dass die Kommunen von ihrem institutionellen Gestaltungs-Ermessen beim Anschluss- und Benutzungszwang sowie der Ausgestaltung von Entgeltmodellen in stark abweichender Weise Gebrauch machen. Trotz der Variantenvielfalt zeigten sich drei Ausprägungen des Anschluss- und Benutzungszwangs: – Typ 1: Es besteht kein Anschluss- und Benutzungszwang für Niederschlagswasser. – Typ 2: Ein Anschluss- und Benutzungszwang gilt auch für Niederschlagswasser. Eine Befreiung auf Antrag ist aber möglich. – Typ 3: Ein Anschluss- und Benutzungszwang gilt auch für Niederschlagswasser. Die Möglichkeit einer Befreiung besteht in der Regel nicht.
Nahezu alle der ausgewerteten Satzungen lassen sich dabei den beiden ersten Typen zuordnen (siehe Tabelle 5). In 24 Städten der Stichprobe besteht kein Anschluss- und Benutzungszwang für Niederschlagswasser, während in 20 Städten eine Befreiung auf Antrag möglich ist. Tabelle 5 Kommunale Regelungen zum AuBZ in der Stichprobe (n=45) AuBZ für Niederschlagswasser besteht … AuBZ für Niederschlags… aber Befreiungsmöglich… ohne reguläre Bewasser besteht nicht (Typ 1) keit auf Antrag (Typ 2) freiungsmöglichkeit (Typ 3) 24
20
1
Quelle: eigene Erstellung.
Um einen Einblick in die kommunale Antrags-Praxis zu gewinnen und zu klären, ob und in welchem Umfang den Befreiungsanträgen stattgegeben wird sowie welche Beurteilungskriterien hierfür ausschlaggebend sind, wurden mit den Städten mit Antragsverfahren (Typ 2) ergänzende Telefoninterviews durchgeführt. Hierbei zeigte sich in Bezug auf die Genehmigungspraxis kein einheitliches Bild (siehe Tabelle 6). Ob letztendlich ein Antrag auf Befreiung vom AuBZ genehmigt wird, hängt von der jeweiligen örtlichen Situation ab. Zahlreiche Städte genehmigen die Anträge, wenn die Versickerungsfähigkeit gegeben und nachgewiesen wird. Wenige Städte gewähren wiederum nur dann eine Abkopplung, wenn dem bestehenden Kanalnetz eine zukünftige Überlastung durch Starkregenereignisse droht. Auch das Abwägen von Finanzierungsinteressen und die technologische Situation vor Ort (Vorhandensein eines Trennsystems) spielen bei der Entscheidung eine Rolle. Weiterhin wurden die Kommunen befragt, warum sie sich für das Genehmigungsverfahren ent71 Hierbei wurde darauf geachtet, dass die Bundesländer entsprechend ihrer Einwohnerzahl bei der Stichprobe Berücksichtigung fanden.
Herausforderungen einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung
493
Tabelle 6 Genehmigungspraxis und Entscheidungsdeterminanten in Städten mit Antrags-Befreiung vom AuBZ (absteigende Sortierung nach Entgelthöhe) Werden die Anträge genehmigt?
Kommune
Eher Ja
1
X
2
X
3
Eher Nein
Einflussfaktoren auf die Genehmigung
VerVersickesickeReTrennÜberrungs- finanrungsfähig- zierung system lastung intekeit resse X
X
5 X
7
X
X
Warum überhaupt AuBZRegelung?
KontrollReFlexi- mögfinanbilität lichkeit zierung X
X
X
X
k.A.
k.A.
X X
X
X
X
X
X
8
Vorgabe LWG X
X
X X
6
X
X X
4
Warum keine strikte AuBZ-Regelung?
X
X
X
X
X
X X
X
X
X
X
X X X
X
9
X
10
X
11
X
X
X
X
12
X
X
X
X
13
X
X
14
X
X
15
X
X X
k.A.
X*
X
k.A.
X
k.A. X
X
X
X X
X
X
X
16
X
X
X
X
17
X
X
X
X
18
X
X
19
X
20
X
∑
15
X k.A.
X 5
13
X k.A.
k.A.
X 4
4
3
10
X 5
6
15
5
* In der Praxis erfolgt überwiegend eine Ablehnung, was mit Antragsfehlern (u. a. fehlenden Versickerungsnachweisen) begründet wurde. Quelle: eigene Erstellung. Daten auf Basis eigener Telefoninterviews.
schieden haben. Gegen einen strikten AuB-Zwang entschieden sich viele der Kommunen, da von ihrer Seite aus ein Interesse an ortsnaher Bewirtschaftung besteht, insbesondere um die ansonsten notwendigen Umbauten zum Umgang mit Starkregenereignissen zu vermeiden. Einige Städte gaben aber auch an, dass sie nur aufgrund der landeswasserrechtlichen Regelungen dieses Verfahren eingeführt haben.
494
Stefan Geyler, Norman Bedtke und Erik Gawel
Gegen eine gänzliche Befreiung von Niederschlagswasser vom AuBZ entschieden sich die befragten Städte überwiegend deshalb, um die Kontroll- und Entscheidungskompetenz beizubehalten. Problematisch an einer gänzlichen Befreiung wird erachtet, dass Niederschlagswasser auch dann versickert wird, wenn die lokalen Rahmenbedingungen dies nicht erlauben. Auch die Gefahr einer unkontrollierbaren Abkopplung von Grundstücken, welche die Refinanzierung des bestehenden Systems gefährde, wurde angebracht. Lediglich eine Stadt verpflichtet die Grundstückseigentümer von vornherein zur Nutzung der bestehenden öffentlichen Systeme. Insgesamt zeigt sich damit, dass auch im Siedlungsbestand tendenziell die Weichen auf einen dezentralen Umgang mit Niederschlagswasser gestellt sind und die verpflichtende Nutzung des öffentlichen Beseitigungssystems nur in Ausnahmefällen auftritt. In Bezug auf die Entgeltmodelle zeigt die Auswertung der Abgabensatzungen, dass in den betrachteten Städten die Höhe der Niederschlagswasserentgelte deutlich variiert (siehe Abbildung 6). Die Spannweite reicht hierbei von 0,29 € / m², bis hin zu 1,93 € / m². Diese Differenz bei den Niederschlagswasserentgelten lässt vermuten, dass lokal deutlich abweichende Anreize zur dezentralen Niederschlagswasserbewirtschaftung für Grundstückseigentümer bestehen. Das ungewichtete durchschnittliche Niederschlagswasserentgelt liegt in der untersuchten Stichprobe bei 0,85 € / m² versiegelter Fläche und deckt sich damit mit aktuellen bundesweiten Mittelwert-Daten.72 Für die weiteren Betrachtungen bildet das Stichproben-Mittel die Grenze zwischen den dichotomen Ausprägungen „hohe“ Entgelte (= überdurchschnittlich) und „niedrige“ Entgelten (= unterdurchschnittlich). Weiterhin wurden die Trinkwasserentgelte der jeweiligen Städte erhoben, da diese ebenfalls die Entscheidung eines Grundstückseigentümers beeinflussen, etwa bei der Frage, ob Trinkwasser mit Hilfe von Niederschlagswasser substituiert werden soll. 73 Trinkwasser- und Regenwasserentgelte korrelierten jedoch in der Stichprobe nicht miteinander, so dass nicht von einem systematischen Einfluss der Trinkwasserpreise auf die Wirkung der Regenwasserentgelte ausgegangen werden kann. Von besonderem Interesse sind die vorherrschenden Ausgestaltungsvarianten spezieller Reduktionsmöglichkeiten, da so die Technologien der ortsnahen Bewirtschaftung gezielt angesteuert werden können. Es zeigte sich, dass die Aufgabenträger die Option der Reduktionsmöglichkeiten in höchst unterschiedlichem Maße einsetzen. Sowohl die Anzahl der berücksichtigten Technologien als auch die Höhe der gewährten Entgeltreduktion variierte erheblich zwischen den Kommunen: Die Bandbreite reicht hierbei von einer geringen Reduktion der Gebühren bis hin zum
72 Leptien et al. (2011), S. 3. Andere Erhebungsmethoden führen zu abweichenden Werten. Die einwohnergewichteten Daten des Statistischen Bundesamtes weisen einen Mittelwert von 0,49 Euro / m² versiegelter Fläche aus, vgl. Statistisches Bundesamt (2010). 73 Eine zusätzliche finanzielle Belastung durch hohe Trinkwasserpreise führt dazu, dass sich die Optionen einer dezentralen Regenwassernutzung für Grundstückseigentümer bereits nach einer kürzeren Nutzungsdauer amortisieren.
0
0.5
1
1.5
2
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Niederschlagswasserentgelt (Mittelwert = 0,85)
Abbildung 6: Niederschlagswasser- und Trinkwasserentgelte
Trinkwasserentgelt [Euro pro m³]
Kommunen
10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45
Niederschlagswasserentgelt [Euro pro m²] Quelle: eigene Erstellung.
Entgelte (in Euro pro m² bzw. Euro pro m³)
2.5
Herausforderungen einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung 495
496
Stefan Geyler, Norman Bedtke und Erik Gawel
vollständigen Erlass der Niederschlagsgebühr.74 Die berücksichtigten Technologieoptionen sind dabei ebenfalls vielgestaltig, lassen sich aber fünf grundsätzlichen Kategorien zuordnen (siehe Abbildungen 7a und 7b).75 – Versickerungsanlagen mit Anschluss an Kanal, – Zisternen mit Anschluss an Kanal (Gartenbewässerung), – Zisternen mit Anschluss an Kanal (Brauchwassernutzung), – Teilentsiegelung von Flächen, – Gründach mit Anschluss an Kanal.
Eine klare Präferenz bei der Förderung einzelner Technologien ist derzeit empirisch nicht beobachtbar. Erwartungsgemäß werden aber überwiegend die Maßnahmen gefördert, die zudem nicht vom AuBZ erfasst sind. Demnach werden die Installation von Gründächern und Maßnahmen der Flächenentsiegelung am häufigsten, Maßnahmen der Versickerung hingegen weniger häufig honoriert (siehe Abbildung 7a).
Quelle: eigene Erstellung.
Abbildung 7a: Häufigkeit der Berücksichtigung einzelner Technologieoptionen bei Entgeltermäßigungen der Regenwassergebühr in der Stichprobe
74 Eine direkte Vergleichbarkeit der maximalen lokalen Reduktionsmöglichkeit ist nicht gegeben, da sich die Bemessungsgrundlagen unterschieden. 75 Die Auswertung der Abgabensatzungen wurde dadurch erschwert, dass sich keine einheitliche Terminologie und Kategorisierung für Technologien der Niederschlagswasserbewirtschaftung im Satzungsrecht wiederfindet.
Herausforderungen einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung
497
Auffällig ist, dass über die Hälfte der untersuchten Städte mindestens vier der genannten Technologien explizit fördern und nur vergleichsweise wenige Städte (16%) das Instrument der Entgeltermäßigung gar nicht anwenden (siehe Abbildung 7b). Damit verdichtet sich die bereits beim AuB-Zwang ausgemachte Tendenz einer dezentraleren Ausrichtung der Strategien zum Umgang mit Niederschlagswasser.
Quelle: eigene Erstellung.
Abbildung 7b: Häufigkeit der Anzahl satzungsrechtlich eingeräumter Ermäßigungstatbestände in der Stichprobe
Wie ordnen sich die empirischen Ergebnisse in die unter Abschnitt III.3. abgegrenzten Institutionenmuster regenwasserwirtschaftlicher Strategien ein? Abbildung 8 bildet die Institutionenausprägungen der untersuchten Städte im theoretisch erarbeiteten Quadrantenschema ab. Die Abszisse von Abbildung 8 steht für die Anzahl der jeweils in den Städten ausgemachten Reduktionsmöglichkeiten für Regenwasserentgelte, während die Ordinate die jeweilige Höhe der jeweiligen Niederschlagswasserentgelte abbildet. 76 Die Symbole stehen stellvertretend für die jeweilige Ausprägung des AuB-Zwangs. Die Abbildung verdeutlicht zunächst die vorherrschende Heterogenität bezüglich 76 Zur Festlegung der Quadranten in Abbildung 8 wurden der Mittelwert des Niederschlagswasserentgelts sowie die halbe Spannweite der Anzahl der Reduktionsfaktoren zugrunde gelegt. Diese ist nicht als trennscharfe Aufteilung in die vorab theoretisch erörterten Strategien zu verstehen, sondern soll eine grobe Zuordnung der untersuchten Städte in offenkundig abweichende (strategische) Vorgehensweisen ermöglichen.
Abbildung 8: Ausprägungen von Schlüsselinstitutionen der Regenwasserbewirtschaftung in der Stichprobe (n = 45)
Quelle: eigene Erstellung.
498 Stefan Geyler, Norman Bedtke und Erik Gawel
Herausforderungen einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung
499
der Kombinationen aus Niederschlagswasserentgelthöhen, Reduktionsmöglichkeiten und Ausprägung des AuB-Zwangs, wenngleich ein strikter Anschluss- und Benutzungszwangs (Typ 3) nur in einem Fall auftrat. Ordnet man die Ausprägungen den zuvor identifizierten idealtypischen kommunalen Strategien zu, zeichnet sich dennoch ein Trend zu Dezentralisierungsstrategien ab (vgl. Tabelle 7). Da auch die Gemeinden, die sich einen Genehmigungsvorhalt vor Abkopplung aus dem zentralen System ausbedingen (Typ 2), diese Möglichkeit eher selten restriktiv ausnutzen, kann festgehalten werden, dass strukturkonservative Strategien vergleichsweise selten verfolgt werden. Tabelle 7 Häufigkeit kommunaler Strategien der Regenwasserbewirtschaftung in der Stichprobe (n=45) Ausprägung der Institutionen Entgeltsystem
Strukturkonservative Strategien Dezentralisierungsstrategien
Strategie
Häufigkeit
Entgelthöhe
Reduktionsmöglichkeiten
Offensive Dezentralisierung
hoch
viele
9
Selektive Dezentralisierung
hoch
wenige
3
Status-quo-orientierte Konfliktvermeidung
niedrig
wenige
10
Anreizarme Dezentralisierung
niedrig
viele
17
AuBZ
39
Strukturkonservativer Ausbau mit Dezentralisierungsoption
X
hoch
viele
3
Strukturkonservativer Systemausbau
X
hoch
wenige
2
Statischer Struktur- und Steuerungserhalt
X
niedrig
wenige
0
Wirkungsminimierende Kompromissstrategie
X
niedrig
viele
1
6
Quelle: eigene Erstellung.
Die breite Streuung der Kombinationen – über alle Quadranten hinweg – zeigt aber auch, dass im Bereich der Dezentralisierungsstrategien offenbar Widersprüche zu den theoretischen Überlegungen hinsichtlich in sich konsistenter Strategien be-
500
Stefan Geyler, Norman Bedtke und Erik Gawel
stehen: Obgleich Fallbeispiele für beide konsistente Strategien, d. h. die der „selektiven Dezentralisierung“ und in größerem Umfang auch jene der „offensiven Dezentralisierung“ auftreten (obere Quadranten von Abbildung 8 – vgl. auch Tabelle 7), finden sich weitaus mehr Kommunen in den beiden unteren Quadranten wieder. Diese verfolgen tendenziell die Strategien einer „Status-quo-orientierten Konfliktvermeidung“ bzw. einer „anreizarmen Dezentralisierung“ (dazu oben Tabelle 4). Demnach sind dezentrale Maßnahmen zwar grundsätzlich, ggf. unter Vorbehalt der Kommune, möglich, allerdings werden diese Maßnahmen entweder überhaupt nicht oder nur geringfügig honoriert. Auch im Fall zahlreicher Reduktionsmöglichkeiten entfalten diese nur eine geringe Wirkung, da die Entgelte ohnehin auf einem niedrigen Niveau liegen („fehlender Tarifhebel“). Es ist demnach fraglich, ob derart ausgestaltete Rahmenbedingungen die adäquaten Anreize für Grundstückseigentümer zu einer dezentralen Bewirtschaftung setzen.
2. Diskussion Die empirischen Ergebnisse zeigen fast ausschließlich institutionelle Ausprägungen, die nicht für das Verfolgen einer explizit strukturkonservativen Strategie der Kommune stehen können. Bei der kommunalen Strategiewahl dominieren demnach offenbar weder das Teilziel der Refinanzierungssicherheit, noch erfolgt eine ausschließliche Fokussierung auf eine zentrale Strukturentwicklung oder den Erhalt der Steuerbarkeit des Systems. Vielmehr spiegelt sich in der Institutionenausprägung wider, dass eine Strukturentwicklung unter Einbezug von dezentralen Elementen verfolgt wird, um auch Teilzielen Rechnung zu tragen, die für eine Dezentralisierung streiten. Offenbar wird gegenwärtig in der Praxis die „Dezentralisierungsdividende“ im Vergleich zu den Opportunitätskosten auch im Siedlungsbestand als recht hoch eingeschätzt. Allerdings setzt diese Interpretation voraus, dass die Strategien und die darauf bezogene Gestaltung der Steuerungsinstitutionen frei angesteuert werden können und ausschließlich der Systemoptimierung dienen sollen. Möglicherweise ergeben sich jedoch Hindernisse bei der Ausgestaltung der Institutionen, so dass die Kommunen ihre intendierten Strategien nicht vollständig umsetzen können. Zudem könnten abweichende Zielfunktionen der Entscheidungsträger von Bedeutung sein. Die Vermutung, dass derartige Faktoren eine nicht unbedeutende Rolle spielen, wird auch dadurch gestützt, dass zahlreiche Kommunen offenkundig wirkungslose Dezentralisierungsstrategien gewählt haben. Geht man davon aus, dass mangelnde Entscheidungsrationalität hierbei eine untergeordnete Rolle spielt, stellt sich die Frage nach möglichen Hinderungsgründen für eine zielkonforme Wahl der Steuerungsinstitutionen. Im Folgenden sollen mögliche Erklärungsansätze hierfür näher betrachtet werden. Denkbar wäre zum einen, dass die Entscheidungskompetenz bzgl. der Institutionen und die Aufgabenerfüllung auf verschiedene Akteure verteilt sind und sich so
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Abstimmungsdefizite zwischen Prinzipal und Agent ergeben (sog. Agency-Problem77). Für ein konsistentes Institutionendesign (i. S. v. interplay) müssten im Idealfall sowohl die Entscheidungskompetenzen bezüglich der Schlüsselinstitutionen als auch die hierfür notwendigen Informationen zusammenfallen. Der Blick in die Praxis zeigt, dass dies regelmäßig nicht gegeben ist: So liegt das Wissen bezüglich der Anpassungserfordernisse und -möglichkeiten überwiegend beim Betreiber78, während die mit abweichendem Zielfokus agierenden Organe des Trägers die institutionellen Rahmenbedingungen über den Hebel des kommunalen Satzungsrechts definieren.79 Die Kompetenz- und Informationsverteilung erschwert demnach eine abgestimmte Strategie bzw. macht es plausibel, dass ein Institutionen-Konflikt als solcher nicht identifiziert wird, da die Institutionen von den jeweils verantwortlichen Akteuren – unter alleiniger Zugrundelegung ihrer Ziele – als optimal erachtet werden. Sind die Wechselwirkungen zu anderen Institutionen bekannt, ist die Erarbeitung von Kompromisslösungen wahrscheinlich, bei denen versucht wird, den jeweiligen Zielstellungen aller Akteure Rechnung zu tragen. Die Vielzahl der beobachteten „weichen Dezentralisierungsstrategien“ könnte eine Folge dieser Aushandlungsprozesse sein. Damit eng verbunden als Erklärungsansatz ist die Möglichkeit, dass Entscheider nicht etwa die Optimierung abstrakter Systeminteressen anhand des oben vorgestellten Zielsystems nachhaltiger Bewirtschaftung verfolgen, sondern vielmehr nach Bedienung partikularer politischer Interessen streben (Ansatz der Politischen Ökonomie80). Die Ausgestaltung der Institutionen, insbesondere die Entgelthöhe oder das Ausmaß von Befreiungs- und Ermäßigungsmöglichkeiten könnte dann eher über politische Absichten und Durchsetzungschancen als über rationale Strategieverfolgung informieren. Es ist davon auszugehen, dass das Ergebnis der Aushandlungsprozesse über Institutionengestaltung jedenfalls in Teilen auch die Verhandlungsmacht der beteiligten Akteure und deren Partikularinteressen abbildet, welche nicht zwingend die Interessen einer Systemoptimierung widerspiegeln müssen. Eine erwartungsgemäß unpopuläre Erhöhung der Entgeltsätze, die Maßnahme mit dem womöglich stärksten Steuerungseffekt, widerspricht der Zielstellung eines stimmenmaximierenden Politikers, welcher politische Entscheidungen auch im Hinblick auf 77 Die Agency-Theorie beschäftigt sich grundsätzlich mit Situationen, bei denen die Aufgabenerfüllung durch die strategische Interaktion zwischen Auftraggebern (Prinzipal) und ausführenden Akteuren (Agenten) mit asymmetrischer Verteilung der Information sowie Interessenskonflikten geprägt ist – siehe hierzu Eisenhardt (1989). 78 Allerdings könnten sich bereits hier erste Einschränkungen für eine angemessene strategische Strategieausrichtung ergeben, z. B. wenn den Kommunen der technologische Alternativenraum nur unzureichend bekannt ist. Jüngere Erhebungen deuten an, dass Kommunen beim Umgang mit dezentralen Behandlungsanlagen zuweilen nur über begrenzte Erfahrungen verfügen [Werker et al. (2012a), S. 429]. 79 Den einzelnen Dezernaten innerhalb der Gemeindeverwaltung fallen unterschiedliche Sach- und Aufgabengebiete zu, deren Zielstellungen zuweilen im Widerspruch stehen können (z. B. Finanzinteressen vs. ökologische Ziele). 80 Siehe grundlegend Downs (1957).
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die Chancen seiner Wiederwahl trifft.81 Bei Infrastrukturen wird dieser Effekt möglicherweise dadurch verstärkt, dass der Nutzen langfristiger strategischer Entscheidungen erst in späteren Legislaturperioden ersichtlich wird, während die politischen Kosten der Maßnahme zeitnah anfallen.82 Als problematisch für eine autonome Strategiebildung erweist sich zudem, dass der institutionelle Gestaltungsspielraum der Kommunen von vornherein rechtlich eingeschränkt ist: Wie dargelegt, sind die Niederschlagswasserentgelte oftmals vergleichsweise niedrig mit der Folge, dass der Anreiz zur Gebührenreduzierung mittels ortsnaher Bewirtschaftung nur schwach ausfällt. Geschuldet ist dies nicht zuletzt der Tatsache, dass Entgelte kommunalabgabenrechtlich zuvörderst der Refinanzierung bestehender Systeme nach Maßgabe eines bislang rein betriebswirtschaftlich verstandenen Kostendeckungsgebots83 sowie weiterer Gebührenrechtsprinzipien, insbesondere der Äquivalenz und der Gleichbehandlung dienen, wodurch den Kommunen Grenzen bei einer lenkenden Ausgestaltung gesetzt sind. Auch können sich eingeübte Routinen der Kalkulation oder die kostenseitige Verschränkung mit der Schmutzwassergebühr (Erhöhung der Entgeltwiderstände) hemmend auf eine gezielte Gestaltung der Niederschlagswasserentgelte auswirken. Gleichwohl bestehen durchaus vielfältige kommunale Ausgestaltungsmöglichkeiten, die eine im Hinblick auf die Reduktionsmöglichkeiten konsistentere Entgeltausgestaltung möglich machen.84 Unabhängig davon ist festzuhalten, dass im Hinblick auf ein abgestimmtes Institutionendesign die Entgelthöhe von großer faktischer Relevanz ist, so dass Niederschlagswasserentgelte auch als Lenkungsinstrument mindestens erkannt werden müssen.85 In der Praxis wurde die Bedeutung des Zusammenspiels der beiden Institutionen beispielsweise daran deutlich, dass mit der Einführung getrennter Niederschlagswassergebühren durch die Grundstückseigentümer vermehrt Druck ausgeübt wurde, vom AuBZ befreit zu werden.86 De lege ferenda wäre vor diesem Hintergrund entgeltrechtlich ein größerer Gestaltungsraum wünschenswert, so dass bereits heute die Opportunitätskosten ausbleibender Dezentralisierungsmaßnahmen in die Entgeltgestaltung einfließen könnten. Anstelle historisch orientierter Durchschnittskosten kämen so gleichsam die langfristigen Grenzkosten einer „Nicht-Dezentralisierung“ in den Blick.87
Siehe hierzu Downs (1957); Mueller (2003). Indizien hierfür liefert die Arbeit von Klinkenberg (2007), S. 187 f. 83 Art. 9 EG-WRRL formuliert demgegenüber zumindest im Grundsatz einen gesamtwirtschaftlichen Kostendeckungsanspruch – dazu Gawel (2012), m. w. Nachw. 84 Hierunter fallen einerseits die Freiheitsgrade in der Kostenbewertung, aber auch die Methoden der Kostenträgerrechnung zur Abgrenzung des auf die Regenableitung entfallenden Werteverzehrs. Siehe zu den Kalkulationsaspekten auch Zerres / Butz (2010); Schulte / Wiesemann (2015), § 6, Rn. 345 ff. 85 Zur derzeit eher bescheidenen Lenkungsperspektive im Gebührenrecht Schulte / Wiesemann (2015), § 6, Rn. 110 ff. 86 Queitsch (2002), S. 171. 81 82
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Eine weitere Einschränkung der Gestaltungsfreiheit erfährt die Kommune durch die Vorgaben der jeweiligen Landeswassergesetze: So wurde im Rahmen der Telefoninterviews mehrfach der Punkt angebracht, dass getroffene Regelungen der Kommune zum AuBZ durch landeswasserrechtliche Vorgaben begründet seien, die nicht immer im Gleichklang mit der ansonsten verfolgten kommunalen Strategie zum Umgang mit Niederschlagswasser stehen müssen.88 Hierbei zeichnet sich womöglich ein Kompetenzproblem derart ab, dass von einer höheren Entscheidungsebene Vorgaben gemacht werden, welche den lokalen Anforderungen zuwiderlaufen. Damit eng verbunden ist der Punkt, dass die Ausgestaltung der Satzungen auch maßgeblich von bereitstehenden Mustersatzungen geprägt wird, welche die landeswasserrechtlichen Aspekte berücksichtigen und regelmäßig von den Kommunen genutzt werden. Ob diese – wie angedacht – letztendlich den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten angepasst werden und eine Abstimmung mit anderen Institutionen erfolgt, hängt schließlich mit den örtlichen Verwaltungskapazitäten sowie der bereits angesprochenen Kompetenzverteilung zusammen. Auch zeitliche Disharmonien im Institutionen-Setting müssen als Erklärung für institutionelle Inkonsistenzen beachtet werden: In kommunalen Abwassersatzungen wurden regelmäßig Stichtage gesetzt, ab denen eine ortsnahe Bewirtschaftung des Niederschlagswassers bei Neubebauung oder Erstanschluss erfolgen muss. 89 Die damit verfolgte verstärkte dezentrale Ausrichtung der Regenwasserbewirtschaftung spiegelt sich in den Regelungen zum Anschluss- und Benutzungszwang wider, die sich oftmals bezüglich Siedlungsbestand und Neubebauung deutlich unterscheiden. Hinsichtlich der Reduktionsmöglichkeiten für dezentrale Optionen, deren verstärkte Verbreitung erst in den letzten Jahren beobachtet werden kann, erfolgt hingegen abgabenrechtlich typischerweise keine Differenzierung. In der Folge bestehen die Reduktionsmöglichkeiten sowohl für die neuen Siedlungsgebiete, in denen üblicherweise eine Dezentralisierungsstrategie verfolgt wird, als auch für Grundstückseigentümer im Siedlungsbestand mit u. U. abweichender kommunaler Bewirtschaftungsstrategie. Daneben sind im Einzelfall auch pragmatische Erklärungen denkbar. Die zahlreich beobachtete Ausprägung des AuBZ dahingehend, dass dieser zwar besteht, die Grundstückseigentümer sich jedoch per Antrag befreien lassen können, könnte sich als sinnvolle Möglichkeit zur schnellen Anpassung der Institutionen an sich ändernde Strategien auffassen: Während gegenwärtig Dezentralisierungsdividenden 87 Eine derartige ökonomische Entgeltgestaltung [dazu u. a. Gawel (1994); Färber (2001)] fordert freilich die herrschende juristische Gebührendogmatik deutlich heraus. 88 Eine der befragten Kommunen nannte die Landeswassergesetze als maßgeblichen Einflussfaktor auf die Gestaltung der eigenen kommunalen Satzung, die insbesondere bei den Regelungen zum AuBZ wenige Freiheitsgrade lässt. 89 So ist beispielsweise in NRW der 1. 1. 1996 ein landeswasserrechtlich vorgegebener Stichtag, ab dem auf neu bebauten Grundstücken grundsätzlich die Pflicht besteht, Niederschlagswasser ortsnah dem natürlichen Wasserkreislauf zuzuführen (§ 51a Abs. 1 und 2 LWG NRW).
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unter Erhalt der Steuerbarkeit realisiert werden können, erlaubt diese Ausgestaltung, in Zukunft unkompliziert die Ziele der Refinanzierung wieder zu stärken. Auch wenn sich durch diese Vorgehensweise Kosten für die Kommune ergeben, u. a. in Form eines erhöhten Verwaltungsaufwands (Antragsverfahren), so könnte der Kosten-Nutzen-Saldo unter Einbezug aller Transaktionskosten deutlich positiv ausfallen: Zum einen gewinnt die Kommune detaillierte Informationen darüber, in welchem Umfang auf eine dezentrale Bewirtschaftung im Siedlungsbestand umgestellt wird und kann dahingehend die Zielerfüllung („institutional fit“) permanent überprüfen und ggf. das institutionelle Design anpassen. Zum anderen kann vorab leichter geprüft werden, ob die Versickerungsmaßnahmen lokalen Einschränkungen unterliegen.90 Insbesondere dann, wenn an eine Befreiung der zu erbringende Nachweis der Versickerungsfähigkeit geknüpft ist, entfallen spätere Informationskosten. Diese könnten sich im Fall einer allgemeinen Befreiung des Niederschlagswassers vom AuBZ beispielsweise dann ergeben, wenn in Folge unsachgemäßer Versickerung Haftungsfragen zu klären sind.91 Aus den in der Stichprobe beobachteten Institutionen-Settings, denen keine klare theoretisch konsistente Strategie einer Regenwasserbewirtschaftung zu entnehmen ist, lassen sich daher zusammenfassend noch keine kausalen Rückschlüsse ziehen. Neben beschränkten Freiheitsgraden in der Gestaltung und abweichenden politische Zielen ist es auch durchaus vorstellbar, dass sich institutionelle Widersprüche durch pragmatische Abwägungen begründen lassen. Soweit sich aber in der Stichprobe ein konsistentes Strategienbild abzeichnet, scheinen die Weichen zugunsten einer Dezentralisierung auch im Siedlungsbestand gestellt zu sein.
V. Fazit Der Beitrag geht theoretisch und empirisch der Frage nach, in welche Richtung gegenwärtig die Regenwasserbewirtschaftung im Siedlungsbestand mit Hilfe zweier Schlüssel-Institutionen in der Hand der kommunalen Aufgabenträger (AuBZ, Entgelte) gesteuert wird. Durch gezieltes institutionelles Design lässt sich der Grundkonflikt zwischen der „Sicherung des zentralen Systems“ einerseits und der „Freistellung bzw. Förderung der Abkoppelung der Grundstückseigentümer aus dem zentralen System“ andererseits strategisch austarieren. Die Herausforderung einer konsistenten Steuerung der strukturellen Entwicklung wurde hierbei als grundlegende kommunale Strategieentscheidung zur Entwicklung des Regenwassermanage-
90 Zugleich bleibt zu prüfen, inwieweit sich bei den einzelnen kommunalen Strategien auch eine unterschiedliche Verteilung des Kontrollaufwandes zur Durchsetzung des Wohls der Allgemeinheit zwischen den Wasserbehörden und Aufgabenträgern ergeben. Es stellt sich durchaus die Frage, ob im Zuge eines Genehmigungsvorbehaltes des Aufgabenträgers die Wasserbehörden den Kontrollaufwand teilweise auf den Aufgabenträger abwälzen. 91 Siehe hierzu Queitsch (2002), S. 173 ff.; ders. (2012), S. 58.
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ments vor dem Hintergrund von fünf, teilweise in Konflikt stehenden (Teil-)Zielen des kommunalen Regenwassermanagements verstanden: Neben dem materiellen Nachhaltigkeits-Ziel einer Erhöhung der Grundwasserneubildung werden die Ansprüche auf Refinanzierung bestehender zentraler Systeme, der kosteneffizienten Systementwicklung (Wirtschaftlichkeit) insbesondere im Hinblick auf Überflutungsund Gewässerschutz sowie des Erhalts der Steuerbarkeit des Systems in die Analyse einbezogen. Auf theoretischer Ebene wurden die Steuerungswirkungen von Anschluss- und Benutzungszwang und Entgeltregelungen offengelegt und ihre Wechselwirkungen geklärt. Hierbei wurde herausgearbeitet, dass die Aufweichung bzw. Aufhebung des AuBZ weder ein hinreichendes Kriterium für die Dezentralisierung darstellt noch ein notwendiges Kriterium ist, um überhaupt grundstücksbezogene Maßnahmen zu ermöglichen. Gleichwohl kann die Gesamtheit des dezentralen Technologieraumes nur bei Wegfall des AuBZ vollständig genutzt werden: Durch Fortfall des AuBZ werden Maßnahmen zur vollständigen Abkopplung wesentlich erleichtert bzw. es lassen sich erst so die meisten der Versickerungsmaßnahmen ansteuern und mithin das Ziel der Verbesserung des Grundwasserhaushalts wirkungsvoll umsetzen. Bei den Entgeltregeln wurde die Notwendigkeit konsistenter Systeme aus Entgelthöhe und Reduktionsmöglichkeiten verdeutlicht. Erst durch eine stimmige Tarifausgestaltung gelingt es, Dezentralisierungsanreize über alle Technologien hinweg zu setzen. Der Entgelthöhe kommt hierbei sowohl als Anreizinstrument in Bezug auf Dezentralisierung als auch als grundlegend, spezifisches Refinanzierungsinstrument für zentrale Systeme eine grundsätzliche Rolle zu. Charakteristisch ist hierbei jedoch deren Ambivalenz in dem Konflikt „Sicherung zentraler Systeme“ vs. „Dezentralisierung“, da beide Ziele durch die Entgelthöhe angesteuert werden können. Die Untersuchungen verdeutlichten weiterhin, dass sich sowohl die Einzelwirkungen als auch das „Interplay“ dieser beiden Institutionen nur vor dem Hintergrund der vielfältigen bestehenden Technologieoptionen erklären lassen; d. h. es zeigen sich somit Indizien für Koevolution von technischen und institutionellen Systemen im Sinne von sozio-technischen Systemen. Das Zusammenspiel der beiden Institutionen erweist sich hierbei als hoch komplex, da sich die beiden Institutionen in Abhängigkeit ihrer Ausprägung entweder ergänzen oder gegenseitig behindern können. Dieses Interplay lässt sich jedoch letztendlich nur im Hinblick auf konkrete kommunale Strategien und den örtlichen Rahmenbedingungen bewerten. Für die vier zugrunde gelegten Teilziele konnten institutionelle Ausprägungen eingegrenzt werden, bei denen sich die Wirkungen des AuBZ und der Entgeltregelungen jedenfalls in zielführender Weise verstärken. Ein Beispiel für die ergänzende Wirkung stellt die Kombination der Aufhebung des AuBZ in Zusammenhang mit hohen Entgelten und einer Vielzahl von Reduktionsmöglichkeiten dar, die eine maximale Dezentralisierung ansteuert und somit dem Ziel der kosteneffizienten Systementwicklung dient, falls dies durch Dezentralisierung erreicht werden kann. Die verstärkende Wirkung einer Institution durch
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eine andere zeigt sich am Beispiel der auskömmlichen Refinanzierung bestehender Systeme: Durch einen Anschluss- und Benutzungszwang sowie den Verzicht auf Reduktionsmöglichkeiten im Tarifsystem lässt sich die Wirkung der Entgelte als Instrument zur Generierung von Einnahmen stärken und zugleich die Anreizwirkung als Tarifhebel zur Dezentralisierung dämpfen. Weiterhin existieren institutionelle Kombinationen, die sich keinem der Ziele eines kommunalen Regenwassermanagement zuordnen lassen und sich zugleich durch gegensätzliche Wirkungen der institutionellen Ausprägungen auszeichnen. Beispielhaft sei auf die Kombination aus entfallenem AuBZ bei gleichzeitig vielfältigen Reduktionsmöglichkeiten und niedrigen Entgelthöhen verwiesen. Der theoretischen Analyse wurde eine empirische Bestandsaufnahme auf der Basis einer systematischen Stichprobe von 45 Groß-Kommunen gegenübergestellt. Die Kernergebnisse dieser Erhebung sind: – Grundsätzlich erlaubt ein Großteil der Kommunen den breiten Einsatz dezentraler Maßnahmen zur Regenwasserbewirtschaftung, wobei in der Hälfte der Kommunen dies über ein Antragsverfahren geregelt wird. – Sowohl bei der Entgelthöhe als auch bei Reduktionsmöglichkeiten findet sich eine sehr große Bandbreite in der konkreten institutionellen Ausgestaltung. – Aufgrund des empirisch zu beobachtenden Zusammenspiels der Institutionen ist zu schlussfolgern, dass gegenwärtig der Grundkonflikt zwischen zentralem Systemerhalt und Dezentralisierungsbemühungen i. d. R. zugunsten Letzteren entschieden wird. Das heißt in Bezug auf die verfolgten kommunalen Strategien, dass gegenwärtig weniger den Aspekten der Refinanzierungssicherheit oder der gesellschaftlichen Steuerbarkeit bzw. des zentralen Ausbaus Rechnung getragen wird als vielmehr jenen Zielen, bei denen eine verstärkte Nutzung dezentraler Maßnahmen von Vorteil ist. Obwohl die kommunalen Strategien auch maßgeblich durch die Vorgaben der Landeswassergesetze bestimmt werden, zeigt sich insbesondere durch die verbreitete Einräumung von Entgelt-Reduktionsmöglichkeiten – einem doch recht weitgehend im kommunalen Ermessen stehenden Instrument –, dass diese überwiegend ein Interesse an dezentraler Bewirtschaftung haben und diese gezielt fördern.
Gleichwohl fallen aus theoretischer Sicht zahlreiche Inkonsistenzen bei den gewählten institutionellen Ausprägungen auf, indem etwa faktisch weitgehend wirkungslose Dezentralisierungsstrategien verfolgt werden. Verschiedene mögliche Erklärungsansätze, welche derartige Defizite beim Interplay in der Praxis erklären könnten, wurden hierzu ergänzend erörtert. Die anhaltende Diskussion um eine nachhaltige Regenwasserbewirtschaftung konnte mit der vorliegenden Arbeit um verschiedene wichtige Aspekte bereichert werden: – Zunächst bietet sie eine Bestandsaufnahme zur gegenwärtigen institutionellen Ausrichtung des kommunalen Regenwassermanagements im Siedlungsbestand.
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Es kann konstatiert werden, dass die Dezentralisierung von Regenwasserbewirtschaftung auch im Siedlungsbestand bereits eine wichtige Rolle einnimmt und z. T. institutionell konkret angesteuert wird. – Weiterhin wurde das Verständnis des Zusammenspiels von technischen und institutionellen Bedingungen sozio-technischer Systeme am Beispiel der kommunalen Regenwasserbewirtschaftung konkretisiert und vertieft. Insbesondere wurden die Wirkung einzelner Steuerungsinstitutionen und deren Interplay vor dem Hintergrund eines vielfältigen technologischen Alternativenraums beleuchtet. Dabei konnten empirisch gefundene institutionelle Ausgestaltungen der Kommunen mit theoretischen Überlegungen zur Effektivität einer strategischen Zielausrichtung abgeglichen werden. Dabei wurde nicht zuletzt aufgezeigt, dass langfristig Institutionen und strategische Ziele zueinander passen müssen. – Schließlich zeigt der Beitrag die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung bei der Diskussion um Dezentralisierung / Zentralisierung der Regenwasserbewirtschaftung: Die gegenwärtige Dezentralisierungswelle dürfte zunächst einmal der Tatsache geschuldet sein, dass ausgehend von einer nahezu vollständigen Zentralisierung in der Vergangenheit derzeit hohe Dezentralisierungsdividenden im Siedlungsbestand zu erwarten sind. In Zukunft kann für den Siedlungsbestand die Durchsetzung anderer, zentralsystemsichernder Teilziele aber durchaus auch wieder eine stärkere Relevanz erhalten.
Dabei ist die vorgelegte Untersuchung naturgemäß weit von einer erschöpfenden Beantwortung der Frage nach dem Zusammenspiel von Institutionen und technologischen Optionen im Bereich eines nachhaltigen Regenwassermanagements entfernt. Künftige Forschungsarbeiten werden sowohl theoretisch als auch empirisch das Problem der Interaktion technologischer und institutioneller Bedingungen in der Siedlungswasserwirtschaft vertiefend aufgreifen müssen. Nicht zuletzt der Erfolg einer unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten optimierten Regenwasserbewirtschaftung, wie sie dem Gesetzgeber in § 55 WHG vorschwebt, hängt davon ab, inwieweit diese Zusammenhänge verstanden und zielkonform umgesetzt werden können. Effiziente und angemessene Institutionenbildung sowohl auf kommunaler als auch auf Landes- und Bundesebene kann hierzu in der Praxis entscheidend beitragen.
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Herausforderungen einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung
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Zukünftiger Umgang mit Regenwasser – eine kommunale Gemeinschaftsaufgabe am Beispiel Hamburg Von Axel Waldhoff und Juliane Ziegler
I. Herausforderungen für die Wasserwirtschaft Die Hamburger Wasserwirtschaft steht vor der Herausforderung, durch zunehmende Flächenversiegelung und die Folgen des Klimawandels zukünftig mehr Niederschlagswasser bewirtschaften zu müssen als bislang. Die Kapazität der Entwässerungssysteme zur Regenwasserableitung kann dann gebietsweise nicht mehr ausreichen, wodurch sowohl die Erfolge der durchgeführten Gewässerschutzprogramme als auch die Zielerreichung nach Wasserrahmenrichtlinie 1 gefährdet werden. Vor diesem Hintergrund hatte die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) gemeinsam mit HAMBURG WASSER (HW) im September 2009 das Projekt RISA – RegenInfraStrukturAnpassung etabliert, welches in 2013 auslief. Das Gemeinschaftsprojekt ist das Arbeitsforum, in dem die verschiedenen Themen, Inhalte und Anforderungen im Umgang mit Regenwasser zusammengeführt und Lösungen fachgebietsübergreifend erarbeitet wurden. 1. Ausgangssituation Jährlich investiert HW im Zuge einer nachhaltigen Abwasserentsorgung der Stadt über 60 Millionen Euro in die Sanierung und Erneuerung des rund 5.500 km umfassenden Entwässerungsnetzes. Eine Übersicht der Entwässerungsverfahren in Hamburg gibt Abbildung 1. Im überwiegenden Teil Hamburgs, außerhalb des Innenstadtbereichs, liegt Trennkanalisation vor (rund 2.200 km Schmutzwasser- und 1.700 km Regenwassersiel). Die Kanaleinzugsgebiete umfassen eine Fläche von ca. 360 km², wovon ca. 175 km² als befestigte Fläche eingestuft werden können. Dies entspricht einem mittleren Befestigungsgrad von ca. 49%. Die seit den 1980er Jahren durchgeführten Gewässerschutzprogramme für Alster und Elbe sowie die aktuell in der Umsetzung befindlichen Konzepte zur Innenstadt1
WRRL (2000).
516
Axel Waldhoff und Juliane Ziegler
Entlastung und das Bergedorfer Sanierungskonzept im Mischsystem haben zu einer erheblichen Reduzierung der Mischwasserüberlaufe beigetragen bzw. werden diese weiter auf ein sehr geringes Niveau senken. In den Bereichen des Trennsystems gelangen jedoch Niederschlagsabflüsse unter anderem von stark befahrenen Straßen ohne vorherige Behandlung über zahlreiche Einleitpunkte direkt in die Gewässer und können dort sowohl in hydraulischer als auch stofflicher Sicht zu einer Belastung beitragen.
Quelle: HAMBURG WASSER (2010).
Abbildung 1: Räumliche Verteilung der unterschiedlichen Entwässerungsverfahren im Stadtgebiet Hamburg
Die Gewässer in Hamburg, wie z. B. die Elbe, Binnen- und Außenalster, Fleete und Kanäle haben insbesondere für die Wirtschaft, aber auch als Naherholungsund Freizeitgebiet eine große Bedeutung. Die Gesamtlänge des hamburgischen Gewässernetzes 1. und 2. Ordnung beträgt rund 640 km.2 Der überwiegende Teil der Hamburger Gewässer stellt aufgrund der anthropogenen Entstehung oder Überprägung bei der vorläufigen Einstufung nach WRRL entweder ein künstliches oder er-
2
FHH (2005).
Zukünftiger Umgang mit Regenwasser
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heblich verändertes Gewässer dar, als natürliche Gewässer können derzeit nur fünf Wasserkörper eingestuft werden.3 Ergänzt wird das Gewässernetz um zahlreiche Gräben, deren genaue Länge nicht bekannt ist.
2. Aktuelle Entwicklungen a) Stadtentwicklung Im Arbeitsprogramm4 artikuliert der derzeitige Senat unter dem Leitbild „Wir schaffen das moderne Hamburg“ den Bau von zusätzlichem, kostengünstigem Wohnraum, wobei eine Konzentration von Wohnungsbau im bereits besiedelten Stadtgebiet angestrebt wird. Der im Juli 2011 geschlossene „Vertrag für Hamburg“ zwischen dem Senat und den sieben Bezirksämtern hat das Ziel, rund 6000 neue Wohnungen pro Jahr zu errichten. Ergänzt wird dieser Vertrag durch verbindliche Absprachen des Senats mit der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, dem sogenannten „Bündnis für Wohnen in Hamburg“. Nutzungskonflikte und ein zunehmender Nutzungsdruck auf vorhandene Frei- und Grünflächen in bestehenden Siedlungsgebieten sind vorprogrammiert. Zudem steigt durch die Nachverdichtung im Bestand oder auch durch die Innenerschließung in der Regel die versiegelte und abflusswirksame Fläche, sodass von einer stärkeren Belastung des Sielnetzes ausgegangen werden muss. Im Projekt RISA wurde von einer Zunahme der befestigten Fläche von ca. 0,4 % pro Jahr ausgegangen. b) Klimawandel Erste Untersuchungen zu den hydraulischen Folgen des Klimawandels auf das Hamburger Mischsystem (Innenstadtbereich, vgl. Abbildung 1) zeigen, dass auf Basis der simulierten Niederschlagsdaten des Klimamodells REMO unter Verwendung des Szenario A1B des IPCC (International Panel for Climate Change) bis zum Ende des Jahrhunderts mit einer signifikanten Zunahme der Mischwasserentlastungen gerechnet werden kann.5 Detaillierte Untersuchungen für Regeneinzugsgebiete im Trennsystem sind im Rahmen des BMBF-Forschungsvorhabens KLIMZUG-Nord,6 ebenfalls auf Basis der REMO-Daten zum Szenario A1B für das Einzugsgebiet des Gewässers Wandse durchgeführt worden. Auch hier zeigt die Szenario-Betrachtung bis zum Ende des Jahrhunderts potentielle Folgen des Klimawandels auf das Kanalnetz aus hydraulischer Sicht in Form einer Zunahme der Überstauereignisse. 3 4 5 6
FHH (2005). FHH (2011). Kuchenbecker et al. (2010). Hüffmeyer (2011).
518
Axel Waldhoff und Juliane Ziegler
c) Gesetzliche Anforderungen Weitergehende Anforderungen an die Entwässerungssysteme – Gräben, Gewässer, Misch- und Regenkanalisation – schlagen sich auch auf gesetzlicher Ebene nieder. Übergeordnete europäische Richtlinien wie die Wasserrahmenrichtlinie 7 sowie die, z. T. daraus resultierenden, nationalen Vorgaben wie das novellierte Wasserhaushaltsgesetz8 oder die Oberflächengewässerverordnung9 setzen den gesetzlichen Rahmen, den die Wasserwirtschaft zu erfüllen hat. Eine aus den genannten Richtlinien und Gesetzen ableitbare übergeordnete Zielsetzung der Wasserwirtschaft lautet, den Eingriff in den Wasserhaushalt sowohl in mengenmäßiger als auch in stofflicher Hinsicht so gering wie möglich zu halten. Diese übergeordnete Zielsetzung wiederum bedingt konkrete Anforderungen insbesondere an den Umgang mit Regenwasser in den unterschiedlichsten Bereichen. Wie in den Leitlinien der integralen Siedlungsentwässerung angeführt, bedarf es in Verbindung mit den rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und dem Gebot der Nachhaltigkeit einer Neuausrichtung der Ziele der Siedlungsentwässerung in Bezug auf die Schutzgüter „Entsorgungssicherheit“, „Gewässerschutz“, „Nutzungssicherung“ und „sonstigen Belangen“ und den damit verbundenen Schutzzielen.10 d) Administrative Rahmenbedingungen Die Zuständigkeiten in der Hamburger Wasserwirtschaftsverwaltung sind zum Teil historisch gewachsen und weisen heute einen hohen Grad an Komplexität auf. So werden im Stadtstaat Hamburg die ministeriellen Aufgaben der Wasserwirtschaft durch die BSU wahrgenommen, während die operativen Aufgaben sowie Planungs- und Genehmigungsentscheidungen auf lokaler Ebene im Verantwortungsbereich der Bezirksverwaltungen liegen. Als weiterer wichtiger Partner in der FHH hat die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) die Zuständigkeit für Planung, Bau und Betrieb sowie Unterhaltung der Hauptverkehrsstraßen übernommen und ist damit Ansprechpartner und Verantwortlicher hinsichtlich der Regenwasserbehandlung im Bereich der Straßen. Die Senatsentscheidung zur „Entflechtung von Aufgaben und Vermeidung von Doppelarbeit“ stellt nach der großen Verwaltungsreform von 2006, die mit einer Verlagerung der Zuständigkeiten von der übergeordneten Fachbehörde in die Bezirke verbunden war, neue Herausforderungen an die Wasserwirtschaft durch eine weitergehende Dezentralisierung der Zuständigkeiten und eine Verlagerung der VerWRRL (2000). WHG (2009). 9 OGewV (2011). 10 DWA (2005a). 7 8
Zukünftiger Umgang mit Regenwasser
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antwortung in die Bezirke. Die durchgehende Betrachtung von Fließwegen und wasserwirtschaftlichen Einzugsgebieten wird durch die damit weiter zunehmende Orientierung an kleineren politischen Gebietseinheiten deutlich erschwert.
II. Das Projekt RISA – RegenInfraStrukturAnpassung 1. Allgemein Vor dem geschilderten Hintergrund hatte die BSU gemeinsam mit HW im Herbst 2009 das Projekt RISA – RegenInfraStrukturAnpassung initiiert. Die übergeordneten bearbeiteten übergeordneten Themenkomplexe „Lokaler Wasserhaushalt“, „Gewässerschutz“ sowie der „Überflutungs- und Binnenhochwasserschutz“ stehen in direkter Verbindung zu den in den Leitlinien der integralen Siedlungsentwässerung der DWA formulierten Schutzgütern. Der zukunftsfähige Umgang mit Regenwasser ist eine Aufgabe für alle an der Wasserwirtschaft beteiligten Institutionen und Fachbehörden. Der Ansatz und Ursprungsgedanke von RISA war es, die an der Wasserwirtschaft beteiligten Fachdisziplinen von Anfang an maßgeblich in das Projekt einzubinden und ein übergreifendes Arbeitsforum zu schaffen, in dem die verschiedenen Themen, Inhalte und Anforderungen im Umgang mit Regenwasser zusammengeführt und zukunftsfähige Lösungen gemeinsam erarbeitet werden. Daher sah RISA eine Projektstruktur bestehend aus vier interdisziplinären Arbeitsgruppen mit den Schwerpunkten Siedlungswasserwirtschaft, Stadt- und Landschaftsplanung, Verkehrsplanung und Gewässerplanung vor. Ergänzt wurden die Arbeitsgruppen durch übergreifende Querschnittsthemen, die sich neben den technischen Grundlagen mit den Fragestellungen zu „Kosten & Finanzierung“, „Institutionen & Recht“ und „Kommunikation & Öffentlichkeit“ in der Wasserwirtschaft beschäftigten. Alle Arbeitsgruppen wurden wesentlich durch Partner aus Universitäten und Ingenieurbüros unterstützt.11
2. Strukturplan Regenwasser 2030 (Arbeitstitel) Die Projektergebnisse fließen in den „Strukturplan Regenwasser 2030“ (Arbeitstitel) ein, der verbindliche Leitlinie für den Umgang mit Regenwasser in Hamburg werden soll. Neben der Bestandsaufnahme zur aktuellen Regenwasserbewirtschaftung (RWB) wird der Strukturplan Empfehlungen zum zukünftigen Umgang mit Regenwasser mit deutlichem Fokus auf die Dezentralisierung der Entwässerung für alle Neu- und Umbauten enthalten und die dafür erforderlichen technischen Lösungen aber auch die verwaltungsinternen Verfahrens-, Beteiligungs- und Informationsabläufe aufzeigen. Ergänzt werden sollen diese Inhalte durch die Formulierung der 11
Vgl. Waldhoff / Ziegler (2010).
520
Axel Waldhoff und Juliane Ziegler
erforderlichen rechtlichen und ggf. institutionellen Anpassungsbedarfe in Hamburg. Der Strukturplan Regenwasser 2030 mit seinen geplanten Inhalten gewinnt insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen auf der Verwaltungsebene an Bedeutung, da mit dem Strukturplan Empfehlungen entwickelt werden, welche die gesamtstädtische Perspektive in Bezug auf die Wasserwirtschaft generell und die Regenwasserbewirtschaftung im Besonderen in das tägliche Verwaltungshandeln der verschiedenen Stakeholder der FHH unabhängig von Zuständigkeitsgrenzen zu integrieren hilft. Der Strukturplan dient als fachliche Basis für eine aktuell in Arbeit befindliche Senatsdrucksache RISA, mit welcher die wesentlichen Empfehlungen dem Hamburger Senat zum Beschluss vorgelegt werden sollen.
III. Pilotprojekte und Ergebnisse – Beispiele In RISA wurden zahlreiche Arbeiten durchgeführt, deren Ergebnisdarstellung in Gänze an dieser Stelle zu lang wäre. Daher wird im Folgenden lediglich eine Auswahl an Ergebnissen und Pilotprojekten vorgestellt, die einen Einblick in die vielfältigen Aspekte der kommunalen Gemeinschaftsaufgabe Regenwasserbewirtschaftung beispielhaft verdeutlichen sollen.
1. Beispiel Planungs- und Informationssystem Regenwasser Hamburg Um geeignete Regenwasserbewirtschaftungsmaßnahmen unter ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten gezielt planen und umsetzen zu können, wird für Hamburg derzeit ein flächendeckendes GIS-basiertes Analyse-Planungsinstrument und Informationssystem für die Regenwasserbewirtschaftung auf Flurstückebene erarbeitet. Innerhalb des RISA Themenkomplexes „Lokaler Wasserhaushalt“ war der grundlegende Bestandteil dieses Informationssystems die sogenannte Versickerungspotentialkarte, die auf Basis von hydrologischen, geologischen und topographischen Daten in Zusammenarbeit mit der BSU, dem geologischen Landesamt Hamburgs und HW erstellt und in RISA validiert, erweitert und aktualisiert wurde. 12 Neben der Kenntnis der Versickerungspotentiale ist für die betrachteten Einzugsgebiete weiterhin die Kenntnis über das so genannte Flächenpotential für die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung entscheidend. Maßgebende Basis für die Flächenpotentialkarte, die von HW gemeinsam mit der TU Kaiserslautern entwickelt wurde, sind u. a. die Auswertung befestigter Flächen aus aktueller Luftbildauswertung, die Flächenverfügbarkeit und die Bebauungsstruktur. Aus der Versickerungspotentialkarte und der Flächenpotentialkarte können konkrete Planungsgrundlagen für spezielle 12
Hamburg Wasser (2010).
Zukünftiger Umgang mit Regenwasser
521
Regenwasserbewirtschaftungsmaßnahmen, das generelle Potential für die Regenwasserbewirtschaftung und Wasserhaushaltsbilanzierungen in ganz Hamburg auf unterschiedlichen Detailebenen abgeleitet werden.
Quelle: HAMBURG WASSER (2010).
Abbildung 2: Beispielhafte Layerstruktur ausgewählter Inhalte des Kartenwerkes zur Regenwasserbewirtschaftung in Hamburg
Hinsichtlich des Themenkomplexes „Binnen- und Überflutungsschutz“ wurden Gefährdungs- und Schadenspotentialkarten erstellt, die es erlauben für Objekte der Infrastruktur das Überflutungsrisiko abschätzen zu können. Dieser Informationsbaustein soll zukünftig dazu beitragen, dass Verwaltung, Planer und vor allem auch Grundstückseigentümer verbesserte Überflutungsvorsorge gemeinschaftlich betreiben können. Weiterhin ist es durch die verbesserte Analyse großräumiger Gefährdungspotentiale möglich, dem Nutzen von Maßnahmen der Überflutungsvorsorge die entsprechenden Kosten gegenüber zu stellen, um entsprechenden politischen Entscheidungen eine (volkswirtschaftliche) Basis zu geben. Im Themenkomplex „Gewässerschutz“ wurde die sogenannte Emissionspotentialkarte erarbeitet. Diese basiert auf mittleren Schadstoff Jahresabtragfrachten von Siedlungsflächen und ermöglicht die verbesserte Detektion der Hauptverschmutzeranteile im Siedlungsraum. Das Kartenwerk ist die Basis für die Aufstellung von Regenwasserbehandlungskonzepten, in welchen Notwendigkeit, Umfang und Aufwand für Regenwasserbehandlungsmaßnahmen und der (emissionsorientierte) Nut-
522
Axel Waldhoff und Juliane Ziegler
zen dargestellt werden. Durch die flächendeckende Betrachtung werden auch an dieser Stelle volkswirtschaftliche Betrachtungen für den Schadstoffrückhalt und die Vermeidung des Schadstoffeintrages in Oberflächengewässer für die gesamte Fläche Hamburgs möglich.
2. Beispiel Wasserwirtschaftlicher Rahmenplan Hamburg Das Informationssystem Regenwasser stellt einen wichtigen Baustein für die Entwicklung eines verwaltungsintern verbindlichen Wasserwirtschaftlichen Rahmenplans (WRP) für die FHH dar. Die Grundzüge zur Erstellung des WRP sind im Rahmen von RISA erarbeitet worden.13 Ziel ist es, ein Gesamtstädtisches Konzept zum „zukunftsfähigen Umgang mit Regenwasser in Hamburg“ mit einer stärker räumlich-gestalterisch geprägten Integration der Regenwasserbewirtschaftung in die Stadt- und Freiraumplanung als Arbeitsgrundlage und Richtungsweiser für alle Planungsbeteiligten zu entwickeln. Dabei umfasst der WRP sowohl wasserwirtschaftliche Leitziele und Leitlinien als auch Handlungsziele und Handlungsschwerpunkte. Der WRP soll somit einen wesentlichen Beitrag dazu liefern, die „derzeitige Planungspraxis der Erarbeitung von oft sehr kleinteiligen wasserwirtschaftlichen Konzepten und Lösungen in eine Planungskultur umzuwandeln, in der Entwässerungskonzepte auf B-Plan- und Genehmigungsebene auf der Grundlage eines wasserwirtschaftlichen räumlichen Gesamtkonzeptes erstellt werden können“. 14 Es ist derzeit geplant, den WRP als Fachkonzept zum Landschaftsprogramm zu veröffentlichen. Tabelle 1 zeigt die Schnittstelle und Verankerung des WRP zu den bestehenden Planungsinstrumenten in Hamburg auf: Tabelle 1 Zuordnung der „neuen“ wasserwirtschaftlichen Planungsinstrumente für Hamburg zu den Planungsebenen Planungsebenen
Vorhandene Planungsinstrumente
Informelle Planung
Räumliches Leitbild
Vorbereitende Bauleitplanung
Flächennutzungsplan Landschaftsprogramm
Informelle Planung
Städtebauliche Rahmenpläne Masterpläne Funktionspläne
13 14
RISA AG2 (2013). RISA AG2 (2013).
„Neue“ Planungsinstrumente
Wasserwirtschaftlicher Rahmenplan WRP
Ggf. bis zur Aufstellung eines WRPs: Wasserwirtschaftliche Konzepte für Teilgebiete (initiiert durch konkrete Vorhaben oder besonderes
Zukünftiger Umgang mit Regenwasser
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Schadensrisiko bzw. Überflutungshäufigkeit) als temporäre Zwischenlösung Verbindliche Bauleitplanung
Bebauungspläne
Wasserwirtschaftlicher Begleitplan WBP
Quelle: RISA AG2 (2013).
3. Beispiel Neugestaltung der Entwässerung an Hamburger Schulen Im Projekt RISA wurden von Beginn an zahlreiche Kooperationspartner in Hamburg gesucht wie der IBA Hamburg GmbH (internationale Bauaustellung). Dies spiegelt sich beispielsweise auch in der Kooperation mit dem Schulbau Hamburg (SBH) wieder. In Zusammenarbeit mit RISA konnten zwei Pilotprojekte zur zukunftsfähigen Neugestaltung der Entwässerung von Schulgebäuden bereits umgesetzt werden.15 Parallel wurde ein Planungshandbuch speziell für die Regenwasserbewirtschaftung auf Schulgrundstücken entwickelt, welches bei allen Umbauten und Neubauten von Schulen zum Einsatz kommen wird. Dies betrifft langfristig über 400 Schulstandorte in Hamburg.
Quelle: FHH; Bilder: arbos 2013.
Abbildung 3: Entwässerungskonzept Grundschule Wegenkamp: Sammeln statt Siel (links) und Grundschule Moorflagen: Sickern statt Siel (rechts)
15
FHH (o. J.).
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Axel Waldhoff und Juliane Ziegler
4. Beispiel Neuerschließung eines ehemaligen Kasernengeländes Im Rahmen des Planungsprozesses zur Bebauung der ehemaligen Röttiger Kaserne in Hamburg-Harburg werden die technischen, organisatorischen und v. a. finanziellen Leitfragen zur optimierten Umsetzung von RISA-Maßnahmen exemplarisch analysiert und konkrete Lösungsvorschläge erarbeitet, die auf ganz Hamburg anwendbar sein sollen. Neben der technischen Ausgestaltung und landschaftsarchitektonischen Einbindung der Bewirtschaftungsmaßnahmen liegt das Hauptaugenmerk der RISA-Arbeitsgruppe in diesem Projekt auf der Entwicklung geeigneter Betreiber- und Finanzierungsmodelle für die nicht Siel gebundene Oberflächenentwässerung privater und öffentlicher Flächen.
Quelle: IBA Hamburg GmbH / ARGUS, Stand Juni 2013, nicht veröffentlicht.
Abbildung 4: Entwässerungskonzept Umplanung Röttiger Kaserne
Neben den genannten inhaltlichen Aspekten stellte auch die Kooperation mit der IBA Hamburg GmbH als Projektentwickler des Kasernengeländes einen weiteren Aspekt dieser RISA-Projektarbeit dar, da auf diesem Wege die Verankerung der RISA-Leitgedanken innerhalb von Erschließungsprojekten der FHH voran getrieben werden konnte.
Zukünftiger Umgang mit Regenwasser
525
5. Beispiel Retentionsbodenfilter im Hamburger Trennsystem Auf Basis eines im Projekt RISA entwickelten einfachen kombinierten Emissions-Immissionsnachweises zur Ermittlung von Gewässerbelastungen u. a. durch Niederschlagswassereinleitungen werden Regenwasserbehandlungskonzepte unter ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten ermöglicht. In diesem Zusammenhang ist es entscheidend, Regenwasserbehandlungssysteme zu etablieren, die unter den Restriktionen des hoch verdichteten urbanen Raums Hamburgs baulich und betrieblich bei gleichzeitig großen Ansprüchen an Robustheit und Leistungsfähigkeit umsetzbar sind. Ungünstige Platz-und Höhenverhältnisse sind hier oftmals an erster Stelle zu nennen. Nur die konzeptionell durchdachte Kombination von zentralen, semizentralen und ggf. dezentralen Behandlungsmaßnahmen wird hier zu sinnvollen Lösungen bei gleichzeitiger Wahrung der Verhältnismäßigkeit zwischen investivem und operativem Aufwand zum ökologischen Nutzen führen. Bei den zentralen Maßnahmen haben sich seit den 1990er Jahren bewachsene Bodenfilteranlagen als Neuentwicklung zunehmend etablieren. Dabei ist die Bauart des Retentionsbodenfilters (RBF) besonders verbreitet. Gemäß geltendem Regelwerk bestehen RBF-Anlagen aus einer vorgeschalteten Absetzstufe und einem Filterbecken.16 Neuere Erkenntnisse zeigen, dass eine vorgeschaltete Absetzstufe von RBF-Anlagen im Trennsystem zum Schutz vor Kolmation nicht erforderlich ist. Vielmehr ist es zielführend, einen möglichst großen Anteil an Feinstoffen zur Etablierung einer sorptionsstarken Sekundärfilterschicht in das Filterbecken einzubringen. Aus diesem Grund wurde auf eine konventionelle Absetzstufe in Form eines Regenklärbeckens bei aktuell in Planung befindlichen RBF (vgl. Abbildung 5) und einet bereits umgesetzten RBF-Anlage in Hamburg verzichtet und diese durch einen Grobstoffrückhalt in Form eines Geschiebefangs ersetzt. RBF können hydraulisch und stofflich sehr hoch belastet werden.17 Leistungsrückgänge sind eher bei Unterlast als bei Überlast zu verzeichnen. Aus diesen Überlegungen heraus wurde die Dimensionierung von RBF über Langzeitseriensimulation in der Weise angepasst, dass möglichst kompakte und kosteneffiziente Anlagen entstehen. Die Entlastung dieser Anlagen erfolgt ausschließlich aus dem Filterbecken, indem sogenannte Durchlauffilterbecken (DFiB) vorgesehen werden. Dadurch erfährt das Überlaufwasser noch eine Absetzwirkung im Filterbecken. Auf den bei DFiB bislang geforderten Volumenzuschlag wird verzichtet. Die RBF-Anlagen werden im Sinne des BWK Merkblatt 3 in Verbindung mit gleichzeitig Struktur verbessernden Gewässermaßnahmen geplant. Dies setzt ein hohes Wiederbesiedlungspotential im Gewässer voraus oder kann, sofern nicht vorhanden, als Initial für Verbesserungen der Gewässermorphologie dienen, um eine ausgewogene und wirkungsvolle Kom-
16 17
DWA (2005b). Waldhoff (2008).
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Axel Waldhoff und Juliane Ziegler
Quelle: HW, IDN.
Abbildung 5: Beispiel einer geplanten RBF-Anlage in Hamburg ohne vorgeschaltetes Regenklärbecken bei begrenzten Flächen- und Höhenverhältnissen
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bination aus Regenwasserbehandlungs- und Gewässerstrukturmaßnahmen zu erreichen.
IV. Ausblick Zahlreiche Ergebnisse und Vorschläge zu Anpassungs- und Verbesserungspotentialen in der Planungspraxis der Stadt Hamburg hinsichtlich der Regenwasserbewirtschaftung liegen aus den RISA Arbeitsgruppen vor. Erste Pilotprojekte zur technischen Umsetzung der RISA-Maßnahmen, d. h. einer zukunftsfähigen Regenwasserbewirtschaftung, konnten erfolgreich realisiert werden oder befinden sich aktuell in der Planungsphase. Die Umsetzung erarbeiteter finanzieller und organisatorischer Lösungsvorschläge und die Etablierung neuer Ablaufprozesse in den Arbeits- und Verwaltungsalltag sind nun die weiteren Arbeitsschritte zur Umsetzung von RISA in Hamburg. Insbesondere im Bereich der Zuständigkeits- und Ablauforganisation sowie im Bereich Finanzierung sind noch erhebliche Anstrengungen erforderlich, um den langfristigen Erfolg des Projekts zu sichern. Es steht nun die Aufgabe an, die zahlreichen Stakeholder sowie die Entscheidungsträger der hamburgischen Politik und Verwaltung von der Notwendigkeit zur Umsetzung der Vorschläge aus dem Projekt RISA über die technischen Maßnahmen hinaus zu überzeugen. Letztendlich wird in Hamburg die Übertragung der bisherigen Erkenntnisse in Hamburg-weit gleiches, konkretes und kontinuierliches Handeln nur durch Beschluss des Senats und ggf. Befassung durch die Bürgerschaft möglich werden. Dazu befindet sich derzeit eine Senatsdrucksache zur Einführung der RISA-Ergebnisse in die hamburgische Verwaltungs-, Planungs- und Betriebspraxis in Arbeit, die zeitnah dem Hamburger Senat zur Entscheidung vorgelegt werden.
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528
Axel Waldhoff und Juliane Ziegler
FHH [Freie und Hansestadt Hamburg], Finanzbehörde (o. J.): Regenwasserversickerung – SBH startet Pilotprojekte; online verfügbar unter: http://www.hamburg.de/fb/sbh-newsar chiv/3891858/risa.html, abgerufen am 15. 04. 2015. HAMBURG WASSER (2010): Regenwassermanagement für Hamburg. Abschlussbericht des Projekts Regenwassermanagement im KompetenzNetzwerk HAMBURG WASSER, unveröffentlicht. Hüffmeyer, N. (2011): Auswirkungen des Klimawandels auf die Entwässerungssituation im Einzugsgebiet eines Hamburger Gewässers, in: Tagungsband zur 44. Essener Tagung für Wasser- und Abfallwirtschaft, Aachen, 23.–25. 03. 2011, S. 55 / 1 – 55 / 10. Kuchenbecker, A. / Bischoff, G. / Ziegler, J. / Krieger, K. / Verworn, H. R. (2010): Auswirkungen des Klimawandels auf das Hamburger Kanalnetz, in: Korrespondenz Abwasser, Abfall, 57 (9), S. 874 – 881. OGewV (2011): Verordnung zum Schutz der Oberflächengewässer, Oberflächengewässerverordnung (OGewV) vom 20. Juli 2011 (BGBl. I S. 1429). RISA AG2 (2013): Integriertes Regenwassermanagement in Hamburg: Veränderungsnotwendigkeit und Handlungsoptionen für Planung und Verwaltung. RISA-Abschlussbericht der AG Stadt- und Landschaftsplanung, unveröffentlicht. Waldhoff, A. (2008): Hygienisierung von Mischwasser in Retentionsbodenfiltern (RBF). Dissertation am Fachbereich Bauingenieurwesen der Universität Kassel. Schriftenreihe des Fachgebietes Siedlungswasserwirtschaft, Band 30. Waldhoff, A. / Ziegler, J. (2010): Das Projekt RISA: RegenInfraStrukturAnpassung – zukunftsweisender Umgang mit Regenwasser. Beitrag zum Abwasserkolloquium der TUHH. WHG (2009): Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (WHG), „Wasserhaushaltsgesetz vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2585), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 67 des Gesetzes vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 3044) geändert worden ist“. WRRL (2000): Richtlinie 2000 / 60 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, Wasserrahmenrichtlinie (WRRL).
Optionen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung – eine empirische Analyse des Entscheidungsverhaltens privater Grundstückseigentümer* Von Stefan Geyler und Christopher Krohn
I. Einleitung Die dezentrale Erbringung von wasserwirtschaftlichen Infrastrukturdienstleistungen ist mittlerweile bei der Regenwasserbewirtschaftung längst Realität. Eine dezentrale Regenwasserbewirtschaftung kann einen bedeutsamen Beitrag für eine nachhaltige Abwasserbeseitigung leisten. Gelingt deren koordinierte Integration in das Gesamtsystem, so lassen sich hierdurch effektiv und effizient der Grundwasserhaushalt verbessern, die bestehende Kanalisation entlasten, aber auch die Gewässerbelastung durch Regenwassereinleitungen bzw. Mischwasserentlastungen verringern und wirtschaftliche Vorteile ziehen.1 Im Folgenden werden als dezentrale Regenwasserbewirtschaftung nur die grundstücksbezogenen Lösungen in Siedlungsgebieten angesprochen. Gerade angesichts der Mitwirkungsnotwendigkeit privater Haushalte in diesem Segment stellt sich in besonderer Weise die Frage, ob und inwieweit der Umgang mit diesen dezentralen Ansätzen schon vollumfänglich beherrscht wird und die genannten Vorteile dezentraler Bewirtschaftung dementsprechend realisiert werden können. Bei der Neuausweisung von Baugebieten geht die Entwicklung klar in Richtung einer Dezentralisierung (vgl. § 55 Abs. 2 WHG). Im Siedlungsbestand hingegen stellt sich die Situation wesentlich komplexer dar. Einer der maßgeblichen Aspekte hierbei ist die Verteilung der Entscheidungskompetenz zwischen Aufgabenträger und Grundstückseigentümern. Während die öffentliche Regenwasserkanalisation in der Hand der Aufgabenträger liegt, erlauben es die institutionellen Rahmenbedingungen vieler Kommunen den Grundstückseigentümern auch im Siedlungsbestand dezentrale Anlagen zu nutzen; indem z. B. der Anschluss- und Benutzungszwang fehlt bzw. weitgehende Befreiungstatbestände zur Anwendung kommen. Durch die * Die Autoren danken Sara Jarosevitz, John Papke und Christoph Große sehr herzlich für ihren maßgeblichen Beitrag bei der der Vorbereitung und Durchführung der Befragung. Weiterhin gilt den Kommunalen Wasserwerken Leipzig Dank für ihre Unterstützung. 1 Vgl. stellvertretend Schmitt (2009); Sieker et al. (2008); Geiger / Dreiseitl / Stemplewski (2009).
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Stefan Geyler und Christopher Krohn
zunehmend verbreiteten gesplitteten Abwasser-Entgelte (d. h. eine eigenständige Niederschlagswassergebühr) werden zugleich Dezentralisierungsanreize gesetzt. 2 Für eine nachhaltige Siedlungswasserwirtschaft können dezentrale Regenwasseranlagen (RWA) auf privaten Grundstücken verschiedene wertvolle Beiträge liefern, je nachdem, welche der technischen Optionen konkret gewählt werden: – Abkopplung von Flächen vom öffentlichen Kanal, – Substitution von Trinkwasser, – Verbesserung der Grundwasserneubildung.
Nicht alle diese Leistungen sind aber in jeder räumlich-zeitlichen Ausprägung für eine lokale, nachhaltige Infrastrukturstrategie einer Kommune erwünscht. 3 Für eine nachhaltige Regenwasserbewirtschaftung ist es wichtig, bei der Nutzung dezentraler Anlagen bestimmte, miteinander z. T. konkurrierende Funktionen zu fördern bzw. zu hemmen: Z. B. sollten Flächen prioritär in solchen Teilräumen vom öffentlichen Kanal abgekoppelt werden, wo die Kanalisation hydraulisch überlastet ist, wo sensitive Oberflächengewässer durch eine verringerte Regenwassereinleitung maßgeblich entlastet werden oder wo öffentliche Regenwasseranlagen langfristig vollständig ersetzt und zurückgebaut werden könnten. Demgegenüber ist eine Abkopplung in Teilgebieten mit ausreichend dimensionierten zentralen Systemen, die vielleicht noch nicht refinanziert sind bzw. dort, wo keine Gewässergefährdung durch Regenwasserentlastung auftritt, weniger effektiv und bewirkt zugleich die Entstehung kostenintensiver Doppelstrukturen von zentralen und dezentralen Anlagen. Zur Steuerung dieser Zielerfüllungsbeiträge steht ein Bündel an Institutionen zur Verfügung. Im Siedlungsbestand wirken maßgeblich die Entgeltsysteme der Wasserver- und -entsorgung, welche Anreize bzgl. dezentraler Regenwassertechnologien oder im Hinblick auf zentrale Entsorgungslösungen ausüben. Weiterhin sind hier ordnungsrechtliche Ver- und Gebote, wie der Anschluss- und Benutzungszwang zu nennen. Darüber hinaus sind planungsrechtliche Ansätze (Bauplanung), Subventionen aber auch informatorische Instrumente wirksam.4 Die konkrete Auswahl technischer Optionen und damit zugleich der Erfolg von Dezentralisierungsmaßnahmen hängen maßgeblich von den Grundstückseigentümern ab.5 Verschiedene Studien haben sich bereits mit sozialen und ökonomischen Einflussfaktoren auf die Nutzungsentscheidung dieser zentralen Akteursgruppe beschäftigt.6 Es wurde gezeigt, dass die finanziellen Nettoeffekte einer dezentralen Regenwassernutzung zwar grundsätzlich als bedeutsamer Anreiz angesehen werVgl. Geyler / Bedtke / Gawel (2015); dies. (2014a); dies. (2014b). Vgl. Geyler / Bedtke / Gawel (2015). 4 Vgl. Wickel (2015); Bedtke / Gawel (2015); Partzsch (2009). 5 Vgl. Parsons et al. (2010). 6 Für einen umfassenden Literaturüberblick zu Einflussfaktoren bei der Nutzung dezentraler Systeme, siehe z. B. Mankad / Tapsuwan (2011); weiterhin Schwarz (2007). 2 3
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den, aber die Nettoerlöse in ihrer Höhe unter deutschen Rahmenbedingungen eher moderat ausfallen.7 Dann müssen entweder diese geringen finanziellen Wirkungen ausreichen, um Investitionsentscheidungen bei privaten Entscheidern auszulösen, oder es spielen weitere Faktoren eine wichtige Rolle. Hierbei wird auf die vielfältigen sozialpsychologischen Einflüsse, wie empfundene Nutzenwirkung, Risikowahrnehmung, aber auch kulturelle Aspekte und die Einflüsse der Umweltbildung, hingewiesen.8 Diese Einflüsse überlagern scheinbar die entgeltbasierten Anreize und verstärken oder hemmen sie. Dies wirft die Frage auf, wie die verschiedenen Einflussfaktoren dann letztendlich zusammenwirken. Vor dem Hintergrund der Technologievielfalt und den von Grundstückseigentümern zu treffenden Dezentralisierungsentscheidungen können gegenwärtig weder die Effektivität und Effizienz der von den Kommunen eingesetzten Steuerungshebel („Institutionen“) eingeschätzt noch Wirkungsprognosen erarbeitet werden. Vorliegende Untersuchungen differenzieren zum Beispiel nicht weiter zwischen den technischen Optionen, obgleich die verschiedenen dezentralen RWA maßgebliche Unterschiede zeigen, und beziehen auch die finanziellen Anreize nicht explizit mit ein. 9 Der vorliegende Beitrag untersucht dementsprechend explorativ anhand einer Befragung die Einflussfaktoren auf die Entscheidung von Grundstückseigentümern mit Hilfe einer binären Regression und stellt hierfür erste empirische Ergebnisse vor. Es gilt insbesondere zu klären, inwieweit das Entscheidungsverhalten von Grundstückseigentümern von denjenigen Einflussfaktoren abhängt, die bei den Entgeltsystemen der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung als Bemessungsgrundlage herangezogen werden und somit anreizrelevant sind, und inwieweit weitere Faktoren eine Rolle spielen. Zugleich ist von Interesse, inwieweit die Dezentralisierungstendenzen anhand von „einfach“ zu ermittelnden siedlungs- und soziostrukturellen Parametern prognostiziert werden können. Wäre dies der Fall, ließen sich sowohl Prognoseverfahren als auch die institutionelle Ansteuerung hierauf ausrichten. Die Abwasser-Entgeltsysteme beziehen sich auf grundstücksstrukturelle Merkmale wie die versiegelte Grundfläche oder den Wasserbedarf als soziodemografisches Merkmal. Sozialpsychologische Ansätze weisen auf die Möglichkeit hin, dass derartige Faktoren weniger relevant für die Entscheidung von Personen sind, sondern eher wahrgenommene Merkmale oder soziale Netzwerke eine Rolle spielen. 10 Wäre dies der Fall, würde dies die Steuerungswirkung der gegenwärtigen Tarifstrukturen infrage stellen und sich zugleich höhere Anforderungen an die Prognose und die institutionelle Steuerung der Entscheidungen von Grundstückseigentümern ergeben. 7 Zur Bedeutung, siehe Parsons et al. (2010) mit einer Untersuchung in UK und Mankad / Tapsuwan (2011); zur Schätzung der Nettoeffekte Rott / Meyer (2005) für Deutschland; mit Beispielen für UK und Schweiz, siehe Burkhard / Deletic / Craig (2000). 8 Vgl. Schwarz (2007); Mankad / Tapsuwan (2011). 9 Vgl. Schwarz (2007); Partzsch (2009). 10 Vgl. z. B. Schwarz (2007).
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Stefan Geyler und Christopher Krohn
Ausgehend von theoretischen Erklärungsansätzen zum Entscheidungsverhalten wird im Folgenden anhand einer empirischen Untersuchung analysiert, welche technischen Optionen zur Dezentralisierung in Siedlungsgebieten von Leipzig, einer Großstadt in Sachsen, aufgegriffen werden. Weiterhin vergleicht die empirische Erhebung den Einfluss baustruktureller und soziodemografischer Faktoren sowie die Wirkung wahrgenommener Innovationsmerkmale und sozialer Netzwerkeffekte.
II. Technische Optionen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung und ihre institutionelle Ansteuerung Für die grundstücksbezogene Regenwasserbewirtschaftung stehen mittlerweile vielfältige technische Optionen zur Verfügung (Tabelle 1). Sie reichen von einfachen Lösungen wie Regenwasserbehältern über Zisternen für Garten- und Brauchwassernutzung bis hin zu Versickerungsansätzen, Entsiegelungen und Gründächern. Der Beitrag der Technologien zu den Teilzielen einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung, d. h. zur Reduzierung des Regenwasseranfalls, zur Abmilderung von Abflussspitzen sowie zur Verbesserung des Grundwasserhaushalts, ist unterschiedlich.11 Einige Optionen führen hierbei zur vollständigen Abkopplung des Grundstücks vom öffentlichen Regenwasserkanal, andere Optionen führen zu einer mehr oder weniger starken Substitution von Trinkwasser. Wieder andere Optionen verbessern die Grundwasserneubildung. In Abhängigkeit von den verfolgten Zielen für eine nachhaltige Regenwasserbewirtschaftung kommt es somit nicht nur darauf an, ob eine dezentrale Anlage genutzt wird, sondern auch welche Option aufgegriffen wird. Im Siedlungsbestand stehen dem Aufgabenträger mehrere institutionelle Ansätze zur Verfügung, um das Handeln der Grundstückseigentümer zu beeinflussen. So greift ein etwaiger landes- und kommunalrechtlicher Anschluss- und Benutzungszwang. Dieser engt die Entscheidungskompetenz der Grundstückseigentümer maßgeblich dahingehend ein, ob sie dezentralisieren und welche technischen Optionen sie nutzen. Er unterbindet jedoch die Dezentralisierung im Siedlungsbestand nicht vollständig.12 Zugleich können beim Neubau von Grundstücken Vorgaben zur Art der Regenwasserbewirtschaftung / zur Nutzung des öffentlichen Kanals getroffen werden. Schließlich entfalten die Regenwasserentgelte eine Lenkungswirkung zusätzlich zu ihrer eigentlichen Refinanzierungsfunktion. Mittlerweile dominieren gesplittete Abwassergebühren. Wesentliche Bemessungsgrundlage ist die versiegelte Fläche, die in den öffentlichen Kanal entwässert. Allerdings sind die Tarife mittlerweile komplex und beinhalten zusätzliche Reduktionsmöglichkeiten, um alle Technologien zu würdigen. 11 12
Vgl. Sieker et al. (2009). Vgl. Geyler / Bedtke / Gawel (2015), S. 477.
Optionen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung
533
Tabelle 1 In die Untersuchung einbezogene technische Optionen zur grundstücksbezogenen Regenwasserbewirtschaftung
Kürzel
Technische Optionen zur Regenwasserbewirtschaftung
Substitution Abkopplung vom von TrinkKanal wasser
K
Vollständige Ableitung des Regenwassers in öff. Kanal
ZGK
Zisterne (Gartenbewässerung) mit Überlauf in den öff. Kanal
G
ZBK
Zisterne (Brauchwasser) mit Überlauf in den öff. Kanal
G, B
RBK
Regenwasserbehälter u. Ableitung des restl. Wassers in Kanal
G
VK
Teilweise Versickerung mit Überlauf in den öff. Kanal
V
Vollständige Versickerung
ZGV
Zisterne (Gartenbewässerung) mit Versickerung des Überlaufs
ZGV RBV
Verbesserung GWN
x x
x
G
x
(x)*
Zisterne (Brauchwasser) mit Versickerung des Überlaufs
G, B
x
(x)**
Regenwasserbehälter und Versickerung des restlichen Wassers
G
x
x
Anmerkung: GWN – Grundwasserneubildung; G – Substitution von Trinkwasser bei Gartenbewässerung; B – Substitution von Trinkwasser für Brauchwasser bei Toilettenspülung und / oder für die Waschmaschine; * Die Wirkung von Zisternen zur Gartenbewässerung auf die Grundwasserneubildung bleibt zu überprüfen, da im Regelfall zugleich Trinkwasser gespart wird, das ansonsten zur Bewässerung genutzt worden wäre. ** Verbesserung der Grundwasserneubildung eher gering, da ein hoher Anteil des Regenwassers als Brauchwasser genutzt und danach in die Kanalisation eingeleitet wird. Quelle: eigene Erstellung.
III. Erklärungsansätze zur Wirkung von Einflussfaktoren auf die Entscheidung der Grundstückseigentümer Außer im Fall von Dezentralisierungsgeboten hängt eine Nutzung von dezentralen RWA von der Investitionsentscheidung des Eigentümers ab. Um Entscheidungsverhalten zu erklären sowie die Bedeutung von Einflussfaktoren herauszuarbeiten, bieten sich verschiedene sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze an. 13
13
Vgl. Wilson / Dowlatabadi (2007) für einen Überblick.
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Stefan Geyler und Christopher Krohn
Ein Ansatz basiert auf der nutzenbasierten Entscheidungstheorie. 14 Grundstückseigentümer wägen ihr zufolge den Nutzen einer Maßnahme mit den Kosten ab. Hierbei werden ein perfekter Informationsstand der Grundstückseigentümer sowie eine rationale Entscheidungsfindung unterstellt. Die monetäre Nutzenwirkung der RWA hängt dann von den RW- und Trinkwasserentgelten sowie von den grundstücksstrukturellen und soziodemografischen Merkmalen ab, welche die Entgelthöhe beeinflussen. Hierzu zählen bspw. die versiegelte Grundfläche des Gebäudes sowie der Brauch- und Gartenwasserbedarf. Der Brauchwasserbedarf bemisst sich aus der Anzahl der Bewohner sowie deren spezifischen Bedarfen. Der Gartenwasserbedarf hängt von der bewässerten Fläche und der spezifischen Bewässerungsmenge ab (Tabelle 2). Darüber hinaus können auch nichtmonetäre Nutzenwirkungen in die Entscheidungsfindung einfließen, die bspw. auf individuellen Umweltschutzpräferenzen basieren und nicht von der Entgelthöhe abhängen. Tabelle 2 Tarifliche und grundstücksstrukturelle sowie soziodemografische Einflüsse auf die Entgelthöhe Wirkung auf Trinkwasserentgelt
einfach
komplex
Technische Option*
EntgeltHhgrö höhe
spez. Bewäss. BW-BeFläche darf
Wirkung auf Regenwasserentgelt
spez. Bewässerungsbed.
RedukVertions- Grundsiegelte faktofläche Fläche ren
EntgeltHöhe
V
0
0
0
0
0
+
0
+
+
ZGV
+
0
0
+
+
+
0
+
0
ZGK
+
0
0
+
+
+
0
ZBV
+
+
+
(+)
(+)
0
+
0
+ +
ZBK
+
+
+
(+)
(+)
+
0
RBV
+
0
0
+
+
+
+ 0
0
0
RBK
+
0
0
+
+
0
0
0
0
VK
0
0
0
0
0
+
+
+
Anmerkung: Hhgrö – Haushaltsgröße; BW – Brauchwasser; spez. Bewässerungsbed. – spezifische Bewässerungsbedingungen, die den Gartenwasserbedarf beeinflussen wie Häufigkeit und Intensität der Bewässerung. * Zur Erläuterung der Abkürzung, siehe Tabelle 1. ** Einbau im Zuge der Neuerrichtung oder Sanierung des Gebäudes und / oder des Gartens. Quelle: eigene Erstellung.
Dem Nutzen steht der Aufwand für den Bau und Betrieb der dezentralen RWA gegenüber. Dieser ist einerseits von der technischen Option, andererseits von den 14
Vgl. Wilson / Dowlatabadi (2007).
Optionen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung
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Grundstücksgegebenheiten abhängig. So ist davon auszugehen, dass Einflüsse, wie die Neuerrichtung oder Sanierung des Gebäudes die Baukosten beeinflussen. Denn in solchen Situationen fällt es leichter, eine komplexe RWA zu realisieren. Weiterhin hängt der Aufwand zur Errichtung der Anlagen vom verfügbaren Platz zum Einbau von Zisternen bzw. von geeigneten Versickerungsflächen ab sowie vom Platz zum Anschluss der Anlagen. Da die Zahlungsfähigkeit der Eigentümer begrenzt ist, spielen weiterhin soziodemografische Kriterien wie das Einkommen eine Rolle. Wird, wie bei der nutzenbasierten Entscheidungstheorie, ein perfekter Informationsstand angenommen, so sollten sich die oben aufgeführten Einflussfaktoren auf die Entscheidung auswirken. Von den Grundstückseigentümern wird im Rahmen eines vollständigen Variantenvergleiches die Option ausgewählt, welche den höchsten Nettonutzen aufweist. Hierbei fließen über die Trinkwasser- und Regenwassertarife angesteuerte Faktoren in die Entscheidung ein (Tabelle 2), so dass der Aufgabenträger hier eine Steuerungsmöglichkeit gegenüber den Grundstückseigentümern hätte. Jedoch wird die nutzenbasierte Entscheidungstheorie als realitätsfern kritisiert, da sie i. d. R. von perfekter Informiertheit der Betroffenen, konstanten Präferenzen sowie vollständigen Vergleichen zwischen allen Alternativen ausgeht. Hierdurch kann sie z. B. irrationale Entscheidungen nur schwer erklären.15 Außerdem werden sozialpsychologische Erkenntnisse zum Adoptionsverhalten außer Betracht gelassen.16 Andere Ansätze, wie zum Beispiel die sozialpsychologisch fundierte Diffusionsforschung, untersuchen ebenfalls das Aufgreifen von Innovationen durch Akteure. 17 Es wird ein mehrstufiger Kommunikations- und Entscheidungsprozess angesetzt, der von Einstellungen gegenüber der Innovation zur Handlungsintention und schließlich zur Adoption der Innovationen führt. Um das Verhalten von Akteuren vorherzusagen, werden hierzu deren Einstellung sowie die wahrgenommene Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit, nämlich die Verhaltenskontrolle erhoben. Weiterhin wird die wahrgenommene Erwartungshaltung anderer auf die eigene Entscheidung (Subjektive Norm) als Einflussfaktor aufgegriffen und somit Kommunikationsprozesse einbezogen. Ein prominenter Ansatz ist die Theorie des geplanten Verhaltens.18 Entsprechend der Theorie des geplanten Verhaltens bestimmen Einstellung und Verhaltenskontrolle sowie subjektive Norm letztendlich die Adoption (Abbildung 1). Einstellung und Verhaltenskontrolle werden wiederum durch die Überzeugung bestimmt, dass eine Entscheidung zu bestimmten Ergebnissen führt und der Bewertung, inwieweit sie ein solches Ergebnis für gut befindet (Erwartung-mal-Wert-Modelle). Hierbei beeinflusst eine überschaubare Anzahl an Überzeugungen jeweils 15 16 17 18
Vgl. Wilson / Dowlatabadi (2007); Schwarz (2007), S. 68 f. und 81 ff. Vgl. Dennis et al. (1990). Vgl. Wilson / Dowlatabadi (2007); Rogers (2003); Schwarz (2007). Vgl. Ajzen (1991); ders. (2001); Ajzen / Fischbein (2008).
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die Einstellung sowie die Verhaltenskontrolle. Die subjektive Norm wird analog untersetzt. Sie wird durch die Überzeugung beeinflusst, inwieweit Referenzpersonen die Adoption gut finden, sowie der Motivation, diesen Referenzpersonen zu folgen.19 Um we lts c h u tz Lu xu s Hyg ie n is c h e Be d e n ke n Re la tive r Vo rte il Ein fa c h h e it d e r Nu tzu n g De m o n s trie rb a rke it
Ein s te llu n g
Kom pat ib ilitä t m it Ge wo h n h e iten Erprobbarkei t Kom pat ib ilitä t m it In fra s tru ktu r Fin a n zie lle Re s s o u rc e n Be fu g n is
Subjekt ive No rm
In te n tio n
Ad o p tio n
Ve rh a lte n s ko n tro lle
Un fre iwillig ke it
Quelle: Schwarz (2007), S. 130, verändert.
Abbildung 1: Theorie des geplanten Verhaltens – spezifiziert für Wassersparinnovationen
In Bezug auf die Akzeptanz und Adoption von Innovationen wurden weitere Erklärungsmodelle entwickelt, die Überschneidungen mit der Theorie des geplanten Verhaltens aufweisen bzw. auf diesem aufbauen. Wesentliche Arbeiten erfolgten hier zum Beispiel durch Rogers sowie im Rahmen der Entwicklung des Technology Acceptance Model (TAM) und der Erarbeitung von umfassenden Skalen zu Innovationsmerkmalen (Perceived Characteristics of Innovations – PCI).20 Gemeinsam ist ihnen, dass die wahrgenommenen Merkmale der Innovationen von zentraler Bedeutung sind, d. h. die Attribute, welche Personen der Nutzung einer Innovation zuschreiben eine maßgebliche Rolle spielen.21 Hierzu zählen Kriterien wie beispielsweise Nützlichkeit, relativer Vorteil, Komplexität, Einfachheit der Nutzung. Auf Grundlage dieser theoretischen Ansätze und Erkenntnisse zur Theorie des geplanten Verhaltens zur Adoption von Innovationen wurde von Schwarz ein MoVgl. Ajzen (1991). Für einen Überblick – siehe Rogers (2003); Moore / Benbasat (1991); Jeyaraj / Rottman / Lacity (2006). 21 Vgl. Schwarz (2007), S. 70 ff. 19 20
Optionen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung
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dell für die Analyse von Einflussfaktoren auf die Adoption von Wassersparinnovationen erarbeitet und empirisch auch im Hinblick auf Regenwassernutzungsanlagen getestet (Abbildung 1).22 Dieses Modell greift weiterhin auf empirische Untersuchungen zu Umwelteinstellungen zurück.23 – Zur Erklärung der Einstellung wurden wahrgenommene Innovationsmerkmale der Innovationen im Hinblick auf Umweltschutz, weitere Vorteilhaftigkeit, Bedenken sowie Einflüsse, welche das Testen und Aufgreifen erleichtern (Demonstrierbarkeit, Kompatibilität mit Gewohnheiten, Erprobbarkeit) einbezogen. – Zur Erklärung der Verhaltenskontrolle spielten Kompatibilität zum bestehenden System, der finanzielle Aufwand sowie Aspekte der Entscheidungsfreiheit eine Rolle. – Mit der subjektiven Norm wurden soziale Feedbackwirkungen mit aufgegriffen.
Die Innovationsmerkmale beziehen sich zwar nicht ausschließlich aber auch auf Nutzen- und Kostenaspekte, die über den relativen Vorteil bzw. die finanziellen Ressourcen oder die Kompatibilität mit der Infrastruktur einbezogen werden. Dementsprechend lassen sich auch mit dieser Theorie die Anreizwirkung von Tarifen sowie der Einfluss von grundstücksstrukturellen und soziodemografischen Aspekten erklären. Neben der schon erläuterten lebensstilbezogen Verarbeitung von Informationen sowie den mit der subjektiven Norm einbezogenen sozialen Netzwerkeffekten unterscheidet sich dieser Erklärungsansatz jedoch dadurch von der nutzenbasierten Entscheidungstheorie, dass hierbei nicht die objektiven Eigenschaften von Grundstück, Anlagen und Institutionen, sondern deren Wahrnehmung durch den Entscheider von Relevanz sind.24 Hierdurch bietet die Theorie einen Erklärungsansatz dafür, dass der Zusammenhang zwischen strukturellen und tariflichen Größen einerseits und dem Entscheidungsverhalten der Grundstückseigentümer andererseits nur gering ausfällt.
IV. Empirische Erhebung – Vorgehensweise Die internetbasierte Befragung richtete sich an Siedlungsgebiete in Leipzig und bezog Einfamilien-, Zweifamilien- und Reihenhäuser ein, d. h. solche Gebiete, in denen eine Dezentralisierung gegenwärtig am ehesten zu erwarten ist und in denen die Grundstückseigentümer i. d. R. zugleich die Grundstücksnutzer sind. Leipzig repräsentiert die Gruppe der Kommunen, die dezentrale Regenwassertechnologien ansteuern.25 Zum einen war in dieser Stadt nach der Wiedervereinigung im Zuge der Neustrukturierung der öffentlichen Abwasserentsorgung auf die Einführung eines 22 23 24 25
Vgl. Schwarz (2007), S. 129 ff. Vgl. Schwarz (2007), S. 76 ff. Vgl. Wilson / Dowlatabadi (2007); Ajzen (1991); Schwarz (2007). Vgl. Geyler / Bedtke / Gawel (2015).
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Anschluss- und Benutzungszwanges für Regenwasser verzichtet worden. Zum anderen wurde das gesplittete Entgelt ab Januar 2001 eingeführt. Zugleich bestehen zahlreiche tarifliche Reduktionsmöglichkeiten.26 Im Vergleich zu anderen Großstädten weist Leipzig eine mittlere Höhe des Regenwasserentgeltes auf. Bei der empirischen Erhebung wurden vier Fragen zu grundstücksbezogenen dezentralen Regenwasseranlagen näher untersucht (Tabelle 3): Tabelle 3 Zuordnung der technischen Optionen zu den empirischen Fragen In Auswertung einbezogen Fragen
Investition = 1 (ja)
Investition = 0 (nein)
Nicht berücksichtigt
Frage 1: Nutzung dezentraler RWA
ZGK, ZGV, ZBK, ZBV, V, RBV
K, RBK*
VK, sonstige
Frage 2: Nutzung von Zisternen
ZGK, ZGV, ZBK, ZBV
V, RBV, VK
Sonst, K, RBK
Frage 3: Vollständige Abkopplung des Grundstücks vom Kanal
ZGV, ZBV, V, RBV
K, RBK, ZGK, sonstige ZBK, VK,
Frage 4: Brauchwassernutzung vs. Gartenbewässerung
ZBK, ZBV
ZGK, ZGV
K, RBK, sonstige, RBV, V, VK
Anmerkung: Erläuterung der Abkürzungen – siehe Tabelle 1; * Die Kategorie RBK wurde ungeachtet der großen Behältervolumen zu „Investitionen = 0“ eingeordnet. Die Grundstücke mit RBK unterscheiden sich im Hinblick auf Merkmale zur Bebauungsstruktur und Soziodemographie nicht signifikant von denen ohne Anschluss an den Kanal (Kruskal-Wallis-Test, Kolmogorow-Smirnow-Test, P = 0,05). Gleichwohl nehmen RBK eine gewisse Mittelstellung zwischen Nichtnutzung von Regenwasser und Regenwassernutzung durch Zisternen ein. Bei der Auswertung in Abschnitt V wurde die Robustheit der Ergebnisse im Hinblick auf diese Kombination berücksichtigt. Quelle: eigene Erstellung.
1. Welche Faktoren begünstigen die Nutzung einer dezentralen Regenwasseranlage gegenüber der Ableitung in den öffentlichen Kanal? 26 Trinkwasserentgelt von 1,79 € / m³ brutto; RW-Entgelt von 0,89 € / m² abflusswirksamer Fläche bei Berücksichtigung von flächenspezifischen Abflussbeiwerten; Reduktionsmöglichkeiten für Regenwassernutzungsanlagen mit fest installierten Behältern ab einer Mindestgröße von 2 m3; bei vorhandenem Überlauf werden je Kubikmeter Auffangvolumen der Behälter maximal 50 m2 reduzierte, angeschlossene Fläche berücksichtigt (anrechenbare reduzierte Fläche). Bei ZBK werden 80 % von der anrechenbaren reduzierten Fläche abgesetzt, bei ZGK erfolgt eine Absetzung von 20%. Bei ZGV und ZBV wird die gesamte abflusswirksame Fläche abgesetzt, siehe Allgemeine Entsorgungsbedingungen vom 1. 1. 2011, KWL (2011), S. 13 und 16 sowie KWL (2012), S. 3 und 7.
Optionen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung
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2. Welche Faktoren begünstigen die Nutzung von Zisternenlösungen gegenüber der Nutzung von Versickerungslösungen? 3. Welche Faktoren begünstigen die vollständige Abkopplung des Grundstücks vom öffentlichen Kanal? 4. Welche Faktoren begünstigen die Brauchwassernutzung des Regenwassers gegenüber einer ausschließlichen Nutzung für Gartenbewässerung? Zur Betrachtung dieser Fragen wurden die technischen Lösungen zu Gruppen zusammengefasst (vgl. Tabelle 3), welche die formulierten Ziele erfüllen (Investitionsentscheidung = 1) bzw. nicht erfüllen (Investitionsentscheidung = 0). Zugleich wurden einzelne Technologien von der Betrachtung ausgeschlossen, wenn sie nicht relevant waren oder die Antworten zu den Technologien nicht eindeutig einer der Gruppen zugeordnet werden konnte. Die folgende Untersuchung orientiert sich am oben beschriebenen Modell von Schwarz (Abbildung 1). Das spezifische Interesse liegt jedoch darin, objektive Anreizwirkungen der Entgelte und wahrgenommene Innovationsmerkmale bzw. die subjektive Norm in ihrer Wirkung miteinander zu vergleichen. Daher wird folgender Untersuchungsansatz gewählt: Es wird ein binäres Regressionsmodell geschätzt, bei dem die zu erklärende Variable die Nutzung der dezentralen Anlagen entsprechend der Fragen (Innovation = 1 in Tabelle 3) darstellt. Als erklärende Variablen werden zum einen wahrgenommene Innovationsmerkmale und die subjektive Norm herangezogen, zum anderen Indikatoren zur Bebauungsstruktur und Soziodemografie integriert. Tabelle 4 fasst die letztendlich in die Regression als Grundmodell eingegangenen Variablen zusammen. Die im Zuge der Erhebung abgefragten Innovationsmerkmale (Tabelle 10 im Anhang) orientierten sich an den von Schwarz einbezogenen Aspekten.27 Erweiternd wurden Items zum wahrgenommenen Nutzen-Kosten-Verhältnis einbezogen. Während Schwarz als relevante Innovationsmerkmale den Umweltschutz, die Einfachheit der Nutzung, die Kompatibilität mit der Infrastruktur sowie die Kostenersparnis und den finanziellen Aufwand herausarbeitete28, wurden in der folgenden Analyse als Innovationsmerkmale der Beitrag zum Grundwasserschutz (Envi1), die Trinkwassereinsparung (Envi2), das Nutzen-Kosten-Verhältnis (Nkvh) sowie der finanzielle Aufwand (Finr1) integriert (Tabelle 4). Die Unterschiede zur Studie von Schwarz ergeben sich zum einen, weil die Skalenbildung aus den abgefragten Items nur teilweise möglich war (siehe Tabelle 11 im Anhang). Daher wurden beispielsweise zwei Umweltschutzitems einbezogen. Zum anderen wurde entsprechend der Zielstellung den monetären Variablen der Vorzug gegeben und daher die Kompatibilität mit der Infrastruktur, die Einfachheit der Nutzung sowie die Kostenersparnis zugunsten des Nutzen-Kosten-Verhältnisses und des finanziellen Aufwands weggelassen. Die einbezogenen Variablen korrelierten mit den weggelassenen. 27 28
Schwarz (2007), S. 141 ff. Schwarz (2007), S. 330.
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Stefan Geyler und Christopher Krohn Tabelle 4 In die Regression einbezogene Variablen (Grundmodell)
Kategorie
Bebauungsstruktur
Variable
Aussage der Variable
Grundfläche (Grundflä)
Grundfläche des Hauses in m²
Bewässerte Fläche (Bewäss)
Größe der bewässerten Fläche in m²
Gebäudetyp (Geb2_x)
Gebäudetyp (Einfamilienhaus Geb2_1*; Doppelhaushälfte Geb2_2; Reihenhaus Geb2_3)
Bestand_Neubau (Best_neu)
Wurde das Gebäude vor 1990 (0*) oder danach (1) errichtet
Haushaltsgröße Haushaltsgröße, zugleich Indikator für Trinkwasser(Hhgrö) verbrauch BerufsSoziodemografie ausbildung (Bild2_x) Berufliche Tätigkeit (Pens) Entgeltwirkung
Günstige Gelegenheit_seit_ 2000 (Geleg)
Subjektive Norm
Berufliche Tätigkeit: Rentner (1) vs. alle anderen beruflichen oder alternativen Tätigkeiten (0*) Wurde das Haus seit 2000 und somit seit Einführung des gesplitteten Entgelts errichtet oder saniert und bestand somit eine günstige Gelegenheit zum Einbau?
Envi2
Bewertung bzgl. Erhalt des natürlichen Grundwasserhaushalts durch RWA Bewertung bzgl. Trinkwassereinsparung durch RWA
Nkvh
Bewertung bzgl. Nutzen-Kosten-Verhältnis
Finr1
Bewertung bzgl. Höhe des finanziellen Aufwands
SubjN
Subjektive Norm – Grad der Zustimmung zur Aussage „Die Menschen, die mir wichtig sind, denken, ich sollte eine RWA besitzen“
Envi1 Wahrgenommene Innovationsmerkmale
Berufsabschluss (ohne Berufsabschluss Bild2_1; abgeschlossene Berufsausbildung Bild2_2; Fachhochschulabschluss Bild2_3*; Hochschulabschluss Bild2_4)
Anmerkung: *Vergleichskategorien bei kategorialen Variablen. Quelle: eigene Erstellung.
Weiterhin in die Regression einbezogen wurde die subjektive Norm (SubjN – Tabelle 4). Schwarz ermittelte anhand von Strukturgleichungsmodellen einen hoch signifikanten, aber niedrigen Einfluss der subjektiven Norm auf die Adoption als die Verhaltenskontrolle (vgl. Abbildung 1). Die Bedeutung der durch die subjektive Norm beschriebenen sozialen Feedbacks wirkt sich bei den von Schwarz separat betrachteten Lebensstiltypen in unterschiedlichem Maße aus.29 29
Schwarz (2007), S. 216 ff.
Optionen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung
541
Schließlich wurden Merkmale zur Bebauungsstruktur – Grundfläche (Grundflä), bewässerte Fläche (Bewäss), Gebäudetyp (Geb2_x) – aufgegriffen (Tabelle 4). Diese Variablen sind anreizrelevant (vgl. Tabelle 2). Mit ihrer Hilfe kann einerseits die Nutzenwirkung der dezentralen Anlagen dargestellt werden (z. B. Grundfläche, bewässerte Gartenfläche als Indikator für die Einsparung von Trinkwasser). Zugleich lassen sich kostenrelevante Einflüsse darstellen (z. B. Gebäudetyp als Hilfsgröße für das Platzangebot auf dem Grundstück, um Anlagen zu errichten bzw. Versickerung ohne Gefahr einer Kellervernässung zu betreiben30). Ebenfalls anreizrelevant ist die Haushaltsgröße als sozioökonomisches Merkmal. Als weitere sozioökonomische Kennzeichen wurden Berufsausbildung (Bild2_x) und berufliche Tätigkeit (Pens) einbezogen. Andere sozioökonomische Kriterien wurden aufgrund von Korrelationen mit den einbezogenen Variablen zwar abgefragt, aber nicht in das Grundmodell integriert (vgl. Tabelle 9 im Anhang). Das Auftreten von günstigen Gelegenheiten zum Einbau von Anlagen wurde dahingehend getestet, inwieweit das Gebäude nach 1990 neu gebaut worden war – Neubau des Gebäudes nach 1990 (Best_neu). Nicht direkt testen ließ sich die Entgelthöhe als Einflussfaktor, da die Befragung innerhalb eines Tarifgebietes stattfand. Allerdings wurden zum einen entgeltwirksame Faktoren einbezogen (Grundfläche, Haushaltsgröße). Zum anderen wurde im Längsverlauf die Wirkung, die von der Einführung des gesplitteten Regenwasserentgelts ausging hinterfragt. Im Jahr 2001 wurde im Aufgabengebiet der KWL das gesplittete Entgelt eingeführt. Wenn gesplittete Entgelte einen Anreiz ausüben, dezentrale RWA zu nutzen, dann müssten nach 2000 günstige Gelegenheiten häufiger zur Nutzung derartiger Systeme (Neubzw. Umbau von Gebäuden oder Sanierung) aufgegriffen werden. Die Variable günstige Gelegenheit nach 2000 (Geleg) kontrolliert diesen Einfluss. Das Grundmodell (Tabelle 4) wurde im Zuge der Robustheitsprüfung der Ergebnisse variiert. Variablen wurden entfernt bzw. weitere hinzugenommen (vgl. Tabellen 12 – 14 im Anhang). Für die binäre Regression kam ein Probit-Modell zum Einsatz. 31 Dieses unterscheidet sich von einer logistischen Regression maßgeblich durch die zugrunde gelegte Verteilungsfunktion.32 Im Ergebnis der Regression werden für die Variablen als Koeffizienten die z-Werte einer standardisierten Normalverteilungsfunktion ðzÞ ausgegeben: ð z ¼ 0 þ 1 Hhgr₠ o þ 2 grundfl₠ a þ . . . þ 9 finr1 þ 10 SubjN þ "Þ 30 Gebäudetypen können relevante Informationen zu den Grundstücksgegebenheiten liefern: Es wird davon ausgegangen, dass EFH größere Gärten und somit mehr Platz zum Versickern bzw. eine größere zu bewässernde Fläche haben als Zweifamilienhäuser und Reihenhäuser. Mehrfamilienhäuser wurden nicht berücksichtigt. 31 Vgl. Fahrmeir / Kneib / Lang (2009), S. 189 ff. 32 Während dem Logit-Modell eine logistische Verteilungsfunktion zugrunde liegt, baut das Probit-Modell auf einer Normalverteilung auf. Die Unterschiede sind gering, siehe Fahrmeir / Kneib / Lang (2009), S. 194 f.
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Stefan Geyler und Christopher Krohn
Tabelle 5 fasst die Hypothesen bzgl. der relevanten baustrukturellen und soziodemografischen Einflussfaktoren für die vier Untersuchungsfragen zusammen. Diese leiten sich aus den in Abschnitt III. beschriebenen theoretischen Überlegungen ab. Während eine Dezentralisierung von vielen Faktoren beeinflusst werden kann (Frage 1), lassen sich bei der Frage nach einer Abkopplung aus theoretischer Sicht wenige der Indikatoren eindeutig zuordnen. Die anderen Faktoren steuern sowohl die Anlagen an, die zu einer Abkopplung führen, als auch Anlagen, die an den Kanal angebunden bleiben. Die Wirkung dieser Faktoren ist letztendlich von der genauen Tarifstruktur abhängig. In Bezug auf die wahrgenommenen Innovationsmerkmale wird davon ausgegangen, dass die gewählten technischen Optionen gegenüber den abgelehnten als besser eingeschätzt werden.
Tabelle 5 Theoretische Einflussfaktoren auf die Entscheidung in Bezug auf die Untersuchungsfragen relevante Einflussfaktoren
Anlagentyp
Investition = 1
Investition = 0
unklarer Einfluss / nicht relevant* Gebäudetyp ZFH, RH
Frage 1 Nutzung dezentraler RWA vs. Entsorgung über öffentlichen Kanal
Haushaltsgröße Grundfläche Bewässerte Fläche Gebäudetyp EFH Neubau nach 1990 Günstige Gelegenheit nach 2000
Frage 2 Nutzung von Zisternen vs. Versickerungslösung
Haushaltsgröße, Bewässerte Fläche, Neubau nach 1990
(Neubau nach 1990)**
Gebäudetyp, Grundfläche, Günstige Gelegenheit nach 2000
Frage 3 Vollständige Abkopplung des Grundstücks vom Kanal
Bewässerte Fläche Gebäudetyp EFH Günstige Gelegenheit nach 2000
(Bewässerte Fläche) (Günstige Gelegenheit nach 2000) Gebäudetyp ZFH, RH
Haushaltsgröße, Grundfläche, Neubau nach 1990
Frage 4 Brauchwassernutzung vs. Gartenwassernutzung
Haushaltsgröße (Bewässerte Fläche) Gebäudetyp ZFH, RH
Bewässerte Fläche Gebäudetyp EFH
Günstige Gelegenheit nach 2000 Grundfläche Neubau nach 1990
Anmerkung: * Die hier eingeordneten Einflussfaktoren sprechen sowohl Anlagen an, die der Gruppe Investition = 1 (ja) als Anlagen, die zur Gruppe Investition = 0 (nein) gehören. ** Eingeklammert wurden Faktoren dann, wenn sie zwar die Anlagen der betreffenden Gruppe ansprechen, aber viel stärker die Anlagen der alternativen Gruppe. Quelle: eigene Erstellung.
Optionen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung
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Die Stichprobe wurde nicht vollständig zufallsbasiert ausgewählt, um sicherzustellen, dass eine gewisse Mindestteilnehmerzahl mit existenter RWA einbezogen wird. Anhand von straßenweise anonymisierten Informationen der Kommunalen Wasserwerke Leipzig wurden dreizehn Straßen in Siedlungsgebieten der Stadt ermittelt, in denen eine höhere Anzahl von Grundstücken mit Zisternen vorhanden ist. Diese sowie die jeweils angrenzenden Straßen wurden befragt. Den Einwohnern wurde hierzu ein Einladungsschreiben in die Briefkästen eingeworfen, das einen Internet-Link zum Online-Fragebogen enthielt. Wenige Wochen vor Ablauf der Feldzeit wurden in drei Vierteln der Gebiete Erinnerungsschreiben verteilt. Insgesamt wurden ca. 2.500 Haushalte angesprochen. Aus dem Rücklauf von 233 ausgefüllten Fragebögen konnte eine auswertbare Stichprobe von N = 224 gewonnen werden. Da keine zufallsbasierte Stichprobenziehung erfolgte, lässt sich die gefundene Diffusionsdynamik sowie die Verteilung der RWA nicht verallgemeinern. Jedoch ist eine Analyse der Einflussfaktoren auf die Entscheidung möglich. Weiterhin war zu prüfen, ob im geringen Rücklauf von knapp 10% möglicherweise systematische Verzerrungen auftreten, weil bestimmte Eigentümer-Typen eher antworten als andere. Hierzu wurden die Luftbilder der Befragungsgebiete dahingehend ausgewertet, ob der hohe Anteil an Zweifamilienhäusern in der Stichprobe (48%) plausibel ist. Dies konnte bestätigt werden. Mit der Probit-Regression können zwei Kernaussagen gewonnen werden. Erstens lassen sich die Faktoren ermitteln, die einen signifikanten Einfluss auf die Investitionsentscheidung haben. Zweitens werden für die einzelnen Faktoren z-Werte ermittelt. Diese können positive oder negative Werte einnehmen. Deren positives Vorzeichen bedeutet dann, dass mit Zunahme des Variablenwertes um eine Einheit zugleich die Wahrscheinlichkeit der Nutzung der als 1 bzw. „ja“ codierten Anlagen zunimmt und vice versa. Zugleich verdeutlichen die Koeffizienten die Effektstärke. Im Gegensatz zur linearen Regression lässt sich jedoch aus dem Koeffizienten einer Variable nicht unabhängig von den Koeffizienten der anderen Variablen sowie der Konstante auf die Innovationswahrscheinlichkeit schließen. Dies ergibt sich dadurch, dass der Anstieg der Dichtefunktion der Normalverteilung nicht konstant verläuft. Daher werden im Folgenden nur die Signifikanz der Faktoren sowie die Vorzeichen der z-Werte interpretiert. Zur Beurteilung der Signifikanz des Regressionsmodells wird der LR-Chi²-Test genutzt, bei dem die Nullhypothese getestet wird, dass alle berücksichtigten Einflussfaktoren gleichzeitig Null sind. Da bei einer Probit-Regression im Gegensatz zu linearen Modellen das gängige Erklärungsgütemaß R² nicht bestimmt werden kann, wird hierfür das Pseudo-R² nach McFadden herangezogen. Bei der Auswertung wurde die Stichprobe noch bzgl. folgender Fälle bereinigt: Antworten, die bei Gebäudetyp „sonstiges“ angegeben hatten, wurden ausgeschlossen, da diese Kategorie nicht interpretiert werden konnte. Sie bilden somit Werte,
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Stefan Geyler und Christopher Krohn
die vom Statistik-Programm als „nicht verfügbar“ betrachtet werden. Weiterhin wurden nur Haushalte berücksichtigt, die sich freiwillig für eine Anlage entschlossen hatten. Haushalte, die eine Anlage aufgrund behördlichen Auflagen oder Auflagen des Abwasserentsorgers errichtet hatten (17 Grundstücke bzw. 8 % der Fälle) sowie Haushalte, deren Anlage schon beim Bezug des Grundstücks vorhanden waren (13 Grundstücke bzw. 5% der Fälle), wurden ausgeschlossen. Dies ist im Hinblick auf die statistische Auswertung notwendig, da der Effekt eines Faktors sonst verzerrt geschätzt werden würde. Um zu überprüfen, inwieweit die oben beschriebenen Ergebnisse unabhängig von den einbezogenen Variablen sind,33 wurde eine Robustheitsanalyse durchgeführt. Hierbei wurde die Anzahl der erklärenden Variablen variiert. Zugleich wurden neben der Stichprobe mit den freiwilligen Nutzern von dezentralen Anlagen die Regressionen auch mit der Gesamtstichprobe, d. h. freiwilligen und unfreiwilligen Nutzern von dezentralen Anlagen durchgeführt. Auszüge der Ergebnisse sind in den Tabellen 12 – 14 im Anhang aufgeführt.34
V. Ergebnisse 1. Überblick über die Nutzung von dezentralen RWA Im Untersuchungsgebiet wurden alle in die Befragung aufgenommenen Typen der dezentralen RWA gefunden (vgl. Tabelle 1). Zisternen zur Gartenbewässerung wurden am häufigsten genutzt. 42 % der dezentralen RWA waren Zisternen zur Gartenbewässerung mit Versickerung des Überlaufs, gefolgt von Regenwasserbehältern mit Versickerung (20 %) und Zisternen zur Gartenbewässerung mit Anschluss an den öffentlichen Kanal (13%). Der Anteil der Brauchwasserzisternen umfasste 14%, wobei die Hälfte an den öffentlichen Kanal angeschlossen ist und bei der anderen Hälfte der Überlauf versickert. Acht Prozent der Haushalte lassen das anfallende Regenwasser vollständig versickern. Die dezentralen RWA wurden nicht nur im Zuge des Neubaus von Gebäuden errichtet, sondern auch in größerem Umfang in älteren Gebäuden eingebaut. Von den 83 Grundstückseigentümern, die Gebäude nach 1990 errichtet haben, besaßen mehr als 70% eine dezentrale Regenwasseranlage. Aber auch ungefähr 50 % der 141 Gebäude, die vor 1990 errichtet worden waren, sind mit einer dezentralen Anlage ausgestattet. Die meisten der RWA wurden nach der Wiedervereinigung errichtet, aber es gab einige Fälle, bei denen die Anlage schon älter ist. Tabelle 6 fasst die für die Beantwortung der vier Fragen einbezogenen Fälle zusammen. Für die Auswertung wurden in einem ersten Schritt nur die Merkmale zur 33 34
Abgesehen von den Problemen, die sich durch die Stichprobe und deren Größe ergeben. Die vollständigen Ergebnisse sind auf Anfrage verfügbar.
Optionen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung
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Bebauungsstruktur und Soziodemografie herangezogen. In einem zweiten Analyseschritt wurden die Innovationsmerkmale und die subjektive Norm einbezogen. Im Vergleich dieser beiden Analyseschritte kann dann die Bedeutung der Einflussfaktoren untersucht werden. Tabelle 6 Häufigkeit der Nutzung technischer Optionen in Bezug auf die vier Fragen Frage
Investition = 1
Investition = 0
Gesamt
Frage 1 Nutzung dezentraler RWA
143
64
207
Frage 2 Nutzung von Zisternen vs. Versickerungslösungen
102
46
148
Frage 3 Vollständige Abkopplung des Grundstücks vom Kanal
114
98
212
Frage 4 Brauchwassernutzung (1) vs. Gartenbewässerung (0)
20
82
102
Quelle: eigene Erstellung.
Eine Ausnahme bildet hier die Frage 3 nach Einflussfaktoren auf die Abkopplung vom Kanal. Aus methodischen Gründen, die im Rahmen der Ergebniserläuterung betrachtet werden, konnten keine Innovationsmerkmale abgefragt werden. Die Ergebnisse sind in Tabelle 7 zusammengefasst. Bei der Interpretation der Effektstärke müssen die unterschiedlichen Einheiten der Variablen berücksichtigt werden. Die Zunahme um eine Einheit bedeutet bei der Haushaltsgröße eine viel größere prozentuale Veränderung als bei der Grundfläche oder gar der bewässerten Fläche, die jeweils auf Quadratmeter bezogen sind.
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Stefan Geyler und Christopher Krohn Tabelle 7 Bewertung der Einflussfaktoren auf die Nutzungswahrscheinlichkeit der RWA-Gruppen (z-Werte des Probit-Modells) Frage 1
Frage 2
Frage 3
Frage 4
Dezentrale RWA = 1 (n=157)
Zisternen = 1 (n=99)
Abkopplung = 1 (n=160)
Brauchwasser = 1 (n=72)
Variable
BST, SOZ
+INNO, +SubjN
BST, SOZ
+INNO, +SubjN
BST, SOZ
BST, SOZ
+INNO, +SubjN
0,17
0,30
–0,10
–0,14
0,20*
0,65**
0,98**
Grundflä
0,005*
0,005
-0,004
-0,000
0,005*
–0,003
–0,012
Bewässa
0,18***
0,06
0,06
0,10
0,15***
0,07
0,11
Hhgrö
Pens
0,39
0,05
–0,37
-0,26
0,45*
0,84
1,38
Bild2_2
0,49
0,40
–0,32
-0,50
0,42
0,28
–0,15
Bild2_4
0,23
0,20
0,47
0,38
–0,36
0,33
0,26
Geb2_2
–0,27
–0,61
–0,09
0,12
0,11
–0,07
0,28
Geb2_3
–0,18
–0,36
-
-
–0,26
1,00
1,53
Best_neu
0,37
0,72
0,37
0,61
0,30
–0,15
0,00
Geleg
0,26
0,58
0,66*
0,72*
0,40*
0,21
0,21
Envi1
-
0,39**
-
-0,25
-
-
–0,08
Envi2
-
0,17
-
0,09
-
-
–0,29
nkvh
-
0,30*
-
0,17
-
-
–0,36
Finr1
-
1,09***
-
-0,38*
-
-
–0,60**
SubjN LR Chi² Pseudo R²
-
0,46***
-
0,34***
-
-
0,92*
27.30***
127.24***
19.99**
42.64***
29.81***
9.58
24.52*
0.1327
0.6185
0.1624
0.3465
0.1344
0.1556
0.3984
Anmerkung: * P < 0,1; ** P< 0,05; *** P