Die Gnosis Bd. 1 : Zeugnisse der Kirchenväter 3760811051

Unter Mitw. v. Ernst Haenchen u. Martin Krause eingel., übers. u. erl. v. Werner Foerster. Hrsg.v. Carl Andresen. Über

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German Pages [491] Year 1979

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Die Gnosis Bd. 1 : Zeugnisse der Kirchenväter
 3760811051

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Die Gnosis

Zeugnisse der Kirchenväter Unter Mitwirkung von Emst Haenchen und Martin Krause eingeleitet, übersetzt und erläutert von Werner Foerster

ARTEMIS & WINKLER

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Die Gnosis. München ; Zürich : Artemis und Winkler Zeugnisse der Kirchenväter unter Mitw. von Emst Haenchen und Martin Krause eingeleitet, übers, und erl. von Werner Foerster. - 1995 ISBN 3-7608-1105-1 NE: Foerster, Werner [Übers.]

Überarbeiteter Nachdruck des 1979 in 2., revidierter Auflage in der «Bibliothek der Alten Welt» erschienenen Bandes «Zeugnisse der Kirchenväter» (= Band I von «Die Gnosis»)

Alle Rechte, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks sowie der fotomechanischen und elektronischen Wiedergabe, Vorbehalten. Artemis & Winkler Verlag © 1995 Artemis Verlags-AG Zürich Printed in Germany ISBN 3-7608-1105-1

EINLEITUNG

Die Gnosis

i Gnosis heißt «Erkenntnis». Aber Erkenntnis wessen? Bevor wir nach dem fragen, was die Gnosis erkennt, muß etwas über das l/^ie gesagt werden. Schon das grenzt die gnostische Er­ kenntnis von der Philosophie ab. Erwirbt diese ihre Erkennt­ nisse auf rational-logische Weise, werden ihre Erkenntnisse auf dieselbe Weise anderen Menschen mitgeteilt und können von diesen abgelehnt oder angenommen werden - wieder­ um mit einer Begründung der gleichen Art -, so ist das bei der Gnosis anders. Die gnostische Erkenntnis ist im Grund­ ansatz nur eine und wird in einem Akt erworben. So sagt der Gnostiker Simon1: «Es ist wahr, daß in diesen Wissenschaf­ ten, die allgemein üblich sind, jeder, der nicht gelernt hat, auch nicht Kenntnis hat, in Sachen der Gnosis aber hat einer gelernt, sogleich wie er gehört hat», und in einer heidnisch­ gnostischen Schrift heißt es, als der Offenbarer sich in seiner wahren Gestalt zeigte: «Und sogleich wurde mir alles schlag­ artig klar2.» Das zeigt sich in den christlich-gnostischen Schriften auch darin, daß es öfters heißt, ein Satz aus dem Alten oder Neuen Testament, aus Homer oder irgendeinem anderen Poeten genüge, recht verstanden, zur Gnosis’. Wir finden auch in den gnostischen Schriften keine mühsame Er­ arbeitung der gnostischen Erkenntnisse, kein langsames Her­ anführen an die Wahrheit. Im allgemeinen nehmen die Gno­ stiker auch auf die Philosophie keinen Bezug; wenn sie es doch tun, geschieht es mit deutlicher Ablehnung zum mindesten der Priorität der Philosophie4.

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Das hat darin seinen Grund, daß die Gnosis religiöse Er­ kenntnis vermitteln will, darum verzichtet sie auf eine ratio­ nale Begründung. Die Gnosis ist keine Philosophie. Wohl könnte man die Gnosis neben die Mystik stellen. Dort ist das Ziel eine religiöse oder religiös gefärbte Schau, die man neben die gnostische Erkenntnis stellen kann. Aber der Unterschied ist nicht zu verkennen. Der Mystiker glaubt, in der Schau einen Vorgeschmack des Zustandes nach dem Tode zu haben. Die Gnosis dagegen ist daran nicht besonders interessiert, den Zustand nach dem Tode in etwa jetzt zu erleben, sondern es geht darum, sich selbst, die Welt und Gott recht zu erfassen. Es handelt sich bei der Gnosis nicht um ein Erlebnis, bei dem das Erkennen zumeist ausgeschaltet ist, son­ dern eben um eine Erkenntnis. So wird auch gerne von einem «Lernen»5 gesprochen. Die Gnosis hat also etwas Eigenes in der Weise, wie sie ihr Ziel ergreift. Das Zentrale der Gnosis, der «Ruf», erreicht den Menschen weder in seinem rationalen Denken noch in einem das Denken ausschältenden Erlebnis. Der Mensch hat eine be­ sondere Weise des Aufnehmens in seinem «Ich». Er fühlt sich «an gesprochen» und antwortet darauf. Er fühlt, daß ihm das entgegentritt, was in ihm, allerdings verschüttet, liegt. Es ist nichts Neues, sondern vielmehr das Alte, an das nur erinnert zu werden braucht. Es ist wie ein Ton, der in der Ferne an­ klingt und eine Saite im Inneren zum Mitschwingen bringt. Hier liegt der Grund, warum in einem Akt die grundsätzliche Annahme der Gnosis erfolgen kann und soll. Ist der Gnosis damit etwas Eigenartiges in der Weise des Aneignens zugeschrieben, so muß sich auch ein Eignes in ihren Gedanken selbst zeigen. Sie ist ja vielfach verstanden worden als ein Gemengsel aus Ost und West, aus Orient und Okzident, und man hat den Nachdruck bald mehr auf den einen, bald mehr auf den anderen Bestandteil gelegt. Aber alle

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diese Versuche haben nicht zu einem befriedigenden Ergebnis geführt. Wir wollen einen anderen Weg gehen. Entsprechend dem, daß der Kern der Gnosis in einem Akt erfaßt werden kann, kann auch in einem Bild das Ganze der Gnosis inhaltlich gefaßt werden. Das ist das Bild des «Goldes im Schmutz». Was ist damit gemeint? Darin ist zunächst der Unterschied des Goldes zu dem, was es umgibt, ausgedrückt. Damit ist gemeint, daß das, was auf den «Ruf» antwortet, das «Ich» des Menschen, das «Selbst» oder wie man es auch nennen mag, zu einem anderen Bereich gehört als die das Ich um­ gebende Welt. Der Schmutz ist der der Welt: Das ist zunächst der Körper, der mit seinen sinnlichen Lüsten den Menschen niederzieht und das «Ich» in seinen Bann schlägt. «In dir ein edler Sklave ist, dem du die Freiheit schuldig bist.» So hören wir in der Gnosis vielfach die Mahnung, sich von den «Leidenschaften» frei zu machen. Im Mandäismus - einer gnostischen Sekte, die bis in unsere Tage besteht - hören wir vielfach von dem «stinkenden Körper»6 und ähnlichen Wendungen, und im VH.Traktat des Corpus Hermeticum, einer Sammlung, in der auch gnostische Stücke stehn, heißt es: «Zuerst mußt du das Kleid, das du trägst, zerreißen, das Gewebe der Unwissenheit, den Grund der Bosheit, die Fessel des Verderbens, die finstere Mauer, den lebendigen Tod, den sichtbar Toten, das mit dir herumgetragene Grab, den Räuber in dir»; das alles gilt vom Körper. Das erinnert an Platon, der einmal den Eros einen Tyrannen, der den Menschen beißt, nennt. Aber so, wie hier, würde Platon nicht über den menschlichen Leib sprechen, und die Konsequenz der Ehelosigkeit, die die Gnosis gelegentlich zieht, wäre für den athenischen Philosophen unmöglich. Dazu kommt noch, daß die Gnosis aus diesem Grundansatz der Leibfeindlichkeit nicht nur die Askese abgeleitet hat, sondern auch das Gegenteil, den Libertinismus, in dem der Mensch

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seine Verachtung dem Körper gegenüber zeigt und seine Lüste befriedigt, da sie ihn im Grunde nichts angehen. Ja es kann sogar so weit kommen, daß eine gnostische Sekte den Satz aufstellt, der Mensch müsse alle bösen Taten in seinem Leben (oder in einem kommenden Leben der Wiederverkör­ perung) getan haben, anders könne er nicht «gerettet» wer­ den7. Nimmt man dazu, daß in der Gnosis auch eine respek­ table Ethik vertreten wird, daß aber alle diese Gruppen, Aske­ ten, Libertinisten und Vertreter einer hochstehenden Ethik, «Gnostiker» sind, so merkt man, daß man mit dieser Leib­ feindlichkeit noch nicht das Zentrum der Gnosis erfaßt hat. Die Leibfeindlichkeit ist nur Teil einer weiterreichenden Ä^e/rfeindlichkeit. Für die Schönheit dieser Erde hat der Gno­ stiker kein Verständnis, für ihn «liegt die ganze Welt im argen», und das deshalb, weil sie von der Macht nicht nur der Sinne, sondern, diese umgreifend, von der Macht des Schicksals beherrscht wird. Das Schicksal stellte sich damals vor allem in der Sternenwelt dar, besonders in den sieben Planeten, die die Alten zählten (Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn), aber auch in den zwölf Tierkreis­ zeichen; die «Sieben» und die «Zwölf» sind darum in beson­ derer Weise als die Macht des Bösen bezeichnet, die den Men­ schen versklavt. Nach manchen Gnostikern herrschen auch «Dämonen» in und über diese Welt, und vielfach erscheint die Gestalt des Teufels. Diese Unheilsmächte sind aber nicht einzelne Mächte in einer an sich guten Welt, sondern sie sind Ausdruck dafür, daß die ganze Welt, der ganze Kosmos in antikem Sinne, das ist, was der Gnostiker mit «Schmutz» bezeichnet, wenn er vom Gold im Schmutz redet. Es gibt zwar die Ansicht, daß der Kosmos auch als Hinweis auf die göttliche Welt benutzt werden kann, aber auch dann geht er mit allem, was in ihm ist, dem Untergang entgegen.

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Es gibt Züge, die die Bösartigkeit der Welt besonders aus­ drücken. Dazu gehört einmal die Vergänglichkeit von allem, was in ihr ist. «Nicht mehr ins Werden zu kommen »ist eines der Ziele der Gnostiker. Die Wiederverkörperung ist dann das, was besonders schreckt. Aber auch der Tod, das SterbenMüssen ohne die Aussicht auf ein besseres Leben, charakteri­ siert die Welt; die Zeit, die dahinrauscht, und die Veränder­ lichkeit alles, was auf Erden ist, schreckt; der Gnostiker sucht nach dem, was unveränderlich ist. Auch die Trennung des Menschen in Mann und Frau gehört zu dieser Welt, über die der Gnostiker hinausgelangen will. Wenn vom Gold im Schmutz die Rede ist, so ist das «Ich», das « Selbst» des Menschen, etwas anderes als diese ganze Welt. Das andere ist Gott. Gott oder, wie die Gnosis es auch aus­ drückt, der Urgrund liegt jenseits dessen, was wir mit unse­ ren Augen und überhaupt mit unseren Sinneswahrnehmungen erfassen können. Auch die Philosophie, das rationale Den­ ken, die «Weisheit» kann nicht dahin gelangen. Es ist die Sphäre des «Lichtes», des mit den Sinnen und dem Verstand am wenigsten leicht zu Begreifenden8. Ja, im Grunde kann man nur von einem «Urgrund», einer «Tiefe» sprechen oder Gott, wie es oft geschieht, nur mit negativen Wendungen umschreiben. Er ist «der unbekannte Vater» oder «der un­ bekannte Gott», und manchmal wird versucht, diesen unbe­ kannten Gott mit einer Fülle negativer Wendungen, wie «un­ nennbar», «unsagbar» und ähnlichem, oder auch mit «nicht seiend» zu umschreiben, nicht «seiend» nämlich in dem ge­ wöhnlichen Sinne von Sein. Gelegentlich wird auch das Prä­ dikat «unsagbar» verneint. Gott ist nicht einmal «unsagbar», denn wenn er «unsagbar» wäre, wäre damit schon eine Defi­ nition gegeben, über die Gott in Wirklichkeit erhaben ist. Eine andere Art, den Unsagbaren auszusagen, ist die Verwen­ dung der Vorsilbe «vor»: Gott wird etwa «Vorvater» ge­

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nannt oder «Voranfang»: Während es nahe liegt, vom Vater und vom Anfang zu sprechen, was gelegentlich geschieht, ist durch Urvater und Foranfang etwas davor Liegendes ange­ deutet, über das eben nur gesagt werden kann, daß es vor allem Sicht- und Denkbaren liegt. So treten Gott und Welt auseinander und gegeneinander. Daß man auch «gegeneinander» sagen muß, hängt damit zu­ sammen, daß die Welt immer entweder aus dem Gegensatz der zwei Prinzipien «Gott» und «Welt» entstanden ist, oder aber, daß die Welt einem «Fall», einer unrechtmäßigen Hand­ lung eines von Gott geschaffenen Wesens, ihr Dasein ver­ dankt. So kann man, auch wenn im Anfang nur eine Größe, Gott, existiert, doch von einem Dualismus besonderer Schärfe reden. So spricht Basilides, der keinen eigentlichen «Fall» kennt, doch von einem «überkosmischen» Bereich. Nun besagt das Bild von dem «Gold», daß das damit an­ gedeutete «Selbst» im Menschen zur Sphäre Gottes gehört. Das Bild ist darum gewählt, weil es das Gold Gold sein läßt, auch im Schmutz der Welt: Das Göttliche im Menschen wird nicht verdorben, auch wenn es sich dort aufhält. Das Gött­ liche im Menschen kann in seiner Qualität nicht verändert werden, es ist «gut». Wohl kann es nach einigen Gnostikern zugrunde gehen, wenn es nicht «ausgebildet» wird, aber wenn es ausgebildet wird, dann kommt es rein zum Vorschein, «an Wesen, an Kraft, an Größe, an Vollendung eins und das­ selbe wie die ungewordene und unbegrenzte Kraft»’. Meist aber wird davon gesprochen, daß, wer das Göttliche besitzt, mit ihm auch mit Notwendigkeit in die jenseitige Sphäre des Göttlichen eingehen wird. Vielleicht muß das «Gold» noch gereinigt, das Göttliche noch erzogen werden, aber das Ziel ist gewiß: die Sphäre des Göttlichen, des «ganz Anderen». Der Mensch besteht aus dem Körper und dem göttlichen «Selbst», der «Seele» oder dem «Geist». Wenn, wie es auch

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geschieht, die «Seele» als mittlere Größe zwischen Körper und Geist angenommen wird, hat sie an dem Schicksal des Göttlichen keinen Anteil und muß sich selbst durch ihre guten Taten ein deutlich abgegrenztes niederes Heil erwer­ ben. Jedenfalls aber kann das «Selbst», dieser Kern im Men­ schen, die Seele oder der Geist, nicht durch irgendwelches Mühen des Menschen erst geschaffen werden; er ist da, oder er ist überhaupt nicht vorhanden. Das Entscheidende muß der Mensch nicht erst tun, sondern er hat es, besser: Er ist es. Das ist der Sinn der Wendung, daß der gnostische Mensch beziehungsweise sein Selbst «von Natur gerettet» ist, und dem entspricht, daß die Menschen, die der Gnosis nicht teil­ haftig sind, «von Natur verloren sind» oder gehen. «Wenn einer (ein Gnostiker) von Natur Gott kennt ..., dann nennt er den Glauben ein Wesen, keine Freiheit, eine Natur und Substanz ...», sagt einer der Kirchenväter kritisch10. Ist diese Welt das Böse und die Welt des Göttlichen das Gute, so ist die Frage, wie denn das gute «Selbst» des Men­ schen in diese böse Welt gekommen ist. Dieser Frage ist ein Hauptteil der gnostischen Bemühungen gewidmet. Die Ant­ wort fällt verschieden aus, je nachdem, ob ein uranfänglicher Dualismus angenommen wird oder vom Fall eines göttlichen Wesens gesprochen wird. Jedenfalls ist die Welt nun in einem Zustand der Unordnung, selbst da, wo man diese Unordnung als zur Erziehung des göttlichen Teils notwendig ansieht. Das Göttliche muß wieder in die göttliche Welt zurückge­ langen. Es wäre nun falsch, wollte man annehmen, daß das «Selbst» des Menschen von sich aus in die göttliche Welt gelangen kann. Das Gold liegt im Schmutz und kann sich daraus nicht selbst befreien. Es ist «betäubt», es hat seine Heimat «ver­ gessen», das Böse hat es in «Trunkenheit» versetzt, «gefan­ gengenommen» oder mit welch anderen Bildern auch dieser

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Zustand des «Ichs» beschrieben wird. «Es sucht dem bitteren Chaos zu entfliehen und weiß nicht, wie es durchkommen soll11.» Die Hilfe kann nicht aus dieser Welt kommen, ist sie doch das Anti-Göttliche, sie kann aber auch nicht aus dem «Ich» des Menschen kommen, sondern nur aus der «ganz anderen Welt», aus dem «Pieroma», aus der «Fülle», wie sie auch wohl genannt wird im Gegensatz zum «Kenoma», der «Leere» dieser Welt. Sie kommt in einem «Ruf», der die Selbstvergessenheit des Menschen durchbricht, der Betäu­ bung ein Ende macht und die Gefangenschaft beendet. «Steh auf, werde nüchtern vom Schlaf ... Gedenke, daß du ein Königssohn bist», so lauten die entscheidenden Worte des « Briefes », mit dem der Ruf dem schlafenden « Königssohn » in den Thomasakten (§ iio) zur Kenntnis kömmt. Entsprechend ist auch die Reaktion. «Ich aber fuhr bei dessen Stimme ... vom Schlafe auf... und las. Ganz, wie in meinem Herzen ge­ schrieben stand, waren die Worte meines Briefes geschrieben. Ich dachte daran, daß ich ein Königssohn sei ...» Es ist also «nur» eine Erinnerung nötig, aber entscheidend ist, daß das «Ich» sich von sich aus nicht erinnern kann. Es handelt sich um eine Erinnerung, die, wie schon gesagt, in einem Akt voll­ zogen werden kann, eine Erinnerung, die in ihm aufleuchtet, sobald es den «Ruf» vernimmt. Es ist also eine «erlösende» Funktion eigener Art, die der Ruf hat. Das Gold bleibt Gold auch in dem Schmutz, es muß nur «freigelegt» werden, dann «verlangt der Adel seine Natur», wie es an der eben genann­ ten Stelle der Thomasakten weiter heißt. Der erlöste Mensch kann in seine Heimat zurückkehren. Mit dem «Ruf» ist zwar das entscheidende Geschehen ge­ nannt, aber die endgültige Erlösung bringt er noch nicht. Wenn auch der Gnostiker mit dem Ruf sein Selbst gefunden hat, wenn er auch damit über die ganze Welt erhoben ist und es nun heißen kann: «Ihr seid von Anfang an unsterblich und

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Kinder des ewigen Lebens und wolltet den Tod auf euch ver­ teilen, damit ihr ihn verzehrt und vernichtet...»“, sosehr er auch weiß, daß er der Lichtwelt angehört - die endgültige Erlösung bringt der Ruf noch nicht, denn noch bleibt der Gnostiker an seinen Körper gefesselt. Das «Selbst», der «Same», wie es hier heißt, wirkte wie ein Sauerteig, indem es «was geteilt zu sein schien, nämlich Seele und Leib, ver­ einigte»1’; erst die tatsächliche Lösung von dem Körper im Tod macht das «Selbst» frei zu jenem Raum, der doch kein Raum ist, sondern die Sphäre des Lichtes. Genau genommen tut es auch der Tod nicht, sondern erst das Ende der Welt, bei dem die Materie vernichtet wird und der Gnostiker in die Lichtwelt einzieht. Eine Vorwegnahme dieses Zustandes in einem mystischen Erlebnis kommt zwar gelegentlich vor’4, ist aber Ausnahme. Die Gnosis führt den Menschen zur Selbst­ erkenntnis, sie lehrt ihn aber nicht, in einem mystischen Er­ lebnis die Freiheit vom Körper zu erleben; sie ist Erkenntnis, nicht Erlebnis. Das führt zu einem Letzten. Der Gnostiker ist nicht als ein Einsamer gerufen. Es mag sein, daß nur «einer von tausend und zwei von zehntausend»15 den Ruf hören, aber jedenfalls schließen sich diese zu einer Gemeinschaft zusammen. Die Gnostiker existieren nicht als einzelne, sondern als Gemein­ schaft, die sich jeweils um einen zusammenschließt, der den «Ruf» empfangen hat und ihn weitergibt, wie in den meisten christlichen «Sekten», die nach dem Stifter heißen, oder im Manichäismus. Dieser hat die entscheidende Offenbarung, wie es etwa von Valentin berichtet ist, daß er ein kleines Kind ge­ sehen hat, das auf die Frage, wer es sei, antwortete, es sei der Logos14; diese grundlegende Offenbarung wird dann zu einem Mythus ausgestaltet, wie es von Valentin an der genannten Stelle berichtet wird, und um diesen Mythus, dieses «Sy­ stem», schließt sich dann ein Kreis Gleichgesinnter zusam-

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men. Da die Mythen verschieden sind, sind es auch verschie­ dene gnostische «Schulen», die aber untereinander in Span­ nung stehen. Denn jede Gruppe behauptet, allein den erlösen­ den Ruf oder den Erlöser genau zu kennen. «Die von oben..., wovon wir sind ..., verstehen nicht teilweise, sondern ganz Jesus den Heiland und sind allein Vollkommene von oben, die anderen kennen ihn nur zum Teil17.» Die Gnostiker fühlen sich in dieser Welt freilich als « Zer­ teilte»18, die aber doch zur Einheit im Reich des Lichtes be­ stimmt sind. Sie sind «Lichtfunken», die in das Reich des Lichtes gehen, von wo sie auch herkamen. Das geschieht als ein Akt: Alle zusammen gehen in das Pieroma ein. Erst dann kann die Welt ihr Ende finden, indem sie entweder durchs Feuer vernichtet wird oder, ein ausgebrannter Aschenhaufen, ohnmächtig und tot hier unten bleibt, oder auch in wunsch­ loser Genügsamkeit mit allen Teilen in je der Sphäre bleibt, die ihr bestimmt ist. Von den Gnostikern hängt das Ende der Welt ab. Mit dem Ende der Welt sind alle Spannungen aufgehoben, die sich ausdehnende Zeit, der eine Begrenztheit zeigende Charakter des einzelnen, die Spannung der Geschlechter. Aber daß das ganze Pieroma in die Einheit des «Urgrundes» wieder aufgenommen wird, ist nicht gnostische Lehre. Der Valentinianismus läßt wohl alle «Äonen» gleich werden und sagt von ihnen, daß sie alle das werden, was auch die anderen sind ”, aber weiter geht er nicht. Die Gnostiker kommen am Ende der Welt wohl zum Eingang in das Pieroma und zur Hochzeit mit den männlichen Engeln, und damit ist das Eins­ werden von Männlichem und Weiblichem erreicht20, aber weiter geht es nicht; nur Wendungen wie bei der «Erlösung» der Markosier, die zur «Einung» getauft werden21, gehen scheinbar weiter. Allerdings begegnen auch Formeln, die an eine Identitäsaussage anklingen, etwa bei der Megale Apo-

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phasis, wo die ausgebildete «siebente Kraft» «an Wesen, Kraft, Größe und Wirkung ein und dasselbe mit der ungewordenen und unendlichen Kraft»22 wird. Aber zu einer glatten Iden­ titätsaussage wird auch hier nicht vorgestoßen, mindestens bleibt der «Urgrund», die oberste Kraft, für sich. Die Hauptmomente der Gnosis sind also folgende: 1. Zwischen dieser Welt und dem unserem Denken unfaß­ baren Gott, dem «Urgrund», ist ein unüberbrückbarer Ge­ gensatz. 2. Das «Selbst», das «Ich» des Gnostikers, sein «Geist» oder seine Seele, ist unveränderlich göttlich. 3. Dieses Ich aber ist in diese Welt geraten und von ihr ge­ fangen und betäubt worden und kann sich nicht selbst daraus befreien. 4. Erst ein göttlicher «Ruf» aus der Welt des Lichtes löst die Bande der Gefangenschaft. 5. Aber erst am Ende dieser Welt kehrt das Göttliche in den Menschen zu seiner Heimat zurück.

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Es gibt nun eine große Anzahl gnostischer Systeme. Sie alle haben das Ziel, darzulegen, wie der Gegensatz von der gött­ lichen Welt und der Welt, in der der Mensch jetzt lebt, zu­ stande gekommen ist, wie es kommt, daß ein göttliches Teil im Gnostiker in dieser Welt gefangen liegt. Sie enthalten alle den Ruf in sich, der das göttliche Teil erwecken soll, und stellen dar, was das Ende der Welt sein wird, wenn alles Gött­ liche in seine Heimat zurückkehrt und diese Welt vernichtet (oder ohnmächtig und untätig) sein wird. Es wird einmal als Summe der Fragen, auf die die Gnosis eine Antwort zu geben verspricht, genannt23: «Wer waren wir? Wer sind wir gewor­ den ? Wo waren wir? Wohinein sind wir geworfen ? Wohin eilen wir? Wovon sind wir befreit? Was ist Geburt? Was Wieder-

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gebürt?» Liegt das Entscheidende für den Gnostiker in dem «Ruf», der zur Selbsterfassung führt, so ist damit ein be­ stimmtes Verständnis von Gott und Welt gegeben. Die gno­ stischen Systeme entfalten das, was im Hören auf den Ruf enthalten ist. Der Gnostiker bedarf eines «Systems», das ihm zeigt, woher er kam, wie die Welt ist, wie die Erlösung zu­ stande kommt und wie sie sich endgültig vollzieht. So haben wir eine Fülle von gnostischen Systemen, die das darstellen wollen. Entsprechend dem, daß das Wesentliche am Menschen nicht sein rationales Denkvermögen, sondern die Empfäng­ lichkeit für den «Ruf» ist, spielen hierbei mythologische und mythische Größen eine entscheidende Rolle. Wenn man auch einzelne Systeme auseinander ableiten kann, so ist es doch unmöglich, die Systeme alle auf eines zurückzuführen. Das Griechentum macht allerdings auch einen Unterschied zwischen der Sinnen- und der Geisteswelt, aber in der Gnosis ist es ein grundsätzlicher Schnitt zwischen beiden Bereichen, den das griechische Denken so nicht macht. Für den Griechen ist die weltgestaltende Kraft, ob Gott, ob Demiurg, Weltver­ nunft oder Feuer genannt, das Oberste und Letzte, aus dem sich diese Welt ableiten läßt. Die Gnosis aber macht einen grundsätzlichen Schnitt zwischen der Welt, die dieses alles enthält, einschließlich der Weltvernunft oder des Feuers, und der Fülle des göttlichen Seins, dem «Licht». Dann liegt es am nächsten, von zwei Prinzipien auszugehen, die von Uranfang an einander entgegengesetzt sind, Licht und Finsternis, das Gute und das Böse, Gott und die Materie. Da­ bei ist dann die Finsternis der angreifende Teil, den die Schönheit und Geordnetheit der Lichtwelt begehrlich macht und der die Welt des Lichtes zu Gegenmaßnahmen nötigt. Sie sendet eine Gestalt aus ihrer Mitte, die freiwillig hinabsteigt und ganz oder nur teilweise von der Finsternis verschlungen wird. Oder eine Lichtgestalt, der «Mensch», gerät in tragi­

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schem Irrtum in diese Finsternis hinab. Bei diesem Zweig der Gnosis ist es dann ganz deutlich, wie es zu der Gefangenschaft des «Goldes» im Schmutz kam. Das Göttliche ist entweder Urbild eines in jedem Menschen sich vollziehenden Gesche­ hens, und der Mensch wird aufgefordert, den tragischen Irr­ tum des Urbildes wieder rückgängig zu machen. Oder das ge­ fallene Göttliche ist, in viele zerteilt, wie ein großer Licht­ funke in viele kleine Funken sich verteilt, in den Menschen, und es bedarf einer neuen Entsendung aus der Welt des Lich­ tes, um das betäubte Göttliche an seine Heimat zu erinnern, das Göttliche zu sammeln und wieder in seine Heimat zu­ rückzubringen. H.Jonas24 hat diesen Zweig der Gnosis den «iranischen» Typ genannt, weil im Iran, genauer in der Reli­ gion Zarathustras, von zwei feindlichen «Zwillingen», dem guten und dem bösen Gott, gesprochen wird, die allerdings beide in der Welt, in der wir leben, ihre Bereiche haben. Bei den Gnostikern dagegen ist das eine Prinzip mit dieser Welt identisch, das andere ihr ganz entgegengesetzt und mit den Sinnen nicht zu fassen. Dieser Zweig der Gnosis ist von Poimandres und im Manichäismus vejtreten, zum Teil auch im Mandäismus, er hat auch im Westen seinen Einfluß und seine Spuren hinterlassen. Der andere Zweig der Gnosis geht von einem Prinzip, dem göttlichen, aus, von dem sich im Laufe der Entwicklung ein Teil löst, das heißt fällt. Die Schwierigkeit dieses Ansatzes ist einmal so ausgedrückt: «Für jetzt soll dich das nicht beküm­ mern, ... wie von einem Anfang von allem, der einfach und ... ungeworden, unvergänglich und gut ist, auch diese Naturen zustandegekommen sind, nämlich die der Vergänglichkeit und die der Mitte, die verschiedenen Wesens sind, wo das Gute (doch) die Natur hat, das, was ihm ähnlich und gleichen Wesens mit ihm ist, zu zeugen und hervorzubringen1’.» Im Gegensatz zum Griechentum wird an entscheidender Stelle,

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solang auch die Reihe der von Gott ausgehenden «Äonen» ist, nicht von einem allmählichen Abgleiten in die Vergäng­ lichkeit und in das Böse gesprochen, sondern von einem «Fall», als dessen Motiv das gesehen wird, was der betreffenden Gnosis als die Ursünde erscheint. Dieser Fall ist mit seinen Konsequenzen das, was diesen Teil der Gnosis vom Griechen­ tum trennt. Es tritt nun in den Vordergrund der von der gefallenen Größe abgeleitete Herr und Schöpfer dieser Welt, der «Demiurg»24, vielfach Jaldabaoth genannt, der mit dem Schöpfer­ gott des Alten Testaments gleichgesetzt wird und als Herr­ scher der «Sieben» Herr des Schicksals ist. Gelegentlich bringt er noch einen Sohn hervor, den Teufel, der recht eigentlich das Unrecht und das Böse in diese Welt bringt. Jaldabaoth, der Herr der Gestirne und dieser Welt, hat von der gefallenen Größe etwas aus der Welt des Lichtes mitbekommen, und es geht nun um dieses Lichtteil, das in seine Heimat zurückkeh­ ren soll. Daß der Demiurg mit dem Gott des Alten Testamen­ tes gleichgesetzt wird, ist für die westliche Gnosis, soweit sie überhaupt die Schöpfung erwähnt, charakteristisch. Denn der Schöpfer dieser Welt ist ja für den Gnostiker nicht der höchste Gott; sein oft zitiertes Wort aus Jes.45,5, «Ich bin Gott und außer mir ist kein anderer», wird als Ausdruck seiner Über­ heblichkeit und Unkenntnis des wirklichen, über allem Er­ fassen stehenden Gottes aufgefaßt. Auch die Gebote des Alten Testamentes sind nicht so, daß sie dem Gnostiker Weglei­ tung geben könnten. Denn, wenn er Askese treibt, so steht davon nichts im Alten Testament, und wenn er sich dem Libertinismus ergibt, erst recht nicht; wollte er aber einen Mittelweg einschlagen, steht ihm das Neue Testament näher. Daneben gibt es andere Systeme, die mit Vorstellungen arbeiten, die dem Griechentum näherstehen. Es wird etwa da­ von gesprochen, daß der gänzlich unbegreifbare Gott einen

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«Weltsamen» niederlegte, der alles in sich enthielt, was diese Welt wurde. Ein Archon27 ist Herr über die Siebenheit, das heißt über die Sphäre der Planeten, ein höher stehender über die «Achtheit», die Fixsternsphäre. Beide bekehren sich schließlich und bleiben am Ende der Welt zufrieden in ihrer Sphäre. In dem «Weltsamen» aber ist noch eine «Sohnschaft» enthalten, die nicht von sich aus nach oben kommen kann; damit ist das Thema dieser Gestalt der Gnosis (Basilides nach Hippolyt) gegeben. Andere lassen nicht die Welt, sondern die Idee der Welt aus drei Prinzipien bestehen, wozu noch als viertes das Körperhafte dieser Welt kommt. Andere Systeme sprechen nur von drei Prinzipien, deren Wechselwirkung das Motiv der Weltgeschichte ist. Jedenfalls ist das mittlere der drei Prinzipien nach Art einer Schlange zu denken, die Ideen von dem obersten Prinzip herab in die Materie bringt; diese ist bestrebt, mit aller Kraft jene bei sich zu behalten. Von einem «Fall» braucht hier nicht die Rede zu sein. Die Größe, die fällt, ist entweder männlich oder weiblich. Bei den Naassenern ist es «Adam» oder «der innere Mensch», der von dem «Urmenschen» herabgefallen ist in das «tönerne Gebilde der Vergessenheit»; der Gnostiker kann sich in ihm und seinem Schicksal wiederfinden. In der Baruchgnosis ist es «Elohim»,der sich mit «Eden» in Liebe verbindet. Allerdings wird es erst im Laufe des Berichtes deutlich, daß Elohim auf die Seite des guten Gottes gehört und mit ihm der Geist der Menschen, während die Seele Eden gehört. Sonst ist es ein weibliches Prinzip, das fällt, sei es, daß kein rechtes Motiv für den Fall vorhanden ist, aber die «Gefallene» sich bis in die untersten Bereiche der Materie begibt, sei es, daß der Grund zum Fall ein erotisches Motiv ist, weshalb sie auch die «Geile», Prunikos, heißt, sei es, daß ein mehr gei­ stiger Grund des Falls, nämlich, sein zu wollen wie der höch­ ste Gott, genannt wird; jedenfalls beginnt mit ihr das Ge­

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schehen in der Welt. Bei diesen Systemen hat meist die Schöpfungsgeschichte der Bibel Pate gestanden. Mehrere Spe­ kulationen werden geboten, um von der Größe, die fällt, zu den Gefallenen, den Menschen, zu gelangen, die das «Gold» in allem Schmutz der Welt doch in sich tragen. Die Prunikos hat etwa dem Jaldabaoth etwas von ihrem Licht, das sie als Wesen aus der oberen Welt in sich hatte, gegeben und bewegt Jaldabaoth dazu, dieses in den Menschen, den er schuf und nicht zum Stehen bringen konnte, einzublasen; andere lassen die «Sophia», wie die gefallene Größe auch und oft genannt wird, den Samen von oben ohne Wissen Jaldabaoths auf be­ stimmte Menschen herabsäen, daß er hier unten erzogen werde. Der Gedanke, daß das «Selbst» im Menschen zur göttlichen Welt gehört, kann auch in der Form ausgedrückt werden, daß man von einem «Urmenschen» in der oberen Welt des Lich­ tes spricht18. An einigen Stellen ist es der oberste Gott, der so heißt, meist aber ist es nicht der «Ungewordene», sondern der «Selbstentstandene», der den Namen «Mensch» trägt. Dies erlaubt es, den irdischen Menschen in seinem Wesens­ kern dem göttlichen Urmenschen gleich sein zu lassen, so zum Beispiel in der Naassenerpredigt und besonders im Manichäismus. Wo ein weibliches Wesen fällt, ist es nicht so leicht, die­ sen Gedanken auszudrücken, wie man etwa am Valentinianismus sehen kann. Doch taucht auch in dieser Form der Gnosis vereinzelt der «Mensch», «Urmensch», «Adamas», Adam oder ähnlich auf; er wird gelegentlich mit dem Erlöser gleich­ gesetzt, wie in der Sophia Jesu Christi, wo es heißt: «In jener Stunde trat das Licht ... in Erscheinung in einem ersten, un­ sterblichen männlich-weiblichen Menschen, damit durch die­ sen Unsterblichen die Menschen das Heil erlangen und er­ wachen aus der Erkenntnisunfähigkeit ..?’» Daß der erste Mensch oder der Urmensch über die geschlechtliche Teilung

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23 in Mann und Frau erhaben ist, ist öfter ausgesprochen, und Gleiches wird für die Pneumatiker in der Lichtwelt erwartet. In dem Geschehen um die gefallene Größe ist das Herab­ kommen des «Goldes», des gefallenen «Ichs» der Pneumati­ ker, enthalten. Wie schon gesagt, kann das Göttliche im Men­ schen sich nicht selbst aus der Gefangenschaft dieser Welt befreien. Ein Ruf aus der unsichtbaren Welt, der die himm­ lische Heimat zeigt, bringt die Erlösung. Gelegentlich ver­ birgt sich dieser Ruf unter dem Stichwort des «Lernens», wie in der Megale Apophasis, wo es heißt: «Wenn es (das Un­ gewordene) nun das entsprechende Wort und (die entspre­ chende) Lehre erhält ...’°», oder bei den Sethianem, die ver­ künden : « Der Strahl des Lichtes eilt, wenn er durch Belehrung und Lernen seinen eigenen Ort erhalten hat, zum Logos’1.» Im übrigen ist das ganze System der einzelnen Gnostiker ein «Ruf. So besonders deutlich im Poimandres (§ 15), wo dem Verfasser eine Schau von dem obersten Gott zuteil wird, die zeigt, wie es kommt, daß der Mensch «im Gegensatz zu allen Wesen auf der Erde gespalten ist, sterblich nach dem Kör­ per, unsterblich nach dem wesenhaften Menschen»; wenn er aber dieses anerkennt, es «gelernt» hat, daß er unsterblich, daß er «Gold» ist, geht er nach dem Tode in die obere Welt. Nun haben aber manche gnostischen Systeme einen «Er­ löser», eine Gestalt aus der Lichtwelt, die das Göttliche im Menschen aus seiner Betäubung erweckt und den Bann der Vergessenheit durchbricht. Diese Gestalt ist einmal eine deutliche Personifizierung des Rufes selbst, wie etwa Manda d’Haije, das heißt die «Gnosis des Lebens» im Mandäismus. Im christlichen Bereich hat natürlich Jesus Christus die ent­ scheidende Rolle. Die ältesten christlichen Gnostiker, von denen wir Berichte haben, lassen Jesus gerechter und weiser sein als alle übrigen Menschen, auf ihn sei eine Kraft von oben gesandt, durch die er den Weltschöpfern entgehen konnte;

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wer dasselbe tun kann, bekommt die gleiche Kraft. Eine ähn­ liche Anschauung besagt, daß aufjesus bei der Taufe Christus herabgestiegen sei, darauf hätte er «den unbekannten Vater» verkündet; vor der Kreuzigung sei aber Christus wieder zum Vater zurückgegangen. Ob diese Systeme - Karpokrates und Kerinth - von unseren Quellen erschöpfend dargestellt sind, ist nicht mehr sicher auszumachen, aber sie sind einfacher als die komplizierten späteren Systeme, die auch über das Er­ lösungswerk Christi mehr zu sagen haben. Jedenfalls erlöst und befreit Christus nicht dadurch, daß er den Tod am Kreuz wirklich erlitten hat: «Wie, wenn das Leben in ihm gewesen wäre, würde dann auch der Leib gestorben sein? So hätte auch über den Heiland selbst der Tod die Überhand gewon­ nen, was absurd ist32.» So muß das (göttliche) Leben sich vor dem Tode entfernt haben. Am deutlichsten und schärfsten ist das bei dem basilidianischen System nach Irenaeus der Fall, wo Jesus statt seiner Simon von Kyrene kreuzigen ließ und die Juden auslachte, die das nicht merkten. Das ist der soge­ nannte Doketismus der christlichen Gnostiker, das heißt die Anschauung, daß Jesus nur zum Scheine (griechisch: dokein), aber nicht in Wirklichkeit gelitten hat. Was ist aber dann sein erlösendes und befreiendes Werk? Einmal das, daß er den «Ruf» ergehen läßt. Er verkündet den unbekannten Vater. So bekommt Jesus den Auftrag: «Ver­ kündige den Menschen dieses Wort und gib ihnen Kunde vom Vater und von «dem Guten>”.» Eine andere Weise, sein Werk durchzufuhren, ist, als Urbild zu wirken. So etwa bei den Basilidianern des Hippolyt, wo Jesus der Erste der «Arten­ scheidung» geworden ist und nun die «Auswahl» sich auch scheiden kann: Es handelt sich um Scheidung des Göttlichen im Menschen von den anderen Bestandteilen in ihm; die «Auswahl» kann so, von den anderen Bestandteilen frei, zum höchsten Gott gehen. Allerdings hat in diesem System Jesus

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nicht nur die Artenscheidung an sich vollzogen, sondern auch selbst durch seine Verkündigung an der Reinigung des pneu­ matischen Teiles mitgewirkt. Bei den Valentinianern ist es so, daß Jesus Christus «was er anzog, auch rettete». Von der «Achamoth», wie das ge­ fallene Teil aus der Lichtwelt bei ihnen heißt, hat er das Pneu­ matische angenommen, vom Demiurgen den psychischen Christus und ein psychisches Teil. Dieses psychische Teil wird von ihm auferweckt, indem er einen Strahl seiner Kraft sendet, der den Tod vernichtet: Hier kann man von einem er­ lösenden Tun im eigentlichen Sinn reden, wie auch in der anderen Spekulation, daß das Blut, das aus seiner Seitenwunde floß, allegorisch das «Ausfließen» der Leidenschaften und da­ mit die Rettung der Psychiker andeutet. Das pneumatische Teil dagegen bedarf der «Weisheit», bedarf der «Gestaltung der Erkenntnis gemäß», es muß zu seiner «Eigentlichkeit» kommen. Urbildlich ist das Tun des Heilandes den Pneumatikern gegenüber, indem das Pneumatische mit dem Mark in den Knochen des Heilandes verglichen wird, das nicht «zerbrochen» wird. Er bringt den Ruf, er ist das Urbild. Jedenfalls ist sein Tun keines, das das «Selbst» verändert. Wohl aber wird gelegentlich von einem Sieg über den Tod gesprochen, wie zum Beispiel im Brief des Rheginus34. Die Psychiker, soweit überhaupt von dieser Mittelklasse geredet wird, haben ein abgestuftes Heil, nicht in der Sphäre, in die die Gnostiker eingehen, aber doch ein Heil, das ihnen ein ewiges Leben gewährt. Noch gefüllter ist das Wort «retten» da, wo das Bild der Schlange verwandt wird. Die Schlange, meist mit dem Logos oder mit «Jesus» gleich gesetzt, trägt die «Erwachten» hin­ auf(wie sie sie auch heruntergebracht hat). Insofern das Hinauf­ tragen das Entscheidende an der Rückkehr in die unsichtbare Welt ist, ist sie «rettend». Damit mischt sich aber in eigen2

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tümlicher Weise die «Erkenntnis»: Die Schlange, Jesus, trägt nämlich die, die «freier» geworden sind, das heißt die, die sich selbst erkannt und von der Welt gelöst haben, hinauf. Insofern kommt auch hier die Rolle der «Erkenntnis», das heißt des Antwortens auf den «Ruf», zum Tragen. Es ist noch eine besondere Variation des Erlösers zu be­ sprechen: der «erlöste Erlöser». Wenn das «Gold» aus der Lichtwelt kommt und auch der Erlöser aus ihr stammt, sind der Erlöser und die, die er erlösen soll, wesensgleich. Indem der Erlöser in diese Welt eingeht, nimmt er ja - so scheint es - das an, wovon er die zu Erlösenden befreien soll, wird also selbst ein zu Erlösender. Er ist aber zugleich der Erlö­ ser, das heißt aber, er ist der erlöste Erlöser. Man kann das auch von oben sehen: Gott sucht sich selbst, wie es in der Megale Apophasis heißt: «Das ist das, was sie sagen: Dies ... ist die eine Kraft, geteilt nach oben und unten, sich selbst zeugend, sich selbst mehrend, sich selbst suchend, sich selbst findend, ihre eigene Mutter, ihr eigener Vater ...”.» Was er­ löst wird, das ist letzten Endes der Erlöser, denn beides ist substantiell dasselbe. Dies wäre eine Philosophie, wenn nichts anderes gesagt wäre als dieses. Dann wäre die Welt ein Wechselspiel, ein ewiges Auf und Ab. Einzelne gnostische Systeme kommen in der Tat nahe an diesen Gedanken heran. Dann wäre nicht von einem Erlöser zu reden, auch nicht von einem erlösten Er­ löser; denn Erlöser heißt ja, daß er einen Zustand endgültig beseitigt, zumal die Sehnsucht der Gnostiker, auch in der Megale Apophasis, ist, «nicht mehr ins Werden zu kommen»36. Ist dies aber das Ziel der Gnosis, dann erst gibt es etwas, wor­ aus der Erlöser erlöst: aus dieser Welt. Und da ist es merkwür­ dig, daß der Erlöser tatsächlich nicht daraus erlöst wird, wor­ aus er die zu Erlösenden erlöst: Denn er hat entweder über-

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haupt nichts Materielles angenommen, oder er wirft es ab, wie man einen Mantel abwirft, den man nicht mehr nötig hat, er wird also daraus nicht «erlöst». Er bahnt auch nicht den Seinen den Weg durch die Sternsphären nach oben. Jedenfalls kein Wort, mit denen der aufsteigende Geistesmensch den «Mächten » entgegen tritt, bezieht sich aufdiese Tatsache, son­ dern darauf, daß der Pneumatiker ein höheres Wesen ist, daß er zur Lichtwelt gehört, und das hat ihn der «Ruf» gelehrt. Endlich wird nur sehr selten vom Erlöser gesagt, daß er er­ löst ist oder wird. Wenn in den Thomasakten der Gedanke ausgesprochen wird, daß sich der Erlöser in die äußerste Fin­ sternis hineingab, so ist das wahrscheinlich Einfluß des kirch­ lichen Christentums. In der westlichen Gnosis wird jedenfalls vom erlösten Erlöser nicht gesprochen, auch Poimandres läßt ihn nicht erkennen. Die Gnosis unterscheidet stets den «Er­ löser» von dem obersten Gott und von den zu Erlösenden; nur in der Auseinandersetzung mit der Gnosis könnte darauf hingewiesen werden, daß «eigentlich» der Erlöser sich selbst erlöst. Damit haben wir die Hauptmöglichkeiten der Lösung der Fragen skizziert, die in dem entscheidenden Symbol der Gno­ sis, dem Gold im Schmutz, liegen. Es bleiben noch einige Punkte darzustellen. Das Christentum der Großkirche hat seine Sakramente, Taufe und Eucharistie. Für die Gnostiker wäre eigentlich ein Sakrament überflüssig. «Andere sagen ... die vollkommene Erlösung sei die Erkenntnis der unsagbaren Größe ... durch Erkenntnis wird der innere Mensch erlöst», heißt es ausdrücklich von einigen Gnostikern37. Wenn aber doch in den gnostischen Systemen vielfach Sakramente er­ scheinen, in anderen sie jedenfalls zu vermuten sind, so kann das zunächst damit Zusammenhängen, daß die Gnostiker sich von Bewegungen abgespalten haben, die Weihehandlungen und Sakramente kannten, die sie dann übernommen und um-

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geändert haben. So geht wohl die mandäische Taufe auf das Sich-selber-Taufen der Juden zurück. Es ist dann zu fragen, ob die Handlung noch denselben Sinn hat wie ursprünglich. Die christliche Gnosis hat vielfach mehrere Sakramente, hauptsächlich Taufe, Ölsalbung, Versiegelung, Eucharistie, Brautgemach. Aus den Berichten der Kirchenväter und auch aus den Fragmenten erfahren wir wenig über diese Seite der Gnosis. Nur aus den Berichten des Irenaeus über die Markosier erhalten wir einige Formeln des Sakramentes der Erlösung. Über Taufe, Ölsalbung und Eucharistie erfahren wir einiges in den stark gnostisch bestimmten Thomasakten. Neuerdings haben wir in dem «Philippusevangelium» und in der «Exe­ gese über die Seele» reichliche Anspielungen auf Sakramente, besonders auf das des Brautgemachs. Neben die Sakramente sind Formeln zu stellen, die die Gnostiker nach ihrem Abscheiden in den einzelnen Sternsphä­ ren, die sie durchschreiten, dem Herrscher des jeweiligen Be­ reiches sagen müssen; Irenaeus’8 und Origenes” bieten uns einiges Material. Auch diese Formeln sind, ebenso wie die Sakramente, der Gnosis von Haus aus fremd. Wenn das Kern­ stück der Gnosis die Betäubung durch die «Welt» ist, dann kann, wenn der «Ruf» diese Betäubung durchbrochen hat, das Selbst nicht aufgehalten werden. Immerhin ist diese Er­ scheinung magischer Formeln ein Zeichen dafür, daß für man­ che die Gnosis noch nicht genügt, daß die «Mächte» ihnen doch noch gefährlich werden können und daß diese deshalb des Hinweises bedürfen, daß die sie Durchschreitenden zum Bereich des Lichtes gehören; das ist auch der Inhalt dieser Formeln. Die Ethik der Gnostiker scheint bestimmt dadurch, daß sie sich für «von Natur Gerettete» ansahen. Das führt auf eine Gleichgültigkeit gegenüber dem ethischen Verhalten. Die Kirchenväter haben es so aufgefaßt: «Daher tun denn auch

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die Vollkommensten von ihnen alles Verbotene ohne Scheu.40» Aber wir müssen hier etwas tiefer graben. Die Kirchenväter messen das Verhalten der Gnostiker an dem, was in der Kir­ che für «ethisch» galt, was nicht. Der Gnostiker aber, der am schärfsten die Notwendigkeit des «unsittlichen» Handelns betont, Karpokrates, sagt doch, daß «Glauben und Liebe rettet»41. Es ist nicht so, daß das Leben einfach gleichgültig ist; es fließt das Verhalten aus dem, was von dem höchsten Gott kommt. Die Reaktion des Gnostikers richtet sich gegen alles, was «Gesetz» heißt:« Er sagt, daß < Mein und Dein > durch die Gesetze eingeführt sei42.» Gesetze, seien sie vom Welt­ schöpfer eingeführt, seien sie von Menschen erlassen, können nicht innerlich verpflichten, sie sind und bleiben von außen eingeführte «Gesetze», und von ihnen will der Gnostiker frei werden. Darum richtet sich der Hauptwiderspruch der Gno­ stiker gegen das Gesetz des Alten Testamentes, das mehr als andere Gesetze mit der Autorität des Weltschöpfers umklei­ det war. Die Richtschnur ergab sich für sie aus dem, was von dem wirklich höchsten Gott kam. Innerlich verpflichtend war nur der Glaube, das heißt das Antworten auf den Ruf, und die Liebe, die in dem Nächsten den sieht, der vielleicht auch «von Natur gerettet» ist, wie es im Evangelium der Wahrheit ausgesprochen ist43, oder aber zum mindesten sich nicht er­ eifern kann gegen ihn, da es auch der höchste Gott nicht tut. Daraus kann man die Gleichgültigkeit dem Bekennen vor der Obrigkeit gegenüber verstehen, vor allem aber die Teil­ nahme an sogenannten Götzenopfermahlen, die Juden und Christen verboten, für die Gnostiker aber erlaubt (oder sogar geboten) war; denn die «Götzen», wie etwa Athene, Jupiter oder auch die Mysteriengottheit Attis, galten ihnen als nicht­ existent, und über die Mächte des Schicksals fühlten sie sich erhaben. Auch das geschlechtliche Leben konnte als indifferent angesehen werden, wenn das leibliche Leben gleichgültig war.

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Auch die entgegengesetzte Folgerung war möglich. Wenn das leibliche Leben untergeht, ist es falsch, es dadurch, daß man ihm nachgibt, zu stärken44. Dabei war wahrscheinlich nicht einmal an direkte Askese gedacht, mag sie auch geübt worden sein, wie gelegentliche Hinweise der Kirchenväter zeigen. Im ganzen darf es jedoch nicht befremden, wenn die libertinistische Seite der Gnosis bei ihren Gegnern stärker her­ vortritt: Das war den Kirchenvätern besonders anstößig, wäh­ rend sie gegen ein Leben, das sich wenig von dem der Kirchen­ christen unterschied, das vielleicht sogar zur Askese neigte, wenig zu sagen wußten.

3 Wie sich die Gnosis im lebendigen Verkehr von Mensch zu Mensch äußerte, können wir literarisch nur an wenigen Bei­ spielen erkennen, etwa an dem Brief des Ptolemaeus an Flora. Er ist an eine offenbar noch nicht eingeweihte Frau gerichtet und bespricht Dinge, die noch im Vorfeld der Gnosis stehen. Abgesehen von dieser ihrer Tätigkeit, die wir nur in etwa erkennen können, sind die Gnostiker sehr fruchtbar in der literarischen Produktion gewesen. Das lassen zunächst die Be­ richte der Kirchenväter erkennen, die jedenfalls in der Mehr­ zahl auf Schriften ihrer Gegner zurückgehen und sie auch zum Teil wörtlich zitieren. Über diese Kirchenväterberichte war das Urteil früher ungünstiger als jetzt, wo wir sie in einigen Fällen kontrollieren können, nicht nur an Hand der Zitate, die sie wörtlich bringen, sondern dank des 1945/46 gefundenen, aber bis jetzt nur zum Teil publizierten Fundes aus Nag Hammadi. Dieses größere Zutrauen besagt allerdings weder, daß die Kirchenväter die Gnostiker verstanden haben müssen, noch, daß sie uns über die Gegner vollständig orientderen; man muß damit rechnen, daß sie Dinge, die abstrus, besonders ketzerisch oder anstößigjvaren, in den Vordergrund

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stellten. Mit diesen Einschränkungen jedoch sind die Be­ richte der Kirchenväter bis heute noch für die Erkenntnis der Gnosis unentbehrlich. Sie bilden darum das Gerippe der vor­ liegenden Auswahl. Im mandäischen Schrifttum wird deutlich, daß die Poesie eine Rolle gespielt hat. Auch aus dem nicht-mandäischen Schrifttum haben wir einige Proben. Origenes spricht von Psalmen des Valentin und von Liedern des Basilides. Ein Beispiel ist in dem Naassenerbericht des Hippolyt enthalten, und in den Thomasakten finden sich zwei Beispiele von Poesie. Die Hauptmasse der gnostischen Schriftstellerei aber sind Offenbarungen, die von einer der gnostischen Heilsgestalten einer Person meist aus der biblischen Geschichte übergeben worden sein sollen. In dieser Einkleidung zeigt sich, daß das «System» den «Ruf von oben» bringen will. Da sind Evan­ gelien, nicht im Sinne der neutestamentlichen Evangelien, sondern geheime Offenbarungen Jesu meist nach seiner Auf­ erstehung, auch Evangelien ohne diesen Anspruch. Als Emp­ fänger sind auch alttestamentliche Gestalten wie Seth ge­ nannt. Endlich sind Buchtitel genannt, die auf Gestalten der von der betreffenden Sekte entwickelten Lehre zurückgehen. Damit ist der Umfang der gnostischen Schriftstellerei noch nicht abgeschritten. Da sind die gnostischen Apostelakten. Sie sind nicht (oder weniger) der Lust zum Fabulieren ent­ sprossen, sondern sie wollen ebenfalls den «Ruf» bringen. Besonders die Gestalt des Thomas, des «Zwillings», bot Ge­ legenheit, im Spiel mit diesem Namen von dem Zwillings­ bruder Christi zu erzählen und in mannigfachen Geschichten zu zeigen, wie Christus die Mächte der Finsternis besiegt. Da­ bei erscheint unter einem Schleier von Allegorie immer wieder der gnostische Mythus, der sich die Legende des Thomas Didymus dienstbar gemacht hat45.

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Auch was die Griechen und Barbaren an hochgehaltenen Schriften, zum Beispiel Homer, hatten und was die Mythen von dem Schicksal ihrer Götter berichteten, wird, unter zum Teil gewaltsamer Umdeutung, demselben Ziel dienstbar ge­ macht. Es gibt nichts, was außerhalb der Gnosis als geheiligte Überlieferung weitergegeben wurde, was nicht grundsätzlich als Ausdruck des gnostischen Mythus erscheinen könnte. Die sogenannte Naassenerpredigt ist ein Beispiel dafür. Darum lohnt es sich zwar, der Herkunft der einzelnen Motive nach­ zugehen, aber für die Erkenntnis der Gnosis selbst ist damit nichts gewonnen. Wo Philosophen einen Satz ausgesprochen haben, der auch in der Gnosis erscheint, wird ihnen vorgewor­ fen, sie hätten eine Einsicht, die von alten Propheten der Gnosis geäußert ist, ohne die Quelle anzugeben als ihre eigene Weisheit vorgetragen. So belegt die Gnosis das Ganze der antiken Religion und auch der antiken Philosophie, wenn es für ihr System paßt oder passend gemacht werden kann, mit Beschlag. Daß sie dabei auch das Neue Testament und unter Umständen auch das Alte für sich beansprucht, ist leicht verständlich. Aber nicht nur, was in der Welt der Religionen gedacht wird, wird für die Gnosis zurechtgemacht und beschlag­ nahmt, sondern auch alles, was sich sonst ereignet: medizini­ sche Dinge wie die Zusammensetzung des Gehirnes oder das Kind im Mutterleibe, dazu allerhand merkwürdige Dinge, die bekannt waren oder die das Gerücht von fremden Völkern mitbrachte, etwa die Anziehungskraft des Magneten auf Eisen und ähnliche Erscheinungen. Letztere konnten sogar besonders nachdrücklich die schier unüberwindliche Kraft des «Rufes» klarmachen, der sich der «Erwählte» nicht entzie­ hen kann. Auch die scheinbar unerklärliche Tatsache, daß in einem leeren Salbgefäß doch noch der Duft einer wohlrie­ chenden Salbe zu verspüren ist, ist von der Gnosis verwandt.

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Dieses alles dient dazu, die Eigenart und Wirkung der Gno­ sis deutlich zu machen. Sie selber aber wird geheimgehalten. Das darum, weil sie nur erahnt werden kann. Damit kommen wir auf den Anfang zurück: Sie ist nicht Sache des Verstandes. Für die anderen Menschen sind die Gedanken der Gnosis nur Gegenstand des Spottes. Thomas sagt zum Heiland: «Die Worte, die du uns sagst, sind für die Welt Gelächter und Naserümpfen46.» Darum werden die Schriften der Gnosis nur denen zugänglich gemacht, die dessen «würdig» sind. Dazu gebraucht man doppeldeutige Worte oder spielt mit einem Wort wie etwa dem des «Fremden», das für den Gnostiker einen anderen, entgegengesetzten Sinn hat als für die NichtGnostiker. Auch ganze Erzählungen basieren aufeiner solchen Verschiedenartigkeit des Denkens und Sprechens. Verwandt damit, aber schon ins Spielerische gehend, ist die Zahlenspekulation. Man hat bestimmte Zahlen, die man in möglichst mannigfacher Weise wiederfinden will, ob das nun die Drei, die Vier, die Dreißig oder 365, die Zahl der Tage eines Jahres, ist. Noch, größer wird die Möglichkeit, mit den Zahlen zu spielen, wenn man dazu die Tatsache nimmt, daß die Zahlen damals im semitischen und griechischen Bereich mit Buchstaben bezeichnet wurden und so jede Zahl als Buch­ stabe genommen werden konnte und jeder Buchstabe als Zahl. Wenn man dann gar die Buchstaben eines Wortes als Zahlen liest und die Quersumme dieser Zahlen sucht und verwendet, dann wird die Zahl der Kombinationen unermeßlich groß, wie ja auch die Zahl 666 in der Offenbarung des Johannes bis heute nicht sicher als Name gedeutet ist. Diese Dinge haben mit der Gnosis das gemeinsam, daß, was damit gemeint ist, erahnt werden muß; dieses Erahnen wird nun aber zu einem mehr oder minder geistreichen Spiel. Zum Schluß müssen noch zwei Weiterentwicklungen der Gnosis erwähnt werden. Das eine ist die schier unüberwind-

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liehe Lust, immer neue, immer mehr Geheimnisse zu finden, Namen zu erfinden und daran Spekulationen anzuknüpfen. So werden in dem Apokryphon des Johannes in einer Version die Namen der Engel genannt, die jedes einzelne Teil des menschlichen Körpers geschaffen haben sollen, so wird in der Pistis Sophia von verschiedenen Mysterien und Geboten ge­ sprochen und unendliche Offenbarungen darüber gegeben. Die ganze Einkleidung und auch die letzte Tendenz, wenn man das Drum und Dran entfernt, ist noch gnostisch, aber es geht fast unter in einem «geheimnisvollen» Mystizismus. Das zweite ist das Absinken in wüste, meist geschlechtliche Ausschweifungen, wie sie Epiphanius von den sogenannten Gnostikern berichtet: Auch da kann man den Zusammenhang mit dem Eigentlichen der Gnosis noch sehen, aber die Licht­ teile, die nach oben kommen sollen, sind recht greifbar in Tieren und Pflanzen und in den Geschlechtsorganen der Menschen vorhanden. Welch ein Weg von dem «Selbst» des Menschen, das auf den «Ruf» antwortet, bis hin zu diesen Praktiken!

Za Textauswahl und Übersetzung

Der erste Band dieser Auswahl gnostischer Texte in deutscher Übertragung enthält - mit Ausnahme des Apokryphon des Johannes, das zu den Barbelognostikern engste Beziehung hatnur lateinische und griechische Texte, die von den Kirchen­ vätern geboten werden. Daß der Valentinianismus dabei einen verhältnismäßig großen Raum einnimmt, hängt mit seiner Überlieferung zusammen. Die Texte sind vorzugsweise aus Irenaeus, Hippolyt und Epiphanius genommen, wozu noch Clemens von Alexandrien mit den Stromata und Origenes mit einem Auszug-aus dem 6. Buch seines Werkes Contra Celsum und aus seinem Johanneskommentar kommt. Das Buch des Baruch bearbeitete und übersetzte Ernst Haenchen. Martin

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Krause bot die Einleitung und Übersetzung des Apokryphon desjohannes Der zweite Band bringt gnostische Texte aus dem sensationel­ len Fund koptischer Papyri, der 1945/46 bei Nag Hammadi, 100 km stromabwärts von Luxor, am Nil zutage gefördert wurde, in einer dieser Sammlung angepaßten Auswahl. Er ent­ hält ferner ausgewählte Texte aus dem Bereich des Mandäismus, das heißt einer gnostischen Taufgemeinde des Orients. Dieser Band bringt auch ein Register der gnostischen Stich­ worte und ihres Vorkommens sowie ein Bibelstellenregister für beide Bände. Diese zwei Bände sind also als eine Einheit ge­ dacht; ausschließlich editionstechnische Gründe waren bei der Zweiteilung maßgebend. Ein dritter Band schließlich stellt den Manichäismus vor, jene gnostische Religion, die von Nordafrika bis China verbreitet war und ein ganzes Jahrtausend Bestand hatte. Die Texte dieses Bandes (die teilweise auf spektakulären Funden in Mittelasien und Ägypten basieren) vermitteln einzigartige Einblicke in den Manichäismus, der sich christlich zu tarnen verstand. Der Übersetzung stellte sich die schwierige Frage, ob alle tech­ nischen Ausdrücke ins Deutsche übertragen werden sollten oder nicht. Nach längeren Überlegungen wurde der Kompromiß be­ schlossen, Ausdrücke, die einen zu großen Spielraum bieten, wie etwa lögos oder noüs, aber auch demiurgds, unübersetzt zu lassen, letzteren zum Beispiel, weil die Übersetzung «Schöpfer» unge­ nau ist, andererseits aber die Wiedergabe «Weltgestalter» nicht klar erkennen läßt, um wen es sich handelt. Auch die Wendungen pneumatikds, psychikos und chol'kds sowie verwandte Ausdrücke sind unübersetzt geblieben; dagegen wurde jedes phestn und phafin entsprechend übertragen, ungeachtet der Häufigkeit ihres Vorkommens, um den Referatcharakter unserer Texte aus der Feder der Kirchenväter in Erinnerung zu halten. Überhaupt ist auf eine möglichst genaue Übersetzung Wert gelegt worden.

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EINLEITUNG

Runde Klammem enthalten erläuternde Zusätze des Überset­ zers; vgl. dazu Anm. ioo, 172 und 273. Bei Bibelzitaten bedeutet LXX in der Stellenangabe, daß sich das Zitat nur in der griechi­ schen Übersetzung des Alten Testaments (Septuaginta) findet.

Erklärung einiger Fachausdrücke Abyssos Achamoth Adamas Aion

Archonten

Barbelo * Chaos Chus Choiker Demiurg Ennoia Feste

Größe Horos Hyliker Jaldabaoth

Kenoma

Abgrund. Transkription des hebräischen Wortes für «Weisheit». Unbezwinglich. Welt, Ewigkeit. In der Gnosis ausschließlich für jen­ seitige Welt und Welten. Mächte, die zwischen der jenseitigen und der irdischen Welt sich befinden und den Menschen versklaven. Der Singular Archon zur Bezeichnung des Demiurgen wird hier mit «Herrscher» wiedergegeben. Name eines weiblichen Aons, meist in hoher oder höchster Stelle. Etymologie unbekannt. Das Ungeordnete, das der Welt zugrunde liegt. (Ausgeworfene) Erde; in der Gnosis Bezeichnung des­ sen, woraus die Erde besteht. Erdenmensch. Weltschöpfer, der aber nicht im eigentlichen Sinn «Schöpfer» ist, sondern nur «Gestalter». Gedanke. Firmament, doch wurde dieser Ausdruck vermieden, da er unrichtige Assoziationen wecken kann. Gelegentlich statt Pieroma gebraucht. Grenze, nämlich zwischen der jenseitigen Welt und allem anderen. Der an der Hyle, der Materie, hängt und sich ihr hin­ gibt. Name eines Archonten, meist in der Rolle des Welt­ gestalters. Namensdeutung nicht sicher. Leere, Bezeichnung der Welt als derjenigen, die kein wahres «Sein» hat.

EINLEITUNG

Logos(pl. Logoi) Nus Parhedrien Pieroma

Pneuma Pneumatiker Prunikos Psyche

Psychiker

Sige Topos Sabaoth

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Wort, Rede, Vernunft. Ein hoher Äon. Verstand, Gedanke. Einer der höchsten Äonen. Geister, die mit dem Menschen sind. Fülle, Bezeichnung der jenseitigen Welt als derjeni­ gen, die wahres «Sein» hat. Gesamtheit der Äonen. Lufthauch, Geist. Gelegentlich wird mit dieser Dop­ pelbedeutung gespielt, vorwiegend aber «Geist». Geistesmensch, Mensch, der Geist hat oder ist. Die Geile, Name eines gefallenen Äons. Seele, meist in abwertendem Sinn im Gegensatz zum Pneumatiker. Seelenmensch, Mensch, der nicht mehr als die Seele hat. Schweigen, Name eines der höchsten Äonen. Ort, als Name des Demiurgen nicht übersetzt. Zebaoth.

Die griechische Grundlage für einige Übersetzungen Achtheit Alleinsein Einheit Eins Einzigkeit Erkenntnis Größe Grenze Heiland Leiden(schaft) Mangel Mitte Paar, Paargenosse, Paargenossenschaft Retten, Rettung Selbstvater Siebenheit Tiefe Überlegung Urgrund

AySodc«;

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