Die Germanen: Band 1 Von den Anfängen bis zum 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung [4., überarbeitete Auflage, Reprint 2022] 9783112617809, 9783112617793


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German Pages 668 [676] Year 1984

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Inhalt
I. Einleitung
II. Zur Forschungsgeschichte
III. Antike Nachrichten
IV. Die gesellschaftlichen Verhältnisse im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa vor Herausbildung der germanischen Stämme
V. Die Herausbildung der germanischen Stämme (ab etwa 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung)
VI. Die germanischen Stämme bis zum Beginn unserer Zeitrechnung
VII. Germanen und Kelten
VIII. Gesellschaftsstruktur und Verfassung der germanischen Stämme in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung
IX. Auseinandersetzungen der gentilgesellschaftlichen germanischen Stämme mit der römischen Sklavenhaltergesellschaft
X. Materielle und geistige Kultur. Stammesgebiete im 1. und 2. Jahrhundert
XI. Die wirtschaftliche Entwicklung im 1. und 2. Jahrhundert
XII. Die Gesellschaft. Entwicklung und Strukturen
XIII. Innergermanische Stammesauseinandersetzungen und Einfälle in das römische Provinzialgebiet
XIV. Der Entwicklungsstand der gentilgesellschaftlichen Produktionsverhältnisse am Ende des 2. Jahrhunderts
XV. Anhang
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Die Germanen: Band 1 Von den Anfängen bis zum 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung [4., überarbeitete Auflage, Reprint 2022]
 9783112617809, 9783112617793

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AUTORENKOLLEKTIV DIE GERMANEN • BAND I

band 4/1

VERÖFFENTLICHUNGEN des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR HERAUSGEGEBEN VON

JOACHIM HERRMANN

DIE GERMANEN Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa

Ein Handbuch in zwei Bänden Ausgearbeitet von einem Autorenkollektiv unter Leitung von B R U N O K R Ü G E R

Band I: Von den Anfängen bis zum 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung Mit 62 Tafeln, 133 Abbildungen und 3 Karten

4., überarbeitete Auflage

A K A D E M I E - V E R L A G • BERLIN 1983

Autorenkollektiv: Günter Behm-Blancke, Hansdieter Berlekamp, Peter Donat, Heinz Grünert, Fritz Horst, Horst Keiling, Achim Koppe, Bruno Krüger, Rudolf Laser, Achim Leube, Wolfgang Morgenroth, Christian Müller, Karl-Heinz Otto, Karl Peschel, Erika Schmidt-Thielbeer, Heinz Seyer, Rosemarie Seyer, Manfred Teichert, Theodor Voigt f, Volker Weber.

An der wissenschaftlichen Vorbereitung wirkten m i t : Dr. Oskar August, Dr. Dietmar-Wilfried Buck, Dr. Rolf Breddin, Dipl.-Phil. Joachim Dölle, Dipl.-Ing. Franz-Joachim Ernst, Dr. Horst Geisler, Dr. Hans-Jürgen Gomolkaf, Dr. Siegfried Griesa, Dr. Günter Guhr, Dipl.-Phil. Gisela Gustavs, Dr. H a n s K a u f m a n n , Dr. sc. Elsbeth Lange, Dr. Elmar Meyer, Dr. Detlef Müller, Dipl.-Phil. Karin Peschel, Dr. Berthold Schmidt, Dipl.-Phil. Rainer Schulz, Dr. H e r b e r t Ullrich, Dr. H a r r y Wüstemann. An der wissenschaftlich-technischen Vorbereitung wirkten m i t : Herbert Spantekow f sowie Gerda Eitner, Bernd Fischer, Charlotte Schlutow, Brigitta John, Gisela Weber (graphische Arbeiten); Klaus H a m a n n (Fotoarbeiten); Marianne Wagner, Renate Wieland, P e t r a Schumann, Sven Gustavs, Anneliese Mahn (wiss.-techn. Arbeiten). Redaktion: D a n k w a r t Rahnenführer Anneliese Mahn

Inhalt

I. Einleitung.

Von Bruno Krüger

9

II. Zur Forschungsgeschichte

III.

13

1. Allgemeine Übersicht. Von Karl-Heinz Otto 2. Zum Stand der Forschung über den Herausbildungsprozeß der germanischen Stämme. Von Fritz Horst . •

30

Antike Nachrichten. Von Rosemarie Seyer

37

1. Nachrichten zu germanischen Siedlungsgebieten bis zum Beginn unserer Zeitrechnung 2. Berichte über germanische Stammesgebiete und über die Gliederung der Germanen im 1./2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung 3. Antike Autoren zum Namen „Germanen" und zu ethnogenetischen Problemen IV.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse im nördlichen Mittel- und südlichen vor Herausbildung der germanischen Stämme. Von Fritz Horst

13

38 49 55

Nordeuropa

1. Siedlungsgebiete 2. Hausbau und Siedlung 3. Die wirtschaftliche Entwicklung a) Viehzucht und Ackerbau b) Handwerkliche Tätigkeit c) Austauschbeziehungen 4. Sozialökonomische Verhältnisse 5. Bestattung und K u l t V. Die Herausbildung der germanischen Stämme (ab etwa 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung)

64 65 66 70 70 73 74 77 79

86

1. Die Entstehung der Jastorfkultur und zeitgleicher Kulturen im Rhein-WeserGebiet und deren geographische Verbreitung. Von Horst Keiling 86 a) Hallstatt- und Latene-Einflüsse auf die gesellschaftliche Entwicklung . . 86 b) Die Siedlungsgebiete der Jastorfkultur 90 c) Thesen zur Herausbildung der germanischen Stämme 98 d) Zum Problem der autochthonen Entwicklung 102 2. Zur Herausbildung der germanischen Stämme nach sprachwissenschaftlichen Forschungen. Von Wolfgang Morgenroth 105

6

INHALT

VI. Die germanischen Stämme bis zum Beginn unserer Zeitrechnung

121

1. Die wirtschaftlichen Grundlagen (vom 6. Jahrhundert vor bis zum Beginn unserer Zeitrechnung). V o n Heinz Seyer 121 a) Haus und Siedlung. Von Fritz Horst 121 b) Erzeugung und Verwertung der Nahrungsmittel (Pflanzenanbau, Viehwirtschaft, Jagd und Fischfang). Von Heinz Seyer 126 c) Erzeugung der Gebrauchsgüter (Eisengewinnung und -bearbeitung, Bronzeverarbeitung, Töpferei, Spinnen und Weben). Von Heinz Seyer 138 d) Austausch und Handel. Von Heinz Seyer 160 2. Zur Bevölkerung aus anthropologischer Sicht (bis zum 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung). Von Christian Müller 166 a) Die Quellen 167 b) Geschlechtsaufbau und Altersstruktur 167 c) Krankheitsbelastung 171 d) Konstitution 172 e) Germanendarstellungen und Literaturerzeugnisse im Vergleich mit den anthropologischen Befunden 174 f) Moorleichenfunde (Hominidenmoorfunde) 176 g) Siedlungsgröße 178 182 3. Kult und Bestattungswesen. Von Theodor Voigt a) Der K u l t als gesellschaftliche Erscheinung 182 b) Fruchtbarkeitskult 183 c) Totenkult und Bestattungszeremonien 184 d) Bestattungsarten 188 e) Anlage und Belegungsart der Bestattungsplätze 189 4. Die regionale Gliederung der Kulturen der vorrömischen Eisenzeit — Stammesgebiete — erste Wanderungen. Von Heinz Seyer 191 a) Die Nienburger Gruppe an Weser und Aller 193 b) Die Jastorfgruppen von der Niederelbe bis zum Mittelgebirgsrand . . . . 194 c) Die Regionalgruppen der Jastorfkultur 196 d) Spuren frühgermanischer Besiedlung in Nordwestböhmen 200 e) Die Südwanderung der Kimbern und Teutonen 201 f) Die Sueben unter Ariovist am Rhein 202 5. Siedlungs- und Stammesgebiete in den Jahrzehnten um den Beginn unserer Zeitrechnung. Von Rosemarie Seyer 203 a) Siedlungsräume und Besiedlungsverlauf — Materielle und geistige Kultur 205 b) Zur germanischen Stammesentwicklung 222 VII. VIII.

IX.

Germanen und Kelten. Von K a r l Peschel

241

Gesellschaftsstruktur und Verfassung der germanischen Stämme in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung. Von Bruno Krüger und Heinz Seyer . . . . 264 Auseinandersetzungen der gentilgesellschaftlichen römischen Sklavenhaltergesellschaft

germanischen

Stämme mit der 269

1. Die römische Sklavenhaltergesellschaft in der Republik und am Übergang zum Kaiserreich. Von Volker Weber 269 a) Grundzüge der gesellschaftlichen Entwicklung bis zum Prinzipat . . . . 269 b) Der Prinzipat des Augustus. Ritterstand, Munizipalaristokratie und Militär als Stützen des Staates 272

7

INHALT

2. Römisch-germanische Beziehungen und die Angriffe des Imperiums gegen Germanien. Abwehrkämpfe germanischer Stämme und römische Germanienpolitik bis um die Mitte des 1. Jahrhunderts. Von Rudolf Laser a) Römisch-germanische Auseinandersetzungen in Gallien und am Rhein bis zu den Drusus-Zügen b) Kriegszüge des Drusus und Tiberius nach Innergermanien c) Germanischer Aufstand und Niederlage der Römer im Teutoburger Wald d) Angriffskriege des Germanicus und germanische Abwehrkämpfe. Römischer Rückzug bis zum Rhein e) Sicherung und Ausbau der Rheingrenze. Römische Einflußnahme auf benachbarte germanische Stämme 3. Der Aufstand der Bataver und die Sicherung der Reichsgrenze (Limesbau) im 1. und frühen 2. Jahrhundert Von Rudolf Laser . a) Bataveraufstand . . . . b) Römische Eroberungen zwischen Oberrhein und Donau c) Die Errichtung des Limes. Erste germanische Durchbrüche nach Rätien und Obergermanien 4. Wirtschaftliche Auswirkungen der römisch-germanischen Beziehungen. Von Rudolf Laser a) Landwirtschaft b) Technologie c) Römisches Einfuhrgut X. Materteile und geistige Kultur

Stammesgebiete im 1. und 2. Jahrhundert

. . .

276 276 278 281 284 287 290 290 297 299 305 306 310 311 .321

1

Grundzüge der materiellen und geistigen Kultur 321 a) Hausbau und Siedlung. Von Peter Donat 321 b) Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Von Achim Leube 330 c) Tracht und Schmuck. Von Achim Leube 336 d) Bewaffnung und Kampfesweise Von Achim Leube 346 e) Künstlerisches Schaffen. Von Achim Leube 355 f) K u l t und Ideologie. Von Günter Behm-Blancke 363 2 Stammes- und Siedlungsgebiete 385 a) Die nördlichen Elbgermanen und die angrenzenden Stämme bis zur Oder. Von Achim Leube 386 b) Die südlichen Elbgermanen. Von Erika Schmidt-Thielbeer 399 c) Rhein-Weser-Germanen. Von Hansdieter Berlekamp 408 d) Germanische Stämme an der Nordseeküste. Von Achim Koppe 415 XI

Die wirtschaftliche Entwicklung im 1. und 2. Jahrhundert

439

1. Die Nahrungsmittelproduktion a) Pflanzenanbau, Ernte, Speicherung und Verarbeitung Von Heinz Grünert b) Viehwirtschaft. Umfang und Bedeutung der Haustierhaltung. Von Manfred Teichert Die Betriebsweise der Viehwirtschaft. Von Heinz Grünert c) Jagd und Fischfang. Von Manfred Teichert und Heinz Grünert d) Überreste der Sammelwirtschaft. Von Heinz Grünert e) Kochsalzproduktion. Von Heinz Grünert 2 Die Gebrauchsgüterproduktion Von Heinz Grünert a) Keramikproduktion b) Eisenproduktion und Eisenverarbeitung

440 440 450 461 464 467 468 470 470 473

8

XII.

XIII.

XIV.

XV.

INHALT

c) Verarbeitung von Bunt- und Edelmetallen d) Produktion und Verarbeitung von Textilien e) Verarbeitung von Häuten und Fellen f) Holzverarbeitung g) Verarbeitung von Knochen, Geweih und Gehörn h) Verarbeitung von Stein i) Weitere Zweige der hauswirtschaftlichen Produktion 3. Austausch und Handel. Von Heinz Grünert a) Austausch- und Handelsgüter b) Formen des Austausches und des Handels c) Verkehrswege und Verkehrsmittel d) Zu Wert und Äquivalent

487 493 497 498 500 502 503 504 506 508 511 513

Die Gesellschaft. Entwicklung und Strukturen. Von Achim Leube

523

1. 2. 3. 4.

523 528 531 536

Der Die Die Die

Stamm Verfassungsorgane Sippe und Großfamilie Bevölkerungsstruktur

Innergermanische Stammesauseinandersetzungen Provinzialgebiet. Von Bruno Krüger

und Einfälle

in das

Der Entwicklungsstand der gentilgesellschaftlichen Produktionsverhältnisse des 2. Jahrhunderts. Von Bruno Krüger

römische 544 am Ende 553

Anhang

557

1. Nachweise a) Abkürzungsverzeichnis b) SigelVerzeichnis c) Quellenverzeichnis und Literaturausweis d) Ergänzung zu den Abbildungsnachweisen 2. Register a) Ortsnamen b) Personen-, Stammes- und Götternamen 3. Anschriften der Autoren

557 557 558 559 566 567 567 575 583

I.

Einleitung

Die Geschichte der germanischen Stämme in Mitteleuropa steht in engem Zusammenhang mit den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes. Kulturelle und sprachliche Traditionen aus der germanischen Frühzeit Mitteleuropas sind über mehrere Geschichtsperioden wirksam geblieben. Viele ehemalige Stammesnamen leben z. B. als Landschaftsbezeichnungen auch heute noch weiter. Der Name der Alamannen wurde bei den westlichen Nachbarn ebenso zum Synonym für die Deutschen wie der allgemeine Name der Germanen selbst. In dem Herausbildungsprozeß des deutschen Volkes sind aber auch keltische, romanische und slawische Einflüsse enthalten, wie andererseits germanisches Kulturgut und Menschen germanischer Stämme in den Herausbildungsprozeß anderer europäischer Völker Eingang gefunden haben. Der starke Anteil der germanischen Stämme an der Herausbildung des deutschen Volkes war demzufolge auch ein Gegenstand historischer Untersuchungen im Rahmen der bürgerlichen Geschichtsforschung; er war aber auch ein Quell für patriotische Schwärmerei und Begeisterung, für Nationalgefühl und schließlich auch für Chauvinismus. Nach anfänglich tastenden, bereits im Mittelalter einsetzenden Versuchen, das germanische Altertum zu erhellen, erlebte das Interesse an ihm seit dem Hervortreten und in engem Zusammenhang mit der Festigung des Bürgertums einen zunehmenden Aufschwung. Er begann mit der Renaissance, die die antike Literatur erschloß, darunter die Schriften von Cäsar, Tacitus, Ammianus Marcellinus und anderen Autoren des römischen Sklavenhalterstaates, die die wichtigsten schriftlichen Quellen zur Geschichte der germanischen Stämme bilden. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den materiellen Hinterlassenschaften der Stämme, den archäologischen Quellenzeugnissen, setzte erst im 19. Jh. ein, wo nach den Freiheitskriegen die sogenannte vaterländische Forschung an Raum gewann. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. wurde die germanische Altertumskunde mehr und mehr in den Dienst der Einigungsbestrebungen des erstarkenden deutschen Bürgertums gestellt. Da dieses jedoch seit der Mitte des 19. Jh. seine progressive gesellschaftliche Rolle verloren hatte, erhielt auch seine gesellschaftliche Betätigung besonders seit dem Übergang zum Imperialismus eine reaktionäre Funktion. Es wurde ein verzerrtes Germanenbild geschaffen, eine Art germanischer Mythos, den später der deutsche Faschismus zu einer der Grundlagen seiner Ideologie machte. Die faschistische Rassentheorie und das mit ihr eng verbundene menschenfeindliche Postulat vom „ H e r r e n menschentum", beide aus angeblichen Wesenszügen der Germanen abgeleitet, lieferten aber eine nur zu durchsichtige pseudowissenschaftliche Kulisse, hinter der der deutsche

10

EINLEITUNG

Faschismus das eigene Volk und viele Völker der Welt mit Terror und Mord überzog, unter dem ganz besonders unsere östlichen Nachbarn gelitten haben. Die historisch-archäologische Forschung in der Deutschen Demokratischen Republik fand und findet ihren Auftrag und ihre Verpflichtung darin, die inneren Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der genannten Geschichtsepoche zu untersuchen und darzustellen. Ausgehend von den Grundsätzen und Normen der sozialistischen Gesellschaft und aufbauend auf den Forschungen der Klassiker des Marxismus, die sich wiederholt mit Fragen der germanischen Geschichte sowie prinzipiell mit der Auflösung der urgesellschaftlichen Produktionsverhältnisse beschäftigt hatten, haben die Autoren das vorliegende Werk geschrieben. Als die wahrscheinlich wichtigsten Elemente bei der Herausbildung germanischer Stämme dürfen vor allem diejenigen Bevölkerungsgruppen angesehen werden, die seit der Mitte des ersten Jahrtausends v. u. Z. in den Gebieten zwischen der Weser und der Oder gelebt haben. Die Darstellung berücksichtigt aber auch die Bevölkerungsgruppen, die westlich der Weser ansässig gewesen sind und die zumindest in den Kontaktgebieten am ursprünglichen Herausbildungsprozeß der germanischen Stämme beteiligt waren. Diese Menschengruppen waren besonders für die Herkunft bzw. Herausbildung der im letzten Jahrhundert v. u. Z. im nordmainischen Gebiet überlieferten germanischen Stämme von Bedeutung. Sowohl dieser Herausbildungsprozeß, der gleichermaßen am Anfang der Untersuchung zur Geschichte der germanischen Stämme steht, als auch die sozialökonomische, politische, ideologische und kulturelle Entwicklung sind Schwerpunkte in der Darstellung. Die Triebkräfte der gesellschaftlichen Entwicklung im Rahmen der gentilen Ordnung, die besonders seit dem letzten Jahrhundert v. u. Z. und verstärkt im ersten und zweiten Jahrhundert u. Z. Tendenzen der Auflösung dieser Gesellschaftsordnung erkennen lassen, wurden unter dem Gesichtspunkt des gesellschaftlichen Fortschritts analysiert und hinsichtlich ihrer historischen Stellung und Bedeutung gewertet. Schließlich wurde auch den Beziehungen der germanischen Stämme zu ihren sozialökonomisch weiter fortgeschrittenen Nachbarn nachgegangen und deren Auswirkung auf die einzelnen Lebensbereiche bzw. auf die stammesgeschichtliche Entwicklung behandelt. Seit dem 2-/3. Jh. u. Z. festigten sich die Großstämme und Stammesverbände. Mit ihnen waren wesentliche Voraussetzungen für die späteren deutschen Volksstämme entstanden. Sowohl ihr Werdegang im allgemeinen und im konkreten als auch der gesellschaftliche Differenzierungsprozeß, der sich vorrangig in den Eigentumsverhältnissen an den Produktionsmitteln, in Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnissen sowie im Ausbau der Macht des Gentiladels ausdrückt, wurden als wichtige Faktoren dieses Prozesses teils im Detail, teils in den Grundzügen untersucht und dargestellt. Die urgesellschaftliche Ordnung löste sich vor allem bei den Franken und den Alamannen in der Auseinandersetzung mit der ebenfalls in Auflösung begriffenen römischen Sklavenhaltergesellschaft auf. Franken und Alamannen zerschlugen in weiten Gebieten westlich des Rheins und südlich der Donau die Einrichtungen des römischen Klassenstaates. Sie schufen damit sowohl für die einheimische provinzialrömische als auch für die sich in diesen Gebieten ansiedelnde germanische Bevölkerung bessere Bedingungen für den Weg zum Feudalismus. Das Frankenreich entwickelte sich in Mittel- und Westeuropa als erstes zum feudalen Staat. Unter Führung Chlodwigs aus dem Adelsgeschlecht der Merowinger, gestützt

EINLEITUNG

11

auf die militärische Stärke, die in dieser Zeit noch vorrangig aus den Aufgeboten freier Bauern und der Kampfkraft der Gefolgschaften erwuchs, richtete sich die Expansionspolitik der Franken von Anfang an auch gegen die Stämme und Stammesverbände östlich des Rheins, die in relativ kurzer Zeit unter fränkische politische Oberhoheit gerieten. Im 6. Jh. reichte die Macht der Franken bis an die Saale und Elbe, teilweise noch darüber hinaus. Mit den Auswirkungen dieser Expansionspolitik mußten sich auch einige westslawische Stämme, insbesondere die Sorben, auseinandersetzen. Mit den Ausführungen über diese Zeitabschnitte — sie sind durch die Überlieferung zahlreicher Namen und Fakten bis in die heutige Zeit hinein besser bekannt als die Frühphasen der germanischen Stammesgeschichte — schließt die Gesamtdarstellung ab. Als Beitrag zur Erforschung und Darstellung der Geschichte des deutschen Volkes behandelt das vorliegende Handbuch bevorzugt die Gebiete, die in den Ablauf der Geschichte des deutschen Volkes unmittelbar einbezogen worden sind. Um wesentliche direkte und indirekte Beziehungen zu germanischen Stämmen in historischen Sitzen zu berücksichtigen, greift es jedoch — soweit erforderlich — auf Nachbar- und Grenzgebiete über. Insgesamt ergab sich für das Autorenkollektiv die Aufgabe, für mehr als ein Jahrtausend die Geschichte der germanischen Stämme zu schreiben, ihren Anteil am allgemeinen Prozeß der Überwindung gentilgesellschaftlicher Verhältnisse, ihre Mitwirkung bei der Ablösung der römischen Sklavenhaltergesellschaft und beim Übergang zu frühfeudalen Produktionsverhältnissen herauszuarbeiten und damit auch ihren Beitrag für die Bildung des deutschen Volkes auszuweisen. Sowohl das zu behandelnde Gebiet als auch der relativ große zeitliche Rahmen machten selbst bei Konzentration auf die wichtigsten Entwicklungserscheinungen eine Teilung des Gesamtwerkes in zwei Bände erforderlich. Die seit den letzten Jahrhunderten vor Beginn u. Z. bei den germanischen Stämmen sichtbar werdenden Veränderungen der Produktionsverhältnisse leiteten die Endphase der Gentilordnung ein. Es entstanden Vorformen von neuen Produktionsverhältnissen, die in Widerspruch zum gentilen Stammeswesen gerieten. Als höhere Organisationsform bildeten sich spätestens seit dem 2. Jh. u. Z. die Stammesverbände heraus, die mit der Erwähnung der Alamannen im Jahre 213 erstmals schriftlich bezeugt sind. Damit ist eine historisch begründete Zäsur gegeben, die auch der Teilung in die beiden Bände zugrunde liegt. Der Leser wird im Band 1 die Entwicklung der germanischen Stämme bis zur ersten nachweisbaren Stammesverbandsbildung verfolgen können. Vereinzelte Ausblicke auf die weitere Entwicklung berühren dabei nur streiflichtartig das historische Geschehen im 3. Jh. Der Band 2 behandelt die Geschichte der Stammesverbände, Großstämme und Stämme bis zur Errichtung der politischen Vorherrschaft der Franken gegen Ende des 5. und im 6. Jh. Herangezogen und berücksichtigt wurden alle Quellenkategorien, die zur gesellschaftlichen Entwicklung der Stämme und zu ihrer Umwelt — hier vor allem die natürlichen Gegebenheiten der Siedlungsgebiete als Bestandteil der Umweltfaktoren mit ihren Voraussetzungen und möglichen Einflüssen auf die Entwicklung der verschiedenen Bereiche des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens — Aussagen erlauben. Von Anbeginn der Arbeiten wurde die auf den gesamthistorischen Prozeß ausgerichtete Darstellung angestrebt. Das umfangreiche Quellenmaterial ist von dieser

12

EINLEITUNG

Aufgabenstellung her gesichtet, ausgewertet und in die Darstellung mit aufgenommen worden. Eine stärker quelleneditorische Arbeit hätte nicht nur den gesetzten Rahmen gesprengt, sondern auch den Leserkreis mehr auf die Fachhistoriker spezieller Zweige eingegrenzt. Um eine möglichst allseitige Auswertung des Quellenmaterials zu gewährleisten, haben an der Textausarbeitung neben Archäologen, Althistorikern und Mediävisten auch Philologen, Rechtshistoriker, Ethnographen und Vertreter naturwissenschaftlicher Fachdisziplinen, wie Zoologen, Botaniker, Chemiker und Anthropologen, mitgearbeitet. In ihrer Arbeit wurden sie für einige Gebiete außerhalb der DDR durch Spezialuntersuchungen von Fachvertretern des Auslandes unterstützt. Detailuntersuchungen sind im Laufe der Jahre bereits in Fachzeitschriften der DDR veröffentlicht worden und vertiefen die Darstellungen im Handbuch, das jedem als Hilfe dienen möge, der sich über die gesellschaftliche Entwicklung der germanischen Stämme informieren will.

II.

Zur

Forschungsgeschichte

i.

Allgemeine

Übersicht*

Die Erforschung der Germanengeschichte hat eine bis in die Gegenwart reichende Wechsel volle Vergangenheit. Eine Beurteilung der sich auf sie gründenden Geschichtsschreibung kann davon ausgehen, daß der fragmentarische Charakter der Quellengrundlagen sowie die unterschiedlichen Aspekte und Methoden der kritischen Quellenaufbereitung bei den beteiligten Disziplinen nicht mehr und nicht weniger dazu beigetragen haben, als es vergleichsweise bei anderen frühgeschichtlichen Forschungsgegenständen auch der Fall gewesen ist. Ganz anders verhält es sich bei den weltanschaulichen und ideologisch-philosophischen Grundhaltungen der Forscher zu ihrer Zeit bzw. bei den bewußten und gezielten Axiomen politischen Charakters, mit denen man Emotionen wecken und politische Ziele verfolgen wollte. Die antike Berichterstattung über die Germanen begann mit den ersten Nachrichten des Pytheas von Massilia über seine Nordfahrt um 340v.u.Z. Im wesentlichen resultierte die Geschichtsschreibung in der folgenden Zeit jedoch vor allem aus der Auseinandersetzung zwischen den zwei grundverschiedenen Gesellschaftsordnungen angehörenden Germanen und Römern. Das bestimmte auch Inhalt und Grad der Zuverlässigkeit der Berichterstattung. Die Darstellungen waren eingeengt durch ein unzureichendes Blickfeld oder beeinflußt durch Rücksichtnahme auf die politische Situation in der antiken Klassengesellschaft, der sich Gewährsmänner und Autoren verpflichtet fühlten. Zur Zeit des sich herausbildenden Feudalismus war der Fundus griechisch-römischen Wissens über die Germanen verlorengegangen. Gebheben war die mündliche Überlieferung vergangenen Geschehens. Neben die ältere erzählende Ereignisdichtung waren Helden- und Preislieder getreten, die in der zur militärischen Demokratie fortgeschrittenen germanischen Gesellschaft und im Übergang zum Frühfeudalismus von der führenden Adelsschicht zur Verherrlichung genutzt wurden. Im 14. und 15. Jh. war es das Städtebürgertum als neue gesellschaftliche Kraft und Träger der Ideologie des Renaissance-Humanismus, das an das Erbe der Antike an* Die überwiegende Menge der Fakten, Publikationen und Auffassungen zur Germanenforschung im vorwissenschaftlichen und wissenschaftlichen Schrifttum ist von Th. Bieder 1921 —1922; 1925; von K . H . Jacob-Friesen 1928; von H. Gummel 1938 und von P. H. Stemmermann 1939 dargelegt worden; genannt sei hier außerdem nur noch H. Kirchner 1938. Vorgenannte Arbeiten werden benutzt, soweit ihre umfangreichen Angaben geeignet sind, die wesentliche Einflußnahme philosophischer, theoretischer, ideologisch-politischer bzw. weltanschaulicher A r t auf den Gang der Forschungsgeschichte durch die dort zusammengetragenen Fakten zu beleuchten.

H

FORSCHUNGSGESCHICHTE

knüpfte. Aufkeimendes nationales Selbstbewußtsein als frühbürgerlich-humanistisches Element im antifeudalen Klassenkampf gegen Adel, Kirche, Scholastik für ein einheitliches Land trug mit dazu bei, die Beschäftigung mit der Germanengeschichte in die geistigen Auseinandersetzungen dieser Zeit einzubeziehen. Das Interesse für die Vergangenheit erlebte nach der Französischen Revolution und mit dem sich durchsetzenden Kapitalismus zu Beginn des 19. Jh. einen großen Aufschwung, als die nationale Frage stark in den Vordergrund rückte. Der Kampf für nationale Unabhängigkeit fand den klassischen Humanismus und die deutsche Romantik an seiner Seite. Die Hinwendung dieser Geistesströmungen, namentlich der Romantiker, zur Geschichtsschreibung der älteren deutschen Geschichte und das Interesse für Freiheitskämpfe anderer Völker im Laufe ihrer Geschichte gaben der weiteren Erforschung der germanischen Geschichte neuen Auftrieb. Da die Romantik jedoch zugleich die feudale Konterrevolution stützte, leistete sie freilich auch nationalistischen Tendenzen Vorschub. Die zweite Hälfte des 19. Jh. brachte mit der organisierten deutschen Arbeiterbewegung die Lehre des Marxismus, den wissenschaftlichen Kommunismus, hervor. In dieser Zeit entstand jedoch auch der Imperialismus, mit dessen aggressiven Zielen offener Nationalismus und Chauvinismus ihr Haupt im Deutschen Reich erhoben. Sofern die Ur- und Frühgeschichtsforschung, speziell die Germanenforschung, anfing, sich mit dieser Ideologie zu identifizieren, artikulierte sie sich zum Beispiel mit einem solchen charakteristischen Satz: „Uns Deutsche und mit uns alle anderen Glieder germanischen Stammes kann es aber nur mit Stolz erfüllen, und bewundern müssen wir die Kraft des kleinen nordischen Urvolkes, wenn wir sehen, wie seine Söhne in Urzeit und Altertum ganz Skandinavien und Deutschland erobern und im Mittelalter über Europa, in der Neuzeit über ferne Erdteile sich ausbreiten" (G. Kossina 1896). Zu dieser Zeit hatten Karl Marx und Friedrich Engels der Arbeiterklasse mit dem dialektischen und historischen Materialismus bereits das weltanschauliche Rüstzeug im Kampf für die wahren Interessen der ganzen Nation in die Hand gegeben. In zahlreichen Schriften und in grundlegenden großen Werken — auch solchen zur konkreten Geschichte des deutschen Volkes und seiner germanischen Vorfahren — haben sie in konsequent materialistischer Auffassung programmatisch dargelegt, wie Theorie und Methodologie zur Erforschung der objektiven historischen Prozesse zu handhaben seien. Als der Imperialismus nach dem ersten Weltkrieg den Faschismus hervorbrachte, begann für die Geschichte der Germanenforschung eine Periode schwerster Belastung durch Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus in den extremsten Formen. Heute spiegeln sich in der Geschichtswissenschaft auf der einen Seite die in der modernen kapitalistischen Gesellschaft verunsicherte, jedoch diesem Gesellschaftssystem verpflichtete und in seinem Sinne wirkende Geschichtsauffassung und auf der anderen Seite die marxistisch-leninistische Geschichtsauffassung der sozialistischen Gesellschaft wider. In der Antike ist unschätzbares Wissen über die Germanen zusammengetragen worden (vgl. Kap. III „Antike Nachrichten"). Kenntnisse und Vorstellungen über die Germanen hatten für die letzten Jahrhunderte v. u. Z. einschließlich des 1. Jh. u. Z. ein erstes Bild über die Germanen ergeben. Seine bedeutendste Darstellung hat es durch Publius Cornelius Tacitus in seiner „De origine et situ Germaniae" im Jahre 98

ALLGEMEINE ÜBERSICHT

15

erfahren. 1 Verständlicherweise mußte dieses später noch erweiterte Bild lückenhaft und ideologisch-politisch gefärbt bleiben. Aus heutiger Kenntnis besteht zu Recht kein Zweifel darüber, daß es in vielen Aussagen von der Realität abwich. 2 Philosophische Auffassungen, wie die des hervorragenden Materialisten der Naturbetrachtung T. Lucretius Carus (etwa 99 bis 55 v. u. Z.)3 als auch die idealistische Weltanschauung des bedeutenden römischen Redners, Schriftstellers und Politikers Marcus Tullius Cicero (106 bis 43 v. u. Z.)4, des Ideologen der aristokratisch-republikanischen Staatsform, haben sicher Einfluß auf die antike Berichterstattung über die Barbarenvölker genommen. Ciceros der römischen Aristokratie gut bekannte und ihren Interessen entsprechende Weltanschauung einer Verachtung der Volksmassen und deren Freiheit konnte nicht ohne Auswirkung auf die historische Berichterstattung bleiben, insbesondere nicht auf politische Werke, wie z. B. Gaius Iulius Cäsars „Commentarii de bello Gallico" 5 , eine der wichtigsten Geschichtsquellen über Kelten und Germanen. Vieles in Cäsars Aufzeichnungen entspricht offizieller „Sprachregelung", abgesehen von seinem Bestreben, durch seine Darstellungen zugleich sein Handeln nachhaltig zu rechtfertigen und seine Pläne und Absichten zu verschleiern. Zu der Zeit, als das Römische Reich unter starker kaiserlicher Gewalt seine Macht entfaltet hatte (1. und 2. Jh. u. Z.), jedoch wirtschaftliche Schwierigkeiten, gesellschaftliche Widersprüche im Inneren, zugleich aber auch Schwächen des Imperiums in den Kriegen gegen Germanen und andere Barbarenvölker sichtbar zu werden begannen, erschienen in den Schriften dieser Zeit die ersten oppositionellen Stellungnahmen. Man wandte sich der fernen Vergangenheit zu und nahm Gedanken wieder auf, die bis in das 5. Jh. v. u. Z. zurückreichen und in der humanistischen Gesinnung griechischer Philosophen und Dichter ihren Ursprung fanden. Damals erkannte man die Prinzipien der klassenlosen Gesellschaft wie Gleichheit, Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Liebe, Friede, Glück, Wohlstand, Lebensfreude längst vergangener Zeiten als Aufgabe und Ziel menschlichen Handelns.6 Als Protest gegen eine als ungerecht und unmenschlich 1

2 8

4

5 6

Im Laufe des nachkarolingischen Mittelalters ging die Kenntnis seiner Schriften verloren. Im 14. —16. Jh. gelangten sie wieder ans Tageslicht. Der erste Druck erfolgte 1470, eine kritische Ausgabe wurde 1574 von Lipsius herausgegeben. R . Hachmann, G. Kossack, H. K u h n 1962, vgl. dazu Germania 42, 1964, S. 49ff.; 3 i 3 f f . Titus Lucretius Carus' unvollendetes Werk ist von Cicero herausgegeben und dadurch überliefert worden. Vgl. Menaldt, Lucretius Carus, in: Pauly-Wissowas Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Bd. 13, 2, 1927. Insbesondere „De re publica". Vgl. Th. Zielinski, Cicero im Wandel der Jahrhunderte, 4. Aufl. 1929. Gaius Iulius Caesar (100—44 v - u - Z.). Piaton (427—347 v. u. Z.) als bedeutendster Idealist der Antike entwickelte dabei in seinen Schriften über den Staat utopische reaktionäre Vorstellungen von einer aristokratischen Gesellschaft mit kommunistischer Konsumtion. Hier wird u. a. ausgeführt, daß ursprünglich kein Privateigentum existierte und Krieg im Zusammenhang mit Privateigentum und Gelderwerb entstand. Bei Aristoteles (384—322 v. u. Z.), den K . Marx den größten Denker des Altertums genannt hat, finden sich in seiner „Politik", in der er sich selbst als Ideologe mittlerer Schichten der herrschenden Klasse erweist, Verweise auf Persönlichkeiten, die einen Zusammenhang zwischen Vermögen und Aufruhr sahen und die natürliche Gleichheit der Menschen vertraten.

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FORSCHUNGSGESCHICHTE

empfundene gesellschaftliche Ordnung wurde die Vergangenheit mit „paradiesischem Leben" und „goldenem Zeitalter" identifiziert und idealisiert gepriesen: so bei Ovid (43 v. u. Z. bis etwa 18 u. Z.)7 und Vergil (70 bis 19 v. u. Z.).8 Auch das mag nicht ohne Auswirkung auf andere Autoren geblieben sein. So erinnerte Tacitus 9 an die „Sitten der Vorväter" und stellte dem verderbten Treiben in Rom die „Einfachheit der Sitten" bei den noch in der Urgesellschaftsordnung lebenden Germanen gegenüber. Fortschritte wissenschaftlicher Erkenntnis sind seit dem 3. Jh., als die Krise des Römischen Reiches einen Höhepunkt erreichte, kaum erzielt worden. Die Philosophie, jetzt ganz vom Idealismus pessimistischen und dekadenten Charakters beherrscht, inneren Problemen zugewandt und schließlich im Mystizismus versinkend, fand bis auf die Nachrichten des Dio Cassius und Ammianus Marcellinus keinen nennenswerten Niederschlag in der historischen Literatur, sofern diese sich überhaupt mit den Germanen oder anderen Barbarenvölkern befaßte. Aus der Spätzeit dieser Epoche wurde uns die Berichterstattung des byzantinischen Geschichtsschreibers Prokop (etwa 500 bis 565) über den Vandalen- und den Ostgotenkrieg Justinians I. überliefert.10 Eine Gotengeschichte von Cassiodor (etwa 49© bis 583)11 ist lediglich auszugsweise bei dem ostgotischen Geschichtsschreiber des 6. Jh., Jordanes12, erhalten, dessen 551 geschriebene Geschichte der Goten auf der später verlorengegangenen Vorlage des Cassiodor beruht. Mit dem Ende des römischen Imperiums und mit dessen endgültiger Überwindung durch den Feudalismus wandelten sich die Bedingungen, die Aspekte und Betrachtungsweisen der Geschichtsschreibung. Der fränkische Geschichtsschreiber Gregor von Tours (538 bis 594)13 steht mit seinem wichtigsten Werk, der „Historia Francorum", welches die Merowingerzeit behandelt, schon diesseits der klassischen antiken Geschichtsschreibung. Dieses Werk bildet jedoch gewissermaßen einen Nachhall römischer Art der Berichterstattung über die Germanen und gilt als die bedeutendste Quelle aus dem 6. Jh. Jedoch wird hier über germanische Stämme außer7

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Publius Ovidius Naso in den „Metamorphosen", die mit der Weltschöpfung beginnen und mit der Verherrlichung des Kaiserhauses enden. Publius Vergilius Maro in der 4., der berühmtesten seiner 10 Eklogen (Ausgewählte Gedichte). Tacitus, Germ., u. a. 18, ig, 20, 21. Prokopius, Geschichte der Kriege gegen die Perser, Vandalen und Goten, 8 Bücher; vollendet um 555. Deutsche Übersetzung des Vandalen- und Ostgotenkriegs von D. Coste, in: Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Bd. 6 und 7, 1885, 3. Aufl. 1913 und 1922. Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus bekleidete unter Theoderich und dessen Nachfolgern wichtige staatliche Ämter. Jordanes (Jordanis), vielleicht Alane, rechnete sich selbst zu den Goten. Seine auf Cassiodor beruhende Geschichte der Goten von ihrem Ursprung bis zum Sturz der Gotenherrschaft in Italien „ D e origine actibusque Getarum" wurde von Th. Mommsen in den Monumenta Germaniae histórica, Auetores antiquissimi, Bd. 5, T. 1, 1882 herausgegeben, deutsch von W. Martens. In: Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, 1884, 3. Aufl. 1913. Georgius Florentius, römischer Herkunft und seit 573 Bischof von Tours. Die Historiae Francorum libri X (auch Fränkische Kirchengeschichte oder Historia ecclesiastice oder Gesta Francorum genannt) wurden herausgegeben von Arndt, Bonnet und Krusch in den Monumenta Germaniae histórica, Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 1 (Hannover 1884 — 1885), deutsch von W. Giesebrecht. In: Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, 2 Bde., 1851, 3. Aufl. von M. Hellmann 1911.

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halb des fränkischen Gebietes, wie Friesen, Sachsen, Thüringer, wie auch später bei dem fränkischen „Fredegar" (bis 642)14, nichts Wesentliches berichtet. Im Frankenreich entstanden danach für längere Zeit keine nennenswerten historischen Schriften mehr, wenn man von der 790 verfaßten Langobardengeschichte des Paulus Diaconus (um 720 bis 799)15 absieht. Freilich flössen in Form der Aufzeichnung germanischer Stammesrechte, in überlieferten Verzeichnissen, Kapitularien, Annalen und Viten weiterhin Quellen zur Geschichte der Germanen auch nach dem 6. und 7. Jh. Lediglich einige literarische Werke schöpften im westgermanischen Gebiet aus der Geschichte germanischer Stämme oder aus germanischen Sagen. So vermittelt das spätestens um 820 im Fuldaer Kloster von einer älteren Vorlage abgeschriebene Fragment des Hildebrandliedes16 einen seltenen Einblick in die durch Individualismus, überspitzte Ehrideologie und Aristokratengesinnung geprägte moralische Grundhaltung des frühfeudalen Adels. Einen Ausschnitt sittenbildlichen Charakters zeigt auch das Waltharilied.17 Vor dem Hintergrund alamannisch-fränkischer Gegnerschaft werden germanische Freundesund Vasallentreue, unbezwingbares Heldentum hochadliger Einzelkämpfer, trotz sinnloser Verstümmelung der Kämpfenden, verherrlicht und dabei das den Christen verpflichtende Gebet für die Erschlagenen sowie die von Gott erbetene Absolution für die beteiligten Kämpfer eingeschlossen. Es dauerte lange, bis das feudale Gesellschaftssystem den mit der Auflösung und Überwindung der antiken Klassengesellschaft verbundenen Niedergang, vor allem das Verlöschen der antiken Gelehrsamkeit, überwinden konnte. Ideologie und Philosophie der Herrschenden waren schon in der römischen Kaiserzeit mit der Religion verschmolzen. Das im Feudalismus zwischen Kirche und weltlicher Macht eingegangene Bündnis hatte die Philosophie zur Dienerin von Religion und Kirche gemacht. Und die Kirche mit ihren Einrichtungen, den Kloster- und Bischofsschulen, war es auch, die auf geistigkulturellem Gebiet die Voraussetzungen für intellektuelle Tätigkeit mitbrachte, wobei die Wissenschaft ganz als Zweig der Theologie, im Geiste der Scholastik, der Unterordnung des Wissens und der Wissenschaft unter die kirchlichen Dogmen, fungierte. Geistliche Autoren beherrschten das Feld des literarischen Schaffens, einschließlich der historischen Darstellungen. Die Anknüpfung an christlicli-spätantikes Gedankengut ließ ein Interesse am Altertum und gar an der Geschichte der Vergangenheit im Gebiet 14

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Seit 1598 Name des angeblichen Autors einer bis zum Jahre 642 reichenden, zusammenfassenden allgemeinen Geschichte und der fränkischen Geschichte, die jedoch von mehreren Verfassern stammt und später bis 768 fortgesetzt worden ist. Der Fredegar gehört zu den Hauptquellen für die fränkisch-elbslawischen Beziehungen im 7. Jh. Herausgegeben von B. Krusch in Monumenta Germaniae histórica, Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 2 (Hannover 1888), in: Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Bd. 7, T. 2, 3. Aufl. 1888. Vgl. Schnürer, Die Verfasser der sog. Fredegarchronik, 1900. Paulus Diaconus, langobardischer Geschichtsschreiber, verfaßte die „Historia Langobardorum" (bis 744), nachdem er 786/787 den Hof Karls wieder verlassen und in das Kloster Monte Cassino zurückgekehrt war. Ausgabe in den Monumenta Germaniae histórica, Scriptores in usum scholarum, Sonderausgabe 1878, Neudruck 1930; deutsch von R. Jacobi 1877. Vgl. E. Erb 1963, S. 167ff. Vgl. ebenda, S. 4 1 9 f f . Germanen — Bd. 1

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nördlich der Alpen nur schwer wieder aufkommen. Die „Germania" des Tacitus ist damals offenbar nur von einem einzigen, dem Mönch Rudolf von Fulda (865 gestorben), benutzt worden.18 Erst in der zweiten Hälfte des 10. Jh. entstand wieder eine sich auf Quellen gründende historische Darstellung zur Geschichte germanischer bzw. deutscher Stämme. Im Kloster Corvey schrieb der sächsische Mönch Widukind 19 im Jahre 967 eine Sachsengeschichte. Sie ist eine der Hauptquellen zur Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen den deutschen Feudalherren und den slawischen Stämmen im 10. Jh. In der folgenden Zeit ist weiterhin germanischer Sagenstoff in die Literatur eingegangen. So wurde Anfang des 13. Jh. das Nibelungenlied zum denkmalhaften Ausdruck der Literatur der herrschenden Klasse. Zugleich fand eine solche Liedschöpfung über germanische Sagenhelden (Siegfried) offenbar auch eine aus der sich zuspitzenden Klassenlage erklärbare Aufgeschlossenheit in breiteren Schichten des Volkes vor.20 Als das Bürgertum im 14. und 15. Jh. neben den Klassen der Feudalbauern und Feudalherren in den Klassenkampf eintrat, änderten sich die Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Geschichtsschreibung. Im Zuge der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung wuchs das Interesse nicht nur an Fragen der Naturwissenschaften und der Technik, sondern auch an historischen Aufzeichnungen, Betrachtungen und Darstellungen.21 Auf gesellschaftlichem Gebiet knüpften die frühbürgerliche Kultur und die wissenschaftliche Tätigkeit wieder an das Erbe der antiken Kultur an und bemühten sich in Gegnerschaft zur religiösen Ideologie um fortschrittliches Denken. Die Beschäftigung mit den Germanen nahm nun einen Verlauf, der schließlich zur wissenschaftlichen Germanenforschung auch auf deutschem Gebiet führte. Die „Germania" des Tacitus wurde nun eigentlich erst richtig wiederentdeckt und nachgedruckt (Venedig 1470, Nürnberg 1473/74). Auch Cäsars „Bellum Gallicum" wandte man sich wieder zu. In den dreißiger Jahren des 16. Jh. traten auch die „Annalen" des Tacitus

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Vgl. A. Mennung 1925, S. 39; dazu H. Gummel 1938, S. 3. Drei Bücher sächsischer Geschichte (Widukindi monachi Corbeiensis Rerum gestarum Saxonicarum libri tres), herausgegeben von P. Hirsch und H. E. Lohmann in Monumenta Germaniae histórica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum, 5. Aufl. Hannover 1935, in: Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, 2. Gesamtausgabe, Bd. 33,

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F. Engels (1962 d, S. 166): „Träger einer der Gesellschaft entfremdeten Macht, müssen sie in Respekt gesetzt werden durch Ausnahmegesetze, kraft derer sie eine besondere Heiligkeit und Unverletzlichkeit geniessen . . . aber der mächtigste Fürst und der größte Staatsmann oder Feldherr der Zivilisation kann den geringsten Gentilvorsteher beneiden um die ungezwungene und unbestrittene Achtung, die ihm gezollt wird. Der eine steht eben mitten in der Gesellschaft, der andere ist genötigt, etwas vorstellen zu wollen außer und über ihr." Zum Nibelungenlied selbst vgl. E. E r b 1963. F. Engels (1962h, S. 533): „Das Bürgertum gebrauchte zur Entwicklung seiner industriellen Produktion eine Wissenschaft, die die Eigenschaften der Naturkörper und die Betätigungsweisen der Naturkräfte untersuchte. Bisher aber war die Wissenschaft nur die demütige Magd der Kirche gewesen, . . . kurz, sie war alles gewesen, nur keine Wissenschaft. Jetzt rebellierte die Wissenschaft gegen die Kirche; das Bürgertum brauchte die Wissenschaft und machte die Rebellion mit."

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wieder zutage, und eine Ausgabe des Vellerns Paterculus brachte 1520 Beatus Rhenanus heraus. Vieles andere ist allerdings nie wieder aufgetaucht. 22 Als Initiator der wissenschaftlichen Auswertung der taciteischen „Germania" gilt Enea Silvio Piccolomini23, der 1458 zum erstenmal nach Tacitus in einem „Germania" genannten, allerdings erst 1496 in Leipzig herausgebrachten Traktat auf der Grundlage des antiken Werkes über die Germanen schrieb. Seitdem erschienen eine ganze Reihe allgemeiner Abhandlungen und Darstellungen über die Germanen. So schrieb 1506 der Humanist und Altertumswissenschaftler Conrad Peutinger die „Sermones convivales de mirandis Germaniae antiquitatibus" 24 und Beatus Rhenanus 1531 das Werk „Rerum germanicarum libri III". 25 Sebastian Münster26 behandelte in seiner Kosmographie in den vierziger Jahren des 16. Jh. auch den Ursprung der Germanen. Auf der Suche nach Erkenntnis, wissenschaftlicher Wahrheitsfindung und Wissen reihte sich dieses Beginnen wissenschaftlicher Betrachtung der germanischen Geschichte ein in den Kampf um ein Bildungsziel humanistischer Gesinnung und in die Auseinandersetzung der für Renaissance und Humanismus eintretenden Kräfte — der „größten progressiven Umwälzung, die die Menschheit bis dahin erlebt hatte" (F. Engels 1962t, S. 312) — mit der geistigen Herrschaft der klerikalen Scholastik. Wissenschaftliche Kritik an antiken Autoren tritt z. B. bei Beatus Rhenanus und in dem einflußreichen Werk des Philipp Cluverius27, „Germaniae antiquae libri tres", aus dem Jahre 1616 sichtbar hervor. Für eine wirkungsvolle Opposition zum scholastischen Denken im Bereich der germanischen Altertumskunde war die kritische Wertung antiker Quellenschriften freilich noch zu schwach entwickelt. Es war noch ein langer Weg bis zur systematischen Sammlung von Tatsachen und deren kritischer Analyse. Das Studium der literarischen Quellen weckte in dieser Zeit bei Philologen und Historikern vornehmlich das Interesse für die Fragen des Ursprungs und der Lokalisierung der germanischen Stämme sowie an dem germanischen Sieg über die Römer

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Es ist bekannt, daß sich am Hofe Ottos III. Abschriften antiker Autoren wie Livius und Persius befanden, mit denen sich offenbar in ottonischer Zeit niemand befaßte. Enea Silvio Piccolomini (1405 —1464), 1442 Kanzleischreiber bei König Friedrich III., 1458 Papst (Pius II.). Conrad Peutinger (1465 — 1547), Sermones convivales de mirandis Germaniae antiquitatibus, Straßburg 1506; nach K.-H. Jacob-Friesen, 1928, ist es die älteste Darstellung germanischer Urgeschichte, noch ganz philologisch aufgefaßt. E r bereitete die Herausgabe einer ihm von Conrad Celtis überlassenen römischen Straßenkarte vor. Der Autor ist unbekannt. Seit ihrer Herausgabe durch K . Miller 1888 wird sie Peutingersche Tafel genannt. Beatus Rhenanus beginnt sein Werk mit der Zeit, „wo die Berührung des Germanentums mit der Römerwelt eine sichere Nachprüfung der geschichtlichen Ereignisse wie der Völkerbewegungen gestattet". Vgl. Th. Bieder 1921, S. 27t. Neben den Franken widmet er sich vor allem auch den Alamannen. 3. Buch der Weltchronik, älteste Ausgabe wahrscheinlich 1541. Vgl. V. Hantzsch, Sebastian Münster in: Abhandlungen der philologisch-historischen Klasse der Königlichen Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften Bd. 18 Nr. II, Leipzig 1898, S. 153ff., nach H. Gammel 1938, S. 11 Anm. 4. Philipp Cluverius (Philipp Klüwer, 1580—1623). Sein Werk gilt für seine Zeit als umfassendste Zusammenstellung von Material zum germanischen Altertum.

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in der Schlacht im Teutoburger Wald.28 Hier liegen in besonderem Maße die Hauptgründe für die Intentionen dieser Zeit, sich der Germanengeschichte mehr zuzuwenden. Das sich herausbildende frühbürgerlich-humanistische Weltbild einerseits sowie die Verstärkung von Elementen nationalen Charakters in Wirtschaft und Kultur andererseits, vor allem auch im antifeudalen Klassenkampf der heranreifenden frühbürgerlichen Revolution, ließen nämlich allmählich ein nationales Selbstbewußtsein erwachen. Die Hinwendung zum germanischen Altertum spielte in diesem Zusammenhang, neben den Hauptentwicklungsrichtungen der Wissenschaften und des literarischen und anderen Kunstschaffens, eine gewisse Rolle. Im 16. und 17. Jh. gibt es erste vage und oft noch unkritische Versuche, archäologische Bodenfunde und ihre Verbreitung mit den Germanen oder sogar mit der Wanderung der Kimbern in Verbindung zu bringen, so z. B. bei Georg Agricola in „De natura fossilium" 1546, bei Johann Daniel Major in „Bevölckertes Cimbrien" 1692 und bei Christoph Olearius in „Mausoleum in Museo" 1701, nachdem bereits Johannes Aventinus (1477 bis 1534) mit Hinweis auf Kastelle, Münzen und Grabdenkmäler zwischen römischem und germanischem Gebiet rechts und links der Donau unterschieden hatte.29 Archäologische Funde führten beim Vergleich mit Schilderungen Cäsars undTacitus' zu weiteren kritischen Überprüfungen der Angaben antiker Überlieferungen. Einige Autoren meinten, damit eine „Ehrenrettung der alten Deutschen" gegenüber einer vergröbernden oder unrichtigen Beschreibung von Details ihrer materiellen Kultur und ihrer Lebensweise verbinden zu müssen. So Andreas Rhode (1682 bis 1724), der zugleich forderte, man solle die Vergangenheit der alten Deutschen so erforschen, daß stets die Wahrheit zugrunde liegt.30 Neben den weltfremden Gelehrtengeist, der lange Zeit auch der Beschäftigung mit der Germanengeschichte seinen Stempel aufgedrückt hatte, war nun mit dem Bürgertum eine progressive gesellschaftlich engagierte Gelehrtenarbeit getreten, deren Schrifttum nationale bzw. patriotische Haltung erkennen läßt. Die geistige Bewegung der Aufklärung im 18. Jh., die für die Überwindung der überholten Gesellschaftsordnung vielfältig kämpfte — „Religion, Naturanschauung, Gesellschaft, Staatsordnung, alles wurde der schonungslosesten Kritik unterworfen" (F. Engels 1962 g, S. 16) —, hatte dieser Haltung entscheidende Impulse gegeben. 23

Mit Annius von Viterbo entstand erstmalig auch die Version vom asiatischen Ursprung der Germanen. Die Fälschung „Hunibald" des Abtes Trithemius (1514) enthält die Vorstellung von der trojanischen Herkunft. S. Münster (1489 — 1552) dachte an Skandinavien als germanisches Ursprungsgebiet. Mit der Lokalisierung der Varusschlacht befaßten sich u. a. Cincinnus 1539, nachdem bereits Otto von Freising Mitte des 12. Jh. dazu Stellung genommen hatte; Chronicon, herausgegeben von A. Hofmeister in Monumenta Germaniae historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum, 2. Aufl. Leipzig 1 9 1 2 ; Philipp Melanchthon 1557 in einem Germaniakommentar zu einer Ausgabe von Huttens „Arminius". Die Zahl der angenommenen Lokalitäten ist in der Folgezeit ziemlich groß geworden. 29 G. Agricola (1494 — 1555) deutet im 7. Buch seines Werkes Leichenbrandurnen als germanisch, indem er sich gegen „im Boden gewachsene Töpfe" wendet. J . D. Major (1634—1693) schloß auf Grund der Häufigkeit bestimmter Gräber auf Wanderungen der Kimbern. J . Ch. Olearius (1668 — 1747) erklärte einen Grabfund in Thüringen in gleicher Weise. Zu J . Aventinus vgl. P. H. Stemmermann 1939, S. 34. 30 A. A. Rhode 1719/20, S. 227 (2. Aufl. 1828).

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Man darf jedoch nicht übersehen, daß daneben auch erste Elemente nationalistischer Denkweise auftraten. Nicht immer läßt sich deshalb ausreichend erkennen, wo der Patriotismus endete und nationalistische Gesinnung begann. Ganz deutlich sagt es allerdings eine Vorlesung von Ewald Friedrich von Hertzberg, die er 1780 an der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin gehalten hatte. Unter dem Thema „Gründe für die Überlegenheit der Germanen über die Römer" wurden nicht nur antike Schriftsteller einseitig zur Begründung der These von den über der römischen Lebensart stehenden germanischen Tugenden interpretiert. Hertzberg stellte ausdrücklich und ganz bewußt darauf ab, einerseits jene germanischen Stämme auf den Tugendschild zu heben, die einst auf dem Territorium des Königreiches von Preußen gelebt haben sollen, und andererseits die nach der Völkerwanderungszeit einwandernden slawischen Stämme charakterlich zu diskreditieren.31 Der Nährboden dieser tendenziösen Entwicklung wurde von der bereits überlebten herrschenden Klasse des reaktionären absolutistischen Feudaladels bereitet. Großmachtdenken und glorifizierende Selbstdarstellung ließen ihre Vertreter auf diese Weise u. a. auch gegen eine tatsächlich verbreitete, durch eine engstirnige Antikerezeption hervorgerufene naiv-abwertende Vorstellung von der Geschichte und Kultur der germanischen Stämme reagieren. Diese Tendenz wurde in der Folgezeit offenkundig z. B. durch Hegel gestützt, der als Bewunderer des absolutistischen preußischen Staates die Menschheit in „psychologische" Rassencharaktere einteilte und hierbei die Deutschen als „höchste Nation" bezeichnete, ihnen das Recht zusprach, sich als ein „historisches Volk" zu bezeichnen und dieses Recht den Slawen vorenthielt.32 Insgesamt hielten sich die erreichten wissenschaftlichen Fortschritte in der Germanenforschung bis zum 18. Jh. in engen Grenzen; die Methodologie z. B. hatte kaum erste Gesichtspunkte entwickelt. Demzufolge wurden die archäologischen Quellen im wesentlichen noch mehr oder weniger spekulativ den Germanen, den Kimbern und Teutonen, und dann höchstens noch den Slawen und Römern zugeschrieben. Das änderte sich erst im 19. Jh. Der bürgerlichen nationalen Entwicklung war jetzt im Zuge der immer stärkeren Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise 31

Graf Ewald Friedrich von Hertzberg, Staatsminister und Akademiemitglied hielt diese Vorlesung auf einer öffentlichen Sitzung der Akademie am 27. 1. 1780. Unter Zugrundelegung der taciteischen Germaniakapitel 37 und 44 und unter Berufung auf Cicero, Sallust usw. wird die militärische und charakterliche Überlegenheit der Germanen (Goten, Sueben, Vandalen, Langobarden, Angeln, Rugier, Heruler und anderer) dargelegt. Ferner wird festgestellt, daß der Norden Germaniens zwischen Rhein und Weichsel, insbesondere das Gebiet des Königlichen Preußens, die ursprüngliche Heimat jener „heroischen Nationen" gewesen sei, die in der Völkerwanderungszeit das Römische Imperium zerstört und die die wichtigsten Staaten Europas begründet und bevölkert hätten. Schließlich wird ausgeführt, daß, nachdem die Germanen das zuvor beschriebene Heimatgebiet verlassen hatten, der bis dahin herrschende germanische Charakter und Geist der Tugenden, der sittlichen Kraft, der Stärke, der Energie usw. verlorengegangen und bei den Slawen zu vermissen gewesen sei, bis diese Eigenschaften mit den Deutschen nach der Zurückeroberung der Gebiete zwischen Elbe und Oder dann im 12. Jh. wieder zurückgekehrt seien. Ein Jahr später wiederholte v. Hertzberg diese Passage in einem weiteren an gleicher Stelle publizierten Vortrag zu einem anderen Thema nachdrücklichst.

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G. W . F. Hegel (1770—1831) 1821 (Philosophie des Geistes); ders. 1828.

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auch in den deutschen Territorien der Weg besser geebnet. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jh., als sich die volksrevolutionären Bewegungen verstärkten und sich die nationale Kultur, die klassische bürgerliche Philosophie, die klassische Kunst und Literatur herausbildeten, trat auch eine von revolutionär-demokratischem Sinn getragene Geschichts- und Altertumswissenschaft in Erscheinung. Ihre humanistische Grundhaltung wurde von der Erkenntnis befruchtet, daß der historische Fortschritt einen gesetzmäßigen Prozeß darstelle.33 Nationales Denken gewann im Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft und für nationale Unabhängigkeit weiter an Boden. Die großen Humanisten der Klassik Lessing, Herder, Goethe, Schiller, Kant, Fichte, Hegel, Feuerbach und Humboldt hatten die Ziele humanistischen Strebens in ihren Arbeiten formuliert. So erkannte Herder nicht nur einen Zusammenhang von Humanität und Bildung, sondern er forderte, daß Humanität und Bildung sich in den Dienst des Volkes und der Nation zu stellen hätten. Die seit Ende des 18. Jh. und in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. gegründeten Geschichts- und Altertumsvereine sahen größtenteils ebenfalls darin einen wesentlichen Aspekt ihrer Tätigkeit. Die Erforschung der Geschichte, insbesondere der germanischen, war nationales Anliegen geworden. Aber ihre Leistung bezeugen trotz Deutschtümelei, romantischer Vorstellungen und Auffassungen fortschrittlichen Optimismus beträchtliche Erweiterung des Wissens von der Geschichte und Fortschritte in der Methodik des Forschens. Die bei der Quellenkritik erreichte Qualität trug wesentlich dazu bei, daß sich die Altertumskunde in den Rang wirklicher wissenschaftlicher Forschungsarbeit erhob. Philologen, Historiker, Archäologen widmeten sich mit größeren Erfolgen der Erforschung der germanischen Geschichte. Davon zeugt z. B. das 1836 erschienene „Handbuch der germanischen Alterthumskunde" von Gustav Friedrich Klemm (1802—1867), dessen vielseitiger Inhalt die Lebensweise, das öffentliche Leben in Krieg und Frieden, die Kultur und die Religion der Germanen seit den schriftlichen Überlieferungen aus der Zeit Cäsars behandelt und in dem die archäologischen Befunde zur materiellen Kultur eine gebührende Rolle spielen. Der gleiche Autor erweist sich allerdings wenige Jahre später mit dem 1843 herausgegebenen ersten Band seines zehnbändigen Werkes „Allgemeine Kulturgeschichte der Menschheit", das in den zwei letzten Bänden Europa behandelt, als einer der Mitbegründer unwissenschaftlicher Rassentheorien, deren bekanntester Ideologe in der Mitte des 19. Jh. Arthur Graf Gobineau wurde.34 33

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Hegel vertrat die Auffassung, daß die Geschichte als ein einheitlicher gesetzmäßiger Prozeß, als eine progressive Entwicklung der Gesellschaft zu verstehen sei. Entsprechend seiner idealistischen philosophischen Position sah er jedoch diese Entwicklung von der Gesetzmäßigkeit des Geistes getragen (Hegel, Sämtliche Werke — Jubiläumsausgabe in 20 Bänden seit 1927, Bd. 11, S. 9 9 I ; vgl. I. S. K o n 1964). G. F. Klemm 1836; ders. 1843 — 1852. Im Handbuch ist im wesentlichen der vom Verfasser erkannte Stand der archäologischen Forschungen im allgemeinen und bezüglich der Germanenforschung einbezogen worden. Das Werk hat demzufolge zunächst als bemerkenswerte Leistung Anerkennung gefunden, zumal der Autor auch zur archäologischen Methode beigetragen hat. Die Allgemeine Kulturgeschichte jedoch disqualifiziert sich durch die ihr zugrunde liegende und sich in der Folgezeit als außerordentlich schwere Belastung, namentlich auch der Germanenforschung, auswirkende Irrlehre von der Un-

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Beginn und Aufstieg wissenschaftlich archäologischer Arbeitsweise liefen zusammen mit einer historischen Entwicklung, die aus den aufgezeigten Gründen dazu führte, daß man die Germanenforschung als nationales Anliegen empfand. Zugleich zeigten sich erste Deformationserscheinungen der im bürgerlichen Kampf um einen einheitlichen deutschen Staat gewachsenen nationalen Gesinnung in Gestalt nationalistischer Elemente. Und diese gingen ihrerseits konform mit der Herausbildung unwissenschaftlicher Rassentheorien, die als Rassismus dem Geist des klassischen Humanismus diametral entgegenstanden. Nationalismus und Rassismus fanden bald Eingang bei Vertretern der Archäologie. Das muß hier betont werden, weil dadurch eine theoretische Plattform vorgebildet wurde, die später der Imperialismus zu nutzen wußte und die jahrzehntelang ideologisch und politisch in ganz besonderem Maße die Forschungen zur Geschichte und Kultur der Germanen bestimmte und beeinträchtigte. Die Verbindung der historischen Forschung mit der Sprachwissenschaft bzw. mit der Philologie und mit der Archäologie wurde jetzt enger, nachdem jede dieser Disziplinen auf ihrem Gebiet Fortschritte erzielt hatte. Das gilt vor allem für die Quellenedition auf archäologischem Gebiet. Die dabei fortschreitende Systematisierung des Fundmaterials schuf auch entscheidende Vorbedingungen für eine spätere wissenschaftliche Bearbeitung archäologischer Quellen aus germanischer Zeit. Für den Bereich der historischen Wissenschaft regte Reichsfreiherr vom und zum Stein 1819 die Gründung einer Gesellschaft für Deutschlands ältere Geschichtskunde und das Unternehmen „Monumenta Germaniae histórica" an. Nicht mehr in politischen Ämtern, widmete er sich historischen Studien und nutzte die mit nationalen Emotionen verbundene ausgedehnte Beschäftigung mit dem germanischen Altertum für seinen weiteren Kampf mit dem Feudaladel.35 Die „Monumenta Germaniae histórica" sollten die wichtigste Sammlung mittelalterlicher Quellen zur deutschen Geschichte werden. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte hat dieses Werk die Germanenforschung auf eine völlig neue Grundlage gestellt. Schriftsteller, germanische Volksrechte, Kapitularien (Verordnungen der fränkischen Könige), Formelbücher aus der Merowinger- und Karolingerzeit und altgermanische Rechtsquellen wurden der Wissenschaft damit in großangelegter Weise zugänglich. Die vergleichende Sprachwissenschaft begann Anfang des 19. Jh., Sprachfamilien

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gleichwertigkeit der Rassen und Völker. K l e m m legte mit diesem Werk einen Grundstein für den den Nationalismus begleitenden und mit ihm konform gehenden Rassismus. Gobineau (1816—1882), französischer Schriftsteller, ist als einflußreichster Vertreter der feudalen Rassenideologie in die Geschichte pseudowissenschaftlicher Theorienbildungen eingegangen. In seinem Hauptwerk, Essai sur l'inégalité des races, 1. Aufl. 1835/36 (Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen) wird der Rassenkampf zur Triebkraft historischer Prozesse deklariert und damit ein wesentlicher Bestandteil der faschistischen Ideologie vorweggenommen. Vgl. K . H. Jacob-Friesen 1928, S. 30ff., der der Rassenphilosophie Klemms, Gobineaus und anderer einen Platz unter den Wissenschaften abspricht. Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757—1831), 1825 erschien der erste Band der Monumenta Germaniae histórica. Seit 1847 wurden Übersetzungen der wichtigsten Quellen in den „Geschichtsschreibern der deutschen Vorzeit" herausgegeben.

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und deren Ursprache zu erforschen.36 Die Erschließung bzw. die Rekonstruktion einer indogermanischen Ursprache spielte dabei eine besondere Rolle. Sofern es sich bei zahlreichen Linguisten um die Konzeption „Ursprache", aber nicht, wie sich später durchsetzte, um die „Grundsprache" des Indogermanischen handelte, war damit logischerweise die Frage nach der Urheimat gestellt. Man suchte sie zwischen Asien und Norddeutschland bzw. Südskandinavien. Mit dieser Sprachfamilie wurde die „Arische Völkerfamilie" identifiziert und daraus schließlich die Herkunft der Indogermanen (Indoeuropäer) aus Asien abgeleitet (s. S. 107).37 Die sich aus den sprachwissenschaftlichen Forschungen ergebende Schlußfolgerung, daß vor den Germanen eine andere Bevölkerung in Europa und auf später deutschem Gebiet existiert haben müsse, und schließlich die Erkenntnis, daß es archäologische Befunde höheren Alters aus der Zeit vor der angenommenen germanischen Einwanderung geben müsse, veranlaßte die Ur- und Frühgeschichtsforschung, sich eingehender mit Fragen der zeitlichen und ethnischen Zuordnung der archäologisch überlieferten materiellen Kultur zu befassen.38 Es wurde versucht, germanische und keltische, germanische und römische sowie germanische und slawische Funde auseinanderzuhalten. Für die von nationaler Gesinnung getragenen archäologischen und sprachwissenschaftlichen Forschungen war die germanische Vergangenheit ein Hauptgegenstand der Untersuchungen. Dabei ergab sich jedoch, daß die Germanenforschung, allerdings selbst nicht mehr frei von Elementen einer „Germanomanie", eine Auseinandersetzung mit der „Keltomanie" und der „Phönikomanie" führte. Schließlich glaubte man auch, sich gegen eine „Slawomanie" wenden zu müssen. Zweifellos waren Art und Weise der jeweils geführten Polemik oftmals von nationalistischen Einstellungen geprägt. Dieser 36

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F. Schlegel, Über die Sprache und Weisheit der Inder, Heidelberg 1808; F. Bopp, Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache, Frankfurt/M. 1816; A. Schleicher, Kompendium der indogermanischen Sprachen, Weimar 1861. Das war lange Zeit die überzeugte Auffassung führender Sprachwissenschaftler wie F. Bopp, K . Zeuß, J. Grimm. Diese Problematik stand zu dieser Zeit überhaupt auf der Tagesordnung, zumal die Archäologie im Begriff war, durch Forschungen über Europa hinaus, in den Mittelmeerraum hinein den Geschichtsraum und die zeitliche Tiefe der menschlichen Geschichte weit über den bis dahin bekannten Rahmen auszuweiten. Vgl. dazu V . G. Childe 1945, S. 2 ff. Beispiele: K . Levezow, Andeutungen über die wissenschaftliche Bedeutung der allmählich zu Tage geförderten Altertümer germanischen, slavischen und anderweitigen Ursprungs der zwischen Elbe und Weichsel gelegenen Länder, und zwar in nächster Beziehung auf ihre Geschichte, Pommersche Provinzial-Blätter 6, 1825, S. 401 ff.; F. A. Wagner, Die Tempel und Pyramiden der Urbewohner auf dem rechten Elbufer, unweit dem Ausfluß der schwarzen Elster, Leipzig 1828 (betr. archäologische Abgrenzung der Semnonen); G. C. Lisch, Andeutungen über die altgermanischen und slawischen Altertümer Mecklenburgs, Schwerin 1837; L . Giesebrecht, Über die neueste Deutung der norddeutschen Grabaltertümer, Baltische Studien 5, H. 2, 1838 (betr. Datierung der Germanen und Slawen in die Eisenzeit); J. J. A. Worsaae, Dänemarks Vorzeit durch Alterthümer und Grabhügel beleuchtet, Kopenhagen 1844 (betr. Identifizierung bronzezeitlicher Befunde mit der germanischen Bronzezeit); W. u. L. Lindenschmit, Das germanische Totenlager bei Selzen, Mainz 1848 (betr. Identifizierung von fränkischen Gräbern).

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Meinungsstreit, der schon in der ersten Hälfte des 19. Jh. begonnen hatte, half dennoch, abwegige Interpretationen zu korrigieren, irrige Auffassungen über angeblich germanischen, etruskischen, keltischen, phönikischen oder römischen Ursprung archäologischer Befunde zu beseitigen und zu richtigen Quelleninterpretationen zu gelangen. Naturwissenschaftliche Entdeckungen und Fortschritte förderten ganz allgemein solch Bemühen. In den vierziger Jahren, am Vorabend der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49, als sich industrielle Revolution und kapitalistische Produktionsweise weiter durchsetzten, begann ein grundlegendes revolutionäres Umdenken in Philosophie und Gesellschaftswissenschaft: Neben der Aristokratie und der sich als Klasse formierenden Bourgeoisie bildete sich die Arbeiterklasse heraus, und es entwickelte sich die Lehre des Marxismus auf der Grundlage des dialektischen und historischen Materialismus. 1848 erschien das programmatische Dokument der wissenschaftlichen marxistischen Weltanschauung, das „Manifest der Kommunistischen Partei" (MEW 4), das unter anderem Darlegungen zur materialistischen Geschichtsauffassung, die Begründung der gesetzmäßigen Prozesse des Übergangs von einer Produktionsweise zur nächsten und eine klassenmäßige Analyse der verschiedenen Strömungen feudalen, bürgerlichen und kleinbürgerlichen Denkens enthält. Hatte die klassische deutsche Philosophie bereits nach der Synthese der wissenschaftlichen Forschung gefragt (Immanuel Kant 1724—1804) und die innere Widersprüchlichkeit als Triebkraft der Entwicklung gelehrt sowie die Frage nach der Gesetzmäßigkeit des Geschichtsprozesses gestellt (Georg Wilhelm Friedrich Hegel 1770—1831), so wurde dieses wertvolle Gedankengut über die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens jetzt durch den Marxismus qualitativ weiterentwickelt, indem an Stelle idealistischer Ausgangs- und Grundpositionen, die die fortschrittlichen Erkenntnisse und Lehren hemmten, der dialektische und historische Materialismus zur philosophischen Grundlage wurde. Die bürgerliche Geschichtsforschung wollte auf die revolutionäre marxistische Geschichtstheorie und ihre politischen Konsequenzen zunächst mit Schweigen reagieren, bis in der zweiten Hälfte des 19. Jh. die Geschichtsschreibung selbst gravierenden Veränderungen unterlag. Offensichtlich von der marxistischen Theorie angestoßen, bezog man wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme in historische Untersuchungen ein und versuchte, Zusammenhänge zu ermitteln. Das bedeutete eine Entfernung von der traditionellen deskriptiven Geschichtswissenschaft. Hier suchte und fand jedoch die positivistische Philosophie des 19. Jh. ihr Wirkungsfeld. Einerseits förderte der Positivismus unter anderem die Systematisierung und Klassifikation historischer Quellen und Erscheinungen sowie die disziplinspezifische Methodik und überhaupt wirtschafts- bzw. gesellschaftswissenschaftliche Arbeiten. Andererseits führte diese idealistisch-philosophische Richtung zum Schematismus in der Geschichtswissenschaft und zu einer Faktologie, die die Frage nach den Ursachen der Erscheinungen und nach ihrem Wesen als unfruchtbar erachtete. Die allgemein zu verzeichnende Intensivierung der Geschichtsforschung bezog sich auch auf die archäologische Ur- und Frühgeschichtsforschung und damit die Germanenforschung. Um so gewichtiger wurden die jeweils eingenommenen geschichtstheoretischen Positionen. Aus einem forschungsgeschichtlich bedingten eingeschränkten Blickfeld heraus hatte sich in der bürgerlichen Forschung ein Europazentrismus von großer Nachhaltigkeit entwickelt. Auch Hegel vertrat die europazentristische Geschichts-

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theorie und leistete damit späteren chauvinistischen Ideen gewissermaßen Vorschub. Demgegenüber enthält „der Marxismus nichts ..., was einem Sektierertum im Sinne irgendeiner abgekapselten, verknöcherten Lehre ähnlich wäre, die abseits von der Heerstraße der Weltzivilisation entstanden ist" (W. I. Lenin 1968, S. 3). Neben der vielfach wiederholten Bezugnahme auf die deutsche Nation zwecks Förderung der deutschen Altertumskunde und der deutschen Sprachwissenschaft als „echt nationale Wissenschaftszweige" war das Germanische im literarischen Schaffen und in der bildenden und darstellenden Kunst des 19. Jh. sehr im Schwange. Für weite Kreise des Bürgertums wurde das Bild von den Germanen dadurch entscheidend mit geformt. Kleists „Hermannsschlacht" 1808, Hebbels „Nibelungen" 1862 und Wagners „Ring der Nibelungen" 1876 sind einige kennzeichnende Beispiele dafür, wie wenig bereits gewonnenes echtes Wissen über die Germanen im künstlerischen Bereich dieser Zeit verarbeitet worden war und wie sehr die Romantik das einer großen Öffentlichkeit gebotene Germanenbild weiterhin prägte. In der monumentalen Bildhauerei ist das Hermannsdenkmal bei Detmold, Kr. Lippe, (1838—1846, 1875) zum Symbol kitschiger Verherrlichung eines historisch bedeutenden Ereignisses und der Persönlichkeit des Arminius geworden.39 Nach der Niederlage der Revolution von 1848/49 klangen romantische Einstellungen ab. Die sich nun mit dem junkerlich-monarchistischen Staat für den „preußischen Weg" zur Bildung eines einheitlichen Nationalstaates verbindende Bourgeoisie wandte sich ideologisch von den früheren fortschrittlichen Traditionen des Denkens und den demokratisch-humanistischen Idealen ab. Teilweise nahm die bürgerliche Grundhaltung zu den verschiedenen philosophischen Spielarten stark reaktionäre Züge an. Bei Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844—1900) widerspiegelte sich bereits eine philosophisch fest ausgeprägte rassistische Ideologie.40 Daneben bemühten sich liberal eingestellte Vertreter der Bourgeoisie um die Wahrung der kulturellen Traditionen und um Fortschritte in der Verallgemeinerung wissenschaftlicher Erkenntnisse, oft in Gegnerschaft zum Materialismus und Atheismus. Der sich in Deutschland weit verbreitende Neukantianismus, die dem Positivismus nahestehende philosophische Ideologie vor allem der liberalen Bourgeoisie, akzeptierte für die Gesellschaftswissenschaften ausschließlich die traditionelle Beschreibung von Erscheinungen der Vergangenheit und eine Beurteilung der Ereignisse nach Gesichtspunkten der sogenannten ethischen und kulturellen „Werte". Von dem stärkeren Eindringen positivistischen Denkens in die gesellschaftswissenschaftlichen Einzeldisziplinen, insbesondere der Auffassung, die Geschichte habe es nur mit Fakten zu tun, zwischen denen kein Zusammenhang herzustellen sei, wurden 39

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F. Engels (1962 b, S. 447): „So kindisch auch das dem Arminius bei Detmold errichtete Phantasiestandbild ist . . . , so richtig bleibt es, daß die Varusschlacht einen der entscheidendsten Wendepunkte in der Geschichte bildet. Mit ihr war die Unabhängigkeit Deutschlands von Rom ein für allemal entschieden . . . sicher ist, daß ohne sie die ganze Geschichte eine andere Richtung eingeschlagen hätte." F. W. Nietzsche, ein Exponent einer der reaktionärsten idealistischen Strömungen der deutschen Bourgeoisie, wandte sich in einer Periode scharfer Zuspitzung kapitalistischer Widersprüche gegen den proletarischen Klassenkampf. Repräsentant antihumanistischer Grundhaltung, vertrat er Positionen der Herrenmoral und einer extremen rassistischen Ideologie. Durch ihn wurde der geistige Übergang eines Teils des Bürgertums in das Lager der Reaktion in der Periode des Imperialismus vorbereitet.

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auch die an der Germanenforschung beteiligten Disziplinen berührt. Die Notwendigkeit, Fakten, namentlich die archäologischen und linguistischen Quellen, für die germanische Geschichte aufzuarbeiten und zu beschreiben, förderte diese Tendenz. Sie bestimmte die Arbeitsweise des 1852 geschaffenen Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine und des zur gleichen Zeit gegründeten Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz oder der 1869 ins Leben gerufenen Deutschen Gesellschaft für Anthropologie und Urgeschichte. Derartige verdienstvollen Gründungen korrespondierten mit einer solchen Geschichtsauffassung.41 Erste grundlegende und wegweisende analytische Arbeiten mit umfassender Berücksichtigung der Fakten und der wesentlichen Aspekte einer weiterführenden Geschichtsschreibung entstanden auf der Grundlage des dialektischen und historischen Materialismus. In den achtziger Jahren entstand Friedrich Engels „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" (MEW 21, I962d, S. 25ff.). 42 Schon 1881/82 hatte Engels einige weitere Manuskripte begonnen und mehr oder weniger weit vorangebracht, die als Vorarbeiten für eine von ihm beabsichtigte Darstellung der deutschen Geschichte gedacht waren. Diese Entwürfe beschäftigten sich ebenfalls mit der Geschichte der Germanen, und zwar behandelten sie die Gesellschaftsordnung, die Auseinandersetzung zwischen Germanen und Römern, Stammesgliederung und Wohnsitze der Germanen, die Entwicklung der materiellen Kultur von der Zeit des Tacitus bis zur Völkerwanderung sowie schließlich die Entwicklung der Agrarverhältnisse in merowingischer und karolingischer Zeit und die damit verbundenen gesellschaftlichen Prozesse bei den Franken. Aus diesen Jahren stammt ferner eine unvollendet gebliebene Arbeit über den fränkischen Dialekt (MEW 19, 19626, S. 494ff.), ein erstes Beispiel für die Anwendung des historischen Materialismus auf die Sprachwissenschaft und für die Anwendung der Ergebnisse in der Frühgeschichtsforschung.43 Eine Arbeit über „Die Mark" (1882) stellt einen Ausschnitt aus grundlegenden Erkenntnissen über die Geschichte des Grundeigentums in Deutschland dar (MEW 19, 1962a, S. 315ff.). Wie weit voraus war doch diese marxistische Geschichtsbetrachtung und Geschichtsschreibung gegenüber der zeitgenössischen bürgerlichen germanischen Altertumskunde! Welch anregendes und fruchtbares Germanenbild wurde hier entwickelt, frei von nationaler Überheblichkeit, ganz zu schweigen von allen jenen ins Antihumanistische, 41

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Siehe dazu die Statuten des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz und ihre Entwicklung bis in die Gegenwart. Das Werk entstand auf Grund von umfangreichen Vorarbeiten von K . Marx in Vollführung eines Vermächtnisses. E s erschien in der ersten Auflage 1884. Kapitel V I I (S. 127ff.) behandelt speziell die Gens bei den Kelten und den Germanen, Kapitel V I I I (S. 141 ff.) die Staatsbildung der Deutschen. E s handelt sich im einzelnen um folgende Ausarbeitungen: „Cäsar und Tacitus" (F. Engels 1962b, S. 425ff.), „Die ersten Kämpfe mit den Römern", Ausarbeitungen über Fortschritte in der Zeit bis zur Völkerwanderung — ohne Titel — (ders. 1962b, S. 45off.), „Anmerkung: Die deutschen Stämme", „Die Umwälzung der Grundbesitzverhältnisse unter Merovingern und Karolingern (F. Engels 19620, S. 474ff.), „Gau und Heerverfassung" (ders. 1962 e, S. 485). Sämtliche Arbeiten sind unter dem Titel F. Engels, Zur Geschichte und Sprache der deutschen Frühzeit, als Sammelband in der Reihe Bücherei des Marxismus-Leninismus Bd. 35, Berlin 1952, erstmals in Deutschland erschienen.

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Nationalistisch-Rassistische und Chauvinistische ausartenden Denk- und Handlungsweisen. Die Frage nach der Herkunft der Germanen, der Meinungsstreit über den asiatischen oder europäischen Ursprung, blieb in diesen Jahrzehnten unbeantwortet. Für die meisten Germanisten war in der ersten Hälfte des ig. Jh. die europäische Heimat der Germanen noch völlig indiskutabel. Dennoch hatte die Auffassung vom europäischen Ursprung der Germanen nicht wenige neue Vertreter gefunden. Darunter kamen aber auch Autoren zu Wort, die, wie z. B. Wilhelm Lindenschmit, es für denkbar hielten, daß die nordwesteuropäische Bevölkerung der megalithischen Zeit den Hintergrund des Germanentums bildete und diese „sich von Norden her in die südlichen Länder verbreitete und als Grundlage der ganzen europäischen Bevölkerung diente". 44 Auch Philologen plädierten jetzt seit R. G. Latham 1851 und 186245 verschiedentlich für die europäische Germanenheimat. Die theoretische und methodologische Leistung, die speziell Friedrich Engels zur Geschichte der Germanen erbracht hatte, blieb in der offiziellen bürgerlichen Wissenschaft, sowohl bei den Archäologen als auch bei den Linguisten und Historikern, in diesen Jahrzehnten ohne Echo. Dafür aber fanden die auf der Grundlage des historischen Materialismus gewonnenen Erkenntnisse Aufnahme bei der sich organisierenden Arbeiterklasse, gerade für deren sich herausbildendes marxistisches Weltbild die Klassiker des Marxismus ihre Werke und zahlreichen weiteren Beiträge verfaßten. Die bürgerliche Germanenforschung, insbesondere die archäologischen Arbeiten zur Geschichte der Germanen, machte seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. und vor allem mit Beginn des 20. Jh. große Fortschritte, insbesondere was die Erweiterung der Quellenbasis, die Methoden der Quellenaufbereitung, ihre Systematisierung und ihre Kritik anbelangt. Seit den sechziger Jahren des 19. Jh. hatte sich in den beteiligten Wissenschaftszweigen die Vorstellung über die Ausdehnung der Germania magna verdeutlicht. Man ging den Fragen der Stämme und Völkerschaften und ihrer Wohnsitze intensiv nach.46 Zu den bereits vorliegenden Darstellungen über einzelne Germanenstämme trat eine größere Zahl weiterer hinzu. Den ersten umfassenden Versuch, das frühgermanische Siedlungsgebiet in erster Linie aus archäologischen Quellen zu erschließen, hat Gustaf Kossinna 1885 unter44

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W. Lindenschmit, Archiv des Hennebergischen altertumsforschenden Vereins 4. H e f t 1842. Wenige Jahre später wurde in einer weiteren Schrift der Raum von der Donau bis nach Skandinavien als engere Heimat der Germanen bezeichnet, um den herum halbgermanische Stämme angenommen wurden. Vgl. Th. Bieder 1922, S. 32. Z. B. R. G. Latham, Ausgabe der „Germania" 1851, Elements of comparative philology, 1862. Für F. Engels war die Frage nach der ursprünglichen Heimat der Germanen nicht das Wesentlichste. E r folgte der damals herrschenden Lehrmeinung der führenden Sprächwissenschaftler und nahm an, daß die Germanen mit den Ariern, Griechen, Latinern, Skythen und Kelten bis zur Mitte des letzten Jahrtausends v. u. Z. eingewandert seien. K . Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde, 1. Lieferung 1880, gliederte im 3. Band des Werkes die germanischen Stämme in Ost- und Westgermanen. Die Behandlung des germanischen Gebietes erfolgte für den R a u m zwischen Rhein und Weichsel (seit K . Zeuß 1837). Die älteste West- und Südgrenze wurde mit einer Linie von der Rheinmündung über das norddeutsche Tiefland zum Erzgebirge und von dort über Nordböhmen und Nordmähren bis zu den Weichselquellen verlaufend angegeben (R. Much 1887, S. i54ff.).

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nommen. 4 ' Er umschrieb diesen Raum: Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Jütland, Dänische Inseln und Südschweden. Dieser Versuch und sein Ergebnis bestimmten bis in die Mitte des 20. Jh. die Arbeitsweise, die Konzeption der Interpretation der archäologischen Befunde und die weltanschauliche Umsetzung der Erkenntnisse bei einer großen Zahl von Ur- und Frühgeschichtsforschern, ganz besonders aber bei den sich mit der Germanengeschichte befassenden Archäologen. Für die deutsche Forschung ist es daher außerordentlich tragisch, daß der bei Kossinna unverkennbare Ansatz zu einer archäologisch-historischen Forschungsweise durch ihn selbst mit Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus verbunden und damit die Germanenforschung ein Mittel für die imperialistische Politik und schließlich für die faschistische Ideologie wurde. Kossinnas Kritiker konnten nur bis zur Machtübernahme der Faschisten bestehen.48 Kossinnas archäologische Arbeiten führten bald zu der uneingeschränkten Behauptung einer ungestörten Entwicklung des germanischen Ethnos seit dem Mesolithikum, wobei Südskandinavien, Dänemark und Schleswig-Holstein seit dem Spätneolithikum als „rein germanischer Boden" galten. Bezeichnenderweise trägt das meist verbreitete Buch Kossinnas den Titel „Die deutsche Vorgeschichte, eine hervorragend nationale Wissenschaft", Würzburg 1912 (7. Auflage Leipzig 1936). Der Grundtenor in den Veröffentlichungen Kossinnas und seiner großen Anhängerschaft blieb immer der gleiche, wie Kossinna ihn bereits in seinem Kasseler Vortrag 1885 formuliert hatte (vgl. Zitat S. 14). Gewissermaßen das Fazit dieser Periode der archäologisch-historischen Germanenforschung bis zum Ende des zweiten Weltkrieges liegt in der vom faschistischen „Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte" und von dem sogenannten „Reichsamt für Vorgeschichte der N S D A P " initiierten und von Hans Reinerth herausgegebenen „Vorgeschichte der deutschen Stämme", Leipzig/Berlin 1940 in drei Bänden vor. Zur Erinnerung und zur Abschreckung seien die ersten Zeilen dieses Werkes als Dokument üblen imperialistisch-faschistischen Zeitgeistes zitiert: „Die deutsche Vorgeschichtsforschung hat den überzeugenden Beweis erbracht, daß die Quelle der höheren Gesittung Alteuropas, der Ursprung seiner großen kulturellen und politischen Erfolge, im Norden liegt. Von dort, vom Gestade der Ostsee, aus dem Herzen Deutschlands, sind nach dem untrüglichen Ausweis der Bodenfunde die Nordvölker, die die Sprachwissenschaft die Indogermanen nennt, im 3. Jahrtausend v. d. Z. ausgegangen. Überall im neugewonnenen Lande wurden sie zu Kündern nordischer Art und Gesittung, überall, am Ozean im Westen, am sonnigen Mittelmeer und in den Steppen Asiens, erkämpften sie nordischem Denken, nordischer Sitte, Technik und Kunst Aufstieg und Raum. Jahrtausende haben ihre Taten nicht auszulöschen vermocht. Je näher aber die neuen Völker Europas der alten Heimat saßen, um so kraftvoller und artreiner war ihr Wirken." Diese Bände spiegeln zugleich einige geschichtsphilosophische und politische Grundzüge der imperialistischen Epoche wider: die chauvinistische Irreführung der Bürger, 47

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G. Kossinna (1858 — 1931), Die vorgeschichtliche Ausbreitung der Germanen in Deutschland (Vortrag auf der 26. Versammlung der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft am 9. 8. 1885 in Kassel), Zschr. des Vereins für Volkskunde 1896. Die Kritik setzte fast ausnahmslos lediglich bei der Methodendiskussion an. Eine rechtzeitige politische, ideologische Distanzierung von der offen politischen Tendenz aller wesentlichen Arbeiten Kossinnas erfolgte nicht, es sei denn, daß hier und dort der Vorwurf falsch verstandenen Patriotismus laut wurde.

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das System der imperialistischen Konzeption auf allen Gebieten des geistigen Lebens der Bourgeoisie in Deutschland, den negativen Einfluß des Neopositivismus und der Phänomenologie auf die Wissenschaft. Daß man von der marxistischen Geschichtstheorie Kenntnis nahm und sich mit ihr auseinandersetzte, kam wohl verschiedentlich bei Historikern, jedoch noch nicht bei den Ur- und Frühgeschichtsforschern vor. Nach dem zweiten Weltkrieg und nach der Entstehung von zwei deutschen Staaten verlaufen die Entwicklung der Gesellschaftswissenschaften und mit ihr auch die der Ur- und Frühgeschichtsforschung unterschiedlich. In der DDR kann sich die Geschichtsforschung auf der theoretischen Grundlage des historischen Materialismus ungehindert und voll entwickeln. Die Erkenntnis, daß der historische Materialismus die einzige Geschichtsmethodologie ist, die es ermöglicht, Analysen und Synthesen, Verallgemeinerung und Beschreibung, Gesetzmäßigkeit und Zufälligkeit bei der Aufhellung historischer Prozesse zu berücksichtigen und richtig miteinander zu verbinden, bestimmt die wissenschaftlichen Arbeiten auch in der Urund Frühgeschichtsforschung, im Detail, in den Vorlaufforschungen und in den analytischen Arbeiten. Auch die archäologische Germanenforschung bemüht sich, die Vergangenheit nicht als eine Aufeinanderfolge oder ein Nebeneinander existierender Kulturen, sondern als einen dynamischen, gesetzmäßigen, primär auf sozialökonomischen Vorgängen basierenden gesellschaftlichen Prozeß zu erfassen. Die Geschichte der Kulturen wird als Bestandteil der sozialökonomischen Geschichte und nicht umgekehrt erforscht. 2.

Zum Stand, der Forschung über den Herausbildungsprozeß der germanischen Stämme



Ein Anliegen bei der Erforschung früher ethnischer Gemeinschaften ist die Klärung ihrer Entwicklung zu selbständigen gesellschaftlichen Einheiten mit ihren jeweiligen Besonderheiten. Wiederholt ist von den in Frage kommenden Wissenschaftsdisziplinen (u. a. Sprachwissenschaft, Anthropologie und Archäologie) auch zum Herausbildungsprozeß der germanischen Stämme Stellung genommen worden, ohne daß bisher umfangreichere Ergebnisse vorliegen, die ein der historischen Realität nahekommendes und durch sichere Belege gestütztes Bild der einstmaligen Entwicklung widerspiegeln. Das ist vor allem auf die vielgestaltigen Schwierigkeiten zurückzuführen, die sich der Aufhellung der seinerzeit verlaufenden Prozesse entgegenstellen. Für die Darstellung des Herausbildungsprozesses der germanischen Stämme gibt es Quellen unterschiedlicher Art. Dabei handelt es sich in erster Linie um sprachliche und archäologische Hinterlassenschaften. Die bisher vorliegenden, in ihren Ergebnissen vereinzelt auch divergierenden Forschungsergebnisse zum Herausbildungsprozeß der germanischen Stämme sind Bestandteil der bürgerlichen Forschung, die hierzu beachtenswerte Arbeiten beigesteuert hat. Auch der neueste Forschungsstand wird durch sie bestimmt, weil von der materialistischen Geschichtsauffassung getragene Untersuchungen zu diesem Problem bisher nicht vorliegen. Mit der Erforschung der indoeuropäischen Sprachfamilie sind vielfach auch Fragen der germanischen Altertumskunde erörtert worden. Nach dem derzeitigen Forschungsstand gehört das Germanische zur Westgruppe des Indoeuropäischen, geographisch

ZUM HERAUSBILDUNGSPROZESS DER GERMANISCHEN STÄMME

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also in das europäische Gebiet, in dem sich auch die Herausbildung der germanischen Stämme vollzogen haben muß. Die neuesten Forschungen hierzu grenzen diesen Raum auf das norddeutsch-dänische sowie südschwedische und südnorwegische Gebiet ein. Es gab jedoch auch Versuche, denselben Bereich auf Nordeuropa (sogenannte „nordische" Theorie) zu beschränken. Dem standen Ansichten, die vereinzelt auch heute noch vertreten werden, von einer südosteuropäischen Herkunft gegenüber. Seit die Sprachgeschichte „mit sprachlichem Material und mit der Methode sprachvergleichender Grammatik historische Stammeskunde treibt", bietet sie ein wichtiges „Beurteilungsmittel" für die Umreißung „sprachlich-ethnischer Gemeinschaften" (G. Kossack, in: Hachmann, R. u. a. 1962, S. 71). Die Sprachgemeinschaft gibt nach R. Wenskus (1961, S. 93) den Rahmen ab, in dem „sich ein Ethnos oder auch mehrere nebeneinander entwickeln können". Die Feststellung der regelmäßigen Veränderung der germanischen Verschlußlaute, als erste germanische Lautverschiebung bezeichnet (s. S. 112f.), versetzt die Sprachwissenschaft in die Lage, den Vorgang der Absonderung der germanischen Sprache aus der indoeuropäischen Sprachfamilie nachzuzeichnen. Auf der Grundlage von verschobenen alteuropäischen Gewässernamen kann das Gebiet umrissen werden, in dem sich die sprachliche Absonderung germanischer Bevölkerungsgruppen/Stämme von den Nachbargemeinschaften vollzog. Während die Ausdehnung der von der Lautverschiebung erfaßten Gebiete in den vorstehend genannten Territorien mit einiger Sicherheit nachzuweisen ist, konnte die Frage nach dem Beginn dieses für die germanische Geschichte so wichtigen Prozesses immer noch nicht befriedigend beantwortet werden. Die Sprachwissenschaft selbst kann dazu keinen begründeten Beitrag liefern. Man griff deshalb auf die chronologisch besser fixierten Quellen der archäologischen Forschung zurück, ohne daß eine sichere Koordinierung von sprachwissenschaftlicher und archäologischer Quelle möglich ist. Weitgehende Übereinstimmung besteht jedoch darin, daß sich dieser Vorgang in der zweiten Hälfte des letzten Jahrtausends v. u. Z., während der vorrömischen Eisenzeit, vollzog. Vereinzelt wird erwogen, ob die Tenues-Verschiebung nicht doch in ältere Zeiten, vom archäologischen Quellenmaterial her betrachtet, in die jüngere Bronzezeit zurückzuverlegen sei (H. Birkhan 1970, S. 103, I07f.). Der hypothetische Charakter derartiger Aussagen Hegt auf der Hand. Es verwundert deshalb nicht, wenn ihnen gegenüber große Skepsis entgegengebracht wird. Andererseits wird aber eingeräumt, daß „manche kulturelle, politische und ethnische Überlieferung aus dieser Zeit in das Germanentum hineinragen mag." Trotzdem habe die nordische Bronzezeitkultur „noch keinen ausgesprochen germanischen Charakter" besessen (R. Wenskus 1961, S. 254). Während Raum und Zeit der Herausbildung germanischer Sprache bzw. Stammesdialekte Gegenstand bevorzugter Forschungen waren, wurde die Frage nach den Ursachen bzw. nach den Triebkräften für die Herausbildung germanischer Stämme entweder mit untergeordneter Bedeutung oder gar nicht gestellt. Erst in Arbeiten aus jüngerer Zeit, zu denen nun auch solche von Vertretern der materialistischen Geschichtsauffassung geschriebene gehören, wurde dieser wichtigen Seite der Germanenforschung mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Die Bedeutung der ökonomischen Verhältnisse, die im vermutlichen Herausbildungszeitraum durch die Verschlechterung der Großklimalage mitbestimmt wurden, war für K.-H. Otto (i960, S. 105) Anlaß, auf Bewegungen hinzuweisen, die die „engen Kontakte zwischen den Stämmen ausgelöst

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haben". Andererseits wurden aber auch Zweifel darüber geäußert, die Ursachen in erster Linie im ökonomischen Bereich suchen zu wollen. J. Herrmann (i960, S. 1446) hat sich z. B. für primäre Anstöße zur Herausbildung aus den politischen Verhältnissen heraus ausgesprochen. Eine ähnliche Ansicht vertrat nur ein Jahr später R. Wenskus (1961, S. 253ff-)Das auf sprachwissenschaftlichem Weg umrissene Entstehungsgebiet der germanischen Dialekte ist weitgehend mit dem Siedlungsraum der Bevölkerung der Jastorfkultur (s. S. 90ff.) identisch. Es ist also nicht verwunderlich, wenn Vertreter der sprachwissenschaftlichen Forschung in diesem Gebiet auch die Herausbildung der germanischen Stämme lokalisieren und diese als germanisch bezeichnen. Aber auch im Falle der Koordinierung der Quellen dieser beiden verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen muß nochmals darauf hingewiesen werden, daß es keine ausreichenden Kriterien gibt, um das Verhältnis zwischen Sprachgebiet und archäologisch erschlossenem Kulturgebiet eindeutig festzustellen. In diesem Zusammenhang machte H. Jankuhn (1970, S. 58) darauf aufmerksam, daß eine „archäologische Kulturprovinz" einerseits nicht mit einer „Sprachprovinz" identisch zu sein braucht bzw. zum anderen eine „archäologische Kulturprovinz" mehrere sprachlich unterschiedliche ethnische Gemeinschaften umfassen kann. Außerdem muß man damit rechnen, daß sich eine sprachlich abgrenzbare ethnische Gemeinschaft über das Gebiet mehrerer „archäologischer Kulturprovinzen" erstrecken kann. Sicher scheint dagegen zu sein, daß die Sprache auf das engste mit der Formierung stabiler Gemeinschaften „auf einem bestimmten Territorium, mit einem gemeinsamen Wirtschaftsleben und mit einer für diese Gemeinschaft charakteristischen Kultur" verbunden war (K.-H. Otto 1964, S. 48). Was nun die Konsolidierung der entsprechenden Bevölkerungsgruppen im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa zu germanischen Stämmen anbetrifft, handelt es sich bei diesem Prozeß nach den neuesten Darstellungen nicht um Ergebnisse von „Bewegungen mit Eroberungscharakter" aus dem Siedlungsgebiet der Jastorfkultur. So ist nach R. Wenskus (1961, S. 584) möglicherweise auch mit einem „Zusammenwachsen" von Bevölkerungsgruppen zu rechnen, das sich auf der Grundlage eines „Wechsels in der (ethnischen, d. Verf.) Selbstzuordnung", verbunden mit einem „Sprachwechsel", vollzogen haben könnte. Aus der Gesamtproblematik des Forschungsstandes und der einleitend umrissenen Quellensituation ergibt sich aber, daß auch diese Ansicht quellenmäßig nicht gestützt werden kann. Neben der Sprachwissenschaft war und ist besonders die Ur- und Frühgeschichtsforschung an der Lösung dieses Entwicklungsabschnittes der germanischen Geschichte beteiligt. Ausgehend von der Überzeugung einer Siedlungskonstanz von der ausgehenden Steinzeit bis zur ersten schriftlichen Erwähnung germanischer Stämme durch antike Geschichtsschreiber (s. S. 37ff.) hielt man jahrzehntelang die Herausbildung der germanischen Stämme für das Ergebnis eines sog. Verschmelzungsprozesses der Träger der „nordischen Megalithbevölkerung" mit den „Einzelgrableuten". Weiter wurde gefolgert, daß die „einheitliche Volkswerdung der Germanen mindestens um das Jahr 1200" v. u. Z. abgeschlossen gewesen war. Die nordische Bronzezeitkultur wurde damit zur offenkundigen Quelle für alles Germanische der folgenden Jahrhunderte erklärt und ausgewertet. Diese Ansicht bekam in den dreißiger Jahren den Charakter einer offiziellen Lehrmeinung. Noch heute werden diese Ergebnisse der Forschungen der zwanziger und der dreißiger Jahre von anderen Wissenschaftsdisziplinen zur Stützung

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der eigenen Forschungen herangezogen, wie das beispielsweise aus der 1956 veröffentlichten Arbeit „Zur germanischen Stammeskunde" von E. Schwarz und auch aus dem Beitrag von C. J . Hutterer in der kleinen Enzyklopädie „Die deutsche Sprache" (1969) hervorgeht. In der Nachkriegsforschung war eine Art Resignation Ursache für die starke Zurückhaltung gegenüber dieser Problematik. Die Forscher bevorzugten mehr „den Bereich rein antiquarischer Untersuchungen" (R. Hachmann 1970, S. 177). Erst mit dem Erscheinen der Arbeit von R. Wenskus (1961) lebte die Diskussion um die methodischen Grundlagen der Ethnogeneseforschung wieder auf. Weitere kleinere und auch größere Arbeiten bürgerlicher Forscher schlössen sich an (R. Hachmann—G. Kossack—H. Kuhn 1962; H. Jankuhn 1970; R. Hachmann 1970). Die Ansicht, daß im Laufe der vorrömischen Eisenzeit die Herausbildung der germanischen Stämme erfolgte und daß zumindest die Träger der Jastorfkultur, vor allem auf Grund der sprachlichen Belege, Germanen waren, hat sich im letzten Jahrzehnt sowohl in der bürgerlichen als auch in der marxistischen Ur- und Frühgeschichtsforschung gefestigt. Unterschiedliche Auffassungen gibt es jedoch immer noch über die Herausbildung der Jastorfkultur. Der These von der Einwanderung ihrer Träger, also der Germanen — insbesondere mit dem Namen des Archäologen G. Schwantes verbunden—, stand und steht in immer stärkerem Maße die Auffassung von der autochthonen Herausbildung gegenüber.49 Auf der Grundlage eines mangelhaften Forschungs- und Bearbeitungsstandes für den Zeitraum der jüngeren Bronze- bzw. vorrömischen Eisenzeit im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa folgerte G. Schwantes (1950 und 1955), daß die Träger der Jastorfkultur aus dem skandinavischen Bereich eingewandert sein müßten (sogenannte „Jastorfstörung"). Aber auch er kam nicht umhin, die weitgehenden Übereinstimmungen in der materiellen und geistigen Kultur zwischen der jüngeren Bronzezeit und der eisenzeitlichen Jastorfkultur zu erwähnen. Aus diesem Grunde hält er „Volkseinbrüche" aus anderen Gebieten auch für unwahrscheinlich (G. Schwantes 1955, S. 100). Für derartige Ansichten lassen sich keine Belege beibringen. Das trifft auch für die Theorie des 49

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Diese Auffassung wird durch die Forschungsergebnisse zahlreicher polnischer und sowjetischer Sprachwissenschaftler, Historiker und Archäologen gestützt: Im Zusammenhang mit der Erforschung der Herausbildung der slawischen Stämme wird allgemein angenommen, daß sich die „Urslawen" gemeinsam mit den „Urbalten" am Ende des Neolithikums von der indoeuropäischen Sprachgemeinschaft abzusondern begannen („balto-slawische Gemeinschaft"). Die Aufspaltung dieser Gemeinschaft soll sich dann in der Bronzezeit, wobei überwiegend das 2. J t . v. u. Z. in Betracht gezogen wird, vollzogen haben. Als Siedlungsgebiet der „urslawischen" Stämme wird der Raum zwischen Oder und mittlerem Dnepr angegeben. Dieser Bereich entspricht in etwa den Wohngebieten der Stämme des östlichen Bereiches der Lausitzer Kultur, der sich durch Unterschiede in der materiellen und geistigen Kultur vom westlichen Verbreitungsgebiet der Lausitzer Kultur abhebt. Zu den zeitgenössischen Nachbarn der „Urslawen" gehörten u. a. „urthrakische", „urkeltische" und „germanische" Stämme. Auf sprachlichem Wege wurde dabei erschlossen, daß sich im Nordwesten des „urslawischen" Siedlungsgebiets, also westlich der Oder, die Wohnsitze der germanischen Stämme befunden haben müßten (A. Gardawski 1968; W. Hensel i960, 1964, 1968, 1971, 1973, 1974, 1978; J . Kostrzewski 1965; T. Lehr-Splawinski 1963; H. iowmianski 1963; St. Rospond 1968). Germanen — Bd. 1

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FORSCHUNGSGESCHICHTE

Forschers A . L e y d e n (1957, S. 270H.) zu, der einen kulturellen Bruch zwischen der jüngeren Bronze- und vorrömischen Eisenzeit voraussetzt, mit dem „Eindringen" der Jastorfkultur auf dem E l b w e g rechnet und annimmt, daß im Zusammenhang damit „wahrscheinlich auch neue Menschen eingewandert" sind. Das gilt aber auch für die Auffassungen von G. Hermes (1937, S. I05ff.) und H. Rosenfeld (1961, S. 20), die einen „abrupten A b b r u c h " der jungbronzezeitlichen K u l t u r zu erkennen * glauben und als Ursachen dafür „völkische Auseinandersetzungen" verbunden mit der Einwanderung „neuer kriegerischer Scharen" ansehen. Das Problem der autochthonen Herausbildung der Jastorfkultur, das die Ablehnung der Einwanderungsthese beinhaltet, hat besonders in den letzten Jahren die Forschung stärker beschäftigt. Zahlreiche Untersuchungen auf jungbronze- bzw. eisenzeitlichen Fundplätzen sowie die intensive Bearbeitung bereits vorliegenden Quellenmateriäls haben zahlreiche weitere Belege für die autochthone Entstehung der Jastorfkultur erbracht (vgl. S. i02ff.). In der vorliegenden Darstellung der Geschichte und K u l t u r der germanischen Stämme wird von dieser neuen, sich auf eine immer breitere Quellenbasis stützenden Ansicht der autochthonen Herausbildung der germanischen Stämme ausgegangen. Aus diesem Grunde erfolgt auch die Einbeziehung der jüngeren Bronzezeit in die Untersuchungen über den Herausbildungsprozeß germanischer Stämme.

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FORSCHUNGSGESCHICHTE

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III.

Antike Nachrichten1

Die archäologischen Quellen zur Geschichte und Kultur der germanischen Stämme werden durch die antiken Berichte wesentlich bereichert. Ohne diese Überlieferung könnte für die frühe Zeit nur „namenlose" Geschichte geschrieben werden; wir wüßten nichts von „Germanen" und ihren Einzelstämmen. Die Abgrenzung der Siedlungsgebiete germanischer Stämme mit Hilfe archäologischer Funde allein stößt noch immer auf große Schwierigkeiten. Erst die Verbindung siedlungsarchäologischer Ergebnisse mit den Nachrichten und deren mitunter retrospektiver Auswertung läßt hoffen, bei dem Problem der Lokalisation germanischer Stämme weiterzukommen. Schon lange hat sich die Forschung mit den antiken Schriftzeugnissen beschäftigt. 2 Bei der Auswertung dieser Berichte ist eine Prüfung ihres Charakters bzw. eine intensive Quellenkritik von besonderer Wichtigkeit (s. S. 13, 15L). Die letzten Jahrhunderte v. u. Z. zeigen uns den langsamen Niedergang der griechischen Staaten und den Aufstieg des Römischen Reiches. Wissenschaftliche Traditionen der Griechen wurden vielfach von den Römern aufgenommen und weitergepflegt; dabei bediente man sich nicht selten ethnographischer Klischees. Doch kaum ein antikes Zeugnis erhellt jenes Gebiet, in dem sich nach dem heutigen Stand der Forschung die Herausbildung der germanischen Stämme vollzogen haben muß. Da alle Berichte über diese zunächst Zufallskenntnisse vermitteln und in der Regel nur Bestandteil von Darstellungen zur römischen Geschichte sind, ist auch eine eingehende Stellungnahme antiker Autoren zu ethnogenetischen Vorgängen bei den germanischen Stämmen kaum zu erwarten. Nur die „Germania" des Tacitus bietet einige Hinweise. Doch liegt für Tacitus der Zeitraum der Herausbildung der Germanen schon sehr weit zurück. Zur Zeit der Kimbernkriege (Ende 2. Jh. v. u. Z.), die eine neue Epoche mit langdauernden Kämpfen zwischen Römern und Germanen einleiteten, wußten die Römer vermutlich noch nichts von den ethnischen Unterschieden zwischen „Germanen" und Kelten. Diese Erkenntnis schien sich erst im Laufe der ersten Hälfte des 1. Jh. v. u. Z., besonders seit Poseidonios und dann seit Cäsar durchzusetzen. Bis dahin kannte man ganz allgemein nur Skythen im Norden, Kelten bzw. Gallier im Westen. 1 2

Zu den antiken Berichten vgl. die Zusammenstellung S. 559ff. Vgl. hierzu u. a. O. Bremer 1904; C. Woyte 1922; Th. Bieder 1921, 1922; J . Buehler 1922; R. Much 1920, 1925, 1937, !9Ö7; W. Capelle 1937 u - *939; S. Gutenbrunner 1936 u. 1939; Th. Steche 1937 u. 1942; E . Nack 1963; E. Schwarz 1956 u. 1967; R. Seyer 1968; H. Jankuhn, Kommentare zu Much 1967.

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ANTIKE NACHRICHTEN

Die militärischen Auseinandersetzungen, insbesondere in den Jahrzehnten um den Beginn u. Z., verfolgten das Ziel, die Reichsgrenze bis zur Elbe vorzuschieben, wodurch vorübergehend bestimmte germanische Stämme in den römischen Machtbereich einbezogen wurden. Auf Grund dieser Tatsache sowie durch germanische Söldner und durch die Beziehungen, die germanische Adelige mit den Römern aufnahmen, war die Möglichkeit gegeben, die Germanen und ihr Land nun besser kennenzulernen. Nachdem die Römer trotz zahlreicher kriegerischer Versuche (s. S. 2y6ff.) das Ziel, die Gebiete bis zur Elbe unter ihre Oberhoheit zu bringen, aufgeben mußten und sich nach dem Jahre 16 im wesentlichen mit einer Defensivstellung an Rhein und Donau begnügten, fanden sie jedoch auch weiterhin Mittel und Wege, die innergermanischen Verhältnisse zu beeinflussen. Sie nutzten Zerwürfnisse zwischen den Stämmen aus, bewirkten an den Grenzen Umsiedlungen und schufen Klientelverhältnisse zu einigen Stämmen (vgl. z. B. E. Schwarz 1967, S. 11). Aber bereits mit dem Bau des obergermanischen Limes um das Jahr 83 (s. S. 288) und der damit verbundenen Beschränkung auf diese Linie wurden die Berichte wieder spärlicher.

1.

Nachrichten zu germanischen unserer Zeitrechnung

Siedlungsgebieten

bis zum

Beginn

Die erste Quelle über mittel- und nordeuropäische Gebiete sind Herodot und die Beschreibung des Pytheas von Massilia3 über seine Reise nach dem Norden in der zweiten Hälfte des 4. Jh. v. u. Z. (Abb. 1). Eine Grenze zwischen Kelten und Skythen im Norden hat als erster Pytheas unterschieden und Nachrichten über später als germanisch erkannte Gebiete und deren Bewohner übermittelt. Er kannte die Bezeichnung „Germanen" noch nicht, sondern sprach von Skythen, die das ganze Gebiet nördlich und östlich von Gallien bewohnten. Sein Bericht ist uns leider nur auszugsweise bei späteren Autoren erhalten geblieben, über Timaios, Xenophon von Lampsakos, Philemon, Hipparch und Erathostenes bei Diodor (5, 23), Strabon, Mela (Chorographia 3, 31 u. 55) und Plinius (Nat. hist. 1, 4, 94; 2, 4, 95; 3, 26, 2ff. u. 37, 45). S. Gutenbrunner (1939, S. 63!) hat nach diesen Angaben den letzten Breitengrad auf keltischem Gebiet mit 5 2 0 1 7 ' n. Br. berechnet, was mit der Hauptmündung des Rheins im Altertum zusammentrifft. Außer der Schilderung des Wattenmeeres an der Nordsee verdanken wir Pytheas eine Beschreibung der Bernsteininsel Abalus, die man allgemein als die Insel Helgoland identifiziert. Die Inselbewohner verkauften den Teutonen, die dem Festland am nächsten wohnten, Bernstein (bei Plinius 37, 35—53). Danach halten die meisten Forscher die Westküste Schleswig-Holsteins und Nordjütlands für die Heimat der Teutonen. Unsicher ist die Deutung des Namens Guionen oder Gutonen, die als Anwohner des „aestuariums" genannt werden und die Plinius (3, 26, 2ff.) mit dem Zusatz „gens Germaniae" versah. Interessant ist die Auslegung dieses Namens als Verschreibung aus Ingvaeonibus u. a. bei D. Detlefsen (1904, S. 26), wonach die Ingvaeonen zu so früher Zeit in demselben Gebiet erscheinen würden, in das sie viel später Tacitus verweist. Ein Beweis hierfür konnte aber bisher nicht angetreten werden (vgl. D. Stichtenoth 1959, S. 90 und R. Wenskus 1961, S. 286). Tatsache bleibt nur die 3

Pytheas von Massilia, griechischer Autor, Schüler des Aristoteles; Werk: „Über den Ozean", Seereise bis zur Küste Norwegens und die Nähe des Polarkreises.

SIEDLUNGSGEBIETE BIS ZUM BEGINN U. Z.

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A b b . 1. Nachrichten des Pytheas von Massilia aus dem 4. Jh. v. u. Z. über das mitteleuropäische Gebiet.

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ANTIKE NACHRICHTEN

Nennung der Teutonen, die Jahrhunderte später zusammen mit den Kimbern die Römer in Schrecken versetzten. Durch Polybios 4 ist überliefert, daß zunächst um 300 v. u. Z. auf der Balkanhalbinsel die später als germanisch erkannten Bastarnen und Skiren in Kämpfe mit den Römern verwickelt wurden. Eine Inschrift des 3. Jh. v. u. Z. (CIG II 2058) berichtet von einem Überfall der verbündeten „Galater" und Skiren auf Olbia am Bug. Unter den „Galatern" sind hier mit Sicherheit die Bastarnen zu verstehen, wie aus einer zeitlich nahestehenden Stelle des Polybios (25, 6, 1—2) hervorgeht, in der die Bastarnen ausdrücklich als Galater bezeichnet werden. Sie sitzen in der ersten Hälfte des 2. Jh. v. u. Z. an der unteren Donau, und die makedonischen Könige Philipp V. und Perseus suchen sich ihrer gegen die benachbarten Dardaner und auch gegen die Römer zu bedienen (Livius; Plutarch, Aem.). Spätere Autoren rechnen sie zutreffend zu den Germanen (mit Bestimmtheit Plinius, Nat. hist. 4, 81, etwas zweifelnd Strabon 7, 3,17, p. 306, und Tacitus, Germ. 46, Hinweis von H. Labuske). Noch ungeklärt ist, ob eine Verbindung zwischen diesen Stämmen und den eine germanische, vermutlich suebische Neuzuwanderung anzeigenden archäologischen Funden in Rumänien und der Sowjetunion aus dem 2./1. Jh, v. u. Z. besteht. 5 Doch dürften diese Erscheinungen als Anzeichen der nunmehr aus dem germanischen Raum sich anbahnenden expansiven Bestrebungen zu werten sein. Eine Zeitlang wurde die Zugehörigkeit der Gaesaten diskutiert, die für die zweite Hälfte des 3. Jh. v. u. Z. im Wallis an der Rhone genannt werden. In der Ora maritima des Avienus, 4. Jh. v. u. Z., der Übersetzung einer in Massilia entstandenen Beschreibung der Küste Westeuropas im 6. Jh. v. u. Z., erscheinen für das Rhönetal Stämme mit angeblich germanischen Namensbildungen: die Tylangier und Daliterner, die später immer wieder in den antiken Quellen vorkommen (bei Cäsar Tulingi). Die Triumphalfasten in Rom berichten von einem Sieg „De Galleis insubribus et German" im 3. Jh. v . u . Z . , wobei der Name „Gaesat" wohl bei einer späteren Ausbesserung durch „German" ersetzt wurde.6 Livius 7 (Ab urbe condita 21, 38,8) spricht später von „semigermanischen" 4

5

6

7

Polybios (ca. 201 —120 v. u. Z.), ein nach 166 in Rom als Geisel lebender griechischer Staatsmann. Von seiner 40 Bücher umfassenden Weltgeschichte (Zeitraum 264—149 v. u. Z.) sind vollständig nur die 5 ersten Bände und von übrigen umfangreiche Fragmente erhalten. Zu den Funden von Poieneijti, Lukaschewka bei Kischinew, Zarubincy u. a. vgl. vor allem R. Vulpe (1953 u. 1955), I. Nestor (1956), G. B. Fedorov (1957 u - ^ ö o ) , V. P. Petrov (1959), R. Hachmann (1957), K . Tackenberg (1963). Das Herkunftsgebiet der Einwanderer des 2./1. Jh. v. u. Z. umfaßt danach das Jastorfgebiet, speziell Brandenburg (Hachmann) bzw. das Mittelelbegebiet, die Niederlausitz und Teile Niederschlesiens (Tackenberg). Dies wäre die erste archäologisch exakt nachweisbare suebische Auswanderung. Gaisatoi = „Speerbewaffnete", vgl. Polybios 2, 22, 7; Orosius 4, 13. Für germanische Ethnizität nach R. Much (1925 u. 1932) auch S. Gutenbrunner (1938), für Kelten u. a. R. Heuberger (1938 u. 1956). Als germani im Sinne von Söldnertruppen, nicht als Volksname, interpretiert J. de Vries i960, S. 57ff., diese Angabe (vgl. zum Gaesatenproblem auch H. Schmeja 1967). Livius (59 v. u. Z. — 1 7 . u. Z.), bedeutender römischer Historiker. Geschichte seit Gründung der Stadt Rom („Ab urbe condita") in 142 Büchern, zum großen Teil verlorengegangen, aber kurze Inhaltsangaben (Periochae) erhalten.

SIEDLUNGSGEBIETE BIS ZUM BEGINN U. Z.

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Stämmen am oberen Rhönelauf. Wahrscheinlich handelt es sich hier aber um gallische Stämme. Eine wichtige Quelle für die Germanenforschung stellen die um 80 v. u. Z. vollendeten Historien der Zeit von 146 bis ca. 96 v. u. Z. des Poseidonios8 dar. Leider sind uns auch diese Schriften nicht erhalten geblieben, doch haben viele spätere Autoren sie nachweislich als Quelle benutzt (vor allem Plutarch, Marius; Livius; Appian). Athenaios überliefert (4,153E, vgl. F. Jacoby 1926, Nr. 87, Fr. 22) ein Fragment aus dem 30. Buch, das die älteste gesicherte Erwähnung des Namens Germanen enthält: „Die Germanen genießen zum Frühstück gliederweise gebratenes Fleisch und trinken dazu Milch und den Wein ungemischt." Poseidonios benutzte den Namen Germanen für die Grenznachbarn der Kelten auf dem rechten Ufer des Rheins (Abb. 2). Inwiefern er Germanen, Kelten und Skythen wirklich zu scheiden wußte, entzieht sich unserer Kenntnis. Wie weit die geographisch-ethnographischen Kenntnisse des Poseidonios nach Norden und Osten reichten, ist unbekannt. Doch darf man annehmen (R. Nierhaus 1966, S. 215), daß nicht Poseidonios der Urheber der Suebenethnographie des Strabon (Geographica 7, 1, 3, p. 290L) ist, wie dies R. Hachmann (1962, S. 49, 56) und G. Walser (1956, S. 55ff.) behaupten. Vergleiche zum Suebenproblem aus ganz neuer Sicht bei K. Peschel 1978. Poseidonios kann als der beste Kenner der Kriege gegen die Kimbern und Teutonen, die in seine Berichtszeit fallen, bezeichnet werden. Doch Neues über die Heimat dieser Stämme erfahren wir nicht; auch ihr Wanderweg (Abb. 51) läßt sich nur vermuten.9 Allgemein wird ihr ursprüngliches Siedlungsgebiet an der Kimbrischen Halbinsel in Nordjütland und an der nördlichen Westküste Schleswig-Holsteins lokalisiert. Die Namen „Himmerland" bzw. „Himmersyssel" und „Tytesyssel" weisen noch heute auf entsprechende Zusammenhänge hin. Reste der Kimbern und Teutonen blieben in der Heimat, ferner sind Stammesteile in der Umgebung von Teutoburgium an der Donau sowie von Miltenberg und Heidelberg im Norden und Süden des Odenwaldes zu suchen. Auch die Aduatuker in Belgien werden von ihnen hergeleitet. Wichtig ist die Feststellung, daß mit den Kimbern- und Teutonenzügen — wie schon mit dem Auftauchen der Bastarnen und Skiren im Südosten — die beginnende Auseinandersetzung zwischen germanischen Stämmen und fremden Völkern in deren Heimatländern bzw. Machtbereichen deutlich wird. Die Erkenntnis verschiedener Ethnika mag auch im Zusammenhang mit den Sklavenkriegen in Rom 73—71 v. u. Z. gefördert worden sein. Die Überlieferung berichtet von ethnischen Gruppierungen der Rebellen, wie Thrakern, Kelten, Germanen (H. Nesselhauf 1953 [1951]. S. 75). Bis zu diesem Zeitpunkt scheint das Wissen der Griechen und Römer über die Germanen noch recht unzureichend. Erst im Zusammenhang mit der Ankunft der Sueben und anderer germanischer Stämme am Rhein und deren Zusammenstößen mit Kelten und Römern gibt eine neue, sehr wichtige Quelle Einblick in die Verhältnisse an diesem 8

9

Poseidonios aus Apamea, Syrien (um 135 — 51 v. u. Z.), auf Rhodos tätig, Philosoph und Historiker, Geograph. Historiae (Universalgeschichte in 52 Büchern, Fortsetzung des Polybios), Über den Ozean. Zu dieser Frage hat u. a. E . Schwarz (1967) Stellung genommen. E r verarbeitet auch alle anderen späteren Berichte antiker Autoren sowie die Literatur zu diesem Problem.

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ANTIKE NACHRICHTEN

Abb. 2. Antike Nachrichten über das mitteleuropäische Gebiet vor Cäsar, insbesondere von Poseidonios (um 80 v. u. Z.).

SIEDLUNGSGEBIETE BIS ZUM BEGINN U. Z.

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Strom und in dessen östlichem Hinterland. Es war Cäsar 10 , der in seinen Berichten über den Gallischen Krieg erstmals den ethnischen Gegensatz zwischen Kelten und Germanen hervorhob (vgl. insbesondere den Germanenexkurs) und so der allgemeinen Verbreitung des Germanenbegriffs in der antiken Welt zum Siege verhalf (vgl. u. a. F. Beckmann 1930; G. Walser 1956; E. Norden 1967). 11 Nach Cäsar (Bell. Gall. 1, 36, 7) ist die Anwesenheit des Ariovist 12 mit seinen Leuten etwa seit 72 v. u. Z. am Main/Rhein und später im Elsaß wahrscheinlich. Er besiegte Ariovist, den Anführer der germanischen Stämme im Jahre 58 v. u. Z. im Elsaß und überschritt in den Jahren 55 und 52 den Rhein. Seine Berichte ergaben sich aus diesen Auseinandersetzungen und können wegen der direkten Kontakte (auch mit germanischen Hilfstruppen) weitgehend als glaubwürdig gelten; doch werden z. B. seine Zahlenangaben nur mit Vorsicht auszuwerten sein. Leider berichtet auch Cäsar nicht, woher die Stämme, die seine Gegner waren, kamen. Dies ist umso bedauerlicher, weil vom archäologischen Quellenmaterial her keine Aussagen zu dieser wichtigen Frage möglich sind. 13 So spricht z. B. R. v. Uslar (1938a, S. 211) lediglich von Hinweisen durch die Südwestausbreitung gewisser keramischer Formen aus dem Elbgebiet erst am Ende des 1. Jh. v. u. Z. Von den bei Cäsar'genannten 16 germanischen Stämmen lassen sich nicht alle genau lokalisieren (Abb. 3). Viele Angaben sind nur in ihrem relativen Verhältnis zueinander auswertbar. Als progressives Element dieser Zeit werden die Sueben 14 deutlich erkennbar. Cäsar (4, 1—3) stellt sie in seinem Suebenexkurs besonders vor und hebt ihre Bedeutung heraus. Klar wird auch, daß die Germanen den Römern nicht als einheitliches „ V o l k " entgegentraten, sondern als in viele größere und kleinere Stämme gegliedert, 10

Gaius Iulius Caesar (100—44 v. u. Z.), römischer Feldherr und Staatsmann. „Commentarii de bello Gallico", geschrieben um 52 v. u. Z. (zu Germanen besonders 1, 31—54; 2, 4; 4, 1 — 19; 6, 21 — 28).

11

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14

Auch Cicero (De prov. cons. 13, 33) nennt Germanen neben Kelten im Jahre 56 v. u. Z. (vgl. H. Nesselhauf 1953 [1951], S. 75). Cicero (106—43 v. u. Z.), römischer Redner, Politiker und Philosoph. Nach K. Müllenhoff 1900, S. 29, stellt das älteste Zeugnis für den Namen Sueben ein Fragment aus dem Geographischen Handbuch des Cornelius Nepos bei Mela, Chorographia 3, 5, 45 und Plinius, Nat. hist. 2, 170 dar, wo ein rex Sueborum (bei Mela verderbt Botorum, vermutlich Ariovist) im Zusammenhang mit Ereignissen im Jahre 63 v. u. Z. genannt wird, als Metellus Celer Prokonsul in Gallien war. Vgl. dazu besonders K.Schumacher 1914, S. 23off.; R. v. Uslar 1938b, S. 249ff.; H. Behagel 1943, S. i3off.; W. Kersten 1948, S. 5ff.; J. de Vries 1951b, S. 7ff.; H. Nesselhauf !953 (i95i). S. 76ff.; H. Schönberger 1952, S. 21 ff.; W. Jörns 1953, S. 97, 102; F. Behn 1957, S. 98ff.; J. de Vries i960; R. Hachmann, G. Kossack, H. Kuhn 1962; R. v. Uslar 1963, S. 142ff.; W. Schrickel 1966 (1964), S. i38ff.; R. Nierhaus 1966, S. ioff.; G. Mildenberger 1969a, b; ders. 1972, S. 635ff. Der Name Sueben wurde unterschiedlich gedeutet, so z. B. „die Schlafmützen" (die in der Kultur Zurückgebliebenen), „die Schweifenden", „die dem eigenen Verband Angehörenden", „die Freien" oder „freie Männer" (vgl. u. a. K. Müllenhoff 1887, S. 236; R. Much !937> S. 29, 33off.; W. Steinhauser 1954, S. 55; H. Rosenfeld 1961, S. 128; E.Schwarz 1972, S. XXIV). Für die Deutung als „Freie" könnte sprechen, daß Tacitus später unter diesem Namen die östlich der Elbe wohnenden Germanen zusammenfaßt, also die Bewohner eines Gebietes, das die Römer weder durchzogen noch unterworfen hatten.

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ANTIKE NACHRICHTEN

Abb. 3. Cäsar (Bell. Gall.) zu germanischen Stammesgebieten (um 58 v. u. Z ).

S I E D L U N G S G E B I E T E BIS ZUM B E G I N N U. Z.

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deren Zusammengehörigkeitsbewußtsein noch wenig entwickelt war. Cäsar nennt (l, 51, 2) Sueben im Heer des Ariovist neben den Markomannen, Haruden, Tribokern, Wangionen, Nemetern und Sedusiern. Dieser Zusammenschluß von Stämmen wird als Kennzeichen der inneren Unruhe im germanischen Raum angesehen. Cäsar (1, 53, 4 und 1, 51, 2) bezeichnet die Sueben als natio, in seinem Suebenexkurs (4, 1, 3) als gens. Über ihr Wohngebiet berichtet er (6, 10, 5), daß der Bacenis die Cherusker und Sueben voneinander scheide. Da er aber dieses Waldgebirge nicht genau lokalisiert, lassen sich die Siedlungsgebiete dieser beiden Stämme nicht eindeutig bestimmen. 58 v. u. Z. lagerten Angehörige von „100 Gauen" der Sueben am Rhein (1, 37, 3), um den Fluß unter der Führung von Nasua und Cimberius zu überschreiten und Ariovist zu unterstützen. Doch zogen sie sich nach dessen Niederlage zurück (1, 54, 1). Drei Jahre später vertrieben Sueben die Usipeter und Tenkterer (4, 1, lf.; 4, 4, 1); auch die Ubier wurden bedrängt (4, 16—19). Nach diesen Angaben wird man annehmen dürfen, daß die Sueben östlich des Mittelrheins, im wesentlichen nördlich des unteren Maingebietes wohnten, wo sie 9 v. u. Z. von Drusus geschlagen wurden (Dio Cass us 15 35, 1). R. Nierhaus (1966, S. 195, 224f., 23iff.) deutet die literarischen Berichte dahingehend, daß die Sueben Cäsars, da sie nur auf Stämme nördlich der Mainmündung, besonders die des Niederrheins (Ubier, Usipeter, Tenkterer, Sugambrer) einen Druck ausübten, in Niederhessen einschließlich des Ostteils des rechtsrheinischen Schiefergebirges und im nördlichen Teil von Oberhessen gewohnt haben müssen, wobei das Lahntal bzw. die Rhein-Weser-Wasserscheide die Südgrenze bildete. Die Grenze zu den Cheruskern setzt er in den Bereich der Weser zwischen Hannoversch Münden und Hameln, also nördlicher als bisher allgemein üblich (vgl. E. Schwarz 1962, S. 40; 1967, S. 32f.). Cäsar berichtet ferner (4, 10) von den Batavern auf der Insel zwischen Rhein und Waal (wenn diese Angabe nicht eine jüngere Interpolation darstellt), von den Menapiern an der Rheinmündung (4, 4, 1—15), von den Sugambrern neben den Usipetern und Tenkterern „stromaufwärts" nahe dem Rhein (4, 16—19; 6, 35—42), von den Ubiern südlich der Sugambrer (4, 16—19; 6, 9—10), von den Usipetern und Tenkterern am Niederrhein (4, 1, 1; 4, 4—15; 6, 35, 5), von den Treverern am Oberrhein und von den Mediomatrikern, wobei die beiden-zuletzt Genannten wohl Kelten waren. Am Oberrhein lebten (4, 10, 3) auch die Triboker, vermutlich auch Nemeter und Wangionen. Die Zeit der linksrheinischen Ansiedlung dieser drei Stämme wird neuerdings wieder viel diskutiert. Bisher nahm man an, daß sie in die Zeit des Ariovist fiel. Archäologisch gesehen kann nur von „spätlatenezeitlichen" und „frühkaiserzeitlichen" Spuren auf linksrheinischem Boden gesprochen werden, so daß nach Meinung von H. Nesselhauf (s. vorn) und R. Nierhaus (1966, S. 2i9ff.) die Triboker erst unter Augustus, die Nemeter und Wangionen erst in frühclaudischer Zeit im heutigen Gebiet von Strasbourg, Speyer und Worms angesiedelt wurden. Nach Strabon 16 (Geographica 4, 3, 4, p. 193) sind die Triboker „ein germanisches, aus der Heimat herübergekommenes Volk". E. Schwarz (1967, S. 32) hält eine suebische Abstammung für wahrscheinlich. 15

16

Dio Cassius aus Nicäa in Bithynien (ca. 150 —ca. 235), römischer Beamter und Historiker, Römische Geschichte in 80 Büchern von der Gründung Roms bis 229 u. Z., teilweise erhalten, z. B. die Bücher 36 — 60 für die Zeit von 68 v. u. Z. bis 47 u. Z. Strabon aus Amaseia (ca. 64/63 v. u. Z.—ca. 20 u. Z.), griechischer Geograph und Historiker. Die „Geographica" wurden um 18 u. Z. abgeschlossen.

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ANTIKE NACHRICHTEN

Die zum Heer des Ariovist zählenden Haruden und Markomannen („Grenzmänner", „Markleute") erfahren von Cäsar keine nähere Ortsbestimmung. Das Land nördlich Augsburgs wird als „Marcomannis" und der Schwarzwald als „Marcina silva" bezeichnet. Von Dio Cassius (55, 10, 2) wissen wir, daß 3 v. u. Z. Hermunduren in einem Teil des ehemaligen Markomannenlandes gegenüber Regensburg nördlich der Donau angesiedelt wurden. Noch in neuerer Zeit sind die Markomannen sehr unterschiedlich angesetzt worden, so z. B. von F. Behn (1957, S. 98ff.) nach Starkenburg (GroßGerauer Gruppe), von Th. Voigt (1958, S. 455I) nach Thüringen (Großromstedter Gruppe) und von R. Wenskus (1961, S. 347) ins Maingebiet. E. Schwarz (1967, S. 40; 1972, S. XXI) sieht die beiden Flüßchen Schwabach als Grenze der Markomannen gegen die Sueben an. Cäsar nennt als Grenze zwischen Kelten und Germanen den Rhein, trotzdem überliefert er eine Anzahl linksrheinischer Germanenstämme. „Die meisten Belgae stammen von den Germanen ab und seien vor alters über den Rhein geführt worden. Wegen des fruchtbaren Bodens hätten sie sich dort niedergelassen und die Gallier, die diese Gegenden bewohnten, verjagt" (Bell. Gall. 2, 4, 2, Bericht der Remer). Diese Angabe ist insofern interessant, als Cäsar hier wie auch 1, 28, 4 über die befürchtete Einwanderung germanischer Stämme in helvetisches Gebiet als Grund die Güte des Bodens angibt. Danach sind diese frühen Wanderbewegungen germanischer Stämme nicht nur als räuberische Kriegszüge, sondern auch als Landfiahmezüge zu werten. Die Problematik der Germani Cisrhenani,17 von denen die Bezeichnung Germanen herrühren soll, wird im Zusammenhang mit der Frage nach der Entstehung des Namens Germanen erörtert (s. S. 55I). Das Gebiet im Innern Germaniens ist den Römern zur Zeit Cäsars also noch weitgehend unbekannt. Bis zum Beginn u. Z. fehlen weitere direkte Nachrichten. Doch gibt es Berichte, die zu Beginn u. Z. oder später entstanden und frühere Zeiten berühren. Hier seien z. B. die „Geographica" des Strabon genannt, der in seinem 4. Buch (3, 3—5, p. J-92ff.) die linksrheinischen, im 7. Buch (1, 2—3, p. 29off.) die rechtsrheinischen Siedlungsverhältnisse zur augusteischen Zeit und teilweise auch davor beschrieb. Unsicher ist die geographische Abgrenzung des suebischen Siedlungsgebietes. Strkbon sagt (4, 3, 4, p. 194), daß hinter dem Flußgebiet des Rheins die unter dem Namen Sueben lebenden Germanen wohnen, die sich durch Macht und Größe auszeichnen, eine Angabe, die sich wahrscheinlich noch auf die Verhältnisse in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts v. u. Z. bezieht. Dagegen dehnt Strabon (7, 1, 3, p. 290) den Suebenbegriff auch auf die Gebiete östlich der Elbe aus, allerdings ohne Abgrenzung nach Osten. Weiter berichtet er (7, 3, 1, p. 294) über den südlichen Teil Germaniens jenseits der Elbe, der hauptsächlich von den Sueben besiedelt wird. Es mehren sich nun die Berichte über kriegerische Auseinandersetzungen und die Bestrebungen der Römer, ihre Reichsgrenze weiter nach dem Nordosten zu verlegen. Dem Augenschein nach lernten sie durch die Drusus-, Tiberius- und Germanicuszüge das Gebiet bis zur Elbe kennen. Bereits im Jahre 1 u. Z. hatte als erster römischer Feldherr Domitius Ahenobarbus die Elbe überschritten (Tacitus, Ann. 4, 44; Dio Cassius 55, 10). Die unter Augustus 7 u. Z. vollendete Erdkarte des Agrippa 18 zeigt 17 18

Vgl. hierzu besonders zuletzt H. Birkhan 1970, S. i 8 i f f , und dazu W. Meid 1972, S 631 f. Agrippa, 62—'12 v. u Z., Oberbefehlshaber unter Augustus, ließ 13 v. u. Z das Reichsgebiet vermessen und eine geographische Karte entwerfen.

SIEDLUNGSGEBIETE BIS ZUM BEGINN U. Z.

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sogar, daß die Weichsel bekannt war. Leider ist diese Karte nur in ungenauen Auszügen erhalten. Auswertbare Berichte darüber sowie weitere Nachrichten zur augusteischen Zeit gibt es jedoch bei Livius, Velleius Paterculus 19 , Pomponius Mela20, Plinius 21 , Tacitus 22 , Dio Cassius, die mitunter auch die Zeit vor Beginn u. Z. behandeln (Abb. 4). Die sich nun häufenden Berichte über Germanien und seine Bewohner resultierten jedoch nicht nur aus der besseren Kenntnis, sondern die herrschende Schicht des dem Höhepunkt seiner Macht zustrebenden Römischen Reiches war an Darstellung und Verherrlichung der römischen Geschichte selbst sehr interessiert, wobei auch Berichte über die „Barbaren" mit einflössen. Literarische Quellen über den Verbleib der Sueben nach 9 v. u. Z. sind unbekannt. Neuerdings hat E. Schwarz (1967, S. 33) wieder die schon vielfach vertretene Meinung (z. B. S. Gutenbrunner 1938, S. 10) unterstützt, wonach die Quaden die Nachfolger der Sueben bzw. mit diesen im wesentlichen identisch seien.23 Sie sind vermutlich mit den Markomannen nach Böhmen und weiter nach Mähren gezogen. Dieser Abzug aus dem Rhein-Main-Neckargebiet, ein Eingeständnis der Unmöglichkeit, hier gegen die römische Macht anzukämpfen, beendete vorläufig die germanische Ausbreitung in südwestlicher Richtung. Durch Inschriften belegt sind noch für das 1. Jh. u. Z. die Suebi Nicreti, die nach neueren Forschungen aus der Unterneckargruppe der Oberrheinsueben hervorgegangen sein sollen (R. Nierhaus 1966, S. 233t.). Außer diesen Oberrheinsueben der augusteischen und frühen Kaiserzeit kommen für dieses Gebiet Sueben in der antiken Literatur zunächst nicht mehr vor.24 Der Name selbst findet in der späteren Zeit in der Hauptsache als Sammelbegriff für verschiedene germanische Stämme im östlichen und südöstlichen Germanien Verwendung (vgl. u. a. E. Obermeyer 1948).25 Schon für das Jahr 11 v. u. Z. wird erstmalig über die Chatten, und zwar in einem Teil des ehemaligen suebischen Gebietes, berichtet (Dio Cassius 54, 33, 2; 54, 36; 3, 55, 1). 19

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Velleius Paterculus, römischer Offizier in den Feldzügen des Tiberius in Germanien und Pannonien. Römische Geschichte (Historiae Romanae) in 2 Büchern, 30 u. Z. abgeschlossen. Pomponius Mela, römischer Geograph, um 43/44 u. Z. geschriebene Länderkunde („De chorographia"), Kap. 3,3 zu den Germanen. Plinius der Ältere (23 — 79 u. Z.), römischer Staatsbeamter, Offizier (u. a. an Rhein und Elbe) und Schriftsteller. U m 77 Naturgeschichte („Naturalis historia") in 37 Büchern. Zu Germanen besonders B u c h 4,27ff., 94—104; 7, 29off. Die 20 Bücher des Plinius über die germanischen Kriege sind nicht erhalten. Publius Cornelius Tacitus (ca. 55—ca. 120 u. Z.), römischer Staatsmann und Historiker. Wichtigste Werke: 98 „Agricola" und „Germania" (De origine et situ Germanorum), bis 116 die „Historiae" in 14 Büchern (für die Jahre 69—96 u. Z.) und „Annales" in 16 Büchern (für die Jahre rückblickend bis zum Tode des Augustus), die beiden letzteren nur z. T. erhalten. E . Schwarz (1972, S. X X I V ) stellt die Frage, warum zeitweilig der Name Sueben durch den Spottnamen Quaden — „die Schlechten" — verdrängt wurde. Die im Rheinland gefundenen Matronensteine (s. S. 372) tragen u. a. die Weihinschrift „matribus Suebi?". Tacitus erwähnt außerdem (Agricola 28,3) Sueben im Zusammenhang mit einer Schiffsfahrt der Usipeter im Jahre 82 u. Z., doch bleibt die Frage offen, ob diese Sueben in der Nähe der unteren Scheide oder an der Westküste Schleswig-Holsteins zu suchen sind (vgl. Tacitus, R . Till, Kommentar 1976, S. 41). Auch werden noch imWidsith (61) auf der kimbrischen Halbinsel Sueben erwähnt (vgl. Schwabstedt).

Abb. 4. Antike Berichte zu germanischen Stammesgebieten der augusteischen Zeit

S I E D L U N G S G E B I E T E BIS ZUM BEGINN U. Z.

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Die für das Jahr y v.u.Z. erwähnten Donauhermunduren (s. o. und Tacitus, Germ. 41) sind nicht ohne weiteres mit den Hermunduren, die für Mitteldeutschland erstmalig 5 u. Z. (z. B. Vellerns Paterculus, Hist. Rom. 2, 104, 2f.) genannt sind, zu identifizieren. Sie können allenfalls ein Teil von ihnen sein. E. Schwarz (1967, S. 40) setzt die Donauhermunduren den Eudosen (Sedusier) des Ariovist gleich und zieht auch eine Verbindung zu den um 270 erstmals genannten Juthungen (Dexippos, F. Jacoby 1926, Nr. 100, Fr. 6). Rückblickend ist zu den frühesten antiken Nachrichten über die Germanen festzustellen, daß sie zum Problem der Ethnogenese und Herkunft leider kaum Hinweise enthalten. Die frühesten Erwähnungen beziehen sich auf das Rheinland. Jenes Gebiet, das in zunehmendem Maße als eines der wichtigsten Zentren der Konsolidierung der germanischen Stämme in der vorrömischen Eisenzeit angesehen wird — das Verbreitungsgebiet der Jastorfkultur —, liegt vor Beginn u. Z. noch außerhalb der Betrachtung antiker Berichterstatter. Daß aber gerade im Rheinland in voraugusteischer Zeit keine Germanen gesiedelt haben sollen, wie R. Hachmann, G. Kossack und H. Kuhn (1962) herauszuarbeiten versuchten, erscheint aus der Sicht der antiken Quellen sehr unwahrscheinlich. Dabei bleibt insbesondere das Problem zu klären, wie groß die sichtbaren Unterschiede im archäologischen Material sein müssen, um von einem ethnischen Unterschied oder Wandel sprechen zu können (s. S. 205ff.). 2.

Berichte über germanische Stammesgebiete und über die Gliederung der Germanen im 1./2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung

Die Kämpfe der Bastarnen und Skiren, der Zug der Kimbern und Teutonen sowie die Auseinandersetzungen germanischer Stämme unter Ariovist mit Cäsar in rheinnahen Gebieten zeigten den deutlich gewordenen Drang zur Ausweitung, die tiefe innere Unruhe und Bewegung innerhalb der germanischen Stämme. Die äußeren Anlässe konnten verschiedenartiger Natur sein, die innere Ursache wird jedoch in der beginnenden Wandlung der sozialökonomischen Struktur zu suchen sein. Die antiken Quellenzeugnisse über germanische Stämme, die aus dem 1. Jh. u. Z. recht zahlreich überliefert sind, machen deutlich, daß dieser allgemeinen Bewegung und Unruhe nunmehr auf Grund der eingangs skizzierten politischen Konstellation eine Phase der relativen Ruhe und Konsolidierung folgte.26 Nach den militärisch und politisch unruhigen Jahrzehnten vor und zu Beginn u.Z. waren die ersten beiden Jahrhunderte eine Zeit ruhigerer Entwicklung. Es formierten sich neue Stämme und Gruppierungen; ältere Stammesnamen erscheinen z. T. nicht mehr (z. B. die Marser). Für das 1. Jh. sind die bereits genannten Werke auszuwerten, für das folgende können im wesentlichen nur die verlorengegangenen Schriften und die Karte des Marinos27 sowie die Arbeiten des Ptolemaios28, der sich auf Marinos stützt, herangezogen werden. 26

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Diese Entwicklungstendenz wird auch anhand des archäologischen Fundgutes in der weiteren Darstellung zu verfolgen sein. Marinos von Tyros, griechischer Geograph, Beginn des 2. Jh. u. Z. Berichtigung der geographischen Erdkarte, nicht erhalten. Klaudios Ptolemaios aus Alexandria (nach 83—nach 161 u. Z.), Astronom, Mathematiker und Geograph, Nachfolger des Marinos. Lehrbuch der Geographie (zu Germanen besonders Buch 2,11) um die Mitte des 2. Jh. u Z. Germanen — Bd. 1

5o

ANTIKE NACHRICHTEN

Schon Melas Berichte zeigen eine bessere Kenntnis über Germanien als die Strabons. Er berichtet genauer über die Gebiete bis zur Elbe. So nennt er (Chorographia 3, 31) als Bewohner des „äußersten" Germanien erstmals die Herminonen. Nach der überlieferten Fahrt eines römischen Ritters in das Bernsteingebiet erscheint nun auch die Ostsee in den antiken Berichten. Diese enthalten jetzt wiederholt Nachrichten über verschiedene germanische Stämme ostwärts der Oder (wie z. B. die Wandalen) und in Skandinavien. Aus den Quellen sprechen aber nicht nur die allgemein erweiterten Kenntnisse der Römer über Germanien. Vergleicht man die Berichte des 1. Jh. v. u. Z. mit denen des folgenden Jahrhunderts, so sind Hinweise auch auf eine innere Entwicklung bei den Germanen nicht zu übersehen. Dies gilt sowohl für die wirtschaftliche, geistigkulturelle und soziale Seite als auch die speziell ethnisch-stammesgeschichtliche Entwicklung. Für die Berichterstatter erscheinen jetzt die germanischen Stämme in Kultverbänden, Stammesgruppierungen und zeitweisen Stammesbünden formiert, die ebenfalls kultisch, aber auch politisch begründet sein können und größere Gebiete umfassen. Während Mela nur die Herminonen nennt, so weiß Plinius (Nat. hist. 4, 99) bereits von weiteren ähnlichen Strukturen zu berichten. Er kennt die Ingväonen als Küstenbewohner, zu denen die Kimbern, Teutonen und Chauken gehören. Die Istväonen lokalisiert er in rheinnahen Gebieten und führt als Beispiel die Sugambrer an. Zu den Herminonen, die Plinius wie Mela für die Mitte (das „Binnenland") überliefert, zählt er die Sueben, die Hermunduren29, Chatten und Cherusker30. Die Vandilier, zwischen Oder und Weichsel beheimatet, umfassen insbesondere die Burgunden, Variner, Chariner und Gutonen. Ferner berichtet Plinius von den Peukinern und Bastarnen, die den Dakern benachbart wohnen, und den Hillevionen in Skandinavien. An der Einordnung der verschiedenen Stämme in das Gliederungsschema des Plinius hat sich offensichtlich auch die Sprachforschung bei ihrer Gliederung der Germanen in Irminonen, Illevionen, Ingväonen und Istväonen stark orientiert. So läßt man aus den Irminonen die Elbgermanen und Oder-Weichsel-Germanen hervorgehen, aus den Ingväonen die Nord- und Nordseegermanen und aus den Istväonen die Rhein-WeserGermanen (vgl. F. Maurer 1952). Tacitus überliefert in seiner Germania (2) nur drei Kultverbände bzw. Abstammungsgemeinschaften: die Ingävonen an der Meeresküste, die Istväonen im Westen und die Herminonen31 in der Mitte des Landes. Diese Gruppierungen werden auf die drei Söhne des Mannus zurückgeführt. Tacitus erwähnt auch die Möglichkeit einer älteren Gliederung, wonach der Gott mehr Söhne gehabt habe und so die Namen der Marser, Gambrivier, Sueben und Vandilier32 echten und älteren Ursprungs wären, Angaben, die auf Livius zurückgeführt werden (s. S. 57!). 29 30

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Nach Plinius gehören die Hermunduren also nicht zu den Sueben! Die beiden zuletzt genannten Stämme hätten eher eine Zuordnung zu den dem Rhein am nächsten Wohnenden erwarten lassen. Archäologisch gesehen bilden die plinianischen Herminonen keine Einheit. In der Literatur werden die Namen Herminonen, Erminonen, Hermionen und Irminonen für denselben Begriff benutzt. H. Rosenfeld (1961, S. 450) weist darauf hin, daß nach Plinius und Tacitus Sueben und Vandilier die ältesten umfassenden Namen der Germanen gewesen seien. Die Bezeichnung

STAMMESGEBIETE UND GLIEDERUNG IM 1 . / 2 . JH.

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Tacitus hat direkte Zuweisungen der im einzelnen genannten Stämme zu den Kultverbänden vermieden. Es bleibt fraglich, ob seine Dreiteilung nur für den Westen Germaniens gilt oder ob der östliche Raum einbezogen ist.33 In den Kapiteln 38—45 berichtet er über die Sueben, zu denen er die Semnonen, Langobarden und die Nerthusstämme34, die Hermunduren, Naristen, Markomannen, Quaden und alle Stämme ostwärts der Oder rechnet, Stämme, die herkunftsmäßig nicht durchweg Sueben, ja nicht einmal alle Germanen waren. Dem bei Tacitus in der Germania so weit gefaßten Suebenbegriff steht die Anwendung dieses Namens in seinen Annalen entgegen, wo er als Sueben die Markomannen und Quaden sowie die Semnonen und Langobarden, nicht aber die Hermunduren ansieht. Ptolemaios, der uns eine sehr ausführliche Beschreibung des Landes Germanien und seiner Bewohner gibt, folgt den römischen Itinerarien38 und zählt daher die germanischen Stämme reihenweise auf. Leider ist nicht immer klar zu erkennen, aus welcher Zeit die Quelle für seinen jeweiligen Bericht stammt. Die ptolemäische Karte zeigt ein einem Streifen gleichkommendes suebisches Siedlungsgebiet, das von den „langobardischen Sueben" im Westen über die „angilischen Sueben" bis zu den „suebischen Semnonen" und dem Fluß Suebos reicht. Die antiken Autoren Sind bei der Zuweisung der einzelnen Stämme zu den genannten Kultverbänden bzw. anders gearteten Gruppierungen recht unterschiedlicher Meinung, was wohl mit der Sachkenntnis des einzelnen als auch mit der verschiedenen Wertigkeit dieser Gruppierungen zusammenhängt. So können diese Gruppierungen alte Kultverbände sein, die oft auf naher ethnischer Verwandtschaft der einzelnen Stämme fußen, oder auch historisch-politischen Charakter tragen. Eine Zuweisung aller in der antiken Literatur erwähnten germanischen Stämme zu einer der obengenannten Gruppierungen erscheint nicht möglich. So läßt sich auch auf Grund dieser Quellen die Frage nach dem Verhältnis der Begriffe Herminonen und Sueben schwerlich klar beantworten, obwohl eine Identität der Begriffe ausgeschlossen scheint. Ferner dürfte das Problem interessieren, wie sich der Begriff Elbgermanen zu dem der Herminonen und Sueben verhält und was sich archäologisch hinter diesem Namen verbirgt (s. S. 219 ff.). Die Untersuchung dieser Fragen würde dazu beitragen, ethnogenetische Prozesse der Geschichte der Germanen erkennen zu helfen. Es hat in der archäologischen Forschung nicht an Versuchen gefehlt, überlieferte Stammesnamen bzw. Sammelbegriffe mit den archäologischen Hinterlassenschaften zu verbinden (zu dieser Frage z. B. R. v. Uslar 1938a, 1952/1972). Es ist bis heute schwierig, bestimmte Fundgruppen aus den beiden ersten Jahrhunderten u. Z. mit schriftlich überlieferten Stammesnamen und den größeren Stammesgruppierungen in Zusammenhang zu bringen. Diese Schwierigkeiten sind um so größer, als die Archäologen im all-

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Suebi faßt er als die Benennung für die „an der Urheimat haftenden Altgermanen" im Gegensatz zu den nach dem Westen abgezogenen Istväonen auf. Zu dieser Gliederung H. Rosenfeld 1961, S. 30: „ E s dürfte sich nicht um Kultverbände handeln, da für eine Dreiteilung des gesamten Germanengebietes in zentrale Kultverbände jede Voraussetzung fehlt." Die taciteischen Nerthusstämme (Reudigner, Avionen, Angeln, Variner, Eudosen) wären geographisch gesehen eher den Ingväonen zuzuordnen. Itinerarien sind römische Reiseführer, die die Straßen und Stationen, meist auch die Entfernungen verzeichnen.

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ANTIKE NACHRICHTEN

gemeinen nur einige Erscheinungen der materiellen und geistigen Kultur erfassen können. Außerdem ist weitgehend unbekannt, welche Kriterien die antiken Autoren bei ihrer Zuweisung einzelner Stämme an bestimmte Gruppierungen bzw. zu den Germanen überhaupt anwandten. Einige solcher Merkmale nennt uns Tacitus (Germ. 46), wenn er sagt, daß die Bastarnen nach Sprache, Lebensweise, Seßhaftigkeit und Häuserbau zu den Germanen zu rechnen seien. Diese Aussage ist jedenfalls umfassender als die Angabe des seitlichen Haarknotens für die suebische Haartracht, denn diesen Haarwulst finden wir nachweislich auch bei anderen germanischen Stämmen. 36 Zusammenfassend ist zu sagen, daß die antiken Quellen hinsichtlich der Gliederung der Germanen und der Zuweisung von Stämmen zu den Gruppierungen nicht immer die erwünschte Klarheit bringen. Deshalb müssen Archäologen auf Grund ihrer andersartigen Quellengfundlage bemüht sein, selbständige Kriterien bzw. spezifische Charakteristika zu finden. Die Karte (Abb. 5) zeigt die relative Ausdehnung der germanischen Siedlungsgebiete zueinander. Den vielen kleinen Stämmen im Westen Germaniens stehen nach der Berichterstattung im mittleren und östlichen Teil größere Stämme und sogar zeitweilig Stammesgruppierungen gegenüber. Hier können nicht im einzelnen die germanischen Stämme behandelt werden, dies geschieht bei der Darstellung der archäologischen Forschungsergebnisse (s. S. 385ff.), doch sei auf einige Veränderungen, Schwierigkeiten der Lokalisation und wichtige Großstämme hingewiesen. Besonders im nordwestlichen Teil Germaniens gibt es Siedlungsgebietsveränderungen einiger Stämme. Deutlich wird eine Süd- und Südwestausbreitung der Großen und Kleinen Chauken, die bis zur Ems und Hase gelangten. Dem Druck wichen die Amsivarier und Chasuarier nach Westen aus. Im Jahre 98 verdrängten die Angrivarier und Chamaver die Brukterer über die Lippe. Die Ursachen für diese Stammesverschiebungen, die man früher oft in der Anziehungskraft des fortgeschritteneren römischen Bereiches sah, könnten in stammesgeschichtlichen Entwicklungsprozessen liegen, vielleicht auch in einem Druck aus dem Gebiet nordöstlich der Unterelbe, der möglicherweise mit der Entstehung der Sachsen in Zusammenhang steht. Das Problem der Erwähnung der Sachsen bei Ptolemaios (Geographica 2, 11), welche er nach Osten bis zum Fluß Chalusos siedeln läßt, war Gegenstand zahlreicher Diskussionen, zumal Tacitus noch keine Sachsen kannte. Oft bleibt unklar, aus welcher Zeit Ptolemaios seine Angaben bezieht, d. h., ob er hier schon aus augusteischen Quellen schöpft, wie man teilweise annimmt37, oder zeitgenössischen Angaben folgt. Zumindest erscheint es denkbar, daß u. a. die taciteischen Reudigner mit den späteren Sachsen in einem genetischen Zusammenhang stehen. Die größeren germanischen Stämme, die in dem ehemaligen Gebiet der Jastorfkultur siedelten, erscheinen leider nicht in dem für uns wünschenswerten Umfang in der römischen Berichterstattung. Die Langobarden und die Semnonen bilden im Gegensatz zu den Sueben der Südostgebiete nicht so häufig den Berichtsgegenstand, da sie außerhalb der Kontaktgebiete mit den Römern siedelten. Wie bei den Semnonen und dem 36

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Beispiele hierfür aus der antiken Literatur und anhand archäologischer Funde (Moorleichen) s. H. Jankuhn, Kommentar zu R . Much 1967, S. 428. So nimmt u. a. auch H. Jankuhn die Erkenntnisse der römischen Flottenexpedition im Jahre 5 u. Z. als Quelle für die Erwähnung der Sachsen bei Ptolemaios an (1954, S. 181; 195 6 , S. 9; 1957, S. 6).

STAMMESGEBIETE UND GLIEDERUNG IM 1 . / 2 . JH.

Abb. 5 . Antike Nachrichten über germanische Stammesgebiete im 1. und 2. J h .

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ANTIKE NACHRICHTEN

Hauptstamm der Hermunduren finden die Langobarden die erste Erwähnung in Verbindung mit dem Zug des Tiberius in den Jahren 4—6 (Velleius Paterculus, Hist. Rom. 2, 106, 2 ff.). Im gleichen Zusammenhang überliefert Strabon (Geographica 7, 1, 3, p. 290I) von den Langobarden, daß sie — wie die Hermunduren — sowohl links- als auch rechtselbisch wohnten und sich vor den Truppen des Tiberius nach Osten zurückzogen. Tacitus berichtet in seiner Germania (40) von ihrer Wildheit und Kampfkraft sowie von ihrem Siedlungsgebiet an der Elbe in der Nachbarschaft der Reudigner und Avionen. Die Angaben des Ptolemaios (Geographica 2, 1) über das Siedlungsgebiet der Langobarden sind ungenau und kaum verwertbar.38 Nach der Schilderung des Paulus Diaconus in seiner Langobardengeschichte (Buch 1) sind „die Winniler, d. h. das Volk der Langobarden", von Skandinavien eingewandert. Deshalb und auf Grund festgestellter Ähnlichkeiten der langobardischen Sprache und Rechtsvorstellungen mit entsprechenden Erscheinungen im Norden nehmen einige Forscher an, daß die Langobarden eingewandert sind und ursprünglich keine Sueben waren.39 In den ersten Jahrhunderten u. Z. gehören sie kulturell eindeutig in den Bereich der elbgermanischen Kultur (s. S. 385ff.). Im Gebiet der Semnonen, des nach Tacitus (Germ. 39) ältesten und vornehmsten Stammes der Sueben, trafen sich regelmäßig Abgesandte der anderen suebischenStämme, um im heiligen Hain dem obersten Gott („regnator omnium deus") Opfer darzubringen (s. S. 363, 369, 393). Das Gebiet der Semnonen wird nicht in seiner genauen räumlichen Ausdehnung beschrieben. Hat dieser Stamm ursprünglich wohl z. T. auch linkselbisch gewohnt, so scheinen die Berichte für die ersten Jahrhunderte u. Z. nur für Siedlungsgebiete östlich der Elbe zu sprechen. Velleius Paterculus (Hist. Rom. 2, 106, 2) berichtet, das römische Heer habe den Elbstrom erreicht, der am Gebiet der Hermunduren und Semnonen vorbeifließt. Unklar ist die Angabe im Monumentum AncyranUm 26, wonach „die Kimbern, Haruden und Semnonen und andere Völker derselben Gegend" genannt werden. Strabon (Geographica 7, 1, 3, p. 290) bezeichnet die Semnonen als „ein großes Volk" (ethnos) der Sueben, gibt aber keine genaue Ortsbestimmung. Auch Tacitus berichtet in der Germania nur, daß sie großes Ansehen besitzen, zahlreich seien und 100 Gaue40 bewohnen. Wenn Vibius Sequester davon spricht, daß die Elbe die Sueben und Cherusker trenne, so könnte angenommen werden, daß hier die Semnonen gemeint sind.41 Ptolemaios (Geographica 2, 11) setzt die Semnonen vom mittleren Elblauf bis zum Fluß Suebos und dem Gebiet der Burgunden an. Es ist noch nicht geklärt, ob unter dem Namen Suebos die Oder bzw. die Spree-Havel oder ein anderer kleinerer Fluß zu verstehen ist. Übrigens ist die zuletzt erwähnte Quelle die einzige Stelle in der antiken Literatur, die Aussagen über das Siedlungsgebiet der Burgunden in dieser frühen Zeit enthält. 38

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E r spricht von suebischen Langobarden in Rheinnähe und von Lakkobarden in der Nachbarschaft der Angrivarier. Eine Zusammenstellung und Auswertung der für dieses Problem wichtigsten Literatur gibt R. Hachmann (1970). E r spricht sich gegen eine skandinavische Herkunft der Langobarden aus. Die Angabe „100 Gaue" dient trotz des vielleicht formelhaften Charakters Tacitus' Absicht, die Semnonen als einen großen Stamm zu beschreiben. Es ist zu beachten, daß schon Cäsar gerade für die Mainsueben ebenfalls von 100 Gauen berichtet. Vgl. R. Much 1918/19, S. 166. Sequester „De fluminibus" 2, ed. Bursian; (vgl. R . Wenskus 1961, S. 551).

GERMANENNAME UND ETHNOGENETISCHE PROBLEME

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Angaben über die Hermunduren finden sich bereits im Zusammenhang mit den Langobarden und Semnonen. Eine geographische Verbindung der schon für das Jahr 3 v. u. Z. genannten Donauhermunduren mit den Hermunduren Mitteldeutschlands geht aus den antiken Quellen nicht eindeutig hervor, 42 wohl aber deren Nachbarschaft zu den Semnonen und Chatten (Tacitus, Ann. 13, 57). A u c h berichten die Quellen mehrmals v o m Eingreifen der Hermunduren in markomannisch-quadische Angelegenheiten (z. B. Tacitus, Ann. 2, 63; 12, 29—30) und von ihrer Beteiligung an den Markomannenkriegen (z. B. Scriptores Historiae Augustae 4, 22, 1 und 27, 9L), so daß vermutlich ihr Machtbereich recht groß gewesen sein muß. Unklar bleibt nach den antiken Berichten wie schon für die Langobarden so auch für die Hermunduren die Frage nach der ursprünglichen Zugehörigkeit zu den Sueben.

3.

Antike

Autoren

zum Namen

und zu ethnogenetischen

,,Germanen"

Problemen

Die Fragen nach der H e r k u n f t und der Deutung des Namens „ G e r m a n e n " finden bis heute in der Forschung recht unterschiedliche Beantwortung. Zu den Deutungsversuchen von althistorischer und linguistischer Seite hat sich ein großes Schrifttum entwickelt. 4 3 Wir haben gesehen, daß die Germanen selbst keine gemeinsame Bezeichnung kannten, vermutlich als Folge der sozialen und politischen Verhältnisse. Doch werden sich spätestens im letzten Jahrhundert v. u. Z. gewisse kulturelle, sprachliche und anthropologische Gemeinsamkeiten herausgebildet haben, die A n l a ß waren, daß diese Stämme in der antiken Literatur unter dem Namen Germanen zusammengefaßt erscheinen. Direkte Hinweise antiker Autoren zum Namen Germanen geben nur wenige Berichte; an ihnen hat sich später die Diskussion entzündet. Hier wäre vor allem der berühmte Namensatz in Tacitus' Germania (2) zu zitieren: „Die Bezeichnung Germanien sei dagegen jüngeren Ursprungs und vor nicht allzulanger Zeit aufgekommen; denn die Leute, die zuerst den Rhein überschritten und Gallier vertrieben hätten, die jetzigen Tungrer, hätten damals Germanen geheißen: der Name eines einzelnen Stammes, nicht des Gesamtvolkes habe sich allmählich in der Weise durchgesetzt, daß zunächst die Gesamtheit der Germanen wegen des 42

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Die Angaben des Tacitus (Germ. 41), daß die Hermunduren jenseits der Donau wohnen und bis nach Rätien hinein Handel mit den Römern treiben dürfen, scheinen auf ältere Zeiten zurückzugehen, als die Donau noch eine offene Grenze bildete (vgl. E. Norden 1959, S. 276I). Vgl. besonders Th. Birt 1917; W. Krogmann 1933; E. Bickel 1934, S. i f f . ; S.Gutenbrunner 1941 (mit Besprechung älterer Interpretationen); H. Haas 1943/44; B- Collinder 1944; W. Krogmann 1952; A . B a c h 1952, S. 3igff., 2^6; F. Focke 1952, S. 31 ff.; W. Steinhauser 1954 (Germanen von indogermanisch g-hermos = warm) und 1955; J. de Vries i960, S. 46, 55 — 60; H. Rosenfeld 1960/61 und 1961, S. 17; H. Heubner 1962; R. Hachmann 1962; M. Schönfeld 1911 (1965); B. Melin 1963; R. v. Uslar 1965, S. 141 ff.; K. Kraft 1970; T. Pekkanen 1971; W. Meid 1972; E. Schwarz 1972; H. Koch 1975; H. Kothe 1979.

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Schreckens, der dem Namen anhaftete, von dem Sieger so genannt wurde, sich dann aber auch selbst so bezeichnete44, nachdem der Name einmal aufgekommen war" (nach A. Mauersberger 1971, S. 28!, s. Tacitus). Danach nimmt man allgemein an, daß der Name eines Einzelstammes, der zuerst den Rhein überschritten hat, auch auf die rechtsrheinischen Stämme übertragen worden ist.46 Cäsar läßt sich berichten, daß die meisten Belgae von den Germanen abstammen und in früherer Zeit über den Rhein gekommen seien (Bell. Gall. 2, 4), daß Condrusen, Eburonen, Caeroser und Paemaner „mit einem Namen Germanen" genannt werden. Daß diese germanischen Stämme schon sehr früh den Rhein überschritten haben, dafür sprechen auf Grund der Namenforschung das weitgehende Fehlen der germanischen Lautverschiebung bei ihnen und Ähnlichkeiten ihrer mit der in Nordwestdeutschland üblichen Sprache. Die Übertragung des Namens auf alle linksrheinischen Germanenstämme sowie die Ausdehnung auf alle weiteren, auch rechtsrheinisch lebenden Stämme muß jedenfalls vor der Zeit Cäsars liegen, vermutlich schon vor oder zur Zeit des Poseidonios. Doch bedarf npch der Klärung, ob die Eburonen (die späteren Tungrer) schon in ihrer ursprünglichen Heimat den Beinamen Germanen führten (so W. Steinhauser 1955, S. 15) oder ob sie diesen erst bei ihren Zusammenstößen mit Kelten und Römern in linksrheinischem Gebiet erhielten. Etymologische Ableitungsversuche des Namens hat es aus dem lateinischen, keltischen, germanischen, illyrischen, griechischen, litauischen, altindischen und hebräischen Sprachschatz gegeben (s. Anm. 43), ohne daß man zu endgültigen Ergebnissen gelangt wäre. Hielte man sich nur an die antiken Quellen, so geht diese Gesamtbezeichnung auf die Römer zurück, denn Strabon (Geographica 7, 1, 2, p. 290, nach Th. Birt 1917, S. 38) berichtet: „Gleich jenseits des Rheins nun also, im Osten, wenn wir von den Kelten kommen, wohnen Germanen, die von der keltischen Rasse sich um ein weniges durch gesteigerte Wildheit, Körpergröße und blonde Haarfarbe unterscheiden, im übrigen aber an Gestalt, Sitten und Ernährungsweise ähnlich sind, wie wir die Kelten geschildert haben. Deshalb haben ihnen auch die Römer, wie mir scheint, den Namen gegeben, indem sie sie nämlich wohl als ,echte Gallier' haben bezeichnen wollen; denn .germani' heißt in der römischen Sprache die Echten." Danach könnten die Germanen zunächst als Kelten, als echte Gallier (Galli germani), angesehen46 und von den Römern benannt worden sein. Die Deutung aus dem Lateinischen würde gut mit der Nachricht des Plinius (Nat. hist. 3, 25) korrespondieren, der von einem vermutlich keltiberischen Stamm am Nordabhang der Sierra Morena in Spanien berichtet: „Oretani qui et Germani cognominantur", und zwar werden die eigentlichen echten Oretani („Oretani germani") dem zweiten Teil der Oretani, den so44

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Sowohl die Belgae (Cäsar, Bell. Gall. 2,4) als auch die Treverer und Nervier (Tacitus Germ. 28) berufen sich auf ihre germanische Herkunft! Als Beispiel dafür, daß Völkernamen oft von Nachbarn geprägt wurden, diese vielfach von dem zunächstwohnenden Stamm ausgehen, sei hier nur die Bezeichnung Allemands für die Deutschen durch die Franzosen angeführt. Lat. adj. germanus = denselben Eltern entsprossen; verwandt (brüderlich), leiblich, stammecht, leibhaftig, unvermischt, echt, wirklich (W Steinhauser 1955, S. 17)

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genannten Mentesani, gegenübergestellt.47 Außer dieser zufälligen Namensgleichheit auf Grund der Interpretation als die „Echten ..." bestünde auch hypothetisch die Möglichkeit, daß diese Germani Oretani einen vom Rhein nach Spanien vorgedrungenen Stamm darstellen (R. Wenskus 1961, S. 289t.). Sprachliche Schwierigkeiten treten sowohl bei der Ableitung des Namens aus dem Keltischen 48 als auch aus dem Germanischen selbst49 auf. Für eine Herkunft aus dem II lyrischen ist in letzter Zeit wiederholt mit Nachdruck Stellung genommen worden,50 zumal die Sprachforschung immer mehr dazu neigt, eine Germanisierung der nordwestdeutschen, westfälischen Gebiete erst für die letzten Jahrhunderte v. u. Z. anzunehmen, und mit dem Weiterleben starker venetoillyrischer Bevölkerungsanteile rechnet. 51 Dies würde allerdings dafür sprechen, daß der Name schon aus der ursprünglichen Heimat mitgebracht wurde. Analog zu den Schwierigkeiten um die Herkunft und Deutung des Namens Germani stellen sich die Probleme um den Namen „Germania", der zuerst bei Cäsar (z. B. Bell. Gall. 4, 4; 5, 13; 6, 11, auch als Adjektiv „bellum Germanicum", 4, 16) und später häufig erscheint. Als Urheber dieses Landesnamens für Siedlungsgebiete der linksrheinischen Germanen und der Verallgemeinerung für den gesamten germanischen Raum gelten im allgemeinen die Römer (W. Steinhauser 1955, S. 14). Später, nach Einrichtung der Provinzen „Germania superior" und „Germania inferior", wurde der Name im wesentlichen auf diese Rheingebiete beschränkt. Die rechtsrheinischen Gebiete gelten später im allgemeinen als das Land der Sueben, so daß auf der Peutingerschen Tafel 52 die Bezeichnung „Suevia" erscheint53 bzw. daneben ähnliche Bildungen wie „Gothia" und „Francia" bei späteren Autoren auftreten. 54 Fragen der Herausbildung der germanischen Stämme tangiert im wesentlichen nur Vgl. u. a. Th. Birt 1917, S. 63; E. Bickel 1934, S. 19; J. de Vries i960, S. 55; H. Rosenfeld 1961, S. 17. 48 Einen Überblick zu der entsprechenden Literatur (z. B . J. Schnetz 1923) gibt S. Gutenbrunner 1941. 49 Besonders R. Much 1920; S. Gutenbrunner 1941. Außer ga-erman6z = „Gesamtvolk" und germanöz = „die Befreundeten" wird der Name auch als „die Grimmigen", „die Schreier", „die Dinggenossen", „die Hervorragenden" interpretiert. 50 E. Norden 1934, S. 261 ff.; W . Steinhauser 1955, S. 12, 16, 28; H. Rosenfeld 1961, S. 17; W. Meid 1964, S. 108ff.; H. K u h n i960, 1961, 1962, 1968. Mit Germanus zusammengesetzte Personen- und Ortsnamen kommen im Illyrischen häufig vor, während die z. B. im Fränkischen auftretenden, mit Germen- als erstem Bestandteil zusammengesetzten Personennamen nicht immer eindeutig aus dem germanischen Namengut erklärbar zu sein scheinen (Rosenfeld s. o.). 51 Als eines der Hauptbeispiele aus dem Namengut dieser Gebiete werden stets germanische Zusammensetzungen mit dem illyrischen -apa angeführt, was die Vermischung beider Bevölkerungsteile voraussetzt (H. Rosenfeld 1961, S. 21; W. Meid 1964, S. 108 ff.; H. Kuhn s. Anm. 50). Archäologisch gesehen könnte es sich um Anteile der Urnenfelderkultur bei der Ethnogenese der Germanen handeln. 5 - Tabula Peutingeriana, im 12./13. Jh. angefertigte Kopie einer antiken römischen Straßenkarte. 53 Vgl. Th. Birt 1917, S. 116, mit Literaturhinweisen. 54 Zusammenstellung bei R. Wenskus 1961, S. 535. 47

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das Kapitel 2 der „Germania" des Tacitus. 55 Nach seiner Meinung sind die Germanen Ureinwohner und nicht mit anderen „Völkern" vermischt. Diese Auffassung ist verständlich, da Tacitus zu einer Zeit lebte, als der Konsolidierungsprozeß vermutlich unterschiedlicher Substrate weitgehend abgeschlossen gewesen sein dürfte. Tacitus berichtet an gleicher Stelle über den mythologischen Ursprung der Germanen: „Die Germanen preisen in uralten Liedern, der einzigen Art von geschichtlicher Überlieferung, die es bei ihnen gibt, den erdentsprossenen Gott Tuisto. Ihm weisen sie einen Sohn Mannus als den Urahn und Stammesvater ihres Volkes zu, dem Mannus (wieder) drei Söhne, nach deren Namen die unmittelbar an der Küste des Ozeans lebenden Stämme Ingävonen, die Völker in der Mitte des Landes Herminonen, die übrigen Istävonen heißen sollen. Manche behaupten, wie es bei einer so weit zurückliegenden Zeit leicht zu vertreten ist, der Gott habe mehr Söhne gehabt und es gebe (entsprechend) mehr Stammesnamen — Marser, Gambrivier, Sueben, Vandilier —, und dies seien die echten, alten Namen" (nach A.Mauersberger 1971, S.27, s.Tacitus). Der Stabreim setzt sowohl die erste germanische Lautverschiebung voraus, so daß vermutlich die durch den Stabreim gebundenen drei Namen nicht älter als 1. Jh. v. u. Z. sein können (H. Rosenfeld 1961, S. 30; vgl. auch K. Hauck 1964),56 als auch das Bewußtsein einer gewissen Zusammengehörigkeit, das sich gerade in dieser Zeit zu entwickeln begonnen haben mag. Wiederholt ist auf die Verwandtschaft der germanischen Entstehungsmythe besonders mit der skythischen, 57 aber auch anderen indogermanischen Kultlegenden aufmerksam gemacht worden. Daher wird es sich wahrscheinlich um einen gemeinindogermanischen Mythos handeln (H. Rosenfeld 1961, S. 29t; A. Mauersberger 1971, S. 126, s. Tacitus), wie überhaupt religionsgeschichtliche Untersuchungen58 neben solchen der Sprachwissenschaft wichtige Hinweise für die indogermanische Herkunft und die Verwandtschaftsbeziehungen der Germanen lieferten. Das Indogermanenproblem selbst ist auch heute in der sprachwissenschaftlichen Forschung noch Gegenstand der Diskussion.69 Doch geht wohl in bezug auf die Herausbildung der germanischen Sprache bzw. der germanischen Dialekte des 1./2. Jh. u. Z. die allgemeine Auffassung, dahin, daß verschiedene indogermanische und vorindogermanische Substrate mitgewirkt haben werden. 55

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Hinweise zu Entwicklungsprozessen der Stämme erscheinen in der antiken Literatur dagegen recht zahlreich, z. B. zur Abstammung der B a t a v e r von den Chatten (Tacitus, Germ. 29; Hist. 4, 12 — 37) oder zur Entwicklung der Sueben (Tacitus, Germ. 39). Vom archäologischen Standpunkt bezeichnet allerdings K . Tackenberg (1962, S. 69) diese drei Gruppen als „bedeutsame uralte Sonderbildungen", die bis in das 7./6. Jh. v. u. Z. zurückverfolgbar seien. Überliefert bei Herodot 4, 5 — 15. Herodot von Halikarnassos in Kleinasien (ca. 480 —ca. 430 v. u. Z.), „Darlegung der Erkundung" in 9 Büchern, historische Betrachtungen mit geographischen und ethnographischen Exkursen. Zur K u l t m y t h e vgl. u. a. H. Naumann 1934. S. 23. Vgl. u. a. J. d. Vries 1951a mit älteren Literaturhinweisen; H. Rosenfeld 1961, S. 27ff. Vgl. E. Schwarz 1952, S. 193 ff. u. 1972, S. X X V f . ; H. Krähe 1959; H. Rosenfeld 1961, S. I 7 f f . ; A. Scherer (Hrsg.) 1968; W . P. Schmid 1968; M. Gysseling 1970; G. Cardona, H. M. Hoenigswald, A. Senn (Hrsg.) 1970. Zum Gesamtproblem s. S. 105ff., dort weitere Literaturhinweise.

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Kehren wir z u m K a p i t e l 2 der Germania zurück, so erhebt sich die Frage, ob Tacitus hier nicht selbst — vermutlich unbewußt — auf verschiedene Wurzeln für die Ethnogenese der Germanen hinweist. Geht man nämlich nicht davon aus, daß die drei K u l t verbände alle im nordwestdeutschen 6 0 , erst im Verlauf der letzten Jahrhunderte v. u. Z. germanisch gewordenen Gebiet zu Hause sind, dann müßte man für die drei bzw. vier angeblich älteren taciteischen Gruppierungen (denen fünf bei Plinius gegenüberstehen) verschiedene Herkunft, verschiedene Substrate, die auch archäologisch greifbar sein müßten, 6 1 verantwortlich machen; auch innerhalb der größeren Gruppierungen werden vermutlich verschiedenartige Bevölkerungsanteile an der Herausbildung mitgewirkt haben. So wird Tacitus' These von der gemeinsamen Herkunft aller im 1. J h als Germanen bezeichneten Stämme sowohl von den übrigen taciteischen Angaben her als auch durch die fortschreitende sprachwissenschaftliche, religionsgeschichtliche und archäologische Forschung immer mehr in Frage gestellt.

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R. Hachmann (1962, S. 51) verweist die drei Mannusstämme in das nordwestdeutsche Gebiet westlich der Sueben. Dafür, daß auch die Herminonen zu den Mannusstämmen des Westens gehörten, könnte sprechen, daß gerade dort später Namensbildungen mit ahd. irmiu, erman, iormun, ags. yrmen, eormen auftreten (K. Müllenhoff 1879, S. 2f.; im Sanskrit irma), und daß auch die Irminsäulen nur im Gebiet westlich der Elbe erscheinen. In der Fränkischen Völkertafel aus dem 7-/8. Jh. u. Z. werden von den drei Brüdern Istio, Erminus und Ingno verschiedene Völkerschaften abgeleitet (E. Zöllner 1970, S. 6). Zu den verschiedenen im Ethnogeneseprozeß wirksam werdenden Bestandteilen wird man außer der eigentlichen germanischen Komponente auch keltische Elemente im südlichen Kontaktgebiet zum Keltenbereich sowie nach der Sprachforschung venetoillyrische Elemente im sogenannten Nordwestblock rechnen müssen, letztere vermutlich im Zusammenhang mit der Urnenfelderkultur stehend, wie diese schon am Beginn des Herausbildungsprozesses wesentliche Impulse aus dem Süden geliefert haben wird.

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63

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IV.

Die gesellschaftlichen

Verhältnisse

im nördlichen Mittel- und südlichen vor Herausbildung der germanischen

Nordeuropa Stämme

Bei den Archäologen, deren Ziel es ist, die Geschichte und Kultur der bronzezeitlichen Stämme zu erforschen und darzustellen, hat sich die Ansicht durchgesetzt, daß sich im mitteleuropäischen Gebiet historisch-kulturelle Bereiche herausgebildet haben, die sich geographisch voneinander abgrenzen lassen. Im Mittelpunkt solcher Darstellungen standen der „Nordische Kreis" und der im Westen und Südwesten angrenzende „Urnenfelder-" bzw. der im Süden, Südosten und Osten anschließende „Lausitzer Kreis". Der „Nordische Kreis" spielte dabei im Zusammenhang mit der Herausbildung der germanischen Stämme in der Forschung eine besondere Rolle. Die aus diesem Raum stammenden archäologischen Quellen wurden auch als Nachweis für germanische Stämme (s. S. 66) in diesem Gebiet herangezogen. Dabei ging man von der These aus, daß es im nördlichen Mitteleuropa und im südlichen Nordeuropa eine kontinuierliche Besiedlung von Endneolithikum bis in die Zeit hinein, in der in diesem Gebiet germanische Stämme schriftlich bezeugt sind, gegeben habe. Nach wie vor bleibt aber unklar, ob eine Übereinstimmung zwischen einer sogenannten protogermanischen bzw. germanischen Bevölkerung mit einem bestimmten historisch-kulturellen Bereich, in diesem Falle dem sogenannten Nordischen Kreis der jüngeren Bronzezeit 1 , besteht oder nicht. Die vorliegende Darstellung geht von der Prämisse aus, daß der Prozeß der Herausbildung der germanischen Stämme möglicherweise schon in der jüngeren Bronzezeit eingesetzt hat, jedoch erst für die vorrömische Eisenzeit faßbar wird. Dieser Prozeß verlief jedoch nicht ausschließlich in dem Raum, der kulturell durch die Jastorfkultur repräsentiert wird. Da es in den betreffenden Siedlungsgebieten genügend Belege für eine autochthone Herausbildung der Jastorfkultur bzw. der Harpstedt-Nienburger-Kultur 2 und damit eine Beziehung zum Siedlungshorizont der ausgehenden Bronzezeit gibt, wird zum besseren Verständnis des Gesamtprozesses, gewissermaßen als Einführung in die gesellschaftliche Entwicklung, insbesondere zum Stand der Produktivkräfte und zur Produktion bei der Bevölkerung im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa in der jüngeren Bronzezeit Stellung genommen. 1

2

Unter jüngerer Bronzezeit versteht man den Zeitabschnitt vom Einsetzen des Lausitzer Einflusses (Periode I l l b bzw. frühe/ältere Urnenfelderzeit) bis zum Einsetzen der Jastorfkultur (Periode V I bzw. jüngere Hallstattzeit). K . T a c k e n b e r g 1934; R . Gensen 1963; D. Zoller 1965; K . Wilhelmi 1974a, 1974b, 1975.

Karte 1. Die endbronzezeitliche Besiedlung (7. bis 6. Jh. v.u. Z.) im nördlichen Mi bildungsgebiet der nachfolgenden Jastorfkultur: 1 7. bis 6. Jh. v. u. Z Gruppen; 4 Hausurnen-, 5 Billendorfer-, 6 Aurither-, 7 Göritzer-, 8 Ostp«

chen Mittel- und südlichen Nordeuropa. 1 und 2 Fundplätze im Heraus. v. u. Z.; 2 zeitlich nicht sicher eingrenzbar; 3 Harpstedt-Nienburger8 Ostpommersche-, g Usedom-Wolliner-Gruppe.

SIEDLUNGSGEBIETE

1.

65

Siedlungsgebiete

Der Ort für die Anlage von Siedlungen wurde zu jener Zeit noch weitgehend von den geographischen Faktoren bestimmt. Man bevorzugte Hochflächenränder an den Niederungsgebieten sowie Uferzonen der Bach- und Flußläufe und der Seen. Auch Dünen und Lehm- bzw. Sandinseln in den Talauen sind besiedelt worden. Die feuchten und ständig von Überschwemmungen bedrohten Niederungsgebiete, die Flußniederungen und die Urstromtäler sowie die großen, ungegliederten, wasserlosen Talsandinseln und die Hochflächen wurden gemieden. Im niederländisch-nordwestniedersächsischen Raum bildeten große Moorgebiete und sandige Höhenrücken Siedlungsgrenzen. Im anschließenden Südniedersachsen und im nördlichen Westfalen waren es siedlungsfeindliche Gebirgszüge, wie z. B. das Wiehen- und Wesergebirge, sowie die ihnen vorgelagerten Niederungsgebiete, weiter westlich die Aller- und Ohreniederung und weiter nördlich die wasserlosen, ungegliederten Endmoränenzüge der Lüneburger Heide, des Drömling und der Kolbitz-Letzlinger Heide. Im Bereich der Mittelelbe und des Havellandes stellte die dem Fläming unmittelbar vorgelagerte Fiener-Brück-Baruther Talniederung, unter Einbeziehung der Zauche-Hochfläche, eine Siedlungsgrenze dar. Im weiteren Verlauf sind dazu auch die Teltow-, Barnim- und Lebuser-Platte, die Uckermärkischen Kuppen- und Hügelgebiete sowie die Ückermünder Heide, das Kleine Haff und schließlich der Peene-Strom zu rechnen. Ebenso blieben Gebiete mit vorwiegend schweren bzw. extrem schweren Böden, wie die Elbtalniederung mit ihren Naßböden auf Ton und dem hohen Grundwasserstand im Frühjahr, bei der Besiedlung ausgespart. Im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa herrschen sandige bis lehmige Sandböden vor. Nur ganz vereinzelt sind bessere Böden anzutreffen, sie beeinflußten kaum die Wahl der Siedlungsplätze. Der allgemein niedrige Nutzbarkeitsgrad der Böden wurde durch das schnelle Abtrocknen und die leichte Bearbeitbarkeit aufgewogen. Die Zahl der bekanntgewordenen Siedlungen ist im Verhältnis zur Gesamtfundplatzzahl immer noch gering. Daher hat die Auswertung der überaus zahlreichen Gräberfelder besondere Bedeutung. Hinzu kommen einige wenige Kult- und Opferplätze sowie eine große Zahl von Hort- und Einzelfunden. Eine auf dieser Quellengrundlage erarbeitete Besiedlungskarte für das nördliche Mittel- und südliche Nordeuropa (Karte 1) weist neben dichtbesiedelten Gebieten auch Räume mit lockerer Fundplatzverteilung aus. Bei den Fundplatzkonzentrationen handelt es sich um klein- und großräumige Siedlungsareale (Abb. 6). In einigen Fällen — besonders im unteren und mittleren Elbgebiet — waren offensichtlich mehrere Siedlungsgebiete zu größeren Gruppierungen in deutlich ausgeprägten geographischen Räumen zusammengeschlossen (F. Horst 1978, Abb. 6—7). Zwischen ihnen gab es fundleere Zonen bis zu 30 km Breite. Dies könnten Hinweise auf mögliche Stammesgebiete sein. Folgende territoriale Gruppen treten im Gesamtsiedlungsbild hervor: Im küstennahen Geestgebiet zwischen der Ems- und Elbmündung ist die Nordniedersächsische Gruppe (K.Tackenberg 1939, S. 153 ff.; M.Claus 1952, S. 46) verbreitet. An diese schließt im östlich angrenzenden Unterelbegebiet die Ilmenau-Gruppe (M. Claus 1952, S. 46) an. Zu ihrem Siedlungsbereich gehören der nordöstlichste Teil Niedersachsens, das hannoversche Wendland, die westliche Altmark und Teile des Hamburger und lauenburgischen Gebiets. Die Elbe grenzt die Ilmenau-Gruppe von der Prignitz-Gruppe (F. Horst 1972, Abb. 19—20; ders. 1978, Abb. 6—7) ab. Diese Gruppe 5

Germanen — Bd. 1

66

GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE

erstreckt sich über die westliche und über Teile der östlichen Prignitz. Südlich schließt sich im westlichen Teil des Havelgebiets und in der östlichen Altmark die Elb-HavelGruppe an (F. Horst 1972, S. 97ff., Abb. 19—20; ders. 1978, Abb. 6—7). Die fundleeren Luchgebiete (Havelländisches und Rhin-Luch) bilden die Grenze zur Rhin-Gruppe im östlichen Havelland. Für andere Landschaften lassen sich wegen lockerer Fundplatzstreuungen und wegen spärlicher archäologischer Befunde noch keine Sieldungskonzentrationen und größere Gruppierungen herausarbeiten.

Abb. 6. Die spätbronzezeitlichen Fundplätze der Siedlungskammer von Osterburg. 2 Gräberfeld, 3 Einzelfund, 4 Kultplatz.

1 Siedlung,

Trotz bestehender Besonderheiten in der materiellen und geistigen Kultur innerhalb der einzelnen großen Siedlungsgebiete überwog doch insgesamt das Gemeinsame in der Kultur, das die hier lebende Bevölkerung auch von der im südlichen Mitteleuropa unterschied. Dazu gehörten zahlreiche Gegenstände der materiellen Kultur, fast alle aus Metall hergestellten Geräte, Waffen und Schmucksachen sowie ein großer Teil der Stein- und Knochengegenstände. Ebenso viele Übereinstimmungen weisen die Grabformen, die Bestattungs- und die Beigabensitten auf. So darf man zusammenfassend sagen, daß die Gesamtverbreitung der Fundplätze nicht nur einen Überblick über die allgemeine Siedlungssituation gibt, sondern mit Hilfe der Quellen auch die vorstehend erarbeitete Gruppierung möglich war.

2.

Haushau und Siedlung

Wegen der schlechten Quellenlage sind unsere Kenntnisse immer noch gering. Deshalb sind nur wenige Aussagen über Form, Größe und Aufbau einzelner Häuser bzw. Siedlungen möglich.

HAUSBAU UND SIEDLUNG

67

Im Gebiet des nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropas kann man vorerst vier Hausformen herausstellen: drei verschiedenartige ebenerdige Pfostenbauten, die als Wohngebäude dienten, und eingetiefte Häuser, die als Produktionsstätten bzw. Speicher benutzt wurden. Bei den Wohngebäuden handelt es sich um dreischiffige Wohnstallhäuser, um erheblich kleinere rechteckige und in der Regel einräumige Gebäude (Typ Buch — F. Horst 1982) sowie um zweischiffige Bauten. Die Wohnstallhäuser einerseits und die kleinen rechteckigen bzw. die zweischiffigen Wohnbauten zum anderen schließen sich in ihrer Verbreitung (F. Horst 1984, Abb. 95) aus. Wohnstallhäuser sind vorwiegend im Bereich der Nordseeküstengebiete und in Jütland, die andere Hausform dagegen im Binnenlande nachgewiesen. Im Gebiet der Niederlande3 und in Dänemark 4 konnten bereits zahlreiche dreischiffige Wohnstallhäuser aus der jüngeren Bronzezeit untersucht werden. Vom deutschen Gebiet liegen entsprechende Untersuchungen von Siedlungen aus Jemgum, Kr. Leer, und Boomborg-Hatzum, Kr. Leer, vor (W. Haarnagel 1965, S. i32ff., Abb. 5—6; ders. 1969, S. 58ff., Abb. 3—4). Obwohl in Jemgum (W. Haarnagel 1957, S. 2ff., Plan 6—7; ders. 1965, S. 141) nur ein Ausschnitt aus einer offenbar größeren Siedlung durch die Grabung bekannt geworden ist, ermöglicht er doch gute Aussagen über ein dreischiffiges Hallenhaus in Pfostenbohlenkonstruktion. Die Wände des 7,5 m langen und 4,5 m breiten Hauses bestanden aus hegenden, von Zangenpfosten gehaltenen Bohlen. An beiden Längsseiten befanden sich Eingänge, über die das Dach laubenartig vorragte. Das zweigeteilte Hausinnere bestand aus einem Wirtschaftsraum mit einer Herdstelle und einem mit Brettern ausgelegten Wohn-Schlafraum. In Boomborg-Hatzum sind bisher auf einer zusammenhängenden Fläche von 3510 m 2 vier Wohnstallhäuser freigelegt worden.5 Es handelt sich um 10,0—13,5 m lange und 5.3—5.8 m breite dreischiffige Wohnstallhäuser mit einem nördlichen Wohnteil und einem südlichen Stallteil. Die Gebäude standen am Hang und umgaben einen freien Platz, der nach Norden zum Wasser hin (Hauptpriel) geöffnet war. In der Mitte dieses 3

4

In E l p (Prov. D r e n t h e , Niederlande) w u r d e n zahlreiche Hausgrundrisse, darunter mehrere dreischiffige Hallenhäuser v o n 10—40 m L ä n g e und 4,60 —5,60 m Breite, freigelegt. A n hand des archäologischen Materials und der C - 1 4 - B e s t i m m u n g e n ist eine D a t i e r u n g in die jüngere B r o n z e z e i t gesichert. E s handelt sich somit u m das bisher älteste V o r k o m m e n dreischiffiger H a l l e n b a u t e n ( H . T . W a t e r b o l k 1964, S. 9 7 f f . , F i g . 2 — 6 , 11, P l a n ; M. MüllerW i l l e 1965, S. 81 f.). W ä h r e n d v o n den dänischen Inseln bisher e t w a 20 jungbronzezeitliche Siedlungsplätze b e k a n n t , j e d o c h n o c h nicht untersucht w o r d e n sind, k o n n t e m a n auf J ü t l a n d e t w a ein D u t z e n d jungbronzezeitlicher Ansiedlungen aussondern und d a v o n fünf in größeren A u s g r a b u n g e n u n t e r s u c h e n : F r a g t r u p (Westhimmerland), H o v e r g a a r d e (Westjütland), Örnh o j / B j e r g ( W e s t j ü t l a n d ) , Ristorf (Westjütland), S p j a l d (Westjütland). B e i den g e n a n n t e n U n t e r s u c h u n g e n t r a t e n mehrere Grundrisse v o n dreischiffigen P f o s t e n b a u t e n v o n ca. 20 m L ä n g e und e t w a 6 m Breite zutage. D e r E i n g a n g der vorwiegend ost-west-orientierten u n d in einen westlichen W o h n - und einen östlichen Stallteil gegliederten H ä u s e r b e f a n d sich jeweils a n einer Längsseite. D e r W o h n r a u m wies immer eine Feuerstelle auf, sie b e f a n d sich in allen H ä u s e r n a m westlichen E n d e des R a u m s (J. B r o n s t e d 1962, S. 253 ff., 302 f.; C. J. B e c k e r 1 9 7 2 b , S. i 3 f f . , Taf. 1 — 2; ders. 1972a, S. 5Ü., Fig. 5 — 10).

5

5*

Suchschnitte u n d B o h r u n g e n haben ergeben, d a ß sich die Siedlung insgesamt über eine Fläche v o n e t w a 12000 m 2 erstreckte (W. H a a r n a g e l 1957, S. 28ff.).

68

GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE

Platzes befand sich ein Bohlenpfostenhaus von 8,5 m Länge und 6,5 m Breite, zu dem weder Stallungen noch Speicher gehörten. In beiden Siedlungen fanden sich in unmittelbarer Nähe der Häuser Speicher für die Bevorratung der Futterbestände. Die bisher bekannt gewordenen Häuser bzw. Siedlungsanlagen aus dem Binnenland beschränken sich auf das untere und mittlere Elb- bzw. das Havelgebiet. 6 Zu den in Hamburg-Boberg entdeckten fünf Hausgrundrissen gehören drei ebenerdige Pfostenbauten von 7,5—10,5 m Länge und 3,0—3,5 m Breite. Die restlichen zwei Gebäude wurden als leicht eingetiefte Häuser mit Feuerstelle angesehen; sie hatten eine Größe von 11,5 bzw. 12,5 m in der Länge und 4,0 bzw. 5,0 m in der Breite. Aus dem mittleren Elb- und Havelgebiet gibt es gegenwärtig Hinweise auf 59 Hausgrundrisse der jüngeren Bronzezeit, und zwar handelt es sich vorwiegend um Pfostenbauten mit einer durchschnittlichen Größe von 3,5—6 m in der Breite und 5,0—8,5 m in der Länge (Abb. 7 a). Die Mehrzahl der Häuser ist einräumig (durchschnittlich 18 m 2 groß). Außer der Feuerstelle, die sich immer an der hinteren Wand befand, gehörten verschiedentlich auch Kellergruben zu diesen Häusern. Vorratsgruben, Abfallgruben und Wasserbehälter lagen außerhalb der Häuser. Im Unterschied zu diesem Wohnhaustyp traten zweischiffige ebenerdige Gebäude (Abb. 7c) nur vereinzelt auf. Diese Häuser erreichten eine Länge von 6,9—7,8 m und eine Breite von 4,7—5,6 m und wiesen somit eine durchschnittliche Größe von 37 m 2 auf. Ähnlich wie in Hamburg-Boberg konnten auch in Zedau, Ot. v. Osterburg, neben den Pfostenhäusern bis zu 1,2 m eingetiefte Häuser von 3,0—4,3 m Breite und 4,7—7,9 m Länge (Abb. 7 b) nachgewiesen werden. Wohl fehlten in ihnen Feuerstellen, sie lagen aber außerhalb der Häuser. Bronzegußreste, tönerne Gußformen, Tonlager und Fehlbrände von Tongefäßen verdeutlichen allgemein einen Bereich handwerklicher Produktion, zu dem die Grubenhäuser gehört haben.7 Über die Größe und die Formen der Siedlungen geben die Befunde von Perleberg und Zedau, Ot. v. Osterburg, wichtige Aufschlüsse. Die bei Perleberg entdeckten gleichgroßen Häuser verteilen sich um einen freien Platz (Abb. 8) und lassen ein gewisses Ordnungsprinzip im Grundriß erkennen. Auf dem Wohnplatz von Zedau, Ot. v. Osterburg, bildeten die Wohnbauten, 28 kleinere rechteckige und 4 größere zweischiffige Gebäude, das Zentrum der Siedlung. Die einzelnen Häuser waren in lockerer Streuung, über ein Areal von 120 X 50 m verteilt, angelegt worden. Die kleineren Bauten waren 6

7

Es handelt sich um die Siedlungsplätze von Hamburg-Boberg (R. Schindler i960, S. 92ff., Abb. 27—30, 32); Krinitz und Warlow, beide Kr. Ludwigslust (Ortsakten des Museums für Urgeschichte Schwerin); Lenzersilge (W. Böhm 1934, S. 204ff.; dies. 1937, S. 56ff., Taf. 41 — 42); Perleberg (W. Böhm 1937, S. 5öff., Abb. 52) und Viesecke, alle Kr. Perleberg (W. Böhm 1964, S. i 7 5 f f . , A b b . 2—4); Breddin, Kr. K y r i t z (A. Kiekebusch 1912, S. 426); Zedau, Ot. v. Osterburg (F. Horst 1984); Wutzetz, K r . Nauen (A. Kiekebusch 1915, S. 33ff-, A b b . 3—4), und Schmerzke, Kr. Brandenburg (P. Krause 1941, S. 42, Taf. 5). Auf die Siedlungsplätze mit gleichartigen Wohnbauten aus dem Lausitzer Siedlungsgebiet wird in diesem Rahmen nicht näher eingegangen: Berlin-Buch (A. Kiekebusch 1923); Berlin-Lichterfelde (A. v. Müller 1964); Berlin-Tegel (R. Maczijewski 1970, S. 73ff., Taf. 12); Niederneundorf, Kr. Niesky ( H . A . S c h u l t z 1938, S. 73 ff.) Potsdam-Sacrow, Römerschanze (C. Schuchhardt 1909, S. 209ff., Taf. 22); Senftenberg (J. Herrmann 1970, S. 87ff., Abb. 18 — 1 9 ) ; Tornow, Kr. Calau (R. Breddin 1973, S. i i 2 f f . , Abb. 55). Vgl. dazu F. Horst 1982, A b b . 95 und Liste 16.

69

HAUSBAU UND SIEDLUNG

•r

A b b . 7. Ausgewählte Hausgrundrisse der jüngeren Bronzezeit von Zedau, Ot. v. Osterburg. a kleines rechteckiges Pfostenhaus, b eingetieftes Haus, c zweischiffiges Pfostenhaus.

dabei ohne erkennbare Ordnung, in mehr oder weniger großen Abständen voneinander errichtet worden. Im Unterschied dazu nahmen die größeren Gebäude markante Stellen innerhalb der Siedlung ein und hoben sich auch durch größere Abstände von den kleineren Häusern ab. Die 46 eingetieften Bauten sind nur in den peripheren Bereichen der Siedlung vertreten. Der bebaute Siedlungsbereich (120 x 300 m) nahm eine Fläche von ca. 3,5 ha ein. Die recht große Anlage kann als haufenförmig angeordnete Nieder-

70

GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE

lassung angesprochen werden. Diese Befunde erwecken den Eindruck, daß bei den jungbronzezeitlichen Stämmen im mitteleuropäischen Binnenland der Siedlungstyp mit haufenförmig angeordneten Häusern dominiert.

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Die wirtschaftliche

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Plan der jungbronzezeitlichen Siedlung von Perleberg (nach W . Böhm 1937, Abb. 52).

Entwicklung

a) Viehzucht und Ackerbau Auch in der jüngeren Bronzezeit bildeten Viehzucht und Ackerbau die Hauptzweige der Nahrungsmittelproduktion. Zahlreiche Knochenfunde in Siedlungen und an Opferplätzen lassen die gehaltenen Haustierarten und den Umfang der Viehzucht erkennen. Wichtigstes Haustier war nach den bisherigen Befunden das Rind. Osteologische Statistiken weisen immer einen besonders hohen Anteil an Rinderknochen aus (70—80%). Das festgestellte Schlachtalter für Tiere, die man als Haustiere hielt, beträgt bis über 31/2 Jahre. Allerdings werden die meisten gehaltenen Tiere früher geschlachtet (M. Teichert 1964, S. i07ff.). In der unterschiedlich langen Haltungsdauer der Tiere drücken sich nicht nur die Bemühungen um die nötige Versorgung der Menschen mit Fleisch, sondern auch Überlegungen zur Nachzucht und, wie im Falle der Rinder, solche zur Milchgewinnung aus. Daß man die Milch nicht nur im ursprünglichen Zustand, sondern auch verarbeitet genoß, zeigen in den Siedlungen gefundene Siebgefäße, die auf eine Weiterverarbeitung der Milch zu Käse schließen lassen. Wichtige Fleischlieferanten waren weiterhin Schwein, Schaf und Ziege. Zu den Haustieren gehörte auch der Hund,

WIRTSCHAFT

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der wohl in erster Linie als Wächter in der Siedlung und auf der Weide, aber auch in seiner Hilfeleistung bei der Jagd geschätzt wurde. Die Haustiere wurden regional unterschiedlich gehalten. Da es bis jetzt für das Binnenland keine Hinweise auf Stallhaltung gibt, muß mit einer naturmäßigen Viehhaltung gerechnet werden. Aus dem Nordseeküstengebiet und aus Jütland haben wir dagegen Belege für die Einstaüung des Viehs (dreischiffige Wohnstallhäuser). Die Frage nach den Ursachen der unterschiedlichen Viehhaltung in den jeweiligen Siedlungsgebieten könnte mit Gründen, die mit der Verschlechterung der Großklimasituation zusammenhängen, die sich vor allem auf die küstennahen Gebiete stärker ausgewirkt hat als auf das Binnenland, beantwortet werden. Über den Ackerbau haben wir im Vergleich mit der Viehwirtschaft weitaus geringere Kenntnisse, weil die Quellensituation hierzu noch schlechter ist. Trotzdem darf man davon ausgehen, daß die zum Ackerbau verwendeten Geräte denen der vergangenen Jahrhunderte weitgehend ähnelten. Gepflügt wurde mit dem einfachen Holzpflug, den wir aus Moorfunden (Abb. 9a) und aus Darstellungen auf Felsbildern im südschwedischen Raum (P. V. Glob 1951, S. i4ff., Fig. 5) gut kennen. Bei diesem Hakenpflug bestanden Krummbaum, Sohle und Schar aus einem Stück. Die Sterze mit Handgriff war in das rückwärtige, überstehende Ende hinter dem Krummbaum eingepaßt und mit Holzkeilen befestigt. Ein Ziehhaken am Krummbaum diente zum Anspannen der Zugtiere. Mit den vorzugsweise aus Eichenholz gefertigten „Haken" konnte der Boden nur gelockert, aber nicht gewendet werden. Um dem Acker eine möglichst starke Lockerung zu geben, mußte man ihn kreuzweise pflügen, wie Pflugspuren sicher belegen (s. auch S. i30f.). Zugtier war das Rind. Ein Felsbild aus der Umgebung von Litsleby in Bohuslän, Südschweden, zeigt sogar das Anschirren der Tiere (Abb. gb), mittels eines hölzernen Jochs.8 Der Anbau umfaßte Gerste, Emmer, Zwergweizen, Dinkel, Einkorn und Rispenhirse, ferner Erbsen, Pferdebohnen und Linsen sowie Flachs und Dötter (J. Grüß 1935, S. 2i2ff.). Zum Ernten verwendete man Bronze-, vereinzelt auch Flintsicheln; für das Schärfen der Metallsicheln wurden Wetzsteine benutzt. Das Getreide wurde wie seit der Jungsteinzeit mit faustgroßen Reibsteinen auf Steinplatten zerquetscht und verbacken.9 In den Bereich der Nahrungsbeschaffung gehörten auch Jagd und Fischfang. Der Anteil der geborgenen Reste gejagter bzw. gefangener Tiere ist aber so gering, daß beide Tätigkeiten diesbezüglich keine große Rolle gespielt haben. Gejagt wurde mit Pfeil und Bogen sowie dem Speer. Als Belege dafür gibt es bronzene und knöcherne Pfeilspitzen bzw. bronzene Speerspitzen. Jagdtiere waren vor allem Elch, Auerochse, Hirsch, Reh, Wildschwein und Hase, aber auch Bär, Wolf, Fuchs, Wildkatze, Luchs, Dachs, Biber und Otter sowie Adler, Gans, Schwan und Möwe. Weiterhin stellte man hölzerne Wildfallen auf, um Eichhörnchen, Igel, Marder, Iltis und Wiesel zu fangen (E. Schuldt 1959, S. i97ff., Taf. 31—32, Abb. 2). 8

9

Die Längslinien zu beiden Seiten des Pflugbaumes sind möglicherweise als Zügel zu deuten. Die Zeichung zeigt außerdem, daß der Pflüger einen Behälter trägt, der sehr wahrscheinlich für das Saatgut bestimmt war. Hirsebrot wurde bei der Untersuchung der jungbronzezeitlichen Siedlung von Wutzetz, Kr. Nauen, nachgewiesen (A. Kiekebusch 1915, S. 44). Vgl. dazu auch J. Grüß 1935 und W. Böhm 1964.

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GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE

Abb. 9 a. Hölzerner Hakenpflug von Walle, Kr. Aurich (BRD) (nach H. Jankuhn 1969a, Tai. 6a).

Abb. 9 b. Darstellung eines Hakenpfluges vom Walle-Typ auf einer Felszeichnung von Litsleby, Bohuslän (Schweden) (nach P. V. Glob 1951, Fig. 24).

Nach den zur Verfügung stehenden Fischresten erstreckte sich der Fischfang in den Binnengewässern vor allem auf Hecht, Wels, Zander und Salm. Ost- und Nordsee lieferten insbesondere Hornfische, Dorsche und Flundern, vereinzelt auch gestrandete Robben, Grönland- und Pottwale sowie Delphine. Für das Fischen kannte man Einbäume, Netze mit Senkern aus Ton und Stein (R. Indreko 1956, S. i6ff.; F. Horst 1966, S. 1 2 1 ff.) sowie Schwimmer aus Borke (H. Lies 1963, S. 109, Taf. lb—c), aber auch

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WIRTSCHAFT

Harpunen und Angelhaken (E. Sprockhoff 1937, Taf. 26/21; U. Schoknecht i960, Abb. 48 a—b). Durch Sammeln wurden Bucheckern, Eicheln, Haselnüsse und Honig (H. Lehmann 1966, S. 45 ff.) zusammengetragen und zum Teil in Vorrat gehalten. An den Küsten und Ufern gehörten auch Muscheln und Schnecken zur Ausbeute der Sammler (W. Coblenz 1958, S. 22ff.; F. Horst 1966, S. 85).

b) Handwerkliche Tätigkeit Handwerklich wurden hauptsächlich Ton, Bronze, Stein, Knochen und Holz verarbeitet (F. Horst 1975). Aus Ton entstanden vor allem Gefäße, dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte entsprechend noch im Hauswerk. Nur ganz vereinzelt gibt es Hinweise auf eine spezialisierte Tätigkeit in diesem handwerklichen Bereich. 10 Die Gefäßformen (Abb. 10), insbesondere große Kegelhalsgefäße und doppelkonisch-bauchige Terrinen,

sowie verschiedene Schalen, Schüsseln, Näpfe, Kannen, Tassen und Becher zeigen in ihrer Gestaltung und Ausführung starke Einflüsse durch die Stämme im südlichen Mitteleuropa. Metall wurde in unterschiedlichem Umfange verarbeitet. Arbeitsgeräte, Waffen und Schmuckgegenstände entstanden aus Bronze, die wegen fehlender Erzlagerstätten (Kupfer und Zinn) eingeführt werden mußte. Man bezog das Material aus dem Alpengebiet, Ungarn, Baden-Württemberg, der Rheinpfalz, dem Frankenwald, vom Südrand

10

Anlaß zu dieser Feststellung bieten zehn Gefäße aus der Umgebung von Brandenburg/ Havel, die offensichtlich von derselben Person hergestellt wurden. Alle zehn stellen den Versuch einer Nachbildung eines Metallgefäßes dar (s. hierzu F. Horst 1972, S. 127, Abb. 18, 18a, 24a, 27, 29; die Fundliste K ist durch die Vorkommen von Brielow, Kr. Brandenburg, und Groß Demsin, Kr. Genthin [Staatl. Museen Westberlin — Museum für Vor- und Frühgeschichte II 40290 und 40648], sowie Göttin und Umgebung von Lehnin, beide Kr. Brandenburg [Museum für Ur- und Frühgeschichte Potsdam], zu ergänzen).

GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE

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des Thüringer Waldes, vom Süd- und Ostrand des Harzes und aus dem Hochharz, 11 und zwar gelangte der Rohstoff zumeist in Form stabförmiger Barren auf dem Tauschwege zu den Stämmen im nördlichen Mitteleuropa und südlichen Nordeuropa. 12 Wahrscheinlich dienten landwirtschaftliche Produkte, wie Vieh und Häute, aber auch Erzeugnisse des Fischfanges (Trockenfisch) und vielleicht auch Bernstein als Äquivalent. Der Produktionsprozeß zur Herstellung von Geräten, Waffen und Schmuckgegenständen verlangte spezielle technische Kenntnisse. Vermutlich hatten sich in den Siedlungskollektiven einzelne diese Kenntnisse angeeignet und haben dann Messer, Beile, Sicheln, Speerspitzen, Nadeln, Rasiermesser, Pinzetten und andere Gegenstände hergestellt. Ob zu diesen Produktionsfertigkeiten z. B. auch die recht komplizierte Herstellung der sogenannten Wendelringe (Taf. 1) gehörte, läßt die zusätzliche Frage entstehen, ob es am Ende der Bronzezeit nicht schon Kunsthandwerker in der Metallverarbeitung gab, die in Werkstätten produzierten und Erzeugnisse serienmäßig herstellten. 13 Die Metallgegenstände sind in erster Linie als Beigaben in den Gräbern oder als Hortfunde überliefert. Doch fehlen die Beigaben bei den meisten Bestattungen (etwa 90%). Nur in einzelnen Fällen stieß man auf Beigaben aus Bronze, vor allem Nadeln und Fingerringe. Mehr oder weniger zahlreiche Beigaben, darunter Geräte, Waffen, Kultgegenstände und bestimmte Schmuckgarnituren, begegnen lediglich in einigen wenigen Gräbern (ca. 10%). Auch in den Hortfunden ist der zahlenmäßige Anteil der Bronzegegenstände unterschiedlich. Das zahlenmäßig abgestufte Auftreten der Metallgegenstände in den Gräbern bzw. den Hortfunden unterstreicht den Wert dieser begehrten „Reichtümer", deren Erwerb sich sicher nach der wirtschaftlichen Lage des einzelnen richtete. Außer Bronze verarbeitete man vereinzelt auch Gold, das aus dem südlichen Karpatengebiet nach Norden gelangte. Der bekannte Goldfund von Eberswalde (C. Schuchhardt 1914) umfaßt z. B. mehrere Stücke Rohgold, darunter einen Barren. Goldsachen wurden aber vorwiegend als Fertigprodukte eingeführt, so daß die spezielle Verarbeitung dieses Edelmetalls ohne nennenswerte Auswirkung auf die Entwicklung der handwerklichen Produktion bleiben mußte. c) Austauschbeziehungen Als gegen Ende der Bronzezeit (etwa seit dem 9. Jh. v. u. Z.) im östlichen Urnenfelderbereich 14 kriegerische Auseinandersetzungen einsetzten (H. Müller-Karpe 1959, S. 167, 11

12

13

14

Die genannten Gebiete sind durch quantitative Spektralanalysen der Metallgegenstände als Ausfuhrgebiete des Rohstoffes für die Bronzeherstellung ermittelt worden (H. Otto, W. Witter 1952; W. Witter 1938). Rohmaterial in Barrenform und Rohgußstücke sowie fehlerhafte Erzeugnisse aus Bronze in einem Gesamtgewicht von mehr als 13 kg sind in einer endbronzezeitlichen Siedlung am Stadtrand von Calbe, Kr. Schönebeck/Elbe, gefunden worden (W. Hoffmann 1959, S. 222ff.). Bronzebarren liegen ferner von Fundplätzen aus Gandow, Kr. Perleberg, und Trieplatz, Kr. Kyritz, vor (F. Horst 1971, S. 204). G. Stimming 1903, S. 7 I ; H.-J. Hundt 1955, S. 95ff-; F. Horst 1966, S. 6 i f f . ; ders. 1975; ders. 1981. Im 13. Jh. v. u. Z. setzen historische Veränderungen ein, die weite Gebiete Europas er-

WIRTSCHAFT

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208), wurden auch die Austauschbeziehungen der hier ansässigen Stämme zu denen im Gebiet Mittel- und Nordeuropas empfindlich gestört. Die Metallieferungen blieben aus. Offensichtlich konnte der Rohstoffbedarf auch nicht aus anderen Gebieten, wie dem nordwestalpinen Raum, im erforderlichen Umfange gedeckt werden. Da man den Prozeß des Abbaues und der Verarbeitung des Raseneisensteines im nördlichen Mittelund südlichen Nordeuropa noch nicht kannte, griff man wieder stärker auf andere heimische Rohstoffe (Taf. 2), wie Knochen und Stein, zurück. Aus Knochen und Steinen entstanden in dieser Zeit Nadeln, Perlen, Anhänger, Fingerringe und Knöpfe. Dagegen blieb der Anteil der aus diesen Rohstoffen angefertigten Produktionsinstrumente (Steinbeile und Steingegenstände mit Rille) gering. Zu Waffen, wie Hirschgeweihäxten und Pfeilspitzen, verwendete man ebenfalls nur vereinzelt entsprechendes organisches Material. Bereits gegen Ende des 9. und im 8. Jh. v. u. Z. gelangten aus dem südlichen Mitteleuropa Gegenstände in den Norden, die aus einem bisher in diesen Gebieten noch unbekannten Material, aus Eisen, waren. Sehr gut läßt sich an der Fundanzahl ablesen, daß die Einfuhr eiserner Gegenstände im 7. und 6. Jh. v. u. Z. stark angestiegen war. Gegenstände aus diesem Rohstoff waren denen aus Bronze, vor allem aber denen aus Stein und Knochen, in der Qualität weit überlegen. Da bei der Bevölkerung des Nordens die Technologie der Erzverhüttung und die der Eisenverarbeitung zunächst unbekannt war, gelangten ausschließlich Fertigprodukte in ihre Hände. Die Kartierung derartiger Funde aus dem 7. und 6. Jh. v. u. Z. (Abb. 11) zeigt die unterschiedliche Streuung auf die verschiedenen Siedlungsgebiete. Der zahlenmäßig größte Anteil läßt sich bei unmittelbarer Nachbarschaft zu den Herstellungsgebieten der eisernen Gegenstände beobachten. Darüber hinaus finden wir eine besondere Häufigkeit nur noch in den Gebieten entlang der Verbindungswege, und zwar differenziert nach Zahl und typenmäßiger Zusammensetzung. Das südwestliche Mecklenburg und das mittlere Weser-/untere Aller-Leine-Gebiet treten gegenüber den anderen durch eine besonders hohe Zahl importierter Erzeugnisse hervor. Eine bemerkenswerte Sonderstellung nimmt in dieser Hinsicht das Gebiet der Prignitz ein, in das u. a. sehr viele Waffen gelangten. Bronzene und eiserne Hallstattschwerter und Teile des Pferdegeschirrs beschränken sich in ihrer Verbreitung nahezu auf diesen Raum. Möglicherweise standen die in diesem Gebiet lebenden Menschen in besonders intensiven Tauschbeziehungen mit der Bevölkerung im südlichen Mitteleuropa, was durch die günstige geographische Lage, gegeben durch den Elbeweg, Unterstützung gefunden haben könnte. Die im Fundgut sich ausdrückenden stärkeren Beziehungen zum sozialökonomisch weiter fortgeschrittenen südmitteleuropäischen Raum, wo sich erste Staaten herausgebildet hatten, lassen aber auch Einflüsse auf den politisch-gesellschaftlichen Bereich vermuten. Obwohl die Verbreitung entsprechender Funde allgemeine Hinweise auf mögliche Einflußwege gibt, begegnet die spezielle Erschließung der Verkehrs- und Verbindungswege zum bzw. vom Süden großen Schwierigkeiten. Sicher werden Flußläufe als Verkehrswege (F. Horst 1981) benutzt worden sein. Es ist möglich, daß z. B. die mittlere fassen und als Urnenfelderbewegung bezeichnet werden. Namengebend dafür sind die großen Urnenfelder mit Brändbestattungen (H. Müller-Karpe 1959; W . Kimmig 1964, S. 220ff.; K.-H. Otto 1978).

SOZIALÖKONOMISCHE VERHÄLTNISSE

77

Elbe und Saale eine solche Verbindung nach Bayern und die Werra und Weser eine andere von Süden nach Niedersachsen hergestellt haben. Der Rhein spielte als Verbindungsweg zu den Stämmen im nördlichen Mitteleuropa nur eine untergeordnete Rolle. Auch der Oderweg berührte die Siedlungsräume der Stämme im Norden nur am Rande. Aus den nordwestungarisch-niederösterreichisch-westslowakischen Gebieten der Hallstattkultur gelangten Rohstoffe und Fertigprodukte entlang der March/Morava, Becva und der Oder über das schlesische Siedlungsgebiet der Stämme der Hallstattkultur 15 und der Stämme der Lausitzer Kultur (Billendorfer und Göritzer Gruppe)16 sowie schließlich über die Ostsee nach Bornholm und auf das südschwedische Festland (E. Nylen 1970, S. I93ff.). Sicher mögen auch Landwege ihre Bedeutung für die Beziehungen gehabt haben. Sie sind aber nicht mehr nachweisbar.17 Insgesamt deuten die bisher erschlossenen Quellen auf umfangreiche Beziehungen zum südlichen Mittel- und zu Südeuropa, die die weitere Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse bei den Stämmen des Nordens in starkem Maße mitbestimmt haben mögen. 4.

Sozialökonomische

Verhältnisse

Sichtbarer Ausdruck der vorstehend dargestellten Entwicklung sind sozialökonomische Differenzierungsprozesse bei den Stämmen im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa, die ihren möglichen Niederschlag nicht nur im größeren Besitz u. a. von Eisen15

16

17

Die früheisenzeitliche Periode wird in großen Teilen Europas durch eine Kultur geprägt, die man nach einem Fundort in Oberösterreich als Hallstattkultur bezeichnet (G. Kossack 1959; M. Gedl 1971, S. i f f . ) . In der frühen Eisenzeit bilden sich aus der Lausitzer Kultur u. a. die Billendorfer und Göritzer Gruppe heraus. Namengebend für diese beiden Kulturgruppen sind die Gräberfelder bei Billendorf/Bialowice bzw. bei Göritz/Gorzyca in der V R Polen (S. Griesa 1969, S. 1 1 5 f f . ; F. Horst 1971, S. I92ff.; D.-W. B u c k 1972). Als Ausnahmen haben sich Reste von Bohlenwegen im Moor erhalten. Neben einfachen Wegen, aus übereinandergelegten Birkenzweigen, wie der W e g über das Ipweger Moor (zwischen Oldenburg und Varel), gab es Bohlenwege, für deren Bau ein erheblicher Arbeitsaufwand erforderlich war. So erforderte der Bau des 2,12 km langen und 3,20 bis 3,40 m breiten Bohlenweges, der zwischen den Ortschaften Lohne, K r . Vechta, und Aschen, K r . Grafsch. Diepholz, über das Moor führte, allein 6500 Belagbohlen (G. Jacob-Friesen 1963, S. 362ff.).

Abb. 11. a Verbreitung der Eisengegenstände des 12. bis6. Jh. v. u. Z. im nördlichen Mitteleuropa: 1 12./11. Jh.; 2 10.—8. Jh.; 3 — 5 7-/6. Jh., 3 ein Gegenstand; 4 zwei bis vier Gegenstände; 5 fünf und mehr Gegenstände. b Prozentualer Anteil der Typengruppen an den Eisengegenständen aus dem y./6. Jh. v . u . Z . im Gebiet zwischen Weser und Oder: 1 Harpstedt-Nienburger-Gruppen, 2 Seddiner-, 3 ElbHavel-, 4 Hausurnen-, 5 Göritzer-, 6 Billendorfer Gruppe; a Schmuck/Tracht, b Toilettenbestecks, c Arbeitsgeräte, d Waffen.

78

GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE

gegenständen hatten, sondern vor allem im Bestattungswesen Ausdruck fanden. Gräber eines sozial und ökonomisch bessergestellten Personenkreises wurden nicht nur auffallend reich ausgestattet; sie zeichnen sich auch durch besondere Grabaufbauten aus. Außerdem wurden sie in der Regel einzeln, abseits von den anderen Grabstellen, an besonderen Geländepunkten errichtet. Auch die Niederlegung von „Totenschätzen" als Ausstattung für ein erwartetes Weiterleben nach dem Tode hatte wahrscheinlich enge Beziehungen zu den Personen, die zu den sozial Bevorrechtigten innerhalb der damaligen Stammesbevölkerung zählten (H.J.Hundt 1955, S. 122f.; F.Horst 1966, S. 6iff.). Ein weiterer Einfluß aus den gesellschaftlich fortgeschritteneren Gebieten des südlichen Mitteleuropa zeigt sich in der Strukturveränderung bestimmter Gräberfelder. Ähnlich wie im balkanisch-donauländischen Raum erfolgten jetzt auch Bestattungen in geordneten, mehrfach nebeneinanderliegenden Reihen; so lagen z. B. auf dem Gräberfeld von Bresch, Kr. Perleberg, die einzelnen Gräber in einem Abstand von 1,0—1,5 m in Reihen geordnet, diese wiederum in einem Abstand von 4,0—6,0 m voneinander (W. Böhm 1937, S. 50). Bemerkenswert ist, daß diesen in Reihen geordneten Gräbern im gesamten Mittelelbe-Havel- und unteren Elbegebiet eine zweite Besonderheit an die Seite gestellt werden kann, die durch gesonderte, auffällig gebaute und reich ausgestattete Grabanlagen charakterisiert wird. Gräber dieser Art enthalten Kultgegenstände, eingeführte prunkvolle Trinkservice, Waffen, Pferdegeschirrteile, kunstvolle Schmuckgarnituren und Toilettenbestecke. Zu diesen wenigen Ausnahmen gehört das Grab von Voldtofte auf Fünen in Dänemark (J. Brandsted 1962, S. 196). Hier lag in einem großen Hügelgrab in einer Steinkiste der Tote. Dessen verbrannte Reste befanden sich in einem importierten Bronzegefäß, das mit Wollstoff und Fellen umwickelt war. Ein Bronzedeckel diente als Verschluß. An

0

20 m

A b b . 12. Hinzerberg bei Seddin, Kr. Perleberg. Dieser Grabhügel von 90 m Durchmesser und 11 m Höhe enthielt in einer polygonalen, mit farbigen Ornamenten ausgestatteten Grabkammer die Bestattung einer ehemals sozial hochstehenden Persönlichkeit (sog. Königsgrab).

BESTATTUNG UND KULT

79

Beigaben fand man einen goldenen Armring, vier goldene Knöpfe — wahrscheinlich Reste der Bekleidung —, zwei Rasiermesser, ein Beil und drei Trinkschalen aus Bronze. Der weitaus größte Hügel bzw. das reichste Grab dieser Art im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa Hegt aber bei Seddin, Kr. Perleberg (A. Kiekebusch 1928). Unter einem Hügel von 90 m Durchmesser und von 11 m Höhe, zu dessen Aufbau etwa 30000 m3 Steine benötigt wurden, 18 befand sich in einer neuneckig gerundeten Grabkammer von 2 m Durchmesser und 1,6 m Höhe (Abb. 12) der Tote. Den oberen Abschluß der Kammer hatten die Erbauer durch ein falsches Gewölbe erreicht. Die Grabkammer ist innen verputzt und mit einem voluten- bzw. mäanderartigen Dekor in roter Farbe versehen worden. In der Grabkammer stand ein 46,5 cm hohes Tongefäß, in dem sich eine importierte Bronzeurne mit dem Leichenbrand des Verstorbenen, eines 30—40 Jahre alten Mannes, befand. Auf dem Leichenbrand lagen ein Armring, eine Bronzetasse, ein Messer und eine Axt. Auf dem Boden der Grabkammer verstreut standen zwei Bronzeschalen, lagen ein Halsring, eine Kette aus Glasperlen, eine weitere Kette mit einem kammförmigen Anhänger, mehrere Arm- und Fingerringe, zwei eiserne Nadeln, mehrere Knöpfe, ein Toilettenbesteck (Rasiermesser und Pinzette), ein Meißel und ein Schwert sowie weitere Kleinigkeiten. Die Bedeutung des Toten wird dadurch unterstrichen, daß wahrscheinlich ihm zu Ehren zwei junge Frauen getötet und mitbestattet worden sind.

5.

Bestattung und Kult

Die meisten Toten wurden in einfachen Flachgräbem der Erde anvertraut. Nur ganz vereinzelt ist die Urne von einem Steinmantel umgeben worden. Auch Umfang und Art der Beigaben hielten sich allgemein in Grenzen, so daß — wenn nicht rituell bedingt — dieser Befund auf eine ärmere bäuerliche Bevölkerung schließen läßt. Verbrannt wurden die Leichen auf Verbrennungsplätzen am Rande der Gräberfelder. Nur in Ausnahmefällen fand die Einäscherung an der Grabstelle statt. Zu einer Siedlung gehörte meist nur ein Gräberfeld mit durchschnittlich 20—35 Gräbern. Es gab auch große zentrale Bestattungsplätze mit mehreren hundert, die größten mit fast 600 Gräbern. Auf diesen großen Bestattungsplätzen (Schollene Ot. Molkenberg, Kr. Havelberg; Premnitz, Kr. Rathenow; Radewege, Kr. Brandenburg) 19 sind die Gräber in Gruppen angeordnet. Das spricht dafür, daß die Verstorbenen mehrerer Siedlungen zwar auf einem gemeinsamen Gräberfeld, jedoch nach Siedlungsgemeinschaften getrennt bestattet wurden. Nach den ermittelten Belegungszeiten wurde auf den Gräberfeldern zum Teil nur eine kurze Zeit lang beigesetzt, andererseits sind auf ihnen wahrscheinlich auch mehrere Generationen bestattet worden. Zum Totenkult gehört das Niederlegen von Hort- und Einzelfunden mit Hortcharakter. Dem Toten wurden nicht nur die Beigaben in das Grab gegeben, sondern auch wertvolles Sachgut aus seinem ehemaligen Besitz für ein erwartetes Leben nach 18

19

Berechnungen haben ergeben, daß 150 Menschen bei einer achtstündigen Arbeitszeit ein Jahr gebraucht hätten, um den Hügel herzurichten (A. Kiekebusch 1928, S. 7). A . Voß, G. Stimming 1887, A b t . II, Tai. 1 — 2; F. Horst 1966, S. 21 ff.; R . Breddin 1973, S. 115; Ortsakten des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam.

8o

GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE

dem Tode in Mooren, sumpfigen Niederungen und Gewässern niedergelegt (B. Stjernquist 1963, S. 5 ff.). In den kultischen Vorstellungen spiegelte sich im wesentlichen das allgemeine Verhältnis der Stammesgemeinschaften zur natürlichen Umwelt wider. Die Menschen verehrten die Naturgewalten, darunter vor allem Sonne und Erde, und brachten ihnen Opfer dar. Auch die verschiedensten Ornamente an den Gefäßen (Kreisriefen, Kreuze, Spiralen, Vierfeldermuster u. ä.), an Metall-, Knochen- und Steingegenständen (Pferdeund Vogeldarstellungen, Schiffsdarstellungen, Dreiwirbel, Würfelaugen, Spiralen, Kreuze usw.) haben symbolischen Bezug zur Sonnenverehrung oder zu anderen Naturerscheinungen sowie zum bäuerlichen Fruchtbarkeitskult. Andere symbolisieren Abwehr gegen Naturgewalten, gegen das Böse im allgemeinen. Von Erwachsenen und Kindern getragene Anhänger hatten offenbar nicht nur Schmuckcharakter, sondern Funktionen des Kultes und des Zaubers im Zusammenhang mit bestimmten Abbildern, wobei Pferd, Hund und Hirsch einen festen Platz im Sonnenkult eingenommen haben.20 Andere Anhänger kann man als Amulette deuten, die dem Besitzer Kraft verleihen und ihn vor Krankheiten und Unfällen schützen sollten. Die Ausübung von Kulthandlungen erfolgte bei den einzelnen Gemeinschaften vorwiegend innerhalb der Siedlungen. Die Opfergemeinde versammelte sich dazu auf freien Flächen in der Umgebung des Gebäudes, in dem der Priester/Zauberer lebte, bzw. am Rande der Siedlung (F. Horst 1984). Bei diesen Zusammenkünften schlachtete man die Opfertiere, u. a. Kälber, Ziegenböcke und Hunde (F. Horst 1984). Das Fleisch wurde verzehrt, das Blut, die inneren Organe und die unversehrten Knochen den Fruchtbarkeitsgöttern geopfert. Speiseopfer, die in ausgewählten, besonders sorgfältig hergestellten Gefäßen niedergelegt wurden (F. Horst 1977, S. i07ff., Abb. 1), waren eine typische Erscheinung im Diesseits bezogenen Fruchtbarkeitskult der jungbronzezeitlichen Stämme des Nordens. Diese Sitte wurde kontinuierlich über Jahrhunderte gepflegt und fand erst Mitte des ersten Jahrtausends u. Z. ihr Ende. Es gab auch zentrale Kult- und Opferplätze für größere Siedlungsgruppierungen, die möglicherweise sogar für größere Siedlungsgebiete Bedeutung hatten. In der Mehrzahl handelt es sich um besondere Stellen an offenen Gewässern, verlandenden Seen und Mooren oder inmitten von Wäldern auf Hochflächen, wo sie durch einen riesigen Findling gekennzeichnet waren. Auf änderen Kultplätzen trifft man zahlreiche, größtenteils in Reihen angeordnete Feuerstellen (Taf. 3)21 an. Das Anzünden von Opferfeuern als eine spezielle Form der Sonnenverehrung war eine markante Erscheinung im Bereich der geistigen Kultur der nordischen Stämme (Abb. 13). Diese, möglicherweise von außen angeregte Sitte kam zu Beginn der jüngeren Bronzezeit auf, wurde kontinuierlich über einen längeren Zeitraum gepflegt und verschwand erst ausgangs des letzten Jahrtausends v. u. Z. 20 21

G . K o s s a c k 1954, S. 5 3 f f . ; W . S c h u l z 1964, S . 4 3 5 f f . ; F . H o r s t 1966, S. 1 7 7 f f . R . - H . B e h r e n d s 1968, S. 2 3 f . , K a r t e 36; R . D e h n k e 1970, S. i i 7 f f . , A b b . 1 0 1 , 1 4 0 ; F . H o r s t 1 9 8 4 ; R . D e h n k e 1972, S . 2 2 f f . ; P . S e e b e r g , A . Olesen 1 9 7 1 , S. 4 8 f f . , F i g . 2.

BESTATTUNG UND K U L T

Abb. 13. Verbreitung der Feuerkultplätze im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa. 1 si Anlagen; 2 wahrscheinliche Anlagen. 6

Germanen — Bd. 1

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GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE

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V.

Die Herausbildung der germanischen (ab etwa 6. Jahrhundert vor unserer

Stämme Zeitrechnung)

i.

Die Entstehung der Jastorfkultur und zeitgleicher Kulturen im Rhein-Weser-Gebiet und deren geographische Verbreitung a) Hallstatt- und Latine-Einflüsse auf die gesellschaftliche Entwicklung

Im 6. Jh. v. u. Z. bzw. am Ende der Hallstattzeit standen sich in Mitteleuropa zwei große kulturell unterschiedliche Bereiche gegenüber: der der sozialökonomisch hochentwickelten Hallstattkultur im süddeutsch-österreichischen Alpenraum bis hin an den Rand des Thüringer Waldes, der mit fortschreitender Entwicklung und räumlich erweitert bald, von den Trägern der Latene-Kultur, den Kelten, eingenommen wurde (s. S. 242 ff.), und der nördlich daran anschließende bis zur Nord- und Ostsee verbreitete und starK von den Kelten beeinflußte aber wirtschaftlich nicht so weit fortgeschrittene Bereich, in dem sich als markanteste kulturelle Erscheinung des seinerzeitigen Entwicklungsstandes der gesellschaftlichen Verhältnisse die Jastorfkultur herausgebildet hatte, deren Träger später sicher Germanen waren und die bis in das letzte Jahrhundert v. u. Z. hinein unmittelbare Nachbarn der Kelten blieben (s. S. 194). Die Siedlungsgebiete im Norden standen im 6. und 5. Jh. v. u. Z. unter dem Einfluß der vorstehend erwähnten Hallstattkultur (Taf. 4 und 5). Durch die Übernahme der Eisenproduktion hatte sich im süddeutsch-österreichischen Raum auf wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Gebiet ein Umwandlungsprozeß vollzogen, der auch im archäologischen Bereich einen sichtbaren Niederschlag erfuhr. Als kontinuierliche Weiterentwicklung der bronzezeitlichen Urnenfelderkultur zeichnete sich mit der Grabform, d. h. mit der Umwandlung der gleichförmig ausgestatteten Flachgräberfelder in Hügelgrabanlagen, ein neues Bild ab. Als Ausdruck einer nun faßbaren gesellschaftlichen Differenzierung sind die unvermittelt auftretenden Grabhügel mit Holzkammereinbauten zu werten, in denen reich ausgestattete Tote beerdigt wurden (s. S. 247ff.). Männern und Frauen hat man wertvollen, aus Gold, Bernstein, Elfenbein, Glas, Bronze und Eisen hergestellten Schmuck beigegeben. Die kunstvoll gefertigte Tonware, mit geometrischen Mustern verziert und mit bunter Bemalung versehen, läßt ein Übergehen von der herkömmlichen Haustöpferei zur serienmäßigen Erzeugung in Werkstätten vermuten. Die oftmals mit Wagen ausgestatteten Häuptlingsgräber weisen darauf hin, daß Wagen eine große Bedeutung besessen und eine wesentliche Weiterentwicklung erfahren haben. Die Ursachen des wirtschaftlichen Aufschwunges dürften in der Errichtung von bereits spezialisierten Metallwerkstattzentren und der Entwicklung eines weitreichenden Tauschhandels mit den Produkten der Werkstätten sowie mit bergmännisch gewonnenen Salzen und Erzen beruhen. Die Bildung von großem Reichtum in den Händen einer

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sozial bereits herausgebildeten Oberschicht und ein infolge der Tauschhandelsbeziehungen bestehender ständiger Kontakt zu den führenden Bevölkerungsschichten des Mittelmeerraumes, wo sich bereits die antike Sklavenhaltergesellschaft herauszubilden begann, führten zu einer stärkeren Abgrenzung des Gentiladels von der Masse der Bevölkerung. Im Siedlungswesen äußerte sich dieser Vorgang im Auftreten von Herrscherburgen (z. B. Heuneburg), um die bald bedeutende Handwerkszentren entstanden. Während dieser wirtschaftlichen Blüte der stark differenzierten „Hallstatt-Gesellschaft" erreicht ihr Einfluß auf die benachbarten Siedlungsräume bis hin nach Skandinavien ihren Höhepunkt. Vermittelt wurde nachweislich Kulturgut des persönlichen Bedarfs wie Nadeln und Fibeln. Das ästhetische Empfinden der Bevölkerung im Jastorfkultur-Bereich und darüber hinaus wurde dadurch maßgeblich mitbestimmt. Auch am Niederrhein finden wir in der sog. Grabhügelkultur Hallstatt-Elemente. Über diesen Raum hinaus wurde das Gebiet westlich der Ems und das bis zur Weser und Aller beeinflußt. Die Bevölkerung der im Bergland zu beiden Seiten des Mittelrheins verbreiteten Hunsrück-Eifel-Kultur mit ihren Hügel- und Flachgräberfriedhöfen konnte sich ebensowenig diesem Einfluß entziehen wie die Träger der Thüringischen Kultur der älteren Eisenzeit. Die östlich der Elbe verbreiteten, als Spätphase der Lausitzer Kultur anzusehende Billendorfer und Göritzer Kultur erhielten mit der östlich das Jastorfgebiet begrenzenden Ostpommerschen Kultur 1 ihre HallstattImpulse überwiegend aus dem osthallstättischen, dem heutigen südwestpolnischen und tschechoslowakischen Gebiet. Die Träger dieser, der Jastorfkultur benachbarten Gruppen traten als Vermittler der Hallstatt-Einflüsse auf, die sie vorerst selbst aufgenommen hatten und entsprechend der Stärke ihrer bodenständigen Kulturtradition zu dem ihnen eigenen Kulturgefüge unterschiedlich stark umgebildet haben. 2 Die Beziehungen der Germanen zu den Kelten wirkten sich anders aus als die der Kelten zu den Völkern des Mittelmeerraumes. Abgesehen von der Grenzzone zwischen Germanen und Kelten, die eine gewisse Sonderstellung in kultureller Hinsicht durch die starke Anreicherung hochwertiger keltischer Erzeugnisse aus Metall und scheibengetöpferter Keramik einnahm, tauchte im Kerngebiet des Jastorfkreises, das in Nordostniedersachsen, in Schleswig-Holstein, Mecklenburg, der Altmark, der Prignitz und dem Havelgebiet zu suchen ist, eine Reihe von Schmuckstücken, Trachtbestandteilen und Gebrauchsgegenständen auf, die eindeutig dem Formengut der Hallstatt- und LateneKultur entlehnt worden sind. Während der Späthallstatt- und Frühlatönezeit wurden im Norden beispielsweise Schmucknadeln hergestellt, deren vasenförmige, kugelige und scheibenartige Köpfe als Nachahmungen von Hallstattformen zu betrachten sind. Auch , die schwanenhalsförmigen, stufen- und kropfartigen Halsbiegungen der Nadeln gehen auf südliche Vorbilder zurück. Vereinzelt treten im Norden sogar Originalnadeln aus dem Süden auf. Diese Beobachtung trifft gleichfalls für die Gewandschließen, die Fibeln, zu. Die für 1

2

Zu vorstehend genannten Kulturen siehe folgende ausgewählte Literatur: W . Kersten 1948, S. 5 f f . ; H. E . Joachim 1968 und 1969; M. Claus 1952. Während die Bevölkerung der Gebiete westlich der Ems und im Weser-Aller-Raum sowie im Bereich der Verbreitung der Hunsrück-Eifel-Kultur allmählich in die Herausbildung und Festigung der germanischen Stämme einbezogen wurde, blieben die anderen genannten Gebiete außerhalb dieses Prozesses.

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HERAUSBILDUNG DER GERMANISCHEN STÄMME

die Späthallstattkultur charakteristische Doppelpaukenfibel wird aus Bronzeblech und Eisen im norddeutschen Raum nachgebildet. Auch die Certosa-Form entsprach dem Geschmack der Germanen, und bis in das nordbrandenburgische Gebiet treten vereinzelt echte Kahnfibeln auf. Je weiter man nach dem Norden in den schleswig-holsteinisch-mecklenburgischen Raum vordringt, desto seltener werden Originalgegenstände aus dem Hallstatt-Kulturbereich. Bei den Armringen, den Halsringen und den Gürtelschließen spiegelt sich ebenfalls der südliche Einfluß deutlich wider. Im Bereich der Bekleidung wurde offenbar von den reiternomadischen Völkern des Südostens in jener Zeit die Hose übernommen. Im Gegensatz zu den Kelten, bei denen die Bereitschaft bestand, nicht nur die Formgebung von Gegenständen des Mittelmeerraumes zu übernehmen, sondern auch die technischen Verfahren ihrer Herstellung bzw. die Erzeugnisse selbst einzuführen, überwiegen im Norden die Nachbildungen hallstattzeitlicher Gegenstände. Die von der Bronzetechnologie abweichende Eisenherstellung und -Verarbeitung fand aber Übernahme und weite Verbreitung. Zum Prozeß der Übernahme der Kenntnis der Verhüttung und Verarbeitung des Eisens aus dem Hallstatt-Kreis geben die archäologischen Befunde des mittelholsteinischen Raumes Aufschlüsse (H. Hingst 1964, S. 233). In der Umgebung von Neumünster befanden sich mehrere Verhüttungsreviere mit Eisenschlacken aus der frühen Eisenzeit. Inmitten der Rendsburger Erzabbaugebiete liegen auch alle wichtigen und größeren Friedhöfe aus dieser Zeit, obwohl die Ackerböden dort ausgesprochen dürftig sind. Im Bereich dieser Verhüttungsreviere tritt außerdem eine fremde, von der Jastorfkeramik sich weniger durch die Formgebung als durch den Dekor deutlich unterscheidende Tonware auf. So fand man in Gadeland, Höbek und Jevenstedt Grabgefäße der späthallstattzeitlichen Formgebung, deren helle Wandungen mit rötlichbraunen Mustern bemalt sind. Gefäßbemalung ist für mehrere Gruppen der Späthallstattkultur (z. B. in Böhmen und Schlesien) charakteristisch, wurde aber von den Menschen der Jastorfkultur nicht angewendet. Verhältnismäßig häufig tritt in diesem Gebiet auch Metallsachgut auf, das hallstättischen Formen nachgebildet ist (z. B. Dreipaß und Nadeln, wie die sog. Bombenkopfnadel). Das isolierte Auftreten bemalter Gefäße zu Beginn der Eisenzeit in einem nachweislich produzierenden Eisenverhüttungsrevier Mittelholsteins läßt deshalb die begründete Vermutung aufkommen, daß aus der Hallstattkultur eingewanderte Eisenwerker in diesem Verhüttungszentrum angesiedelt worden waren (H. Hingst 1974). Die älteste Eisenverhüttung im Norden wird demnach zum großen Teil in den Händen von Personen gelegen haben, die aus dem Hallstatt-Gebiet zugewandert sind, sich aber nicht lange als selbständige Gruppe gehalten haben dürften. Analog den Vorgängen bei der Herausbildung keltischer Stämme im Süden formten sich in jener Zeit im Norden ebenfalls feste Gemeinschaften, ohne daß es heute möglich ist, diesen Herausbildungsprozeß im einzelnen nachzuzeichnen. Die über Jahrhunderte währenden friedlichen Beziehungen stellten einen entscheidenden, in seiner ganzen Bedeutung gegenwärtig sicher noch nicht faßbaren Einfluß auf die wirtschaftliche und soziale und über diese hinaus auch auf die ethnische Entwicklung der germanischen Stämme dar. Erst unter ihrem Einfluß ging die bäuerliche Bevölkerung des Nordens zur allgemeinen Nutzung des Eisens über, das ihr zwar aus eingeführten Fertigprodukten bekannt war, das aber bisher nur in geringem Umfange aus den reichen einheimischen Raseneisenerzvorkommen durch die eigene Verhüttung

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gewonnen wurde (H. Hingst 1964, S. 233ff.). Damit trat auch das später germanische Gebiet in die erste Phase der voll ausgeprägten Eisenzeit ein. Nunmehr im Besitz von Kenntnissen zur Verarbeitung eigener Metallrohstoffe konnte man auf den Erwerb größerer Bronzemengen verzichten und war nicht mehr gezwungen, wegen fehlender Bronzeimporte auf Knochen und Stein als Ausgangsmaterialien für die Herstellung von Geräten und Schmuckgegenständen zurückgreifen zu müssen (s. S. 75). Die Verarbeitung von Bronze wurde allerdings nicht ganz aufgegeben3 (z. B. Abb. 35b). Die Verwertung eines für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte so bedeutenden einheimischen Rohstoffes hatte nicht nur die Stärkung der wirtschaftlichen Selbständigkeit der Stämme zur Folge, sondern war möglicherweise der Grund für einen auch im archäologischen Quellenmaterial spürbaren Rückgang der wirtschaftlichen Beziehungen zu den Stämmen, die im Bereich der Hallstattkultur gelebt haben. Die parallel zum Rückgang der Verwendung von Bronze zur Herstellung von Schmuck und Gebrauchsgegenständen verlaufende bedeutende Abschwächung der Beziehungen zu den Stämmen im Hallstattkulturbereich bewirkte im Norden offenbar auch eine zwar nur langsam sich durchsetzende Lösung vom hallstättischen Form- und Geschmacksempfinden in der überlieferten materiellen Kultur. Andererseits dürfte durch diese Vorgänge ein großer Metallbedarf entstanden sein, der sicherlich zur Beschleunigung der Entwicklung der Abbau- und Verhüttungstechnik beigetragen hat. Die Eisenverhüttung wurde anfangs nur saisonmäßig im Haushandwerk von der bäuerlichen Bevölkerung betrieben. Einzelne Verhüttungszentren (z. B. Jevenstedt, Kr. Rendsburg) deuten auf Werkplätze von Gemeinschaften hin. Eindeutige Hinweise auf einen bereits arbeitsteiligen Prozeß, d. h., daß ausschließlich bestimmte Personen der Erzverhüttung nachgingen, lassen sich jedoch für diese Zeit nicht erkennen. Mit den Veränderungen, die die Metallproduktion auf wirtschaftlichem Gebiet mit sich brachte, gingen folgerichtig soziale Veränderungen einher. Betrachtet man die Verarbeitung des gewonnenen Roheisens unter dem Aspekt der in den Grabanlagen auftretenden Beigaben, so würde sie sich weiterhin wie am Ende der Bronzezeit vorwiegend auf die Herstellung von kleinen Gebrauchs- und Schmuckgegenständen und nur in Einzelfällen auf Produktionsinstrumente von verhältnismäßig untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung (z. B. dolchartiger Messer und Schermesser), nicht aber auf Werkzeuge und Waffen erstreckt haben. Sicher ist dies aber nicht der Fall. 4 Der Besitz eigener Rohstoffe führte allmählich zur ökonomischen Stärkung der Stämme; er war sicherlich auch mit einer Bewußtseinsstärkung der Stammesangehörigen im Sinne von fester Stammeszugehörigkeit verbunden. Mit dem Austausch der Eisenerzeugnisse mußten sich auch die Kommunikationsmöglichkeiten erweitern. Sie wurden 8

Vielleicht liegt in der Weiterführung der Tradition der Bronzeverarbeitung eine der Ursachen dafür, d a ß die Germanen gegen E n d e des letzten Jh. u. Z. relativ unvermittelt und mit viel K ö n n e n wieder zur stärkeren Verwendung der Bronze übergehen konnten

4

Bedauerlicherweise fehlen in diesem wichtigen Bereich der damaligen wirtschaftlichen Verhältnisse Quellen f ü r beweiskräftige Aussagen. Vermutlich wurden aber durch die Erweiterung der Eisenproduktion auch Prozesse hervorgerufen, die zur Festigung der Stammesgesellschaft und auch der Stammesbeziehungen beigetragen haben mögen.

(s. S. i 3 8ff.).

go

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sehr wahrscheinlich ein wichtiges Bindeglied zwischen den Stämmen überhaupt. Eine bevorzugte Stellung im Entwicklungstempo nahmen die großen Siedlungsräume am Elbelauf ein, und zwar nicht nur durch die bemerkenswerte Besiedlungsdichte, sondern auch durch den gezielten Abbau der Eisenerze und die Verarbeitung des Metalls zu Gebrauchsgegenständen. 5

b) Die Siedlungsgebiete der Jastorfkuliur Dem Fundmaterial von Jastorf, Kr. Uelzen, dem namengebenden Bestattungsplatz für die ganze Kultur (G. Schwantes 1950, S. n g f . ) , entspricht weitgehend das Kulturgut Holsteins, Nordostniedersachsens, großer Teile der Altmark und Westmecklenburgs. Deshalb wird dieser Raum auch als „engerer Jastorfkreis" bezeichnet bzw. als „Jastorfkultur im eigentlichen Sinne" betrachtet. Formengut und Stilelemente dieser Kulturgruppe reichen bis in die Siedlungsgebiete im Norden der jütischen Halbinsel, in den westpommerschen Raum und in das Elster-Mulde-Saalegebiet (Karte 2). Je weiter wir uns jedoch vom engeren Verbreitungsgebiet entfernen, desto stärker tritt die sittenund formenmäßige Eigenständigkeit der Kulturgruppen hervor, so daß die Entscheidung schwer fällt, ob die am Rande gelegenen Gruppen noch zur Jastorfkultur zu rechnen sind oder nicht. Das betrifft vor allem die nordjütische Gruppe, die Besiedlungsbelege auf den dänischen Inseln und in Südschweden sowie die Gruppen im Weser-AllerGebiet. 6 Das während der älteren vorrömischen Eisenzeit durch eine Bevölkerung mit jastorfartigem Kulturgut besiedelte Gebiet erstreckt sich demnach von Nordjütland bis in das ostsächsische Elbegebiet, von Nordostniedersachsen bis Westpommern. Als Siedlungsanzeiger dienen in erster Linie die Wohnplätze, aber auch die stets in ihrer unmittelbaren Nähe liegenden Friedhöfe. Die Besiedlung verlief in dem genannten Gebiet keineswegs gleichmäßig, denn nicht jede Landschaft war siedlungsgünstig. 7 Wie in den vorangegangenen Jahrhunderten siedelte man bevorzugt an kleinen Bächen und fließenden Gewässern und bewirtschaftete vorwiegend leichte Sand- und mittelschwere Böden. Lößböden wurden nur dort besiedelt, wo in Gewässernähe leichte Böden inselartig eingelagert sind. Die Bodenart hatte nicht nur für den Bewuchs bzw. für die Bewaldung 5

6

7

Diese Schlußfolgerungen stützen sich aber im wesentlichen nur auf die Grabausstattung. Verhüttungsplätze wurden ebenfalls freigelegt, Werkstätten von Schmieden sind noch nicht ausgegraben worden. In der materiellen Kultur zeigt Nordjütland zu Beginn der vorrömischen Eisenzeit einen fließenden Übergang zu Mitteljütland, das wiederum enge Beziehungen zum sehr stark jastorf-beeinflußten südjütischen Gebiet aufweist. Die Kulturbeziehungen berechtigten dazu, das mittel- und nordjütische Gebiet der „Jastorfkultur im weiteren Sinne" einzugliedern. Die inseldänisch-südschwedischen Fundplätze lassen dagegen eine derartig enge kulturelle Verbundenheit zum Festland nicht erkennen, wenn sie auch weitläufig Beziehungen der Formen (z. B. Nadeln mit Kröpfung) nicht ausschließen. Das Weser-Aller-Gebiet stellt eine Peripherie-Gruppe der Jastorfkultur im Westen mit einer eigenständigen Bestattungssitte dar (vgl. auch G. Kossack 1962, S. 88). Weite wasserarme Sanderflächen, landwirtschaftlich schwer bearbeitbare Böden, durch Überschwemmungen gefährdete Niederungen, Höhenzüge und Gebirge (z. B. Fläming und Harz) waren siedlungsfeindlich.

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eine besondere Bedeutung, sondern bot auch entsprechende Bedingungen für die Bearbeitung wie für die natürliche Pflanzen- und Tierwelt als Voraussetzung für eine gesicherte Nahrungsmittelproduktion. Diese Gesichtspunkte spielten bei der Wohnplatzwahl eine entscheidende Rolle, weniger hingegen das Vorhandensein natürlicher Rohstoffe und das Bedürfnis nach Schutz vor benachbarten und fremden Siedlungsgemeinschaften. 8 Mehrere Siedlungsplätze bildeten eine Siedlungskammer, die sich oft auf der Karte gleich einer Insel in der dicht bewaldeten Umgebung abhebt (Abb. 14). Die Siedlungs-

A b b . 14. Von Waldgebieten umschlossene „Siedlungskammern" im Kreis Ludwigslust während der späten Bronze- und der vorrömischen Eisenzeit. 1 Siedlungsplatz, 2 Bestattungsplatz der späten Bronzezeit, 3 Siedlungsplatz, 4 Bestattungsplatz der vorrömischen Eisenzeit (H. Keiling 1969b, S. 2gff.)

kammern zeigen nicht nur unterschiedliche Größe und Fundplatzdichte, sie sind entsprechend den geomorphologischen Bedingungen auch unregelmäßig verteilt. Das Verbreitungsgebiet der Jastorfkultur besteht fast ausschließlich aus Tiefland mit vielfältigen Gliederungsgegebenheiten, so daß sich Siedlungsräume herausheben, die durch breite natürliche Grenzbereiche getrennt sind und aus mehreren Siedlungskammern bestehen. Das unterschiedliche Fundplatzverbreitungsbild wird neben kulturhistorischen und siedlungskundlichen Gegebenheiten vor allem durch die Morphologie der Landschaft bestimmt. Zur Abgrenzung der einzelnen Siedlungsräume tragen ausgedehnte Waldgebiete und Sümpfe, größere Gewässer (Seen), weite Niederungen, Flußebenen, Höhenzüge und Gebirge bei. Füeßende Gewässer bildeten in der Regel keine natürliche geographische Grenze zwischen den Fundplatzgruppierungen, sondern verbanden als Wirtschafts- und 8

Das schließt nicht aus, daß in begrenzten Gebieten der Landschaft mit weniger fruchtbaren Böden, aber wichtigen Eisenerzvorkommen die Besiedlung erfolgte, um die günstige Rohstofflage zu nutzen (H. Hingst 1964, S. 232f.).

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Verkehrsadern die Siedlungsbereiche. Man findet deshalb die Fundplätze an Gewässern oft perlenkettenartig aneinandergereiht. Die Verbreitung der „Jastorfkultur im weiteren Sinne" umfaßt folgende Siedlungsgebiete (Abb. 15), die auf der Besiedlungskarte nach den oben angeführten Kriterien in Verbindung mit bestimmten Besonderheiten und Unterschieden in der materiellen Kultur voneinander abgegrenzt werden können: Südholstein-Westmecklenburg läßt sich in zahlreiche Siedlungskammern und zusammenhängende Siedlungsgebiete gliedern. Eine ausgedehnte Fundplatzkonzentration gibt es von Pinneberg über Hamburg in Richtung Bad Oldesloe bis zur Trave. Ein Ausläufer befindet sich im Gebiet des Sachsenwaldes und lockert sich nach Osten hin etwas auf. Im Nordosten finden wir zahlreiche kleinere Fundplatzgruppierungen, dazwischen mitunter größere unbesiedelte Gebiete. Am Ostrande dieses Raumes zieht sich auf dem Sanderplateau rechtsseitig der Sude ein dichtes Band von Fundstellen, den Fluß am Oberlauf überschreitend, von der Elbe bis zum Schweriner See hin. Im Süden sind die Elbe und im Osten die Sudeniederung, die Lewitz und der Schweriner See klare Verbreitungsgrenzen. Vom Nordende des Schweriner Sees bis zum Mittellauf der Trave und weiter nach Westen erstreckt sich ein vergleichbarer fundarmer Saum. Die Abgrenzung zum ostholsteinischen Besiedlungsbereich läßt sich nicht immer einwandfrei durchführen. Die Grenze zum westholsteinischen Siedlungsgebiet bildet der weite fundleere Stör-Mündungsraum. Nur an wenigen, vorwiegend von Westholstein her beeinflußten Plätzen finden wir flache Hügelgräber. Charakteristisch sind große Flachgräberfelder mit Urnen in Steinpackungen, unter ovalen und runden Steinsetzungen sowie unter Steindecken. In steinarmen Gegenden (z. B. der Elbeniederung) hat man oftmals Mahlsteine als Schutz verwendet, und ein großer Teil der Gräber liegt ungeschützt im Sande. Das Prignitzgebiet wird im wesentlichen durch die Eide, Löcknitz, Stepenitz, Karthane und die Dosse markiert. Im Südwesten bildet die Elbe eine natürliche Begrenzung, im Nordwesten die weite fundleere Sudeniederung, die ihre Fortsetzung im Forst Jasnitz und im Lewitzgebiet findet. Im Nordosten schließt sich auf der Linie Schwerin—Parchim— Wittstock eine fundleere Zone an, die im Osten durch die südlich der Müritz liegenden, aneinandergrenzenden großen Waldgebiete (Wittstocker Heide, Rossower Heide, Forst Neu Glienicke) bis hin zum Rhinluch verläuft. Aus dem vorwiegend aus Niederungen bestehenden Gebiet zwischen Friesack un4 Havelberg sind nur einzelne Fundplätze bekannt. Somit bilden die Havel- und Dosseniederung sowie das Rhinluch auch im Süden eine morphologische Begrenzung. Die Prignitzgruppe besteht aus mehreren eng beieinanderliegenden Fundkonzentrationen. Ihr Schwerpunkt liegt im Raum zwischen Lenzen, Warnow und Perleberg. In den weniger stark besiedelten Gebieten, wie zwischen Eide und Sude im Kr. Ludwigslust, lassen sich die einzelnen Siedlungskammern gut abgrenzen (Abb. 14). Abb. 15. Siedlungsgebiete in der älteren vorrömischen Eisenzeit (etwa 600 bis 200 v. u. Z.): 1 Südholstein/Westmecklenburg, 2 Prignitz, 3 Nordostniedersachsen (Jastorfgebiet), 4 Mittelelbe/ Havel, 5 Elster/Mulde/Saale, 6 östliches Mecklenburg und nördliches Brandenburg, 7 Mittelund Ostholstein, 8 Westholstein (Jastorfgebiet), 9 Südjütland, 10 Mitteljütland, 11 Nordjütland, 12 Inseldänemark und Südschweden, 13 Weser/Aller.

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Charakteristisch sind umfangreiche Flachgräberfelder mit und ohne Steinsetzungen, mit Platten- und Feldsteinpackungen und einzelnen Schutzsteinen für Urnengräber und Leichenbrandhäufchen (Knochenlager). Auch Urnenfriedhöfe mit umfangreichen Steindecken treten auf. Das nordostniedersächsische Jastorfgebiet dehnt sich über einen annähernd gleichmäßig breiten Raum entlang der Elbe mit einem Ausläufer zwischen Oste und Wümme und einer kleinen peripheren, aber unbedeutenden Siedlungskammer im Kreise Soltau aus. Infolge des zeitlich-räumlichen Kontaktes zwischen Jastorf und den nahe verwandten Weser-Aller-Gruppen läßt sich im Grenzraum des Wümme-Weser-Bereiches nicht immer klar entscheiden, zu welchem der beiden Kulturgruppen ein Fundplatz gehört. Südöstlich ist die Scheidung durch die weite fundleere Zone der Lüneburger Heide erkennbar, die ihre Fortsetzung im Drömling und der Kolbitz-Letzlinger-Heide findet. Das küstennahe Gebiet zwischen Weser- und Elbemündung ist weitgehend fundleer; es wird erst in der jüngeren vorrömischen Eisenzeit besiedelt. Diese Fundleere verwundert um so mehr, da auf der anderen Seite der Elbemündung das Fundballungszentrum des westholsteinischen Gebietes liegt. Es lassen sich mehrere Siedlungsgebiete abgrenzen. Besonders klar hebt sich die größere Fundplatzgruppierung am Oberlauf der Jeetze im nordwestlichen Teil der Altmark ab. In den Dichtezentren finden wir vorwiegend größere Flachgräberfriedhöfe mit Urnengräbern und Knochenlagern in und ohne Steinschutz. Das nördliche Mittelelbe-Havel-Gebiet der Jastorfkultur, bestehend aus dem dichtbesiedelten Raum östlich der fundleeren Linie Drömling—Forst Klötze—Jeggeleben— Forst Gartow, hat im Süden bis zur Ohremündung einen Ausläufer, der nach Westen durch das fundleere Gebiet der Kolbitz-Letzlinger Heide begrenzt wird und elbeaufwärts die Verbindung zu der Fundplatzgruppierung des Magdeburg-Zerbster Raumes (zwischen Fläming und Elbe) darstellt. In der Altmark k t die größte Funddichte des gesamten Jastorfgebietes zu beobachten. Während der altmärkische Bereich im Westen gut von den nordostniedersächsischen Fundplatzgruppierungen abgegrenzt ist, geht er im Norden in die lediglich durch den Elbelauf geschiedene, ebenfalls siedlungsdichte Prignitzgruppe über. Im Südosten ist er eng mit den Fundplatzgruppierungen des Havelraumes verbunden. Von den Fundpunkten an der Havel durch die Havelseen getrennt, liegt im Osten vom Spreemündungsgebiet bis zum niederen Fläming"ein aus mehreren Fundgruppen bestehender Siedlungsbereich, dem offensichtlich die isoliert stehende Siedlungskammer im Gebiet um Luckau ihre Entstehung verdankt. Die vier Siedlungsräume zeigen eine bemerkenswerte kulturelle Eigenständigkeit. Die Flachgräberfriedhöfe, insbesondere die des altmärkisch-havelländischen Raumes, weisen eine starke Belegung und eine bedeutende Größe auf. Hier gibt es vielfältige Steinpackungen und -Setzungen, bemerkenswert sind weiter die im Verhältnis zum übrigen Jastorfgebiet reichen Ausstattungen mit Grabbeigaben. Das betrifft sowohl die Quote der mit Beigaben versehenen Gräber als auch die Anzahl der Beifunde in einem Grab. Kulturelle Beziehungen lassen sich auch zum engeren Jastorfgebiet nachweisen, während der Havel-Spree-Raum besonders im keramischen Bereich durch eine stark regional verbreitete Stilgebung gekennzeichnet ist. Besonderheiten beobachtet man aber auch bei den Beigabenformen und den Grabanlagen (H. Seyer 1982). Im Bereich von Elster, Mulde und Saale erstrecken sich die Fundplätze auf die

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verhältnismäßig dünn besiedelten Landstriche westlich der Schwarzen Elster bis westlich der Saale. Ballungsgebiete finden wir in der Gegend von Leipzig, Würzen bis Grimma und Riesa. Ausgedehnte Flachgräberfelder fehlen. Kleinere Friedhöfe (A. Mirtschin 1933; H. Grüner t 1957; H. Kaufmann 1968, S. 323), Einzelgräberund vereinzelt auch Nachbestattungen in bronzezeitlichen Hügeln (V. Geupel, H. Kaufmann 1967, S. 2i3ff.) bestimmen das Fundbild. Das Kulturgut umfaßt neben echten Jastorfformen zahlreiche Funde mit Merkmalen südlicher Beeinflussung. Wie im Norden ist auch hier Metallsachgut in den ältesten Urnengräbern verhältnismäßig selten anzutreffen. Im mittelmecklenburgisch-nordostbrandenburgischen Gebiet verteilen sich die Fundplätze locker und weiträumig. Eine verhältnismäßig dichte Fundplatzkonzentration befindet sich lediglich im Gebiet zwischen Rerik, Kühlungsborn, Kröpelin und Neubukow. Im Gebiet der Seen liegen Fundplatzansammlungen bei Mirow, Blankensee, Malchin, Neubrandenburg, Prenzlau und Gransee. Die westliche Grenzlinie dieses Siedlungsbereiches verläuft von der Wismarer Bucht in Richtung Süden über den Schweriner See und die Lewitz zur Eide. Wittstocker Heide, Forst Neu Glienicke, Rhinluch, Forst Sachsenhausen, Berliner Stadtforst, die Forste Finowtal, Grimnitz, Chorin, Eberswalde und Freienwalde bilden im Südwesten und Süden eine natürliche Grenze. Im Osten reicht das Gebiet nur vereinzelt über die Oder hinaus und bezieht dabei vor allem das Flußgebiet der Ina in die Besiedlung, mit ein. Die Flachgräberfriedhöfe sind meist von geringer Ausdehnung und Belegungsstärke. Neben Urnengräbern findet man auch vereinzelt Leichenbrandhäufchen (Knochenlager) in den unterschiedlich stark aus Feldsteinen oder Platten errichteten Grabanlagen. Auch ungeschützte, im Boden stehende Urnen wurden festgestellt. Darüber hinaus gibt es Belege für Brandgruben und Hinweise auf Brandschüttungsgräber. Vereinzelt findet man Urnenbestattungen auch unter Hügeln (Mankmoos, Kr. Sternberg) und in Steinkreisen (z. B. Netzeband, Kr. Greifswald; Forst Tarnow, Kr. Bützow). Die Gräber zeichnen sich durch Beigabenarmut aus. Die Friedhöfe im Süden dieses Raumes sind in der Mehrzahl ausgedehnt und stärker belegt. Urnengräber, Knochenlager und Brandgrubengräber kommen neben Gräbern mit verschiedenartigen Steinschutzbauten und flächigen Steinsetzungen vor. In der Stilisierung, Formgebung und Ornamentierung des Kulturgutes finden wir zahlreiche lokale Elemente. Andererseits werden Kultureinflüsse der westlich benachbarten Gruppen sichtbar. Der mittel- und ostholsteinische Raum läßt sich in der älteren vorrömischen Eisenzeit nur bedingt vom südholsteinischen Siedlungsgebiet abgrenzen. Grenzlinien sind im Süden die Trave und im Norden die Eider. Im Osten reichen die Fundplätze bis zur Wismarer Bucht. Die Begrenzung zum westholsteinischen Fundplatzballungsgebiet ist durch eine breite landschaftlich bedingte fundleere Zone gekennzeichnet. In Ostholstein reihen sich die Fundpunkte entlang der Flüsse perlenkettenartig an. Die Bestattungen auf Urnenfriedhöfen gleichen denen Südholsteins. Nur findet .man vereinzelt auch als Ergebnis des Kontaktes zum südjütischen Gebiet Friedhöfe mit kreisförmigen Steinpflastergräbern von 2—3 m Durchmesser. Das Grabgefäß im Zentrum des Pflasters steht in einer Rollsteinpackung wie auf den gewöhnlichen Urnenfriedhöfen, die für die Bestattung in Mittel- und Ostholstein allgemein charakteristisch sind. Auch rechteckige Setzungen und Steinreihen wurden beobachtet. Die Bestattung auf den Friedhöfen mit besonderen Steineinbauten bricht überwiegend im Laufe der älteren vorrömischen

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Eisenzeit ab, während Bestattungen auf den ausgedehnten Flachgräberfriedhöfen sehr häufig weitergingen. Als Besonderheiten des xnittelholsteinischen Gebietes gelten die bemalten Frühjastorfgefäße von Gadeland und Jevenstedt, Kr. Rendsburg, die hallstättischen Kultureinfluß bezeugen (Taf. 5). Das Siedlungsgebiet zwischen Eider und Treene (Angeln und Schwansen) besitzt nach H. Hingst (1964, S. 184t.) in der Formenentwicklung der Keramik eigene, landschaftsgebundene Züge, zeigt aber zu Süd- und Ostholstein zahlreiche Beziehungen. Vereinzelt auftretende Gräberfelder mit flachen Hügeln bilden ein Element, das das mittel- und ostholsteinische mit dem südjütländischen Gebiet verbindet. Allgemein beerdigte man auf großen Flachgräberfriedhöfen. Die Fundgruppe zwischen Eider und Treene ist mit wenigen Ausnahmen wohl als nördlicher Ausläufer des mittel- und ostholsteinischen Siedlungsraumes aufzufassen. Das westholsteinische Jastorfsiedlungsgebiet umfaßt die Kreise Steinburg und Rendsburg. Durch die unbesiedelte Eiderniederung im Norden, die Sanderflächen und die Störniederung im Süden sowie den kuppigen Altmoränenriegel zwischen Hohenwestedt und Innien im Osten grenzt sich der westholsteinische Siedlungsraum scharf von seiner Umgebung ab. Die Fundplatzverbreitung läßt sich landschaftlich bedingt in drei verhältnismäßig eng beisammenliegende Teilgebiete mit unterschiedlicher Fundkonzentration gliedern. Neben charakteristischen Jastorf Urnenfriedhöfen finden wir Hügelgräberfelder, die in den flachen, 5—6 m im Durchmesser messenden Hügeln 1—4 Urnenbestattungen in Rollsteinpackung enthalten können. Gräber liegen auch zwischen den Hügeln. Charakteristisch sind Nachbestattungen in älterbronzezeitlichen Hügeln sowie die Anlage der Urnenfriedhöfe in der Nähe von bronzezeitlichen Hügelgräbern. Westholsteinische Modeerscheinungen gibt es vor allem bei der Kerarpik, die den Sonderformen Mittel- und Südjütlands entsprechen (H. Hingst 1964, S. i66ff.). Der südjütische Siedlungsbereich umfaßt Nordschleswig und den größten Teil des Amtes Ribe sowie Südschleswig etwa bis zur Treene (einschließlich Nordfriesland). Die Gruppierung läßt sich im Norden und Süden durch annähernd fundleere Zonen von den benachbarten Gruppen scheiden. Das Ballungsgebiet der Fundplätze liegt in Nordschleswig und zieht sich von Varde nach Haderslev quer durch Jütland. Bei beiden Orten befinden sich Fundplatzkonzentrationen, während der dazwischenliegende Raum gleichmäßigjbesiedelt war. Nach Norden streut der Fundbezirk ein wenig zum Ringk0bingfjord und weiter östlich zum mitteljütischen Fundgebiet aus. Im Süden reicht die leichte Fundplatzstreuung bis zur Treene. Bekannt geworden sind einige Siedlungsund viele Grabfunde. Im Osten finden wir Flachgräberfelder mit Urnen in kleinen Steinpackungen. Im Westen gibt es neben diesen noch Friedhöfe mit niedrigen breiten Erdhügeln ohne Steinsetzungen, die am Fuß von einem Kreisgraben umschlossen werden („tuegrave"). Die Hügel haben einen Durchmesser von 2—12 m (Aarre). Mehrfach gruppieren sich die Anlagen um einen älteren Grabhügel. Außerdem gibt es Gräber oftmals als Nachbestattungen in bronzezeitlichen Grabhügeln. Durch Metallsachgut (dreieckiger Gürtelhaken, Sonderform der Holsteiner Nadel) und Keramiktypen (Töpfe mit Schutzklappen oder Schwalbennesthenkeln und große Schüsseln mit verziertem Rand) hebt sich der jütische Raum vorwiegend von den südlich benachbarten Fundgebieten, aber auch vom Norden kulturell ab. Trotz deutlicher enger Kulturbeziehungen zum eigentlichen Jastorfgebiet trägt die Gruppe zahlreiche lokale Züge (C. J. Becker 1961, S. 288).

Karte 2. Die Besiedlung der älteren vorrömischen Eisenzeit (6,/5- bis 4. J h . v. u. Z.) im nöi 2 Harpstedt-Nienburger-Gruppen; 3 nachlebende Jungbronzezeitgruppen im südlic 7 Göritzer-, 8 Ostpommersche Gruppe.

) im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa. 1 Fundplätze der Jastorfkultur; m südlichen Nordeuropa; 4 bis 5 Frühlatfene-Gruppen Thüringens; 6 Billendorfer-,

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Mitteljütland gliedert sich in zwei Fundbereiche, den weniger dicht besiedelten Landesteil im Westen zwischen Ringkobing- und Limfjord und einen Fundbereich jenseits einer weiten fundleeren Zone im Osten, der etwa zwischen Vejle und Randers liegt. Neben zahlreichen Siedlungsplätzen und einzelnen Grabfunden zeichnet er sich vor allem durch kleine Urnenfriedhöfe und durch außergewöhnlich viele Depotfunde in Mooren (Ringe, Keramik) aus. Urnen-, Brandschüttungs- und Brandgrubengräber kommen nebeneinander vor. Starke Formbeziehungen zum Kulturgut des südjütischen Siedlungsgebietes bestehen, abgesehen von einer Anzahl Lokaltypen, insbesondere beim Metallsachgut (C. J . Becker 1961, Abb. 227—230). Die kulturellen Beziehungen zum engeren Jastorfkreis sind verhältnismäßig gering. Das nordjütische Siedlungsgebiet besteht aus einer mäßigen Fundplatzstreuung (Urnengräber und Brandgruben) vorwiegend im Raum von Vendsyssel auf Himmerland. Ein kleiner Urnenfriedhof und eine Anzahl Wohnplätze sind außerdem bekannt. In der Umgebung von Viborg verbindet eine Fundplatzballung den nord- mit dem mittel]ütischen Siedlungsraum. Die Beziehungen zum Formenschatz der Jastorfkultur sind verhältnismäßig gering (C. J . Becker 1961, S. 289, Abb. 227—228). Im inseldänisch-südschwedischen Gebiet und auf Gotland gibt es nur wenige Grabfunde aus der älteren vorrömischen Eisenzeit, in der Mehrzahl Brandgräber, die teilweise mit eisernen Kropfnadeln ausgestattet sind (E. Nylen 1970, S. 193ff.). Der Einfluß der Jastorf kultur wird lediglich im Kulturgut der Gräber auf Gotland deutlich. Er zeigt sich sowohl in Brand- als auch in Körpergräbern. Charakteristische Grabbeigaben sind auch hier bronzene und eiserne Kropfnadeln. Große Friedhöfe mit ausschließlich Brandgrubengräbern findet man in Bornholm. Insgesamt gesehen kann der inseldänisch-südschwedische Raum als Peripheriegebiet (K. Cullberg 1973) mit nur losen Beziehungen zur Jastorfkultur gelten. Auf eine Kartierung der Fundplätze wurde deshalb verzichtet. Das Weser-Aller-Gebiet mit seinen zahlreichen nach Norden führenden Flüssen ist im Westen bis hin zur Ems, die nur in Einzelfällen überschritten wurde, dicht besiedelt. Im Nordosten wird es durch die breite fundleere Zone der Lüneburger Heide vom nordostniedersächsischen Jastorfraum geschieden. Diese Zone findet ihre Fortsetzung im Ohregebiet. Im Süden bildet die Lößgrenze vom Nordharzvorland im Osten bis zum Weser- und Wiehengebirge eine bedingte Scheide, denn südlich davon findet man entlang der Flüsse noch eine aufgelockerte Fundplatzstreuung etwa bis in Höhe des Solling. Neben Hügelgräberfeldern gibt es hier auch Flachgräberfriedhöfe von zum Teil bedeutender Ausdehnung, jedoch fehlen in der Mehrzahl die Steinschutzbauten um die Urnengräber und um die Leichenbrandhäufchen. Die Hügel sind überwiegend am Ende der Bronzezeit (7. Jh. v. u. Z.) angelegt worden. Bis in die Mittel- und Spätlatenezeit hat man sie mit Nachbestattungen versehen. Eine lokale Bestattungssitte spiegeln die Scheiterhaufenhügelgräber der frühen Eisenzeit wider. So erkennt man Beziehungen zur Gruppe der Kreisgrabenfriedhöfe, die mit der niederrheinischen Hügelgräber-Kultur zusammenhängt. Außerdem treten Brandgrubengräber auf. Die Beigefäße, Deckschalen, verschiedene Keramiktypen, Kropfnadeln, Gürtelhaken, Segel- und Spiralohrringe, Glasperlen, Halsringe, Pinzetten und Rasiermesser zeugen von einer engen Bindung des Weser-Aller-Raumes an das Jastorfgebiet. Nach rein typologischen Merkmalen an der Keramik (z.B. Harpstedter Typ, Nienburger Tasse und Halsdoppelkoni) wurde der Raum in mehrere kulturelle Bereiche untergliedert (K.Tacken7

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berg 1934; P. Schmid 1957, Taf. 3) und mit bestimmten für das letzte Jahrhundert v.u.Z. historisch überlieferten germanischen Stammesgebieten gleichgesetzt (s. S. 205ff.). c) Thesen zur Herausbildung der germanischen Stämme Die Behandlung der Siedlungsverhältnisse im Verbreitungsgebiet der Jastorfkultur in Verbindung mit den kulturellen Besonderheiten der verschiedenen Siedlungsräume hat deutlich gemacht, daß dieser Kultur ein einheitliches Gepräge fehlt. Vielmehr setzt sie sich aus zahlreichen Teilgebieten zusammen, die in vielen Fällen wiederum vielgestaltig, aber miteinander verwandt sind. Während sich in den Bestattungssitten und -gebräuchen (Flachgräberfriedhof, Hügelgräber, Steinschutzbauten usw.) vor allem die Uneinheitlichkeit der Jastorfkultur und ihrer Teilgruppen zeigt, besteht weitgehende Übereinstimmung in der allgemeinen Formgebung bzw. Stilentwicklung zahlreicher materieller Kulturgüter. Die Keramik aller Jastorfgruppen zeichnet sich durch eine verhältnismäßig gleichverlaufende Stilentwicklung von den engmündigen, vasenartigen Gefäßen und groben Zweihenkeltöpfen zu flachen, weitmündigen Terrinen aus. Auch die vermutlich nicht einheitliche Tracht läßt einen Wandel erkennen. Zum Zusammenstecken des Schulterumhanges diente anfangs eine recht feine Nadel mit einem schmuckvoll geformten Kopf. Noch am Ende der Hallstattzeit beginnt die Tendenz zum Monströsen, die man sowohl in der Größe der Nadeln als auch ihrer Köpfe (z. B. Bombenkopfnadeln Taf. 4b) oder ihres Gewichtes (z. B. die massiven Holsteiner Nadeln) erkennt. Anstelle der Nadel wurde zuerst nur vereinzelt, später fast ausschließlich, eine Fibel unterschiedlicher Form verwendet (z. B. Fibeln vom Tinsdahler Typ und Pommersche Fibeln). Selbst die von den Kelten eingetauschten oder nach keltischen Vorbildern gefertigten feingliedrigen Fibeln des sogenannten Lat6ne-Schemas wurden zumindest örtlich in diese Entwicklung einbezogen (Kugelfibeln mit Kranz). Einen wichtigen Bestandteil der vor allem durch die Grabbeigabensitte über viele Jahrhunderte überlieferten Tracht bildeten die Gürtelverschlüsse. Sie gehen wahrscheinlich auf die Übernahme der Hosentracht von reiternomadischen Völkern des Ostens zurück. Die Hose dürfte über den unteren Donauraum zu den Germanen gelangt sein. Der Gürtelhaken — später mit Gürtelring — wird im Norden mit dem Beginn der Eisenzeit zum charakteristischen Trachtenbestandteil. Auch die Sitte, große, massive Halsringe zu tragen, ging auf Vorbilder des Mittelmeerraumes und des Keltengebietes zurück. Im Norden traten zu den üblichen Typen eigene entwickelte Formen, die für die Träger Unbequemlichkeiten mit sich brachten (Scharnierhalsringe, Kronenhalsringe). Innerhalb der Siedlungsgebiete haben zwischen den Siedlern enge Beziehungen bestanden, die einen engen wirtschaftlichen Kontakt und auch einen Erfahrungsaustausch vermuten lassen. Vieles spricht deshalb für eine doch weitgehend einheitliche Bevölkerung, die in vorstehend beschriebenen, geographisch abgrenzbaren Siedlungsgebieten gelebt hat. Ein derartiges Siedlungsgebiet einer politischen Einheit, einem Stamm oder Stammesteil, zuzuweisen, ist jedoch nicht möglich. 9 9

Die Beziehungen zu den westlich, südlich und östlich verbreiteten Kulturgruppen waren nicht so stark entwickelt, um die Selbständigkeit der Entwicklung in diesem Gebiet verändernd beeinflussen zu können.

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In der Fachliteratur besteht weitgehende Übereinstimmung darüber, daß der Jastorfformenschatz die älteste archäologische Kultur bildet, deren Träger mit großer Wahrscheinlichkeit „Germanen", ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Stämmen, gewesen sind. Die Heimat sowohl der ältesten überlieferten germanischen Gemeinschaften (z. B. der Kimbern), die mit der Kultur der jüngeren vorrömischen Eisenzeit in Zusammenhang stehen, als auch die einiger bedeutender, um die Wende u. Z. bekannt gewordener Stämme, liegt im Verbreitungsgebiet der Jastorfkultur im weiteren Sinne. Die kontinuierliche Benutzung zahlreicher Friedhöfe während der gesamten vorrömischen Eisenzeit, mehrfach sogar bis in die frührömische Kaiserzeit hinein, gab Anlaß, die Träger der Jastorfkultur als Germanen zu bezeichnen. Diese retrospektive Verfahrensweise hat sicherlich ihre Berechtigung, doch müssen die Grenzen ihrer Anwendung eingehend definiert werden. Der Germanenbegriff entstammt der historischen Überlieferung. Durch die Römer Cäsar und Tacitus ist der Zeitraum gegeben, in dem er in der Erstphase seiner Erwähnung am häufigsten in den Quellen genannt wird. Zu jener Zeit befanden sich die als germanisch bezeichneten Bevölkerungsgruppen in einem ganz bestimmten sozialökonomischen Entwicklungsabschnitt; sie besaßen kulturelle, sprachliche und andere Gemeinsamkeiten. Von hieraus hat man, ohne Berücksichtigung des jeweiligen Entwicklungsstandes der Produktivkräfte und der speziellen Produktionsverhältnisse, die kulturelle und bevölkerungsgeschichtliche Entwicklung in großen Teilen des Verbreitungsgebietes, teilweise über mehrere Entwicklungsabschnitte hinweg, angeblich „lückenlos" zurückverfolgt. 10 Ohne Berücksichtigung der Gesetzmäßigkeiten des historischen Entwicklungsprozesses aber muß die Anwendung der retrospektiven Methode zwangsläufig zu Fehlschlüssen führen. Ausgehend von der archäologisch nachweisbaren Kultur der germanischen Stämme des Elbegebietes zur Regierungszeit des ersten römischen Kaisers Augustus (27 v. u. Z. —14 u. Z.) (R. Seyer 1968, Abb. 4), lassen sich bis zum Beginn des 1. Jh. v. u. Z. germanische Stämme durch schriftliche Nachrichten nachweisen. Hier besteht ein Zusammenhang mit der materiellen Kultur, die sich kontinuierlich entwickelt hat. Um den Beginn des letzten Jahrhunderts v. u. Z. erreicht nach Aussage des Fundgutes die materielle Kultur des unteren und mittleren Elbegebietes seit Beginn der selbständigen Eisenerzeugung ihren ersten Höhepunkt. Das zeigt sich vor allem in der zahlen- und größenmäßigen Zunahme technisch wesentlich verbesserter Metallgegenstände. Es tauchen immer mehr mit außergewöhnlichen Metallbeigaben ausgestattete Grabanlagen auf, jetzt auch Gräber mit Waffen. Diese erkennbaren sozialökonomischen Veränderungen begannen mit dem Einsetzen der selbständigen Verhüttung des Raseneisensteins und der Herstellung von Eisenerzeugnissen in diesem Raum. In der Jungbronzezeit vorbereitet, wird diese Entwicklung mit der Erweiterung der Produktion (Eisen) eingeleitet, so daß der sich gewiß langsam vollziehende Prozeß der Herausbildung erster germanischer Stämme in die ältere vorrömische Eisenzeit datiert werden kann. Auf die engen Beziehungen zu Gebieten mit einer weiter fortgeschrittenen gesellschaft10

7*

Diese eher emotionale als wissenschaftlich ausreichend begründete Auffassung war viele Jahre hindurch Lehrmeinung; noch in neuerer deutschsprachiger Fachliteratur (G. Schwantes 1958, S. 386) bezeichnet man frühbronzezeitliches Kulturgut als germanisch.

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liehen Entwicklung wurde bereits mehrfach hingewiesen. Trotzdem ist deren Bedeutung auch für die Herausbildung der germanischen Stämme von so großer Wichtigkeit, daß hier noch einmal auf sie eingegangen sei. Diese Verbindungen waren letztlich Ausdruck allgemein gesellschaftlicher Veränderungen im eurasischen Raum, als deren Folge auch auf dem europäischen Gebiet nicht nur Klassengesellschaften sich herauszubilden begannen, sondern auch ethnische Prozesse verHefen, die zur Herausbildung und Festigung der seit dieser Zeit bekannten Skythen, Etrusker, Kelten und sehr wahrscheinlich auch der Germanen beigetragen haben. 11 Die kulturellen Unterschiede zwischen Jungbronze- und älterer Eisenzeit sind — wie bereits betont — in der Mehrzahl auf die sich langsam ändernde Rohstofflage und die damit verbundenen allmählichen Veränderungen in den Produktionsverhältnissen zurückzuführen. In diesem Zusammenhang werden auch Veränderungen im archäologischen Quellenmaterial sichtbar. Die für die Jungbronzezeit charakteristischen reich ausgestatteten Grabhügel (Seddin, Kr. Perleberg; Kemnitz, Kr. Pritzwalk), die überwiegend räumlich getrennt zu den ärmlich mit Metallbeigaben ausgestatteten Flachgräberfeldern (z. B. Blievenstorf, Kr. Ludwigslust) angelegt worden sind und das kulturelle Gepräge der Jungbronzezeit maßgeblich bestimmten, finden keine Fortsetzung. Bei den in diesen Hügeln Bestatteten wird es sich um Angehörige einer Oberschicht handeln, deren hauptsächliche Ernährungsgrundlage die Viehzucht gewesen sein dürfte, aus der sich die zeitweilige Erzeugung eines Mehrproduktes noch am ehesten realisieren ließ. Möglicherweise hat die bäuerliche, auf ausgedehnten Flachgräberfriedhöfen bestattete Bevölkerung der jüngeren Bronzezeit, deren Existenz auch zahlreiche Siedlungsplätze bezeugen, in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dieser Oberschicht gestanden. Dabei ist jedoch eine politische Führung der scheinbar sozial herausgehobenen Schichten innerhalb der bäuerlichen Stämme ebensowenig bewiesen, wie deren Zugehörigkeit zu einer Art Stammesadel. Fraglich bleibt, ob die zum Teil gewaltigen Hügelgräber von dem in dieser Form bestatteten Personenkreis allein errichtet worden sind. Die zahlenmäßig wesentlich größere übrige Bevölkerung hat bei ihrer Errichtung gewiß maßgeblich mitgewirkt. Am Ende der Bronze- und zu Beginn der Eisenzeit verschwinden nicht nur die reicher ausgestatteten Hügelgräber, sondern auch die umfangreichen Bronzehorte. Zwischen dem Verschwinden beider dürfte ein Zusammenhang bestehen. Vermutlich waren die Angehörigen der in den Hügeln bestatteten Gruppe auch Vermittler von Bronze-Rohmaterial und -Fertigprodukten zwischen den Erzeugern im Süden und den bäuerlichen Abnehmern im Norden. Mit der Eisenerzeugung im Norden ging die Nachfrage nach den Bronzeerzeugnissen zurück, und 11

Die Frage nach der Entstehung bzw. Herkunft der germanischen Siedlerverbände und ihrer Kultur ist umstritten. G. Schwantes hat bereits mit seinen Arbeiten aus den Jahren 1909 und 1911 die Grundlage für die sog. Wanderungshypothese geschaffen, die mehrfach überprüft und überarbeitet zu der bis in die fünfziger Jahre gängigen Lehrmeinung geworden war (G. Schwantes 1950, S. 136ff.). Aber wenig später (1955, S. 75ff., bes. S. 100) machte auch er auf die Rolle des autochthonen Anteils an der Entwicklung aufmerksam. Eine andere Auffassung, die mehr für eine Einwanderung aus dem Süden spricht, vertrat A. Leyden in einer 1957 erschienenen Arbeit. Für beide Auffassungen gibt es jedoch keine echten quellenmäßig belegten Beweise. Die Verbreitungskarten 1 und 2 zeigen vielmehr eine Kontinuität in der Besiedlung des in Frage kommenden Gebietes. Siehe zum Gesamtproblem auch H. Keiling 1968, S. i 6 i f f . ; B. Nerman 1924, S. I3ff.

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damit dürften die vom Tausch lebenden Personen einen wesentlichen Teil ihrer Existenzgrundlage verloren haben. Die Urnenfriedhöfe der älteren vorrömischen Eisenzeit weisen im engeren Jastorfgebiet, aber auch teilweise darüber hinausgehend, in Anlage, Ausstattung und Charakter kaum Unterschiede zu den jungbronzezeitlichen Flachgräberfeldern auf, wenn man den sich in der Formgebung äußernden chronologischen Unterschied unberücksichtigt läßt. Das allmähliche Überleiten von der Bronze- zur Eisenzeit läßt sich besonders gut in dem dichtbesiedelten Gebiet Westholsteins beobachten. Bereits früher (G. Schwantes 1950, S. 129) wurde betont, daß Jastorf „im Grunde weiter nichts als eine Fortsetzung bronzezeitlicher Überlieferung im eisenzeitlichen Rahmen" sei. Die bronzenen Nadeln mit gestreckten und schwanenhalsförmig gebogenem Schaft erscheinen z. B. in der Jastorfkultur als eiserne Nadeln. Der Schwanenhals ist allgemein zum Kropf umgebildet worden, doch sind Schwanenhalsnadeltypen in einigen Randgebieten (z. B. in Schleswig-Holstein und im Gebiet der mecklenburgischen Seen) noch länger im Gebrauch, z. T. bis an den Beginn der jüngeren vorrömischen Eisenzeit. Anderes in Gräbern oftmals anzutreffendes Kleingerät, wie Pinzetten, Rasiermesser, Spiralschmuck, Glasperlen und einfache Bronzeringe, läßt sich von endbronzezeitlichen Stücken nach Rohstoff und Form in vielen Fällen nicht unterscheiden. Die Tinsdahler Fibeln gehen auf Plattfibeln, die Hohlwülste, Spiralarmringe und Wendelringe auf entsprechende bronzezeitliche Vorformen zurück. Besonders deutlich tritt der allmähliche Formenwandel von bronze- zu eisenzeitlichen Typen bei der Keramik zutage. 12 Auf durchgehend benutzten Gräberfeldern — z. B. Lanz, Kr. Ludwigslust (H. Keiling 1962) — findet man zahlreiche Zwischenformen, die weder der Endbronze- noch der älteren vorrömischen Eisenzeit sicher zugeordnet werden können. Im engeren Jastorfgebiet besteht eine Kontinuität sowohl in Grabaufbau und -anlage (Steinschutzbauten) als auch im Grabtypus (Urnengrab, Knochenlager, Brandgrube usw.). Die Beigabensitte hat sich ebenfalls nicht geändert. Die allmähliche Wandlung der Schmuck- und Trachtsitten hat die Grabausstattung in ihrem Formenbestand etwas erweitert. So treten jetzt Ohrringe, Gürtelgerät und Urnenharz als Grabbeigaben neu hinzu. Weitgehend fehlen Arbeitsgeräte und Waffen in der älteren vorrömischen Eisenzeit ebenso wie schon in den jungbronzezeitlichen Gräbern. Zu den Ausnahmen gehört der Fund eines eisernen Ambosses (Abb. 32 c) aus einem Grab in Boddin, Kr. Hagenow. Selbst auf jungbronzezeitliche Elemente des Bestattungsbrauches, wie die Verwendung von Gefäßen mit sogenannten Seelenlöchern, stößt man auch in der Jastorfkultur (H. Keiling 1968, S. 167; K. Tackenberg 1976). In Süd- und Mitteljütland machten sich verschiedene bronzezeitliche Traditionen an ältereisenzeitlichen Funden bemerkbar (C. J. Becker 1961, S. 286 ff.), so daß auch in diesem Gebiet von der Periode V I der Bronzezeit bis in die frührömische Kaiserzeit nirgends ein kultureller Bruch hervortritt.

12

Im Gegensatz zu der Auffassung, daß sämtliche Typenreihen der Bronzezeitkultur am Ende dieser Periode aufhören (A. Leyden 1957, S. 271 f.), kann H. Hingst (1964, S. 165f.) im Typenbestand der Stufe I a Schleswig-Holsteins sowohl Keramik als auch Metallgeräte nachweisen, deren Vorformen in der Jungbronzezeit zu finden sind. E s wird auch dabei auf „das Weiterleben bronzezeitlicher Bestattungssitten im Grabritus der frühen Eisenzeit" verwiesen.

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d) Zum Problem der autochthonen Entwicklung Die allgemeine kulturelle Kontinuität von der Jungbronze- zur älteren Eisenzeit ist allein noch kein ausreichender Beweis für die Herkunft der Träger der Jastorfkultur. Weitere Untersuchungen hierzu müßten sich auf drei Ebenen erstrecken: 1. Die Platzkontinuität? 2. Die Kontinuität der Siedlungskammer? und 3. Die Kontinuität im Siedlungsraum? 1. Die Frage der ununterbrochenen Benutzung von Wohn- und Bestattungsplätzen in der Jungbronze- und vorrömischen Eisenzeit ist in Verbindung mit der Erörterung der „swebischen Landnahme" (G. Schwantes 1958, S. 38iff.) aufgetreten. Neuere Untersuchungen haben ergeben, daß es besonders im engeren Jastorfgebiet zahlreiche Fundplätze, vor allem Friedhöfe gibt, die von der Jungbronzezeit an ununterbrochen benutzt worden sind (H. Keiling 1968, S. 170). Dazu gehören u. a. Gräberfelder von Lanze, Kr. Herzogtum Lauenburg, Lanz, Kr. Ludwigslust, Bollensen, Kr. Uelzen, Schollene, Ot. Molkenberg, Kr. Havelberg, und Wachow, Kr. Nauen (Abb. 16). Außerdem sind von einer Anzahl von Plätzen jungbronze- und ältereisenzeitliche Funde bekannt geworden. In diesen Fällen muß der Platz nicht unbedingt kontinuierlich benutzt worden sein. Es kann sich auch um eine Wiederbenutzung durch spätere Siedler handeln. Das trifft besonders für das mecklenburgische Gebiet östlich der Linie Wismarer Bucht—Plauer See und für den sächsischen Elster-Mulde-Raum zu, wo auffallend viele

Abb. 16. Bestattungsplätze, die von der späten Bronzezeit bis in die vorrömische Eisenzeit kontinuierlich benutzt worden sind. 1 Benutzungskontinuität gesichert, 2 vermutet.

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Plätze diesen Befund lieferten. In Sachsen gibt es keinen eindeutig durchgehend belegten Fundplatz; die älteste Jastorfphase, die etwa den Stufen Ia der Einteilungsschemata des Nordens (Schleswig-Holstein, Prignitz) entspricht, fehlt hier offenbar völlig. Die Besiedlungslücke ist so deutlich, weil die Fundplätze nicht zu Beginn, sondern erst im Laufe der vorrömischen Eisenzeit einsetzen, d. h. später als im engeren Jastorfraum. Zu berücksichtigen ist bei der Erforschung des Beginns der eisenzeitlichen Fundplätze, daß nur an wenigen Stellen systematische Untersuchungen stattgefunden haben. Diese ergaben eine in der Regel beträchtliche Ausdehnung der Friedhöfe im engeren Jastorfgebiet, wobei die belegte Fläche häufig weit über einen Hektar hinausgeht. Innerhalb dieser ausgedehnten, aber unregelmäßig in Gruppen belegten Friedhöfe konnte mehrfach der Belegungsablauf beobachtet werden. Die Bestattungen der verschiedenen Zeitgruppen liegen auf kleinen Räumen beisammen. Von den meisten der Friedhöfe fehlen aber größere Flächenabdeckungen. Unsere Kenntnisse über die Benutzungszeit der Friedhöfe und Siedlungen beruhen also auf zufälligen Ausschnitten, die nur angenommene Mittelwerte repräsentieren können. 2. Der Siedlungs- und Bestattungsplatz kann aus verschiedenen Ursachen aufgegeben worden sein, ohne daß die Bevölkerung die Siedlungskammer bzw. den bisherigen Wirtschaftsraum verließ. Beispiele hierzu gibt es aus Mecklenburg. In Camin, Kr. Hagenow, liegen mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Siedlungen mit den dazugehörigen Friedhöfen auf den Talrandhöhen von Motel und Schilde. Mit dem Auflassen eines Siedlungsplatzes wurde hier offenbar auch der Friedhof nicht weiter benutzt. In der Nähe des jeweils weiter flußabwärts angelegten neuen Wohnplatzes entstand dann auch ein neuer Urnenfriedhof. Ein derartiger Wohnplatz- und Friedhofswechsel ließ sich auf der natürlich begrenzten Großflur Camin, Kr. Hagenow, von etwa 500 v.u.Z. bis in das 2. Jh. u. Z. am archäologischen Fundmaterial mehrmals belegen. Auf Gotland erwies sich eine derartige Fundplatzverlagerung an vier kleineren Urnenfriedhöfen, die am Ende der Bronzezeit einsetzen und mit der jüngeren vorrömischen Eisenzeit enden. Der älteste Fundgegenstand auf diesen Plätzen entsprach jeweils zeitlich dem jüngsten des vorhergehenden Friedhofes (E. Nyl^n 1962, S. 274ff.). Auch hier sprechen keine Anzeichen für einen Bevölkerungswechsel. Es ist kein Fall aus der vorrömischen Eisenzeit bekannt, wo Siedlungskammern mit dichter Fundplatzstreuung plötzlich fundleer werden, d. h. ohne Besiedlung sind. Die durch eine Vielzahl von Seen und Höhenunterschieden reich gegliederte Siedlungskammer um Granzow, Kr. Neustrelitz (Abb. 17), wird im Norden, Osten und Süden durch ausgedehnte Waldgebiete, nach Westen hin durch die Müntz und eine sich in Südrichtung fortsetzende Kleinseenkette begrenzt (H. Keiling 1969 a, S. I73ff.). Bei den sieben nur durch Zufallsfunde bekannt gewordenen Fundplätzen der vorrömischen Eisenzeit in dieser Siedlungskammer handelt es sich um sechs Urnenfriedhöfe und um eine Siedlung. Die Siedlung und zwei Gräberfelder sind bereits in der Jungbronzezeit benutzt worden. Trägt man in das Kartenbild zu diesen drei Plätzen die bekannten Funde aus den Perioden V und VI der Bronzezeit (9.-6. Jh. v. u. Z.) ein, so wird deutlich erkennbar, daß die Siedlungskammer bereits während der Jungbronzezeit bestanden haben muß. Ähnlich liegen die Verhältnisse in großen Teilen des engeren Jastorfraumes, wo sich wegen geringer morphologischer Gliederung bei einer Vielzahl von Besiedlungsbelegen die Siedlungskammern meist nicht so scharf abgrenzen lassen. Als gut abgrenzbare

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HERAUSBILDUNG DER GERMANISCHEN STÄMME

Beispiele seien noch aussagegleiche Siedlungskammern aus dem Ludwigsluster Raum zwischen Eide und Sude genannt (Abb. 14). Bei den untersuchten Objekten fanden sich keine ausreichenden Hinweise auf einen Siedlungsabbruch. Vielmehr lassen die Befunde allgemein eine ständige Besiedlung in der Jungbronze- und vorrömischen Eisenzeit vermuten.

Abb. 17. Benutzungsdauer der Wohn- und Bestattungsplätze sowie Siedlungsraumkontinuität in der Siedlungskammer um Granzow, Ot. v. Mirow, Kr. Neustrelitz. 1 späte Bronzezeit, 2 ältere vorrömische, 3 jüngere vorrömische Eisenzeit, 4 römische Kaiserzeit.

3. Aus der vorrömischen Eisenzeit sind zahlreiche siedlungsfreundliche Räume bekannt, die als Fundballungsgebiete auf der Karte 2 erscheinen. Die westholsteinische Gruppe gibt ein Beispiel für ein solch geschlossenes Gebiet. Da derselbe Raum auch während der jüngeren Bronzezeit auffallend dicht besiedelt war, spricht diese Situation nicht für eine Zuwanderung neuer Siedler. Im Gegenteil, die nördlich der Treene gelegenen Fundplätze fehlen sogar in der Jastorfzeit, und selbst die westholsteinische Gruppe hat sich gegenüber der Bronzezeit räumlich ein wenig verengt.

SPRACHWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNGEN

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Die Übereinstimmung der Siedlungsräume mit Fundballungen während der Jungbronze- und vorrömischen Eisenzeit finden wir auch in Südholstein, Westmecklenburg, der Prignitz, Nordostniedersachsen und der Altmark, im Havelgebiet, auf den nordfriesischen Inseln und im südjütischen Gebiet, andererseits aber auch in zahlreichen Kleinräumen, wie z. B. in Mecklenburg östlich des Schweriner Sees (z. B. Gegend um Rerik). In weiten Teilen Mecklenburgs hat sich die Fundplatzzahl in der Jastorfzeit gegenüber der ausgehenden Bronzezeit sogar merklich verringert. Die Gründe für zahlreiche andere, indes unbedeutende Unterschiede liegen vermutlich im gegenwärtigen Forschungsstand begründet. Nicht nur der jungbronzezeitliche Formenschatz hat sich also allmählich zum ältereisenzeitlichen gewandelt, sondern es ließen sich auch auf einigen Fundplätzen (Friedhöfen, Siedlungen), in zahlreichen Siedlungskammern und in den oben beschriebenen, überwiegend geschlossenen Siedlungsräumen bemerkenswerte Anzeichen für eine Besiedlungskontinuität von der Bronze- zur Eisenzeit feststellen. Der Übergang vollzieht sich allerdings in den einzelnen Räumen unterschiedlich, im Norden offenbar zeitlich etwas später als im mittleren und unteren Elbegebiet. Die Entstehung der Jastorfkultur geht demnach nicht auf eine Einwanderung ihrer Träger zurück. Ebenso fehlen Hinweise für eine Abwanderung der Bronzezeitbevölkerung. Das schließt natürlich nicht aus, daß innerhalb des Jastorfgebietes bereits damals Umsiedlungen stattfanden und daß Bevölkerungsteile ihre Wohngebiete wechselten. Im Zuge der Bevölkerungsbewegungen können auch von Skandinavien Stämme oder Stammesteile zugezogen sein. Es bleibt zu prüfen, inwieweit das Aufhören der Belegung von Friedhöfen und der Benutzung von Siedlungsplätzen zu Beginn und während der vorrömischen Eisenzeit mit diesen Wohnplatzverlegungen zusammenhängt.13 Die Jastorfkultur als wahrscheinlich älteste kulturelle Erscheinung der sich herausbildenden germanischen Stämme hat sich aus der bodenständigen Jungbronzezeitkultur entwickelt. Zwar lassen sich die für Fragen der ethnischen Kontinuität zutreffenden Kriterien, wie Sprache, Bewußtsein und Kult, nicht aus der überlieferten materiellen Kultur bzw. nur andeutungsweise aus ihr erkennen. Die Änderung der Produktionsverhältnisse im Süden während der Hallstattzeit schuf die Grundlage zur Entstehung des Keltentums, im Norden wurde durch diese Änderung offensichtlich ein ähnlich verlaufender Ethnogeneseprozeß beschleunigt, dessen Ergebnis die Entstehung der germanischen Stämme bildete. 2.

Zur Herausbildung der germanischen Stämme nach sprachwissenschaftlichen Forschungen

Nachdem festgestellt werden konnte, „daß der Jastorfformenschatz die älteste archäologische Kultur bildet, deren Träger mit großer Wahrscheinlichkeit .Germanen', ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Stämmen, gewesen sind" (s. S. 37), bleibt zu klären, ob diese Erkenntnis durch den sprachwissenschaftlichen Befund gestützt wird. 13

Auf einigen systematisch untersuchten Friedhöfen (Glövzin, Kr. Perleberg, Lanz, Kr. Ludwigslust, Schwissel, Kr. Segeberg) konnte festgestellt werden, daß die Anzahl der Bestattungen aus der Anfangs- und Schlußphase der Belegung im Verhältnis zu der dazwischenliegenden Zeit sehr gering ist. Vielleicht verbirgt sich hinter dieser Erscheinung der allmähliche Zustrom der Menschen bzw. das ständige Verlassen des Platzes.

io6

HERAUSBILDUNG DER GERMANISCHEN STÄMME

Für den Linguisten ist „Germanisch" zunächst die Bezeichnung einer Gruppe von Sprachen in Vergangenheit und Gegenwart, die zwar untereinander eine Reihe von Verschiedenheiten aufweisen, aber doch durch eine Anzahl wesentlicher Übereinstimmungen als enger zusammengehörig erwiesen werden. Diese Sprachgruppe gehört zur übergeordneten, größeren Gruppe der indoeuropäischen Sprachen, die neben den germanischen Sprachen die indischen und iranischen Sprachen, das Armenische, Griechische, Albanische, das Latein und die romanischen Sprachen, die keltischen, baltischen und slawischen Sprachen umfaßt. Außerdem sind das Hethitische, das Tocharische und eine Reihe weiterer heute ausgestorbener Sprachen dieser Familie zuzurechnen. Die Mehrzahl der Forscher bejaht auch heute noch — trotz gelegentlichen Einspruchs (z. B. N.Trubetzkoj 1939, S. 82) — die Möglichkeit, mittels der historisch-vergleichenden Methode Vorformen der historisch überlieferten Sprachen zu erschließen. Freilich haben sich unsere Ansichten über diese Vorformen stark gewandelt. Heute denkt niemand mehr daran, eine Fabel in das erschlossene „Urindogermanisch" zu übersetzen, wie es A. Schleicher um die Mitte des 19. Jh. tat. Wir sind uns im klaren, daß die Rekonstruktion nur einen Näherungswert zur sprachlichen Realität der damaligen Zeit darstellt, der jeweils vom Stand unserer Kenntnisse abhängt und deshalb wandelbar ist. 14 Wir erreichen keine völlig einheitliche Grundsprache, und wir geraten mit den erschließbaren Formen sicherlich auch in verschiedene zeitliche Schichtungen; was wir — freilich nur in Umrissen — erschließen können, ist eine Gruppe von Dialekten, die über lange Zeiträume existiert hat, so daß Isoglossen sehr unterschiedlicher Ausdehnung entstehen konnten. Als Beweis für die Unmöglichkeit, eine völlig einheitliche Grundsprache zu rekonstruieren, sei hier nur der Genitiv singularis der o-Stämme angeführt: So weisen das Indische (ai. asvasya), Iranische (aw. ahurahya) und Griechische (hom. Ettttoio) auf eine Vorform -o-sio. Ahnlich, aber nicht identisch sind die germanischen Genitive (z. B. got. dagis, ahd. tages), die auf eine Vorform -e-so/-o-so weisen, welche sonst nur im Altpreußischen vorkommt (deiwas). Das Lateinische, Keltische und Messapische haben die völlig abweichende Endung -1 (lat. lupi, kelt. gall. Segomari, messap. Platorrihi), während das Baltische (außer dem Altpreußischen) und Slawische die Ablativendung -öd für den Genitiv verwenden (lit. vyro, akls. raba). Die Frage nach der Entstehung dieser Dialektgruppe hat in den letzten Jahrzehnten einen heftigen Meinungsstreit heraufbeschworen. So interpretiert eine Forschergruppe die rekonstruierte Dialektgruppe als erste Aufspaltung der mit der historisch-vergleichenden Methode nicht mehr erreichbaren, aber als Vorstufe vorauszusetzenden 14

Die Realität der Rekonstruktion kann jedoch nicht geleugnet werden. Einen guten Überblick über den Stand der Diskussion mit einer wohlbegründeten Stellungsnahme gibt A. Szulc (1973, S. H 7 f f . ) . Nicht alles, was die Rekonstruktion in der Vergangenheit als gemeinsamen Besitz der indoeuropäischen Sprachen herausgestellt hat, dürfte einer Prüfung standhalten. Zu vieles wurde für alle Sprachen vorausgesetzt, was nur in einigen bezeugt war (z. B. beim Verbsystem). So ist an der Kritik G. Lanes (1949, S. 333ff.) nicht zu zweifeln, der die herkömmliche Rekonstruktion als „ein schönes Gemisch von Griechisch und Sanskrit mit einigen lateinischen, gotischen, litauischen Ingredienzien, die da würzen sollen, wo dadurch der allgemeine Geschmack des Gerichtes nicht verändert werden kann" (zit. nach V. Pisani 1953, S. 43), bezeichnet hat.

SPRACHWISSENSCHAFTLICHE

FORSCHUNGEN

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einheitlichen Grundsprache. 1 5 Bei dieser Annahme ist davon auszugehen, daß der Dialekt eines Stammes bereits durch Ausbreitung und Unterwerfung anderer Stämme einen so großen Raum einnahm, daß sich Sprachneuerungen, die in dieser Zeit entstanden, schon nicht mehr ohne weiteres auf den gesamten R a u m erstreckt haben. Außerdem floß aus den Sprachen der unterworfenen Stämme Sprachmaterial in die siegreiche Stammessprache ein, so daß das rekonstruierte Bild entstand. Andere Forscher interpretieren die erschließbare Dialektgruppe als Sprachbund. Danach hat es eine einheitliche Grundsprache als Vorstufe der erschließbaren Dialektgruppe nie gegeben, sondern nur eine meist nicht genauer genannte Zahl von verschiedenen Stammessprachen. Über diese Stammessprachen habe sich in einer langandauernden Zeit der Nachbarschaft eine Reihe von Isoglossen ausgebreitet, woraus sich sowohl die Übereinstimmungen als auch die Unterschiede der Dialekte erklären. Die letztere Meinung ist seit 1936 und in den letzten Jahren immer aufs neue vor allem von V. Pisani vertreten worden. Eine gute Zusammenfassung seiner verschiedentlich publizierten Meinung gibt V. Pisani (1953, S. 68ff.) im Forschungsbericht Indogermanistik. Er versteht unter Indogermanisch (Indoeuropäisch) „ein von allen indogermanischen Sprachen durchgemachtes Stadium, als sie noch in wechselseitigem Verhältnis standen". E s ist „nur die zur Zeit der ersten Auswanderung bestehenden Phase in einer Entwicklung, die seit Jahrtausenden dauerte und möglicherweise aus dem Zusammenfließen einiger Sprachen entstanden w a r " . V. Pisani (1953, S. 9if.) beruft sich auf C. C. Uhlenbeck, der seit 1935 mehrfach das Indoeuropäische als das Ergebnis des Zusammenfließens zweier verschiedener Sprachen herausstellte: Die ural-altaische Komponente habe dabei die regelmäßige Flexion, die kaukasische Komponente die Heteroklitika und Suppletiva beigesteuert. Die Überprüfung des historischen Materials ergibt aber, daß die Sprachbundtheorie keine ausreichende Stütze findet. Man kann zwar darauf verweisen, d a ß einige wenige Formen des Zeitwortes „sein" und die Akkusative der Personalpronomina aus dem Slawischen in rumänische Dialekte gelangt sind, doch kommt die Übertragung solcher grammatischen Formen von einer Sprache in die andere in historischer Zeit so selten vor, d a ß sie zur Erklärung der außerordentlich zahlreichen Übereinstimmungen im Formenbau der indoeuropäischen Sprachen bis in Unregelmäßigkeiten hinein nicht ausreicht. Einzelheiten hierzu finden sich bei A. Scherer (1956, S. 3ff.) und L. Hammerich (1955, S. 4). Die These vom Indoeuropäischen als Sprachbund hat aber zum Neudurchdenken der sogenannten Ausgliederung der indoeuropäischen Sprachen geführt. Z w a r wurde die Auffassung von der stammbaumartigen Verzweigung der Sprachen innerhalb einer Sprachfamilie, deren Unhaltbarkeit bereits F. Engels in seiner Arbeit über den fränkischen Dialekt (1962, S. 506) erkannte, in der Theorie aufgegeben, praktisch jedoch bestimmte sie in den Handbüchern die Darstellung oft bis in die letzten Jahrzehnte hinein. In Wirklichkeit liegen die Dinge so: Bereits in der Zeit der unmittelbaren Nachbarschaften aller späteren indoeuropäischen Sprachen hat es mit Sicherheit Verschiebungen zwischen den einzelnen Stämmen gegeben, in deren Ergebnis es zu neuen 15

Zur einheitlichen Grundsprache sucht man mit den Mitteln der strukturalistischen Sprachwissenschaft vorzustoßen; vergleiche dazu F. Adrados 1968, S. i f f .

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HERAUSBILDUNG DER GERMANISCHEN STÄMME

Nachbarschaften oder Überlagerungen auf der einen und zum Verlust alter Nachbarschaften auf der anderen Seite kam. Sicherlich nicht gleichzeitig haben die bezeugten indoeuropäischen Sprachen dann die Verbindung mit der Gruppe verloren, einige gingen noch ein Stück des Weges gemeinsam und bildeten so neue Isoglossen aus (z. B. Indo-Iranisch); andere konnten — in der alten Gemeinschaft nicht unmittelbar benachbart •— zu Nachbarn werden, woraus sich neue Übereinstimmungen ergaben (z. B. verschmolzen das Latino-Faliskische und Oskisch-Umbrische wohl erst auf der Apenninenhalbinsel zum Italischen). Dabei führten die neuen Kontakte vor allem im Wortschatz zur Aufnahme fremden Wortgutes (Substrateinfluß). Wenn man also die Gliederung der alten Dialektgruppe feststellen will, muß man versuchen, die verschiedenen Schichten abzutragen und zu den ältesten Gemeinsamkeiten vorzudringen. Ganz wird das nicht gelingen, doch dürfte folgendes Bild der historischen Wahrheit nahekommen: Germanen „Italiker"

Veneter

Kelten (Albanesen) Griechen

Messapier

Balto-Slawen

Tocharer Hethiter

Thrako-Phryger-Armenier Iranier-Inder

Dieses Untersuchungsergebnis von W. Porzig (1954) stellt das Germanische in besonders engen Zusammenhang mit dem „Italischen", Venetischen, Illyrischen; nicht so sehr mit dem Baltischen und vor allem nicht mit dem Keltischen, das erst sehr spät zum direkten Nachbarn des Germanischen wurde. Da es nicht möglich ist, in diesem Zusammenhang alle Gemeinsamkeiten des Germanischen mit den Nachbarsprachen aufzuführen, seien deshalb nur einige besonders beweiskräftige Übereinstimmungen genannt: Germanisch-,.Italisch":

Perfektformen mit langem Wurzelvokal got. qemum — lat. venimus; Präsensform vom Typ Capio ahd. heffu, hevis, hevit — lat. capio, capis, capit; Distributivzahlen mit -no anord. tvennr — lat. bini; Ortsadverbien von Bildungen auf -tro got. jain^ro dorther — lat. contra gegen; besondere Beziehungen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, bestehen zwischen Germanisch und Umbrisch als Teil des Italischen;

Germanisch-Venetisch:

Umbildungen des Personalpronomens got. mik (nach ik) — ven. mego (nach ego); Identitätspronomen (nur germanisch/venetisch) ahd. der selbo — ven. sselboi (Dat.);

Germanisch-Messapisch:

Bildungsweise des Possessivpronomens stimmt überein ahd. sin — messap. veina (aus *sveino-);

SPRACHWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNGEN

Germanisch-Balto/Slawisch:

Bildung des Dativs Pluralis mit m-Suffix got. dagam — vgl. lit. rankomis, aksl. rokami Bildung bestimmter Zahlwörter got. twalif — lit. dvylika;

Germanisch-Keltisch:

nur Wortgleichungen.

I09

Bevor wir die Ausgliederung des Germanischen behandeln, sei der Forschungsstand zu den sehr schwierigen Fragen des Alters und der Urheimat der von uns erschlossenen indoeuropäischen Dialektgruppe skizziert. Wenden wir uns zunächst der Zeitfrage zu! Da das Hethitische, das Indische und das Griechische (unter Voraussetzung, daß die Entzifferung von Linear B richtig ist) bereits um die Mitte des zweiten Jahrtausends v. u. Z. als voll ausgebildete Einzelsprachen belegt sind, müssen sie eine mehrhundertjährige Entwicklung als Einzelsprachen hinter sich haben. Nach Meinung der Mehrzahl der Forscher dürften sie sich nicht viel nach 2500 v. u. Z. von den anderen Sprachen getrennt haben. Die indoeuropäische Dialektgruppe hat also vermutlich in der ersten Hälfte des dritten Jahrtausends v. u. Z. bestanden. Wie weit sie in das vierte Jahrtausend zurückreicht, ist ungewiß. Wo aber hat diese Dialektgruppe bestanden? Da die Sprache von Anfang an Verständigungsmittel der Menschen ist und zu keiner Zeit losgelöst vom Sprachträger existiert, besteht die Frage nach den Trägern der indoeuropäischen Dialekte zu Recht. Allerdings sei mit aller Deutlichkeit ausgesprochen, daß die Linguistik über die ethnische Zugehörigkeit der Sprachträger keinerlei Auskünfte geben kann. Nur so viel läßt sich sagen: Es muß in der ersten Hälfte des dritten Jahrtausends v. u. Z. irgendwo eine Gruppe von Stämmen gegeben haben, deren Sprachen im obengenannten Sinne eng miteinander verbunden waren. Zur Bestimmung des Ortes der Sprachgemeinschaft muß man von den gegenwärtigen Räumen der indoeuropäischen Sprachen in Europa und Asien ausgehen. Einige der heute von indoeuropäischen Sprachen besetzten Räume fallen von vornherein als „Heimat" aus, da sie nachweislich erst später von Menschen indoeuropäischer Zunge besiedelt wurden. Das gilt für den indischen Subkontinent ebenso wie für die Balkan- und Apenninenhalbinsel. Der verbleibende Raum ist noch groß genug; er erstreckt sich von Innerasien bis nach Westeuropa. Auf der Suche nach der „Urheimat", dem gemeinsamen Ausgangspunkt der indoeuropäischen Sprachen, bedienten sich die Forscher lange Zeit allein der „linguistischkulturhistorischen" Methode. An Hand der Bedeutungsinhalte der für die Grundsprache erschlossenen Wörter wurde ein Bild des Kulturbesitzes der damaligen Zeit entworfen. Man ermittelte, welche Haustiere es gab, welche klimatischen Bedingungen herrschten, ob Ackerbau, ob Schiffahrt schon bekannt waren und anderes mehr. Auf Grund des so gewonnenen Bildes wurde mit Hilfe der Pflanzengeographie, der Geschichte der Haustiere, der historischen Klimakunde usw. versucht, innerhalb des vorstehend skizzierten Raumes eine Gegend ausfindig zu machen, auf die alle erschlossenen Gegebenheiten zutreffen. Diese Gegend glaubte man dann als Heimat der indoeuropäischen Grundsprache (Dialektgruppe) ansehen zu können. Eine solche Verfahrensweise hat jedoch bisher nicht zu tragfähigen und allgemein anerkannten Ergebnissen geführt.Da die einzelnen Forscher verschiedene Gesichtspunkte in den Vordergrund rückten, die sie teilweise dann auch noch überbewerteten, kamen sie zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Es gibt kaum einen Raum zwischen Inner-

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HERAUSBILDUNG DER GERMANISCHEN STÄMME

asien und Westeuropa, den man nicht für die „Heimat" in Anspruch genommen hätte. Bereits um die Jahrhundertwende standen sich die Europathese von H. Hirt (1905) und die Eurasienthese (nach ihr hegt die Heimat im Steppengebiet nördlich des Kaspischen Meeres) von O. Schräder und A. Nehring (1917) gegenüber. Diese Kontroverse flammte in den dreißiger Jahren wieder auf, und zwar durch Beiträge in der Festschrift für Hermann Hirt (1936 — Europathese) und im 4. Band der Wiener Beiträge zur Kulturgeschichte und Linguistik (1936 — Eurasienthese), wobei die Europathese in das Fahrwasser der nazistischen Rassentheorie geriet. In neuerer Zeit hat sich P. Thieme — unter ausdrücklicher Ablehnung der Rassentheorie — erneut für die europäische Heimat (Stromgebiet der Weichsel, Oder, Elbe, Weser) ausgesprochen (1954). Demgegenüber verweist L. Hammerich darauf, daß ein 1952 unter Leitung von Holger Pedersen in Kopenhagen veranstaltetes Symposium „in der alten Streitfrage über östlichen oder westlichen Ursprung der idg. Urheimat... die Waagschale zugunsten der asiatischen These entscheidend gesenkt" habe (1955, S. 8). Einen vermittelnden Standpunkt vertritt in mehreren Publikationen A. Scherer, der — ähnlich wie W. Brandenstein 1936 — eine ältere und eine jüngere Heimat annehmen möchte: „Wenn in der Urheimatfrage die Argumente der beiden Parteien nach verschiedenen Richtungen deuten, so muß daraus nicht notwendig der Schluß gezogen werden, daß die der einen von ihnen alle falsch sind. Für das östliche und nördliche Mitteleuropa sprechen nämlich die Gründe, die ihrer Natur nach eine Aussage über das Ausbreitungsgebiet unmittelbar vor der Völkertrennung erlauben, während dagegen diejenigen, die sich auf das Zustandekommen der idg. Sprache und Kultur beziehen, eher weiter nach dem Osten hin zu weisen scheinen" (1956, S. 8). Zur Problematik, die aus der Anwendung der „linguistisch-kulturhistorischen" Methode folgt, sei hier nur auf ein Beispiel eingegangen. Die Vertreter der europäischen Heimat stützen sich im starken Maße auf das sogenannte Buchenargument. Aus der Pflanzengeographie wissen wir zuverlässig, daß östlich der Linie Kaliningrad—Halbinsel Krim die Buche nicht vorkommt. Da diese Forscher behaupten, es habe in der Grundsprache ein Wort für Buche bereits gegeben, scheint gesichert, daß die Heimat westlich der Buchengrenze gelegen habe. Als Beweis für ihre Behauptung führen die Vertreter der „Westhypothese" an: ahd. buchha, lat. fägus „Buche", gr. «pTjyo? „Speiseeiche", kurd. buz „Art Ulme", russ. 6y3 „Holunder". Jedoch fragen die Gegner der Westhypothese nach der Berechtigung, dem erschlossenen Wort *bhägos die Bedeutüng Buche beizulegen. Es sind auch andere Bedeutungen möglich. Da die Schwierigkeiten, die sich aus der Anwendung der linguistisch-kulturhistorischen Methode ergeben, fortbestehen, erlangen andere Klärungsversuche mehr und mehr Bedeutung. Ihnen liegt die Überlegung zugrunde, Einzelsprachen rückwärtsschreitend zu erforschen. So hat J. Pokorny (1949) versucht, an Hand der festgestellten ältesten Wohnsitze der einzelnen indoeuropäischen Völker das Ausbreitungszentrum der Indogermanen näher zu bestimmen, wobei er den Raum vom mitteldeutschen Gebiet bis z!ur mittleren Wolge einbezieht. Anders ist H. Krähe an das Problem herangegangen. Die Ergebnisse seiner Flußnamenforschung hat er 1949—1962 in einer Reihe von Arbeiten niedergelegt. Darin geht er von der allgemein bekannten Tatsache aus, daß die Gewässernamen Europas historisch geschichtet sind. Die ältesten Namen zeigen eine größere Verbreitung als die der Einzelsprachen, in deren Bereich sie bezeugt sind. Ausgehend

SPRACHWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNGEN

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von diesen ältesten Namensschichten hat Krähe (1962)16 folgende Thesen aufgestellt: „ 1 . Diese Hydronomie ist in ihrem Wortschatz und in ihren formalen Bildungsmitteln indogermanischer Herkunft, umfaßt aber nicht den Gesamtbereich der indogermanischen Sprachen, sondern nur einen bestimmten, fest umgrenzbaren Teil von ihnen. Sie ist in einer noch voreinzelsprachlichen Periode des westlichen indogermanischen Raums entstanden, gehört also nicht einer der aus historischen Zeiten bekannten Sprachen allein an. 2. Das Verbreitungsgebiet der alteuropäischen Hydronomie reicht einerseits von Skandinavien bis nach Unteritalien, andererseits von Westeuropa bis zu den baltischen Ostseeländern. Von den drei südeuropäischen Halbinseln ist Italien am stärksten, die Balkanhalbinsel am wenigsten (fast nur mit ihren nördlichen Gebieten) beteiligt. 3. Während die alteuropäische Hydronomie nördlich der Alpen dem ältesten uns überhaupt noch erreichbaren Sprachgut zugehört, ist sie in Südfrankreich und dep. Mittelmeerländern erst sekundär eingeführt und hat dort ältere Schichten überlagert. 4. Aus dem Raum dieser Hydronomie stammen von historisch bezeugten indogermanischen Einzelsprachen das Germanische, Keltische, Illyrische, die sogenannte italische Gruppe, d.h. das Latino-Faliskische und Oskisch-Umbrische mit dem Venetischen, ferner das Baltische, während das Slawische nur geringen Anteil daran hat. Diese Sprachen sind auch durch andere Merkmale des Wortschatzes und der Grammatik miteinander verbunden und gegen die übrigen indogermanischen Sprachen abgegrenzt. . 5. Die alteuropäische Hydronomie ist strukturell und semasiologisch von hoher Altertümlichkeit. Sie muß bereits in der ersten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends voll ausgebildet sein." H. Krahes Forschungen zur alt europäischen Hydronomie begegneten in Fachkreisen geteilter Aufnahme. Auch hat es an ablehnenden Stimmen nicht gefehlt. 17 Die Kritik blieb jedoch zu pauschal und ohne weiterführende Auseinandersetzung. Zweifellos werden viele dieser Flußnamen, gerade auch die verbreitetsten, von Krähe sehr überzeugend aus dem Indoeuropäischen erklärt. Dabei verdient allerdings eine Beobachtung unsere Aufmerksamkeit, die A. Scherer 1956 gemacht hat. Genaugenommen lassen sich nämlich zwei Schichten unterscheiden. Die eine sieht in jeder Beziehung indoeuropäisch aus, z. B. *moi-no-s Main, *rei-no-s Rhein, *daneu-io-s Donau, *neid-a Neide. Die andere, die das eigentliche System Krahes mit dem Wechsel zwischen bestimmten Suffixen (besonders -antia und -ara) bildet, enthält in der Wurzelsilbe fast immer den im Indoeuropäischen seltenen Laut a, zuweilen auch i und u. Flußnamen wie Alba, Ara, Avara, Adula, Adria und Aturia entsprechen in ihrem lautlichen Charakter ganz vorindogermanischen Reliktwörtern Südeuropas und haben dort auch direkte Entsprechungen. Zu beachten ist, daß das a im Indoeuropäischen doch sonst sehr selten vorkommt. A. Scherer erwägt deshalb die Möglichkeit, „daß diese Flußnamenschicht sich letzten Endes auf einer bereits vor dem Sieg des Indogermanischen vorhandenen 16 17

Vgl. dazu H. Krähe, Germanische Sprachwissenschaft, Bd. 1, 6. Aufl. 1966. R. A. Crossland 1957, S. i6ff.; A. Sommerfeit 1958, S. 442; E. Risch i960, S. 90; H. Kronasser 1962, S. 23 (Krahes Entgegnung 1964/65, S. 211); V. Georgiev 1967, S. 690ff.; W. Meid 1964.

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HERAUSBILDUNG DER GERMANISCHEN STÄMME

Hydronomie aufbaut. Daß vielfach Etyma im Indogermanischen zu finden sind, könnte auf einer starken Durchsetzung bereits des voreinzelsprachlichen idg. Wortschatzes mit Substratwörtern beruhen" (1956, S. 9). Erweisen sich diese Beobachtungen als richtig, dann muß man wohl annehmen, daß die Vorformen der späteren westindogermanischen Sprachen, d. h. also die eng miteinander verwandten Dialekte, die das Alteuropäische bildeten, aus einem östlicheren Gebiet nach Mitteleuropa gekommen sind. Hier hätten sie im 2. Jahrtausend längere Zeit nebeneinander bestanden, zu einer Zeit, als Indo-Iranisch, Hethitisch und Griechisch — mitunter räumlich schon weit entfernt — ihre Eigenart bereits voll ausprägen konnten. Diese Sprachen werden nach W. P. Schmid von H. Krähe zu Unrecht ausgeschlossen (1968), denn nach eigener Prüfung kommen die grammatischen Erscheinungen, die für die Flußnamen charakteristisch sind, auch in den genannten Einzelsprachen vor. Die von Krähe erschlossene Hydronomie ist keine west-indogermanische (west-indoeuropäische), kein Zwischenglied zwischen Indoeuropäisch und den Einzelsprachen, sondern es ist die gemeinindoeuropäische. An dieser Hydronomie haben früh ausgegliederte Sprachen nur deshalb keinen Anteil, weil sie in Gebiete gelangten, in denen die Flüsse bereits Namen trugen. Die Grenzen der alteuropäischen Hydronomie sind die Grenzen der indoeuropäischen Gemeinsprache (Dialektgruppe). Das Alter der Flußnamen wäre bei dieser Annahme um 1000 Jahre höher anzusetzen (3000—2500 v. u. Z.). Wenden wir uns nun der Ausgliederung des Germanischen aus der indoeuropäischen Gemeinschaft zu. Die germanischen Sprachen sind durch Isoglossen aus dem Kreis der übrigen indoeuropäischen Sprachen herausgehoben. Neben den Übereinstimmungen bestanden von Anfang an Verschiedenheiten. Ein einheitliches Urgermanisch hat es wohl nie gegeben, obwohl wir im nordgermanischen Bereich die Aufspaltung des anfangs nahezu einheitlichen Urnordisch in die späteren Einzelsprachen deutlich verfolgen können. Als Gemeinsamkeiten aller germanischen Sprachen seien genannt: 1. die erste oder germanische Lautverschiebung, 2. die Festlegung des ie.-freien Wortakzents auf die erste Silbe eines jeden Wortes, 3. die Entwicklung der ie. sonantischen r, 1, m, n, zu ur, ul, um, un, 4. der Zusammenfall von a und o in a sowie von ä und ö in 5, 5. die allgemeine Schwächung des Wortauslautes, 6. der systematische Ausbau der ererbten Ablauterscheinungen und ihre funktionale Nutzung, 7. die Ausbildung paralleler Adjektiv-Deklinationen (stark und schwach), 8. die Schaffung eines schwachen Präteritums beim Verbum. Von diesen Gemeinsamkeiten ist für unsere Fragestellung die Durchführung der germanischen Lautverschiebung die wichtigste, da sie gestattet, einige Schlüsse auf die Zeit der Herausbildung der germanischen Sprachen zu ziehen. Freilich sind nahezu alle Fragen, die mit der germanischen Lautverschiebung zusammenhängen, heiß umstritten. Vergegenwärtigen wir uns zunächst einmal die Fakten: 1. Die stimmlosen Verschlußlaute des Indoeuropäischen werden im Germanischen zu stimmlosen Reibelauten: lat.: porto — got. /ara lat.: ¿res — got. />reis lat.: centum — got. Aund

lat.: depo — got. hli/a lat.: verfo — got. weir^a lat.: fiecu — got. faiAu

2. Wo den stimmlosen Verschlußlauten des Indoeuropäischen im Germanischen stimmhafte Reibelaute oder deren Nachfolger entsprechen, sind die stimmlosen Reibelaute, die nach der germanischen Lautverschiebung entstanden waren, noch unter dem

S P R A C H W I S S E N S C H A F T L I C H E FORSCHUNGEN

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Einfluß des indoeuropäischen Wortakzents stimmhaft geworden: gr. wrep — ahd. uiar ai.: pMr — got. iadar (Vok.) gr.: sxupa — ags. sweger ahd. fater 3. Die stimmhaften aspirierten Verschlußlaute des Indoeuropäischen werden im Germanischen zu stimmhaften Reibelauten (und in vielen Positionen bald zu stimmhaften Verschlußlauten): gr. SUAR/f IHomol

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Knochenrest Tierknochen nachgewiesen Kultslange, angespitzt FeuereinwirkungCHolzkohle)

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Holzobjekt

A b b . 100. Sakralgehege mit Phalluspfahl und weiblichem Astgabelidol sowie Tier-, Menschenopfern und Fackelresten. Oberdorla, K r . Mühlhausen.

ihren eingesetzten Armen, geschnitzten Gesichtern, den Brüsten und der angedeuteten Haartracht eine künstlerische Betätigung am primitiven Astgabeltyp erkennen. Ähnliches konnte, wenn auch weniger ausgeprägt, am phallischen Astgabelidol mit Gesichtsdarstellung aus dem dänischen Broddenbjerg-Moor (Taf. 54a) beobachtet werden. Zu einer dritten Idolgruppe gehören Idole aus dem Wittemoor, Oldenburg, und wiederum aus Oberdorla. Hier handelt es sich um Holzidole, die aus einem dicken Brett herausgearbeitet wurden. Das weibliche Idol aus dem Wittemoor zeigt einen scheibenförmigen Kopf ohne Gesicht, stark stilisiert wiedergegebene Schultern oder Brüste und

GRUNDZÜGE DER MATERIELLEN UND GEISTIGEN KULTUR

383

einen Leib mit betont breiten Hüften und angedeuteter Vulva. Beim männlichen Idol ist der gesichtslose Kopf durch einen Hals von dem mit seitlichen Kerben versehenen rechteckigen Körper abgesetzt (Tai. 21). Die vierte Gruppe bzw. der vierte Idoltyp ist aus einem Kantholz hermenartig gestaltet, hat einen abgesetzten Kopf und eine Standleiste. Eine solche Figur wurde im spätlatenezeitlichen Horizont des Kultplatzes von Oberdorla gefunden. Funde und Fundumstände in Oberdorla, Kr. Mühlhausen, haben ergeben, daß zu den „Requisiten" des Kultes Stangen oder Pfähle mit und ohne Rinde sowie Hämmer und Keulen (Taf. 55) gehört haben. Sie wurden häufig in nächster Nähe der Idole und der Tierknochenopfer in den Sakralgehegen gefunden. Hier lassen sich drei Funktionen der „Opferpfähle" unterscheiden. Tierköpfe wurden aufgesteckt (Taf. 54b), andere Opfer angehängt oder vor ihnen niedergelegt.120 Neben Kultpfählen für die „Hängeopfer" gab es außerdem andere, bei denen eine unmittelbare Beziehung zu einer Gottheit vermutet werden darf. 121 Die archäologischen Befunde von Oberdorla stehen im Einklang mit der Überlieferung, wonach die Germanen an einen Zusammenhang bestimmter Säulen mit der göttlichen Weltordnung glaubten. Besonders sei auf die sächsische Irminsul verwiesen, die Karl der Große als das „fanum et lucum eorum famosum Irminsul" vernichtete (Chronicon Laurissense breve; s. J. de Vries 1957, S. 386). Nach der „Translatio Alexandri" des Rudolf von Fulda war diese Irminsul ein im Freien errichteter Baumstamm von beträchtlicher Höhe, eine „universalis columna, quasi sustinens omnis" (s. J. de Vries 1957, S. 386). In Einhards „Annales Fuldenses" wird sie als „Idolum" bezeichnet (ebenda, S. 386).122 Weniger erforscht sind bisher die Kultstätten, die das kriegerische Leben widerspiegeln und nach der jüngeren Überlieferung den Asengottheiten zugeordnet werden müßten. Einige See- bzw. Moorheiligtümer bezeugen aber die Verehrung eines Gottes, dem Kriegsbeute geweiht wurde. Die bekannteste älteste Weihestätte dieser Art befindet sich in einem Moor bei Hjortspring im nördlichen Alsen (Dänemark). Sie stammt aus dem Ende des 3. Jh v.u.Z. (G. Rosenberg 1937, S. 1 ff.). Schutzmächte wirkten auch an Wegen und Furten. Längs eines durch das Wittemoor (Gemeinde Berne, Ldkr. Wesermarsch) führenden, aus dem 3. Jh. v. u. Z. stammenden Bohlenweges, der eine Siedlung mit einem Zufluß der schiffbaren Hunte verband, standen mehrere Idole und Kultobjekte, mit denen man wahrscheinlich die Götter um Schutz für glückliche Überfahrt bat. Anfang und Ende der Überfahrt waren durch Feuerbrände gekennzeichnet. Nach der Überquerung wurde ein flaches Holztor durchfahren, hinter dem links neben dem Bohlenweg ein weibliches und rechts vom Weg ein männliches Idol aufgestellt waren. Nördlich vor dem weiblichen Idol ragten zwei Kultstangen auf, in

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Die Finno-Ugrier und die Jugra-Völker errichteten auf ihren heiligen Plätzen Pfähle zum Anhängen der Opfer. Diese ersetzten in baumarmen Gebieten die Opferbäume, waren also keine Idole. Bei den Germanen dürfte das ähnlich gewesen sein. Solche Beziehungen lassen sich besonders gut bei den Wogulen nachweisen. In einem ihrer Heiligtümer standen mehrere einfache Stangen, die dem Himmelsgott, der Muttergöttin und dem „Weltaufseher" geweiht waren (K. F. Karjalainen 1922, S. 52). Irmin wird dem alten Himmelsgott Tiwaz gleichgesetzt, und die von den Sachsen verehrte Säule war wahrscheinlich sein Symbol.

3§4

MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1 . / 2 . J H .

Abb. 1 0 1 . Kultplatz am Bohlenweg aus dem Wittemoor bei Berne, Kr. Wesermarsch (BRD) (Rekonstruktion nach H. Hayen 1971, Abb. 16).

Abb. 102. Bohlenweg mit vier Kultpfählen aus dem Wittemoor bei Berne, Kr. Wesermarsch (BRD) (Rekonstruktion nach H. Hayen 1971, Abb. 15).

K a r t e 3. Germanische Besiedlung des 1. und 2. J h . zwischen Rhein und Oder

STAMMES- UND SIEDLUNGSGEBIETE

385

seinem Umkreis lagen zahlreiche zumeist zerbrochene Erlenstäbe mit bearbeiteten Enden (Abb. 101, 102). 123 In einiger Entfernung standen weitere Idole und ein beilartiges Gebilde aus Holz mit einer Einritzung „zur Kennzeichnung schadhafter Wegstrecken" (H. Hayen 1971). Aus dieser Gruppierung der Idole gewinnt man den Eindruck, als seien längs eines Wegesystems zum sakralen Schutz lebenswichtiger Transporte die Symbole einiger verehrter Mächte des Pantheons aufgestellt worden.124 Sind bisher die größeren Opferplätze behandelt worden, so soll abschließend auf Opferungen im Haus oder im Gehöft eingegangen werden. Die vorliegenden Forschungsergebnisse deuten auf Tür-, Herd-, Wohnraum- und Stallopfer, mit denen zum Teil magische Handlungen einhergingen. Weiterhin gab es Opfer von Haustieren, vor allem von zerstückelten Hunden, außerdem „Pfostengrubenopfer" (Wand-, First- und Beifirstträger sowie Speicherstelzengruben) und am Herd oder im Wohn- und Stallteil des Hauses vergrabene Gefäße mit Speiseopfern. Aus der Vielzahl der Funde sei auf ein spätlatenezeitliches Herdopfer von Kablow, Kr. Königs Wusterhausen, verwiesen. Unter dem gepflasterten und mit Lehm verstrichenen Herd lagen in halbkreisförmiger Anordnung die noch im anatomischen Verband befindlichen Fußknochen von zwei Rindern. Dieses sogenannte Unterherdopfer wurde mit der Verehrung der Nerthus, deren Kultwagen mit zwei Rindern bespannt war, in Verbindung gebracht (O.-F. Gandert 1939; 1958). Es ging hier um ein Siedlungsopfer, das man im wahrscheinlich neuerbauten Haus im Kreise der zukünftigen Bewohner darbrachte. 125

2.

Stammes- und Siedlungsgebiete

Die Stabilisierung der Grenzverhältnisse an Rhein und Donau und der einsetzende Prozeß der Romanisierung der Bevölkerung in den unterworfenen Gebieten setzten dem freien Germanien nach Süden und Westen feste Grenzen (Limesbau). Für die Bevölkerung des elbgermanischen Gebietes läßt sich eine stammesgeschichtliche Gliederung in drei Abschnitte erkennen.126 Eine erste Phase umfaßte die ersten Jahrzehnte u. Z. und wurde "durch stärkere Bewegungen germanischer Stämme und Stammessplitter geprägt, was eine Erweiterung 123

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25

Solche Stäbe kamen auch auf dem Kultplatz von Oberdorla zum Vorschein und wurden hier sehr wahrscheinlich u. a. beim Tieropfer und Losorakel verwendet. Tieropfer ließen sich jedoch im Bereich der beiden Idole aus dem Wittemoor nicht nachweisen. Da Reste sakraler Mahlzeiten und Tierknochenopfer im Wittemoor nicht nachweisbar waren, bezieht sich der sakrale Charakter der mit einem Weg und einer Furt verbundenen Idol-Konzentrationen offenbar allein auf die spezialisierte Tätigkeit einer Siedlungsgemeinschaft, wobei eine „Grenzsituation" mitsprechen könnte. Aus technischen Gründen konnte nur ein Teil der Literatur zur germanischen Vorstellungswelt angegeben werden. Weitere Literatur, zum Teil auch herangezogen, siehe bei J . de Vries 1956, S. X I I — X L I X . Die Auswertung der Nachrichten antiker Berichterstatter erfolgte mit Hilfe von W. Capelle 1937. In seinen Aufsätzen „Zur Urgeschichte der Deutschen" verwies bereits F . Engels (1962, S. 425ff.) auf die Unterschiede in der gesellschaftlichen Entwicklung der Germanen zur Zeit Cäsars und Tacitus'. Als eine dritte wichtige Phase sah er das 3. und 4. Jh. an, wobei er sich auf die Moorfunde von Thorsberg und Nydam stützte. Germanen — Bd. l

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MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1 . / 2 . J H .

des Siedlungsgebietes (teilweise als Landesausbau) zur Folge hatte. Damals scheiterten die Bemühungen des römischen Imperiums, die Elbe als östliche Grenze zu gewinnen. Aber die germanische Kultur erhielt durch Kontakte zu den Donaugebieten wesentliche Anregungen zu ihrer Weiterentwicklung. Eine zweite Phase, die in der Mitte des 1. Jh. einsetzte und bis in das späte 2. Jh. dauerte, wird durch eine Konsolidierung der gesellschaftlichen Verhältnisse gekennzeichnet. In einer dritten Phase, die von der zweiten Hälfte des 2. Jh. bis in das beginnende 3. Jh. reichte, entstanden wesentliche Grundlagen für eine Stammesverbandsbildung. Erneut folgten stärkere ethnische Bewegungen, die den Anlaß zu den sogenannten Markomannenkriegen (166—180) und den einsetzenden Durchbrüchen am Limes boten. Zwischen den Stammesgebieten der Germanen lagen mehr oder weniger große Ödländereien, die Cäsar und Tacitus als Grenzmarken beschreiben. Die Stammesgebiete wiederum gliederten sich in kleinere Siedlungskammern (pagi). In der bisherigen Forschung wurde die Bevölkerung im Darstellungsgebiet in RheinWeser-, Elb-, Nordsee- und Oder-Warthe-Germanen (zu letzteren gehörten nicht alle Ostseeküstenstämme) unterteilt. 127 Die Rhein-Weser-Germanen entsprechen dem von Plinius und Tacitus genannten Kultverband der Istväonen und bildeten die Grundlage des Stammesverbandes der Franken. Die Nordseegermanen, auch wohl unter Einschluß von Stammesteilen der Friesen, gehörten zum Kultverband der Ingväonen. Aus ihnen gingen zum Teil die Sachsen und die Friesen hervor. Die Großstämme der Thüringer, Bajuwaren und Alamannen entwickelten sich aus elbgermanischen Stämmen. a) Die nördlichen Elbgermanen und die angrenzenden Stämme bis zur Oder Das Stammesgebiet der Langobarden bildete den nordwestlichen Ausläufer des elbgermanischen Siedlungsbereiches und erstreckte sich nach der antiken Berichterstattung zu Beginn u. Z. beiderseits des unteren Elb laufes. Der linkselbische Teil des Stammesgebietes umfaßte die nördliche Lüneburger Heide. Siedlungsleere Zonen trennten das Stammesgebiet von dem der Chauken im Norden und der Angrivarier im Westen. Unklarheiten bestehen über die südöstliche Begrenzung des linkselbischen Siedlungsgebietes. Gesichert ist dagegen die Zugehörigkeit der Altmoränenlandschaft zwischen Luhe und Ilmenau, die in karolingischer Zeit Bardengau (Bardungawi) hieß, und in der sich bis auf den heutigen Tag der Ortsname Bardowiek erhielt. Eine Siedlungskammer an der Jeetze(-l) und im westlichen Teil der Altmark ist vom Bardengau durch einen siedlungsfreien Streifen von 20—25 km Breite abgetrennt, der aus Höhenzügen und Heide (z. B. der Göhrde) besteht und der sich auffallenderweise nach Norden über die Elbe fortsetzt und als alte Begrenzung bereits seit Jahrhunderten auftritt (Abb. 103). Daher erscheint die Zugehörigkeit dieses Territoriums zum Langobardengebiet proble-

127

Nach einer neuen, stark hypothetischen Auffassung wurde das Rhein-Weser-Gebiet erst in den Jahrzehnten um den Beginn u. Z. „germanisiert" (s. S. 205ff.). O b der den Elbgermanen entsprechende Kultverband mit den bei Plinius erwähnten Erminonen identisch ist, entbehrt der Wahrscheinlichkeit (s. S. 400). Zu ihm gehörten (zeitweise) nämlich auch einige rhein-weser-germanische Stämme, wie die Chatten und Cherusker.

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STAMMES- UND SIEDLUNGSGEBIETE

matisch, zumal auch Besiedlungsgeschichte und Kultur beträchtliche Abweichungen aufweisen. Das linkselbische Stammesgebiet bildete das Zentrum der Besiedlung. Daneben erstreckten sich die Wohnsitze der Langobarden offenbar auch auf rechtselbische Gebiete, die ihnen in den Jahren 4— 5 u. Z. vor dem römischen Heer unter Tiberius als Zuflucht dienten. Tiberius unterwarf die Langobarden nach den Chauken. „Gebrochen wurde die Kraft der Langobarden, eines Stammes, der noch wilder ist als die germanische Wildheit" (Vellerns Paterculus, Hist. Rom. 2, 106). Zunächst gehörten die Langobarden dem von den Markomannen unter Marbod geführten Bündnis elbgermanischer Stämme an.

A b b . 103. Siedlungsplätze des 2. bis 4. Jh. im Gebiet der A l t m a r k .

Offenbar bewirkte Marbods Streben zur Königsherrschaft ihren Abfall (Tacitus, Ann. 2, 44f.). Ein Freundschaftsverhältnis zu bestimmten cheruskischen Adelssippen könnte der Grund gewesen sein, daß sie in der Mitte des 1. Jh. deren römerfreundlichen vertriebenen Stammesführer Italicus wieder einsetzten (Tacitus, Ann. 11, 17). Die Stärke der Langobarden im unteren Elbgebiet ist auch für die folgenden Jahrzehnte bezeugt (Tacitus, Germ. 40). Jedoch findet ihre geringe Bevölkerungszahl wiederholt Erwähnung. Dann erscheinen die Langobarden erst wieder in einer Nachricht aus dem Jahre 167 (Dio Cassius 71, 3, la), als 6000 Stammesangehörige zusammen mit Obiern die Donau überschritten und in Oberpannonien einfielen (s. S. 304 u. 552). Nach ihrer Niederlage durch die Römer schickten sie Gesandte, um Frieden zu schließen, und kehrten offenbar in ihre Heimat zurück. Bis zur Mitte des 2. Jh. ist das linkselbische Gebiet intensiv besiedelt. Es folgte eine Phase schwächerer Besiedlung, die bis in das 4. Jh. reichte. Offenbar wanderte in der zweiten Hälfte des 2. Jh. ein Teilstamm in Richtung Altmark und weiter ins Dönaugebiet ab. Eine wichtige Quelle zur langobardischen Geschichte liegt in der eigenen Überlieferang, die Ende des 8. Jh. der langobardische Adlige und Geistliche Paulus Diaconus in seiner „Historia Langobardorum" zusammengefaßt hat. Er benutzte eine im wesentlichen auf mündlichen Quellen beruhende „Origo gentis Langobardorum" aus der Mitte des 7. Jh. sowie die verschollene „Succincta de Langobardorum gentis historia" des Abtes Secundus Tridentinus (f 612). Unabhängig von Paulus Diaconus entstand zu Anfang des 25*

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M A T E R I E L L E UND GEISTIGE KULTUR, S T A M M E S G E B I E T E IM l . / Z . J H .

9. Jh. eine weitere Langobardengeschichte, die in der Bibliothek zu Gotha als „Codex Gothanus" in einer Handschrift des 1 1 . Jh. erhalten blieb. Die Quellen über die Herkunft der Langobarden und über ihre Wanderwege vom Elbgebiet bis in das südliche Mitteleuropa tragen stark sagenhafte Züge, 128 besonders was die angebliche Urheimat Skandinavien (als Scadanan, Scadinavia, Scathanavia, Scatenauge bezeichnet) angeht. Nach ihrer Stammessage trugen die Langobarden hier den Namen Winniler. Wegen einer Überbevölkerung mußte jeder dritte durch Losentscheid die Heimat unter Führung der Brüder Ibor und Agio verlassen. Zunächst zogen diese Auswanderer in ein Land Skoringa („Uferland, Küste?") und errangen einen Sieg über die Wandalen, die von ihnen Tribute forderten. Danach nahmen sie auf Wodans Geheiß den Namen Langobarden an. Bei ihrem Weiterzug nach dem Lande Mauringa besiegten sie in einem rituellen Zweikampf die Assipeter und durchquerten deren Gebiet. Längere Zeit hielten sie sich anschließend in dem Landstrich Golaida auf und unterwarfen danach die Gebiete Anthaib, Banthaib (Bainaib) und Burgundaib. Dann verstarben ihre Anfährer (duces) Ibor und Agio (Paulus Diaconus 1, 13L). Die bisherigen Deutungen und Lokalisierungen dieser einzelnen Wanderstationen sowie ihre zeitliche Einordnung sind problematisch und widersprüchlich. Als gesichert darf erst das Jahr 489 gelten, als von den Langobarden das nördliche Niederösterreich (Rugiland) aufgesiedelt wird. „Skoringa" vermutet man im Ostseeküstengebiet; „Golaida (Golanda)" bildet eine Zusammensetzung mit „haida" (Heide) und wird sehr oft mit der Lüneburger Heide identifiziert, die aber erst im Mittelalter durch Verlust ihres Waldbestandes Heidecharakter bekam (F. Kuchenbuch 1938; W. Wegewitz 1940). Ob die übrigen Gebiete Stammessitze der Anten (?), Burgunden und Bainen darstellen, beruht allein auf Vermutungen. 129 Aus archäologischer Sicht läßt sich eine seit dem Beginn der Jastorfkultur (6. Jh. v. u. Z.) gleichmäßig entstehende elbgermanische Kultur im unteren Elbgebiet nur schwer mit der Sage einer skandinavischen Urheimat vereinbaren. 130 Vielleicht ist in dem Namenwechsel nur die mythische Verkleidung eines Stammesverschmelzungsprozesses zu sehen, bei dem der Stamm der Langobarden (germ. Langbärte) die Winniler (germ. *winnan „streiten, gewinnen") aufnahm. Denn nach der Stammessage sollen die Winniler Wodan bei dem Kampf mit den Wandalen um Hilfe angefleht haben. Dieser wiederum habe denen Hilfe zugesagt, die er zuerst bei Sonnenaufgang erblicke. Freya erteilte den Rat, die Frauen der Winniler sollten ihr Haar wie einen Bart ins Gesicht hängenlassen. 128

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Die angeblich skandinavische Urheimat vieler germanischer Stämme scheint einem frühmittelalterlichen Topos zu entsprechen und wurde aus der gotischen Stammessage des Jordanes entlehnt (R. Hachmann 1970, mit weiterer Lit.). Vgl. dazu auch E. Klebel 1939, S. 41 ff.; J. Werner 1962; H. Bollnow 1968, S. I4ff. Die Lokalisierung der Burgunden und Anten (= Slawen) im östlichen Germanien führt zur Konstruktion komplizierter Wanderwege. Diese werden sich aber an die Elbe angelehnt haben (B, Svoboda 1964, S. 55 ff.; 1966, S. 263 ff.). So deuten auch einige Forscher „Anthaib" als „Grenz-" oder „Ufergau" und „Bainaib" als „Baiuaib" und setzen letztere Landschaft mit Böhmen gleich (L. Schmidt 1938, S. 565ff.). Die Einwanderungsthese vertritt z. B. W. Wegewitz; eine zweite aus Holstein kommende Bevölkerungswelle sei im 1. Jh. v . u . Z . anzunehmen (W. Wegewitz 1964 b, S. 19 ff.; ders., 1973). Die Sprachwissenschaft bezweifelt eine derart schnelle Assimilierung eines Stammes (F. Maurer 1952, S. lisff.).

STAMMES- UND SIEDLUNGSGEBIETE

389

Sie sah Wodan zuerst, nannte sie Langbärte und schenkte ihnen den Sieg. Daraus hat man auch auf die Annahme des Wodanglaubens nach einem Wanenkult (s. S. 372) geschlossen (K. Hauck 1955, S. 206ff.). Im linkselbischen Gebiet dienten die Hänge zur Elbniederung als bevorzugte Siedlungsplätze. Dagegen scheint die Hochfläche der Lüneburger Heide nur entlang der Flußläufe besiedelt gewesen zu sein. Östlich der Elbe schließt sich ein unterschiedlich aufgesiedeltes Gebiet an. Die Besiedlung reichte hier bis an den Schweriner See heran, sie erfaßte auch das obere Warnowtal und die Wismarsche Bucht. Deutliche natürliche Grenzen bildeten die Lewitzniederung und das Flüßchen Sude im Süden. Vermutlich waren die Alster im Westen und die Trave im Norden Grenzen. Nur ein Teil des genannten Landes dürfte jedoch von den Langobarden in Besitz genommen worden sein. Engere kulturelle Beziehungen bestanden zwischen dem linkselbischen Gebiet und dem südwestlichen Mecklenburg, das nach dem Fundmaterial eines Gräberfeldes kulturell als „Gruppe von Körchow" bezeichnet wird. 131 Traditionelle Formen bewahrten sich im Totenkult der Bevölkerung des unteren Elbgebietes. Seit dem 1. Jh. v. u. Z. kam es zu einer Trennung zwischen Gräberfeldern, die Bestattungen mit Waffenbeigaben aufweisen (sog. Typ Rieste) und anderen, wo diese fehlen (Typ Darzau). Hierzu steht eine sichere Deutung noch aus. Zur materiellen Kultur sei bemerkt, daß wir bei den Tongefäßen jetzt breite Terrinen, pokalartige Gefäße, einfache Näpfe und hohe „Freiknubbentöpfe" (Taf. 30—32) finden. Die Ornamentik setzte sich aus bereits bekannten Motiven zusammen, wobei sich die Schachbrettverzierung einer besonderen Beliebtheit erfreute (Abb. 73). In den metallenen Schmuckformen und dem Trachtzubehör macht sich markomannischer oder norisch-pannonischer Einfluß weniger geltend als bei den übrigen elbgermanischen Stämmen. Daher hält man sich bei den Fibeln noch stark an herkömmliche Stilelemente. Durch Verbreitern des unteren Bügelteiles und durch den Einschub einer längeren Spiralkonstruktion entstanden charakteristische bronzene Armbrustfibeln, die außerhalb des Stammesgebietes seltener vorkommen (Abb. 97 a). Bereits in der zweiten Hälfte des 1. Jh. traten an ihre Stelle knieförmige Fibeln mit rundstabigem oder bandförmigem Bügel (Abb. 96c—d). Die Frauen scheinen drei Fibeln in der Tracht, die Männer nur eine Fibel zum Festhalten des Mantels getragen zu haben. Die historisch überlieferte Kampfesfreude und Kriegstüchtigkeit der Langobarden findet seit dem 1. Jh. v. u. Z. ihren deutlichen Ausdruck im Grabwesen. Lanze und Speer bildeten die Hauptwaffen; das Schwert blieb in der Regel.den Reiterkriegern vorbehalten, die wohl sozial bereits bevorrechtet waren. Ähnlich war die Kultur der germanischen Bevölkerung im südwestlichen Mecklenburg. Besonders die Ausstattung der Gräber mit Waffen deutet auf gleiche rituelle Vorstellungen und grenzt dieses Gebiet von den anderen rechtselbischen Siedlungsräumen deutlich ab. Allerdings weisen die Bestattungsplätze kein so hohes Alter auf. An ihre Stelle traten entsprechende, räumlich getrennte Gruppierungen von Gräbern mit und ohne Waffen auf gemeinsamen Bestattungsplätzen. Die durch antike Berichte für die Jahre 4 und 5 überlieferte zeitweilige (?) Zuwande131

Einige Forscher beziehen auch das nordwestliche und andere sogar das mittlere Mecklenburg in das langobardische Stammesgebiet ein (A. Genrich 1970, S. 66ff.). Das gilt auch für den Südteil des Kreises Lauenburg (H. Jankuhn 1966, S. 308).

39»

M A T E R I E L L E UND GEISTIGE K U L T U R , STAMMESGEBIETE IM 1 . / 2 . J H .

rung langobardischer Stammesscharen in diesen Raum läßt sich archäologisch nicht belegen. Im Gegenteil, seit dem 1. Jh. v. u. Z. ist sogar ein Bevölkerungsrückgang zu erkennen (H. Keiling 1962, bes. S. 106 ff.). Die intensive Besiedlung setzte sich im 3. und 4. Jh. offenbar unvermindert fort (H. Schach-Dörges 1970, bes. S. 145 ff.). Als Nachbarstämme der Langobarden nennt Tacitus (Germ. 40) sieben kleinere Stämme, darunter auch die Reudigner. Vermutlich ging er in der Aufzählung von Süden nach Norden vor. Demnach wären die Reudigner die nördlichen Nachbarn der Langobarden im südlichen Holstein. Ihren Stammesnamen germ. *Reudingöz („Roder") könnte man mit dem der späteren sächsischen Holtsati („Waldsassen, Holsten") vergleichen. Auch wird eine Verbindung mit germ. *reudü („rot") für möglich gehalten, die etwa eine kultische Rotfärbung der Haare oder des Schildes ausdrücken soll.'Da dieser Stamm in dem Stammesverband der Sachsen aufging, bildete er sogar eine seiner Wurzeln (A. Genrich 1970, S. 66ff.). Die Sachsen wurden erst im 2. Jh. von Ptolemaios erwähnt und auf dem „Nacken des kimbrischen Chersonnes" lokalisiert. Möglicherweise zog aber gerade Ptolemaios ältere Quellen heran (etwa die römische Flottenfahrt des Jahres 5). Es taucht der Gedanke auf, daß Tacitus bewußt eine Kultgemeinschaft (Nerthus-Kult) darstellen wollte, der die Sachsen nicht anhingen (O. Bremer 1904, S. 1 1 5 f . ; E. Schwarz 1956, bes. S. 117ff.). Vor allem die Zugehörigkeit zum Nerthus-Kult gab Anlaß, die Bevölkerung des nordelbischen Gebietes den Nordseegermanen ( = Ingväonen) zuzuordnen. Da aber starke und traditionelle Bindungen zum Elbgermanischen bestehen, dürfte das südöstliche Holstein eher den Charakter einer Kontaktzone gehabt haben. Zwar lassen sich kulturelle Besonderheiten bis in das 2-/3. Jh. v. u. Z. zurückverfolgen, doch bestanden zugleich engere Beziehungen zur langobardischen Kultur. Auch im 2. Jh. sind sie zu erkennen.132 Die germanische Bevölkerung des anschließenden Nordostholsteins und Wagriens besaß zwar eine ähnliche Kultur, ohne daß jedoch eine sichere Zuordnung möglich ist. Die bereits im 1. Jh. v. u. Z. beginnende Aufsiedlung und Rodung der durch Auen und Geschiebesandinseln reich gegliederten und nährstoffreicheren Böden der Jungmoräne Ostholsteins wurden in den folgenden Zeiträumen fortgesetzt. 133 Das war Anlaß, die Sandböden der Geest (westliches Mittelholstein) und auf der südostholsteinischen Altmoräne weitgehend aufzugeben. Diese Landstriche nutzte die Bevölkerung wegen des Raseneisenerzes nur noch zur Eisengewinnung (z. B. Neumünsteraner Sander). Möglicherweise drückt sich im Fehlen markomannischen bzw. norisch-pannonischen Tracht- und Schmuckzubehörs sowie im Auftreten von Opferungen in kleinen Kesselmooren ein stärkerer Anschluß an nördliche Stämme (Jütland, dänische Inseln) aus, obwohl die Kultur dieser Bevölkerung beträchtlich von der in den nördlich und westlich anschließenden Stammesgebieten abwich. Verbindungen zu den Langobarden sind 132 p

Tischler 1 9 5 6 , S. 2 i f f . ; A. G e n r i c h 1 9 5 4 ; G. Mildenberger 1 9 7 7 . — Dieses K u l t u r g e b i e t

ist n a c h d e m Gräberfeld v o n F u h l s b ü t t e l bei H a m b u r g als „ F u h l s b ü t t e l - G r u p p e "

be-

z e i c h n e t w o r d e n . E s e r s t r e c k t e s i c h n a c h W e s t e n bis z u r P i n n a u u n d n a c h O s t e n bis z u m E l b e - T r a v e - K a n a l . I m N o r d e n bildeten die mittlere T r a v e und im S ü d e n die sumpfige Elbniederung einen deutlichen Abschluß. 133

D i e s e u n d d i e f o l g e n d e n A n g a b e n s t ü t z e n s i c h a u f H . H i n g s t 1 9 5 1 , S. 7 5 f f . ; 1 9 5 5 , S . 8 f f . ; H . J a n k u h n 1 9 5 5 , S. 7 3 f f . ; 1 9 6 3 , S . 1 9 f f . ; 1 9 6 6 , S. 2 7 2 f f . ; R . S c h i n d l e r i 9 6 0 .

STAMMES- UND SIEDLUNGSGEBIETE

391

erkennbar an gleichartigen Gegenständen des täglichen Lebens und Übereinstimmungen im Schmuck- und Trachtenzubehör. Ähnlich wie bei diesen geborten zur Frauentracht drei und zur Männertracht eine Fibel. Auch die Sitte einer möglichen Trennung in „Frauen"und „Männerfriedhöfe" bedeutet einen ähnlichen Totenritus (N. Bantelmann 1971). Auffallend ist die allgemeine ärmliche Totenausstattung, besonders im nordostholsteinischen Gebiet. Im 3. Jh. verstärkten sich die Siedlungsumlagerungen in das östliche Holstein, denn im bisher sehr dicht bevölkerten Alster-Bille-Gebiet Hamburgs ist nun eine Besiedlungsabnahme zu erkennen.134 Wahrscheinlich beteiligten sich aber auch Stammesangehörige ap den Wanderungen jener Germanen, die 166 oder 167 unter Führung der Langobarden in Oberpannonien einfielen. Die Keramik wird durch einen bereits im 1. Jh. v. u. Z. ausgebildeten sogenannten holsteinischen Zweihenkeltopf (Abb. 104) repräsentiert, bei dem breite Kanneluren oder

A b b . 104. Holsteinischer Zweihenkeltopf. 1 : 4 (umgezeichnet nach F . Tischler 1954, Taf. 1,1).

Winkelbänder das Gefäßoberteil überziehen. Man liebte es, die Henkel besonders plastisch zu gestalten. Diese Form diente neben dem Dreiknubbentopf im Grabritus als Urne bei waffenlosen Bestattungen. Sie fehlte während des 1. und 2. Jh. in der elbgermanischen Kultur. Dagegen war die Rädchenverzierung in Holstein nicht üblich (Abb. 105). Weitmündige Terrinengefäße, oft mit einem Henkel oder einer Henkelknubbe versehen, verzierte man mit Kanneluren, Sparren, Flechtbändern, Dreiecken und Halbbögen. Die sorgfältige Ornamentierung wurde durch eine plastische Henkelgestaltung bereichert. Die Bewaffnung entsprach der im Elbgermanischen. Gegenüber dem Elbgebiet fällt auf, daß die Sitte, den Krieger mit Waffen beizusetzen, verspätet einsetzt. Sie kam erst in der zweiten Hälfte des 2. Jh. auf und dürfte mit den Markomannenkriegen (166—180) zusammenhängen (N. Bantelmann 1971). Für die germanischen Siedlungsgebiete zwischen der Elbe und dem unteren Oderraum sind die antiken Angaben zu Stammesterritorien nur dürftig und widersprüchlich. 134

A. Genrich. 1954; 1963. S. 128 ff.; 1970, S. 66 ff.

392

MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1./2. JH.

So bieten nur die Siedlungsgebiete mit umgrenzenden Ödlandstreifen Hinweise auf mutmaßliche Stammesräume (vgl. Karte 2 und 3). Das gilt bereits für die Bevölkerung im nordwestmecklenburgischen Hügelland. Neben kulturellen Kontakten zu den Langobarden im südlichen Mecklenburg bestanden Bindungen zur Bevölkerung Ostholsteins. Entgegen der bisherigen Annahme, in der Bevölkerung einen Teilstamm der Reudigner zu sehen, wurde neuerdings die Auffassung laut, das Gebiet dem Stamm der Farodiner zuzuweisen und diese mit den von Tacitus (Germ. 40) erwähnten Suardonen (Suarinen) gleichzustellen.136

Abb. 105. Rädchenverzierte Keramik und Zweihenkeltöpfe im unteren Elbegebiet. 1 Anhäufung, 2 geringes Vorkommen rädchenverzierter Keramik, 3 Zweihenkeltöpfe.

Das Siedlungsgeschehen entsprach dem im benachbarten Holstein. Es erfolgte seit dem Beginn u. Z. eine stärkere Aufsiedlung des dicht bestockten Waldgebietes der Jungmoräne. Kulturelle Verbindungen mit dem Elbgebiet erkennt man im Gebrauch rollrädchenverzierter Gefäße. Dagegen treten die „holsteinischen Zweihenkeltöpfe" selten zutage. Es scheint eine räumliche Trennung zwischen Frauen- und Männergräbern auf gemeinsamen Friedhöfen gegeben zu haben. Auffallend ist die geringe Beigabe an Waffen, was aber mit den Gepflogenheiten im östlichen Holstein wie auch im gesamten südlichen Ostseeküstengebiet übereinstimmt. Beziehungen zum dänischen Inselbereich pflegte die Bevölkerung an der Wismarschen Bucht. 135 ptolemaios nannte im 2. Jh. die Farodiner und lokalisierte sie östlich der Sachsen zwischen den Flüssen Chalusos und Suebos (s. S. 393). Allerdings ist die Lage des Chalusos umstritten. Oft sah man darin Schlei, Trave oder Warnow.

STAMMES- UND SIEDLUNGSGEBIETE

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Die Bevölkerung südlich des unteren Elbraumes (Altmark) hatte seit vielen Jahrhunderten stärkere Bindungen zu den Semnonen im Havelland. Daraus schloß man auf eine Besiedlung durch diese bis in das l . Jh. (s. aber Anm. 164) bzw. durch einen verwandten Stamm. Andere Forscher vermuteten Hermunduren als Träger der Kultur. Ptolemaios nannte weitere Stämme, deren Siedlungsgebiete hier etwa liegen könnten, wie die südlich der Langobarden ansässigen Dulgubnier oder den zwischen den Semnonen und Cheruskern siedelnden Stamm der Kalukonen (L. Schmidt 1938, S. 127). Nach einer geringen Besiedlung während des 1. Jh. kam es in der zweiten Hälfte des 2. Jh. zu einer beträchtlichen Landnahme durch einwandernde Bevölkerungsgruppen. Möglicherweise erweiterten die angrenzenden Langobarden ihre Stammesgebiete nach Süden (Jeetzegebiet). Vielleicht beteiligten sich aber auch Stammesteile aus dem mittleren und östlichen Mecklenburg (Warnen?) oder aus dem havelländischen Semnonengebiet an diesen Vorgängen.

Abb. 106. Silberfibel mit flechtmusterverzierter Goldblechauflage. 1:1 (nach W . Wegewitz 1944, A b b . 49).

Die zwei bedeutenden Siedlungsräume in der Altmark schlössen sich mehr oder weniger eng an die Flußgebiete der Jeetze im westlichen Teil und der Aland im östlichen Teil der Altmark an (Abb. 103). Aus der ersten Siedlungskammer sind auch zwei „Fürstengräber" an der Mündung der Jeetze in die Elbe (Marwedel, Kr. Lüchow-Dannenberg) bekannt. In dem ausschließlich auf Totenverbrennung und Beisetzung in Urnen orientierten Grabritus verwandte man die üblichen rädchenverzierten Gefäße, darunter recht oft pokalförmige Typen und Standfußgefäße. Zum Trachtzubehör gehören lokale Varianten der „Trompetenfibeln" mit einem breiten Fuß (Abb. 106), oft in Silber gearbeitet. Weiterhin war die knieförmig gebogene eiserne Fibel in Gebrauch (Abb. 96c). Mitunter findet man an ihrer Schauseite eine Einlage bzw. Preßbleche aus Edelmetall und eine eingeschobene Sprossenachse. Im 3' Jh. hatte die Bevölkerung eine sich stark gegen die Nachbargebiete abgrenzende Kultur mit dem Zentrum im mittleren Jeetzegebiet um Salzwedel (F. Kuchenbuch 1938; G. Körner 1939). Die im Elb-Havel-Gebiet siedelnden Semnonen nahmen nach den antiken Berichten ein größeres Siedlungsgebiet ein. Ähnlich wie bei den Langobarden oder Hermunduren lassen sich die antiken Angaben auch hier mit dem archäologisch erschlossenen Siedlungsbild in Übereinstimmung bringen. So gilt im Westen die Elbe und im Süden das Stammesgebiet der Hermunduren (Fläming und Magdeburg-Burger Elbaue) alsGrenze. 136 136

Die Semnonen wurden im Jahre 16 nicht unter den besiegten linkselbisch siedelnden Stämmen erwähnt (Tacitus, Ann. 2, 22 und 41). Die Elbe als Grenze folgert man auch

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Die östlichen Nachbarn waren die Burgunden, wobei der Suebos (Havel oder Spree?) zwischen beiden floß. Die wichtigste antike Überlieferung zur Geschichte und Bedeutung der Semnonen findet sich bei Tacitus im Kapitel 39 seiner „Germania". Nachdem er sie „die ältesten und edelsten der Sueben" nennt, erwähnt er ihren Kult (s. S. 371) und schließt: „Dem allen verschafft noch mehr Ansehen die Macht der Semnonen: in hundert Gauen wohnen sie, und schon die Größe ihres Volkskörpers bewirkt, daß sie sich für das Haupt der Sueben halten." Diesen 100 Gauen (pagi) dürfte nur eine formelhaft übertriebene Bedeutung zukommen, zumal das gleiche für alle Sueben behauptet wird (s. S. 43). Danach werden die Semnonen nur noch einmal im Jahre 178 (179) genannt. Im Siedlungswesen deutet sich eine auf Haus- und Hofplatzkontinuität orientierte Bauweise an (z. B. in den bekannten Siedlungen Nauen-Bärhorst und Kablow, Kr. Königs Wusterhausen). So wurden die mehrschiffigen Wohnstallhäuser innerhalb der Siedlungen zu einem Wohnbezirk zusammengefaßt, der abseits von den Werkstattplätzen lag. Als Besonderheit fallen die zahlreichen Brunnen unterschiedlicher Konstruktion auf, die zugleich ihren Zweck als Opferplätze erfüllten (s. S. 379). Eine entsprechende Kontinuität fehlt bei den Bestattungsplätzen, die entweder aus dem 1. Jh. oder nur aus dem 2. Jh. stammen. Auf diesen größeren Friedhöfen galt überwiegend das Brandbestattungsritual. Offensichtlich übernahm man vereinzelt östliche Grabzeremonien. Eine Trennung zwischen Gräberfeldern vom Typ Rieste oder Darzau (s. S. 388) gab es nicht, wohl aber behielt man die Sitte bei, Verstorbenen Waffen in weitmündigen Urnen mitzugeben. Die rituelle Beisetzung von Hunden in Siedlungen als „ewige Wächter" galt wahrscheinlich als Spezifikum des Stammeskültes. In der Kultur zeichnete sich im Vergleich zu den Nachbarstämmen ein größerer Formenreichtum ab. So erscheinen in der Keramik häufig Verzierungen mit einem Hakenkreuzmäander (Abb. 73). Zum täglichen Gebrauch dienten Gefäße, die den bekannten „Milchsatten" (Abb. 74a) entsprechen. Bei den Männern wurde das Haar zu einem charakteristischen rechtsseitigen Knoten gewunden und bei den Adligen besonders kunstvoll frisiert (s. S. 343). Die Frauen bevorzugten offenbar Kopftücher, Hauben oder Schleier, die sie mit kleinen Nadeln feststeckten. Vereinzelt kamen bei den Semnonen auch Schmuck und Trachtenzubehör vor, wie sie im östlich angrenzenden Gebiet der sogenannten Przeworsk-Kultur üblich waren. Ein Teil der semnonischen Bevölkerung, der im späten 2. Jh. abwanderte, ging wahrscheinlich mit anderen Stammessplittern in dem Stammesverband der Alamannen auf, der erstmalig 213 am Limes in Erscheinung trat. Die Erinnerung an den alten Namen der Sueben blieb in der Bezeichnung der Schwaben bis heute erhalten. Die zwischen Semnonen und Langobarden des westlichen Mecklenburg gelegenen sandigen Landstriche der Prignitz waren ebenfalls dicht besiedelt. Gegenwärtig kann man aber ihre Bevölkerung noch keinem bekannten Stamm zurechnen. Erst im 3. Jh. bildete sich eine eigenständige Kultur heraus, die sich an das südwestliche Mecklenburg anlehnte. für die Jahre 5 oder 6 aus dem Verhalten der Römer, die sich mit einer „amicitia" begnügten und keine „deditio" verlangten (Vellerns Paterculus 2, loyi.; O. Bremer 1904, S. 194).

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Die Stammesgebiete im mittleren Mecklenburg fanden eine wesentliche Grenze nach Süden in dem westöstlich verlaufenden Endmoränengebiet des „nördlichen Landrückens" mit seinem recht lebhaften Relief, den zahlreichen eingestreuten Seen und dem ursprünglich dichten Eichenmischwaldbestand. Allerdings hielt sich die Besiedlung des mittelmecklenburgischen Seengebietes in engen Grenzen und konzentrierte sich auf die Seenplatte des oberen Warnowgebietes und der großen Mecklenburger Seen. Einen Zusammenhang mit den in der antiken Literatur angegebenen Stammesnamen zu finden, ist bisher nur für die Warnen (Varini) versucht worden. Tacitus lokalisierte sie nördlich der Semnonen, östlich der Langobarden und Reudigner und westlich der Lemovier (Germ. 40). Für die Lokalisierung der Warnen besitzt ein mögliches vorslawisches Wortsubstrat im Flußnamen Warnow eine wesentlich größere Aussagekraft. 137 Auch nach Ptolemaios siedelten die Warnen nördlich der Semnonen. Mitunter wird der Stammesname zu altnord. vari „Wasser" in Beziehung gesetzt. Weitere Stammesgebiete lassen sich gegenwärtig im mittleren Mecklenburg nach antiken Angaben nicht erkennen. Die Besiedlung des mittleren Mecklenburg erfolgte häufig auf lehmigen Böden. Offenbar bestanden nur kleine Siedlungen, die selten bereits im 1. Jh. v. u. Z. entstanden. Hinzu kam im 2. Jh. eine beträchtliche Bevölkerungsverminderung, als sich eine Abwanderung in die Altmark und in die benachbarten Elbgebiete abzuzeichnen begann. Die Kultur behält wie in den vorangegangenen Jahrhunderten ihren selbständigen Charakter. So hebt sich der Grabritus durch die Anlage von Brandgruben- und Brandschüttungsgräbern deutlich vom Elbgebiet ab. Derartige Zeremonien wurden besonders von der Bevölkerung im Teterower und Malchiner Becken ausgeübt. Durch kulturelle Beziehungen zum Oder-Weichsel-Gebiet und zu den römischen Donauprovinzen gelangten neue Schmuck- und Geräteformen sowie vereinzelt die Sitte der Körperbestattung in die Stammeskultur. Zur reichen Frauentracht gehörten meist drei Fibeln und zahlreiche Nadeln. Der elbgermanischen Ornamentik entsprach die Rollrädchenverzierung auf bauchigen terrinenförmigen Gefäßen. Die Bevölkerung der Küstenzone zwischen der Unterwarnow und der Odermündung sowie der östlich angrenzenden Gebiete hatte gleichfalls eine eigenständige Kultur". In Anlehnung an die 703 in der Kirchengeschichte des Beda Venerabiiis enthaltene Bezeichnung „Rugini" für die Bewohner Rügens kam auch eine Verbindung mit dem germanischen Stamm der Rugier auf. Das ist aber insofern sehr hypothetisch, als die Rugier bei Tacitus (Germ. 43) als unmittelbare (westliche?) Nachbarn der Goten an der Ostseeküste erscheinen („protinus deinde ab Oceano"). Ptolemaios nennt westlich der unteren Weichsel unmittelbar am Fluß Viados (Oder?) einen Ort Rogiom und den Namen der Roticlii. Damit bieten sich eher die Weichselmündung und das östliche Pomorza als annähernd gesichertes Stammesgebiet an.138 Erst im 5. Jh. traten die 137

138

Eine Herleitung von slaw. *varnow „Krähenfluß" wird auch in jüngster Zeit nicht ausgeschlossen (E. Eichler, T. Witkowski 1970, S. gff.). Trotz einer häufigen Verbindung mit den Eudosen und Angeln fehlen aber auch in Schleswig-Holstein sichere Hinweise für ihre Stammessitze. Gegen die Auffassung, daß zahlreiche germanische Stämme (z. B. Burgunden, Wandalen, Silingen, Rugier) aus Skandinavien eingewandert seien und die einheimische Bevölkerung überlagert hätten, bestehen in der polnischen Forschung zu Recht ablehnende Meinungen.

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Rugier im Gefolge der Hunnen an der oberen Theiß wieder in Erscheinung. Eine mögliche Ableitung des Stammesnamens von germ. *ruzi „Roggen" entspricht einer Deutung als Bewohner des „Rugi- (Roggen-) Landes" oder „Roggenesser". Bei der Betrachtung des Siedlungswesens des Ostseeküstengebietes mit seinem Hinterland ist eine geringe Bevölkerungsdichte feststellbar. Die Bewohner, die in kleinen Ansiedlungen und vielleicht auch in Einzelhöfen lebten, bevorzugten lehmige Sandböden. Ein intensiver Landesausbau, verbunden mit der Rodung von Waldgebieten und mit Eisenverhüttung, vollzog sich dagegen im Trebel-Peene-Gebiet. Seit dem 2. Jh. begann die Bevölkerung der Küstenzone abzuwandern. Im Grabritus zeigen sich deutliche Unterschiede vom Elbgebiet. So bestattete man auf birituellen Friedhöfen, wobei die Toten z. B. in tiefen Grabgruben unverbrannt und in Strecklage beigesetzt wurden. Die Brandbestattungen erfolgten meist in der Form der Brandgrube und Brandschüttung. Von Waffenbeigaben nahm man seit dem Beginn u. Z. aus rituellen Gründen Abstand (dagegen Tacitus, Germ. 43).

Abb. 107. Keramikformen des Ostseegebietes im 1 und 2. Jh. Pokalförmiges Gefäß (a Barth, Kr. Ribnitz-Damgarten), Kanne und Krug (b —c Kloster/Hiddensee; Gingster Heide, Ot. v. Gingst, Kr. Rügen), Terrinen (d —e Varbelvitz, Ot. v Ummanz, Kr. Rügen; Ziemitz, Ot. v. Wehrland, Kr. Wolgast). 1:8.

In der materiellen Kultur bestanden zunächst enge Beziehungen zu der des Elbgebietes. Seit dem 2. Jh. ist eine östliche, am Oder-Weichsel-Gebiet orientierte Kultur unverkennbar. Engere Verbindungen bestanden zum dänischen Inselbereich. Die Keramik wurde durch Flaschen, Pokale, Fußgefäße und kleine weitmündige Gefäße (Abb. 107) geprägt. Dagegen fehlen die im Elbgebiet üblichen Näpfe und Schüsseln. Häufig verzierte man diese Gegenstände mit dem Rollrädchen, wozu ein Dekor aus Strichen, Furchen und Rillen trat. Zwischen den Stämmen im westlichen Odergebiet und denen des Havellandes sowie des mecklenburgischen Seengebietes verlief nach dem gegenwärtigen Forschungsstand ein trennender 30—50 km breiter siedlungsleerer Gürtel, der Kultur- und Sprachunterschiede nahelegen könnte (Karte 3). Besonders intensiv waren seit jeher die sandigen Lehmböden der uckermärkischen Lehmplatte besiedelt (Abb. 108). Eine Verbindung der hier wohnenden Bevölkerung mit dem Stamm der Lemovier muß als äußerst unsicher gelten (Tacitus, Germ. 43), obwohl Tacitus die Lemovier in seiner wahrscheinlich von Ost nach West verlaufenden Aufzählung an letzter Stelle anführt. Unklar bleibt deren Namensdeutung. Sollte ein Zusammenhang mit dem späteren Stamm der Glomman bestehen, könnte er einem altnord. glammi „der Beller (Wolf)" entsprechen.139 Ptolemaios führt die Stämme der 139

Die Glomman werden im Widsidh-Lied aus dem 6. J h genannt Ihren Stammesführer Heoden bringt man mit dem Namen Hiddensee in Verbindung (R Much 1967, S 489 f.)

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Abb. 108. Die Siedlungsplätze im Odergebiet während des 1. und 2. Jh.

Sidinoi und Farodinoi auf, deren Stammesgebiete gleichfalls im Ostseeküsten- und Odergebiet vermutet werden könnten. Der Name der ersteren ließe sich auf altnord. sida „Seite, Küste", der der Farodinoi auf ags. farod „Meeresflut, Welle, Küste" (ähnlich den slawischen Pomoranen „Meeranwohner") zurückführen (R. Much 1967, S.489). Die Kultur dieser Bevölkerung wurde durch die Stellung der Siedlungsgebiete als Kontaktzone zwischen dem Elb- und dem Oder-Weichsel-Gebiet geprägt. Leider sind unsere Kenntnisse hierüber noch sehr gering. Das mittlere Oderland (Oderbruch, Lebuser Platte) wird oft als Stammesgebiet der Burgunden angesehen, die Ptolemaios als östliche Nachbarn der Semnonen erwähnte. Plinius reihte sie in die Stammesgruppe der Vandilier als Burgundionen ein, während sie bei Tacitus fehlen. Solche ungenauen Nachrichten, die sich auch durch die Erwähnung von Phrougoundiones im oberen Weichselgebiet durch Ptolemaios komplizieren, boten Anlaß zu vielen Hypothesen. Wenig Wahrscheinlichkeit spricht dafür, die Burgunden wie bisher aus Skandinavien herzuleiten (z. B. Bornholm als Borgundarholm). Vielmehr deutet sich in jenen Gebieten, die man für die Stammesterritorien hält (Oder-Rega-Gebiet, unteres bzw. mittleres Odergebiet), eine autochthone Entwicklung an.140 Ausgrabungen im mittleren Odergebiet zeigen dabei, daß ein Ein140

So wies bereits D. Bohnsack (1938, S. 117) auf methodische Schwierigkeiten bei der These einer Einwanderung aus Bornholm hin. Besonders die polnische Forschung betonte diese Problematik, z . B . J. Kostrzewski 1947, S. 65ff.; 1959, S. 143 ff.; ders. 1965; A . Dymaczewski 1964, S. H 4 f f . ; G. Domanski 1979; vgl. auch Anm. 167.

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dringen östlicher Einflüsse während des 2. Jh. u. a. auch als kulturelle Überlagerungen der Przeworsk-Kultur und ihrer Träger zu betrachten ist. 141 Seit dem 3. Jh. bildete sich eine Kulturgruppe selbständigen Charakters heraus, deren Ausstrahlungen nach Westen bis an Havel und Nuthe reichte (K. Godlowski 1970). Möglicherweise kann man in ihr den Stamm der Burgunden vermuten, der erst wieder 278—280 genannt wird. Zur Besiedlung des Odergebietes erfolgten im 1. Jh. größere Rodungen auf den Randlagen der Grundmoränenplatten. Im 2. Jh. ging mit einer verstärkten Besiedlung eine intensivere kulturelle Angleichung an die Przeworsk-Kultur einher. Die materielle Kultur entsprach der Entwicklung in der sich nördlich anschließenden Bevölkerungsgruppe, was besonders in der Keramik zum Ausdruck kommt (Abb. 109).

Abb. 109. Typische Gefäßformen des Odergebietes. Schwarze, teilweise rädchenverzierte Terrinen (a Wriezen, Kr. Bad Freienwalde, c, d Beauregard, Ot. v. Altwriezen, Kr. Bad Freienwalde), Fußschale oder -schüssel (b Wüste Kunersdorf, Kr. Seelow) und Tasse (e Sachsendorf, Kr. Seelow). 1:8. Mus. Bad Freienwalde (a, c, d), Frankfurt/O. (e) und nach R . L a s e r 1971, Taf. 8,2 (b).

Im benachbarten Oder-Weichsel-Gebiet hatte sich vom 2./1. Jh. v. u. Z. bis zum 5. Jh. u. Z. die sogenannte Brandgruben-Kultur (auch als „wenedische Kultur" bezeichnet) ausgebildet. Sie zerfiel in zwei Gruppen, von denen die größere als Przeworsk-Kultur in Süd- und Mittelpolen, die kleinere zunächst als Oksywie-Gruppe und später als Wielbark-Kultur in Pomorza verbreitet waren. Die Besonderheiten beider archäologischer Kulturen ergeben sich nach W. Hensel (1974, S. 159) weniger aus den Differenzen im Wirtschaftsniveau als vielmehr aus dem Ergebnis unterschiedlich kultureller Traditionen beider Gebiete. So wurden besonders um das Gebiet von Krakow keltische Bevölkerungsgruppen assimiliert. In Südpolen gelangten entwickeltere Landwirtschaftsgeräte zur Anwendung und bildeten sich selbständige Zweige der Metallgewinnung und -Verarbeitung heraus. Die Przeworsk-Kultur (das namengebende Gräberfeld liegt eigentlich in der Ortschaft Gac nahe der Stadt Przeworsk) besitzt ihr Zentrum zwischen dem unteren Oderlauf und der Weichsel mit Ausstrahlungen nach Osten und Südosten bis zur Westukraine hinaus. Eine besondere Blüte erfährt sie im 2. Jh. u. Z. Jetzt sind die Gräber reicher und differenzierter ausgestattet. Die Eisenproduktion nimmt einen beträchtlichen Aufschwung. Gleichzeitig schrumpft das Kulturgebiet entlang der Notee und Warta, 141

R. Wol^giewicz 1960, S. 9 7 f f . ; A. Leube 1964, S. 140ff.; ders. 1 9 7 5 : 1 9 7 7 , R. Laser 1971, S. 23 ff.

S. 265ff.;

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wobei aber eine erhöhte Siedlungsaktivität in Süd- und Mittelpolen erkennbar ist (K. Godtowski 1968, S. 25öff.). Zu Beginn des 3. Jh. verschwindet die PrzeworskKultur auch östlich der mittleren Weichsel, in der sich die Wielbark-Kultur ausbreitet. Die im Norden Polens verbreitete Wielbark-Kultur (nach einem bei dem ehemaligen Willenberg untersuchten Gräberfeld benannt) reichte im 1. und 2. Jh. nach Süden bis zur Warta und zur Notec sowie nach Osten bis zur Olsztyn-Seenplatte, wobei auch Masowien und Podiasien erschlossen wurden. Charakteristisch sind die birituelle Beisetzung, das Fehlen von Waffen und die häufige Schmuckbeigabe in den Gräbern (J. Kmiecinski 1972, S. 72ff.; R. Wol^giewicz 1974, S. i2gff.). In den Trägern dieser Kulturen vermutet man Germanen und Slawen (vgl. J. Kostrzewski 1965 und zuletzt dazu K . Godlowski 1979, S. 321 ff. mit Entgegnung durch K . Jazdzewski 1979, S. 334 ff.). Die westliche Grenzzone der Przeworsk-Kultur im Oder-Neiße-Gebiet (von polnischer Forschung als „Luboszyce-Kultur" bezeichnet) zeichnet sich durch mehr oder weniger enge Beziehungen zur elbgermanischen Kultur ab und wurde oft den Burgunden zugewiesen (vgl. S. 397; G. Domänski 1979; A. Leube 1977, S. 265ff.). b) Die südlichen Elbgermanen Von den antiken Autoren wurden bei Erwähnung der Elbe mehrfach neben Langobarden und Semnonen auch Hermunduren und Markomannen genannt. Offenbar berücksichtigten die einzelnen Berichterstatter dabei, daß die Bevölkerung dieser Stämme auf starke kulturelle Gemeinsamkeiten zurückblicken konnte und daß ihre Stammesentwicklung auch in politischer Hinsicht zeitweise von den gleichen Zielsetzungen bestimmt wurde. Mehrfach werden wohl gerade deshalb bei der Schilderung von besonderen Ereignissen zwei oder drei dieser Stämme zusammen genannt. Ähnlich wie für andere sind die schriftlichen Überlieferungen auch für die südlichen Elbgermanen spärlich an Zahl und an Aussagewert. Trotzdem erlaubt ihre Auswertung eine grobe Skizzierung ihrer Siedlungsgebiete und der darin lebenden Stämme. So werden die Hermunduren für beide Seiten der Elbe und das ehemalige Markomannenland zwischen Thüringer Wald und Donau bezeugt (Strabon, Geographica 7, 1, 3). In das Jahr 3 v. u. Z. gehört sehr wahrscheinlich die Nachricht des Dio Cassius (2, 55, 10a, 2f.), wonach der Legat L. Domitius Ahenobarbus umherschweifende Bevölkerungsgruppen der Hermunduren in einem Teil des ehemals von Markomannen besiedelten Gebietes, wohl zwischen Donau und Main, angesiedelt habe. Da diese Bevölkerungsgruppen südlich vom eigentlichen Hauptstammesgebiet siedelten, bezeichnet die Forschung sie als Südhermunduren. Leider ließ sich bisher nicht beweiskräftig klären, in welchen Beziehungen sie zu den Hermunduren nördlich des Thüringer Waldes standen. Eine weitere Nachricht über die Hermunduren stammt aus dem Jahre 5. Vellerns Paterculus sagt in seinem Bericht über den Tiberius-Zug an die Elbe, daß dieser Fluß an den Grenzen der Stammesgebiete der Semnonen und auch der Hermunduren vorbeiflösse (Hist. Rom. 2,63). Krieger der Semnonen und Hermunduren hätten vereint auf der Ostseite des Flusses gestanden — übrigens ein Beleg für gemeinsame Aktionen beider Stämme. Diese Nachricht steht keineswegs im Gegensatz zur Angabe des Strabon, wonach die Hermunduren zu beiden Seiten der Elbe wohnten. Hier kann es sich nur

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um ein taktisch bestimmtes Ausweichmanöver hermundurischer Kriegerscharen handeln, die sich vor der Gefahr zeitweilig auf das östliche Elbgebiet zurückgezogen hatten. Im 1. Jh. waren die Chatten die südwestlichen Nachbarn der Hermunduren. Sie sind uns als Bewohner des heutigen Hessen, nördlich des Limes an Lahn und Fulda, durch römische Quellen bekannt. Tacitus' Angaben über die Hermunduren scheinen sich auf die Zeit vor der Fertigstellung der Kastelle an der Donaugrenze, also vor der Regierungszeit des Kaisers Vespasian (68—79) z u beziehen. Danach wohnten die Hermunduren nördlich der Provinz Rätien. Sicher meint der Autor hier die Bevölkerungsgruppen, die vorstehend als Südhermunduren bezeichnet wurden. Unklar in der Deutung bleibt indes der Hinweis an gleicher Stelle, daß in ihrem Siedlungsgebiet die Elbe entspringe (Tacitus, Germ. 41). Unklar deshalb, weil man nicht weiß, ob sich diese Mitteilung auf den Austritt der Elbe aus dem Elbsandsteingebirge bezieht oder ob damit eine gewisse Vorrangstellung der Hermunduren gegenüber den Markomannen in Böhmen nach dem Sturz Marbods beabsichtigt ist. Eine mögliche Interpretation dieser Angabe würde eher der ersten Vermutung zuneigen. Zudem würde sie durch die weitere Nachricht gestützt, die als nächste Nachbarn der Hermunduren in diesem Bereich die Naristen und die Markomannen aufführt. Markomannen, die südöstlich von ihnen lebenden Quaden sowie die Hermunduren, Semnonen und Langobarden zählte Tacitus u. a. zu den Sueben (Germ. 38—42). Trotz der wenigen Hinweise über die vermutliche Größe des Stammesgebietes und dessen Grenzen zu benachbarten Stammesgebieten spricht einiges dafür, daß die Hauptsiedlungsgebiete der Hermunduren im Mittelelb-Saale-Gebiet lagen. Nördliche Nachbarn wären danach die Semnonen im Elb-Havel-Gebiet gewesen. Nordwestlich von ihnen lebten die Langobarden und Cherusker. Im Westen, durch Thüringer Wald und Eichsfeld getrennt, lagen die Siedlungsgebiete der Chatten, während südöstlich von ihnen die Siedlungsgebiete der Naristen und Markomannen anzusetzen sind. Zwischen Donau und Main, vom wahrscheinlichen Hauptsiedlungsgebiet des Stammes getrennt, lebten die Südhermunduren als unmittelbare Nachbarn der römischen Provinz Rätien. Eine Gruppe in Mainfranken könnte den Markomannen oder Hermunduren zuzurechnen sein (Ch. Pescheck 1978). Die starken kulturellen Beziehungen zu anderen Stämmen des Elbgebietes einerseits wie zu den Stämmen des rhein-weser-germanischen Gebietes andererseits, aber auch die zeitweiligen politischen Gemeinsamkeiten vor allem mit den sogenannten elbgermanischen Stämmen räumten den Hermunduren wegen der besonderen Lage ihrer Siedlungsgebiete im Verhältnis zu den germanischen Nachbarn wie auch zum Römischen Reich eine Art Vorzugsstellung ein, die diese auch zu nutzen verstanden. Der politische Kontakt etwa zu den anderen elbgermanischen Stämmen ist zwar nur durch wenige Überlieferungen, z. T. sehr bruchstückhaft, belegt, er darf aber als durchaus nachgewiesen gelten. Fraglich dagegen bleibt, ob die Hermunduren auch zum Kultverband der elbgermanischen Stämme gehörten, dessen zentrales Heiligtum sehr wahrscheinlich im Stammesgebiet ihrer nördlichen Nachbarn, der Semnonen, lag. Die Zugehörigkeit zum Kultverband der Herminonen — die Ähnlichkeit der Namen fällt auf — ist durch Plinius (Nat. hist. 4, 99) dagegen mit einiger Sicherheit belegt. In diesem Verband waren die Hermunduren Partner der Chatten, Cherusker und auch der Sueben zwischen Main und Rhein, die sich ethnisch leider nicht genauer bestimmen lassen. Für freundschaftliche Beziehungen zu Rom spricht die Ansiedlung hermundurischer

Tafel 49. Silberner Schlangenkopfarmring (a) aus Marlow, Ot. v. Sagard. Kr. Rügen, der einem römischen Vorbild nachgestaltet ist. Aus dem Markomannengebiet Böhmens stammt eine reich verzierte Bronzeschnalle (b) mit Hundekopf (?), gefunden in Ketzin, Kr. Nauen, a 3 : 2 ; b 1 : 1 (mit Ausschnittvergrößerung). Mus. Stralsund (a), Mus. f. Uru. Frühgesch. Berlin (b). (Zu Kap. X.)

Tafel 50. Kopf einer weiblichen Moorleiche (a) aus dem Domlandmoor bei Windeby, Kr. Rendsburg-Eckernförde (BRD), mit linksseitiger Rasur der Haupthaare und Augenbinde ; 1. J h . — Schädel und Knochen (b) als Reste eines geopferten Rindes aus Oberdorla, Kr. Mühlhausen; 1. Jh. Nach P. V. Glob 1966, Taf. S. 95 (a), Mus. Weimar (b). (Zu Kap. X.)

Tafel 51. Zu den seltenen Wagenfunden gehört das Opfer vom Rappendam bei j0rlunde, Seeland (Dänemark). E s handelt sich um 40 unterschiedlich gut erhaltene Scheibenräder mit einem Durchmesser von 0,45 bis etwa 0,80 m. Nach G. Kunwald 1970, Tai. 8 (a) und P. V. Glob 1966, Taf. ,S. 145' (b.)

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Tafel 52. Phallusidol (a) mit abgesetztem gesichtslosem Kopf von Oberdorla, Kr. Mühlhausen; Originalhöhe 0,79 m. Rekonstruktion des hermenartigen Pfahlidols (b) mit detaillierter Kopfdarstellung und eingesetzten Armen aus Possendorf, Kr. Weimar; Originalhöhe etwa 0,90 m. Spätlat^nebis römische Kaiserzeit. Mus. Weimar. (Zu Kap. X).

Tafel 53. Astgabelidol mit abgesetztem Kopf und Gesichtsdarstellung (a) aus einer spätlatenezeitlichen Kultstätte von Oberdorla, Kr. Mühlhausen; Originalhöhe 1 , 1 2 m. Astgabelidol mit abgesetztem Kopf und Mundkerbe (b) von Oberdorla; 2 . - 3 . Jh. Originalhöhe 1,38 m. Mus. Weimar. (Zu Kap. X.)

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Tafel 54. Astgabelidol mit Phallus (a) von Broddenbjerg bei Viborg, Mittel] ütland (Dänemark) ; Originalhöhe etwa 0,90 m. Opferpfahl mit abgefallenem Pferdeschädel, (b), dessen Gaumenplatte zum Zwecke des Aufsteckens erweitert worden ist; Fundort Oberdorla, Kr. Mühlhausen (b); römische Kaiserzeit. Nach P. V. Glob 1966, Taf. S. 162 (a), Mus. Weimar (b). (Zu Kap. X.)

Tafel 56. Verzierter Standfußpokal (a), eine der keramischen Leitformen vorwiegend des 1. und 2. J h . im Nordseeküstengebiet, dort nicht nur zwischen E l b e und Weser verbreitet. Fundort unbekannt. Radiale Gehöftanordnung auf der W u r t (b) R y s u m , K r . Norden ( B R D ) ; Luftbild, a 1 : 4 . Mus. Cuxhaven (a), Landesinstitut Wilhelmshaven (b). (Zu K a p . X . )

Tafel 57. Charakteristische Keramik — im wesentlichen der ersten beiden Jahrhunderte u. Z. — aus dem zwischen Elbe und Weser sich erstreckenden Teil des Nordseeküstengebietes. Während Trichterrandgefäße im freien Germanien eine keinesfalls an Stammesgrenzen gebundene Verbreitung fanden, dürfen Ornamente wie Strichbänder, Punktreihen und schraffierte Dreiecke (a; Galgenberg bei Sahlenburg, Kr. Land Hadeln, B R D ) , aber auch Hängebögen und Schulterwinkel als Unterscheidungsmerkmal gegenüber ähnlichen rhein-weser-germanischen Formen gelten. Zum weiteren Bestand gehören weitmündige Terrinen (c) sowie zweihenklige Töpfe (b; beides Brunnenfunde von der Feddersen Wierde, Kr. Wesermünde, B R D ) , die eine ältere Tradition fortsetzen. Zweihenkeltöpfe des ausgehenden 2. und beginnenden 3. Jh. werden als Eddelaker T y p bezeichnet. 114. Mus. Cuxhaven (a), Landesinstitut Wilhelmshaven (b, c). (Zu Kap. X.)

Tafel 58. Schwarzglänzende Terrine mit Rollrädchenverzierung, als Urne verwendet im Gräberfeld von Hohenferchesar, Kr. Brandenburg. Auf dem Unterteil des Gefäßes befindet sich die Darstellung eines gezäumten Pferdes, a 1 : 3 ; b Ausschnittvergrößerung. Mus. Genthin. (Zu Kap. XI.)

Tafel 59. Wandteile eines dreischiffigen Wohnstallhauses (a) aus dem 1. J h . mit Abgrenzung einzelner Viehboxen durch Flechtwerk; Feddersen Wierde, Kr. Wesermünde (BRD). Eiserne Ringtrensen aus den Jahrhunderten um den Beginn u. Z. von Schönburg, Kr. Naumburg (b), und Kleinwangen, Ot. v. Wangen, Kr. Nebra (c), letztere mit Bronzekette, b, c 1:2. Landesinstitut Wilhelmshaven (a), Mus. Halle (b, c). (Zu Kap. XI.)

Tafel Oo. Blick in den freistehenden Rennofen (d) mit eingetieftem Herd von Riestedt, Kr. Sangerhausen. Dazu Windformen (a — c; Düsenziegel), mit Resten des Ofenmantels (e). a —c 1:4; d etwa 1:5. Mus. Halle. (Zu Kap. XI.)

T a f e l 61. Genietete bronzene Federschere (a) v o n W u l f e n , K r . K o t h e n ; u m 100 u. Z. H a l b fertige gedrechselte Holzschalen (b) v o n der Feddersen Wierde, K r . W e s e r m ü n d e ( B R D ) , a 2 : 3 . Mus. K o t h e n (a), L a n d e s i n s t i t u t W i l h e l m s h a v e n (b). (Zu K a p . X I . )

Tafel 62. Zu den nicht sehr häufig gefundenen Gegenständen aus dem Römischen Reich gehören Glasgefäße wie diese gerippte Schale von einem Urnengräberfeld in Weißenfels; 1. J h . 1 : 2 . Mus. Halle. (Zu K a p . X I . )

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Bevölkerungsgruppen durch L. Domitius Ahenobarbus zwischen Donau und Main im Jahre 3 v. u. Z. Bekanntlich unterhielten die Hermunduren engen Kontakt zu den Markomannen, dessen Führer Marbod ebenfalls als romfreundlich galt. 142 Über die hermundurisch-römischen Beziehungen gibt vor allem der Bericht des Tacitus Aufschluß. Hiernach waren die Hermunduren „... den Römern ergeben und deshalb das einzige germanische Volk, das nicht nur an dem Grenzflusse (gemeint ist wahrscheinlich die Donau), sondern bis in das Innere unseres Reiches und selbst in der glänzenden Kolonie der Provinz Rätien seinen Handel treibt" (Germ. 41). Diese „Ergebenheit" dem Römischen Reich gegenüber bzw. diese Bevorzugung der Hermunduren durch Vertreter Roms scheint längere Zeit angehalten zu haben. Jedoch spätestens seit den Markomannenkriegen treten die Hermunduren gemeinsam mit den Markomannen und den anderen gegen Rom verbündeten Stämmen als offene Feinde des Reiches auf. Sie nahmen an den Vorstößen in die römischen Provinzialgebiete, insbesondere auch nach Rätien teil, wo sie sich einst der besonderen Gunst Roms erfreuten. In die innergermanischen Auseinandersetzungen griffen die Hermunduren schon in den ersten Jahrzehnten u. Z. ein. Ihr „König" Vibilius stürzte mit Hilfe seiner Krieger und sicher im Einvernehmen mit der römischen Reichsregierung im Jahre 19 den Markomannenführer Catualda (Tacitus, Ann. 2, 63), der erst zwei Jahre zuvor Marbod aus seiner Führungsposition gedrängt hatte. Ein ähnlicher Vorgang wie im Jahre 19 spielte sich um die Mitte des 1. Jh. ab. Wieder war es Vibilius, der jetzt den mächtigen Quadenkönig Vannius im Zusammenwirken mit dessen Neffen Sido und Wangio im Jahre 51 von der Spitze des sogenannten Vanniusreiches (regnum Vannianum) vertrieb (Tacitus, Ann. 12, 29). Bereits sieben Jahre später wird von weiteren Kämpfen berichtet. Diesmal waren es die westlichen Nachbarn, die Chatten, welche die Stärke der Hermunduren in einer für sie verlustreichen kriegerischen Auseinandersetzung zu spüren bekamen (Tacitus, Ann. 13, 57). 113 Schriftliche Überlieferungen über weitere Kriegshandlungen des Stammes liegen nicht vor. Der Name Hermunduren („hermunduri") wurde mehrmals genannt.144 Ihm liegt die Wortbildung Ermuna-duröz, Ermunduröz zugrunde. Das Bestimmungswort bedeutet nach R. Much (1967, S. 362) eine Verstärkung des Grundwortes, so daß sich die Übersetzung „Groß Thuren" daraus ergeben könnte. Das Grundwort „Duri" wird von einigen Linguisten und Historikern als Form des vorgermanischen „Teurii" gedeutet und könnte der Name der in den Jahrhunderten vor Beginn u. Z. in Thüringen ansässig 142

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Gegen die romfreundliche Haltung könnte nur die Nachricht aus dem Jahre 14 sprechen, wonach „ S u e b e n " die römische Provinz Rätien bedroht haben sollen. Es bleibt aber ungeklärt, ob diese Sueben Hermunduren waren. Die unmittelbare Nähe der Südhermunduren zum Römischen Reich allein läßt die Gleichsetzung nicht zu. Die Auseinandersetzungen geben indirekt einen Beleg dafür, daß das Herrschaftsgebiet der Hermunduren auch den westthüringischen R a u m mit umfaßt hatte. E s spräche andererseits keine Wahrscheinlichkeit dafür, wenn von einem Stammesgebiet her, das nur an der unteren und mittleren Elbe gelegen hätte, im Bereich der Werra bzw. fränkischen Saale K ä m p f e um Salzquellen geführt worden wären. Umstritten ist der Name „Hermunduli" in der Getica des Jordanes (Getica 114). Nach dieser aus der ersten Hälfte des 4. Jh. stammenden Nachricht saßen im Osten der Wandalen „der Gote, im Westen der Markomanne, im Norden der Hermundole". Germanen — Bd. 1

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gewesenen Bevölkerung zwischen Germanen und Kelten gewesen sein.145 Daß der Name der Hermunduren eine keltische Komponente enthält, darf man nach dem derzeitigen Forschungsstand als gesichert annehmen. Dagegen ist die endgültige Deutung bis heute noch nicht überzeugend gelungen. Über die speziellen Siedlungsgebiete, Siedlungskammern und Einzelsiedlungen geben im gesamten Stammesgebiet (bei Berücksichtigung der in Anm. 143 geschilderten Westausdehnung) ^zahlreiche Fundstellen Auskunft, die besonders für das 1. Jh. u. Z. sehr häufig sind.146 Einige bevorzugte Siedlungsräume heben sich im Kartenbild gut erkennbar ab (Karte 3.). Dicht besiedelt war das Mittelelbegebiet rechts der Elbe von Burg bis gegenüber der Muldemündung und vom Unterlauf der Saale bis zum Elbeknie südlich Wittenberg. Hier überrascht vor allem die Häufung der Siedlungsstellen in der Elbaue auf alluvialen Sanden und auf Elbsanddünen. Mehrfach liegen die Fundstellen im heutigen Überschwemmungsgebiet der Elbe auf ganz schwachen Sandhorsten. Vom Unterlauf der Weißen Elster und der mittleren Saale bis hinein in das Thüringer Becken erstreckt sich ein weiterer dichtbesiedelter Raum, der in der Fundstellendichte aber hinter dem Mittelelb-Saale-Gebiet zurückbleibt. Mehr in Streulage liegen die Hinweise auf Siedlungsplätze im Bereich des Elbelaufes zwischen Wittenberg und Dresden. Eine etwas dichtere Besiedlung in Form einer größeren Siedlungskammer zeigt sich hier lediglich in der Gegend um Riesa. Der Harz, die Letzlinger Heide, der Thüringer Wald, die Dübener Heide und schließlich auch weiter südlich das Erzgebirge blieben unbesiedelte Grenzzonen, zu denen auch der Hohe Fläming gehört. Nur zwei kleine Siedlungskammern zwischen Coswig und Wittenberg/Zahna weisen auf mögliche Verbindungen zum Stammesgebiet der Semnonen im Norden hin. Kontakte zur Przeworsk-Kultur in Südpolen und damit nach dem Osten sind ebenfalls erkennbar (W. Schulz 1925, S. 27ff.). Eine aufgelockerte Besiedlung mit kleineren Siedlungskammern ist im Raum zwischen dem Ostharzvorland, dem Mansfelder Gebiet und dem Nordharzvorland bis zur Höhe von Braunschweig-Ohre zu beobachten. Zu erwähnen bleiben die Siedlungsgebiete im Bereich des Mainlaufes, wo das archäologische Quellenmaterial auf eine kleine und eine größere Siedlungsgruppe am oberen und mittleren Main hindeutet (Ch. Pescheck 1978). Im unmittelbaren Norddonaugebiet stieß man dagegen bisher nur auf ganz wenige Fundplätze, die übrigens nur eine Besiedlung für den Beginn u. Z. belegen. Bis heute liegt eine vollständig ausgegrabene Siedlung noch nicht vor. Dagegen 115

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Siehe hierzu O. Bremer 1904, S. 207; M. Schönfeld 1 9 1 1 , S. 239. Nach E . Schwarz (1956, S. 1 1 ) geht -duröz auf das Altindische uvas „rasch, kräftig" zurück. R . Much wiederum (1967, S. 463) sieht Beziehungen zwischen -duröz und der indoeuropäischen Wurzel tu (schwellen) bzw. zum altnordischen ori (Menge, Masse) oder zum altgermanischen eor (entzünden, Geschwulst), was die Bedeutung von „stark" voraussetzen würde. Eine grundlegende Bearbeitung des Quellenmaterials aus dem letzten Jahrhundert v. u. Z. erfolgte durch W. Schulz (1928). Die Germanen der ersten Jahrhunderte u. Z. behandelte Th. Voigt (1940). Die Verbreitung der germanischen Funde zwischen Rhein und Oder sowie zwischen Main und Ostsee kartierte R. v . Uslar (1951, S. 44ff.). Eine Zusammenfassung der Besiedlungsgeschichte der frührömischen Kaiserzeit im Mittelelbgebiet und eine Kartierung der Fundplätze stammen von E . Schmidt-Thielbeer (1967). Eine Neubearbeitung des Mittelelb-Havel-Gebietes um den Beginn u. Z. nahm R. Seyer (1976) vor.

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wissen wir besser Bescheid über Alter, Umfang und Belegungsdauer einiger Gräberfelder, von denen Wahlitz, Kr. Burg 147 , Prositz, Kr. Meißen, und Großromstedt, Kr. Apolda, die bekanntesten sind. Die materielle Kultur, wie sie sich in den archäologischen Quellen widerspiegelt, zeigt im allgemeinen drei Komponenten, die unterschiedlich stark in den jeweiligen Zeitabschnitten den Habitus der materiellen Kultur bestimmten. Es sind dies die spürbar nachwirkenden Kulturelemente der vorgermanischen Substratbevölkerung im Westen und Nordwesten Thüringens, die vom Elbgebiet ausgehenden Ausstrahlungen der sogenannten elbgermanischen Kultur und schließlich die vom Westen kommenden und bis an die Saale nach Osten reichenden Einflüsse des sogenannten rhein-wesergermanischen Kulturbereichs. Da die seit dem Ende des 1. Jahrhundert feststellbaren rhein-weser-germanischen Einflüsse die Saale nach Osten zu und die Linie Halle —Eisleben—Harz in nördlicher Richtung nicht überschreiten, folgt daraus für die Stammesgeschichte der Hermunduren, daß längere Zeit'ein vermutlich einheitliches Stammesgebiet durch seine zwei Hauptsiedlungsräume auch zwei unterschiedlichen germanischen Kulturbereichen angehört hat: die Siedlungsräume westlich der oberen und mittleren Saale bis hin zu den Grenzgebieten der Chatten zum rhein-weser-germanischen Kulturbereich und die Siedlungsgebiete an Mittelelbe und unterer Saale zum elbgermanischen Kulturbereich. Auf die Verbindungen zum elbgermanischen Kulturbereich deuten in den ersten Jahrzehnten u. Z. sowohl die schwarzglänzenden Gefäße mit trichterförmiger Öffnung und Rädchenverzierung (Taf. 30 b) als auch die sogenannten kugelbauchigen Gefäße (Taf. 25 a) hin (Th. Voigt 1959). Zum Verbreitungsgebiet dieser sehr charakteristischen Gefäßarten (Abb. 54) gehörten auch die Siedlungsräume der Hermunduren. Gefäße dieser Art kamen außerdem im Maingebiet und damit auch etwas abseits der Hauptverbreitung zutage. Diese Gefäßarten sind ein sicherer Beleg für den elbgermanischen Kulturbereich, den sie in seiner Gesamtausdehnung auch grob umreißen. Einer Nord-Süd-Gliederung liegt im allgemeinen die Grenzziehung im Bereich der Ohre und der Linie Burg bei Magdeburg bis hin zum Fläming zugrunde. Damit gliedern sich die Stämme, von der kulturellen Seite her gesehen, in die nördlichen Elbgermanen (s. S. 386 ff.) und in die südlichen Elbgermanen. Zu letzteren zählen neben anderen, und wenn man den Grenzverlauf des rhein-weser-germanischen Kulturbereiches berücksichtigt, ganz sicher auch die Bewohner, die in den ersten Jahrhunderten im Mittelelb-Saale-Gebiet gelebt haben. Eine weitere Gliederung ist wegen der großen Einheitlichkeit der materiellen Kultur nicht möglich. Von der vorgermanischen Substratbevölkerung, vor allem im südwestlichen Teil des Gesamtsiedlungsraumes, gelangten wahrscheinlich schon vor Beginn u. Z. keltische Stilelemente und keltische Produktionstechniken zu den Hermunduren. Nach Th. Voigt (1958, S. 448) wurde z. B. die Form des scharfkantigen, eleganten Trichtergefäßes in 147

Folgende größere Gräberfelder wurden bisher untersucht: Großromstedt, Kr. Apolda (G. Eichhorn 1927; R. Hachmann 1951), Bornitz, Kr. Zeitz (Th. Voigt 1976, S. 173f.), Prositz, Kr. Meißen (W. Coblenz 1955), Kleinzerbst, Kr. Kothen (E. Schmidt-Thielbeer 1971), Wahlitz, Kr. Burg (E. Schmidt-Thielbeer 1967), Schkopau, Kr. Merseburg (B. Schmidt, W . Nitzschke 1976, S. 110f.).

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M A T E R I E L L E U N D G E I S T I G E K U L T U R , S T A M M E S G E B I E T E IM 1 . / 2 . J H .

Thüringen (Großromstedt) aus keltischen Vorbildern noch einmal entwickelt. Wahrscheinlicher ist aber, daß das trichterförmige Gefäß nur dort zu den Formen vom Typ Großromstedt entwickelt werden konnte, wo es vorher diese Drehscheibenkeramik mit dem fortgeschrittenen töpferhandwerklichen Können schon gab. Sehr wahrscheinlich wurde dieses Substrat in den Jahrzehnten um den Beginn u. Z. durch starke elbgermanische Kultureinflüsse, die sich im sogenannten Horizont von Großromstedt widerspiegeln und zeitlich auch durch diesen begrenzt werden, entweder überschichtet, vielleicht in Einzelfällen auch assimiliert. Nach K. Peschel (1968, S. 198) erwächst z. B. auf „der .keltisch' bestimmten Laténegrundlage . . . nach dem Zurückweichen des Großromstedter Horizontes, aber nicht ohne dessen Einfluß, auch am Nordrand des Thüringer Waldes wie überall im westlichen Mittelgebirgsraum jener archäologische Formenkreis der frühen Kaiserzeit, als dessen Träger die Stammesgruppen der Rhein-Weser-Germanen nunmehr in das Licht der Geschichte treten". Spätestens gegen Ende des 1. Jh. hatten sich im thüringischen Gebiet nach Osten bis hin zur mittleren Saale und unteren Weißen Elster kulturelle Elemente herausgebildet, die, ähnlich wie in weiten Gebieten östlich des Mittelrheins, auf den vorgermanischen, wahrscheinlich keltischen und den zeitlich nur kurz wirkenden elbgermanischen Kulturkomponenten basierten. Diese kulturellen Elemente charakterisieren die sogenannte rhein-weser-germanische Kultur, zu deren Trägern nach dem gegenwärtigen Forschungsstand wohl auch die Hermunduren zählten. Quellenbedingt lassen sich zu Fragen der Siedlungskonstanz bzw. Siedlungskontinuität nur wenige Aussagen machen. Dies ist um so bedauerlicher, als gerade deren Beantwortung auch Hinweise auf den Gesamtsiedlungsvorgang in dem großen zweigeteilten Siedlungsgebiet hätte erwarten lassen. Trotzdem kann gesagt werden, daß im MittelelbSaale-Gebiet eine Reihe von Siedlungsplätzen während der ersten beiden Jahrhunderte durchgehend belegt war (E. Schmidt-Thielbeer 1967, S. 36ff.). Für die Gebiete westlich der Saale ist insoweit nur das Gräberfeld von Großromstedt, Kr. Apolda, aussagekräftig, das im 4. Jahrzehnt v. u. Z. seinen Anfang nimmt und etwa in der Mitte des 1. Jh. u. Z. endet.148 Die zeitliche Sichtung des Fundmaterials und damit auch die grobe Gliederung des Besiedlungsablaufs haben ergeben, daß sehr viele Siedlungsplätze in die Jahrzehnte um den Beginn bzw. in das frühe 1. Jh. u. Z. fallen. Bemerkenswert ist die außerordentliche Besiedlungsdichte in dieser Zeit zwischen Fuhne, Fläming, Mulde und im Gebiet rechts der Elbe bis in die Gegend von Magdeburg. Besonderen Siedlungskonzentrationen begegnen wir in der Elbaue auf den alluvialen Sanden und auf den Elbsanddünen. Ein wahrscheinlich engbesiedelter Streifen schließt sich im nördlichen Harzvorland zwischen dem Gebirge und dem Flußsystem Großer Graben—Bode nach Westen zu an, führt im östlichen Harzvorland in südlicher Richtung weiter und reicht bis zur mittleren Saale. Westlich der Saale setzt sich die Besiedlungsdichte zunächst fort, dünnt dann aber in Richtung Thüringer Becken etwas aus. Hier nimmt vor allem im 2. Jh. die Besiedlungsdichte zu, während sie zur selben Zeit im Raum zwischen Fläming und mittlerer Saale zurückgeht. Ob zwischen den Siedlungsbewegungen ursächliche Zusammenhänge bestanden haben, läßt sich gegenwärtig noch nicht mit Sicherheit beantworten. Daß sich die Bewohner des Mittelelb-Saale-Unstrutgebietes kurz vor 148

E. Schmidt-Thielbeer 1967; G. Eichhorn 1927; K. Peschel 1978; R. Hachmann 1950/51.

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Abb. 110. Männergrab des 1. Jh. mit Schildresten, Speerspitze, Gürtelschnalle und Urne aus Kleinzerbst, Kr. Kothen, a — h 1 : 2 ; i 1:4. Mus. Kothen.

Beginn u. Z. wegen eines Feldzuges der Römer in das rechtselbische Gebiet zurückgezogen hätten und daß sie dann im 1. Jh. zögernd, im 2. Jh. wieder verstärkt in den thüringischen Raum vorgedrungen seien, entspricht nicht den Tatsachen. Die Nachricht Strabons — auf die sich diese Ansicht stützt —, wonach die Hermunduren auf das rechte Elbufer zurückgegangen wären, findet ihre richtige Interpretation durch die tatsächliche Fundverbreitung und durch die Mitteilung des Velleius Paterculus über den Feldzug der Römer bis an die Elbe im Jahre 5 (2, 205). Hiernach haben sich lediglich die Krieger der Hermunduren, nicht aber die gesamte Bevölkerung auf die Ostseite der Elbe zurückgezogen. Die Täler und Uferzonen der Flüsse boten auch hier bevorzugte Siedlungsbedingungen. Zunächst spricht nur eine Vermutung dafür, daß auch den Hermunduren die Viehhaltung eine wichtige Nahrungsquelle bedeutete. Wie in anderen germanischen Siedlungsgebieten wird man den Pflanzenanbau auch in ähnlicher Weise voraussetzen müssen.

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Abb. 1 1 1 . Frauengrab des l . Jh. mit drei Bronzefibeln, Eisenmesser, Ring sowie Bronzenadeln und Urne aus Kleinzerbst, Kr. Kothen, a—g 1 : 2 ; h 1:4. Mus. Kothen.

Handwerkliche Tätigkeiten innerhalb der bäuerlichen Siedlungen, z. B. im Rahmen der Eisenerzeugung, belegen die Funde von Eisenschlacken (Th. Voigt 1964b, S. 219H.). Damals wurde der verhältnismäßig leicht zu gewinnende Rohstoff vielerorts gefunden und auch verarbeitet. Das mit Schmiedewerkzeug und Waffen ausgestattete Urnengrab von Dessau (Taf. 9 b, 10) zeigt uns einen bestatteten freien Germanen, einen Schmied. Er gehörte wohl zu denjenigen, die auch späterhin Berlocken (Taf. 46), Fibeln und anderen Schmuck (Taf. 47) herzustellen verstanden. Knochen- und Geweihverarbeitung dokumentiert sich in geschnitzten Knochennadeln und seit dem 2. Jh. in Kämmen aus Geweih. Römische Bronzekessel (Abb. 30 c), Weinservices aus Bronze, Gläser (Taf. 62), Münzen (Taf. 27) und metallene Gürtelbestandteile (Taf. 35 d—e) machen vor allem im 1. Jh. Kontakte zu den römischen Provinzen Noricum und Pannonien deutlich. Im 2. Jh. zeigt sich dagegen ein stärkerer „Import" aus dem römischen Rheingebiet in die Siedlungsgebiete der Hermunduren. Tacitus' Hinweis (Germ. 41) auf den sogenannten Handel zwischen den Hermunduren und der Bevölkerung Rätiens wurde bereits erwähnt. So gelangten römische Bronze- und Silbergegenstände, wahrscheinlich auch

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Abb. 112. Frauengrab des 2. Jh. aus Wahlitz, Kr. Burg mit Eisenfibel, zwei Silberfibeln, einer bronzenen Fibel, rechteckiger Gürtelschnalle, Eisenschlüssel, Kastenfeder, zwei Eisenmessern, Pinkstahl, Geweihkamm, Knochennadel und Urne, a —1 1:2; m 1:4. Mus. Halle.

Münzen, in das Land und bildeten wohl auch das Ausgangsmaterial für die eigene kunsthandwerkliche Beschäftigung. Immer wieder taucht die Frage auf, ob sich die Germanen auch am Sklavenhandel beteiligt hätten. In der römischen Stadt Carnuntum stieß man auf einen Grabstein eines freigelassenen Sklaven Vibius Cn. L. Logus, der „natione Ermundurus" gewesen sei. Wie dieser Hermundure nach Rom bzw. in römisches Gebiet gelangte, ist nicht überliefert. Vielleicht kam er als Kriegsgefangener dorthin und wurde dann versklavt. Bis auf die direkte Erwähnung des Vibilius liegen keine weiteren antiken Nachrichten über den sozialökonomischen Differenzierungsprozeß und über die soziale Differenzierung der Stammesbevölkerung vor. Die schon sehr frühe Nennung des Namens läßt vermuten, daß — wie auch in anderen Stammesgebieten — ein solcher Umbruchprozeß

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hier ebenfalls schon im letzten Jahrhundert v. u. Z. eingesetzt hatte. Die in den Gräbern seit dieser Zeit stärker beobachtbare Mitgabe von Waffen (Abb. 110) — in Großromstedt, Kr. Apolda, enthielten ca. 1 3 % aller Gräber eine Waffe sowie Hinweise auf Reitpferde — machen nach K.-H. Otto (i960, S. 109ff.) indirekt deutlich, daß sich auch bei den Hermunduren militärdemokratische Verhältnisse entwickelt hatten. Außerdem sind reich ausgestattete Gräber mit römischen Importgegenständen und wertvollem Schmuck Belege für gesellschaftliche Differenzierungen. Rückschlüsse, die man aus der Größe der Gräberfelder und ihrer Belegungsdauer zieht, führen in der Regel zu kleinen Siedlungen von zwei bis vier Gehöften mit schätzungsweise 25—30 Bewohnern hin. In diesen Siedlungen, die im Ausnahmefall auch über 100 Bewohner umfaßt haben können — wie eine entsprechende Auswertung des Gräberfeldes von Großromstedt vermuten läßt — , vollzog sich sicher auch jene Entwicklung, wie sie zunächst — auch nur andeutungsweise — aus den Bestattungsplätzen erkennbar wird (Abb. 111, 112).

c) Rhein-Weser-Germanen Westlich der Siedluiigsgebiete der Elbgermanen erstreckten sich bis zum Rhein die der sogenannten Rhein-Weser-Germanen. In den antiken Berichten ist kein Sammelbegriff überliefert, unter dem diese Stämme zusammengefaßt werden können. 149 Nach Norden zu bildete der Gürtel der großen Moorgebiete eine natürliche Grenze zu den Nordseeküstengermanen. Im Süden lebten Angehörige der Rhein-Weser-Germanen im Maingebiet, nach Osten reichten ihre Siedlungsgebiete bis in das Flußgebiet der Saale und ihrer Nebenflüsse; in Böhmen sind nur noch vereinzelte Spuren ihres kulturellen Niederschlages nachweisbar. A m Niederrhein und in Westfalen, zwischen Teutoburger Wald und Ruhr, siedelten die Stämme der Istväonen, zu denen die Sugambrer, die Brukterer, die Marser, die Chattuarier, die Tenkterer und die Usipeter gerechnet werden müssen. Die im späteren tömischen Provinzialgebiet bzw. unter römischer Herrschaft lebenden Bataver und Ubier gehörten ihnen wohl ebenso an wie die nördlich der erstgenannten Stämme beheimateten Chamäven und Chasuarier. Stärker als andere germanische Stammesgebiete gerieten die der rhein-weser-germanischen Stämme in den Offensivbereich der römischen Legionen. Im Jahre 11 v. u. Z. waren die Sugambrer Ziel einer sogenannten Strafexpedition römischer Truppen unter Drusus. Ihre endgültige Unterwerfung gelang aber erst Tiberius im Jahre 7 v. u. Z. Stammesteile wurden von ihm in linksrheinische Gebiete umgesiedelt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Sugambrer später unter dem Namen Cugerner (Cuberner) auftraten. 150 149

150

An Stelle der Bezeichnung Rhein-Weser-Germanen wird in jüngerer Zeit auch der Begriff „Mannus-Stämme" benutzt (R. Hachmann 1962, S. 50ff.). Er umfaßt jedoch nur zwei Verbände, die Istväonen und die Herminonen, die durch gemeinsame Eigentümlichkeiten ihrer materiellen Kultur als eine Einheit gelten können, während der dritte, die Ingväonen, sich von ihnen abhebt und als selbständiger Komplex, die Nordseeküstengermanen, zu behandeln ist. Der ursprüngliche Name blieb in der fränkischen Stammestradition erhalten und wird in der Völkerwanderungszeit mehrfach überliefert, z. B. bei der Taufe des Chlodwig

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Nach der Aussiedlung der Sugambrer, Plinius (Nat. hist. 4,100) erwähnt sie als einzigen Stamm der Istväonen, tauchen beiderseits der Lippe die Namen der Brukterer, Marser und der Chattuarier auf. Auch in ihren Gebieten versuchte der römische Staat, nach der Unterwerfung durch Tiberius im Jahre 4, wie in den Provinzen des Reiches, die Ausbeutung durch ein Steuersystem zu vollziehen. Zur Stärkung der eigenen Sicherheit errichteten die Römer entlang der Lippe mehrere befestigte Lager oder bauten ältere, aus der Zeit des Drusus stammende aus. 151 Die Bevölkerung der besetzten Gebiete an Ems, Lippe und Ruhr litt unter dem Druck dieser Okkupation. Deshalb schloß sie sich im Jahre 9 der Erhebung germanischer Stämme und Stammesteile unter Führung des Cheruskers Arminius an (s. S. 282). Die Marser, ihr Siedlungsgebiet wurde im Westen durch die nicht genauer zu lokalisierende silva Caesia — einem im Mittelalter Heisi genannten bewaldeten Höhenzug nördlich der Ruhr — begrenzt, bekamen als erster Stamm die Vergeltungsmaßnahmen der Truppen unter Germanicus zu spüren. Diese fielen im Herbst des Jahres 14 in deren Siedlungsgebiete ein und vernichteten zahlreiche Siedlungen. Viele Männer, die ein Kultfest im Hain der Tamfana feierten, wurden getötet. Die Marser trugen nach Tacitus (Germ. 2) einen „alten Namen". Sie werden bei späteren Anlässen aber nicht mehr erwähnt. 182 Es ist deshalb möglich, daß sie mit den Kleinen Brakterern oder den Chattuariern gleichzusetzen sind (R. Much 1967, S. 57ff.). Die Brukterer waren wohl der Hauptstamm der im 1. Jh. im Lippegebiet siedelnden Germanen. Im Bataver-Auf stand spielten sie eine besondere Rolle. Ihre Seherin Veleda — vermutlich die Hauptpriesterin im Heiligtum der Istväonen — beeinflußte durch ihre Weissagungen die Aktionen der Aufständischen. Ihr zu Ehren wurde das erbeutete Flaggschiff der römischen Rheinflotte lippeaufwärts gebracht — ein Vorgang, der an die in den folgenden Jahrhunderten auf der jütischen Halbinsel versenkten Mooropfer erinnert (s. S. 371). Im Jahre 77 gelang es römischen Soldaten, Veleda gefangenzunehmen. Gemeinsam mit dem „König" der Brukterer wurde sie in einem Triumphzug durch Rom geführt. Die Macht der Brukterer, durch die Kämpfe und durch innerstammliche Auseinandersetzungen geschwächt (Tacitus, Germ. 33), war gebrochen. In ihren Siedlungsräumen fanden andere Stämme und Stammesteile eine neue Heimat. Gegen Ende des 1. Jh. griff der römische Legat Vestricius Spurinna in die Stammesgeschichte ein, indem er einen von den Stammesangehörigen vertriebenen „König" ohne nennenswerten Widerstand wieder in seine Herrschaft einsetzte (Plinius d. J., Epistolae 2, 7).183 (Gregor v o n Tours 2, 31). Die v o n T a c i t u s (Germ. 2) überlieferte „ a l t e "

Namensform

G a m b r i v i scheint sich ebenfalls auf diesen S t a m m zu beziehen (R. M u c h 1967, S. 5 7 f f . ) . 151

Tacitus,

A n n . 1,50:

„...

limitemque a Tiberio c o e p t u m ..." A m Unterlauf der L i p p e

konnten bisher die Lager Holsterhausen bei Dorsten und Haltern, K r . Recklinghausen, sowie Oberaden, K r . Unna, ausgegraben werden. A m Oberlauf entdeckte m a n ein weiteres bei Anreppen, K r . Büren, das wahrscheinlich m i t dem aus der Varus-Schlacht bekannten K a s t e l l Aliso gleichzusetzen ist. Die Lager wurden je einen Tagesmarsch (ca. 20 km) v o n einander entfernt angelegt; (S. v . Schnurbein 1981, S. 5 f f . ) . 152

Ü b e r die Marser wird v o n T a c i t u s in seinen Annalen mehrfach berichtet (1,50.56; 2,25), in der Germania erwähnt er jedoch nur noch den "alten N a m e n " (Tacitus, Germ. 2), in der Beschreibung der einzelnen S t ä m m e (Tacitus, Germ. 28—46) fehlen sie.

153 W ä h r e n d

dieser A k t i o n ist wahrscheinlich das römische Lager bei

K r . L i p p s t a d t , errichtet worden.

Kneblinghausen,

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MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1 . / 2 . J H .

Im östlichen Lippegebiet zwischen dem Oberlauf der Lippe und der Möhne befanden sich die Siedlungsgebiete der Chattuarier. Ihr Name deutet auf verwandtschaftliche Zusammenhänge mit den Chatten. Die Usipeter und Tenktterer wiederum, die von den Sueben 58 v. u. Z. aus ihren alten Stammessitzen vertrieben und anschließend auf der Landsuche von Cäsar nahezu aufgerieben worden waren, ließen sich nördlich der Sugambrer an der unteren Lippe nieder. Beide Stämme wurden in die Kämpfe gegen Rom zu Beginn u. Z. sowie in den Bataver-Aufstand mit hineingezogen. Schon Cäsar berichtete von den ausgezeichneten reiterischen Fähigkeiten der Krieger dieser Stämme, wird doch auch der Name der Usipeter als „die gut Berittenen" gedeutet. Nördlich der beiden Stämme lebten zwischen Ems und Ijssel zu beiden Seiten der Vechte die Chamaven. Gemeinsam mit den Angrivariern dehnten sie ihre Stammesgebiete am Ende des 1. Jh. u. Z. auf Kosten der Siedlungen der Brukterer aus. Im Flußgebiet der Hase, zwischen Teutoburger Wald und Hümling, lag das Stammesgebiet der Chasuarier, die nach diesem Fluß (Hase) benannt worden sind. Die Bataver hatten sich im letzten Jahrhundert v. u. Z. im Niederrheingebiet westlich des Stromes niedergelassen (Tacitus, Hist. 4, 12). Noch heute erinnert die Bataver-Insel (Betuwe) zwischen Lek und Waal an sie. Ebenso wie die Usipeter und die Tenkterer galten sie als gute Reiter, die den Römern starke Auxiliareinheiten unter eigenen Offizieren stellten. Einer ihrer Führer, Chariovalda, fiel im Jahre 16 auf dem Kriegszug des Germanicus an die Weser. Im Jahre 69 kam es zu einer Erhebung der Bataver unter Claudius Julius Civilis, der sich auch benachbarte Stämme im freien Germanien sowie Bewohner gallischer Landesteile anschlössen (vgl. S. 290ff.). Nach dem Zusammenbruch dieses Aufstandes erhielten die Bataver ihre bisherigen Vergünstigungen wieder, sie waren von Steuern befreit, dafür aber zur Rekrutierung fester Truppeneinheiten verpflichtet.154 Die Ubier siedelten ursprünglich im Vorland des Rheinischen Schiefergebirges. Im Jahre 38 v. u. Z. siedelte Agrippa sie nach der Niederlage der Eburonen am Westufer des Rheins zum Schutze der Reichsgrenze an. In ihrem Hauptort, der gleichzeitig als Mittelpunkt der geplanten Provinz Germania Magna vorgesehen war, wurde um die Wende u. Z., ähnlich wie in Lugdunum (Lyon), ein Altar des Augustus und der Roma errichtet, an dem Angehörige germanischer Stämme Priesterdienst zu versehen hatten, so u. a. auch Segimund, der Sohn des Cheruskers Segestes (Tacitus, Ann. 1, 57). Später entstand hier die Colonia Claudia Ära Agrippinensium. Die Berichte über die als Istväonen zusammengefaßten Stämme verstummen zu Beginn des 2. Jh. Die Namen der Stämme tauchen später, teilweise in anderen Landschaften, im Rahmen der Geschichte des Stammesverbandes der Franken, der im Jahre 256/8 erstmalig genannt wird, wieder auf, sie fanden aber auch Eingang in die angelsächsische Sagenüberlieferung (Beowulf, Widsith). Als zweite Hauptgruppe der Rhein-Weser-Germanen können nach neueren For154

Die Stärke dieses Kontingents betrug neun Kohorten und eine Ala. Nach der bruchstückhaften Überlieferung scheint es sich um cohortes miliariae sowie um eine ala miliaria gehandelt zu haben. Das Aufgebot der Bataver ist deshalb auf annähernd 10000 Mann zu schätzen. Der Name von Passau, Batava castra, erinnert an die seinerzeit, dort stationierte 9. batavische Kohorte.

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schungen die Herminonen gelten. 155 Die zü ihnen gehörenden Stämme siedelten im Flußgebiet der Weser, im heutigen Hessen und im Thüringer Becken. Folgt man den Angaben Plinius' (Nat. hist. 4, 100), dann müßten dazu die Cherusker, die Chatten und auch die Hermunduren gehören. Zwischen Teutoburger Wald und Harz sind zu beiden Seiten der mittleren Weser und der Leine die Stammessitze der Cherusker überliefert. Bereits Cäsar wußte, daß sie um die Mitte des 1. Jh. v. u. Z. die Bacenis Silva, ein breiter Grenzgürtel, von den im Maingebiet siedelnden Sueben trennte (Bell. Gall. 6, 10). Die Cherusker sind lange einer direkten Konfrontation mit Rom ausgewichen. Obwohl sie 11 v . u . Z . mit den Sugambrern und den Usipetern ein gegen Rom gerichtetes Bündnis schlössen, zogen sie sich beim Anrücken der römischen Legionen auf das Ostufer der Weser zurück. Im Jahre 4 u. Z. unterwarfen sie sich den Truppen des Tiberius. Vermutlich entstand damals .ein Klientelvertrag zwischen ihnen und dem Römischen Reich, wie aus der Überlieferung eines Gesprächs zwischen Arminius und seinem Bruder Flavus an der Weser vom Jahre 16 u. Z. zu erschließen ist (Tacitus, Ann. 2, 9). Stammesadelige erhielten jetzt die Möglichkeit, in die römische Armee aufgenommen zu werden und auch das römische Bürgerrecht zu erhalten, eine Vergünstigung seitens des römischen Staates, mit deren Hilfe Angehörige des Adels Rom verpflichtet werden sollten. Auch Arminius, Sohn des Segimer, stand in römischem Dienst, war römischer Ritter und besaß römisches Bürgerrecht. Die im Heeresdienst erworbenen Erfahrungen kamen ihm später bei der Führung des Freiheitskampfes der Cherusker und anderer verbündeter Stämme und Stammesteile gegen die römischen Truppen zugute. Versuche der römischen Eroberer, die Sklavenhalterordnung in den von ihnen besetzten Gebieten aufzubauen, insbesondere die Einführung des römischen Rechtes und des Steuersystems, stießen bei der germanischen Bevölkerung auf erbitterten Widerstand. Die starke Unzufriedenheit der Bevölkerung begünstigte eine schnelle Organisierung des Widerstandes. Außerdem hatte die Erfahrung gezeigt, daß Einzelaktionen zwangsläufig mit Niederlagen endeten. So entstand ein lockerer antirömischer Bund unter Führung von Arminius. Es gelang, mit der Nachricht vom Aufstand eines entfernten Stammes im Jahre 9 die römischen Legionen auf ihrem Rückmarsch vom Sommerlager im Gebiet der Cherusker zu den Winterquartieren am Rhein in unwegsame Täler des Teutoburger Waldes zu locken und in Kämpfen aufzureiben (s. S. 283). Die Kenntnis der römischen Taktik ermöglichte den germanischen Kriegern unter Arminias, sich bei den Vergeltungsmaßnahmen des Germanicus in den Jahren 14—16 ebenfalls zu behaupten und größere eigene Verluste zu vermeiden. Nach der Abwendung der Gefahr einer erneuten römischen Eroberung brachen die alten Zwistigkeiten um die Führungspositionen unter den Cheruskern, die auch in den Jahren des Kampfes nicht vollständig geruht hatten, erneut hervor. Durch die Siege über die römischen Militäraufgebote war die Stellung Arminius' auch bei den bisher abseits stehenden östlichen Nachbarstämmen gefestigt worden. Die Semnonen und die Langobarden gingen sogar aus dem Lager des Marbod zu ihm über. Andererseits wuchsen die Spannungen im eigenen Stamm. Inguiomerus, der Onkel Arminius', stellte sich mit seinen Anhängern auf die Seite der Gegenkräfte, die unter Führung des Marko155

R. v. Uslar 1938, S. 87 ff., 188 ff.; R. Hachmann 1962, S. soff.; R. Wenskus 1961, S.238, 254f-

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mannen Marbod standen. In einer offenen Feldschlacht zwischen den beiden bedeutendsten germanischen Kräftegruppen der damaligen Zeit, die unentschieden blieb, standen sich damit auf beiden Seiten Angehörige derselben Stämme gegenüber. Obwohl Arminius' Position auch durch den Ausgang dieser Auseinandersetzung nicht geschwächt, eher vielleicht gestärkt wurde, gelang es ihm nicht, die unter seiner Führung stehenden Stammesgruppierungen auch politisch zu einem dauerhaften Stammesverband zu vereinigen, denn erst im 3. Jh. war die Entwicklung soweit fortgeschritten, daß sich der Integrationsprozeß von Stämmen zu Stammesverbänden vollziehen konnte. Arminius wurde um das Jahr 19 ermordet. Er wurde ebenso wie Marbod ein Opfer der um die Macht ringenden Stammesadligen. Die nachfolgenden Auseinandersetzungen innerhalb des Stammes der Cherusker führten in der Mitte des 1. Jh. zum Erlöschen der „stirps regia". Die Adligen setzten Italicus, den in der Fremde lebenden Sohn des Flavus, als letzten Angehörigen der herrschenden Sippen mit Unterstützung Roms als König ein. Er konnte sich aber erst mit Hilfe der Langobarden endgültig behaupten (s. S. 287 Anm. 35). Die ehemalige Bedeutung der Cherusker ging damit zu Ende. Teile ihrer Stammesgebiete gingen noch im 1. Jh. an andere Stämme über. Nördlich der Cherusker, von diesen durch einen Grenzwall getrennt, der vermutlich die Landenge zwischen Weser und Steinhuder Meer sperrte, lagen die Siedlungsgebiete der Angrivarier. Ihr Siedlungsraum fand nach Norden mit dem Südrand der Lüneburger Heide einen natürlichen Abschluß. Einzelne Stammesteile haben wahrscheinlich auch westlich der Weser bis hin zur Hunte gelebt. Namentlich werden die Angrivarier zum ersten Male im Jahre 16 erwähnt, als sie durch Truppen unter Germanicus unterworfen wurden. In der zweiten Hälfte des 1. Jh. mußten Teile des Stammes dem Druck der nördlich von ihnen siedelnden Chauken weichen und ihre Heimat verlassen. Sie fanden Siedlungsraum westlich der Weser zwischen dem Wiehen- und dem Eggegebirge in der nach ihnen benannten, vorher von den Cheruskern besiedelten Landschaft Engern — dem sächsischen Zentrum z. Z. Widukinds. Andere Stammessplitter ließen sich im Münsterland nieder, wo der mittelalterliche Gau Angeron an sie erinnert. Im Süden der Cherusker siedelten- in den Flußgebieten von Fulda und Lahn die Chatten. Ihr Stammesgebiet wurde durch bewaldete Mittelgebirge gegliedert. Die am Mittelrhein ynd an der Mainmündung lebenden Mattiaker und die Wangionen sind möglicherweise früh unter römische Herrschaft gekommene Teile der Chatten (R. Much 1967, S. 368 ff.). Die Chatten hatten besonders unter den römischen Feldzügen zu leiden. Bereits der erste Kriegszug der Römer, der unter Drusus bis zur Elbe führte, begann bei ihnen. Ihre Siedlungsgebiete im Nordosten von Mogontiacum (s. Abb. 61 ff.) wurden wiederholt in die Kriegshandlungen mit einbezogen. Der Brückenkopf gegenüber von Mogontiacum erlaubte einen ungehinderten Aufmarsch der Legionen. Die ständige Abwehrbereitschaft führte dazu, daß die Chatten römischerseits als besonders kriegerisch beschrieben wurden. Nach Tacitus (Germ. 30) sollen sie geordnete Kriegerverbände unterhalten haben, deren Disziplin mit der der römischen Truppen verglichen werden konnte. Es wäre durchaus möglich, daß chattische Adlige, die zeitweise in römischen Diensten waren, die ihnen unterstehenden Auxiliareinheiten in der alten Ordnung als Gefolgschaften beibehielten. Mit ihren Nachbarn im Norden und im Osten scheinen die Chatten ständig in Fehde

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gelegen zu haben. Im Jahre 11 y. u. Z. wird von Kämpfen mit den Sugambrern berichtet. Auch zu den Cheruskern bestanden stärkere Spannungen, die sich u. ä. aus den Machtbestrebungen des Stammesadels ergaben. Bei den Auseinandersetzungen mit den Römern operierten beide Stämme getrennt. Zu Kämpfen mit den Hermunduren um den Besitz von Salzquellen kam es im Jahre 58 (Tacitus, Ann. 13, 57). Als Hauptort der Chatten ist Mattium überliefert, das im Jahre 15 durch Germanicus vermutlich zerstört wurde. Vieles spricht dafür, diesen Ort mit der Altenburg bei Niedenstein, Schwalm-Eder-Kreis, zu identifizieren, doch ist diese städtartige Anlage bereits in vorrömischer Zeit beim Niedergang der keltischen Macht und während der Herausbildung des Stammes der Chatten verlassen worden. So stellt sich die Frage, ob Germanicus eine bereits seit annähernd 40 Jahren bedeutungslose Befestigung, von der man in Rom aus alten Berichten nur eine undeutliche Vorstellung hatte, noch einmal symbolisch zerstörte, um damit einen Triumph feiern zu können. Zu den Herminonen rechnete Plinius (Nat. hist. 4, 100) außerdem die Sueben und die Hermunduren. Während die Zugehörigkeit der Sueben zum Verband der Herminonen doch sehr fraglich ist (R. Hachmann 1962, S. 5off.), haben die Hermunduren wohl doch zumindest zeitweise dazu gehört, was auch den Gleichklang der Namen „Herminonen — Hermunduren" erklären könnte (s. S. 401). Auch im Rhein-Weser-Gebiet, in dem sich später die Konsolidierung der Stammesverbände der Sachsen und Franken vollzog, blieb zunächst der Stamm die politisch höchste Organisationsform. Zeitweilige Zusammenschlüsse entstanden auf Grund äußerer Bedingungen und zerfielen nach deren Wegfall, weil die inneren gesellschaftlichen Verhältnisse dafür noch keine tragfähige Basis boten. An der Spitze der Stämme standen Angehörige eines untereinander rivalisierenden Stammesadels, die, wie wohl auch die ihnen ergebenen Gefolgsleute, bereits außerhalb der eigentlichen Produktion der materiellen Güter standen. Ihr Reichtum beruhte immer stärker auf der Arbeit großer Teile der Bevölkerung und auf Kriegsbeute. Die Adelssitze sind bisher unbekannt geblieben156, doch konnten befestigte Höfe, wie der des Segestes, auch einer längeren Belagerung standhalten. Nach Tacitus (Ann. 1, 57) ist zu schließen, daß sich auch im Hof des Segestes Gefolgsleute aufhielten. In vielen Fällen befehligten germanische Adlige Auxiliareinheiten, die sich aus Stammesangehörigen zusammensetzten. Ob alle unmittelbar vor der Reichsgrenze siedelnden Stämme feste Truppenkontingente stellen mußten, wie z. B. die Bataver, ist nicht überliefert. 157 Im Gegensatz zum elbgermanischen fehlen im rhein-weser-germanischen Gebiet Fürstengräber. Sehr wahrscheinlich liegt der Grund im andersartigen Bestattungsritus (Tacitus, Germ. 27). Die Germanen — gemeint sind in diesem Falle wohl nur die sogenannten rhein-weser-germanischen Stämme — entfalteten bei ihren Leichenbegängnissen keinerlei Prunk. Hervorragende Personen wurden lediglich durch die Wahl 156

Größere Volksburgen sind aus den Jahrhunderten vor Beginn u. Z. b e k a n n t (Vogelsberg b. Vogelbeck,

K r . N o r t h e i m ; Babilonie b. Blasheim, K r . Minden-Lübbecke).

Möglicher-

weise wurden sie noch zu B e g i n n des 1. Jh. u. Z. benutzt. Hinweise d a f ü r bietet die Grotenburg bei Hiddesen, K r . D e t m o l d (H. v . Petrikovits 1 9 5 1 , S. i 9 8 f f . ) . 167

Tacitus (Agricola 28) berichtet v o n einer aus Usipetern gebildeten Kohorte, die in Britannien meuterte.

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besonderer Holzarten für den Scheiterhaufen geehrt, dessen Überreste vergrub man in einfachen Erdgruben. Nur selten wurden Beigaben mit in das Grab gegeben. Die vor Beginn u. Z. noch üblichen Bestattungen in Urnen kamen erst wieder gegen Ende des 2. Jh. u. Z. im Rahmen des sich nun ändernden Grabritus zur Anwendung. Tacitus war auch bekannt, daß die Grabgruben durch Erdhügel mit Rasenabdeckung abgeschlossen wurden. Für die Anlage von Siedlungen wurden auch hier die Uferzonen von Wasserläufen bevorzugt. Flußschlingen und Einmündungen von Seitentälern boten darüber hinaus einen natürlichen Schutz. In den Tälern des Berglandes liegen zahlreiche alte Wohnplätze unter den heutigen Dorfkernen, ohne daß daraus eine Siedlungskontinuität abzuleiten wäre. Neben kleinen weilerartigen Ansiedlungen haben sicher auch Einzelhöfe bestanden. Bedauerlicherweise ist noch keine Siedlung vollständig ausgegraben worden. Bereits das wenige Fundmaterial weist auf dreischiffige Häuser hin (Böddeken, Kr. Büren; Albersloh, Kr. Münster), bei denen — ähnlich den Häusern an der Nordseeküste — eine deutliche Trennung zwischen Wohn- und Stallteil bestand. Neben den Wohnstallhäusern gab es eingetiefte Hütten. Als dritte Gebäudeart war der auf vier bis neun Pfosten ruhende Speicher bekannt, der zur Aufnahme der Ernte diente. Das archäologische Fundgut stammt vorwiegend von Wohnplätzen. Die Keramik 158 wurde im Hauswerk gearbeitet. Sie beschränkt sich auf wenige Formen (Abb. 113), Töpfe, Näpfe und Schüsseln, die häufig abgesetzte Standplatten, Fußringe und Stengelfüße haben. Die Unterteile der Gefäße sind mit einem flächendeckenden Dekor in Form von Einstichen, Stempeln, Tupfen und Aufrauhungen überzogen. Ornamente, wie sie z. B. auf den Schultern der elbgermanischen Gefäße erscheinen, fehlen im rhein-wesergermanischen Gebiet. Neben der einheimischen Keramik sind Reste römischer Gefäße, besonders häufig von Terra-sigillata-Gefäßen, gefunden worden. Die Herstellungszentren lagen größten-

Abb. 1 1 3 . Typische Keramikformen aus dem rhein-weser-germanischen Gebiet. 1:8 (nach R. v. Uslar

1938) 168

Grundlegend R . v. Uslar 1938; für Teilgebiete K . Wilhelmi 1967; G. Mildenberger 1972; H. Schirnig 1969.

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teils in den gallischen Provinzen. Aus Steinbrüchen der Eifel wurden die meisten aus Basaltlava hergestellten Mahlsteine bezogen. Diese Austauschbeziehungen knüpften sehr wahrscheinlich an Verbindungen der vorangegangenen Zeiten an. Während Eisenschlackenreste auf zahlreichen Siedlungsplätzen gefunden wurden, sind Eisengeräte selten zutage getreten. Messer, Lappenbeile und Bügelscheren gehören wie auch anderswo zu den üblichen Geräten. Für einen fortgeschrittenen Entwicklungsstand in der Technologie spricht, daß nicht nur das lokal anstehende Roheisen verarbeitet wurde. Durch Zugabe von aus größeren Entfernungen herbeigeholtem Roherz (Hämatit des Sauerlandes im Emscher-Gebiet, Eisenerz aus dem Gebiet von Peine im Bereich der Lagerstätten von Salzgitter) versuchte man, eine bessere Qualität der Produkte zu erzielen. Obgleich in den schriftlichen Quellen viel von kriegerischen Auseinandersetzungen' der rhein-weser-germanischen Stämme untereinander und vor allem mit den römischen Legionen berichtet wird, sind durch die Beigabenarmut der Gräber nur wenige Reste von Waffen bekannt geworden. ^Vereinzelt konnten Schwerter oder Dolche sowohl germanischer als auch römischer Herkunft geborgen werden. Typische römische Pilumspitzen sind auch in Gebieten gefunden worden, in denen der Aufenthalt römischer Truppen kaum angenommen werden kann. Kleinere Lanzenspitzen kommen vereinzelt in Gräbern vor. Häufiger sind Überreste von Schilden, von denen meist nur Einzelteile, wie Schildfesseln aus Bronze oder Eisen, Beschläge oder einzelne, meist fingerhutförmige Schildnägel, in das Grab gelangten. Zu den Seltenheiten im Nachlaß gehören Bestandteile der Tracht, die nur vereinzelt gefunden wurden. Sichere Aussagen über die Kleidung sind deshalb nicht möglich. Da auch die Berichte der antiken Schriftsteller nur wenige diesbezügliche Angaben enthalten, kann lediglich gesagt werden, daß der Wollmantel bekannt war und mit einer Fibel oder einem Dorn in Schulterhöhe zusammengehalten wurde (Tacitus.Germ. 17). Für die erste Hälfte des 1. Jh. sind derartige Fibeln, die auch lokale Formen zeigen, häufiger erhalten. Der technologische Vorgang für die Herstellung läßt einen hohen Stand der Bronzetechnik vermuten. Auffallend ist der starke Rückgang der Fibelfunde aus der nachfolgenden Zeit, wenn man von den Stücken des großen Brunnenopferfundes von Bad Pyrmont, Kr. Hameln-Pyrmont, absieht (E. Frischbier 1922). Mit dem erneuten Auftreten von Urnengräbern gegen Ende des 2. Jh. tritt eine Veränderung der Fundsituation ein. Insgesamt ist unsere Kenntnis von der materiellen und geistigen Kultur der Bevölkerung der rhein-weser-germanischen Stämme bisher gering. Besonderheiten im Bestattungsbrauch, der wohl nur in Ausnahmefällen die Möglichkeit der Überlieferung von Gegenständen gestattete, sowie ein geringerer Forschungsstand gegenüber anderen Gebieten mögen die Hauptursachen dafür sein. Bei Berücksichtigung der relativ zahlreichen Nachrichten, die uns die römischen Geschichtsschreiber aber hinterlassen haben, darf bei den Stämmen in diesen Gebieten ein gleicher gesellschaftlicher Entwicklungsstand wie bei den benachbarten Stämmen im Norden und im Osten angenommen werden. d) Germanische Stämme an der Nordseeküste Im Norden wurde Germanien — den Angaben von Tacitus (Germ. 1) zufolge — vom „Ozean" umspült. Erst in jüngerer Zeit, so fährt der Bericht fort, wurden in diesen

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Gegenden einige Völkerstämme und sogar Könige (quibusdam gentibus ac regibus) bekannt, die ein Krieg römischer Kenntnis erschlossen hat. 189 Während sich der Begriff „Ozean" auf die heutige Nord- und die Ostsee beziehen dürfte, gehört zu den namentlich nicht näher bezeichneten Inseln u. a. Skandinavien. Unter dem erwähnten Krieg sind wohl weniger die römischen Unternehmungen der Jahre 12—9 v. u. Z. oder diejenigen des Jahres 16 u. Z. zu verstehen als vielmehr der Kriegszug des Tiberius 5 u. Z. Seine Flotte erhielt Informationen nicht nur über Gebiete Jütlands, sondern auch über Skandinavien. Nach einem der drei Söhne des Mannus (s. S. 50) nennen sich die Stämme an der Meeresküste Ingväonen (Tacitus, Germ. 2). Hier handelt es sich in Ableitung des germanischen Götternamens *Ingu-, ags. Ing, anord. Yngvi, um die Bezeichnung des bei den seeanwohnenden Germanen später besonders angesehenen Gottes Freyr, als dessen Verehrer die Dänen im Beowulf Ingwine („Ing-Freunde") genannt werden und dessen Vatersname NjQrdr, altgerm. Nerfmz, sich mit dem der Göttin Nerthus deckt (R. Much 1967, S. 53). Offenbar sind die Ingväonen, d. h. diejenigen, für die das Gesetz des Ing gilt, ein Kultverband, dem zumindest zu Zeiten seines Entstehens auch politische Erfordernisse zugrunde gelegen haben werden. 160 Zu den Ingväonen gehörten nach Plinius (Nat. hist. 4, 99) Kimbern, Teutonen und Chauken. Für die Friesen bleibt dies zweifelhaft. Ihre im nordniederländischen Küstengebiet in Richtung auf die Ems zu lokalisierenden Siedlungsgebiete schlössen im Westen jenes Land in sich ein, das durch mehrere mit dem offenen Meer verbundene Binnenseen und Ströme (z. B. das Vlie) gegliedert war und im Gefolge der Sturmflut des Jahres 1287 unter einer größeren Wasserfläche, dem heutigen Ijsselmeer (Zuider-See), versank. Die erste, wegen ihrer Bedeutung schriftlich festgehaltene Berührung dieser, nach ihrem von Tacitus nicht näher erläuterten Wesen („ex modo virium"; Germ. 34) in Große und Kleine unterschiedenen Friesen fällt in das Jahr 12 v. u. Z. Damals schloß Drusus mit ihnen einen Vertrag, der sie in ein Klientelverhältnis zu Rom brachte und sie verpflichtete, für die römischen Legionen jährlich einen Tribut in Form von Rinderhäuten zu entrichten sowie Hilfstruppen zu stellen. Zu einem Aufstand erhoben sich die Friesen im Jahre 28 u. Z. ( als Olennius, ein ihnen vorgesetzter Befehlshaber lokaler römischer Streitkräfte, verlangte, daß die abzuliefernden Rinderhäute in ihrer Größe künftig — entgegen den natürlichen Gegebenheiten — 159 VgL, wie zu den folgenden Ausführungen, R. Much 1967, dort weitere Literatur. Den germanischen Stämmen an der Nordseeküste wurden neben Friesen, Amsivariern und Chauken nicht nur die westlichen Gebiete des heutigen Schleswig-Holstein, sondern auch seine östlichen Landesteile zugeschrieben (R. v. Uslar 1951, Abb. 1; so noch F. Schlette 1972, S. 32, Karte 3). Abgesehen von den „Nordseegermanen" zwischen der Westküste Schleswig-Holsteins und dem niederländischen Ijsselmeer weist G. Mildenberger neuerdings (1977, S. 22, Abb. 1 und S. ygif. mit Anm. 32 ff.) Angeln und einen Teil Nordfrieslands nebst den vorgelagerten Inseln den Nordgermanen sowie Ostholstein (s. S. 390 ff., Reudigner) den Elbgermanen zu. Im Rahmen unseres Überblickes schien es sinnvoll, Schleswig-Holstein in seiner Gesamtheit einzubeziehen, ohne damit der jüngst vorgelegten Gliederung entgegentreten zu wollen (methodisch-kritisch vgl. N. Bantelmann 1978). 160 Vgl. R. Wenskus 1961, S. 251 ff., auch mit älterer Literatur zu den hier behandelten Fragen.

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denjenigen der Auerochsen gleichen sollten. In letzter Konsequenz wurden dann — Tacitus 181 zufolge — als Äquivalent nicht nur Äcker verkauft, sondern sogar Frauen und Kinder ausgeliefert. Olennius konnte sich während der mit Waffen geführten Auseinandersetzungen durch Flucht in das Kastell Flevum der Verfolgung entziehen, doch Vermochten zu Hilfe eilende römische Truppenteile nicht, die Lage zu ihren Gunsten zu verändern Dieses Ereignis soll den Namen der Friesen unter den Germanen berühmt gemacht haben. Erst als im Jahre 47 Chauken unter Führung des Cannenefaten Gannascus in Niedergermanien einfielen, vertrat Rom seine Interessen durch den Befehlshaber der niederrheinischen Legionen, Domitius Corbulo, wieder nachhaltiger. Jetzt wurden die Friesen verpflichtet, Geiseln zu stellen und sich in einem von Corbulo angewiesenen Gebiet niederzulassen. Bemühungen, Recht und Gesetz nach römischem Vorbild zu gestalten,162 hatten zumindest keinen dauerhaften Erfolg. Nachdem ein fester Waffenplatz angelegt war, wurden schon kurze Zeit später die römischen Befestigungen in das linksrheinische Gebiet zurückverlegt. Unter ihren Anführern Verritus und Malorix ergriffen die Friesen 57 u. Z. Besitz von jenem rechtsrheinischen Gebiet zwischen Vecht und Ijssel, das die römischen Truppen beanspruchten (Tacitus, Ann. 13, 54). Sie hatten schon Häuser errichtet, den Boden wie ihren eigenen bestellt, als Dubius Avitus sie unter Androhung römischer Gewalt aufforderte, sich wieder zurückzuziehen oder neue Wohnsitze vom Kaiser zu erbitten. Nero verlieh beiden zwar das römische Bürgerrecht, verfügte aber gleichzeitig, daß der in Besitz genommene Grund und Boden zu räumen sei. Als die Friesen dieser Anordnung nicht nachkamen, wendeten die Römer Gewalt an, und die sich widersetzenden Stammesangehörigen wurden gefangengenommen oder niedergemacht. Das so entvölkerte Gebiet besetzten im Jahre 58 die Amsivarier, die von den Chauken aus ihren ursprünglichen Wohnsitzen an der unteren Ems vertrieben worden waren. Wegen ihrer zahlenmäßigen Stärke und aus Mitgefühl für ihr Geschick genossen sie bei ihren Nachbarn hohes Ansehen (vgl. Tacitus, Ann. 13, 55). Nun bemühte sich Boiocalus, ein auch bei anderen Stämmen berühmter Mann, um offizielle Zuweisung des eingenommenen Landes. Er konnte sich auf langjährige Dienste für Rom berufen und machte geltend, daß ein großer Teil des ehedem von den Chamaven, dann den Tubanten und später den Usipeterri genutzten, jetzt freien Landes brach liege. Darauf würden nur zuweilen die Rinder und Schafe des römischen Militärs getrieben. Wenn man seinen Wünschen entspräche, wolle er die Amsivarier römischer Oberhoheit unterstellen. Nach ergebnislosen Verhandlungen riefen die Amsivarier Brukterer, Tenkterer und noch entferntere Stämme als Verbündete zum Kriege auf. Als daraufhin römische Legionen unter Avitus in das Gebiet der Tenkterer eindrangen, führte dieser Druck offenbar sehr schnell zur Auflösung des Bündnisses. Auf einer langen Irrfahrt zogen die vertriebenen Amsivarier von den Usipetern durch die Gebiete der Tubanten und Chatten bis zu den Cheruskern. Diese Ereignisse haben den Stamm stark dezimiert, aber nicht völlig vernichtet, denn die Amsivarier werden im 4. Jh. als Teilvolk der Franken bezeugt. 161

162

27

Ann. 4, 72. Bedenken hinsichtlich einer rhetorischen Überspitzung dieser Textstelle äußerte E . Koestermann Bd. 2, 1965, S. 2 1 1 . Tacitus, Ann. 1 1 , i8f., „... idem senatum magistratus leges imposuit", was in dieser terminologischen Form E . Koestermann Bd. 3, 1967, S. 64, als Interpretatio Romana erkannt hat. Germanen — Bd. 1

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Östlich der Friesen, die sich in den Jahren 69/70 am Aufstand der Bataver beteiligten, erstreckte sich, nach Vertreibung der Amsivarier bereits von der Ems zumindest bis an die Elbe, das Siedlungsgebiet der Chauken (germ. *Hauhöz, „die Hohen"), welches die Weser in das der Großen und der Kleinen trennte. Bei seinen Unternehmungen 12—9 v. u. Z. stieß Drusus bis hierher vor (vgl. Dio Cassius 54, 32). Im Jahre 5 u. Z. zog Tiberius vom Winterlager an der oberen Lippe heran und brachte die Chauken unter die Botmäßigkeit Roms (Vellerns Paterculus, Hist. Rom. 2, 106). Als Germanicus 15 u. Z. an der Ems erschien, traten Chauken dem Kriegsbündnis bei und beteiligten sich ein Jahr später an der Schlacht bei Idistaviso. Hier sollen sie — was nicht sicher verbürgt ist — angeblich Arminius haben entkommen lassen (Tacitus, Ann. 1, 60; 2,17). In demselben Spätsommer geriet ein Teil der Legionen auf dem in die Winterlager emsabwärts gerichteten Transport in Seenot, während der Dreiruderer des Germanicus im Gebiet der Chauken an Land ging (Tacitus, Ann. 2, 24). Die verstreuten Mannschaften konnten, sofern noch am Leben, mittels ausgebesserter Boote u. a. von Inseln geborgen werden. Andere, die das Schicksal bereits in das Binnenland verschlagen hatte, wurden von den Angrivariern losgekauft. Bereits im Jahre 41 u. Z. wurden chaukische Scharen, die wahrscheinlich als Seeräuber die niederrheinische Küste heimsuchten, vom Statthalter Untergermaniens, P. Gabinius Secundus, besiegt. Sechs Jahre später fielen Chauken unter dem Cannenefaten Gannascus, der längere Zeit in römischen Auxiliareinheiten gedient hatte, erneut in Niedergermanien ein; sie fuhren zu Wasser auf leichten, ausgehöhlten Baumstämmen (Plinius, Nat. hist. 16, 203) und plünderten an der gallischen Küste. Corbulo ließ die Boote versenken und sorgte für Ruhe unter seinen Legionen. Abgesandte sollten die Großen Chauken zur Unterwerfung bewegen und gleichzeitig des entkommenen Gannascus habhaft werden. Letzteres gelang zwar, jedoch erregte sein Tod bei den Chauken Empörung. Corbulo hatte selbst den Keim zu einem Aufruhr gelegt, was Claudius dazu bewog, wie schon bei den Friesen bemerkt, die römischen Befestigungen an das linke Rheinufer zurückzuverlegen (Tacitus, Ann. 1 1 , 18—19). Nach der Vertreibung der Amsivarier (58 u. Z.) beteiligten sich Chauken am Bataveraufstand unter Civilis (s. S. 290 ff.), in dessen Verlauf eine seiner besten Kohorten, aus Chauken und Friesen bestehend, ein klägliches Ende nahm.163 Gegen Ende des 1. Jh. verdrängten Chauken die südlich von ihnen siedelnden Angrivarier. Dadurch reichte ihr Siedlungsgebiet, das sie nicht nur besaßen, sondern auch ausfüllten, in einer Ausbuchtung bis zu den angeblich über die Cherusker siegreichen Chatten hin (Tacitus, Germ. 35 u. 36). In der Folgezeit wurden offensichtlich auch die Piratenzüge nach Gallien fortgesetzt; einen solchen wehrte um 170 der spätere Kaiser Didius Julianus als Legat der Belgica erfolgreich ab. Ganz, im Gegensatz auch zu eigenen Angaben hebt Tacitus Rechtschaffenheit und Friedfertigkeit der Chauken hervor, die bei den Germanen in hohem Ansehen standen und ihre Stellung durch Gerechtigkeit zu wahren suchten. Die Chauken stellen keine übermäßigen Ansprüche, sind tapfer, leben ruhig und zurückhaltend, verursachen keine Kriege, wie auch niemand das Volk zu Raub oder Plünderungen aufzuwiegeln vermochte. Bei aller Überlegenheit ließen sie sich nicht zu Unrechtmäßigkeiten hinreißen. 163

Tacitus, Hist. 4, 7 9 ; 5, 19 wird von chaukischer Verstärkung für Civilis berichtet.

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Dennoch haben sie alle die Waffen schnell zur Hand und stellen, wenn es die Situation erfordert, ein Heer, hauptsächlich aus Fußsoldaten und Reitern. Im Unterschied zu Tacitus kennzeichnet zuvor Plinius (Nat. hist. 16, 2 ff.) die Chauken als armes Fischervolk, das auf Hügeln wohnt, deren Höhe sich nach den Erfahrungen bei Flut richtet. Jedoch dürfte die "Aussage, daß sie weder Vieh halten noch Milch trinken können wie ihre Nachbarn, allenfalls für sehr weit gegen das Meer vorgeschobene Ansiedlungen zutreffen. Denn eine Grabung im Lande der späteren Worthsati („der auf Wurten Sitzenden"), dem heutigen Lande Wursten, erbrachte auf der dortigen Feddersen Wierde, Kr. Wesermünde, den Nachweis von Ackerbau, Viehzucht un(J handwerklicher Tätigkeit (zuletzt W. Haarnagel 1977; 1979 a—b). Plinius bemerkt über die Chauken ferner, daß sie nicht einmal mit wilden Tieren kämpfen könnten, da es in ihrer Umgebung kein Gesträuch gebe. Für den Fischfang flechten sie Stricke aus Sumpfgras und Binsen. Als Getränk diene ihnen Regenwasser, das sie vor ihren Häusern in Gruben aufbewahren. Die Chauken entwickelten sich offenbar zu einem aus mehreren Stämmen bestehenden Bund und griffen möglicherweise sogar auf die holsteinische Westküste über; häufig lesen wir in Berichten von ihren „nationes" oder „gentes". 164 Während auf „Inseln" zwischen den beiden äußeren Rheinmündungen Waal und Vlie neben Friesen u. a. auch Chauken saßen (Plinius, Nat. hist. 4, 101), wird es sich bei den später von Ptolemaios. (Geographica 2, 2, 8) in Irland erwähnten Kaukoi zumindest um einen Stammessplitter handeln, der sich von der festländischen Heimat entfernt hatte. Wir haben hier gewissermaßen schon den Aktionsradius vor uns, der später die Expansion der auch in Norddeutschland zunehmend ihr Gebiet erweiternden Sachsen kennzeichnet. Nordwärts der an der unteren Elbe siedelnden Langobarden folgen die durch Wälder und Flüsse geschützten Nerthusstämme, von denen Tacitus (Germ. 40) u. a. Reudigner, Avionen und Angeln sowie die bereits auf dänischem Gebiet anzusetzenden Eudosen nennt. Von diesen Stämmen weiß er im einzelnen nichts Bemerkenswertes zu berichten, außer daß sie gemeinsam Nerthus, d. h. die Mutter Erde, verehren, von der sie glauben, sie kümmere sich um die Angelegenheiten der Menschen und führe zu den Völkern. Auf einer Insel des „Ozeans" steht in einem heiligen Haine ihr geweihter, mit Stoff verhangener Wagen, den nur ein Priester berühren darf (s. S. 370f.). Von der Stammesliste, aus der hier nur die auf Schleswig-Holstein zu beziehenden Namen interessieren, erhielt Tacitus vermutlich durch den Semnonenkönig Masyos Kenntnis, der unter Kaiser Domitian nach Rom gekommen war. 165 Nach dieser Aufzählung waren die Reudigner den Langobarden benachbart (s. S. 39of.). Erstere sind etwa im östlichen Holstein anzusetzen. Die Avionen werden auf germ. *awjö-, „Insel", zurückgeführt, man vermutet sie auf den Nordfriesischen Inseln, jedoch ist auch die dänische Inselwelt als weitere Möglichkeit nicht auszuschließen. Angeln, ags. Ongel, d . h . „Winkel" (zwischen Flensburger Förde und- Schlei), dürfte als Landschaftsbezeichnung auf die Sitze der gleichnamigen, an die Ostsee grenzenden Völkerschaft hindeuten, deren Kern es bildete. Als im letzten Jahrhundert v. u. Z. ein großer Teil des im Zug.e der ersten subatlanti164 165

D a z u A . Genrich 1970, S. 72, 95, 108; 1972, S. 107, K a r t e 2 und S. 109f.; 1975/76, S. 134t. R . M u c h 1967, S. 443. V g l . die Hinweise A n m . 159; ferner H . J a n k u h n 1966, S. 3 0 6 f f , ; A . Genrich 1970, bes. S. g o f f . ; ders. 1975/76.

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sehen Meerestransgression (Dünkirchen IB) überschwemmten ehemaligen küstennahen Siedlungsgebietes Niedersachsens wieder landfest geworden war, ergaben sich daraus die natürlichen Voraussetzungen für eine erneute Landnahme des Menschen.166 So entstanden dort Häuser auf hoch aufgelandeten Priel- und Flußufern zunächst als Flachsiedlungen, die aber sehr bald durch höhere Sturmfluten, später durch die zweite subatlantische Transgressionsphase (Dünkirchen II), bedroht wurden. Dem begegnete man durch künstliche Aufschüttung sogenannter Wurten oder Warften (Taf. 56 b), die nach den sich verändernden Gegebenheiten weiter erhöht werden konnten. Sturmflutbänder an den Böschungen der Feddersen Wierde z. B. zeigen, daß hier die Notwendigkeit zum Wurtenbau im 1.-/2. Jh. gegeben war; die Auflassung dieser Anlage erfolgte wie bei anderen gleichartigen und -zeitigen im Gebiet der Jade-, Weser- und Elbmarschen im 5 - Jh. Auch in Schleswig-Holstein-hatte die Marsch zunächst nur vereinzelt durch menschliches Eingreifen wie Bebauung, Beackerung und Beweidung eine Änderung erfahren. Hier lagen die für die Anlage von Gehöften geeigneten Partien weit gegen das Meer vorgeschoben am äußeren Rande der alten Marsch, durch das versumpfte Sietland von der Geest getrennt. Hochgelegenen Uferwällen an Prielen gab man aucl> in den Flußmarschen den Vorzug, wie z. B. in Hodorf, Kr. Steinburg (W. Haarnagel 1937, S. 50). Während binnenwärts, im heutigen Niedersachsen, die Besiedlung durch die germanischen Stämme an der Nordsee inmitten des durch Ems, Weser und Elbe gegliederten, häufig von Mooren unterbrochenen Flachlandes — bis etwa in Höhe des Steinhuder Meeres — erfolgte, wirkt das Oberflächenrelief Schleswig-Holsteins besonders im Osten wesentlich unruhiger. Zwischen den beiden Küsten erstrecken sich dort drei Hauptbodenarten von Nord nach Süd, und zwar westlich ein im Mittel etwa 20 km breiter Marschengürtel entlang der Nordsee, gefolgt vom sandigen Geestrücken und schließlich von der an die Ostsee grenzenden Jungmoräne. Pflanzengeschichtlich ist die Strandwiesen-Vegetation der Küstenstreifen pollenanalytisch belegt. Offenbar mündeten damals in dichtem Abstand kleine Flußläufe in das Meer, wie Bohrungen in der Marsch zwischen Feddersen Wierde und Geest ergaben. Allgemein findet das küstennahe Eichen-Erlen-Gebiet in den Marschen und Hochmooren seine Begrenzung. Auf den armen Geestböden standen Eichen-Birken-Wälder (E. Lange 1971, S. 30 f. u. Karte 1), auf nassen Böden Erlen, auf den Geestrücken Eichen-, z. T. auch Eichen-Buchen-Wälder. Im Ostteil Schleswig-Holsteins herrschten kiefernarme Laubmischwälder vor. Aus der kartographischen Verteilung der einzelnen Fundpunkte ergeben sich für Schleswig-Holstein sowie für die westlich bis zur Wesermündung anschließende Küstenzone mehrere Siedlungsgebiete,167 deren Grenzsäume man sich analog zu Tacitus' Angaben dicht bewaldet vorstellen darf. Diese Siedlungsgebiete lassen sich in Siedlungskammern unterteilen, die aus jeweils geschlossenen Gruppen ungefähr gleichzeitiger Ansiedlungen bestehen, welche ihrerseits wiederum von fundleeren Zonen umgeben sind. 166

167

Vgl. im folgenden: A. Bantelmann 1967; W . Haarnagel 1950b, bes. S. 6 i f f . ; 1961a, S. 7 5 I ; 1963a, S. I 5 f f . ; H. Jankuhn 1966, S. 29off.; U. Körber-Grohne 1965, S. 161 f.; 1967; C. Schott 1955, bes. S. 25ff. Dazu neuerdings Bd. 2, S. 489f. und A b b . 139 sowie W. Haarnagel 1979a, S. l f . , 7 f f . und A b b . 18. A. Genrich 1970, bes. S. 96ff. und Karte A b b . 3, dort weitere Literatur; 1972 mit Karten 1 und 2; ders. zuletzt 1975/76, S. n ö f f . mit Karten Abb. 3 — 4; 1977, S. 5 i 5 f f -

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Hier darf man wohl auf kleinere, durch B e w e i d u n g und Holzeinschlag stärker gelichtete Waldbestände schließen. Abgesehen von zwei Siedlungsräumen im östlichen Holstein, die zum archäologischen Formenkreis von Fuhlsbüttel gehören und neuerdings denReudignern zugewiesen werden (s. S. 390f.), bildet weiter nördlich die L a n d s c h a f t Angeln zusammen mit dem bereits dänischen Sundewitt und vermutlich auch dem Südteil v o n Alsen wohl den Kernraum des gleichnamigen Stammes. A m E n d e des 2. Jh. verstärken sich die Verbindungen nach Fünen, wogegen Beziehungen zum Nordseeküstenkreis nur vereinzelt nachweisbar sind. Zu dieser „Anglisch-Südfünenschen" Gruppe gehören ferner Teile der auf dem Festland südlich angrenzenden Landschaft Schwansen (A. Genrich 1970, S. 108 ff. mit K a r t e A b b . 3; H. J a n k u h n , K . R a d d a t z o. J., S. 292Ü.). Nachdem Angeln am A n f a n g der Jastorfzeit eine größere Bevölkerungseinbuße erlitten hatte, begann eine entgegengesetzte, vermutlich aus Holstein und dem Elbemündungsgebiet herzuleitende Bewegung erst im jüngeren A b s c h n i t t der vorrömischen Eisenzeit. Sie orientierte sich zunächst punktförmig auf Sandinseln. Ausgrabungen in Süderbrarup, K r . Schleswig, ergaben, daß sich u m einen Siedlungskern durch Zunahme der Bevölkerung jüngere Ausbausiedlungen gruppierten. In nächster Nähe lag als kultischer Mittelpunkt das Thorsberger Moor 168 , in das man, von älteren Funden abgesehen, zwischen 400 v. u. Z. und 300 u. Z. Tongefäße gesenkt hatte, die vermutlich Trank- und Speiseopfer enthielten. E t w a seit dem 2. Jh. opferte man zusätzlich Teile der Tracht und W a f f e n . Gegenstände wie der Thorsberger Prachtmantel deuten in den jüngeren Phasen auf eine fürstliche Schicht, die bis dahin im Grabwesen kaum einen entsprechenden Niederschlag fand. Dennoch lassen bereits Gräber v o m Scheersberg bei Groß Q u e m , Gm. Q u e m , K r . Flensburg, durch die Mitgabe von Pferdegeschirr und Goldschmuck auf eine soziale Differenzierung innerhalb der Gemeinschaft schließen. D a auf den Urnenfriedhöfen Angelns die Zahl der Bestattungen im 2. und 3. Jh. ansteigt, macht sich offenbar auch von dieser Seite ein Landesausbau deutlich bemerkbar, dem eine Waldrodung vorausgegangen sein dürfte und der dann auch zur Besitznahme mittelschwerer Böden führte. A m Westrand dieser L a n d s c h a f t entstanden auf den dortigen Sanderflächen bzw. den sandigen Moränenhügeln Ansiedlungen von Menschen, die sich der Eisengewinnung zuwandten. Mehrere Siedlungsräume, vorwiegend Süddänemarks, gehören zum Oberjersdaler Formenkreis 1 6 9 , der sich, nach einem Friedhof Nordschleswigs benannt, spätestens im 3. Jh. auch auf die Nordfriesischen Inseln sowie das gegenüberliegende Küstengebiet nördlich der Eider erstreckt. Die Körperbestattungen der genannten Gruppe, die hinter den mit ihnen teilweise zu gemeinsamen Friedhöfen vereinten Brandgräbern zahlenmäßig zurücktreten, hatten Süd(Kopf)-Nord-Ausrichtung im Gegensatz z u den Beisetzungen Nord-, Mittel- und Ostjütlands, w o man Ost-West orientierte und die Gräber mit stärkerem Steinschutz versah. Einer unbedenklichen Zuweisung des Oberjersdaler Formenkreises z u den bei Ptolemaios nicht mehr erwähnten Avionen steht u. a. seine betont auf das Festland ausgerichtete Verbreitung im Wege.

168

Zur Quellengattung der Moorfunde s. S. 378 ff.

169

Z u m Forschungsstand, auch hinsichtlich der G r a b - und Bestattungssitten in den hier zu behandelnden Gebieten, s. F . Tischler 1956, S. 105 ff. D a z u wichtige Literaturnachträge F . Tischler 1965. Vgl. ferner A n m . 167 sowie P. Schmid 1976, S. 178 ff.

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Südwestlich davon schließen mehrere Siedlungsräume an, die sich entlang der Nordseeküste bis zur niedersächsischen. Wesermündung erstrecken und zur sogenannten Cuxhavener-Westholsteinischen Gruppe zusammengefaßt werden. Im schleswig-holsteinischen Bereich überwiegt die für dieses Land typische Urnenbestattung, während im zuverlässig chaukischen Gebiet um Cuxhaven neben Leichenbrandnestern vor allem Brandgruben- und Brandschüttungsgräber den Bestattungssitten ihr unterschiedliches Gepräge geben. Letztere finden wir auch weiter westlich bis hin zu den Friesen. Somit können sie bislang kein Kriterium für eine Abgrenzung einzelner, Stämme darstellen. Ähnliches gilt nach dem derzeitigen Forschungsstand für Hausbau und Siedlungswesen (G. Kossack 1966), obwohl gerade in den Marschenzonen die archäologischen Funde gut erhalten sind und daher wertvolle Einblicke auch in die damaligen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse gestatten. Am Schnittpunkt zweier wichtiger Handels- und Heerwege lag die zur CuxhavenerWestholsteinischen Gruppe gehörende Heidenschanze bei Sievern, Kr. Wesermünde (W. Haarnagel 1965). Um 50 v. u. Z. errichtet, wurde sie im Laufe von ungefähr 100 Jahren zwei- bis dreimal durch bauliche Maßnahmen verändert bzw. verstärkt. Ihr äußerer Wall umschloß eine Fläche von rund 10 ha, der innere ein Areal von 2 ha. Dieses fortifikatorische Werk wird wegen seiner Lage nicht nur als Basis zur Kontrolle der Schiffahrt gedient haben, sondern vor allem als geschützter Umschlagplatz verschiedenartigster Güter auch ein Zentrum gesellschaftlichen Lebens gewesen sein (zu den befestigten Siedlungen im nordseeküstengermanischen Gebiet vgl. neuerdings G. Mildenberger 1978, S. 37f., 75ff.). Fragt man nun weiter nach archäologischen Merkmalen, welche die niedersächsischen Landesteile enger mit den entsprechenden Gebieten an der Westküste SchleswigHolsteins zusammenschließen, so wird das Augenmerk auf die Keramik gelenkt (vgl. P. Schmid 1965). Eine seit der mittleren Jastorfzeit bestehende Formenverwandtschaft begegnet uns um den Beginn u. Z. nebst anderem in Gestalt verdickter und facettierter Gefäßränder, die wir aber auch über weite Gebiete Germaniens verbreitet finden. Hohe Eimer und Terrinen, oft durch Kanneluren verziert und besonders deutlich in Oxstedt, Kr. Land Hadeln, vertreten, sind neben plumpen Situlen, einer Weiterentwicklung der sogenannten Rettichgefäße, Leittypen dieser frühen Periode. Schulterriefen oder -rillen, die mitunter rechtwinklig nach unten ziehen, sind ein beliebtes Motiv der Oberjersdaler Gruppe. Verbindungen dorthin, die über die Brücke der Nordfriesischen Inseln bestanden, verloren noch im 1. Jh. u. Z. an Bedeutung. Während sich die Nordfriesischen Inseln in der Folgezeit kulturell verstärkt der Entwicklung in den genannten südjütischen Siedlungsräumen zuwandten, kam es zwischen Eider und Weser zur Ausbildung einer eigenen Formengruppe. Diese wiederum weicht von Erscheinungen im langobardischen Niederelbegebiet ab und unterscheidet sich trotz mancher, vorzugsweise in Gefäßprofilierungen sichtbaren Übereinstimmungen von den Formen im Rhein-Weser-Germanischen. Als kennzeichnende Keramik entstanden im Laufe des 1. Jh. sowie im 2. Jh. Standfußpokale, weitmündige Terrinen und Trichterschalen (Taf. 56 a, 57 a, c). Im Hinblick auf eine andersartige Umgebung können Ornamente in Gestalt von Strichbändern, schraffierten Dreiecken, Punktreihen, Hängebögen und Schulterwinkeln sowie deren Kombination als charakteristisch gelten. Während die Trichterschalen ihre Hauptvetl>reitung im 2. Jh. fanden, haben Töpfe, z. T. mit zwei schulterständigen Henkeln

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versehen (Tai. 57 b), bereits davor eine Entwicklung erfahren, deren Ergebnis gegen Ende des 2. Jh. und zu Beginn des 3. Jh. als Eddelaker Typ bezeichnet wird. Beigaben aus dem älteren Teil des Gräberfeldes vom Galgenberg bei Sahlenburg, Kr. Land Hadeln (K. Waller 1938, S. 27ff.), sowie die Siedlungen Feddersen Wierde, Kr. Wesermünde, und Hodorf, Kr. Steinburg, mögen hier stellvertretend für andere Beispiele stehen. Davon hebt sich das Gebiet zwischen Weser und Ems ab, von dem allerdings bisher vergleichsweise weniger Funde vorliegen. Im ostfriesischen Teil begegnet man häufig einer Keramik, die aus den nördlichen Niederlanden als sogenannte .friesische Ware' in die Literatur eingegangen ist 170 und deren Ausstrahlung bis in den Raum der Wesermün'dung hineinreicht. Neben Rauhtöpfen mit Tupfen- oder Dellen Verzierungen, wie sie ähnlich bereits für die sogenannte Harpstedter Gruppe der vorrömischeri Eisenzeit als charakteristisch gelten, waren Gefäße in Gebrauch, die wir schon aus dem Bereich der Küstenzone zwischen Weser und Eider gut kennen, ferner Formen aus dem RheinWeser-Gebiet. Auf derartige Keramik stieß man u. a. im Gräberfeld von Driefel, Gem. Zetel, Kr. Friesland (K. Michaelsen 1940, S. i8off.), sowie in den Siedlungen Jemgumkloster, Gem. Jemgum, Kr. Leer, und Einswarden, Gem. Nordenham-Einswarden, Kr. Wesermarsch. Die Wurt Jemgumkloster befindet sich ebenso wie die zu derselben Gemeinde gehörende Flachsiedlung Bentumersiel (PKN 12, 1977) bereits auf dem linken Ufer der unteren Ems. Während in den antiken Nachrichten die Chauken zwischen Ems und Elbe lokalisiert werden, würden im Gegensatz zu Ptolemaios die älteren Bemerkungen des Tacitus einer weiter nach Norden reichenden Ausdehnung nicht widersprechen. Dies um so weniger, als er an demselben „sinus" des Ozeans die Kimbern lokalisiert, die möglicherweise mit einer Gruppe an der Nordspitze Jütlands identisch sind. Auf diesen Gedankengängen baute A. Genrich (1970, S. 94f., S. 108) unter Berücksichtigung der bisherigen archäologischen Ergebnisse seine Hypothese auf, den südlich der Eider gelegenen Teil der schleswig-holsteinischen Westgruppe ebenfalls den Chauken zuzurechnen. Die Angliederung der Chauken an die erstmals von Ptolemaios in seiner Erdbeschreibung (2, 11, 7. 9. 16) Mitte des 2. Jh. erwähnten, östlich von ihnen auf dem „Nacken" der kimbrischen Halbinsel siedelnden Sachsen erfolgte wohl zumindest auch auf friedliche Weise. Von archäologischer Seite führten neuerdings Grabungen auf der Feddersen Wierde zu der Erkenntnis, daß gerade zu einer Zeit, in der eine kriegerische Eroberung des Gebietes durch die Sachsen eine solche Entwicklung eigentlich hätte unterbrechen müssen, eine Familie von ihrer ursprünglichen Stellung als Siedlungsvorstand zu einer von der sozialökonomischen Entwicklung her bestimmten Herrschaftsform mit priesterlichen Funktionen aufstieg. Von den Nerthusstämmen des Tacitus werden bei Ptolemaios die Reudigner und Avionen nicht mehr genannt; demnach scheinen sie bereits im Sachsenbund aufgegangen zu sein. Liegen über Größe, Form und Art der Ansiedlungen aus dem Bereich der schleswigholsteinischen Geest Teiluntersuchungen vor, wie z. B. von Westerohrstedt, Kr. Husum (H. Hinz 1954, S. Ö4ff.), und Archsum auf Sylt (G. Kossack, O. Harck, J. Reichstein 170

Zur Einführung in die römerzeitliche Archäologie der nordniederländischen Provinzen vgl. W. A . van.Es 1967a; P. Schmid 1969, S. i34ff., i 4 5 f f . ; J. N. Lanting, W . G. Mook 1977, bes. S. 171 ff.; H. T. Waterbolk 1979; s. auch Bd. 2, S. 492ff.

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1975, S. 299ff.), so werden diese durch Beobachtungen in Niedersachsen ergänzt. Sondierungen auf der Hohen Lieth ergaben in den Gemarkungen Midlum und Holßel, Kr. Wesermünde, Flächengrößen von 2,5 —10 ha (W. Haarnagel 1964b, S. 125 ff.). Hier führte die seewärts gerichtete Verlagerung der Küstenlinie zu einer deutlichen Neubesiedlung, welche auch die Wurt Feddersen Wierde (6 ha Fläche) einschließt. Geestsiedlungen wurden zumindest teilweise mehrfach verlegt, wie neuere Grabungen in Flögeln, Kr. Wesermünde (P. Schmid, W. H. Zimmermann 1976), und um den Gristeder Esch, Gem. Wiefelstede, Kr. Ammerland, im Oldenburgischen gezeigt haben (D. Zoller 1963, Abb. 1 ; ders. 1975. — Allgemein zum Siedlungswesen s. auch M. Müller-Wille 1977; P. Schmid 1978). Der Landesausbau macht sich besonders deutlich im Gebiet der Nordseemarsch bemerkbar, deren Besiedlung in Westfriesland bereits während der mittleren vorrömischen Eisenzeit durch Menschen beginnt, die wegen des zunehmend unfruchtbar werdenden Sandbodens das Moränengebiet der holländischen Landschaft Drenthe verließen. Weiter östlich verzögerte sich der Anfang dieser Kolonisation fortlaufend; er lag an der Küste Dithmarschens, im Bereich der Stör sowie in Eiderstedt (A. Bantelmann 1955; 1967, S. 26) um 100 u. Z. Eine Ausnahme bildet Wennemannswisch in Dithmarschen, wo man schon um den Beginn u. Z. zu siedeln anfing. So stellen sich die Siedlungsgebiete der ersten Jahrhunderte u. Z. als Ergebnis eines bereits im davorliegenden Jahrhundert einsetzenden Landesausbaues dar, der im Binnenland mit Rodungsvorgängen, im Nordseeküstengebiet mit Schutzmaßnahmen gegen die Unbilden des Meeres einherging. Als entscheidende Faktoren dieser Entwicklung wirkten der Stand der Produktivkräfte sowie die daraus resultierenden Produktionsverhältnisse, die es im folgenden Kapitel zu untersuchen gilt.

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Germanen — Bd. 1

434

MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM í.¡2.

JH.

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436

MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1./2. JH.

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LITERATURVERZEICHNIS

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438

MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1 . / 2 . JH.

Wegner, M. 1 9 3 1 : Die kunstgeschichtliche Stellung der Marcussäule. In: J d l 46, S. 61 — 174 Wenskus, R . 1 9 6 1 : Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes. Köln—Graz. Werner, J . 1 9 4 1 : Die beiden Zierscheiben des Thorsberger Moorfundes (Rom.-German. Forsch. 16). Berlin. — 1952a: Norrejyske broncebaelter fra jernalderen. In: Kuml, S. 133 — 143. — 1952b: Opus interrasile an römischen Pferdegeschirr des 1. Jahrhunderts. In: Beitr. z. ält. europ. Kulturgesch., Bd. 1 (Festschr. f. Rudolf Egger), S. 423 — 434. — 1962: Die Langobarden in Pannonien (Bayer. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse, Abh. N.F., H. 55A). München. — 1966: Das Aufkommen von Bild und Schrift in Nordeuropa (Sitzungsber. d. Bayer. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse, H. 4). München. Wild, J . P. 1968: Die Frauentracht der Ubier. In: Germania 46, S. 67—73. Wilhelmi, K . 1967: Beiträge zur-einheimischen Kultur der jüngeren vorrömischen Eisenund der älteren römischen Kaiserzeit zwischen Niederrhein und Mittelweser (Bodenaltertümer Westfalens 11). Wol^giewicz, R . i960: Osada i gr6b z okresu rzymskiego wCedyni nad Odrq,. In: Materialy Zachodnio-Pomorskie, Bd. 6, S. 97 — 158. — 1963: Oblicze kulturowe osadnictwa Pomorza zachodniego u progu naszej ery. In: Munera Archaeologica Josepho Kostrzewski, S. 291—314. — 1974: Zagadnienie stylu wczesnorzymskiego w kulturze wielbarskiej. In: Studia archaeologica Pomeranica, Koszalin, S. 129 —152. Wol^giewiczowie, M. D., u. R . 1964: Uz brojenie ludnosci Pomorza Zachodniego u progu naszej ery. In: Materialy Zachodnio-Pomorskie 9, 1963, S. 9—166. Zeman, J . 1956: Drevenä vedirka doby rimske a otäzka jejich dalsiho vyvoje. In: Pamätky archeologicke 47, S. 86—104. Zippelius, A. 1953: Das vormittelalterliche dreischiffige Hallenhaus in Mitteleuropa. In: B J B 153, S. 1 3 - 4 5 . Zoller, D. 1963: Die Ergebnisse der Grabung auf dem Gristeder Esch, Kreis Ammerland, in den Jahren 1960—1961. In: Neue Ausgr. u. Forsch, in Niedersachsen 1, S. 132 — 1 5 1 . — 1975: Die Ergebnisse der Grabung Gristede, Kreis Ammerland, 1971 — 1973. In: Neue Ausgr. u. Forsch, in Niedersachsen 9, Hildesheim, S. 35—57. Zotz, L. F. 1942: Die germanischen Brunneneimer. In: Altschles. Bl. 4, S. 158 — 1 6 1 .

XI.

Die wirtschaftliche Entwicklung im 1. und 2. Jahrhundert1

Im Gegensatz zur Vielfalt und Differenziertheit der germanischen Stammesgeschichte zu Beginn u. Z. ist die wirtschaftliche Entwicklung wesentlich einheitlicher verlaufen. Neuerungen und Weiterentwicklungen, oft durch Kontakte mit sozialökonomisch fortgeschritteneren Gesellschaften aufgenommen oder angeregt, kamen im Laufe der Zeit allen Stämmen zugute. Zeitweilig gewannen durch derartige Kontakte einige Stämme einen gewissen Vorsprung in ihrer Entwicklung. Das waren in den Jahrhunderten vor Beginn u. Z. Stämme im Süden und Südwesten des zu dieser Zeit von germanischen Stämmen besiedelten Territoriums, die direkte Beziehungen zu keltischen bzw. stark keltisierten Bevölkerungen unterhielten, und in den ersten Jahrhunderten u. Z. Stämme in der Nachbarschaft der römischen Sklavereigesellschaft. Einflüsse von dieser. Seite, vor allem durch den römischen Handel entlang der Küste, haben vermutlich beigetragen, daß auch die germanischen Stämme an der Nordseeküste während der ersten Jahrhunderte u. Z. einen Vorsprang in der Entwicklung ihrer Arbeitsproduktivität erlangen konnten. Bei den ebenfalls im Vorfeld der römischen Besatzungsgebiete lebenden Stämmen zwischen Rhein und Weser scheint die Entwicklung ihrer Produktivkräfte bis zur 2. Hälfte des 2. Jh. wesentlich langsamer verlaufen zu sein und zeitweilig fast stagniert zu haben. Das findet seine Erklärung in den ständigen und harten kriegerischen Auseinandersetzungen dieser Stämme mit den römischen Invasoren. Zwar brachten die Auseinandersetzungen des 1. und 2. Jh. den beteiligten germanischen Stämmen manches Beutestück, sie hemmten aber offenkundig die Entwicklung ihrer Produktivkräfte. Die infolge der historisch-konkreten Berührungen und Beziehungen sowie durch weitere Faktoren entstehenden Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung germanischer Stämme und Stammesgruppen erreichten noch nicht eine solche Stärke, daß sie divergierende Sonderentwicklungen begründeten. Im Gegenteil, sie förderten die Ökonomik aller germanischen Stämme. Deshalb kann in den folgenden Abschnitten ihre wirtschaftliche Entwicklung unter Berücksichtigung bestehender lokaler Unterschiede zusammenfassend dargestellt werden. 1

Zur wirtschaftlichen Entwicklung der germanischen Stämme im Mittelelb-Saale-Gebiet vgl. detailliert H. Grünert 1967; "zusammengefaßt ders. 1968a; 1969a.

440 l.

WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG IM 1 . / 2 . JH.

Die

Nahrungsmittelproduktion

Pflanzenanbau und Viehwirtschaft bildeten bei den germanischen Stämmen zu Beginn u. Z. in einem solchen Grade die Grundlage der gesamten Wirtschaft, daß sich der überwiegende Teil der Bevölkerung unmittelbar damit befaßte. Im Vergleich mit der weitgehend auf Ausbeutung beruhenden, auf die Warenproduktion gerichteten römischen Landwirtschaft erscheint die im Rahmen gentiler Kollektive fast ausschließlich zu deren Eigenversorgung betriebene germanische Wirtschaft allerdings primitiv. Das erklärt abwertende Urteile Cäsars (Bell. Gall. 4, 1; 6, 22, 2g)2 und des Pomponius Mela (Chorographia 3, 27) über die germanische Landwirtschaft, die in der Behauptung von Strabon (Geographica 7, 291) gipfelten, die Sueben-Stämme betrieben überhaupt keinen Pflanzenanbau, sondern lebten ausschließlich von der Viehwirtschaft. Im Gegensatz zu derartigen Aussagen wußten die Römer sehr wohl um die Bedeutung der landwirtschaftlichen Produktion für die germanischen Stämme. Trotz Vorbehalten berichtet Tacitus, das Getreide gedeihe gut, und Haustiere seien zahlreich (Germ. 5). Deshalb zielten viele römische Kriegszüge und Strafexpeditionen darauf ab, die Ernte auf dem Halm (Cäsar, Bell. Gall. 4, ig) oder in den Speichern zu vernichten, die Saat- oder Erntearbeiten zu behindern oder Vieh wegzutreiben. In den Auseinandersetzungen der germanischen Stämme untereinander versuchte man ebenfalls, den Gegner beim Anbau zu stören (vgl. Cäsar, Bell. Gall. 4, 1) und seine Produkte zu rauben oder zu vernichten. Angesichts der Bedeutung der Landwirtschaft in der Ökonomie der Stämme ist es verständlich, daß sich deren Zweige in den kultisch-religiösen Vorstellungen widerspiegelten (s. S. 368). a) Pflanzenanbau, Ernte, Speicherung und Verarbeitung Anbaugebiete: Die Ansiedlungen der germanischen Stammesbevölkerung lagen auf unterschiedlichen Böden. In einigen nördlichen Landschaften wurden seit den letzten Jahrhunderten v. u. Z. die Siedlungsgebiete auf den leichten Böden der Altmoräne und den Sandern weitgehend aufgegeben. Während die Kimbernstämme neues Land noch in der Ferne gesucht hatten, begannen andere Stämme die Neubesiedlung der schwereren jungglazialen Moränenböden aus Geschiebemergel und -lehm im Osten von Jutland und Schleswig-Hostein, im Nordwesten von Mecklenburg sowie in anderen Teilen des nördlichen Mitteleuropas. Seit der gleichen Zeit wurden die Nordseemarschen besiedelt und auch nach erneuten Transgressionen seit etwa der Wende vom 1. zum 2. Jh. durch Errichtung und ständige Erhöhung von Wurten als Dauersiedlungen behauptet. In den innergermanischen Altsiedelgebieten, besonders im Verbreitungsgebiet der Jastorf-Gruppen, blieben die vielfach mittelschweren, teilweise auch, leichteren Böden in den Tief- und Mittelgebirgsvorländern die bevorzugten Siedlungsareale. Lößgebiete sowie Höhen über 300 m wurden weiterhin gemieden oder nur ausnahmsweise und unter 2

3

Vielfach handelt es sich bei diesen Aussagen um vorgefaßte Meinungen, um Topoi, die „Barbaren" gegenüber schematisch angewendet wurden. Bearbeitet mit Unterstützung von A . Koppe (Bereitstellung publizierten Materials aus dem Gebiet der Nordseeküstengermanen), H. Berlekamp (Hinweise auf rhein-wesergermanische Befunde) und E. Lange (Beratung über paläoethnobotanische Fakten).

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besonderen Bedingungen zur Ansiedlung gewählt. Sandig-trockenem Untergrund von teilweise nur geringer Mächtigkeit über anstehenden schwereren Bodenarten gab man für die eigentlichen Siedlungsstandorte den Vorzug. Die günstige Lage an wasserreichen Bächen, Flüssen oder Seen war eine allgemeine Voraussetzung für die Anlage von Siedlungen. Die Siedler bevorzugten von der Bodenart her reich gegliederte Landschaften oder auch Grenzgebiete zwischen verschiedenen Bodenarten, weil deren unterschiedliche Biotope die natürliche Wirtschaftssphäre der Siedlungen bereicherten. Daß Rodungen zum weiteren Ausbau des Siedlungsraumes \ind zur Erschließung neuer Siedlungsgebiete stattfanden, ist in den nördlichen Stammeszentren durch die einsetzenden Fundkonzentrationen auf den vorher von eichenreichen Wäldern bedeckten Böden der Jungmoräne belegt. Darauf weist auch der Name der von Tacitus (Germ. 40) nördlich der Langobarden genannten Reudigni hin. In Innergermanien wurden viele der bereits seit der vorrömischen Eisenzeit bewohnten Gebiete weiterbesiedelt. Hier kam es bei der Verlegung und Neuanlegung von Siedlungen in engen Räumen zum Binnen ausbau und zu randlichen Erweiterungen der Siedlungskammern, was in den gelichteten Wäldern keine so großen Schwierigkeiten bereitete. Rodungen großen Stils setzten erst in der 2. Hälfte des 2. Jh. ein. Die Rodung von Wäldern geschah vermutlich vor allem durch Niederbrennen vorbereiteter Bestände und den Einsatz eiserner Werkzeuge. 4 Obwohl also technisch zu bewältigen, wurde die Rodung offenbar nach Möglichkeit vermieden. Die antiken Autoren berichten, daß viele der germanischen Wanderzüge mit Mangel an Anbauland motiviert w«urden, obwohl genügend Flächen durch Rodungen hätten gewonnen werden können, und Wanderungen auf offene Gefilde zielten. Kulturpflanzen: Unter den in den germanischen Stammesgebieten angebauten Pflanzen (vgl. bes. U. Willerding 1970, S. 287ff.; E. Lange 1971a) stand Getreide im Vordergrund. Originalzeugnisse in Form pflanzlicher Großreste und deren indirekter Nachweis durch Abdrücke, ferner Pollenniederschlag und Überlieferungen antiker Autoren'belegen den Anbau von Gerste, der in den Siedlungen an der Nordseeküste bevorzugt betrieben worden zu sein scheint. Weizen spielte dort eine untergeordnete Rolle, besaß aber bei den innergermanischen Stämmen vermutlich eine größere Bedeutung. Er wurde in Form kleinkörniger Spelz- (bes. Emmer) und, vermutlich seltener, als Nackt-(Weich-)Weizen angebaut. Auch Hafer ist bezeugt. An der Nordseeküste hat ihn offenbar Plinius kennengelernt und so bemerkenswert gefunden, daß er sich ausführlich — aus römischem Blickwinkel abwertend — darüber äußerte und Haferbrei als die typische Speise der Germanen bezeichnete (Nat. hist. 18, 44). Rispenhirse konnte nur. vereinzelt nachgewiesen werden. Roggen ist ausgesprochen selten, seiner Kultur hat man bei den germanischen Stämmen zwischen Rhein und Oder zu Beginn u. Z. offenbar noch keine große Bedeutung beigemessen (E. Lange 1971a, S. 6off.). Unter den Hülsenfrüchten ist die Ackerbohne vertreten, deren reichliches Vorkommen in den Siedlungen an der Nordseeküste schon Plinius (Nat. hist. 18, 121) bemerkt und 4

Eiserne Rodegeräte aus dem 1. und 2. Jh. kennen wir bisher nicht, obwohl durch die q u a n t i t a t i v und q u a l i t a t i v verbesserte Eisenproduktion die Voraussetzung für ihre A n fertigung bestand. Allerdings ist zu bedenken, d a ß sie nicht zur G r a b a u s s t a t t u n g gehörten, Siedlungsaufschlüsse selten sind und unbrauchbar gewordenes Eisengerät umgeschmiedet werden konnte.

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hervorgehoben hat. Größere Mengen von Bohnenstroh und anderen Druschresten in der Siedlung Feddersen Wierde lassen erkennen, daß die Bohne neben Hafer und Gerste feldmäßig angebaut wurde (U. Körber-Grohne 1967, S. 8gff., i74ff.). Erbsenanbau ist in der dänischen Siedlung Malle Hede archäologisch belegt (G. Hatt 1938, S. 250). Die Kultur von Lein (Flachs) und Leindotter ist aus den Siedlungen im Küstengebiet besonders häufig bezeugt. Lein diente als Rohstoff für die Textilerzeugung und als Ölpflanze. In Feddersen Wierde hat die Fasernutzung aber offenbar nur eine geringe Rolle gespielt (U. Körber-Grohne 1967, S. 147 ff.). Rückstände davon, sogenannte Scheben, traten zwar zutage, doch zeigen größere Mengen ganzer Stengel, daß man nur wenig Lein zur Fasergewinnung verwendete. Dafür spricht auch, daß keine Leinengewebe, sondern nur geringe Beimengungen von Flachsfasern in Schnüren erkannt wurden und daß es nur ganz vereinzelt archäologische Nachweise von Leinengeweben aus den ersten Jahrhunderten gibt.5 Dagegen haben die antiken Autoren mehrfach die Wertschätzung von Leinenkleidern bei germanischen Frauen6 sowie die Verwendung von Leinentüchern bei Kulthandlungen (Tacitus, Germ. 10; Strabon, Geographica 7, 294) hervorgehoben, so daß trotz der bescheidenen archäologischen Nachweise die Nutzung des Flachses als Faserrohstoff wahrscheinlich bleibt. Dem Lein kam als Ölpflanze offenbar eine größere Bedeutung zu. Dafür sprechen u. a. die in Feddersen Wierde gefundenen Druschreste, ferner Leinsamenreste, teilweise kuchenartig zusammengepreßt, in der Siedlung Westerohrstedt, Kr. Husum (H. Hinz 1954 a, S. 207), sowie Leinsamen im Magen-Darm-Trakt der aus teils etwas älteren, teils jüngeren Zeiten herrührenden Moorleichen von Tollund und Grauballe.7 Einen weiteren Anhaltspunkt liefert der seit der Bronzezeit im nördlichen Mitteleuropa ausgeübte Anbau von Leindotter (J. Schultze-Motel 1971, S. 209L), der sich nicht als Faserpflanze eignete, aber wegen seiner frühen Reife und vor allem wegen seines hohen Ertrages und des Ölgehalts seiner Samen geschätzt war. Stroh und Samenschötchenreste von Leindotter in Feddersen Wierde (U. Körber-Grohne 1967, S. 168 ff.) sowie Samen im MagenDarm-Inhalt von Moorleichen8 erhärten die Meinung von der Verwendung der ölhaltigen Samen. Ob das Öl allerdings bereits ausgepreßt wurde, bleibt fraglich. Feddersen Wierde erbrachte auch Früchte und Samen des blaufärbenden Waids (U. Körber-Grohne 1967, S. 180 ff.), der seit der Mitte des letzten Jahrhunderts v. u. Z. bereits mehrfach belegt werden-konnte.9 Bisher ist jedoch nicht gesichert, ob ein Anbau erfolgte oder ob Wildpflanzen gesammelt wurden. Im Falle des Anbaus wäre Waid die einzige nicht für Nahrungszwecke kultivierte Pflanze gewesen. Für den Anbau weiterer Pflanzen, vor allem solcher, die intensiverer Pflege bedurften, 5

6 7 8

9

Der einzige Leinenrest aus den germanischen Stammesgebieten der ersten beiden Jahrhunderte stammt u. W . aus dem reichausgestatteten Brandgrab (Grab 150) eines Bewaffneten von Putensen, Kr. Harburg (W. Wegewitz 1972, S. 288ff., Taf. 189ff.). Seit dem 3. J h . sind Leinennachweise häufiger. Plinius, Nat. hist. 1 9 , 7 ; auch Tacitus Germ. 17, und Strabon, Geographica 7, 294. H. Helbaek 1 9 5 1 a , S. 3 i i f f . , bes. S. 3 2 6 ; ders. 1959, S. 83ff., bes. S. 85. Vgl. Anm. 7. Leindottersamen, möglicherweise aber von Wildpflanzen, auch im D a r m inhalt der 1946 gefundenen Moorleiche von Borremose: J . Brandt 1 9 5 1 , S. 3 4 2 f f . Nachweise bei U. Körber-Grohne 1967, S. 180 ff.; vgl. auch Nachweise in nordjütischen Siedlungen aus den ersten Jahrhunderten u. Z . : K . Jessen 1 9 5 1 , S. 3 2 f . Die Keltenstämme Britanniens verwendeten den Waid zur Kriegsbemalung (Cäsar, Bell. Gall. 5, 14).

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besteht in den ersten beiden Jahrhunderten u. Z. wenig Wahrscheinlichkeit. Auch mit dem Obstbau haben sich nach Tacitus (Germ. 26, auch 5) die Germanen nicht befaßt. Bodenbearbeitung und Anbaumethoden: Als Hauptinstrument für den Getreideanbau diente der Pflug, der in Gestalt einfacher hölzerner Hakenpflug-Typen 10 spätestens seit dem Ende des 3. Jahrtausends v. u. Z. in Mitteleuropa bekannt war und der vor allem aus dem 2. und 1. Jahrtausend v. u. Z. durch Originalfunde (Abb. 9 u. 20), bildliche Darstellungen und Arbeitsspuren belegt ist (vgl. P. V. Glob 1951; M. Müller-Wille 1965, S. 108ff.). Um die Wende u. Z. brachten die Stämme des Mittelelbgebietes als technische Neuerung eiserne Beschläge an, die das hölzerne Schar vor zu schneller Abnutzung schützten. Diese Bewehrungen — erhalten geblieben ist u. a. ein Fragment aus der elbgermanischen Siedlung von Riesa-Gröba (A. Mirtschin 1933, S. 164, Abb. 150 u und 148, 76; J. Kretzschmar 1941, S. 45ff.) — erhöhten jedoch die Intensität der Bodenbearbeitung nur unwesentlich. Die Hakenpflüge ließen sich weiterhin nur auf mittleren und leichten Böden erfolgreich einsetzen und rissen diese lediglich zur Lockerung der oberen Schichten auf. Für eine ausreichende Bodenlockerung mußte man den Hakenpflug in mindestens zwei kreuzweise verlaufenden Pfluggängen einsetzen. Spuren dieser Arbeitsweise konnte man mehrfach bei Ausgrabungen beobachten (Taf. 7 b). So traten beispielsweise in Holßel, Kr. Wesermünde, auf einer Fläche von 50 X 25 m Pflugspuren in zwei sich kreuzenden Richtungen zutage, die in das 1. Jh. v. u. Z. datiert werden (P. Schmid 1955, S. 125). Die fast quadratische Blockform, die wir bei vielen der im Norden überkommenen alten Ackerfluren beobachten können, begünstigt besonders das kreuzweise Pflügen und ist geradezu ein indirekter Hinweis auf diese Bearbeitungsmethode. Ein einmaliger Pfluggang genügte in leichten Böden bei Furchensaat oder dann, wenn es gelang, nicht nur Furchen aufzureißen, sondern den Boden auf eine Seite zu werfen bzw. ganze Erdschollen umzuwenden. Einen solchen Effekt konnte man in leichten bis mittleren Böden mit dem schräg gehaltenen Hakenpflug erzielen. Von vornherein zur Schollenwendung bestimmt ist der Pflug mit einseitig feststehendem Streichbrett, auf das die Erdschollen auflaufen und umstürzen, doch ist es noch nicht gesichert, ob dieses Gerät den germanischen Bauern bekannt war. Plinius teilte in seinen anschaulichen Beschreibungen der vorhandenen Pflugformen u. a. mit, daß nicht lange vor seiner Zeit in Rätien eine entwickelte Pflugform mit Radvorgestell aufgekommen sei. 11 Aus den germanischen Stammesgebieten der ersten Jahrhunderte u. Z. sind weder Pflüge bekannt, noch gibt es literarische Überlieferungen, aus denen sich deren Konstruktion erkennen ließe. Die wenigen aus dieser Zeit stammenden eisernen Scharbeschläge zeigen — soweit infolge Abnutzung und Korrosion überhaupt auswertbar — weder eine asymmetrische Gestalt noch Anzeichen einer solchen Abnutzung, wie sie durch ständige Schräghaltung entstanden wäre. Auch Zusatzgeräte, wie vor allem eiserne Vorschneidmesser (Kolter oder Sech), konnte man bisher aus den germanischen Eisenfunden der ersten beiden Jahrhunderte noch nicht zweifelsfrei aussondern. Dafür weisen 10

11

Abweichend von der noch auf einen engen Kreis von Spezialisten beschränkten und unter diesen diskutierten Pflugterminologie werden umgangssprachlich, verbreitete Begriffe benutzt. Plinius, Nat. hist. 18, I72f. In der Beschreibung, die viele konstruktive Merkmale und auch das Radvorgestell erwähnt, ist gerade das Streichbrett nicht gesondert genannt.

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Arbeitsspuren, die man in Grabungsprofilen inzwischen mehrfach entdeckte (Taf. 7a), 12 darauf hin, daß man in den küstennahen Gebieten südlich der Nordsee seit den letzten Jahrhunderten v. u. Z. wenigstens vereinzelt schon Verfahren anwandte, beim Pflügen den Boden auf eine Seite zu werfen. Vielleicht erleichterte gerade diese fortgeschrittenere Anbautechnologie die Wiederbesiedlung der schwereren Böden in Teilen Ostjütlands und Angelns.

Abb. 1 1 4 . a Eisernes Erntegerät (Haumesser oder Sichel?) mit .einseitigen Schaftlappen von Körchow, Kr. Hagenow; 1. Jh. 1:4. Mus. Schwerin. b Hölzerne Ziehharke aus dem Opfermoor von Thorsberg bei Süderbrarup, Kr. Schleswig (BRD). 1:24 (nach C. Engelhardt 1863, Taf. 16,4).

Als Zugtiere für den Pflug und ebenso für Wagen dienten Rinder (Ochsen), die sich durch stetige Arbeitsleistungen auszeichnen. Ihre Schirrung im hölzernen NackenDoppeljoch (Abb. 21) ist durch dessen Originalfunde in Mitteleuropa seit dem Neolithikum belegt und auch für die ersten Jahrhunderte u. Z. bezeugt.13 Die Verwendung von Eggen zum Zerkleinern der Schollen und zum Einscharren des Saatgutes bestätigt uns für das 1. Jh. ein radiocarbondatierter Fund von Dorregeest, Nordholland (J. M. G. van der Poel 1966, S. 167, Abb. 2). Große starke Harken (Zieh12

13

Aus dem l . J h . v.u.Z. von der Basis der Wurt Feddersen Wierde unter sandigen Sturmflutsedimenten (W. Haarnagel 1961, S. 43, 45, Taf. 17,2; U. Körber-Grohne 1967, Taf. 7a, 8b); unter Siedlungsschichten des 2. Jh. von Ostermoor bei Brunsbüttelkoog, Kr. Süderdithmarschen (A. Bantelmann i960, S. 6of.); aus dem 2. J h . von Brabers (Haamstede) auf Schoewen, Prov. Zeeland (W. C. Braat 1957, S. 88, Taf. 1 8 , 1 ; 19,2). — Dem schollenwendenden asymmetrischen Pflug wurden von A. E . van Giffen Pflugspuren unter einem von ihm ausgegrabenen Grabhügel des 4-/3. J h . v. u. Z. von Oudemolen (Vries, Prov. Drenthe) zugesprochen (J. Pätzold i960, S. 203). Diese Deutung überzeugt jedoch nicht völlig. Unterlübbe, Kr. Minden-Lübbecke: Hälfte eines geschnitzten Nacken-Doppeljochs von einem Fundplatz des rhein-weser-germanischen Formenkreises aus dem 1. J h . u. Z. (Eggers Stufe B J , erwähnt in: Bodenaltertümer Westfalens 7 (1950), S. 85 (Fundchronik).

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harken), die ähnlichen Zwecken dienten, sind aus dem Opferfund von Thorsberg (Abb. 114b) 14 und von einigen anderen Plätzen bekannt. Auch Holzspaten, die im Gartenbau, für Beetäcker und Zwecke außerhalb der Landwirtschaft benötigt wurden, sind — u. a. in Feddersen Wierde 15 — vertreten. Wann Methoden der Bodenverbesserung aufkamen, ist noch umstritten. Obwohl sich die Germanen nach Tacitus (Germ. 26) nicht um die Bodenfruchtbarkeit gemüht haben sollen, waren ihnen entsprechende Maßnahmen nicht völlig unbekannt. Die in Kontakt mit Galloromanen und Römern lebenden Ubier rigolten ihre Äcker angeblich drei Fuß tief und mergelten sie (Plinius, Nat. hist. 17, 47). Möglicherweise gehen grabenartige Gruben, die man am Rande der von fossilen Pflugspuren gekennzeichneten Felder unter der in das 2. Jh. datierten Siedlung von Ostermoor entdeckte, darauf zurück, daß die Bewohner hier kalkreiche Wattsedimente entnahmen (A. Bantelmann i960, S. 58ff.). Ähnliche Gruben gibt es bei Altäckern aus Angeln (H. Jankuhn 1958a, S. 193ff., bes. S. 203f.). In Feddersen Wierde wurde für die fossilen Äcker ein zum Unterschied von nicht beackertem Land höherer Humusgehalt festgestellt (U. Körber-Grohne 1967, S. 207ff.) und braun gefärbter Humus zwischen umgebrochenen Schollen des 1. Jh. v. u. Z. (vgl. Taf. 7) mit Vorbehalt als verrotteter organischer Dünger angesprochen (W. Haarnagel 1961, S. 47; vgl. auch H. Jankuhn 1958a, S. 203!). Jedoch ist diese Deutung nicht sicher, und die bei der Aufhöhung der Wurten mit verwendeten dicken Mistlagen bzw. liegengebliebener Stapelmist beweisen, daß man der natürlichen Düngung keinesfalls eine besondere Bedeutung beigemessen haben kann. Ebensowenig ist das Verfahren der Plaggendüngung zu Beginn u. Z. gesichert, zumindest aber dienten Plaggen (Soden) seit den letzten Jahrhunderten v. u. Z. gelegentlich als Baumaterial und zur Aufhöhung von Wohnhügeln. Weitere Arbeitsgänge des Pflanzenanbaus können wohl an Hand der technologisch determinierten Grundprozesse erschlossen und mittels ethnographisch erfaßter Arbeitsabläufe beispielhaft veranschaulicht werden, entziehen sich aber der archäologischen Bestätigung. Dazu gehört die Aussaat, bei der neben dem Verfahren der Breitsaat auch an das Saatgut sparende und Pflegearbeiten begünstigende Einbringen der Körner in die letzte Pflugritzfurche zu denken ist. Über die Aussaattermine bestehen noch Unklarheiten. Da außer Hirse, die im Frühjahr in den Boden gebracht werden muß, und Hafer, der schon frühzeitig als Sommerfrucht auftritt, die urtümlichen Landsorten von Gerste und Weizen Wechselgetreideeigenschaft haben, da Herbstsaat keine Saatgutlagerung erfordert und in der Regel größere Erträge bringt, möchte man die Aussaat im Herbst als das übliche Verfahren ansehen. Dem entspricht, daß Plinius eine Frühjahrsaussaat zur Behebung von Auswinterungen bei den belgischen Treverern als so bemerkenswert empfand, daß er diese Art mit genauer Jahresangabe niederschrieb (Nat. hist. 18, 183). Wegen der besonderen Gefährdung der Marschensiedlungen durch Wintersturmfluten ist hier vorwiegend Sommerfeldbau zu vermuten, was auch durch die Interpretation botanischer Analysen gestützt wird (U. Körber-Grohne 1967, S. 45f.).

14

C. E n g e l h a r d t 1863, T a f . 16,4. D i e Datierung ist nicht gesichert. Die Mehrzahl der Opferfunde gehört in einen Zeitraum v o m 4. Jh. v . u. Z. bis 4. Jh. u. Z. Landwirtschaftliche Geräte und P r o d u k t e wurden aber allgemein vor dem 2. Jh. u. Z. geopfert.

15

Spaten und spatenähnliches Gerät aus Eschenholz erwähnt bei U . Körber-Grohne S. 29.

1967,

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Anbausystem und Eigentumsverhältnisse: Da extensiv betriebener Getreideanbau die Bodenfruchtbarkeit rasch erschöpft und zum Wechsel auf Neuland oder regenerierte Böden zwingt, läßt sich die durch das archäologische Quellenmaterial erwiesene konstante Besiedlung einzelner Siedlungskammern beim erreichten Entwicklungsstand der Produktivkräfte am besten durch ein System erklären, in dem Anbau- und vermutlich längere Bracheperioden abwechselten. Die Frage, ob es sich dabei noch um die urtümliche (wilde) Feldgraswirtschaft gehandelt hat, bei der ständig neues Anbauland gerodet oder aus einer größeren Reserve an Brachland entnommen wurde, in die das aufgelassene Anbauland jeweils wieder einging, oder ob bereits Erfahrungen mit günstig aufeinanderfolgenden Anbaupflanzen und mehrjährigem Anbau vorlagen, läßt sich noch nicht beantworten. Für weite Teile besonders der innergermanischen Stammesgebiete entsprach die Feldgraswirtschaft beim damaligen Stand der Produktivkräfte insofern den natürlichen Bedingungen, als die sich ansiedelnde Bracheflora die Regeneration der Bodenfruchtbarkeit begünstigte. Außerdem kam die Feldgraswirtschaft den Bedürfnissen des mit Viehhaltung kombinierten Pflanzenanbaus entgegen. Die Brachen bildeten Weideflächen und Futterreserven für das Vieh. Durch den Viehauftrieb wurden sie vom Gehölzbewuchs freigehalten und in bescheidenem Maße gedüngt, durch das Wühlen der Schweine überdies vor zu starker Wurzelverflechtung bewahrt. Das System einer Feldgraswirtschaft erfährt durch die Hinweise der antiken Autoren eine weitere Bestätigung. Eindeutig scheint in dieser Hinsicht die in der Frage der Eigentumsverhältnisse heiß umstrittene Überlieferung des Tacitus (Germ. 26), wonach die Saatfelder jährlich gewechselt wurden16 und die Verteilung leicht war, weil es sich um große Landstücke handelte, von denen Teile brach blieben (superest ager). Die Voraussetzungen waren jedoch nicht in allen germanischen Stammesgebieten gleich. Im Nordwesten und Norden Mitteleuropas wirkte sich die auf den Sandböden gedeihende Vegetation der Bracheflächen nicht so günstig auf die Bodenregeneration aus. Im Gegenteil, hier konnten in landwirtschaftliche Nutzung genommene Flächen durch Vernichtung der natürlichen Vegetation so in ihrem biologischen Gleichgewicht gestört werden, daß sie infolge Podsolierung als landwirtschaftliche Nutzfläche ausfielen und nur noch eine Heidevegetation hervorbrachten. Im Küstengebiet eigneten sich überhaupt nur hochgelegene Teile der Uferwälle und natürliche Bodenwellen zur Anlage von Äckern, wobei der Austausch mit den Marschenweiden nicht möglich war. Die Marschen boten außerdem so reiche natürliche Futterbedingungen für das Vieh, daß man nicht brachliegende Äcker als Weide zu nutzen brauchte. Unter solchen Bedingungen strebten die Menschen durch intensivere Formen der Bewirtschaftung einen längerfristigen Anbau auf den geeigneten Ackerflächen an. Die in den letzten Jahrzehnten in den nordwestlichen und nördlichen Gebieten nachgewiesenen alten Ackerfluren (M. Müller-Wille 1965) mit teilweise unterteilten Äckern sind wertvolle Belege dafür, daß man vermutlich durch Stöckeroden und Absammeln der Steine, vielleicht auch durch gelegentliche Düngung und andere Maßnahmen den Boden intensiver bearbeitete. Grund und Boden befanden sich bei den germanischen Stämmen zu Beginn u. Z. noch in Gemeineigentum, und dieses entscheidende Produktionsverhältnis bestimmte die gesellschaftlichen Beziehungen. Das Gemeineigentum trat in zweifacher Form auf: 16

arva per annos mutant; vgl. dazu R. Much 1967, S. 3 3 5 .

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einerseits als Eigentum der Siedlungsgemeinschaften, vielleicht noch in der traditionellen Sippenstruktur, an den als Äcker, Brachen und Waldrandzonen unmittelbar genutzten Wirtschaftsterritorien und andererseits als Stammeseigentum. Dieses bildete normalerweise ein geschlossenes Territorium. Es erstreckte sich unter Einbeziehung der Ödländer zwischen den Siedlungsgemarkungen bis an die Grenzgürtel zu anderen Stämmen und schloß in einer Art „Obereigentum" die Wirtschaftsareale der Siedlungsgemeinschaften ein, weil diese nur durch die Existenz des Stammes und seiner Macht sowohl nach außen (feindliche Stämme, vgl. K. Marx 1952, S. 27) als auch nach innen (Ab grenzung bei Streitigkeiten und nach Eroberung neuen Landes bei Wanderzügen) garantiert wurden. Jeder vollberechtigte Stammesangehörige hatte somit in doppelter Eigenschaft Anteil am Gemeineigentum an Grund und Boden: als Stammesfreier und als Mitglied einer Siedlungsgemeinschaft, in deren Gefüge sich die unmittelbare Produktion durch Familienkollektive vollzog. Jedoch zeigten sich Ansätze zur Überwindung dieses grundlegenden Produktionsverhältnisses. So hatte die individuelle Produktion mit dem Pflug und anderen eigenen Instrumenten sowie mit eigenem Zugvieh seit langem schon die Möglichkeit eröffnet, Ackerland in individuelles, sogenanntes „Sondereigentum", umzuwandeln. Auf solche Formen der individuellen Produktion könnten vor allem die im nördlichen Europa seit den letzten Jahrhunderten v. u. Z. überkommenen alten Ackerfluren (Abb. 19; vgl. G. Hatt 1931, S. l i y f f . ; ders. 1949; M. Müller-Wille 1965), aber auch die in Feddersen Wierde bei jedem Haus gefundenen Druschplätze oder die in einigen Siedlungen den Häusern zuzuweisenden Speicher zurückgehen. Einer Durchsetzung der Tendenz, über individuelle Formen des Wirtschaftens privates Eigentum am Ackerland zu entwickeln, stand jedoch die Erschöpfung des Bodens überall dort entgegen, wo man ihr mit einer Rückführung in den Brachefonds begegnete. Denn damit diente dieses Ackerland, da es unzweckmäßig war, einzelne Parzellen zu umzäunen und individuell zu nutzen, wieder als allmendliche Viehweide. Im Zuge der Neuverteilung des Ackerlandes, bei der man nicht in schematischer Gleichheit verfuhr — die von Cäsar geschilderte Verteilungsregel der Sueben (Bell. Gall. 4, 1 ; 6, 22) muß man unter dem Aspekt des Wanderzuges unter kriegsmäßigen Bedingungen werten17 —, sondern unterschiedliche Bedürfnisse berücksichtigte (in diesem Sinne auch Tacitus, Germ. 26), konnten die Produzentenfamilien jeweils andere Parzellen in Kultur nehmen. Dieser Kreislauf und Wechsel bestätigte den Charakter des Gemeineigentums stets aufs neue. Dort, wo der Entwicklungsstand der Produktivkräfte den ständigen Wechsel des Ackerlandes in der Feldgraswirtschaft forderte und wo weder Obst- noch nennenswerter Garten- oder Wiesenbau betrieben wurden, konnte keine enge Bindung einzelner an bestimmte Teile des Bodens aufkommen. Im Gegenteil: das Gemeineigentum an Grund und Boden wurde als Gegebenheit von den Menschen anerkannt. Diese Situation veränderte sich dann, wenn die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit auftrat, intensivere individuelle Arbeit zur Erhaltung und Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit zu investieren. Eine solche Intensivierung des Anbaus festigte die Seßhaftigkeit und führte zu engeren Bindung der Produzenten an das Produktionsmittel, zu Anfängen von Besitzverhältnissen und zum „Sondereigentum" am Ackerland als abgesonderten Teilen des gemeinsamen Grund- und Bodeneigentums. Die zunächst für das küsten17

Vgl. auch F. Engels, Brief an K. Marx vom 22. 11. 1882. In: MEW 35, S. 117.

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germanische Gebiet und sein näheres Hinterland zu beobachtende Einführung eines schollenwendenden Pfluges und die Durchsetzung der temporären Haltung des Viehs im Stall als Voraussetzung für eine wirksame Düngung waren wichtige Schritte bei der Konsolidierung eines solchen Sondereigentums bei den Familien und damit in der Hand ihrer Oberhäupter. Hier liegen Wurzeln für die Herausbildung des Allods (J. Herrmann 1971, bes. S. 754ff.; ders. 1966, S. 398ff.). Darüber hinaus konnten vor allem die in Einzelhöfen siedelnden und produzierenden Familien bei längerer Seßhaftigkeit ein festes Besitzverhältnis zu dem von ihnen genutzten Boden entwickeln. Doch weder bei ihnen noch in den Dorfsiedlungen hatte die Herausbildung des Sondereigentums an Boden schon praktische Konsequenzen. Das war selbst dann nicht der Fall, wenn sekundäre Unterteilungen alter Ackerfluren als eine Aufteilung unter Nachfolger, „Erben", richtig interpretiert wären (vgl. G. Hatt 1939; 1955), weil das Gemeineigentum der Siedlungsgemeinschaften und das Stammesobereigentum erhalten blieben und der Boden nicht wie anderes entstehendes Privateigentum mobil war. Seine besondere Bedeutung erhielt dieser gesamte Prozeß durch die — urkommunistischen Regeln nicht generell entgegenstehende — Bevorzugung der gentilen Autoritäten bei der Zuweisung von Ackerland, wie das Tacitus hervorhebt.18 Als dann aber Ackerland zu „Sondereigentum" wurde, verstärkte die unterschiedliche Zuteilung die soziale Differenzierung zwischen den Familien und förderte die weitere Festigung und Absonderung des Stammesadels (s. S. 529) sowie die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, ohne welche dem Stammesadel die private Nutzung der größeren Landteile nicht möglich gewesen wäre. Ernte, Ertrag, Speicherung und Verarbeitung: Sicheln, die Hauptwerkzeuge der Getreideernte, kommen in den Hinterlassenschaften aus den ersten beiden Jahrhunderten u. Z. sehr selten vor. Ein 18 cm langes-Eisengerät mit Lappenbefestigung aus einem Urnengrab des Gräberfeldes Körchow, Kr. Hagenow (Abb. 1 1 4 a), wurde als Sichel angesehen, könnte wegen seiner Form aber auch als Haumesser zur Gewinnung von Laubheu gedient haben. Zum Abschneiden der Ähren, auf die sich allein das Interesse konzentrierte, konnte man auch einzelne der zahlreich vorliegenden Messer benutzt haben, und sogar das urtümliche Abreißen der Ähren ist nicht ganz auszuschließen. Dabei mag das stehenbleibende Halmstroh mit dem dazwischen wachsenden Unkraut als Stoppelweide gedient haben. Der Drusch und das abschließende Worfeln verlangten kein Instrumentarium, das archäologisch nachweisbar wäre. Vielmehr wird das Worfeln durch die Spreu bewiesen, die als Magerungsmittel im Lehmbewurf und in Lehmbauten (Ofenkuppeln) sowie in grober Keramik erscheint. Druschüberreste von Gerste, Lein, Leindotter und Ackerbohnen lagen in Feddersen Wierde in allen Schichten unmittelbar bei den Wohnhäusern19 und bestätigen als wichtige Hinweise die individuelle Produktion der Familienkollektive. Die in den Druschresten und im Magerungsmaterial noch enthaltenen Körner zeigen, daß man nicht sehr sorgfältig worfelte und nennenswerter Schwund beim Dreschen auftrat. 18 19

Tacitus, Germ. 26: „agri ... inter se secundum U. Körber-Grohne 1967, bes. S. 37ff., Abb. 9, nördlich gelegenen Gebieten soll wegen der gedroschen worden sein (Pytheas, bei Strabon

dignationem partiuntur". und S. l g i f f . , Abb. 5 9 a — g . In den weiter feuchten Witterung in großen Häusern 4, 201).

NAHRUNGSMITTELPRODUKTION

449

Über den Ertrag erlauben Quellenzeugnisse aus der Antike und dem Mittelalter sowie zahlreiche Beobachtungen bei vorkapitalistischen Gesellschaften in verschiedenen Erdräumen Berechnungen,20 die nach Abzug des Saatgutes und aller Verluste bei Ernte und Drusch einen durchschnittlichen Reinertrag von nicht mehr als dem 2—3fachen der Saatmenge ergeben. Dieser Reinertrag wäre in einer absoluten Größenordnung von etwa 2—3 dt/ha zu vermuten. Beträchtliche jährliche Schwankungen, verursacht durch Wetter- und andere Faktoren, konnten zum faktischen Ausfall eines Reinertrages führen. Da ein Raum von 0,35 m s etwa 2,0 bis 2,5 dt Getreide faßt, benötigte man relativ wenig Speicherraum. Grubenspeicher, von denen u. a. Tacitus (Germ. 16) berichtete und deren Eignung für die Getreidelagerung ethnographische Beobachtungen und moderne Experimente (H. C. Bowen 1967, S. 2 1 4 ! ; L . K u n z 1971, S. 68 ff.) belegen, hatten noch den Vorzug, die Vorräte vor feindlichen Augen und Zugriffen zu sichern (Germ. 16). Der Feuchtigkeit, die zum Keimen, Schimmeln und Faulen des Getreides, bei Luftzutritt zur Erhitzung bis 90 °C und dadurch zur Verkohlung führen kann, begegnete man mit alten Methoden des Trocknens und Darrens (H. Hinz 1954b; W. Gall 1975). Zum Darren dienten in den Siedlungen vorhandene Mehrzwecköfen. In diesen, aber auch in einfachen offenen Anlagen fand man nicht selten Getreidekörner. Auf einen als Darre benutzten Ofen, in dem zuletzt Gerste geröstet worden war, stieß man in der Siedlung von Westerohrstedt, Kr. Husum. 21 In Gebieten mit hohem Grundwasserstand und nicht standfesten Böden mußte man die Produkte des Pflanzenanbaus oberirdisch lagern. In den archäologisch gut erforschten Küstensiedlungen mit derartigen Möglichkeiten und Notwendigkeiten entdeckte man — obwohl auch hier eine mit Flechtwerk ausgekleidete Grube gefunden wurde — auf vier, sechs, meistens neun, manchmal sogar 16 Pfosten errichtete Bauten, die wahrscheinlich als Speicher dienten (Abb. 69a). Bei einer Grundfläche von etwa 6—9 m 2 und mehr vermochten sie, größere Ernteerträge aufzunehmen; bietet doch eine Fläche von 1 m 2 auch bei einer nur 0,5 m hohen Schüttung etwa 3,0 bis 3,5 dt Körnern Raum. Meist sind die Pfostenspeicher bestimmten dreischiffigen Wohn-Stall-Gebäuden zuzuordnen. Die Getreidekörner wurden bei Bedarf gemahlen, und zwar vorwiegend mit der schon seit den frühen Zeiten des Pflanzenanbaus genutzten Schiebemühle (Abb. 22). Ihre sehr geringe Produktivität machte das Mahlen zu einem aufwendigen und anstrengenden Teil der weiblichen Tagesarbeit. Als Mahlprodukt wurde hauptsächlich ein grobes, mehr gequetschtes als gemahlenes Schrotmehl erzeugt, das noch Spuren von Gesteinsabrieb enthielt. Einen echten Fortschritt stellten die in den germanischen Stammesgebieten seit dem 1. Jh. u. Z. vereinzelt auftretenden Handdrehmühlen dar. In den zwischen Rhein und Elbe gelegenen Gebieten ist diese Errungenschaft offenbar auf die Kontakte ihrer 20 .Vgl. 21

29

zusammenfassend bes. K . D. White 1963; B . H. Slicher van B a t h 1967. H.Hinz 1954c, S . 2 i 3 f . — In FeddersenWierde fanden sich in einem zusammengebrochenen Ofen Gerste sowie Samen von Lein, Leindotter und Ackerbohnen, insgesamt 29 kg, die vermutlich darin gedarrt wurden (U. Körber-Grohne 1967, S. 37). Unter den Holzfunden dieser W u r t sieht man 13 Ständer aus Eiche und einen aus Esche als Bestandteile einer Getreidedarre an (ebenda, S. 27f.). Germanen — Bd. 1

WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG IM 1./2. JH.

450

Bevölkerung im letzten Jahrhundert v. u. Z. zur keltischen Kultur zurückzuführen. 22 Die küstengermanischen Stämme lernten die Drehmühle durch Verbindungen mit den Römern kennen, von denen sie, besonders seit dem 2. Jh., auch Mühlsteine aus der dafür gut geeigneten rheinischen Basaltlava des Gebietes um Mayen bezogen. 23 Dagegen sind die frühen elbgermanischen Drehmühlen überwiegend aus örtlich anstehenden granitenen Geschieben zugeschlagene urtümliche Geräte, deren Läufersteine keine Einsatzlöcher für Handgriffe haben und vermutlich durch umgelegte Stricke mit eingebundener Handhabe, bewegt wurden. Die Produktivität der Handdrehmühlen 24 und die Güte des Mehls waren höher als bei der Schiebemühle. Obwohl die frühen binnengermanischen Mühlen nur zugepickt sind, nicht völlig eben aufeinanderpassen und keine spezielle Rillenschärfung haben, konnte man auch auf ihnen einen größeren Anteil feineren Mehls gewinnen, der bei den technisch perfekteren römischen Mühlsteinen in höherer Quantität und besserer Qualität erzeugt wurde. Das gemahlene Produkt bildete das Ausgangsmaterial für die bei allen bäuerlichen Bevölkerungen bis in die Neuzeit bedeutsame Breinahrung, die Plinius (Nat. hist. 18, 44) als übliche Nahrung der Germanen bezeichnet. Ein Brei bildete auch den Grundstoff für das urtümliche Backwerk, den Fladen, der warm wohlschmeckend war, kalt über längere Zeit aufbewahrt und bei Bedarf in Brei zurückverwandelt werden konnte. In Siedlungen gelegentlich gefundene Fragmente runder Tonplatten könnten Backteller für Fladen gewesen sein. Getreide, speziell Gerste, bildete auch den Grundstoff für die von Tacitus (Germ. 23) hervorgehobene Biererzeugung der Germanen, die u. a. durch die Analyse der in einem Trinkhorn von Skrydstrup, Amt Haderslev (Dänemark), gefundenen Reste 26 auch gegenständlich belegt werden konnte.

b) Viehwirtschaft Umfang und Bedeutung der Haustierhaltung: Der Haustierbestand umfaßte in den ersten beiden Jahrhunderten u. Z. die bereits in den vorhergehenden Zeitperioden gehaltenen wichtigen Tierarten: Rind, Schwein, Schaf, Ziege, Pferd und Hund. Dazu trat seit den letzten Jahrhunderten v. u. Z. zunächst vereinzelt Hausgeflügel auf, darunter, bisher bestätigt, Hühner und Gänse, wohingegen Nachweise von Hausenten aus dem 1. und 2. Jh. noch nicht gesichert sind. Die Hauskatze, von den Römern nach Mitteleuropa gebracht, ist seit dem 3. Jh. nachweisbar. 22

23

24

26

Eine eigenständige E n t w i c k l u n g der Drehmühle im Gebiet nördlich der Mittelgebirge bzw. ein früher Import in diesen R a u m wurden auf Grund der Datierung einiger Mühlsteine in die Jungbronze-/Früheisenzeit längere Zeit angenommen (u. a. W . Schulz 1932, S. 83), sind aber sehr zweifelhaft (vgl. u. a. H. Lies 1963, S. 3 1 1 ff.). Vgl. u. a. A . B a n t e l m a n n 1958, S. 238; i960, S. 76; W . Haarnagel 1958, S. 221; D. Zoüer 1963E . Hennig (1966, S. 83) benötigte bei einem Mahlversuch für bei zwei Mahlgängen, die sich im Versuch bewährten, e t w a 50 J. Grüß 1931, S. i8off. — Ein Getränk aus Gerste und Honig den Nordvölkern kennengelernt (vgl. bei Strabon, Geographica

2 k g Weizen 33 Minuten, Minuten. hatte bereits P y t h e a s bei 7, 201.).

NAHRUNGSMITTELPRODUKTION

451

Die archäozoologischen Analysen der Tierknochen aus germanischen Fundkomplexen zeigen übereinstimmend, daß an der Fleischnahrung der Germanen die Haustiere stets einen Anteil von über 90% haben. Der Anteil des Wildes beträgt dagegen meist nur 8% (Abb. 115). Wertvolle Nachrichten der antiken Autoren über den Viehbestand der Germanen und seine Verwendung (s. S. 459ff.) bezeugen, daß die Haustierhaltung einen wichtigen Zweig der Nahrungsgüterproduktion bildete, der die Bevölkerung ausreichend mit Fleisch zu versorgen vermochte. Unser Einblick in die im Pflanzenanbau und in der Viehhaltung erreichte Produktivität läßt vermuten, daß innerhalb der Landwirtschaft der germanischen Stämme in den ersten Jahrhunderten u. Z. der Viehwirtschaft sogar die größte Bedeutung zukam. Nach Cäsar (Bell. Gall. 4, 1) und Strabon o> 3 •O C -C in

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Prozentuales Verhältnis der Haus- zu den Jagdtierknochen germanischer Siedlungen.

__1 Haustierknochen

I Jagdtierknochen

(Geographica 7, 291) deckten die Germanen den größten Teil ihres Nahrungsbedarfes durch die Haustierhaltung, deren Bedeutung für die Nahrungsversorgung der Bevölkerung auch aus dem Umfang von Tierkulten und -opfern im germanischen Altertum hervorgeht. Die Germanen erstrebten einen großen Viehbestand, der nach Tacitus (Germ. 5) ihr einziger und willkommenster Reichtum war. Zur genaueren Bestimmung des quantitativen Verhältnisses der beiden Hauptzweige der Nahrungsmittelproduktion zueinander bedarf es pollenanalytischer Untersuchungen und Berechnungen der Indizes zwischen den Pollen von Getreide und denen von Wegerich als dem charakteristischen Weideunkraut (E. Lange, 1971a).26 Die bisherigen Untersuchungen reichen für eine Verallgemeinerung noch nicht aus, sprechen aber einzeln deutlich für ein Vorherrschen der Viehwirtschaft im jeweiligen Untersuchungsgebiet. Zusammen mit den Zeugnissen der anderen Quellenbereiche erhärten sie den Schluß, daß der Viehwirtschaft für die Ausnutzung der gegebenen natürlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten in der Ökonomie aller germanischen Stämme große Bedeutung zukam, wobei ihr Anteil im einzelnen schwankte. Beispielsweise liegt er in den Siedlungen der Seemarsch und auf dem Geestrande höher als in den etwa zeitgleichen Siedlungen der jütländischen Trockengebiete. 26

Zur Methode vgl. E. Lange 1971a.

29*

452

WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG IM 1 . / 2 . J H .

Die vorliegenden archäozoologischen Analysen basieren vielfach auf Material aus einem Zeitraum, der über die ersten beiden Jahrhunderte hinausreicht, wobei das 3. und 4. Jh. gegenwärtig am ergiebigsten belegt sind. Einzelne Analysen mit stratigraphisch getrenntem Fundmaterial deuten jedoch an, daß sich in diesem Zeitraum weder die Bedeutung der Viehwirtschaft allgemein noch die Verhältniszahlen der Haustierarten zueinander in den einzelnen geographischen Gebieten wesentlich verändert haben. Rinder hielt man in allen Siedlungen. Das belegen durchschnittlich 45—63% der bestimmbaren Haustierknochen.27 Hierbei gilt es jedoch zu berücksichtigen, daß die relativ großen und stärken Rinderknochen die Lagerung im Erdboden besser überdauerten als Knochen kleinerer Tiere. Stellt man dem prozentualen Anteil der Knochenfunde bei Haustieren die davon ermittelte Mindestanzahl der Individuen gegenüber (Abb. 116), so ergibt sich in den meisten Siedlungen der innergermanischen Gebiete ein Anteil von etwa 30—40% Rindern am Gesamtviehbestand. Damit kam ihnen die Schönburg

Kablow

Wüste

Berlin(West)- Gielde

Kunersdorf

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A b b . 116. Prozentuales Verhältnis von Knochen (a) und Mindestindividuenzahlen (b) der wichtigsten Haustiere germanischer Siedlungen. •

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größte wirtschaftliche Bedeutung zu. Wahrscheinlich betrug im Gebiet der Nordseemarsch, wo die üppige Vegetation sehr günstige Haltungsbedingungen für Wiederkäuer bot (G. Nobis 1955, S. ii4ff.), der Anteil der Rinder am Gesamtviehbestand sogar noch über 40%. Ebenso schwankt entsprechend den jeweiligen ökologischen Besonderheiten der Anteil der Schweine am Haustierbestand. In mehreren Siedlungen des Binnenlandes übertrafen sie bei Vorhandensein ertragreicher Waldweiden zahlenmäßig die Rinder, deren wirtschaftliche Bedeutung sie wegen ihres relativ geringen Gewichtes und ihres nur auf die Fleisch- und Fettversorgung beschränkten Nutzens aber nirgends erreichten. Der Anteil der Pferde variierte in den einzelnen Siedlungen zwischen 4 und 8%. Annähernd in gleichem Umfang hielt man Hunde. Knochen von Hühnern, Gänsen und ab 3. Jh. u. Z. auch von Enten und Katzen ließen sich nur vereinzelt nachweisen. Größe und Phänotyp der Haustiere: Die meisten Haustiere der Germanen waren wesentlich kleiner als die Abkömmlinge unserer heutigen Hochzuchtrassen und durch-

27

Bei der Auswertung publizierter Analysen ist auf die Grenze der statistischen Zuverlässigkeit zu achten. Kleine Serien können durch zufällige Faktoren oft sehr verzerrte Ergebnisse liefern.

NAHRUNGSMITTELPRODUKTION

453

weg spätreif. Widerristhöhenberechnungen28 ergaben für die Rinder eine Größenvariation zwischen 96 und 127 cm bei einem Mittelwert von 109 cm, der etwa 30—35 cm unter dem heutiger Rassen liegt (Abb. 117a u. 118a). Die von den Friesen an die Römer gelieferten kleinen Rinderhäute führten zu Differenzen, die im Jahre 28 einen Aufstand der Friesen auslösten (Tacitus, Ann. 4, 72). Im Opfermoor bei Oberdorla, Kr. Mühlhausen, und in der germanischen Siedlung bei Mühlberg, Kr. Gotha, fand man außer den in überwiegender Anzahl vorhandenen kleinen und mittelgroßen auch einige auffallend große Rinderknochen, die auf 135 — 145 cm große Jiere schließen lassen (s. Bd. 2, S. 111). Derartig große Rinder bilden Ausnahmen in den germanischen Gebieten, waren

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Abb. 117. Größenvariationen der Rinder (a) und Schweine (b) in Siedlungen der Latäne- und römischen Kaiserzeit ( W R H = Widerristhöhe). 28

Den Widerristhöhenberechnungen lagen zugrunde die Arbeiten von J. Fock 1966; M. Teichert 1969 u. 1975; V . O. V i t t 1952; D. H a a k 1965; Z. Schramm 1967; W . Koudelka 1885.

454

WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG IM 1 . / 2 . JH.

aber häufiger in den von Römern besetzten Territorien nachweisbar. Vielleicht sind sie in Einzelfällen durch Tausch oder als Beute in den Besitz der Germanen gekommen. Die germanischen Rinder, die nach Tacitus (Germ. 5) wenig ansehnlich waren, hatten meist kurze, schwache Horner. Hausschweine sahen aus wie kleine, verkümmerte Wildschweine (Abb. 118c). Sie waren hochbeinig, flachrippig, hatten Stehohren und einen langen keilförmigen Schädel mit dessen Schnauzenpartie sie bei der Futtersuche gut im Erdboden wühlen konnten Infolge ihrer naturgemäßen Haltung waren sie mit langen, dichten Haaren bedeckt

Abb. 118. Phänotypen von Rind, Pferd, Schwein und Schaf im Größenverhältnis zu gleichen rezenten Tieren (im Hintergrund).

die auf dem Rücken einen starken Borstenkamm bildeten. Die kleinsten adulten Hausschweine waren nur etwa 60—65 c m hoch, während die größten mit 80—83 c m a n kleine weibliche Wildschweine heranreichten. Der überwiegende Teil der Hausschweine wies eine durchschnittliche Widerristhöhe von 72 cm auf (Abb. 118 c) und unterschied sich damit nicht wesentlich vom Gros der aus römischen Siedlungen stammenden Hausschweine, die im Mittel etwa 75 cm hoch waren und nur in einzelnen Fällen Größen von mehr als 83 cm erreichten (Abb. 117 b). Bei den Pferden, die sich in ihrer Größe beträchtlich unterschieden, waren die kleinsten nur etwa 112—120 cm groß, einzelne erreichten Widerristhöhen bis zu 144 cm, (Abb. 118b). Möglicherweise gehen größere Tiere im Besitz von Germanen auf römische. Zucht zurück. Die meisten Pferde hatten Durchschnittsmaße zwischen 125 und 135 cm. Widerristhöhe. Größenmäßig entsprachen sie damit rezenten Ponypferden, ihr Knochenbau war jedoch kräftiger, die Schädelform plumper. Diese bodenständigen, primitiven

NAHRUNGSMITTELPRODUKTION

455

Landrassen waren weder schön noch übermäßig schnell (Tacitus, Germ. 6), sie zeichneten sich aber durch große Ausdauer (Cäsar, Bell. Gall. 4, 2), Widerstandsfähigkeit und Futtergenügsamkeit aus, was u. a. auch im Lob germanischer Reiter in den Auxiliarverbänden seit Cäsar zum Ausdruck kommt. Die in den meisten germanischen Gebieten gehaltenen Schafe variierten in der Widerristhöhe zwischen 54 und 71 cm, maßen im Mittel 60 cm und sind hinsichtlich ihrer Größe mit rezenten Heidschnucken vergleichbar (Abb. n 8 d ) . Bei einigen weiblichen Tieren kam vereinzelt Hornlosigkeit vor. Von diesen relativ einheitlichen Schlägen hoben sich die Schafe aus den Wurtensiedlungen von Tofting und Einswarden mit 67—75 cm Widerristhöhe deutlich ab. Sie bildeten wegen der günstigen Weideverhältnisse in den Küstenmarschen eine eigene bodenständige Landrasse von stattlicher Größe. Die Ziegen unterschieden sich in der Größe nur unwesentlich von den Schafen der binnengermanischen Gebiete. Die Hunde, mit Schulterhöhen zwischen 48 und 67 cm, im Durchschnitt von 54 cm; mittelgroß bis groß,29 eigneten sich von der Größe her besonders als Jagd-, Hirten- und Hofhunde. Ein Hundeschädel aus Oberdorla wies neben Domestikationsmerkmalen auch Anzeichen des Wolfis auf. Hier liegt entweder das Ergebnis einer Kreuzung zwischen Wolf und Haushund vor, oder es war ein auf der Jagd gefangener junger Wolf in die Nachzucht einbezogen worden. Die aus mediterranen Gebieten im Zuge der römischen Besetzung nach Mitteleuropa gebrachten Hauskatzen stammen von der Falbkatze ab. Sie waren kleiner und schlanker als die einheimischen Wildkatzen. Vom Hausgeflügel ist das Huhn vereinzelt seit der Wende von der Bronze- zur Eisenzeit in Mitteleuropa bekannt. In der vorrömischen Eisenzeit gewann unter keltischem, in der römischen Kaiserzeit unter römischem Einfluß die Hühnerhaltung bei den Germanen an Bedeutung. Nach der Länge der Knochen zu urteilen, waren die damaligen Haushühner kleiner als rezente Legerassen. Die Haltung von Hausgänsen und vielleicht auch von Hausenten war seit der vorrömischen Eisenzeit bekannt und verbreitete sich in der Römerzeit weiter. Plinius (Nat. hist. 10, 27) überliefert für die weißen germanischen Hausgänse, deren Daunen man in Rom sehr schätzte, die germanische Bezeichnung „gantae". Nutzung der Haustiere: In erster Linie ist die Viehwirtschaft ein Zweig der unmittelbaren Nahrungsgüterproduktion. Von den Rindern wurden etwa 50% im Alter bis 3V2 Jahren geschlachtet. Es handelt sich um den Geburtenüberschuß, der in die zahlenmäßig relativ konstant gehaltenen „Stammherden" der adulten Tiere nicht eingegliedert wurde und nur der Fleischversorgung diente. Die anderen hielt man vereinzelt bis zu einem Alter von 10 Jahren und zog sie für die Nachzucht, zur Milchgewinnung und zu Zugleistungen heran, bevor sie geschlachtet wurden. An Hand der Metapodiengewichte läßt sich nach J. Matolcsi (1970, S. 89 ff.) das Lebendgewicht urund frühgeschichtlicher Rinder berechnen. Für die germanischen Kühe aus der Umgebung von Oberdorla, Kr. Mühlhausen, ergibt sich danach ein mittleres Lebendgewicht von etwa 150 kg, für Bullen und Ochsen ein solches von ungefähr 270 kg 29

Die Haushunde in den römischen Siedlungen weisen stärkere Größenunterschiede

auf.

N e b e n großen und mittelgroßen gab es kurzläufige Tiere v o n nur 2 0 — 3 0 cm Höhe, die e t w a rezenten Zwerghunden oder Dackeln gleichkommen.

WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG IM 1 . / 2 . J H .

456

(M. Teichert 1974, S. 49). Trotz der vielfältigen Fehlerquellen, die derartigen Berechnungen anhaften, kann für die meisten Kühe ein Lebendgewicht von weniger als 200 kg 30 angenommen werden, wovon 50—60% als Schlachtverlust abgehen (vgl. Tab. 1). Die Schweinehaltung diente fast ausschließlich der Fleisch- und Fetterzeugung. Im Mittel wurden 2 2 % der Schweine im Alter bis zu einem Jahr, 2 8 % im Alter von ein bis zwei Jahren und 3 5 % im Alter von zwei bis drei Jahren geschlachtet. Die Sauen der zuletzt genannten Altersgruppe hatten zuvor sicher schon einmal geworfen. Nur 1 5 % der Tiere hielt man, vielleicht wegen guter Zuchtergebnisse, länger als drei Jahre. Nach zwei Jahren hatten die Schweine ein Gewicht von ungefähr 40—60 kg 3 1 erreicht, wovon als Schlachtverlust 20—30% abzuziehen sind. Tabelle 1 Wahrscheinliche Lebend- und Schlachtgewichte adulter germanischer bei mittlerem Ernährungszustand

Haustiere

Haustierart

Lebendgewicht

Schlachtverlust 32

Schlachtausbeute 32

Rind Schwein Schaf und Ziege

150—300 kg 40—60 kg 30—50 kg

50—60% 20—30% 50—60%

60—150 kg 28—48 kg 12 —25 kg

An den Schaf- und Ziegenknochen ließ sich ein Schlachtalter zwischen einem halben und mehr als sechs Jahren ermitteln. Ungefähr ein Drittel der Tiere wurde vor dem zweiten Lebensjahr geschlachtet, den Rest behielt man für die Nachzucht sowie zur Milch- und Wollgewinnung. Das Gewicht adulter Schafe und Ziegen ist mit 30—50 kg bei einem Schlachtverlust von 50—60% anzusetzen. Das Hausgeflügel spielte in der Fleischversorgung nur eine untergeordnete Rolle. Pferde und Hunde sind nicht ihres Fleischwertes wegen gehalten worden. Jedoch zeigt 30

31

32

Nach W. Nußhag (1966, S. 6) wog sogar um 1800 eine Kuh nicht mehr als 200 kg, ein Mastochse 300—350 kg, in der Eifel und der Rhön noch weniger. Auf schwedischen Königsgütern des 17. Jh. im finnischen Reichsteil haben ausweislich der Abrechnungsbücher kleine Rinder von weniger als 100 cm Widerristhöhe Schlachtgewichte von nur 50—80, stets jedoch unter 100 kg erbracht (K. R. Melander 1940, S. u f f . ) . Schweine mit einem Gewicht von 60 kg wurden noch im Mittelalter als fett bezeichnet. Den Einfluß naturtümlicher Haltungsbedingungen auf den Fleisch- und Fettumsatz zeigt ein Versuch im Haustiergarten der Universität Halle, wobei ein absichtlich schlecht ernährtes Schwein im Alter von 8 1 / 2 Monaten nur 26,5 kg Gewicht erreicht hatte und in Größe und Aussehen auffallende Ähnlichkeit mit ur- und frühgeschichtlichen Hausschweinen aufwies. Angaben nach J . Schmidt, C. v. Patov, J . Kliesch 1950, bes. S. 132 u. 169. Unter Schlachtgewicht (oder Schlachtausbeute) versteht man bei Rindern, Schafen und Ziegen das Gewicht des abgehäuteten, völlig ausgeweideten Rumpfes ohne Kopf, aber mit Nieren und Talg. Beim Schlachtgewicht des Schweines ist das Gewicht des Kopfes und der eßbaren Innereien einbezogen. Die Höhe des Schlachtverlustes hängt sehr stark vom Ernährungszustand der Tiere ab. Schlecht gemästete Tiere weisen höhere Schlachtverluste als gut gemästete auf. Deshalb wurden für die weniger gut ernährten Tiere der Germanen um 10% höhere Schlachtverluste angenommen, als die zitierten Autoren angeben.

NAHRUNGSMITTELPRODUKTION

457

die archäozoologische Analyse der Knochen, daß man Pferdefleisch durchaus nicht verschmähte, sondern ein Drittel der Tiere, ehe sie das Leistungsalter erreichten, die übrigen, wenn sie als Reit-, Zug- und Zuchttiere ausgedient hatten, schlachtete. Hunde haben, wie einige aufgeschlagene Röhrenknochen und Schnittspuren an den Gelenken zeigen, zumindest als „Notnahrung" gedient. Die Milchleistung der kleinen Kühe darf unter Berücksichtigung der Ergebnisse rezenter Extensivrassen in Abhängigkeit vom Ernährungszustand sowie von der Beanspruchung für Zugleistungen mit ungefähr 400—600 kg in einer Laktationsperiode von 3—4 Monaten angenommen werden. Nach Abzug der für die Kälberaufzucht erforderlichen etwa 250—350 kg verblieben für die menschliche Ernährung noch etwa 150—250 kg. 33 Ihr Nährwert reichte knapp an den des gesamten Fleisches einer Kuh heran, wurde im Laufe der Haltungsdauer aber mehrmals erbracht. Daraus resultierte die hohe Effektivität der Rinderhaltung, die durch die Zugleistung zu Lebzeiten und die Rohstofflieferung nach der Schlachtung eine weitere Erhöhung erfuhr. Schafe und Ziegen erbrachten zwar weniger Milch, die aber nährstoffreicher als die der Rinder und besonders für die Butter- und Käseherstellung geeignet war. Für die Nutzung von Stutenmilch fehlen Hinweise. Eier können in der Nahrungserzeugung als gelegentlich anfallendes Produkt nur wenig Bedeutung gehabt haben. Bei Annahme eines durchschnittlichen täglichen Verbrauchs von 0,4 kg Fleisch pro Erwachsenen hätten für dessen Ernährung jährlich etwa ein adultes Rind, ein Schwein und ein Schaf oder eine Ziege in mittlerem Ernährungszustand zur Verfügung stehen müssen. So wurde selbst bei geringem Fleischverzehr ein beachtlicher Bestand für die Versorgung benötigt. Nur reiche Familien konnten sich ausreichend mit Fleisch versorgen und darüber hinaus Gäste oder gar Gefolgsleute beköstigen und sogar mit Vieh am Austausch teilnehmen. Einen zweiten wichtigen Zweig der Viehwirtschaft bildete die Nutzung der Leistungen der lebenden Tiere. Adulte Pferde dienten im Alter von etwa 3—10 Jahren und vereinzelt sogar bis zu 15 Jahren vornehmlich als Reitpferde, was Funde von Sporen in den Grabausstattungen und zahlreiche antike Nachrichten belegen. Daraus geht auch hervor, daß die Germanen vorzügliche Reiter waren und mit ihren Tieren sorgsam umgingen (Cäsar, Bell. Gall. 4, 2). Funde von Ringtrensen (Taf. 59 b) und durch ihre Anwendung entstandene Abnutzungsspuren an den zweiten Prämolaren34 sowie die Darstellung eines gezäumten Pferdes auf einer rollrädchenverzierten Urne von Hohenferchesar, Kr. Brandenburg (Taf. 58 b), könnten auch für die Verwendung von Pferden als Zugtiere vor leichten Wagen, Karren und anderen Transportmitteln sprechen, wofür es bisher an Hinweisen fehlt. Als Zugtiere, vor allem vor dem Pflug, hat man Rinder in Jochschirrung (Abb. 21) angespannt. Hierzu eigneten sich besonders Ochsen, weil sie stärker als Kühe und 33

34

D a ß kleine Rinder bei guter Futtergrundlage erstaunliche Milcherträge lieferten, hob Plinius (Nat. hist. 8, 179) für das Alpenvieh und Columella (6, 24, 5) für K ü h e von Altimun (Gebiet der Veneter) hervor. Die rechte Mandibula eines adulten Pferdes aus der Siedlung der vorrömischen Eisenzeit von Tangermünde zeigt am oralen Rand von P 2 die Usur einer Trense: M. Teichert 1970, S. 502I mit A b b . 1 (Druckfehler bei der Maßstabangabe, richtig = 1:3).

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ruhiger als Bullen waren. In Familien mit geringem Viehbesitz mußten vermutlich auch Kühe eingespannt werden. Kühe zogen auch den Kultwagen der Nerthus (Tacitus, Germ. 40). Schweine, Schafe und Ziegen hielt man hauptsächlich für den Zweck der Fleischversorgung. In geringem Umfang kamen als Vorleistung noch der Milchertrag von Schafen und Ziegen sowie der Wollertrag von Schafen hinzu. Hunde eigneten sich vornehmlich schon instinktiv zu Wachdiensten, aber auch — entsprechend abgerichtet — als Jagd- und Hütehunde. Vielleicht geht auf diese Schutzfunktion das häufige rituelle Vergraben von Hunden in kaiserzeitlichen Siedlungen zurück. Katzen schützten durch Fang von Ratten und Mäusen die gespeicherten Vorräte. Die Produktion und Nutzung tierischer Rohstoffe spielte in vielen Fällen bei der Schlachtung als Nebenprodukt der Haustierhaltung eine Rolle. Die Häute der meisten Haustiere waren für die Lederherstellung begehrt. So mußten die Friesen Rinderhäute als Tribut an die Römer entrichten (Tacitus, Ann. 4, 72). Felle von Schafen und Ziegen dienten auch als Kleidungsstücke35 oder als Polster für die Sitz- und Schlafstellen im Haus. Dagegen ist die Verwertung der Häute von Pferden, Schweinen und Hunden36 bisher nicht ausreichend gesichert. Knochen, Sehnen, Hörner und Federn von Haustieren fanden bei Bedarf als Rohstoffe Verwendung. Von lebenden Tieren gewann man Haare, z. B. von den Mähnen und Schweifen der Pferde, Federn, vor allem während der Mauser der Gänse, und Wolle. Die Untersuchung eines eisenzeitlichen Schaffellrestes aus dem Moor bei Groß Potrems, Kr. Rostock, durch M. L. Ryder (1977) ergab, daß die Wolle eine durchschnittliche Länge von 55 mm und einen mittleren Fadendurchmesser von 24 [xm aufwies. Qualitätsmäßig entspricht diese Wolle etwa der von rezenten Heidschnucken. Von noch feinerer Qualität waren Wollreste aus der älteren römischen Eisenzeit, die man in einem Grab südlich Nymindegab am Ringköbinger Fjord in Jütland fand (M. L. Ryder, J . W. Hedges 1973, S. 361). Weil das Interesse an Wolle das an Fleisch übertraf, bestimmte deren Gewinnung die Zuchtinteressen und dadurch die individuelle Haltungsdauer der Schafe. Durch Vergleich mit rezenten Landrassen ist der jährliche Schurertrag von einem Tier mit 1—2 kg grober Mischwolle anzunehmen. Daunen weißer germanischer Gänse erfreuten sich in Rom besonderer Wertschätzung. Das libra (pondo) zu 327,45 g kostete im 1. Jh. 5 Denare (Plinius, Nat. hist. 10, 27). In welcher Weise der besonders bei der Stallhaltung anfallende Mist als Dünger Verwendung fand, ist noch nicht völlig geklärt. Mist trat häufig in den Wurten zutage. Im wesentlichen dürften es Dungreste sein, die sich bei der Haustierhaltung in vertieften Ställen angehäuft hatten. Eigentumsverhältnisse und Reichtumsdifferenzierung: Die dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte speziell im Bereich des Pflanzenanbaues entsprechende Produktion in familiären Wirtschaftsverbänden erstreckte sich auch auf die Viehwirtschaft. Wie Haus, Hof und das erforderliche Inventar an Produktionsinstrumenten muß deshalb auch das Vieh als Familieneigentum gelten, das — auf Grund seiner Eigenschaft als 35

36

Bei dänischen und norddeutschen Moorleichen wurde häufig Pelzbekleidung aus Haustierfellen, vor allem von Schafen, festgestellt: M. Haid 1950. Einige Pelzbekleidungsstücke von Moorleichen könnten aus Hundefell bestehen: M. Haid 1950, Nr. 14 u. 26.

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Produktionsmittel — den Charakter von Privateigentum angenommen hatte. Dieses Verhältnis hat sich vermutlich schon in älteren metallzeitlichen Perioden herauszubilden begonnen und in der direkten Konfrontation der germanischen Gentilgesellschaft mit der römischen Sklavereiordnung gefestigt. Durch Zunahme der Haustierhaltung in Ställen wurde die Bedeutung des Viehs als privates Eigentum verstärkt. Das lassen auch die Überlieferungen antiker Autoren erkennen. Schon Cäsar bemerkte in der Mitte des 1. Jh. v. u. Z., daß die Germanen bei der Aussicht auf Beute am meisten nach Vieh trachteten (Bell. Gall. 6, 35). Sie strebten nach einem umfangreichen Viehbesitz, der nach Tacitus (Germ. 5) für die Germanen der ihnen willkommenste Reichtum war. Mit Vieh haben sie Bußen und Wergelder beglichen, Brautgaben dargebracht, Geschenke an die Stammesautoritäten geleistet, und Vieh haben sie auch als Ehrengeschenke anderer Stämme und als Abgaben ihrer Unfreien angenommen (Tacitus, Germ. 12; 15; 18; 21; 25). Die Unterschiede im Viehbesitz der Familien werden durch die teilweise beträchtlichen Größenunterschiede der Stallräume — in den am besten überlieferten Grundrissen der Wurtensiedlungen durch die unterschiedliche Zahl der Viehboxen besonders deutlich — archäologisch faßbar. Dabei bildete das eingestallte Vieh sicher nicht den Gesamtbestand. Eingestallt waren im Winter wahrscheinlich nur die wertvollsten Tiere, wozu vor allem die zur Nachzucht benötigten Rinder zählten. Darauf weisen die Größe der einzelnen Boxen und die weitgehend aus Rindermist bestehenden Rückstände auf Feddersen Wierde (U. Körber-Grohne 1967, S. 72) hin. Vorausgesetzt, daß der größte Teil, vor allem an Rindern, eingestallt war, kann man, von der Zahl der Viehboxen ausgehend, über das durch osteologische Analysen ermittelte durchschnittliche Mengen- und Altersverhältnis der Haustiere Vorstellungen über den wahrscheinlichen Viehbestand einzelner Wirtschaftskollektive gewinnen. Eine direkte Erfassung des absoluten Viehbestandes einer germanischen Siedlung durch Knochenüberreste ist nicht möglich, da nicht alle Tiere bzw. ihre Reste — z. B. im Tausch oder als Tribut abgegebene — im archäologischen Quellenmaterial auftauchen. Außerdem werden die verzehrten Tiere nicht vollständig repräsentiert, weil nicht alle Knochen in den Boden gelangten, viele sich bei ungünstiger Lagerung im Boden zersetzten und nicht alle erhaltenen gefunden werden. In den Siedlungen des Nordseemarschengebietes ergaben die osteologischen Analysen für einige Wirtschaftseinheiten einen größeren Anteil von Rinder-, Schaf- und Ziegenknochen als im Binnenland. Die verstärkte Haltung von Wiederkäuern ging meist einher mit einer eingeschränkten Schweinehaltung, weil dafür in den Marschgebieten die Futtergrundlage nicht so günstig wie im Binnenland war. Im Binnenland herrschten durch das Vorhandensein großer Waldweiden andere Bedingungen. Bei der im Verhältnis zum Marschengebiet ungünstigen Futtersituation für Wiederkäuer und einer günstigeren für Schweine ergibt sich folgender, aus mehreren Siedlungen ermittelter, abgerundeter Durchschnitt des Tierartenanteils am Gesamtviehbestand : Rinder 30,5% Pferde 6,0% Schweine 36,0% Schafe u. Ziegen 23.0% Hunde 4,5%

460

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Anhaltspunkte über die Herdengröße gewinnt man aus der Anzahl der Viehboxen in den Wohn-Stall-Häusern. Nach H. Jankuhn (1969, S. 142) gab es in der vorrömischen Eisenzeit in den Marschenhäusern Stallteile für 30—50 Stück Großvieh. Der Viehbesatz in den eisenzeitlichen Wohn-Stall-Häusern Jütlands betrug dagegen nur 6—17 Stück Großvieh. In der germanischen Siedlung bei Kablow, Kr. Königs Wusterhausen, die im späten 2. Jh. errichtet worden ist, waren in den einzelnen Häusern minimal 4—8 und maximal 32 Viehboxen nachweisbar. Dabei kann man davon ausgehen, daß in jeder Viehbox ein Rind oder Pferd stand und daß Schweine, Schafe und Ziegen in anderen kleinen Ställen oder Schutzhütten nur vorübergehend in der Siedlung, meist aber außerhalb davon, gehalten wurden. Das erkannte prozentuale Verhältnis des Haustierbestandes bietet, ausgehend von der Anzahl der Viehboxen in den Wohn-Stall-Häusern, Anhaltspunkte dafür, wieviel Haustiere einer Familie gehört haben können. Tabelle 2 Möglicher Viehbestand germanischer Familien Anzahl der Viehboxen

im

Binnenland

4

6

8

12

16

20

32



4

5 1 6

7 1 8 6 1

10 2 12 9 2

14 2 16 10 2

17 3 20

27

42 8 50 32 6

Daraus abgeleiteter Besitz an: Rindern Pferden Schweinen Schafen u. Ziegen Hunden



4 2 1

4 1

13 3

5 32 20 4

Sicher gab es wegen witterungsbedingter Schwankungen im Futterangebot, Seuchen und Krankheiten sowie weiterer, den Haustierbestand beeinflussender Faktoren Abweichungen in diesen Zahlen. Beispielsweise wird man in den germanischen Siedlungen der Nordseemarschen aus den osteologischen Befunden der Wurtensiedlungen wahrscheinlich den doppelten Bestand von den in Tabelle 2 angegebenen Schafen und Ziegen und nur die Hälfte an Schweinen ableiten können. Falls nicht alle Rinder und Pferde zur Winterszeit einen ständigen Stallplatz hatten, sind die Gesamtviehbestände unter Berücksichtigung der sich abzeichnenden Anteilrelationen größer und damit die Besitzdifferenzierungen markanter gewesen. Ein Besitz von zwei Rindern bildete weder in den inner- noch in den küstengermanischen Gebieten die untere Grenze. In den Siedlungen mit Wohn-Stall-Häusern gab es auch solche ohne Boxen und andere, die nur Schafe und Ziegen aufzustallen erlaubten. Hier handelte es sich vielleicht um Familien mit nur wenig Vieh. Daß Familien mit eigenen Wirtschaften gar kein Vieh besaßen, ist unwahrscheinlich. Auch Unfreie verfügten über Vieh und mußten davon Abgaben an ihre Herren leisten (Tacitus, Germ. 25). Allerdings wird es bei der Artenzusammensetzung des Viehs nicht nur stärkere regionale Unterschiede, sondern wahrscheinlich auch solche innerhalb der einzelnen Siedlungsund Stammesgemeinschaften gegeben haben. Reiche Familien mit einem großen Rinderbestand haben vielleicht nicht voll den errechneten, statistisch darauf entfallenden Anteil an Schafen, Ziegen und Schweinen besessen, während ärmere Familien durch die verstärkte Haltung dieser Tiere die Nachteile eines geringen oder fehlenden Eigentums an Rindern auszugleichen suchten. Andererseits darf man bei reichen Familien

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einen höheren Anteil an Pferden vermuten, denn sie erhielten Pferde zum Geschenk (Tacitus, Germ. 15), und die bei ihnen konzentrierten Krieger und Gefolgsleute waren weitgehend beritten. Den Gefolgsleuten wurde das Pferd in der Regel gestellt (Tacitus, Germ. 14). Trotz ihres hypothetischen Charakters verdeutlicht Tabelle 2 die aus verschieden großen Stallteilen erkennbaren Reichtumsunterschiede zwischen einzelnen Familien und die sich aus dem unterschiedlichen Nutzwert der einzelnen Tierarten ergebenden Konsequenzen. Die daraus zu ziehenden Schlüsse entsprechen Tacitus' Bemerkung über Germaniens Viehreichtum und seiner nach der Zahl bemessenen Wertschätzung. Im Streben nach Quantität mag einer der Gründe für den schlechten Entwicklungsstand der Tiere liegen, wie er sich in der geringen Größe äußert. Offenbar waren die wenig ertragreichen natürlichen Weiden so stark mit Vieh besetzt, daß außerhalb der Vegetationsperiode Futtermangel herrschte. Schließlich stimmen die Schlußfolgerungen aus den archäologischen Quellen mit den Angaben von Tacitus über die vielfältigen Zahlungen mit Vieh überein. Das Vieh besaß eine wichtige Funktion als Wertmesser. Diese Konsequenz verschärfte die sich aus dem unterschiedlichen Viehreichtum ergebende Differenzierung zwischen den einzelnen Familien. Gestärkt wurde besonders die Position des Stammesadels, dem durch Geschenke der Freien, Abgaben der Unfreien, Tribute und Beute immer neues Eigentum an Vieh und damit an Produktionsmitteln zufiel. Denn nur. reiche Familien mit einem über die Bedürfnisse der unmittelbaren Nahrungssicherung hinausgehenden größeren Viehbestand konnten am Austausch teilnehmen und über ihr Eigentum tatsächlich verfügen. Die Betriebsweise der Viehwirtschaft: Gekennzeichnet wird die Viehwirtschaft in den ersten Jahrhunderten u. Z. durch die Ausbreitung der temporären Stallhaltung für Großvieh im nordwestlichen Mitteleuropa. Dort ist bereits zum Ende des 2. Jahrtausends v. u. Z. der Bau dreischiffiger Pfostenhäuser mit einem durch einen Quergang mit zwei gegenüberliegenden Eingängen voneinander getrennten Wohn- und Stallteil aufgekommen (H. T. Waterbolk 1964) und hat sich während des 1. Jahrtausends v. u. Z. ausgebreitet. Bei der Besiedlung der Nordseemarschen wurde diese Hausform typisch (Tai. 59 a; Abb. 68) und seit dem Beginn u. Z. von weiteren Stämmen im nördlichen und nordwestlichen Mitteleuropa übernommen. Sie ist ein markantes Merkmal für die zunehmende Seßhaftigkeit. Zur Aufnahme des Viehs dienten die Seitenschiffe des Stallteils, die häufig in etwa 0,9—i,o m, aber auch bis zu 2,0 m breite Boxen unterteilt waren. Soweit bekannt, standen die Tiere mit dem Kopf zur Wand. Gegen den Mittelgang, der bei größeren Häusern auch noch zur Giebelseite aufgeschlossen war, verliefen Jaucherinnen (Abb. 68 a). Aus den innergermanischen Stammesgebieten liegen derart eindeutige Befunde aus dieser Zeit noch nicht vor. Ein 17,5 x 6,0 m großes Pfostenhaus von Böddeken-Wewelsburg, Kr. Büren, das durch eine Caesares-Münze (Denar des Augustus 2—14 u. Z.) in den Beginn u. Z. datiert ist und Spuren einer Boxenunterteilung erkennen läßt (W. Jordan 1941), deutet darauf hin, daß die Stallhaltung auch bei den Stämmen zwischen Rhein und Weser Eingang gefunden hatte. Im Gebiet zwischen Elbe und Oder sind langgestreckte Pfostenhäuser mit der Möglichkeit der Aufstallung von Haustieren bereits aus der vorrömischen Eisenzeit bekannt (s. S. 134). Der noch relativ niedrige Stand der Siedlungsforschung gibt jedoch vorerst keine Kontinuität dieser

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Hausform bis zu den seit Ende des 2. Jh. u. Z. vorliegenden Nachweisen (s. Bd. 2, S. 83ff.) zu erkennen. Einige Pfostenhäuser, wie das aus einer Siedlung des frühen 1. Jh. von Dorna, Kr. Wittenberg, von etwa 8 x 6 m Größe (F. Niquet 1936, S. 293), boten zwar die Möglichkeit zur Aufstallung einiger Tiere; andererseits haben wir doch schon genügend Einblicke in die Siedlungsverhältnisse, doch scheint in den innergermanischen Stammesgebieten die ganzjährige Haltung des Viehs im Freien im 1. und 2. Jh. noch die vorherrschende Form der Viehwirtschaft gebildet zu haben. Stallhaltung des Großviehs bedingte Futterreserven für mindestens vier Monate. In der Marsch boten die natürlichen Weiden, außerhalb der Marschen Wald- und in stärkerem Maße Auenwiesen eine dafür geeignete Grundlage. Ergänzend konnte Laubheu als Vorrat dienen. Die Sense als zweckmäßiges Gerät der Grasmahd kennen wir bisher aus den binnengermanischen Gebieten erst seit dem 3. Jh., als die Stallhaltung sich dort durchsetzte. Bei der zeitweiligen oder ständigen Haltung von Viehherden im Freien konzentrierten sich alle Bemühungen auf die Futtersicherung und den Schutz vor tierischen Feinden, vor" Raub, vor dem Entlaufen, vor klimatischen Unbilden, aber auch auf die Verhinderung von Feldschäden. Die Futterversorgung war während der offenen Jahreszeiten durch natürliche Weideflächen gesichert, ferner durch Brache- und Stoppelweiden im Gefolge der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung. 37 Futterschwierigkeiten ergaben sich in den Wintermonaten. Das war die Zeit erhöhten Bedarfs an kalorienhaltiger Nahrung, zu der man verstärkt Tiere schlachtete und damit zugleich durch die Selektion schwacher Tiere züchterische Maßnahmen zum Entstehen leistungsstärkerer Bestände traf. Die für die mittelalterliche Landwirtschaft belegte und bis in die Neuzeit praktizierte spätherbstliche Schlachtsaison ist aus den osteologischen Untersuchungen nicht nachzuweisen. Diese sprechen vielmehr für eine etwas breitere Verteilung der Schlachtungen auf das gesamte Winterhalbjahr. 38 Dabei hat die Bedeutung der Viehbestände als Verkörperung des Reichtums und der gesellschaftlichen Stellung ohne Zweifel die Schlachtungen in Grenzen gehalten und Anstrengungen zum Winterschutz der Herden stimuliert. Beim Hüten der Tiere, die aus biologischen und gesellschaftlichen Gründen in verschiedenen Herden weideten, wurden wahrscheinlich neben Menschen die im Fundmaterial belegten Hunde eingesetzt. Zum Schutz der Viehherden machte man Jagd auf Raubtiere, wie Wölfe und Bären. Die Kastration männlicher 'tiere zur Förderung des Fleischansatzes und zur Erlangung ruhiger, leistungsstarker Arbeitstiere bei Rindern kannten schon die bandkeramischen Viehhalter des 5./4. Jahrtausends v. u. Z. (H.-H. Müller 1964, S. 35). Auch die Germanen bedienten sich dieses Verfahrens. Das Wallachen der Hengste wird osteologisch durch Knochen aus der Siedlung Seinstedt, Kr. Wolfenbüttel, die Funde aus dem 37

38

Überlegungen zum Flächenbedarf für die Futterversorgung bei ganzjähriger Freihaltung des Viehs bei H. Grünert 1968b, S. 22if. Hiernach konnten auf 1 km 2 der durch längere Wirtschaftstätigkeit gelichteten, von Brache durchsetzten Landschaft etwa 30 damalige Großvieheinheiten gehalten werden. E. S. Higgs, J. P. White (1963) an britischem Material der vorrömischen Eisen- und der Kaiserzeit; M. Teichert (1964a, S. 846) an Material aus der Siedlung der späten vorrömischen Eisenzeit von Schönburg, Kr. Naumburg; ders. 1964b, bes. S. 119, an Material jungbronzezeitlicher Burgwälle im Norden der D D R .

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1.—9. Jh. erbrachte, hauptsächlich aber dem 2-/3. Jh. angehört (J. Boessneck, T. Ciliga 1966, S. i47ff.), sowie literarisch aus dem 4. Jh. bezeugt.39 Bevorratung und Verwertung der Produkte: Die als Rohstoffe für Gebrauchsgüter nutzbaren Produkte der Viehzucht, wie Häute, Wolle, Knochen und Horn, wurden weitgehend im Hauswerk verarbeitet. Überschüsse, vor allem Häute und Gänsedaunen, dienten dem Austausch oder gelangten als Tribut an die Römer oder an fremde Stämme, gegebenenfalls auch als Geschenk oder Abgabe an eigene Stammesführer. Das Fleisch wurde roh40, geröstet oder gebraten, gekocht, gedünstet oder geräuchert verzehrt. Spuren von Salz, tierischem Fett und Hinweise auf Fleisch im Überrest einer breiartigen Speise aus der Siedlung des 2. Jh. von Straach, Kr. Wittenberg, 41 gehen möglicherweise auf gekochtes Fleisch (Fleischbrühe) zurück. Zum Konservieren von Überschüssen aus Winterschlachtungen verfuhr man nach althergebrachten Methoden, wie Trocknen, Räuchern42 und entsprechend den Möglichkeiten der Salzproduktion auch mittels Einsalzens (Pökeln).

A b b . 119. Tönernes Siebgefäß zur Quarkbereitung aus Güstow, K r . Rügen. 1:6 (nach P. Herfert, A. Leube 1967, A b b . 160).

Milch verbrauchte man frisch, geronnen (Tacitus, Germ. 23: lac concretum) oder zu Quark verarbeitet. Mit der Quarkbereitung werden seit langem die Siebgefäße (Abb. 119) in Verbindung gebracht, die in keiner Siedlung fehlen, für die ein einigermaßen repräsentativer Keramikquerschnitt vorliegt. Diese Deutung hat durch den Nachweis von Fettsäure an Scherben von der keltisch besiedelten Steinsburg bei Römhild (W. v. Stokar 1951, S. 96) an Wahrscheinlichkeit gewonnen. Der Quark konnte in Form kleiner Handkäse getrocknet und längere Zeit gelagert 39

40

41

42

Das älteste diesbezügliche literarische Zeugnis stammt von. Ammianus Marcellinus (17, 12, 2). E s bezieht sich auf das Jahr 358 und betrifft Sarmaten und Quaden. Der Genuß rohen Fleisches wird den Germanen zugeschrieben von Poseidonios (bei Dio Cassius 92, 2) und Mela (Chorographia 3, 28). Darin kommen jedoch auch allgemein auf „Barbaren" bezogene Vorurteile zum Ausdruck. Poseidonios spricht auch davon, daß die Germanen gliedweise gebratenes Fleisch aßen (bei Athenaios 4, 153E). Analysenbericht von W . v. Stokar, Dezember 1936, im Archiv des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle (Saale), Ortsakte Straach. Ausgereifte Räucherverfahren waren in Mitteleuropa zu Beginn u. Z. bekannt, wie die von den niederrheinischen Menapiern (Provinz Gallia Belgica) produzierten Schinken beweisen, die man in Rom als Delikatesse schätzte (Martialis, Epigr. 13, 54 u. a.).

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werden. Dagegen gibt es für die Erzeugung edlerer und fetthaltigerer Käsesorten keine Hinweise. 43 Butter, die in der Antike und noch in frühmittelalterlicher Zeit vielfach in ranzigem Zustand als eine Art Würze oder als Heilmittel diente, war nach Plinius 44 den Barbaren bekannt. Kleine bäuerliche Mooropfer der vorrömischen Eisenzeit aus Schleswig-Holstein sollen auch Butter enthalten haben. 45 c) Jagd und Fischfang Die Rekonstruktion der naturräumlichen Verhältnisse Germaniens und die Auswertung der antiken literarischen und epigraphischen Quellen46, deren Autoren sich mehrfach auf die gesamte Germania libera beziehen, bezeugen reiche Wild- und Fischbestände. Neben den noch heute in Mitteleuropa vertretenen Arten des Rot- und Schwarzwildes gehörten Wildrinder, Elche, Bären, Luchse und andere Tiere zum Standwild der Wälder. Einen Eindruck vom Reichtum an Bären vermittelt eine in Köln gefundene Weiheinschrift, mit der Centurio Tarquitius aus der seit dem 1. Jh. in Bonn stationierten 1. Legion der Legionspatronin Minerva dafür dankt, daß er in 6 Monaten 50 Bären — vermutlich für den Zirkus — fangen konnte. 47 Um so mehr verwundert, daß Fischund Wildbestände offenbar nur in bescheidenem Umfang zur Deckung des Nahrungsund Rohstoffbedarfs genutzt wurden. Mit teilweise weniger als 1 % bis höchstens 8 % Jagdtierknochen (Abb. 115) und einem nur schwach belegten Fischfang erweisen sich dieser und die Jagd eindeutig als Nebenzweige der Nahrungsgüterproduktion. Als Jagdtiere waren Rothirsch und Wildschwein mit durchschnittlich je 60—80 k g Schlachtgewicht begehrt. Diese Tiere sind in vielen untersuchten Knochenserien aus germanischen Siedlungen nachgewiesen worden, immer aber gegenüber den verzehrten Haustieren nur in einzelnen Exemplaren. Der Rothirsch war auch wegen seiner Haut und seines Geweihes geschätzt. Eingesammelte Abwurfstangen sind — gelegentlich in regelrechten Vorratslagern mit Sägeschnitten und anderen Arbeitsspuren an einzelnen Geweihstücken — in mehreren Siedlungen gefunden worden. Aus Knochen von Hirschen stellte man bei Bedarf Geräte her. Wildrinder, Ur und Wisent, mit Schlachtgewichten von etwa 300—400 kg und mehr, zählten ebenfalls zu den geschätzten Jagdobjekten, doch nicht minder begehrt waren ihre Haut und vor allem ihre Hörner, aus denen die beliebten, häufig paarig benutzten Trinkhörner hergestellt wurden (vgl. Cäsar, Bell. Gall. 6, 28; Plinius, Nat. hist. 11, 126). Ausweislich der archäologischen Funde wurden als Trinkgefäße auch Wisenthörner verarbeitet, die wegen ihrer geringen Krümmung sogar geeigneter waren. 43

44

45

46 47

Der Widerspruch zwischen Cäsar (Bell. Gall. 6, 22), der K ä s e (caseus) als ein H a u p t nahrungsmittel der Germanen nennt, und Plinius (Nat. hist. 11, 239), der den B a r b a r e n die Fertigkeit der Käsezubereitung abspricht, erklärt sich vermutlich so, daß Plinius mit „caseus" nur die besseren Sorten der römischen T a f e l bezeichnete. Plinius, N a t . hist. 1 1 , 2 3 9 ; 28, 133: b u t y r u m . Die W o r t f o r m weist wahrscheinlich auf balkanische oder südrussische Viehzüchtervölker. H. J a n k u h n 1955, S. 31. — A . D i e c k nennt in seinen Spezialstudien diese F u n d e nicht (vgl. A . D i e c k 1961, S. 26ff.; A . Dieck, O. Stöber 1962). So Cäsar, Bell. Gall. 6, 25ff.; Plinius, N a t . hist. 8, 38; 11, 4 4 I , 63; Tacitus, A n n . 4, 72. C I L X I I I , Nr. 12048. — Die Weiheinschrift eines „Bärenhegers" (ursarius), der seit dem 2. Jh. in V e t e r a (Xanten) stationierten 30. Legion wurde in der N ä h e des dortigen Lagers gefunden (CIL X I I I , 2, 2, Nr. 8639).

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Unter der durch Nahrungsüberreste bezeugten Jagdbeute kommen Reh und Hase, die lichte Waldungen bevorzugen, nicht häufig vor. Der Elch, der besonders in den Auenwäldern auftrat, zählt zu den Seltenheiten. Gelegentliche Funde von Bärenkrallen (Abb. 59n u. 120), die in germanischen und außergermanischen Siedlungen sowie als Grabbeigaben zutage traten, lassen auf Bärenjagd schließen. Die Krallen kommen sowohl durchbohrt als Anhänger vor, die — mit oder ohne Amulettcharakter — vermutlich die Tapferkeit des Bärenjägers ausweisen sollten, als auch undurchbohrt in meist größerer Zahl als Rückstände ganzer Bärenfelle.48

A b b . 120. Undurchbohrte Bärenkrallen aus der 1926 gefundenen Urnenbestattung mit Bronzekessel von Großromstedt, Kr.Apolda. 1:2. Universitätssammlung Jena.

Angesichts solcher Befunde stellt sich die Frage, ob man nicht bei schwerer, fernab der Siedlungen in unwegsamem Gelände zur Strecke gebrachter Jagdbeute nur die begehrtesten Rohstoffe und große, sowie besonders wohlschmeckende Fleischstücke mitnahm, während die großen charakteristischen Knochen gar nicht erst vollzählig in die Siedlungen gelangten. Das gilt vermutlich noch stärker für Raubtiere, wie Wölfe 49 ,, mit deren Tötung das Ziel der Jagd erfüllt war, und ebenso für kleine Pelztiere, wie Fischotter, Fuchs, Dachs, Hermelin, Iltis, Marder, Hamster, die gleich bei der Erlegung gepelzt wurden und deren Knochen deshalb nur selten in den Siedlungen auftauchen. Auch Vögel wurden gejagt. Nachgewiesen sind meistens nur in Einzelexemplaren Wildgänse und -enten, Höckerschwan, Kranich, Bleßhuhn, Rohrweihe, Zwergtaucher, Waldkauz, ferner Weißstorch, Mönchsgeier, Habichtskauz, Krähe, Seeadler und Zwergsäger. Besonderes Jagdgerät und die eigentlichen Jagdmethoden sind weitgehend unbekannt. Zweifellos waren Teile des allgemeinen Waffen- und Geräteinventars auch zur Jagd einsetzbar, wie die zur Männerausrüstung gehörenden Messer und Lanzen, die teils eiserne Bewehrungen, teils nur im Feuer gehärtete Spitzen (Tacitus, Ann. 2, 14) trugen. Das Moor von Oberdorla, Kr. Mühlhausen, enthielt unter den Opfergaben aus der Zeit zwischen dem 1. Jh. v. u. Z. und dem 1. Jh. u. Z. einen kleinen, gut gearbeiteten Bogen, mehrere Wurfhölzer und Schlagkeulen. Kleine Säugetiere und Vögel wird man sehr wahrscheinlich auch mit Hilfe von Fallen, Schlingen oder Netzen gefangen haben. In dem Bogen von Oberdorla haben wir — da die Funde von Bogen und Pfeilen aus dem Thorsberger Opfermoor nicht genau datiert sind — den bisher besten Nachweis 48

49

30

Zusammenstellung von Bärenkrallen bei E. Schmid 1941 (1942); seitdem zahlreiche wichtige Neufunde. Nachweis in einer Siedlung der römischen Kaiserzeit von Salzgitter-Lobmachtersen (G. Stelzer i960, S. 21). Germanen — Bd. 1

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dieser Waffe vom Beginn u. Z. Aus dieser Zeit fehlen sonst nicht nur die vergänglichen Bogen und Pfeilschäfte, sondern auch Pfeilbewehrungen aus Metall. Da weder Schriftquellen, die manches über die Waffen aussagen (s. S. 346 ff.), noch Nachrichten über germanische Hilfstruppen, noch römische Bilddarstellungen die Bogenwaffe bezeugen, kam ihr in der germanischen Ausrüstung der ersten Jahrhunderte u. Z. offenbar keine große Bedeutung zu. Erst seit dem 3. Jh. mehren sich die gegenständlichen Hinweise auf ihren Einsatz wieder. Das Motiv für die Jagd bei den germanischen Stämmen kann nicht vorrangig das Interesse an Nahrung und Rohstoff gewesen sein, da sie dafür einen zu bescheidenen Platz im Gefüge der Produktion einnimmt. Ein anderes Motiv liegt wohl in der Sicherung der Hauptproduktionszweige, wobei die Jagd zum Schutz der Haustierherden und der Kulturpflanzen vor Schädigung durch Raubtiere sowie Rot- und Schwarzwild eine Rolle spielte. Zu einer Zeit, in der Pflanzenanbau und Viehwirtschaft im wesentlichen die Nahrungsgrundlage sicherten, muß man die Jagd nicht in jedem Falle und nicht vorrangig unter dem Aspekt der Produktion sehen. Vielmehr bot sie wie keine zweite Art der Auseinandersetzung mit der Natur den Knaben und Jünglingen Gelegenheit zur Bewährung, den Männern die Möglichkeit, sich zu ertüchtigen und Beweise an Mut, Kraft, Ausdauer und Gewandtheit zu erbringen. Auf Überreste von Fischen stößt man in den Siedlungen noch wesentlich seltener. Es bleibt zu berücksichtigen, daß sie infolge ihrer geringen Größe oft restlos von Hunden verzehrt wurden oder wegen ihrer geringen Widerstandsfähigkeit gegen mechanische und chemische Einwirkungen während der Zubereitung als Speise (Braten, Kochen) bzw. während der Lagerung im Erdboden nicht ihrem tatsächlichen Aufkommen entsprechend repräsentiert sind. Einzelne Funde in Siedlungen des Binnenlandes belegen den Fang von Hecht, Blei, Plötze, Rotfeder und Flußbarsch, in küstengermanischen Siedlungen den von Meeresfischen, wie z. B. Steinbutt und Stör. Fischfang an der Meeresküste erwähnt auch Plinius (Nat. hist. 16, 3f.). 50 Schalen von Fluß- und Teichmuscheln in vielen Siedlungen des Binnenlandes, in den Küstensiedlungen auch von Meeresmuscheln, bezeugen einen speziellen Zweig der Sammelwirtschaft. In Ausnutzung der natürlichen Bedingungen besaß beispielsweise der Verzehr von Muscheln auf den Nordfriesischen Inseln größere Bedeutung. Das Muschelsammeln, das eine kleine Bevölkerungsgruppe im Raum der Flensburger Förde in den Jahrhunderten v. u. Z. verstärkt betrieb und von dem ganze Abfallhaufen zurückblieben (s. S. 135), wurde vermutlich in den ersten Jahrzehnten u. Z. fortgesetzt. Vom Geräteinventar sind bisher nur aus Ruten kunstvoll geflochtene Reusen (H.-J. Barthel 1977) überliefert.51 Außerdem darf man Angeln, Netze und vielleicht auch 50

51

Auf den Fischreichtum an der Meeresküste, in den Strandseen und den Unterläufen der Flüsse weist die Tätigkeit römischer Fischereipächter-Genossenschaften an der friesischen Küste hin. Eine bezeugte sich zu Ende des 1. Jh. durch eine 1888 bei Beetgum, et