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German Pages [300] Year 1982
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CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Piltz,
Anders:
Die gelehrte Welt des Mittelalters / Anders Piltz. [Ubers, aus d. Schwed. von Sybille Didon], - Köln; Wien: Böhlau, 1982. Einheitssacht.: Medeltidens lärda värld »dt.« ISBN 3-412-01881-3
Copyright 1978 by Bokfölaget Carmina och Anders Piltz Übersetzung aus dem Schwedischen ins Deutsche: Sybille Didon Copyright© der deutschsprachigen Ausgabe 1982 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Alle Rechte vorbehalten Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Werk unter Verwendung mechanischer, elektronischer und anderer Systeme in irgendeiner Weise zu verarbeiten und zu verbreiten. Insbesondere vorbehalten sind die Rechte der Vervielfältigung - auch von Teilen des Werkes - auf photomechanischem oder ähnlichem Wege, der tontechnischen Wiedergabe, des Vortrags, der Funk- und Fernsehsendung, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, der Ubersetzung und der literarischen oder anderweitigen Bearbeitung. Satz: MS-Meyer, St. Augustin Druck: Satz-Grafik-Drucksachen Helmut Labs, Neuss 21 Titelsatz und Umschlag: Helmut Labs Printed in Germany ISBN 3-412-01881-3
Inhalt VORWORT
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DER HINTERGRUND Der Zusammenbruch des Abendlandes: Von Ägypten hinaus in die Wüste Überreste antiker Bildung Die Bildungsreform Karls des Großen Die Klosterkultur Die sieben freien Künste Theologie in den Fußstapfen der Väter „Dionysios" und das hierarchische Weltbild Die vierfache Bedeutung der Heiligen Schrift Weltliche und göttliche Weisheit Die Klosterliteratur Eine körperliche Vorstellungswelt Mittelalterlicher Piatonismus und Humanismus Ein Tag in Chartres Medizinische und menschliche Bildung Die Kathedralschulen überflügeln die Klöster
11 15 20 21 23 31 33 35 38 42 44 46 48 51 56
DIE NEUE WISSENSCHAFT Pierre Abelard, der erste „Akademiker" Die alte Logik Porphyrios und die Allgemeinbegriffe Die Kategorien Sätze und Gegensätze Die Definition fängt das Wesen der Dinge Der Anfang einer juristischen Scholastik Die Glossatoren von Bologna Das kanonische Recht und die Geburt der Quellenkritik Das Dekret des Gratian
59 61 64 67 68 70 71 73 79 81
Die Logik der Offenbarung Abelard: Die Vernunft steht über dem Glauben Der Antidialektiker Bernhard von Clairvaux Die Vorlesung findet ihre Form Lombardus, der „Sentenzenmeister" Die neue Logik Die „dialektische" Wissenschaft: Die Kunst des Überzeugens Die Sophistik: Die Kunst des Betrügens Einmarsch der Wissenschaftlichkeit I: Die Syllogismen Einmarsch der Wissenschaftlichkeit II: Der allgemeingültige Satz Der neue Professionalismus Die neue Physik Das aristotelische Weltbild Die aristotelische Psychologie Die aristotelische Metaphysik Die arabische Philosophie: Aristoteles begegnet Allah
83 86 88 90 92 97 100 102 104 108 111 113 115 118 122 126
DIE UNIVERSITÄTEN: FORM UND INHALT Die Gründung der Universität von Paris — eine soziale Erfindung 129 Freiheit in Grenzen 133 Widerstand und Unterwerfung 137 Privilegien, Fakultätsorganisation und Rektorat 139 Bologna — studentische Demokratie und Korpsbrüderschaft 142 Vorlesungen und akademische Grade 146 Aristoteles fordert die Theologie heraus 149 Lektion und Disputation 151 Medizinische Theorie . . . 153 . . . und Praxis 157
DIE SCHOLASTIK: DIE LEHRMEISTER UND IHRE SCHULEN Die Bettlerorden ziehen in Paris ein Der seraphische Lehrer: Wissenschaft und Weisheit Erstaunen erregende Forschung
163 165 169
Oxford: Experiment und Erfahrung Der Enzyklopädiker Albertus Magnus Der gesamte Aristoteles Die aristotelische Sittenlehre Die aristotelische Politik Thomas und die scholastische Synthese Theologie: Die Wissenschaft vom Sinn des Lebens Die Sprache und das Mysterium Autorität und Vernunft Die Gnade vollendet die Natur Das blendende Licht des Selbstverständlichen Die Schöpfung der Welt, Gottes Existenz und das Problem des Bösen Sinne, Instinkte, Phantasie, Gedanke und Gedächtnis Vernunft und Natur als höchste Normen Der Sündenfall: Die Ordnung der Natur verändern Natürliche und über-natürliche Selbstverwirklichung Staat, Demokratie und die „rationelle Distinktion" Gedächtnisübung I: Sprachlehre, Sittenlehre und die Essenz des Scholars Gedächtnisübung II: Der Abt und das Wildschwein Die doppelte Wahrheit und die Intelligenz als Genußmittel Unglaube, Irrtum und Unfreiheit des Willens ,,Sortes" und die Sophismen Die Modisten und Ockhams Rasiermesser Duns Scotus und die „Formalitäten" Das Primat des Willens über das Wissen Ockham: Die Allgemeinbegriffe sind wie Etikette . . . Gottes Machtfülle und die Hinfälligkeit des Universums Via antiqua und via modema Ein Handbuch über die „Wege" Epilog
171 174 178 179 183 185 188 191 194 197 199
219 223 226 229 232 236 238 241 243 245 249 255 259
TEXTE
263
LITERATUR UND QUELLEN
281
CHRONOLOGIE
287
REGISTER
291
202 205 209 211 214 216
VORWORT
V o m 13. Jahrhundert bis etwa zu den großen Umwälzungen des 16. Jahrhunderts — also ganze drei Jahrhunderte lang — konnten sich alle gebildeten Menschen in Europa noch miteinander verständigen und zwar nicht nur mittels einer gemeinsamen Sprache, sondern auch, und das ist viel bemerkenswerter, dank einer gemeinsamen Vorstellungswelt und einer einheitlichen Terminologie. In der Debatte kannte der Redner genau die Bedeutung seiner Worte, sein Gesprächspartner ebenfalls. Über die Sache an sich konnten sie völlig verschiedener Ansicht sein, sie wußten aber immerhin, daß sie sich nicht deswegen stritten, weil sie mit ein und demselben Wort verschiedene Dinge meinten. Sie dachten buchstäblich in gleichen Kategorien. Sie bezogen sich auf ein und dieselbe innere Landschaft. Es ist eine uns fremde Welt, die hier präsentiert wird. Ihre Grundzüge sollen einigermaßen begreiflich gemacht werden, damit der Leser die eigenen Gedankengänge mit zeitlich und räumlich entfernten Kulturen konfrontieren und kontrastieren kann — und sollte er hier und da Neugier verspüren, so hat der Verfasser seine Absicht erreicht. Im Bereich der mittelalterlichen Bildung gibt es Abschnitte, die in literaturhistorischen Übersichten meistens übergangen werden mit der Begründung, es handle sich um Scholastik. Aber gerade diesen Abschnitten soll hier Aufmerksamkeit gewidmet werden. Einzuwenden wäre allerdings, daß man diesen Vorsatz mit dem (höchstwahrscheinlich niemals gemachten) Vorschlag vergleichen könnte, Kants „Kritik der reinen Vernunft" als Buch des Monats in „Das Beste aus Readers Digest" erscheinen zu lassen. Darüber mag der Leser selbst urteilen. Ich hatte Versuchungen von zweierlei Art zu bekämpfen, nämlich die allzu starke Vereinfachung und die Vollständigkeitssucht. Die gelehrte Welt des Mittelalters war sehr viel komplexer, als es sich jemals in einem einzigen Buch darstellen ließe. Aber in unserer Zeit scheint der A b stand zur Gedankenwelt des Mittelalters immer größer zu werden — nicht zuletzt wegen der ständig abnehmenden Latein-
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kenntnisse — und deshalb mag vielleicht doch ein Buch am Platze sein, das nichts weiter will, als eine Einführung in die wichtigsten Elemente der mittelalterlichen Bildung und Terminologie zu geben. Die üblichen Handbücher der mittelalterlichen Philosophie sind derart ausführlich und setzen so große Vertrautheit mit der scholastischen Diktion voraus, daß man ohne gründliche Vorkenntnisse in Geistesgeschichte und Latein beim Lesen leicht den Mut verliert. Die hier behandelten Denker habe ich nach dem Einfluß ausgewählt, den sie auf ihre Zeit und auf ihre Nachwelt ausübten. Aus diesem Grunde fehlen hier viele interessante Gestalten. Daß Thomas von Aquin auf Kosten anderer großer Denker verhältnismäßig viel Platz einnimmt, bedeutet nicht, daß alle anderen Werke nur als Randbemerkungen zu seiner „Summa" von Interesse sind. Damit ist auch schon gesagt, was dieses Buch nicht sein will. Die belletristische Literatur wird hier nicht berücksichtigt, weil es in beinahe jeder öffentlichen Bibliothek gute Handbücher der mittelalterlichen Literaturgeschichte geben dürfte. Auch die Geschichte der Naturwissenschaften im Mittelalter ist hier nur in Kürze behandelt worden. Dieses Buch will dem Leser helfen, einige der grundlegenden Elemente zu verstehen, die einst zu dem gemeinsamen Wissensfundus gehörten, der allen Studenten zur Verfügung stand. Viele von den internationalen Worten unserer Alltagssprache sind mittelalterlichen Ursprungs, und auch die Gedankengänge und Begriffe jener Epoche haben zum großen Teil das Mittelalter überlebt. Deswegen sind die Schlüsselbegriffe hier am Rande verzeichnet. Die abschließenden lateinischen Originaltexte sollten nach Möglichkeit gelesen werden, um der gelehrten Welt des Mittelalters wirklich den Puls zu fühlen. Sie sind jedenfalls nicht hinzugefügt worden, u m Nichtlateiner von der Lektüre des Buchs abzuschrecken. Uppsala, A. P.
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DER HINTERGRUND Der Zusammenbruch des Abendlandes: Von Ägypten hinaus in die Wüste Wir wollen einmal folgendes Gedankenexperiment anstellen: Angenommen, daß unsere Gesellschaft wegen plötzlicher Kriegsausbrüche und Katastrophen nach und nach zu funktionieren aufhört. Handel und Verkehr brechen zusammen und die damit eng verknüpfte Spezialisierung des Wirtschaftslebens muß durch selbstversorgende Dorfgemeinschaften und große Güter ersetzt werden. Die internationalen Handelsstraßen benutzt man nicht mehr, und es passiert selten, daß jemand berichtet, wie es jenseits des überblickbaren Gesichtskreises aussieht. Die Neuigkeiten sind fast immer schlecht: Eine Räuberbande hat das Nachbardorf überfallen, hat gemordet, gebrandschatzt und geschändet. Bestenfalls kann man sich gegen ein reichlich bemessenes Entgelt den Schutz eines tatkräftigen und einfallsreichen Bandenchefs erkaufen. Die einst so hoch entwickelte und gefürchtete zentrale Macht, von der die Alten noch zu berichten wissen, ist nunmehr zu einer reinen Abstraktion verwittert, und die bisher differenzierteste und gut funktionierende Administration der Welt gibt es einfach nicht mehr. An die Kultur wollen wir erst gar nicht denken. — Wer kann sich wohl um Bücher und deren Schicksale Sorgen machen, wenn die vitalen Bedürfnisse des Alltags so dringend sind! Aus reinem Zufall können Bruchstücke der Litaratur und der Denksysteme überlebt haben, andererseits sind private Bibliotheken durch eine Laune des Schicksals von Feuer und anderen Verheerungen verschont geblieben. Sollte es eine Generation nach der großen Katastrophe noch jemand geben, der lesen kann, so würde sein Bild von der geistigen Kultur vergangener Zeiten ausschließlich durch das, was an schriftlicher Überlieferung vorhanden ist, geprägt sein; z. B. durch eine Gedichtsammlung oder Fig. 1. Das erste Blatt aus der Grammatik des Donatus, dem obligatorischen Lehrbuch der mittelalterlichen Schulen. Die reich verzierte Initiale P hat der Buchdrucker nicht etwa zum Inhalt passend, sondern aus rein ästhetischen Gründen gewählt. Aus dieser Kombination geht deutlich hervor, daß die Kirche im Mittelalter beinahe für die gesamte Schulausbildung verantwortlich war (vgl. S. 26). „Donatus", gedruckt von Lienhart Isenhult in Basel, um 1500.
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die Reste einer historischen Darstellung oder etwa durch Ratschläge für die Düngung und Viehseuchenbehandlung. Die meisten unserer eigenen Zeitgenossen haben wohl irgendwann einmal mit dem Gedanken gespielt, daß sich unsere ungeheuerlich komplizierte Zivilisation selbst zu Fall und in die oben beschriebene Situation bringen könnte, nämlich in die Situation, in der sich das römische Imperium befand, nachdem es von den Konvulsionen der germanischen Völkerwanderung erschüttert worden war. Heutzutage würde sich der Zusammenbruch schneller vollziehen, weil die Spezialisierung unvergleichlich höher entwickelt ist und weil eine außerordentlich verwundbare Technologie alle Bereiche des Lebens steuert. Aber die im 5. Jahrhundert eingeleitete Barbarisierung des Abendlandes vollzog sich auch relativ rasch: Schon im 7. Jahrhundert herrschte das große Schweigen in den Kernländern des Kontinents. Man sollte sich jedoch vor Übertreibungen hüten. Die so oft geäußerte Behauptung, die geistige Kultur wäre innerhalb von ein paar Jahrhunderten ganz einfach verfallen, ist keinesfalls berechtigt. Vor dem Zusammenbruch hatte jede Stadt, die etwas auf sich hielt, eine öffentliche Schule, und es gibt Anzeichen dafür, daß dieses antike Schulwesen in irgendeiner Form in den norditalienischen Städten weiterlebte. Was noch wichtiger ist: In Gestalt der katholischen Kirche gab es eine Organisation, die Elemente der alten zivilen Verwaltungsstruktur bewahrte. Im allgemeinen stimmten die Bistümer mit den administrativen Einheiten des Imperiums überein. Die lateinische Literatursprache lebte im Gottesdienst und in der Kirchenverwaltung weiter. Innerhalb der Kirche hörten die internationalen Verbindungen niemals auf. In den Gebieten, wo Priester in der Ausbildung die offizielle Sprache der Kirche als reine Fremdsprache zu erlernen hatten, was ja bei den Deutschen, Irländern, und Engländern der Fall war, mußte dieser Lernprozeß zu einem — wenn auch noch so bescheidenen — Kontakt mit der profanen Kultur, Literatur und Bildung führen. Die Kirche, die ja keine allgemein akzeptierte Einstellung zu weltlichem Wissen hatte, sah sich deswegen genötigt, ihr eigenes Verhältnis zur ererbten heidnischen Kultur zu präzisieren. Sie hatte intellektuell veranlagten Menschen keine eigene Philosophie anzubieten, ihre Botschaft war wenig präzise. Sie lebte, atmete und bewegte sich in einer semitischen Bilderwelt, die mit Gleichnissen und Symbolen auf eine höhere und unsichtbare Wirklichkeit hinwies. Mit Vorliebe stellte sie sich als das neue und wahre Israel dar, das aus der ägyptischen Gefangenschaft, d. h. aus der sich selbst 12
und seinen blinden Begierden verfallenen Welt aufgebrochen und durch den Gang über das Rote Meer — durch die Taufe — gerettet worden war, um nun durch die Wüste — das Erdenleben — zum gelobten Land — dem himmlischen Jerusalem — zu wandern und sich auf dem anstrengenden Wüstenmarsch mit himmlischem Manna — dem Abendmahl — zu stärken. Aus dieser Perspektive betrachtet, mochte weltliche Weisheit als trügerischer Irrweg erscheinen, als lockende Sinnestäuschung in der Wüste, lediglich dazu geeignet, die Aufmerksamkeit vom einzig Wichtigen abzulenken, so wie ein Opfer, das dem Goldenen Kalb dargebracht wird, von dem Weg wegführt, den Christus, der neue Moses, abgesteckt hat. In den ersten Jahrhunderten des Bestehens der Kirche war daher ihr Verhältnis zu den Errungenschaften der heidnischen Kultur recht zwiespältig. Es gab jedoch eine Reihe von hochbegabten Menschen, denen es allmählich gelang, das scheinbar Unvereinbare so miteinander zu verbinden, daß eine unauflösliche Ehe entstand. Zum Schluß stellte die Kirche sogar den einzigen Zufluchtsort und Garanten der Kultur dar. Neben dem Apostel Paulus hat kein Mensch eine so große Bedeutung für die geistige Physiognomie des Abendlandes erreicht wie der Bischof und Philosoph Augustinus (354—450). Nachdem er mehrere Irrfahrten überstanden hatte und in reiferen Jahren ein demütiger Christ geworden war, beschäftigte er sich eingehend mit der Frage, wie die großartige heidnische Kultur, die er sich selbst gründlich zu eigen gemacht hatte, angesichts der höchsten Offenbarung der Wahrheit zu beurteilen sei, d. h. im Verhältnis zum Auftreten Gottes im menschgewordenen Wort. Augustinus gelangte zu folgendem Schluß, der während des ganzen Mittelalters dazu diente, kulturfeindliche christliche „Radikale" im Zaum zu halten: Die Ägypter hatten nicht nur Götzenbilder und schwere Bürden, von denen Israels Volk mit Abscheu entfloh. Sie hatten auch Gefäße und Zierrat aus Gold und Silber, dazu Kleidung, die das Volk beim Auszug aus Ägypten im Geheimen und der besseren Nutzung wegen für sich beanspruchte, nicht etwa eigenmächtig, sondern weil die nichtsahnenden Ägypter, auf Gottes Befehl die von ihnen mißbrauchten Sachen weggaben. Genauso enthalten sämtliche Lehren der Heiden nicht nur freie Phantasien und abergläubische Wahnvorstellungen, also den Ballast unnützer Mühen, den wir alle beim Aufbruch von der heidnischen Gemeinschaft verabscheuen und meiden müssen, sondern auch die freien Wissenschaften, die sich am besten für das neue Leben in der Freiheit eignen. Bei ihnen findet man 13
unschätzbare ethische Regeln und viel Wahres über die Anbetung des einzigen Gottes. Was die Israeliten an Gold und Silber für sich beanspruchten, hatten die Ägypter nicht selbst produziert. Gottes Vorsehung hatte es in die überall zutage tretenden Erzadern gegossen. In ihrer Verblendung mißbrauchten die Ägypter diese Gaben zum Götzendienst. Wenn ein Christ in seinem Inneren ihre schlimme Gemeinschaft verläßt, sollte er ihre Reichtümer mitnehmen und sie zur richtigen Verwendung kommen lassen, nämlich zur Verkündung des Evangeliums. Menschliche Einrichtungen, wie z. B. ihre Kleidung, die in diesem Dasein unerläßliche Voraussetzungen für das Leben in der Gemeinschaft sind, dürfen übernommen und benutzt werden, nachdem man sie christianisiert hat. Für Augustinus haben die Kultur und ihre Produkte einen propädeutischen Wert, den Wert eines Hilfsmittels, mit dem man in die eigentlichen Reichtümer eindringen kann. In Jerusalem, dem Ziel der Wanderung, würde man sämtliche Schätze Ägyptens in veredelter Form wiederfinden.
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Überreste antiker Bildung
Der Aufbruch von Ägypten geschah jedoch in großer Eile, und das Spiel des Zufalls entschied, welche Schätze jeder mit in die Wüste nehmen konnte. Ausschlaggebend für das, was im Mittelalter Gemeingut werden sollte, waren in vielen Fällen individuelle Menschenschicksale. Der gegen Ende des 6. Jahrhunderts im hohen Alter gestorbene, hochgebildete Beamte Cassiodorus wußte die Zeichen der Zeit richtig zu deuten: Wenn irgendetwas gerettet werden sollte, mußte es auf ein handlicheres Format reduziert werden. Er zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und gründete das Kloster Vivarium in Bruttien, um dort die Reste antiker Kultur zu sammeln und zu ordnen. Was schon Augustinus als die freien Künste bezeichnet hatte, faßte Cassiodorus in einem Kompendium zusammen. Er versuchte auch, Regeln für die lateinische Rechtschreibung aufzustellen, um der ständig zunehmenden Verwirrung abzuhelfen. Ein grausames Spiel trieb das Schicksal mit dem hervorragendsten aller Enzyklopädisten, Boethius, (gest. 524), „dem letzten Römer und ersten Scholastiker". Im Abendland war er einer der Letzten,
Fig. 2. Bevor die Kinder Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft aufbrachen, hatten sie den Ägyptern Silber- und Goldkleinodien sowie die Kleidung abgefordert. „Dazu hatte der Herr dem Volk Gnade gegeben vor den Ägyptern, daß sie ihnen willfährig waren, und so nahmen sie es von den Ägyptern zur Beute." (Zweites Buch Mose 12.35—36). Danach zogen sie in die Wüste hinaus und schlachteten das Osterlamm. Für Augustinus und die Menschen des Mittelalters war dies eine deutliche Sprache: Die goldenen Gefäße und Kleider der ägyptischen Beute bedeuten heidnische Philosophen und gemeinnützige Institutionen. Durch die Wüste der Zeit wandert die christliche Kirche zum gelobten Land und bereitet unterwegs das neue Osterlamm, das heißt Christus, zu einer Mahlzeit. Nach Gottes Ratschluß soll sie die mitgeführte Beute zum Dienste des wahren Gottes nutzen. Auf diese Weise legitimierte man das Studium des gesamten antiken Kulturguts, also auch des heidnischen, innerhalb der kirchlichen Ausbildung. Abbildung aus der ersten in Köln, um 1479.
Bibel
auf deutsch,
gedruckt
von Heinrich
Quentell
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artes liberales
der das Griechische beherrschte, und er hatte sich vorgenommen, den ganzen Piaton und den ganzen Aristoteles ins Lateinische zu übertragen. Sicher wäre das Mittelalter anders geprägt worden, wenn seine Pläne verwirklicht worden wären. Aber Boethius hatte Pech. Ohne stichhaltige Gründe verdächtigte man ihn der Teilnahme an einer Verschwörung gegen den ostgotischen König Theoderich. In Erwartung der Tortur und Hinrichtung schrieb er sein Buch „Über den Trost der Philosophie". Boethius schrieb Poesie und Prosa * .
De consolaü
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ohne jede Vorlage. Es war eine Synthese antiker Philosophie, verfaßt von einem Mann, der mit seinem Werk zu einer Einheit verschmolzen war. Wenn wir auch Theoderich dafür dankbar sein können, daß er indirekt den Anlaß zu einem der größten Werke der Literatur gab, so muß man dennoch beklagen, daß seine despotische Furchtsamkeit die Nachwelt der Möglichkeit beraubt hat, die wichtigsten Arbeiten von Piaton und Aristoteles kennenzulernen. Boethius gelang es nämlich nur, einen Teil der elementaren Logik des Aristoteles zu übersetzen sowie die Einleitung (zu den Kategorien) isagoge des Aristoteles-Kommentators Porphyrios. Im 12. Jahrhundert sollten diese Übersetzungen als „die alte Logik" bezeichnet werden (vgl. Seite 61). Für die eigentliche Geistesgeschichte war diese logische Literatur und die ebenfalls von Boethius verfaßten kleineren Schriften über angrenzende Themen von ausschlaggebender
Fig. 3. Die Arithmetik, vertreten durch ihre Theoretiker: rechts Pythagoras und links Boethius. Die Arithmetik war das erste Fach des Quadrivium. An der karolingischen Schule baute der Mathematikunterricht auf Martianus Capeila und Boethius auf. Man brauchte unbedingt eine sichere Berechnungsgrundlage für das Osterfest, und deswegen entstand eine neue Wissenschaft, nämlich cömputus ecclesiasticus (kirchliche Zeitrechnung). Das grundlegende Lehrbuch war „De temporum ratione" von Beda Venerabiiis, geschrieben 127. Wie auf so vielen anderen Gebieten kam der große Fortschritt in der Mathematik erst im 12. Jahrhundert, als die Übersetzungen aus dem Arabischen bekannt wurden, vor allem Al-Khwarizmis Algebra (die im Mittelalter nach ihrem Urheber Algorismus genannt wurde). Im 13. Jahrhundert führte man die arabischen Ziffern ein unter anderem die Null, was das Rechnen bedeutend leichter machte. Als mathematischer Standardtext galt John of Holywoods (Johannes Sacroboscos) „Algorismus vulgaris", verfaßt um 1250 in Paris. Von nun an gab es im Lateinischen Worte wie cyfra (aus dem Arabischen), additio, subtractio, multiplicatio, divisio, radix, productum und so weiter. Diese Ausdrücke sind auch in den modernen Sprachen vollkommen unentbehrlich. Auf nebenstehendem Bild rechnet Boethius gänzlich unhistorisch mit arabischen Ziffern. — Gregorius Reisch, „Margarita philosophica", (Erstausgabe 1496), gedruckt von Sebastian Henricpetri in Basel, 1583.
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philosophiai
Etymologiae
Bedeutung. Man möchte beinahe behaupten, daß das aristotelische Schema für die Deutung der Sinneseindrücke in der Hirnrinde aller jener Studenten eingeprägt gewesen sein muß, die nach der BoethiusRenaissance des 11. Jahrhunderts mit Hilfe der Logik alle Rätsel des Daseins zu lösen versuchten. Wir werden noch verschiedentlich auf Boethius zurückkommen. Der bei weitem erfolgreichste Kompilator war der spanische Bischof Isidorus von Sevilla (gest. 636). Er hatte die Absicht, in einem einzigen Band, etwa vom Umfang eines dicken Romans, das gesamte menschliche Wissen im Destillat zu sammeln. Weil hier den meistenteils recht fabulösen Herleitungen von Namen und Termini großes Interesse gewidmet ist, bekam dieses Buch den Namen „Etymologien". Kein Schriftsteller hätte größeren Erfolg haben können als dieser Enzyklopädist. Noch heute sind ein paar tausend Abschriften des Buchs erhalten, ja, es dürfte während des ganzen Mittelalters in jeder wichtigeren Bibliothek gestanden haben. Die Kapitelüberschriften geben Aufschluß über den abwechslungsreichen Inhalt — Isidor schöpfte aus den Quellen, die er in seiner eigenen Bibliothek gerade zur Hand hatte. I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII.
IX. X. XI. XII. XIII.
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Die Grammatik und ihre Teilgebiete. Die Rhetorik und Dialektik. Die Mathematik und ihre Unterabteilungen: Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie. Medizin. Gesetze und juristische Urkunden. Die Zeitrechnung. Der Inhalt der Bibel. Der Osterzyklus. Verordnungen der Konzilien. Feiertage und Gottesdienst. Gott und die Engel. Prophetische Namen. Namen heiliger Väter. Märtyrer, Geistliche, Mönche. Weitere Namen. Die Kirche und die Synagoge. Die Religion und der Glaube. Ketzerei. Philosophen, Poeten, Wahrsagerinnen, Zauberer, Heiden. Heidnische Götter. Die Sprachen der Welt. Ausdrücke für Könige, Krieger und Bürger. Bezeichnungen der Verwandtschaftsverhältnisse. Wortherleitungen in alphabetischer Folge. Der Mensch und seine Teile. Die verschiedenen Altersstufen des Menschen. Wahrzeichen und Mißbildungen. Vierfüßler, Kriechtiere, Fische und Vögel. Die Elemente: Himmel, Luft, Wasser, Meer, Flüsse und Üb erschwemmungen.
XIV.
Die Erde, das Paradies, die Erdteile, Inseln, Berge und andere geographische Begriffe. XV. Städte. Gebäude in Städten und auf dem Lande. Landesvermessung und Verkehr. XVI. Erdarten und Mineralien. Gestein und Edelsteine. Elfenbein, das in Marmor entdeckt wurde. Glas. Alle Metalle. Maße und Gewichte. XVII. Landwirtschaft. Früchte aller Arten. Wein- und Obstzucht. Kräuter und Gemüse. XVIII. Kriege und Siege. Waffen. Gerichtshöfe. Schauspiele. Würfelund Ballspiele. XIX. Schiffe und Boote, Taue, Netze, Gießerei und Maurerei. Bauwerkzeug. Spinnerei. Kleidung und Schmucksachen. XX. Tische. Essen und Trinken. Trinkgefäße. Gefäße für Wein, Wasser und öl, Speisen und Mehl. Lampen. Betten, Stühle, Wagen. Landwirtschafts- und Gartengeräte. Zaumzeug. Die restliche antike Philosophie war wenig bedeutend und ihr Inhalt oft unverständlich. Hand in Hand mit dem etymologischen Interesse ging die Vorstellung, daß eine notwendige Verbindung zwischen den Bezeichnungen und dem Wesen der Dinge existiere. Die Lektüre des Isidorus regte natürlich im allerhöchsten Grade die Phantasie an und mußte bei einem Leser, dem keine andere Wissensquelle zur Verfügung stand, eine starke intellektuelle Neugier hinsichtlich der dunklen Zusammenhänge zwischen Wirklichkeit und Sprache ausgelöst haben.
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Die Bildungsreform Karls des Großen Um das Jahr 800 gelang es Karl dem Großen, unter den Völkern, die den heutigen Deutschen, Franzosen und Italienern entsprechen, eine zentrale Macht aufzubauen. Zu jener Zeit mußte die antike Kultur nach Jahren der Gewalt und der kontinentalen Isolierung aufs neue erobert werden. Karl hatte eine Vision: Er wollte das römische Imperium wieder erstehen lassen, ein nach christlichen Grundsätzen ausgerichtetes römisches Imperium. Wie Körper und Seele so sollten sich Staat und Kirche zueinander verhalten. Der Bildungsstand mußte wieder zu seinem früheren Niveau angehoben werden, und dies sollten, nach Karls Plänen, die Priester bewerkstelligen. Deswegen war es zunächst unbedingt notwendig, den Dienern der Kirche eine solide Grundausbildung zu erteilen und eine Voraussetzung dafür war wiederum, daß die Sprache des Cicero und des Augustinus dem Verfall entrissen und in ihrem alten Glanz wiederhergestellt wurde, denn sie war das einzige zur Verfügung stehende Medium, das sich für abstrakte Gedankengänge eignete. Karl war nicht der Mann, der es bei Träumereien bewenden ließ. An seinem Hof in Aachen versammelte er die damalige intellektuelle Elite aus England, Irland, Italien und Spanien, wo die Kultur einen günstigeren Nährboden gefunden hatte als in den verwilderten Kernländern des europäischen Kontinents. Aus York kam der außerordentlich begabte Alkuin, der nicht nur Karls persönlicher Freund und Lehrer wurde, sondern auch eine Art Kultusminister des neuen Imperiums. Er war zugleich Dichter, Grammatiker, Logiker, Mathematiker und Astronom. Wie kaum ein anderer besaß er die Fähigkeit, die Wißbegier seiner Schüler auf pädagogische Weise zu stimulieren. Der große Beda (Beda Venerabiiis, der Verehrungswürdige) hatte in England als Interpret der Bibel sowie als Philologe, Historiker und Astronom gewirkt, ehe er von Karl berufen wurde. Was hier unter Alkuins Leitung in Mitteleuropa eingepflanzt und einem systematischen Ausbildungsprogramm zugrunde gelegt wurde, war die erlesenste Kultur des frühen Mittelalters.
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Die Klosterkultur Bei aller Bewunderung so wichtiger individueller Leistungen sollten wir jedoch nicht die kollektive Kraft des Klosterwesens unterschätzen, ohne die das Licht dieser großen Gestalten längst erloschen wäre. Cassiodorus hatte ein Kloster gegründet und angeordnet, daß der geistige Dienst im Krieg gegen den Teufel teilweise aus Abschreibarbeit bestehen sollte. Er besang sogar die Kunst des Buchstabenmalens mit einer Hymne: Welch' selige Anstrengung, welch' teure Mühsal, mit den Händen den Menschen predigen zu dürfen, mit den Fingern ihre Lippen zu öffnen, den Toten eine stille Seelenrettung zu vermitteln und die verbrecherischen Anschläge des Teufels mit Feder und Tinte zu bekämpfen! Cassiodorus machte es seinen Mönchen zur heiligen Pflicht, verschwundene literarische Werke aufzuspüren und zu bewahren; und viele von den Handschriften, die er gesammelt hatte oder anfertigen ließ, fanden später den Weg zum norditalienischen Kloster Bobbio und von dort zur päpstlichen Bibliothek im Lateran, aber auch nach Irland und nach Jarrow in England, dem Kloster des ehrwürdigen Beda. Die Ordensregel des heiligen Benediktus (gest. ca. 547), auf die sich das abendländische Mönchswesen gründete, enthält keine Andeutungen, daß der Stifter die Klöster als Zentrum der Kultur vorgesehen hätte. Er wollte nur „eine Schule für den Dienst an Gott" einrichten. Nicht einmal als die Benediktiner auf der Höhe ihrer kulturvermittelnden und kulturfördernden Tätigkeit standen, sahen sie ihre Beiträge zur Zivilisation, Bildung, Literatur, Musik und Baukunst als etwas anderes an als einen Gottesdienst mit kulturellen Ausdrucksmitteln. Die Ordensregel schrieb jedoch vor, daß jeden Tag bestimmte Stunden der „heiligen Lektüre" gewidmet werden sollten, d. h. der Bibel und den Schriften der Kirchenväter. Alljährlich zu Beginn der Fastenzeit war jeder der Brüder verpflichtet, einen Kodex aus der Bibliothek zu holen und ihn im Laufe des Jahres von Anfang bis Ende durchzulesen. Wo es eine Bibliothek gab, dürfte es auch eine Schreibstube gegeben haben, und für die
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lectiodivina
Ausbildung im Lesen und Schreiben mußte schon allein deswegen gesorgt werden, weil die Klöster ihren Nachwuchs unter den Jünglingen anwarben, die ihnen aus verschiedenen Gründen von den Eltern anvertraut waren. In den Außenbezirken des Imperiums hat man den Unterricht sicher mit den grundlegenden Elementen der lateinischen Sprache begonnen. Mit anderen Worten: Ein Teil des Klosterpersonals bekam den Auftrag, die Verantwortung für eine Schule zu übernehmen und zwar als mehr oder weniger hauptsächliche Beschäftigung. Diese Klosterschulen waren die Keimzellen des europäischen Ausbildungswesens. Vor allem dank ihrer Klöster beherrschte die Kirche fast den gesamten Unterricht, ohne daß sie jemals der Kultur an sich einen absoluten Wert beigemessen hätte. Was anfangs aus dem unmittelbaren Bedürfnis entsprang, die Heilige Schrift verstehen und den Gottesdienst richtig ausüben zu können, wurde mit der Zeit zu einer Bewegung aus eigener Kraft.
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Die sieben freien Künste
Alkuin hatte gehofft, daß sich der Kaiserhof in Aachen zum Sitz einer wiedererstandenen Akademie entwickeln würde, zu einer genauso hervorragenden Akademie wie der platonischen, die aber darüber hinaus durch die Wahrheit Christi geheiligt war: Wenn viele an dem von Euch geplanten Studium teilnehmen, könnte im Frankenreich ein neues Athen entstehen, ja, es könnte sogar das erste an Glanz übertreffen. Geadelt durch die Lehre Christi, unseres Herrn, wird unsere Schule alle Gelehrsamkeit jener Akademie übertreffen, die sich nur den Lehren Piatons widmete und ihren Ruhm durch die Beschäftigung mit den sieben freien Künsten erwarb. Das neue Athen, dem auch noch die siebenfache Gabe des Heiligen Geistes in ihrer ganzen Fülle zuteil geworden ist, würde alle weltliche Weisheit in den Schatten stellen. So schrieb er in einem Brief an den Kaiser. Man begann mit großem Eifer alte Handschriften zu kopieren, und man schuf eine neue und deutlichere Schrift, die sogenannte karolingische Minuskel, einen Schrifttyp, der zum Vorbild des heutigen Buchdrucks wurde. Das karolingische Ausbildungsprogramm knüpfte an die schon bestehende Bildung in den Klosterschulen an. Außerdem sollte in Trägerschaft der Dome eine Schule eingerichtet werden, um den priesterlichen Nachwuchs zu sichern. In Stadt und Land hatten die Pfarrer nach begabten Jungen Ausschau zu halten und diesen kostenlos das Lesen beizubringen. Für den Bildungsstand der Priester wurde ein Mindestmaß festgesetzt. Die ideologische Einheit und Einheitlichkeit des instabilen Reichs sollte durch einen gewissen Ausbildungsstandard gefestigt werden. In der „karolingischen" Kloster- und Bischofsschule gliederte sich der Unterricht in drei Stadien: elementare Kenntnisse (Lesen, Schreiben, Singen, ein wenig Mathematik und Kalenderkunde), weiterhin die sieben freien Künste (sowohl das Trivium, d. h. Grammatik, Rhetorik und Dialektik, als auch das Quadrivium, d. h. Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) und schließ-
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septem artes liberales
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lieh die priesterliche Berufsausbildung (Lesen und Auslegen der Schrift, Predigt, Gottesdienst und Unterricht in der Glaubenslehre). Die sieben freien Künste trugen diesen Namen schon im Altertum, weil man der Meinung war, daß sie sich für freie Männer geziemten, sei es nun, daß man damit deren Stellung als Freigeborene oder deren unbegrenzte Freizeit besonders betonen wollte. Inhaltsmäßig waren die sieben freien Künste durch die vorhandenen Kompendien festgelegt. Außer den Zusammenfassungen von Cassiodorus und Boethius las man den schwülstigen Martianus Capella von Karthago, der im 5. Jahrhundert das im Mittelalter unmäßig populäre Lehrgedicht „Über die Vermählung des Mercurius mit der Philologie" verfaßt hatte, und zwar in einem aus Vers und Prosa gemischten Stil, den heute wohl kaum jemand als genießbar empfinden würde. Der mythologische Rahmen — Merkur steht im Begriff, die Weisheit ( p h i l o l o g i a ) zu heiraten — veranlaßte den Autor zu einer kurzen Inhaltsangabe der sieben freien Künste, die hier in Gestalt von Frauen auftreten und je eine Rede halten. Furchtbar anzusehen ist die Grammatik mit ihren bitteren Arzneien, die allerlei sprachliche Gebrechen heilen sollen. Sie lehrt die Kunst des Schreibens und des gelehrten Redens, und sie gibt eine Übersicht über Phonetik, Wortklassen und Formenlehre. Die Dialektik, oder in moderner Terminologie „die Logik", ist eine blasse Dame mit scharfem Blick, flackernden Augen und kunstvoll aufgesteckten Korkenzieherlocken. In der rechten Hand hat sie einen Ha-
Fig. 4. Alle Bildung beginnt damit, daß man sich mit der Grammatik vertraut macht. Auf unserem Bild zeigt eine vornehme Dame einem kleinen Jungen die Alphabet-Tafel mit der rechten Hand, während die linke den Schlüssel zum Haus der Wissenschaften hält. In dessen Erdgeschoß übt man sich in der congruitas, also in der Kunst, die richtigen Beugungsformen miteinander zu kombinieren. Ganz unten sitzt Donatus, eine Treppe höher Priscianus. Im untersten Stockwerk des Turms residieren Aristoteles mit der Logik, Cicero (Tullius) mit der Rhetorik, einschließlich der Poesie, und Boethius mit der Arithmetik. Über ihnen sitzen Pythagoras mit der Musik, Euklides mit der Geometrie und Ptolemaios mit der Astronomie. Die zwei Gestalten im nächsten Stock sind noch einmal Aristoteles (Philosophus), diesmal mit der Physik, sowie Seneca mit der Ethik. Zuoberst thront Petrus Lombardus mit seiner Theologie und Metaphysik. Die Lehre von den höchsten Prinzipien hieß ,¿Metaphysik ", soweit sie sich auf die Fähigkeiten der natürlichen Vernunft gründete, dagegen „Theologie", wo sie göttliche Offenbarung voraussetzte. — Gregorius Reisch, ,,Margarita philosophica" (Erstausgabe 1496) gedruckt von Sebastian Henricpetri in Basel, 1583).
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De nuptiis Mercurii et Philologiae
trivium: grammatica
dialéctica
rhetoríca
quadrivium: geometrìa
arithmetica
astronomia
harmonía (musica)
Donatus
ken versteckt, die linke hält eine Schlange. Sie lehrt, wie wir die Realität in Gattungen und Arten einteilen können, und was eine Definition ist; sie beschreibt Doppeldeutigkeit, Satztypen und Syllogismen. Die stattliche und strahlende Rhetorik trägt Waffen in der Hand und lehrt, wie man mit Hilfe von Ciceros Kunstgriffen die richtigen Worte findet, um seine Zuhörer wirksam zu überzeugen. Die vier Damen des Quadriviums befassen sich nicht mit Worten, sondern mit Dingen: Die Geometrie, mit Lichtstrahl und Sphäre in den Händen, kann die Erde vermessen und sie in Längengrade und Breitengrade einteilen, außerdem weiß sie über alle Länder der Welt Bescheid. Die Arithmetik tritt in einem verwickelten Strahlengewand auf, dessen sinnvolle Verzweigungen andeuten, wie kompliziert das Gebäude der Natur ist. Sie bringt die Zahlenmystik mit und verrät die Geheimnisse von Monaden und Dyaden und so weiter bis zu den Dekaden, die alle mit ihren charakteristischen Eigenschaften dargestellt sind. Die Astronomie — mit sternengeschmückter Stirn und funkelndem Haar — beschreibt die aus den vier Elementen zusammengesetzte und inmitten der kreisenden Sphären ruhende Erde. Schließlich unterrichtet die in ein raffiniertes und klingendes Kleid gehüllte Harmonie im kunstgerechten Musizieren. Die Ausbildung an Alkuins Schulen umfaßte aber auch praktische Übungen. Man begann mit dem Auswendiglernen der wichtigsten Gebete und des Psalters, man schrieb auf Wachstafeln und lernte, wie sich mittels astronomischer Tabellen das Datum jedes Osterfestes berechnen läßt. Für Übungen in rhetorischer Stilkunde wurden Exempelsammlungen zu Hilfe gezogen. Die klassischen Autoren wurden sehr sorgfältig gelesen, und man beachtete beinahe jedes Wort und jede Konstruktion, um sie im Gedächtnis zu behalten und später selbst benutzen zu können. Auswendiglernen war eine beliebte Methode, und viele grundlegende Lehrbücher wurden in „Katechismusform" geschrieben, also mit Fragen und Antworten, die auswendig gelernt werden mußten (unter Androhung körperlicher Züchtigung, sollte vielleicht hinzugefügt werden). Auf diese heutzutage völlig unbekannte Art nutzte man die Memorierfähigkeit der Kinder, die ihnen schon im Entwicklungsalter unwiederbringlich verlorengeht. Sicherlich stand der monotone Dialog aus der kleinen Sprachlehre des Grammatikers Donatus für alle Ewigkeit im Gedächtnis der Schüler eingebrannt: - Wie viele Wortarten gibt es? - Acht. - Welche? 26
— Nomen, Pronomen, Verb, Adverb, Partizip, Konjunktion, Präposition, Interjektion. — Was ist ein Verb? — Eine Wortart, die Zeit und Person (ohne Kasusform) im Aktiv oder im Passiv oder in keinem von beiden angibt. Wir können uns ja vorstellen, wie diese seelenlose Dialoge von einer ganzen Schulklasse im Chor und im Takt der Rute des Lehrers laut deklamiert worden sind. Hier gab es Antworten auf alle Fragen, und nicht nur in bezug auf Wortarten, sondern auch auf Verstöße gegen die Sprachrichtigkeit sowie auf verschiedene stilistische Figuren und Tropen. Und jede Erscheinung wurde mit einem Beispiel aus der römischen Dichtung illustriert : — Was ist Ironie? Daraufhin mußte die Klasse unmittelbar in Form eines Sprechchors antworten: — Ironie ist ein Tropus, der das Gegenteil des Beabsichtigten wählt, beispielsweise „Ewigen Ruhm und ungeheuerliche Beute erwerbet ihr euch, du und dein Sohn . . ." Die Aufgabe der Redekunst umfaßte fünf Momente: Formulierung von Fragestellung und Argument, Gliederung des Vortrags, Aufsuchen von adäquaten Worten und treffenden stilistischen Mitteln, Einprägung ins Gedächtnis — denn wer vom Blatt ablas, machte sich lächerlich — und schließlich hatte man den richtigen Tonfall und die geeigneten Gesten einzuüben, d. h., man mußte seine Mimik beherrschen lernen. In der karolingischen Schule war die Rhetorik allerdings vorrangig eine Kunst des Aufsetzens von Schriften, Brie- ars dictaminis fen und Urkunden. Schlichtere Fertigkeiten wurden im Quadrivium erlernt, also in den auf den unmittelbaren praktischen Nutzen ausgerichteten Fächern. In der Arithmetik benutzte man einen Abakus, d. h. ein Rechenbrett; und in der Musik lernte man das einsaitige Zupfinstrument Monochord zu spielen und die Lieder des Gottesdienstes zu singen. Hier huldigte man dem Prinzip, daß die Musik sich positiv auf das Gefühlsleben auswirken müsse. Boethius hatte in einem kurzen Traktat über die Harmonien Betrachtungen darüber ange-
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stellt, daß die Musikausübung sowohl die Denkfähigkeit wie auch die Realitätserfassung schärfe, eine Eigenschaft, die er dem mathematischen Verhältnis innerhalb des Tongefüges zuschrieb. Diese Schrift behauptete ihren akademischen Rang bis ins 18. Jahrhundert. Alkuin, der geborene Pädagoge, versuchte den recht eintönigen Unterricht durch eigene Lehrbücher etwas schmackhafter zu machen. Er konnte die abstraktesten Zusammenhänge in bilderreicher und leichtverständlicher Sprache ausdrücken. Um den mathematischen Scharfsinn anzuregen, gab er dreiundfünfzig verschiedene Rätsel auf. Eins davon stellt die Frage, wie drei Männer mit je einer Schwester zusammen über einen Fluß setzen können. In dem einzigen zur Verfügung stehenden Boot haben nur zwei Personen Platz, und untrügliche Anzeichen lassen erkennen, daß jedes der Mädchen nur in Gesellschaft ihres eigenen Bruders sicher sein kann. Wie muß die Überfahrt organisiert werden, wenn man sowohl dem Gebot der Tugend wie auch dem der Vernunft Genüge tun will? Es gelang ihm auch, die Dialogform wieder aufleben zu lassen. Kein Geringerer als Karl der Große tritt hier als Musterschüler auf — er war ja ein Mann mit einem bekannten Bildungsinteresse:
Fig. 5. Die Musik spielte eine wichtige Rolle in der mittelalterlichen Schule. Der Chorgesang für den Gottesdienst gehörte in Kloster- und Domschulen zu den Obliegenheiten der Schüler. Hauptsächlich handelte es sich um einstimmig gesungene Psalterpsalmen und Hymnen in den acht Kirchentonarten („gregorianischer Choral"). Der Benediktinermönch und Musiktheoretiker Guido von Arezzo (gest. um 1050) erfand eine Lernmethode, die für die Klosterschulen typisch war: Ausgehend von einer Hymne, die zur Vesper des Johannistags (am 23. und 24. Juni) gesungen wurde, gab er den Stufen der Tonleiter die Namen ut, re, mi, fa, so, la; Ut queant laxis resonare fibris mira gestorum famuli tuorum, soIve polluti labii reatum, sante Ioannes. („Heiliger Johannes, löse die Sünde von unseren unreinen Lippen, auf daß wir, deine Diener, unsern Gefühlen Ausdruck geben und deine wunderbaren Taten besingen können"). Die Melodie der Hymne steigt bei jeder markierten Silbe um einen Ton. Später wurde für den siebten Ton der Name si oder ti hinzugefügt, und in Italien ersetzte man ut durch do. Diese Methode der sogenannten Solmisation war bis ins J 7. Jahrhundert in Gebrauch und wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts überall wieder in die musikalische Grundausbildung eingeführt. — Gregorius Reisch, „Margarita philosophica", (Erstausgabe 1496), gedruckt von Sebastian Henricpetri in Basel, 1583.
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Karl: Sage mir, wie die Philosophie zu definieren ist. Alkuin: Die Philosophie erforscht das natürliche Wesen der Dinge. Sie ist die Kenntnis des Menschlichen und des Göttlichen, soweit solche Einsichten dem Menschen überhaupt vergönnt sind. Philosophie bedeutet auch ein ehrenhaftes Leben, sie bedeutet, daß man richtig zu leben versucht, daß man Betrachtungen über den Tod anstellt und das Diesseitige verachtet. K. Woraus besteht sie? A. Aus Wissenschaft und Auffassungen. K. Was ist Wissenschaft? A. In der Wissenschaft kennt man die genaue Ursache von etwas, z. B. weiß man, daß eine Sonnenfinsternis darin begründet ist, daß der Mond die Fläche der Sonne verdunkelt. K. Was meint man mit Auffassung? A. Auffassungen hat man von etwas Verborgenem, das sich nicht von sicherer Basis her definieren läßt, wie z. B. die Größe des Himmels oder die Tiefe der Erde. K. Wer wagt es, von der Philosophie geringschätzig zu sprechen? A. Kein weiser Mann. K. Nein, gewiß nicht. Aber laß uns zur Logik übergehen. Sage mir zuerst, was Logik ist. A. Die Logik ist die Wissenschaft über die Vernunft. Sie vermittelt die Fähigkeit, Fragen zu stellen, zu definieren und zu ermitteln, ja, sie kann sogar Wahres von Falschem unterscheiden. K. Wie unterscheidet sich die Logik von der Rhetorik? A. Wie die geballte Faust von der Handfläche. Die Logik verbindet die Argumente mit möglichst knappen Worten. Die Rhetorik dagegen bewegt sich frei und mit üppigem Wortschatz im Bereich der Redekunst. Die eine ballt die Worte zusammen, die andere breitet sie aus.
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Theologie in den Fußstapfen der Väter
Zwar war es durchaus nicht vorgeschrieben, daß das Studium der freien Künste zum Studium der Theologie führen sollte, aber man betrachtete dennoch den Unterricht als eine Vorbereitimg für das Studium der Bibel. Wie wir schon gesehen haben, legte die Mathematik großen Wert auf die Zahlenmystik, die nach einmütiger Aussage kirchlicher Autoren für die richtige Auslegung der Heiligen Schrift unentbehrlich war. Nach Ansicht von Augustinus, der einst selbst einen Lehrstuhl für Rhetorik innehatte, waren auch Logik und rhetorische Übungen für das Verständnis des oftmals recht verworrenen Bibeltextes erforderlich. Zu jener Zeit bedeutete Theologie im wesentlichen das aufmerksame Lesen der Heiligen Schrift. Es machte die Interpretation nicht eben leichter, daß es sich um eine Sammlung von übersetzten Schriften handelte; und Menschen mit eigenen Kenntnissen in der Ursprungssprache der Bibel, also im Griechischen und Hebräischen, gab es nirgends. Wer das Dunkle verstehen wollte, war auf die Auslegungstraditionen der Kirchenväter angewiesen, vor allem auf die vier Kirchenlehrer, den Bibelübersetzer Hieronymus (gest. 420), auf Ambrosius, den Bischof von Mailand (gest. 397) und auf Augustinus, der ihm geistig verwandt war sowie auf die überragende Gestalt an der Schwelle zwischen Altertum und Mittelalter, den Papst Gregorius den Großen (gest. 604). Die Klosterschulen betrachteten sich selbst als Verwalter eines verpflichtenden Erbteils, das diese Großen hinterlassen hatten. Und was könnte man von einem Verwalter anderes erwarten als Treue? Traditionalismus und Rezeptivität lagen im Wesen der Klosterkultur: Man nahm auf, man machte sich zueigen und man reichte getreulich weiter, ohne etwas zu kürzen oder hinzuzufügen. So ließe sich die Theologie charakterisieren, die innerhalb der Klostermauern betrieben wurde. Die Ergebenheit und Treue den heiligen Vätern gegenüber war ein Teil der mönchischen Demut und zugleich das höchste monastische Ideal. Einige der heiligen Väter waren selbst Begründer von Klöstern. Es ist schwierig, zur Feier dieses Tages, das heißt für die Himmelfahrt der seligen Jungfrau Maria, einen passenden Predigtstoff zu finden. Die von den Vätern abgesteckten Grenzen las31
doctores ecclesiae
sen uns keinen Raum und wir dürfen sie nicht überschreiten. Deswegen wagen wir nur zu behaupten, daß sie an diesem Tage . . . in den höchsten Himmel aufgenommen worden ist. Treue schließt jedoch Nachdenken nicht aus. War die Bibel dunkel, so dürfte dies kaum die Folge eines Zufalls sein. Wenn sie wirklich die Offenbarung Gottes enthielt, so mußte gerade in der Schwerverständlichkeit ein Sinn liegen. Gemäß den Glossa ordinaria (siehe Seite 37 und 60) die Erläuterungen zu der Stelle im Evangelium, wo der Herr seinen Jüngern verbietet, das Heilige Ungebildeten zugänglich zu machen, entsprach gerade die Schwerverständlichkeit einem Bedürfnis der menschlichen Konstitution. In moderner Terminologie ausgedrückt, stellte sie eine Voraussetzung dafür dar, daß dem offenbarten Mysterium Ehrfurcht gezollt würde. Hier handelte es sich um einen Ausdruck für die göttliche Ordnung. Die leere Eindeutigkeit würde zur Verachtung führen. Die den Kindern das Brot fortnehmen und den Hunden geben, sind keine Verwalter, sondern rücksichtslose Plünderer. Sie haben nicht begriffen, daß das Versteckte mit größerem Eifer gesucht, das Verborgene mit größerer Ehrerbietung angesehen und das mühsam Gesuchte mit größerer Liebe bewahrt wird. Was mit Maßen genossen wird, verursacht keinen Überdruß.
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Dionysios" und das hierarchische Weltbild
Selten hat eine literarische Fiktion — manche würden sie als Fälschung bezeichnen — solche Konsequenzen gehabt wie im Fall des „Dionysios Areopagita". Mit Sicherheit weiß man von ihm, daß er ein Mönch war und um das Jahr 500 wirkte. In seinen Schriften gab er sich als denjenigen Beamten am Athener Gerichtshof (Areopag) aus, der einer der ersten Jünger des Apostels Paulus gewesen ist (Apostelgeschichte 17:34). Seine griechischen Werke, nämlich „Die mystische Theologie", „Über die Namen Gottes", „Die himmlische Hierarchie" und „Die kirchliche Hierarchie" erreichten den lateinischen Westen im 9. Jahrhundert, und seine mittelalterlichen Leser schenkten seinen Werken nicht nur vollkommenen Glauben, sondern schrieben ihm nahezu apostolische Autorität zu. Dionysios war Neuplatoniker, für ihn war Gott identisch mit dem Einen, dem Guten, dem unendlichen und unveränderlichen Licht, das allen erschaffenen Dingen etwas von seiner Einheit, Güte und Erleuchtung vermittelt, (sich zu verbreiten gehört zum Wesen des Guten). Diese können jedoch eine derartige göttliche Ausstrahlung nur im Verhältnis zu ihrer Aufnahmefähigkeit empfangen. Alle materiellen und immateriellen Dinge sind nämlich nach dem Grad ihrer Vollkommenheit in einer hierarchischen Skala angeordnet: Ganz oben und Gott am nächsten befinden sich die geistigen Geschöpfe, die Engel (die sich wiederum auf drei Hierarchien mit je drei Klassen verteilen), es folgen die aus Geist und Materie bestehenden Menschen, die folglich eine Stellung zwischen den Engeln und Tieren einnehmen, und ganz unten steht die organische bzw. die unbelebte Materie. Die himmlische Hierarchie findet ihre irdische Entsprechung in der kirchlichen Hierarchie, bestehend aus Bischöfen, Priestern, Diakonen, Mönchen, Laienbrüdern, Katechumenen und Büßern. Es ist Aufgabe beider Hierarchien, den Menschen göttliches Leben zu vermitteln, sie Gott so ähnlich wie möglich zu machen. Der Weg des einzelnen Menschen zu Gott verläuft in drei Abschnitten: Der Weg der Reinigung, der Weg der Erleuchtung, der Weg der Vereinigung. Dieser neuplatonischen Philosophie nach hat das Böse keine
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De theologia mystica De divinis nominibus De hieiarchia caelesti De hieiarchia ecclesiastica
„bonum est diffusivum sui"
perfectìo
via purgativa via illuminativa via unitiva
privatio boni debiti theologia negativa
selbständige Existenz, sondern ist nur eine Abwesenheit des Guten, sozusagen ein Mangel an Ordnung. Die menschliche Sprache ist völlig ungeeignet, um das wirkliche Wesen Gottes auszudrücken. Das Einzige, was sich durchaus zutreffend über Gott sagen läßt, ist das, was er nicht ist (die negative Theologie). Gott steht über sämtlichen Aussagen, die über ihn gemacht werden. Die dem Menschen mögliche, letzte Erkenntnis über Gott ist mystisches Unwissen: Gott ist ein blendendes Dunkel. Wer immer Dionysios gewesen sein mag, so sollte er nicht nur auf das Weltbild von Philosophen und Theologen wie Anselm, Albertus Magnus, Thomas von Aquin und Bonaventura entscheidenden Einfluß ausüben, sondern auch auf die großen christlichen Mystiker, allen voran auf Johannes vom Kreuz (gest. 1591).
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Die vierfache Bedeutung der Heiligen Schrift
Die Worte der Schrift enthielten in ein und derselben Fassung mehrere Bedeutungsschichten. Sie waren wie Kristalle, die aus ein und demselben Licht eine neue Farbe reflektieren, wenn man sich ihnen von einer anderen Seite her nähert. Dieser Gedanke war nicht das Resultat freier Spekulationen, sondern ist schon von den Evangelisten und dem Apostel Paulus vertreten worden, um nur die namhaftesten zu erwähnen. Nach einem von „karolingischen" Theologen festgesetzten Interpretationsschema enthielt der Text der Bibel vier Bedeutungsdimensionen, nämlich eine buchstäbliche, „historische" und darüber hinaus drei geistige und zwar die allegorische, die tropologische und die anagogische Bedeutungsdimension. Die „historische" Bedeutung umfaßt das Wissen um ein vergangenes und nachweisbares Geschehen. Der Apostel schildert es folgendermaßen: „Denn es steht ja geschrieben, daß Abraham zwei Söhne hatte, einen vc der Magd, den anderen von der Freien. Aber der von der Ma war, ist nach dem Fleisch geboren, der aber von der Freien ist nach der Verheißung geboren." Doch was darauf folgt, enthält die allegorische Bedeutung. Der äußere Ablauf des Geschehens soll das Vorbild für ein künftiges Mysterium sein. „Denn das sind zwei Testamente: eins von dem Berg Sinai, das zur Knechtschaft gebiert, und welches ist die Hagar; Denn Hagar heißt in Arabien der Berg Sinai und kommt überein mit Jerusalem, das zu dieser Zeit ist und dienstbar ist mit den Kindern." Die anagogische Bedeutung führt von den geistigen Mysterien zu den höchsten und heiligsten Geheimnissen der Himmel. Der Apostel fügt hinzu: „Aber das Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie, die ist unser aller Mutter." . . . Die „tropologische" Bedeutung ist die moralische Nutzanwendung, wie sie in besserem Lebenswandel und in sichtbarer Tätigkeit zum Ausdruck kommt . . . Wenn man will, kann man diese vier Bedeutungen sich vereinigen lassen, so daß ein und dasselbe Jerusalem auf viererlei Art verstanden werden kann: historisch als Stadt der Juden, allegorisch als Kirche Christi, anagogisch als Gottes himmlische Stadt und
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historia
allegoria
anagogia
tropología
Íapítulú-
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. X X vin'.
tropologisch als Seele des einzelnen Menschen, die in der Schrift oft unter diesem Namen gepriesen oder getadelt wird. Mit einem solchen Schlüssel in der Hand war es den Bibeldeutern möglich, viele Dinge zu klären. So gut wie jedes Bibelwort konnte unter mehr als einem einzigen buchstäblichen Gesichtspunkt betrachtet werden. In der Heiligen Schrift war die gesamte Existenz schon geklärt und alle Weisheit schon einbegriffen und zusammengefaßt.
Fig. 6. Das neue Jerusalem nach einer Vision des Propheten Hesekiel, Kapitel 40—48. Nach Auffassung der mittelalterlichen Bibelausleger hatte die Bibel außer der buchstäblichen Bedeutung auch einen allegorischen, einen moralischen und einen eschatologischen (auf die letzten Dinge bezogenen) Sinn. Die Versprechungen des Alten Testaments gehen im Neuen Testament in Erfüllung, und alle Erzählungen des Alten deuten schon auf Entsprechungen im Neuen Testament hin. Diese Einheit der beiden Testamente hat der im 12. Jahrhundert lebende Poet Hugo von Orléans mit bewundernswerter Knappheit in zwei Zeilen ausgedrückt (als er an einem Wettbewerb teilnahm, bei dem es darum ging, den Inhalt der Bibel so kurz wie möglich zusammenzufassen): Quos anguis tristi virus mulcedine pavit, hos sanguis Christi mirus dulcedine lavit. (Die so tragisch verführt wurden, vom Gift der Schlange zu kosten, sind durch das wunderbare Blut Christi auf das lieblichste gereinigt.) Allegorisch entspricht der Körper Jesu, das heißt die Heilige Kirche, dem Tempel von Jerusalem; die moralische Dimension liegt darin, daß jeder seiner Bausteine, mit anderen Worten die Christen, durch die Schwierigkeiten des Lebens so abgeschliffen werden, daß sie zueinander passen; und der eschatologische Sinn ist das heilige Jerusalem. Diese schon im Neuen Testament mehr oder weniger deutlich ausgesprochenen Interpretationen sind in den „Glossa ordinaria" systematisch geordnet, also in dem laufenden Bibelkommentar, den Abélards Lehrer, Anselm von Laon, zusammengestellt hat. In Hesekiels Vision hat die Stadt zwölf Tore, eins für jeden der zwölf Stämme Israels. Dieses Bild kommt auch in der Offenbarung des Johannes vor., wo die Zwölf mit den Aposteln verknüpft ist, den zwölf Grundsteinen der himmlischen Stadt. — Nikolaus von Lyra, „Postille", gedruckt von Ulrich Zell in Köln, 1485.
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Weltliche und göttliche Weisheit
auctores
glossae
Alles Gute, Wahre und Schöne, das jemals gesagt worden ist, gehörte den Christen — das war der Sinn der Rede des Augustinus über die Plünderung der Ägypter. Demnach studierte man in den Bischofs- und Klosterschulen die „klassischen" Schriftsteller mit demselben methodischen Ernst wie die Bibel (allerdings einen etwas weiteren Kreis an Autoren als man heute zu den Klassikern rechnet — auch „nachklassische" Schriftsteller wie Quintilian, Lucanus, Statius und Persius und christliche Dichter wie Juvencus, Prudentius und Sedulius gehörten zu den „auctores"). Dieses Studium machte eine umfassende Abschreibetätigkeit unbedingt notwendig. Wir haben es dem Interesse der karolingischen Renaissance an der klassischen lateinischen Literatur zu verdanken, daß diese überhaupt bis auf unsere Tage bewahrt worden ist. Der Geübte wird schnell herausfinden, daß die älteste erhaltene Handschrift fast jedes lateinischen Autors in einer Abschrift vorliegt, die im 9. Jahrhundert oder später in irgendeinem Kloster entstand. V o m 8. Jahrhundert bis zum 12. Jahrhundert änderten sich die Unterrichtsformen an den Klosterschulen kaum. Wegen des zeitlichen und kulturellen Abstands waren sprachliche und sachliche Textkommentare erforderlich (sog. Scholien), und in den Handschriften wurden kleinere Anmerkungen in bezug auf einzelne Worte oder Wendungen zwischen den Zeilen oder am Rande hinzugefügt (sog. Glossen). Diejenigen Autoren, die seit der Reform Karls des Großen als sprachliche Vorbilder galten, würdigte man durch eine Art von Kanonisierung. Man wollte ihnen keine moralischen Mängel und Verstöße zutrauen, wenn auch ihre Schriften manchmal Anlaß zu Zweifeln gaben. Es ließ sich ohne weiteres feststellen, daß gewisse Dichter alles andere als tugendhaft waren, aber da sie nun einmal zum „Kanon" gehörten, wollte man sie auch voll und ganz akzeptieren können, und deshalb griff man zur Interpretationsmethode der Bibelausleger, zur Allegorie. Nicht immer mußte die Botschaft des Textes in der buchstäblichen Wortbedeutung liegen. Hatte nicht Vergil, der größte aller Dichter, die Sibylle im Orakel weissagen lassen, daß die Jungfrau Christus gebären würde? 38
Fig. 7. Im Mittelalter war Vergilius einer der meistgelesenen Autoren. Seine Gedichte dienten als sprachliche Vorbilder. Sie wurden allegorisch gedeutet, zum Teil nach denselben Prinzipien wie die Heilige Schrift. Besonders für die allegorische Auslegung geeignet waren die Zeilen 5—7 der vierten Ekloge. Vergil hatte hier die Sibylle von Cumae eine durch göttliches Eingreifen verursachte Wende der Weltgeschichte voraussagen lassen. Im Mittelalter war man felsenfest davon überzeugt, daß dies nichts anderes bedeuten konnte als die Geburt Christi, die ja ein paar Jahrzehnte später stattgefunden hatte. Prophezeiungen über Jesu Geburt schrieb man auch der tiburtinischen Sibylle zu. Nach der „Legenda aurea" soll sie zusammen mit Octavianus (dem späteren Kaiser AugustusJ die Jungfrau und das Kind in einem Ring am Himmel gesehen haben, und zwar an der Stelle in Rom, wo heute die Kirche Ära caeli steht. — Hartmann Schedel, „Liber chronicarum" gedruckt von Anton Koberger in Nürnberg, 1493.
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Nun wendet sich der Lauf der Zeit nach der ewigen Ordnung der Weltalter. Die Jungfrau nähert sich. Mit ihr bricht das goldene Zeitalter an, nun wird ein neugeborenes Kind von der Höhe des Himmels herabsteigen. Angesichts solcher Worte konnten die zur Bewunderung und Nachahmung der heidnischen Dichter erzogenen Generationen von Klosterschülern wohl kaum die herkömmliche Auffassung verleugnen, daß die christliche Offenbarung dort aufleuchte, wo man sie am wenigsten erwarte. Der nächste Schritt war, daß man die übrigen Bedeutungsaspekte, z. B. den moralischen und den eschatologischen in die Werke der Dichter hineininterpretierte. Ein Autor, der sich Schlüpfrigkeiten erlaubte, tat dies nur, um vor der Sittenlosigkeit zu warnen. Die allegorische Interpretation wurde von Hrabanus Maurus mit einem weiteren überzeugenden Argument versehen: der im fünften Buch Mose erwähnten Heidin (21.10 ff), die eine Kriegsgefangene von blendender Schönheit ist, die man aber, nach den Worten der Schrift, nicht zum Eheweib nehmen darf, bevor sie ihren Kopf geschoren und ihre Nägel beschnitten hat. Wenn man sich an den Buchstaben hält, ist die Wirkung komisch. Beim Lesen der heidnischen Poeten sollten wir folgendermaßen verfahren, falls uns Bücher mit weltlicher Weisheit in die Hände fallen: Finden wir etwas Nützliches darin, so wird es unserer Lehre einverleibt. Steht aber dort etwas Uberflüssiges über Götzen, Liebschaft oder irdische Angelegenheit, so vernachlässigen wir es. Diese Auffassung war sowohl optimistisch wie kulturfordernd. Drei Jahrhunderte später kostete es Konrad von Hirsau (gest. ca. 1150) ziemliche Mühe, den Wert der Profanliteratur zu verteidigen. In seinem Dialog über die Schulautoren (Dialogus super auctöres) ist es der Schüler, der die Beweislast auf seinen Lehrer abwälzt: Ist der Umgang mit den reichlich freisinnigen Autoren wirklich ohne Gefahr für die studierende Jugend? Schüler: Aber was läßt sich über die anderen Autoren sagen, über Terenz, Juvenal, Statius d. Ä und d. J . , Persius, Homer und Vergil, denen die weltliche Wissenschaft derartig viel Aufmerksamkeit widmet? Hier sucht und findet die törichte Jugend genau das, was für kurze Zeit ihre eigene Leere ausfüllen kann.
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Lehrer: Welchen Nutzen die studierende Jugend aus den Worten und schwerwiegenden Sätzen dieser Dichter ziehen kann, dürften diejenigen am besten beurteilen, die ohne Einwände meinten, daß die kirchliche Ausbildung lange Abschnitte aus diesen Schriften enthalten müsse. Schüler: Ich will dir vollauf glauben, wenn es dir gelingt, das von dir Gesagte auf irgendeine Art zu beweisen. Ich bin nämlich nicht ohne weiteres davon überzeugt, daß der Glanz der Bibel keine Flecken bekäme oder daß sie nicht ihre charakteristischen Züge verlöre, wenn jemand ohne Grund die Aussagen der Heiden hineinmischte. Lehrer: Sollte man also die Bücher Mose und der Propheten verwerfen, nur weil sie hier und dort Worte und Ausdrücke von heidnischen Verfassern leihen? Habe ich es nicht schon einmal gesagt, daß alles Wahre, was je ein Mensch gesagt hat oder alles Richtige, was je gedacht worden ist, von dem herkommt, der die Menschen erschaffen hat? Schüler: Bisher war mir nicht klar, daß man dergleichen in der Heiligen Schrift finden kann. Lehrer: Und das kommt daher, weil du irregeführt bist. Entweder hast du niemals deinen Fuß in eine Bibliothek mit griechischen Autoren gesetzt, oder du hast nie daran gedacht, daß die Bibel nach einem besonderen und verändernden Üb er setzungsprinzip übertragen worden ist. Die Schlagkraft, die das Versmaß den Texten der Dichter verlieh, ist bei der wörtlichen Prosaübersetzung verlorengegangen. Was in der Originalsprache im Gedächtnis haften blieb, verlor in der Übersetzung seine Pointe. Woher hatte wohl Paulus das Sprichwort „Böse Beispiele verderben gute Sitten", wenn nicht von dem antiken Dichter Menander? Und woher kam die Redensart, die er im Brief an seinen Jünger Titus erwähnt: „Die Kreter sind immer Lügner, böse Tiere und faule Bäuche", wenn nicht von dem heidnischen Poeten Epimenides? Wie oft stellt nicht Paulus, der in der dialektischen Methode keineswegs unbewandert war, Thesen auf, geht von Annahmen aus, führt Beweise und zieht Schlüsse? Es würde zuweit führen, wenn ich alles erwähnen wollte, was dich aus dem Netz befreien könnte, in dem du dich verfangen hast — schließlich steht ja in deiner eigenen Regel ein Sprichwort, das von Terenz stammt: „Nichts im Übermaß".
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Die Klosterliteratur
Natürlich brachte die Klosterkultur auch eine eigene Literatur hervor. Und auch auf diesem Gebiet ist die Treue zu den Vorbildern das höchste Ideal. Die Nonne Hrotswit schrieb erbauliche Dramen, die formal, aber nicht inhaltlich von Terenz inspiriert waren. Eine Spezialität der Klöster war und blieb jedoch die historische Schriftstellerei, die wohl mit dem natürlichen klösterlichen Traditionalismus am besten übereinstimmte. Es galt, sowohl in der Bibel als auch in der profanen Geschichte das große Wunder Gottes zu erblicken, aus den Geschicken von Fürsten und Völkern Lehren zu ziehen und zu zeigen, wie sich Tugenden und Laster auf der Weltbühne verkörpert hatten. In diesem Geist entstand eine Menge von Chroniken und Heiligenbiographien. Vorbild der Geschichtsschreiber war vor allem der klassische Chronist Sallust (gest. 35 v. Chr.), der den Krieg der Römer gegen den afrikanischen König Jugurtha schilderte sowie Catalinas Verschwörung (in dem Jahr, als Cicero Konsul war), wobei er keine Gelegenheit versäumte, das historische Geschehen wie eine Lektion in Ethik und Psychologie darzustellen. Als Adam von Bremen, der selbst einer Klosterschule vorstand, im Jahre 1075 seine Bischofschronik des Erzbistums Hamburg schrieb, also die wichtigste Quelle für die nordische Geschichte des 10. und 11. Jahrhunderts, entlieh er ganze Sätze bei Sallust, falls sie einigermassen in den neuen Zusammenhang paßten. Hier nur ein Beispiel: Adam erzählt, daß Erzbischof Adalbert von einem Herzog Bernhard als kaiserlicher Spion verdächtigt wird. Er fügt hinzu: „Diese Worte nahm er sich mehr zu Herzen, als jemand hätte ahnen können — seit diesem Tage erfüllten ihn Zorn und Furcht, und in Gedanken plante er, wie er dem Herzog schaden könnte". Diese psychologische Skizze stammt wortwörtlich aus Sallusts Beschreibung von König Jugurthas Gefühlen und Plänen, als dessen Rivale Hiempsal andeutete, Jugurtha habe sein Recht auf den Thron nicht durch seine Geburt, sondern durch Adoption erhalten. Daß den Chronisten viel daran gelegen war, durch derartige Anleihen untadelige klassische Perioden herzustellen, ist selbstverständlich ein wichtiger Faktor, der bei der Beurteilung 42
des Quellenwertes dieser Werke berücksichtigt werden muß. Aber niemals durfte weltliche Weisheit nur Selbstzweck sein. Alles Wissen mußte in einen höheren Zusammenhang eingefügt werden. Eine der sieben freien Künste war die Rhetorik, und deren Aufgabe war es, die Gemüter der Zuhörer zu überzeugen und zu erfreuen. Ein durchaus ehrenhaftes Vorhaben. Nutzte man die Rhetorik außerdem, um den Sinn des Menschen zu dem, „was droben ist" zu erheben, um die Lust an der Tugend und den Abscheu für die Sünde zu erwecken, mit anderen Worten, wenn dieses teure, von Ägypten mitgebrachte Gefäß für den wahren „vernünftigen Gottesdienst" benutzt wurde, für den Dienst am Vater, von dem „alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe" kommt, so stand ihr der allerhöchste Rang zu: Die Rhetorik wurde zur heiligen Redekunst erhoben. Die in den Klöstern entwickelte Kunst des Predigens machte natürlich auch einen Teil ihrer Literaturgeschichte aus. Der glänzendste Vertreter dieser Kunst ist Bernhard von Clairvaux (gest. 1153). In echt augustinischer Tradition, doch ohne die Mühsal seiner eigenen geistigen Arbeit merken zu lassen, versuchte er seine Zuhörer davon zu überzeugen, daß alle Werte, insbesondere der intellektuelle Wissensdurst, verblassen, wenn man sie mit dem einzig Wesentlichen, mit der geistigen Erfahrung vergleicht. Wer eigene Erfahrungen besitzt, braucht nicht mit einem Aufgebot an Kirchenväterzitaten überzeugt zu werden — diese Methode ist möglicherweise angebracht, wenn man es mit kleingläubigen Anfängern zu tun hat. Vernunftgründe anzuführen heißt nicht nur, sich überflüßiger Krücken zu bedienen, sondern ist nicht viel besser als Gotteslästerung. In seinen Predigten über das Hohe Lied Salomos (auf Latein: das Lied der Lieder) erklärte er die innerste Bedeutung, also die allegorische, die tropologische und die anagogische Schicht dieser erotischen Poesie. Getreu der Tradition, zu der er sich bekannte, sah er sie als glühende Vereinigung der Kirche bzw. der einzelnen Seele mit dem Bräutigam Jesus in Erwartung der endgültigen himmlischen Hochzeit. Dieses ist ein Lied, das in seiner einzigartigen Würde und Lieblichkeit alle anderen Lieder übertrifft, und ich kann es mit Recht das „Lied der Lieder" nennen, denn es ist die Frucht aller anderen Lieder. Dieses Lied kann man nur durch die Ölung des Heiligen Geistes oder durch eigene Erfahrung erlernen. Die da wissen, wovon ich spreche, mögen sich betroffen fühlen, die es nicht wissen, mögen in Sehnsucht entbrennen, nicht nach dem Wissen, sondern nach der Erfahrung.
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Dieses Lied hat nichts mit dem äußeren Geräusch des Mundes zu tun, es ist ein innerlicher Jubelschrei des Herzens, es ist kein Laut der Lippen, sondern eine Bewegung der Freude, eine harmonische Vereinigung der Willenskräfte, nicht der Stimmen. Das Ohr vernimmt es nicht, man hört es nicht auf der Straße; hören kann es nur, wer es selbst singt, und Er, für den es gesungen wird: die Braut und der Bräutigam. Es ist ein Hochzeitsgesang. Es beschreibt die keusche und freudenvolle Vereinigung der Geister, den Einklang der Sitten, die gegenseitige und einmütige Liebe der Gefühle. Kein Wunder, daß der Mann, der solche Predigten hielt, ein erbitterter Gegner jener von Abelard verkörperten Geisteshaltung war, die sich den theologischen Fragen auf neue Art nähern wollte.
Eine körperliche Vorstellungswelt Die Klosterkultur brachte noch ein typisches, literarisches Erzeugnis hervor, nämlich die Florilegien, die aus denkwürdigen Sentenzen zusammengestellten und nach ihren Verfassern oder ihrer inneren Thematik geordneten „Blumensträuße". Sie dienten keinem intellektuellen Zweck, sondern waren nur ein Mittel, um schnell herauszufinden, wer wann was gesagt hatte. Sie sollten zum Meditieren benutzt werden; man sollte sie wieder und wieder lesen, behalten und „im Herzen bewegen", oder — um sich eines beliebten Ausdrucks aus diesem Bereich zu bedienen — man sollte sie wiederkäuen. Auf diese Art und Weise durchdrangen die Gedanken der Kirchenväter von innen her die Persönlichkeit der Mönche. Die äußere Ähnlichkeit mit den theologischen Sentenzensammlungen (siehe Seite 92 „Sätze") mag auffällig erscheinen. Der Sinn der Florilegien lag jedoch nicht darin, daß man Übereinstimmungen heraussieben oder scheinbare Gegensätze herausarbeiten und ausräumen wollte. Um noch einmal den monastischen Sprachgebrauch zu wählen, so enthielten diese Blumen einen Honig, der an verschiedenen Stellen jener weiten Flur aufgesogen werden sollte, welche die Bibel und die Schriften der Väter ausgebreitet hatten. Gemischt mit dem Speichel der eigenen Anschauung sollten sie Kraft und Nahrung für den weiteren Lebensweg geben. 44
Die Heilige Schrift lockt den Sinn des Lesers zur himmlischen Heimat, sie verwandelt das Herz, so daß es seine Sehnsucht von den irdischen zu den himmlischen Dingen wendet, sie schärft den Verstand durch ihre dunklen Ausdrücke und erfreut die Nichtgelehrten mit ihrer schlichten Sprache. Fleißiges Lesen vertreibt die Langeweile. Die Heilige Schrift hilft mit ungekünstelten Worten und erbaut mit feierlichen. Sie wächst sozusagen mit dem Leser: Der Anfänger fühlt sich mit ihr vertraut, doch für die Kundigen ist sie immer wieder neu. Man sagte zum Propheten Hesekiel: „Du Menschenkind, iß alles, was du hier findest". Alles, was in der Heiligen Schrift zu finden ist, soll gegessen werden, denn ihre Schlichtheit fordert zum einfachen Leben auf, ihre Erhabenheit legt den Grund zu scharfem Verstand. Die gesamte Vorstellungswelt des Mönchs war hauptsächlich von Bildern bevölkert, deren „Körperlichkeit" an alle seine Sinne appellierte. Die Bibel war ein unendlicher, herrlicher, doch schwer zu durchdringender Wald, mit dem er sich vertraut zu machen hatte; sein eigenes Leben mußte als „Gabe und Opfer, Gott zu einem süßen Geruch" dargebracht werden, als ein „guter Geruch Christi". So wie das geschmolzene Wachs seine Form durch das Siegel erhält, mußte er durch den Heiligen Geist geformt werden. Er dachte in der körperlichen Sprache des Psalters. Diesen Hintergrund darf man nicht vergessen, wenn man das geradlinige Denken und die abstrakte Allgemeingültigkeit richtig verstehen will, mit der sich die neue Kultur durchzusetzen begann.
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Mittelalterlicher Piatonismus und Humanismus
homo minor mundus
Im 12. Jahrhundert entwickelten sich die Pariser Schulen zum intellektuellen Zentrum Europas. In einer dieser Schulen, dem vor den Stadtmauern liegenden Kloster St. Victor, beschäftigte man sich — ganz im Sinne von Augustinus — mit einer stark platonisch gefärbten Philosophie. Die Victoriner repräsentierten eine Richtung, die im späteren Mittelalter keine Fortsetzung finden sollte, weil damals nur ein einziges Werk Piatons in lateinischer Übersetzung vorlag, nämlich der Dialog „Timaios", weswegen die großen Linien der platonischen Gedanken im wesentlichen unbekannt waren und blieben. Und dennoch sprach in St. Victor unverkennbar die Stimme Piatons. Hugo von St. Victor (gest. 1141), der hervorragendste Vertreter dieser Schule, sagte, daß der Zweck gelehrter Studien die „Weisheit" sei, die ewigen und unveränderlichen Wahrheiten, die unter der betrügerisch wechselvollen Mannigfaltigkeit der äußeren Sinneswahrnehmungen verborgen liegen. Die Seele des Menschen sei aus allen Teilen der Natur zusammengesetzt, im Grunde genomm e n s e i sie ein Mikrokosmos, doch habe sie ihren eigenen Ursprung vergessen, und wenn sie durch Studien die verborgenen Zusammenhänge der Natur erforsche, so bedeute dies nichts anderes, als daß sie langsam ihre eigenen Gedächtnislücken überwinde und das Vergessene, aber im Unterbewußtsein immer intuitiv Bewahrte, zurückerobere und wiedererkenne. Die körperlichen Gemütsbewegungen haben das Gemüt abgestumpft und es durch sichtbare Vorstellungen über seine eigenen Grenzen gelockt. Es hat vergessen, was es gewesen ist, und weil es sich nicht daran erinnern kann, daß es jemals anders war, glaubt es, daß außer dem Sichtbaren nichts anderes existiere. Durch die Wissenschaft wird das Gleichgewicht jedoch wieder hergestellt, so daß wir unsere eigene Natur erkennen und lernen, nicht außerhalb zu suchen, was wir in uns selbst finden können. Deshalb ist das Streben nach Weisheit des Lebens größter Trost. Wer die Weisheit findet, ist glücklich, wer sie besitzt, ist selig.
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Anders ausgedrückt: Wer studiert, befolgt die Aufforderung „Erkenne dich selbst!". Dieser Anschauung huldigte man auch in der nicht weit von Paris entfernten, berühmten Kathedralschule von Chartres. Im allgemeinen pflegt man sie als typisches Beispiel für den echten mittelalterlichen Humanismus anzuführen, und zwar für einen Humanismus mit offenen Sinnen für das antike Erbe und die platonische Gesamtheitskonzeption sowie für die arabischen Quellen der Naturwissenschaft und Philosophie. Hier wurde betont, daß ein gelehrter Mann nicht nur ein lebendes Nachschlagewerk zu sein habe, sondern daß er vor allen Dingen ein Mensch sein sollte, der mit seinem Wissen zu einer Einheit verschmolzen ist und der zwischen Gesamtheit und deren Einzelheiten zu unterscheiden weiß. Die Schule von Chartres repräsentierte einen Geist, der in die Zukunft blickte; man wollte nicht nur das ein für allemal Gegebene getreulich weitervermitteln. Zwar hatte man der Antike alles zu verdanken, aber man wußte auch, daß man es aus eigener Kraft weiter gebracht hatte als die Alten. In Bernhards von Chartres oft zitierten Worten kam zum ersten Mal ein echtes Selbstbewußtsein zum Ausdruck: Wir sind Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen. Wir können mehr und weiter sehen als diese, nicht, weil wir einen schärferen Blick oder eine stattlichere Gestalt besitzen, sondern weil deren Größe bewirkt, daß wir gehoben und getragen werden.
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Ein Tag in Chartres
Soweit bekannt, hat dieser Bernhard keine eigenen Schriften hinterlassen, aber Johannes von Salisbury (gest. 1180), der beste Schüler der Chartres-Schule und ein überzeugender Beweis dafür, daß die Bildungsideale hier tatsächlich verwirklicht wurden, schilderte seinen bewunderten Lehrer und dessen Unterrichtsmethoden umso eingehender. Wenn er erzählt, wie das Trivium, also die sprachlichen Fächer, den Schülern in Chartres beigebracht worden ist, fühlt man sich als Leser selbst ins Klassenzimmer versetzt: Bernhard von Chartres, die umfangreichste Quelle in moderner Zeit, benutzte diese Methode. Durch eindeutige Beispiele wies er auf den regelgetreuen Sprachgebrauch der Schulautoren hin: Die Beachtung der Figuren der Grammatik, der Stilmittel der Rhetorik, der Fallgruben der Sophistik. Er zeigte auch, wie das aktuelle Unterrichtsmoment mit anderen Lehrfächern zusammenhing. Doch ging er nicht überall auf Einzelheiten ein, sondern paßte seinen Unterricht immer der Entwicklungsstufe der Zuhörer an . . . Tag für Tag mußte jeder Schüler beschreiben, was er am vorigen Tag gelernt hatte. So war jeder Tag ein Schüler des anderen. Die abendliche Übung hieß „Deklination" und war so mit Grammatik gespickt, daß jeder, der auch nur ein bißchen Fassungsvermögen besaß, nach siebenjährigem Studium die Schreib- und Redekunst an seinen fünf Fingern beherrschte und über den Inhalt der allgemein gebrauchten Ausdrücke keinesfalls in Unwissenheit bleiben konnte. Da aber die Schule keinen einzigen Tag den Geist der Gottesfurcht entbehren sollte, knüpfte er an solche Stoffe an, die für den Glauben und den Lebenswandel erbaulich waren, so daß die Anwesenden gleichsam in Form einer Ermahnung zum Guten aufgefordert wurden. Der letzte Programmpunkt dieser Grammatikübung — oder eher dieser philosophischen Ermahnungsstunde — war ein Ausdruck seiner Frömmigkeit. Er befahl die Seelen der Verstorbenen in die Hände des Erlösers, indem er ihnen andächtig den sechsten Bußpsalm und das Vaterunser als Opfer darbrachte. 48
Im vorbereitenden Unterricht bekamen die Schüler Dichter und Redner zu lesen, um die Nachahmung ihrer Poesie und Prosa zu erlernen. Er lehrte sie, getreulich in ihre Fußstapfen zu treten, er zeigte ihnen, wie Redewendungen konstruiert werden und wie man einen eleganten Prosarhythmus zustandebringt. Wenn jemand um des größeren Glanzes willen sein Werk mit fremden Federn schmückte, so machte er es kenntlich und beanstandete den Diebstahl, doch in der Regel bestrafte er niemand. Aber was er zuerst lehrte und den Gemütern einprägte, war, daß man mit den Ausdrucksmitteln haushalten müsse, was man sich an sprachlicher und sachlicher Verzierung erlauben könne, wann die Sprache knapp oder beinahe asketisch zu sein habe, wann man sich ausbreiten und geradezu überschwenglich sein sollte und wann maßhalten angebracht sei. Er ermahnte sie, sich gründlich mit historischen Schilderungen und Gedichten zu beschäftigen und sich nicht gezwungen zu fühlen, diese Texte so schnell wie möglich durchzulesen. Indessen verlangte er, daß jeder täglich etwas auswendig lernte. Er lehrte sie, das Unnötige zu vermeiden und sich an die großen Autoren zu halten. Über alle unwichtigen Menschen Bescheid zu wissen, die womöglich irgendwann irgendetwas gesagt haben, mache uns nur unglücklich und sei eine sinnlose Verschwendung, denn dies fülle und beherrsche den Sinn, der statt dessen für Anderes und Besseres offen und empfänglich sein solle . . . Daher betrachteten die Alten es als eine Tugend, wenn der Gelehrte auf manchen Gebieten völlig unwissend war. Johannes von Salisbury war also ein Fürsprecher des christlichen Humanismus. Nicht nur der Erwerb von Kenntnissen war notwendig für die menschliche Reife, sondern auch, daß man sie sich zueigen machte, insbesondere, wenn man weiter dringen wollte als bis zu dem, was jedem einleuchtet. Vier Dinge sind unerläßlich für den, der sich in der Philosophie und der Tugend übt: Lektüre, Gelehrsamkeit, Meditation und Fleiß. Die Lektüre macht mit dem Stoff vertraut. In den geheimen Winkeln des Gedächtnisses oder im vollen Bewußtsein des Gegenwärtigen schöpft die Gelehrsamkeit bald aus schriftlichen, bald aus ungeschriebenen Quellen. Die Meditation streckt sich darüber hinaus dem Unbekannten entgegen und schwingt sich oft zum Unergründlichen auf, sie spürt sowohl das Offenbare wie das Verborgene auf und er-
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forscht es. Der Fleiß, schließlich, geht von dem aus, was man schon weiß, aber er weckt die Sehnsucht nach noch größerem Wissen und öffnet den Weg zum Verständnis . . . Die Grammatik ist die Wurzel und der Ursprung des Ganzen; sie legt sozusagen ihren Samen in die gepflügten Furchen der Natur. Was aber allen vorangeht, ist die Gnade. Wenn nur die Gnade zu Hilfe kommt, so wächst die Saat zur bewährten Kraft der Tugend und vermehrt sich vielmals und trägt Frucht in Gestillt der guten Taten, derentwegen wir gute Männer genannt werden und es auch wirklich sind. Denn nur die Gnade erzeugt den guten Willen und seine Werke. Nur sie macht den Menschen gut und schenkt den Auserwählten die Fähigkeit, sich in Wort und Schrift auszudrücken, sowie alle anderen guten Gaben. Hundert Jahre später sagte Thomas von Aquin zusammenfassend über das Verhältnis von christlichem Glauben zu weltlichem Wissen, daß die Gnade nicht die Natur außer Kraft setze, sondern sie vollende.
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Medizinische und menschliche Bildung
An einigen der Bischofsschulen, die als Folge der Reformen Karls des Großen gegründet wurden, konnte man auch Medizin studieren. Wer zu jener Zeit die Heilkunde über das Niveau der mündlichen Ratschläge und Erfahrungen zu heben versuchte, war auf die wenigen schriftlichen Quellen aus der Antike angewiesen, die dem zeitlichen Verfall standgehalten hatten. Es ist erwiesen, daß es in gewissen Klöstern schon im 9. und 10. Jahrhundert Sammlungen von medizinischen Lehrbüchern in Dialogform gab. Belegen läßt sich auch, daß zu einem Zeitpunkt, als das Wissen des Altertums aufs neue erfaßt und weitergereicht wurde, klassische, im antiken Griechenland ausgearbeitete medizinische Methoden dem bescheidenen Wissensschatz einverleibt worden sind, den das Abendland auf dem Gebiet der theoretischen Medizin besaß. In einer Handschrift aus dem 9. Jahrhundert findet man einen Katalog von Fragen und Antworten, die einige der wichtigen Prinzipien zeigen, welche der medizinische Schriftsteller und Philosoph Galenos (gest. 199 n. Chr.) als „induktive Analogie" formuliert hatte. Es handelt sich um eine Methode, bei der man aus der Beobachtung der augenfälligen Krankheitssymptome auf die unbekannte Ursache schließt. In derselben Quelle heißt es auch, daß alle medizinische Theorie experimentell bestätigt werden muß. Besonders interessant ist der Stellenwert, den man der Allgemeinbildung von Arztkandidaten beimaß. Diese mußten die Grammatik zumindest soweit beherrschen, daß sie die Schriften der medizinischen Verfasser verstehen und auslegen konnten. Weiterhin mußten sie hinreichend rhetorische Fähigkeiten besitzen, um andere Ärzte in ihrer Muttersprache unterweisen zu können. Weder die Grundbegriffe der Geometrie noch die der Astronomie durften ihnen fremd sein. Nicht weniger wichtig war die Kenntnis der ethischen Arztregeln der hippokratischen Tradition: Wir wollen einmal sehen, welche Eigenschaften ein Arzt besitzen muß. Er soll ein mildes Wesen haben und anspruchslos, ehrlich, fromm und demütig sein. Er soll Arme und Reiche mit gleicher Sorgfalt behandeln. Denn die Heilkunde ist für alle Menschen da. Wird ein Honorar gezahlt, soll er es annehmen 51
und sich nicht sträuben; falls kein Honorar gezahlt wird, soll er auch keines fordern. Denn was ein jeder gibt, kann keinesfalls im richtigen Verhältnis zu den Wohltaten der Medizin stehen. Bei Hausbesuchen soll er nur die Bedürfnisse des Patienten beachten. Er muß auch den hippokratischen Eid achten und sich jeder strafbaren Handlung enthalten, insbesondere der sexuellen oder finanziellen Übervorteilung des Patienten.Alles, was im Hause gesagt oder getan wird, soll er unbedingt geheim halten. Auf diese Weise hebt er sein Ansehen sowie das der Heilkunde. Er muß feinfühlige und gepflegte Hände haben, damit er aller Sympathien erwecke und bei der Untersuchung seine vornehme Art zeigen könne, was Hippokrates selbst als wichtig betont hat. Er muß auch eine elegante Unterhaltung führen können und darf in der Philosophie nicht unbewandert sein. Er soll bescheiden auftreten, so daß sich berufliche Geschicklichkeit und untadeliger Lebenswandel möglichst in seiner Person vereinen.
Dasselbe Manuskript vermittelt auch einen Einblick in den medizinischen Unterricht zu einem Zeitpunkt, als dieser vermutlich in den mitteleuropäischen Klöstern auf dem Höhepunkt stand. Die Form ist die seit Alkuin und Donatus übliche: auf jede Frage gibt es eine präzise Antwort. Diese Methode muß sehr praktikabel gewesen sein, weil die Arztkandidaten bereits damals viele fremdsprachliche, meist griechische Fachausdrücke zu beherrschen hatten. — Was ist Orexis? — Appetit auf Speise und Trank. — Was ist Pepsis? — Die Verdauung. Ein Prozeß, durch den sich die verzehrte Nahrung und Getränke zu einer Flüssigkeit verwandeln und zwar unter dem Einfluß der Wärme, die dem Blut zueigen ist. So entstehen dann die anderen Körperflüssigkeiten. — Was ist der Puls? — Ausdehnen und Zusammenziehen der Arterien, ausgehend von Herz, Hirn und Hirnrinde, unbeeinflußt vom Willen. — Was ist Epilepsie? — Ein plötzlicher Fall, der sich in kürzeren oder längeren Abständen wiederholt. Zwischen den Anfällen fühlt der Patient nichts, fällt dann aber plötzlich hin, der Körper krümmt sich und die Kehle stößt unartikulierte Töne aus. Der Patient vernimmt Geräusche im Ohr und sieht Licht vor Augen. Ein Teil des Körpers schlottert. Indessen können manche Patienten den Anfall im voraus fühlen und ihre Umgebung warnen. Zum Schluß haben sie Schaum vor dem Mund und können nur schwer zu sich kommen.
Fig. 8. Der sogenannte Wundenmann. Hier ist nicht etwa ein besonders schwerer akuter Fall abgebildet, sondern es handelt sich um einen Katalog über medizinische Theorien zur Behandlung von Gebrechen. Der Wundenmann ist ein anschauliches Beispiel für die didaktische Graphik. Er tritt zusammen mit dem Aderlaßmann und dem Tierkreismann auf. Die beiden anderen zeigen natürlich, an welcher Stelle des Körpers man zur Ader lassen soll, beziehungsweise welche Rücksicht bei derartigen Operationen auf die Stellung der Himmelskörper genommen werden muß. Man durfte denjenigen Körperteil nicht berühren, der von einem Sternbild „regiert" wurde, in dessen Zeichen der Mond gerade stand. Dieser Wundenmann stammt aus Hieronymus Braunschwigs „Buch der Cirurgia, Handwirckung der wundartzny", gedruckt von J. Grüninger in Straßburg, 1497. Die Abbildung ist eine groteske Variante eines wohlbekannten Motivs aus der kirchlichen Kunst, nämlich des von Pfeilen durchbohrten Heiligen Sebastian. Das Interessanteste für den Medizinhistoriker ist jedoch die Tatsache, daß es sich hier um die älteste gedruckte Abbildung der geöffneten Bauchhöhle handelt.
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— Was ist Hydrocefalie? Eine blutige oder wässrige Flüssigkeit oder eine Eiterbildung unter der gesamten Kopfhaut oder einem Teil davon. — Wie operiert man Hydrocephalie oder andere Eiteransammlungen? — Wir machen einen Schnitt zwischen Haut und Schädelknochen, lassen die Flüssigkeit abfließen und behandeln die Wunde. Falls sich das Übel auf den ganzen Kopf ausbreitet, öffnen wir die gesamte Fläche in regelmäßigen Abständen, damit die Flüssigkeit abfließen kann. Wir machen einen oder zwei Einschnitte in der Breite, danach versorgen wir die Wunde, ohne sie zu verbinden. Zunächst lassen wir den Eiter abfließen und legen keinen Verband an, solange die Wunde noch näßt. Wenn der Erguß unter den Muskeln sitzt, schneidet man die seitlichen Muskeln auf (die Muskeln strecken sich nämlich bis zum Rückgrat) und trennt alle Sehnen ab in der Richtung, in der sie befestigt sind, und läßt dann mit einem einzigen Schnitt des Skalpells die Flüßigkeit abfließen. Danach stopfen wir die Wunde mit Leinentüchern aus und behandeln sie so, daß die Wundränder abheilen. Wir achten auch darauf, daß die Verbindungen wiederhergestellt werden und funktionieren. Wir benutzen einen Verband, den man den „ohrenlosen Hasen" nennt. Ob diese Operation tatsächlich durchgeführt wurde und welche Wirkung sie hatte, ist nicht bekannt. In der südlich von Neapel gelegenen Stadt Salerno, seit alters her Kurort, Bischofssitz und Klosterstadt, schlössen sich einige Ärzte zu einem Bund zusammen, um eine organisierte medizinische Ausbildung zu betreiben. Diese Schule sollte die namhafteste medizinische Lehranstalt des Mittelalters werden und zugleich der Prototyp für die medizinischen Fakultäten der Universitäten. Sie existierte bis 1812. Anfangs war das „wissenschaftliche" Niveau des Unterrichts recht bescheiden, aber auf einem Gebiet leistete man in Salemo Pionierarbeit: Man begann hier, die Anatomie des menschlichen Körpers systematisch zu studieren. Die Quellen enthalten auch eingehende Beschreibungen von komplizierten chirurgischen Eingriffen. Die literarische Form läßt erkennen, welchen Wert dem persönlichen Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler zugeschrieben wurde. Das Erlernen des Arztberufs war nicht so sehr eine Frage des Lesenkönnens als des Zuhörenkönnens. Hinsichtlich des Auswendiglernens wurde von den Schülern besonders viel verlangt. Man stellte präzise Regeln auf, um auch die 54
kompliziertesten Sachverhalte im Gedächtnis behalten zu können. Die einfachste Variante dieser Technik ist der bekannte Knoten im Taschentuch. Im Mittelalter sollte sich daraus eine eigene Wissenschaft entwickeln, die „ars memorativa", (siehe unten Seite 223). Die hervorragendste Gestalt unter den Medizinern von Salemo ist Konstantin, genannt der Afrikaner, (Constantinus africänus, gest. 1087). Auf langen Studienreisen im Orient hatte er sich gründliche Kenntnisse der arabischen Heilkunde angeeignet, die zu jener Zeit am weitesten entwickelt war. Seine Übersetzungen des Hippokrates und der Schriften bedeutender arabischer Ärzte leiteten einen Prozeß ein, der das Abendland nicht nur aus seiner intellektuellen Isolierung und seinem Traditionalismus weckte, sondern auch dessen Angesicht für immer veränderte. Man begann, die naturwissenschaftliche Seite des griechischen und arabischen Erbes in die europäische Vorstellungswelt einzufügen.
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Die Kathedralschulen überflügeln die Klöster
canones canonici
scholasticus
Im 1 1 . Jahrhundert erreichten die Klosterschulen den Höhepunkt ihrer Entwicklung. Es entstand eine kirchliche Reformbewegung, um den weltlichen Fürsten die Kontrolle der Kirchenverwaltung zu entreißen. Die Vertreter dieser Bewegung betrachteten die Beschäftigung mit weltlicher Wissenschaft als Ablenkung von der eigentlichen Aufgabe. In Cluny, dem Zentrum der Bewegung, wurden klassische Studien nicht gefördert, und in Citaux, der Neugründung des Benediktinerordens, wo man den ursprünglichen Geist des Heiligen Benedikt in seiner ganzen Strenge wieder aufleben lassen wollte, enthielt die Bibliothek außer einigen wenigen klassischen Autoren nur die Bibel, die Kirchenväter und die Bücher für den Gottesdienst. Der neuerweckte Enthusiasmus für die Kirche, für die unbefleckte, untadelige Braut Christi, schien für weltliche Studien vorläufig keinen besonderen Eifer aufkommen zu lassen. Es gab sogar eine Menge Lehrer an Pariser Schulen, die der Verstandesübung überdrüssig waren und sich ins Kloster zurückzogen, um dort ungestört dem Dienst an Gott nachgehen zu können. Als Bildungsstätten laufen die bischöflichen Schulen in dieser neuen Situation den Klosterschulen den Rang ab. Die Reform Karls des Großen hatte den Domherren unter anderem auferlegt, daß sie in gemeinsamem Haushalt mit regelmässigem Gottesdienst leben sollten, entsprechend dem Klosterleben. Diese neue Lebensweise war durch eine Vorschriftensammlung geregelt (canones, daher Kanonikus = Domherr). Als Stellvertreter des Bischofs stand ein Domprobst dieser priesterlichen Familie vor, und einem der Domherren wurde die Verantwortung für die Fortbildung der Priester übertragen. Man nannte ihn den Scholasticus (Scholarch). In gewissen nordfranzösischen Stiftsstädten hatten der Bischof und die oftmals hochgebildeten Herren des Domkapitels die intellektuelle Führung jener Zeit. Mit dem berühmtesten Zentrum der Gelehrsamkeit, der Schule von Chartres, haben wir ja schon Bekanntschaft geschlossen. Auch bei der Anwerbung des priesterlichen Nachwuchses nahmen die Kathedralschulen eine Schlüsselstellung ein, wodurch sich ihre Bedeutung noch vergrößerte. Die Verantwortung für diese Funktion
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trug der Erzdiakon. Ziemlich unabhängig von seinem Bischof überwachte er die Entwicklung der Priesterkandidaten bis zur Weihe. Er verbürgte sich auch für ihre persönliche Tauglichkeit für das Priesteramt. Oft wirkte der Scholarch einer Kathedralschule zugleich als Domkanzler, d. h. er hatte das Archiv und die Bibliothek des Doms zu beaufsichtigen und zu vervollständigen. Um das Jahr 1100 stieg Europas Einwohnerzahl plötzlich; gleichzeitig wurde das gesellschaftliche Leben allmählich kultivierter. Handel und Handwerk, die seit dem Altertum brach lagen blühten wieder auf. Neue Städte wurden gegründet, alte Handelswege aufs neue in Betrieb genommen und neue angelegt. Hand in Hand mit dem Aufschwung des städtischen Lebens ging wiederum eine Spezialisierung des Berufslebens. Darüberhinaus begann sich eine neue Schicht von „Intellektuellen" deutlich abzuzeichnen. Einen derartigen Zustand der Stabilität und Zuversichtlichkeit hatte man seit siebenhundert Jahren nicht mehr erlebt. Die neue Situation wirkte sich auch auf die kirchliche Ausbildung aus. An den Domschulen nahm die Zahl der Priesterkandidaten ständig zu, so daß die Scholarchen Hilfskräfte anstellen mußten, um den Unterricht bewältigen zu können. Unter diesen Umständen trat immer deutlicher zutage, wie selbständig die Ausbildungseinheit des Domkapitels dem lokalen Bischof gegenüberstand. Als die Zahl der Schüler immer weiter stieg, konnten nicht mehr alle mit Priesterstellen rechnen, aber für viele Studenten war die Bildung an sich das wichtigste Lockmittel. Zwar war das Lehramt ziemlich einträglich, aber die Genehmigung zum Unterrichten konnte nur ein amtierender Scholarch erteilen, und dieser bewachte eifersüchtig das einträgliche Privileg, denn späterhin galt es nicht nur für seine eigene Domschule, sondern umfaßte alle Schulen des Bistums. Aus dem Scholasticus des Domkapitels, der im allgemeinen zugleich Domkanzler war, entwickelte sich im Laufe des Mittelalters ein Erziehungsminister mit sehr breiten Befugnissen, In den 1170er Jahren mußten höhere kirchliche Behörden eingreifen und förmlich verbieten, daß die Lehramtsgenehmigung gegen Bezahlung vergeben wurde. Von nun an sollte jedem beliebigen geeigneten und gebildeten Mann, der die Verantwortung für den Unterricht zu übernehmen bereit war, die Möglichkeit dazu offenstehen, ohne daß er dafür bezahlen mußte. Sonst bestünde die Gefahr, daß aus dem „Wissen, das doch jedermann geschenkt bekommen sollte, künftig eine Handelsware würde" (Papst Alexander III.).
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licentia docendi
Als die Kultur auf die Kathedralschulen übergriff, begann der lange Weg ihrer Säkularisierung. Nun konnten Personen unterrichten, deren hauptsächliche Aufgabe nicht aus Gottesdienst und Gebet bestand. Das bessere Verständnis der biblischen Mysterien machte nicht mehr unbedingt Sinn und Zweck der Bildung aus, sondern die Gelehrsamkeit entwickelte sich zu einer menschlichen Aktivität mit eigenem Wert.
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DIE NEUE WISSENSCHAFT Pierre Abélard, der erste „Akademiker"
In der Geschichte der Geisteswissenschaften tauchen einige Persönlichkeiten auf, die ganze Epochen verkörpern. Pierre Abelard (gest. 1142) ist heutzutage hauptsächlich wegen der amourösen Privatstunden bekannt, die er der schönen Nichte eines äußerst naiven Domherren gab und wegen der tragischen Folgen, die daraus für seine Männlichkeit entstanden. Er war jedoch vor allem der Urtypus des streitbaren Akademikers aufgrund seines rastlosen Geistes, seiner intellektuellen Eitelkeit, seiner außergewöhnlichen Freude an vernunftsmäßigen Lösungen aller Probleme des Glaubens und der Logik. Er war also das leibhaftige Gegenteil der ehrfürchtigen Traditionalisten der monastischen Kultur. Fasziniert von den Möglichkeiten der Logik, suchte er den Streit und stürzte sich hinein im unerschütterlichen Bewußtsein seiner eigenen Brillanz. Abelard hatte an der Pariser Domschule von Notre Dame bei dem Scholastiker Wilhelm von Champeaux studiert. Nachdem er seinen Lehrmeister lächerlich gemacht hatte, indem er auf die unmöglichen Konsequenzen seiner sehr realistischen Einstellung im Universalienstreit hinwies (mehr darüber im folgenden), waren die beiden zu
Fig. 9. Dieses Bild kann als Symbol für das „mittelalterliche Lebensgefühl" gelten. In stilisierter Form sehen wir die Himmelssphären mit den Zeichen der Tierkreise und Planeten. Alles ruht in Gottes allmächtiger Hand, und in der Mitte, im Herzen der Welt, wird Gott in menschlicher Gestalt geboren. Maria und Josef beten ihn an. Von außen wie von innen versorgt Gott das Universum, — Stephan Fridolin, „Schatzbehalter", gedruckt von Anton Koberger in Nürnberg, 1491.
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Historia calamitatum
unversöhnlichen Feinden geworden. Hier sehen wir das wahrscheinlich erste Beispiel für einen erbitterten akademischen Kampf um eine Lehreranstellung. Wilhelm versäumte es nicht, seine Position im Bistum auszunutzen und zu verhindern, daß sein unehrerbietiger Schüler sich dort als Lehrer niederlassen konnte. In Abelards autobiographischer „Geschichte meiner Mißgeschicke" fehlen keine der Umstände, welche die Karriere eines verkannten Genies auszuzeichnen pflegen; er geizt auch nicht mit Sarkasmen für weniger Begabte, die ihm seinen Erfolg bei den Studenten neideten. Nachdem er seine Stellung als unübertrefflicher Logiker errungen hatte, stürzte er sich in das Studium der Theologie. Er begab sich zu dem verehrungswürdigen Anselm von Laon, der in der Theologie jener Zeit als Koryphäe galt. Ich machte mich also auf zu dem Alten, dessen Ruhm sich mehr auf eine erdrückende Routine als auf Begabung und gutes Gedächtnis gründete. Wußte man in einer Angelegenheit nicht richtig Bescheid und ging damit zu ihm, so war man noch unsicherer, wenn man ihn wieder verließ. Bei seinen Vorlesungen machte er den Eindruck eines Phänomens, doch sobald ihm jemand eine Frage stellte, versagte er. Er besaß einen sehr umfassenden Wortschatz, aber sein Vortrag war auf lächerliche Weise witzlos und bar aller Vernunft. Wenn er sein Feuer entfachte, füllte sich das Haus mit Rauch, heller wurde es jedoch nicht.
glossa ordinaria glossa interlineaiis
Es war der Mangel an logischen Übungen bei der Behandlung des biblischen Stoffs, der Abelards Zorn erregte und ihn dazu veranlaßte, Anselm zu verhöhnen, jenen berühmten Urheber der normierenden, mittelalterlichen Bibelkommentare glossa ordinaria und glossa interlinearis (vgl. Fig. 6). In diesen Glossen war die philosophische und theologische Tradition für die Auslegung des laufenden Bibeltextes zusammengefaßt.
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Die „alte" Logik
Es mag sonderbar erscheinen, daß die formalste aller Wissenschaften, nämlich die Logik, überhaupt irgendwelche Leidenschaften hervorrufen kann. Dennoch veränderte sich das gesamte Weltbild durch die Wiederentdeckung der Aristoteles-Übersetzung des Boethius, die zwar vereinzelt zugänglich gewesen war, jedoch erst im 1 1 . Jahrhundert systematisch studiert wurde. Lehrer und Schüler, die sich nun in die Technik des Aristoteles einarbeiteten, glaubten dort ein Instrument zu finden, mit dessen Hilfe sich die gesamte Wirklichkeit ordnen ließ. Man legte ein Raster über die Welt und machte sie dadurch verständlicher. Die Sprache konnte exakt analysiert und ihrer Vieldeutigkeit beraubt werden. Man wußte, woran man sich orientieren konnte — es war wie eine Offenbarung. Die Bücher, die später „Die alte Kunst" oder „Die alte Logik" genannt wurden, machten den von Boethius übersetzten Teil der aristotelischen Logik aus: „Die Kategorien" (die Arten des Seienden), also die zehn Grundtypen von sprachlicher Bewertung; „ Vom Satz und Urteil", eine Übersicht über verschiedene Satztypen sowie die von dem griechischen Kommentator Porphyrios verfaßte „Einleitung" zu den Kategorien. Boethius wollte nicht nur übersetzen, sondern auch gleichzeitig eine anwendbare, einheitliche und exakte lateinische Terminologie schaffen, denn die gab es bis dahin noch nicht. Seiner Ansicht nach sollte sich der lateinisch sprechende Philosoph nicht mit schlechteren Instrumenten behelfen müssen, als man sie im Griechischen zur Verfügung hatte. Aber erst bei Abélard fiel diese begrenzte Kenntnis der aristotelischen Lehre auf fruchtbaren Boden. Er erhob die alte Logik zur Wissenschaft.
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ve tus ars logica vêtus Praedicamenta Peri hermeneias Isagoge
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Fig. 10. Will man die gelehrte Vorstellungswelt des Mittelalters in einem einzigen Bild zusammenfassen, dann wählt man am besten den „Baum des Porphyrios" (arbor Porphyriána). Mit Hilfe dieses Schemas läßt sich das gesamte Universum klassifizieren und nach Allgemeinbegriffen (universália) ordnen. Die dabei entstehenden Hierarchien erinnern an das Einteilungssystem der Botanik. Als Beispiel hat man hier die Universalie h o m o gewählt, also „Mensch". Dieser Sammelbegriff für alle Einzelmenschen ist linkerhand durch „Sortes" (Kurzform von Sokrates) vertreten und rechts durch Piaton. Zwischen ihnen sehen wir als Wurzeln des Baumes die Individuen Johannes, Heinricus, Nicolaus und Petrus, die eigentlich außerhalb des Systems liegen, denn die Eigenschaften des Individuums sind undefinierbar. Homo bildet eine Art (species), und gemeinsam mit einer anderen Art, dem Tier, bildet die Art „Mensch" eine Gattung (genus), nämlich „Lebende Geschöpfe" (ánimal). Kennzeichnend für jede zu einer Gattung gehörende Art ist ein bestimmter Artunterschied (differéntia specifica). Bei dem hier gewählten Beispiel ist der Artunterschied „ Vernünftigkeit" respektive „Unvernünftigkeit" auf den untersten Zweigen zu finden. Aber die Gattung „Lebende Geschöpfe" stellt ihrerseits eine Art innerhalb der höheren Gattung „Organismus" (corpus animátum) dar, und ihre differéntia specifica innerhalb dieser Gattung ist die ,,Sinnlichkeit". Die andere, zu derselben Gattung gehörende Art sind die nicht mit Sinnen ausgerüsteten Pflanzen. Also finden wir „Sinnlichkeit" und „Unempfindlichkeit" auf dem nächsten Paar Zweige. „Organismus" wiederum stellt eine Art innerhalb der höheren Gattung „Körper" dar, die ihrerseits zwei Arten umfaßt: „Organismus" und „Nicht-Organismus". Und so weiter. Die höchste Gattung ("genus generalissimum) sehen wir in der Baumkrone, nämlich die Substanz (substántia). Unter diesem Begriff versteht sich schlechthin alles, was selbständig existieren kann. Die Substanz ist die oberste der zehn Kategorien — Species, genus und differéntia specifica bilden zusammen mit der Eigenart, proprium, (die Eigenart des Allgemeinbegriffs „Mensch" ist zum Beispiel die „Fähigkeit zu lachen") und dem zufälligen Sachverhalt, áccidens, (beispielsweise „blauäugig sein", „sitzen") die fünf Prädikabilien (praedicabilia). Man könnte sie ein Etikettierungssystem für die Universalien nennen. Deswegen werden die Prädikabilien auch als rückbezogene Universalien bezeichnet oder als Allgemeinbegriffe zweiter Ordnung (secúndae intentiónes), „die nicht in der Natur der Dinge liegen, sondern eine Folge des Denkprozesses sind" (Thomas von Aquin). Der Universalienstreit galt der Frage, inwiefern die Allgemeinbegriffe erster Ordnung (primae intentiónes), zum Beispiel Mensch, Lebendes Geschöpf, Organismus, Körper und Substanz, etwas darstellen, was es in Wirklichkeit und ganz unabhängig von menschlichem Denken „gibt". Extreme Realisten wie Johannes Duns Scotus behaupteten, dies wäre der Fall, während die gemäßigten Realisten, zum Beispiel Thomas von Aquin, meinten, sie hätten zumindest „ihren Grund in der Wirklichkeit" und die Nominalisten, allen voran Wilhelm von Ockham, sie lediglich als erdachte Begriffe gelten ließen. — Petrus Hispanus, „Tractatus duodecim", gedruckt von Johannes Knob in Straßburg, 1514.
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Porphyrios und die Allgemeinbegriffe
Die „Einleitung" des Porphyrios enthält eine Reihe von Begriffen, die im Hoch- und Spätmittelalter eine derart fundamentale Rolle spielten, daß es kaum eine Wissenschaft gab, in der man nicht mit eben diesen Begriffen arbeitete. Der eigentliche Anlaß zu der einschneidendsten Meinungsverschiedenheit in der mittelalterlichen Philosophie waren ein paar scheinbar völlig harmlose Zeilen ganz im Anfang der „Einleitung". Ich möchte mich nicht darüber äußern, ob die „Gattungen" und ,,Arten" wirklich, d. h. dinglich oder nur in unserer Vorstellung vorhanden sind, und falls dem so ist, ob sie körperlich oder unkörperlich sind, ob sie gesondert von den Wahrnehmungen existieren oder diese voraussetzen, oder ob sie nur Hirngespinste sind. Auf diese Frage will ich hier nicht eingehen, da sie äußerst schwierig zu klären ist und eingehendere Untersuchungen erfordert. Die Zurückhaltung des Porphyrios wirkte auf spätere Philosophen wie eine Herausforderung. Alle Denker von Rang sahen sich genötigt, früher oder später zu dieser Frage Stellung zu nehmen. In den späteren Jahrhunderten des Mittelalters wurde der Grundriß ganzer Weltanschauungssysteme dadurch bestimmt, wie sich die „Architekten" zu diesem aufgeworfenen Problem stellten. Was auf den ersten Blick wie eine philosophische Geschmackssache aussah, sollte in Wirklichkeit tiefe Abgründe zeigen. Es ging um die unterschiedlichen Auffassungen von der Beschaffenheit der Wirklichkeit, wie sie aufgebaut ist und über unsere Möglichkeit, etwas darüber zu erfahren — falls dies überhaupt möglich sein sollte. Worum handelte es sich eigentlich? Wir wollen einmal an alle Stühle denken, die es in einem Haus gibt. Manche würden wir als Küchenstühle bezeichnen, andere als Sessel, wieder andere als Schreibtischstühle. Möglicherweise existieren dort auch Schemel, Klappstühle und andere Varianten. Für alle diese Gegenstände gilt, daß man sie als Stühle bezeichnen kann, ohne daß jemand Einspruch erhebt. Sie haben also alle irgendeine
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Beschaffenheit gemeinsam, so daß man ihnen ohne weiteres ein und dieselbe Bezeichnung geben kann. Falls man so veranlagt ist, könnte es passieren, daß man diesen Gedankengang noch weiter fortsetzt: Läßt sich die Gruppe der Stühle ihrerseits mit anderen im Haus vorkommenden Gruppen von Gegenständen zusammenführen? Und könnte man für alle einen gemeinsamen Namen finden? Man braucht nicht lange nachzudenken, um festzustellen, daß alle Gegenstände mit der Bezeichnung „Betten" und mit der Bezeichnung „Tisch" mit den Stühlen zusammen unter den Oberbegriff „Möbel" eingeordnet werden können und daß sich alle bisher betrachteten, einzelnen Gegenstände als „Möbel" bezeichnen lassen. Wer Zeit und Lust hat, kann dieses Gedankenspiel weiterführen, bis es das ganze Universum erfaßt und bis alle neu hinzugekommenen Gruppen mit netten und schmucken Etiketten versehen sind. Einmal muß jedoch dieser Prozeß aufhören, denn irgendwann erreicht man die höchste Klasse, d. h. eine Bezeichnung, die auf alles paßt, was es überhaupt gibt. Wenn man nun zum Ausgangspunkt, zu den Stühlen, zurückkehrt, mag man eine Weile darüber nachdenken, woran es liegt, daß sich eine Gruppe von Gegenständen ohne eigentliche Schwierigkeiten als „Stühle" bezeichnen läßt. Welches ist der gemeinsame Nenner für alle Stühle? Wie könnte man möglichst kurz einen Stuhl so beschreiben, daß diese Beschreibung für alle Stühle der Welt, jedoch für keine anderen Gegenstände paßt? Untersuche ich nun alle Stühle meines Hauses, finde ich, daß man auf allen Stühlen sitzen kann, daß manche von ihnen Rückenlehnen haben und daß ein Teil davon grün, andere wieder weiß angestrichen sind. Offenbar läßt sich von allen Stühlen behaupten, daß man auf ihnen sitzen kann und daß sie mindestens drei Beine haben. Die kürzeste allgemeingültige Beschreibimg eines Stuhls wäre demnach „Möbel zum Daraufsitzen". Bei einer solchen Beschreibung geht man von der nächsthöheren Klasse aus, also von „Möbel" und fügt die Bestimmung hinzu, die die Klasse der Stühle von allen anderen unter der Bezeichnung Möbel zusammengefaßten Klassen unterscheidet, nämlich die Bestimmung „zum Daraufsitzen". Dadurch sondert man die Stühle von den Betten und Tischen ab. Porphyrios interessierte sich für diese sogenannten Allgemeinbegriffe, d. h. für zusammenfassende Benennungen einzelner, gleichartiger Gegenstände (wie Stühle, Möbel . . . ). Den primären Sammelbegriff für eine Klasse von einzelnen Gegenständen (individua, also unteilbare Dinge, dieser Stuhl) nannte er species oder 65
universalia
¡ndividua species
genus differentia specifica
proprium
accidens
flatus voci»
praedicabilia
„Art", (z. B. die Art „Stuhl"). Mehrere Arten führte er unter dem gemeinsamen Begriff genus oder „Gattung" zusammen, (z. B. die Gattung „Möbel"). Den kennzeichnenden artbildenden Unterschied, durch den sich die eine Art von den übrigen Arten innerhalb ein und derselben Gattung unterscheidet, nannte er differentia specifica, (z. B. „zum Draufsitzen"). Wahrscheinlich besitzen die meisten Arten eine Eigenschaft, die nur ihnen zueigen ist. Eine derartige Eigenschaft bezeichnete Porphyrios als proprium, also „Eigenart", (z. B. ist es die Eigenart des Stuhls, daß er im Unterschied zum Tisch oder Bett nur von jeweils einer Person benutzt werden kann). Weiterhin können natürlich innerhalb jeder Art eine Menge von Eigenschaften vorkommen, die keineswegs notwendige Bestandteile ihres Wesens ausmachen; und jede derartige, nur „vorliegende" Eigenschaft nannte er accidens, d. h. ein unwesentliches Merkmal (z. B. die eventuelle grüne Farbe des Stuhls, die ja nichts mit der Definition des Begriffs Stuhl zu tun hat). Die Auseinandersetzung wegen der Allgemeinbegriffe, der sogenannte Universalienstreit, galt also der Frage, ob Gattung und Art eine eigene, von den Individuen, den Einzeldingen, freistehende Wirklichkeit bezeichnen. Gibt es beispielsweise eine objektive „Idee des Stuhls", eine frei schwebende „Stuhl-heit", ganz abgesehen davon, ob einzelne Stühle existieren? Haben alle Stühle der Welt teil an einer gemeinsamen Natur, die schon vorhanden ist, bevor wir uns den Begriff Stuhl vorstellen? Oder ist vielleicht die Vorstellung, die wir uns in unserem Gehirn vom Stuhlbegriff machen, das Einzige, was den einen Stuhl mit dem anderen verbindet? Womöglich verhält es sich sogar so, daß sie in jeder Sprache mit einer gewissen Serie von Lauten bezeichnet werden, einem „Mundhauch" (flatus vocis)? Dies behaupteten diejenigen Gegner, welche die objektive Realität der Allgemeinbegriffe am radikalsten verneinten. Mit echter Leidenschaft wurde der philosophische Streit zwischen den sogenanten Realisten und Nominalisten erst zu Beginn des 14. Jahrhunderts ausgefochten. Aber die fünf sogenannten Prädikabilien des Porphyrios, nämlich genus, species, differentia, proprium und accidens, machten sich schon seit den Zeiten Abélards allenthalben bemerkbar und tauchten nicht nur dort auf, wo man sie vermuten konnte, sondern auch in den verschiedensten und überraschendsten Zusammenhängen.
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Die Kategorien
Ein anderes Gradnetz, das man zur Erforschung ihres Aufbaus über die Wirklichkeit zog, waren die Kategorien des Aristoteles, in lateinischer Übersetzung „Praedicamenta" genannt. Die Kategorien-Schrift geht von der These aus, daß sich alles, was wir mit Hilfe unserer Sprache aussagen können, letzten Endes in zehn Grundtypen von Aussagen zusammenfassen läßt, nämlich in die zehn Kategorien (Arten des Seienden). Alle sinnvollen sprachlichen Aussagen fallen unter eine oder mehrere der folgenden Klassen: Substanz (Mensch, Pferd usw.) Quantität (zwei Ellen lang) Qualität (hellhäutig, sprachbegabt) Relation (doppelt, halb, größer) Ort (auf dem Markt, im Lykeion) Zeit (gestern, voriges Jahr) Lage (Sichbefinden) (liegt, sitzt) Haltung (Sichverhalten) (hat Schuhe an) Tun (schneidet, brennt) Leiden (wird geschnitten, gebrannt)
Praedicamenta
substantia quantitas qualitas
jj*0'
ad
quando situs, situatio habitus actio passio
Die erste Kategorie, die Substanz, (das Beharrende) ist die einzige, die nur auf sich selbst beruht und keine andere Kategorie voraussetzt. Dagegen müssen die übrigen neun Kategorien zu einer oder mehreren Substanzen gehören, sie müssen von anderen Substanzen getragen werden und deshalb nennt man sie Akzidenzien, d. h. zur Substanz „Hinzukommendes", das nicht bestehen kann, wenn die Substanz zu existieren aufhört. (Nicht mit dem Allgemeinbegriff accidens verwechseln!). Dagegen können sich die Akzidenzien verändern oder sie können aufhören zu existieren, ohne daß es ihre Träger, die Substanzen, beeinflußt.
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accidentia
Sätze und Gegensätze
oratio
enuntiatio propositio
„Pen hermeneias" bedeutet ungefähr „ V o m Satz und Urteil" und enthält eine Reihe grundlegender Definitionen. Ein Satz (oratio) ist jeder Ausdruck der aus mindestens zwei Teilen besteht, von denen jeder einen eigenen Sinn hat. Dagegen kann von einem Urteil erst die Rede sein, wenn der Satz etwas von etwas behauptet oder wenn er etwas verneint (enuntiatio oder propositio), z. B. „der Mensch ist unsterblich". Nur Urteile können wahr oder falsch sein; falls sie etwas bejahen, werden sie affirmative Urteile genannt, und die verneinenden bezeichnet man als negative Urteile. Die Urteile lassen sich noch weiter einteilen: In universale, wenn sie die Worte „alle" oder „jeder" enthalten (in negativen Urteilen „kein" und „keiner"), und in partikulare, wenn sie ,jemand" b z w . „niemand" enthalten. Diese Typen von Urteilen stehen in einem gewissen Gegensatz
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zueinander, und es gibt Regeln dafür, welche von den Gegensatzpaaren gleichzeitig wahr oder falsch sein können und welche es nicht sein können. Am Ende von „Pen hermeneias" stellt Aristoteles eine Regel für Aussagen über die Zukunft auf. Behauptungen über künftige Verhältnisse werden — falls sie sich nicht aus dem Notwendigen ergeben, sondern aus Dingen, die entweder so oder auch anders sein können — weder als absolut wahr noch als absolut falsch bezeichnet, sondern nur als wahrscheinlich wahr oder wahrscheinlich falsch. Diese These war der Ursprung einer scharfsinnigen theologischen Spekulation: War es möglich, daß noch nicht einmal Gott, der Allwissende, mit Sicherheit über solche nicht-notwendigen („kontingenten") Ereignisse in der Zukunft Bescheid wissen futura konnte?
contingentia
Fig. 11. Das sogenannte Oppositionsquadrat illustriert die verschiedenen Typen von kategorischen Sätzen und deren Verhältnis zueinander (vgl. S. 233). Oben links der Satztyp A (allgemein affirmativ:,,Alle Menschen laufen"), oben rechts der Typ E (allgemein negativ: „Kein Mensch läuft"), unten links der Satztyp I (partikulär affirmativ: „Ein gewisser Mensch läuft") und unten rechts der Satztyp O (partikulär negativ: „Ein gewisser Mensch läuft nicht"). A und O beziehungsweise E und 1 stehen in kontradiktorischem Gegensatz zueinander: Beide können nicht zugleich wahr oder zugleich falsch sein. A und E stehen sich konträr gegenüber: Beide können nicht zugleich wahr sein, doch können beide zugleich falsch sein. I und O stehen in subkonträrer Stellung: Beide können zugleich wahr, jedoch nicht zugleich falsch sein. I und O sind A beziehungsweise E subahemuntergeordnet: Man kann direkt von A auf I schließen respektive von E auf O. Ein kontradiktorisches Gegensatzverhältnis vom Typ „ entweder — oder" (entweder A oder Nicht-A) schließt eine dritte Möglichkeit aus (tertium non datur). Bei einem konträren Gegensatzverhältnis stehen sich die beiden Endpunkte einer Skala gegenüber (zum Beispiel schwarz-weiß) und lassen dazwischenliegende Grade zu (grau). — Petrus Hispanus, „Tractatus duodecim", gedruckt von Johannes Knob in Straßburg, 1514 (vgl. S. 236).
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Die Definition fängt das Wesen der Dinge
definitio definiendum
definiens definitio adaequata essentia
quidditas
Zur „alten" Logik gehörten auch ein paar von Boethius' eigenen kleineren Schriften, in denen u. a. Aristoteles' Lehre von den korrekten Definitionen zusammengefaßt war. Was definiert werden ( ¿ a s Definiendum), ist durch die nächsthöhere Gattung sowie soJJ durch den spezifischen Artunterschied anzugeben (per genus proximum et differentiam speciflcam). Wenn man z. B. den Begriff „Mensch" definieren will, geht man von der nächsten Gattung aus, nämlich vom „lebenden Geschöpf". Die spezifischen Artunterschiede innerhalb dieser Gattung sind „vernünftig" bzw. „nichtvernünftig", und die durch den artbildenden Unterschied „vernünftig" konstituierte Art ist „Mensch". Die korrekte Definition für den Menschen lautet folglich „vernünftiges lebendiges Geschöpf". Ihre Richtigkeit ist erprobt und bewiesen, wenn der Ausdruck für den Inhalt der Definition (vernünftiges, lebendiges Geschöpf", die sogenannte Definienz) genau denselben Umfang hat wie das, was definiert werden sollte, (das Definiendum ,»Mensch"). Bei einer adäquat e n (^glattgeschliffenen") Definition sollen die äußeren Konturen genau gleich verlaufen, Man dachte, daß eine Definition dieser Art die Essenz oder das Wesen des Definiendums angebe, die bestimmte und unveränderliche Beschaffenheit, die nach allgemeiner Auffassung einer gegebenen Klasse (Art) von Substanzen zueigen war. Mit anderen Worten, drückte die Definition die quidditas der Dinge aus, d . h . sie beantwortete die Frage „was bedeutet es, ein X zü sein?" Diese wesentliche Definition ist durchaus nicht identisch mit der sogenannten Nominaldefinition, die man in modernen wissenschaftlichen Arbeiten einführt, um von vornherein anzugeben, in welcher besonderen Bedeutung man einen bestimmten Terminus anzuwenden beabsichtigt. Die essentielle Definition versucht, das ursprünglich wesenhaft Gegebene zu umreißen, den immanenten und ewig gültigen Kern der Substanz ohne das zufällig Hinzugekommene der Akzidenzien. Damit ist auch schon gesagt, daß Individuen nicht zu definieren sind. Die „alte" Logik enthielt Proben der Syllogismenlehre und der Topik, mit denen wir uns später eingehend beschäftigen müssen, (siehe unten Seiten 100 und 104). 70
Die Anfänge einer juristischen Scholastik
Die Logik ist die Wissenschaft von den gültigen Prinzipien der Erörterung und der Beweisführung, sozusagen eine Gebrauchsanweisung für den menschlichen Scharfsinn. Sie stellt eine begrenzte Anzahl von Regeln auf, die in der Alltagssprache erprobt und mit unzähligen Beispielen belegt werden können. Logisches Training läßt uns Widersprüche und Unklarheiten in einer mündlichen oder schriftlichen Darstellung erkennen. Wer sich den Inhalt von „Pen hermeneias" angeeignet hat, dem werden fortan die eventuellen Lücken in der Argumentation des Gegners eher auffallen. Er wird empfänglicher für eventuell mangelnde Übereinstimmung zwischen verschiedenen Normen, die alle gleich unerläßlich sind. Diese Entdeckung muß zu intellektueller Unzufriedenheit führen und das Verlangen erwecken, die Widersprüche nach Möglichkeit aufzuheben oder auf irgendeine Weise auszugleichen. In der Rechtsprechung schien die Einführung einer derartigen logischen Analyse besonders dringlich zu sein. Während der wirren Jahrhunderte nach dem Zusammenbruch des römischen Imperiums mußte die Familie oder die Dorfgemeinschaft wohl oder übel das Recht in eigene Hände nehmen. Oft genug war es die attraktivste und wirkungsvollste Lösung rechtlicher Konflikte, daß man seine Interessen mit der Waffe in der Hand behauptete. Als die Verhältnisse im 12. Jahrhundert allmählich etwas zivilisierter wurden, zeigte es sich jedoch, daß es manchmal vorteilhafter war, wenn man die Hilfe des Gesetzes in Anspruch nahm. Dies wiederum begünstigte die Entstehung einer spezialisierten Gruppe von Juristen. Allerdings unterschieden sich die Gesetze von Ort zu Ort; mal spiegelten sie alte römische Rechtspflege, mal germanisches Gewohnheitsrecht wider. Als es sich einbürgerte, daß Streitigkeiten vor den Richter gebracht wurden, fehlten den Juristen häufig feste Anhaltspunkte, d. h. aufgezeichnete Gesetze. Die Gelehrten, die sich im 11. Jahrhundert zum ersten Mal seit dem Altertum mit den römischen, von Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert endgültig kodifizierten Rechtsquellen befaßten, empfanden für diese Texte die gleiche Ehrfurcht wie die Grammatiker für Vergil. Die antiken Texte spiegelten eine offenbar 71
nie übertroffene Klarheit wider, sie drückten die großartige Harmonie und die Weisheit eines vergangenen Zeitalters aus. Genau wie die Dichtwerke enthielten aber auch die Gesetze viele unverständliche Worte und Wendungen, sie ließen eine Kultur erkennen, die seit langem untergegangen war. Deshalb mußten die Gesetzestexte genau wie die literarischen Werke interpretiert und kommentiert werden. Man mußte ungebräuchliche Worte durch ein Synonym verdeutlichen, unklare Konstruktionen umschreiben, längst vergessene Sitten und Bräuche in Form von historischen Anmerkungen (Glossen) erläutern.
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Die Glossatoren von Bologna
Genauso wie die organisierte Medizinerausbildung in Salerno ihren Anfang nahm, so sammelten sich Schüler aus fast allen Teilen Europas in Bologna, um unter der Leitung von Irnerius (gest. 1125) Jura zu studieren. Irnerius war die glänzendste Gestalt der wiedererstandenen Rechtswissenschaft. Den Ausgangspunkt der Studien bildeten die Gesetzessammlungen des Justinian (Institutiones, Codex, Digestum, Novellae). Das Digestum war in Bologna Gegenstand regelmäßiger Vorlesungen. Dieser Text enthält eine monumentale, von römischen Rechtsgelehrten ausgearbeitete Sammlung von Kommentaren und Interpretationen zu grundsätzlichen rechtsphilosophischen Fragen sowie kasuistische Beispiele für ihre praktische Anwendung in alltäglicheren Fällen. Hier fand man Beschreibungen von Grundbegriffen wie Gesetz und Recht, privates und öffentliches Recht, Naturrecht, positives Recht und Volksrecht. In der Einleitung des Digestum stehen folgende Distinktionen: Das öffentliche Recht umfaßt die gesamte Gesetzgebung für den römischen Staat. Dagegen ist das private Recht für den Nutzen des Einzelnen vorgesehen. Das öffentliche Recht enthält Vorschriften für Opfer, Priesterschaft und Beamte. Das Privatrecht ist dreigeteilt: es umfaßt naturrechtliche Regeln und Regeln für den Umgang der Völker und Menschen. Das Naturrecht bringt die Natur selbst allen ihren lebenden Geschöpfen bei, denn durch dieses Recht zeichnet sich nicht nur das Menschengeschlecht aus, sondern alle lebenden Wesen zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Durch das Naturrecht erhält die von uns als Ehe bezeichnete Vereinigung von Mann und Frau ihre Gültigkeit, ebenso das Gebären und Erziehen der Kinder. Wir wissen, daß auch die anderen lebenden Geschöpfe dieses Recht kennen. Das Völkerrecht ist die von allen Völkern der Erde gemeinsam angewendete Sammlung von Rechtsvorschriften. Es unterscheidet sich offensichtlich vom Naturrecht, 73
institutiones Novellae
ius publicum ius privatum
ius naturae
ius gentium
indem es nur den menschlichen Umgang regelt, während doch das vorhergehende für alle Lebewesen gilt . . . Das Zivilrecht weicht nicht völlig vom Naturrecht oder Völkerrecht ab, ist aber diesen auch nicht völlig untergeordnet . . . Es ist entweder aufgezeichnet oder ungeschrieben . . . Seine Quellen sind Gesetze, Volksentscheide, Senatsbeschlüsse, fürstliche Verordnungen, Gutachten von Rechtsgelehrten . . . Gerechtigkeit ist die ständige und dauerhafte Bereitschaft, jedermann das ihm zustehende Recht zu verschaffen. Die Gebote des Gesetzes sind: lebe ehrlich, füge niemandem Schaden zu, gib jedem, was ihm zukommt. Die Jurisprudenz ist die Lehre von den göttlichen und menschlichen Dingen, die Wissenschaft von Recht und Unrecht.
ius civile
„iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi" iuris prudentia
Digestum novum
Corpus iuris civilis
Der andere Text, der in Bologna bei den regelmäßigen Vorlesungen benutzt wurde, war der Codex Justinianus. Es handelt sich um eine Sammlung von Ergänzungen zum römischen Recht, die ein vortreffliches Bild jener Gesellschaftsstrukturen vermitteln, die zur Dominanz gelangten, als das Christentum zur Staatsreligion erhoben wurde. In diesem Gesetz steht die Heilige Dreieinigkeit an erster Stelle, es folgt die Kirche sowie ihre Besitztümer und Privilegien, dann die Hierarchie der Bischöfe, Priester und Laienbrüder, dann kirchenrechtliche Regeln, Vorschriften für den Umgang mit Ketzern und Heiden und erst danach Verordnungen für staatliche Beamte. Den Abschluß bildet eine lange Reihe von Beispielen für die kaiserlich römische Rechtssprechung. Weiterhin beschäftigten sich die Juristen von Bologna mit der letzten Hälfte des „Digestum". (Dieses sogenannte Digestum novum bietet wieder ein gutes Beispiel für die Rolle des Zufalls in der mittelalterlichen Geschichte der Wissenschaften: Im „Digestum" verlaufen die Grenzen zwischen dem alten und dem neuen Teil mitten in einem Abschnitt — vermutlich, weil sich die letztere Hälfte in einer Handschrift befand, die gerade nicht zur Verfügung stand, als die juristischen Vorlesungen feste Formen annahmen). Darüber hinaus befaßten sich die Herren in Bologna auch mit einigen kürzeren römischen und langobardischen Rechtsquellen. Dieser gesamte Corpus iuris civiles formte die Denkweise sowohl weltlicher wie auch kirchlicher Juristen durch eine Menge von Definitionen und allgemeingültigen Rechtsregeln in Form von Maximen, z. B. „Wer eine Tatsache nicht kennt, ist entschuldigt, nicht entschuldigt ist, wer das Gesetz nicht kennt", „Keiner kann zweimal in derselben Sache belangt werden". Man begnügte sich jedoch nicht 74
mit einer gründlichen Durchsicht von Texten, sondern hielt auch fingierte Gerichtsverhandlungen ab, bei denen die Verordnungen des römischen Rechts in allen erdenklichen Varianten angewendet wurden. Für zweifelhafte Fälle stellte man Interpretationsnormen auf. Die stehenden Figuren dieser erdachten Rechtsfälle waren ein gewisser Titius und sein ständiger Widersacher Seius sowie in manchen Fällen das unglückliche Weib Seia. Einer von den Jüngern des Irnerius, ein gewisser Bulgarus, amüsierte seine Zuhörer mit folgenden, schnell skizzierten Bildern aus dem täglichen Leben: Seia, die Frau des Titius, fürchtete sich vor den Stößen und Schlägen, mit denen ihr Mann sehr freigebig war (möglicherweise weil sie sich oft mit fremden Männern unterhielt). Einmal zankten sich Titius und Seius wegen eines Abkommens, das sie verschiedenartig auslegten: Titius gab dem Seius sein gesamtes Vermögen unter der Bedingung, daß dieser ihn beköstigen solle; er dachte aber nicht an seine Nachkommenschaft, die sich erst später einstellte. Er überlegte und forderte dann zurück, was er unter gewissen Bedingungen (d. h. Beköstigung) abgetreten hatte in der Annahme, er könne die Sache rückgängig machen, falls er sie bereute. Der Empfänger widersetzte sich dieser Forderung unter dem Hinweis, daß kein Rücktrittsrecht vorliege, insbesondere, da beide Partner durch einen Vertrag gebunden seien, dessen Bestimmungen er seinerseits erfüllt habe. Aus den Äußerungen des Bulgarus geht hervor, daß die Gabe nicht zurückgefordert werden konnte, falls jedoch die Größe der Eigentumsübertragung nicht angegeben wäre, könnte der reumütige Titius, nachdem er Vater geworden war, nur im Namen seiner Kinder, aber nicht in eigenem Namen, ein Viertel von ihrem Erbe fordern. Irnerius und seine Nachfolger, die sogenannten Glossatoren, bedienten sich der „alten" Logik auf eine Art, die himmelhoch den Standard überragte, der beim Schulunterricht im Fach dialectica üblich war. Offenbar hatte man hier das Erbe des Boethius ausgewertet. Regelmäßig tauchen Definitionen von der oben exemplifizierten Art auf. Zunächst wird festgestellt, zu welcher Gattung die Art des studierten Rechtsfalls gehört, und danach gibt man den spezifischen Artunterschied an. Am Anfang seines Kommentars 75
zu den Institutiones des Justian definiert Irnerius die „Gerechtigkeit" als eine Art innerhalb der Gattung „Tugend", zu der außerdem noch drei andere Arten gehören, nämlich „Klugheit", „Tapferkeit", und „Mäßigung" (es handelte sich also um die vier Kardinaltugenden) . Der Glossator Placentius erörterte an einer Stelle die Frage, ob eine gewisse Definition in einem Gesetzestext adäquat sei: Anklage erheben bedeutet nichts anderes, als vor Gericht das jemandem zustehende Recht fordern. Definienz und Definiendum sind austauschbar. Denn jede Anklage bedeutet, daß das Recht, das jemandem zusteht, vor einem Gericht geltend gemacht wird und umgekehrt. Die Glossatoren stellten hohe Ansprüche an formale Definitionen, was aus folgender, gegen die traditionellen Begriffsbestimmungen gerichteten Anmerkung ersichtlich ist: „Der Strand streckt sich so weit, wie die größte Welle reicht". Dies ist keine Definition des Wortes „Strand", sondern eine Erklärung dafür, wie breit ein Uferstreifen ist. Eine Definition soll nämlich das Wesen des Definiendums angeben (quid sit), was hier nicht der Fall ist. Die Glossatoren befaßten sich auch mit der Kategorienlehre und veranschaulichten sie durch verschiedene fingierte Fälle, allerdings wirkt das Resultat wie ein konstruierter, unnatürlicher Systemzwang. Die Beispiele sind allzu differenziert, um lehrreich zu sein, und sie vermitteln keinen besonders guten Überblick über die juristischen Materien. Da war natürlich die Syllogismenlehre vorzuziehen (siehe unten Seite 104), die in reduzierter Form als Teil der „alten" Logik vorlag. Eine Glosse zu einer Gesetzesstelle über Wasserentnahme bestand aus einem Syllogismus der ersten Schlußfigur, allerdings in etwas veränderter Form: Als „allgemein" gelten die Dinge, die dem ersten Besitzergreifer zuerkannt werden (Obersatz). Flußwasser kann als „allgemein" angesehen werden (Schlußsatz), denn es wird dem ersten Besitzergreifer zuerkannt (Untersatz). Die „Topik", also die Sammlung der von Aristoteles und Boethius formulierten, allgemeingültigen Axiome (siehe unten Seite 100) ist wie geschaffen, um vor Gericht angewendet zu werden. Der Glossator Jacobus bemerkte dazu: 76
Wer Gesetze erläßt, kann auch Gesetze auslegen. A minore. Die letzten Worte deuten an, daß hier der Argumentationstypus locus a minore angebracht ist, bei dem man vom Kleineren ausgehend auf das Größere schließt. Das angeführte Axiom zeigt die praktische Anwendung des Grundaxioms „Wenn wirklich gilt, was nur mit geringer Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, so gilt um so mehr, was mit höherem Wahrscheinlichkeitsgrad erwartet werden kann"; folglich: wenn der Richter, der selbst dem Gesetz untersteht, das Recht hat, dieses auszulegen, so muß dieses Recht in noch höherem Grade dem Urheber des Rechts (dem Kaiser) zukommen, der über dem Gesetz steht. Auf ähnliche Weise exemplifizieren die Glossatoren die Argumentationstypen locus a deflnitione („was der Definienz gebührt, gebührt auch dem Definiendum"), locus a causa („wenn die Ursache aufhört, hört auch die Wirkung auf") und locus simili (Analogieschluß: „für ähnliche Dinge gilt ein und dasselbe Urteil"). Dank der Tätigkeit der Glossatoren lebte das Studium der systematischen Rechtslehre wieder auf, einer Lehre, die seit dem Altertum brach gelegen hatte. Man versuchte, die Menge der Gesetzestexte zu einer übersichtlichen Einheit zu ordnen, was uns manchmal wie eine naive Gelehrsamkeitsdemonstration erscheinen mag und bei aktuellem Anlaß von geringem Nutzen war. Diese ersten Versuche zeigen immerhin, welche Macht die Logik über die Gemüter ausübte und wie sie im Unterricht Raum gewann. Sicher ist auf jeden Fall, daß die distribuierende Analyse der rechtlichen Begriffe und Bedingungen indirekt dazu beitrug, die Absicht des Gesetzgebers zu erfüllen. Mit anderen Worten: Sie half, die Willkür bei der Rechtsausübung soweit wie möglich auszuschalten.
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locus a minore
locus a deflnitione locus a causa locus a simili
Das kanonische Recht und die Geburt der Quellenkritik
Die Gesetzgebung scheint sich in verschiedenen Regionen und während verschiedener Epochen genauso launenhaft zu ändern wie die Forderungen des Gesellschaftslebens in verschiedenen Kulturen. Die alten Juristen von Bologna verglichen die imponierende Kraft und Klarheit der antiken Quellen mit den zahlreichen verwirrten und widersinnigen Regeln späterer Zeiten. Das römische Recht beeindruckte durch seine allgemeine Vernunft, und wenn man auch nicht immer das Vernünftige in einzelnen Verordnungen erblicken konnte, so verbeugte man sich dennoch vor deren ehrfuchtgebietendem Alter. Etwas komplizierter war die Lage, was die kirchliche Gesetzgebung, also das kanonische Recht, betraf, Einesteils wurde es durch neu hinzukommende Beschlüsse laufend kodifiziert, andererseits beruhte seine Autorität auf einer übernatürlichen Legitimation, nämlich der Bibel und den Aussprüchen der Konzile, Kirchenväter und Päpste. Die Richtigkeit jener Aussprüche ließ sich oftmals nicht vernunftmäßig beweisen, genauso wenig wie deren Gültigkeit durch vernünftige Methoden bestritten werden konnte. Man nahm zwar an, daß diese Quellen der Kirchenlehre und des Kirchenrechts von ein und derselben göttlichen Autorität stammten, aber wenn sie einander in irgendeiner Hinsicht
Fig. 12. „Der Baum der Blutsverwandtschaft" (arbor consanguineitatis). Dieser Baum zeigt die Benennungen der verschiedenen verwandtschaftlichen Beziehungen jedes Menschen, und zwar für vier Generationen in aufsteigender Linie und vier Generationen in absteigender Linie sowie seitliche Verwandte bis zu den Nachkommen desselben Ururgroßvaters. Die Abbildung war jedoch mehr als eine bloße Sprachübung. Sie pflegte den Ausgaben des kanonischen Gesetzes beigefügt zu werden, um verwandtschaftsbedingte Ehehindernisse zu demonstrieren. Die kirchliche Gesetzgebung verbot nämlich die Heirat zwischen Verwandten bis zum sechsten Glied. Auf dem vierten Laterankonzil wurde diese Bestimmung etwas gemildert, so daß das Verbot nur bis zum vierten Glied galt. Diese Tafel zeigt mit anderen Worten sämtliche Verwandtschaftsgrade, die eine Ehe unmöglich machten. Außerdem durfte man nicht seine Patenkinder heiraten, weil vorausgesetzt wurde, daß zwischen Patenkindern und Pateneltern ein geistiges Verwandtschaftsverhältnis bestehe. — „Arbor consanguineitatis", gedruckt von Jacob Thanner in Leipzig, 1498.
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iuscanonicum
widersprachen, mußte ja die Vernunft reagieren. Man wehrte sich gegen den Gedanken, daß die überlieferten kirchlichen Ordnungen in Widerspruch zueinander stehen sollten. Dieses Dilemma war keineswegs neu. Seit alters her hatte man zu Fällen Stellung nehmen müssen, wenn zwei Bibelstellen einander auszuschließen schienen. Augustinus hatte für die systematische Bibelexegese Regeln formuliert. Nun wurden aber um das Jahr 1100 auf der Grundlage der „alten" Logik neue und gut durchdachte Methoden ausgearbeitet, um diese Widersprüche aufzulösen. Wegbereiter auf diesem Gebiet war Bernold von Konstanz (gest. 1100). Er untersuchte die kirchenrechtliche Gültigkeit der Sakramente, die von Exkommunizierten, also von aus der Kirche Ausgestoßenen, ausgeteilt werden. Die in Frage kommenden Texte schienen völlig unvereinbar zu sein. Nachdem Bernold die Quellensituation beschrieben hatte, fuhr er fort: Wir können diese verschiedenen Ansichten leicht in Einklang bringen . . . Auch dort, wo die Vorschriften voneinander abweichen, müssen wir die gültige Vorschrift zu finden versuchen, und nicht die Unterschiede leichtfertig als hoffnungslos unvereinbar verwerfen. Wir wissen immerhin, daß sie mit apostolischer Autorität verkündet und bestätigt worden sind. Deswegen müssen wir uns bemühen, den richtigen Inhalt aufzuspüren, damit diese Vorschriften nie wieder in Widerspruch miteinander geraten. Bernold stellt folgende Interpretationsregeln auf: Beachte den Gesamtzusammenhang. Vergleiche verschiedene Beschlüsse miteinander. Oftmals läßt sich der eine durch den anderen erklären. Berücksichtige, für welche Zeit, welches Milieu und welche Personen die Vorschriften vorgesehen sind, und was sie veranlaßt hat. Unterscheide zwischen vorläufig gültigen Verhaltensregeln und allgemeingültigen, zeitlosen Vorschriften. Untersuche sorgfältig, ob ein Text authentisch ist oder ob es sich um eine Überarbeitung des echten Textes handelt. Hier wurde also in ein paar kurzgefaßten Sätzen formuliert, was viel später als Quellenkritik bezeichnet werden sollte. Aus den Bemühungen um das Ansehen der Autoritäten erwuchsen die Ansätze einer kritischen und wissenschaftlichen Methodik. 80
Das Dekret des Gratian
In norditalienischen Städten scheinen Rudimente eines nichtkirchlichen Schulwesens die dunklen Jahrhunderte überlebt zu haben. Die Juristenschule von Bologna war eine Laienanstalt. Hier sollten Juristen für eine Karriere in der zivilen Verwaltung vorbereitet werden . Um 1140 begann sich jedoch dieser nichtkirchliche Charakter zu lockern, und zwar fing es damit an, daß das kanonische Recht den Rang einer Wissenschaft erhielt. Die klerikale Entsprechung zu Irnerius war der Mönch Gratian (gest. ca. 1160). Er kompilierte ein so erfolgreiches Lehrbuch, daß alle anderen Unterrichtstexte einfach in Vergessenheit gerieten, nämlich der „Ausgleich widersprüchlicher Kirchengesetze" üblicherweise als „Das Dekret" bezeichnet. Außer der Bibel dienten ihm als Quellen Konzilienbeschlüsse, Gottesdienstbücher, römische, westgotische, fränkische und deutsche Gesetzessammlungen und verschiedeneÄußerungen früherer kanonistischer (kirchenrechtlicher) Autoren. In der Praxis bediente sich Gratian der von Bernold formulierten Methode, die Abelard dann später in die Theologie einführen sollte. Er beabsichtigte nicht nur, die Rechtsquellen an einem einzigen Ort zu sammeln, sondern er wollte sie auch gegeneinander abwägen, wobei er ständig Deutungsprinzipien angab, Schwierigkeiten in Frageform formulierte und Lösungen vorschlug. Der erste Abschnitt des Dekrets (die erste Distinktion) befaßt sich mit der grundlegenden Frage über das Wesen des Rechts. (Gratian): Zwei Dinge lenken das Menschengeschlecht, das Naturrecht und die Gewohnheit. Das Naturrecht besteht aus den Vorschriften im Gesetz und Evangelium, die jedermann dazu verpflichten, andere so zu behandeln, wie er selbst behandelt werden will. Daher sagt Christus im Evangelium: „Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch; das ist das Gesetz und die Propheten". Deshalb sagt Isidorus im fünften Buch der Etymologien: „Alle Gesetze sind entweder von göttlichem oder menschlichem Recht, Gottes Gesetz ist in der Natur niedergelegt, das menschliche in den Sitten. Die letzteren sind veränderlich, da sich ja die Völker nach verschiedenen Sitten richten. Das 81
Concordia discordantium canonum Deere tum
Gesetz Gottes heißt fas (göttliche Ordnung), das Recht der Menschen heißt ius. Das Recht, den Acker eines anderen zu überqueren, stammt von fas, nicht von ius." (Gratian): Aus dieser autoritativen Äußerung (auctoritas) geht der Unterschied zwischen göttlichem und menschlichem Recht hervor. Alles, was sich gehört (fas), wird als göttliches oder natürliches Recht bezeichnet, unter menschlichem Gesetz verstehen wir dagegen aufgezeichnetes oder mündlich überliefertes Gewohnheitsrecht. — „Recht" ist eine Gattung mit vielen Arten. Deswegen sagt Isidorus im selben Buch: „Recht" ist eine Gattung, „Gesetz" ist eine Art innerhalb des Rechts.
fas — ius
auctoritas
decretales Liberextra Clemenünae Extravagan-
tes
Das Dekret Gratians behandelte nicht nur rechtliche Fragen, sondern auch ethische und dogmatische. Zu jener Zeit war die Theologie noch nicht in verschiedene Disziplinen geteilt, aber Gratians Lehrbuch bewirkte, daß das Kirchenrecht als eigenes, nur von Spezialisten (sogenannten Dekretisten) ausgeübtes Lehrfach abgesondert wurde. Dadurch löste es sich aus dem klösterlichen Zusammenhang, und später befaßten sich Personen damit, die das Kirchenrecht nicht unbedingt als einen Teil eines größeren Komplexes betrachteten. Es entwickelte sich zu einem selbständigen geistigen Produkt. Nach und nach wurde das Dekret durch neue päpstliche Stellungnahmen (Dekretalen) zu verschiedenen konkreten Rechtsfällen vervollständigt. Die neu hinzugekommenen Rechtsquellen, nämlich Liber extra, Liber sextus, Clementinae un< ^ Extravagantes faßte man unter der Bezeichnung Corpus iuris canonici zusammen. Damit hatte das Zivilrecht sein klerikales Gegenstück erhalten.
Corpus iuris canonici
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Die Logik der Offenbarung
Die Beantwortung der Frage, wie sich Autorität und Vernunft zueinander verhalten, wurde durch das Studium der Logik dringlich. Der Definition nach teilt die „Offenbarung" etwas mit, was die Vernunft nicht aus eigner Kraft herleiten kann. Sonst wäre ja keine Offenbarung nötig. Wenn nun aber die Offenbarung die Wahrheit enthielte, und wenn die Logik das Instrument wäre, mit dem man Unwahres von Wahrem scheidet, so konnte ein christlicher Philosoph nicht von der Annahme ausgehen, daß Theologie und Vernunft zwei unvereinbare Größen darstellten. Im Kloster Bec in der Normandie wollte der Abt Lanfranc, der 1089 als Erzbischof von Canterbury starb, mit seinem Kommentar zu den Briefen des Paulus zeigen, wie der Apostel, gerade wenn er den Kern des christlichen Glaubens berührt, sich genau derselben Argumentationstechnik bedient, die Aristoteles und Boethius empfohlen hatten. Mit Ausdrücken aus der „Topik" (siehe S. 100) hat Lanfranc die Fugen im fünfzehnten Kapitel des ersten Korintherbriefs markiert: So aber Christus gepredigt wird, daß er sei von den Toten auferstanden, wie sagen denn etliche unter euch, die Auferstehung (a genere) der Toten sei nichts? . . . Antwort: Ist aber die Auferstehung der Toten nichts, ist auch Christus nicht auferstanden . . . So (a simili) sind auch die, welche in Christo entschlafen sind, verloren. (Untersatz:) Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten und der Erstling geworden unter denen, die da schlafen . . . Habe ich zu Ephesus nach menschlicher Meinung mit wilden Tieren gefochten, was hilft's mir? so die Toten nicht auferstehen, (Ironie:) „lasset uns essen und trinken; denn morgen sind wir t o t ! " Bei Argumenten vom Typ locus a Axiom zur Anwendung: „nimmt man auch deren Arten fortgenommen", das die allgemeine Auferstehung der Toten implizit auch die Auferstehung Christi erstehung (eine andere Art).
genere kommt folgendes die Gattung fort, werden heißt, falls man, wie hier, verneint, so verneint man (Art) und die eigene Auf-
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locus a genere
fidesquaerens inteliectum
Lanfrancs Nachfolger auf dem Bischofsstuhl kam ebenfalls aus dem Kloster Bec. Anselm von Canterbury (gest. 1109) war zugleich hervorragender Logiker und spekulativer Theologe. Seiner Überzeugung nach konnte und sollte die Logik in der Theologie zur Anwendung kommen. Er ging von einem Wort des Propheten Jesaja aus, das in alten Übersetzungen folgendermassen lautet: „Wenn ihr nicht glaubt, werdet ihr nicht verstehen". Ähnliches hatte auch Boethius gesagt: „Vereinige nach Möglichkeit Glaube und Vernunft". Für Anselm bedeutete es eine christliche Pflicht, daß man sich einen rationalen Überblick über den Glaubensinhalt zu verschaffen suchte, um auf diese Weise Antworten auf intellektuelle Einwände gegen den Glauben zu finden. (Losung: „Ein Glaube, der zu verstehen versucht"). Um das Vernunftmässige des Glaubens zu demonstrieren, versucht er, ohne Zuhilfenahme von Autoritäten und Bibelstellen, den unwiderlegbaren Beweis für die Existenz Gottes zu erbringen: Einige meiner Brüder haben mich wiederholt gebeten, das Wesen Gottes und die Betrachtungen darüber in gewöhnlichem Gesprächston zu behandeln . . . Sie haben den Wunsch geäußert, ich solle völlig darauf verzichten, meine Darlegungen mit Hilfe von Bibelzitaten zu erhärten und statt dessen das Eigebnis jeder Untersuchung in ungekünstelten Worten, mit einfachen Argumenten und einfacher Beweisführung vorbringen, die bindenden Schlußsätze kurzgefaßt darlegen und deutlich auf die evidente Wahrheit hinweisen. Sie meinten auch, ich sollte die Antworten auf einfachere oder sogar dumme Einwände nicht zu umgehen versuchen . . . Meines Erachtens habe ich nichts gesagt, was gegen die Schriften der Kirchenväter und am allerwenigsten gegen die Lehre des Augustinus irgendwie verstoßen hätte . . . Betrachtet jemand das Wesen der Dinge, so merkt er, ob er will oder nicht, daß nicht alle auf der gleichen Wertstufe Platz finden, manche heben sich von den anderen dadurch ab, daß sie auf einer höheren Wertstufe stehen. Wer möchte schon in Abrede stellen, daß ein Pferd seinem Wesen nach höher steht als ein Stück Holz und der Mensch wiederum höher als das Pferd? Es läßt sich demnach nicht leugnen, daß gewisse Wesen besser sind als andere, und demzufolge diktiert die Vernunft, daß es ein höchstes Wesen geben muß, ein Wesen über dem kein anderes steht. Denn falls diese Skala der Wertstufen unendlich wäre, so daß es keine höchste Stufe gäbe, keine, über der es eine noch höhere geben könnte, so würde die Vernunft zugeben müssen, daß die Viel-
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falt der Wesen unendlich ist. Wie irrsinnig dieser Gedanke ist, sieht jeder ein, der nicht selbst irre ist. Es muß also zwangsläufig eine Natur geben, die höher steht als jede andere oder alle anderen und die selbst keiner anderen untergeordnet ist. Folglich gibt es ein Wesen, das höher steht als alles Existierende. Dieses Wesen kann nur existieren, wenn es aus eigener Kraft ist, was es ist . . . Es gibt also ein Wesen (oder eine Substanz oder Essenz), das aus eigener Kraft groß und gut ist und durch dessen Kraft alles ist, wie es ist, ganz gleich ob groß und gut oder wie auch immer. Ein Wesen, das den Höhepunkt des Guten, das größte und höchste, in sich selbst ruhende Seiende darstellt. Genauso wie es etwas geben muß, das in der Hierarchie der Werte den obersten Platz einnimmt, müßte nach Anselms Auffassung das denkbar höchste Wesen auch in der Wirklichkeit existieren, und dieses denkbar höchste Wesen müßte Gott sein. Die Gültigkeit dieser späterhin als Anselms ontologischen Gottesbeweis bezeichneten Hypothese sollte sowohl von Thomas von Aquin wie auch von Kant angefochten werden. Der „Beweis" weckte jedoch schon zu Anselms Lebzeiten heftigen Widerspruch: der Mönch und Kollege Gaunilo machte sich zum Sprecher der „Irrsinnigen" und wies darauf hin, daß sich die Insel der Seligen durchaus denken ließe, ohne daß sie deswegen in der Sinnenwelt existieren müsse.
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Abelard: Die Vernunft steht über dem Glauben
War der Glaube bei Anselm eine erkenntnistheoretische Voraussetzung für das Verständnis der Wirklichkeit, so lenkte Pierre Abelard in die entgegengesetzte Richtung: Für ihn stand die Vernunft an erster Stelle. Nur nach vernunftsgemäßer, kritischer Prüfung kann man einer Autorität Glauben schenken. Sonst wäre es sinnlos, einen Heiden oder Ketzer von seinem Irrtum überzeugen zu wollen: er brauchte ja nur darauf hinzuweisen, daß der Glaube über aller Vernunft stehe. Wie notwendig die kritische Prüfung ist, (der „methodische Zweifel", den Aristoteles zu Beginn der „Kategorien" vorschrieb), beweist Abelard auf überzeugende Art in seiner Sic et Non Schrift „Sic et N o n " (Ja und Nein). Hier führt er 158 Punkte an, die den christlichen Glauben und christliche Ethik berühren und über die sowohl die Autoritäten wie auch die Bibel, die Konzilien, die Kirchenväter und andere christliche Autoren offenbar völlig widersprüchlicher Meinung sind. Abelard gibt keine Lösungen für seine schwierigen Denkaufgaben, sondern überläßt es der Klugheit des Lesers, die richtige Antwort zu finden, jedoch unterstützt er ihn mit einigen Regeln die von Bernold von Konstanz inspiriert zu sein scheinen, (siehe oben S. 80). Abelard wendet die quellenkritische Methode nicht nur auf das Kirchenrecht, sondern auch auf die Kirchenlehre an. Die Technik wurde immer raffinierter: der Leser sollte untersuchen, ob es sich bei den Thesen des Textes möglicherweise um Referate über anderer Leute Ansichten handelte oder um Argumentationshypothesen oder um eigene definitive Meinungsäußerungen. Die Autoren unterscheiden sich in ihrem Sprachgebrauch: ein und dasselbe Wort wird in verschiedenen Beziehungen unterschiedlich benutzt. Textkritik ist ebenfalls geboten: Falls eine Stelle unverständlich erscheint, muß man zunächst feststellen, ob die Ursache in einem Übersetzungsfehler oder womöglich in den eigenen mangelhaften Vorkenntnissen zu suchen ist. Und wenn die Autoritäten sich letzten Endes dennoch gegenseitig ausschließen, so muß man ihre Beweise gegeneinander abwägen. Nur die Bibel ist über jede Diskussion erhaben, an nächster Stelle treten die Kirchenväter, insofern sich die Kirche ihre Worte angeeignet hat. Im übrigen sollte die Freiheit der Interpretation herrschen: 86
Ich möchte hier eine Sammlung von Äusserungen der Kirchenväter vorlegen und zwar in der Reihenfolge, wie sie mir im Gedächtnis geblieben sind, Die in den Texten offenbar enthaltenen Diskrepanzen werfen Fragen auf, die meine jungen Leser dazu herausfordern sollten, unter Aufbietung aller ihrer Kräfte die Wahrheit zu suchen und durch derartiges Forschen ihren Scharfsinn zu üben. Denn ständiges und eingehendes Fragen bezeichnet man ja als den besten Schlüssel zur Weisheit. Aristoteles, der geistreichste aller Philosophen, ermahnt die Studenten, sich mit all ihrem Wissensdurst dieser Aufgabe zu widmen. Im Abschnitt über die Relationskategorie sagt er: „Es ist bedenklich, sich mit Sicherheit über Dinge zu äußern, mit denen man sich nicht oft beschäftigt. Eine nützliehe Übung ist es, alle Einzelheiten in Frage zu stellen," Indem wir Fragen stellen, fangen wir an zu forschen, und indem wir forschen, nähern wir uns der Wahrheit, so wie er, der selbst die Wahrheit ist, es ausgedrückt hat: „Suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan". Er hat es uns durch sein moralisches Vorbild gezeigt, als man ihn, den Zwölfjährigen, im Tempel sitzend fand „mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte". Er, der selbst das Licht ist, Gottes volle und vollkommene Weisheit, wollte durch sein Fragen seinen Jüngern ein Vorbild geben, bevor er durch seine Verkündigung den Lehrern zum Vorbild wurde. Deswegen will ich, wenn ich Stellen aus der Heiligen Schrift anführe, den Leser anspornen und dazu herausfordern, die Wahrheit nur noch eifriger zu erforschen, je stärker die Autorität der Bibel betont wird.
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„dubitare de singulis mm
Der Antidialektiker Bernhard von Clairvaux
Auf alle derartigen Versuche, die offenbarte Wahrheit zu zergliedern, um sie anerkennen zu können, reagierte ein Mann wie Bernhard von Clairvaux mit heftiger Überempfindlichkeit. Allerdings waren Abelards Gedankengänge weder sensationell noch neu. Auf ähnliche Weise hatte sich Augustinus geäußert, und Anselm von Canterbury dürfte für Abelards kritisches (das heißt prüfendes, beurteilendes und abwägendes) Denken eine gewisse Sympathie empfunden haben. Es war ja doch ein Denken, das die Bejahung des Glaubens zu etwas mehr als zu blinder Unterwerfung unter die Autoritäten machen wollte. Was jedoch Bernhard in seinem innersten Wesen so erregte war die neue, untraditionelle Art der Darstellung, die in den Schulen lebhaftes Aufsehen erweckte: Da diskutiert man über Tugenden und Laster ohne moralisches Pathos, über die Sakramente der Kirche ohne Gläubigkeit, über das Mysterium der Heiligen Dreifaltigkeit ohne den Geist der Einfachheit und Nüchternheit: alles wird in verzerrter Form verabreicht und auf andere Weise vorgetragen, als wir es gelernt haben und gewohnt sind. Der Unterschied zwischen Abelard und Bernhard ist ein Unterschied zwischen zwei gegensätzlichen Mentalitäten. Wo Bernhard vor einem unerforschlichen Mysterium in Exstase geriet, sah Abelard ein intellektuelles Rätsel, für das so schnell wie möglich eine vernünftige Lösung gefunden werden mußte. Zum ersten Mal vernimmt man bei Abelard ganz deutlich eine beginnende akademische „Objektivität", die sich jeglicher Frage nähern konnte, ohne vorher feststellen zu müssen, in welchem persönlichen Verhältnis der Deutende zu der auszulegenden Quelle steht. In dieser neuen, kühlen Distanz sah Bernhard eine tödliche Gefahr für den echten Glauben, weil sie so vollständig mit den jahrhundertealten Klostertraditionen brach und die verehrten und geliebten Autoritäten nicht mehr als göttlich inspirierte Wahrheitszeugen akzeptieren wollte. Sie verhöhnen den Glauben einfacher Menschen. Sie höhlen die Geheimnisse Gottes aus, die tiefsten Dinge sind ihnen 88
nicht mehr als ein Thema für respektloses Geplänkel. Der menschliche Scharfsinn beansprucht alles, und läßt dem Glauben nichts übrig. Was der Verstand nicht erfassen kann, betrachtet man als Nichtigkeiten, an die zu glauben unter unserer Würde ist. Bernhard war aber nicht nur fanatischer Mystiker in der Welt seines Klosters, sondern er war auch der einflußreichste Mann seiner Zeit und ein rücksichtsloser Politiker, der keine Widerrede gegen seine unerschütterliche Überzeugung duldete. Er begann eine erbitterte Fehde gegen Abelard und ließ nicht von ihm ab, bis er von einem Provinzkonzilium als Irrlehrer verurteilt worden war und zwar unter Berufung auf eine Reihe von suspekten Thesen in seinen theologischen Schriften. Tatsächlich handelte es sich aber um eine persönliche Feindschaft zwischen zwei Temperamenten. Abelards Methode war nun einmal da, und sollte sich auch bald durchsetzen: Sie wurde beinahe sofort von allen theologischen Richtungen aufgegriffen.
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Die Vorlesung findet ihre Form
Der gesamte Unterricht war darauf abgestimmt, Beziehungen zu den schriftlichen Traditionen herzustellen. Im 12. Jahrhundert gestaltete und vereinheitlichte man eine pädagogische Praxis, die später in allen Wissenschaftsbereichen zur Anwendung kommen sollte. Ausgangspunkt war der Text des Lehrbuchs (littera), ganz gleich, ob es sich um die Bibel oder die Gesetze handelte, um Historiker, Dichter oder eine medizinische Abhandlung. Die Erschließung des Textes vollzog sich nach einem festgesetzten Schema von Fragen. Der Schulvorsteher Konrad von Hirsau, dessen Gespräch zwischen Lehrer und Schüler wir schon einmal angehört haben, legt diese Sache folgendermaßen aus:
littera
mater rei
intentio
causa finalis
Lehrer: Du mußt wissen, daß die Alten sieben Fragen stellten, wenn eine Schrift gedeutet werden sollte: Wer ist der Verfasser? Wie lautet der Titel des Werks? Welchen Charakter hat der Text? Was ist die Absicht des Verfassers? Welche Reihenfolge haben die Bücher und wieviele sind es? Wie ist der Text zu erklären? Heutzutage begnügen wir uns jedoch damit, vier Dinge festzustellen: nämlich Materie, Absicht und Zweckursache des Werks und zu welchem Teil der Philosophie es gehört. Schüler: Sage mir bitte, was Materie, Absicht und Zweckursache bedeuten. Lehrer: Die Materie ist der Stoff, aus dem etwas besteht. Das Wort bedeutet ungefähr „Mutter der Dinge" (mater rei). Von Materie läßt sich in zweierlei Beziehungen sprechen, teils beispielsweise von Holz oder Stein für den Hausbau, teils von der Gattung und den Arten und ähnlichem, was zusammen das sprachliche Material für das Werk ausmacht, mit dem sich der Autor befassen will. Die Absicht (intentio) bezeichnet den Plan des Verfassers sowie Beschaffenheit, Umfang und Gegenstand seines Themas. Die Zweckursache gibt an, welcher Nutzen dem Leser daraus entstehen kann.
Der Text weist sowohl Spuren der phantasievollen Etymologien des Isisdorus auf wie auch einen beginnenden Aristotelismus, der 90
den betreffenden Lehrstoff gern mit Hilfe des neuen Begriffsapparats objektivieren und fixieren will. Im darauffolgenden Jahrhundert konnte man kaum einen neuen Übungstext einführen, ohne ihn auf seine exakte Material- Formal-, Zweck- und wirkende Ursache hin bestimmt zu haben, (siehe unten S. 123). Der Text wurde logisch eingeteilt unter Angabe der Gattung (zum Beispiel praktische Philosophie) und der Art (Ethik) sowie des spezifischen Artunterschieds im Verhältnis zu den beiden anderen Arten innerhalb derselben Gattung (Ökonomie beziehungsweise Politik). Darauf folgt das Glossieren von einzelnen Worten und Wendungen, eine Arbeit, die besonders wichtig war, weil die meisten Übungstexte aus Übersetzungen bestanden, bei denen die Originalsprache deutlich durchschien. Dieses ganze Verfahren hieß lectio („Lesung", daher unser Wort „Lektion"). Der Lehrer war der aktive Teil, während der Schüler aufmerksam zuhörte und so viel wie möglich im Gedächtnis zu behalten versuchte. Anfangs durfte er keine Notizen machen, statt dessen sollte die Lektion jeden Tag auswendig repetiert werden. Aber mit der Verfeinerung des Begriffsapparats, und als dadurch die Abteilungen und Unterabteilungen immer zahlreicher wurden, waren Notizen zur absoluten Notwendigkeit geworden. Im 13. Jahrhundert entwickelte sich ein neues literarisches Genre aus den Vorlesungsaufzeichnungen, die sogenannte reportatio (das Nachhausezutragende). In Form von Notizen kamen die Vorlesungen der meistbeachteten Lehrer zur Verbreitung, zuweilen von den Urhebern selber revidiert und autorisiert. Hier und dort konnte die Begeisterung für die neue pädagogische Technik etwas übertriebene Formen annehmen. Diese unzweifelhaft wirksame Gedächtnisstütze konnte zum Selbstzweck ausarten und den Blick für das Wesentliche sowie das Gefühl für die Gesamtheit beeinträchtigen. In der Grammatik diskutieren sie den Bau der Syllogismen, in der Logik die Kasusbeugung. Am lächerlichsten ist es, wenn sie Kommentare zum Titel geben sollen und dabei den ganzen Inhalt durcharbeiten. Nach drei Lektionen sind sie kaum mit den Anfangsworten fertig. Dies ist kein Unterricht, sondern eine Zurschaustellung der eigenen Kenntnisse. Bemerkenswert ist das Abwegige dieser Verfahrensweise: je größer die Anhäufung von Einzelheiten, desto weniger kann man das Wesentliche erfassen und im Gedächtnis behalten.
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lectio
reportatio
Lombardus — der Sentenzenmeister
Sententiae
Der große Systematiker der T h e o l o g i e war Petrus Lombardus, Bischof v o n Paris, (gest. 1 1 6 4 ) . Als Ergebnis seiner eigenen Lehrtätigkeit stellte er unter d e m Titel Sententiae („Sätze") ein theologisches Lehrbuch z u s a m m e n . Im Grunde g e n o m m e n war es ein
Fig. 13. Die Schöpfung. Zuoberst Gott Vater. Aus dessen Mund ergießt sich der Heilige Geist und das Wort, das heißt Christus, denn „im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist" (Johannes-Evangelium 1.1—3, vergleiche auch Psalter 33.6). Hier erschafft Christus auf Veranlassung Gottes die Frau Eva aus der Rippe des schlafenden Adam. Die mittelalterliche Exegese sah darin einen „Typus", ein Sinnbild der Kirche, der Taufe und des Abendmahls, die aus der geöffneten Seite des Gekreuzigten geboren wurden (JohannesEvangelium 19.34). — Die erste Bibel auf deutsch, gedruckt von Heinrich Quentell in Köln, um 1479.
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sehr ambitiöses, thematisch geordnetes Florilegium mit Aufgaben und Lösungsvorschlägen zu Bibeltexten, Kirchenvätern, Konzilienbeschlüssen, Abelards Schriften und dem Dekret des Gratian, versehen mit gewissen eigenen Kommentaren. Von Lombardus hat man behauptet, er gleiche Abelard, nur daß er mehr Glück gehabt hätte und das Bischofsamt erworben hätte. Die Sentenzen stellten zwar nicht die erste, jedoch die beste Zusammenfassung der intellektuellen Aspekte der Glaubenslehre dar. Neben den Bibeltexten waren sie bis zum Ende des 16. Jahrhunderts das Grundbuch der Theologie. Für den Sentenzenmeister sind Abelards kritische Methoden zu einer Alltagserscheinung im Klassenzimmer geworden. In seinen Sentenzen entwirft Petrus Lombardus einen großartigen Zirkel: Die Schöpfung nimmt von dem in sich selbst ruhenden Gott ihren Ausgang, um dann wieder zu ihrem Ursprung zurückzustreben. Das erste Buch behandelt Gott und Gottes Wesen, das andere Buch die Schöpfung und den Sündenfall, das dritte die Menschwerdung und Erlösung Christi, und das vierte die Sakramente sowie die letzten Dinge, alles gesehen unter dem Aspekt der Lehre des Augustinus' von der Wirklichkeit (res) und den Zeichen (signum). Die Wirklichkeit ist von zweierlei Art: einmal handelt es sich um die ewige Wirklichkeit, um Gott, das angestrebte Ziel, in dessen Genuß wir kommen werden (frui), dann aber auch um die zufällige, provisorische, uns umgebende Wirklichkeit, das heißt um die erschaffenen Dinge, die wir nur als Mittel zum Zweck nutzen sollen (uti). Die Kennzeichen dieser beiden Wirklichkeiten sind die Sakramente, die in geschaffenen, materiellen Dingen (Wasser, Brot, Wein, ö l ) , aber auch durch dieselben das Leben Gottes in den Menschen gleichzeitig bezeichnen und verwirklichen. Das Verhältnis von Glauben und Wissen betrachtet Lombardus in einer Form, die schon die regelrechte scholastische Unterrichtsmethode ankündigt, indem nämlich jede auftauchende Schwierigkeit analysiert und als Frage (quaestio) formuliert wird, oder genauer gesagt, als disjunktive Frage, deren letzter Teil fehlt: „Inwiefern ist X gleich Y (oder nicht)". So wie die Frage gestellt ist, mündet sie in einen Paradox: Man kann eine Reihe von Gründen anführen, die den Anschein erwecken (videtur), als müsse die einzig mögliche Antwort im Gegensatz zur hergebrachten, auf das Wort der Autoritäten gestützten Ansicht stehen. Die Lösung bringt die distinctio (die „Unterscheidung") der verschiedenen möglichen Bedeutungen des Begriffs X : „man muß
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magister Sententiarum
res, Signum
frui
uti
quaestio
videtur
distinctio
sciendum
wissen, (sciendum) daß das Wort X verschiedene Bedeutungen haben kann . . .". Lombardus' Schrift zeigt deutliche Spuren seiner eigenen Lehrtätigkeit. In der Pariser Schulwelt jener Zeit scheint die aktuelle Frage ein gewöhnliches Übungsstück gewesen zu sein: Hier pflegt die Frage aufgeworfen zu werden: Hat der Glaube nur für die unbekannten Dinge Gültigkeit, da er sich mit dem Unsichtbaren und Ungesehenen beschäftigt? (Brief an die Hebräer 11.1). Falls dies so ist, scheint nur das Unbekannte Gegenstand des Glaubens sein zu können. Man muß jedoch wissen, daß es ein inneres und ein äußeres Sehen gibt. Der Glaube hat nichts mit dem zu tun, was mit dem äußeren Blick gesehen werden kann, sein Gegenstand ist dasjenige, was sozusagen mit dem inneren Blick aufgefaßt wird . . . Gewisse Dinge, die der natürliche Verstand begreift, sind zugleich Gegenstände des Glaubens, während man andere Dinge glaubt, ohne sie zu verstehen. Deshalb sagt der Prophet: „Wenn du nicht glaubst, wirst du nicht verstehen". Augustinus hat dies verdeutlicht: „Gewisse Dinge glauben wir nicht, falls wir sie nicht verstehen können, andere werden wir nie verstehen, wenn wir nicht an sie glauben". Ohne irgendetwas verstanden zu haben, kann jedoch keiner an Gott glauben, denn der „Glaube kommt vom Hören", von der Verkündigung. Derselbe Autor schreibt in seinem Buch über die Heilige Dreifaltigkeit: „Mit dem festen Glauben beginnt das Wissen, wenn auch unvollständig, aber zu letzter, völliger Gewißheit gelangen wir erst nach diesem Leben". Auch Ambrosius sagte: „Wo der Glaube ist, stellt sich die Gewißheit nicht sofort ein, wo Gewißheit ist, ging der Glaube vorweg". Daraus geht hervor, daß es gewisse Dinge gibt, die nicht zu verstehen oder einzusehen sind, wenn man nicht zuvor an sie geglaubt hat; während man andere Dinge verstehen kann, ohne vorher an sie geglaubt zu haben. Aber man versteht sie jetzt nicht auf dieselbe Art, wie man sie in Zukunft wissen wird, doch durch den Glauben, der das Herz reinigt, kann man sie schon jetzt besser verstehen. Denn wer Gott nicht gläubig liebt, kann nicht zu jener Reinheit des Herzens gelangen, die notwendig ist, wenn man etwas über ihn wissen will.
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Fig. 14. Mit konsequent philosophischer Terminologie formulierten die scholastischen Theologen den Glauben an die wirkliche Anwesenheit Christi in den Heilsgaben: Die gesamte Substanz des Weins und des Brots verwandelt sich (wird transsubstanziert) zu Christi Leib und Blut, obwohl die Akzidenzien die gleichen bleiben. Die Frühscholastiker waren sich in einem Punkt nicht ganz einig: Wie objektiv ist diese Verwandlung? Was hat zum Beispiel eine Maus gefressen, wenn sie ein Stückchen der geweihten Hostie auffraß? Petrus Lombardus äußerte sich in seinen Sentenzen folgendermaßen darüber (Buch 4, Distinktion 13): „So viel läßt sich offenbar feststellen, unvernünftige Tiere empfangen den Leib des Herren nicht, auch wenn es so aussieht. Was aber empfängt die Maus? Was ist es, was sie frißt? Gott allein weiß es". Und da nun diese Frage in den Sentenzen enthalten war, mußte jeder Theologielehrer dazu Stellung nehmen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Problemen der Scholastik ist die Sache mit der Maus leicht zu popularisieren, und daher hat sich später die Auffassung breitgemacht, die Kommunion der Maus (und die mögliche Anzahl der Engel, die auf einem Stecknadelkopf Platz finden) gehörten zu den wichtigsten geistlichen Fragen des Mittelalters. Wie die Respektlosigkeit gegen die Heilsgaben vermieden werden kann, ist das Thema eines Handbuchs, aus dem diese Abbildung stammt (Negligentie et defectus in missa contingentes), gedruckt von Heidericus und Marx Ayrer in den 1490er Jahren. Während der fromme Priester ganz in sein Meßbuch versunken ist, nimmt die Maus die Gelegenheit wahr und knabbert an der Hostie, gleichzeitig fällt eine Fliege in den Kelch.
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Dem Kompendium des Lombardus fehlt es an eigentlicher Originalität und spekulativer Tiefe. Der Autor ist sich seiner Grenzen durchaus bewußt. Im Vorwort vergleicht er sich mit der armen Witwe des evangelischen Gleichnisses, die ihr letztes Scherflein in die Schatzkiste des Tempels legt. Aber so wie die von Irnerius und Gratian zusammengefaßten weltlichen und kirchlichen Gesetze den Ursprung der Rechtswissenschaft bildeten, so legte Lombardus den Grund für die Schul- und Universitätstheologie der scholastischen Epoche. Kein geringerer als Dante würdigte diese seine Stellung, indem er den Lombarden neben Gratian und Thomas von Aquin im „Paradies" auftreten ließ. Als Kommentator der „Sentenzen" trat übrigens um 1250 der letztgenannte seine glänzende Karriere an: Lächelnde Lichtgestalt hoch oben im Dom Du, Gratianus, gabst dem Reich Gottes die rechtliche Ordnung nach Art von Rom. Dem Lombarden daneben ist keiner gleich: Vom Schatz der Kirchenväter ein Scherflein machte die Kirche reicher als das größte Reich.
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Die „neue" Logik
Mit Abelard, Gratian und Lombardus haben wir die Schwellen zu einer neuen Epoche überschritten und befinden uns nun im Zeitalter der Scholastik. Aber den eigentlichen Impuls und die Voraussetzung für die Entstehung der Scholastik haben wir bisher noch nicht berührt, nämlich jene neuen Übersetzungen, die zur Entdeckung des gesamten Aristoteles und zur Entfaltung der Universitäten führten. Schon Abelard besaß Kenntnisse von denjenigen Teilen der aristotelischen Logik, die später den Namen „die neue Logik" (logica nova) bekamen. Ein zeitgenössischer Chronist gibt an, daß der Kleriker Jacob von Venedig im Jahr 1128 diejenigen Teile des aristotelischen Werks, die damals noch nicht in lateinischer Übersetzung vorlagen, direkt aus dem Griechischen übertragen haben soll. Diese Übersetzung wurde jedoch als derartig unverständlich angesehen, daß die Lehrer an den Pariser Schulen keine Vorlesung darüber zu halten wagten, obwohl (oder vielleicht gerade weil) sich der Übersetzer wortwörtlich an das Original gehalten hatte. Hinzu kommt, daß die aristotelischen Texte an sich nur eilig und in knappem Stil niedergeschriebene Konzepte für Vorlesungen gewesen zu sein scheinen. Vieles war überhaupt nur implizit enthalten. Kein Wunder also, wenn sich das übersetzte Endprodukt beim ersten Anblick wie reiner Unsinn ausnimmt. Als sich Jacob von Venedig mit dem griechischen Original befaßte, bediente er sich einer Übersetzungstechnik, die schon Boethius empfohlen hatte: Kopiere den Ausgangstext soweit wie möglich und gib jedem griechischen Ausdruck eine ganz bestimmte Entsprechung im Lateinischen! Wie man sich unschwer vorstellen kann, war das Resultat nicht nur absonderlich, sondern außerdem als Literatur völlig ungenießbar. Nicht zumindest, weil schon der Stil des Originals sparsam und spröde war. Die wortgetreue Übersetzung bot jedoch einen Vorteil: Wenn sich der Leser erst an die eigentümliche Ungeschliffenheit gewöhnt hat, vermittelt diese sklavische Imitation mit absoluter Eindeutigkeit genau das, was der Verfasser wirklich gemeint hat. Um 1159 schrieb der hochgebildete Humanist Johann von Salisbury über die damals übliche Übersetzung der „Analytica Posteriora" (ausgeführt von Jacob ?, vgl. unten S. 108); und aus seinen Worten 97
logicanova
ist ersichtlich, daß es in seinen Kreisen nicht den Anschein hatte, als ob der „ganze" Aristoteles jemals zu einem selbstverständlichen Bezugssystem werden könnte: Die zweite Analytik enthält eine scharfsinnige Lehre, die nur wenige begreifen. Dafür gibt es offensichtlich mehrere Gründe: Sie behandelt die Kunst der Beweisführung, die schwerste aller Darstellungsarten. Diese ist beinahe in völlige Vergessenheit geraten, weil sich so wenige damit befaßt haben. . . . Sie ist das absolut unübersichtlichste (von Aristoteles' Büchern), denn es sind hier Termini und Buchstabensymbole und auffallende Beispiele aus verschiedenen Disziplinen auf sehr sonderbare Weise angewendet worden. Schließlich, und das ist nicht die Schuld des Autors, ist sie durch falsch Abgeschriebenes derart verunstaltet, daß jeder neue Abschnitt eine neue Unklarheit offenbart, möglicherweise sind die Unklarheiten sogar zahlreicher als die Abschnitte. Viele lasten die schwere Verständlichkeit dem Übersetzer an und behaupten, die uns zur Verfügung stehende Übersetzung sei minderwertig. In Spanien lagen die Dinge anders. Dort gedieh seit langem eine einheimische arabische Gelehrsamkeit, die auch die griechische Philosophie und Naturwissenschaften umfaßte. Sie war über das Syrische zu den Arabern gekommen, und unter diesen Umständen ist es nicht erstaunlich, daß beispielsweise der ursprüngliche Artistoteles allerhand Retuschen erdulden mußte und dies nicht nur aufgrund der immanenten Probleme der Übersetzerarbeit, sondern auch durch die im Laufe der Jahrhunderte entstandenen Überlagerungen der üblichen Deutungsmöglichkeiten. In den Dezennien um das Jahr 1200 ergoß sich eine wahre Sturmflut von neuen Impulsen und Kenntnissen über Europa, und vieles davon kam aus der Übersetzerakademie von Toledo. Man präsentierte den Aristoteles in interpretierter, und hier und dort umgedeuteter und nicht selten mißdeuteter Form. Zu dieser Zeit lagen also nicht nur seine eigenen Werke vor, (die wie gesagt den Kreislauf vom Griechischen übers Syrische und Arabische zum Lateinischen vollendet hatten), sondern auch eine Menge griechischer, arabischer und jüdischer Kommentare. Zu der Legierung, die wir Aristotelismus nennen, gehört sowohl der Neuplatonismus wie auch arabisches Gut. Hier handelte es sich nicht nur um eine neue philosophische Methode. Hier bot sich eine zusammenhängende und sehr attraktive Weltanschauung an, die in einer Zeit des allgemeinen geistigen Erwachens (der sogenannten Renaissance des 12. Jh.) eine ganze Reihe von Lücken füllte, welche 98
die christliche Weltdeutung bisher offen gelassen hatte. Die jungen Lehrer und Studenten eigneten sich diesen Aristoteles mit einer Begeisterung an, wie man sie sonst nur angesichts einer plötzlichen tiefen Offenbarung erlebt. Kaum erstaunlich, daß auf diese intensive Erleuchtung eine Sturzwelle folgte, die viele selbstverständliche Grundfesten fortriß und in vielen jungen Köpfen einen unüberwindlichen Zwiespalt zwischen dem Glauben der Väter und der neuen Wissenschaftlichkeit hinterließ. Wir wollen aber der Reihe nach vorgehen.
99
Die „dialektische" Wissenschaft: Die Kunst des Uberzeugens
Organon
Topica Sophistici Elenchi loci
thesis problema
inductio definido
Nach dem Tode des Aristoteles (322 v. Chr.) wurden seine „hinterlassenen Aufzeichnungen" über die Logik unter dem Titel „Organon" (Werkzeug) zusammgengefaßt. Von den „Kategorien" und „Peri hermeneias" ist hier schon die Rede gewesen. Das nächste Stockwerk in der Aristoteles-Rezeption besteht aus der „Topik" und deren Nachtrag, den „Sophistici Elenchi" (Sophistische Argumente). Die Topik ist die Lehre von den „örtern" oder Gemeinplätzen, ein Handbuch, mit dessen Hilfe man die richtigen Argumente für die Thesen finden kann, die man in einer Debatte aufstellen und beweisen will. Diese Methode ist dialektisch, mit anderen Worten, ihren Ausgangspunkt bilden plausible, allgemein anerkannte Gesichtspunkte (während wir es in der Analytik mit wahren, unbeweisbaren Axiomen zu tun hatten). Die Kunst der dialektischen Disputation besteht darin, daß man seinen Gegner zur Anerkennung gewisser Sätze zwingt und schließlich zu Fall bringt, indem man eben geraae von diesen Sätzen ausgehend argumentiert. Die Topik führte Begriffe ein, die im Laufe der Zeit als internationale Worte in die Alltagssprache der Gebildeten aufgenommen wurden, zum Beispiel die These (ein Satz, den man beweisen will), das Problem (eine Frage vom Typ „ist X = Y oder nicht?") und die Induktion (man schließt vom Besonderen auf das Allgemeine, also von der Art auf die Gattung). Am wichtigsten ist jedoch der Begriff „Definition". Die Lehre von der Definition als einer Aussage über die nächsthöhere Gattung und den artbildenden Unterschied konnte man schon bei Boethius im Textkorpus der „alten Logik" finden (siehe oben S. 70). Ein anderer, auf dem gleichen Weg tradierter Teil der Topik trägt den Namen loci und enthält eine Anzahl von Argumenttypen in Form von verallgemeinernden Sätzen. Vermutlich hoffte man, alle überhaupt möglichen Arten von Argumenten und Regeln für eine überzeugende Beweisführung in dieser Form zusammenfassen zu können: Was in einer Art vorkommt, kommt auch in deren Gattung vor. Mehrere Dinge können den Gegensatz zu ein und derselben Sache darstellen. 100
Dasjenige, was etwas Gutes hervorbringt, ist selbst etwas Gutes. Man sollte das Ziel vorziehen und nicht die Mittel, die zu diesem Ziel führen. Dasjenige, was über einen Teil ausgesagt wird, kann nie für das Ganze gelten. Eine Definition sollte vom Naheliegenden und Wohlbekannten ausgehen. Jede gute Definition gibt die Gattung an sowie den artbildenen Unterschied, der näher liegt als die Art an sich. Man sollte nicht umständlich beschreiben, was sich kurz sagen läßt. Boethius ging noch weiter und formalisierte diese Regeln zu einer Serie von höchsten Sätzen (maximae propositiones, vgl. „Maxime"), zum Beispiel folgenden: Was über den Definierenden ausgesagt wird, gilt auch für das zu Definierende. Was eine gute Ursache hat, ist selbst gut. Wenn nicht das geschieht, was in hohem Grade zu erwarten war, so geschieht auch nicht, was in geringerem Grade zu erwarten ist. Wenn dasjenige geschieht, was man nur in geringem Grad erwarten konnte, geschieht auch, was in höherem Grade zu erwarten war. Man sollte dem Sachverständigen glauben, was sein eigenes Gebiet betrifft.
maximae propositiones locus a de fini tione locus a causa locus a majore
locus a minore
locus ab auctoritate
Wie wir schon bei Lanfranc gesehen haben, ist es durchaus nicht ungewöhnlich, daß mittelalterliche Autoren ausdrücklich angeben, auf welchen locus sie sich berufen, um ihre Beweisführung zu unterbauen. Eine andere von Aristoteles in der „Topik" aufgestellte Regel ist für die Distinktion von Bedeutung: die Vieldeutigkeit eines Begriffs gibt sich dadurch zu erkennen, daß er mehr als einen Gegensatz haben kann. Das Adjektiv „scharf" ist mehrdeutig, denn es hat zumindest zwei verschiedene Gegensätze („mild" beziehungsweise „stumpf"). Demnach kann „scharf" in parallelen Gattungen innerhalb der Qualitätskategorie artbildende Unterschiede anzeigen.
101
Die Sophistik: Die Kunst des Betrügens
sophistica
aequivocatio
sensuscompositus sensus divisus
Diejenige aristotelische Schrift, welche die Logiker des 12. Jahrhunderts am meisten beeindruckte, war indessen eine Sammlung von sophistischen Argumenten mit dem Titel „Elenchi". Es war eine Schrift, aus der man lernen konnte, wie man seinen Gegner durch scheinbar richtige, aber bei näherer Betrachtung absurde Behauptungen verwirrt. Nun lag es natürlich nicht in Aristoteles' Absicht, anderen diese Kunstgriffe beizubringen und eine Kunst nur um der Kunst willen zu beschreiben, sondern er wollte darauf aufmerksam machen, daß man sich selbst und andere in gutem Glauben oder mit Hinterlist betrügen kann. „Elenchi" ist ein systematisches Verzeichnis von sprachlichen und gedanklichen Fallgruben. Die philosophische Disziplin, die sich mit diesen Dingen befaßte, wurde im Mittelalter als Sophistik bezeichnet. Aristoteles teilt diese Schwindeleien in zwei große Gruppen ein: teils in solche, die auf der Unzulänglichkeit der Sprache beruhen, teils in solche, die aus Nichtbeachtung der Denkgesetze entstehen, Die Zweideutigkeit der Worte (aequivocátio, vgl. ,.äquivok" = doppelsinnig, zwei-, mehrdeutig) gehört natürlich zur ersten Gruppe. Dies läßt sich durch folgenden einfachen, wenn auch nicht besonders eleganten Syllogismus illustrieren: „Das Leben ist ein Kampf, der Kampf ist ein Strauß, der Strauß ist ein Blumengebinde, also . . .". Hier läßt sich verhältnismäßig leicht die Zweideutigkeit des Ausdrucks „Strauß" aufzeigen, und zwar mit Hilfe der Distinktion, die im vorhergehenden Kapitel beschrieben wurde. Eine weitere sprachliche Doppeldeutigkeit hegt darin, daß ein Subjekt sich das eine Mal auf dieselbe Zeit beziehen kann wie das Prädikat, (sensus compósitus), zum Beispiel in dem Satz ,,Der Kranke hat Fieber", e i n a n deres Mal dagegen auf eine andere Zeit hinweist als das Prädikat, zum Beispiel im Satz „Der Kranke ist wieder gesund", (sensus divisus). Riskanter und oftmals schwieriger zu entdecken sind jedoch die eigentlichen logischen Regelverstöße. Aristoteles führt unter anderem folgende Denkfehler an:
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Als allgemeingültig erklären, was nur unter gewissen Umständen gilt. Mit dem Gegner kurzen Prozeß machen, indem man seine Ansichten karikiert und die Karikatur angreift. „Wer zu viel beweist, beweist gar nichts": Die gesamte Beweisführung ist wertlos, wenn der Schlußsatz nicht nur dasjenige enthält, was bewiesen werden sollte, sondern darüber hinaus auch noch Fehlerhaftes. Der Zirkelschluß (circulus vitiosus und petitio principii): Der zu beweisende Satz ist schon in den Prämissen enthalten. .
.
.
.
.
circulus vitiosu
*
petitio pnnc ipii
Der Übergang zu einer anderen Gattung, zum Beispiel: Was in der Vorstellungswelt existiert, muß auch in der dinglichen Wirklichkeit existieren (vgl. Anselms ontologischen Gottes- posthoc, erbeweis). „Danach, also daher": Wenn B auf A folgt, muß A *° c propter die Ursache von B sein". Fallada consequentis, das heißt der Trugschluß, der eine fallaría conmögliche Ursache zur notwendigen Ursache erklärt: „Ein *-,_—"
121
Die aristotelische Metaphysik (Metapbysica)
ena qua ens
ens
unum
verum bonum
Unter dem Titel „Metaphysik" wurden nach Aristoteles' Tod einige seiner Schriften zusammengestellt, die verschiedene Phasen in der Entwicklung des Philosophen widerspiegeln. Der Titel bedeutet eigentlich nur, daß es sich um Schriften handelt, die der „Physik" folgen. Nicht selten stehen die Abschnitte im Widerspruch zueinander. Das in der „Metaphysik" enthaltene Gedankengut gab im Mittelalter Anlaß zur Entstehung einer besonderen philosophischen Disziplin (Metaphysik). Man nannte sie die höchste Wissenschaft, die Zusammenfassung und Krönung aller anderen Wissenschaften. Die Interpretation der aristotelischen Auffassungen in diesem abstraktesten Teil seiner Philosophie ist in mehr als einem Punkt heftig umstritten. Der natürliche Ausgangspunkt ist hier nicht „der historische Aristoteles", sondern die im Aristotelismus vorherrschende Deutung seiner Absichten, Gegenstand der Metaphysik ist „das Seiende in seiner Eigenschaft als Seiendes". Aristoteles empfand das Verb „sein" als vieldeutig: Es wird in genauso vielen Bedeutungen angewendet, wie es Kategorien gibt (Siehe oben S. 67). Den kleinsten gemeinsamen Nenner für alles, von dem wir sagen können, daß es in irgendeinem Sinne »ist", nennt er das Seiende (ens). Dieses Seiende (das Partizip soll hier in seiner substantivischen Form aufgefaßt werden; es umschließt sowohl das Existierende, wie auch dasjenige, was existieren kann) ist also ein Sammelbegriff für alles gedanklich Vorstellbare. Es ist das primäre Objekt der Vorstellung. Es hat gleichzeitig den denkbar größten Umfang, da es von allem gesagt werden kann, und den denkbar geringsten Inhalt, da es das Unbestimmteste ist. Uber jedes einzelne Seiende, das heißt über dasjenige, was nicht nichts ist, lassen sich mindestens drei Aussagen machen: Es ist eins, in sich ungeteilt und von allem anderen gesondert (doch kann es natürlich zusammengesetzt sein, aber wenn man eins seiner Teile entfernt, zerstört oder verändert man das betreffende Seiende), Es ist wahr, das heißt, in eben dem Grade, in welchem es ein Seiendes ist, kann es vom Gedanken auch als solches aufgefaßt werden. Es ist gut, also erstrebenswert — es entspricht dem Bedürfnis (einer innewohnenden Tendenz) eines anderen Seienden. Spä122
ter bezeichneten die Scholastiker diese drei Eigenschaften als trans- transcendenzendentale Attribute, weil sie, genauso wie das Seiende selbst, die *** |.transJ. Kategoriengrenzen überschreiten. Sie sind untereinander austauschbar: Was eins ist, ist wahr und gut, was wahr ist, ist eins und gut und „ens et unum so weiter. Namentlich die Philosophen des Franziskanerordens (veium.bonv r pflegten noch hinzuzufügen, daß das Seiende schön ist, daß es sich sozusagen mit angenehmer Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit pulchram im Gemüt einfindet. Dieses in grundlegender Bedeutung Seiende ist eine Substanz, ein Träger von anderen Kategorien (Akzidenzien). Die Substanz kann man analysieren: Sie befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen zwei Situationen, zwischen Potenz und Akt. Wenn sich die Potenz p o t e n t i a zum Akt entwickelt, bleibt die Substanz die gleiche, während sich actus die Akzidenzien verändern. Dies ist Aristoteles' Antwort auf das philosophische Paradox, daß etwas eine Veränderung durchmachen und dennoch gleich bleiben kann. Ein mit sich selbst identisches Seiendes (eine Substanz, z. B. eine Person) verwandelt sich von der Potenz (Kindheit) bis zum Akt (reifes Alter), ohne daß seine Identität verloren geht oder sich verändert. Die Person bleibt die gleiche, aber die Akzidenzien (z. B. die Kategorien Quantität, Qualität, Zeit, Ort, Relation) ändern sich unaufhaltsam. Das erste und fundamentalste aller Prinzipien für das Denken und den Meinungsaustausch lautet folgendermaßen: „Es ist unmöglich, daß etwas zu gleicher Zeit und in gleicher Bedeutung A und Nicht-A p r i n c i p i u m ist". Man nennt dieses Prinzip den Satz vom Widerspruch (princi- contradictionis pium contradictionis). Als nächstes untersucht die Metaphysik vier Prinzipien, die unter dem ziemlich irreführenden Namen „die vier Ursachen" laufen (quattuor causae). Als da sind: die Materialursache (causa ma- quattuor terialis), die Formalursache (causa formalis), die wirkende Ur- causae: sache (causa efficiens) und die Zweckursache (causa finalis). materiaiis An Stelle von „Ursachen" sollte man eher von „grundlegenden Voraussetzungen" sprechen, und zwar aus folgenden Gründen: gn^s Aristoteles faßt alles Existierende als eine Zusammensetzung von Materie und Form auf. Alles besteht aus einer an sich unbestimmten Materie, die eine Form bekommen hat, genauso wie das unbestimmte Siegelwachs die Form des Petschafts annimmt. Was sich verändert, verändert sich als Folge eines wirkenden Prinzips (Ursache materia im eigentlichen Sinne des Wortes) und zwecks Erreichung eines 11112 Ziels, nämlich des Erstrebenswerten. Eine derartige Zielstrebigkeit (Finalität) zeigt sich sowohl in der Natur („die Natur tut nichts „naturanihil vergebens") wie auch in den bewußten Handlungen des Menschen, facit frustra" 123
sapientia
„Alle Menschen sehnen sich von Natur aus nach Erkenntnis", so lauten die oft zitierten Worte aus der Einleitung der „Metaphysik". Ein Beweis für diese Behauptung ist der hohe Wert, den wir unseren Geistesfunktionen beimessen, nicht etwa, weil sie uns nützlich sind, sondern auch um ihrer selbst willen. Wir können die Wahrnehmungen mit Hilfe des Gedächtnisses festhalten, und durch diese Fähigkeit entwickelt sich in uns die Erfahrung. Die Erfahrung wiederum ist die Grundlage alles Wissens. Und das Merkmal des Wissens ist die Fähigkeit, andere zu unterrichten. Die höchste Form des Wissens führt zur Erkenntnis der oben beschriebenen „Ursachen" oder Prinzipien. Dieses Wissen nannte Aristoteles Weisheit (sapientia). Den Weisen, also den Philosophen, treibt sein Wissensdurst dazu, hinter der Vielfalt der Einzeldinge diese letzten Ursachen zu erforschen. Um zu den höchsten Zusammenhängen durchzudringen, läßt er alle Nützlichkeitserwägungen beiseite, er sucht das Wissen um seinetwillen. Dem Ausübenden schenkt diese spekulative Beschäftigung die denkbar reinste und ungetrübteste intellektuelle Befriedigung. Hier erreicht das menschliche Leben seine höchste Form. In der „Metaphysik" fand die scholastische Philosophie eine unerschöpftliche Quelle für Spekulationen. Wie waren Materie und Form im Seienden zusammengesetzt? Wie war es von der ersten Ursache erschaffen worden? Und wie strebte es seinem Ziel entgegen, dem absolut Seienden, dem reinen Akt, der sich mit dem Gott der christlichen Offenbarung identifizieren ließ?
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Fig. 19. Hier bringt die Astronomie ihre Kunst dem griechischen Astronomen Ptolemaios bei, der auf dieser Abbildung irrtümlicherweise mit seinem Namensbruder, dem ägyptischen König, gleichgesetzt wurde. Ptolemaios' Schrift „Almagest" war die wichtigste astronomische Arbeit der Antike. Wie schon aus dem Titel ersichtlich, ist sie von den Arabern vermittelt worden. Sie bildete die Grundlage für Johannes de Sacroboscos „Sphaera". Gregorius Reisch, „Margarita philosophica" (Erstausgabe 1496) gedruckt von Sebastian Henricpetri in Basel, 1583.
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Die arabische Philosophie: Aristoteles begegnet Allah
intelligentiae
Diese gewichtige Literatur mit ihren neuen Denkformen und neuen Denkinhalten war teilweise in Übersetzungen aus dem Arabischen nach Europa gelangt, zum Beispiel die „Analytica Posteriora" sowie die „Physica" und die „Metaphysica". Die europäische Schule und der christliche Glaube sahen sich dadurch mit einer bis ins Einzelne durchdachten und vorher völlig unbekannten Philosophie konfrontiert, die zum Teil mit den herkömmlichen Denkweisen kollidierte, ja, in einigen Punkten sogar den kirchlichen Dogmen förmlich widersprach. Die aristotelische Naturphilosophie postulierte eine unpersönliche, erste bewegende Kraft. Sie schloß aus, daß die Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt durch einen Schöpfungsakt aus dem Nichts entstanden sein sollte. Sie verneinte die persönliche Unsterblichkeit. Sie besaß keine außerweltliche Perspektive, sondern betrachtete die Spekulation über die letzten Axiome und ursächlichen Zusammenhänge als die höchste Form menschlichen Daseins. Schon den arabischen Philosophen, die sich zum Islam bekannten, hatten diese Punkte des Systems ziemlich zu schaffen gemacht. Der Koran sprach doch von einem persönlichen, schöpfenden Gott, von der ewigen Verantwortung des Einzelmenschen und den daraus resultierenden letzten Konsequenzen, die sich als Strafe oder Belohnung im Jenseits äußern sollten. Wollte man rechtgläubiger Mohammedaner und zugleich Aristoteliker sein, so mußte diese Disharmonie auf irgendeine Weise beseitigt werden. Der Philosoph Al-Farabi in Bagdad (gest. um 950) sah in dem aktiven, von Aristoteles in „De anima" beschriebenen Intellekt diejenige prophetische Kraft, die im Koran durch Mohammed zur Sprache kam. Er identifizierte den ersten Beweger mit Allah und mit dem neuplatonischen „Ein und Alles", aus dem die gesamte Schöpfung in einer Kette von „Intelligenzen" und Himmelssphären emaniert. Die niedrigste Intelligenz ist der aktive Intellekt, das Verbindungsglied zwischen Gott und der menschlichen Vernunft. Nach Al-Farabis Ansicht konnte nur unsterblich werden, wer durch die Erleuchtung des aktiven Intellekts zu philosophischer Einsicht gekommen ist. Ibn-Sina (im Abendland Avicenna genannt, er war Perser und starb 1037) setzte die Arbeit an dem theologischen Überbau der 126
aristotelischen Weltauffassung fort. Gott, der unbewegte Beweger, ist das einzig notwendige Wesen, während alles andere, das heißt alles Erschaffene, „kontingent" ist, mit anderen Worten zufällig, nicht notwendig. Avicenna führte den Unterschied zwischen Essenz und Existenz in die Metaphysik ein: Die Essenz (das heißt die Antwort auf die Frage nach der Wesenheit, „Was bedeutet es, ein X zu sein?") setzt nicht unbedingt eine Existenz voraus. Wir können von Drachen, Riesenechsen und dem Land Utopia reden und die Essenz dieser Erscheinungen genau definieren, ohne daß sie in der Realität existieren. Da es sich in diesen Fällen um kontingente Dinge handelt, benötigt deren Essenz keine Existenz. Gott ist das einzige Wesen, in dessen Essenz sich die Existenz einbegriffen befindet. Zum Unterschied von allem anderen existiert er aus zwingender Notwendigkeit. Gott ist auch das absolut Gute. Aus Gott entspringt eine Reihe von selbständigen Intelligenzen, und die zehnte davon ist der aktive Intellekt. Hier ist die Kraft, die der Materie ihre Form verleiht, die verursacht, daß die an sich rein potentielle Materie zu einem bestimmten Akt wird. Der einflußreichste arabische Denker war Ibn-Ruschd (auf lateinisch Averroes, tätig in Spanien und Marokko, gest. 1198). Er kommentierte fast das gesamte Werk des Aristoteles, und so wie Aristoteles schlechthin der „Philosoph" genannt wurde, hieß Averroes kurz und gut der „Kommentator". Dieser Gelehrte legte den Grundstein zu dem sich später entwickelnden regelrechten Aristoteles-Kult. Er betrachtete den Philosophen als das absolute Genie, als den Abglanz der göttlichen Vernunft. Als Ausleger wollte Averroes nur der Prophet des einzigen Philosophen sein und den Weg zum rechten Verständnis seiner Lehre ebnen. Auf theologischem Gebiet war Averroes der Urheber jener Haltung, die in ihrer reinsten Form die „doppelte Wahrheit" einbezieht: Es kann etwas zwar für den Philosophen wahr, aber für den Theologen falsch sein. Averroes bekannte sich zwar zum Islam, er bejahte einen Gott, der das Universum erschafft und erhält, jedoch hatte die Schöpfung für ihn keinen zeitlichen Beginn. Die Welt besteht von jeher. Der aktive Intellekt ist eine vom Einzelmenschen völlig gesonderte Größe, j a sogar der vom aktiven Intellekt aktualisierte passive Intellekt ist menschlicher Gemeinbesitz. Deswegen ist die individuelle Unsterblichkeit philosophisch unmöglich, aber auf einfachere Seelen können die Ideen von der ewigen Belohnung und der ewigen Strafe eine vorteilhaft hemmende Wirkung ausüben. Das vollständige Kommentarwerk des Averroes lag um das Jahr 1230 in Paris vor. Unter den Aristoteles-Enthusiasten der ArtesFakultät sollte er alsbald treue Nachfolger finden. 127
essentia - esse
Philosophus Commentator
f^mtanìtus fedarattöe öifftriltü termino ¿ cu, tam €l)EoIogicalium § Ipíop^ie ac iogice»
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DIE UNIVERSITÄTEN: FORM UND INHALT Die Geburt der Pariser Universität — eine soziale Erfindung
Abelards gesamtes Leben war eine Kette von Intrigen. Er hatte kürzere Zeit an der Pariser Kathedralschule unterrichtet, konnte aber wegen seiner persönlichen Feindschaft mit dem Scholasticus Wilhelm von Champeaux nicht dort bleiben. Nun begann er auf dem linken Seine-Ufer, im Schatten der Kirche St. Genevieve, eigene Vorlesungen zu halten.
Fig. 20. Die scholastische Philosophie nahm die Ressourcen der lateinischen Sprache restlos in Anspruch und schuf auf diese Weise eine Fachsprache von einzigartiger Klarheit und Elastizität. Der Impuls zu dieser schöpferischen Tätigkeit wurde durch die enorme Übersetzungsliteratur gegeben. Sowohl das Griechische wie auch das Arabische besaßen für gedankliche Nuancen größere Ausdrucksmöglichkeit als die lateinische Sprache zu bieten hatte, aber im Mittelalter wurde dieser Vorsprung eingeholt, vor allem durch Johannes Duns Scotus und seine Schule. Was die Neubildung von Worten und Wendungen betrifft, wirkt die scholastische Erfindungskraft noch heute in den modernen Sprachen fort, beispielsweise in den Substantiven, die auf -ist enden und bei den Verben mit der Endung -ieren. Diese ursprünglich griechischen Suffixe fügten die Scholastiker völlig ungeniert an rein lateinische Wortstämme, und die neuen Hybridformen erwiesen sich als derartig zweckentsprechend, daß sie in die modernen Sprachen einwanderten. Aus dem Lateinischen wurden sie allerdings von der Renaissance als typische Zeichen „der gotischen Barbarei" ausgemerzt. Hier das Titelbild zu Armandus Bellovisus' „Erklärung schwieriger Termini in der Theologie, Philosophie und Logik" (De declaratione difficilium terminorum tarn theologicalium, quam philosophie ac logice), gedruckt in der Offizin „Hinter den Franziskanern" (Retro minores) in Köln, gegen Ende des 15. Jahrhunderts.
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Zu dieser Kirche gehörte eine Priesterkongregation, die außerhalb der Jurisdiktion des Domkapitels und somit nicht unter Wilhelms Gerichtsbarkeit stand. Hier konnte sich Abelard jahrzehntelang seiner geliebten Logik widmen und seine theologische Methodenlehre ausarbeiten. Abelards Persönlichkeit wirkte wie ein Magnet: aus ganz Europa zog er Studenten an. Angeblich sollen zwanzig seiner Schüler später den Kardinalshut getragen haben und fünfzig wurden Bischöfe. Wie wir zum Beispiel an den Sentenzen des Lombardus feststellen konnten, fand Abelards Pädagogik Nachahmung und wurde im Laufe der Zeit sogar zur amtlich angeordneten Unterrichtsform erklärt, jedoch nicht an seiner eigenen Schule. Diese Schule überlebte ihn nur um ein weniges, denn die persönliche Ausstrahlung eines Lehrers bildet keine ausreichende Grundlage für das Entstehen einer neuen Ausbildungsstätte. Darüber hinaus müssen die wirtschaftlichen Voraussetzungen und die organisatorische Stabilität vorhanden sein. Die Universität war eine soziale Erfindung. Ebenso wie andere soziale Einrichtungen, zum Beispiel das Zunftwesen oder die Gewerkschaften, entstand die Universität, um die kollektiven Interessen einer Gruppe gegenüber anderen Kräften der Gesellschaft wahrnehmen zu können. Nun fiel diese neue Institution nicht etwa plötzlich vom Himmel, mit festen Formen, einem Stab von Funktionären, hohem Ansehen und altbewährter Terminologie. Nein, der Erdboden war seit langem vorbereitet, und die Entwicklung der Universität vollzog sich Schritt für Schritt. Die neue Ausbildungsform war existent, ehe sie einen Namen bekommen hatte. Ihre institutionalen Konturen zeichneten sich mit der Zeit gegen einen Hintergrund von korporativen Konflikten ab. Für die eigentliche Geburtsstunde läßt sich kein bestimmter Zeitpunkt angeben. Die Universität von Paris entstand als eine Synthese von Charisma und Institution (Abelard und Wilhelm von Champeaux). Zu Lebzeiten standen sich diese beiden Gelehrten in antagonistischem Widerspruch gegenüber. Aber weis der einen Generation als Ketzerei gilt, ist oft Orthodoxie in der nächsten. In den Jahren nach Abelards Tod, also in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, wurde Paris zu einer Stadt der Lehrer. Die weitere Entwicklung bis zur voll ausgebauten und auch so benannten Universität — oder in der Ausdrucksweise der Scholastiker: das Werden der Universität von der Potenz zum Akt — läßt sich nicht in allen Einzelheiten beschreiben, weil die betreffenden Quellen nur spärlich fließen. Man kann allerdings den Prozeß folgendermaßen beschreiben: In der Lehrerschaft wuchs der Zunftgeist heran, man organi130
sierte sich in einer Zunft, der allmählich allgemeine Anerkennung zuteil wurde. Wie gesagt: Wo eine größere Gruppe von Studenten versammelt ist, kann man mit Sicherheit davon ausgehen, daß einige von ihnen die gut dotierte Lehrerlaufbahn in Betracht ziehen. Wenn ein Student nach vielen mühevollen Jahren endlich sein Kandidatsexamen abgelegt hatte (Bakkalaureus geworden war, wie es früher hieß), und nach weiteren Studienjahren vom Scholasticus die Unterrichtsgenehmigung zuerteilt bekam (licentia docendt), so empfand er vermutlich eine besondere Zusammengehörigkeit mit denjenigen Kommilitonen, denen diese Kraftprobe ebenfalls gelungen war, mit Menschen, die es aus eigenen Anstrengungen soweit gebracht hatten, daß ihnen eine gewisse intellektuelle Kapazität offiziell bestätigt worden war. Der eigentliche Eintritt in den Kreis der Lehrer ging mit speziellen Initiationsriten vonstatten. Nachdem die Kandidaten ihre Lizenz erhalten hatten (Lizentiaten geworden waren), und die Körperschaft der Lehrer sich zur Sache geäußert hatte, wurden sie in Übereinstimmung mit der Praxis des römischen Rechts in ihr Amt investiert. Die Zeremonie hatte zwei Programmpunkte. Zunächst versah man die Magistranden mit den Insignien ihrer neuen Würde, nämlich mit einem eckigen Hut (biretta), einem goldenen Ring und einem offenen Buch, überreicht im Namen der gesamten Lehrerschaft. Darauf folgte die Segnung, der Friedenskuß und das Geleit zum Katheder. Nun mußte der neue Magister zum ersten Mal seinen eben erworbenen Anspruch geltend machen, und eine Vorlesung halten (inceptio, „der Anfang"). Das Vorbild für diese Veranstaltung stammte aus der Zeremonie der Bischofsweihen. Wer auf diese Weise in die Lehrerschaft aufgenommen war, durfte sich von nun an Magister nennen und als solcher amtieren. Später wurde dieser Titel manchmal durch Doktor (Lehrer) ersetzt. Es gehörte sich auch, daß der Neupromovierte seine Kollegen mit einer guten Mahlzeit bewirtete (doch nicht allzu aufwendig; hier und dort war das erlaubte Höchstmaß der Großzügigkeit durch Statuten geregelt). Genauso wie der menschliche Instinkt fordert, daß jeder, der in eine höherstehende Gemeinschaft aufgenommen wird, in irgendeiner Weise dafür bezahlen muß, so gebot derselbe menschliche Instinkt den Pariser Magistern, ihre gemeinsamen Zunftinteressen zu behaupten und sich ihre Existenz, Eigenart und Vorrechte durch die weltlichen und kirchlichen Behörden garantieren zu lassen. Schätzungsweise hatte die Stadt Paris um das Jahr 1200 zwischen 25 000 und 50 000 Einwohner, von denen nicht weniger als zehn Prozent Studenten waren. Diese so gewichtige Gruppe stellte gleich131
baccalaureus licentia docendi
inceptio
magister doctor
Privilegium
fon
matricula
zeitig ein soziales Irritationsmoment und eine ökonomische Macht dar, mit der gerechnet werden mußte. Als besondere Bevölkerungsschicht finden die Pariser Studenten erstmals in juristischen Urkunden Erwähnung, und man ahnt, daß Akademiker und Bürger nicht immer friktionslos miteinander auskamen. 1194 bewilligte Papst Celestinus III. ein Privilegium fori für „Klerker, die sich in Paris befinden": Mit Ausnahme von Kriminaldelikten sollten künftig alle Rechtsstreitigkeiten, an denen Studenten beteiligt waren, vor das kirchliche Gericht gebracht werden. Wer dieses Vorrecht für sich beanspruchen wollte, mußte jedoch nachweisen können, daß er in einer matricula (Matrikel) offiziell eingeschrieben war. Gerade die Jahrhundertwende von 1200 ist ein Gedenkjahr in der Geschichte der heranwachsenden Universität. Den eigentlichen Anstoß zu den ersten ausdrücklichen und schriftlich belegten Korporationsprivilegien lieferten wilde Studentenunruhen. Ein zum Bischof von Lüttich auserkorener, deutscher Student von vornehmer Herkunft besaß einen Burschen, der in einer Pariser Kneipe überfallen und zusammengeschlagen worden war. Der Bischof-Elekt nahm mit Hilfe einiger Landsleute unverzüglich Rache an dem Gastwirt, der, genau wie im Evangelium der Reisende zwischen Jerusalem und Jericho, „halbtot liegen blieb". Wie bekannt, wird Sturm ernten, wer Wind sät. Und so dauerte es auch nicht lange, bis eine Schar von bewaffneten Bürgern gegen die in aller Eile organisierten deutschen Studenten antrat. Mehrere von ihnen, darunter der BischofElekt, mußten das Leben lassen. Offenbar befürchtete König Philipp August, daß die Magister und Studenten nach diesem Scharmützel eine ruhigere Gegend aufsuchen würden (wogegen die Bürger wahrscheinlich nichts einzuwenden gehabt hätten). Jedenfalls stellte der König einen Privilegienbrief aus, der mit ungewöhnlichem Nachdruck betonte, daß alle künftigen Rechtsfälle der Studenten vor kirchlichen Gerichten verhandelt werden sollten. Die Pariser Bevölkerung mußte dieses Vorrecht mit Eid bestätigen.
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Freiheit in Grenzen
Um das Jahr 1210 wurde die Körperschaft der Lehrer und Studenten, die sich von nun an universitär magistrorum et studentium nannte, als juristische Person anerkannt und durfte sich als solche von einem Sachwalter vertreten lassen. Noch deutlicher zeichneten sich die Konturen des neuen Ausbildungswesens ab, als zwischen der Lehrerschaft und dem Kanzler von Notre Dame ein langwieriger Streit ausbrauch. Wie bereits bekannt, war das Amt des Scholasticus von eminenter Bedeutung, weil dessen Inhaber, der oftmals auch als Domkanzler fungierte, über die Unterrichtsgenehmigung zu entscheiden hatte, (siehe oben S. 56). Der Kanzler von Notre Dame behielt sich außerdem das Recht vor, allein das Urteil zu fällen, wenn sich Studenten in Strafsachen verwickelt hatten. Daß eine einzige Person, die noch dazu nicht selbst zum Lehrerstab gehörte, so viel Macht in Händen halten sollte, gab natürlich Anlaß zu Unstimmigkeiten. Andererseits konnten sich die Magister gegen die „Personalpolitik" des Kanzlers wehren, indem sie keine unerwünschten Lizentiaten zur Magisterpromotion zuließen. In den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts kam es mehrere Male zum offenen Konflikt. Zuletzt schleuderte der Kanzler seine wirksamste Waffe gegen die Aufsässigen: er verhängte die Exkommunikation, das heißt, er schloß ohne weiteres die gesamte sich widersetzende Universität aus der Gemeinschaft der heiligen Kirche aus. Und was nahm er zum Anlaß? Die Tatsache, daß die Körperschaft der Magister eigene Satzungen angenommen hatte, ohne sich um den Bischof, den Kanzler und das Domkapitel zu kümmern. Die Auseinandersetzungen kamen zum Erliegen. Einen Präzedenzfall gab es nicht. Hier konnte offenbar nur eine außenstehende und übergeordnete Instanz entscheiden, mit anderen Worten der Heilige Stuhl in Rom. Dessen Inhaber, der mächtige Innozenz III., präsentierte den absoluten Höhepunkt päpstlichen Ansehens und päpstlicher Macht. Er hatte selbst in Paris studiert und wollte durch aktive Universitätspolitik die Stellung der Parister Universität als gelehrte Hochburg der Christenheit sichern und deren Selbständigkeit im Verhältnis zu den kirchlichen und lokalen Behörden gewähr133
umversitas magistrorum etstudenti
artes
leisten. Im Jahre 1215 gab er den Lehrern und Studenten das Recht, eigene Statuten aufzustellen und eigene Funktionäre zu wählen. Also noch einen Beweis für ihren Status als freie Körperschaft. Im August desselben Jahres bestätigte der Legat des Papstes, Robert Coupon, das Abkommen, welches zwischen der Universität und dem Kanzler getroffen wurde und entwarf im selben Dokument die Richtlinien für einen Lehrplan, der an der mittelalterlichen Artes-Fakultät zur Ausbildungsnorm werden sollte. (Heute würden wir diese Fakultät als die philosophische bezeichnen). Es sollen Vorlesungen über die logischen Schriften des Aristoteles gehalten werden, sowohl über die alte wie die neue Logik, nicht kursorisch, sondern in üblicher Vorlesungsform. Ebenso sollen die beiden Bücher des Priscianus — oder zumindest das zweite — in gleicher Form behandelt werden. An Feiertagen sollen nur Vorlesungen über Philosophie und Rhetorik vorkommen sowie in Quadrivium, Barbarismus, Ethik (wahlfrei) und über das vierte Buch der „Topik". Die „Methaphysik" oder Naturphilosophie des Aristoteles darf noch nicht einmal kursorisch behandelt werden und ebenso wenig die Lehrsätze des Magisters David von Dinant, des Ketzers Amalrik oder des Spaniers Mauricius.
Priscianus
maioret mmor
Wir wollen uns diesen Unterrichtsplan etwas genauer anschauen. Von den sieben freien Künsten ist kaum mehr als der Name artes übriggeblieben, und der absolute Schwerpunkt hat sich auf grammatica und dialéctica verlagert. Der römische Grammatiker Priscianus bot eine fortschrittlichere Lektüre als sein Kollege Donatus. Seine „zwei Bücher", die maior und minor hießen, befaßten sich ausführlich mit der lateinischen Formenlehre respektive Syntax. Der rhetorische Unterricht war nicht dazu geeignet, bei den Studenten die Gabe der Redekunst zu entwickeln, sondern beschränkte sich
Fig. 21. Ein Jäger kocht seine Suppe, ein Alchimist mit seinen Retorten, ein Eisenhammer in Funktion und eine kritische Hausfrau auf dem Markt. Die Alchimisten gaben sich der Hoffnung hin, auf künstlichem Wege Silber und Gold herstellen zu können. Einer landläufigen Theorie zufolge waren in allen Metallen Quecksilber (argentum vivum) und Schwefel in verschiedenen Proportionen gemischt. Man nahm an, das Quecksilber bestehe aus Wasser und Luft — deswegen sei es so klar — und die große Beweglichkeit komme daher, weil es feucht und schwer war. Je mehr Quecksilber ein Metall enthalte, desto niedriger der Schmelzpunkt. In der unberührten Natur würden sich Schwefel und Quecksilber allmählich zu Silber und Gold stabilisieren. Aber die Alchi-
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misten wollten der Natur nachhelfen. Sie nannten das Quecksilber mercurium, weil es mit allen anderen Metallen Verbindungen einging, so wie der Planet Merkur, nach Aussagen der Astrologie, seine Influenz (influentia) mit allen anderen Planeten vereinte. In der „Perle der Philosophie" (1496) warnt jedoch Gregorius Reisch vor den Alchemisten, vor allem vor solchen, die großen Herren und Fürsten dienen, „denn wüßten sie wirklich Bescheid über die Geheimnisse dieser Wissenschaft, so würden sie sich natürlich verstecken, Gott für diesen Schatz danken und den Armen Wohltaten erweisen, jedoch ganz gewiß nicht von den Reichtümern anderer leben . . . Da dieses Gewerbe dem Gemeinwesen zu großem Schaden gereicht, sollten die Behörden und andere Instanzen, die das allgemeine Wohl bewachen, gegen deren idiotische Frechheit einschreiten. Sie scheinen nämlich zu jenem Menschenschlag zu gehören, von dem der Apostel Paulus sagt: ,Sie sind immer noch beim Lernen, können aber niemals die Wahrheit erkennen'." — Bartholomaeus Angelicus, „De proprietatibus rerum", gedruckt von Wynkyn de Wörde in Westminster, 1495.
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,. ^ . . ars dictaminis Baibarismus Ars maior Donnati
summae
darauf, Musterbeispiele für korrekte und wohlformulierte Briefe und Jjuristische Urkunden zu ogeben \(ars dictaminis)./ Barbarismus heißt der dritte Teil der „Großen K u n s t " des Donatus [Ars maior). Es wird darin vor sprachlichen Mißgriffen gewarnt, und eine Liste ¿ e r verschiedenen Stilmittel ist ebenfalls enthalten. Mit „ E t h i k " war die „alte" Ethik gemeint, denn genau wie bei der Logik, war die aristotelische Ethik zunächst nur in sehr begrenztem Umfang bekannt. Die zur Verfügung stehenden Handschriften beschränkten sich auf das zweite und dritte Buch, welche die philosophisch neutralsten Abhandlungen über die Tugend als Mittelweg zwischen den Extremen enthalten sowie den Lastenkatalog (siehe unten S. 179). Das vierte Buch der „ T o p i k " handelt von der Definition. Der letzte Teil von Cour^ons Lehrplan enthält jedoch brisanteren Stoff: Die „Metaphysik" und Naturphilosophie des Aristoteles werden kurzerhand verboten, sogar „in der Zusammenfassung"! Mit dieser letzten Wendung sind vermutlich die aus arabischen Quellen herrührenden Kompendien (summae) gemeint, denn diese wiesen beunruhigende Tendenzen auf. Sie beachteten die offenbarte Wahrheit zu wenig, möglicherweise stellten sie sogar die Lehren von der Ewigkeit der Welt und der Sterblichkeit des Individuums als philosophisch bindende Dogmen dar. Wir wissen nicht viel über David von Dinant, Amalrich (von Bene) und den rätselhaften Mauricius, von denen der letztgenannte noch nicht einmal mit Sicherheit identifiziert werden kann. Offensichtlich hatten diese drei in ihrer Begeisterung über die neuen Erkenntnismöglichkeiten angefangen, logische Vergleiche zwischen verschiedenen christlichen Glaubenssätzen anzustellen und waren dabei zu bemerkenswerten Resultaten gekommen.
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Widerstand und Unterwerfung
Als sich herausstellte, daß der wiederentdeckte Aristoteles nicht nur logische Formeln, sondern den Stoff zu einer ganzen Weltanschauung bot, sah sich Paris einer einheitlichen Synthese gegenübergestellt, die ohne Mitwirkung der christlichen Kultur hervorgebracht worden war. Daß aus dieser Begegnung eine Kollision wurde, ist wenig erstaunlich. Wir wissen, daß eine lokale Bischofssynode im Jahre 1210 mit christlichem Eifer befahl, alle Notizen von den Vorlesungen des Magisters David von Dinant zu verbrennen. Auch mit Amalrich von Bène verfuhr man ohne jegliche Hemmungen. Zu jenem Zeitpunkt war er bereits tot, aber auf Befehl wurde seine Leiche ausgegraben und in ungeweihter Erde bestattet. Gleichzeitig verbot man sowohl das private wie das öffentliche Studium der aristotelischen Naturphilosophie. Daher brachte Robert Cour^ons Privilegienbrief aus dem Jahre 1215 nur die Bestätigung alter Vorschriften. Wenn wir bedenken, daß Aristoteles durch die Vermittlung des heiligen Thomas zum maßgebenden Philosophen der Kirche wurde, mag uns diese halsstarrige Unversöhnlichkeit sonderbar vorkommen. Jahrhundertelang sollte der theologische Meinungsaustausch nach seinen Denkmodellen entworfen, vorgebracht und niedergeschrieben werden. Aus anderen Quellen als den durch die Bischofssynode so gründlich vernichteten, geht jedoch hervor, daß David von Dinant und Amalrich von Bène sich wahrscheinlich nicht damit begnügten, in aristotelischer Orthodoxie den christlichen Glauben zu schmälern. Ihr Unterricht behandelte auch Lehren von pantheistischer und materialistischer Art: War Gott eine Wirklichkeit, so mußte es ihn überall geben und er konnte nirgendwoanders sein als in den erschaffenen Dingen. Wenn er, wie der Apostel sagt, „wirket alles in allem", so wirkt er auch im Bösen. Es wurde behauptet, die Welt könne unmöglich aus dem Nichts geschaffen worden sein; und durch die Kunst der Traumdeutung solle man in die Zukunft blikken können. All dies geht weit über Aristoteles hinaus, und muß jeden Bischof oder gläubigen Christen sehr unangenehm berührt haben. Selbstverständlich verknüpfte man alle neuen Irrlehren mit dem großen 137
Stagyriten. Das Verbreitungsverbot für seine „Metaphysik" und „Physik" dürfte von jener theologischen Fakultät ergangen sein, an der Robert Cour^on einmal selbst Magister gewesen war. 1231 und 1263 wurde das Verbot, wenn auch recht vorsichtig, durch den Papst selbst erneuert, („bis daß die naturphilosophischen Schriften untersucht und von jeglichem Verdacht des Irrtums befreit seien"). Doch galt das Verbot nur in Paris, nicht aber in Toulouse und Oxford, die zu jenem Zeitpunkt als Stätten philosophischer Gelehrsamkeit mit Paris wetteiferten. Aber Verbote dieser Art haben eine innewohnende Tendenz, wirkungslos zu bleiben oder zumindest eine andere als die vom Urheber beabsichtigte Wirkung zu erzielen. Aristoteles hatte nicht viel Konkurrenz. Sein System war nun einmal da und ließ sich nicht vertreiben. Im Jahre 1277 verdammte der Pariser Bischof Estienne Tempier ausdrücklich eine große Anzahl von Lehrsätzen, die Aristoteles und seinen Kommentatoren zu Recht oder Unrecht zugeschrieben wurden. Wir wollen später noch einmal darauf zurückkommen (siehe unten S. 229). Im Grunde genommen regten alle solche Maßnahmen nur das Interesse für das Verbotene an. Sogar ein völlig orthodoxer Gesichtspunkt konnte aufkommen: Wer Irrlehren bekämpfen will, muß sie zunächst gründlich studieren. Schließlich verwandelte ein päpstliches Dokument im Jahre 1366 die so lange verbotenen Früchte zu einem Obligatorium. Von nun an mußte der Philosophiestudent Vorlesungen über diese Schriften gehört haben, um den Magistergrad erringen zu können. Aristoteles hatte das Abendland erobert und die allerhöchste Sanktion erhalten.
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Privilegien, Fakultätsorganisation und Rektorat
Im Jahre 1229 wiesen die Magister von Toulouse in einem Rundschreiben voller Stolz darauf hin, daß in Toulouse bisher jeder, „der die innersten Geheimnisse der Natur erforschen wollte" auf seine Kosten gekommen wäre. Die dortige Universität war ins Leben gerufen worden, weil in Paris zwischen 1228 und 1231 heftige, ideologisch und soziologisch bedingte Unruhen ausbrachen. Das Rundschreiben war nichts anderes als ein „Sonderangebot zur Eröffnung", in dem man größere akademische und intellektuelle Freiheit versprach, als es das von Theologen dominierte Paris zu bieten hatte. 1231 beendete der Papst diese Streitigkeiten durch die Bulle Parens scientiarum („die Mutter der Wissenschaften"). Sie wird auch die Magna Charta der Pariser Universität genannt. Unter anderem bestätigte der Papst folgende Privilegien: Das Recht, eigene Statuten aufzustellen. Das Recht, Verstöße gegen diese Statuten zu bestrafen. Das Recht, Strafsachen vor das kirchliche Gericht zu bringen. Das Recht, solange in Unterrichtsstreik zu treten, bis die Wiedergutmachung gewährleistet ist in Fällen, wo ein Student durch eine unbefugte Instanz mißhandelt oder festgenommen wurde. Von nun an zeigte die Universität viele der Kriterien, welche sie bis in unser Jahrhundert hinein behalten sollte: feste Lehrpläne, bestimmte Prüfungsgrade, eigene Rechtsprechung, Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich Ausbildungsformen und Ausbildungsinhalten ohne Steuerung von außerhalb sowie die wirksame Waffe des Streiks. Der Name universitas bürgerte sich jedoch erst im 15. Jahrhundert als eindeutiger Begriff ein. Bis dahin war Studium generale die einzige offizielle Bezeichnung für eine Universität. Hatte sich eine Lehranstalt als Studium generale Anerkennung verschafft, so wurden auch die dort erteilten akademischen Grade von allen anderen gleichwertigen Lehranstalten offiziell anerkannt. Dies führte zur Entstehung einer gelehrten Internationale, deren Mitglieder wenigstens theoretisch als Fakultätslehrer in jedem beliebigen Studium generale auftreten konnten, nachdem sie sich als Magister ausgewie139
universitas Studium generale
iusubique docendi
sen hatten. Aufgrund einer päpstlichen Sondergenehmigung konnten die Universitäten das Recht erteilen, überall zu unterrichten ( ¡ u j ubique docendi). Eigentlich handelte es sich um einen SchachZUg ¿gg Heiligen Stuhls, der die Universitäten zu einem Werkzeug für die Einigung Europas machen wollte. Sehr oft wirkten jedoch lokalpatriotische Kräfte in entgegengesetzter Richtung. Schon zu Abelards Zeiten hatte man in Paris sorgfältig zwischen Theologie und Philosophie (artes) unterschieden. Kurz nach dem Tod des bolognesischen Juristen Irnerius begann das Zivilrecht im
Fig. 22. Anatomische Tafel. — Gregorius Reisch, „Margarita philosophica" (Erstausgabe 1496) gedruckt von Sebastian Henricpetri in Basel, 1583.
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Lehrplan aufzutauchen, wurde aber bald durch das kanonische Recht verdrängt, das in den 1170er Jahren seine Stellung sicherte. Auch Medizin studierte man dort gegen Ende des 12. Jahrhunderts, obschon in bescheidenem Ausmaß. Die vier „Fakultäten" (facul- facultates tates) — ein Ausdruck, der in diesem Zusammenhang „Wissenszweige" bedeutet — existierten um das Jahr 1200 als akademische Realität, allerdings waren die juristischen und terminologischen Grenzen noch nicht scharf und eindeutig abgesteckt. Eine Vereinbarung aus dem Jahre 1213 zwischen der Universität und dem Kanzler räumte jeder Fakultät das Recht ein, Kandidaten für den Magistergrad zu prüfen und anzuerkennen. In der Praxis bedeutete dies Einfluß auf die Gestaltung des Unterrichts. Doch erst 1252 läßt eine theologische, also eine „höhere" Fakultät eigene Statuten für die Kandidatur zum Magistergrad aufstellen. Die theologische Fakultät wurde höher eingeschätzt, weil sie abgeschlossene Studien in den „niederen", vorbereitenden Artes-Fakultäten voraussetzte. Das Amt des Universitätsleiters (rector) entstand erst gegen rector Ende des 13. Jahrhunderts. Nachdem er zunächst als überparteilicher Vorsitzender bei allgemeinen Fakultätskonferenzen fungiert hatte, nahm er im 14. Jahrhundert die Stellung eines höchsten Repräsentanten und Oberhaupts der Universität ein. Ohne sein Einverständnis konnte die Universität überhaupt keine rechtskräftigen Entscheidungen treffen. Indessen sind die Phasen dieser Entwicklung ziemlich unklar.
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Bologna — Studentendemokratie und Korpsbrüderschaft
Wir haben uns recht lange in Paris aufgehalten. Der Anlaß liegt auf der Hand: Was dort Gestalt annahm, war der Urtypus der philosophischen und theologischen Fakultäten. Darüber hinaus wurde Paris zum Vorbild für die sogenannte Magisteruniversität, das heißt für eine Universitätsform, in der nur die Magisterversammlung ausschlaggebend war. Es gab jedoch auch einen weitaus demokratischeren Universitätstyp. In Bologna, zum Beispiel, hatten allein die Studenten das Recht, Rektoren wie Professoren zu wählen und abzusetzen. Wir erinnern uns, daß die dortige Juristenschule von Anfang an den Charakter einer nichtkirchlichen Hochschule hatte und daß sie für das berufsbezogene Studium des römischen Zivilrechts gegründet war. Außerdem erhielt Bologna durch den Aufschwung des kanonischen Rechts unter Gratian eine Schlüsselstellung im kirchlichen Leben. In der Vorgeschichte der Bologneser Universität finden wir viel von dem, was sich später auch in Paris ereignen sollte. Indessen entwickelte sich hier die Hochschulform schneller als in Paris, was teilweise auf das aktive Interesse des Kaisers zurückzuführen war. Als Stiftungsurkunde verehrte man den Privilegienbrief Habita Kaiser Friedrichs I. aus dem J a h r e 1158, der später sogar in den Codex Justinianus aufgenommen wurde. Gewissermassen als Entgelt für den Glanz, den die Jurastudenten der Stadt verliehen, gab ihnen der Kaiser rechtliche Immunität: D a alle Wohltäter Unser Lob und Unseren Schutz verdienen, sind Wir der Ansicht, daß Wir mit besonderer Liebe diejenigen gegen Ungerechtigkeit schützen müssen, die mit ihren Kenntnissen die Welt erleuchten und die Unsere Untertanen dazu erziehen, Gott und Uns, seinem Diener, zu gehorchen. Wer hätte wohl kein Mitleid, mit denjenigen, die aus Liebe zur Wissenschaft freiwillig ihr Land verlassen müssen, „ o b er wohl reich ist, ward er doch arm u m euretwillen, auf daß ihr durch seine Armut reich würdet"; sie setzen sich alienmöglichen Lebensgefahren aus und müssen manchmal dulden, daß Menschen von der übelsten Sorte ihren Körper mißhandeln. 142
Nach diesem verständnisinnigen Brief des Kaisers kamen für die Studenten nur ihre Lehrer und der städtische Bischof als richtende Instanz in Frage. Wollte die gegnerische Partei den Fall vor einen anderen Richter bringen, so verwirkte sie dadurch automatisch ihren Anspruch. In Bologna stellten die Studenten, oder besser gesagt das Studentenkorps, die treibende Kraft dar. Das Gefühl des Fremdseins, auf das Kaiser Friedrich angespielt hatte, bewirkte, daß sich die von weither zuströmenden Studenten zu einer Art von Gewerkschaft zusammenschlössen. In diesen, j e nach ihrer ursprünglichen Heimat benannten Körperschaften (Universitätes) sehen wir das Urbild universitates
Fig. 23. Trepanierungsinstrument. Die medizinische Schule von Salerno hatte für die Behandlung von Knochenbrüchen und Schädelfrakturen, für Amputationen, Zunähen von Wunden, Aderlassen, Blutstillen und ähnliches genaue Anweisungen ausgearbeitet. In nordischen Klöstern sind chirurgische Instrumente verschiedener Art gefunden worden: Schröpfschnepper für den Aderlaß und Aderlaßeisen, Explorationsnadeln, Pinzetten, eiserne und bronzene Schaber, Sonden aus Blei und Bronze, Suturnadeln und Wundklammern. — Hieronymus Braunschweig, „Handywarke of surgeri", gedruckt von Peter Treveris, 1525.
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nationes
"h^lari'35
der späteren Landsmannschaften (nationes). Die Bezeichnung universitas scholärium für das gesamte Studentenkorps ist seit 1193 belegt. Da die Lehrer lange Zeit keine eigene „fachliche Organisation" besassen, konnten die Studentenkörperschaften in Bologna über die Zusammensetzung und die Arbeitsbedingunen der Lehrerschaft bestimmen. Diese Studentenherrschaft, die sich mehr als einmal als reine Diktatur herausstellte, rief auf die Dauer derartige Unruhe hervor, daß schließlich eine Vereinbarung unumgänglich wurde. Um 1250 erkannten zwar sowohl die Stadt Bologna wie auch der Heilige Stuhl die Sonderstellung und Statuten der Studentenuniversität an, aber gleichzeitig wurden die Lehrer mit grundlegenden Befugnissen ausgestattet, was die Examenskontrolle und die Zulassung zum Lehrerberuf betraf. Doch kontrollierten die Studenten auch weiterhin die externen Angelegenheiten der Universität ganz nach ihrem Belieben, und daher blieb das gespannte Verhältnis zwischen Lehrern und Studenten bestehen, was man sich unschwer vorstellen kann. Um zu verstehen, wie die Studenten eine derartige Machtstellung behalten konnten, müssen wir bedenken, daß es sich im allgemeinen um Männer reiferen Alters handelte und nicht um Jugendliche wie die Artes-Studenten von Paris. Manche hatten schon vorher das Studium der Philosophie absolviert. Noch deutlicher zeichnet sich der Hintergrund ab, wenn man hinzufügt, daß sich die Bologneser Studentenschaft überwiegend aus den führenden Schichten der verschiedenen Länder rekrutierte. Diese Männer stammten aus soliden Verhältnissen und waren daran gewöhnt, über andere Menschen zu bestimmen. In Bologna wurde der Vorleser durch ein kompliziertes Kontrollund Bußsystem in Schach gehalten. Fing er die Vorlesung vor der festgesetzten Zeit an oder hörte später auf, so mußte er Strafe zahlen; den Lehrplan mußte er im Einverständnis mit seinen Zuhörern für das ganze Jahr ausarbeiten, und er mußte sich bei jedem Abschnitt innerhalb bestimmter Grenzen halten, sonst wurde er nach einem festen Tarif bestraft. Genauso schlecht erging es ihm, wenn er sich in schwierigen Fragen unsicher zeigte oder versuchte, über unklare Textstellen hinwegzugleiten. Sicherheitshalber mußte der Lehrer schon gleich von Anfang an eine gewisse Summe deponieren, von der dann die Bußgelder abgezogen werden konnten. Besonders schlechte Vorleser wurden durch ausgesandte Spitzel angeschwärzt. Es genügte, daß sich zwei Studenten beklagten, um den Rektor (der natürlich auch von den Studenten gewählt war) zum satzungsgemäßen Eingreifen zu veranlassen, auf daß „die Aufsässigkeit der Doktoren bestraft werde". 144
Auch wenn die Statuten vermutlich ein gar zu rigides Bild der Wirklichkeit geben, wundert man sich dennoch, daß ein so eisernes Regiment auf die Dauer aufrechterhalten werden konnte. Dazu trug aber noch eine weitere Ursache bei, nämlich die ökonomische Zwangssituation der Lehrer. Richtige Lehrerdienststellen mit festem Gehalt wurden erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts eingerichtet, vorher mußten die Vorleser buchstäblich mit dem Klingelbeutel umhergehen. Aber in der Mitte des 14. Jahrhunderts hatte die Stadt Bologna die Verantwortung für die Lehrergehälter völlig übernommen, mit der Folge, daß von nun an die uneingeschränkte Herrschaft des Rektors und der Studenten schrumpfte. Auf die Dauer funktionierte die radikal studentisch-demokratische Maschinerie allzu langsam, und eine geschmeidigere Verwaltungsform, wie sie sich zum Beispiel inzwischen in Paris durchgesetzt hatte, war auf lange Sicht für die Erziehung zu kollektiver Verantwortlichkeit besser geeignet. Wie gesagt, waren die studentischen Landsmannschaften eine Bologneser Erfindung. Die ausländischen Studenten teilte man ganz allgemein in solche ein, die aus Gegenden „jenseits" beziehungsweise „diesseits" der Alpen stammten, (ultramontani und ultramontani citramontani). Im 15. Jahrhundert verteilten sich die erstgenann- citramontani ten auf 17, die letzteren auf 16 Landsmannschaften. Administrative Initativen dürfen wohl kaum von Großversammlungen dieser Korporationen ausgegangen sein, die Beschlüsse wurden von einer Gruppe von ratgebenden Funktionären (consiliarii) und dem Rektor vorbereitet. Das Amt des letzteren hatte erstaunlich hohes Ansehen. In Bologna stand der Rektor höher im Rang als ein Kardinal. Der Amtsantritt des Rektors wurde mit einer prachtvollen Zeremonie in der Kathedrale und mit anschließendem Triumphzug sämtlicher Studenten gefeiert. Selbstverständlich entstanden dem Amtsträger dadurch enorme Ausgaben, so daß schließlich durch besondere Vorschriften geregelt werden mußte, wieviel diese Festlichkeiten kosten durften. Der Sitte nach riß man dem neu installierten Rektor die Kleider vom Leibe, worauf dieser die Fetzen für Unsummen zurückkaufen mußte. Bei so bizarren und kostspieligen Bräuchen war es kaum erstaunlich, daß sich mehr als einer der vorgeschlagenen Kandidaten mit Händen und Füssen gegen die Ehre wehrte, zum Rektor gewählt zu werden. Infolgedessen wurde eine Bestimmung erlassen, daß sich der Betroffene nicht aus der Affaire ziehen durfte. 145
Vorlesungen und akademische Grade
Was an der Pariser Artes-Fakultät die Magisterwürde war, war der Doktor der Rechtswissenschaft in Bologna. Beide stellten eine offizielle Anerkennung dar, die zum Unterrichten berechtigte und im lectiones ^ Laufe der Zeit als „Grad" oder Titel aufgefaßt wurde. In Bologna war extraordinaria die Zahl der aktiven Lehrer gering und das Amt einträglich.
magister artiiuris doctor
Digestum vetus Codex
baccalaurei
Dort kam die Sitte auf, die Vorlesungen in ordnungsgemäße und außerordentliche einzuteilen. Ordentliche Vorlesungen hielt man über diejenigen Bücher, die unter den Gesetzestexten als die wichtigeren galten. Im Zivilrecht handelte es sich um Digestum vetus („Die alte Einteilung") und den Codex („Das Buch", vgl. S. 73). Die erste Pflicht des Studenten und zugleich die Voraussetzung für seine rechtliche Immunität war, daß er sich in die Matrikel einschrieb. Zum Tagesablauf des Bologneser Studenten gehörten eine ordentliche Vorlesung morgens und zwei kürzere außerordentliche Vorlesungen später am Tag. Anfangs lag der Vorlesungsraum in einem Privathaus, später wurden jedoch Schullokale in der Stadt gemietet. Für besonders beliebte Vorleser war sogar die Benutzung eines öffentlichen Saals oder eines Marktplatzes üblich. Gemäß den Statuten sollten die Doktoren nach jedem Textabschnitt die Glossen lesen (siehe oben S. 76). Die außerordentlichen Vorlesungen wurden in der Regel von Studenten gehalten, die schon eine Reihe von Studienjahren absolviert hatten. Hier wie in Paris nannnte man sie baccalaurei, ein Begriff, der in Bologna weniger einen formalen akademischen Grad als schlechthin eine Bezeichnung darstellte. Um den Bakkalaureustitel führen, zu dürfen, mußte man fünf bis sechs Jahre studiert haben und mit Genehmigung des Rektors über ein Kapitel (einen titulus) oder über ein Buch des zivilen oder kanonischen Rechts vorlesen können. Diese Übungen galten nicht als regelrechte Lektionen, sondern eher als ein Exerzieren der akademischen Darlegungskunst. Es kam vor, daß Studenten ihre Kameraden bestachen, damit sie bei diesen prekären Gelegenheiten als Zuhörerschaft fungierten. Der eigentliche Grad, das Doktorat, wurde in Bologna auf dieselbe Art und Weise verliehen wie die Magisterwürde in Paris: Zum Zeichen seiner Fähigkeit und Befugnis als Gesetzesdeuter erhielt der Kandidat ein Buch. An dieser Univer146
sität, wo alle Macht in Händen der Studenten lag, war dies eines der wenigen Privilegien der Lehrerschaft. Aber genau wie nördlich der Alpen griff auch hier der Papst ein, Honorius III., der ehemalige Erzdiakon am Dom von Bologna. Er erklärte, daß die Doktordiplome künftig nicht ohne Zustimmung des Erzdiakons erteilt werden sollten. Ganz im Gegensatz zu dem ständigen Krieg, der während des größten Teils des 13. Jahrhunderts zwischen Domkanzler und Universität in Paris herrschte, hatte der Bologneser Erzdiakon fast immer friedliche Beziehungen zur Universität. Und da es sich im Durchschnitt um recht wohlhabende Studenten handelte, war das Kanzleramt eine sichere und ausgiebige Einnahmequelle.
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Fig. 24. Eine Anatomielektion. Die drei Szenen Obduktion, Vorlesung und dekorative Landschaft sind allerdings nicht zusammengestellt worden, um ein realistisches Bild des medizinischen Unterrichts zu vermitteln. Der Bildtext lautet folgendermaßen: „Auf dieser Abbildung sehen wir die richtige Lage des Körpers bei der Obduktion, dazu wo und wie der erste Schnitt gemacht werden soll. Sie bezieht sich auf das nebenstehende Kapitel, in dem dies alles beschrieben ist". Eine Ausgabe von Mondini dei Luzzis Anatomie (Anatomia Mundini). 148
Aristoteles fordert die Theologie heraus
Wie schon erwähnt, drang der Aristotelismus im 12. Jahrhundert langsam aber sicher in alle Wissenschaftsgebiete ein. Besonders fruchtbar erwies sich die Begegnung von aristotelischen Denkmodellen mit der Theologie. Der Begriff der höchsten Sätze oder Axiome konnte einfach so abgeändert werden, daß er für die höchsten, im Glaubensbekenntnis zusammengefaßten Sätze der christlichen Glaubenslehre zutreffend war. Inwieweit man die Theologie nach dieser Modifikation als eine Wissenschaft bezeichnen konnte (die also von sicheren Prämissen ausgehend zwingende Schlüsse zieht), sollten die scholastischen Theologen je nach Temperament verschieden beurteilen. Im Gegensatz zu den natürlichen, das heißt für die menschliche Vernunft, die ratio, faßbaren Wissenschaften waren Glaubenssätze wie die Dreifaltigkeit und die Menschwerdung Gottes nicht verifizierbar. Sie mußten geglaubt werden, weil eine höhere Instanz sie offenbart hatte, also aufgrund der Autorität (auctoritas) des Gewährsmannes — in diesem Fall des Heiligen Geists. Die Locus-Lehre des Boethius war jedoch allen wohlbekannt, und die besagte unter anderem, daß ein auf Autorität, aber nicht auf rationale Einsicht gestütztes Argument das schwächste aller Argumente sei (locus ab auctoritate est infirmissimus). Wie konnte man da noch behaupten wollen, die Theologie sei die höchste aller Wissenschaften? Wo gab es überhaupt einen Grund für ihre Glaubwürdigkeit? Auf solche Fragen gibt die Bibel keine explizite Antwort. In diesem Stadium war man sich völlig im klaren darüber, daß die Bibel gedeutet werden mußte, genauso wie andere Autoritäten auch, und daß die Deutungsprinzipien offengelegt werden mußten. Als die neue Philosophie dem Glauben begegnete, tauchten unzählige Fragen auf, und es ist daher bezeichnend, daß die Quaestion-Form die typischste und produktivste Literaturgattung der Scholastik war. Aber das Philosophiestudium vermittelte den Theologen auch neue Anschauungen und zunehmende Ausdrucksfähigkeit und bot ihnen die Möglichkeit, das vom Glauben Diktierte in treffendere und verständlichere Worte zu kleiden. Hier nur ein Beispiel: Zu allen Zeiten hatte man geglaubt, daß Jesus Christus in Gestalt von 149
ratio
auctoritas
Brot und Wein im Sakrament des Abendmahls wirklich gegenwärtig war. Während des Gottesdienstes veränderten sich die gewöhnlichen, erschaffenen Dinge auf irgendeine Weise zu Jesu Leib und Blut. Jetzt dagegen konnte man sich der aristotelischen Kategorienlehre bedienen, wenn genauer definiert werden sollte, wie man sich diese Verwandlung vorzustellen hatte. Was dem Glauben nach Jesu wahrer Leib und Jesu wahres Blut war, behielt offenbar alle Eigenschaften, welche auf die Sinne den Eindruck von Brot und Wein gemacht hatten. In der Terminologie des Aristoteles: die Akzidenzien blieben dieselben — Quantität und Qualität sowie die Ausdehnung in Zeit und Raum änderten sich in keiner Weise, als der Priester die Einsetzungsworte des Abendmahls aussprach. Außerdem hielt man den menschlichen Geist an sich für unfehlbar: Warum wohl sollten uns unsere Sinne gerade in dieser Angelegenheit trügen? Aber wenn er, der selbst die Wahrheit ist, gesagt hatte: „Dies ist mein Leib", so mußte der christliche Glauben zugeben, daß diejenige Kategorie, die im allerhöchsten Grad ist, nämlich die Substanz, eine Verwandlung durchmacht und zu Jesu eigenem Leib wird. Darin besteht das Wunder des Abendmahls: Die Substanz des Brotes, die Trägerin der Akzidenzien des Brotes, zieht sich zurück, doch die Akzidenzien bleiben durch direktes Eingreifen Gottes auf wundersame Weise erhalten. So hatte das Mysterium eine rationale Erklärung bekommen. Auf die Frage, an welche Substanz sich die verbleibenden Akzidenzien knüpfen (z. B. Gestalt, Geschmack, Gewicht) antworte ich, daß wir uns offensichtlich dazu bekennen müssen, daß sie eher ohne Träger existieren statt in einem Träger zu ruhen, denn hier gibt es keine andere Substanz als den Leib und das Blut des Herren, die nicht unter dem Einfluß dieser Akzidenzien stehen. Denn der Körper Christi hat keine derartige Gestalt, sondern er sieht so aus, wie er einst zurückkehren wird, um Gericht abzuhalten. Demnach ruhen diese Akzidenzien in sich selbst. transsubstantiatl
°
Diese sich im Abendmahl vollziehende Wesensverwandlung mit unveränderten Akzidenzien nannten die Theologen Transsubstantiation (Substanzenübergang). Allerhöchste Billigung gewann jene Auffassung im Jahre 1215, als sie auf dem vierten Laterankonzil zur christlichen verpflichtenden Glaubenslehre, zum Dogma erklärt wurde.
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Lektion und Disputation
Kennzeichnend für das Universitätsmilieu war vor allem das ständige Infragestellen. Man diskutierte keineswegs nur diskussionswürdige Punkte, sondern auch Dinge, von denen man voll und ganz überzeugt war. Warum war das offensichtlich Selbstverständliche selbstverständlich? Dieses von Abelards Sic et Non-Methode und von den Bolognesischen Gerichtsverhandlungen inspirierte Infragestellen führte zu einer der wichtigsten pädagogischen Methoden, nämlich zur disputatio, die an Bedeutung gleich nach der lectio kam. Hielt man sich bei der Vorlesung strikt an den Text, so konnte man in der Disputation dem Zwang der Textvorlage entfliehen und den Studenten Gelegenheit geben, all ihren Scharfsinn und ihre syllogistische Gewandtheit aufzubieten. Mit Hilfe immer ausgeklügelterer Definitionen sollten sie beweisen, wie vieldeutig fast jeder Begriff ist. Damit sie sich nun aber nicht sinnloser Haarspalterei hingaben, griff letzten Endes der Magister ein, faßte die angeführten Argumente zusammen und trug seine Lösung des Problems vor (determinatio). Manchmal wurden diese Zusammenfassungen des Magisters niedergeschrieben und weiterverbreitet, möglicherweise nach Korrekturen und redaktionellen Retuschen. Diese literarische Gattung — falls man eine dergestalt technische Darstellungsweise überhaupt so bezeichnen kann — trug den Namen quaestio disputata. Noch freier war die disputatio de quolibet, also die Disputation über ein beliebiges Thema. Ein außerordentlich treffender Name, denn bei den Themen dieser Vorträge konnte es sich um alles und jedes handeln, vom höchsten Seienden und seinem Wesen bis zu humorvollen Trivialitäten, die jemand aus dem Publikum aus Neugier oder Böswilligkeit oder akademischem Infantilismus vorgeschlagen hatte. Es kam darauf an, den Respondenten derart in die Enge zu treiben, daß er die Antwort schuldig bleiben mußte. Die quodlibetischen Disputationen, die zuweilen als Sammlungen von
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disputatio
determinatio
q u a e s t i o dis
disputatio quolibet
" de
quodlibeta
quodlibeta, das heißt von Determinationen eines namhaften Magisters, erschienen, waren natürlich das reinste Volksvergnügen. Manchmal wuchs die Zuhörerschaft über die akademischen Kreise hinaus und umfaßte auch die Beamten und Honoratioren der Stadt, wobei die debattierten Fragen politische Tagesereignisse und aktuelle Intrigen berühren konnten.
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Medizinische Theorie
Mit Ausnahme der schon auf Seite 51 erwähnten Prinzipien für die Diagnose hatte es die Medizin kaum weitergebracht als zu den Intuitionen und Wahnvorstellungen der volkstümlichen Heilkunde. Aber gegen Mitte des 12. Jahrhunderts schwang sie sich schließlich doch zu Rang und Würde einer akademischen Disziplin auf und behauptete ihre Stellung als eine der vier Wissenschaften. Dies lag hauptsächlich an dem Fleiß der Übersetzerschule von Toledo. Sowohl für die Philosophie wie auch für die Medizin wurde die arabische Hochkultur zum auslösenden Faktor, der die gewaltige latente Energie aktivierte, die sich im erwachenden Europa angesammelt hatte. Ohne den arabischen Hintergrund läßt sich das plötzliche Entstehen und die schnelle institutionelle Festigung der Universitäten kaum erklären. Auf mohammedanischem Boden lag die höhere Schulausbildung in Händen eines Magisters und einer Bruderschaft von Jüngern, die sich kraft seiner Ausstrahlung um ihn sammelten. Es kann kaum ein Zufall gewesen sein, wenn die Keimzellen der europäischen Universitäten aus ähnlichen Gruppen vagabundierender Studenten bestanden, die sich um ein paar namhafte Lehrer scharten, anfangs noch ohne lokale Bindung an ein bestimmtes Schulgebäude. Außerdem finden wir bei den Arabern auch die Vorbilder — oder zumindest die Parallelen — zur lectio und disputatio der Scholastiker. Die akademische Medizin forderte genau wie alle anderen Fächer in erster Linie das Studium von autoritativen Texten, aus denen man sich eine bestimmte Menge von Kenntnissen anzueignen hatte und die auch ein passendes Objekt für minutiöse Begriffsbestimmung und tiefsinnige Disputationsduelle darboten. Die Reihe der offiziellen Lehrmittel enthielt Schriften griechischen Ursprungs sowie die eindrucksvolle scholastische Synthese aus antiker Medizin und arabischem Aristotelismus, nämlich Avicennas mastodontischen Canon. In gedruckter Form nimmt dieses über eine Million Worte umfassende Werk mehr als tausend Folioseiten in Anspruch. Wie alles bei Avicenna zeichnet es sich durch große Übersichtlichkeit und Assimilationskraft aus. Im Vorwort sind die Grundlagen der medizinischen Wissenschaft auf eine Weise umrissen, daß sie den 153
Canon
humores
complexio, temperamelitum
hohen Anforderungen eines Aristoteles genügt hätte: Medizinisches Wissen ist die durch Übung erworbene Fähigkeit, die Ursachen von Gesundheit und Krankheit zu erkennen. Die materielle Ursache besteht aus den einzelnen Körperteilen, den Flüssigkeiten (Blut, Schleim, gelbe oder weiße und schwarze Galle) und, in erweiterter Perspektive, aus den Elementen an sich; die formale Ursache ist die verschiedenartige Mischung von Flüssigkeiten und Elementen, also deren complexio (temperamentum), die für den Charakter, die Stimmung (,,Laune") und den Gesundheitszustand des Menschen ausschlaggebend sind; die wirksamen Ursachen sind Wetterwechsel, Essen, Trinken, Gewohnheiten und schlechte Angewohnheiten; und schließlich bilden die Organfunktionen die Zweckursache.
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Europas Universitäten bis zum Jahr 1500. Die Jahreszahlen geben den Zeitpunkt der Privilegierung an (die eingeklammerten Jahreszahlen die erste Erwähnung in den Quellen). 285
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CHRONOLOGIE
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— 392 Das Christentum wird im römischen Imperium zur Staatsreligion erhoben. — 420 Hieronymus, Bibelübersetzer, Kirchenlehrer. — 430 Augustinus, Theologe, Philosoph, Kirchenlehrer. — 476 Die Barbaren setzen den letzten römischen Kaiser ab. — 524 Boethius, Ubersetzer und Kommentator der „alten" Logik. — 547 Benedikt von Nursia, der Vater des abendländischen Klosterwesens. 580 Cassiodorus, er kompilierte das Wissen der Antike. — 636 Isidorus von Sevilla, Autor der „Ethymologien". — 715 Die Araber beherrschen Spanien. — 735 Beda Venerabiiis, Exeget, Philologe, Historiker, Astronom. — 796 Alkuin, der Architekt der karolingischen Bildungsreform. — 814 Die Regierungszeit Karls des Großen. Das Schulwesen wird organisiert und bekommt feste Lehrpläne. — 1037 Avicenna, Arzt und Philosoph. — 1087 Constantinus Africanus, Übersetzer der griechischarabischen medizinischen Literatur. 1121 Abdards „Sic et Non". — 1158 Die „neue" Logik liegt in lateinischer Sprache vor. 1125 Imerius, der Vater der Rechtswissenschaft. — 1140 Das „Dekret" des Gratianus. — 1145 Die „Algebra" des Al-Khwarizim wird ins Lateinische übertragen, 1150 Die „Sentenzen" des Petrus Lombardus. 1158 Bologna erhält Privilegien von Friedrich I. — 1198 Averroes, der „Kommentator". 1200 Paris erhält Privilegien von Philipp August. 1204 Der vierte Kreuzzug. Griechische Handschriften werden entdeckt. 1208 Dominikus gründet den Predigerorden (die Dominikaner). 287
um 1230 um 1245 um um 1252
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288
1209 Die ersten Franziskaner treten auf. 1214 Oxford erhält die Privilegien für eine universitas medicorum. 1220 Montpellier erhält die Privilegien für eine universitas medicorum. 1224 Gründung von Universitäten in Neapel und am Heiligen Stuhl. 1227 Gründung der Universität von Salamanca. 1229 Gründung der Universität von Toulouse. 1231 Die Bulle „Parens scientiarum" konsolidiert die Pariser Universität. 1231 Friedrich II. erkennt die medizinische Schule von Salemo an. 1235 Petrus Hispanus schreibt das Logik-Kompendium „Tractatus". — 1250 Averroes liegt in lateinischer Ubersetzung vor. 1240 Robert Grosseteste übersetzt die nikomachische Ethik ins Lateinische, 1240 Johannes de Sacrobosco verfaßt das astronomische Lehrbuch ,,Sphaera". — 1246 Albertus Magnus unterrichtet in Paris, 1250 In Italien beginnt die Papierherstellung, 1250 In Schweden werden die ersten Kathedralschulen gegründet. — 1259 Thomas von Aquin unterrichtet in Paris. 1260 Wilhelm von Moerbeke übersetzt Aristoteles' „Politik" ins Lateinische. 1265 Thomas von Aquin beginnt seine Summa theologica, 1270 Direktübersetzung des gesamten Aristoteles aus dem Griechischen. — 1274 Bonaventura und Thomas von Aquin. 1277 Der Pariser Bischof Tempier verdammt 219 philosophische Sätze. — 1308 Johannes Duns Scotus. 1323 Thomas von Aquin wird kanonisiert. 1337 Paris verdammt den Ockhamismus. 1348 Gründung der Prager Universität. — 1349 Wilhelm von Ockham. — 1350 Mathias von Linköping, schwedischer Theologe und Beichtvater der Heiligen Birgitta. 1364 Gründung der Krakauer Universität. 1365 Gründung der Wiener Universität. 1385 Gründung der Heidelberger Universität.
1388 Gründung der Kölner Universität. 1409 Die deutsche Landsmannschaft der Prager Universität läßt sich in Leipzig nieder. 1419 Gründung der Rostocker Universität. 1424 Erste Professur in Griechisch an der Universität Bologna. 1425 Gründung der Universität Louvain. 1431 Der Papst Eugen IV. führt humanistische Studien an Roms Universität ein. 1450 Gutenberg macht in Mainz eine Druckerei auf. 1453 Eroberung von Konstantinopel durch die Türken. Neue griechische Handschriften erreichen das Abendland. 1456 Gründung der Greifswalder Universität. 1465 Fust und Schöffer in Mainz drucken Ciceros „De officiis". 1466 Die erste Professur in Griechisch an der Pariser Universität. 1470 In Paris wird das erste Buch gedruckt. 1476 Das erste Buch in griechischer Sprache wird in Mailand gedruckt. 1477 Gründung der Universität Uppsala. 1478 Gründung der Kopenhagener Universität. 1483 In Stockholm wird das erste Buch gedruckt. 1506 Reuchlin gibt das erste hebräische Lehrbuch heraus. 1516 Erasmus läßt das Neue Testament auf griechisch drucken. 1517 Luthers Thesen gegen die scholastische Theologie und den Ablaß. 1540 Steuco faßt die Philosophie der Antike in „Philosophia perennis" zusammen. 1543 „De revolutionibus orbium caelestium" des Kopernikus, der Anfang vom Ende des aristotelischen Weltbilds. 1879 Papst Leo XIII. erklärt Thomas von Aquin zum katholischen Normalphilosophen (Sanktionierung des Neuthomismus). 1931 Kanonisierung Alberts des Großen. 1974 Anläßlich des Thomas-Jubiläums wird mit Hilfe des Computers eine Kolossalkonkordanz über sämtliche Worte des Aquinaten ausgearbeitet. 289
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Register Abelard, Pierre 59 f., 81, 86 ff., 93 f., 97, 129, 140,232 Abkürzungen 120 f. Abstraktion 198, 208, 238 accidens 62 f., 66 actus hominis — actus humanus 209 actus purus 124,201 Adam von Bremen 42 Aderlaßmann 53 aequivocatio 102 Agent 199 Akt - Potenz 113, 118, 123, 160, 169, 199,200,203 aktiver Intellekt 118, 126, 208 Akzidenzien 67, 70, 95, 123, 150, 169, 214 f., 230, 235, 242 Albertismus 106,174,251 Albertus Magnus, Albert der Große 106, 174 ff., 185, 202, 205,215 Alchemie 134 Alexander de Villa Dei 221 f., 252 Al-Faräbr 126 Allgemeinbegriff, siehe universalia bzw. praedicabilia Algorismus 17 Al-Khwarizmi 17 alte Logik, siehe vetus ars Alkuin 20, 23 ff., 29 f. Allegorie 35, 37, 38 ff., 43, 192 Almagest 125 Amalrik von Bene 134, 136, 137 Ambrosius 31,94,194
Anagogie 35, 37, 43, 192 analogia entis 192 Analytica Posteriora 97 f., 104, 108 f., 126,171,252 Analytica priora 104 ff., 232, 252 Anatomie 54, 140, 148, 154, 155, 157, 158 f., 258 animal politicum 183,216 Anselm von Canterbury 84 f., 202 Anselm von Laon 37, 60 Araber 55, 98, 126 f., 153 ff. arabische Ziffern 17 arbor consanguineitatis 78 f. arbor Porphyriana 62 f. Aristoteles 15 f., 25, 61, 97 f., 100 ff., 134, 165, 168, 176, 185,188, 197,199,202,205, 209,211,226,229,231,238, 241 f., 249 f., 252, 255, 263 Aristoteles-Verbot 134, 137 f., 226 Aristotelismus 98 f., 122, 126 f., 149, 153,' 199 f. Arithmetik 17,26 ars dictaminis 27,136 ars memorativa 55, 162, 221, 223 ff. ars moriendi 223 ars praedicandi 223 Arten 62 f., 65, 70, 100 Artes-Fakultät 134, 140 f., 226 artes liberales 15, 23 ff., 134 Astrolabium 172 Astrologie 115, 229 ff: 291
Astronomie 26, 125, 172 f., 253 auctores 38 auctoritas (auctoritates) 81, 149, 194 ff., 251, 267 ff. Auge 258 Augustinus 1 3 , 1 5 , 3 1 , 3 8 , 7 9 , 9 3 , 9 4 , 168, 176, 185, 188, 196, 197, 203, 209, 212, 216, 238 Augustus 39 Auswendiglernen 26, 162, 220 ff. Autrecourt, Nicolas d ' 249 Averroes 127, 183, 205, 226, 229 Avicenna 126 f., 153, 155, 160 f., 205, 229 Axiom 1 0 8 , 1 4 9 , 1 8 0 , 2 1 1 baccalaureus 131, 146, 160, 252 Bacon, Roger 171 f., 186 f. Barbara Celarent 107, 233 beatitudo 211 Beda Venerabiiis 17, 20, 21 Benedikt von Nursia 21, 174 Bernhard von Chartres 47 ff. Bernhard von Clairvaux 43 f., 88 f., 168 Bernold von Konstanz 79 ff., 81, 86 Bettelorden 163 f., 170 Bewegung 113 f., 115 f. Bibeldeutung 31 ff., 166, 190, 192 f. biblia pauperum 191 Bobbio 21 Boethius 15 ff., 25, 27, 61, 97, 100 (Pseudo)-Boethius 106 Boethius de Dada 226 ff., 229 Bologna 73 ff., 81 f., 142 ff., 155,157 292
Bonaventura 165 ff., 185, 197, 238 bonum commune 210, 216 Bulgarus 75 Buridan, Jean 250 f. Canon, Avicennas 153, 155 canones 56 Cassiodorus 1 5 , 2 1 , 2 3 Chartres 46 ff., 56 Chirurgie 157, Cicero 25, 223 Citeaux 56 Clementinae 77 Cluny 56 Codex 73 ff., 146 commentum 120 communis natura 239 computus ecclesiasticus 17 conclusio 104, 106, 275 Concordantia discordantium canonum 81 f. Consequentiae 235, 252 Corpus iuris canonici 82 Corpus iuris civilis 74 Cour^on, Robert 133 f., 136, 137 Dante 96, 115 David von Dinant 134, 136, 137 De aeternitate mundi 227 De anima 118 f., 252 De consolatione philosophiae 17 De nuptiis Mercurii et Philologiae 25 De summo bono 226 Decretum 81 f. Deduktion 108 f., 160, 166 Defensor pacis 217 Definition 70, 100, 108, 197
Dekretalien 82, Dekretisten 82 Demokratie 183, 216 f. determinatio 151 devotio moderna 246 f. Diagnostizierung 161 Dialektik 25 Dialogus super auctores 40 f. differentia specifica 62 f., 65, 70, 100,222 Digestum 73 ff., 146 (Pseudo-) Dionysios Areopagita 185,204 disputatio de quolibet 151 Disputation 100, 107, 151, 153, 186, 234 f., 256, 275 ff. distinctio formalis ex natura rei 239 f., 244, 251 distinctio rationalis — realis 183 f., 251 Distinktion 93, 101, 102, 189 doctor 131, 146 doctor communis (angelicus) 185 doctor mirabilis 171 doctor seraphicus 165 doctor subtilis 238 doctor universalis 174 doctores ecclesiae 31 Doctrinale 221 f., 252 Dominikaner 162, 170, 174 f., 215 Donatus 11, 25, 26 f., 134, 136,219,252 „doppelte Wahrheit" 127, 226 ff., 249, 252 Ehehindernis 78 f. Engel 166 f., 181 Elemente, die vier 115 f., 153 Empyreum 116 f., 166 ens, siehe das Seiende
Erasmus von Rotterdam 238 Erfurt 252,255 Erkenntnistheorie 163, 166, 169, 197,236,238 f., 243, 251 Eschatologie, siehe Anagogie Es tu scholaris? 221 f. Essenz 70, 197, 212, 222, 238 f., 242 Essenz — Existenz 127, 192, 200 Ethica 134, 136, 171, 178, 179 ff., 184, 209 Etymologiae 18 f., 81 Euklides 25 Exemplarismus 168,200 Extravagantes 82 Fakultäten 141, 153, 157 fallacia conséquentes 103 fallaciae 232 félicita intellectualis, siehe Glück fides — ratio 194, 197 fides quaerens intellectum 84 Figuren, syllogistische 100, 105 Firmament 116, 166 flatus vocis 66 Florilegien 44 Form-Materie 123, 127, 169, 215 formalitates 240, 244 Franziskaner 170, 174 freie Künste, siehe artes liberales Friedrich I. 142 fundamentum in re 63, 239 futura contingentia 69, 270 Galenos 51, 155, 160 Gattung 62 f., 65, 70, 100, 203, 217, 222 Gedächtnisnerv 219 293
Gehirnkammern 158 f., 207 f., 208 Gentiiis de Fulgineo 160 Geometrie 26,110,112 Gerechtigkeit 73, 180 Geschichte 42, 109 glossa interlinearis 60 glossa ordinaria 37, 60 Glossatoren 73 ff. Glossen 38, 120 Glück 179, 181, 199, 209, 226 f., 230 Gnade 50, 195, 197 f. Gottesbeweis 84 f., 202 f., 241, 246, 249, 252 grammatica speculativa 236 Grammatik 25, 236 Gratianus 81 f., 92, 96, 142 Gregorius der Große 31, 166 f. Griechisch 31, 171 Grosseteste, Robert 171,178 Guido von Arezzo 29 Gute, das (bonum) 179, 183 habitus 179, 209 f., 214, 270, 277 haecceitas 239 Hebräisch 31,171 Heinrich II. 171 Hieronymus 31, 196 Hippokrates 52,55,155 historia 35 Historia calamitatum 60 Holcot, Robert 249 Holandrinus 252 Hrabanus Maurus 40 Hrotswit 42 Hugo von St. Viktor 46 Hugo von Orléans 37 Hus, Johannes 249 Hypothese 108
294
Ignatius von Loyola 246 Illuminationslehre 169, 197, 238 impetus (violentus) 249 ff., 254 inceptio 131,243 individua 63, 65 Induktion 100, 108 f., 180 Innocentius III. 133 insolubilia 106, 235, 252, 256 Institutiones 73 ff. intellectus agens — possibilis, siehe der aktive bzw. passive Intellekt Intelligenzen 126 f., 167 Intention 90, 209 intentiones primae — secundae 63 Intuition 238 Irnerius 73 ff., 96, 140 Isagoge 17, 61, 251 f., 255 Isidorus von Sevilla 18 f., 81, 90 ius ubique docendi 139 Jacob von Venedig 97 Jacobus 76 Jarrow 21 Johannes XXI., siehe Petrus Hispanus Johannes Duns Scotus 63, 106, 129, 238-242, 243, 252 Johannes von Erfurt 117 Johannes von Garlandia 221 Johannes von Genua 221 Johannes Parisiensis 217 Johannes Peyligk 158 f. Johannes de Sacrobosco 17, 172 Johannes von Salisburry 48 ff., 97 f., 111 f.
Jurisdiktion, akademische 139 Justinianus 71, 73 ff., 142 Kanonikus 56 kanonisches Recht 79 ff., 140, 142,146, 225 Kanzler 56 f., 133, 141, 146 f. Kardinaltugenden 182 Karl VI. 157 Karl der Große 20, 30, 56 karolingische Minuskel 23 Kathedralschulen 2 3 , 3 8 , 5 1 , 56 f. Kategorien (praedicamenta) 67, 76, 113 f., 1 1 5 , 1 2 3 , 1 4 9 f., 161,238,251,252,253 kategorische Sätze 68 f., 233, 263 f. Klosterschulen, Klosterwesen 21 ff., 38 Köln 174,251 Kommunismus 183 Konrad von Hirsau 40 f., 90 Konstantin der Afrikaner 55 Kontingenz 69,109, 126, 127, 180, 200, 203, 229, 245 Koran 126 f. Körperflüssigkeiten 153, 158 Kristallhimmel 116, 166 f. Kirchenlehrer, siehe doctores ecclesiae Landsmannschaften 143, 145 Lanfranc 83 Latein 12, 61, 129, 219 f., 232, 237 lectio 91, 120, 146, 151, 153, 254 lectio divina 21 Legenda aurea 39 Leipzig 207 Leo XIII. 215
lex aeterna — lex naturalis 210 Liber extra 82 Liber sextus 82 licen tia do cendi 131 littera 90, 120 loci 77, 83, 100 f., 106, 149 logica nova 97, 111, 134 Lund 172 Luther, Martin 248, 254 ff. magister 131, 141 Margarita philosophica 225 (und die Figuren passim) Marsilius von Padua 217 Martianus Capella 17, 23 ff., 223 maior — minor 104 materia prima 199 Materialismus 137 Matrikel 132, 146 Matthaeus Vindobonensis 221 Maulevelt, Thomas 252 Mauricius 134, 136 Maximen 74, 101 Medizin 51 ff., 140 f., 143, 148,153 f f . Meditation 44, 49 Metaphysica 122 f f , 126, 134, 136, 213, 227 Metaphysik 25, 109,122 f f , 194, 198, 199, 239, 242 Mirecourt, Jean de 249 Mittelweg 179 modale Sätze 233 modi, syllogistische 105 modi significandi 236 f., 252 Modisten 236 f., 252 Montpellier 157 Musik 2 6 , 2 7 , 2 9 Naturrecht 73, 180, 183, 210 ff., 217 295
Neapel 185 negative Theologie 192 neue Logik, siehe logica nova Neuplatonismus 126, 185, 204 Niavis, Paulus 255 ff., 270 ff. Nominalismus 63, 66, 236 f., 238, 243 f., 246, 249-254, 255 ff. Novellae 73 Obligationes (Obligatoria) 235, 252,256 Ockham, Wilhelm von 63, 106, 163, 236, 243—¿246, 249 Ockhams Rasiermesser 236 f., 244 Ockhamismus 106, 249 ff. Offenbarung 1 6 6 , 1 8 9 , 1 9 5 , 197, 230 Olaus Johannis Gutho 250 ontologischer Gottesbeweis 84 f., 202 Oppositionsquadrat 68 f., 233 Oresme, Nicolas 250 f. Organon 100 ff. Oxford 138, 171 f.
Pantheismus 137 Parens scientiarum 139 Paris 46, 60, 1 1 1 , 1 2 9 f f . , 142, 165, 171, 174, 226 ff., 229 ff., 254, 273 f. Parmenides 106 parva logicalia 106, 255, 279 passiver Intellekt 118 f., 126 f., 205,208,226 Paulus 35, 41, 163, 214 per accidens 265 Peri hermeneias 61, 68 f., 252 petitio principii 102 Petrus Astronomus 172 296
Petrus Hispanus 106, 107, 229, 233, 235, 263 ff., 277 ff. Petrus Lombardus 25, 92 ff. Petrus Ravennas 224 f. Philipp August 132 philosophia prima 198 Philosophie 165, 166, 168, 189, 194 f., 197 f., 227 f., 241 Physica 113 f., 126, 171, 202, 252 physicus — medicus 160 Physik 113 f., 118 Placentinus 75 Piaton 15, 23, 46, 168 f., 176, 182,183 pluralitas formarum 239 politia 185 Politica 178, 183 f. Porphyrios 17, 61 ff., 251 f., 255 post hoc, propter hoc 103 potentia absoluta — potentia ordinata 245 praedicamenta, siehe Kategorien Prädikabilien 62 f., 65 f., 246 Prämissen 104, 106 primum mobile 117, 166 f. primus motor 114, 115 f., 126, 200,203 Priscianus 2 5 , 1 3 4 , 2 3 2 Privilegium fori 132 Problem 100, 106 Promotion 131, 133, 146 proprietatis terminorum 235 proprium 62 f., 66 Ptolemaios 25, 125 Pythagoras 17, 25 quadrivium 23 ff., 110 quaestio 93, 107, 149, 160, 1 8 5 f f , 254, 265 ff., 273 ff. quaestio disputata 151
quinta essentia 115 Quintilianus 223 quodlibeta 152 Rabelais, François 238, 270 ratio — auctoritas 149 Realismus 63, 66, 239, 251 ff. Reisch, Gregorius, (siehe die Figuren passim) 225 Rektor 1 4 1 , 1 4 5 , 1 4 6 reportatio 91 res — signum 93 Rhetorik 25, 27, 42 f., 134, 136 römisches Recht 73 ff., 131, 140, 142, 146 rückbezogene Allgemeinbegriffe, siehe Prädikabilien Sakrament 93 f., 149 f., 190, 214 f. Salerno 54, 143, 155 Sallustius 42 Sätze 68 f., 233, 256 Scholastikus 56 f., 131, 133 Schöpfung 1 3 7 , 1 6 7 , 2 0 0 , 2 0 2 , 227,230 Seele 118 f., 176 f., 205 Seneca 25 sensus communis 1 1 9 , 1 5 8 , 207 f., 208 sensus compositus — sensus divisus 1 0 2 , 2 7 7 sensus interior es 158, 205 ff. Sentenzen 9 2 ff., 130, 185 Seiende, das 122 f f . , 163, 242 Sibylla 39 Sic et Non 86 f. Siger von Brabant 226 simpliciter — secundum quid 267 Skeptizismus 2 3 8 , 2 4 9 Skotismus 106, 238 ff., 251
Sophismen 232, 234 f. Solmisation 29 Sophistici Elenchi 100 ff., 232, 252 „ S o r t e s " 63, 232 ff. Spekulation 124, 168, 182, 184 Sphäre 172 f., 253 (Instrument) Sphären 115 f., 1 2 6 , 1 6 6 f. Staat 183, 216 f. Statuten 133, 139, 141 Studentendemokratie 144 f. Studium generale 139 sublunarische Welt, die 115 f. Substanz 69, 70, 95, 123, 150, 169, 214 f., 222, 236 substantiell — akzidentell 199 Summa theologica 185, 265 ff. summae 136 Summae logicales (Tractatus) 107, 233, 263 ff. Sündenfall, der 211 ff. Supposition 232 ff., 251 f. Sutton, J o h n 252 Syllogismen 7 6 , 1 0 4 f f . Synkategorem — Kategorem 232,252 tabila rasa tabula rasa 2 0 8 , 2 3 8 Temperamentslehre, die 153, 155,158 Tempier, Estienne 1 3 8 , 2 1 5 , 229 ff. Terentius 4 0 , 4 2 Termini, logische 232 ff., 251 f. Terminologie 6 1 , 1 2 9 , 239 f. Thabit 152 Theodizee-Problem, das 155, 203 f. Theologie 25, 31 ff., 165, 169, 1 8 6 , 1 8 8 f f , 227 f., 241 f., 244 theologische Tugenden 214 297
theorica — practica 160 These 100 Thomas von Aquin 63, 96, 106, 155, 174, 178,185—217, 223 f., 229, 238 f., 241 f., 251 f., 265 ff. Thomismus 1 0 6 , 1 7 4 , 1 9 9 , 2 5 1 Tierkreismann, der 53 Toledo 98, 153 Topik 76, 83, 100 f., 134, 136, 202 Toulouse 138, 139 transzendentale Attribute 12 2 f., 163 Transsubstantiation 95, 149 f., 214 f., 252 trivium 23 ff., 48 Tropologie 35, 37, 43, 192 „Typ" 9 1 , 1 9 0 Tugend 179 ff., 230 Übersetzungen 17, 55, 97 f., 129,178 unctio 4 3 , 1 7 0 universale ante rem, in re, post rem 252 universalia 60, 62 ff., 243 f., 251 f. universitas 1 3 3 , 1 3 9 , 1 4 3 Universitäten, die 129 ff. Unsterblichkeit 118 f., 126 f., 226,230,252 Uppsala 1 7 2 , 2 5 1 „Ursachen" aristotelische 90, 123, 153 f., 199, 200, 203 uti-frui 93, 176 venerabilis inceptor 243 Verantwortung 179 f.,231 Vergil 38 f
298
vetus ars 61, 100, 134, 232 via patria 212 via antiqua — via moderna 249 ff., 255 ff. via communis 254 Viktor (St.) 46 virtus intellectualis — moralis 179 ff., 230 virtutes theologicae (infusae) 214 vita activa — contemplativa 184 Vivarium 15 Vives, Juan Luis 277 ff. Voluntarismus 241 f., 245 f. Widerspruch (s), Gesetz des (principium contradictiones) 123,249 Weisheit (sapientia) 124, 168, 1 7 0 , 1 8 1 , 1 8 9 , 241 Wien 255 Wilhelm von Champeaux 60, 130 Wilhelm von Moerbeke 178, 185 wirkende Ursache — Zweckursache (causa efficiens — finalis) 123 Wissenschaftstheorie 108 f., 126, 149, 153, 165 f., 171, 180 f., 188 f., 194 ff., 198, 236 Wille 180, 209 ff., 230 f., 241 f., 245 f. Woodham, Adam 249 Wundenmann 52 f. Zeitmessung 172 Zirkelbeweis (siehe petitio principii) 103
Karl Brunner/Falko Daim
Ritter - Knappen Edelfrauen Idee und Realität des Rittertums im Mittelalter 136 S. mit 59 Färb- und 60 SW-Bildern. Ln. D M 5 6 - , öS 380,-. ISBN 3-205-07164-6 Er sitzt zu Pferd, kämpft gerüstet, und zu Hause ist er in einer Burg. So stellen sich Jung und Alt den Ritter vor. Rittertum umfaßt aber mehr als dieses Bilderbuch-Klischee: Mehr als die Inhalte »Treue«, »Minne«, »Heldentum«, »Turnier« und »Kreuzzug«. Mehr als den Abglanz in Sagen und frühen Dichtungen. Der Ritter war auch kein Bösewicht: In den Krieg zog er als Kämpfer Christi und in den Streit als das Schwert seines Lehnsherren. Im europäischen Rittertum wurden die Ideale einer Kriegerklasse zu allgemein sittlichen Normen hinstilisiert - ethisch bestimmt durch das Christentum. Das Buch zeigt in gut lesbarer Form das Spannungsfeld des kulturell-geistigen Prozesses der Ablösung von der antiken Welt bis zum Verfall an der Schwelle zur Neuzeit.
Böhlau Verlag Köln • Wien