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German Pages 320 Year 2013
Markus Friedrich Die Geburt des Archivs
Markus Friedrich
Die Geburt des Archivs Eine Wissensgeschichte
Oldenbourg Verlag München 2013
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
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Inhalt Dank
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Archivgeschichte(n) Eine Einleitung
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Archive als Wissensorte Archivgeschichte(n): Ein Plädoyer für die Praxis Forschungstraditionen Der kulturwissenschaftliche ,archival turn‘ Warum Frühe Neuzeit? Epochen der Archivgeschichte Zu diesem Buch
15 17 19 21 23 26
Schreiben Das Füllen von Archiven: Ein Prolog
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Die Anfänge einer pragmatischen Schriftlichkeitskultur Überlieferungssicherung durch Kartulare und Register Franz Pehem in Altenburg, oder: Pragmatische Schriftlichkeit am Beginn der Neuzeit Gründen Archive werden Institutionen und breiten sich aus Frühe fürstliche Archive in Frankreich und Deutschland Archive überall: Quantitative und geographische Ausdehnung Archive für jedermann: Korporationen, Kirchen, Adel Territoriale Archivpolitik zwischen Zentrum und Peripherie Nach der Gründung Institutionalisierte Unbenutzbarkeit: Joly de Fleury und Le Nain im Pariser Parlamentsarchiv Projektionen Archive im Denken der Frühen Neuzeit Reden über Archive: Texte und Kontexte Zwecke des Archivs: Erinnerung und Selbstverständigung über gesellschaftliche Ordnungen Unnütze und unbehagliche, überraschende und unkontrollierbare Archive
31 40 44
51 53 57 59 71 75 77
89 90 97 102 5
Frühneuzeitliche Entwürfe europäischer Archivgeschichte 107 Schriftliche und nichtschriftliche Archive in Europa und Übersee 109 Semantiken und Metaphern: Vom Archiv zum ,Archiv‘ 112 Personen Menschen der Archive und Archive der Menschen Archivare Das unlesbare Archiv: Hilfswissenschaftliche Herausforderungen Sind Archivare Gelehrte? ,,Bleiben Sie ruhig!“: Der Alltag im Archiv und die persona der Archivare Besucher und Besuche Private und öffentliche Dokumente: Papiere und Archive als persönliches Eigentum Radikale Personalisierungen: Diebstahl und die Machtlosigkeit der Archive
121 122 129 132 135 140 143 148
Räume Archive als Raumstrukturen und Akten als bewegliche Objekte 159 Archivräume: Schutzhüllen für fragile Beschreibstoffe Das wohlgeordnete Archiv als Raumideal Zimmerfluchten und ihre Umgebung: Archive als Teile von Gebäuden Ordnung entsteht im Raum: Archivmöbel Ein ,,Schiff voller Acten“, oder: Archivmobilität in der Frühen Neuzeit (Ohn-)Macht Archive als Ressourcen, Symbole und Gegenstände von Herrschaft Was darf der Fürst? Oder: Das Archiv der königlichen Gesetze Was schuldet der Untertan? Oder: Archive und ständische Herrschaftsrechte Was soll man tun? Oder: Archive in Entscheidungsfindungsprozessen Gutachten, oder: Das aufbereitete Archiv
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160 163 165 172 184
193 194 197 203 206
Landesteilungen und Herrschaftswechsel: Archive zwischen Pragmatik und Symbolik Archive in Krieg und Frieden
210 217
Quellen Archive in Historiographie und Genealogie
231
Vor dem Historismus Warum Archivrecherche? Angst vor Historikern: Geschichte zwischen Politik und Wissenschaft Geheimnis als Projekt und Projektion: Möglichkeiten und Grenzen gelehrten Archivzugangs Kontrolle der Archivarbeit: Recherchemöglichkeiten und -beschränkungen Archivarbeit Archivreisen und überregionale Zusammenarbeit Adel, Archive, Ahnen: Genealogie als gelehrte Praxis Reden über Archivarbeit, oder: Das Archiv als narrativer Topos der Geschichtswissenschaft
232 234 239 242 249 252 256 261 266
Epilog Das vormoderne und das moderne Archiv
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Abkürzungen
283
Abbildungen
284
Literatur
285
Personen- und Ortsregister
313
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Dank
Ich habe bei der Vorbereitung dieses Buches zahlreiche Archivbesuche durchgeführt, die mich in kleine Stadtarchive mit dem Charme des Improvisierten und große Nationalarchive mit ausgefeilten Mechanismen geführt haben. Jedesmal wieder war ich von der besonderen Atmosphäre dieser Orte und Einrichtungen fasziniert. Es geht nichts über den Moment der Vorfreude und Aufregung, wenn ein neuer Stapel alter Papiere ankommt und sich das Wissen um wahrscheinliche Inhalte mit der Hoffnung auf überraschend Unbekanntes mischt! Dass ich meine Archivbesuche in Italien, Deutschland und Frankreich als ebenso angenehm wie erfolgreich im Gedächtnis behalten kann, hat vor allem mit der unfehlbaren Hilfsbereitschaft fast aller Archivare zu tun. Immer wieder haben sie mich beraten, mir bei Problemen weitergeholfen und Anfragen beantwortet. Herzlichen Dank für die Unterstützung! Auch wenn Archivreisen heute weniger kompliziert sind als in der Frühen Neuzeit, so sind sie doch nach wie vor ein teures Vergnügen. Ich hatte das Privileg, großzügige Unterstützung von mehreren Institutionen zu genießen. Die Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland, mittlerweile Max-Weber-Stiftung, förderte längere Aufenthalte in Rom und Paris im Rahmen eines Gerald D. FeldmanStipendiums. Andere Reisen konnte ich durch Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft bestreiten, die mir im Rahmen des Heinz Maier-Leibnitz-Preises zur Verfügung gestellt wurden. Die luxuriösen Arbeitsbedingungen am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (Berlin) boten den besten denkbaren äußeren Rahmen, um im Frühjahr und Sommer 2012 einen ersten Entwurf des Textes niederzuschreiben. Allen Institutionen sei für die besondere Unterstützung herzlich gedankt. Teile des Buches habe ich u. a. in Berlin, Chicago, Essen, Frankfurt, Gotha, Hamburg, London, Los Angeles, Marburg, Paris und Rostock präsentiert. Jedesmal habe ich von kritischen Nachfragen und zahlreichen Anregungen der Zuhörer profitiert. Viele Kolleginnen und Kollegen haben in der einen oder anderen Weise durch Gespräche, Widerspruch oder Hinweise Einfluss auf meine Ideen genommen: Rosemarie Barthel (Gotha), Annette Baumann (Gießen), Arndt Brendecke (München), Peter Burke (Cambridge), Lorraine Daston (Berlin), Randolph C. Head (Riverside), Françoise Hildesheimer (Paris), Karsten 9
Jedlitschka (Berlin), Christine Lebeau (Paris), Robert Meier (Wertheim), Martin Mulsow (Gotha), Jake Soll (Los Angeles), Markus Völkel (Rostock), Thomas Wallnig (Wien). Carla Meyer (Heidelberg), Christoph Dartmann (Münster) und Helmut Zedelmaier (München) haben den Text gelesen und entscheidend verbessert. Helga Penz hat mir freundlicherweise das Photo aus Salzburg zur Verfügung gestellt. In Hamburg haben mich Christian Möllmann und vor allem Sonja Döhring bei der Einrichtung des Textes unterstützt Die Zusammenarbeit mit Julia Schreiner vom Oldenbourg Verlag hat Spaß gemacht, zusätzliche Ideen erzeugt und noch einmal viele neue Impulse gebracht!
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Archivgeschichte(n) Eine Einleitung
Ein skandalöses Verbrechen wurde am 25. Mai 1682 in Paris entdeckt. In eines der Archive der Chambre des Comptes war eingebrochen worden. Zwei Mitarbeiter dieses angesehenen Gerichtshofes des französischen Königs hatten am Morgen jenes Sommertages einige Unterlagen benötigt. Als sie das Archiv betraten, das sich im Speicher des Amtsgebäudes befand, herrschte dort Chaos. Die deutlichen Zeichen für ein gewaltsames Eindringen waren nicht zu übersehen. Am Boden lagen Pergamente und Schriftstücke, überall war Schmutz. Die Einbrecher hatten sogar ihre Werkzeuge vor Ort zurück gelassen, sie wollten offenbar wiederkommen. Die Chambre des Comptes leitete umgehend eine Ermittlung ein. Ein Schreiner rekonstruierte an Hand der Zerstörungsspuren den Weg, den die Diebe genommen haben mussten. Allem Anschein nach waren sie von außen, vom Nachbarhaus aus, mittels einer Säge und eines Brecheisens durch den Dachstuhl in den Speicher gelangt. Der Hinweis auf das Nachbarhaus führte zu einer heißen Spur. In den folgenden Wochen kam es zu Verhören, Gegenüberstellungen und zu weiterer Beweisaufnahme. Schon am 29. Mai, vier Tage nach der Entdeckung, wurde Pierre Marconnes, ein junger Mann, befragt. Schnell war klar, dass er die Tat begangen hatte. Zwölf Tage später gab Marconnes seine Schuld zu Protokoll. Geholfen hatte ihm ein Komplize, ein junger Bursche von etwa fünfzehn Jahren, Antoine Manoux, der Marconnes vor allem beim Transport der schweren Pergamentbände unterstützt hatte. In mehreren Etappen hatten die beiden nach eigenen Angaben etwa fünzig bis sechzig der unhandlichen Kodizes entwendet. Die Chambre des Comptes veranschlagte den Verlust exakt auf 68 Bände. Marconnes und Manoux hatten die Tat ausgeführt, doch die Behörden identifizierten schnell einen anderen Einwohner von Paris als den eigentlichen Schuldigen: Adrien Alexandre war ungefähr vierzig Jahre alt, stammte ursprünglich aus Sainte-Marguerite-sur-Fauville in der Normandie und verdiente seinen Lebensunterhalt in der Hauptstadt normalerweise als Getränkehersteller und Gastwirt (limonadier). Marconnes war einige Zeit zuvor als Gast in der Kneipe des limonadiers gewesen. Bei dieser Gelegenheit hatte Marconnes erfahren, dass Alexandre nebenbei einen ausgedehnten Handel mit gebrauchtem Pergament unterhielt. Als Marconnes kurz darauf einige Blätter vorbei 11
brachte, hatte Alexandre diese tatsächlich erworben. Bei allen weiteren Besuchen hatte der limonadier immer wieder versichert, dass er auch zukünftige Lieferungen aufkaufen würde. Fragen stellte Alexandre nicht. Wohl ganz zu Recht hatte Marconnes dies als stillschweigende Aufforderung verstanden, weitere benutzte Pergamente zu beschaffen. Das Archiv der Chambre des Comptes war die reiche Quelle dafür. In der Vormoderne war Pergament ein kostbarer Rohstoff. Aus Tierhäuten gefertigt, handelte es sich um eine wertvolle und teure Ressource, die man nicht verschwendete. Beschriebenes Material bereitete man wieder auf, entfernte die Tinte und benutzte es erneut. Angesichts dessen war der Handel mit gebrauchtem Pergament ein lukratives Geschäft. In Paris war er gut organisiert. Die Vernehmungen förderten ein ausgedehntes Netzwerk an Hehlern, klandestinen Transporteuren und ehrbaren Käufern zu Tage, mit dem Alexandre seit langem zusammenarbeitete. Nachdem der limonadier die Diebesware erhalten hatte, verkaufte er sie mittels seiner weiblichen Bekannten Sesteau, Brasseur, Lagamet und Martine Boucher an interessierte Abnehmer. Seine Kunden waren etablierte Buchhändler und Drucker wie Denis Thierry oder Gilles Roland, der Bevollmächtigte der flandrischen Verleger in Paris. Mit dem Kontakt zu den Buchhändlern verließ das Diebesgut aus dem Archiv der Chambre des Comptes die Halbwelt. Und hier lag ein Risiko, das Alexandre unterschätzt hatte. Bei Roland und Thierry handelte es sich nämlich um Persönlichkeiten mit besten sozialen Verbindungen. Denis Thierry verkehrte regelmäßig mit dem obersten Gesetzeshüter der Hauptstadt, dem berühmten lieutenant général de police, Gabriel Nicolas de la Reynie, der ihm auch vom Einbruch in das Archiv der Chambre des Comptes erzählte. Thierry machte daraufhin de la Reynie auf den Verkauf größerer Mengen von Pergament durch Alexandre aufmerksam. Schnell konnte die Polizei dadurch den Verkauf des Diebesguts stoppen und das Material beschlagnahmen. Die Chambre des Comptes erhielt große Teile ihrer Unterlagen, wenngleich in verstümmelter Form, zurück. Im September 1682 wurden die Schuldigen bestraft. Manoux und mehrere der Frauen kamen mit Geldbußen davon, Marconnes wurde für fünf Jahre der Stadt verwiesen. Alexandre erlitt das gleiche Schicksal, musste aber zudem eine Prügelstrafe über sich ergehen lassen. Obendrein hatten alle Beteiligten für die Restaurierung der beschädigten Kodizes aufzukommen. Der Einbruch ereignete sich auf der Ile de la Cité, mitten in Paris. Die Insel in der Seine war seit dem Mittelalter ein ganz besonderer Ort für die französische Monarchie. An ihrer Westspitze befand sich das 12
Palais de Justice, ursprünglich ein Königspalast, der im 17. Jahrhundert zwar nicht mehr die Herrscher, aber immer noch viele wichtige Institutionen der französischen Monarchie beherbergte. Neben der Sainte Chapelle befanden sich dort das Parlament von Paris und eben die bestohlene Chambre des Comptes. Das Archiv, in das Marconnes eingebrochen hatte, lag im Herzen der französischen Monarchie, im Zentrum des Gemeinwesens und seiner Identität. Nicht einmal hier waren Archive sicher und geschützt. Doch die Anfälligkeit des Archivs der Chambre ist kaum verwunderlich. Das Palais de Justice war zwar von überragender symbolischer und administrativer Bedeutung für das Königreich, aber zugleich auch einer der quirligsten Orte der Hauptstadt. Die vielen Höfe und Arkaden des jahrhundertealten Gebäudekomplexes waren traditionell eines der ökonomischen Zentren von Paris. ,,Im Palais de Justice von Paris gibt es Stände und Geschäfte und Banken [. . . ]. Diese werden von Gemischtwarenhändlern und anderen Kaufleuten geführt, [. . . ] jene von Notaren und Anwälten“, so notierte 1620 der bekannte Jurist Charles Loyseau. Im Palais kamen täglich viele Menschen aller sozialen Schichten und mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen zusammen. Dort wurden Luxusgüter genauso verkauft wie Dinge des täglichen Bedarfs. Adrien Alexandre war einer der vielen Schankwirte und Händler im Palais. Sein Laden befand sich in der Cour Neuf , nur wenige Meter entfernt vom Archiv, in das man für ihn einbrach (Abbildung 1). Auch Marconnes und sein Komplize Manoux verbrachten einen Großteil ihrer Zeit im Palais, und waren dem Tatort dabei sogar noch näher. Beide verdienten ihren Lebensunterhalt als Pagen und Diener im Haushalt des Parlamentspräsidenten. Dessen Amtssitz befand sich Wand an Wand mit der Chambre des Comptes, und Marconnes sowie Manoux werden häufig dort gewesen sein, wenn sie nicht sogar dort lebten. Die Diebe kannten die räumlichen Verhältnisse also bestens, und so war es kein Zufall, dass sie den Weg durch den Dachstuhl auskundschaften konnten. Das geschändete Archiv und die Täter wohnten also an ein- und demselben Ort. Selbst die angesehensten Archive der mächtigsten Behörden des Königreichs waren allenfalls schwach durch Grenzen vom pulsierenden sozialen Leben in ihrer unmittelbaren Umgebung gesondert. Sobald ein paar Mauern durchbrochen waren, bestand sogar eine direkte räumliche Verbindung zwischen dem Archiv im Dachspeicher und dem Umschlagplatz des gebrauchten Pergaments in Alexandres Kneipe. Die Verhörprotokolle beschreiben sehr anschaulich eine lange 13
Abbildung 1: Das Palais de Justice, um 1710.
Flucht von Gängen und Arkaden, durch die Manoux die Bände mehr oder weniger ungesehen und in größtmöglicher Geheimhaltung zu Alexandre schaffen konnte. Die Topographie dieses Verbrechens zeigt also: Archive waren in der Frühen Neuzeit mit der sie umgebenden Gesellschaft und Kultur verbunden, sie existierten in Nachbarschaft zur bunten Vielfalt des alltäglichen Lebens, sie waren eingebettet in die soziale Welt, die sie umgab. Zu einem wesentlichen Teil bestimmte deshalb ihre Umgebung, was mit den Archiven passierte. Die Geschichte der frühneuzeitlichen Archive, wie sie im Folgenden erzählt wird, zieht aus der sozialen und geographischen Topographie des Archivraubs von 1682 eine wichtige Konsequenz: Die Archive Deutschlands und Frankreichs zwischen etwa 1500 und 1790 zeigen sich in den folgenden Kapiteln als sozial eingebettete Phänomene, das heißt als Phänomene, die durch alle Teile der Gesellschaft geprägt wurden und diese umgekehrt prägten. Dieses Buch versucht zu rekonstruieren, wie Archive in der Vormoderne zu einem festen Bestandteil des gesellschaftlichen, politischen und intellektuellen Lebens in Europa wurden. Es lässt sich dabei insbesondere durch die Einsicht leiten, dass Archive keineswegs 14
einer Logik folgten, die sie kategorisch von der Außenwelt abgegrenzt hätte. Vielmehr ist von einer ,,Permeabilität der Archive“ auszugehen. Archive prägten die Menschen und Menschen prägten die Archive, und zwar in vielfältiger Weise. Alexandres Fall zeigt, dass Archive Bestandteil komplexer sozio-kultureller Konstellationen waren. Archive waren nicht von vornherein eindeutig auf bestimmte Funktionen, Aufgaben und Leistungen festgelegt und sollten deshalb auch heute durch die Forschung nicht vorschnell festgelegt werden. Archive waren vielmehr Gegenstand unterschiedlicher und widersprüchlicher Interessen, sie waren Objekte gesellschaftlicher Auseinandersetzung und Projektionsflächen konkurrierender Funktionsbestimmungen. Sie waren mehrdeutige Bestandteile einer vielfältigen Kultur und Gesellschaft.
Archive als Wissensorte Meist gelten Archive wie selbstverständlich als Wissensorte, also als Einrichtungen, die zur Aufbewahrung, Bereitstellung und Erzeugung von Wissen beitragen. Archive werden üblichen Redewendungen zufolge als Arsenale oder Speicher, als Bedingungen oder Strukturgeber von Wissen bezeichnet. Doch man sollte Archive nicht allzu umstandslos und pauschal zu Wissensorten erklären. Der Weg vom Archiv zum Wissen war und ist weder zwingend oder unvermeidlich noch einfach oder selbstverständlich. Zum einen, wie bei Alexandre gesehen, gab es zahlreiche Archivpraktiken, die sich kaum oder gar nicht am Inhalt der archivierten Dokumente, sondern an anderen Eigenschaften und Potentialen orientieren. Diese Tatsache, dass Archive nicht nur wegen des in ihnen enthaltenen Wissens für die Menschen bedeutsam waren, sollte die Archivgeschichte ernst nehmen und es wird ein besonderes Anliegen dieses Buches sein, die alternativen Zugänge zum Archiv herauszustellen. Zum anderen, und das wird ein zweites Leitmotiv der folgenden Seiten sein, ist die Benutzung eines Archivs als Wissensort – wenn sie denn erfolgte – alles andere als trivial. Denn es gelingt zwar in bestimmten Konstellationen tatsächlich immer wieder, im politischen, gelehrten oder juristischen Alltag Wissen aus Archiven zu entnehmen. Doch der Erfolg einer solchen Nutzbarmachung ist weniger eine Selbstverständlichkeit denn eine erklärungsbedürftige Leistung. Das Funktionieren 15
von Archiven als Reservoirs von Wissen soll hier gerade nicht als Voraussetzung oder Ausgangspunkt der Archivgeschichte gelten, sondern als analysebedürftiges Ergebnis bestimmter Archivpraktiken. Deshalb sollte eine Wissensgeschichte der Archive auch nicht auf die Untersuchung der Indizes und Verzeichnungspraktiken beschränkt werden. Inventare und Besitzverzeichnisse können zwar Auskunft darüber geben, was eine Person oder eine Institution an Dingen und Dokumenten besaß. Doch eine andere Frage ist es, was die Menschen mit den Besitztümern dann konkret machten, wie sie mit ihnen in der Praxis umgingen und wie sie behandelt und eingesetzt wurden. Über die tatsächliche Bedeutung von Besitztümern und Archivalien geben Inventare keine Auskunft. Sie sagen nichts über die konkrete Rolle von Dingen und Dokumenten im Alltag. Eine Geschichte von archiviertem Wissen sollte darum über die Untersuchung von Inventaren und Wissensordnungen hinausgehen und sich der Frage zuwenden, ob und wie das versammelte Wissen im Alltag eingesetzt werden konnte und eingesetzt wurde. Dabei gilt es zuallererst, die Materialität des Archivs zu betonen. Die Tatsache, dass im Archiv unhandliche und fragile Objekte lagerten – Blätter, Rollen, Kodizes – beeinflusste entscheidend, wie Archive zu Wissensorten werden konnten. Durch die ausdrückliche Berücksichtigung dieser Tatsache würde die Archivgeschichte auch den Aufforderungen der jüngeren Wissenschaftsgeschichte folgen, Wissen weder als körperlos noch als statisch zu denken. Die physische Verfassung, der ,,Staub“ der Archive, bestimmt entscheidend mit, ob, wann und wie Archive zu Wissensorten wurden, wie Carolyn Steedman betont hat. Nimmt man diese Materialität von Archivwissen ernst, so kann man auch noch eine andere Forderung der aktuellen Wissenschaftsgeschichte fruchtbar umsetzen: Arbeiten zur Entstehung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse betonen mittlerweile regelmäßig, dass Wissen das Resultat mühsamer Entstehungs- und Produktionsprozesse ist. Wissen ist immer in the making, auch und gerade wenn es aus dem Archiv kommt. Wenn im Folgenden immer wieder vom Archiv als ,,Wissensort“ gesprochen wird, so folgt diese Redeweise der methodischen Aufforderung, die Entstehung von Wissen an bestimmte, mehr oder weniger individuelle Konstellationen und Produktionskontexte anzubinden. Die Körperlichkeit und Materialität dieser Tätigkeiten ist dabei deutlich herauszustellen. Das Funktionieren von Archiven als Speicher und Quellen von Wissen ist insgesamt kein unproblematischer oder selbstverständlicher Bestandteil ihrer Existenz. Eine moderne Wissensgeschichte der Frühen Neuzeit 16
sollte die Archive demnach einerseits intensiv berücksichtigen, doch sie sollte andererseits nicht übersehen, dass Archive immer lokal situierte und stark kontextabhängige Infrastrukturen des Wissens waren (und sind). Das bringt der Begriff des ,,Wissensortes“ in diesem Buch zum Ausdruck.
Archivgeschichte(n): Ein Plädoyer für die Praxis Auf der Basis der eben angestellten Überlegungen möchte dieses Buch zum einen die Auffassung vom Archiv als Wissensort problematisieren, dazu andererseits den konkreten, alltäglichen Gebrauch der Archive vorstellen, um ihre Bedeutung für die Menschen zu beurteilen. Es geht darum, den Sitz der Archive im Leben der Menschen herauszuarbeiten. Um dies zu bewerkstelligen, widmen sich die folgenden Kapitel besonders der Untersuchung konkreter Benutzungsakte von Archiven. Eine Geschichte der Archivbenutzung dynamisiert die Suche nach den historischen Funktionen von Schriftlichkeitsdepots. Was Archive leisten und was nicht, hängt von ihrer Benutzung ab. Archive sind keine bloß aufnehmenden Lagerstätten oder Behältnisse, sie sind vielmehr die Summe von Tätigkeiten und Handlungen. Nichts an den Archiven ist passiv oder automatisch, mag das auch die immer wieder gebrauchte Redeweise von ,,organisch erwachsenen“ Beständen suggerieren. Die Idee, Archive zeichneten sich auch nur teilweise ,,durch passive Rezeptivität“ aus, führt in die Irre. Der Blick auf das Archiv als verdinglichte Institution darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Archive ein Geflecht von zahllosen einzelnen Tätigkeiten und Handlungen sind. Weniger ,,das Archiv“ als Institution als vielmehr das ,,Archivieren“ und die ,,Archivarbeit“ interessieren hier. Im Folgenden geht es also darum, wie sich archivbezogene soziale Praktiken ausbildeten und zugleich darum, wie sich Archive in vorhandene soziale Praktiken einschrieben. Der Begriff der ,,sozialen Praxis“ geht in seiner heute maßgeblichen theoretischen Formulierung auf den Soziologen Pierre Bourdieu zurück. In einer für historische Untersuchungen handhabbaren Deutung signalisiert er ,,routinisierte Formen von Handlungen, welche eine subjektiv wahrgenommene Handlungsnormalität begründen.“ ,,Soziale Praxis“ bezeichnet vorgefertigte Handlungsschemata, die Menschen sich aneignen, nachvollziehen und dabei als sinnvoll anerkennen und zur weiteren Verwendung vorma17
chen. Solche Praktiken sind dabei nicht immer bewusst, sie gehen vielmehr der jeweiligen Entscheidungssituation des Individuums voraus. Menschen, die in einer bestimmten Situation handeln, müssen im Regelfall nicht voraussetzungslos überlegen, wie sie sich nun konkret verhalten sollen und wollen. Es gibt akzeptierte Verhaltensmuster, derer man sich in wiederkehrenden Situationen zwanglos bedienen kann und wird – so auch mit Bezug auf Archive und Archivalien. Das soll hier als ,,Archivpraktiken“ bezeichnet werden. Mit diesem Begriff werden Sets von Handlungsschemata bezeichnet, die Menschen anwenden können (oder müssen), wenn sie mit Archiven zu tun haben (wollen). Er meint also archivbezogene Handlungsmuster, die subjektiv plausibel erscheinen und soziale Erwartungen zumindest von bestimmten Gruppen erfüllten. Dabei macht das besonders deutliche Beispiel von Adrien Alexandres Archivraub 1682 schlaglichtartig klar, dass es in der europäischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit vielfältige und konkurrierende Vorstellungen davon gab, wie man mit Archiven umgehen könne. Neben solchen kriminellen kann man etwa gelehrte und politische Archivpraktiken differenzieren, jeweils noch einmal mit verschiedenen, oft auch widersprüchlichen Ausprägungen. In dem Maße, in dem Archive beständig neue geographische, soziale und funktionale Kontexte erreichten, pluralisierten sich auch die Praktiken, mit denen Menschen auf diese Einrichtungen reagierten. Archive haben demnach nicht einfach eine vorgegebene Funktion, etwa als Wissensort, sondern sie werden von individuellen Nutzern jeweils neu ,,aktiviert“. Das schließt bekannte Benutzungsformen und traditionelle Nutzer (Minister, Archivare und Historiker) ausdrücklich mit ein, geht aber über diese Gruppen und ihre Ziele hinaus: auch Kriminelle wie Adrien Alexandre gebrauchen Archive. Alle Akteure, die in, mit und durch Archive handeln, verfolgen dabei jeweils eigene Ziele. Archivgeschichte ist deshalb immer auch eine Rekonstruktion von Konflikten über die (Be-)Deutung von Archiven. Dabei ist der Blick auf die unterschiedlichen Hoffnungen, die auf Archive projiziert wurden, von großer Wichtigkeit, gibt er doch Aufschluss über die Vielfalt an Bedeutungen, die man Archiven zuschrieb. Und genau in der Tatsache, dass es viele und obendrein konkurrierende Konzeptionen von Archiven gab (und gibt) – vom Minister über den Archivar zum Dieb –, wird deutlich, dass und wie das Archivieren auf breiter Basis Eingang in die europäische Kultur gefunden hat.
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Forschungstraditionen
Archive sind bisher, so kann man mit Philippe Artières festhalten, übersehene Forschungsgegenstände der Geschichtswissenschaft. Ihr Erfolg, so scheint es, war so groß, dass sie als selbstverständlich erscheinen und angesichts dessen fast aus dem Bewusstsein verschwinden. Das Schweigen der Geschichtswissenschaft zum Thema Archive wird umso deutlicher, wenn man auf das rasante Anwachsen von Forschungsarbeiten zu den beiden anderen großen frühneuzeitlichen Institutionen des Sammelns und Verwahrens von Wissen blickt: Bibliotheken und Museen, die gewissermaßen Vater und Bruder des Archivs sind, werden seit längerem intensiv und methodisch avanciert untersucht. Bibliotheken haben große Aufmerksamkeit erfahren, nicht zuletzt im Kontext von sozialhistorischen Arbeiten zu Buchbesitz, Lesefähigkeit und sozialer Verbreitung von Wissen. Die Forschung zu frühneuzeitlichen Museen und Kunst- oder Naturkundesammlungen ist nicht weniger vielfältig. Auch die Laboratorien und andere naturwissenschaftliche Forschungseinrichtungen wie Observatorien erfreuen sich großer Aufmerksamkeit durch eine methodisch erneuerte und kulturwissenschaftlich inspirierte Wissenschaftsgeschichte. Für Archive gilt das jedoch nicht. Cornelia Vismanns wegweisende Studie über ,,Akten. Medientechnik und Recht“ blieb ein Einzelfall und geht auf den Alltag im Archiv auch nur am Rande ein. Michael Clanchys berühmte Studie zur Schriftlichkeit im England des Hochmittelalters wurde zwar stark rezipiert, doch auch dort stehen die Archive nicht im Zentrum. Das Anliegen des hier vorliegenden Buches ist es angesichts dessen auch, die Archive als zentrale Orte einer europäischen Wissensgeschichte bekannt zu machen und den anderen Institutionen an die Seite zu stellen. Dabei ist es nicht so, dass es an Arbeiten über die Geschichte von Archiven grundsätzlich mangelt. Im Gegenteil, über praktisch jedes Archiv, das heute noch besteht, ist geschrieben worden. Häufig dominiert dabei allerdings ein positivistischer Zugang. Institutionelle Entwicklungen, wichtige Persönlichkeiten und das Wachstum der Bestände sind bevorzugte Themen. Vieles davon ist als Festschriften- und Gelegenheitsliteratur entstanden. Manche Archive haben in diesem Geist umfassende Gesamtdarstellungen erhalten. Auch die modernen Findbücher vieler Einrichtungen enthalten oft Abrisse, die erklären, wann das betreffende Archiv von wem gegründet wurde und welche Dokumente wann von wem in welcher Weise an das betreffende Archiv gelangten und 19
deshalb heute dort einsehbar sind. Archivgeschichte, verstanden als Geschichte der Überlieferungsbildung, gehört in diesem Sinne zu den Grundlagen jeglicher (historiographischen) Archivbenutzung. Doch über solche einzelfallbezogene Herangehensweisen ist die bisherige Geschichte der Archive nicht grundsätzlich hinausgekommen. Selbst wenn man schrille Töne, die den Sinn einer Archivgeschichte gänzlich abstreiten, einmal überhört , so kann man sich doch der Einschätzung von Wilfried Reininghaus nur anschließen, der Archivgeschichte als ,,untergründige Subdisziplin“ bezeichnet hat – sofern man den bisherigen Bemühungen überhaupt den Status einer ,Disziplin‘ zugestehen mag. Es sind nach wie vor in erster Linie Archivare, die sich mit der Geschichte und Entwicklung ihrer Einrichtungen beschäftigen. Von Ausnahmen, die gleich noch zu erwähnen sind, einmal abgesehen, wird in solchen Untersuchungen die Geschichte der Archive häufig vor dem Hintergrund jenes Archivverständnisses betrachtet, das die Archivwissenschaft seit dem 19. Jahrhundert entwickelt hat und das bis heute die Handbücher prägt. Dieser Blick auf Archive, der von einer systematisch archivwissenschaftlichen Verstehensweise geprägt ist, hat für die Forschung zur Archivgeschichte entscheidende Konsequenzen. Nicht nur wurde dadurch ein normativer Archivbegriff häufig allzu leichtfertig auf frühere Episoden des Archivierens zurückprojiziert, die dann notgedrungen als lediglich unvollkommene ,,Vorstufen“ späterer Entwicklungen erscheinen mussten. Hinzu kam, dass die verständliche, aber enge Fixierung dieser Arbeiten auf Bestände (,,Archivgut“), Persönlichkeiten und Institutionen oft dazu führte, dass die Frage nach dem Platz der Archive in der Kultur und Gesellschaft nicht immer angemessen gestellt wurde. Wo historisch kontextualisierende Zugriffe auf Archivgeschichte versucht werden, bleibt die Erforschung organisierter Schriftlichkeitsaufbewahrung meist an verwaltungsgeschichtliche Perspektiven gebunden. In dieser Hinsicht wirken bis heute die grundlegenden Arbeiten von Peter Rück, Axel Behne und Diego de Rodriguez prägend. Diese Autoren haben die Logik der Archiventwicklung in Savoyen, Mantua und Spanien an eine dynamisierte Verlaufsgeschichte von Staats- und Behördenentstehung angebunden und dadurch die einzelnen Schritte und Etappen der Archivgeschichte plausibel historisiert. Auch zu mittelalterlichen Archiven der katholischen Orden sind in jüngster Zeit Arbeiten entstanden, die den Aufschwung des monastischen Archivwesens ab etwa 1200 mit der Ausbreitung von neuen Institutionen und dem Entstehen neuer Herrschaftsvorstellungen verbinden. In all diesen Arbeiten 20
wirkt das Erbe der Soziologie Max Webers fort, der am Beginn des 20. Jahrhunderts auf den Zusammenhang von Schriftlichkeit, Bürokratie und Institutionenbildung hingewiesen hat. Das Archiv bleibt in dieser einflussreichen Blickrichtung bis heute fast ausschließlich von den Behörden her gedacht. Archive werden als Indizien und Motoren von sozialer Rationalisierung und administrativer Effizienzsteigerung gedeutet. Doch die Frage danach, wieso Archive die Aufmerksamkeit der Menschen erlangten, lässt sich nicht allein durch Hinweis auf abstrakte Prozesse wie Staatsbildung oder Bürokratisierung erklären. Das genuine und präzise kalkulierende Archivinteresse Adrien Alexandres und seiner Komplizen bleibt einer solchen Betrachtungsweise unzugänglich. Der Platz der Archive in der Geschichte von Bürokratie und Staatsbildung war komplizierter als häufig angenommen und die Geschichte der Archive geht in dieser Perspektive auch nicht auf. Dieses Buch nimmt darum einerseits die etablierte verwaltungs- und herrschaftsgeschichtliche Deutung der Archive ernst. Andererseits gilt es jedoch, diese bekannte Erzählung einzubetten in einen breiteren kulturhistorischen Ansatz. Erst dadurch kann Archivgeschichte ihre bisherige Isolation überwinden und an allgemeinere Fragestellungen der aktuellen Geschichtswissenschaft angeschlossen werden.
Der kulturwissenschaftliche ,archival turn‘ Die insgesamt zurückhaltende bis skeptische Bilanz der bisherigen Forschung zur Geschichte der Archive mag vielleicht erstaunen, wurde doch erst kürzlich diagnostiziert, dass die Kulturwissenschaften schon seit einigen Jahren einen regelrechten ,,archival turn“ erlebten. Und in der Tat, es ist nicht zu übersehen, dass das Archiv in letzter Zeit auf neue Weise Beachtung findet. Die Funktion, Struktur und Leistung des Archivs als ,,Gedächtnisort“ wird mittlerweile intensiv diskutiert. In zwei vielfach zitierten Büchern haben Natalie Davis und Arlette Farge 1987 und 1989 fast zeitgleich betont, dass die Historiker irren, wenn sie allzu naiv ihre Archive bloß als Speicher von objektiven Fakten über die Vergangenheit auffassen. Heute gilt das Archiv demgegenüber als eine kreative Kulturtechnik, die das Gedächtnis formt und insofern Geschichtsschreibung ermöglicht, aber auch konditioniert. Archive, so sagt man, erschaffen Dokumente und Vergangenheit. Sie haben einen prägenden Einfluss nicht nur auf den Inhalt, sondern insbesondere auch 21
auf die Form und Funktion des europäischen Vergangenheitsbezugs. Wolfgang Ernst fasst dies in der Formel zusammen, dass ,,Geschichte nicht vorliegt, sondern im Medium des Archivs erst hergestellt wird“. Im Anschluss an diese Einsicht wird dann häufig nach den sozialen Konsequenzen dieser konstruktiven, aber notwendigerweise auch verzerrenden Archivkultur gefragt. Häufig werden Archive dabei als prägende Stützen hegemonialer Geschichtsbilder entlarvt, sie gelten als Strukturen diskursiver Macht oder gar als Instrumente von Repression. Bei der Frage, wie man ehemals unterdrückten Menschen eine Stimme in der Geschichte geben könnte, spielt die kritische Hinterfragung der Archive als gedächtniserzeugende Institutionen darum eine wesentliche Rolle – das gilt etwa mit Blick auf die Vergangenheit des europäischen Kolonialismus genauso wie mit Blick auf die Aufarbeitung der südafrikanischen Apartheid. In vielen dieser Arbeiten wird die Bedeutung des Wortes ,,Archiv“ erheblich ausgeweitet. Neben das ,,Archiv als Institution“ der Historiker und Archivare tritt das ,,Archiv als Begriff “ der Philosophen. Wegweisend dafür war Michel Foucaults neuartiger Gebrauch von ,,Archiv“ aus dem Jahr 1969. Er bezeichnete das Archiv als das ,,Gesetz dessen, was gesagt werden kann, das System, das das Erscheinen der Aussagen als einzelner Ereignisse beherrscht“. Damit machte Foucault das ,,Archiv“ zum ,,vorgängigen Raster von Wirklichkeit“. Angeregt durch diese kulturtheoretische Fundamentalisierung kommt es seither zu einer starken metaphorischen Aufladung. Weit vorangetrieben hat dieses erweiterte Archivverständnis der 1995 erschienene Essay von Jacques Derrida über das ,,Archivübel“. Dort verbinden sich Überlegungen zum Archiv als Aufbewahrungsort von Schriftstücken mit einer Reflexion auf die Grundlagen der Psychoanalyse und auf das ihr zugrunde liegende ,,unbewusste Archiv“. Unter dem Stichwort ,,Archiv“ werden die Dialektik von Erinnern und Verdrängen sowie die (kulturelle) Verlustangst als Grundfragen der Theorie Sigmund Freuds thematisiert. Zugleich betont die kulturwissenschaftliche Archivtheorie heute den engen Zusammenhang zwischen Archiv und Innovation, zwischen Vergangenheitspflege und Zukunftsgestaltung. In jüngsten Überlegungen Maurizio Ferraris zur ,,Dokumentalität“ menschlicher Gesellschaft scheint das Archiv ebenfalls im Hintergrund zu stehen. Ferraris entwickelt unter diesem Stichwort eine Philosophie des Dokuments und der Bürokratie, die für ihn eine soziale Grundlagenfunktion erfüllen: ,,Wir können ohne Bürokratie nicht leben“. Dokumente – insbesondere adminstrativer und juristischer Art – objektivieren soziale 22
Beziehungen und schaffen dadurch die ,,sozialen Objekte“ unserer alltäglichen Welt (Ehe, Schulden, Gemeinschaften). Ferraris hält dabei gerade die Erzeugung von Dauerhauftigkeit für entscheidend, die durch schriftliche Aufzeichnung erreicht wird – doch dass die Dauerhaftigkeit von Schrift ganz entscheidend eine Leistung des Archivs ist, wird bestenfalls en passant notiert, aber nicht näher behandelt. Das Archiv als Institution der Aufbewahrung, Verfügbarmachung und damit der Perpetuierung von Dokumenten und sozialen Objekten ist bei Ferraris zentral vorausgesetzt, aber zugleich analytisch ausgeblendet und auf keinen Fall als historischer Gegenstand thematisiert. Konkrete Archive spielen bei diesen Überlegungen meist kaum eine Rolle. Vielleicht wurden diese Anregungen zu einer neuen Wissenschaft vom Archiv in kulturtheoretischer Absicht (,,Archivologie“) bisher deshalb nicht zum Fanal für eine neue Archivgeschichte. Nur selten wird jedenfalls versucht, diese Ideen mit einer empirisch fundierten Einbettung konkreter Archive in ihre historischen Kontexte zu verbinden. Die wachsende Aufmerksamkeit für das ,,Archiv“ kreist vielmehr in der einen oder anderen Weise meist um seine Bedeutung für die aktuelle Gegenwart. Kulturwissenschaftliches Archivinteresse dient letztlich der kritischen Reflexion auf die Verfassung der eigenen Jetztzeit – sei es ihrer medialen, psychischen, hegemonialen oder vergangenheitsbezogenen Strukturen. Als historische Objekte gelangen konkrete Archive dabei kaum in den Blick.
Warum Frühe Neuzeit? Epochen der Archivgeschichte Mit guten Gründen könnte man behaupten, die Archivgeschichte habe keinen eigentlichen Anfang, da das Sammeln von Überlieferung in gewisser Weise zu allen Kulturen dazugehört. Tatsächlich hatten bereits die ältesten Kulturen, von denen wir schriftliche Aufzeichnungen besitzen, Archive. Gut organisierte Depots waren nach Berichten aus der antiken Literatur und gemäß moderner archäologischer Funde beispielsweise schon ein Bestandteil vorderasiatischer Kulturen und spielten auch in den griechischen und römischen Gemeinwesen des Mittelmeerraums eine wichtige Rolle. Die nach-antike Periode der europäischen Archivgeschichte wird in der Forschung in mehrere Abschnitte eingeteilt. Große Archivare des 23
20. Jahrhunderts wie Eugenio Casanova, Adolf Brennecke, Leopoldo Sandri, Elio Lodolini oder Robert-Henri Bautier haben Modelle der europäischen Archivgeschichte entwickelt. Besonders die italienischen Autoren bevorzugen eine Einteilung, die erst in der zweiten Hälfte der Frühen Neuzeit eine fundamentale Änderung sieht. Die Kontinuität bis zu diesem Zeitpunkt liege darin begründet, dass seit der Antike Archive weitestgehend nur für administrativ-juristische Zwecke gedacht gewesen seien. Die Zeit danach, insbesondere seit dem 19. Jahrhundert, sei dagegen durch das geschichtswissenschaftliche Interesse an Archiven geprägt. Für Sandri und Lodolini differenziert sich die ganze Archivgeschichte entlang der Frage, welche der beiden Nutzungsformen dominierte. José Luis Rodriguez de Diego hat diese Perspektive im Grunde genommen weitergeführt und dabei lediglich den nicht-historischen Gebrauch von Archiven noch einmal präziser untergliedert in einen ,,machtbezogenen“ und einen ,,administrativen“ Aspekt. Bautier dagegen hat versucht, die Archivgeschichte durch Unterscheidung von Archivtypen in Perioden einzuteilen. Er nennt ,,Palastarchive“, ,,Urkundenschätze“, ,,Staatsarchive“ und ,,historische Archive“, die er der Antike, dem Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert, dem Zeitalter des Absolutismus und der Gegenwart zuordnet. Keine dieser Strukturierungen der Archivgeschichte ist völlig hinreichend. Dass eine klare funktionale Trennung der Archivbenutzung in politisch-administrativ-juristische und historiographische Aufgaben möglich ist und als Basis einer historischen Periodisierungen dienen kann, wird sich im weiteren Verlauf häufig als fraglich erweisen. Genauso wenig überzeugend ist Bautiers Charakterisierung der Frühen Neuzeit an Hand der Einrichtung von zentralen Staatsarchiven (Simancas, Vatikanisches Archiv). Völlig ausgeblendet bleibt dabei beispielsweise die Frage, wie der Aufschwung privater und die Fortdauer kirchlicher Überlieferungssicherung gedeutet und bewertet werden soll. Überzeugender ist dagegen der Hinweis, die Zeit nach dem ausgehenden 16. Jahrhundert sei deshalb ein erkennbarer, neuer Abschnitt der europäischen Archivgeschichte, weil nun erstmals (gedruckte) systematische Traktate über das Archivieren, seine Schwierigkeiten, Voraussetzungen und Erfolgschancen veröffentlicht wurden. Die Geschichte der Archivwissenschaft, also die Untersuchung der historischen Herausbildung einer expliziten Reflexion über Archive und ihr Funktionieren, kann mit dem Erscheinen zahlreicher lateinischer, italienischer, französischer und deutscher Traktate seit 1571 relativ präzise eine deutliche Veränderung diagnostizieren. Das selbstreflexive Nachdenken von 24
Archivverwaltern und -benutzern über die zur Gewohnheit werdende Praxis begann zwar lange vor dem Erscheinen der ersten gedruckten Traktate. Doch soweit bekannt, finden sich vor den gedruckten Werken der Frühen Neuzeit keine ausgearbeiteten, eigenständigen Abhandlungen zu den Archiven. Seither dagegen, wie in einem der folgenden Kapitel ausführlich zu sehen sein wird, spielten Archive sowohl als Gegenstand einer eigenen Theorie als auch im Kontext vieler anderer Wissenschaften eine große Rolle. Das Bedürfnis, in allgemeiner Weise über Archive und Archivpraktiken nachzudenken und zu schreiben, scheint erst die Frühe Neuzeit zu prägen. Das Interesse an einer verstärkten und zusehends auch expliziteren Selbstreflexion dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass sich Archive erst in der Frühen Neuzeit wirklich flächendeckend ausbreiteten. Der besondere Charakter der archivgeschichtlichen Periode seit dem 16. Jahrhundert liegt auch darin begründet, dass Archive omnipräsent wurden. Archive und Akten wurden zu einem schlechterdings unübersehbaren Bestandteil des Alltags vieler Menschen. Die europäische Archivkultur verließ die Höfe, Klöster und städtischen Verwaltungen und erreichte bald auch die letzten Winkel des Raums und alle sozialen Schichten. Selbst Hausangestellte wie Marconnes oder Manoux, die nicht zu den gebildeten oder wohlhabenden Bevölkerungsgruppen gehörten, wussten um Archive. Archive wurden zu einer unausweichlichen, alltäglichen Realität. Sie drängten sich in nie zuvor da gewesener Weise in das Leben der Menschen und ihre sozialen Praktiken hinein – räumlich, mental, sozial, institutionell. Diese quantitative Ausweitung des Archivwesens musste qualitative Folgen haben. Die Vorstellung von der Schützbarkeit und Schutzwürdigkeit des Schriftguts wurde zu einem allgemein geteilten Element abendländischer Kultur. Die Gepflogenheit, ,,unveränderte intakte Originaldokumente“ aufzubewahren und zur Einsichtnahme vorzuhalten, wurde in vielen sozialen Kreisen des frühneuzeitlichen Europas zu einer Art Leidenschaft, zu einer unhinterfragten Praxis, wie Ann Blair jüngst betont hat – die Entwicklung der Archive hat auch in der europäischen Mentalitätsgeschichte ihre Spuren hinterlassen. Das Wissen um die Speicherbarkeit und um das tatsächliche Gespeichert-Sein großer Teile der Vergangenheit imprägnierte zusehends die Alltagsbeziehungen auch einfacher Menschen. Die Einsicht, dass das Fortdauern von Schriftlichkeit einerseits in häufig chaotischer Weise vom bloßen ,,Überlieferungszufall“ abhängt, dass aber andererseits die ,,Überlieferungschance“ jedes Dokuments durch gezielte Strategien der Archivierung verbessert werden 25
konnte, setzte sich in Europa in der Frühen Neuzeit mehr oder weniger flächendeckend fest. Erst durch die rasante räumliche und soziale Verbreitung der Archive seit dem Ausgang des Mittelalters wurde die europäische Kultur durch und durch archivisch.
Zu diesem Buch Die folgenden Kapitel versuchen das Versprechen einer praxisbezogenen Archivgeschichte einlösen. Das Buch möchte die wachsende und stets vielfältige, teilweise auch ambivalente oder gar widersprüchliche Bedeutung der Archive für die europäische Kultur der Frühen Neuzeit darstellen. Damit soll nicht gesagt sein, dass Archive etwas ausschließlich Europäisches wären, im Gegenteil: Asiatische Gemeinwesen etwa in China oder Korea entwickelten zeitgleich mit oder sogar vor dem europäischen Aufschwung der Archive ebenfalls sehr ausgefeilte Praktiken der Dokumentaufbewahrung. Ein Vergleich der europäischen Entwicklung mit solchen Archivgeschichten in Asien und anderswo wäre deshalb unbedingt wünschenswert, ist aber momentan noch kaum zu verwirklichen. Das Buch geht von der Überzeugung aus, dass die europäische Archivkultur nationale oder regionale Differenzierungen überwölbte. Das soll im Folgenden allerdings nicht in Form eines enzyklopädischen Überblicks belegt werden. Ziel ist vielmehr eine exemplarische Vorstellung struktureller Aspekte der europäischen Archivkultur, wobei ein gewisser Schwerpunkt auf Frankreich und Deutschland liegen wird. Dabei werden auch die großen und berühmten Archive behandelt, doch berücksichtigt die Erzählung gerade die kleinen und mittleren Archivbildner. Einen beträchtlichen Raum nimmt die Präsentation und Analyse von Einzelepisoden ein, eingedenk der schon begründeten Überzeugung, dass eine Archivgeschichte besonders auf die individuellen Anverwandlungen von Archiven an bestimmte Aufgaben und Kontexte Acht geben sollte. Archivgeschichte wird hier also insbesondere durch Archivgeschichten erzählt werden. Vorneweg steht ein knapper Prolog, der als historische Hinführung gedacht ist. Hier wird das Anwachsen der pragmatischen Schriftlichkeit Europas seit dem hohen Mittelalter in kurzen Zügen vorgestellt, denn ohne eine vermehrte Produktion von Dokumenten hätten die Archive kaum ihre neue Bedeutsamkeit erlangen können. Im Abschnitt über 26
das Gründen soll dann die Ausbreitung und Institutionalisierung der Archive seit dem Mittelalter skizziert werden. Es werden wichtige Akteure und Entwicklungen des europäischen Archivwesens geschildert. Es folgt ein Kapitel über Projektionen, das klären möchte, im Rahmen welcher mentalen, intellektuellen und metaphorischen Denkhorizonte über Archive nachgedacht wurde. In der nächsten Sektion, Menschen, sollen die Bewohner des Archivs vorgestellt werden. Denn obwohl die Rede von ,,dem Archiv“ meist eine unpersönliche, verdinglichte Institution suggeriert, waren die Schriftlichkeitsdepots doch in höchstem Maße soziale Arenen. Menschen machten Archive zu dem, was sie waren; doch auch das Umgekehrte gilt: Archive formten Menschen, die mit ihnen in Berührung kamen. Die Räume des Archivs sind anschließend zu behandeln, denn bei Archiven handelte es sich nicht zuletzt um Gebäude, Zimmer und Möbel und bei Akten um häufig ziemlich unhandliche und verletzliche Objekte. Diese materielle und physische Dimension der Archivgeschichte spielt in diesem Buch generell eine große Rolle, denn soziale Bedeutung konstituiert sich in einer praxeologischen Perspektive gerade auch durch körperliche und räumliche Interaktionen. Es folgen abschließend zwei Kapitel, die besonders wichtige, geradezu klassische Bereiche der Archivbenutzung auf neue Weise behandeln: Der sechste Abschnitt thematisiert die Rolle der Archive als Grundlagen von und Ressourcen für Macht, Herrschaft und Politik. Im siebten Kapitel wird die Verwendung von Archiven in der Geschichtsschreibung und die Transformation von Archivalien in historische und genealogische Quellen behandelt, die mit dem Aufschwung der Archive seit dem 16. Jahrhundert ebenfalls eine neuartige Popularität erlangte. Gerade diese beiden Kapitel werden nicht nur die Leistungen der Archive als politische und historische Wissensorte darstellen, sondern einen besonderen Schwerpunkt auf die Schwierigkeiten, Unvollkommenheiten und Grenzen jeder Ausbeutung der Archive legen. Denn es war kompliziert und anspruchsvoll, Wissen aus Archiven zu erzeugen. Das Buch kann deshalb auch als Plädoyer dafür gelesen werden, die Leistungsgrenzen und Dysfunktionalitäten von Archiven viel stärker als bisher in die Archivgeschichte miteinzubeziehen. Ein Epilog deutet an, in welcher Weise das Archiv als genuin vormodernes Phänomen auch über die vermeintliche Epochenschwelle 1800 hinweg die Wissenskultur Europas seither prägt. Insgesamt ist die Darstellung von der Absicht getragen, die Vielfalt und Gegensätzlichkeit der Funktionen und Bedeutungen aufzuzeigen, die Archive für die Menschen der Frühen Neuzeit hatten. Archive 27
waren in ihren Funktionen und Konsequenzen sehr ambivalente Einrichtungen, deren Leistungen und Schwächen immer von konkreten, situativen Handlungskontexten und Benutzungspraktiken abhingen. Archive waren offene Institutionen, denen man sich mit unterschiedlichen Zielen nähern konnte und deren Existenz viele unbeabsichtigte, kollaterale Effekte hatte. Die Archivgeschichte Europas soll hier darum auch als eine Geschichte von Ungereimtheiten, von enttäuschten Hoffnungen und Umfunktionierungen, von alternativen Gebrauchsweisen und von Benutzungsschwierigkeiten präsentiert werden. Gerade in der unkontrollierbaren Ambivalenz liegt die Faszination dieser kulturellen Infrastruktur.
Anmerkungen
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AN P 2618, unfol., enthält das umfangreiche Gerichtsprotokoll zu diesem Fall. Hieraus alles Weitere. Vgl. z. B. Bouza: Corre, S. 39f. Ozanam: Le Palais. Loyseau: Traité, S. 287. Goutal-Arnal: Le Palais marchand. Vivo: Information, S. 49–53. Ago: Il gusto delle cose. Vgl. a. Didi-Huberman/Ebeling: Das Archiv brennt, S. 44–48. Exemplarisch Shapin/Ophir: The Place of Knowledge. Steedman: Dust. Dafür gibt es kaum Vorbilder, vgl. immerhin Wunschel: Die markgräflichen Archivare. Andermann: Archivbenutzung. Filippini: Memoria. Für den Bereich der Bürokratie, wenngleich ohne Interesse an Archiven, Sarmant/Stoll: Régner et gouverner. Verteidigt z. B. explizit bei Papritz: Archivwissenschaft, I S. 85–87, II S. 143f., 152f. Baldwin: The government, S. 412. Reichardt: Praxeologische Geschichtswissenschaft, S. 48. ,,Activations of the record“ ist der Begriff von Ketelaar: Records out, S. 203. Artières: Histoire d’Archives, S. 126. Vgl. exemplarisch Chartier: Order of Books. Als Überblicke Findlen: The Museum. Dies.: Possessing nature. Shapin: Scientific Revolution, bietet eine Einführung in diese aktuellen Forschungen. Vismann: Akten. Clanchy: From memory to written record. Noch bei Hochedlinger: Österreichische Archivgeschichte, dominiert die institutionenbezogene Perspektive. Vgl. z. B. die beiden hervorragenden Arbeiten Baschet: Histoire. Tröger: Die Archive. Vgl. kritisch zu dieser beschränkten Form von Archivgeschichte auch Sandri: La storia, S. 102.
In diese Richtung argumentiert etwa Behne: Geschichte aufbewahren, S. 286f. Vgl. einige erstaunliche Zitate aus dem amerikanischen Kontext noch aus den späten 1980er Jahren bei O’Toole: The Symbolic Significance of Archives, S. 235. Reininghaus: Archivgeschichte. Vgl. a. McCrank: Documenting Reconquest, S. 257. Z. B. Rück: Zur Diskussion. Behne: Mantua. Rodríguez Diego: Archivios de poder. Ders.: Estudio. Das gilt auch für Irace/Bartoli Langeli: Archivi. Jetzt auch monumental Grebe: Simancas. Barret: La mémoire. Goez: Pragmatische Schriftlichkeit. So auch O’Toole: The Symbolic Significance of Archives. Stoler: Archival grain, S. 44–47 und passim. Ernst: Gedächtnisort. Davis: Fiction in the Archive. Farge: Goût. Ernst: Im Namen von Geschichte, S. 553–756 (Zitat 554). Vgl. a. Derrida: Dem Archiv verschrieben, S. 100. Didi-Huberman/Ebeling: Das Archiv brennt, S. 20, mit ausführlichem Zitat von Farge: Goût. Vgl. exemplarisch Stoler: Archival grain. Hamilton (Hg.): Refiguring. Didi-Huberman/Ebeling: Das Archiv brennt, S. 36. Ernst: Rumoren, S. 24, auch zitiert bei Didi-Huberman/Ebeling: Das Archiv brennt, S. 57. Die entscheidende, eben zitierte Stelle, ist Foucault: Archäologie, S. 187. Vgl. in praktischer Anwendung Netzloff: Speed. Csendes: Metaphern für Archive. Manoff: Theories. Ernst: Rumoren, S. 18–20 und passim zum stark metaphorischen Archivbegriff Foucaults. Derrida: Dem Archiv verschrieben. Der Begriff ,,unbewusstes Archiv“ bei Didi-Huberman/Ebeling: Das Archiv brennt, S. 19. Hilfreiche Erläuterungen zu Derrida bei Bell: Infinite Archives. V.a. Groys: Über das Neue. Vgl. ferner Didi-Huberman/Ebeling: Das Archiv brennt, S. 56f. Derrida: Dem Archiv verschrieben, S. 123 und passim. Ferraris: Documentality. Das Bürokratiezitat ebd., S. 32. Zum Begriff z. B. Ebeling/Günzel (Hg.): Archivologie. Vgl. immerhin z. B. Netzloff: Speed, passim. Posner: Archives in the Ancient World. Bautier: Histoire des Archives, S. 1121– 1125. Hierzu und generell zur neuen Forschung vgl. Brosius (Hg.): Archives. Vgl. den Überblick bei Zozaya Montes: Una Revisión. Dort auch hilfreiche kritische Bemerkungen. Vgl. mit ähnlicher Interpretation hierzu auch McCrank: Documenting Reconquest, S. 259 Anm 6. Die Kontinuität zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit betont auch Pitz: Osnabrück, I, S. 59f. Lodolini: Lineamenti. Sandri: La storia. de Rodríguez Diego: Archivos del Poder. Bautier: La phase cruciale. Blair: Too much to know, S. 6, 44f., und passim. Youn: Korea, betont, das sei in Korea in dieser Form nicht der Fall gewesen. Dort das Zitat. Zur Begrifflichkeit Esch: Überlieferungs-Chance. Hinweise z. B. in Beasley/Pulleyblank (Hg.): Historians. Youn: Korea. Zhang: Chinese Imperial Archives.
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Schreiben Das Füllen von Archiven: Ein Prolog
Ohne schriftliche Dokumente, ohne geschriebene Texte gibt es nichts zu archivieren. Archive sind, zumindest im vormodernen Europa, praktisch ausschließlich und ganz selbstverständlich an Verschriftungsakte gebunden. Ohne einen Blick auf die Geschichte der Schriftbenutzung in Europa ist die Rolle und Bedeutung der Archive deshalb nicht zu verstehen. Allerdings, und dies ist gegen eine häufig allzu schnell gemachte Unterstellung gleich hier festzuhalten, bedeuteten Verschriftlichung und Archivierung nicht dasselbe. Zwischen beiden herrschte seit jeher ein komplexes und durchaus spannungsvolles Verhältnis. Wenn das Aufblühen der Archive eine Hinwendung zur Schrift voraussetzte, so gilt das Verhältnis doch nicht mit der gleichen kausalen Notwendigkeit in umgekehrter Richtung. Denn Schriftlichkeit hieß in Europa seit dem Spätmittelalter auch, dass es in manchen Bereichen dezidiert auf Archivierung von Dokumenten verzichtete. Europa erfand viele ausdrücklich nicht-archivwürdige Formen von Textdokumenten, ohne deren Einsatz viele Aspekte abendländischer Kultur unverständlich blieben: Schmierpapier, Einkaufslisten, Konzepte und Notizzettel. Bernhard Siegert hat in diesem Zusammenhang sogar davon gesprochen, es sei gerade ein situativ-vergänglicher, ,,bürologischer“ Schrift- und Papiergebrauch, der Europa seit der Frühen Neuzeit, seit der Erfindung des Büros, prägte. Dies gilt es immer mit im Blick zu behalten: Von Anfang an war die europäische Archivkultur auch auf Selektion gegründet. Doch neben diesen schriftlichen Wegwerfprodukten wurden in Europa zusehends enorme Mengen von Dokumenten produziert, deren Aufbewahrung als notwendig erachtet wurde. Sie gelangten in die Archive.
Die Anfänge einer pragmatischen Schriftlichkeitskultur Überall in Europa ist nach der ersten Jahrtausendwende festzustellen, dass der Gebrauch und die Produktion von Schriftlichkeit rasant zunahmen. Europa sah damals eine quantitative und qualitative, geographische und funktionale Ausweitung von Schriftlichkeit enormen 31
Ausmaßes. Das betraf auch Bereiche, die nicht unmittelbar in eine Geschichte der Archivkultur gehören, etwa die zunehmende Produktion von liturgischen Handschriften und von enzyklopädischem Schrifttum, von Bibelkonkordanzen, Dichtung, Philosophie und Universitätsschrifttum. Doch daneben war insbesondere die Intensivierung der ,,pragmatischen Schriftlichkeit“, also von nicht-literarischen und nichtreligiösen Formen des Schriftgebrauchs zur Führung von Geschäften, von überragender Bedeutung. Immer wieder hatte es auch vorher schon Phasen einer intensivierten Schriftlichkeit gegeben, etwa zur Zeit der Karolinger. Das antike Erbe hatte sich auch über die vermeintlichen ,,dark ages“ der Völkerwanderung hinweg Residuen von Schriftlichkeit und Dokumentpflege geschaffen, auf die man sich später auch emphatisch und produktiv zurückbesann. Doch Historiker haben mittlerweile für den Übergang vom hohen zum späten Mittelalter (ca. 1200) ganz eindeutig einen relativ abrupten quantitativen Anstieg und, mindestens genauso wichtig, auch die Einführung vieler neuer Formen von pragmatischer Schriftlichkeit diagnostiziert. Ob man auf das Papsttum und seine Pergamente schaut, auf die Könige von Frankreich oder England, die Herzöge von Barcelona – überall beschleunigte sich das Wachstum schreiberischer Aktivitäten. Urkunden – also Schriftstücke zur Dokumentation rechtlich fixierter Sozialbeziehungen – wurden seit dem 12. Jahrhundert in ungeahnter Zahl hergestellt. Während aus der Zeit vor der hier skizzierten Intensivierung von Schriftverwendung meist nur einige Einzelstücke überliefert sind, ist beispielsweise die Masse an päpstlichen Urkunden bereits im Spätmittelalter nicht mehr zu überblicken. Während Innozenz III. (reg. 1198–1215) jährlich durchschnittlich 303 Urkunden erließ, waren es unter Bonifaz VIII. (reg. 1294–1303) durchschnittlich 50.000 Urkunden pro Jahr. Für den Zeitraum von 1471 bis 1521 kalkuliert Thomas Frenz, dass etwa 1,5 Millionen Urkunden ausgestellt wurden. Für England geht Michael Clanchy schon im 13. Jahrhundert von etwa 8 Millionen Urkunden allein auf der Ebene der Dörfer aus. Hinzu kamen hunderttausende von Dokumenten der Bischöfe, Adeligen und Könige. Juristische Tatbestände, so hielten Schreiber ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in den Urkunden selbst immer häufiger fest, seien nur in verschriftlichter Form dauerhaft erinnerbar. Das europäische Rechtsgedächtnis begann, sich selbst als schriftliches zu begreifen: ,,Alles, was entschieden wird, wird kaum oder gar nicht gedächtnismäßig behalten, wenn es nicht schriftlich aufgezeichnet wird“, 32
so hielt eine aragonesische Urkunde schon 1198 den zeitgenössischen Konsens lapidar fest. Diese Explosion von Schriftlichkeit war weder eine historische Notwendigkeit noch selbstverständlich. Sie beruhte vielmehr auf bestimmten, sehr komplexen materiellen und sozialgeschichtlichen Voraussetzungen. Die ,,Papierrevolution“, das Vertrautwerden Europas mit der Papierherstellung, spielte eine wichtige Rolle, da nun ein billigerer Beschreibstoff als Pergament zur Verfügung stand. Die Universitäten bildeten seit dem 12. Jahrhundert Personal aus, das in den Techniken der Schriftlichkeit und des schriftbasierten Argumentierens geschult war. Allerdings waren diese materiellen und sozialgeschichtlichen Veränderungen nicht nur Voraussetzung, sondern auch Folge intensivierter Schriftlichkeitsnutzung. Die Hinwendung zu Papier genauso wie die Gründung von Universitäten beförderten die Plausibilität und Selbstverständlichkeit des Schriftgebrauchs genauso wie sie diese bereits voraussetzten. Sie reagierten auf einen Bedarf, der kulturelle Wurzeln hatte. Ein solcher wichtiger struktureller Wandel der europäischen Kultur betraf das Rechtswesen. Vor allem in Oberitalien gingen veränderte politische und ökonomische Realitäten mit einer Suche nach neuen Rechtsformen einher. Juristen reaktivierten in diesem Zusammenhang seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert in zunehmendem Maße das antike Recht des römischen (Kaiser)reichs. Dieser Prozess wird (für den Kontinent) oft auf die Formel von der ,,Rezeption des römischen Rechts“ gebracht. Vor allem der spätantike Codex Justinianus war für die Menschen eine hilfreiche Orientierung bei der rechtlichen Strukturierung der veränderten sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnisse zunächst Italiens, dann im romanischen Europa. Schriftlichkeit wurde im Zuge dieses gerade auch verfahrensrechtlich erheblich formalisierteren Rechts immer wichtiger. Die Kirche war für diese Vorgänge von entscheidender Bedeutung. 1215, auf dem Vierten Laterankonzil, ordnete der Juristenpapst Innozenz III. die schriftliche Aufzeichnung von Prozessen zur Rechtssicherung an – eine Regelung, die in ganz Europa zum Standard wurde und zügig ihre Umsetzung fand. Verschiedenste Prozessschritte, etwa Zeugenverhöre, mussten schriftlich vorbereitet werden und ihre Ergebnisse wurden in verschriftlichter Form in das Gerichtsverfahren eingespeist. Im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation wurde dies durch Artikel 5 der Reichskammergerichtsordnung von 1495, die auf ältere Vorlagen zurückgriff, zum Standard. 33
Ein wichtiger Teil dieser juristischen Veränderung und Verdichtung war der Aufstieg des europäischen Notariatswesens. Der Beitrag der Notare zur Herstellung und Überlieferung juristischer Dokumente war entscheidend. Seit dem 12. Jahrhundert produzierten sie in Italien – beginnend mit Genua – enorme Serien an notariellen Schriftstücken, in denen öffentliche Einrichtungen und Privatleute ihre Rechtsgeschäfte regeln ließen. Die Notare vervielfachten juristische Schriftlichkeit dabei nicht nur, sondern sie formten sie auch entscheidend. Zwei entscheidende Veränderungen sind mit ihnen verbunden: Einerseits wurden Rechtsakte nun auch durch sie (und nicht mehr nur durch schwörende Zeugen) beglaubigt, andererseits wurde es immer unüblicher, zur Dokumentation von Rechtsgeschäften tatsächlich noch komplexe Urkunden auszustellen. Stattdessen notierten Notare Verträge und Testamente häufig ,nur‘ noch fortlaufend in Register, die sie bei sich behielten und die deshalb auch bald zum Gegenstand komplexer Sicherheitserwägungen wurden. Diese neue Technik beschleunigte die Dokumentation von Rechtsgeschäften erheblich und machte sie außerdem auch kostengünstiger. Damit wurde der Abschluss von juristischen Verträgen in neuen Bereichen des Lebens rentabel. Besonders betroffen davon waren ökonomische Aktivitäten. Kreditgeschäfte waren ein wichtiger Bereich, dem (erst) jetzt durch die vereinfachte, schnellere und billigere Form der Aufzeichnung eine brauchbare Möglichkeit der Dokumentation zur Verfügung stand. In Aix-en-Provence beispielsweise betrafen 1532 zwei Drittel aller notariell beglaubigten Dokumente Schuldverschreibungen, Quittungen und Verkaufsangelegenheiten. Es sind gerade diese ,,banalen“ Alltagsgeschäfte, an denen sich beispielhaft sehen lässt, welch entscheidenden Einfluss die pragmatische Verschriftlichung auf die europäische Gesellschaft hatte. Die Tatsache, dass Kreditgeschäfte ,,banal“ wurden und der Einsatz von Schriftlichkeit damit alltäglich werden konnte, verweist insbesondere auf urbane Milieus. Der Aufschwung der europäischen Städte seit dem hohen Mittelalter erzeugte die ökonomische und soziale Dynamik, die gerade in Italien vielerorts hinter der Hinwendung zur Schriftlichkeit stand. Eine Gruppe ,,schreibender Kaufleute“ entwickelte sich im späten Mittelalter, die Pionierleistungen in Sachen schriftlicher Buchführung und Rechenschaftslegung mit einer neuen Kultur privater Aufzeichnungen und einer rasant ausgedehnten Praxis brieflicher Korrespondenz verband. Die etwa 150.000 Briefe, die der Kaufmann Francesco di Marco Datini aus Prato im 14. Jahrhundert zur Führung seines europäischen Handelshauses schrieb, sind dafür ein berühmtes 34
und eindrucksvolles, aber keineswegs singuläres Beispiel. Kaufleute wie Datini wollten oder mussten mit vielen Menschen aus Nah und Fern in regelmäßigem Kontakt stehen und griffen dazu im 14. Jahrhundert bereits ganz selbstverständlich und in nie dagewesenem Maße auf ein schriftbasiertes Medium, den Brief, zurück. Auch auf politischer Ebene nahmen Korrespondenzen vor allem ab dem 15. Jahrhundert zu. Der größte Teil dieser neuen politischen Briefwechsel bestand aus Gesandtschaftskorrespondenzen. Die Etablierung von Diplomatie als politischer Praxis mit eigenen Regeln lässt sich relativ präzise ins Italien der Zeit nach etwa 1450 datieren. Schlagartig standen die Obrigkeiten nun vor der Notwendigkeit, mit ihren Gesandten an fremden Höfen in dauerndem Austausch zu stehen. Auch mit den fremden Höfen und Machtzentren selbst wollte und musste man Kontakte pflegen. Diplomatische Briefwechsel, die selbst über ganz kurze geographische Distanzen hinweg aufrechterhalten wurden, sollten dies gewährleisten. Sie stellen eine wesentliche, und in den Archiven seither prominent vertretene, zuvor weitgehend unbekannte Form von Schriftgut dar. Diese Korrespondenz weist bereits auf eine weitere Dimension der neuen europäischen Schriftkultur hin: Schriftlichkeit wurde auch deshalb immer populärer, weil sie zu einer entscheidenden Technologie bei der Akquise von Information wurde. Information über sich selbst und die anderen wurde geradezu zu einer Obsession auf allen Ebenen der Gesellschaft. Am Beispiel der wohl berühmtesten mittelalterlichen Inventarisierung von feudalen Rechten und Pflichten, dem englischnormannischen Domesday Book von 1086, hat Michael Clanchy gezeigt, welch umfangreicher vorbereitender und begleitender Strom von Dokumenten solche Unternehmungen begleitete. Selbstbeschreibungen und Bestandsaufnahmen der eigenen Ressourcen wurden zu einer wichtigen Begleiterscheinung von Herrschaft und sie bedienten sich in wachsendem Umfang der Schrift. Inventarisierungen und Rechenschaftsberichte dienten dabei der Kontrolle der Diener genauso wie zur besseren Erkenntnis der eigenen Machtmittel. Gerade im ökonomischen Bereich vertrauten die Könige Europas auf schriftliche Formen der Informationsgewinnung. Jüngere Forschungen haben die schriftlichen Buchhaltungspraktiken der Kaufleute sogar zur entscheidenden Wurzel der europäischen Bürokratie- und Informationsgeschichte erklärt. In jedem Fall waren Motive der Rechnungsführung entscheidend bei der Veränderung der Herrschaftstechniken im Mittelalter. Am Königshof in England wurde der Exchequer als Überwachungsinstanz 35
eingerichtet, der ab 1130 eigene Aufzeichnungen über die abgelieferten Erträge der königlichen Ländereien führte (Pipe Rolls). Andere normannische Herrscher wie die Grafen von Flandern folgten. Unter Philipp August wurde 1190 eine entsprechende Einrichtung in Frankreich eingeführt, die (später so benannte) Chambre des Comptes. Das Papsttum zog hier bald nach. Seit Urban IV. finden sich spezielle Briefserien in finanziellen Angelegenheiten, doch erst im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts mit Bonifaz VIII. und Johannes XXII. gibt es eine eigene päpstliche Buchhaltung. Generell lässt sich feststellen, dass das Bedürfnis nach ökonomischer, aber auch militärischer Bestandsaufnahme zunahm und dass sich dies in einer wachsenden Zahl von schriftlich niedergelegten Erhebungen manifestierte. Philipp August übernahm von normannisch-englischen Vorbildern die Praxis, regelrechte Inventare seiner Vasallen und ihrer Verpflichtungen zu erstellen. Sein Enkel, Ludwig der Heilige, führte diese Tradition 1247 mit einer großen Bestandsaufnahme fort. Von hier führt ein direkter Weg in die frühneuzeitliche Praxis, immer umfangreichere schriftabhängige Projekte zur Beschaffung von Information zu starten. Die Sammlung von Information war dabei nicht nur Selbstzweck, sondern diente außerdem zur Kontrolle der Untertanen. Auch deshalb etablierte sich die Neigung, soziale oder politische Geschäfte und Abläufe möglichst lückenlos zu verschriftlichen. Bald wurden nicht mehr nur die Ergebnisse, sondern auch vorbereitende Stufen und Zwischenschritte politischer, juristischer und sonstiger Entscheidungen notiert. Nicht mehr nur Momente von besonderer juristischer oder sakraler Wichtigkeit, sondern der alltägliche Gang der Geschäftsführung selbst sollte bzw. musste schriftlich aufgezeichnet werden. Der französische König ordnete beispielsweise 1320 für seine Chambre des Comptes an, es müsse bei jeder Sitzung ein Journal geführt werden. In dieses Buch, ,,so befehlen wir, sollen täglich alle Dinge eingetragen werden, so dass man über alles, was dort beschlossen wurde, Bescheid wissen kann“ . Im juristischen Bereich schrieb man nun nicht nur das gefundene Urteil nieder, sondern auch die einzelnen Verfahrensschritte. Dieser Weg ,,von der Sentenz zur Akte“ trug wesentlich zum starken Anstieg der Schriftproduktion bei. Die Dokumentation von vorbereitenden Stufen wurde zum Teil der Rechtsfindung. Auch Notare wurden verpflichtet, ihre Schriftstücke in mehreren Etappen zu dokumentieren. Im politischen Bereich fanden neben den urkundlichen Erlassen des Königs ebenfalls vorbereitende und dokumentierende, aber nicht rechtsförmige Dokumente bald größere Verbreitung. Idealtypisch gesprochen trat neben die 36
Urkunde, die allein den endgültigen Rechtsakt festhielt, die Akte, die Vor- und Zwischenschritte auf dem Weg zur Urkunde verzeichnete. Eng verbunden mit dem Bedürfnis vollständiger Verfahrensdokumentation war ein verändertes Verständnis dessen, was Recht und soziales Zusammenleben eigentlich ausmachte. In der Hinwendung zu Schriftlichkeit manifestierte sich vor allem eine veränderte Herrschaftsauffassung. Folgt man Thomas Bissons eindrucksvoller Rekonstruktion, so vollzog sich in, durch und mit Hilfe von Schriftlichkeit im sozialen Denken und in der politischen Praxis Europas ein Paradigmenwechsel von ,,Gewalt“ zu ,,Regierung“, wobei das entscheidende Charakteristikum der letzteren das Bemühen um Rechenschaftslegung war. Das entstehende Bedürfnis nach fiskalischer Kontrolle an den Königshöfen und das daraus resultierende Aufkommen einschlägiger buchhalterischer Schriftformen war dabei nur der offensichtlichste Ausdruck eines viel weiter gehenden Wandels. Dazu passen Beobachtungen zur frühen Schriftverwendung in Oberitalien. In vielen der aufblühenden Städten dort wurden in einem seinerseits schriftlich ablaufenden und schriftlich dokumentierten Prozess ,,Statuten“ erlassen – schriftlich fixierte, mit Gesetzescharakter versehene Regeln des Zusammenlebens. In diesen Texten wurden Idealbilder sozialer Ordnung präsentiert. Einerseits ging es bei der Präsentation solcher Leitbilder darum, die Ausübung von Herrschaft durch die Obrigkeiten seitens der Stadtgemeinde kontrollieren und begrenzen zu können. Doch andererseits sieht die Forschung heute in diesen Statuten auch Techniken zur sozialen Steuerung. Regierungshandeln ließ sich mit dem Hinweis, es diene zur Umsetzung der gemeinschaftlich anerkannten Statuten, neuartig legitimieren. Unabhängig von ihrer Bewertung als Kontroll- oder Herrschaftsinstrument bleibt jedoch festzuhalten, dass die Aufzeichnung solcher städtischen Statutentexte mitsamt der dabei geleisteten Kompilation vorhandener Normen als zentrale Etappe bei der Verbreitung pragmatischer Schriftlichkeitsformen anzusehen ist. Von hier führt schließlich ein direkter Weg zu solchen Erklärungsansätzen, die Europas Hinwendung zur Verschriftlichung als Mittel zur Ausdehnung herrscherlicher Macht deuten. Für Italien hat man beispielsweise die wachsende Attraktivität schriftlicher Regierungsausübung mit dem Entstehen größerer Herrschaftsbereiche der (oberitalienischen) Städte verbunden. Als Städte versuchten, umgebende Regionen unter ihre Gewalt zu bringen, mussten nicht nur Rechtsfragen neu geklärt werden, sondern es entstanden auch Kon37
stellationen, in denen ein Zentrum (die Stadt) eine teils ausgedehnte Peripherie (das umgebende Land) kontrollieren wollte. Beides förderte Verschriftlichung zum Zweck juristischer und kommunikativer Integration. Ganz ähnlich hat man auch die Attraktivität von Schriftgut in Katalonien und Aragon erklärt. Die dortigen Herzöge und Könige verstanden ihre Macht nicht mehr nur als Summe zahlloser einzelner Ansprüche, die jeweils konkret durchgesetzt werden mussten, sondern wesentlich abstrakter als territorial definiertes Prinzip. Um diesen Anspruch zum Ausdruck zu bringen, ließen sie am Ende des 12. Jahrhunderts ein monumentales Herrschaftsverzeichnis erstellen, das Liber maior feudorum. Auch die katholische Kirche nutzte die ungeahnte Masse an Urkunden dazu, einen neuartig akzentuierten Führungsanspruch über die abendländische Christenheit zu implementieren. Mönchsorden wie die Cluniazenser und insbesondere die Zisterzienser fanden Schriftlichkeit ebenfalls in beispielloser Weise attraktiv, um ihre innovativen Sozial- und Herrschaftsformen zu organisieren – erstmals in der Geschichte der Christenheit imaginierten diese Gemeinschaften gesamteuropäische organisatorische Einheiten, die zentral koordiniert und gesteuert werden sollten. Als es zwischen diesen neuen Ordensgemeinschaften zu heftigen Konflikten kam, wandten sich alle Beteiligten – in schriftlicher Form – an den Papst zur Klärung, der seinerseits mit Urkunden und Briefen auf diesen innerkirchlichen Zwiespalt reagierte. Der Einsatz von Schriftlichkeit entwickelte eine erhebliche Eigendynamik: Schriftstücke wurden durch neue Schriftstücke beantwortet. Die gesamteuropäisch anzutreffende Verwendung von Schriftlichkeit zur sozialen Organisation und Konfliktregelung hatte eine Reihe ganz konkreter Konsequenzen. Schriftlichkeit ist zwar eine sozial wie funktional außerordentlich anpassungsfähige und flexible Technologie, doch sie setzt in mancherlei Hinsicht auch eine starke funktionale Eigenlogik in Gang, die nicht zu übersehen ist. Drei Aspekte lassen sich ausmachen. Zunächst waren neue Berufsgruppen nötig, um die gewünschte Schreibarbeit zu leisten. Zur Herstellung von Schriftlichkeit bedurfte es – sozialgeschichtlich gesehen – einer wachsenden Zahl an dafür ausgebildeten Spezialisten. Schreiber, Sekretäre, Kopisten füllten die Schreibtische und Schreibstuben. Gerichte mussten bald geeignetes Personal einstellen, um diese Aufgaben zu bewältigen. Im englischen York wurde ein ,,Schreibhaus“ eingerichtet. In Reims galt der Registrar, der für die Koordination der Schriftlichkeit verantwortlich war, 38
Abbildung 2: Der Herrscher, sein Mitarbeiter und der Kreislauf der Papiere, ca. 1192.
angesichts seiner umfassenden Aufgaben schon bald als ,,Esel des Gerichts.“ Gegen Lohn arbeiteten Schreiber für Menschen, die selbst auf Grund mangelnder Lese- und Schreibefähigkeiten nicht unmittelbar an dieser neuen Schriftlichkeitskultur teilhaben konnten. Über solche vermittelten Formen wurden breite soziale Kreise von den beschriebenen Phänomenen erfasst. Hinzu kam seit dem 14. Jahrhundert auch der Humanismus, der den wortgewandten neuen Funktionseliten noch einmal zusätzlichen rhetorischen Glanz verlieh. Zweitens waren neue Arbeitsroutinen notwendig, um die Produktion ausgehender und die Bearbeitung eingehender Dokumente zu organisieren. Eindrucksvoll dokumentiert dies bereits am Ende des 12. Jahrhunderts das Vorsatzblatt des Liber maiorum feudorum (Abbildung 2). Es zeigt einen Kreislauf von Schriftstücken, in den der Herrscher bei seiner Amtsausübung eingebettet wurde. Das Bild zeigt in der Mitte das Chaos eines Berges von Schriftstücken, aus denen der (schrift)kundige Mitarbeiter des Herrschers ein relevantes Pergament heraussucht und es dem Fürsten präsentiert, ehe es am rechten Bildrand von einem Schreiber in ein neues Schriftstück, vielleicht in den Liber maiorum selbst, eingetragen wird, um so den Überblick zu behalten. Der Kreislauf der Dokumente ist hier deutlich erkennbar. 39
Die Herstellung und Verwaltung von Schriftdokumenten erfolgte auch andernorts in Formen, die man als Prototypen bürokratischer Arbeitskoordination ansehen kann. Wachsende Bürokratisierung förderte interinstitutionelle Schriftlichkeit und diese wiederum nötigte zu immer neuen Koordinationsmaßnahmen. Die Mailänder Herzöge beispielsweise gestalteten ihre verschiedenen an der Herrschaftsausübung beteiligten Gremien im 15. Jahrhundert in einer Weise, die durch das Bedürfnis nach optimaler Bewältigung des administrativen Schriftverkehrs entscheidend mitbestimmt war. Die fürstlichen Kanzleien und Institutionen nahmen bald beträchtliche Ausmaße an. Das hatte zur Folge, dass die Kanzleien nur noch schlecht mit dem König im Land herumreisen konnten, wie beispielsweise Kaspar Peutinger, Humanist und Stadtschreiber Augsburgs im Gefolge Kaiser Maximilians I., 1511 notierte: Beim ständigen ,,hin- und herziehen ist [es] furwar ganz muesam, brieve herauszubringen.“ Itineranz und ,,unstettigkeit des fürstl. Hofflagers“ galten aus dem Blickwinkel der Schriftlichkeitsexperten in Deutschland und Frankreich bald als Hindernis für ordentliche Regierungstätigkeit. In Hessen vermochte 1597 nicht einmal mehr die Pest die überschaubare landgräfliche Kanzlei zum Umzug aus der gefährdeten Hauptstadt Marburg zu bewegen. Die ,,incommoditet“ einer Verlegung für die persönlichen Lebensumstände der Räte und für die etablierten administrativen Abläufe wog ihnen schwerer als die Gefahr an Leib und Leben. Schriftlichkeitspraktiken forderten und beförderten die Sesshaftigkeit ihrer Benutzer. Im Zuge dieses Prozesses entschied man sich schließlich drittens auch dazu, neue Wege zur Aufbewahrung und Ordnung des entstandenen Schrifttums zu gehen: Die europäische Archivkultur wurde auf eine neue Ebene gehoben. Wer ohne Schriftstücke dastand, dem waren bestimmte Handlungsmöglichkeiten verschlossen. Als Jaume I., König von Aragon im 13. Jahrhundert, bestimmte Dokumente fehlten, musste er auf territoriale Ansprüche verzichten. Das ist das Thema der folgenden Kapitel.
Überlieferungssicherung durch Kartulare und Register Doch bevor wir uns den Archiven im eigentlichen Sinn zuwenden, müssen noch zwei neue Produkte der europäischen Schriftlichkeitskultur 40
behandelt werden, die Kartulare und Register. Sie stehen gewissermaßen am Beginn des hoch- und spätmittelalterlichen Neuanfangs in Sachen Überlieferungssicherung. Bei beiden handelt es sich um Abschriften, die fortlaufend anfangs oft noch in Rollen, doch sehr bald fast nur noch in buchförmige Handschriften eingetragen wurden. Beide gehen in ihrer abendländischen Verwendung auf die entscheidenden Umbruchsjahrzehnte nach der Jahrtausendwende zurück, auch wenn zumindest Register bereits in der Antike bekannt gewesen waren. Kartulare waren Bücher, in denen die wichtigsten Urkunden eines Klosters, Fürsten oder Adelshauses, oft nach thematischen Gesichtspunkten geordnet, abgeschrieben wurden. Für weltliche Kartulare kann man als Beispiel noch einmal auf den schon erwähnte Liber feudorum maior aus Aragon verweisen. Im kirchlichen Bereich produzierten etwa französische Klöster seit dem 12. Jahrhundert zahlreiche, teilweise auch sehr umfangreiche solcher Sammlungen. Das große Kartular aus SaintDenis, das über 2.500 Urkunden umfasste und das zugrunde liegende Urkundenarchiv widerspiegelte, kann als herausragendes Beispiel genannt werden. Allerdings ist die genaue Funktionsbestimmung dieser Sammlungen nicht ohne Probleme. Es ist beispielsweise leicht nachzuweisen, dass sie außerordentlich selektiv vorgingen, also keineswegs alle vorhandenen Urkunden aufnahmen. Auch veränderten sie die abgeschriebenen Texte immer wieder in orthographischer und sprachlicher, wohl seltener allerdings in inhaltlicher Hinsicht. Kartulare können also weder als direkte Abbilder vorhandener Archive noch als Proto-Inventare oder Bestandsübersichten angesehen werden. Eher dürfte ihre Funktion darin bestanden haben, bestimmte häufig benötigte Dokumente aus praktischen Gründen zusammenzuführen und somit leicht verfügbar zu halten. Nichtsdestotrotz stellen Kartulare eine wichtige Stufe in der Geschichte einer systematisierten und reflektierten Überlieferungssicherung, -organisation und -verfügbarmachung dar. Vom Kartular zu unterscheiden ist die Führung von Registern. Die Bezeichnung geht zurück auf das lateinische Verb regerere, das normalerweise ,,zurücktragen“ oder ,,zurückwerfen“ meint, hier aber im Sinne von ,,abschreiben“, ,,eintragen“ oder ,,kopieren“ verwendet wurde. Damit ist bereits gesagt, worum es hier ging: um die systematische Anfertigung von Kopien bestimmter Dokumente, die nacheinander in eigens dafür vorgesehene Rollen oder Bücher, eben die ,,Register“, eingetragen wurden, unter Umständen durch graphische Elemente (Striche, Leerzeilen etc.) voneinander abgesetzt. Entscheidend ist, dass man diese Technik ab dem 12. Jahrhundert in breiter Weise anwendete, 41
um Dokumente zu duplizieren, die man selbst hergestellt hatte, und deren Originale man nicht bei sich behielt. Das betraf in erster Linie Briefe, aber auch Gerichtsurteile oder Rechtsdokumente. Als Wegbereiter der Praxis fortlaufender Registrierung gilt im Allgemeinen das Papsttum, dessen Registerführung wahrscheinlich im 11. Jahrhundert einsetzte, dessen Pergamentregister jedoch erst seit Innozenz III. (reg. 1198–1215) regelmäßiger überliefert sind. Stephan von Tournai, ein kundiger zeitgenössischer Beobachter, beschrieb diese Praxis am Ende des 12. Jahrhunderts: ,,Es ist in Rom eine Gewohnheit, wenn man über eine wichtige Sache einen Brief verschickt, dass man eine Kopie davon behält. Diese werden alle in ein Buch geschrieben, das sich ,Register‘ nennt.“ Stephans Bemerkung zeigt bereits, dass anfangs noch nicht zwingend eine vollständige Überlieferung der eigenen Dokumentproduktion angestrebt war. Tatsächlich finden sich in den frühen päpstlichen Registern viele Lücken, die auf bewusste Selektionsvorgänge hindeuten. Innozenz III. beispielsweise ließ vielleicht nur ein Fünftel aller ausgehenden Dokumente registrieren. Bruchstückhaft und ,,wenig bürokratisch“ waren seine Register, die deshalb auch noch kein wirksames ,,Hilfsmittel für die tägliche administrative Arbeit“ bereitstellten. Erst langfristig mit dem Übergang zur Neuzeit stabilisierte sich eine weitgehend vollständige Aufzeichnung der ausgehenden Dokumente. Die Eintragung in die päpstlichen Register wurde tatsächlich auch zu einem Bestandteil des Ausstellungsprozesses bei manchen offiziellen Schreiben. Parallel mit der Tendenz zur Vollständigkeit der Eintragungen lässt sich zudem eine wachsende Neigung zur sachlichen Differenzierung des Registerwesens nach verschiedenen Gesichtspunkten erkennen. Einzelne Serien wurden von den Päpsten, ausgehend vom berühmten Sonderregister zum deutschen Thronstreit unter Innozenz III., ab der Mitte des 13. Jahrhunderts eingeführt. Benedikt XII. verfügte etwa achtzig Jahre später bereits über nicht weniger als 21 verschiedene Registerserien. Die komplexe Geschichte der päpstlichen Registerführung, deren Details hier nicht zu interessieren brauchen, macht insgesamt deutlich, wie experimentell und tastend man bei der Suche nach optimalen Praktiken zur Verfertigung bleibender Dokumentationen vorgehen musste. Wie in einem trial and error-Verfahren wurde probiert, verändert und angepasst. Diese kreative, im Rückblick aber auch konfus wirkende und ,,undeutliche“ Suche nach angemessenen Verfahrensweisen in der päpstlichen Kurie macht deutlich, wie groß die Herausforderungen und
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wie beträchtlich zugleich die Innovationsleistungen bei der Bewältigung der neuartigen Materialfülle gewesen sind. Andere europäische Herrscher wandten bald ähnliche Techniken an. Beeinflussungen waren dabei in allen denkbaren Richtungen möglich. Wieder standen die aragonesischen Könige an der Spitze der Entwicklung, gefolgt von England und Frankreich, wo umfangreiche Registerserien um 1200 ihren Anfang nahmen. Doch nicht nur königliche Kanzleien, sondern auch das Justizwesen bediente sich bald dieser neuen Form. Die Register des obersten französischen Gerichtshofes, des Pariser Parlaments, gehen ebenfalls auf diese Zeit zurück. Nachdem Kopien der ergangenen Urteile zunächst im 12. Jahrhundert noch auf Rollen geschrieben worden waren, stieg man bald auf eine – zunächst wieder selektive – Eintragung in buchförmige Register um. Auch die Notare in ganz Europa bedienten sich flächendeckend der Register, in denen sie nacheinander die von ihnen angefertigten Rechtsdokumente festhielten. Auf diesem Weg hoffte man, später verlorene Verträge ersetzen und vorgezeigte Schriftstücke auf Echtheit überprüfen zu können. Der jederzeit mögliche Rekurs auf die Abschriften in den Registern sollte die Rechtssicherheit steigern. Registrierung von Rechtsdokumenten wurde ein fester Bestandteil der europäischen Privatrechtspraxis, nicht nur im Rahmen des süd- und mitteleuropäischen Notariatswesens. Am Aufkommen der Register ist nicht so sehr die – mittlerweile sehr kritisch beantwortete – Frage interessant, ob und wie gut dies tatsächlich funktioniert hat. Die Register sind vielmehr deshalb hier von Bedeutung, weil sie belegen, dass die Erzeuger von Schriftstücken ihre eigenen Produkte selbst und bei sich aufbewahren wollten. Dies ist eine entscheidende Ergänzung zur auch vorher bereits bekannten, wenngleich meist nur sporadischen und fragmentarischen Archivierung von Dokumenten, die anderswo für einen selbst ausgestellt worden waren. Überlieferungssicherung hing nun wesentlich mit Selbstdokumentation zusammen, sie hatte ein entscheidendes selbstbezogenes Moment. Durch Register sollte es möglich sein, die Kontinuität und Kohärenz des eigenen Handelns zu gewährleisten, indem man nach früheren Präzedenzfällen suchen konnte. Durch Register konnte man sich selbst in intensiver Weise zur Vergangenheit in Beziehung setzen und zugleich zwischen verschiedenen eigenen Entscheidungen der Vergangenheit vergleichen. Ein neuer, vergleichender, selbstreflexiver Blick auf die eigene Geschichte war möglich. Der Register steht, in Ergänzung zum Kartular, das fremde Dokumente im eigenen Besitz überlieferte, dafür in exemplarischer Weise. 43
Die Anlage dieser Kodizes war zwar im einzelnen oft noch sehr verwirrend und ihre Benutzung war deshalb keineswegs immer erfolgsversprechend. Dennoch stellte der zunehmende Einsatz von gebundenen ,,Büchern“ eine entscheidende und langfristig wirksame Innovation dar, die zunehmend auch über die abschriftliche Eintragung von Korrespondenzen oder Verträgen hinausgriff. Seit dem Spätmittelalter wurde in den meisten Kanzleien eine Vielzahl von verschiedenen Serien gebundener Bücher angelegt, in die fortlaufend jeweils bestimmte Typen von Materien eingetragen wurden. Amtsbücher, Zinsbücher, Rechnungsbücher, Urbare, Lehensbücher und viele andere spezielle Serien wurden unterschieden und sorgfältig geführt. Bis weit in die Frühe Neuzeit hinein galt die Anlage von solchen Registern und Büchern als zentrale Archivpraxis. Charles de Wignancourt, der 1608 in einem bekannten Traktat das Gerichtswesen in Arras darstellte, plädierte in typischer Weise für die Anlage solcher Registerserien, weil die ,,Entwurfspapiere [minuttes] und die Einbände, mit denen sie eingeschlagen sind, verlorengehen und entfernt werden können“. Trotz solcher Warnungen blieb die Sammlung loser Schriftstücke, zunächst von einzelnen Urkunden, dann in steigendem Maße aber auch von Dokumenten aus der administrativen Binnenkommunikation, langfristig von größter Bedeutung, ja sie wurde häufig mit Archivieren identisch. Die systematische Registrierung der eigenen Produktion umfasste immer nur einen Bruchteil der erzeugten Schriftlichkeit. Nicht zuletzt aus praktischen Gründen wurde die Mehrarbeit einer Abschrift von Urkunden in Kartulare im Spätmittelalter zusehends aufgegeben und man ging stattdessen (wieder) zur alleinigen Konservierung der Originale selbst über. Zur Registrierung stand bald die systematisierte Aufbewahrung von Entwürfen und Konzepten der ausgehenden Briefe, häufig in Sachakten zusammengefasst, als Alternative zur Verfügung. Filzae, so die lateinische Bezeichnung für Konvolute loser Dokumente, bildeten immer einen wesentlichen Bestandteil der europäischen Archive.
Franz Pehem in Altenburg, oder: Pragmatische Schriftlichkeit am Beginn der Neuzeit Am Ende des Mittelalters hatten sich pragmatische Formen der Schriftverwendung in weiten Teilen des öffentlichen und privaten, politischen 44
und ökonomischen, juristischen und administrativen, organisatorischen und kommunikativen Lebens Europas etabliert. Die folgenden Jahrhunderte bauten diese Grundlagen weiter aus. Zahlreiche soziale Rollen und Funktionseliten entstanden, deren Bezug zur Schrift- und Archivkultur im Einzelnen variierte, insgesamt aber stark war. Die Sekretäre sind hier an erster Stelle zu nennen. Infrastrukturelle Bedingungen wie das verdichtete Postwesen trugen ebenfalls zur weiteren Formung der Schriftkultur bei. Schreiben und Schrift, Papier und Tinte, Blätter und Kodizes hielten in immer mehr Lebensbereiche Einzug. Wie tief die Präsenz von Schriftlichkeit samt all ihren Anforderungen den Alltag frühneuzeitlicher Menschen prägte, zeigen ihre persönlichen Aufzeichnungen immer wieder. Nehmen wir Franz Pehem (1498–1558) aus Altenburg im Herzogtum Sachsen als Beispiel. Ab mindestens 1528 war er in der kurfürstlichen Residenzstadt als Schreiber, ab 1535 als Amtsschreiber tätig. Seine Aufgaben reichten vom Protokollieren der Sitzungen des städtischen Rats über die Korrespondenzen und die Beschaffung notwendiger Rohstoffe wie Papier und Tinte bis hin zur Verzeichnung vorhandener Akten und Urkunden. Pehem hatte sicherlich auch einigen Einfluss auf einzelne Entscheidungen, die der kurfürstliche Amtmann traf, dem er zugeordnet war. Doch insgesamt fungierte er wohl in erster Linie als Erzeuger und Verwalter des vielfältigen städtischen Schrifttums. Sein Arbeitsalltag war entsprechend in zahllosen verschiedenen Arten und Weisen durch den Kontakt mit unterschiedlichsten Schriftstücken geprägt. Seine Gedanken kreisten regelmäßig um Schriften und Kodizes, die er entweder erstellen sollte, auf die er wartete oder (häufig) die er aktuell nicht finden konnte. Die Verfügbarkeit von Akten bestimmte seine Handlungsfähigkeit ebenso wie die des Rats. Immer wieder war Pehem mit Abrechnungs- und Buchhaltungsfragen befasst. Die Organisation brieflicher Kommunikation beschäftigte ihn dauernd, sei es in privatem, sei es in obrigkeitlichem Interesse. Seine sozialen Kontakte orientierten sich zu einem beträchtlichen Teil an seinem Berufsleben. Zahlreiche Stadtschreiber und Kanzleigesellen gehörten zu seinem engeren Bekanntenkreis. Die prägende Rolle von Schriftlichkeit in Pehems Leben führte schließlich auch dazu, dass Papier und Tinte gelegentlich die Oberhand über andere Lebensinhalte gewannen. Krankenbesuche bei guten Freunden und sogar bei seiner eigenen Ehefrau wurden aufgeschoben wegen der dauernden Schreibarbeit. Wegen der Überladung mit ,,teglichen furfallen geschefften“ komme er ,,durchn gantzen tag nicht biß vffn abendt ins haws“, so führte er als Entschul45
digung an. Mindestens so bemerkenswert wie das schiere Ausmaß an Schreibarbeit, das einen fleißigen Mann tagein tagaus beschäftigen konnte, ist an diesen Bemerkungen, dass Pehem seine bürobezogene Dienstbeflissenheit bereits als akzeptable Entschuldigung für die Vernachlässigung selbst elementarer zwischenmenschlicher Beziehungen ansah. Schriftlichkeit wirkte sich nicht mehr nur auf die konkreten sozialen Beziehungen aus, sondern prägte auch die Mentalitäten der Menschen. Noch in seiner letzten Stunde identifizierte er sich als Mann pragmatischer Schriftlichkeit: Auf seinen Grabstein ließ Pehem ein längeres Gedicht setzen, das ihn, den ,,Saxoniae [. . . ] notarius“, als ,,fleißigen Schreiber der Schreibearbeit“ präsentierte, der ,,Tag und Nacht die vielfältigen Geschäfte in der Amtsstube“ auf sich genommen habe. Die Anforderungen der pragmatischen Schriftlichkeit mochten Pehem und seine Zeitgenossen zwar bereits bis zur ,,vordrießung“ beanspruchen , doch die Verhältnisse der 1540er Jahre in der deutschen Provinz lassen zugleich deutlich erkennen, dass dies alles noch etwas unbeholfen funktionierte und improvisiert war. In mancher Hinsicht befanden sich die Altenburger zwar durchaus auf der Höhe zeitgenössischer Entwicklungen. Bemerkenswert ist beispielsweise die recht frühe Verwendung vorgedruckter Quittungsformulare (,,gedruckte quitantzcen“). Doch gleichzeitig fehlte es Pehem und der Altenburger Verwaltung oft am Allernotwendigsten, denn Papier war regelmäßig Mangelware. Immer wieder musste Pehem deshalb nach möglichen Papierlieferungen fragen. Seine fundamentale Abhängigkeit von diesem grundlegenden Beschreibstoff ist genauso unverkennbar wie die Schwierigkeiten einer kontinuierlichen Versorgung damit. Das Beispiel Franz Pehems kann davor warnen, die Leistungen und Effizienz der pragmatischen Schriftlichkeitskultur Europas in der Frühen Neuzeit zu überschätzen. Vieles war spontan, individuell, personalisiert und improvisiert. Entscheidend sind deshalb weniger die konkreten Leistungen und Schwächen Pehems als sein Wille, die ihm übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Es war diese Einstellung, die seit dem Spätmittelalter die Menge an beschriebenem Papier immer weiter anwachsen ließ. Zugleich zeigt Pehem, dass die schriftlichen Techniken sozialer Strukturierung und Organisation frühestens im Lauf des 16. Jahrhunderts die mittleren und niederen Ebenen der Herrschaftsgefüge erreichten. Viele der bisher beschriebenen Veränderungen Europas ereigneten sich in monarchischen, religiösen oder urbanen Zentren. Was bei Fürsten, Päpsten und Kaufleuten in Paris, Rom oder Barcelona im 13. Jahrhundert üblich war, wurde im 16. Jahrhundert bei bürgerli46
chen Amtleuten in Sachsen gerade erst eingeführt. In geographischer, sozialer und funktionaler Hinsicht dauerte es bis in die Frühe Neuzeit, bis eine pragmatische Schriftkultur flächendeckend selbstverständlich geworden war.
Anmerkungen
Siegert: Perpetual Doomsday, S. 69. Eine Forderung nach Aktenkassation z. B. bei Spieß: Von Archiven, S. 69–71. Beispiele für zahlreiche Vernichtungsakte bei García Ruipérez/Fernández Hidalgo: Los archivos municipales, S. 146f. Duranti: Medieval Universities and Archives, S. 39. Vgl. z. B. Keller (Hg.): Pragmatische Schriftlichkeit. Britnell (Hg.): Pragmatic Literacy. Zur karolingischen Schriftkultur vgl. etwa McKitterick: Books. Dies.: History and memory. McCrank: Documenting Reconquest, S. 271, 274 mit Graphiken. Für Italien Cammarosano: Italia medievale, und Behrmann: Einleitung, S. 8. Für das Lehnswesen Spieß: Formalisierte Autorität. Clanchy: From memory to written record, S. 61. Vgl. Frenz: Kanzlei, S. 38. Clanchy: From memory to written record, S. 50. Ed. bei Zimmermann: Protocolles, II, S. 79. Burns: Diplomatarium I, S. 9, 151–156. Brundage: The medieval origins of the legal profession. Wetzstein: Prozeßschriftgut. Helmholz: Quoniam contra falsam. Brundage: The medieval origins of the legal profession, S. 439, 446. Dazu vgl. Magin: Schriftlichkeit. Dazu pointiert Laffont: Une dynastie notariale, S. 355f. Meyer: Felix et inclitus notarius. Costamagna: Il notaio a Genova. Ders.: La conservazione. Vgl. z. B. Magistrale (Hg.): Protocolli. Cammarosano: Italia medievale, S. 272. Amman-Doubliez: Esquisse, S. 183. Audisio: Notariat en Provence, S. 522: 66,3 % von 7.266 Notariatsakten. Der Begriff des ,,Banalen“ bei Audisio: Notariat en Provence, der allerdings gerade versucht, durch Untersuchung der sonstigen Notariatsdokumente ein ,bunteres‘ Bild dieser Berufsgruppe zu zeichnen. Bec: Les marchands. Zur Buchhaltung v.a. Arlinghaus: Notiz. Ketelaar: Records out. Als knappe Übersicht vgl. Dover: Deciphering. Stellvertretend für eine umfangreiche Forschung hierzu Senatore: Uno mundo de carta. Clanchy: From memory to written record. Vgl. z. B. Soll: The Information Master. Baldwin: The government, S. 137–152. Zu den Papieren der Chambre Langlois: Registres perdus.
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Hageneder: Die päpstlichen Register, S. 52. Zur Buchhaltung Weiß: Rechnungswesen. Überblick bei Revel: Knowledge of the Territory. Zit. bei Langlois: Registres perdus, S. 89f. Behrmann: Von der Sentenz zur Akte. Für eine umfassende, medienhistorische Perspektive vgl. Vismann: Akten. Bisson: The crisis of the twelfth century, S. 7–18 und passim. Dartmann: Dimensionen. Keller: Die Veränderung. Simon: ,,Gute Policey“. Zur Schriftlichkeit in deutschen Reichsstädten vgl. Pitz: Aktenwesen. Insgesamt auch Koch: Archivierung. Cammarosano: Italia medievale, S. 113f. Irace/Bartoli Langeli: Archivi, S. 405– 409. Koch: Archivierung. Burns: Diplomatarium I, S. 9. Das betont Kosto: The Liber feudorum. Er richtete sich damit gegen McCrank: Documenting Reconquest. Vgl. z. B. Cygler/Melville/Oberste: Aspekte. Zitiert bei Brundage: The medieval origins of the legal profession, S. 148. Für Frankreich Métayer: Au tombeau. Für Spanien Bouza: Corre, S. 31–47. Vgl. McCrank: Documenting Reconquest. Senatore: Uno mundo de carta. An den Rat von Augsburg, 3.5.1511, ed. König (Hg.): Akten, S. 143. Kleinau: Geschichte, S. 22f. (Zitat von 1584). Memoires d’Estat, S. 68. Wencker: Apparatus, S. 52. StA Marburg 19a 534. Zitat in einem unfol. Schreiben vom 26.9.1597. Anders praktisch zeitgleich noch in Ansbach, vgl. Tröger: Die Archive, S. 45f. McCrank: Documenting Reconquest, S. 292. Überblick bei Bouchard: Monastic Cartularies. Guyotjeannin: La science des archives. Vgl. z. B. Barret: La mémoire, S. 107–143. Burns: Diplomatarium I, S. 48. Zusammenfassend Hageneder: Die Register Innozenz III. Schulte (Hg.): Summa, S. 104. Zitate und Bewertung bei Hageneder: Die Register Innozenz III., S. 100. Frenz: Kanzlei, z. B. S. 133. Anders bei den Breven, vgl. ebd., S. 175. Hageneder: Die päpstlichen Register, S. 49–51. Überblick bei Hageneder: Die päpstlichen Register. Das folgende Zitat ,,undeutlich“ ebd., S. 59. Burns: Diplomatarium I, S. 50f. Canteaut: Les archives du Parlement au temps de Olim. Zur Registrierung von Testamenten in England seit 1254 vgl. Postles: Record Keeping. Dazu v.a. Teuscher: Erzähltes Recht, S. 279–290. Zur Terminologie vgl. z. B. Romiti: Archival Inventorying, S. 91–95. Dort auch das Folgende zur ,,filza“. Exemplarischer Überblick bei Keitel/Keyler (Hg.): Serielle Quellen. de Wignancourt: Observations, S. 81. Vgl. Guyotjeannin: Super omnes, S. 113. McCrank: Documenting Reconquest, S. 289f. Vgl. insgesamt Vismann: Akten. Metzler (Hg.): Briefe, S. 303, 346f.
Metzler (Hg.): Briefe, S. 409. Metzler (Hg.): Briefe, S. 375f. Metzler (Hg.): Briefe, S. 272f., 276, 283 etc. Zu ,,Neuen Zeitungen“, die er verteilt, ebd., S. 274, 298 uvm. Metzler (Hg.): Briefe, S. 322, 415. Metzler (Hg.): Briefe, S. 253. Metzler (Hg.): Briefe, S. 499. Erwähnt in Metzler (Hg.): Briefe, S. 289, 369 ab 1538. Metzler (Hg.): Briefe, S. 274f., 277f, 278, 285, 305, 360 uvm.
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Gründen Archive werden Institutionen und breiten sich aus
Im Jahr 1194 standen sich bei Fréteval, etwa 50 Kilometer westlich von Orléans, die Heere des französischen Königs Philipp II. August und des englischen Herrschers Richard Löwenherz gegenüber. Diese Schlacht führte nicht nur zur zwischenzeitlichen Vorherrschaft der Engländer im Nordwesten Frankreichs, sondern wird außerdem regelmäßig als Schlüsselereignis der europäischen Archivgeschichte angeführt. Denn Philipp verlor weit mehr als nur ein Gefecht: Löwenherz griff den Tross des französischen Königs an und erbeutete den gesamten französischen Urkundenbestand, den Philipp, wie damals üblich, bei sich gehabt hatte. ,,Geraubt wurden der Schatz des französischen Königs und die königliche Kapelle und die Dokumente aller Männer, die sich dem französischen König und Graf Johann verschrieben hatten“, so berichtete Roger von Hoveden. Dieser Verlust hatte enorme und ganz konkrete Folgen, denn die erbeuteten Unterlagen machten Richard darauf aufmerksam, dass sein Bruder Johann (Ohneland) ihn verraten und gemeinsame Sache mit Frankreich gemacht hatte. Auch wenn einige Jahre später wesentliche Teile der pergamentenen Beute zurückgegeben wurden, so war der temporäre Verlust seiner Urkunden doch für Philipp von dramatischer Konsequenz. Den Schaden versuchte der König wett zu machen, indem er einen engen Vertrauten, Gautier, damit beauftragte, die verloren gegangenen Urkunden nach Möglichkeit zu rekonstruieren und ein Ersatzarchiv aufzubauen. Aus Fréteval zog Philipp angeblich zudem noch die viel entscheidendere Lehre, seine Dokumente in der Folgezeit nicht mehr mit sich zu führen. Stattdessen wurden die königlichen Urkunden nun sicher gelagert, aller Wahrscheinlichkeit nach von Anfang an in Paris. Nach 1194 setzte eine Intensivierung archivalischer Bemühungen am Hof der Könige ein. Das französische Kronarchiv wurde sesshaft. Allerdings bedeuteten diese Veränderungen seit dem Ende des 12. Jahrhunderts keineswegs schon das völlige Aussterben itineranter Dokumentaufbewahrung. Der für seine epochemachenden Innovationen in Sachen Schriftlichkeit und Archivwesen häufig zitierte Jaume I. von Aragon führte im 13. Jahrhundert weiterhin viele Dokumente mit sich herum. Für besondere Anlässe oder in Notzeiten, etwa bei Seu51
chengefahr, konnten selbst die großen Gerichtsorgane der französischen Monarchie noch während der Frühen Neuzeit ihre Tätigkeiten verlegen. Auch die französischen Könige reisten noch im 16. Jahrhundert gelegentlich mit einem Teil ihrer Kanzleiakten durchs Land, für die ein eigener ,,Wagen“ mitgeführt wurde. Von Kaiser Maximilian I. berichtete Johannes Faber in seiner Totenrede 1519, dass er während seiner letzten Lebensjahre immer einen Sarg bei sich geführt habe, in dem angeblich die wichtigsten Dokumente in Türkenkriegsangelegenheiten lagerten. Auch im 16. Jahrhundert war demnach noch nichts Ungewöhnliches an der Annahme, ein Herrscher könne und solle seine wesentlichen Dokumente in einer Kiste ständig bei sich führen. Kaiser Karl V. wiederholte denn auch den Fehler Philipps II. knapp 350 Jahre nach der Schlacht bei Fréteval noch einmal: Als er 1541 seine glücklose Militärexpedition gegen die Piratenstaaten Nordafrikas startete, hatte auch er viele ,,schriften der reichischen cantzley“ bei sich, von denen im Chaos der Niederlage prompt ,,etliche fur Alg[i]ers verloren wordten“. Obwohl Fréteval also nicht die klare Trennscheide französischer oder gar europäischer Archivkultur ist, für die sie gelegentlich gehalten wird , so symbolisiert das Datum 1194 doch in pointierter Weise eine entscheidende Erfahrung abendländischer Archivkultur: Wollte man die Überlieferungschance der quantitativ zunehmenden Urkunden verbessern, so erwies sich das beständige Mit-Sich-Führen als gefährlich, obwohl es in früheren Zeiten vielleicht gut funktioniert hatte und nach wie vor noch einige Plausibilität für sich beanspruchen konnte. Dafür steht Fréteval. Gerade der physisch-materielle Aspekt der Schriftlichkeit, die Tatsache, dass es sich hierbei um außerordentlich schutzbedürftige Objekte in rasant anwachsender Zahl handelte, legte die Suche nach Alternativen nahe. Wollte man von den Dokumenten profitieren, so musste man neue Wege gehen. Europa entschied sich langfristig für geographisch fixierte Institutionen zur Aufbewahrung von Schriftlichkeit. Sie schienen, die ÜberlieferungsChance und dauerhafte Verfügbarkeit der Dokumente am besten zu gewährleisten.
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Frühe fürstliche Archive in Frankreich und Deutschland Es ist für die wenigsten der frühen Archive sinnvoll, nach einem präzisen Gründungsdatum zu fragen. Nicht einmal das Jahr 1194 taugt dafür im Falle Frankreichs, denn der Schrecken Philipps über seinen Urkundenverlust setzt bereits eine erhebliche Wertschätzung dieser Pergamente und ein grundsätzliches Interesse an ihrer dauerhaften Verfügbarkeit voraus. Die Sesshaftwerdung versteht man deshalb besser als eine weitere Etappe auf der Suche nach optimalen Verwahrungsmodalitäten denn als vollständigen Neuanfang von Bemühungen zur Dokumentpflege. In diesem Sinne ging das Archivieren oft dem Archiv voraus. Archive tauchen häufig in den Quellen erstmals als klar erkennbare Orte oder Funktionseinheiten auf, nachdem Archivierungspraktiken bereits eine Zeit lang existierten. Die frühesten, oft zitierten Daten der europäischen Archivgeschichte sind deshalb meist nichts anderes als jene Momente, in denen bestehende Archivpraktiken aus unterschiedlichsten Gründen erstmals zum Gegenstand schriftlich festgehaltener obrigkeitlicher Maßnahmen wurden. In diesem Sinn kann festgehalten werden, dass um die Zeit von Fréteval herum nicht nur immer mehr Schriftstücke aufbewahrt wurden, sondern dass diese Entwicklung durch die Zeitgenossen auch immer deutlicher beobachtet wurde. Dokumentaufbewahrung überschritt die Schwelle selbstverständlicher Alltagspraxis. Das allmähliche Bewusstwerden des Themas war ein wichtiger Schritt in der Archivgeschichte Europas. Explizites Nachdenken über und kritisches Reflektieren auf die anwachsenden Bestände erhöhte die Überlieferungs-Chance von Dokumenten entscheidend. Blicken wir beispielsweise nach Frankreich. Dort forderte Philipp der Schöne 1307 Pierre d’Estampes dazu auf, ,,er solle die Dokumente sichten, untersuchen, ordnen und auf Fächer verteilen, damit ihr Nutzen gesichert sei.“ Dieses Datum gilt heute als Anfang der dokumentierten Geschichte des Trésor des Chartes, dessen Entstehung freilich mindestens um 1194 begonnen hatte. Die königliche Urkundensammlung war dabei auch insofern ein typisches Produkt früher dokumentarischer Verdichtung, als sie noch Teil des königlichen Schatzes war, in einem Kirchenraum (der Sakristei der Sainte Chapelle) aufbewahrt wurde und noch nicht exklusiv einem einzigen Urkundenproduzenten zugeordnet war. Dokumente aus verschiedenen königlichen Ein53
richtungen fanden zunächst ihren Weg in den Trésor, doch bereits im 15. Jahrhundert begann diese zentrale, ,,interministerielle“ Einrichtung an Bedeutung zu verlieren oder ihre Bedeutung zu wandeln. Eine Inventarisierung am Ende des 14. Jahrhunderts unter Gérard de Montaigu schloss den Trésor im Wesentlichen ab. Weitere Zugänge fanden nur noch in beschränktem Ausmaß statt. Als eigenständiges Depot vor allem spätmittelalterlicher Materialien blieb der Trésor bestehen und erfreute sich im 16. und 17. Jahrhundert einiger Beachtung seitens französischer Gelehrter. Doch als fortlaufend benutzter Aufbewahrungsort für aktuelle Dokumente kam er bald außer Gebrauch. Andere Archive übernahmen diese Aufgabe. Im Jahrhundert nach 1250 begann in Frankreich eine Ausdifferenzierung des königlichen Hofstaates in mehr oder minder spezialisierte Kompetenzbereiche. Wann immer sich in der Folgezeit neue königliche Behörden in Paris etablierten, sammelten sie Dokumente an und gründeten für ihre Unterbringung früher oder später eigene Archive. Die verschiedenen Archive, die entlang der immer feineren Aufgliederung des königlichen Herrschaftsapparates entstanden, machten bald ein komplexes Geflecht von Depots und Überlieferungskörpern aus. Diese neuen Einrichtungen sammelten im Stile der intensivierten Schriftlichkeitskultur ihre Dokumentproduktion bei sich, statt sie (wie allerdings gelegentlich auch weiterhin noch üblich) in den Trésor zu überführen. Waren die Grenzen zwischen diesen Dokumentsammlungen zunächst fließend, so kam es bald zu Präzisierungen, die in einer Reihe von ,,Hin-und-HerBewegungen“ von Materialien erreicht wurden. Die beiden wichtigsten archivbildenden Institutionen waren das Parlament von Paris und die dortige Chambre des Comptes. Das Archiv des Pariser Parlaments wurde zu einem zentralen Gedächtnisort der Französischen Monarchie und später des Französischen Staates. Eine systematisierte Aufzeichnung von Urteilen begann im 13. Jahrhundert, doch Nachrichten über das Archiv als solches finden sich auch hier erst später. Die Geschichte des Parlamentsarchivs ist notorisch schwer zu fassen, da sich Hinweise aus der Frühzeit fast nur auf die Registerführung, nicht aber auf die Aufbewahrung der Register in einem eigenen Archiv finden. Deutlich erkennbar war aber schon für die Benutzer der Frühen Neuzeit, dass die Sesshaftwerdung des Parlaments nach 1304 vielleicht nicht den Beginn, aber doch einen entscheidenden Durchbruch in der Aufbewahrung der Register brachte. Auch das Archiv und die Registerführung der Chambre des Comptes des Königs in Paris verfestigte sich, wie erwähnt, etwa zur gleichen Zeit. Erste, verglichen mit den Arbeiten 54
d’Estampes und Montaigus im Trésor allerdings bescheidene, Inventarisierungen wurden um 1320 und 1388 begonnen. Die Veränderungen in Paris hatten andernorts ihre Entsprechung, etwa in Dijon und Lille für Burgund und Flandern. Langfristig konnten diese Archive in den Augen frühneuzeitlicher Beobachter sogar die königlichen Sammlungen übertreffen, da sich zum Beispiel in Lille ,,mehr Urkunden als im Tresor des Chartes und der Chambre des Comptes in Paris zusammen“ befänden. Nach der organisatorischen Expansionsphase des Mittelalters waren vor allem das ausgehende 16. und das lange 17. Jahrhundert noch einmal Phasen besonderer Dynamik der Archivgeschichte. Die Staatssekretäre, erste Vorläufer der späteren Minister, werden beispielsweise ab dem 16. Jahrhundert greifbar und etablierten gleich eigene Bestände. Der Blick auf den Staatssekretär für äußere Angelegenheiten zeigt dabei exemplarisch, wie die Konsolidierung eigener Archive ein schrittweiser und oft verzögerter Prozess war. Systematisches Sammeln ,außenpolitisch‘ relevanter Papiere fand bis 1671 nicht an einer zentralen, dafür speziell eingerichteten Institution statt. Kardinal Richelieu hatte zwar 1628 ein Edikt erlassen, das den alten Trésor des Chartes zum Repositorium für diplomatische Akten machen sollte, doch dies wurde nicht umgesetzt. Natürlich wurden an verschiedenen Orten vor allem privater, aber auch halb-öffentlicher Art bereits sehr bewusst Papiere mit relevanten Inhalten konzentriert. Die Existenz solcher Sammlungen war zeitgenössisch sehr wohl bekannt, und im Lauf des 17. Jahrhunderts lassen sich immer intensiver werdende Bemühungen französischer Politiker beobachten, solche Kollektionen zu akquirieren. Insbesondere Jean-Baptiste Colbert mit seinen unermüdlichen Anstrengungen um die Zusammenführung älterer Partikularkollektionen in seiner eigenen Bibliothek ist hier zu nennen. 1660 dürfte dann die systematische Sammlung eingesetzt haben, spätestens 1688 sind königliche Ausgaben für eine regelgerechte Einrichtung und Pflege des Archivs belegt. Auch nach dieser Konsolidierung fanden immer wieder Akten aus früheren Zeiten ihren (verspäteten) Weg in diese Sammlung. Seit 1699 unterhielt die französische Krone ferner auch ein eigenes Archiv des Marine- und Kolonialministeriums. Wieder wurden ältere Bestände im Besitz früherer Staatsbeamter – über deren Existenz man genaue Kenntnisse zu haben schien – akquiriert, so dass das neu gegründete Archiv letztlich aus einer Zusammenführung vorhandener Sammlungen entstand. Diese Beispiele, die nur einen Ausschnitt aus den Archiven der oberen Kronbehörden betreffen, zeigen zweierlei: Zum einen war die Institu55
tionalisierung und Konsolidierung von Archiven zwar ein wichtiger Schritt, aber keineswegs der Beginn von Dokumentaufbewahrung. Die sachkundigen Minister wussten auch vorher oft von einschlägigen Sammlungen und versuchten nach Kräften, auf diese Materialien zuzugreifen. Allerdings ist auch offensichtlich, dass vor der Übernahme solcher Sammlungen durch den König die für die Entscheidungsträger zugänglichen Bestände allenfalls fragmentarischer Natur waren. Zum anderen ist in chronologischer Hinsicht festzuhalten, dass gerade die Frühe Neuzeit nach den fundamentalen Grundlegungen des Mittelalters eine weiterhin sehr dynamische Periode der Archivgeschichte blieb. Differenzierung und Intensivierung politischer Dokumentsicherung nahmen zu und verdichteten sich weiter. Der Blick ins römisch-deutsche Reich zeigt Verhältnisse, die um ein Vielfaches komplexer waren, da hier für die meisten Territorien eigene Entwicklungen zu verzeichnen sind. Insgesamt dürfte es etwas später als in Frankreich zu einem Aufschwung der Archivkultur gekommen sein. In Böhmen beispielsweise ist einer der wichtigsten frühen Schritte hin zu einem erkennbaren Kronarchiv in Form einer Ordnungsaufforderung von etwa 1350 überliefert. Archive der Habsburger lassen sich seit 1412 in Wiener Neustadt und Graz nachweisen. In Köln werden seit 1322 Archivkisten und ein ,,Gewölbe“ erwähnt, in Frankfurt gibt es entsprechende Hinweise erstmals um 1350/75 und in Rothenburg o.d.T. ebenfalls im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts. In der Bischofsstadt Würzburg scheint sich der Wandel etwa zwei Generationen später vollzogen zu haben, ein eigenes ,,Gewölbe“ für die Dokumente wird dort 1447 eingerichtet. In Sachsen und vielen anderen Territorialstaaten beginnt die Intensivierung von pragmatischer Schriftlichkeit und Archivwesen ebenfalls im 14. und vor allem im 15. Jahrhundert. In Stuttgart nimmt die ,,eigentliche Archiveinrichtung“ ihren Anfang erst 1504. Um 1500 gilt Kaiser Maximilian I. generell als wichtiger Befürworter intensivierter Archivpflege – trotz des Sarges voller Urkunden, den er bei sich führte. In Innsbruck wollte er ein Zentralarchiv der österreichischen Habsburger einrichten, wozu es trotz einiger Anstrengungen allerdings nicht kam. Maximilian hatte dann als Kaiser auch für das Archiv des Reichs große Pläne, selbst wenn diese ebenfalls kaum umgesetzt werden konnten. Vielfach ist freilich auch im Reich zu sehen, dass diese Entwicklungen keineswegs flächendeckend und gleichmäßig erfolgten. In Lüneburg beispielsweise wurde bis ins 18. Jahrhundert kaum eine anwendbare Ordnung im städtischen Archiv etabliert, und ein eigener Archivar wurde erst 1735 eingestellt. 56
Der Blick auf all diese Entwicklungen macht klar, dass die frühesten greifbaren Organisationsakte meist nicht so sehr den tatsächlichen Beginn des Archivierens markieren, sondern eher als Momente der Intensivierung und Institutionalisierung bestehender Praktiken verstanden werden müssen. Archivinstitutionen, so ließe sich pointierend festhalten, sind nur eine bestimmte Form, eine besondere Etappe in einem breiten Spektrum an Konservierungspraktiken. Aufbewahrt und gesammelt wurde lange bevor es eigens personell, finanziell und räumlich ausgestattete Archivinstitutionen gab.
Archive überall: Quantitative und geographische Ausdehnung Archive existierten von Anfang an im Plural. Doch gerade die Frühe Neuzeit als entscheidende take-off -Phase der Archivgeschichte Europas ist von einer enormen Ausdehnung des Archivwesens in zahlenmäßiger, geographischer und sozialer Hinsicht gekennzeichnet. Allein für Paris werden um 1770 nicht weniger als 400 Archive angenommen, für ganz Frankreich etwa 5.700. Im Kirchenstaat gab es zu Beginn des 18. Jahrhunderts allein 400 bis 500 Notariatsarchive. Auch die fürstlichen Archive bildeten ein meist komplexes, widersprüchliches und historisch gewachsenes Netzwerk verschiedener Depots. Die spanische Monarchie bediente sich mehrerer Ratsgremien zur Gestaltung von Politik, und diese hatten meist ihre eigenen Archive. Auch der Heilige Stuhl verfügte über eine Vielzahl von distinkten, häufig auch konkurrierenden Archiven in Rom. Nicht nur waren die unmittelbaren Bestände des Papstes zwischen Geheimarchiv und Engelsburg geteilt, darüber hinaus verfügten auch alle 1588 gegründeten 15 Kardinalskongregationen über eigene Archive. Manche von ihnen, etwa die Archive des Sanctum Officium und der Propaganda Fide, erreichten schon früh ein hohes Organisationsniveau. In anderen Kongregationen entschloss man sich dagegen erst im 18. Jahrhundert zu einer besseren Aufbewahrung der Akten. Es gab zwar in der Frühen Neuzeit eine Reihe von spektakulären Projekten, die staatlich-administrative Aktenspeicherung zu zentralisieren. In der archivhistorischen Forschung wurden und werden diese Projekte immer wieder als signifikante Einschnitte der europäischen Archivgeschichte bewertet. Die Einrichtung eines zentralen spanischen 57
Kronarchivs in der Festung von Simancas 1540/1561, die schrittweise Herauslösung des neuen päpstlichen Geheimarchivs aus der Vatikanischen Bibliothek samt Eingliederung zahlreicher bisher in Rom verstreuter Akten 1612 und die Gründung des Habsburger Hausarchivs nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg 1749 werden in diesem Zusammenhang immer wieder genannt. Neben der Gründung solcher zentralen Archivinstitutionen lassen sich außerdem seit mindestens dem 17. Jahrhundert eindrucksvolle Projekte einer ,virtuellen Archivzentralisierung‘ finden, als deren vielleicht eindrucksvollstes Beispiel das Depôt general des Chartes in Frankreich gelten kann, das seit den 1760er Jahren arbeitete. Dabei handelte es sich um eine ministerielle Arbeitsstelle in Paris, die aus königlicher Perspektive systematisch eine Bestandsaufnahme historischer Dokumente der französischen Geschichte anstrebte, und zwar unter Ausbeutung aller kirchlichen, öffentlichen und privaten Archive. Versucht wurde also eine zentral koordinierte und angeleitete Totalerschließung der französischen Archivlandschaft. Zur Umsetzung griff man vorwiegend auf gelehrte Geistliche sowie auf die regionalen Akademien zurück, doch auch die königliche Bürokratie lieferte vielfältige Unterstützung, die wohl wichtiger war als bisher meist angenommen wurde. Die Intendanten veranlassten systematische Erhebungen über relevante Archive mit Hilfe eigens angefertigter Vordrucke, die ihre Untergebenen tatsächlich auch detailliert ausfüllten, nicht zuletzt unter Angabe hilfreicher logistischer Details zur Planung von Archivreisen. In den Büros der Arbeitsstelle in Paris am Place Vendôme sollte auf diese Weise nicht nur eine zentrale Sammelstelle für Kopien relevanter Urkunden entstehen, sondern auch eine Art zentrales Inventar aller französischen Archive, das zumindest idealiter den Zugriff der Krone auf diese Bestände vorbereiten und erleichtern sollte. Doch aufs Ganze gesehen, wie die verschiedenen vorhin angeführten Beispiele aus Rom und Paris schon belegen, sollte diese Tendenz zur Zusammenführung der administrativen Dokumentbestände nicht überbewertet oder gar zum Signum der Frühen Neuzeit als archivhistorischer Epoche gemacht werden. Im Gegenteil ist vielmehr mit einer ungeheuren Vervielfältigung lokaler und regionaler Archive zu rechnen. Archive waren nun auch in den letzten Winkeln Europas anzutreffen. Bald projizierten die europäischen Mächte ihre Archivpraktiken und -vorstellungen zudem über ihre eigenen Herrschaftsbereiche hinaus in fremde Territorien. Diplomatische Archive entstanden beispielsweise seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert an den Sitzen der Botschafter 58
und Nuntien. Auch nach Übersee exportierten die europäischen Kolonisten ihre Archivkultur ganz selbstverständlich. Schon kurz nach 1492 verankerten die Spanier ihre Schrift- und Archivkultur in der Karibik und auf dem mittelamerikanischen Festland. Auch in Nordamerika ging Besitznahme mit Archivausbau einher. In der eben erst von den Niederlanden eroberten Kolonie New York etablierten die neuen englischen Herren ab etwa 1674 ein Aufbewahrungssystem für Gesetze. Und die oberste Behörde der niederländischen Kirche auf Ceylon, das Konsistorium in Colombo, schlug sich im 18. Jahrhundert regelmäßig mit Fragen der Organisation und der Konservierung ihrer Akten herum. Selbst in den noch kaum erschlossenen Weiten Sibiriens gab es im 18. Jahrhundert Archive, freilich oft in beklagenswertem Zustand. Die Regierungs- und Verwaltungszentren in Tobolsk, Čerdyn oder Ilimsk verwahrten umfangreiche Materialien. Während der Großen Nordischen Expedition ab 1733 wurden diese Bestände von Gerhard Friedrich Müller systematisch ausgebeutet. Nicht zuletzt auf der Basis dieser Erfahrungen reorganisierte Müller ab 1766 das von Peter dem Großen 1720/24 gegründete Staatsarchiv in Moskau. Keine Weltregion unter europäischem Einfluss, die nicht im Lauf der Frühen Neuzeit durch die habitualisierten Archivpraktiken Europas geprägt worden wäre.
Archive für jedermann: Korporationen, Kirchen, Adel Neben der quantitativen Vermehrung und geographischen Expansion ist schließlich auch darauf zu verweisen, dass immer weitere Gesellschaftskreise von der Ausdehnung des Archivwesens erfasst wurden. Im Lauf des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit entdeckten immer mehr soziale Akteure, dass sie Akten führen und Archive besitzen wollten oder mussten. Wichtig ist festzuhalten, dass dies nur teilweise durch obrigkeitliche Archivpolitik angeregt wurde. Häufig folgten solche Prozesse lokalen Eigenlogiken, die mit den obrigkeitlichen Anforderungen und Intentionen keineswegs harmonieren mussten. Wir werden noch sehen, wie obrigkeitliche und lokale Vorstellungen vom Archivwesen miteinander in Konflikt gerieten. Einen wichtigen Anteil am wachsenden Bedürfnis nach und an der zunehmenden Selbstverständlichkeit von Archivierung hatte zweifellos 59
ein allgemein zu beobachtender Institutionalisierungstrend. Immer häufiger wurden bestimmte Aufgaben von halbwegs bürokratisch organisierten Personengruppen bewältigt, deren innere Struktur wesentlich durch Schriftlichkeit geprägt war. Gut beobachten lässt sich dies exemplarisch bei berufsständischen Organisationen, etwa bei den livery companies in London, den inkorporierten Berufsgenossenschaften, von denen es in der Frühen Neuzeit knapp einhundert gab. Sobald sie zu juristischen Personen geworden waren, begannen sie mit der Produktion und häufig auch Aufbewahrung von Schriftdokumenten. Im Fall der Goldschmiede setzte dies bereits 1334 ein. Die für Papierwaren zuständigen Stationers and Newspapermakers initiierten direkt bei ihrer Gründung 1557 eine komplexe mehrfache Aktenführung. In Frankreich hatten die berufsständischen Archive in der Frühen Neuzeit zwar keinen guten Ruf, doch auch hier beobachteten die Zeitgenossen um 1500 entscheidende Veränderungen. Schwenkt man vom Handwerk zum Handel, so kann man an der Schnittstelle zwischen obrigkeitlichem und korporativem Handeln etwa auf die Handelskammern (Chambres du Commerce) verweisen, von denen auf private Initiative hin, aber mit königlicher Überwachung um 1700 eine ganze Reihe gegründet wurden. Die 1705 in Bordeaux eingerichtete Chambre de Guyenne begann, wie das nun allenthalben üblich geworden war, sofort mit der systematischen Verschriftung ihrer Aktivitäten und der Aufbewahrung der anfallenden Papiere. Nicht nur wurde skripturale ,,Gleichförmigkeit“ (uniformité) zum Schlagwort der bürokratischen Selbstorganisation. Sofort wurde auch an ein Archiv gedacht, das – vermutlich aus Kontrollzwecken – jährlich beim Wechsel des Vorsitzenden inventarisiert werden sollte. Ähnlich wie im ökonomischen Bereich verband sich auch im kirchlichen Archivwesen auf mittlerer und unterer Ebene eine lange mittelalterliche Tradition mit einer Neuausrichtung in der Frühen Neuzeit. Zahlreiche verschiedene kirchliche Einrichtungen waren während des Mittelalters zentrale Horte und Orte der europäischen Schriftkultur gewesen. Die organisatorische Entfaltung des Ordenswesens im Hoch- und Spätmittelalter, die zunächst Cluniazenser und Zisterzienser, später verschiedene Bettelorden und eine kaum zu überblickende Reihe von Benediktinerkongregationen hervorbrachte, ging auch mit einer rasanten Ausdehnung von pragmatischer Schriftlichkeit und gelegentlich mit dem Aufbau eindrucksvoller Archivsysteme einher. Allerdings griffen bei weitem nicht alle Orden und Klöster diese mittelalterlichen Pionierleistungen auf. Für viele Ordensniederlassungen ist 60
demnach noch im 16. Jahrhundert ,,kein eigenes Archiv zu erwarten“, wie Helga Penz, die beste Kennerin des monastischen Archivwesens, für Österreich formuliert hat. Was die Dokumente der pragmatischen Schriftlichkeit jenseits der wertvollen Urkundenbestände angeht, so diagnostiziert die Autorin häufig einen Zustand des relativen Chaos. Hatten die Klöster um 1100 die Speerspitze der europäischen Archivkultur gebildet, so war dies schon am Ausgang des Mittelalters wohl immer weniger der Fall, selbst wenn im 18. Jahrhundert eine neuartig intensivierte und modernisierte Archivpraxis viele Klöster prägte. Das häufig bewunderte Archivwesen des 1540 gegründeten Jesuitenordens stellte zwar eine bemerkenswerte Initiative dar, fand aber in seiner organisatorischen Entfaltung aufs Ganze gesehen allenfalls unvollkommene Nachahmung. Für viele Klöster in Mitteleuropa bedeutete die Reformation einen wichtigen Einschnitt auch mit Blick auf die Archive. Das Prämonstratenserinnenkloster Niederilbenstadt in Hessen beispielsweise, das zwischen 1566 und 1665 wegen der religiösen Unruhen faktisch nicht existierte, verlor in diesem Zeitraum sein Archiv an den Erzbischof zu Mainz. Nach der Wiederbelebung des Hauses verblieben die Originale in Mainz, und vor Ort waren nur noch ein Inventar sowie etliche Kopien verfügbar. Wenn die Nonnen Unterlagen aus ihren Urkundenbeständen benötigten, mussten sie in Mainz unterwürfig um Aushändigung bitten – was ihnen mehrfach erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Auch sonst bedeutete das Ende der Klöster oft einen Bruch in der archivischen Kontinuität. Die Landesfürsten als neue Obrigkeiten zogen zahlreiche Urkunden und Archivalien an sich und lagerten sie in ihre eigenen Depots ein, ohne dass hier allerdings besonders systematisch verfahren wurde. Häufig herrschte eher ,,Interesselosigkeit“ der weltlichen Herren vor. Vielerorts, etwa für die Kircheneinrichtungen im fränkischen Ansbach 1563 oder für die unter Joseph II. im 18. Jahrhundert säkularisierten Klöster Österreichs, führte dies zu einer Zerstreuung der alten Bestände. Jenseits der Orden und Klöster lag der Bereich der Bischofs- und Pfarrarchive. Beide haben ebenfalls eine lange Geschichte. Karl der Kahle hatte bereits im 9. Jahrhundert den Bischöfen die sorgfältige Aufbewahrung von königlichen und päpstlichen Privilegien befohlen. Auch hier fallen die entscheidenden Umbrüche in die Zeit des Übergangs vom Hoch- zum Spätmittelalter. Erst ab dem 13. Jahrhundert wurden überhaupt umfangreichere Dokumentmengen produziert, die die Behältnisse füllen konnten. In der gut untersuchten Erzdiözese 61
von Canterbury beispielsweise sind seit 1306 Registrare und Aktenschreiber namentlich belegt, die es damals allerdings wohl bereits seit etwa einer Generation gab. In den meisten Diözesen lassen sich ab diesem Zeitpunkt komplexere Praktiken der Dokumentbenutzung nachweisen. Im Bistum Konstanz setzen regelmäßigere Hinweise zur Aufbewahrung deutlich nach der Jahrtausendwende ein, in Strassburg und Konstanz finden sich erste Ordnungsversuche im 14. Jahrhundert und in Würzburg kurz nach 1400. Die Frühe Neuzeit war für das kirchliche Archivwesen eine Ära neuer Intensivierung. Die Straßburger Bischöfe regulierten erstmals 1541 ihr Archivwesen, doch erst ab etwa 1650 tauchten ,,Archivarii“ auf. 1598 erließ die zuständige Kardinalskongregation in Rom ein Dekret, wonach ,,alle Prozessakten, Schriftstücke und Dokumente der erzbischöflichen Kurie“ in einem ,,eigenen Raum, der nur dafür vorgesehen ist“, aufbewahrt werden sollten. In Fulda wurden zwar seit kurz vor 1600 in der bischöflichen Kanzlei Registratoren angestellt, doch zu einer einigermaßen vertieften Organisation des Archivs als solchem, das über die Kanzleimaterialien hinaus alle Bestände der bischöflichen Verwaltung erfassen sollte, kam es erst im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Für das Bistum Osnabrück ist ähnliches festzustellen. Manche Bischöfe der Frühen Neuzeit nahmen ihre Dokumente und Archive außerordentlich ernst. Johann Graf von Manderscheid, von 1569 bis 1592 Bischof in Straßburg, gehörte zu dieser Gruppe. Daniel Specklin, ein Zeitgenosse, notierte, der Bischof ,,suchte selbs alle brief ausz und lase sie, daran er etlich jar wandte; das machte er, er hatte keine lust zum jagen noch anders; darneben ist er sunst allem fressen und saufen feindt gewesen [. . . ] sunst sasse er stetz über den briefen; darin fände er vil alte sachen, das wolte er widrum von der Stadt haben, aber die Stadt hatte andere brief dagegen, das machte vil spann [sc. Konflikte].“
Der Straßburger Bischof erscheint hier als Verkörperung eines neuen Typus von Geistlichem. Den weltlich-leiblichen Vergnügungen abhold, wandelte er sich zum engagierten Aktenleser. Archivbezogene Verhaltensweisen begannen, ihn und seinen Regierungsalltag zu prägen. Damit folgte er dem Geist – und auch den Normen – der von Rom ausgehenden Gegenreformation, die auch im administrativen Bereich wichtige Veränderungen brachte. Das Konzil von Trient, mit dem die katholische Kirche zwischen 1542 und 1563 auf die Herausforderungen der Reformation reagierte, hatte das Archivwesen zumindest erwähnt und dabei zur verstärkten Aufmerksamkeit gemahnt. Papst Pius V. befahl 1571 den Bischöfen in der Bulle Muneris nostri noch einmal 62
erhöhtes Engagement für die Archive. Der französische Klerus erließ 1579 und 1581 erste Anordnungen zur Verbesserung der Dokumentaufbewahrung. Viele dieser Bestimmungen dürfte Johann Manderscheid gekannt haben. Vielleicht hatte er auch einen zeitgenössisch weithin bewunderten, exemplarischen Vorreiter der neuen, post-tridentinischen Archivkultur im Katholizismus vor Augen: Carlo Borromeo, Erzbischof von Mailand. Borromeo hatte vor seiner Amtsübernahme in der Lombardei bereits umfangreiche Erfahrungen mit dem päpstlichen Archivwesen in Rom sammeln können, als er im päpstlichen Staatssekretariat tätig war. Auf der Basis dieser Eindrücke und in Umsetzung der erwähnten konziliaren und päpstlichen Bestimmungen entfaltete er eine intensive Archivpolitik. Für die Erzdiözese Mailand erließ er detaillierte Archivgesetze und kontrollierte deren praktische Umsetzung immer wieder auch vor Ort. Auch anderswo und nicht zuletzt angeregt durch das Vorbild des bereits 1610 kanonisierten Borromeo wandten sich Bischöfe mit langsam, aber stetig wachsender Regelmäßigkeit dem Archivwesen zu. In Benevent und Rom wurden 1693, 1698 und 1725 unter Rückbezug auf die genannten Dokumente offizielle Archivgesetze erlassen. In Avignon wurde 1725 sogar befohlen, die Regelungen zur Wiederherstellung und Pflege von Rechtstiteln und Archiven am Sonntag von der Kanzel zu verlesen. Zwei Jahre später, 1727, erließ Benedikt XIII., der ,,Archivarspapst“, weitere umfangreiche und epochale Vorschriften zur Einrichtung der Kirchenarchive. Diese Ansätze einer kirchlichen Archivpolitik auf höchster und mittlerer Ebene hatten das Ziel, die neue Archivkultur bis in die letzten Winkel der (katholischen) Welt zu bringen. Gerade was die ländlichen und städtischen Pfarreien angeht, stellte die Frühe Neuzeit eine wichtige Phase der Verdichtung von Schriftlichkeit und Archivpraxis dar. In der dritten Sitzungsperiode (1561–1563) des Konzils von Trient wurde die Anlage von Ehe- und Taufregistern, an sich eine alte Praxis mit Wurzeln in der Spätantike, neu eingeschärft. Auch wenn nach wie vor nicht alle Bischöfe und Pfarrer die Wertschätzung ihrer kirchlichen Obrigkeiten für ordentliche Registerführung und -aufbewahrung teilten, so gehörten diese Punkte doch je länger umso mehr zu den Kriterien guter Amtsführung. Entsprechend wurden Personenstandsregister und Archive bei den bischöflichen Kontrollbesuchen verstärkt beachtet. 1605 mahnte Franz von Sales bei seiner Visitation in Ruffieu beispielsweise den Pfarrer, er müsse die bisher fehlenden Register für Taufen, Kommunionen, Eheschließungen und Todesfälle anlegen. 63
Bei den Visitationen 1654 in der Diözese Lyon wachte Camille de Neuville ebenfalls immer wieder über diesen Punkt, auch wenn sein Interesse noch keineswegs durchgängig oder besonders intensiv den Registern gehörte. Viel stärker ausgeprägt war die archivbezogene Sorge dagegen bei Pietro Francesco Orsini, dem Bischof von Benevent um 1700. Immer und immer wieder stieß er die Priester seiner Diözese auf die Notwendigkeit präziser Archivführung, wenn er auf Rundreisen mit ihnen zusammentraf. Minutiös kontrollierte und verbesserte er die archivischen Verhältnisse. Im kleinen Ort Ginestra etwa, gut 150 Kilometer östlich von Neapel, ordnete er 1704 die Ausmistung der Archivschränke an und befahl die Vervollständigung der Akten sowie 1708 die Neubindung verschiedener Kodizes. Zufrieden hielt der Visitator 1716 fest, dass man aus ,,losen und einzelnen Blättern“ endlich ein gebundenes ,,Buch“ gemacht habe. Kein Detail der lokalen Aktenführung und Archivpraxis war Orsini zu gering, um nicht sein Interesse zu erregen. Als er 1724 mit dem Namen Benedikt XIII. zum Papst gewählt wurde, wirkte diese Begeisterung für das kirchliche Archivwesen auf einer globalen Ebene fort. Die neuen protestantischen Kirchtümer standen ihren katholischen Konkurrenten kaum nach. Der drastische Einsatz von bürokratischen und schriftbasierten Techniken zur Sozialdisziplinierung im Genf Jean Calvins ist gut bekannt – dem gezielten Gebrauch von Schriftlichkeit zur Häretikerbekämpfung im Spätmittelalter stand das kaum nach. Als man im Alten Reich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts daran ging, detaillierte Kirchenverfassungen und Kirchenordnungen auszuarbeiten, fand das Archivwesen zwar noch keineswegs überall Berücksichtigung. Noch 1638 musste ein neu berufener Superintendent in Hessen erst einmal mühsam die Verfügungsgewalt über sein Amtsarchiv erstreiten. Einzelne Beispiele, etwa die Kirchenordnungen für Pommern (1535), Pfalz-Neuburg (1576) oder Regensburg (1588), lassen aber bereits zu diesem Zeitpunkt eine erhöhte Aufmerksamkeit für Kirchenakten erkennen. Das Beispiel des Eschweger Superintendenten Johannes Hütterodt in Hessen belegt dies anschaulich. Archive spielten in seinem Arbeitsalltag eine große Rolle. Praktisch täglich war Hütterodt in seiner Amtsführung auf den Umgang mit verschiedensten ,,Registern“ und Archivmaterialien angewiesen. Am 28. Juni 1638 verhandelte er beispielsweise mit der Regierung über die ,,richtigmachung der Register in Kasten u. Hospitalien“, am 15. Juli desselben Jahres mit einem Pfarrer über dessen Register, im Januar 1640 verbessert er die Kirchenrech64
nungsbücher von Pfarrer Schwinger und mit ähnlichen Aufgaben war Hütterodt in den folgenden 22 Dienstjahren fast täglich befasst. Immer wieder wurden ,,Reposituren“ durchforscht, häufig ohne Ergebnis. Inventare wurden kontrolliert, eingefordert oder angefertigt. Dies war dabei nicht nur ein obrigkeitliches Verhalten – auch seine Untergebenen, die Ortspfarrer, ,,klagen“ immer wieder über Probleme bei der Archivführung, was nicht nur die mangelhafte Praxis, sondern auch die gewachsenen Ansprüche dokumentiert. Allenthalben wurde in der Hessischen Provinz mit Archivalien verwaltet, gestritten und Lokalpolitik gemacht. So ist es nicht verwunderlich, dass der Kirchenmann, als er eine schwere Bezichtigung metaphorisch anzeigen wollte, ganz selbstverständlich zu einer archivbezogenen Redensart griff: Er sei angefahren worden, ,,als hette er Register verbrandt.“ Die Pflege von Archiven und Registern war ihm so sehr zur zweiten Natur geworden, dass ihre Zerstörung zum sprichwörtlichen Inbegriff von schändlichem Verhalten geworden war. Von dieser um sich greifenden archivischen Durchdringung immer weiterer Lebensbereiche wurden langfristig zwar alle Stände betroffen, aber doch mit sehr unterschiedlichen Folgen. Einen guten Einblick in die Ambivalenzen und Schwierigkeiten, die die neue Archivkultur für manche sozialen Gruppen mit sich bringen konnte, kann der Umgang des europäischen Adels mit den Archiven bieten. Im Reich sahen sich im 16. Jahrhundert viele Adelige durch die Vertreter der neuen Schriftlichkeit und die mit ihnen eng verbundenen veränderten Herrschaftspraktiken vorübergehend in die Defensive gedrängt. Der alte Kampf darum, ob eher Feder oder Schwert den wahren Adel begründeten, schien sich zu Ungunsten der traditionellen Führungsschicht zu entscheiden. Auch wenn heute nicht mehr von einer ,,Krise des Adels“ im 16. Jahrhundert gesprochen wird, so waren doch erhebliche Anpassungen nötig, um die althergebrachten Machtansprüche aufrecht zu erhalten. Die Ambivalenz der Situation verdeutlicht gut Matthias Vieregge, der aus einem alten und angesehenen Mecklenburger Adelsgeschlecht stammte. Mit Schreiben vom 27. Februar 1592 bat er den Rat der Hansestadt Rostock, verschiedene Urkunden für ihn aufzubewahren, ,,dran meinen Kindern mercklich gelegen“. Er könne sich dafür ,,keinen bessern Ortt“ vorstellen als das Rostocker Rathaus. Vieregge wusste um den Wert seiner Urkunden und kümmerte sich erkennbar um ihre sichere Aufbewahrung, doch der altadelige Besitzer zahlreicher Güter und Gutshöfe verfügte für diese ihm offensichtlich noch ungewöhnliche Aufgabe selbst nicht über ihm dafür geeignet scheinende Infrastruktur. 65
Der Wille zum Archiv und die Unsicherheit in der konkreten Umsetzung solcher Pläne stechen in dieser Episode gleichermaßen ins Auge. Immerhin hatte der Mecklenburger Adelige den Wert derartiger Papiere genau erkannt, so hätte Caspar IV. Lerch von Dirmstein, ein oberrheinischer Reichsritter und jüngerer Zeitgenosse Vieregges, wohl gesagt. Bei ihm haben wir es zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit einem Adeligen zu tun, der noch weitaus offensiver auf die neuen Zeiten zu reagieren versuchte als Vieregge. Caspar hatte in Frankreich Jura studiert. Das Schreiben und die Sorge um Geschriebenes scheinen ihm dabei zur zweiten Natur geworden zu sein. In beinahe obsessiver Weise sorgte er sich um die Geschichte und Überlieferung seiner Familie. Zu diesem Zweck verfasste er umfangreiche (ungedruckt gebliebene) Annalen seines Geschlechts, die von Bemerkungen zu Urkunden und sonstigen Papieren durchzogen sind. Doch Caspar wusste, dass er damit im Kreise seiner Standesgenossen ein eher ungewöhnlicher Fall war. Nüchtern diagnostizierte Dirmstein das Fehlen einer adeligen Archivkultur. Die mangelhafte Sorge um alte Dokumente brachte den Adel dabei in große Schwierigkeiten, so betonte er. Durch Missachtung der Archive gaben Dirmsteins Standesgenossen selbst ihre wichtigste Waffe aus den Händen, die sie im Kampf um ihre Privilegien gehabt hatten – Urkunden und Schriftstücke. Es ,,wehre woll zu wünschen, das vor vilen jaren man brif und urkunden besser verwartt hette“, so konstatierte er trocken. Archivieren als soziale Praxis war bei Lerch eine Bedingung politischer Eigenständigkeit – nur durch sorgfältiges Aufbewahren alter Unterlagen konnte man den wachsenden Machtansprüchen der großen Landesherren wie der Kurpfalz rechtswirksam entgegentreten. Doch weil sich adelige Familien wie seine eigene nicht selbst um die Bewahrung gekümmert, sondern sich (ähnlich wie Vieregge in Rostock) auf fremde Treuhänder, nämlich die Klöster, verlassen hätten, sei man nun in der Bredouille: Weil ,,churpfaltz dy closter zerstörtt und Franckenthall mitt dem durmsteiner pfarhof und allen umbligenden gaistlichen heisern und güttern sambt alten brifen auch documenten zu seinem nutzen gezogen und eingenommen hatt“, waren dem archivkulturell allzu naiven Adel seine Urkunden abhanden gekommen. Caspar IV. prangerte vor allem das archivische Versäumnis seiner Standesgenossen an. Seine nüchterne und beinahe sarkastische Diagnose belegt, dass große Teile des Adels mit der neuen Schrift- und Archivkultur um 1600 noch ihre Schwierigkeiten hatten. Andere Standesgenossen machten Jahrzehnte später ähnliche Erfahrungen. Bis weit ins 17. Jahrhundert 66
war Gebrauch und Aufbewahrung von pragmatischer Schriftlichkeit in der adeligen Haushaltung keine Selbstverständlichkeit. Im Archiv der Familie de la Baume, der Grafen von Montrevel, gingen in den 53 Jahren zwischen 1568 und 1621 etwa zwanzig Prozent aller Unterlagen verloren. Auch die Familie von Bodeck aus Frankfurt konnte 1660 einen ,,1625 ertheilten Lehenbrieff bey unserer registratur [. . . ] nicht befinden“. Angesichts solcher Versäumnisse war das Selbst- und Herrschaftsverständnis des Adels in seiner traditionellen Form den neuen Mechanismen zunehmend verschriftlichter Machtausübung in kritischer Weise unterlegen. Doch es lassen sich langfristige Veränderungen erkennen. Eine Hinwendung des Adels zur Schriftlichkeitskultur ist überall in Europa zu beobachten. Als dem preußischen Burggrafen Christoph von Dohna 1694 sein Gutshaus abbrannte, bemerkte er ausdrücklich, wie ,,glücklich“ er gewesen sei, dass ihm Gott gerade seine Archive unversehrt gelassen habe. In der Mitte des 18. Jahrhunderts verfügten auch kleinadelige Gutsbesitzer offenbar wie selbstverständlich über Archive, aus denen bei Bedarf Lehensbriefe und andere Dokumente entnommen werden konnten, nicht zuletzt um Rechtspositionen gegenüber den Obrigkeiten zu dokumentieren. Der Herr von Breidbach konnte 1735 ganz selbstverständlich eine über zweihundert Jahre alte Urkunde aus seinem Archiv hervorholen. Zwanzig Jahre später verkaufte Carl Frantz Loener von und zu Laurenburg in Usingen seine Lehen zusammen mit einem respektablen Bestand an Urkunden, die zu den Besitzungen gehörten. Noch einmal einen ganz anderen Bereich neben der adeligen Aufbewahrung lehnsrechtlich relevanter Dokumente stellte die Übernahme pragmatischer Schriftlichkeit im Bereich adeligen Wirtschaftslebens dar. Die modellhaft fortschrittliche Grundherrschaft Gundakers von Liechtenstein in Böhmen und Mähren kann dafür als Illustration dienen. Gundaker, ein Adeliger mit innovatorischem Anspruch, organisierte die Bewirtschaftung seiner Güter penibel und mit dauerndem Rückgriff auf schriftliche Kontrolltechniken. Die ,,buchhalterey“ sollte von den zuständigen Aufsehern wöchentlich über Fortschritte und Einnahmen informiert werden. Minutiöse Strafkataloge wurden erstellt, nicht nur um ökonomische Versäumnisse, sondern auch um administrative, d. h. schriftbezogene Schlampereien in der Verwaltung zu sanktionieren. Wer vergaß, sich etwas quittieren zu lassen, wurde mit einem Kreuzer Strafe belegt, wer in seinen Berichten ein ,,unrechts rubricwort“ benutzte, also die terminologischen Standards verletzte, 67
musste die gleiche Summe aufbringen. Auf diese Weise kamen schnell enorme Massen an Unterlagen zusammen. Diese Papiere lagen Gundaker offenbar so sehr am Herzen, dass er im Juni 1636 höchst persönlich eine Instruction, wie in der füerstlich Liechtensteinischen hofcantzley [. . . ] die registratur gehalten werden solle konzipierte. 1641 überarbeitete er, wiederum mit eigener Hand, diese Ordnung. Gundakers Archivreglements zeigen ihn auf der Höhe zeitgenössischer Entwicklungen. Ein- und ausgehende Dokumente waren zu archivieren, in letzterem Falle durch säuberliche Aufbewahrung der Konzepte. Zudem sollten ,,Protokollbücher“ den Ein- und Auslauf dokumentieren. Detaillierte Angaben zur äußeren Aufbewahrung, Inventarisierung und zu einzelnen Dokumenttypen kamen hinzu. Vor allem aus der überarbeiteten Version der Ordnung von 1641 wird deutlich, dass dieser komplexe Apparat adeliger Schriftlichkeit direkt auf die Herrschaftsausübung des Grundherren zugeschnitten war: Gundaker traf in vielen alltäglichen Belangen selbst die Entscheidungen und seine Kanzlei samt Archiv sollte ihm dabei gezielt zuarbeiten. Solches Verhalten wurde zum Idealbild adeliger Herrschaftsweise. Als der Jesuit Christoph Fischer am Ende des Jahrhunderts ein Handbuch zur Leitung eines großen Gutshofes verfasste, nahm er ein ausführliches Kapitel über die notwendige ,,Hauß-Cantzley“ auf. Darunter verstand er ein ,,archiv“, eine ,,Hauß-Registratur“ oder einen ,,Schrifft-Kasten“, in dem der gute Hausvater eine große Menge an ökonomisch und juristisch relevanten, zum Gut gehörigen Schriften sorgfältig aufzubewahren hatte. Detailliert schrieb Fischer vor, wie der Grundherr durch Schriftlichkeit und Archivierung eine effiziente Haushaltung organisieren könne. Ohne Archiv war mittlerweile selbst adeliges Landleben undenkbar. Diese Umstellung altehrwürdiger Herrschaftseliten auf pragmatische Schriftlichkeit trug entscheidend zur geographischen und sozialen Diffusion des Archivwesens bei. In Frankreich beispielsweise ist das gut am seigneuralen Gerichtswesen zu beobachten. Die Ausübung von Justiz war im Ancien Regime häufig Bestandteil von Grundbesitz. Grundherrliche oder ,feudale‘ Rechtsprechung prägte deshalb Europa seit dem Mittelalter und war häufig in der Hand des Adels. Hier interessiert an dieser Gerichtsbarkeit besonders die Tatsache, dass sich auch in diesem Bereich in der Frühen Neuzeit eine intensivierte Schriftlichkeits- und Archivkultur durchsetzte. In Murol, etwa 40 Kilometer südwestlich von Clermont-Ferrand, wurde um 1587 erstmals ein fester Ort für das
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,,Büro des Gerichtsschreibers“ eingerichtet. Etwa zeitgleich differenzierte man dort die Prozessaktenführung in verschiedene spezialisierte Serien aus. Entsprechend wurden immer mehr Gerichtsakten auf diesen untersten Ebenen produziert – und ihre Aufbewahrung rückte insbesondere seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stärker in den Blick des Interesses. Eine Gesetzesinitiative unter Ludwig XIV., die ihren Höhepunkt mit zwei grundlegenden Gesetzen von 1667 und 1670 fand, achtete dabei besonders auch auf die ,,archives publiques“ des lokalen Gerichtswesens. Schon 1662 legte das Parlament von Paris fest, dass in jedem Gericht ein eigener Büroraum vorhanden sein sollte, in dem auch die Akten gelagert werden konnten – allerdings folgten noch zahlreiche weitere ähnliche Festlegungen, so dass man den Erfolg dieser Maßnahmen wohl nicht überschätzen sollte. Dennoch ist durch eine Fülle von Beispielen gut zu erkennen, dass die lokalen Gerichtsinstitutionen diese Vorgaben immer öfter umsetzten oder das zumindest versuchten. Für Dombes finden sich seit mindestens 1695 zahlreiche Überführungen von Gerichtsakten aus dem Besitz einzelner Amtsträger in seigneurale Depots und noch bei der Verwaltungsreform 1773 erließ der (neue) königliche Prokurator diesbezüglich eine weitere Vorschrift. 1725 wurde in Trevoux, dem Regierungszentrum von Dombes, das örtliche Palais du Justice aufwendig umgebaut, um dort die Archivalien der verschiedenen Gerichtsbarkeiten besser lagern zu können. Andernorts in Frankreich bietet sich ein ähnliches Bild: In der seigneurie Château-la-Vallière in der Nähe von Tours fehlten zwar bis 1784 eigene Archivräume für die Gerichtsakten, obwohl es seit mindestens 1725 ein Archiv für die Urkunden des Adels gab. Doch die verantwortlichen Gerichtsschreiber kümmerten sich um die große Masse der anfallenden Akten beinahe rührend und retteten die Papiere 1705 unter Lebensgefahr vor einem Feuer. Die seigneurale Obrigkeit schritt umgekehrt 1743 energisch ein, um den Verbleib der vielen Dutzend Register beim Gericht zu sichern. Damit lag man im Trend der Zeit, der zu einer stärker institutionalisierten Verwahrung der Rechtsdokumente ging, denn auch sonst wurde immer häufiger eine Verbringung von Gerichtsdokumenten ,,in die Archive der Gerichtsschreiber“ befohlen. Während 1698 in Saint-Lager im Beaujoulais von einem scheidenden Notar noch verlangt wurde, die Gerichtsakten in seinem Besitz an seinen Nachfolger zu übergeben, wurde eine Generation später in Irigny im Lyonnais 1729 ihre Verbringung ins örtliche Schloss vorgeschlagen, nicht zuletzt, um besser vor dem Versagen der lokalen Amtsträger 69
geschützt zu sein. In Montreuil-Bellay im Anjou wurde 1734 vom Schreiber der adeligen Gerichtsbarkeit beim Ausscheiden ebenfalls gefordert, ,,alle Unterlagen in guter Ordnung ins Archiv zu geben“. Als in der Mitte des 18. Jahrhunderts das Gerichtsarchiv in La Marche im Maconnais – auf Befehl des Königs – inventarisiert wurde, waren knapp 60 Archivalieneinheiten vorhanden, die von Einzelstücken über Serien von Gerichtsregistern bis hin zu Kriminalakten reichten. Die Grundherren hatten, in Ausübung ihrer feudalen Jurisdiktionsrechte, im Zusammenspiel mit königlichen Amtsträgern und in Befolgung von Pariser Vorschriften ein zunehmend besser funktionierendes Archivwesen für das Gerichtswesen auf lokaler Ebene institutionalisiert. Wie weit dieser Trend zum systematischen, expliziten und gesonderten Aufbewahren der eigenen Schriftlichkeit in das alltägliche Leben und in die Wohnstätten der einzelnen Menschen vordrang und wann das geschah, ist nur sehr schwer zu sagen. Zwar erwähnen zahlreiche Nachlassinventare, die häufig bei Todesfällen angefertigt wurden, entweder überhaupt keine Dokumente oder lassen doch ganz klar erkennen, dass die wenigen vorhandenen Stücke irgendwo in der Wohnung der Verstorbenen vermischt mit anderen Gegenständen aufbewahrt wurden. Doch gänzlich ungewöhnlich waren kleine Schriftgutsammlungen auch bei Menschen aus einfacheren Verhältnissen und in der Provinz schon längst nicht mehr. Vorwiegend betraf das rechtlich und ökonomisch relevante Papiere, etwa Eheverträge und andere Kontrakte oder Quittungen über bezahlte Schulden. Bei manchen Verstorbenen fand man nach ihrem Tod einige Dutzend solcher Papiere. Einige Besitzverzeichnisse weisen auf relativ ausgefeilte Formen der Aufbewahrung privater Papiere hin. Bennoit Calloujard beispielsweise, der 1704 in Saint Lager verstarb, hatte in der Wand ein kleines Schränkchen eingelassen, in dem er eine beachtliche Menge an Unterlagen verwahrte. Pierre Audibert und Jeanne Faure, die 1737 in Irigny kurz hintereinander starben, hatten in ihrem Garderobenschrank eine eigene Schublade für ihre (sehr überschaubare) Sammlung, während Leonard Deschamps seine Papiere in einer Kiste aufbewahrte. Spätestens im 18. Jahrhundert war es auch in Deutschland ebenso selbstverständlich wie unverzichtbar, eine eigene thematische Rubrik für Briefschaften in den Nachlassinventaren anzulegen. Die Tatsache, dass diese Personen ihre persönlichen Papiere vor ihrem Tod verschlossen und gesondert gelagert hatten und dass diese nach deren Tod zunächst versiegelt und dann von den Notaren detailliert und als distinkte Form von Besitz inventarisiert wurden, weist darauf hin, 70
dass sie von allen Beteiligten als eigenständiger Bestandteil des Erbes betrachtet wurden. Insgesamt zeigt die Zusammenführung verschiedener Indizien, dass auch im ländlichen Raum selbst einfache Menschen spätestens im 18. Jahrhundert mit Archiven konfrontiert waren. Die Zeitgenossen trafen zwar gelegentlich bewusst eine (polemische) Differenzierung von ,archivischer Peripherie‘ und ,archivischem Zentrum‘. Manchmal verband sich dies sogar mit deutlichen kulturpolitisch hegemonialen Phantasien der jeweiligen Hauptstadt, etwa 1740, als Dom Antoine Lancelot (1675–1740) den Transport von Akten aus Nancy nach Paris damit rechtfertigte, dass ,,diese Stücke eine große Nützlichkeit für die Geschichte der Vergangenheit haben und deshalb eher in Paris lagern sollten, wo man sie sorgfältig aufbewahren kann, als hier, wo man noch nicht wirklich zu dieser Form von Studien vorgedrungen ist.“ Doch ungeachtet solcher herablassender Projektionen metropolitaner Agenten ist festzuhalten: Archive als Einrichtungen und diverse damit verbundene Archivpraktiken wurden ein fester Bestandteil alltäglicher Erfahrungen für immer größere Bevölkerungsteile selbst in entlegenen Gegenden. Vielerorts begannen Menschen und Institutionen damit, Unterlagen zu archivieren und Archive einzurichten. Archive entstanden im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa auf unterschiedlichsten sozialen und politischen Ebenen, gerade deshalb konnten sie sich so stark verbreiten. Der Ausbau der Archivkultur Europas war alles in allem ein weitgehend unkoordinierter Prozess, der – selbst wenn die großen fürstlichen Einrichtungen als Vorbilder dienten – nicht zentral gesteuert war, sondern eine Vielzahl von lokalen und regionalen Ursachen und Ausprägungen hatte.
Territoriale Archivpolitik zwischen Zentrum und Peripherie Diese Archivvielfalt erweckte in der Frühen Neuzeit allerdings zunehmend obrigkeitliches Interesse. Es ist ein Kennzeichen der Archivgeschichte des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, dass die vielschichtige europäische Archivlandschaft verstärkt mit Vereinheitlichungs- und Kontrollbemühungen seitens der Obrigkeiten konfrontiert wurde. Die entstehenden Staaten machten es sich mehr und mehr zur Aufgabe, lokale Depots zu überwachen, zu instrumentalisieren, zu koordinieren 71
und, wo nötig, zu erweitern. Dazu entwarfen leitende Beamte politischadministrative Visionen, wie bestimmte Segmente der Archivkultur in ihren Territorien auszusehen hätten. Archivpolitik wurde zu einem Bestandteil fürstlicher Herrschaft. Dabei ging es nie alleine um Fragen pragmatischer Nützlichkeit, sondern immer auch um symbolische Formen von Machtartikulation der Regierungszentren gegenüber Städten, Kommunen, Korporationen und anderen lokalen Autoritäten. Beides ist meist nur schwer zu unterscheiden. Nur weil den Archiven seit dem ausgehenden Mittelalter ein pragmatischer Nutzen wie selbstverständlich unterstellt wurde, konnten sie zum Gegenstand von Herrschaftsmanifestationen werden. Im Regelfall ging es den fürstlichen Regierungen nicht darum, lokale oder regionale Archive zu verdrängen. Obrigkeitliche Archivpolitik bedeutete nur vergleichsweise selten die Einrichtung von neuen Zentralarchiven. Meist sollten vielmehr die bestehenden Archive reorganisiert und stärker der obrigkeitlichen Autorität unterstellt werden. Das Archivieren sollte weiterhin dezentral erfolgen, allerdings sollten die vielfältigen zusammengehörigen Archive zu zentral überwachten Netzwerken zusammengefasst werden. Ein besonders gutes Beispiel dafür, wie Archivpolitik in Europa zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung abwog, stellen die unterschiedlichen Ansätze verschiedener Obrigkeiten zur verbesserten Aufbewahrung von Notarsakten dar. Auf der einen Seite steht das berühmte Beispiel von Florenz, wo die Großherzöge 1569 ein landesweites Zentralarchiv für diese Unterlagen eingerichtet haben. Auf der anderen Seite stehen der Kirchenstaat und Frankreich. 1588 befahl Papst Sixtus V. für den gesamten Kirchenstaat die dezentrale Archivierung der Notariatsdokumente und gründete zugleich eine komplexe Kontrollbürokratie zur Überwachung dieser Initiative. Etwa gleichzeitig, ab 1581, versuchte man auch in Frankreich, die Rechtssicherheit der Notariatsakten durch intensivierte, jedoch dezentrale Verzeichnungs- und Archivierungspraktiken zu steigern. Auch wenn die ersten Ansätze unter Heinrich III. und Heinrich IV. ohne durchschlagenden Erfolg blieben, so wurde doch durch einen Erlass Ludwigs XIV. vom März 1693 eine ernsthafte Initiative zumindest zur zentralisierten Überwachung der Notariatsakten erfolgreich gestartet. Eine eigene Bürokratie mit dem sprechenden Titel Contrôle des Actes wurde eingerichtet, deren Bureaus in großer Zahl weite Teile des Landes überzogen. Neben der abschriftlichen Kopie von Verträgen in die Register des jeweils tätigen Notars war nun auch ein kurzer Eintrag in eine weitere Liste bei den königlichen Beamten 72
unverzichtbar. Diese königlichen Listen waren gewissermaßen MetaRegister, denn sie enthielten nicht die Verträge selbst, sondern nur eine Notiz darüber, dass, wann und wo ein Vertrag zwischen zwei Personen geschlossen wurde. Bis heute werden sie als eine Art Inhaltsverzeichnis zu den unhandlichen Notarsregistern oft benutzt. Angesichts der stereotyp vorzunehmenden Aufzeichnungen griffen die Verantwortlichen schnell auf fortschrittliche Medientechnologien zurück und setzten beispielsweise massenhaft hergestellte Formularvordrucke ein. Gerade im französischen Fall ging diese Form königlicher Archivpolitik unter Ludwig zunächst einmal auf finanzielle Interessen zurück – die unverzichtbare Eintragung in die Register der Contrôle war von den Rechtsparteien zu bezahlen, und die zur Verwaltung notwendigen Ämter konnten deshalb lukrativ verpachtet werden zu Gunsten des königlichen Haushalts. Tatsächlich waren diese Gebühren so hoch, dass manche Bürger angesichts dessen auf geplante Rechtsgeschäfte verzichteten. Doch trotz dieser bisweilen kontraproduktiven fiskalischen Ziele kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Einrichtung der Contrôle zugleich Ausdruck absolutistischer Herrschaftsintentionen war, die nicht zuletzt eben auch durch Archivpolitik mit Hinweis auf das ,,öffentliche Interesse“ bis in die Privatgeschäfte der Staatsbürger vordringen wollte. Weitere lokale Archivierungspraktiken wurden im Lauf der Zeit Objekte königlicher Kontrolle. Seit 1667 griff Ludwig XIV. mehrmals in die Führung und Aufbewahrung der Personenstandsregister ein. Zunächst sah er zur Sicherung dieser wichtigen Informationen eine doppelte Anfertigung durch die zuständigen Priester vor, wobei eine Kopie an die lokalen königlichen Amtsträger zur Aufbewahrung abgegeben werden sollte. Ab 1691 wurde dieses sehr aufwendige Verfahren abgelöst durch eine Kontrolle der Listen der Pfarrer seitens neu geschaffener königlicher Inspektoren. Über die konkreten Modalitäten – doppelte Ausfertigung und Abgabe oder Kontrolle durch königliche Amtsträger – herrschte jahrzehntelang Unsicherheit. Während mancherorts, etwa in Lyon, die erste Lösung präferiert wurde, begnügte man sich sonst meistens mit einer sporadisch durchgeführten Inspektion von Kirchenarchiven. Ein königliches Gesetz von 1736 legte das Vorgehen bei der Führung der Personenstandsregister noch einmal verbindlich fest. Gegen erhebliche Widerstände der regionalen Amtsträger versuchte die zentrale Bürokratie in Paris diese Bestimmungen zur Pflege der Dokumentation durchzusetzen – oft nur mit schleppendem Erfolg. 73
Auch im 1640 neu gegründeten Herzogtum Sachsen-Gotha wurde schon 1645 eine systematische Bestandsaufnahme von Archivbeständen in allen Ämtern angeordnet. 1668 erging dann eine präzise Verordnung an alle Beambte die einrichtung der Ambts=Reposituren betreffend, die im ganzen Land die Archive vereinheitlichen sollte. Zur Durchsetzung dieser Vorschrift ergriff die Obrigkeit im Zweifelsfall aktive Schritte. 1671 wurde der junge Tobias Pfanner mit der Implementierung dieser Ordnung im säumigen Amt Eisfeld beauftragt. Auch andernorts regierten deutsche Fürsten immer wieder in die lokale Aktenführung hinein. Der Mainzer Kurfürst beschwerte sich am 27. Januar 1746 in einem harschen Schreiben an seinen Geheimen Rat Franz Ludwig Knebel zu Catzenellenbogen über den verwahrlosten Zustand der Archive in den Orten des Hochstifts und mahnte eine Reform an. Eine Bestandsaufnahme lokaler Verhältnisse wurde allerdings erst mit erheblicher Verspätung am 29. November 1785 tatsächlich eingeleitet. Auf ihren Ergebnissen basierte dann ein umfangreiches kurfürstliches Dekret von 1786, das das Archiwesen im Land neu ordnen sollte. Solche Initiativen obrigkeitlicher Archivpolitik trafen auf gemischte Reaktionen, da sie mit den oft sehr alten lokalen und eigenständigen Traditionen der Dokumentüberlieferung häufig nicht übereinstimmten und zudem die lokale Ehre verletzten. Notare beispielsweise konnten überall in Europa ganz zu Recht darauf hinweisen, dass sie lang vor den obrigkeitlichen Behörden Archive eingerichtet hatten, wenngleich mit sehr wechselhaftem Erfolg. Mit solchen stolzen Begründungen sahen etwa die Notare in Toulouse noch 1756 die Einführung zentralisierender Archivierungspraktiken als überflüssig und schädlich an. Auch lokale Amtsträger hatten sich oft lange Zeit vorbildlich um ihre Papiere gekümmert, ohne dass sich die Zentralregierungen dafür interessiert hätten. Hinzu kam, dass die obrigkeitliche Archivpolitik bisweilen an den Bedürfnissen lokaler Schriftlichkeitspraxis vorbei ging. Immer wieder hieß es, lokale Besonderheiten der Aktenführung seien mit den zentralen Archivnormen nicht angemessen zu bewältigen. Im Gothaer Fall brachte Heinrich von Millitz, Amtmann in Salzungen, kurz nach dem Ergehen der erwähnten Verordnung von 1668 einige Besonderheiten seines Amtsbezirks vor, auf die er im Dienste vernünftiger Archivierung unbedingt Rücksicht nehmen wollte. In solchen Fällen standen sich zentrale Standards und lokale Gewohnheiten als Alternativen gegenüber. Häufig genug kam es dann zum Streit, so zum Beispiel im elsässischen Anweiler um 1740. Mehrere Jahre lang stritten die Räte der Stadt mit dem obrigkeitlichen Beamten, dem Landschreiber 74
Klick, um die konkreten Modalitäten der städtischen Archivpraxis. Die lokalen Honoratioren verteidigten zäh ihre bisherigen Verfahren und wandten sich auch an die Landgräfin. Es scheint freilich, dass sich die Zentralverwaltung durchsetzte. 1741 war eine Kommission in der Stadt, die sich mit der ,,ordentliche[n] einrichtung deßiger confusen Registratur“ befasste. Widerstände gegen zentrale Archivpolitik waren heftig, doch die Obrigkeiten waren immer weniger geneigt, solche Residuen lokaler Praxis zu dulden.
Nach der Gründung Ein Archiv zu gründen, war das eine. Es langfristig funktionstüchtig und nützlich zu erhalten, war etwas ganz anderes, wie ein Zeitgenosse 1777 wusste: ,,Es ist vollkommen unmöglich, in einem Urkundendepot eine Ordnung zu machen, die ewig Bestand hat, ohne dass sie jemand dauernd pflegt“. Der bloße Gründungsakt selbst ist deshalb für die historische Bedeutung eines Archivs von allenfalls beschränkter Aussagekraft. Ohne dauerhafte Zuwendung, ohne kontinuierliche Pflege, waren (und sind) Archive schnell wirkungslos. Die Forschung sollte sich darum stärker mit der Frage befassen, ob, wie und warum (nicht) einzelne Einrichtungen über längere Zeiträume hinweg benutzbar gehalten wurden. Dies war in jedem Fall kostspielig. Archive sind nicht so sehr Ressourcen, sie verschlingen diese zunächst einmal vor allem. Bei vielen Archivbildnern der Frühen Neuzeit stieß die regelmäßige und dauerhafte Unterstützung ihrer Depots allerdings auf Schwierigkeiten, zumal Investitionen in Personal, Verzeichnung und Ausstattung in der Gegenwart anfallen, aber normalerweise erst in der Zukunft wirksam werden. Für spätmittelalterliche und frühneuzeitliche politische Gewohnheiten war dagegen oft eher kurzfristiges Handeln die Norm, was nicht zuletzt durch einen vergleichsweise unregelmäßigen und unkalkulierbaren Zustrom an finanziellen Ressourcen bedingt war. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, weshalb die Geschichte vieler vormoderner Archive als ein beständiges Auf und Ab erscheint. Das brillante, im 13. Jahrhundert europäisch wegweisende Archiv in Barcelona beispielsweise war später in offenkundig erbärmlichem Zustand. Pere Benet, 1598 mit der Pflege des Archivs betraut, berichtete von desaströsen Verhältnissen. Ungeziefer und Staub seien allgegenwärtig. ,,Profundestes Chaos“ habe geherrscht. Die Situation sei dem 75
Archiv und seinen Beständen ,,unwürdig“. Anderswo die gleichen Erfahrungen: Das von Carlo Borromeo eingerichtete Diözesanarchiv Mailands wurde von seinem Neffen und Amtsnachfolger Federico Borromeo 1609 in größte Unordnung gebracht, als er es räumen ließ, um in den Räumlichkeiten Gäste zu beherbergen. Das Archiv der Chambre du Commerce in Bordeaux, dessen Gründung wir verfolgt haben, sollte schon 1709 systematisiert werden – doch es scheint, dass dies jahrzehntelang unterblieb. Noch 1730 wurde festgehalten, die Bestände seien ,,noch nie geordnet worden“. Die Kammer habe ,,niemals ein etabliertes Archiv“ gehabt. Auch das berühmte Archiv des Pariser Parlaments war um 1727 in praktisch unbenutzbarem Zustand. Über die seigneurale Gerichtsbarkeit in Frankreich wissen wir gerade deshalb Bescheid, weil die Obrigkeiten wegen fehlender Umsetzung der Archivregelungen immer wieder einschreiten mussten. In Sachsen sah es kaum besser aus. Das gemeinschaftliche Archiv der ernestinischen Fürstentümer in Weimar befand sich um 1690 in ,,merckliche[m] defecto“ und ,,ungestalten Zustandte“. Es fehlte nach Aussage des neu bestellten Archivars Pfanner an Personal, Material und Räumen. Ein Jahrzehnt später wurden auch beim Archiv des Herzogtums SachsenGotha im Schloss Friedenstein zahllose ,,Defecta“ diagnostiziert. Umfangreiche Listen mit fehlenden Unterlagen wurden erstellt, die ein beredtes Zeugnis für die Schwächen dieser Archivinstitution sind. Zwischen 1716 und 1719 bat Johann Christoph Kunkel, mittlerweile verantwortlicher Archivar in Gotha, wiederholt in beinahe flehender Weise seinen Fürsten um eine ,,revision a capite ad calcem“, um einen Überblick über die offensichtlich zahlreichen ,,lacunen“ im Archiv zu erhalten. Auch der nächste Archivar Friedrich Paul Wachler klagte beständig über die ,,defecta“ des Archivs. Nun gehörte das wohldosierte Klagen der Archivare über ihre Einrichtungen zwar zu den rhetorischen Legitimationsstrategien eines neuen Berufsstandes, wie wir noch ausführlicher sehen werden. Doch daran, dass archivisches Wissen zu einem erheblichen Teil dauernd gefährdet, ,,prekäres Wissen“ war, kann kaum ein Zweifel bestehen. Der Hinweis auf das Auf und Ab der meisten Archivgeschichten ist entscheidend, um dem Eindruck entgegenzutreten, die Verdichtung von gewohnheitsmäßiger Dokumentsammlung zu institutionalisiertem Archivieren sei automatisch ein Schritt mit langfristiger Rationalitäts- oder Effizienzgarantie gewesen. Ordnung und Benutzbarkeit sind keineswegs die natürlichen Existenzweisen von Archiven, im Gegenteil: Langfristig garantierte Ordnung und Benutzbarkeit sind die erklärungsbedürftigen 76
Zustände. Denn häufig konkurrierten in der Frühen Neuzeit andere Aufgaben in schnellem Rhythmus mit der Sorge um die eingerichteten Archive. Als Frankreich 1741 im Krieg stand, war für archivbezogene Maßnahmen im Parlament, die fünfzehn Jahre zuvor im Frieden bewilligt worden waren, keine Unterstützung mehr zu erwarten. Wenn Archive gegründet wurden, oder – für die meisten Fälle – besser gesagt: wenn durch klar fassbare Institutionalisierungsschritte bestehende Realitäten sanktioniert und in neue Bahnen überführt wurden, so war dies keineswegs der Beginn eindeutiger Fortschrittgeschichten. Unbenutzbarkeit aus mangelnder Pflege in der einen oder anderen Form und aus den verschiedensten Gründen war nicht einfach nur eine Verfallserscheinung, sondern eine inhärent angelegte Entwicklungslinie von Archiven. Wenn sich Obrigkeiten entschlossen, engagiert für ihre Archive zu sorgen, so konnte das erstaunlich weit ausgreifende Dimensionen annehmen. Dabei entspann sich ein häufig fruchtbarer Austausch zwischen Theoretikern und Praktikern, auf den noch mehrfach zurückzukommen ist. Zugleich ist es Kennzeichen der europäischen Archivkultur, dass es einen überregionalen Austausch von Ideen und Vorbildern gab, auf den interessierte Archivbildner zurückgreifen konnten, wenn sie ihre eigenen Archive optimieren wollten. Bei der Neuordnung des spanischen Kronarchivs, das seit 1540 in Simancas angesiedelt war, orientierte sich Philipp II. dezidiert an älteren portugiesischen Erfahrungen in Lissabon. In Gotha blickte man knapp einhundert Jahre später in entsprechender Weise ebenfalls auf avancierte Institutionen der Zeit, als man zu einer Neuordnung schritt. 1670 schrieb man an das Reichskammergericht in Speyer mit der Bitte um genauere Information zu den dortigen Archivierungspraktiken. Wechselseitige Anregungen wurden gesucht und vorbildhafte Institutionen in ihrer Effizienz bewundert. Die Archivkultur Europas bestand nicht nur aus einer Menge einzelner Initiativen, sondern aus einem Geflecht von aufeinander bezogenen Praktiken.
Institutionalisierte Unbenutzbarkeit: Joly de Fleury und Le Nain im Pariser Parlamentsarchiv Die Entscheidung zur institutionalisierten Archivierung und die damit einhergehende Verdichtung von Praktiken zu normierten Abläufen 77
sollten neben dem Schutz auch die Benutzbarkeit der bewahrten Archivalien in konkreten Situationen gewährleisten. Doch damit scheitern Archive immer und konstitutiv zu einem gewissen Grad. Denn das Archiv als Institution legt fest, wie und wofür es benutzt werden kann und soll – und wofür nicht. Die institutionalisierte Form des Archivs determiniert ein Stück weit seine gesellschaftliche Relevanz als Wissensort. Das Archiv ist, wie Foucault meinte, das Gesetz dessen, was gesagt werden kann. Bestimmte Ordnungs-, Verfahrens- und Gebrauchsformen werden eingerichtet und durch Normen autorisiert, andere Wissensordnungen und Archivpraktiken dadurch jedoch absichtlich oder unabsichtlich benachteiligt oder gar ausgeschlossen. Das Gerüst sanktionierter Regeln erlaubt das Bestehen des Archivs, doch es reduziert die Vielfalt potenzieller Benutzungsformen (oder versucht dies zumindest). Jedes institutionalisierte Archiv, und sei es noch so gut gepflegt, ist ein teilweise unbenutzbares Archiv. Nirgendwo wird das deutlicher als an jenem Punkt, um den es bei der Institutionalisierung des Archivierens immer in besonderer Weise ging: der Schaffung einer verlässlichen Wissensordnung. Der königliche Prokurator Guillaume-François Joly de Fleury erkannte das um 1725 im Fall des Pariser Parlamentsarchivs genau. Er war es, der im eben schon erwähnten archivischen Chaos beim Parlament einen Neuanfang ermöglichte, indem er zahlreiche praktische Verbesserungen durchsetzte. Doch die Brauchbarkeit des Parlamentsarchivs sei auch ganz grundsätzlich beschränkt, so hielt er fest. Es war die Systematik der Wissens- und Archivordnung und damit eigentlich die Logik des parlamentarischen Aufschreibsystems selbst, die potentiell kontraproduktiv war. Das Parlamentsschriftgut funktionierte nach einer im Grunde genommen sehr einfachen und strikten Struktur. Die Dokumente des Parlaments wurden in streng chronologischer Folge in verschiedene Registerserien eingetragen. Diese Form der Wissensordnung war von bestechender Klarheit, doch sie versagte, so Joly de Fleury, wenn der Benutzer keine chronologischen Suchkriterien anwenden konnte oder wollte: ,,Häufig weiß man von einem Parlamentsbeschluss nur, dass er erlassen wurde; manchmal kennt man [nur] den Namen der Betroffenen, aber nicht das Datum. Manchmal weiß man das Jahr, aber nicht den Tag. Dann gibt es keine Alternative bei der Suche, als etwa [die durchschnittlich pro Jahr produzierten] vierzig Register durchzublättern, von denen jeder etwa 1.000 Seiten umfasst. Wenn man gar das Jahr nur ungefähr weiß, so kann man sich vorstellen, welche Mühe man hat, da es für diesen Fall keinerlei Hilfestellungen gibt.“
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Sehr oft, so fuhr Joly de Fleury fort, sei man bei der Suche deshalb entweder ganz erfolglos angesichts der Masse von Material oder man sei auf bloße Zufallsfunde angewiesen. Im Januar 1728 musste Joly de Fleury gegenüber dem Minister Maurepas zugeben, dass die rein chronologische Ordnung des Parlaments das Auffinden von Dokumenten systematisch erschwerte, und diesmal ging es sogar um königliche Unterlagen von allererster Bedeutung, um mehrere Heirats- und Friedensverträge aus der Zeit Heinrichs III. und Heinrichs IV. Die inhärenten Benutzungsgrenzen des Parlamentsarchivs, die Joly de Fleury beschrieb, wurden durch die von ihm kritisierte chaotische Enge der Lagerräume zwar erheblich gesteigert, waren aber an sich systematisch bedingt. Die institutionalisierte chronologische Wissensordnung des Archivs hatte viele Vorteile, zog der Anwendbarkeit des Archivs aber auch deutliche Grenzen. Bis heute ist eine themenbezogene Recherche im Parlamentsarchiv, die sich der streng chronologischen Binnenlogik entzieht, nur mit großem Aufwand durchzuführen – wie bereits Joly de Fleury bemerkte. Die Institutionalisierung bestimmter Archivierungspraktiken, so zeigt sich, erzeugte blinde Flecken. Die Gründung von Archiven in bestimmten Formen schließt immer auch bestimmte Benutzungsformen aus, es sei denn, die institutionelle Logik des Archivs wird durchbrochen durch querliegende Herangehensweisen. Im Falle des Pariser Parlaments gibt es dafür ein spektakuläres Beispiel aus der Zeit knapp zwei Generationen vor Joly de Fleurys Klage. In einer wohl vor allem privat motivierten Initiative beeindruckenden Ausmaßes legte der damalige Parlamentspräsident Jean Le Nain (1613–1698) ein thematisch organisiertes Verzeichnis zu ausgewählten Parlamentsregistern an, das sich einer ganz anderen, inhaltsbezogenen Logik bediente. Zuerst sah Le Nain dafür die originalen Register des Parlaments durch und markierte die für ihn relevanten Stellen. Diese Passagen wurden anschließend abgeschrieben. Es kamen weit über zweihundert Bände mit Kopien zusammen. Zur Erschließung dieser nach wie vor chronologisch organisierten Abschriften legte Le Nain sodann ein thematisches Register an, das am Ende 83 Foliobände umfasste. Für seine Erstellung hatte Le Nain offensichtlich auf ExtraBlättern kurze, stichpunktartige Inhaltsangaben der abgeschriebenen Stellen notiert. Diese Notizblätter hatte er anschließend mit einer Schere oder einem Messer zerschnitten, so dass kleine Papierschnipsel mit den Inhaltsangaben und einem Verweis auf den betreffenden Abschriftenband entstanden. Diese Schnipsel heftete Le Nain nach 79
Abbildung 3: Jean Le Nains Arbeitskladden zur Erzeugung einer thematischen Archivordnung
einer thematischen Ordnung mittels Stecknadeln in eigene Folianten (Abbildung 3). Schließlich transformierte er diese Bände mit den eingesteckten Schnipseln in die 83 Register – aus der chronologischen war eine thematische Ordnung geworden. Über dieses Register ließ er nach dem gleichen Verfahren ein fünfzehnbändiges Meta-Register anfertigen, in denen der Benutzer zunächst nachsehen musste, welcher Registerband sein Thema enthielt. Dort konnte man dann nach informativen Verweisen auf Parlamentsbeschlüsse suchen, die sich in Le Nains Kopialbüchern abgeschrieben fanden. Durch die Angabe des Datums und der gezählten Originalregister konnte dann, sofern notwendig, auch der direkte Zugriff auf die eigentlichen Akten des Parlaments erfolgen. Die 83 Bände eingesteckter Schnipsel – für jeden Registerband einer – sind ein eindrucksvolles Monument nicht nur für Le Nains Arbeitseifer. Sie dokumentieren zudem schlagend, welche enormen physischen und materiellen Eingriffe notwendig waren, um die institutionalisierte Wissensordnung des Archivs zu durchbrechen. Einschneidende Praktiken waren nötig, um die von Joly de Fleury präzise diagnostizierten systeminhärenten Benutzungsgrenzen des Parlamentsarchivs zu über80
winden. Die Tatsache, dass Le Nain zwar sicherlich nicht gegen den Willen des Parlaments, aber doch ohne Auftrag der Institution, in privatem Interesse arbeitete, dürfte belegen, dass solche alternativen Zugriffe häufig nicht aus dem Archiv selbst heraus als notwendig betrachtet, sondern von außen an dieses herangetragen wurden. Das Verfahren, das Le Nain anwandte – die Erstellung kleiner Papierschnipsel, die man leicht nach Belieben ordnen und umordnen konnte –, war dabei zu seiner Zeit keine Besonderheit. Ann Blair hat vor kurzem eindrucksvoll gezeigt, wie die Arbeit mit und das Ordnen von derartigen Schnipseln mindestens seit dem 16. Jahrhundert zu den Standardverfahren der gelehrten Wissensverwaltung gehörte. Le Nains Projekt veränderte die Praxis allenfalls dadurch, dass er Stecknadeln statt Kleber zur Fixierung der Ausschnitte benutzte. Zugleich zeigt sein Vorgehen, dass das Verfahren im 17. Jahrhundert aus dem Kernbereich der gelehrten Buchproduktion recht problemlos in die Sphäre der Archivarbeit transferiert werden konnte. Zwischen den Wissenspraktiken gelehrter Autoren und jenen archivinteressierter Beamter bestand keine klare Grenze. Andere Beispiele belegen diesen Transfer ebenfalls. Aus Gotha ist aus dem 17. Jahrhundert ein einbändiger Sachindex zum Archiv bekannt, der wiederum aus alphabetisch geordneten und eingeklebten Schnipseln besteht (Abbildung 4). Weitaus berühmter ist das größte Projekt der Frühen Neuzeit, mittels Schnipseln inhaltlichen Zugriff auf ein großes Archiv zu gewährleisten: Im 18. Jahrhundert erzeugte der Archivar des Vatikanischen Geheimarchivs, Giuseppe Garampi, in Form des schedario Garampi einen bis heute benutzten thematischen Gesamtindex zu den päpstlichen Beständen. Er besteht aus über 800.000 Schnipseln, die in grober thematischer Ordnung in 125 dicke Foliobände, eingeteilt in mehrere Serien, eingeklebt wurden. Guillaume-François Joly de Fleury und Jean Le Nain mit ihren Projekten zur praktischen und konzeptionellen Effizienzsteigerung des Parlamentsarchivs sind hervorragende Belege für den Aufwand, der notwendig war, um die Benutzbarkeit der europäischen Archive dauerhaft zu sichern. Der Schritt vom Archivieren zum Archiv als Institution war eine wichtige Etappe in der europäischen Archivgeschichte, doch zeigen die angeführten Beispiele deutlich, dass der Erfolg der Archive prekär war und blieb. Es bedurfte stets und dauerhaft erheblicher Anstrengungen, um das Potenzial der Archive für bestimmte Zwecke zu aktualisieren. Diese beständige Notwendigkeit aktiver Pflege muss deutlich betont werden. Archive verschlangen oft mehr Ressourcen als sie bereitstellten. Sie funktionieren nicht als passive Empfangsbehälter, 81
Abbildung 4: Eingeklebte ,Schnipsel‘ zur Herstellung einer Archivübersicht in Gotha, 17. Jahrhundert
sie sind funktionstüchtig vielmehr nur durch ständiges Agieren. Nichts an Archiven ist oder war jemals automatisch oder selbstverständlich, ,,natürlich“ oder ,,organisch erwachsen“. Deshalb ist auch festzuhalten, dass die Dysfunktionalitäten der Archive genauso prononciert ihre Geschichte prägten wie ihre positiven Leistungen. Archivgeschichte sollte deshalb auch und gerade eine Unbenutzbarkeitsgeschichte sein. Archive sollten einen festen Platz nicht nur in der Beschreibung europäischer Rationalisierungsvorgänge, sondern auch in der Analyse von Entropie und Rationalitätsdefiziten haben. Archive waren nicht ,eigentlich‘ Faktoren des Ordnens, Sicherns und Bewahrens. Sie waren genauso gut Beförderer des Gegenteils. Beides, das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit genauso wie die Furcht vor gegenteiligen Effekten, prägte die Archive auch in der Wahrnehmung der Zeitgenossen, wie das folgende Kapitel zeigen wird.
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Anmerkungen
Riley (Hg.): Annals, II, S. 328. Vgl. z. B. Vismann: Akten, S. 134f. Baldwin: The government, S. 408–410 betont den Einschnitt in der Archivpraxis im Jahr 1194. Burns: Diplomatarium I, S. 19f. Die Grand jours fanden an wechselnden Orten statt, vgl. z. B. Aubry/Langlois/ Reydellet: Les Archives, S. 130. Das Parlament von Aix wurde wegen Seuchengefahr verlegt, so Dolan: Le notaire, S. 25–35. Michaud: La grande Chancellerie, S. 292, 334 (Zitat). Wiesflecker: Kaiser Maximilian I, Bd. IV, S. 421. Der Wortlaut bei Zinnhobler: Leichenrede, S. 70f. Antoine Granvelle an Ferdinand I., 9.5.1557, ed. Brandi: Berichte und Studien, S. 259. Kritisch zu dieser Tradition Favier: La mémoire. Vgl. a. Guyotjeannin/Potin: La fabrique, S. 22f. McCrank: Documenting Reconquest, S. 265. Zitiert nach Favier: La mémoire, S. 22. Guyotjeannin/Potin: La fabrique, S. 22, 24. Guyotjeannin: Super omnes. Ders.: Les méthodes. Zum Aufbewahrungsort Potin: Archives en sacristie. Zitat Guyotjeannin: Super omnes, S. 114. Ebd., S. 128f. mit Beispielen. Intensive Verzeichnungs- bzw. Extrahierungsarbeiten v.a. an den Registerbänden aus dem mittleren Drittel des 18. Jahrhunderts dokumentiert häufig Moreaus Korrespondenz, BnF Moreau 343, passim. Vgl. Hildesheimer: Les Archives de France. Grün: Notice, S. XXXIII–XLVII. Überblick bei Aubry/Langlois/Reydellet: Les Archives. AN U 2343, fol. 1r-v . Langlois: Registres perdus. Richard: Les archives. So Denis III. Godefroy aus Lille an Kanzler Seguier, BnF Ms fr 17411, fol. 161r . Hierzu und zum Folgenden Baschet: Histoire. Sarmant/Stoll: Régner et gouverner, S. 381–389. Soll: Information Master. Baschet: Histoire, S. 59f. AN Marine 8 B 18 (Memoire de Lafillard), S. 29. AN Marine 8 B 25, S. 3. Das Material kam im Wesentlichen aus dem Besitz des Marquis de Seignelay sowie anderer ,,principaux officiers“. Tadra (Hg.): Summa, S. 81. Koegl: Die Bedeutung, S. 198. Schnurrer: Geschichte. Jung: Stadtarchiv. Sprandel: Ratsprotokoll, S. 38. Vgl. generell Pitz: Aktenwesen. Lippert: Archive. Zimmermann: Grundlagen. Klinkenborg: Begründung. Kleinau: Geschichte. Schneider: Geschichte, S. 1. Koegl: Die Bedeutung. Stolz: Archiv- und Registraturwesen. Tille: Versuch. Hochedlinger: ,,Geistige Schatzkammer Österreichs“, S. 18f. Droste: Lüneburg, S. 33–48, 263f. Hildesheimer: Les Archives de France, S. 27.
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ASR Camerale II Notariato busta 1, nr 2, fol. 40v . San Martini Barrovecchio: Gli archivi, S. 302–307 (Liste!). Z. B. Alvarez-Coca González: El Consejo de las Ordenes Militares. Vgl. z. B. Beretta: L’Archivio. Chiappafreddo: L’Archivio. Vgl. z. B. Grebe: Simancas. Poncet: Les Archives. Hochedlinger: ,,Geistige Schatzkammer Österreichs“. Hochedlinger: Österreichische Archivgeschichte, S. 50–59. Vgl. dazu Gembicki: Histoire, S. 84–173. Zum Folgenden vgl. AD Haute-Vienne C 276. Diese Akte belegt, dass Intendanten und ihre Subdelegierten viel stärker herangezogen wurden, als dies bei Gembicki: Histoire, S. 127–129 deutlich wird. Feldkamp: Kölner Nuntiatur. Hugon: Au service, S. 128f. de López Toro (Hg.): Epístolas, S. 267f., 272–276. Pedani Fabris: I ,,documenti turchi“, S. 445. Burns: Into the Archive. Herzog: Mediación, archivos y ejercicio. Masères: Freeholder II, S. 192. Koschorke (Hg.): Minutes, S. 17, 41, 55, 63, 77f., 84f., 283, 292, 309 uvm. Lobend erwähnt von Coxe: Travels, Bd. I, S. 368–370. Vgl. a. Hoffmann: Müller, S. 155, 267–280. Hare: The Records. Myers: The Records. So Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. 171, der die Zeit Ludwigs XII. (1462– 1515) als Umbruch ansieht. AD Gironde C 4251, fol. 147r (nr. 5). AD Gironde C 4251, fol. 138v (26.3.1709). Für eine gut lesbare Übersicht vgl. McNeely/Wolverton: Reinventing knowledge, S. 37–75. Barret: La mémoire. Goez: Pragmatische Schriftlichkeit. Penz: Prälatenarchive. Zitat ebd., S. 687. Penz: Erinnern. Friedrich: Archive und Verwaltung. Ders.: Archives as networks. Vgl. mehrere Gesuche von 1680 in StA Darmstadt F 11/A 1/3. Zu Schwierigkeiten mit dem Registrator Erbenius in Mainz vgl. v.a. ebd., S. 2 (kurz vor dem 6.2.1680). Tröger: Die Archive, S. 43f. Hochedlinger: Österreichische Archivgeschichte, S. 266–269. MGH Cap II, S. 339: ,,Episcopi privilegia Romanae sedis et regum praecepta ecclesiis suis confirmata vigilii solertia custodiant.“ Ottnad: Das Archivwesen, passim. Vgl. die edierten Bestallungsurkunden bei Churchill: Canterbury Administration, II, S. 195–199. Burg: Les archives, S. 121f. Ottnad: Das Archivwesen, S. 78. Scherzer: Die Anfänge. Burg: Les archives. Pitz: Registraturwesen. Ottnad: Das Archivwesen. Jäger: Fürstentum Fulda, S. 325–334. Donati: Curie. Reuss: Les Collectanées de Daniel Specklin (Teil II), S. 385. Zur Person Hahn: Manderscheid. Zu Trient vgl. z. B. Hoffmann: De influxu. Muneris nostri ist ediert in Duca (Hg.): Enchiridion, S. 6–8. Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. 164. Palestra: San Carlo. Ders.: La Legislazione. Acta et Decreta I, Sp. 39, 129, 362, 579f. (Kanzel). Duca (Hg.): Enchiridion, S. 104–116. Loevinson: La costituzione. Am Beispiel Pariser Pfarrarchive vgl. Bos: Les archives. Dort nichts zu Trient.
Börsting: Geschichte der Matrikeln. AD Ain G 214, unfol. (Visitationsakt). Allerdings wurden (vgl. ebd.) bei einer Inventarisierung der Hinterlassenschaften des 1690 verstorbenen Pfarrers Guilliot auch Taufbücher seit 1593 gefunden. Cattin (Hg.): Visites, S. 19f. (Trevoux), 54 (St. Cire en Bresse), 202 (Charnox). Spirito (Hg.): Visite, S. 88f., 101, 135, 246 (Lob), 281. Zu Calvin vgl. Grosse: Techniques. Kingdon (Hg.): Registers. Zur Inquisition vgl. z. B. Scharff: Häretikerverfolgung. Ders.: Schrift zur Kontrolle. Arnold (Hg.): Diensttagebuch, S. 2. Hütterodt berichtet, er habe sich wegen der ,,Superintendenz Repositur“ mit den Erben seines Amtsvorgängers ,,vergliechen“. Diese muss geliefert (,,Liefferung“) werden, ebd., S. 4. Sehling: Kirchenordnungen, IV, S. 334, 337 (Pommern 1535), XIII, S. 207f. (PfalzNeuburg 1576), 517 (Regensburg 1588). Arnold (Hg.): Diensttagebuch, S. 221, 321, 330, 557, 697 (,,Findet sich nichts in der Repositur“). Arnold (Hg.): Diensttagebuch, S. 48, 48f., 68f., 311 uvm. Arnold (Hg.): Diensttagebuch, S. 232, 398. Arnold (Hg.): Diensttagebuch, S. 406: ,,H. Bodenstein[.] klagt über mangel der Kyrchen u. pfarr Register so H. Becker der antecessor mit sich genommen. Sols von seinem sohn erforderen undt will ichs an Decanum schreiben.“ Ebd., S. 614, 747. Arnold (Hg.): Diensttagebuch, S. 567. Arnold (Hg.): Diensttagebuch, S. 302. Vgl. den kompetenten Überblick bei Schattkowsky: Rittergut, S. 11–59, 111–116. StadtA Rostock 1.1.22 nr. 1, unfol. Vgl. Martin (Hg.): Dirmstein. Martin (Hg.): Dirmstein, S. 218f. Harnisch: Rechnungen, S. 349 (Benutzung von älteren Rechnungen), 351 (,,weil man der Register nicht hat mächtig werden können“, 1614). Vgl. a. Schwineköper: Das ,,Gutsarchiv“. AD Ain E 396, 397. AD Ain E 140, unfol. (,,Inventaire sommaire des Testamens ou copies diceux qui se sont trouvée dans les archives en confusion et qui ont estée mis en ordre ainsy que s’ensuit“, 1621). HesHStA 121/von Bodeck 1, unfol. (Fasz. 1): Zitat aus dem Brief vom 2.6.1660 von Dominicus von Bodeck an Johann Graf von Nassau. Auch am 14.10.1660 konnte er nur ein Dokument in einer anderen Sache finden. Bouza: Corre, S. 53–56, 241–283 und häufig passim. Grieser (Hg.): Denkwürdigkeiten, S. 150f. HesHStA 121/von Breidbach 13, unfol. (am 11.1.1735 an Lehenssekretär Voigt). HesHStA 121/Loener von Laurenburg 30, unfol. (,,Accurate Specification Meiner in handen habenden documenten, lehen alß anderer Briefschafften“, 1756). Es folgen sechs eng beschriebene Seiten. Ed. Winkelbauer (Hg.): Gundaker, S. 446–466. Zur Person Ders.: Fürst und Fürstendiener. Vgl. mit ähnlichen, wenngleich nicht so spektakulären Befunden auch Schattkowsky: Rittergut. Fischer: Fleißiges Herren-Auge, Bd. II, S. 3–25. Charbonnier: Les justices, S. 95, 102 Mauclair: Greffes et Greffiers, S. 262. Zitiert bei Bailly: L’Histoire du greffier, S. 48. Zum Parlamentsbeschluss vgl. Bosquet: Dictionnaire I, S. 146.
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AD Ain 46 B 136, unfol. zu La Batie 1695. AD Ain 46 B 4, unfol. (Faszikel ,,Inventaire“), zu Amberieux für 1730 und 1762. AD Ain 42 B 23, unfol. (1710 und 1772; Ordonnance du Procurer du Roy von 1773 nach der Gründung der Sénéchaussée Dombes). AD Ain C 528, unfol. (Trevoux). Mauclair: La justice au village, S. 68–71. AD Rhône 4 B 54, unfol. (Faszikel I zu 1723). AD Rhône 4 B 226, unfol. (Faszikel 1 zu 1698). AD Rhône 2 B 260, unfol. (im Faszikel 1729). Zitiert bei Dalsorg: Réflexion, S. 219. AD Saône-et-Loire J 551, unfol. AD Ain 12 B 29, unfol. (20.7.1748, Claudine Bergier: wenige Stücke mit anderen Dingen in einem ,,Cabinet“). Ähnlich Ago: Il gusto delle cose, S. 209–213. AD Ain 12 B 31, unfol. (Barthelmy Moul, Juni 1758; Elisabeth Collet 17.10.1758). AD Ain 12 B 29, unfol. (27.1.1748, Jean Blanchard; 27.6./8.7.1748 Jacques Bergier; 23.5.1747 Henine Margueritte Cheret). AD Ain 42 B 573, unfol. (François Blans (?), 12.4.1706). AD Rhône 4 B 226, unfol. (im Faszikel 15). AD Rhône 2 B 260, unfol. (im Faszikel 1736–1737 bzw. im Faszikel 1740). Das geht aus den standardisierten Inventarformularen hervor, die Mannheims: Inventar, behandelt. AN 399 AP 65, unfol. (General Pradal an Vilevaut, 19.3.1758), und AD Puy-deDôme C 7047, unfol. (7.4.1745, Chabrol an Intendanten), mit einem deutlichen Bewusstsein dafür, was in der Provinz und was in Paris lagert. ASR Prefettura degl’Archivi, Cause Criminale 3, unfol. (Nr. 4), wird ein ,,Archivio di Campagna“ den städtischen Archiven gegenüber gestellt. Vgl. a. Auger: La collection, S. 4f. AN 257 AP 11, unfol. (am Ende von Faszikel 5). Biscione: Il Publico generale archivio di Firenze. Friedrich: Notarial Archives. Vgl. zur (De)Zentralisierung auch Amman-Doubliez: Esquisse, S. 187f. Bemühungen zur tatsächlichen physischen Zusammenführung der Notariatsakten in regionalen Zentralarchiven hatten erst nach 1750 punktuellen Erfolg, vgl. Laffont: Des gardes-notes à la garde-note, S. 23–25. Vgl. BnF Ms. fr. 7726, fol. 339r –344v . Vgl. v.a. Prouzat: Introduction. Mindestens seit 1736, vgl. z. B. AD Deux-Sèvres C 364. Mathieu Marais notierte 1722 einen solchen Fall, vgl. Duranton (Hg.): Journal, S. 578. Paris war bis 1722 von dieser Vorschrift exemt gewesen, vgl. ebd. und Prouzat: Introduction, S. xxvii–xxix. Hildesheimer: Insinuation. Soleil: Les justices, S. 327 mit einem Beispiel für erste Kontrollen 1751 mit 15 Jahren Verspätung. Dieses Gesetz und ein Votum des königlichen Generaladvokaten in Lyon für die doppelte Registerführung in AD Rhône BP 3945, unfol. (Faszikel ,,Greffe 1696– 1770“). Allg. Prouzat: Introduction, S. xviii, lxxx–lxxxiii. AD Puy-de-Dôme 1 C 1490 enthält mehrere mahnende Schreiben von 1736 bis 1739. Befehl an alle Beambten, die Acta in denen Ämbtern zu registriren, und die registratur davon zur Cantzeley zu schicken, 29.4.1645, StA Gotha SS X 17, unfol. Es wurde notiert, welche Ämter den Befehl befolgt hatten. Das Folgende alles nach StA Gotha SS VII 1, unfol.
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Hierzu und zu den Details vgl. StadtA Mainz 3/15, unfol. Vgl. eine entsprechende Stellungnahme ediert bei Laffont: Des gardes-notes à la garde-note, S. 28–31. StA Gotha SS VII 1, unfol. (Brief vom 7.10.1668). LA Speyer B2 690/5. de Chevrières: Le nouvel archiviste, S. 14. ,,infrastructure is all about maintenance. Maintenance, maintenance, and more maintenance“, so Paul N. Edwards, in: AHR 2011 (Conversation ,,Historical Perspectives on the Circulation of Information“), S. 1409. de Conde y Delgado Molina (Hg.): Brújula, S. 54–57 (,,indignum“, ,,profundissimum chaos“). Donati: Curie, S. 216f. AD Gironde C 4253, fol. 90r . Feutry: Mémoire. Ders.: Sauver les Archives. StA Gotha SS II 36, fol. 23r –24v (Johann Georg, Eisenach, an Regierung in Gotha, 27.3.1685), 138r (Tobias Pfanner, Weimar, an Herzog Friedrich II, Gotha, 18.1.1689). StA Gotha SS X 66. Hier finden sich Listen mit ,,defecten“ bereits von 1668, dann von 1701. Schreiben vom 4.8.1717 (Zitate), 9.10.1718, 13.5.1719 in StA Gotha SS X 67, unfol. StA Gotha SS X 46a, z. B. fol. 2r (8.11.1723) und v.a. das unfoliierte Schreiben vom 9.9.1723. Zur Kategorie vgl. Mulsow: Prekäres Wissen. Feutry: Mémoire, S. 25. Rodríguez Diego: Estudio, S. 55–63. Grebe: Simancas, S. 418–437. Anfrage (24.2.1670) in StA Gotha SS 1, unfol. Ausführliche Antwort in StA Gotha SS 2, unfol. Zitiert bei Feutry: Mémoire, S. 35f. Vgl. Joly de Fleury an Maurepas, 27.1.1728, AN O1 749, unfol. Ungenügend hierzu Le Grand: La table. Vgl. v.a. AN U 2000–2223, 2232–2248. Einige Bände sind heute zusammengebunden, vgl. AN U 2250–2328. AN U 2329–2411. Die erfolgte Abschrift wurde auf den ,Schnipselbänden‘ mit einem ,,Ce volume est fait“ zufrieden vermerkt, vgl. z. B. AN U 2343, unfol. (Titelblatt). Blair: Too much to know, S. 94–102, 210–229. Die Zahl nach Fuhrmann: Gelehrtenleben, S. 118. Jenkinson sprach von ,,natural process“ und Papritz legitimierte explizit die Metapher vom ,,organisch erwachsenden“ Archivgut, die doch unweigerlich eine zwingende inhärente Logik in die komplexen Prozesse des Archivierens einführt, wo alles nur Folge situativ erklärbarer Entscheidungen einzelner Akteure ist, vgl. Papritz: Archivwissenschaft. I, S. 70 (Jenkinson), 85–87 (,,organisch“) uvm.
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Projektionen Archive im Denken der Frühen Neuzeit
1571 wurde in Heidelberg eine Publikationsinitiative gestartet, die das Archivwesen veränderte. Drei Traktate zu Archiven und zum Archivieren erschienen in diesem Jahr im Druck. Alle drei waren das Werk Jakob von Ramingens, eines erfahrenen Archivpraktikers, der in verschiedenen süd- und südwestdeutschen Fürstenarchiven gearbeitet hatte. Von der Renovatur, Von Registratur und der zuerst herausgekommene Summarische Bericht gelten als Beginn der archivwissenschaftlichen Theoriebildung in Europa. Sicherlich haben bereits die Archivare früherer Zeiten über ihr Tun und über die von ihnen betreuten Einrichtungen nachgedacht. Dennoch ist festzuhalten, dass erst die Frühe Neuzeit eigenständige Traktate zu den Archiven hervorbrachte. Ramingens Texte haben im Mittelalter keine Entsprechung. Auf seine Arbeiten folgten weitere Publikationen, die einerseits mit Blick auf die Praxis geschrieben wurden, andererseits aber die Betrachtungen der Archive auf eine neue, grundsätzlichere Ebene hoben. Über die Texte und Bücher, die sich seit Jakob von Ramingen exklusiv oder doch zumindest explizit mit Archiven befassten, wurde in der bisherigen Forschung zwar immer wieder geschrieben. Eine Reihe von Übersichten über die entsprechenden Werke existiert. Doch die bisherigen Darstellungen genügen nicht. Denn zum einen ist das Korpus der einschlägigen Schriften längst nicht vollständig erfasst. Vieles ist noch unbekannt oder verschollen – wie etwa ein sehr früher, 1631 angekündigter Archivtraktat von Johann Gerhard Vossius. Zum anderen ging es bisher meist um die (Vor-)Geschichte der modernen Archivwissenschaft. Um diese enge Perspektive geht es im Folgenden jedoch nicht. Vielmehr wird das anschwellende Gespräch über Archive als Indikator für ihre soziale und kulturelle Bedeutung begriffen. Weil das Archivieren als Praxis und die Archive als Institutionen allgegenwärtiger Bestandteil der europäischen Kultur und Gesellschaft geworden waren, wurden sie auch zum Gegenstand von Debatten und deutenden Theorien. Weil immer mehr über Archive geredet und geschrieben wurde, erlangten diese eine immer festere Präsenz im Denken der Zeitgenossen. Die wachsende Literatur zum Thema verlieh den Archiven kulturellen Sinn. In diesem Zusammenhang wurden Archive beispielsweise in die Geschichtsbilder, Politiktheorien und in das Staatsrecht eingebaut. Gelegentlich wurden 89
Archive und Akten sogar Gegenstand von amourösen Phantasien. Indem man vom Archiv sprach, erkannte man seine Wichtigkeit an und plausibilisierte zugleich seine Existenz. Man schrieb das Archiv in die europäische Kultur ein.
Reden über Archive: Texte und Kontexte Jakob von Ramingens praxisnahe Anweisungsschriften waren das Produkt generationenübergreifender Erfahrungen im Archiv mehrerer südwestdeutscher Landesherrschaften. Schon der Vater des Autors hatte für die Habsburger gearbeitet, und Jakob selbst war für die Pfalzgrafen bei Rhein tätig gewesen. In diesem Zusammenhang hatte er den Wert geordneter Schriftlichkeit für die Durchsetzung obrigkeitlicher Rechtsansprüche erkannt. Er behauptete selbstbewusst und durchaus im Stile einer ,,Werbeschrift“ für sich selbst, dass das Thema seiner Schriften – Aktenführung als entscheidendes Hilfsmittel herrscherlicher Machtentfaltung – zukunftsfähig sei. Es werde noch dazu kommen ,,das[s] Keiser und König [. . . ] nach dieser kunst [. . . ] grosse nachfrag haben“ werden. Ramingen war seiner Zeit freilich noch etwas voraus. Die nächsten Publikationen, die sich ausdrücklich mit Archiven befassten, erschienen erst zwei Generationen später in Italien, wo sich drei miteinander bekannte Kirchenmänner kurz hintereinander äußerten. 1632 veröffentlichte Baldassare Bonifacio in Venedig seinen De archivis liber singularis. Dieser kurze Traktat hatte einen ganz anderen Charakter als Ramingens praxisnahe Anweisungsschrift. Bonifacio ging es weniger um konkrete Hinweise, als vielmehr um die historisch-systematische Einordnung und Begründung von Archiven. Er schrieb über Namen, Geschichte und Nutzen von Schriftlichkeitsdepots in breiter chronologischer und geographischer Perspektive. Sein Text bot dem Leser eine knappe kulturelle und historische Verortung des europäischen Archivwesens. Um 1630 verfasste Albertino Barisoni einen Commentarius de archivis antiquorum, der ebenfalls eine vorwiegend historisch-kulturelle Einordnung des um sich greifenden Phänomens bot. Dieser Text blieb lange Manuskript und wurde erst 1737 veröffentlicht. Bis heute ungedruckt geblieben ist eine venezianische Schrift über die Ordnung von Dokumenten im Archiv, die Fortunato Olmo 1647 verfasst hatte. 90
Bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges war der Markt an selbständiger archivbezogener Literatur also recht überschaubar, gerade nördlich der Alpen. Auch in publizistischer Hinsicht erweist sich besonders die zweite Hälfte des 17. und das erste Viertel des 18. Jahrhunderts als wichtige Konsolidierungsphase der europäischen Archivkultur. Ramingens Schriften, die eine eloquente Legitimation des Archivwesens vor allem mit einer Vielzahl von einzelnen, wenngleich noch sehr unsystematisch vorgebrachten praktischen Vorschlägen und Hilfestellungen für künftige Registratoren verbunden hatten, fanden nun ihre Fortsetzer. Die vermutlich früheste französische separat gedruckte Archivschrift hatte einen solchen praxisbezogenen Charakter. 1660 erschien aus der Feder eines anonymen Jesuiten eine kurze Instruction pour etablir des Archives, die allerdings nur intern in der Gesellschaft Jesu zirkulierte und den Orden nicht verließ. Zum weit verbreiteten Standardwerk wurde dagegen die kurz darauf 1669 publizierte Anführung zu der Registratur=Kunst von Georg Aebbtlin, die auf Ramingens Schriften zurückgriff. Ebenfalls von einer solchen stark praktischen Perspektive geprägt war der 1684 veröffentlichte Methodus archivorum seu modus eadem texendi des Italieners Nicolò Giussani. Diese Autoren versuchten, möglichst alle Aspekte des Archivwesens zu behandeln, und boten eine breite Palette an alltagsrelevanten Informationen. Nicht nur die Person des Registrators, sondern auch Orte, Möbel, Verzeichnungstechniken und Ordnungsentwürfe wurden behandelt. Ein zweites Reservoir an Gedanken zum Archivwesen bildete die Jurisprudenz. Schon seit langem kamen Archive in den Traktaten der Rechtsgelehrten immer wieder vor. Der Franzose Charles Loyseau etwa nahm 1610 in seinen Traité des ordres et simples dignités eine vielzitierte Passage zum notariellen Archivwesen auf. Bernard de LaRoche-Flavin hatte in seinem Grundlagenwerk zu den Parlamenten 1617 auch über deren Akten und Archive gesprochen. Im Reich gehörten beispielsweise die Eintragungen zum Archiv in Johann Jakob Speidels juristischpolitischem Lexikon von 1657 zum Standardwissen. Ahasver Fritsch, Kanzler in Schwarzburg-Rudolstadt, bündelte die juristischen Überlegungen 1660 in seiner wegweisenden Abhandlung De jure archivi. Gerade das Reichsstaatsrecht an den deutschen Universitäten nahm sich in der Folgezeit des Themas an. 1668 hielt Franz Michael Neveu von Windschläg in Straßburg eine Dissertatio de Archivis, 1675 behandelte Johann Christoph Wagenseil das Reichsarchiv und die Goldene Bulle, 1676 schrieb Friedrich Rudloff über die verschiedenen öffentlichen 91
Archive im Reich und ein Jahrzehnt später, 1686, nahm sich Christoph Lyncker noch einmal das Reichsarchiv vor. Im 18. Jahrhundert setzte sich diese juristisch-reichsrechtliche Tradition fort. Manche der älteren Texte wurden wieder aufgelegt, so zum Beispiel Lynckers und Rudloffs Arbeiten, die 1730 und 1747 neu herauskamen. Bei diesen Arbeiten ging es zum einen recht konkret um die verschiedenen Archivinstitutionen von Kaiser, Reichsständen und Reichskanzler. Alle Arten von Detailfragen nach Aufsicht, Verantwortung, Unterhalt und Rechtshoheit über die Akten des Reichs wurden in juristischer Perspektive historisch und systematisch erörtert. Friedrich Franz Schal krönte diesen Literaturzweig 1784, kurz vor dem Ende des Alten Reichs, mit seinen bis heute aufschlussreichen, vorwiegend historisch orientierten Nachrichten von dem zu Mainz aufbewahrten Reichs-Archiv. Die klärende Analyse der deutschen Archivlandschaft war auf diese Weise Bestandteil des Reichsstaatsrechts und seines Versuchs, das Alte Reich in systematischer und historischer Weise zu beschreiben. Nicht deckungsgleich, aber doch eng mit dieser Ebene der Betrachtung verbunden war eine andere juristische Frage: das Problem der juristischen Beweiskraft von Archivdokumenten vor Gericht. Nach Fritsch disputierten zahlreiche weitere Autoren hierzu, etwa Rudolf Wedekind 1756 oder Philipp Behlen 1760. Kurz gesagt ging es in diesem Diskussionsstrang um die weit verbreitete Überzeugung, dass die Art und der Status des Archivs, aus dem ein Dokument stammte, den Grad seiner Glaubwürdigkeit vor Gericht beeinflusste. Schon für die römischen Juristen der Antike hatten die Archive eine besondere Funktion bei der Rechtssicherung: Sie sollten als öffentliche Einrichtung Schriftstücke aufnehmen, die von öffentlich autorisierten Personen – also etwa Notaren – zur Fixierung von Rechtsgeschäften abgefasst worden waren. Deshalb kam es auch zur klassisch juristischen Definition eines Archivs als ,,Ort, an dem öffentliche Schriften niedergelegt werden“. Zugleich galt in der Frühen Neuzeit gewissermaßen auch der Umkehrschluss: ,,Öffentliche Archive“, die von angemessenen Institutionen gegründet worden waren, konnten die Rechtssicherheit der enthaltenen Dokumente garantieren. Freilich waren nach gängiger Auffassung keineswegs alle Schriftlichkeitsdepots echte ,,öffentliche Archive“. Im Gegenteil, viele private Dokumentensammlungen, die ohne angemessene Autorität waren, galten in diesem strengen juristischen Sinn ausdrücklich nicht als ,,Archive“, wie Johann Jakob Speidel stellvertretend für viele andere Autoren festhielt. In der praktischen Rechtsprechung wurde demnach immer wieder penibel auf die Herkunft der Dokumente geachtet, die die 92
Streitparteien anführten. 1768 wurde beispielsweise dem Archiv der Universität Helmstedt in einem Rechtsstreit die Fähigkeit zur Authentifizierung von Urkunden bestritten, so dass die von ihr vorgebrachten Dokumente plötzlich an Glaubwürdigkeit zu verlieren drohten. Dieser Logik mussten sich selbst die mächtigsten Männer der Zeit unterwerfen. Kardinal Mazarin, der italienischstämmige Minister Ludwigs XIV., hatte 1654 ein Auge auf eine alte Urkunde im Archiv der kleinen norditalienischen Stadt Montaldeo bei Genua geworfen, die er zur Erstellung seiner Familiengeschichte benötigte: ,,Mir war in den Sinn gekommen, diese Urkunden einfach aus dem Archiv dort entfernen zu lassen, da sie ohnehin für niemanden außer mich von Nutzen ist. Doch dann habe ich mich anders entschieden und mir gedacht, dass diese Urkunde viel vertrauenswürdiger sein wird, wenn sie in einem öffentlichen Archiv (archivio publico) statt in meinen Händen liegt“, so notierte er. Der Lagerort der Dokumente beeinflusste ihre Glaubwürdigkeit. Für die Autoren des 17. Jahrhunderts stellte sich immer drängender die Frage, wer eigentlich Archive mit dieser juristischen Garantiefunktion ausstatten konnte. Wer war die Autorität, die ein ,,echtes“, ,,öffentliches“ Archiv zu einem solchen machte? Die insgesamt relativ vage mittelalterliche Festlegung, Archivgründungen seien entweder das Privileg des Papstes oder des Kaisers, reichte im Zeitalter entstehender Territorialstaaten nicht mehr aus. Die Kompetenz, ein öffentlich glaubwürdiges Archiv gründen oder besitzen zu können (ius archivi), wurde deshalb von einem rein juristischen Thema zu einem Gegenstand politischer Konkurrenz. Das Recht zur Gründung justizwürdiger Archive galt ab dem 17. Jahrhundert als Hoheitsrecht. Das sorgte insbesondere im Heiligen Römischen Reich für Diskussionen, wo der juristische Status vieler Reichsstände ja heftig umstritten war. Als einer der zahlreichen Indikatoren vollkommener staatlicher Souveränität tauchten die Archive deshalb auch in den zahlreichen Handbüchern des Reichsstaatsrechts auf. In den Spezialabhandlungen zum Thema führte dies zu teilweise sehr komplizierten Detailerörterungen über die Frage, welche Typen von Reichsständen das Archivrecht als Hoheitsrecht wirklich besaßen. Damit wurde das ius archivi zu einem weiteren Schauplatz in der breit geführten Debatte um die Souveränität der Reichsstände. Es diente zur juristischen und politischen Stratifizierung in Deutschland, denn der Status etwa der Hansestädte oder Grafen im Gefüge der Reichsstände entschied über ihr ius archivi, dessen Besitz umgekehrt als Ausdruck reichsständischer Souveränität galt. In der deutschen Debatte prägten die Versuche einer Klassifizie93
rung und Beschreibung des Alten Reichs die kulturell-gesellschaftliche Positionsbestimmung der Archive demnach ganz entscheidend. Noch 1796 disputierte Anton Friedrich Wilhelm Layritz in Altdorf über diese Fragen. Am Beginn des 18. Jahrhunderts hatte sich die archivbezogene Literatur insgesamt also stark vermehrt, wenngleich sie vorwiegend aus relativ kleinen und nicht immer weit verbreiteten Texten bestand. Manche, etwa Aebbtlins grundlegender Text, wurden in stark erweiterten und überarbeiteten Neufassungen gedruckt. 1715 sammelte Johann Jakob Wencker die wichtigsten Texte in einem dicken Buch. Die Nachfrage nach Archivliteratur wuchs offenbar und so ist es kein Wunder, dass auch weiterhin zahlreiche Publikationen das Thema behandelten. Jakob Friedrich Ludovicis weit verbreitete Einleitung zum Civil-Prozeß, die im 18. Jahrhundert über ein Dutzend Auflagen erlebte, beinhaltete beispielsweise einen Anhang, der sich mit der ,,Art, die Acten zu verfertigen“ beschäftigte und eine praktische Anweisung zur Erstellung, Bindung und Handhabung juristischen Schriftguts bereithielt. Johann Stephan Pütters kaum weniger erfolgreiche Anleitung zur juristischen Praxi, erstmals 1758/59 publiziert, beinhaltete eine ausführliche Anleitung zur Anlage und Ordnung von Archiven. 1765 kam dann mit Philipp Wilhelm Ludwig Fladts Anleitung zur Registratur-Wissenschaft seit längerem wieder einmal ein eigenständiges Werk zur praktischen Arbeit im Archiv heraus, kurz darauf, 1767, gefolgt von einem bisher kaum beachteten kurzen Bedencken von Einrichtung der Archiven und Registraturen, das kaum größere konzeptionelle Ansprüche hatte, dafür aber durchaus gut als erste Orientierung im Alltag dienen konnte. Fladt verwandte genauso wie das Bedencken große begriffliche Mühe darauf, das Urkundenarchiv von der Aktenregistratur terminologisch zu scheiden. Während das Bedencken vor allem das Archiv als Urkundenbestand im Blick hatte, wandte sich Fladt ausschließlich der Registratur zu, für die er ausführliche und konkrete praktische Informationen zu Ordnung, Aufbewahrung und Verzeichnung gab. Andere Autoren, etwa Augustin Balthasar oder Theodor Reinkingk, publizierten zur praktischen Anleitung für Archivare ideale Ordnungen für städtische oder reichsfürstliche Archive. So verlockend die abstrakte Konzeption rationaler Ordnungspläne sein mochte, sie ging doch meist an der Realität der vorhandenen Bestände vorbei. Selbst Autoren wie Fladt, die an der Möglichkeit präskriptiver Archivsystematik festhielten, räumten einer kontextbezogenen, induktiven Ordnungsbildung einigen Platz ein. Ein gutes 94
Jahrzehnt nach Fladts Buch, im Jahr 1777, publizierte Philipp Ernst Spieß seine praxisnahe Abhandlung Von Archiven, die einer solchen empirisch-induktiv gewonnen Archivsystematik das Wort redete. Die gewachsene Ordnung der Bestände sollte bestehen bleiben, selbst wenn sie nicht den rationalen Ansprüchen der Beobachter genügte. Obwohl die Schrift von Spieß weit rezipiert wurde, stießen gerade seine Ideen zur Archivsystematik jedoch zunächst nicht auf Zustimmung. Die abstrakten Ordnungsversuche blieben trotz und gegen Spieß bis ins 19. Jahrhundert hinein attraktiv. Sachbetreffe oder ,Pertinenzen‘ sollten die Ablage und Systematik der Bestände strukturieren. Obwohl Spieß mit seiner Kritik an der thematischen Aufteilung von Beständen immer wieder als Erfinder des bis heute geltenden Provenienzprinzips der Archivordnung genannt wird, setzte sich diese Auffassung erst im 19. Jahrhundert nach dem Ende der frühneuzeitlichen archivtheoretischen Literatur durch. Neben der praxisorientierten und der juristisch-reichsrechtlichen Linie der Diskussionen lässt sich schließlich noch eine dritte Gruppe von Archivtraktaten ausmachen. Auch die entstehenden historischen Hilfswissenschaften, allen voran die methodisierte Urkundenlehre (Diplomatik), prägten seit dem Erscheinen von Jean Mabillons Grundlagenwerk De re diplomatica 1681 das archivbezogene Gespräch der europäischen Gelehrten. Ziel dieser Disziplin war es, die historische Entwicklung von Urkunden und Akten zu verstehen. Dazu benutzte sie die bis heute bekannte Unterscheidung zwischen ,,äußeren“ (Papier, Tinte, Schrift) und ,,inneren“ (Sprache) Eigenschaften von Dokumenten. Beide wurden historisiert: Die materiellen, formalen und technischen sowie die linguistischen Erscheinungsweisen von Schriftlichkeit wurden auf ihre Zeitgebundenheit hin untersucht. Die Diplomatik hatte eigentlich nicht in erster Linie die Archivare als Zielpublikum im Blick. Mabillons Interesse an einer historischen Urkundenlehre hatte einen anderen Ursprung. Seit René Descartes und Baruch de Spinoza war die Geschichtswissenschaft in die Kritik frühaufklärerischer Philosophen geraten, weil ihr Wahrheitsbegriff nicht den neuen philosophischen Standards methodischer Rationalität folgte. Gerade das Vertrauen in viele Heiligenlegenden und Wundergeschichten wurde durch diese Kritik entscheidend getroffen. Mabillon reagierte darauf, in dem er eine Methode zur rigorosen Echtheitsprüfung alter Dokumente entwickelte. Die Diplomatik diente also in erster Linie dazu, echte von falschen Schriftstücken zu unterscheiden – eine Fähigkeit, die etwa auch vor Gericht nützlich war und zusehends 95
nachgefragt wurde. Berühmt ist ein Fall von 1671, in dem der Helmstedter Historiker Hermann Conring in einem Rechtsstreit für die Stadt Lindau ein detailliertes Gutachten über eine Urkunde Kaiser Ludwigs anfertigte. Diplomatik war demnach zwar nicht gleichbedeutend mit Archivliteratur und manche Autoren blieben auch zurückhaltend, was den Nutzen der wissenschaftlichen Urkundenlehre für die Archivare anging. Dennoch kann kein Zweifel bestehen, dass die Diplomatik schon allein deshalb das Archivwesen entscheidend beeinflusste, weil sie das zentrale Objekt der Archivarbeit – Urkunden und Akten – viel genauer analysierte als jemals zuvor. Häufig wurde die Verbindung von Diplomatik und Archiven ausdrücklich betont, etwa von Oliver Legipont 1746. Von herausragender Bedeutung auch für Archivare war deshalb der seit 1750 erscheinende, ab 1759 ins Deutsche übersetzte Nouveaux Traité de Diplomatique von Charles Toustain und René Prosper Tassin. Seither war der Zusammenhang von diplomatischer Gelehrsamkeit und Archivliteratur für die Zeitgenossen selbstverständlich, wie der Titel eines Buches zeigt, das Pierre Camille Le Moine 1765 veröffentlichte und das 1775 ins Deutsche übersetzt wurde: Practische Anweisung zur Diplomatik und zu einer guten Einrichtung der Archive. Bei Le Moine wurden die ,,allzu gelehrten“ Handbücher von Mabillon und Toustain/Tassin einerseits voll rezipiert, andererseits in Umfang und Darstellungsweise aber für die praktische Arbeit eines Archivars zurechtgestutzt. Le Moine wiederum war Anknüpfungspunkt für weitere französische Autoren. Zwischen 1770 und 1779 entstanden mehrere alltagsnahe Anleitungsschriften von Jean-Guillaume De Chevrières, Joseph Batteney, Antoine D’Estienne und M. Mariée in Auseinandersetzung mit der Praktischen Diplomatik. All diese Autoren verfügten über große praktische Archiverfahrung und gaben dieses Wissen in ihren Publikationen weiter. Gelegentlich waren diese Werke sogar durch die stilisierte IchPerspektive eines persönlichen Erfahrungsberichts geprägt. Das beherrschende Thema dieser Arbeiten war die praktische Ordnungsarbeit im Archiv. Alle genannten Autoren schlugen konkrete Arbeitsprogramme in vielen, einzeln beschriebenen Schritten vor, wie ein Archivar Ordnung schaffen könne. Diese Werke entstammten alle demselben Milieu und sind einander trotz mancher inhaltlicher Unterschiede sehr ähnlich. Der praktischen Diplomatik im Gefolge Le Moines ging es vorwiegend um die Lehnsarchive der kleinen und mittleren französischen Grundherren (seigneurs). In der Diagnose der Autoren mangelte es gerade in die96
sen Depots bisher einerseits an Ordnung, andererseits fehlte es den Archivbesitzern oft an Verständnis für ihre Urkunden. Die praktische Diplomatik sollte also die lehnsrechtlich relevanten Unterlagen sowohl besser inhaltlich bekannt als auch leichter verfügbar machen. Ziel dieser hilfswissenschaftlich-archivischen Anstrengungen war es demnach, den Grundherren eine Handhabe zur Ausübung seigneuraler Rechte an die Hand zu geben. Deshalb konnten sich diese Autoren auch auf eine weitere Tradition für ihre Arbeiten berufen. Seit Edme de La Poix de Fréminvilles 1746 erschienener Schrift La pratique universelle pour la renovation des terriers et des droit seigneuriaux war eine lehnsrechtliche Anleitungsliteratur für Grundbesitzer entstanden, die für Le Moine und die anderen Autoren ein fester Bezugspunkt wurde. Obwohl er auf Archive nur nebenbei einging, war für jeden Leser Fréminvilles klar, dass der Zustand der seigneuralen Archive für die effektive Ausübung der grundherrlichen Rechte von zentraler Bedeutung war. Schon lange vor Le Moine hatten die Adeligen hierauf zu reagieren versucht. Der Herzog von Orleans beispielsweise erließ 1751 für seine Güter eine Instruktion zum Archivwesen. Le Moine und die anderen Autoren folgten diesem Bedürfnis und boten konkrete Vorschläge zur Archivorganisation. Der Aufschwung – oder, wie die Autoren selbst meinten: der Beginn – einer französischen Archivliteratur zwischen 1760 und 1780 verdankte sich demnach den Anstrengungen der altständischen französischen Grundherren, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihre Herrschafts- und Besitzrechte noch einmal zu straffen.
Zwecke des Archivs: Erinnerung und Selbstverständigung über gesellschaftliche Ordnungen Frühneuzeitlichen Archivautoren war wie selbstverständlich klar, dass die Existenz der Archive wesentlich der Notwendigkeit geschuldet war, ,,die Erinnerung an vergangene Dinge in allgemein glaubwürdiger Weise zu sichern“. Dadurch, so hieß es weiter, festigten die Archive die soziale, juristische und politische Ordnung ihrer jeweiligen Gesellschaften. Wo Archive fehlen, herrsche Chaos und Unruhe (perturbatio). Das galt zunächst einmal mit Blick auf das Recht, denn Archive waren ,,Quellen von originalen Rechtsdokumenten“. Das Recht könne nur verteidigt werden, wenn es nicht unbekannt sei. Schlecht verwaltete 97
Archive riefen Unterdrückung hervor, weil dadurch Recht und Gerechtigkeit vergessen und missachtet werden könnten. Papst Sixtus V. stellte darum seine vielfältigen Pläne zur Archivreform im Kirchenstaat zwischen 1585 und 1590 als wichtigen Beitrag zu seiner breit angelegten Politik der Rechtssicherung dar. Funktionsfähige Archive galten auch in Frankreich als wirksames Mittel gegen ,,den Wandel der Zeit“, der zum Missbrauch von Privilegien führe. Wohlgeordnete Schriftlichkeitsdepots festigten und bewahrten die soziale und rechtliche Ordnung. Ohne Archive hätten weder Königreiche noch Republiken eine ,,Form“, so betonte deshalb Albertino Barisoni – diese aristotelische Formulierung besagte nichts weniger, als dass von den Archiven die Struktur von Gemeinwesen abhinge. Archive und Staatswesen seien, so Barisoni, fast gemeinsam entstanden und letztere könnten ohne erstere nicht lange existieren. Die Autoren waren sicher, dass das ,,Wohl der Unterthanen, ja des ganzen Landes, auf einer wohl eingerichten [!] Registratur beruhet.“ Die Archive galten deshalb einem Autor wie Georg Engelbrecht als Orte, in denen das ,,Mysterium des Staats und die Heiligtümer des Gemeinwesens“ aufbewahrt würden. Dieses umfassende Vertrauen in die Archive führte dazu, dass man ihnen erstaunliche Kompetenzen zubilligte. Kein Rechtsstreit, den ein Gang ins Archiv nicht problemlos lösen konnte, so suggerierten manche Autoren – langjährige Prozesse waren aus Sicht dieser hoffnungsvollen Projektionen im Grunde genommen überflüssig. Johann Jakob Moser, einer der einflussreichsten deutschen Juristen und Reichsstaatsrechtler, vermittelte genau diese Überzeugung in einer kleinen, etwas selbstverliebt erzählten Anekdote. In seiner Autobiographie notierte er 1783 rückblickend in bemerkenswerter Vereinfachung: ,,Über eine gewisse Sache wurde zwischen Würtemberg und einem andern Reichsstand lange Jahre lang stark gestritten, und kein Theil konnte solche Gründe vorbringen, wodurch der andere hätte überzeuget werden können, wer Recht habe oder nicht. Endlich geriethe ich durch meine Privatcollectaneen auf die Spuhr, in einem alten Kaufbrieff aus dem 14ten Jahrhundert stehe ein einziges Wort, welches diesem ganzen Streit den Ausschlag gebe. Auf erhaltene Erlaubnis suchte ich in diesem Herzoglichen Archiv das Original dieses Kauffbrieffes auf, die Sache fande sich so, und der Streit hatte damit ein Ende. Wie wenig werden die Archive der großen Herrn, ein so großes Kleinod, gehörig benutzt.“
Diese Erzählung basiert auf einer in der Frühen Neuzeit weit verbreiteten Idealisierung der Archive. Moser suggerierte nicht nur, seine Recherche im Archiv habe ohne weitere Umstände schnell zum Erfolg geführt (eine recht unglaubwürdige Behauptung, wie wir noch sehen werden). Darüber hinaus billigte der Autor der gefunden Urkunde die 98
Fähigkeit zu, in unbezweifelbarer Eindeutigkeit eine Wahl zwischen den binären Optionen Recht/Unrecht zu ermöglichen. Das Archiv als Speicher derartiger Urkunden wurde damit zum unproblematisch benutzbaren Garanten unhinterfragbarer, nicht interpretationsbedürftiger juristischer Wahrheit stilisiert. Solche Wunschvorstellungen, die doch so eklatant an den alltäglichen Erfahrungen der Archivare und Archivbenutzer vorbei gingen, wurden in der Frühen Neuzeit regelmäßig auf die Archive projiziert. Zur juristischen Dimension gesellschaftlicher Stabilisierung fügten manche Autoren eine zweite Funktion der Archive hinzu. Sie zogen sie auch für eine stärker politisch-administrativ verstandene Kontinuitätsgarantie heran. Ohne Kenntnis alter Akten müsse jeder neue Minister, Rat oder sonstige Beamte wieder ganz von vorne mit dem Sammeln politischer Erfahrung anfangen und ,,erst neu gehen lernen“, so notierte der päpstliche Nuntius in Köln. Die Räte in Zweibrücken sahen das 1567 ähnlich. Ihrer Ansicht nach erzeugten Archive Dauerhaftigkeit und Widerspruchsfreiheit politischer Entscheidungsfindung. Auch Leibniz teilte diese Überzeugung um 1680. Die Erinnerungsleistung der Archive war auch aus dieser Perspektive von großer Wichtigkeit, denn sie garantierte die Fortdauer und Konstanz des politischen und administrativen Handelns über personelle und institutionelle Brüche hinweg. Archive waren demnach also nötig und hilfreich, weil sie generationenübergreifende Institutionalisierung ermöglichten. Georg Aebbtlin beschrieb dies 1669 bereits erstaunlich explizit. Sein Argument begann mit der Feststellung, dass Herrschaft als soziale Ordnungsleistung nicht von den Fürsten alleine ausgeübt werden könne. Die Mitarbeit von Beamten und ,,Schreibern“ auf mehreren Hierarchieebenen war unverzichtbar. Dies führte, so Aebbtlin weiter, zur Konsolidierung einzelner Regierungsgremien, insbesondere von Kammer und Kanzlei. Diese wiederum konnten ohne eine Registratur nicht funktionieren. Kammer, Kanzlei und Archiv, so Aebbtlin, gingen im Herzen der Administration eine enge Symbiose ein, denn das ,,Cancellariat“, der ,,Fiscum“ und die ,,Registratura“ könnten ,,ohne einander nicht wol seyn“. Zustimmend zitierte Aebbtlin deshalb die alte Auffassung von Ramingens, der die Archive als das ,,Hertz“ jeder Regierung bezeichnet hatte. Zumindest im Ansatz wurde Regierungstätigkeit als kybernetischer Informationskreislauf verstanden mit dem Archiv als Zentrum. Mehr noch, die Entscheidungsgremien und das Archiv würden ,,einander ihr Wesen mittheilen“. Ein Jahrhundert später konnte man in dieser Tradition schreiben, das Archiv sei das ,,eigentliche Behältnuß“ der Akten, wäh99
rend die Ratsstuben das ,,Laboratorium“ seien, in denen die Akten aktualisierend eingesetzt würden. Politische Praxis und Archivpraxis waren zwei Seiten derselben Medaille. Gottfried Wilhelm Leibniz erörterte um 1680 die Funktion von Archiven als administrativen Wissensorten, die bei Aebbtlin in seinen Metaphern nur angedeutet war, wesentlich genauer in seinem Text Von nützlicher Einrichtung eines Archivi. Ein effektiver Herrscher benötige zur Regierung seines Landes nicht nur allgemeines, situationsunabhängiges Wissen (,,wissenschaft“), sondern auch spezifische, kontextgebundene Informationen (,,besondere Nachrichtungen“). Ein Fürst müsse nicht nur allgemein über Recht und Politik bescheid wissen, sondern vor allem auch über politische Institutionen und juristische Traditionen in seinem Heimatland. Diesen Typ konkreten Wissens könne er nur aus zwei Quellen gewinnen, entweder aus der eigenen Beobachtung (,,Augenschein“) oder aus verschriftlichter Überlieferung (,,schrifften“). Letztere stünden im Archiv zur Verfügung, und deshalb sei die Pflege des Archivwesens von grundsätzlicher Bedeutung. Dieser Kurzschluss von Politik und Wissen, diese Annäherung von Entscheidungsfindung und Informationsbeschaffung prägte sowohl die Praxis wie die Theorie von Politik in der Frühen Neuzeit in zunehmendem Maße. Leibniz äußerte sich zum Thema darum noch mehrfach. Etwa gleichzeitig zu seinen Archivüberlegungen regte er beispielsweise in einem berühmten Projekt die Zusammenstellung von landeskundlichem Wissen in ,,Staatstafeln“ an. Wenige Jahre später schlug der Hannoverische Geheimrat auch Kaiser Leopold I. in einer Privataudienz vor, durch Archivrecherche und Augenscheinnahme eine umfassende Wissensbasis zu schaffen und diese zur Grundlage seiner Herrschaft zu machen. Erst nachdem Leibniz diese wissenstheoretische Grundlegung politischen Handelns entfaltet hatte, führte er das traditionellste Argument für den Nutzen der Archive an: ihre juristische Relevanz. Das Archiv, so fasste Leibniz anschließend zusammen, ,,dienet demnach sowohl außer[halb von] gerichten zur nachricht, als in gerichten zum beweis“. Die Legitimation der Archive erfolgte bei Leibniz ganz wesentlich durch eine Typologie von Wissen. Archive beherbergten eine spezifische Wissensform (,,Nachrichten“), die für die Herrschaftsausübung eine immer größere Rolle spielte. Diese weit verbreitete Behauptung einer politisch-administrativen Nützlichkeit der Archive legte es nahe, sie auch in allgemeinen politiktheoretischen Abhandlungen als zentrale Bestandteile eines geordneten Gemeinwesens zu behandeln: Johannes Althusius beispiels100
weise erwähnte in seiner Politica methodice digesta bereits Anfang des 17. Jahrhunderts die Archive in verschiedenen Zusammenhängen. Sie galten ihm als ein Beispiel dafür, dass Gemeinwesen auch gemeinschaftliche Einrichtungen und gemeinschaftlichen Besitz brauchen. Außerdem wurden sie zu den Instrumenten der Herrschaft gezählt. Auch der schon erwähnte Theodor Reinkingk gab den Archiven in seiner 1653 erstmals erschienenen, sehr weit verbreiteten Biblischen Policey einen prominenten Rang. Über fünf Seiten hinweg bewies er mit zahlreichen biblischen Beispielen folgendes ,,Axiom“: ,,Ein wohlbestelltes Archivum, Diarium unnd Geschicht-Registratur ist bey allen Regierungen / Cantzleyen unnd Gerichten ein sehr nötig unnd nutzlich Werk.“ Wie in Umsetzung dieser Maxime erschien posthum unter Reinkingks Namen dann 1687 eine kurze, wohl als Beispiel gedachte Archivsystematik für die Herzogtümer Mecklenburg und Holstein im Druck. Und Veit Ludwig von Seckendorffs 1656 veröffentlichte Schrift Vom Teutschen Fürstenstaat handelte wie Reinkingks Policey zwar ebenfalls nicht eigentlich von Archiven, sondern davon, welche Gremien ein Fürst zur Regierung seines Landes brauchte und wie diese einzurichten seien. Dennoch kamen auch im Fürstenstaat die Archive häufig vor. Denn in die Behandlung der verschiedenen Herrschaftsinstitutionen fügte Seckendorff präzise Hinweise auf die Notwendigkeit von Archiven und Registraturen ein, ohne welche die alltägliche Verwaltungsarbeit eben nicht stattfinden könne. Seckendorff, obwohl kein Archivschriftsteller im engen Sinn, schrieb die Archive doch wie selbstverständlich in die Abläufe fürstlicher Regierungstätigkeit hinein. Christoph Fischer, dessen Traktat zur Bewirtschaftung von Landgütern wir schon zitiert haben, integrierte sie 1696 in entsprechender Weise in private Verwaltungen. An der Unverzichtbarkeit der Archive für administratives Handeln bestand bald kein Zweifel mehr. Die Idee, dass Archive gewissermaßen die notwendige Rückseite bürokratischer Regierungsausübung seien, wurde der frühneuzeitlichen Sozial-, Wirtschafts- und Herrschaftstheorie selbstverständlich. Einige Autoren weiteten diesen politisch-administrativen Zugang zum Archiv noch stärker aus. Baldassare Bonifacio ordnete 1632 in seinem Traktat Archive in ein umfassendes Programm von fürstlicher Gelehrsamkeit (eruditio) ein, durch die sich der gute Herrscher vom Tyrannen unterscheide. Archive waren eine Ermöglichungsbedingung für Wissen in ,,allen Disziplinen“, ein Quell für Kenntnisse in allen Bereichen. Deshalb stellte Bonifacio die Archive in ihrer Wirksamkeit auch über Militär und Marine, denn Vernunft würde immer 101
über Gewalt, das Recht immer über die Falschheit siegen. Bonifacios knappe Äußerungen waren in ihrem spezifischen Gehalt zwar nicht sehr konkret und auch von einem gewissen Enthusiasmus für ihren Gegenstand getragen. Doch unübersehbar ist, dass er die geordnete Überlieferungsbewahrung in ein verhältnismäßig breit angelegtes Programm kultureller Erziehung einordnete, die das Kennzeichen guter Herrschaft sei. Genau einhundert Jahre später schlug Ernst Salomon Cyprian aus Gotha in dieselbe Kerbe. Archive seien unverzichtbar, um die ,,politische Histoire“ zu erkennen, diese wiederum sei die entscheidende Lehrmeisterin von politischer Klugheit und Geschicktheit und deshalb seien Archive zentrale Infrastruktur jeder Fürstenerziehung. Das in Archiven zugängliche Wissen der Vergangenheit, das Gelehrsamkeit, moralische Qualitäten und Regierungserfahrung vermittelte, garantierte nicht nur das positive Recht, ermöglichte nicht nur effektive und gerechte Machtausübung, sondern gewährleistete einen breiten, auch bei Cyprian noch ganz humanistisch gedachten Horizont von guter Herrschaft.
Unnütze und unbehagliche, überraschende und unkontrollierbare Archive All diese Funktionszuweisungen basierten auf einem emphatischen Vertrauen in die Fähigkeit der Archive, präzises (juristisches) Wissen erzeugen zu können. Diese optimistische Annahme grundierte das frühneuzeitliche Gespräch über Archive, beherrschte es aber nicht vollständig. Es gab auch nuanciertere und weniger eindeutige Bewertungen. Archive waren, auch und gerade für jene, die sie am besten kannten, Orte der Unbehaglichkeit, der Unsicherheit, der Ambivalenz, der Gefahr, der Potenzialität. Schon der Blick auf die Metaphern, mit denen man Archive bedachte, zeigt deutlich, dass Archive als zweischneidige Einrichtungen wahrgenommen wurden. Das Depot der örtlichen Rechnungen wurde in Perugia beispielsweise als ,,Hölle“ tituliert. Andere Metaphern kehrten das Verhältnis von Archiv und Nutzer um und brachten zum Ausdruck, dass weniger der Benutzer das Archiv beherrsche und kontrolliere als umgekehrt. Francisco Fabro Bremundans bezeichnete 1680 Archive als ,,Spinnennetze“ und verdeutlichte mit dieser zoologischen Anleihe trefflich die Gefahr des Sich-Verstrickens und Verstrickt-Werdens. Auch der populäre Vergleich des Archivs 102
mit dem Meer brachte die Ambivalenz dieser Einrichtungen plausibel zum Ausdruck. Die Tatsache, dass frühneuzeitliche Archive faktisch weit öfter eher den desorientierenden Weiten der Ozeane als den klar strukturierten Seekarten ähnelten, hing häufig damit zusammen, dass Archivare und Archivbildner dezidiert kein Interesse an einer vollständigen Durchdringung ihrer Bestände hatten. In der Frühen Neuzeit ging man sehr freizügig mit der Kategorie ,,nutzloser“ Schriftstücke um. Jene Unterlagen, die man als ,,unnütz“ bezeichnete, wurden in vielen Inventaren allenfalls sehr summarisch verzeichnet. Archive beinhalteten deshalb typischerweise ,,etliche Copien unndt Zettel, so durchsehen unnötig geachtet worden.“ Die Gruppe der als ,,nutzlos“ eingeschätzten Akten ist in Verzeichnissen der Frühen Neuzeit allgegenwärtig. Als 1745 der Bischof von Belley starb und sein Nachlass untersucht wurde, verbrachten die damit beauftragten Notare viele Stunden damit, die ,,nützlichen“ von den ,,unnützen“ Papieren zu trennen. Auch sonst wurden ,,alte Bücher, Rechnungen und Unterlagen“ regelmäßig als ,,unnütze Papiere“ identifiziert. Solche und ähnliche Formulierungen finden sich überall in Frankreich und Deutschland, und die Vorstellung, dass man nützliche von nutzlosen Papieren unterscheiden könne und müsse, kann als selbstverständliche Überzeugung europäischer Archivkultur angesehen werden. Die Tatsache, dass regelmäßig große Bestände ,,nutzloser“ Akten vorhanden waren, auf deren Benutzbarkeit konsequent verzichtet wurde, hat Cornelia Vismann zu der Bemerkung angeregt, frühneuzeitliche Archive seien im Kern gar keine Institutionen des aktiven Informationsmanagements gewesen, sondern bloße ,,Verwahranstalten“. Archive, so ließe sich sagen, waren zu einem erheblichen Teil Orte absichtsvollen Vergessens. Diese Praxis hatte allerdings beträchtliche Folgen. ,,Unnütze“ Akten fielen im Zweifelsfall als erste der Vernichtung und Zerstörung anheim. Die Existenz umfangreicher, unbekannter Bestände beeinflusste zudem die Wahrnehmung der Archive entscheidend. Die Einsicht, dass niemand genau wisse, was im eigenen Archiv eigentlich zu finden sei, nötigte häufig zu einer restriktiven und defensiven Umgangsweise. Der Jenenser Professor Burkhard Gotthelf Struve bekam 1717 zu spüren, was das hieß, als er den Herzog von Sachsen-Gotha um Archivzugang bat. Über Struves Anfrage dachte man in der fürstlichen Regierung sehr skeptisch, weil
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,,wir es nun überall vor bedenklich halten, die arcana derer Archiven ohne handgreiffliches interesse zu publiciren, also findet sich bey N. II. III 6.7.8.9. III. XXIII. 2 und dem Copial=buch, weil mann deßen inhalt nicht weiß, besondere bedenklichkeit, und würde wenigsten mit diesen stücken, wenn Ew. Gn. in das übrige vor communicabel erachteten, zurückzuhalten seyn.“
Struve war nicht irgendwer, er war Professor in Jena, fürstlicher Rat und sächsischer Historiograph, ein prominentes Landeskind also mit berechtigtem Interesse am Archiv. Was ihm hier entgegenschlug war deshalb wohl nicht in erster Linie Misstrauen seiner Person gegenüber, sondern ein Misstrauen der Räte gegenüber ihrem Archiv. Das Archiv, das man nicht kannte, bereitete den Beamten erhebliches Unbehagen. Die Unerschlossenheit der Bestände steigerte die Wahrscheinlichkeit von unliebsamen Funden. Deshalb stellten die frühneuzeitlichen Archive auch eine beständige Quelle für praktische und moralische Sorgen dar. Wie war gegebenenfalls zu handeln, wenn das Archiv unvorteilhafte Dokumente preisgab und sich so gegen seinen Besitzer richtete? Musste man dann, wie sächsische Räte 1407 meinten, die Existenz solcher Urkunden auch gegen die eigenen Interessen aus moralischer Redlichkeit anerkennen? Angesichts solch diffiziler Fragen schien es der Gothaer Regierung 1717 wohl besser, Struves Anfrage einfach abzuweisen und das Potenzial des Archivs zu unliebsamen Überraschungen auf diese Weise von vornherein einzudämmen. Andernorts stand man den Überraschungseffekten der Archive etwas positiver gegenüber. Frühneuzeitliche Archivnutzer berichteten immer wieder erfreut, dass umfangreiche Bestände und wichtige Dokumente unvorhergesehenerweise entdeckt wurden, und häufig war man froh darüber. 1730 beispielsweise ,,fanden“ Jean Pierre Ruffier und seine Frau Caterine Amiel in Lyon ,,glücklicherweise“ achtundvierzig teilweise sehr alte städtische Urkunden ganz zufällig, jedenfalls ohne aktive Suche. Der Speyrer Stadtarchivar Baur entdeckte 1746 in den unverzeichneten Papierbündeln auf dem Speicher des Rathauses verschiedene historisch aufschlussreiche Dokumente. Baur war begeistert und so kritisierte er die Bezeichnung dieser Bestände als ,unbrauchbar‘. Die Durchsicht ,,nutzloser“ Akten konnte neues Wissen generieren, genau so, wie man 1717 bei Struve befürchtet hatte. Dass Baur historisch aussagekräftige Papiere gefunden hatten, ist wichtig, denn diese Tatsache beeinflusste seine Bewertung der Episode. Während Politiker wie die Räte in Gotha 1717 zumindest ambivalent waren, war das Überraschungspotential von Archivrecherchen für die Historiker meist etwas Positives. Der französische Rechtshistoriker 104
François Baudouin schrieb in diesem Sinne schon 1561, ,,[ich] hoffe, dass aus den Archiven des Königreichs einst Genaueres über die Zeit der Druiden [sc. das Frühmittelalter] herausgefunden werden kann.“ Im überraschenden Archiv sahen Historiker den Garanten des eigenen Anspruchs, wissenswert Unbekanntes über die Vergangenheit zutage fördern zu können. Die Erzeugung unvorhersehbarer Offenbarungen durch systematische Archivarbeit wurde zur zentralen gelehrten Praxis. Das Archiv als Ermöglichungsgrund für die Generierung immer neuen Wissens konstituierte das Selbstbild der Historiker. Bis heute berufen sie sich in meist positiver Weise auf diese Denkfigur. Es ist wichtig zu betonen, dass der offene und unvorhersehbare Charakter des Speyrer Archivs durch die nur lückenhafte Verzeichnung zwar dramatisch intensiviert, aber nicht eigentlich erzeugt wurde. Auch gut katalogisierte Archive waren in ihrer Nützlichkeit und Bedeutung, in ihrer praktischen Relevanz wandelbar und mehrdeutig. Die Menschen der Frühen Neuzeit beschlich die Erfahrung, dass die vermeintlich klärenden Kategorien von ,nutzlosen‘ und ,brauchbaren‘ Dokumenten fließend waren. Auch deshalb hob man Vieles von dem konsequent auf, was man gerade nicht benötigte. Richelieu hatte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts schon notiert, dass sich Kriterien der Nützlichkeit im Laufe der Zeit ändern konnten. Besonders anschaulich beschrieben hat das Claude Bernard, ein Mitglied der regionalen Verwaltungsapparate im Maconnais, nördlich von Lyon. Bernard wusste über Archive Bescheid, denn er hatte fast zeitgleich zum Speyrer Archivar Baur das Archiv seiner Heimatstadt Macon geordnet, deren Geschichte er auch schrieb. 1744 inventarisierte er das Archiv der Generalstände des Maconnais in einem großen Folioband. In der Vorrede führte er zunächst aus, dass das Inventar von größtem Nutzen sei, weil es das Archiv zum brauchbaren Arbeitsinstrument im Alltag der ständischen Versammlung machte. Dann folgte der entscheidende Passus: ,,Um nichts von dem, woraus das Archiv besteht, unbekannt zu lassen, wurde einfach alles verzeichnet. Kein einziges Stück wurde zum Abfall (rebut) erklärt, obwohl es eine große Zahl von Unterlagen gab, die Dinge betrafen, die heute überflüssig (inutile) sind und die man deshalb hätte wegfallen (retrancher) lassen können. Das betrifft die Prozesse gegen die fermiers des anciens et nouveaux droits d’aides, deren Amt 1689 aufgehoben wurde. Aber wer weiß schon, was Gott in seinem Zorn als Strafe für unsere Übertretungen (luxe) einem Minister in den Kopf legt. Vielleicht kommt es ja zur Wiederauflage dieser Steuer. In diesem Fall könnten die [aufbewahrten] Unterlagen als Anleitung dienen und uns im Kampf gegen diese Besteuerung unterstützen [. . . ]. Das gleiche gilt für verschiedene andere Dinge, bei denen es ebenfalls sein könnte, dass sie reaktiviert werden. Denn was gibt es schon Sicheres in dieser Welt und wer könnte sagen, dass eine Praxis wirklich beendet ist?“
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Bernards Archiv war demnach eine Institution im Potentialis. Seine Aussage verband den grundsätzlichen Glauben an pragmatische Nützlichkeit des Archivs zu administrativen oder politischen Zwecken mit einer prononciert ausformulierten Einsicht in die Unvorhersehbarkeit konkreter Relevanz. Funktionszuweisungen an das Archiv, wie sie beispielsweise die Unterscheidung von nützlichen und unnützen Akten vornahm, waren bestenfalls temporär und suggerierten eine Stabilität der Archive, die faktisch nicht vorhanden war. Die Kategorien von ,,Nutzen“ und ,,Nutzlosigkeit“, so notierte auch Pierre Camille Le Moine 1765, waren nicht a priori festgeschrieben. Was einst als unbrauchbar gegolten hatte, konnte seinen Wert im Lauf der Zeit ändern. Gerade die Abkehr von rein juristischen und das Aufkommen historiographischer Archivrecherchen veränderten die Maßstäbe ganz erheblich. Der Wert einzelner Akten, und damit letztlich der Wert des Archivs insgesamt, war kontext- und benutzungsabhängig. Archive erfüllten keine vorhersehbare Funktion, denn der Platz des Archivs in Gesellschaft und Gelehrsamkeit war variabel. Schlimmer noch: Wo genau die Schwachstelle des eigenen Archivs lag, wusste man immer erst im nachhinein, nachdem sich eine Benutzung bereits als unmöglich oder gefährlich herausgestellt hatte. Anlage und Pflege eines Archivs waren deshalb grundsätzlich Investitionen in eine unbekannte Zukunft, wie 1759 der Rechtsgelehrte Johann Stephan Pütter festhielt: ,,Die Absicht aller Archive geht auf künftigen Gebrauch, der in so weit unbestimmt und unumschränkt ist, als man zum voraus nicht wissen kann, ob und was noch künftig zu gebrauchen seyn, und in wie kurtzer oder langer Zeit dasselbe geschehen möge.“ Ob sich die Investition auszahlen würde, und für wen, war nicht vollständig zu kontrollieren. Inwiefern ein Archiv ,nützlich‘ sein würde, ließ sich niemals zur Gänze vorherbestimmen. Die Fähigkeit eines Archivs, Benutzer und Besitzer überraschen zu können, hing zwar erheblich vom Erschließungsgrad ab. Doch die Ambivalenz der europäischen Archivkultur war – wie Bernard und Pütter erkannten – grundsätzlicher begründet, denn die Potentiale der Archive waren niemals völlig beherrschbar. Archive ,reagierten‘ auf die Rechercheumstände. Archive waren deshalb für die Zeitgenossen der Frühen Neuzeit niemals nur eindeutig adressierbare Infrastrukturen der Wissensgenerierung. Das Wissen in den Archiven und die Bedürfnisse der Benutzer kamen niemals vollständig zur Deckung, ein unkalkulierbarer Rest blieb, der in unvorhersehbarer Weise zu Entsetzen oder zu Entzücken führen konnte. Darauf ließ sich unterschiedlich reagieren, 106
mit Zurückhaltung, verstärkter Verzeichnung oder Hoffnung, doch das Problem bestand weiter: Archive waren und blieben in ihrer Funktion unbestimmt, sie waren zukunftsoffene und unvorhersehbare, oft kontraintuitive und unergründliche, chancenreiche und gefährliche, stabilisierende und dynamisierende Einrichtungen. Die Zeitgenossen sahen dies ganz deutlich.
Frühneuzeitliche Entwürfe europäischer Archivgeschichte Das frühneuzeitliche Gespräch der Gelehrten über die Archive befasste sich nicht nur mit technischen Details und beließ es auch nicht bei der Formulierung oder Kritik bestimmter Zielvorgaben. Die Autoren ordneten die Archive außerdem als kulturelle Phänomene historisch ein. Europa begann in der Frühen Neuzeit, sich seine eigene Archivgeschichte zu erzählen. Archive erhielten nicht nur in der sozialen Praxis, sondern auch in der Eigengeschichte Europas einen festen Platz. Manche Schriftsteller folgten dabei der Gewohnheit ihrer Zeit und versuchten, den Ursprung des europäischen Archivwesens in eine mythische Vorzeit zu verlegen. Dieses Verfahren sicherte den Archiven besondere Würde und Legitimität. Je älter ein Gegenstand war, desto näher war an den göttlichen Ursprüngen von Kultur und Geschichte. Kein Wunder, dass manche Texte schon in der Bibel erste Hinweise auf Archive zu finden suchten. Bonifacio beispielsweise meinte, bereits die Söhne Seths hätten Archive gebaut, und zwar ausdrücklich, um die von Gott angeordneten Zerstörungen der Welt durch Feuer und Wasser zu überdauern. Für Tobias Eckhard war 1717 unbezweifelbar, dass die Bundeslade das ,,älteste Archiv“ war. Und Friedrich Rudloff dachte gar, dass niemand anders als Gott selbst die Einrichtung von Schriftlichkeitsdepots veranlasst hatte. Die Gesetzestafeln, die Mose übergeben worden waren, galten ihm als Beginn der Archivgeschichte. Andere Autoren verzichteten auf solche Spekulationen zur biblischen oder mythischen Vorzeit und beschränkten sich stattdessen auf gut dokumentierte Analysen der Archivgeschichte. Das Bewusstsein für die Historizität der europäischen Archivkultur war stark ausgeprägt. Diese Einsicht in die geschichtliche Kontextabhängigkeit des europäischen Archivwesens führte dazu, dass die frühneuzeitliche historia litteraria die Archive als Forschungsgegenstand entdeckte. Gerade die 107
antiken und frühchristlichen Entwicklungen erregten zunächst einmal das Interesse von Archivhistorikern des 18. Jahrhunderts. Tobias Eckhard, Johann Carl Beheim und Johann Gottfried Richter behandelten die Archive der Juden, Ägypter, Chaldäer, Griechen, Römer und frühen Christen. Die anschließende ,,Zeit der Druiden“ zwischen dem spätantiken Rom und dem Beginn des fränkischen Kaisertums war dagegen in archivhistorischer Perspektive eine Enttäuschung – das frühe Mittelalter galt den Autoren meist als schrift- und archivlose Epoche. Die eigentliche europäische Archivgeschichte begann deshalb erst im Mittelalter. Insbesondere die Wiederbegründung des Kaiserreichs unter den Karolingern eröffnete nach Ansicht vieler Autoren eine neue Phase. Ein genereller kultureller Aufschwung habe ein Mehr an Schriftlichkeit mitsamt einer verstärkten Hinwendung zur Archivierung erzeugt. Hinweise auf die italienische Urbanisierung seit dem Hohen Mittelalter rundeten diese positive Bewertung des Mittelalters in der frühneuzeitlichen Archivgeschichtsschreibung ab. Deutsche, vor allem protestantische Autoren betonten dann einen archivbezogenen Entwicklungsschub am Ende des Mittelalters, der mit einem generellen kulturellen Aufschwung einhergegangen sei. Besonders die Reichsreform 1495 und die Regierungszeit Kaiser Maximilians I. wurden als positiver Umbruch für die mitteleuropäische Archivkultur herausgestellt. Die Autoren diagnostizierten eine wechselseitige Beeinflussung von administrativen Verfahrensreformen, Institutionenbildung, Schriftlichkeit und Archivierung. Die Reichsreform 1495 hatte laut Wencker eine ,,unvermeidliche Nohtdurfft“ erzeugt, ,,die Registraturen wieder auffzurichten / die Archive zu eröffnen / und in bessere Ordnung“ zu bringen. Die Entwicklung der europäischen Archivkultur wurde auf diesem Weg bereits von den Zeitgenossen in den Kontext von Staatsbildung, Herrschaftsverdichtung, Bürokratisierung und Verrechtlichung gesetzt, in dem sie bis heute vorwiegend betrachtet wird. Sie projizierten damit die Logik ihrer zeitgenössischen Regierungslehre à la Seckendorff zurück in die Vergangenheit. Auch in einer stärker auf ideengeschichtliche Aspekte fokussierten Archivgeschichte erschien die Frühe Neuzeit als entscheidender Umbruch. Im 16. und insbesondere im 17. Jahrhundert sahen viele Autoren den Beginn archivbasierter Gelehrsamkeit und Historiographie. Mariano Brockie aus Regensburg kritisierte beispielsweise 1759 in einer überschwänglichen Biographie des großen Gelehrten Lucas Holstenius, die Humanisten der ersten Generation ,,haben noch nicht sehr genau die Schränke der Bibliotheken und Archive inspiziert“. Stattdessen sei 108
es ihnen nur um literarische Texte der Antike gegangen. Erst um 1600 habe man Archivrecherche zur historiographischen Grundlagenarbeit gemacht. Natürlich wurde Holstenius dann als Inkarnation dieser neuen Gelehrsamkeit identifiziert – doch unabhängig von der konkreten biographischen Schwerpunktsetzung ist offensichtlich, dass Brockie hier Archivgeschichte als kulturelle Fortschrittserzählung präsentierte, deren entscheidender Umbruch im 16. Jahrhundert angesiedelt wurde. Zumindest in Einzelfällen nahm dieses relativ homogene Geschichtsbild noch pointiertere Gestalt an. Ein unscheinbarer Text von 1702 aus Rothenburg ob der Tauber ist dafür ein gutes Beispiel. Damals schrieb der örtliche Stadtarchivar Johann Adam Erhardt eine kurze Historia Archivi über die Entwicklungen in Rothenburg. Auch Erhardt kam dabei auf die Umbruchsphase um 1500 unter Maximilian I. zu sprechen. Allerdings ergänzte er die knappe Würdigung des Kaisers in bemerkenswerter Weise durch eine konfessionelle Polemik, die in Archivangelegenheiten eher ungewöhnlich war. Er behauptete, die Päpste hätten ,,mit fleiß“ die ,,literatura supprimiert“. Ein kultureller Aufschwung in Sachen Archivwesen sei vor allem durch den ,,Thewren Mann Gottes Martini Lutheri“ bewirkt worden – ein Trend, der durch die Reichsreform Maximilians verstärkt worden sei. Selbst für Lutheraner war es ungewöhnlich, das Papsttum für das Fehlen von Schriftlichkeit verantwortlich zu machen. Die meisten protestantischen Autoren erkannten die archivischen Leistungen des katholischen Klerus im Mittelalter im Gegenteil sogar ausdrücklich an. Erhardts Verachtung der mittelalterlichen Klöster und Kirchen als entscheidende Überlieferungsträger war archivhistorisch unhaltbar. Archivgeschichte taugte für gewöhnlich nicht zur religiösen Polemik, doch unter der kreativen Hand des Rothenburger Stadtarchivars ließ auch sie sich konfessionalisieren.
Schriftliche und nichtschriftliche Archive in Europa und Übersee Angesichts der unübersehbaren Allgegenwart von Archiven in ihrer eigenen Zeit und Kultur stellte sich für frühneuzeitliche Autoren zusehends die Frage, ob es auch schrift- und archivlose Zivilisationen geben könne und wie man diese gegebenenfalls zu bewerten hätte. Die 109
Frage betraf zunächst einmal Europa selbst – auch in der eigenen Geschichte, so betonten viele Gelehrte, habe es Phasen gegeben, in denen die Menschen ohne Schrift und Archive auskamen. François Baudouin beispielsweise meinte, im antiken Rom wären wichtige Informationen mündlich und durch Gesänge weitergegeben worden. Johann Heinrich Ursinus aus Regensburg schilderte 1661, wie eine rein mündliche Weitergabe von Wissen über viele Generationen hinweg möglich sei. Jacques-Bénigne Bossuet, der große französische Autor und Bischof, hielt es wenig später ebenfalls für ,,sicher“, dass die ersten Menschen auch durch Gesänge und mündliches Erzählen innerhalb einzelner Familien ihr Wissen weitergegeben hätten. Für Pierre Camille Le Moine war 1765 die weitgehend archiv- und schriftlose Kultur des Mittelalters sogar ein vorbildlicher Zustand. Mit einiger Nostalgie blickte er auf eine Zeit des ,,bewundernswerten Lakonismus“ zurück, die er sich als weitgehend frei von juristischen Formalitäten und langwierigen Rechtskonflikten vorstellte – und die deshalb keiner Archive bedurfte, weil Rechtsstreit immer mit Schriftlichkeit verbunden sei. In der Frühen Neuzeit waren solche Überlegungen zu alternativen, schriftlosen Archivierungspraktiken besonders wichtig, weil sie auch den Platz Europas im Verhältnis zu den erst kürzlich entdeckten, außereuropäischen Kulturen bestimmten. Auch hier hatten gerade Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts eine gewisse Toleranz für nichtschriftliche und damit auch nicht-archivbezogene Techniken der Überlieferungssicherung. Der eben schon erwähnte Baudouin wusste um die ausschließlich mündliche Weitergabe von Wissen in der Karibik. William Temple meinte 1689: ,,In Mexico und Peru gab es, schon lange bevor jemand an Buchstaben dachte, über Jahrhunderte hinweg ein Wissen um die vergangenen Ereignisse.“ Konkreter war ein Bericht, den der spanische Jesuit Alsonso de Ovalle 1648 über seine Reisen in Peru publizierte. Zunächst kritisierte er zwar, dass ,,diese Menschen dort nicht schreiben können und deshalb auch keine Archive (archivios) unterhalten, so wie alle anderen Völker das tun“. Doch an anderer Stelle beschrieb er eindrücklich und voller Bewunderung ein ausschließlich mündlich organisiertes ,,Archiv (archivio)“ in Peru: Ein Indianer, der als ,,Archiv“ und ,,Archivist“ der Dorfes amtierte, sage jeden Feiertag auf das Signal einer Trommel hin die von ihm memorierten Ereignisse von Anfang der Welt bis auf seinen Tag hin aus dem Gedächtnis laut auf. Zugleich betonten europäische Autoren, die über solche Themen schrieben, auch regelmäßig, dass schriftbasierte Archive selbst in 110
,,barbarischen“ Gesellschaften anzutreffen waren. Papst Sixtus V. hatte diesen Kulturvergleich prominent an den Beginn seiner Gesetze zur Archivreform gestellt und daraus zugleich ein Argument für die universale, quasi natürliche Notwendigkeit von Archiven gemacht. Baldassare Bonifacio räumte in seinem insgesamt nur kurzen Traktat den ,,Archiven der Barbaren“ einen eigenen Abschnitt ein und zeigte sich insbesondere von den Quippus der Inkas in Peru sowie der chinesischen Schrift- und Archivkultur beeindruckt. Seine Informationen über die amerikanischen Völker hatte er dabei aus dritter Hand. Er zitierte eine Zusammenfassung des Reiseberichts von Gonzalo Fernández de Oviedo y Valdez, die Giovanni Battista Ramusio, ein bekannter italienischer Sammler und Herausgeber solcher Berichte, angefertigt hatte. Auf der Basis von Oviedos Schilderung beschrieb Ramusio, wie die geknüpften Schnüre der Inkas in eigenen Depots aufbewahrt und dort von Spezialisten gepflegt wurden. Es ,,gibt dort öffentliche Häuser (case publice)“, in denen man diese Schnüre zur Erkenntnis der Vergangenheit einsehen könne – ,,so wie wir es auch mit unseren Schriften machen“. Für diese Einrichtung gebrauchte Bonifacio in seiner Wiedergabe von Ramusio/Oviedo dann umstandslos den Begriff ,,Archiv“. Archive hatten bereits eine derartige kulturelle Selbstverständlichkeit erlangt, dass Europäer wie Bonifacio sie selbst dort einfach postulierten, wo sie vielleicht gar nicht bestanden. So ist es kaum verwunderlich, dass es laut Bonifacio auch in China seit langem Archive gab. Das glaubte er aus Juan González de Mendozas bekanntem Reisebericht entnehmen zu können. Doch auch hier war eine kreative Aneignung des Textes vonnöten. Bei González de Mendoza waren zwar einige Passagen zur chinesischen Schreibkunst zu finden und auch eine lange Liste an chinesischen Kaisern wurde präsentiert – doch von ,,Archiven“ stand dort kein Wort. Nichtsdestotrotz unterstellte Bonifacio wie selbstverständlich auch in China eine außereuropäische Archivkultur. Weder in historiographischer noch in ethnographischer Perspektive führte aus Sicht der Europäer also noch ein Weg an den Archiven vorbei. Die kulturelle Vielfalt der beobachtbaren Archivpraktiken wurde zwar einerseits betont und gewürdigt, die zivilisatorische Notwendigkeit irgendeines Archivwesens wurde andererseits jedoch geradezu umstandslos vorausgesetzt.
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Semantiken und Metaphern: Vom Archiv zum ,Archiv‘ Die Verbreitung der Archive führte schließlich auch zu terminologischen Differenzierungen sowie zu einer metaphorischen Aufladung der Begrifflichkeiten – längst vor Foucault oder Derrida. Das lateinische Wort ,,archivum“ wurde erst deutlich nach der Jahrtausendwende häufiger gebraucht. Lange Zeit wurden alternative Begriffe wie scrinium oder tabularium benutzt. Bezüglich der Herkunft von archiv(i)um war den Zeitgenossen der Frühen Neuzeit klar, dass es sich dabei um eine lateinisierte Version des griechischen Wortes archeion handeln musste. Gemeint waren damit sowohl der Ort als auch die Dokumente selbst. Oft skeptisch betrachtet wurde dem gegenüber in der Frühen Neuzeit die ältere, mittelalterliche Ableitung vom lateinischen arca (Kiste), die das Archiv auch etymologisch mit arcanum (Geheimnis) in Verbindung gebracht hätte – obwohl an der sachlichen Zusammengehörigkeit von Archiv und Geheimnis kein Zweifel bestand. Um das ,Archiv‘ als Bezeichnung für das Schriftlichkeitsdepot selbst lagerten sich im Lateinischen und in den Volkssprachen bald zahlreiche abgeleitete Begriffe an. ,,Archivar“/,,Archivist“ ist sicherlich das langfristig wichtigste dieser Wörter, das gelegentlich mit dem graezisierenden ,,Archiota“ konkurrierte. Doch es lassen sich früh auch Versuche zur Wortfindung beobachten, die archivbezogene Tätigkeiten beschreiben. ,,Archivatione“ beispielsweise wurde in Italien immer wieder gebraucht, um die technischen Vorgänge bei der Hinterlegung von Rechtsdokumenten in Notariatsarchiven zu bezeichnen. Mit zunehmender Entfaltung des Nachdenkens über Archive ging auch eine wachsende fachsprachliche Differenzierung des Wortschatzes einher. Georg Aebbtlin beispielsweise wollte terminologisch drei Typen von Schriftlichkeitsdepots säuberlich unterschieden wissen: das Archiv, das Chartophylacium, das Tabulario. Ein einziger Begriff reichte den Menschen des 17. Jahrhunderts offensichtlich nicht mehr aus. Mehr Anhänger fand langfristig die semantische Differenzierung zwischen dem (Urkunden-)Archiv und der (Akten-)Registratur, die im 18. Jahrhundert breit diskutiert wurde. Die Begriffe etablierten sich auch in der Archivwissenschaft des 19. Jahrhunderts, allerdings in einem noch einmal gewandelten Verständnis: nun bezeichnete ,,Registratur“ die laufende Sammlung von Akten bei den Behörden, die 112
erst nach einer bestimmten Zeit von den Behörden an das ,,Archiv“ als Verwahranstalt abgegeben wurden. Angesichts der wachsenden semantischen und theoretischen Aufmerksamkeit war es schließlich kein Wunder, dass das Archiv gerade in Deutschland zu einer populären Metapher werden konnte, mittels derer versucht wurde, andere Dinge verstehbar zu machen. Relativ naheliegend war die metaphorische Verwendung von ,,Archiv“ als Buchtitel für umfangreichere Editionswerke. Hier war der Begriffsgebrauch nahe am Ursprung, denn das Buch versammelte ja – eben wie ein Archiv – verschiedene Dokumente zur Benutzung. Diese metaphorische Übertragung des ,,Archivs“ auf Bücher fand ihren Höhepunkt im 18. Jahrhundert. Bereits zwischen 1691 und 1694 kam in vier Bänden Das Durchlauchtige Archiv heraus, eine Kompilation von Reden, Briefen, Verträgen und anderen Staatsdokumenten. Weitaus bekannter wurden die vierzehn Bände von Das Teutsche Reichs-Archiv Johann Christian Lünigs (1710–1722), die fünf Teile von Burkhard Gotthelf Struves Neu-eröffnetes historisch- und politisches Archiv (1719–1728), das Tabularium ecclesiae Romanae (1743) von Ernst Salomon Cyprian, das Teutsche Staats-Archiv von Johann Jakob Moser in zwölf Bänden (1755), das vierbändige Staats-Archiv des Keyserlichen und Reichs Cammer-Gerichts von Johann Heinrich Harpprecht (1757–1768) oder, von Johann Christian Hirsch herausgegeben, Des Teutschen Reichs MünzArchiv (1756–1768), eine Sammlung von Münzgesetzen. Eine bereits freiere Metaphorisierung des Archivs ist dort zu beobachten, wo der Begriff immer noch eine Sammlung bezeichnete, aber nicht mehr von Dokumenten, sondern etwa von Personen, Ereignissen und allgemeinen Nachrichten. Ein Beispiel ist die berühmte Polemik Der Unierten Protestierenden Archif , die Jakob Keller 1628 im Dreißigjährigen Krieg heraus brachte. Hier wurden vor allem Handlungen der Protestanten vorgestellt, kaum Dokumente. 1697 kam in Leipzig ein Genealogisches und Historisches Staats-Archiv heraus, das im Wesentlichen eine chronologisch geordnete Aufzählung sächsischer Fürsten seit Anbeginn war. Hier wurde vom ,,Archiv“ bereits gänzlich ohne Bezug auf Dokumente geredet. Sehr vage war der Bezug zwischen Buchtitel und konkreten Schriftlichkeitsdepots auch bei dem Werk Zweyfaches StaatsArchivum, einem Pamphlet von 1687, das die Politik Ludwigs XIV. und des Osmanischen Sultans im Türkenkrieg anklagte. Was die Metapher des Archivs für diese Buchtitel attraktiv machte, war vermutlich einerseits die Konnotation solider, umfassender Information. Andererseits war das Archiv als Metapher interessant, weil es als Chiffre für die Mög113
lichkeit stand, das Eigentliche der Ereignisse erkennen zu können. Das ,,Archiv“ suggerierte Information und Enthüllung. Hatten all diese Publikationen wenigstens noch thematisch die Nähe zu Politik und Diplomatie, Geschichte oder Genealogie gewahrt, so lässt sich zumindest im deutschen Sprachraum vereinzelt auch eine metaphorische Rede von ,,Archiv“ in ganz anderen Themenfeldern finden. So konnte man etwa 1720 von einem Artzney-Archiv sprechen. Christoph Martin Wieland suchte 1770 In den Archiven der Natur nach der ,,geheimen Geschichte des menschlichen Verstandes und Herzens“. Auch im Bereich religiöser Schriftstellerei versuchte man den Schlagwortcharakter der Archive zu kapitalisieren. Biblische Bücher konnten als ,,Archive“ bezeichnet werden, aus denen bei wichtigen Lebensstationen Nachrichten zur individuellen Lebensführung geholt werden konnten. Auch das Gericht Gottes schien den Vertretern einer barocken Frömmigkeit ein eigenes Archiv zu haben, in das man – wegen der großen Entfernung zwischen den irdischen Menschen und dem Himmel – nur mit Hilfe eines ,,Perspectivs“, eines Fernglases blicken konnte. Erde und Himmel, Europa und Übersee, Gegenwart und Vergangenheit, Recht und Politik, Geschichte und Religion – kein Bereich, der nicht wenigstens metaphorisch Bestandteil der frühneuzeitlichen Archivkultur werden konnte. ,,Archive“ waren überall, sie prägten die meisten Lebensbereiche und wurden von unterschiedlichsten Einflüssen geformt. Das belegte, beschrieb und bedachte die europäische Archivliteratur, die mit Ramingens Publikationen 1571 begonnen hatte und die sich ab etwa 1650 breit etablierte. Diese Debatten und Dispute veränderte einerseits die Archivkultur, indem sie sie systematisierten und indem sie die Praxis des Archivierens zu verbessern suchten. Andererseits ist die bloße Existenz dieser theoretisierenden, instruierenden und metaphorisierenden Literatur der beste Beweis für die zunehmende Unübersehbarkeit der Archive: Das Phänomen bedurfte der deutenden Einordnung, und deshalb wurden jene Archive, die frühneuzeitliche Europäer überall antrafen, zu Gegenständen des (gelehrten) Gesprächs. Das Reden über die Archive verortete sie im Weltbild der Menschen und verankerte sie im mentalen Horizont ihrer Benutzer, sei er politischer, juristischer oder historischer Art. Die geschilderten Texte und Theorien dienten dazu, das Archivieren kulturell plausibel zu machen und die Archiv konzeptionell zu erschaffen. Sie erhielten dadurch kulturelle Bedeutung. Das folgende Kapitel wird zeigen, wie die Menschen auf diesen Bedeutungszuwachs reagierten.
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Anmerkungen
Neuausgabe des Registraturtraktats Strömberg (Hg.): Rammingen. Zum Autor Jenny: Ramingen. Vgl. z. B. Sandri: La letteratura. D’Addario: Lineamenti. Delsalle: Une histoire, S. 144–151. Rumschöttel: Entwicklung. Eine besonders gute, aber kaum bekannte Übersicht findet sich bei Tröger: Die Archive, S. 371–392. Vgl. Vossius: Epistolae, II, S. 98f. Amezúa: Lope de Vega, I, S. 215. Ramingen: Von der Registratur, fol. )(iijr-v und passim. Ebd., fol. Biijr zur Rolle seines Vaters als Registrator. Zur Tätigkeit des Vaters vgl. die Hinweise bei Schneider: Geschichte, S. 1–4. Ramingen: Von der Registratur, fol. )(iiijr . Zum Text als ,,Werbeschrift“ vgl. Richter: Lagerbücher, S. 67. Übersetzt bei Born: Baldassarre Bonifacio. Sandri (Hg.): Il De Archivis. Ediert in Poleni: Utriusque Thesauri, Bd I, Sp. 1082–1125. Zum Text vgl. Born: Albertino Barisoni. Vgl. Sandri: Nicolo Giussani, S. 329f. Dort auch zur Bekanntschaft von Bonifacio, Barisoni und Olmo. Lamalle: Un Livre. Aebbtlin: Anführung. Auszüge bei Sandri: Nicolo Giussani. Loyseau: Traité. de LaRoche-Flavin: Treze livres. Speidel: Speculum, S. 70f. (s.v. ,,Archiv“), 1041f. (s.v. ,,Registraturen“). Neveus Schrift ist ed. bei Wencker (Hg.): Collecta archivi. Mit gleichem Titel Radov/Mutter: De archivis. Rudloff: de Archivorum publicorum origine. Johann Christoph Wagenseil: De Imperii Archivo, aurea Bulla, et Lipsanis Imperii, Halle 1675, und Christoph Lyncker: De archivo imperii, Jena 1686, sind ed. bei Wencker (Hg.): Collecta archivi Schal: Zuverlässige Nachrichten. Wedekind: Dissertationvm Scholasticarvm Prima. Behlen: Dissertatio Inauguralis. Speidel: Speculum, S. 70 (mit Rekurs auf Boecler). Engelbrecht: De Iure Archivorum, fol. A3v –A4r , D4r-v . Fladt: Anleitung, S. 41 (mit Gundling). Eine Fallstudie aus Italien bei Lodolini: Giurisprudenza. Vgl. a. Engelbrecht: De Iure Archivorum, fol. E2v –E3r : Schriftstücke aus privaten Archiven haben geringere Beweiskraft. Pitz: Beiträge, Sp. 279f. Am 11.9.1654 an Giannettino Giustiniani, ed. Marinelli (Hg.): Un corrispondente. nr. [16]. Schulte: ,,scripturae publicae creditur“. Dies.: Fides Publica. Als erster Überblick vgl. Merzbacher: Ius Archivi. Vgl. a. Irace/Bartoli Langeli: Archivi, S. 402–404. Vgl. z. B. Schweder: Introductio, S. 948–950. Kritisch zu dieser engen Definition des ius archivi z. B. Layritz: Dissertatio, S. 7– 10. Rudloff: de Archivorum publicorum origine, bietet eine Typologie der Reichsstände an Hand ihres ius archivi. Engelbrecht: De Iure Archivorum, fol. Ev –E2r :
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die Ordnung eines Archivs solle der Reichsstruktur folgen. Ähnlich Reinkingk: Politisches Bedencken. Wedekind: Dissertationvm Scholasticarvm Prima. Behlen: Dissertatio Inauguralis. Layritz: Dissertatio. Wencker: Apparatus. Wencker (Hg.): Collecta archivi. Trotz des Titels kaum einschlägig, da sie zum Thema ,Archive’ nur Bonifacios Werk enthielt, war Mader/Schmidt: De bibliothecis. Ludovici: Einleitung Zum Civil-Proceß, S. 315–344. Pütter: Anleitung zur Juristischen Praxi, S. 265–292. Fladt: Anleitung. Außerdem das Bedencken von Einrichtung. Balthasar: Rituale Academicum, S. 551–554. Auch Reinkingk: Politisches Bedencken, ließ zugleich einige Flexibilität bei der Anpassung an konkrete Umstände zu, vgl. ebd., S. 33. Fladt: Anleitung, S. 114. Spieß: Von Archiven, S. 57f., 65 u.ö. Vgl. ebd., S. 67. Tröger: Die Archive, S. 386–390. Schwineköper: Zur Geschichte des Provenienzprinzips. Die erste Verwendung dieser Unterscheidung finde ich bei Eckhard: Introductio. Barret-Kriegel (Hg.): Brèves reflexions. Barret-Kriegel: Les historiens. Borghero: La certezza. Becker: Diplomatik und Rechtsgeschichte. Fladt: Anleitung, S. 179f. Legipont: Dissertationes. v.a. S. 149–188. Eine spanische Übersetzung kam 1759 in Valencia heraus. Vgl. a. Maffei: Istoria diplomatica. Eckhard: Introductio, S. 35f. Joachim: Einleitung, S. 24f. Adelung (Übs.): Neues Lehrgebäude. Vgl. seinen Brief an Roussel, 31.10.1757, Arsenal Ms 7054, nr. 169. Vgl. a. Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. i–v (Preface). D’Estienne: L’archiviste citoyen. Mariée: Traité des Archives. de Chevrières: Le nouvel archiviste. Von Batteney: L’archiviste francois, kenne ich nur die zweite Auflage, doch zumindest ein prospectus ist schon 1770 bezeugt durch BnF Moreau 343, fol. 40v . Zu diesem Milieu fehlen neuere Arbeiten, vgl. immerhin Cazauran: Feudistes. Ich beabsichtige, in nächster Zeit mehrere Studien zu dieser Gruppe vorzulegen. Mémoire instructif, 1751. Le Moine schrieb am 31.10.1757 an Roussel, es fehle bisher ein ,,livre elementaire“ für Archivare, vgl. Arsenal Ms 7054, nr. 169. Engelbrecht: De Iure Archivorum, fol. A2r-v . Praktisch wortgleich schon Speidel: Speculum, S. 70f. ,,fons originalium Documentorum“, BayHStA I Hst-Pas 1.1.1.1, fol. IVr (nr. 5). Mariée: Traité des Archives, S. 100f. Besold/Lindenspür: Ad ordinationes, S. 34f. Wörtlich zitiert bei Speidel: Speculum, S. 1041. Fosi: Justice and its Image. Friedrich: Notarial Archives. Vgl. z. B. StadtA Lyon BB 144, fol. 12r (1608): Archive als Mittel gegen die ,,grandes changes que le temps et l’abbus on fait glissés au prejudice“. Vgl. a. de Chevrières: Le nouvel archiviste, S. 11f. Ed. Poleni: Utriusque Thesauri, I, Sp. 1125. Jakob Bernhard von Multz von Oberschönfeld in Wencker (Hg.): Collecta archivi, S. 112.
Fladt: Anleitung, S. 60. Engelbrecht: De Iure Archivorum, fol. A2r-v . Moser: Lebens=Geschichte von ihm selbst beschrieben. IV, S. 32f. Feldkamp: Die Kölner Nuntiatur, S. 131. Mayerhofer (Hg.): Inhalt und Zustand, S. 249. AA IV 3, S. 332–340. Aebbtlin: Anführung, S. 10f. Ramingen: Von der Registratur, fol. Dr . Bedencken von Einrichtung der Archiven und Registraturen, 1767, S. 17. AA IV 3, S. 332–340. Vgl. insgesamt Knabe: Leibniz’ Vorschläge. AA IV 3, S. 340–349. AA IV 4, S. 34 (1688/89, mit deutlichem Fokus auf dem Archiv). Diese Forderung nach einem Breviarium Imperii, die Leibniz auf das antike Vorbild Augustus zurückführte, hatte er einige Jahre zuvor bereits gegenüber seinem Landesherren erhoben, vgl. AA I 2, S. 86ff. und IV 3, S. 332. AA IV 3, S. 335. Althusius: Politica Methodice digesta, S. 92, 229, 252–254. Reinkingk: Biblische Policey, S. 317–322. Reinkingk: Politisches Bedencken. Seckendorff: Fürstenstaat (ed. 1720), S. 104f., 432f., 524, 530, 663. Fischer: Fleißiges Herren-Auge II, S. 3–25. Vgl. den Text bei Born: Baldassarre Bonifacio, S. 233f. Vorrede, in Sagittarius/Cyprian: Historia der Graffschafft Gleichen, fol. )(2r -)()(4v . Black: Perugia, S. 531: ,,inferno“. ,,telerañas de esse Archivo“, an Josef Dormer, 28.12.1680, ed. Lamarque (Hg.): Cartas, S. 200. de Conde y Delgado Molina (Hg.): Brújula, S. 54. Ähnlich, aber ohne Metapher, Aebbtlin: Anführung, S. 23. Vgl. z. B. das Inventar Lerchs von Dirmstein von 1595, ed. Martin (Hg.): Dirmstein, S. 15 (Zitat), 23, 26 etc. Vgl. a. Salmini: Buildings, Furnishing, Access and Use, S. 98, 104f. AD Ain G 145, fol. 77r –325r . AD Rhône 52 J 44, S. 17 (Inventar der Familie Sabot de Sugny). Vismann: Akten, S. 177. Soleil: Scenario, S. 7 zitiert einen französischen Fall von 1744, wo ein Archivar bei einem Brand die ,,inutille“ erst ganz zuletzt retten wollte, und das dann nicht mehr schaffte. StA Gotha SS X 82, unfol. (meine Hervorhebung, M.F.). Engel: bellum diplomaticum, S. 333. Die Räte meinten, ,,mit bösem glauben d.i. wissenschaft von eines andern gerechtigkeit an einem gute“ könne und dürfe man nicht handeln. StadtA Lyon BB 294, fol. 95r –96r . StadtA Speyer 1A/77, fol. 43r –44v (er fand Biographisches zu Christoph Lehmann). Baudouin: De institutione historiae, S. 90. Zu ihm vgl. Grafton: What was History? Zit. ohne Datum und Quellenangabe bei Sarmant/Stoll: Régner et gouverner, S. 381. Vgl. die Angaben bei http://www.club-numismatique-macon.fr/category/ histoire-locale/page/4/ (22.5.2012). AD Saône-et-Loire C 771. Dort eingangs das Zitat. Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. 51.
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Vgl. die Klage Lancelots über frühere Archivare, die Bestände vernichtet hätten, weil sie ,,regardé comme inutile tout ce qui n’alloit pas directement à approuver les droits & les pretentions actuelles des ducs de Lorraine“, AN 257 AP 11, unfol. (Nr. 5). Ähnlich Prosper Lévêque 1753 über die Zerstörung des Nachlasses von Kardinal Granvelle, in: Lévêque: Mémoires, I, S. XV–XVI. Vgl. Ernst: Rumoren, S. 95. Vgl. a. Derrida: Dem Archiv verschrieben, S. 123 und passim. Pütter: Anleitung zur Juristischen Praxi, S. 268. Dazu generell Zedelmaier: Der Anfang. Im Vergleich zu Ursprungskonstruktionen auf vielen anderen Feldern waren diese Vor- und Frühgeschichten der Archive allerdings von eher bescheidenem Ausmaß. Ein Pendant zu Joachim Johann Maders 1666 entstandener Abhandlungen über Bibliotheken vor der Sintflut fehlte beispielsweise für die Archive, vgl. Mader: Epistola de scriptis et bibliothecis antediluvianis, in: Mader/Schmidt: De bibliothecis, S. 1–30. Born: Baldassarre Bonifacio, S. 229, 232. Eckhard: Schediasma, S. 13. Rudloff: de Archivorum publicorum origine, fol. A3r-v . Hierzu sehr knapp auch Wagenseil/von Haller Hallerstein: Disputatio Juridica, S. 3f. Vgl. Fritsch: De Jure, S. 17 (ed. Wencker (Hg.): Collecta archivi). Boecler: Notitia, S. 80: ,,Instructus apparatusque Archivorum, superioribus seculis rudius factus, in melius magis magisque coepit ordinari concinnarique“. Zitiert von Wencker: Apparatus, S. 43. Vgl. a. Aebbtlin: Anführung, S. 1–6. Eckhard: Schediasma. Beheim: Dissertatio. Richter/Schmidt: De tabulariis. Vgl. z. B. noch Maffei: Istoria diplomatica, S. 95f. Vgl. z. B. Eckhard: Schediasma, S. 29–31. Vgl. die Exzerpte aus Mabillon bei Wencker (Hg.): Collecta archivi, S. 805. Vgl. Wagenseil/von Haller Hallerstein: Disputatio, S. 6. Eckhard: Schediasma, S. 31f. Born: Baldassarre Bonifacio, S. 228, 232. Rudloff: de Archivorum publicorum origine, fol. A3r . Beide betonten zugleich aber, dass Archive im Grunde genommen so alt wie die Menschheit seien. Maffei: Istoria diplomatica, S. 96: keine Schriften vor 1200 vorhanden. Wencker: Apparatus, S. 70–76. Wagenseil/von Haller Hallerstein: Disputatio Juridica, S. 8f. Schal: Zuverlässige Nachrichten, S. 10–12. Aebbtlin: Anführung, S. 4f. erwähnte v.a. Ferdinand I. Wencker: Apparatus, S. 64. Holstenius: Codex Regularum, S. I–VIII (Vorwort des Herausgebers Brockie). StadtA Rothenburg/T. B 511, unfol. Vgl. Schnurrer: Geschichte. Dort auch zum Stadtbrand 1240. Vgl. z. B. Wencker: Apparatus, S. 43–83. Zusammengefasst bei Grafton: What was History?, S. 113–115. Zedelmaier: Der Ursprung der Schrift. Cañizares-Esguerra: How to write, S. 88f. Bossuet: Oeuvres, Sp. 789f. Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. i–ij: ,,admirable laconisme“. Cañizares-Esguerra: How to write. Grafton: What was History?, S. 115f. Temple: An Essay, S. 446. Ovalle: Historica Relacion, S. 79. Vgl. dazu Bouza: Imagen, S. 46 und Bouza: Escritura, S. 106 (mit FN 36). Ovalle: Historica Relacion, S. 92f.
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Vgl. z. B. Constitutio novissima super Archivio civitatis Bononiae (1706), S. 3, in: ASV Cibo 4, fol. 139r . Vgl. a. ASV Indice 214, fol. 4r (1737). Duca (Hg.): Enchiridion, S. 19. Born: Baldassarre Bonifacio, S. 231f. Ramusio: Discorso, fol. [*4]r . Vermutlich benutzte Bonifacio die Ausgabe González de Mendoza: Historia, S. 64–71, 114–117. Goez: Pragmatische Schriftlichkeit, S. 102f. Barret: La mémoire, S. 190: archivio in Cluny 1375. Behne: Mantua, S. 54 (ab 16. Jahrhundert). Senatore: Uno mundo de carta, S. 101 (1465 und 1484). Z. B. Wagenseil/von Haller Hallerstein: Disputatio Juridica, S. 3. Z. B. Eckhard: Schediasma, S. 5. Diese falsche Etymologie findet sich bei Isidor von Sevilla: Etymologiae XX, 9, nr. 2. Friedrich: Notarial Archives, S. 447. Aebbtlin: Anführung. Stellvertretend z. B. Fladt: Anleitung. Vgl. die Bibliographien Michael Lilienthal: Biblischer/ Archivarius/ der heiligen Schrift/ Neuen Testaments, Königsberg/Leipzig 1745. Ders.: Biblischer/ Archivarius/ der heiligen Schrift/ Alten Testaments, Königsberg/Leipzig 1746. Ders.: Theologisch-Homiletischer Archivarius, Königsberg 1749. Allamodische Artzney-Affen, Das ist: Wahre und klare Obschon schlechte, dannoch gerechte Beschreibung, Lächerlicher Fehler, einfältiger Thorheiten, und schädlicher Mißbrauch in der Artzney, wie auch vieler curiosen aus der alten Weiber Artzney-Archiv genommenen Recepten, o.O. 1720. Christoph Martin Wieland: Beyträge zur Geheimen Geschichte des menschlichen Verstandes und Herzens: Aus den Archiven der Natur gezogen, 2 Bde., Leipzig 1770. Vgl. die Leichenpredigt von Peter Jeremias Hickmann: Hypomnemata Sacra, Oder Geistlicher Denck-Zedel/ In denen Archiven der Heimlichen Offenbahrung Johannis: Originaliter beygelegt und herfür gesucht nach Tödtlichem Hintritte Der [. . . ] Frauen Annae Kunigundae von Buttlar, o.O. 1675. Aegidius Mosmayr: Zusatz, Deß Geistlichen Perspectivs, Immittelst dessen man Hinauff in das Archiv Göttlichen Tribunals Der Allerstrengisten Gerechtigkeit, Auch Hinab in das Execution, oder Abstraffungs-Orth Deß Schwebelflammenden Feg-Feuers sehen, München 1699. Dort ist nichts weiter zur Metapher zu finden.
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Personen Menschen der Archive und Archive der Menschen
Es sind die Menschen, die Archive zu dem machen, was sie sind. Ein Archiv ohne Benutzer mag als Symbol eindrucksvoll oder bedrohlich sein, doch als Wissensort ist es so gut wie inexistent. Gäbe es keine Archivare, wäre die Recherche im Archiv unmöglich oder doch zumindest sehr erschwert. Archive sind zu einem wesentlichen Teil Arenen für und Schnittstellen von sozialer Interaktion. Darum soll es in diesem Kapitel gehen, um die Menschen, die das Archiv prägten und von ihm geprägt wurden. Dabei stehen zunächst die Archivare im Zentrum des Interesses, also jene Männer, die im Auftrag der Eigentümer, aber regelmäßig mit erheblichem privatem Engagement für die Benutzbarkeit der Bestände arbeiteten. Ohne ihre Leistungen wären Fürsten, Minister und Gelehrte kaum in der Lage gewesen, sich vor Ort in den Papieren und Pergamenten zu orientieren. Schon die Zeitgenossen der Frühen Neuzeit sahen die Archivare als wichtigste Vertreter im Stamm der Archivmenschen. Jakob von Ramingen notierte 1571, ein Archiv könne ,,sich für sich selbs[t] weder bewegen noch regen / zugeschweigen was reden“. Zum Funktionieren brauche es deshalb ein ,,animal / das sich regen und bewegen / das hören und reden kann / und also ein solche Person / welche / weß man sie fragt / darüber antworten und guten bericht unnd bescheid geben / daneben die Contenta der Registratur dirigieren unnd moderiern“ könne.
Das Archiv war nichts ohne den Archivar und umgekehrt. Zwischen beiden herrschte eine symbiotische Beziehung. Das brachte etwa 150 Jahre später auch das Lobgedicht eines sächsischen Rats für den Weimarer Archivar Johann Sebastian Müller hölzern, aber eindrucksvoll zum Ausdruck: ,,Zu Weimar ware jungst bey Cammer und Cantzley / wie auch dem Cabinette, Ein harter Disputat: Wer wohl das beste Recht zum alten Müller hätte? Es brachte ieder Theil viel Schober Acten bey / Und ruffte die zu Zeigen / Doch alle musten schweigen / Als das Archiv nunmehr ins Mittel trat / Und diesen Ausspruch that: Vergeblich zanckt ihr Euch / Ich werde meinen Alten Wohl vor Euch allerseits in Ewigkeit behalten. Denn / seht doch nur recht zu /
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Les’t dieses Buch / betrachtet ihn und mich / Er ist und bleibt das wahre Andre Ich.“
Der Archivar als Alter Ego des personifizierten Archivs – mit dieser Formel war die Tatsache, dass das Archiv letztlich immer nur als Set menschlicher Handlungen funktioniert, bestens ausgedrückt. Dass in diesem Gedicht der Archivar Müller zudem exklusiv in die Einflusssphäre des Archivs gerechnet und seiner Vereinnahmung durch Rat, Kanzlei und Kabinett eine klare Absage erteilt wurde, macht zugleich das erhebliche Selbstbewusstsein von Archivaren um 1700 deutlich. Doch die symbiotische Abhängigkeit von Institution und Personal, von Archiv und Archivar, wirkte auch in die umgekehrte Richtung. Archive wurden nicht nur durch Menschen geprägt, sie prägten auch ihrerseits die Menschen. Zeitgenossen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts begannen, die Existenz von Archiven kreativ in ihre Lebenspläne einzubeziehen. Archive boten ökonomische und soziale Ressourcen an, sie stellten neue Chancen und Gelegenheiten dar. Entsprechend integrierten die Menschen der Frühen Neuzeit Archive gerne und offensiv in ihre Lebenspläne – allerdings gingen sie dabei bisweilen sehr ungewöhnliche Wege, die keineswegs immer mit den Plänen der Archivgründer übereinstimmten. Im Gegenteil, häufig kam es zu erbitterten Konflikten darüber, wie man Archive benutzen durfte und wie nicht. Den Auffassungen der Archivare und ihrer Auftraggeber standen alternative Konzepte entgegen. Die Vielfalt der frühneuzeitlichen Mensch-ArchivBeziehungen ist das Thema dieses Kapitels.
Archivare Die Frage, wer der erste Archivar Europas gewesen und wo dieses Amt erfunden worden sei, geht in die Irre. In dem Maße, in dem Fürsten, Klöster und Adelige einzelne Dokumente aufbewahrten, gab es immer schon Personen, die diese handhabten, ordneten oder verzeichneten. Festzuhalten ist allerdings, dass seit dem 14. Jahrhundert Spezialisten auch namentlich und biographisch greifbar werden, deren hauptsächliches Aufgabenfeld die Betreuung einzelner Archive war. In Aragon kann man Ramon de Caldes und Pere de Passeya nennen, in Frankreich Gérard de Montaigu und Pierre d’Estamps und in Burgund Thierry Gherbode. Viele der frühen Archivare übten diese Aufgaben zusätzlich zu anderen Positionen in den entstehenden Verwaltungen aus. Das 122
Auftreten dieser ersten großen Archivarsfiguren, die oft mit expliziten Bestallungen und einer fixierten Bezahlung ausgestattet wurden, kann nichtsdestotrotz als Etappe auf dem langsamen Institutionalisierungsprozess angesehen werden, der die europäische Archivkultur seit dem Mittelalter prägte. Denn die Tatsache, dass Institutionen der Dokumentaufbewahrung auch eines eigenen Personals bedurften, wurde zusehends breiter erkannt. 1567 formulierte der Zweibrücker Rat Johann Stieber ohne Umschweife, ,,das[s] neben Ingrossisten und copisten ainer [sc. der Archivar] sein müste, so das gantz geschefft furgeschriebner mass nach tirigirt unnd In dieselbig ordnung redigirt, der auch des Landts und der hendell gelegenheit zuvor zimlich Wissens trüge, unnd In etlichen Jharen zu Keiner andern arbeit gebraucht würde“.
Auch Georg Aebbtlin betonte 1669 die Notwendigkeit spezialisierter Archivare. Nur durch tatkräftige Mitarbeiter sei zu erreichen, dass die Archivinstitution ,,nicht allein in ihrem esse conservirt / sondern auch continuirt / und bessert werden“. Existent und benutzbar war das Archiv als Raum, Institution und Urkundenbestand nur im dynamischen Spiel personalen Handelns, so meinte Aebbtlin. Angesichts solcher Forderungen wurden Archivare einerseits oft mit langfristigen Perspektiven, teilweise auch ,,lebenslang“ eingestellt. Mancherorts ist eine langfristige Kontinuität im Archivpersonal gut zu beobachten. In Speyer beispielsweise sind zahlreiche Bestallungsvorgänge aus dem 17. und 18. Jahrhundert bekannt, deren Unterlagen den Eindruck vermitteln, dass das Archiv über Jahrzehnte hinweg relativ dauerhaft und in beinahe selbstverständlicher Weise immer wieder mit neuem Personal ausgestattet wurde. Über den leitenden Archivar hinaus wurden weitere Mitarbeiter und Schreib- oder Hilfskräfte eingestellt. Selbst in Archiven mittelgroßer Territorien taten im 18. Jahrhundert oft bis zu einem halben Dutzend Personen Dienst. Andere frühneuzeitliche Quellen vermitteln dagegen einen gegenteiligen Eindruck. Viele Archive sind bekannt, bei denen kaum personelle Kontinuität zu beobachten ist. Personalentscheidungen – etwa die Einstellung eines neuen Archivars – scheinen oft nichts anderes als Reaktionen auf aktuelle Krisen- und Umbruchssituationen gewesen zu sein. Die Einstellung von Archivmitarbeitern hatte deshalb häufig einen projektbezogenen Charakter. Der Wille zur Finanzierung spezialisierter Kräfte zur Ordnung und Pflege von Depots wurde oft nur aus konkreten Krisen heraus geboren. Archivare, so vermitteln die Quellen deshalb immer wieder, waren zunächst einmal Krisenmanager. Viele der frühen Fachvertreter sind namentlich nicht zuletzt deshalb bekannt, 123
weil sich ihre Person mit spektakulären, häufig den ersten greifbaren Ordnungs- und Organisationsprojekten verbindet. Einstellung von und Aufmerksamkeit für Archivpersonal verband sich oft mit der Hoffnung auf dramatische Änderungen. 1730 wurde in Lyon beispielsweise Jean Benoit zu guten Konditionen in den Dienst der Stadt berufen, weil ,,Unordnung“ im städtischen Archiv herrschte, die er beseitigen sollte. Gerade auf der Ebene kleinerer Archive lässt sich zugespitzt formuliert daher das Phänomen von ,Wanderarchivaren‘ beobachten: Manche Spezialisten scheinen im Lauf ihrer Karriere von einer Ordnungsaufgabe zur nächsten weitergezogen zu sein. Pierre Louvet inventarisierte zwischen 1658 und 1668 die Stadtarchive in Toulouse, Bordeaux, Montpellier und Villefranche-sur-Saône. Jean-Baptist Larcher war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Vic, Pau und im Bigorre tätig. Joseph Batteney organisierte und verzeichnete in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zahlreiche Kommunal-, Kirchen- und Stadtarchive in der Auvergne und in der Nähe von Lyon. Eine Reihe von festen Beschäftigungen – etwa als Archivar im Pariser Rathaus ab 1764 oder als Genealoge des Malteserordens – verband er offensichtlich mit zahlreichen eher punktuellen, kurzfristigen Aufträgen. D’Estienne schätzte 1778, gut zwanzig Tage würden zur Ordnung solcher kleiner Archive normalerweise ausreichen. Bemerkenswert an Louvets, Larchers und Batteneys Karrieren ist nicht nur ihre Mobilität im Dienste archivischer Ordnungsstiftung. Festzuhalten ist zugleich, dass auch die Eigentümer der diversen Archive die bloß vorübergehende, projektbezogene Anstellung eines Spezialisten für ganz normal und ausreichend hielten. In ganz anderen Verhältnissen arbeiteten die Mitarbeiter großer fürstlicher Archive. Sie waren schon institutionell in die territorialen Behördenapparate eingebunden. Die Instruktion von 1720 für den neuen Archivar Avemann in Hachenburg im Westerwald befahl deshalb ausdrücklich die kollegiale Zusammenarbeit mit dem Personal der Kanzlei. Um die Rolle der hessischen Archivare einzuschätzen, muss deshalb neben der ausführlichen Archivordnung von etwa 1584 auch die fast gleichzeitig entstandene Kanzleiordnung Ludwig Wilhelms IV. von 1581 betrachtet werden, denn der fürstlichen Kanzlei oblag die Kontrolle der Archive. Tatsächlich fanden in der Frühen Neuzeit häufig Archivvisitationen durch hohe Beamte statt. In Frankfurt waren seit 1549 jährlich Revisionen durch den Rat vorgesehen, in Gotha gab es im 18. Jahrhundert eine Kommission aus fürstlichen Räten, die monatlich über die Amtsführung des Archivars zu wachen hatte. Deutlich wird, dass die Archivare und Registratoren hinsichtlich der Anforderungen, 124
der Rechte und Pflichten, die sich mit ihrem Amt verbanden, als Teil größerer bürokratischer Zusammenhänge verstanden wurden. Von der Mobilität und Unabhängigkeit Louvets oder Batteneys war hier nichts zu spüren. Ein Ausscheiden aus dem Dienst wurde streng kontrolliert. Welche Aufgaben die Archivare in solchen größeren institutionellen Geflechten konkret zu erfüllen hatten, ist nicht ohne weiteres festzustellen. Teilweise wurden die erwünschten Tätigkeiten und Leistungen nur sehr vage beschrieben, etwa durch pauschale Hinweise darauf, der Archivar solle sich um die Unterlagen kümmern und diese in guter Ordnung erhalten. Doch immer häufiger wurden den Archivaren relativ ausführliche Instruktionen gegeben. Das berühmteste Beispiel ist die große Instruktion Philipps II. von Spanien 1588 für sein neues Archiv in Simancas, doch auch in Hessen beispielsweise wurde fast zeitgleich eine sehr präzise Anweisung erlassen. Bald wurden solche Ordnungen und Instruktionen gang und gäbe. Eine Reihe von Pflichten kamen dabei immer wieder zur Sprache. Archivare waren in der Frühen Neuzeit zunächst einmal Hüter der materiellen Ordentlichkeit im Archiv. Sie wachten über die richtige Ablage neuer Akten, über die Sauberkeit der Räume und über die Bindung und Zugänglichkeit der Bestände. Sodann waren sie Garanten der inhaltlichen Benutzbarkeit, die sie durch immer neue Ordnungsleistungen ermöglichen sollten. Dies betraf vor allem andauernde Verzeichnungsprojekte. Weil Archive und Registraturen in der Frühen Neuzeit noch keineswegs überall klar voneinander getrennt waren, konnte dies sowohl die Erschließung uninventarisierter Altbestände als auch die fortlaufende Eintragung aktueller Unterlagen in vorhandene Findmittel beinhalten. Schließlich ist festzustellen, dass gerade dauerhaft bestallte Archivare in unterschiedlichem Ausmaße seitens der Obrigkeiten nicht nur als Garanten der Benutzbarkeit des Archivs betrachtet wurden, sondern auch als kundige Informanten über den Inhalt der Bestände. Archivare sollten, wie es häufig hieß, dem Fürsten generell ,nützlich‘ zuarbeiten. Es war der Archivar, der angeforderte Unterlagen zu suchen und bereitzustellen hatte. Archivare waren Informationsbeschaffer ihrer Obrigkeiten. Wie das im Alltag funktionierte, wird noch zur Sprache kommen. Um diese Aufgaben bewältigen zu können, wurden bestimmte Anforderungen an die Kandidaten gestellt. Davon, dass Archivarbeit eine ,,Männliche function“ war, ging man in der Frühen Neuzeit wie selbstverständlich aus. Wenn man (selten genug) einmal Frauen mit Kontrolle über Archive antraf, wurde dies sofort kritisch bewertet. ,,Es wäre doch nicht gewöhnlich, daß man Acta dem frauwen Zimmer anvertraue“, so 125
hieß es beispielsweise 1731 in Altenkirchen, als man herausfand, dass die Frau des Oberamtmanns die Archivschlüssel verwahrte. Die Geschlechterrollen im Archiv waren klar verteilt. Von den Männern wurde moralische und soziale Eignung sowie häufig auch religiöse Orthodoxie gefordert. Insbesondere wurde von ihnen zudem Loyalität erwartet, was sich konkret vor allem als Geheimniswahrung manifestieren sollte. Allerdings konnte man diese hohen Ansprüche nicht immer verwirklichen. Im Bereich des Notariatswesens und damit auch der Notariatsarchive lassen sich Beispiele finden, wo ehemalige Verbrecher mit der Niederschrift und Aufbewahrung von Rechtsdokumenten betraut wurden. Die sozialen Grenzen der Archive und des Archivarsberufs waren in der Praxis oft relativ offen und flexibel. Sucht man nach stärker archivspezifischen Kenntnissen, die als Voraussetzung einer Archivarstätigkeit angesehen wurden, wird man von den Quellen oft enttäuscht. Eine ausdrückliche Kanonisierung archivarischer Fertigkeiten fand erst allmählich statt. Viele Archivmitarbeiter hatten spätestens im 18. Jahrhundert akademische Bildung, meist im Rahmen eines Jurastudiums. Die Obrigkeiten forderten solche Standards auch ausdrücklich ein. Viele, aber keineswegs alle Archivare kamen bis um 1700 auch direkt aus der Verwaltungspraxis ans Archiv. Vielleicht nicht zuletzt deshalb wurde praktische Erfahrung mit Schrift, Papier und Dokumenten meist unausgesprochen vorausgesetzt, selbst wenn, wie noch zu sehen sein wird, entsprechende Versiertheit alles andere als selbstverständlich war. Die schon mehrfach erwähnte Hessische Archivordnung von 1584 schwieg zu diesen Punkten vollständig. Andernorts formulierte man Anforderungen und Kriterien während der Verhandlungen ebenfalls kaum näher. Jean Benoit, der 1730 in Lyon angestellt wurde, galt pauschal als sehr ,,geeignet“, doch nirgends wurde erwähnt, welche spezialisierten Fähigkeiten er hatte. In Rostock war man 1674 nur unwesentlich präziser, als man festhielt, man suche ein ,,capable subjectum“, das in der Lage sein müsse, ,,gute nachricht“ aus den Akten zu erheben. Es waren also gerade die Recherchefähigkeiten, die einer Erwähnung für Wert befunden wurden. Dem Fehlen eines spezifischen archivarischen Anforderungsprofils entsprach das Fehlen regulierter Ausbildungsformen, die solche Fertigkeiten hätten vermitteln können. Manche Archivare kamen aus ganz anderen Berufen. Johann Moninger, der ab 1581 auf der Plassenburg wegweisende Arbeit leistete, war vorher Arzt gewesen. Viele Berufsvertreter dürften sich ihre Erfahrung mit Dokumenten durch alltägliche Einübung schrittweise verschafft haben. Über die Möglichkeit, solche 126
Erfahrungen zu machen, entschied häufig die Herkunft der Kandidaten. Familien und familiäre Netzwerke waren dabei von entscheidender Bedeutung. ,,Anweisung“ durch den Vater galt als veritable Form der Ausbildung archivarischen Nachwuchses. Die ,,adjungirung“ von interessierten Söhnen zu ihren Vätern, die als Archivare Dienst taten, war deshalb vielerorts gang und gäbe. In Marburg waren in der Mitte des 18. Jahrhunderts beispielsweise mehrere Mitglieder der Familie Henckell in der Archivarbeit tätig und gaben ihr Wissen intern weiter. Als Anton Melchior 1752 ebenfalls Zugang erlangen wollte, berief er sich ausdrücklich auf diese Tradition. Er schlug vor, nach seiner Anstellung könne er doch ,,successive“ von seinem älteren Bruder in den einschlägigen Belangen ,,unterrichtet werden“. Die Regierung erkannte diese Ausbildungspraxis an und befürwortete die Anstellungen von Söhnen, damit sie ,,sich bey unser[er] Regierung, umb sich desto mehr zu unsern diensten qualificirt zumachen in praxi uben möge[n]“. Überall in Europa bildeten sich auf diese Weise Dynastien von Archivaren und Bürokraten heraus, in denen die jeweils nächste Generation von Kindesbeinen an mit der Arbeit an Papier und Pergament vertraut gemacht wurde. Hélie du Tillet etwa, seit langem im Dienste König Franz I. von Frankreich, beschaffte 1519 seinem ältesten Sohn Séraphim durch seine Beziehungen zu königlichen Vertrauten das zentrale Amt des Schreiber-Archivars (greffier civile) am Parlament in Paris. Zugleich heiratete Séraphim die Tochter seines Vorgängers und erreichte auf diesem Weg auch in sozialer Hinsicht Anschluss an ein einflussreiches Familiennetzwerk im Milieu der Pariser Parlamentarier. Aus finanziellen Gründen trat Séraphim das Amt bereits 1521 an seinen jüngeren Bruder Jean ab, der heute als einer der wichtigsten Archivare und Autoren der französischen Frühen Neuzeit gilt. Soweit scheint die Familie du Tillet vorbildlich zu illustrieren, welche Rolle die Schreibstuben und Archive für die soziale Positionierung spielen konnten. Doch der Fall zeigt darüber hinaus auch, dass es hier zu enormen sozialen und sogar innerfamiliären Konkurrenzen und Konflikten über die Verteilung der neuen sozialen Ressourcen kommen konnte. Über Séraphims Amtsabtretung an seinen Bruder von 1521 entspann sich in den folgenden 10 Jahren nämlich ein juristischer Kampf. Jean und sein Vater Hélie versuchten mit teilweise auch zweifelhaften Mitteln, Séraphim aus dem (aufgegebenen) Amt zu drängen. Dieser wehrte sich, nicht zuletzt durch Einbeziehung der einflussreichen Familie seiner Frau, und die Lage blieb jahrelang ungeklärt, was teilweise erhebliche Schwierigkeiten im Parlament heraufbeschwor. Erst 1530 127
wurde Jean du Tillet offiziell als greffier eingesetzt. Aus deutschen Archiven sind ähnliche Konflikte bekannt: In Marburg kam es beispielsweise in den 1730er Jahren zu einer Auseinandersetzung zwischen dem bisher amtierenden Archivar Christ und dem neu hinzu berufenen Registrator Meyer über Vortritt und Bezahlung. In Weimar drohte Tobias Pfanner 1699 mit der Niederlegung seines Amtes, weil ihm andere Beamte des dortigen Hofes seinen zeremoniellen Status streitig machten. Waren Archive einmal eingerichtet und hatte sich die Praxis etabliert, mehr oder weniger gut besoldetes Personal anzustellen, so wurden die Archive zu Schauplätzen sozialer Konkurrenz, bei der neben sachlich-archivischen Gesichtspunkten immer auch ,,unedle Passion[en]“, d. h. Karrierewünsche und Statusfragen, Besoldungszuwächse und Klientelbeziehungen eine Rolle spielten. Schließlich führt der Fall Séraphim du Tillets noch ein besonderes Element ein, das Frankreich vom Alten Reich unterschied: die Praxis des Ämterkaufs. Wer an einem Amt interessiert war, musste dafür einen bestimmten Preis entrichten, erhielt dafür umgekehrt aber alle Rechte und Pflichten inklusive der Einkünfte, die mit der Ausübung dieses Amtes verbunden waren. Im Grunde genommen war dies eine Praxis der Verpfändung von Staatseinnahmen. Dem französischen König diente das Verfahren während der gesamten Frühen Neuzeit in erheblichem Maße zur Finanzierung seiner Ausgaben. Wie die meisten Ämter im königlichen Herrschaftsgefüge waren auch viele Archivarsposten käuflich. Die finanziellen Schwierigkeiten Séraphims, die ihn zur Aufgabe des greffier-Amts zwangen, stammten aus den Schulden, die er zum Kauf des Amts aufnehmen musste. Séraphim scheint im Unterschied zu seinem berühmten und langfristig sehr wirkungsvollen Bruder Jean auch kein besonders geflissentlicher greffier gewesen zu sein. Doch auf solche fachlichen Abwägungen nahm die Praxis des Ämterkaufs meist keine Rücksicht. Auch die organisatorische Logik eines Amtes trat hinter den finanziellen Aspekten bald zurück. Bedurfte der König neuer Einkommensquellen, wurden einfach neue Ämter geschaffen und zum Verkauf ausgeschrieben. Ämter in der Contrôle des Actes beispielsweise wurden in der Krisenzeit am Ende der Herrschaft Ludwigs XIV., als der desaströse Spanische Erbfolgekrieg die Mobilisierung letzter Ressourcen erzwang, mehrfach verkauft, die Verkäufe zurückgenommen und einzelne Käufer faktisch um ihren Einsatz geprellt. Zur Steigerung der königlichen Einnahmen wurden 1709 manche Stellen einfach halbiert, so dass es nun zwei verkäufliche Ämter gab. Die beiden Amtsinhaber 128
wurden nun im jährlichen Turnus abwechselnd mit der Führung und Aufbewahrung der Schriftlichkeit beauftragt. Später wurden manche dieser Archivämter sogar dreifach besetzt, was etwa in Lyon zu Konflikten unter den Inhabern der verschiedenen Ämter führte. Auch das Archivchaos im Pariser Parlament um 1720 und das wachsende Desinteresse der Amtsinhaber an der engagierten Erfüllung ihrer Aufgaben lassen sich mit der unübersichtlichen Gemengelage an bedenkenlos vermehrten Ämtern in Verbindung bringen. Doch so kontraproduktiv der Ämterkauf im Fall der Archivarsposten erscheinen mag, er belegt doch schlagend den zentralen Punkt dieses Abschnitts: Archive wurden auf verschiedene Weisen Spielfelder sozialer Hoffnungen und Zielsetzungen und fanden einen Platz in der frühneuzeitlichen Ökonomie von Prestige, Status und Einkommen. Archive boten geeigneten Interessenten in zunehmendem Maße Chancen zur sozialen Selbstpositionierung. Talentierte und deshalb begehrte Archivare konnten auch fürstlichen Arbeitgebern gegenüber durchaus spezifische und harte ,,Bedingungen“ stellen, ehe sie sich auf eine Anstellung einließen. Entsprechend achteten Archivare auch peinlich darauf, dass ihre wachsende Bedeutung angemessenen Ausdruck in der symbolträchtigen Ranghierarchie der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft erhielt. Versiertheit im Umgang mit Urkunden und Akten wurde zum sozialen Kapital. Deshalb machten immer mehr Menschen diese Tätigkeiten zu Bestandteilen ihrer Lebensentwürfe.
Das unlesbare Archiv: Hilfswissenschaftliche Herausforderungen Dass ein Archivar lesen und schreiben können musste, schien vielleicht so selbstverständlich, dass es in den Archivordnungen und Einstellungsdokumenten oft gar nicht ausdrücklich erwähnt wurde, was allerdings ein Fehler war, denn hier gab es größte Schwierigkeiten. Lesen hatte im Fall der Archive ja eine zusätzliche, verkomplizierende Dimension: Lesen lief im Kontext von Archivarbeit auf das Entziffern alter Handschriften hinaus. Und die Zeitgenossen hatten größte Schwierigkeiten damit, ältere Dokumente zu lesen und zu verstehen. Schon im Hochmittelalter war es alles andere als selbstverständlich, frühmittelalterliche Urkunden zu rezipieren. Auch in der Frühen Neuzeit hatten Archivare überall in Europa ihre Probleme mit der ,,ancienneté de l’escripture“. Klagen 129
über entsprechendes Unvermögen und Forderungen nach einschlägig qualifizierten Mitarbeitern rissen nicht ab. Umgekehrt konnten Lese- und Dechiffrierfähigkeiten die Chancen auf Anstellung erhöhen. Das Wissen um alte Schreibformen wurde in Bewerbungen prominent erwähnt. 1752 unterstützte die Mutter von Melchior Anton Henckell dessen schon erwähnte Bewerbung auf die Stelle als Gehilfe des Hofarchivschreibers in Marburg mit dem Hinweis, ihr Sohn habe ,,bereits in dechifrirung der Alten Schrifften ziemliche fundamenta gelegt“. Die generellen Probleme mit mittelalterlichen Manuskripten verdichteten sich im speziellen, aber sehr häufigen Fall lateinischer Handschriftlichkeit noch einmal besonders, weil hier zwei spezifische Probleme hinzu kamen. Zum einen bereiteten die historischen Veränderungen der lateinischen Sprache größte Schwierigkeiten. Die lateinische Terminologie des Mittelalters, gerade im komplizierten Bereich der Jurisprudenz, war beispielsweise für französische Beamte des 18. Jahrhunderts weitgehend unzugänglich. ,,Das Verständnis des Lateins der alten Gesetzestexte stellt [für uns] ein beinahe unüberwindliches Hindernis dar,“ so gab ein Betroffener 1748 offen zu. Deutsche Archivbenutzer standen vor ähnlichen Herausforderungen. Terminologische Debatten gerade zu mittelalterlichen Rechtsbegriffen waren häufig. So war es kein Wunder, wenn einerseits der Umgang mit lateinischen Texten teurer war als der mit volkssprachigen, andererseits weiterhin eine solide lateinische Ausbildung für Archivare verlangt wurde. Das Verständnis des Lateinischen, und dies war die zweite besondere Hürde, wurde zusätzlich erschwert, weil mittelalterliche Schreiber eine unbekannte Form der Handschrift sowie zahlreiche Abkürzungen verwendet hatten. Auch darüber klagten Leser der Frühen Neuzeit immer wieder. Petrus Friderici aus Erfurt notierte 1712 verzweifelt: ,,Die älteren Manuskripte, von denen wir hier viele haben, kann ich wegen der Altertümlichkeit der Buchstaben und der Menge von Abkürzungen nicht lesen, und es ist im Moment niemand hier zu finden, der sich dieser Aufgabe annimmt.“ Entsprechend fehlerhaft waren frühneuzeitliche Abschriften und Kopien immer wieder, weil man nur allzu häufig an diesen Herausforderungen scheiterte. Nachfolgende Generationen von Historikern hatten oft alle Hände voll zu tun, die hilfswissenschaftlichen Irrtümer ihrer Vorgänger zu korrigieren. Ein Exemplar von Caspar Sagittarius’ 1700 posthum gedrucktem Werk Historia Gothana plenior beispielsweise weist zahllose nachträgliche Korrekturen von Schreib- und Lesefehlern auf, die ein eifriger Nutzer per Hand wohl direkt beim Vergleich des Drucks mit den Originalen in 130
das Buch eingetragen hat. Die Historizität der Schreibstile und Sprachen setzte der Archivarbeit selbst von Spezialisten oft enge praktische Grenzen. Um derartige Schwierigkeiten zu überwinden, konnten die Betroffenen auf das wachsende Korpus hilfswissenschaftlicher Literatur zurückgreifen, das im letzten Kapitel schon erwähnt wurde. Von besonderer Bedeutung im Kontext der Sprachschwierigkeiten war das 1678 erschienene Glossarium mediae et infimae latinitatis in drei Bänden. Dieses Werk des Gelehrten und Juristen Charles du Fresne, sieur du Cange, erreichte bahnbrechende Verbesserungen im Verständnis des mittelalterlichen und insbesondere des juristischen Lateins. In der Sicht beeindruckter Zeitgenossen handelte es sich um ein ,,barbarischlateinisches Lexikon“, denn es gab verständliche lateinische Sacherläuterungen zu ,,semi-barbarischen“ mittellateinischen Begriffen. Du Canges Werk stand, wie die gesamte hilfswissenschaftliche Literatur seit dem späten 17. Jahrhunderts, auf den Schultern einer langen zweihundertjährigen Tradition. Doch das Lexikon von du Cange wurde zum Referenzwerk für die Erläuterung spätantiker und mittelalterlicher Latinität. Gelehrte und Archivare, Beamte und Administratoren griffen begierig zu du Canges Glossarium und verbesserten es ihrerseits in mehreren Auflagen: ,,Die Mitarbeiter der Chambre des Comptes haben das Lexikon von du Cange dauernd auf ihren Schreibtischen, damit sie es benutzen können, sobald ihre Arbeit an alten Urkunden Schwierigkeiten bereitet“, so berichtete ein Zeitgenosse des 18. Jahrhunderts. Andere Erkenntnisse der großen hilfswissenschaftlichen Standardwerke wurden für die praktische Alltagsarbeit der Archivare publizistisch zurechtgestutzt. Beispielhaft dafür ist der 1775 von Joseph Batteney verfasste kurze Traktat L’Archiviste français, der eine praktische Anleitung zum Handschriftenlesen enthielt. Das kleine Büchlein gab dem Leser zunächst einige allgemeine Beobachtungen zur Veränderung der Orthographie und dann ein kleines Lexikon ,,gothischer“ Wörter an die Hand. Der hauptsächliche Wert bestand jedoch in zahlreichen gut illustrierten Tafeln, in denen Dutzende von Schreibformen einzelner Buchstaben sowie der häufigsten Kürzel dargestellt wurden. Schon Mabillon und Toustain/Tassin hatten solche Tafeln in ihre Werke integriert, doch Batteney reduzierte seinen Traktat praktisch ausschließlich auf diese Abbildungen. Sah man beim Lesen in alten Urkunden ein unbekanntes Graphem, so konnte man dieses (nach längerem Blättern) in den umfangreichen Schriftproben Batteneys finden und so den Buchstaben identifizieren. 131
Derartige Publikationen waren zwar wesentliche Erleichterungen im Arbeitsalltag und verbesserten den Zugang zu alten Manuskripten, sie beseitigten das Problem aber nicht vollständig. Nicht umsonst wiesen Beobachter deshalb darauf hin, dass Flüssigkeit im Lesen und Verstehen mittelalterlicher Texte und Schriften in erster Linie durch unablässige praktische Übung und konkrete Erfahrung zu erwerben sei. Erfahrene Handschriftenbenutzer wussten freilich, dass trotz wachsender Vertrautheit häufig ein Rest an Unsicherheit und Eigeninterpretation blieb. Unterschiedliche Lesarten waren oft möglich. Gerade vor Gericht war Zurückhaltung notwendig, wenn alte Urkunden schlecht verständlich waren. Ein echter Archivar, so notierte etwa Mariée 1779, müsse dann bei Leseschwierigkeiten ,,sein Urteil vorerst suspendieren“, denn die Entscheidung für oder gegen eine Lesart sei ,,eine besonders delikate Mission, die das Wohl der Menschlichkeit (humanité)“ beträfe. Eine besondere Sorgfalt und Skrupulosität beim Lesen und Interpretieren alter Manuskripte war generell, insbesondere aber vor Gericht notwendig, das forderte man auch andernorts.
Sind Archivare Gelehrte? Angesichts des zunehmenden Interesses der Gelehrten an Archivalien stellte sich für Archivare umgekehrt die Frage nach ihrer Selbstpositionierung gegenüber den historischen und diplomatischen Wissenschaften. Aus Sicht der Archivare drängte je länger desto mehr die Frage zur Klärung, wie sie sich ihrerseits zur Welt der Gelehrten und zur selbstbewusst methodenkritischen Diplomatik und Historiographie verhalten wollten. Wie sollten sie ihre Position zwischen Hof und Gelehrtenrepublik definieren, wie sollten sie sich gegenüber den Beamten und Historiographien positionieren? Viele Archivmitarbeiter plädierten an dieser Stelle mehr oder weniger deutlich für eine Annäherung an die Welt der Gelehrten. Es bestand in Praxis und Theorie häufig die Auffassung, die bloße archivarische Sorge um Akten und Ordnung müsse ergänzt werden um eine forschende inhaltliche Auseinandersetzung mit den Dokumenten, die der Archivar täglich in der Hand hatte. Das Leitbild eines ,Archivarsgelehrten‘, der vollumfängliche Erfüllung archivarischer Tätigkeiten im engeren Sinne mit einer ebenso tiefen Einbettung in die Gelehrtenrepublik verband, hatte viele Anhänger. Jakob Wencker und Philipp Ernst Spieß stellten hier noch vergleichsweise mäßige Forderungen. Der Straßburger Wencker wollte zumindest 132
eine vorauseilende Zuarbeit des idealen Archivars festschreiben, die über das bloße Heraussuchen von Dokumenten auf Nachfrage hin hinausging und durch kreative Quellenbenutzung zusätzliches Material für die Herrschaften bereitstellte. Für Spieß bestand der entscheidende Qualitätsunterschied innerhalb des Archivarsberufs darin, dass ,echte‘ Archivare mit dem Beginn ihres Berufslebens systematisch Notizen über die Inhalte der von ihnen verwalteten Archivalien anlegten, ,,welche zur Erläuterung der Rechte, Sitten und Gewohnheiten, der Geschichte, der Genealogie, der Diplomatick, der Münzkunde, der Erdbeschreibung u.s.w. dienlich seyn können“. Der Archivar sollte also an der frühneuzeitlichen gelehrten Praxis beständigen Exzerpierens und Sammelns aktiv teilhaben. Le Moine, der französische Autor, gab für das Anlegen solcher Notizbücher sogar eine ausgedehnte Anleitung mitsamt einigen umfangreichen Beispielexzerpten. Die Anlage solcher Collectaneen, die im Falle von Spieß am Ende seines Lebens über einhundert Bände umfassten, stand dabei häufig an der Grenze von praktischem Arbeitshilfsmittel und gelehrtem Anspruch. Spieß selbst publizierte aus seinen umfassenden Archivkenntnissen heraus zahlreiche Studien zur Regionalgeschichte und zu einzelnen Dokumenten. Andere Fachvertreter gingen noch wesentlich weiter bei der wissenschaftlichen Ausbeutung ihrer archivarischen Alltagsarbeit. Vielen Zeitgenossen schien es plausibel zu sein, die Tätigkeit eines Archivars ausdrücklich und enthusiastisch mit dem Beruf des Historikers zu verbinden. Christian Ludwig Scheidt in Hannover zum Beispiel legte 1748 in einer ausführlichen Abhandlung einerseits dar, dass Bibliothekare auf keinen Fall auch Historiker sein könnten und sollten, meinte zugleich aber andererseits, das Amt eines Archivars sei sehr wohl gut mit dem des Geschichtsschreibers zu verbinden. Im Gegensatz zum Bibliothekar, der mit allen Wissenschaften und Fachgebieten zu tun habe, sei für den Archivar lediglich Wissen in Geschichte und Jurisprudenz notwendig, das sich aus seiner Sicht realistischerweise neben den eigentlichen Amtsaufgaben der Archivverwaltung erwerben und pflegen ließe. Viele Archivare hätten Scheidt zugestimmt. Seit jeher fühlten sich manche von ihnen zu den historischen Studien hingezogen. Auch Tobias Pfanner aus Weimar ist in diese Gruppe der selbstbewussten Archivarsgelehrten einzuordnen. Sein Anspruch an sich und seine Tätigkeit gingen weit über das reine Recherchieren auf Zuruf und das Ordnen von Beständen hinaus. Es würde ihm ,,zu einigem Nachtheil und Verkleinerung gereichen [. . . ], wann Ich mich nicht der gelegenheit gebrauchte, außer meiner dienstverrichtung der Gelehrten Welt mit 133
meiner Arbeit, so ferne solches durch dieselbe geschehen könnte, zu dienen“, so notierte er. Er wollte aus der Kenntnis der Überlieferung gelehrtes Wissen generieren. Zu den Archivarsgelehrten gehörten viele Personen, die heute fast nur noch als Historiker bekannt sind. Der bayerische Archivar, Jurist, Sekretär und Autor Augustin Kölner beispielsweise produzierte auf Archivalienbasis bis zu seinem Tod 1548 zahlreiche historische Arbeiten, die einerseits klare politische Ziele verfolgten, andererseits wegen ihrer gelehrten Gründlichkeit noch 150 Jahre später Chilian Schrader beeindruckten. Aus dem 17. Jahrhundert sind Christoph Lehmann in Speyer, Friedrich Hortleder in Weimar oder Gottfried Wilhelm Leibniz in Hannover zu nennen. Für Frankreich ließe sich auf Jean du Tillet in Paris oder verschiedene Mitglieder der Familie Godefroy in Paris, Lille und Nancy verweisen, die im 16. und 17. Jahrhundert in ähnlicher Weise praktische Ordnungstätigkeit im Archiv und archivbasierte historisch-juristische Interessen im Dienste von Gelehrtenrepublik und Staatswesen verbanden. Im 18. Jahrhundert setzten Christoph Schmincke in Hessen oder Jacob-Nicolas Moreau in Paris diese Tradition fort. Die gelehrten Ambitionen dieser Archivare waren mehr als nur einzelne persönliche Vorlieben. Die Zunft war hier vielmehr in eine grundsätzliche Debatte über ihr Berufsbild verwickelt. Denn für Autoren wie Wencker oder Spieß waren nur die forschungsorientierten Archivare echte, anerkannte Fachvertreter. Andere Berufsauffassungen, die stärker die rein innerarchivische Arbeit fokussierten, lehnten sie ab. Solche Mitarbeiter im Archiv könne man nur als ,,blosse Handlanger“ oder ,,archivalischen Pöbel“, aber kaum als echte Archivare bezeichnen. Le Moine in Frankreich wollte den gelehrten Archivar entsprechend von der ,,obskuren Gruppe der bloßen Entzifferer“ unterscheiden. Ausdrücklich setzten Wencker, Spieß und Le Moine hier den ,eigentlichen‘ Archivar mit ausgeprägten inhaltlichen Interessen ab von einer alternativen Auffassung des Berufs, die eher die innerarchivischen Aufgaben und die Dienstleistung des Archivars für andere Benutzer herausgestellt hatte. Wencker und Spieß dürften mit ihren pointierten Formulierungen und ihrem Plädoyer für eine umfassende Konzeption des Berufs sensibel die öffentliche Meinung registriert haben. Archivare kamen spätestens im 18. Jahrhundert tatsächlich in den Ruf, nah an der Pedanterie und fernab von allem Esprit zu leben. Archivpraktiker vom Typ der ,Handlanger‘ beklagten sich jedenfalls immer wieder über mangelnde Wertschätzung ihrer Tätigkeit. Justin Vierschrodt beispielsweise 134
leistete in Gotha Grundlagenarbeit in Sachen Organisation und Verzeichnung, doch von gelehrten Vorhaben ist bei ihm kaum die Rede. Es scheint, dass Vierschrodt eine reduzierte, konzentrierte Konzeption vom Aufgabenfeld eines Archivars hatte. Seine tägliche Arbeit falle, so erklärte, zunächst nicht ,,sonderlich in die Augen“, da sie allein innerhalb des Archivs stattfinde. Der Leistungen eines Archivars von seinem Schlage werde ,,niemand außerhalb des selben [sc. des Archivs] so leicht gewahr“. Damit freilich zog er Spott und Kritik auf sich, wie Vierschrodt eloquent klagte. Das Publikum würde Archivare wie ihn als bloße ,,Papierhuther“ karikieren – eine Negativkennzeichnung, die an Wencker und Spieß erinnerte und über die Vierschrodt sehr erbost war. Wer ,,nur in die bloße archivariats verrichtungen einschwenckt“, also in der eigentlichen Archivarbeit völlig aufgehe, ,,ist allezeit in [. . . ] mißlichen Umständen“. Ein solcher Archivar sei in den Augen der Öffentlichkeit eine fast lächerliche Figur, ,,der nichts mehr weiß und thut, als zu weilen ein Stückchen Acten herzugeben, und wieder an seinen Ort zubringen“. Indem Vierschrodt heftig über die öffentliche Geringschätzung auch seiner eigenen Tätigkeit klagte, identifizierte er sich selbst ganz deutlich mit dem Bild eines Archivarbeiters, der weitgehend abgeschottet allein zum Nutzen der archivischen Ordnung handelte. Vom Wert dieser Form archivischer Arbeit war Vierschrodt trotzdem überzeugt: der Archivar dürfe ,,den Muth nicht sincken lassen [. . . ], wenigstens der Posterität zu gefallen, die Musehligkeit seiner einsamen, und unscheinbaren Beschaftigung unverdroßen fortzusetzen, von der er niemals versichert ist, ob man sie ansehen wird oder zu schätzen weiß.“ Vierschrodt, so scheint es, machte sich also das von Wencker und Spieß kritisierte Berufsbild zu eigen. In seiner Klage grenzte er sich nicht nur implizit vom weitergehenden Idealbild des Archivarsgelehrten ab, sondern wehrte sich zugleich auch gegen den Spott über seine Berufsauffassung. Die berufliche Identität frühneuzeitlicher Archivare, so zeigt sich, war widersprüchlich und ambivalent.
„Bleiben Sie ruhig!“: Der Alltag im Archiv und die persona der Archivare Der Alltag, aber auch der Erfahrungshorizont der Archivare variierte ohne Zweifel in höchstem Maße in Abhängigkeit von der Art der Einrichtung, in der sie tätig waren. Der Dienst in großen fürstlichen Depots 135
bedeutete etwas ganz anderes als in ländlichen Regionen vergleichsweise überschaubare Adels- oder Munizipialarchive einzurichten. Ein königlicher Registrator hatte zweifellos andere Perspektiven auf sein Metier als ein ,Wanderarchivar‘. Letztere waren immer wieder mit der Herausforderung konfrontiert, auf neue Archive reagieren zu müssen. Seine einschlägigen Erfahrungen verarbeitete M. Mariée 1779 zu einer Anleitung für jüngere Berufskollegen. Trotz literarischer Stilisierung zeigt sein Traktat deutlich die alltäglichen Umstände der Arbeit in kleineren Adelsarchiven. Diese Archivare mussten bei jeder Anstellung neu über Bedingungen ihrer Arbeit, über Lohn und Zeitpläne verhandeln. Bevor man sich auf einen Vertrag einlasse, so riet Mariée, solle der Archivar deshalb das fragliche Depot genauestens in Augenschein nehmen. Bis zu acht Tage solle er auf diese vorläufige Sichtung verwenden. Für den Vertragsabschluss stellten Mariée und andere Autoren sogar Musterverträge als Beispiele bereit, an denen man sich orientieren konnte. Immer wieder mahnte Mariée eindringlich, der neue Archivar dürfe sich angesichts des Chaos und der Schwierigkeit der Aufgabe nicht entmutigen lassen. Der Archivar sollte sich nicht vom Archiv überwältigen lassen. Er müsse vielmehr kühlen Kopf bewahren, Ausdauer beweisen, auf die Effizienz zähen täglichen Arbeitens vertrauen. ,,Soyez tranquille“ – ,,Bewahren Sie Ruhe“, diese Ermunterung schien Mariée wohl aus eigener Erfahrung besonders angebracht. Über praktische Hinweise zur Überwindung möglicher Krisenmomente hinaus wollte der Autor seine Kollegen in Momenten mentaler Überforderung mit seinem Traktat aufmuntern. Der Alltag im Archiv wie er von Mariée präsentiert wurde, war psychologisch anstrengend und angesichts der vielen, jeweils einzeln bereits schwierigen Schritte war der Archivar mit seiner ganzen Persönlichkeit im Archiv gefragt. In den Korrespondenzen praktizierender Archivare erscheint die Sehnsucht nach und die Herstellung von Ordnung als zentrales Motiv ihres Handelns und Denkens. Im Archiv gebe es ,,zwei Erzfeinde, die Ordnung und die Konfusion.“ Ordnung wurde dabei meistens als Ziel, selten als Zustand angesprochen. Das hatte sicherlich rhetorische Gründe – totale Ordnung hätte zumindest potentiell die Frage aufgeworfen, ob man den Archivar noch weiterbeschäftigen müsse. Doch die Betonung der Unordnung war auch sachlich berechtigt, denn die Tätigkeit im Archiv war grundsätzlich geprägt von der Diskrepanz zwischen einem Idealzustand und dem alltäglich Möglichen. Warnungen waren immer angebracht und sie prägten nicht zu Unrecht viele Äußerungen der Archivare. Die Ordnung des Archivs, so verdeutlichen 136
die Aussagen der Archivare, war grundsätzlich unabgeschlossen und nach- oder aufholend. Das funktionierende Archiv war kein Zustand, sondern ein andauerndes Projekt, es existierte gewissermaßen immer nur im Modus der Bedrängnis. Angesichts dessen arbeiteten viele Archivare tagtäglich an kleinen und großen Projekten der Erhaltung und Erschaffung von Ordnung. Heute stehen dabei oft die eindrucksvollen Verzeichnungsarbeiten im Zentrum der Aufmerksamkeit. Inventare, Register und Indizes sind für die historische Forschung als Zugänge zu frühneuzeitlichen Wissensordnungen von Interesse. Inventare werden nicht nur als Bestandsübersichten über die aufbewahrten Archivalien behandelt, sondern als wichtige Indizien für die Denkkategorien ihrer Erschaffer und Benutzer gelesen. Sie geben Auskunft über Strukturen und Kriterien frühneuzeitlicher Welterschließung und Wissensordnung. Doch aus der Perspektive der frühneuzeitlichen Archivare selbst war die sachliche Strukturierung der Dokumente bei weitem nicht der einzige Schwerpunkt ihrer Ordnungsarbeit. Die Archivare betonten mindestens genauso häufig deren körperliche Dimension. Ordnung entstand im Raum und ihre Erzeugung war deshalb auch ein physischer Vorgang, wie beispielsweise Heinrich Ernst Moritz Leonhardi in Altenkirchen betonte, als er 1741 einen Vorschlag für die Neuordnung des dortigen Archivs machte. Leonhardi schlug vor, Akten zunächst im Archivzimmer auf Tischen oder auch am Boden auf Haufen zu legen, um auf diese Weise eine erst grobe, dann immer feinere thematische Sortierung der Akten zu erreichen. Man muss sich angesichts dieser Schilderung wohl einen Arbeitsraum voller Papierstapel vorstellen, zwischen denen Leonhardi dann umherging, um weitere Dokumente inhaltsgerecht abzulegen. Auch viele andere Archivare beschrieben solche Raumpraktiken der Ordnungsstiftung als entscheidenden ersten Schritt auf dem Weg zu einem gut organisierten Archiv. Diese Haufen von Akten konnten dann die Grundlage für die Erstellung von Findbüchern und Indizes sein. Das Legen und Stellen, Tragen und Schichten von Akten war eine entscheidende und verantwortungsvolle Angelegenheit – und sie wurde deshalb oft von den Archivaren selbst oder unter ihrer strengen Aufsicht besorgt. Gerade bei Umzügen war dies von größter Wichtigkeit, wie beispielsweise Archivar Zollmann in Weimar betonte. Auch die sachgemäße Beschriftung gehörte zur rechten Ablage unbedingt dazu. Diese physische Dimension des Berufs prägte die Selbstwahrnehmung der Archivare in erheblichem Maß. Archivare verrichteten körperliche Arbeit, und zwar eine durchaus unangenehme oder gar ge137
fährliche, wie viele ihrer Stellungnahmen betonten. Das Lamento über die ,,besonders rauhe arbeit“, die man als Archivar ,,von Tag zu Tag“ zu verrichten habe, formte die eigene Identität – und sollte in regelmäßigen Abständen die Fürsten zu finanziellen Gunsterweisen anregen. Gottfried Stieber bemerkte beispielsweise 1742 in Ansbach, es werde ,,außerordentliche mühe und gedult erfordert, annebst durch den dabey sich äußernden haüffigen Staub und s.v. unreinigkeiten an Kleidung und wäsche nicht wenig abgenutzet und ruiniret wird, nicht zu gedenken der, der gesundheit durch letzers zuwachsenden beschwehrlichkeit“. Auch der ,,ruin der Augen“, den das beständige Lesen, noch dazu ,,bey spatem abend oder [nur bei künstlichem] Licht“, hervorrufe, wurde regelmäßig erwähnt. Das Lamento über ,,unleidlichen Geruch“ und ,,schädliches gift“, das man bei der Arbeit ,,in einem unfreundliche modrichten gewölbe“ einatmen müsse, war ebenfalls ein argumentatives Mittel zur Selbstpositionierung der Archivare. Im 18. Jahrhundert, als der Einfluss von Luft und ,,Dämpfen“ auf den menschlichen Körper generell zu einem zentralen Thema der Aufklärung geworden war, steigerte sich das Konzept in der archivbezogenen Literatur geradezu zur Obsession. Le Moines Traktat von 1765 enthielt ein ganzes Kapitel mit detaillierten Anweisungen an den Archivar, wie er etwa durch das Abwenden des Kopfes beim Öffnen von Kisten und Dokumenten oder durch regelmäßiges Lüften die Gefahren für Leib und Leben mindern könne. All diese Beschwerden waren gewiss nicht ohne Realitätsgehalt, wie wir noch sehen werden. Doch zugleich verdichteten sich die Klagen zu rhetorischen Topoi und als solche erfüllten sie eine argumentative Funktion. Die Archivare schrieben sich damit ein bestimmtes Bild ihres eigenen Berufsstandes herbei. Archivare kreierten eine persona, ein öffentliches Bild von sich selbst: Derartige alarmierende Passagen kennzeichneten sie gegenüber ihren Auftraggebern als selbstlose, unermüdliche und treue Diener, die sogar die eigene Gesundheit im Dienste der Ordnung hintan stellten. Sie waren ,,eifriger“ und ,,fleißiger“ als andere Bedienstete. Zugleich, und das ist langfristig mindestens genauso wichtig, wurde durch den habituellen Abruf dieses Arguments dem Archiv und den Archivalien ein bestimmter Wert zugesprochen: körperliche und mentale Unannehmlichkeiten bestanden, doch die Dokumente verdienten den unermüdlichen und tapferen Einsatz. Archivare mussten leidensfähig und selbstlos sein, das war praktisch unvermeidlich, aber die Archive und Urkunden waren den Einsatz eben auch wert – und die Fürsten sollten dieses heroische Engagement
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entsprechend belohnen, so hatte sich auch schon Justin Vierschrodt gegenüber der erwähnten Kritik selbst motiviert. Angesichts dieser alltäglichen Schwierigkeiten und Herausforderungen mischten sich in die meist aktivistisch und pragmatisch grundierten Äußerungen der Archivare gelegentlich auch leise Stimmen der Ermattung, Ernüchterung oder gar Enttäuschung. Das konnte ganz unterschiedliche Aspekte des Berufs betreffen. Viele der ambitionierteren Archivare mussten etwas desillusioniert zusehen, wie die alltägliche Archivarbeit schrittweise ein Übergewicht über ihre eigenen Lebensentwürfe, Pläne und Selbstbilder erlangte und diese entscheidend prägte. Die ,,gelehrten“ und die ,,fürstenbezogenen“ Aktivitäten bei der Archivarbeit, so hielt Chilian Schrader 1686 nach dem Amtsantritt als Archivchef in Hannover niedergeschlagen fest, seien praktisch kaum miteinander zu verbinden. Andere Archivare sahen nicht ihre gelehrten, sondern ihre sozialen Hoffnungen enttäuscht, die sie gehabt hatten. Friedrich Paul Wachler in Gotha etwa beklagte sich 1733 gegenüber Herzog Friedrich III. bitter darüber, es gäbe ,,beym Archiv auch kein avancement, wie bey andern fürstl. Collegijs, allwo durch abgang oder anderweite accommodirung dies= oder jenen membri, man fortrucken“ könne. Andere Zeugnisse lassen schließlich erkennen, dass nicht nur die äußeren Umstände des Berufs – administrative Zwänge oder soziale Barrieren – desillusionierten. Auch die alltägliche Tätigkeit im Archiv selbst, das Wesen des Berufs, hatte das Potential zur Ernüchterung. Mariées Schilderung des Archivalltags weist deutlich, wenngleich stilisiert auf emotionale Einschränkungen hin. ,,Peinlichkeit“ und ,,Verlegenheit“ waren in Mariées Erfahrung offenbar bedrohlich alltägliche Gemütszustände der Archivare. Sie überkamen den Archivar, wenn er gewünschte Dokumente nicht finden konnte. Am Finden bzw. NichtFinden scheide sich Glanz und Elend der Archivare und entsprechend schwanke auch ihr Gemütszustand dauernd hin und her. Das Unbehagen vor dem nicht unwahrscheinlichen Nicht-Finden war groß. Archivare fürchteten das Scheitern ihrer Unternehmungen, obwohl (oder gerade weil) sie sich als Protagonisten der Ordnungsschaffung präsentierten. Die praktische Unbeherrschbarkeit der Dokumente schlug den Archivaren aufs Gemüt, jedenfalls wurde sie zum festen Bestandteil ihrer textuellen Selbstpräsentation. Die Furcht von Verlust und Unordnung prägte das Denken der Archivare genauso wie ihre Eigendarstellung als Agenten der Ordnung.
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Abbildung 5: Pieter Brueghels persiflierende Darstellung eines Dorfadvokaten
Besucher und Besuche Die Archivare und ihre Untergebenen waren nicht die einzigen Menschen im Archiv. Kleine Archive etwa von Adeligen oder Klöstern werden zwar über längere Zeiträume hinweg ganz unbesucht gewesen sein. Notariatsarchive dagegen dürften besser frequentiert gewesen sein, zumal wenn sie sich direkt in der Amtsstube des Notars befanden. Das Gemälde ,,Der Bauernadvokat“ von Pieter Brueghel d.J. (ca. 1615/1622) jedenfalls zeigt eine größere Zahl an Personen, die sich inmitten der Akten befinden. Trotz der ,,ironischen“ und ,,kritischen“ Überspitzung der Darstellung, die eher eine ,,Persiflage“ denn eine nüchterne Abbildung sein möchte, dürfte das Interieur und die soziale Dynamik recht nahe an der Realität der Zeit sein – schriftliche Berichte bezeugen jedenfalls immer wieder ähnliche Zustände (Abbildung 5). Auch die administrativen Archive der Städte, Fürsten und sonstiger Institutionen dürften relativ rege Benutzungsrhythmen gehabt haben. Fixe Benutzungstermine waren in der Frühen Neuzeit zwar noch keineswegs flächendeckend üblich. Oft waren ganze Behörden inklusive der zuständigen Archive nur für einzelne Stunden geöffnet. Über manche Verwaltungen Europas hat man geurteilt, dass die kurzen Arbeitszeiten zu einem generellen Klima von Nachlässigkeit und Sorglosigkeit im 140
Umgang mit Geschäften und Geschäftspapieren erheblich beigetragen hätten. Tobias Pfanner beklagte 1690, dass wegen mangelnder zeitlicher Abstimmung der Mitarbeiter in Weimar die Archivarbeit stark behindert werde. Doch zugleich ist unübersehbar, dass mit wachsender Wertschätzung der Archive auch der Wunsch nach verbesserter und regelmäßigerer Zugänglichkeit verbunden war. Im Kurfürstentum Trier oder in der Reichsstadt Frankfurt beispielsweise wurden den Archivaren präzise und ausgedehnte Anwesenheitszeiten vorgeschrieben. In Trier war die Benutzbarkeit morgens von acht bis zwölf und nachmittags von zwei bis vier Uhr durch den Archivar sicher zu stellen. Außerdem war seine Anwesenheit während der Ratssitzungen gefordert. Die Wünsche der Archivbenutzer sollten die Arbeitszeit der Archivare bestimmen, nicht umgekehrt. Die Absicht derartiger Normierungen der Arbeitszeiten war vor allem, dass Stadträte und Obrigkeiten die Zuarbeit der Archivare für ihre Sitzungen sicherstellen wollten. Es ging wohl nicht in erster Linie darum, den persönlichen Besuch von Räten oder Ministern im Archiv zu ermöglichen. Doch wie wir noch ausführlich sehen werden, kamen Minister und Räte gelegentlich sehr wohl selbst ins Archiv auf der Suche nach Material und Unterlagen. Häufiger leisteten wohl Historiker und Gelehrte den Archivaren Gesellschaft. Ihr Aufenthalt stellte für beide Seiten oft eine Herausforderung dar. Gerade gegenüber ihnen agierten die Archivare immer wieder als gate-keeper. Sie handelten mit teilweise erstaunlicher Freiheit, wenn es um die Gewährung oder Verweigerung von Zutritt ging. Auch dies wird noch ausführlicher darzustellen sein. Weitaus seltener als von Archivbesuchern aus der Verwaltung oder aus der Wissenschaft wissen wir von touristisch motivierten Begegnungen. Ohne jeden Zweifel hatten Archive nicht dieselbe Popularität als Reiseziele wie Bibliotheken. Schon die Pflicht zur Geheimhaltung der Archive machte ihre Umdeutung zu Sehenswürdigkeiten schwierig oder gar unmöglich. Fürsten und Obrigkeiten prunkten regelmäßig mit ihren Bücherbeständen gegenüber Reisenden, normalerweise aber nicht mit ihren Urkunden und Akten. Ausnahmen gab es allerdings. 1678 beispielsweise wurde der bambergische Hofrat J.P. Stang in das Archiv auf der Kulmbacher Plassenburg eingelassen, wobei ihm ausdrücklich nur die Räumlichkeiten und das Mobiliar, nicht aber Dokumente gezeigt wurden. In Rom wurde das Archiv der Engelsburg hochadeligen Besuchern und deren Frauen und Kindern gezeigt. Die Archivräume des 1761 in Versailles neu erbauten Außenministeriums waren immerhin einer ,,ausgewählten Öffentlichkeit“ zugänglich. Und William Co141
xe besuchte auf seiner Russlandreise um 1780 das Moskauer Archiv in Begleitung des Archivars Müller eher aus Neugier denn zum Zwecke konkreter Recherchen. Der Besuch des gelehrten und angesehenen Benediktinermönchs Dom Martène 1715 in Dijon ist ein gut dokumentiertes Beispiel für einen touristischen Archivbesuch. Martène reiste damals systematisch durch Frankreich, um möglichst viele Archive zu besichtigen. Eigentlich geschah das zum Zweck historiographischer Forschung – Martène arbeitete am mehrbändigen Publikationsprojekt der Gallia christiana mit. Doch in Dijon kamen andere Motive hinzu. Er war ,,neugierig (curieux)“ darauf, auch das Archiv der örtlichen Chambre des Comptes zu besichtigen. Ob er darin konkret Akten für sein wissenschaftliches Projekt vermutete, notierte er nicht – stattdessen wurde ihm eine besonders herausragende Urkunde vorgelegt, das Original der Kirchenunion zwischen Katholischer und Armenischer Kirche von 1439, das Papst Eugen IV. an die Herzöge von Burgund geschickt hatte. Auch verschiedene Dokumente zum Konzil von Basel (1414–1418) wurden hervorgeholt – auch sie dürften wohl nicht direkt mit der Gallia christiana zu tun gehabt haben. Eher handelte es sich um eindrucksvolle Dokumente, die den Charakter von Sehenswürdigkeiten hatten. Zumindest ausgewählten Reisenden wurden also gelegentlich spektakuläre Urkunden in einer touristischen Manier gezeigt. Urkunden wurden nicht nur ,,epistemische Dinge“, sondern auch ,,touristische Objekte“. Auch die insgesamt eher seltenen Archivbesuche von Königen und Prinzen glichen häufig eher einer Besichtigung denn einem Arbeitsaufenthalt. Ludwig XIV. besuchte seine eigene Bibliothek, die Colbert zusehends auch zu einem Regierungsarchiv ausgebaut hatte, nur ein einziges Mal – nicht öfter visitierte Maria Theresia das von ihr gegründete Hausarchiv und Jakob I. das neue State Paper Office in Whitehall. Philipp II. war ebenfalls nur ein Mal persönlich in Simancas, arbeitete bei dieser Gelegenheit jedoch immerhin zwei Tage selbst mit den Akten. Andere Besuche von Fürsten in ihren Archiven hatten eher einen inspizierenden Charakter, dienten aber ebenfalls nicht der unmittelbaren Archivbenutzung. Mancherorts war die persönliche Beziehung zwischen Fürsten und Schriftlichkeitsdepots allerdings doch intensiver. Herzog Christoph von Württemberg ließ sich 1550 eine Wendeltreppe direkt aus seinen Wohnräumen ins Archiv bauen. Viele Päpste waren durchaus auch Menschen der Archive. Carlo Cartari, päpstlicher Archivar in der Engelsburg, berichtete in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts jedenfalls von einzelnen Besuchen der römischen 142
Oberhirten bei ihm. Nur selten freilich ging die individuelle Vertrautheit mit und die persönliche Beziehung zu ihren Archiven bei den Herrschenden der Frühen Neuzeit noch so weit, dass sie selbst aktiv in die tägliche Recherchearbeit eingegriffen hätten. Als ein seltenes Beispiel hierfür kann Herzog Ernst der Fromme von Sachsen-Gotha dienen. Ernst, der ein neu gegründetes Fürstentum regierte, zeigte Zeit seiner Herrschaft immer Engagement für Schriftstücke und Archive. Es passt zu ihm, dass er um 1662 einmal selbst ins Archiv stürmte, nachdem seine Mitarbeiter versagt und ein falsches Dokument geliefert hatten: ,,vorm jahr bey verfertigung der LandCarten, so in die Collegia kommen Von I.F.Gn. befohlen worden, die beschreibung der Weimarischen Ämbter de A° 1603 /:de Visitationibus tituliret:/ aus dem Weißen schrank zuholen, solches aber nicht gefunden, sondern ein unrechtes gebracht worden, also daß Sie sich selbst hinunder bemühen, undt es suchen müßen“.
Offensichtlich kannte sich der Fürst besser in den Akten aus als seine Helfer. Ernst der Fromme fand es darum leichter, selbst die gesuchten Unterlagen auszuheben, als seinen Untergebenen Anweisungen zu erteilen. Damit war der Herzog allerdings nicht zufrieden und so ordnete er in Reaktion auf diese Episode eine verbesserte Verzeichnung der fraglichen Dokumente an. Bemerkenswert an diesem Befehl war die Begründung. Ernst erwähnte mit keinem Wort Vorbehalte der Art, dass Archivarbeit eines Fürsten unwürdig sei. Im Gegenteil, er rühmte sich seiner persönlichen Vertrautheit mit den Akten. Verzeichnet werden musste nur, weil sein individuelles Wissen irgendwann verloren gehen würde: ,,Damit auch kunftig andere, welche die sachen nicht durch lange übung in gedächtniß hetten, sich darein richten und ein und anders leichter finden könten“. Der Stolz des Herzogs auf seine Aktenkenntnis scheint hier deutlich auf. Zumindest momentweise und in Notfällen konnte sich ein Fürst wie Ernst der Fromme zu den Menschen des Archivs hinzuzählen.
Private und öffentliche Dokumente: Papiere und Archive als persönliches Eigentum Wenn der zweite Teil dieses Kapitels nun von den Menschen der Archive zu den Archiven der Menschen schwenkt, so muss zunächst eine Praxis erwähnt werden, die in der Frühen Neuzeit ebenso weit verbreitet wie kontrovers bewertet war: die Aufbewahrung von teilweise umfangreichen Aktenbeständen durch (ehemalige) Amtsträger 143
in deren Privaträumen. Sekretäre, Notare und Minister begriffen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit Dokumente, die sie angefertigt hatten oder die sich in ihrem Besitz befanden, meist umstandslos auch als ihr Eigentum. Aus Sicht einer Archivgeschichtsschreibung, die vom Idealbild des 19. Jahrhunderts ausgeht, das Archive als autonome Institutionen mit einem Monopol auf ,staatliche‘ Unterlagen ansieht, stellen solche Praktiken einen beklagenswerten Zustand dar. Immer wieder wird diese ,Entfernung‘ von Akten als ,,schlechte Gewohnheit“ angesehen. Doch eine solche Interpretation ist zumindest teilweise anachronistisch. Denn angesichts der Tatsache, dass sich (wie gesehen) ein eigenständig institutionalisiertes und organisatorisch klar strukturiertes Archivwesen in Europa seit dem späten Mittelalter erst ganz allmählich herausbildete, ist die Praxis individualisierter Aktenaufbewahrung bei Sekretären, Ministern oder Notaren als ursprüngliche und durchaus praktikable Form des Archivierens anzusehen. Wer sollte sich in einem noch bis ins 16. Jahrhundert hinein auf mobilen Archiven beruhenden Herrschaftsapparat um Urkunden und andere Dokumente kümmern, wenn nicht die erwähnten Personen? Ohne das individuell motivierte Sammelinteresse führender französischer Gelehrter und Beamter wie Philippe Hurault, Maximilian de Béthune oder Antoine de Loménie, die allesamt aus verschiedenen Quellen umfangreiche außenpolitische Privatarchive anlegten, wäre über die diplomatischen Beziehungen Frankreichs zu anderen europäischen Mächten aus der Zeit vor Ludwig XIV. nur sehr wenig überliefert – diese Sammlungen stellten den wichtigsten Grundstock für das spätere Archiv des Außenministeriums dar. Entsprechend darf die in der Frühen Neuzeit weit verbreitete Auffassung, Papiere seien Privateigentum ihrer Produzenten oder Besitzer, nicht umstandslos als Hindernis der Archivbildung verstanden werden. Vielmehr war sie Ausdruck einer alternativen, praxiserprobten und durchaus erfolgreichen Logik des Archivierens. Noch 1777 sprach sich der erfahrene Praktiker Philipp Ernst Spieß dafür aus, Archivare sollten auf Privatkollektionen ein wachsames Auge haben, da hier oft anderswo fehlende Materialien zu finden seien. Allerdings kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese beiden Konzeptionen des Archivs – institutionalisiert-entpersonalisiertes vs. individualisiert-personengebundenes Aufbewahren – in der Frühen Neuzeit zusehends in Konflikt miteinander gerieten. Während es im späten Mittelalter allenfalls punktuell und ,,episodenhaft“ Aktionen zur rückwirkenden Aktenzusammenführung gab, änderte sich dies je später 144
umso stärker. In Spanien lässt sich ein Sinneswandel relativ genau auf das Jahr 1509 datieren, als erste Pläne für ein königliches Zentralarchiv aufkamen und dazu Kampagnen der ,,Rückholung“ von Akten aus dem Besitz von (ehemaligen) Amtsträgern eingeleitet wurden. Im Vatikan wurde Dionysius Zanchi 1566 mit umfangreichen Vollmachten zur Einholung von Unterlagen ausgestattet. In Frankreich befahl der König 1671 beim Tod des Ministers Lionne erstmals, dass außenpolitisch relevante Papiere nach dem Tod führender Amtsträger nicht in Privatbesitz verbleiben sollten. Zahllose ähnliche Vorschriften und Normen deutscher Archivobrigkeiten forderten ebenfalls, dass Akten abzugeben seien, allenfalls für kurze Zeit ausgeliehen werden dürften und die Rückgabe ausgeliehener Akten in das Archiv streng kontrolliert werden müsse. Ausleihbücher, eine häufig überlieferte Quellengattung, sollten die Entnahme und das Zurückbringen der Akten durch Beamte dokumentieren. Fehlerhaftes Verhalten säumiger Beamter, die Unterlagen mit nach Hause nahmen oder gar nicht erst ablieferten, wurde durch die verantwortlichen Regierungen verstärkt ,,geahndet“, wie 1728 etwa der Sponheimsche Rat Ludwig Savigny erfuhr. Die traditionsreiche Auffassung, Überlieferungssicherung sei eine individualisierte Verwantwortung, wurde in der Frühen Neuzeit zunächst ergänzt und dann kritisiert durch das Modell einer Hinterlegung und Sicherung des Materials in eigenständigen Institutionen unter obrigkeitlicher Aufsicht. Es ist trotz des intensivierten herrscherlichen Engagements in dieser Sache kaum verwunderlich, dass sich die entpersonalisierte Auffassung vom Archiv nur unter großen Konflikten, sehr langsam und lange nicht flächendeckend durchsetzte. Schon die regelmäßigen Klagen verschiedenster Obrigkeiten in Deutschland und Frankreich über fehlende, ausgeliehene oder nie deponierte Papiere belegen, dass die Beamten der Frühen Neuzeit noch lange an einer stärker personalisierten Auffassung vom Archiv festhielten. Umgekehrt gingen viele Obrigkeiten dann aber oft auch vergleichsweise pragmatisch mit dieser Praxis um. In Rostock fand man an der teilweise massenhaften Lagerung einschlägiger ,,Stadt-Schrifften“ in den Privaträumen hoher Amtsträger nichts prinzipiell Verwerfliches – bis zum Tod der (ehemaligen) Ratsmitglieder beließ man die Papiere vor Ort und überführte sie erst nachträglich ins Archiv. Dieses Verfahren, das personalisierte und institutionelle Verantwortung für die Aktenführung als zwei aufeinander folgende Etappen zu verstehen schien, dürfte insgesamt recht gut funktioniert haben. Auf diese Weise wurde 1627 ,,ein gantz[er] bundt“ an Akten 145
aus dem Haus des verstorbenen Syndikus Gryphius, 1699 mehrere ,,Bürger=Protocolla“ aus der Wohnung Johann Niemans und 1755 ein ,,Paquet“ von Unterlagen aus den Privaträumen des ehemaligen Bürgermeisters Beselin abtransportiert – jedesmal, so zeigen die Berichte, ohne Schwierigkeiten. Die Verhältnisse in Gotha vermitteln das gleiche Bild, auch dort wurden beim Ableben hoher Amtsträger einfach die teilweise sehr umfangreichen Bestände in ihren Privatkammern inventarisiert und in das Archiv eingegliedert. Bisweilen stießen diese Aktionen zur Durchsetzung der obrigkeitlichen Archivierungslogik allerdings auch auf deutlichen Widerstand. Die Witwe des ehemaligen Rostocker Rats Hagemeister beispielsweise stritt zwar 1739 das öffentliche Interesse an den in ihrem Besitz befindlichen ,,Stadt-Schrifften“ aus dem Nachlass ihres verstorbenen Mannes nicht rundheraus ab. Doch zugleich wollte sie ihre private Hoheit über die offensichtlich beträchtlichen Unterlagen nicht gänzlich aufgeben, wie sich am 4. Juli vormittags zeigte. Der städtische Sekretärsgehilfe Heinrich Schwabe war vom Bürgermeister losgeschickt worden, um die Papiere der Witwe auf städtische Dokumente hin durchzusehen. Er fand mehrere Stapel von Unterlagen auf einem Dachboden in großer Verwahrlosung. Ehe er die als relevant identifizierten Akten allerdings entfernen konnte, intervenierte Frau Hagemeister mit ihren erwachsenen Söhnen. Die selbstbewusste Witwe war zwar prinzipiell zur Herausgabe bereit, wollte aber wenigstens vorab höflich gefragt worden sein. Ihr Schwiegersohn habe ob des Affronts das Recht der städtischen Obrigkeit beinahe sogar ,,mit gewalt bestritten“. Er betonte, ,,es ist mein Haus [. . . ] auch alle Schrifften und Sachen gehoren mir“. Auch wenn es nicht zur Prügelei über die Archivalien kam: Der Zugriff der Obrigkeit auf Amtspapiere ehemaliger Beamter war kontrovers, denn private Hoheitsansprüche über alte dienstliche Unterlagen blieben offenkundig plausibel. Eine Diskussion über die an sich ja naheliegende Frage, weshalb sich eigentlich Rostocker Akten im Besitz der Familie Hagemeister befanden und noch dazu in so erbärmlichem Zustand, wurde offenbar während der ganzen mehrstündigen ,,hitzigen“ Auseinandersetzung für unnötig erachtet. Der Besitz solcher Akten war allerdings nicht nur eine Prestigesache. Geerbte Papiere stellten unter Umständen ein veritables ökonomisches Kapital dar. Weil nachfolgende Amtsinhaber einerseits die Archive ihrer Vorgänger benötigten, andererseits aber keine Pflicht zur Weitergabe bestand, boten sich vielfältige Gewinnmöglichkeiten. Tatsächlich bestand in der Frühen Neuzeit ein großer Markt an dienstlichen und ,öffentlichen‘ Papieren, die gegen Geld verkauft wurden. Wer, häufig bereits un146
ter erheblichem finanziellem Engagement, ein bestimmtes Amt erlangt hatte, musste anschließend oft noch in der Lage sein, die zugehörigen Akten auf dem freien Markt zu kaufen. Besonders ausgeprägt war diese ,,Kommerzialisierung“ von Archivalien im Fall der Notariatsakten. Zwar gab es zahlreiche Versuche in Frankreich, Spanien oder Italien, die generationenübergreifende archivische Kontinuität der Notariatsakten herzustellen und zu garantieren – doch den lukrativen Handel mit diesen Folianten konnte man kaum eindämmen, wie etwa Charles Loyseau 1620 klagend, aber realistisch bemerkte. Auch den Obrigkeiten blieb oft nichts anderes übrig, als an diesem Markt für Akten aktiv teilzunehmen. Die Stadt Lyon beispielsweise kaufte 1696 für die erhebliche Summe von 2.000 livres 19 Aktenbände von der Witwe des ehemaligen Stadtsekretärs Renaud zurück, obwohl diese eigentlich zur Ablieferung der Unterlagen vertraglich verpflichtet gewesen wäre. Um solche privaten Besitzansprüche auf dienstliche Papiere in Zeiten wachsender Kritik zusätzlich zu legitimieren, entwickelten manche Erben aufschlussreiche Strategien. Als die Räte des Herzogs von SachsenWeimar im Dezember 1641 von Zacharias Prüschenk, dem Schwiegersohn des eben verstorbenen Archivars und Historikers Friedrich Hortleder, die Herausgabe von politisch relevanten Aufzeichnungen aus dem Besitz seines Schwiegervaters verlangten, lehnte Prüschenk ab mit dem Hinweis, Hortleder habe diese Unterlagen ,,nur für sich privatim zusammen getragen“. Erst auf wiederholtes Insistieren hin gab Prüschenk nach. Als in einer ganz ähnlichen Situation 1697 Johann Christian Schmid beim Tod seines Vaters, des sächsischen Vizekanzlers, eine Reihe von Schriften mit ebenfalls politischem Inhalt erbte, beharrte Schmid darauf, es handele sich dabei doch um ,,kein documentum publicum, wodurch iemand einiger praejuditz und nachtheil entstehen könte“. Auch er durfte die brisanten Papiere nicht behalten. In beiden Fällen übte die fürstliche Obrigkeit in Weimar massiven Druck aus, um Akten an sich zu ziehen. Doch genauso bemerkenswert wie der tatsächliche Ausgang der beiden Angelegenheiten sind die verwendeten Begrifflichkeiten. Prüschenk und Schmid jun. kreierten hier eine Kategorie ,,privater“ Schriftstücke, die sie von Dokumenten mit einem ,,öffentlichen“, das heißt auf das Gemeinwesen bezogenen Charakter absonderten. Vermutlich griffen sie damit ex negativo auf die bereits erwähnte Logik des ius archivi mit seinem Begriff vom ,,öffentlichen“ Dokument zurück. Allerdings griff diese Verteidigungsstrategie nicht. Denn die ,,Öffentlichkeit“ bzw. ,,Nicht-Öffentlichkeit“, um die es im juristischen Wortgebrauch ging, bezog sich auf die gerichtsförmige 147
Beweisfähigkeit. Doch den sächsischen Obrigkeiten ging es diesmal um etwas ganz anderes: Es ging um das Wissen, das in den Ausarbeitungen von Hortleder und Schmid sen. enthalten war. Und hier war klar: Die Informationen, die in den fraglichen Gutachten enthalten waren, konnten sehr wohl ein ,,praejuditz“ erzeugen, ganz unabhängig davon, ob es sich dabei im juristischen Sinn um ein ,,öffentliches Dokument“ handelte oder nicht. Alles, was aus dem fürstlichen Archiv kam, hatte nach dieser wissensbezogenen Logik ,,öffentlichen“ Charakter, weil es auf das Wohl des Gemeinwesens und des Fürstenhauses bezogen war. Nichts davon sollte in privaten Händen verbleiben.
Radikale Personalisierungen: Diebstahl und die Machtlosigkeit der Archive Die Debatten zwischen den Weimarer Fürsten und Prüschenk oder Schmid zeigen, dass die persönliche Verfügung von Hofbeamten und ihren Erben über Staatspapiere in einer Grauzone des Rechts lag. Eindeutig illegal dagegen waren aus Sicht der Archivbesitzer zahlreiche andere, radikale Formen der persönlichen Anverwandlung von Archiven. Das galt vor allem für den Diebstahl von Archivalien, doch wir werden in diesem Abschnitt noch weitere Formen sehr individueller Mensch-Archiv-Beziehungen kennenlernen. Derartige Unterwerfungen des Archivs unter personalisierte Handlungslogiken dürfen dabei gerade nicht als lediglich kuriose Begebenheiten diskreditiert werden. Wie schon für den eingangs ausführlich vorgestellten Fall von Adrien Alexandre vorgeschlagen, sollten derartige kreative Indienstnahmen von Depots durch findige Einzelpersonen vielmehr als Indiz für die gesellschaftliche Verankerung der Archivkultur Europas gelten. Das bestohlene Depot war in höchster, wenngleich radikaler Form ein Archiv der Menschen. Marconnes, der 1682 die Pergamente der Chambre des Comptes für Alexandre gestohlen hatte, gab ausdrücklich zu Protokoll, er habe den Einbruch gewagt, um sich Kleidung zu kaufen und das bevorstehende Pfingstfest mit Freunden gesellig feiern zu können. Materieller Profit war auch für viele andere Menschen der Frühen Neuzeit ein überaus plausibler Grund, den kriminellen Zugriff auf die Depots zu wagen: Überall in Europa stellten Archive und Akten ein begehrtes Diebesgut dar. Der skrupellose Einbruch vom Sommer 1682 war alles andere als außergewöhnlich. In Paris selbst war es knapp zwei148
Abbildung 6: Pergamentdiebe und ihr Schicksal – das Beispiel Betrand Greberts, Zeichnung 16. Jahrhundert
hundert Jahre zuvor bereits zu einem ähnlich dramatischen Diebstahl gekommen, der damals das benachbarte Parlement de Paris betraf. Um 1494 wurden zahlreiche Register aus dem dortigen Archiv entwendet. Bis heute fehlen die damals gestohlenen Bände. Der Schuldige war ein gewisser Bertrand Grebert. Er war Pergamenthersteller und war an den Bänden aus denselben Motiven wie Alexandre interessiert: Auch ihm ging es um die lukrative Wiederverwendung alter Beschreibstoffe. Weitaus drastischer fiel im Fall Greberts allerdings die Strafe aus, denn er wurde zum Tode am Galgen verurteilt (vgl. Abbildung 6). Auch 1557 und 1620 war das Parlamentsarchiv wieder Opfer von brachialen Einbrüchen, teilweise unter Einsatz von Brechstangen und Feuer. Pergament war dabei nicht der einzige attraktive Rohstoff in den Archiven. Auch Altpapier hatte einen Wiederverkaufswert, insbesondere wurde es zur Herstellung von Feuerwerk oder Patronen benutzt – und entsprechend wurden auch aus diesem Motiv immer wieder Akten gestohlen. Noch einen dritten Rohstoff hielten Schriftlichkeitsdepots bereit: Siegelwachs. In Deutschland wurden während des Dreißigjährigen Kriegs auf der Suche nach diesem Material mehrfach Archive geplündert. In Meiningen brachen schwedische Soldaten 1640 das Archiv auf, schnitten die alten Siegel von den Urkunden und schmolzen sie ein, um sie zu ,,verkauffen“. In Zweibrücken geschah praktisch zeitgleich Ähnliches. Betrand Grebert, Adrien Alexandre und die schwedischen Söldner mussten für ihre ökonomische Ausbeutung der Dokumente die fragilen, aber doch bestehenden Grenzen zwischen Archiv und Umwelt durch Heimlichkeit und gewaltsamen Einbruch überwinden. Die ökonomisch motivierte Aneignung des Archivs durch diese Personen erfolgte mittels bewusster Grenzüberschreitung. Doch derartige Benutzungen konnten auch aus dem Archiv selbst heraus erfolgen. Während Grebert 1494 hin149
gerichtet wurde, wandelten gut zweihundert Jahre später die Mitarbeiter des Parlamentsarchivs selbst auf seinen Spuren. Nun waren es die Schreiber selbst, die Bündel von Archivalien auf den Altpapiermarkt brachten. Dies wurde zwar als ungewöhnliche Auffassung vom Nutzen des Archivs charakterisiert, aber durch einen entschuldigenden Hinweis auf den allgemein herrschenden Platzmangel legitimiert. Auch dort, wo es nicht direkt um den Materialwert der archivischen Rohstoffe ging, ließ sich erheblicher privater ökonomischer Vorteil aus dem Besitz von Archivalien schlagen. 1699 verpfändete ein Gericht im niederrheinischen Kornelimünster sein Archiv als Sicherheit für seine Schulden und konnte dadurch erhebliche Anleihen absichern. Bürger, die zufällig in den Besitz von Archivalien gelangt waren, versuchten aus diesen Situationen ebenfalls Kapital zu schlagen. Heinrich Keller aus Zürich verfügte 1633 mitten im Dreißigjährigen Krieg über große Teile des Konstanzer Bistumsarchivs, nachdem die Schweden dieses geraubt hatten. Unnachgiebig verhandelte er monatelang über den Preis, zu dem er die Akten zu verkaufen bereit war. Am Materialwert der Dokumente war er nicht interessiert, doch er drohte mehrfach mit ihrer Vernichtung, sollte Konstanz bezüglich des Preises nicht einlenken. Knapp hundert Jahre später, 1730, entdeckten Jean Pierre Ruffier und seine Frau Caterine Amiel in Lyon achtundvierzig städtische Urkunden, die sie nur gegen eine finanzielle Vergütung herausgaben. All diese Menschen eigneten sich verfügbare Archivbestände an und machten sie ihren eigenen individuellen Zielen und Hoffnungen untertan. Ebenfalls kriminell waren Versuche, aus persönlichen Gründen Archive zum eigenen juristischen Vorteil zu manipulieren. Auch aus kleinen und kleinsten Depots wurden zur Schädigung von Nachbarn und zur Veränderung lokaler Rechtsbeziehungen immer wieder Papiere oder Pergamente entwendet. Warum Toussaint Souzy seinen Nachbarn und Kollegen, den Färber Laurent Rols in Beaujeu, übers Ohr haute und ihm während dessen Abwesenheit nächtens eine ,,Holzkiste mit vielen Papieren“ stahl, ist zwar nicht genau überliefert. Es wird aber wohl um Schädigungsabsicht gegangen sein, vielleicht durch Entfernung von Dokumenten, die berufliche oder rechtliche Vorteile gewährten. Den Diebstahl von Archivgut zum Zwecke gezielter Veränderung von Rechtsverhältnissen wird man auch dort unterstellen müssen, wo es ausdrücklich um Entwendung von Verträgen ging. Es waren gerade die Notariatsarchive, deren regelmäßig – trotz obrigkeitlicher Intervention – suboptimale Aufbewahrungsbedingungen die Manipulation für individuelle Zwecke relativ leicht machte. 150
Den französischen Kanzler Lamoignon erreichte beispielsweise 1757 eine Bittschrift aus Valence, in der geschildert wurde, wie der Notar Biousse gezielt und aus rein persönlichen Motiven alte Notariatsakten unter Verschluss hielt, deren Inhalt seinen privaten Interessen geschadet hätte. Auch bei der Anfertigung von Kopien der archivierten Originale, die teilweise weit über einhundert Jahre alt waren, übervorteilte Biousse seine Kunden. Andere Notare ließen sich ebenfalls auf solche individuellen Ausbeutungen ihrer Archivkenntnisse ein. Zur Versuchung, unliebsame Rechtsdokumente aus den Archiven zu entfernen, trat die umgekehrte Verlockung, inexistente Verträge nachträglich in die Depots einzufügen. Selbst beim Archiv des Pariser Parlaments kam so etwas vor. 1565 nutzte ein gewisser Le Blanc seine institutionelle und soziale Vertrautheit mit der Einrichtung aus, um ein Dokument in die Akten des Parlaments hineinzuschmuggeln. Er kannte einen bewährten Mitarbeiter des Büroleiters (greffier), der Zugriff auf die laufenden Akten hatte. Über solche sozialen Beziehungen ließen sich selbst die prominentesten frühneuzeitlichen Archive zu juristischen Zwecken manipulieren. Auch in Württemberg wurden im 18. Jahrhundert Fälle ruchbar, in denen aus offiziösen Güterverzeichnissen ,,ein folium herausgeschnitten und [. . . ] ein anders davor hineingeleimet“ worden war. In all den zuletzt vorgestellten Fällen machten sich Menschen der Frühen Neuzeit die vorhandenen Archive also auf sehr individuelle Weise zueigen und trugen zugleich ihre privaten Bedürfnisse an das jeweilige Depot heran und (wie gesehen auch ganz wörtlich) in es hinein. Zu den Menschen der Archive sollte man deshalb nicht nur die Archivare, Minister und Räte rechnen. Auch die Diebe, Fälscher und Manipulatoren gehörten dazu. Manchmal blieben diese Archivbenutzer der intendierten Logik der Archivbildner zumindest teilweise verbunden – die Urkundenfälscher etwa setzten die rechtliche Funktion der Notariatsarchive weiterhin voraus. Andere Aneignungen verliefen diametral gegen die Absichten, die ursprünglich die europäische Archivkultur geprägt hatten – Adrien Alexandres pekuniäre Perspektive auf die Pergamente brach mit jeglicher inhaltszentrierten Auffassung vom Archiv. Urkunden und Akten erlangten offenkundig soziale und individuelle Bedeutung demnach nicht nur als Wissensorte. Menschen brachten vielfältige andere Perspektiven zum Tragen, sie projizierten ihre ganz privaten Ziele und Hoffnungen auf die Archive. So zeigen gerade die zuletzt vorgestellten Beispiele alternativer Zugriffe noch einmal besonders deutlich, was die Archive der Frühen Neuzeit im Alltag 151
wirklich waren: Es waren Archive der Menschen, wahrgenommen und benutzt von Individuen mit spezifischen, konkreten Zielen.
Anmerkungen
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Ramingen: Von der Registratur, fol. Diijr . Müller: Annales, unfol. am Anfang (meine Hervorhebung, M.F.). Burns: Diplomatarium I, S. 23. Guyotjeannin: Un archiviste. de Laborde: Les inventaires. de Coussemaker: Thierry Gherbode. Für das spätmittelalterliche Burgund vgl. z. B. Richard: Les archives, S. 132 explizit und passim. Vgl. seinen Bericht (1567), ed. Mayerhofer (Hg.): Inhalt und Zustand, S. 252. Aebbtlin: Anführung, S. 24. So in der Bestallung Johanns von Sachsen in Hessen, 1523, ed. Gundlach: Zentralbehörden II, S. 139. Das schließt Probleme im Einzelfall sowie eine Abhängigkeit von ökonomischen und politischen Konjunkturen nicht aus. Dennoch zeigt StadtA Speyer 1A 76 eine relative Kontinuität von 1614 bis 1775. Tröger: Die Archive, mehrfach passim, z. B. S. 131f. Tröger: Die Archive, S. 73–75 über die Plassenburg im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts. StadtA Lyon BB 294, fol. 109r . Baudot: Les archives municipales, S. 26f. Cazauran: Les Feudistes, S. 7–24. Eine unvollständige Liste: AD Puy-de-Dôme 1 C 2133, unfol. (3.6.1738, Gemeinde von Chauriat) und 94 H 141 (Inventar ,,dit Batteney“, für die Commanderie de Chanonat). AD Rhône 12 G 726 (,,Projet sur l’ordre qu’on doit tenir dans un arrangement d’archives“, 1747, St. Just in Lyon) und 48 H 1905 (1755, zu einer Kommandaterie der Malteser). StadtA Lyon AA 80, unfol. (nr. 64, erwähnt einen undatierten Einsatz von Batteney im Stadtarchiv Lyons vor 1781). Bibliothèque Municipale Lyon Ms 252 (Inventar der Abtei von Ainay, 1750). Batteney arbeitete auch für Moreau, vgl. BnF Moreau 343, fol. 149r –172v . D’Estienne: L’archiviste citoyen, S. 4. HesHStA 340/2319, fol. 9v (1720). Beide Ordnungen ed. bei Gundlach: Zentralbehörden II, S. 140–145 und 200– 216. Jung: Stadtarchiv, S. 244. StA Gotha SS X 93, passim (z. B. Herzog an Räte, 9.12.1731). Vgl. z. B. den (lobenden) Bericht von Cyprian und Gotter über Wachler, 1734, StA Gotha SS X 94a, unfol. Schweigepflichten wurden festgelegt, vgl. z. B. LHA KO 30/583, fol. 9v . StA GTH SS II 36, fol. 42v . de Rodríguez Diego (Hg.): Instrucción. Ed. von Gundlach: Zentralbehörden II, S. 140–145. Vgl. z. B. StA Gotha SS X 60, 93 und 95 (Vierschrodt, 1752, Wachler, 1723, und Gotter, 1735). LHA Koblenz 30/176, S. 5f., 15–18. Vgl. z. B. die Aufzählung bei Ramingen: Von der Registratur, fol. Diiijv –Er .
Friedrich: Notarial Archives, S. 459. Wunschel: Die markgräflichen Archivare, S. 329f. Präziser z. B. Fladt: Anleitung, S. 178–180, 189–193. HesHStA 340/19, fol. 6v : ein Kanzlist in Hachenburg musste 1736 ,,einige studia besitze[n]“. Vgl. die graphische Übersicht bei Bischoff: Professionalisierung. StadtA Lyon BB 294, fol. 109r . So am 14.10.1674 bei der Bestallung von Dr. Detlev Marckwan, StadtA Rostock 1.1.22 nr. 2, unfol. Ramingen: Von der Registratur, fol. Eijr –Eiiijv schlug ungewöhnlicherweise recht präzise eine Prüfung vor. So auch Fladt: Anleitung, S. 196–202. So 1693 zu Johann Sebastian und Johann Joachim Müller, ThHStA Kunst und Wissenschaft 10868, fol. 26r . Brandenburg-Ansbach: Tröger: Die Archive, S. 153. Wunschel: Die markgräflichen Archivare, S. 329. Sayn-Hachenberg: HesHStA 340/2320, fol. 46r-v , 51r-v (1766, Archivar Magdeburg bekommt seinen Sohn als Mitarbeiter). Dort auch das Zitat ,,Anweisung“, ebd., fol. 47r . StA Marburg 17/II 3240, unfol. (Schreiben an die Räte, 2.3.1752). Ähnlich (1690) StA Gotha UU Ia, 2, unfol.; UU Ia 22, unfol. StA Marburg 17/II 3239, unfol. (Reskript der Regierung vom 2.9.1716). Vgl. a. HesHStA 340/2320, fol. 69r-v (1769): Ermahnung an Archivar Magdeburg sen., die ,,Anweisung“ seines Sohnes zu intensivieren. Das Folgende nach Brown: Le greffe civil. Zu Tillet vgl. a. Kelley: Jean Du Tillet. StA Marburg 19b/101, unfol. ThHStA Kunst und Wissenschaft 10716, fol. 43r-v , 50r uvm. Schon früh deutete sich an, dass Pfanner in Weimar Schwierigkeiten haben würde, vgl. den Hinweis auf ,,Diffidenz“ gegen den Archivar 1692 in StA Altenburg Eisenberger Schlossarchiv I.14 Nr 9/317, fol. 42r . Dort auch schon die Überlegung, man könne Pfanner in Gothaische Dienste übernehmen und von seinem Wissen um die ,,arcanis unsers Fürstl. Haußes“ profitieren. Richter: Lagerbuchfälschungen, S. 340–344, mit einem Beispiel des 18. Jahrhunderts (Zitat ebd., S. 343). Zu den dauernden Abwesenheiten Séraphims vgl. Brown: Le greffe civil, S. 351– 353. BnF Ms fr. 7726, fol. 341v –344v . Enthalten als Druck z. B. in AD Rhône BP 3945, unfol. (im Faszikel ,,Greffe 1696– 1770“). Vgl. z. B. AD Rhône BP 4088, unfol. Feutry: Mémoire, S. 31. So Friedrich Heinrich Avemann 1719, vgl. HesHStA 340/2319, fol. 13r –14v . Avemann forderte die Beibehaltung des Titels ,,Sekretär“, den er bereits hatte, als er 1719 Archivar in Hachenburg wurde, vgl. FN 43. Er wurde nicht ,,Archivarius“, sondern ,,ArchivSecretarius“. Guenée: Histoire et culture historique, S. 95 mit vielen Beispielen. Favier: La mémoire, S. 23 (Zitat). ASR Prefettura degl’Archivi 12, unfol. (Imola, 3.12.1759). Navarro Bonilla: La imagen del archivo, S. 60f. García Ruipérez/ Fernández Hidalgo: Los archivos municipales, S. 91. Rodriguez: Forma i Modo, S. 238. Engel: Ein bellum diplomaticum, S. 332, 341. LHA Koblenz 30/171, S. 91. StadtA Mainz 3/15, unfol (23.8.1786). StA Marburg 17/II 3240, unfol. AN 399 AP 65, unfol. (im anonymen Memoire, von 1748).
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Cod. Guelf. 64.38 Extrav, fol. 309v (24.1.1719, Schmidt an Burckhardt): Über den Begriff ,,Gogericht“. Für ersteres de Rodríguez Diego (Hg.): Instruccion, S. 106. Für zweiteres Rodriguez: Forma i Modo, S. 235f. Wallnig (Hg.): Briefe, S. 361 (an Bernhard Pez, 12.2.1712). Ganz ähnlich (,,impossibile“, ,,abbreviature“, ,,termini oscuri, diversi di presente stile“) in ASR Buon Governo II 2037, unfol. (3.9.1760). Ausführlich Goetze: Frühzeit, passim. Vgl. a. Auger: La collection, S. 62f. Es handelt sich um den Band der Universitäts- und Landesbibliothek SachsenAnhalt mit der Signatur Pon Yb 1475, digital einsehbar unter http://digitale. bibliothek.uni-halle.de/id/469758#. Considine: Dictionaries, S. 264f. ,,Dictionarium [. . . ] latinobarbarum“ und ,,semibarbara“: Papebroch an Du Cange, Antwerpen, 20.2.1680, Joassart (Hg.): Lettres, S. 197. Der Topos ,,lateinischbarbarischer“ Übersetzung wurde wohl 1613 durch Johann Martin Lydius ,erfunden‘, vgl. Considine: Dictionaries, S. 258. Dionisotti: Glossary Studies, v.a. S. 320–323, 330–336. Mittellateinische Wörterbücher gehen auf das späte 15. Jahrhunderts zurück, Considine: Dictionaries, S. 250–261. Zit. nach Considine: Dictionaries, S. 278. Batteney: L’archiviste françois, S. 20-P51[!]. Das Werk stellt einen Auszug aus Le Moine dar. Zu Batteneys Fähigkeiten StadtA Lyon AA 80, unfol. (nr. 64 und 65). Mariée: Traité des Archives, S. 84–87, dort auch zum Folgenden. de Chevrières: Le nouvel archiviste, S. 9. ASR Buon Governo II, 2037, unfol (4.1.1760): ,,Ritrovandosi Protocolli, o altre scritture di caratteri antichi ovvero in qualche maniera differtosi [! = difficultosi], in tal caso dovranno queste separarsi e l’Archivista sarà tenuta avvisarne l’Illustrissimo Magistrato, il quale assieme con la Illustrissima Congregazione [de Buon Governo] si riserva di trovar’ modo che si possano leggere.” Ähnlich Mariée: Traité des Archives, S. 87. Wencker: Apparatus, S. 79, ex negativo formuliert Spieß: Von Archiven, S. 37. Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. 7–11. Vgl. Schreibmüller: Philipp Ernst Spiess (1734–1794). Wunschel: Philipp Ernst Spieß (1734–1794). NLB Ms XLII 1931, unfol. (§ 13). Zitat aus StA Gotha SS II 38, fol. 61r . Drei Projekte schienen ihm vielversprechend: eine Geschichte der Reichstage, eine Geschichte der drei letzten ernestinischen Kurfürsten und eine Reformationsgeschichte. Letzteres ließ er enttäuscht fallen, nachdem ihm Seckendorff zuvorgekommen war und dabei Pfanners Hilfe erbeten hatte, vgl. dazu Strauch: Seckendorff, S. 19–21 und StA Gotha SS II 36, fol. 122r – 123v . Pfanner entschied sich für ersteres Projekt; 1694 erschien seine Historia Comitiorum imperii. Schon 1679 war er mit einer Geschichte des Westfälischen Friedens hervorgetreten. Kopfmann: Augustin Kölner. Schrader: NLB Ms XXIII 74, fol. 23r und passim. Wencker: Apparatus, S. 79. Spieß: Von Archiven, S. 37. Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. 10: ,,la classe obscure des simples déchiffreurs“. Engelbrecht: De Iure Archivorum, fol. D3r notierte, Leistungen der Archivare seien dem ,,vulgus“ unbekannt.
StA Gotha UU Ia 59, fol. 1r –4r . Mariée: Traité des Archives, S. 14–19. Vgl. a. Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. 186–189. Mariée: Traité des Archives, S. 89. Bei Unsicherheit solle man einfach irgendwo mit der Durchsicht beginnen; schwer interpretierbare Stücke sollte man bis zuletzt aufheben, weil sich nach dem Vertrautwerden mit dem Gesamtzusammenhang des Archivs manches Detail leichter verstehen lasse; wichtige Entscheidungen solle man sich vom Auftraggeber bestätigen lassen, vgl. Mariée: Traité des Archives, S. 23f., 47, 97 uvm. Zur Unterscheidung bzw. Gegenüberstellung vgl. a. Tröger: Die Archive, S. 75, 157. Sehr pointiert zur Vorrangstellung des Ordnens z. B. StA Gotha SS X 46a, fol. 23r-v (4.2.1724, Wachler an die Regierung). Mariée: Traité des Archives, S. 72. Hierzu vgl. brilliant z. B. Head: Mirroring Governance. Ders.: Knowing like a State. LHA Koblenz 30/171, S. 37–41. Z. B. StA Darmstadt F 11A 2/5, unfol. (erste Seite): Man solle erst ,,fasciculos“ anlegen, die dann verzeichnet würden. Mariée: Traité des Archives, passim sehr ausführlich. ThHStA Kunst und Wissenschaft 10729, fol. 26r –34v . Hierzu z. B. ausführlich das Inventar der Koblenzer Stiftskirche St. Florian, LHA Koblenz 112/1500, S. 2f. Vgl. hierzu, allerdings vorwiegend sysmtatisch, Steedman: Dust. Alle Zitate LHA Koblenz 30/171, S. 63 (an die Regierung, 16.7.1742), 91 (dito, 17.1.1743). Erstes Zitat (1648) ed. Jung: Stadtarchiv, S. 264. Zweites Zitat (ca. 1780) bei Jäger: Fürstentum Fulda, S. 327. Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. 6. Ebd., S. 7f. auch zu den Augen. Das forderte zumindest Fladt: Anleitung, S. 154–156. Vgl. zwei Briefe an Heinrich Meibom jun., 22.11. und 21.12.1686, NLB Ms XLII 1901, unfol. StA Gotha SS X 93, unfol. (30.11.1733). Mariée: Traité des Archives, S. 19, 38, 40, 22. Zur Interpretation und Wirkung vgl. Ertz: Pieter Brueghel, I, S. 487–507. Die Zitate ebd., S. 493. Wickwire: Subministers, S. 27–30 mit skeptischem Urteil (,,apathy and neglect of legitimate work“). ThHStA Kunst und Wissenschaft 10715, fol. 6r-v . LHA Koblenz 1C 1173, fol. 45v (undat.). Jung: Stadtarchiv, S. 298. Beispiele bei Wunschel: Die markgräflichen Archivare, S. 334 mit FN 52. Krimm: Ex archivo Christi, S. 29. Wunschel: Die markgräflichen Archivare, S. 335. Filippini: Memoria, S. 262–264. Baudez (Hg.): Les hôtels, S. 36. Coxe: Travels, I, S. 293–301 ausführlich zu den Beständen. Vorgelegt wurde ihm u. a. jener Brief Maximilians I. an den russischen Zaren, den Baron Shavirof kurz nach 1700 zufällig im Archiv gefunden hatte (S. 298), vgl. die Publikation Nachdeme man in der Reichs-Gesandten-Cantzley [. . . ] 1718. Dom Martène/Dom Durand: Voyage littéraire, S. 147f.
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Soll: The Information Master, S. 94. Hochedlinger: Österreichische Archivgeschichte, S. 36. Netzloff: Speed, S. 313. Grebe: Simancas, S. 176–183. Ein Besuch des Herzogs im Juni/Juli 1697 im Weimarer Archiv ist erwähnt in ThHStA Wissenschaft und Kunst 10706, fol. 11r-v , 13r-v . Schneider: Geschichte, S. 4. Filippini: Memoria, S. 241–244. StA Gotha SS X 5, fol. 143r . Dort auch das folgende Zitat. Z. B. Navarro Bonilla: La imagen del archivo, S. 72–74 (,,mala costumbre“, ,,práctica perniciosa“). Michaud: La grande Chancellerie, S. 368f. de Rodríguez Diego: Estudio, S. 28f. Vgl. Lévêque: Mémoires, I, S. XV: Granvelle sammelt seine eigenen Briefe, um sich gegen Klagen abzusichern. Baschet: Histoire, v.a. S. 1–58. Spieß: Von Archiven, S. 24–26. Zu Frankreich mit der zitierten Bewertung Guyotjeannin: Super omnes, S. 118 Anm. 25. de Rodríguez Diego: Estudio, S. 29f. Vgl. die Edition der Auftragsurkunde bei Orbaan: Een pauselijk. Vignal: Des papiers. Vgl. a. Sarmant/Stoll: Régner et gouverner, S. 384–390. StadtA Rostock 1.1.22 nr. 1, fol. 30r (22.12.1727). LHA Koblenz 635/57, unfol. (Erlass vom 31.5.1735). Wencker: Apparatus, S. 117f. Dies wurde ausdrücklich als Verschärfung der Kontrolle begriffen, vgl. z. B. den Brief von C.L. Wagner an Wachler, 20.8.1715, StA Gotha SS X 67, unfol. Ausleihvermerke, die per Bleistift ins Findbuch eingetragen werden sollten, schrieb Gundaker von Liechtenstein vor, ed. Winkelbauer (Hg.): Lichtenstein, S. 456. LA Speyer B2 6717, fol. 2r –5v (mehrere Briefe). AD Dordogne 4 E 129, unfol. (Sarlat, 23.4.1629). Feldkamp 1993, S. 79f. (Köln, 1622). Vgl. hierzu und zum Folgenden StadtA Rostock 1.1.22 nr. 27, unfol. Vgl. z. B. StA Gotha SS X 1, unfol. mehrere umfangreiche Verzeichnisse von Akten aus Gotters Besitz. Dolan: Le notaire, S. 169–176. Herzog: Mediación, archivos y ejercicio, S. 22–24, 168–172. Loyseau: Cinq Livres, S. 280f. zum Thema. StadtA Lyon BB 254, fol. 57v –58v . ThHStA Nachlass Hortleder 23, fol. 188r (13.12.1641). Zur Übersendung ebd., fol. 192r (15.12.). ThHStA Kunst und Wissenschaft 10716, fol. 15r –16v (an die Räte des Fürsten, 31.8.1697). Es handelte sich um die sensible Schrift Pfanners über die sächsischen Landesteilungen, vgl. ThHStA Sammlung F 656. Die Episode ist erwähnt in Brown: Jean du Tillet, S. 51. Der Fall erregte auch Ende des 17. Jahrhunderts noch Interesse, vgl. AN U 2263, fol. 232r . So explizit erwähnt in AN U 2263, fol. 388r . AN U 2045, fol. 274r . AN U 2263, fol. 392r . von Hippel (Hg.): Herzogtum, S. 269. Burns: Into the Archive, S. 72. Bechstein: Geschichte, S. 11 (mit Anm.). Die Schuldigen endeten wie Grebert am Galgen. Vgl. Mayerhofer (Hg.): Inhalt und Zustand, S. 231 Anm. 1. So der Bericht von Joly de Fleury, zit. in Feutry: Mémoire, S. 23. Gabel: Ländliche Gesellschaft, S. 254.
GLA Rep 82, 12, passim (zur causa Keller v.a. ab fol. 76r ). Dessen Drohung, es ,,werden [. . . ] sambtlich die brieff al ins fur gworffen werden“, findet sich z. B. ebd., fol. 89r . StadtA Lyon BB 294, fol. 95r –96r . Es folgt bis fol. 100v das Inventar. AD Rhône 4 B 41, unfol. (im letzten Faszikel der erste Akt, ohne Datum). AD Rhône 4 B 159, unfol. (Faszikel II, sehr schlechter Zustand): Diebstahl eines ,,Ehevertrags“ 1680 in Joux. Friedrich: Notarial Archives, S. 460f. Burns: Into the Archive, S. 95f., 119f. AN 399 AP 55, unfol. (Faszikel ,,Conservation des Actes des Notaires“). Vgl. z. B. Limon: Les notaires, S. 75f. Vgl. die Zusammenfassung des Falls in AN U 2256, fol. 39r . Richter: Lagerbuchfälschungen, v.a. S. 345f., 358f. (Zitat).
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Räume Archive als Raumstrukturen und Akten als bewegliche Objekte
Um 1725 machte sich der königliche Prokurator am Parlament von Paris, Joly de Fleury, auf ins Archiv der zivilrechtlichen Kammer des Gerichtshofes. ,,Die Dokumente“, so notierte er, ,,befinden sich in einem Turm, wo es keine Sorge um ihre Sicherheit geben muss. Die Zahl der Registerbände ist allerdings so groß, dass drei oder vier solcher Bände meist hintereinander stehen. Es gibt keine Treppe, nur eine Leiter, um die Register auszuheben, die man gerade braucht. Man kann sich leicht vorstellen, wie schwer es ist, einen Band zu erreichen, der hinten, direkt an der Wand lagert. Dann muss man meist erst zwei andere wegnehmen. Wenn man nun zu einer Sachfrage zehn Register benötigt, noch dazu aus verschiedenen Jahren und Jahrhunderten, so kann man sich angesichts dessen leicht vorstellen, wie schwierig und zeitaufwendig es ist, alles zusammenzusuchen. Hinzu kommt, dass man die neueren Register seit einiger Zeit auf dem Fußboden ablegt, und zwar in Stapeln von dreißig oder vierzig Bänden. Nur noch einige kleine Pfade führen durch den vollgestellten Boden.“
Joly de Fleury beschrieb ein praktisch unbenutzbares Archiv. Was hier für Chaos sorgte, war vor allem der physische Zustand des Depots. Bei den Registern des Parlaments handelte es sich um dickleibige, schwere Kodizes, die im Regelfall viele hundert Blatt umfassten. Man kann sich angesichts von Jolys lebhafter Skizze leicht vorstellen, dass Archivare die Suche nach alten Unterlagen abbrachen, wenn sie auf den obersten Sprossen der Leiter die Hände mit einem halben Dutzend dieser unhandlichen Bände voll hatten. Die dramatisierende Klage des Prokurators spricht ein Thema an, das allzu oft aus der Wissensgeschichte ausgeblendet wird. Weil Schriftlichkeit materielle Objekte erzeugt – Blätter, Rollen, Bücher –, haben Archive notwendigerweise eine räumliche Dimension. In der Frühen Neuzeit bezeichnete ,,Archiv“ schon als Begriff deshalb immer auch Raumstrukturen. Diese räumliche Dimension bestimmte in elementarer Weise, wie und ob archiviertes Wissen gefunden und benutzt werden konnte. ,,Ordnung des Wissens“ bedeutete weit mehr als eine nur mentale oder konzeptionelle Struktur – es ging auch um eine sinnvolle physische Aufstellung. Wie Joly notierte, nutzte es nichts zu wissen, was ein Aktenband enthielt, wenn man ihn später nicht konkret im Raum finden oder gefahrlos aus dem Regal nehmen konnte. Archivische Wissensordnung war Objektanordnung im Raum. 159
In seinem Objektcharakter war Wissen nicht nur unhandlich und unpraktisch, es war auch fragil und verlustanfällig. Die Überlebenschance von Schrift als Wissensspeicher hängt wesentlich von der Art des gewählten Beschreibstoffes ab – nicht die Schrift als solche überdauert, sondern das geschriebene Dokument. Für Pergament und vor allem für Papier standen die Überlieferungschancen aus physischen Gründen eigentlich schlecht. Im Unterschied zu Stein- oder Metallinschriften waren Pergament und Papier (genauso wie Papyrus) zwar mobiler, billiger und leichter zu handhaben. Doch auf Grund ihrer Materialität waren sie nicht für die Ewigkeit gemacht. Es bedurfte komplexer kultureller Techniken, um ihre Überlebenschance zu erhöhen. Das Errichten von architektonischen Strukturen, die die Witterung von Pergamenten und Papieren fernhalten sollten, war eine dieser Techniken. Ziel des folgenden Kapitels ist nicht, die (bisher fehlende) Architekturgeschichte der Archive zu schreiben. Statt dessen geht es insbesondere darum, die unausweichliche Materialität von schriftlichem Wissen herauszustellen, um die raumgreifende Präsenz der Archive im Lebensumfeld der Menschen deutlich zu machen. Dies ist kein Thema von nur randständiger Bedeutung: Raumbeziehungen reflektieren und prägen unsere Sozialstrukturen und alltäglichen Lebensroutinen, wie Gaston Bachelard erklärt hat. Auf die Archivpraktiken übertragen heißt das: auch und gerade in ihrer dreidimensionalen, körperlichen und räumlichen Dimension schrieben sie sich in die europäische Kultur ein.
Archivräume: Schutzhüllen für fragile Beschreibstoffe Zwei große Gefahren für das materielle Überleben von Akten und Urkunden dominierten die Frühe Neuzeit (wenn man Kriege für den Moment außen vor lässt): Feuer und Wasser. Vor beiden Gefahren sollte die Archivarchitektur schützen. Gegen Brände entwickelten Architekten und Archivare im Lauf der Frühen Neuzeit einige Strategien, die im Alltag der Archivgeschichte auch konkret umgesetzt wurden. Im Wesentlichen ging es immer darum, das Übergreifen von Feuer, das außerhalb ausgebrochen war, auf das Archiv unmöglich zu machen. Das erreichte man vorwiegend durch großzügigen, wenngleich recht kostspieligen Einsatz von Eisen. In Weimar wurden 1681 eiserne Fensterläden angeschafft, die im Brandfall geschlossen werden konnten 160
und so ein Eindringen der Flammen ins Archiv verhindern sollten. In Gotha wurde 1719 ebenfalls um den Einbau von eisenbeschlagenen Fensterverschlüssen sowie um eine eiserne Tür gebeten. Andernorts ging man noch weiter. Gerhard Friedrich Müller, der in den 1760er Jahren das Moskauer Archiv neu organisierte, ließ beim Umbau des Gebäudes alle Holzteile herausreißen und durch Eisenkonstruktionen ersetzen. Sogar ,,eiserne Fußböden“ wurden eingebaut. Eine andere Lösung versuchte man in Frankreich – man suchte verstärkt nach Bauformen, die ganz ohne Holz auskamen und wandte dabei die Technik der sogenannten ,,voûtes plates“ an. Dabei handelte es sich um Gewölbekonstruktionen, die nur noch aus Steinen und Putz bestanden und auf Holz als Stützmaterial ganz verzichteten. Möglich geworden war dies, weil ab etwa 1750 Backstein zum bevorzugten Baumaterial avanciert war. Diese Technik war ursprünglich in Katalonien und im südfranzösischen Roussillon entwickelt worden und verbreitete sich im 18. Jahrhundert allmählich nordwärts, nicht zuletzt unter tatkräftiger Mithilfe des Kriegsministers Belle-Isle, der die Technik bereits um 1740 beim Bau seines eigenen Schlosses in Bizy hatte einsetzen lassen. Félix-François, Comte d’Espie, machte das Verfahren in einem Traktat von 1754, der schnell ins Deutsche und Englische übersetzt wurde, in ganz Europa bekannt. Schon der Titel der Publikation wies auf den größten Vorteil der voûtes plates hin: Abhandlung von unverbrennlichen Gebäuden. D’Espie war ein pensionierter Offizier und dachte bei seinen Überlegungen zunächst an die Sicherung von Magazinen und Ställen, nicht an Archive, doch bezog er diese im Vorwort zur Neuauflage des Buches 1776 ausdrücklich mit ein, nachdem Kriegsminister Belle-Isle beim Neubau seines Ministeriums in Versailles ab 1761 erstmals ein öffentliches Archiv nach dieser Technik hatte erbauen lassen und dafür viel Aufmerksamkeit erntete. Im architektonischen Kampf gegen Wasser und Feuchtigkeit hatte man in der Frühen Neuzeit dagegen nur relativ wenige bauliche Waffen zur Verfügung. Obwohl das Dach ,,wohlvorwarth“ gewesen sei, trat beispielsweise 1623 in Weimar Wasser ins Archiv ein, weil ,,das regenwetter zimblich groß gewesen“ war. Einhundert Jahre später stand man vor ähnlichen Problemen, als erneut Regen ins Archiv eindrang. Zudem war Feuchtigkeit auch ohne Überschwemmungen eine regelmäßige Gefahr, weil man Akten zum Schutz vor Feuer immer wieder in Räumen mit dicken Mauern oder sogar in Kellergewölben zwanzig Stufen unter der Erde lagerte. Zur Vermeidung von Schimmel trotz dieser Umstände wurden dann verschiedene Möglichkeiten erwogen. 161
In Nancy wurde schon in den 1570er Jahren Muskatnuss in die Schubladen gelegt, um wenigstens der modrigen Luft entgegenzuwirken. Langfristig hilfreicher war der Vorschlag von Mariée aus dem Jahr 1779, man solle die Archivmöbel nicht direkt an die feuchten Wände stellen, sondern einigen Abstand lassen, damit die Luft zirkulieren könne. Auch regelmäßiges Lüften galt als hilfreiches Mittel gegen die Feuchtigkeit und tatsächlich ist vom Generallüften in Archiven immer wieder die Rede. Freilich hatte es auch hiermit seine Tücken, wie beispielsweise Jakob Friedrich Ludovici 1714 festhielt: ,,Wie oft geschicht es, daß zu Sommers-Zeit die Fenster offen stehen, und der Wind, der die Ordnung der Acten nicht verstehet, alles durch einander wirfft“. Offensichtlich zog die Lösung eines Problems sogleich neue Schwierigkeiten nach sich. Das Lüften ließ den Wind herein, dicke Mauern hielten die Feuchtigkeit, und auch eine dritte große Schadensquelle konnte mit der Architektur zusammenhängen: D’Espie erwähnte, dass die hölzernen Deckenkonstruktionen besonders günstige Brutstätten für Mäuse und Ratten waren, zwei weitere Erzfeinde der Archivare. Klagen über Dokumente, die ,,von den Ratten angefressen“ worden seien, finden sich immer wieder. Tatsächlich kreisten die Überlegungen frühneuzeitlicher Archivare immer auch um die Frage, wie man die Räume frei von Nagern halten oder doch zumindest die Folgen ihrer Anwesenheit minimieren konnte. Pierre Camille Le Moine entwickelte ein Verfahren, um ,,unzerstörbare Laden“ zu bauen. Schränke sollten Mäuse aussperren und erhöhte Aufbewahrung auf Stelzen sollte den Tieren ebenfalls das Leben schwermachen. Vielleicht am sinnvollsten beim Kampf gegen Ratten und Mäuse war eine Strategie, die man in Siena schon 1337 erprobt hatte: Die Stadtväter kauften für das Archiv eine Katze, um Pergament fressende Nager in Schach zu halten. Die technischen Hilfsmittel im Kampf gegen Wasser und Feuer, Moder und Ungeziefer waren also begrenzt. Doch schwerer wog noch, dass die vorhandenen Möglichkeiten häufig nicht ausgeschöpft wurden. Eine Legion von Beispielen baufälliger Archivräume ließe sich anführen. Im Schloss von Charolles, etwa 60 Kilometer westlich von Macon, wurden die umfangreichen Archivbestände um 1700 in einem Turm mit defektem Dach aufbewahrt, ein Zustand, der erst nach jahrzehntelangem Zögern auf Drängen der Obrigkeiten hin verbessert wurde. Regelmäßig wurden ,,unnütze“ Akten, wie schon gesehen, auf Speichern und in Dachstühlen verwahrt. In Weimar wurden Archivalien über einer ,,Eißgruben“ gelagert, also über einem feuchten Kellerraum, in dem Eis zur Kühlung aufbewahrt wurde – jeder Kampf gegen Moder und Schim162
mel war so von vornherein zum Scheitern verurteilt. Trotz zahlloser Reflexionen der Theoretiker, trotz wiederkehrender Klagen und Ermahnungen betroffener Archivare und trotz unbestreitbarer Fortschritte im Bauwesen waren und blieben papierene und pergamentene Dokumente verletzlich. Weil die eingeleiteten Schutzmaßnahmen vielerorts in Europa also häufig erfolglos waren, mussten beschädigte Unterlagen oft nachträglich wiederhergestellt werden. Es gab zwar in frühneuzeitlichen Archiven noch bis ans Ende des 18. Jahrhunderts kaum eigene Restaurierungswerkstätten und, anders als in einigen Bibliotheken Roms oder Oxfords, auch keine eigenständigen Etats zur Reparatur von Archivalien. Doch die Pflege fragiler Bestände, der Kampf gegen die Folgen von Moder, Wasser und Ungeziefer und die Anfertigung von authentifizierten Abschriften als ultima ratio zur Sicherung einzelner Texte zählten in den Archiven sehr wohl zu den grundlegenden Aufgaben. 1711 ließ beispielsweise Ernst Salomon Cyprian in Gotha einige alte Briefe aus dem 16. Jahrhundert, die wegen des ,,Alters und der bisherigen Sorglosigkeit“ in schlechtem Zustand waren, restaurieren. In Wien wurden 1767 immerhin Personen angestellt, welche die ,,kunst, alte verblichene Schrift wieder herzustellen“, beherrschten und so der Unleserlichkeit der Akten entgegenwirkten.
Das wohlgeordnete Archiv als Raumideal Die eben beschriebenen materiellen und physischen Unvollkommenheiten der Archive wurden häufig beklagt , aber nur gelegentlich im Bild festgehalten. Das schon erwähnte, ironisch-kritische Ölgemälde Der Dorfadvokat, das Pieter Brueghel d.J. um 1620 in vielen Versionen malte, kann als Beispiel dienen. Es zeigte Dorfbewohner und ihren Notar inmitten von Papieren. Stapel von Aktenbündeln, wenngleich nicht so hohe wie bei Joly de Fleury, verteilte Brueghel am Boden, auf Regalen und dem Schreibtisch des Juristen (Abbildung 5). Andere Abbildungen dagegen idealisierten das Archiv zu einem Ort vollendeter Ordnung. Eine kolorierte Zeichnung aus Bologna von ungefähr 1726 beispielsweise zeigt das dortige Notariatsarchiv in Stringenz suggerierender Zentralperspektive (vgl. Abbildung 7). Die Akten auf der linken und rechten Seite des Raums sind zwar unterschiedlich aufbewahrt, doch insgesamt vermittelt diese Darstellung den Eindruck von 163
Abbildung 7: Skizze eines Archivinnenraums, Bologna ca. 1726.
Symmetrie und Harmonie. Die Aktenbehältnisse sind voll, aber quellen nicht über. Das Archiv hat weder zu wenige noch zu viele Unterlagen. Im Fluchtpunkt der Architektur steht ein großer Tisch, an dem zwei Notare oder Schreiber an den Akten arbeiten – ein Bild intensiver Benutzung, die in gezügelten und wohl koordinierten Verhältnissen abläuft. Das Archiv wurde hier präsentiert als ein angenehmer, lichter Raum, als rationale Struktur, als gezähmte Ressource. Andere frühneuzeitliche Archivabbildungen bestätigten diese stilisierte Auffassung, so etwa die Stiche, die den Neubau des französischen Kriegs-, Marine- und Außenministeriums in Versailles von 1761 dokumentierten, oder die kleine Archivdarstellung, die der Mainzer Bischof und Historiker Stephan Alexander Würdtwein 1781 als Vignette auf das Titelblatt seiner Nova subsidia diplomatica setzen ließ (Abbildung 8). Erneut sind die Wände voll, aber nicht übervoll, wiederum liegen die – gerollten – Urkunden in Reih und Glied. Würdtwein, der Autor, sitzt in der Mitte seines Archivs und schreibt an dem Buch, dessen Titelblatt der Kupferstich ziert. Zwei Gehilfen bringen weitere Unterlagen. Von Schwierigkeiten in der Archivbenutzung, von Unordnung gar, ist nichts zu spüren. Eine Nebenszene, links am Rande durch die offene Archivtür 164
Abbildung 8: Ein ideales Archivinterieur, 1781.
sichtbar, unterstreicht die Stilisierung des Archivs als reibungslos benutzbaren Wissensort für historiographische Forschung. Der Brunnen trägt die lateinische Aufschrift: Dulcius ex ipso fonte – ,,Süßer ist der Trank aus der Quelle selbst“. Das Archiv und seine Dokumente als reiner Ursprung des Wissens, das ist die Botschaft derartiger Abbildungen. Während Brueghels Archivbild in persiflierend übertreibender Weise das moralisch negativ konnotierte, ungeordnete Archiv in Szene setzte, propagierten die anderen Darstellungen das Ideal vom Archiv als wohlgeordneter und rational organisierter Wissensstruktur.
Zimmerfluchten und ihre Umgebung: Archive als Teile von Gebäuden In der Vormoderne wurden nur wenige reine Bürogebäude und noch weniger spezialisierte Archivbauten errichtet und dann erfolgreich betrieben. Im Unterschied zur Bibliothek wurde das Archiv vor dem 19. Jahrhundert deshalb auch kein spezifischer Gebäudetyp. In den Augen der Eigentümer reichte es vielmehr meist aus, einzelne 165
Räume in bestehenden Gebäuden zu reservieren. Ursprünglich hatte man dazu aus Gründen der Sicherheit und Symbolik auf wehrhafte Türme und Kirchen bzw. Sakristeien zurückgegriffen. Nicht umsonst befand sich der Trésor des Chartes der französischen Könige seit dem 13. Jahrhundert in der Sainte-Chapelle auf der Ile de la Cité. Auch in Frankfurt wurden zumindest die Urkunden in der Leonhardskirche praktisch unzugänglich gesichert. Viele weitere Beispiele belegen diese Praxis, die nur aus einer rückblickenden Perspektive als Zweckentfremdung von Sakralräumen erscheinen mag. Teilweise war dies noch bis an den Beginn der Moderne üblich – die Reichsstadt Friedberg in Hessen bewahrte bis weit ins 19. Jahrhundert ihre wichtigen Urkunden im Turm der dortigen Liebfrauenkirche auf. Allerdings wurden Sakristeien und auch Türme immer unpraktischer. Urkunden, die nur selten einmal benötigt wurden, konnte man sicher wegsperren, doch die rasch in ihrem Umfang wachsenden Akten der Verwaltung wurden ,,beinahe täglich (quasi quotidianum)“ benötigt und mussten deshalb leichter zugänglich sein. Sie waren deshalb am besten in der Nähe der Behörden untergebracht und zogen so in die fürstlichen Schlösser (wo die Regierungsgremien oft untergebracht waren) und die Gebäude von Kirchenverwaltungen, Korporationen und Firmen ein. Je länger umso mehr wurden bei Neubauten bereits Zimmer speziell für diesen Zweck vorgesehen. Man plante Schlösser, Amtsgebäude und Wohnhäuser auch mit Blick auf die Archive. In Gotha etwa ließ Ernst der Fromme das Archiv von Anfang an in einem Erdgeschoßgewölbe des Nordwestturmes unterbringen. Regelmäßig fanden in der Frühen Neuzeit auch komplexe Umbaumaßnahmen statt, entweder um vorhandene Archivräume zu erweitern, um bestehende Zimmer umzuwidmen oder um neue zu schaffen. Dabei zog man die besonderen Anforderungen eines Archivraums oft ausdrücklich in Betracht. In Rom wurden beispielsweise Ende Juli 1703 nicht weniger als fünf Handwerker um Machbarkeitsgutachten gebeten, als man die Archive der Kardinalskongregationen in einem Raum über der Sixtinischen Kapelle unterbringen wollte. Als man 1733 in Weimar das gemeinschaftliche Archiv in das Grüne Schloss umsiedelte, wurden die vorgesehenen Räume vorher gründlich hergerichtet und renoviert (Abbildung 9). Meist stand bei der Einrichtung spezifischer Archivräume ein funktionaler Ansatz im Vordergrund. Anders als im Fall der Bibliotheken, die als Schauräume konzipiert und ausgestattet wurden, lassen sich in Archiven nur selten komplexere künstlerische Arbeiten oder ikonographische Programme entdecken. 166
Abbildung 9: Die Pläne für die neugestalteten Archivräume in Weimar, 1733.
Idealerweise sollten diese Archivzimmer geschlossene Bereiche darstellen, die von der Umgebung der anderen Räume klar abgetrennt waren und den Archivalien zusammenhängende Zimmerfluchten zur Aufbewahrung bereitstellten. Die physische Absonderung der Archivräume vom Rest der Gebäude versuchte man oft dadurch zu erreichen, dass man möglichst wenige Türen installierte. Um Sicherheit gegen unerlaubten Zugang zu gewährleisten, wurden Archivtüren – genauso wie Archivkisten – häufig mit zwei, drei oder noch mehr Schlössern versehen, wobei die Schlüssel auf mehrere Personen verteilt wurden. Zur Öffnung mussten alle anwesend sein. Um Sicherheit gegen Einbruch und Feuer zu bieten, waren diese Türen möglichst massiv. Oft handelte es sich deshalb um die schon angesprochenen widerstandsfähigen, aber eher schmucklosen ,,eiserne[n] Thüren“ wie in Weimar (Abbildung 9; beim Buchstaben c). Aufwendigere und repräsentativere Architekturen waren dagegen dann lohnend, wenn Archive ihren Eingang in öffentlich zugänglichen Räumen hatten, etwa in Kirchen (Abbildung 10). 167
Abbildung 10: Eingang zum Pfarrarchiv im Chorumgang St. Nikolai in Stralsund.
Nicht nur bei solchen Gelegenheiten schotteten die Archivtüren einerseits ab, machten andererseits aber gerade durch ihre auffallende architektonische Gestalt auch deutlich, dass jenseits der allgemein zugänglichen Gebäudeteile eine besondere Sphäre begann. Die Archivtür war Verbot und Versprechen, Aus- und Einladung zugleich. Das Archiv sollte gezeigt und verborgen werden. Auf die Spitze getrieben wurde diese ambivalente Rolle der Archivtür in sehr ungewöhnlicher Weise in Salzburg. In der Erzabtei Sankt Peter wurde außen an der Archivtür eine trompe l’œil Malerei angebracht, die bereits Schriften und Archivalien suggerierte, wo noch keine waren (Abbildung 11). Das Archiv als umgrenzter Raum war angedeutet und verborgen zugleich. Seine Tür weckte Neugier. Die Frage danach, wer solche Türen wann und wie öffnen durfte, konnte in der Frühen Neuzeit die Gemüter schnell erhitzen. Pragmatische Überlegungen spielten bei der Bestimmung von Schließgewalt sehr wohl eine Rolle. Doch häufig entzündeten sich an solchen Türen auch Konflikte, deren Bedeutung viel weiter reichte. Die Praxis, mehrere Schlüssel zu benutzen und auf verschiedene Personen zu verteilen, forderte eine symbolische Aufladung geradezu heraus. In 168
Abbildung 11: Tormpe l’œuil Malerei an der Archivtür im Erzstift St. Peter in Salzburg.
den 1660er Jahren beispielsweise kam es über die Abschließung des ernestinischen Gesamtarchivs im Weimarer Schloss zu einer Auseinandersetzung zwischen Sachsen-Gotha und Sachsen-Weimar, die den symbolischen Charakter solcher Raumfragen aufschlussreich belegt. Ernst der Fromme, Herzog in Gotha, beharrte auf einer Tür mit zwei Schlüsseln für das ernestinische Gesamtarchiv, gemäß der Logik, dass dieses dann nur durch ihn und die Weimarer Herzöge gemeinsam geöffnet werden könne. In Weimar war man zunächst deutlich gegen den Gothaer Wunsch eingestellt, denn in einem benachbarten Zimmer, das nur durch dieselbe Tür betreten werden konnte, lagerten Akten, die Weimar gehörten und die man häufiger brauchte. Durch die von Gotha gewünschte Schließanlage wären diese Unterlagen für Weimar faktisch unzugänglich gewesen. Jahrzehntelang insistierte Ernst der Fromme auf seinem Wunsch, während Weimar ihn ablehnte. Erst um 1690 änderte man auch dort die Haltung und propagierte nun selbst die Gothaer Lösung. Jetzt nahm man dafür sogar mehrtägige Umbaumaßnahmen in Kauf. ,,Ein besondere[r] Eingang“ für die ernestinischen Gesamtbe169
stände wurde angelegt, und die verschiedenen Archive konnten somit jedes für sich abgeschlossen und begangen werden. Trotz solcher Anstrengungen sollte man allerdings weder die physische noch die symbolische Leistungsfähigkeit von Archivtüren und anderen architektonischen Strukturen zur tatsächlichen Absonderung der Archive von ihrer Umgebung überbewerten, wie verschiedene Studien zur Raumstruktur frühneuzeitlichen Lebens in den letzten Jahren gezeigt haben. Nicht einmal Klostermauern, so haben Sandra Cavallo und Silvia Evangelisti betont, konnten den Kontakt von Nonnen mit der Außenwelt verhindern. Auch Eisentüren und vergitterte Fenster verhinderten entsprechend nicht, dass die Archivräume mit der Lebenswelt der Umgebung in Verbindung kamen – selbst wenn man von brutalen Einbrüchen wie dem 1682 von Adrien Alexandre und Pierre Marconnes einmal absieht. Die Durchlässigkeit der Archivgrenzen hing oft schon damit zusammen, dass frühneuzeitliche Archivare in direkter Nachbarschaft zu ihren Depots wohnten. Als die französische Assemblé de Clergé, die mächtige Standesvertretung der Geistlichkeit, 1780 in Paris ihr Hauptquartier im Kloster Grands Augustins direkt gegenüber der Ile de la Cité umbauen und modernisieren ließ, richtete man unmittelbar neben dem Archiv eine Wohnung für den Archivar ein. Aus seinem Speisezimmer führte eine (wenngleich aus Eisen gefertigte und mehrfach verschlossene Tür) direkt zu den Schriftstücken. Da solche Nachbarschaften normal oder gewünscht waren, verwundert es nicht, dass manche Archivare die Verschmelzung von Privat- und Archivräumen aus eigener Initiative noch weiter trieben. Ein schönes Beispiel dafür bietet Charles Georges de Coqueley de Chausse-Pierre (1711–1790), königlicher Archivar im Louvre. 1773 musste dort die Neuorganisation der Akten verschoben werden, weil Coqueley zusammen mit seiner Frau und vermutlich seinem ganzen Hausstand in ein großartiges Appartement direkt am alten Schlosshof gezogen war, das eigentlich als Aktendepot vorgesehen war. Weil er beste Beziehungen zum leitenden Beamten im Louvre, dem Architekten Jacques-Germain Soufflot (1713–1780), hatte, wurde dieses Verhalten längere Zeit geduldet. Beispiele aus Italien weisen in dieselbe Richtung. Ein gewisser Bartolomeo Anzidei etwa zog 1747 in das Notariatsarchiv in Castello di Francavilla, offensichtlich weil er bei sich zu Hause entweder zu wenig Platz hatte oder die Archivräume in besserem Zustand waren. Er scheute sich nicht, auch seinen Dokumente fressenden Hasen mitzunehmen. Immer wieder dienten den Menschen der Frühen Neuzeit die Archive als private Lagerräume oder als öffentliche Treffpunkte 170
für diverse soziale Aktivitäten, die von Theateraufführungen bis zum Glücksspiel reichten. Entsprechende Beschwerden aus verschiedenen kleinen Orten im Kirchenstaat belegen zusammen mit den Beispielen Anzideis und Coqueleys, dass Archivräume relativ umstandslos noch bis weit ins 18. Jahrhundert zu Privaträumen gemacht werden konnten. Die Architektur jedenfalls wirkte nicht als eindeutige Grenze, die das verhindert hätte. Archive waren baulich zwar einerseits als klar abgegrenzte Raumstrukturen konzipiert, andererseits ragten private Lebensvollzüge mitsamt den entsprechenden Objekten und Praktiken in sie hinein. Solche Phänomene wurden vielerorts befördert, weil es auch mit der stabilitas loci und der räumlichen Integration der Archivzimmer häufig nicht weit her war. Auch die Geschlossenheit der Archivzimmer war in der Frühen Neuzeit häufig eher Wunsch denn Realität. Das Weimarer Depot war ,,in 2 Stücke und Orte zerrißen“, wie Tobias Pfanner 1697 notierte. Archivalien wurden häufig zerstreut in verschiedenen Zimmern aufbewahrt, obwohl die Theoretiker gegen diese Praxis argumentierten. Das galt selbst dort, wo die Bestände eher überschaubar waren. Postmortem-Inventare belegen, dass Adelige und Bürgerliche ihre Papiere oft nicht an einem Ort in ihren Wohnungen oder Schlössern konzentrierten. Die Benutzung frühneuzeitlicher Archive, etwa eine Recherche in Weimar, bedeutete deshalb in der Praxis meist den Gang von Zimmer zu Zimmer, etwa vom Gartenhaus zum Kammergewölbe und weiter zum Gewölbe beim Aufritt. Archive waren weder homogene noch exklusive Räume. Diese desintegrierten Zustände waren oft die Folge von praktischen Zwängen infolge eklatanter Raumknappheit, die beispielsweise in Paris um 1760 auch zu einer deutlichen Konkurrenz verschiedener Archive um Räumlichkeiten führte. Allerdings darf dieses pragmatische Argument nicht überbewertet werden, denn die Archive scheinen in der Frühen Neuzeit oft als beliebig verschiebbare Verfügungsmasse bei den Planungen der Obrigkeiten gegolten zu haben – ein Indiz für ihren teilweise noch sehr ambivalenten Status und ihre teilweise eher geringe Wertschätzung. In Weimar beispielsweise war die von Pfanner beklagte Zersplitterung das Ergebnis einer seit 1654 dokumentierten relativen Missachtung der gesamternestinischen Bestände. Damals wurde das Schloss neu gebaut, und man musste dazu das Gesamtarchiv verlegen. Ob es tatsächlich keinen anderen Ort für ein Zwischenlager gab als das feuchte und schädliche Quartier im fürstlichen Gartenhaus, sei dahin gestellt. Unbestreitbar ist dagegen, dass man sich in der folgenden Zeit 171
nicht gerade eifrig um Abhilfe bemühte. Die mehrfach versprochene Rückführung ins Schloss fand nur teilweise statt. So wurde nicht nur die schlechte Übergangslösung im Garten bis 1733 zum Dauerzustand, sondern das Gesamtarchiv wurde, da auch im Schloss noch Aufteilungen und weitere Raumrochaden vorgenommen wurden, in die von Pfanner beklagte zerrissene Situation gebracht. Jahrzehntelang kann keine Rede davon sein, dass die Herzöge ihren Akten dadurch Respekt gezollt hätten, dass sie für sie eigens eingerichtete, optimale Räumlichkeiten bereitgestellt hätten. In der Praxis richtete sich das Archiv oft nach dem Raum, nicht umgekehrt.
Ordnung entsteht im Raum: Archivmöbel Es waren (und sind) vor allem die Möbel, die für eine Ordnung der Archivalien im Raum sorgen. Schränke, Regale und Truhen sind für eine Geschichte des Wissens und der Wissensordnung, die gerade die Objekte und physischen Träger von Wissen miteinbeziehen möchte, von grundlegender Bedeutung. Denn die Ordnung von Wissen im Raum bedeutet immer den Einsatz von Hilfsmitteln der Raumstrukturierung. Ein Zimmer oder Gewölbe wird ab- und eingeteilt, um eine Systematik zu verwirklichen. Archivmöbel formen Archivarbeit und positionieren sie im Raum. Doch entgegen ihrer Wichtigkeit finden die ordnungsstiftenden Sammlungsmöbel in der Geschichtsschreibung nur selten die angemessene Aufmerksamkeit. Die Archivare und Archivschriftsteller der Frühen Neuzeit dagegen besprachen Art, Bedeutung und Rolle der Möbel sehr präzise und ausführlich. Georg Aebbtlin beispielsweise differenzierte 1669 genau, welche Form von Behältnis für welchen Typus Archivalie geeignet sei: Je nach Art der Dokumente konnten (oder mussten) diese entweder gelegt oder gestellt werden; er unterschied deshalb zwischen ,,beschlossene hohe Kästen“ und ,,offne Bücherständ“, also zwischen Schränken und Regalen. Erstere konnten in sich dann entweder durch Fächer oder durch Schubladen gegliedert sein. Johann Stephan Pütter wiederholte diese Einteilung etwa ein Jahrhundert später. Ein Punkt, den es bei der Raumstrukturierung durch Möbel aller Art zu beachten galt, war das rechte Maß zwischen Detail und Überblick. Da (Schub-)Laden, Klappen, Türen oder Fächer unweigerlich Beziehungen zwischen manchen Archivalien herstellten und gleichzeitig 172
zwischen anderen zerstörten, war hierauf unbedingt Acht zu geben. Waren große Schrankwände vorzuziehen oder lieber einzelne, kleinere Schränke? Große Fächer oder eher kleinteilige Schubladen? Eindeutige Vorschriften konnte man kaum geben, war dies doch eine Frage der Ordnungskategorien, die wiederum stark von der Struktur der zu ordnenden Archivalien abhingen. Doch eine gewisse Skepsis gegenüber allzu kleinteiligen Raumeinheiten sprach aus Tobias Pfanners Kritik von 1689 an den ,,würtz=Krähmer=mäßigen Schubladen, Kästen, Truhen“ im Weimarer Archiv. Damit konnte er nur eine Aufbewahrungspraxis meinen, die einerseits kleinteilig war, andererseits auf geschlossene Behältnisse setzte, wie sie etwa in den Kabinetten von Apothekern oder Gewürzhändlern üblich waren. Auch Pierre Camille Le Moine verabscheute die ,,alte“ Praxis, ,,tausend kleine Fächer“ einzurichten. Angesichts der physischen Gestalt vieler Faszikel und Kodizes war offensichtlich eine gewisse Großzügigkeit der Raumstrukturen angebracht. Die größte Angst hatte Le Moine vor einem (fiktiven) Archiv, das in so viele Fächer eingeteilt war wie es Aktenstücke gab. Ähnlich wie bei der paradoxen Landkarte im Maßstab 1:1, die der argentinische Romancier José Luis Borges imaginierte, wäre hier keinerlei zusammenfassende Übersicht mehr möglich gewesen. Dass solche Befürchtungen der Autoren keineswegs unbegründet waren, zeigt etwa ein alter, aus dem 15. Jahrhundert stammender Archivschrank aus dem südfranzösischen Montpellier. Dort lagerten Archivalien tatsächlich in acht Abteilungen und insgesamt 116 Schubladen unterschiedlichsten Formats. Der Vergleich mit einem Apothekenschrank voller kleinformatiger Behältnisse war durchaus zutreffend. An dieser Stelle wird auch deutlich, dass Archivmöbel nach einer anderen Logik funktionierten als die Kabinett- und Ausstellungsschränke der barocken Kunst- und Wunderkammern, die ja mehr oder weniger gleichzeitig ihren Durchbruch in der europäischen Gesellschaft feierten. Im Unterschied zur Kunstkammer, deren Möbel ,,die verschiedensten Objekte kunstvoll und geschickt verschachteln“ sollten, ging es bei Archivmöbeln gerade nicht um ein spielerisches ,,Überraschungsmoment“ durch unvorhersehbares Kombinieren der enthaltenen Dokumente. Beim Aufbewahren von Akten und Urkunden ging es nicht wie in Kunst- und Wunderkammern darum, durch ein inszeniertes Zur-Schau-Stellen Staunen auszulösen und ein assoziatives Gespräch zwischen den eingeladenen Betrachtern in Gang zu setzten. Die Archivschränke hatten deshalb zum einen nicht den künstlerischen Anspruch der Kabinettschränke, die selbst häufig bereits zum Reprä173
Abbildung 12: Schema eines Archivschranks von Christoph Fischer.
sentationsobjekt wurden und überaus kostbar gearbeitet waren. Zum anderen hatten Archivschränke im Vergleich zu den teilweise exquisiten Raumstrukturen der Kunst- und Wunderkabinette eine relativ einfache Gliederung. Christoph Fischer, der die Einrichtung eines gutsherrlichen Archivs beschrieb, schlug einen simpel strukturierten Schrank mit 47 Fächern vor, wobei er zwar die Kriterien, nicht aber die Reihenfolge der Fächer genau festlegte (Abbildung 12). Etwas komplexer waren die Raumstrukturierungen, die Archivmöbel nach Ansicht des französischen Autors Pierre Camille Le Moine vornehmen konnten: Türen, die Schrankteile oder ganze Schränke abschlossen, könnten das Archiv ,,allgemein“ thematisch gliedern, während die (Schub-)Laden hinter den Türen eine ,,Feingliederung“ vornähmen. Die (Flügel-)Türen und die Schubladen würden also unterschiedliche Gliederungsebenen des Archivs visualisieren (Abbildung 13). In Fischers und Le Moines Diskussion dienten der Schrank und seine Fächer zunächst einmal als konzeptionelles Hilfsmittel, um den Lesern die Notwendigkeit und Art einer gliedernden Archivordnung vor Augen zu führen. Entsprechend betonte Fischer auch, Zahl und Titel der Fächer müssten natürlich von Fall zu Fall dann konkret variiert werden. 174
Abbildung 13: Schema eines Archivschranks von Pierre Camille Le Moine.
Der Schrank war ein mentales Instrument, um Ordnung zu denken und zu entwickeln. Entsprechend war das ,Legen in Fächer‘ in der Anleitungsliteratur der 1770er Jahre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Verwandlung ungeordneter seigneuraler Dokumentbestände in Serien diskreter, das heißt bekannter und dadurch klar zu verzeichnender, Aktenbündel. Doch Schränke halfen als Möbel der Wissenseinteilung nicht nur bei der Erzeugung von Ordnung. Sie hatten darüber hinaus eine ganz zentrale praktische Funktion beim Finden von Unterlagen im Alltag des Archivars. Schränke erleichtern die Orientierung im Raum. Wenn man weiß, dass der gesuchte Band im ,,Schrank A“ zu finden ist, reduziert sich die Zeit der Suche. Die Effizienz von Archiven hängt nicht nur davon ab, dass ein Inventar (möglichst) alle Akten in einer einleuchtenden inhaltlichen Ordnung zusammenfasst und dem Benutzer vorstellt – dadurch wird es möglich zu sehen, welche Akten vorhanden sind und welche benutzt werden sollen. Darüber hinaus ist es jedoch auch notwendig, die gewünschten Bände möglichst schnell und problemlos im Raum aufzufinden. Die Liste aller Archivalien muss mit einer Liste ihrer 175
Standorte kombiniert werden. Kurz gesagt: man muss nicht nur wissen, welche Einzelstücke zu welchem Thema vorhanden sind, sondern auch, wo jedes Dokument lagert. Schränke erleichtern diese Lokalisierung von Akten im Raum. Allerdings muss dazu die Verbindung von Schrank und enthaltenen Dokumenten eindeutig und evident sein. Es muss erkennbar sein, welcher Schrank welche Akten enthält. Das ist umso wichtiger, wenn Schränke verschlossen sind, da nun kein schneller Blick auf die beschrifteten Rücken der Archivalien möglich ist, denn bei geschlossenen Türen sind die Akten selbst ja unsichtbar. Es gab zwei Möglichkeiten, auch unter solchen Umständen die präzise und zügige Identifikation der Archivschränke sicherzustellen: eine Möglichkeit bestand darin, in der einen oder anderen Form kurze Inhaltsübersichten auf die Vorderseiten der Schränke zu notieren. Wenn man im Archiv vor den Schränken stand, konnte man durch solche kurzen Hinweise relativ schnell herausfinden, welchen Schrank man zu öffnen hatte. Als man um 1725 in Paris das Lehnsarchiv der Chambre des Comptes verzeichnete, schrieb man beispielsweise ein (sehr grobes) Inventar direkt in Zeichnungen der Schränke (Abbildung 14). Andernorts wurden diese Informationen auf die Schränke aufgebracht, indem man Kurzfassungen der Inventare auf die Türen schrieb oder klebte. Die Assemblé du Clergé in Frankreich ließ vermutlich 1780 auf Pappe knappe Übersichten über die Inhalte ihrer Archivschränke anfertigen, die dann mittels einer Schnur an den Schrank gehängt wurden. Durch einen glücklichen Zufall haben sich diese Gebrauchs- und Wegwerfgegenstände des Archivs, ohne die doch eine Nutzung unmöglich wäre, bis heute erhalten. Die zweite Möglichkeit bestand darin, nicht den Inhalt auf die Schrankvorderseite zu notieren, sondern die Schränke mit abstrakten Zeichen – etwa Ziffern oder Buchstaben – zu markieren. Das Inventar musste dem Archivar dann mitteilen, in welchem Schrank sich das gewünschte Stück befand. Nach Meinung mancher Autoren hatte dies den Vorteil, dass das Archiv (bzw. die Archivschränke) selbst keinen Hinweis auf seine Inhalte bot. Verschlossene Schränke ohne Inventare an ihren Türen blieben ohne zusätzliche Findmittel wirkungslos und unbenutzbar, wie etwa Theodor Reinkingk hervorhob. Autoren wie er sahen die Unsichtbarkeit der Akten hinter den wissensordnenden Schranktüren als Vorteil an, weil sie das Geheimnis des Archivs schützte. Andere Archivare waren gegenteiliger Ansicht und fanden dies zu kompliziert. Sie suchten deshalb nach Alternativen für die undurchsich176
Abbildung 14: Übersicht über Bestände in einer Skizze der Archivschränke, Paris, Chambre des Comptes, ca. 1725.
tigen Türen. Immer wieder versuchte man, das strukturierende Potential der Schränke zu erhalten, ohne die Konsequenz der Unsichtbarkeit des Inhalts in Kauf nehmen zu müssen. Manchmal kamen Schränke mit gläsernen Flügeltüren zum Einsatz, wie sie in den Kunst- und Wunderkammern seit der Mitte des 18. Jahrhunderts immer populärer wurden. Vermutlich als Ersatz für diese kostspielige Lösung setzte man in Mainz auf ,,vergitterte Schränke“, also wohl auf Schränke, deren Türen durchsichtige Holz- oder Eisengitter waren, wie das seit dem 17. Jahrhundert auch für Bibliotheken bekannt war. Auch in der bereits besprochenen Darstellung (Abbildung 7) des Bologneser Archivs sind auf der rechten Seite solche Gitter zu sehen. Archivmöbel sollten insgesamt also unterschiedliche, potentiell widersprüchliche Aufgaben erfüllen: Durch Raumstrukturen, gerade durch Türen, wurden bestimmte Sinneinheiten im Archiv geschaffen. Zugleich entzogen die verschlossenen Schränke die enthaltenen Akten allerdings dem Blick des Betrachters. 177
Abbildung 15: Archivkiste ,,Archivum Synodi Montensis“ 1689
Angesichts des Organisationspotenzials der Schränke und Regale waren sich die frühneuzeitlichen Menschen des Archivs darüber einig, dass die Truhe als klassische Behältnisform für Urkunden obsolet geworden war. Lange Zeit hatten einfache Kisten zur Aufbewahrung von Akten gedient und noch lange wurden solche Möbel zu diesem Zweck in Auftrag gegeben (Abbildung 15). Dennoch gilt die Frühe Neuzeit zu Recht möbelgeschichtlich als Übergang von Truhen zu Schränken, auch und besonders im Bereich der Archive. Allerdings hatten Kisten aus der Perspektive der Archivare doch einen entscheidenden Vorteil: Im Gegensatz zu großen Schränken waren sie bei Bedarf mobil und konnten bei Gefahr leicht in Sicherheit gebracht werden. Noch 1736, als man von Kisten vielerorts längst abgekommen war, schlug der Archivar der Hansestadt Rostock deshalb die Rückkehr zu dieser Aufbewahrungsweise vor: ,,Sind unsere löbliche vorfahren stets gewohnt gewesen, die vornehmsten Stadt-Privilegia, welche anjetzo unter verschiedene rubriquen vertheilet liegen [. . . ] in einen kleinen und zum wegtragen geschickten Kasten aufzubehalten, damit man selbige bey etwa entstehender feuersbrunst, oder gefährlicher Krieges= und Stadt=Unruhe ohne weitläuffigkeit fortbringen und salviren möchte, daher E.F. Rahts Entschluß mir ausbitten muß, ob nicht in Zukunfft es eben so und beständig damit gehalten werden soll.“
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Johann Stephan Pütter versuchte kurz darauf ebenfalls, Kisten und Schränke gegeneinander abzuwägen. Während Truhen ,,unbequem zum Gebrauch“ seien, so hätten sie doch den ,,einzigen Vortheil, daß man sie im Fall der Noth kann wegschleppen lassen“. Als Lösung des Dilemmas schlug er eine Art Modulsystem für Schränke vor: ,,Hingegen können auch Schränke so gemacht werden, daß man sie Stückweise von einander heben, und mittelst angehefteter Handhaben ebenfalls von einem Orte zum andern bringen kann.“ Auf diesem Weg sollten beide Ansprüche befriedigt werden, die gebaute Raumordnung des Schrankes und die Mobilität der Fluchtkiste. Wie dies genau aussehen sollte, sagte Pütter nicht. Doch gefertigt wurden solche tragbaren Raumstrukturen in der Tat, und zwar in der Form von zerlegbaren Schränken, die in Deutschland seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts belegt sind. Für das Trarbacher Archiv beispielsweise wurde 1740 ein Schrank mit zwölf Schubladen gebaut, der so beschaffen war, ,,daß man solchen in noth fall mit sambt den acten fort tragen kan“. Bis heute haben sich zahlreiche frühneuzeitliche Archivmöbel erhalten. Oft handelt es sich dabei um großflächige Ensembles, die für das jeweilige Archiv gebaut wurden und den vorhandenen Raum optimal ausnutzten. Häufig wurden dabei die Wandflächen vollständig mit Einbauschränken ausgefüllt, wie das auch die eben bereits besprochenen Darstellungen der Archivräume von Bologna und Mainz nahelegten. Im Archivraum des Freiburger Rathauses von 1553 wurden die Wände vollständig mit 278 Schubladen unterschiedlicher Größe bedeckt (Abbildung 16). In Rothenburg ob der Tauber führte, wie in vielen anderen Archiven, die Eingangstür durch den Archivschrank hindurch (Abbildung 17). Im Archiv von Schloss Weikersheim wurden die Wände des Archivs im frühen 18. Jahrhundert ebenfalls vollständig möbliert. Auf diese Weise kleidete das Archiv seinen architektonischen Raum an den Wänden wie eine Innenhaut vollständig aus. Die Raumstrukturen des Gebäudes prägten zwar die Gestalt der Schränke und Schubladen, wurden von den Möbeln optisch aber stark zurückgedrängt. Die andere, wesentlich weniger aufwendige innenarchitektonische Lösung zur Möblierung von Archiven bestand darin, einzelne freistehende Schränke nach Bedarf aufzustellen. Auch hierfür lassen sich zahlreiche Beispiele finden, die mindestens ins 15. Jahrhundert zurück reichen wie im Falle zweier Zürcher Schränke. Ein besonders spektakuläres, allerdings auch sehr ungewöhnliches Beispiel für die Entwicklungsfähigkeit des Möbeltyps Archivschrank ist ein Objekt aus dem königlichen Kloster Tordesillas in Spanien. Dort wurde der 179
Abbildung 16: Archivgewölbe in der Freiburger Gerichtslaube.
Archivschrank erweitert zu einem begehbaren Archivcontainer. Dieses Möbel war Arbeitszimmer, Archivraum und Aktenschrank zugleich (Abbildung 18). Die Lösung, einzelne freistehende Möbel zur Lagerung von Dokumenten zu benutzen, bot sich insbesondere dann an, wenn der aufzubewahrende Bestand zu klein war, um einen ganzen Raum zu füllen. Das wird gerade bei privaten Archiven, wie wir sie im zweiten Kapitel bereits kennen gelernt haben, häufig der Fall gewesen sein, aber auch bei Institutionen oder Einrichtungen mit überschaubarer Schriftlichkeitskultur. In solchen Umständen war der einzelne Schrank mit dem Archiv identisch, und verschiedene Beispiele belegen, dass solche Schränke dann direkt als ,,Archiv“ bezeichnet und entsprechend beschriftet wurden. Ein Schrank des Klosters Isenhagen bei Lüneburg aus dem frühen 18. Jahrhundert trug die Aufschrift ,,Kloster Archiv“ und ein noch etwas späteres Möbel aus Utholm war mit ,,Archiv des Evershop und Utholmischen Landgericht“ bezeichnet (Abbildung 19). In solchen Fällen teilte das Archiv mit anderen Gegenständen ein Zimmer, das folglich mehrere Funktionen hatte. Ganz wörtlich ragte das Archiv, zumindest in der Form des Archivmöbels, hier täglich in die 180
Abbildung 17: Archivschrank im Stadtarchiv Rothenburg/Tauber.
Lebens- und Arbeitsumwelt der Menschen hinein. Entsprechend war kaum zu vermeiden, dass das Archiv(-möbel) dann auch bestimmte repräsentative Aufgaben übertragen bekam. Deshalb wurde in solchen Fällen mehr Aufwand mit Gestaltung und Schmuck der Schränke betrieben. Die Zürcher Kästen waren aufwendig bemalt, nicht zuletzt wohl deshalb, weil sie in der Sakristei des Münsters standen. Der Utholmische Schrank, so gebrauchsorientiert seine aus einfachen Fächern bestehende Inneneinrichtung auch war, lässt in seiner äußeren Gestalt doch eine ästhetische Annäherung an den Geschmack des Empire in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erkennen. Auch das Archiv sollte mit der Mode gehen, zumal wenn es in öffentlich sichtbaren Räumen stand. Bei der Möblierung der Archivräume ist schließlich noch auf einen letzten Punkt einzugehen. Damit Archive als Wissensorte benutzt werden konnten, mussten akzeptable Arbeitsmöglichkeiten gewährleistet werden. Nicht nur die Sicherung und Ordnung, sondern auch die Bearbeitung der Archivalien und ihre Transformation in aktualisierbares Wissen bedurften spezifischer Möbel. Ohne Tische konnte aus Archivalien nur schwerlich Wissen werden. Nicht umsonst waren sowohl 181
Abbildung 18: Mobiles Archivzimmer aus Tordesillas.
die Bologneser Archivare als auch Stephan Alexander Würdtwein in den oben besprochenen Darstellungen an Tischen oder Schreibpulten dargestellt (Abbildungen 7 und 8). Wo akzeptable Arbeitsflächen fehlten (oder dem Benutzer absichtlich verweigert wurden), war die Archivarbeit schwer oder unmöglich. Gerade über diesen Punkt beklagte sich beispielsweise Jean Doat in Frankreich regelmäßig, als er für Ludwig XIV. durch die Archive des Landes reiste. ,,Kleine, dunkle und unbequeme“ Arbeitsmöglichkeiten verhinderten jeden Erfolg. In vielen Archiven der Frühen Neuzeit waren die Schreibtische noch nicht in eigene Räume ausgelagert. Eine Trennung von Magazin und Lesesaal fand in frühneuzeitlichen Wissensorten generell noch kaum statt. Im Weimarer Archivplan von 1734 (vgl. Abbildung 9) scheint allerdings das runde Turmzimmer bereits allein dem Zweck vorbehalten zu sein, ,,daß Acta in Ordnung gebracht werden können“. 182
Abbildung 19: Schrank aus dem Archiv des Evershop und Utholmischen Landgericht, 18. Jahrhundert.
Neben dem Tisch ist auf dem Weimarer Plan noch ein zweites Möbelstück erwähnt, von dem ebenfalls wesentlich abhing, ob die Menschen des Archivs die aufbewahrten Dokumente in Wissen verwandeln konnten: ein Ofen, der sicherstellte, dass nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter angenehme Temperaturen herrschten. Dies war nicht nur für das körperliche Wohlbefinden der Besucher entscheidend, sondern auch für das Funktionieren von Schreibzeug. Bei gefrorener Tinte war Archivarbeit unmöglich. ,,Im Winter“, so meinte darum Leibniz, ,,kann man die Zeit im Archiv kaum sinnvoll nutzen“. Obwohl man zum Heizen innerhalb des Archivs Feuer machen musste, befürworteten zwar nicht alle, aber doch die meisten Betroffenen deshalb den Einsatz von Öfen. 183
Ein „Schiff voller Acten“, oder: Archivmobilität in der Frühen Neuzeit Der architektonische Blick auf Archive suggeriert Statik und Sesshaftigkeit, selbst wenn in Form der erwähnten Fluchtkisten eine gewisse Mobilität erhalten bleiben sollte. Das Archiv als Schutz- und Ordnungsarchitektur für Schriftstücke verkörperte und begründete die wachsende Skepsis gegenüber der ,,hin: und her Transportirung“ von Dokumenten, die je länger desto mehr als schädlich galt. Akten sollten durch Aufbewahrung in eigenen Räumlichkeiten von den Vorteilen einer stabilitas loci profitieren. Im Innenraum des Depots oder in seiner unmittelbaren Nachbarschaft waren die Schriftstücke zwar weiterhin mobil, doch es waren idealerweise nur noch kurze Strecken, die sie auf dem Weg zur Ratsstube, in das Amtszimmer eines Ministers oder an den Schreibtisch des Historikers zurücklegten. Und selbst diese Zirkulation von einzelnen Dokumenten (und Menschen) im, aus dem und durch das Archiv sollte möglichst kleinräumig und kontrolliert sein. Die zahlreichen Bestimmungen über und gegen das Ausleihen von Urkunden und Akten belegen das. Das Archiv als Bauwerk sollte die Bewegung von Schriftstücken wenn auch nicht völlig einstellen, so doch beschränken und überwachen, dosieren und organisieren. Doch einzelne Dokumentbestände und ganze Archive waren in der Frühen Neuzeit weitaus mobiler, als es ihre statische Unterbringung in Zimmern, Gewölben und hinter Türen vermuten lässt. Akten waren und blieben bis ins 18. Jahrhundert hinein in einem häufig erstaunlichen Maße beweglich. Zum einen haben wir schon beobachtet, dass Monarchen in Frankreich und Deutschland noch im 16. Jahrhundert gerne größere Aktenbestände auf Reisen mit sich führten. Zum anderen wurden Dokumente in der Frühen Neuzeit routinemäßig und ganz selbstverständlich aus administrativen Gründen zwischen Archiven und Regierungsbehörden hin und her bewegt. Zwischen den beiden benachbarten Grafschaften Sayn beispielsweise wurde in den 1740er Jahren eine Art regelmäßiger Aktenverkehr auf wöchentlicher Basis aus dem Gemeinschaftsarchiv in Hachenburg nach der Kanzlei in Altenkirchen eingerichtet. Auch sonst wurden Archivalien und aktuelle Gebrauchsakten vielerorts umstandslos verschickt und transportiert. Aktenversendung war ein wesentlicher Bestandteil der juristischen Praxis der Frühen Neuzeit, etwa bei den Hexenprozessen. Boten, Fuhrwerke und Lastkähne bewegten Papiere und Pergamente in gro184
ßem Stil. Frühneuzeitliche Archivkultur prägte in dieser Hinsicht auch den Raum zwischen den einzelnen Depots. Manchmal wurden sogar ganze Archive bewegt. Dafür konnte es die unterschiedlichsten Gründe geben. Oft war die Verlegung Folge einer administrativen Veränderung. In Dombes in Frankreich wurden 1772 erhebliche Summen ausgegeben, als es um den Transport von Archiven ging, den man im Zuge der Neustrukturierung der regionalen Gerichtsbarkeit für unverzichtbar hielt. Häufig erfolgte die Verpackung und Verlagerung ganzer Archive allerdings in Reaktion auf externen Druck hin. Besonders bei Kriegsbedrohung wurden auch umfassende Bestände sicherheitshalber umgebettet. 1693 wurden in Ansbach nicht weniger als 76 Wagen mit Akten beladen und abtransportiert. Häufig ging es bei solchen Fluchten drunter und drüber. Wenig koordiniert verlief die Verladung des Konstanzer Bistumsarchivs 1633 auf Schiffe, um über den Bodensee vor den Schweden in Sicherheit gebracht zu werden. Binnen nur weniger Stunden wurden auch Anfang Juli 1683 wichtige Reichsakten und große Teile des Hausarchivs der Habsburger eingepackt und zusammen mit dem kaiserlichen Schatz unter beständiger Gefahr nordwestwärts Richtung Passau geflüchtet, als der Vormarsch der Türken unaufhaltsam schien. Und die schmeichelhafte Darstellung, die der Archivar Johann Baptist Kissel aus Mainz von seinen eigenen Maßnahmen zur Rettung des erzkanzlerischen Archivs 1792 vor den anrückenden Franzosen gab, ist an Abenteuerlichkeit kaum zu übertreffen. In der ,,allerseitigen verwirrung“ habe allein er die Übersicht bewahrt und die Akten auf ein Schiff verladen. Zunächst ging es den Rhein abwärts bis Amsterdam, später wieder zurück ins Mainzische nach Aschaffenburg. Dort überdauerte das Archiv die Kriegswirren, ehe es nach den Napoleonischen Kriegen schließlich in Wien anlangte. Etwas geregelter ging es bei der Flüchtung des Reichskammergerichtsarchivs im Krisenjahr 1681 zu, als sich die französischen Truppen Ludwigs XIV. dem Amtssitz des Gerichts in Speyer bedrohlich näherten. Ein ,,Schiff voller Acten“ flüchtete man damals nach Frankfurt. Über diesen Vorgang existieren genaue Angaben, aus denen die Schwierigkeiten des Einpackens und die Gefährlichkeit des ganzen Vorgangs deutlich werden. Archivalien wurden in der Frühen Neuzeit bevorzugt in Kisten oder Fässern transportiert. Um diese transportgeeignet zu machen, bestand man häufig darauf, sie zusätzlich mit ,,Wachstuch“ einzuschlagen sowie mit starken Schlössern zu sichern. Schon die Beschaffung oder Neuanfertigung dieser Verpackungsmittel konnte 185
eine Herausforderung darstellen und war in jedem Fall eine logistische Leistung. War dies geschafft, mussten Gefährte besorgt werden. Bei Verlegung über Land waren Karren und Zugwerke notwendig, doch generell wurde trotz der Gefahr des Wassers eine Bewegung per Schiff bevorzugt. Dazu musste man freilich erst einmal geeignete Boote und ,,erfahrene“ Kapitäne und ,,Schiffführer“ finden, was beispielsweise 1633 in Konstanz offensichtlich schwierig war. Bei der Verlegung des Reichskammergerichtsarchivs absorbierte allerdings nicht die Logistik des Transportes selbst, sondern der Prozess des Einpackens die meiste Aufmerksamkeit. Wenn hier etwas schief ging, so befürchtete man, würde das Archiv nach dem Auspacken unbenutzbar. Es ging darum, die inhaltliche und räumliche Ordnung der Speyrer Akten während des Transports aufrecht zu erhalten, um sie am Zielort – und idealerweise bei der Rückkehr nach Speyer – ohne neue Inventarisierung wiederherstellen zu können. Dazu wurden die offensichtlich alphabetisch bezeichneten Prozessakten mit Körben zunächst aus den Archivgewölben herausgeholt, und zwar in umgekehrter Reihenfolge. Akten mit der Signatur ,,Z“ mussten zuerst eingepackt werden, da sie zuletzt auszupacken waren, so betonten die einschlägigen Anweisungen. Jeder Korb Akten, der aus den Regalen und Schränken entnommen wurde, wurde in einem eigenen Register verzeichnet, und jedes volle Fass bekam oben hinein eine Übersicht über die enthaltenen Akten, ihre Signaturen und ihren Lagerort in Speyer. Anschließend konnte das jeweilige Fass verschlossen werden. Auf den Deckel wurde eine laufende Nummer sowie die Nummer des Speyrer Archivraums notiert, aus dem die Akten kamen, um die Kisten später wieder eindeutig zuordnen zu können. Waren genug Kisten gepackt, um ein erstes Schiff voll zu laden, begann der eigentliche Transport. Auch hier gab es zahlreiche Möglichkeiten für Pannen und Schwierigkeiten. Als 1698 noch einmal Speyrer Akten verlagert wurden, herrschte gerade ein Streit der Stadt mit dem dortigen Bischof. Dieser setzte das Schiff mit den Unterlagen aus dem Stadtarchiv an einer seiner Zollstellen am Fluss kurzerhand fest. Noch ärger erging es dem Bischof von Konstanz, als er 1633 sein Archiv vor den anrückenden Schweden über den Bodensee schaffen wollte: Das Schiff mit seinem Archiv und Schatz segelte geradewegs den Schweden in die Hände und wurde von diesen beschlagnahmt. Angesichts dessen nimmt es nicht wunder, dass manche Archiveigentümer ihre Akten nur mit bewaffnetem Geleit versenden wollten. Im Januar 1733 jedenfalls forderte der Prior des französischen Benediktinerklosters in 186
Mauriac eine solche Eskorte, um die Sicherheit seiner Archivalien zu gewährleisten. Er vermutete einen Überfall auf die Klosterunterlagen – seinem Wunsch wurde entsprochen. Am Ende zeigt sich also, dass das Ideal einer archivischen stabilitas loci in der Realität häufig mit einer beträchtlichen Mobilität der Akten konkurrierte. Es kann zwar kein Zweifel daran bestehen, dass man in Europa seit dem Mittelalter in wachsendem Maße dazu überging, Papiere und Pergamente stabil an dafür vorgesehenen Orten zu lagern. Ein Grund dafür lag zweifellos in der Verletzlichkeit der Dokumente. Hinzu kam, dass die Kodizes und Aktenbände äußerst unhandlich waren. Diesen Existenzbedingungen von Schriftlichkeit trugen die Archive als Raumstrukturen architektonisch Rechnung. Sesshaftigkeit war Voraussetzung und Folge dieser Entwicklung zugleich. Allerdings darf der Erfolg dieser Maßnahmen nicht überschätzt werden. Häufig mangelte es an Kenntnissen oder Engagement, um die Pläne und Anregungen der Theoretiker umzusetzen. Auch die Beweglichkeit von Archivalien blieb ungeachtet aller Tendenzen zur Immobilität beachtlich. Transportiert wurden Akten aus unterschiedlichen Gründen, doch immer trat gerade an diesem Punkt noch einmal der Objektcharakter des Archivs hervor. Beim Transport zeigten sich seine materiellen Eigenschaften deutlich: Europäische Schriftlichkeit, wenn man sie zur Hand nehmen sollte, verpacken musste oder verschiffen wollte, war fragil und gefährdet, schwer und unhandlich.
Anmerkungen
Zit. bei Feutry: Sauver les Archives, S. 248. Zur Überlieferungs-Chance als heuristischem Konzept vgl. v.a. Esch: Überlieferungs-Chance Noch immer anregend zu den kulturellen Konsequenzen, die sich aus der Wahl bevorzugter Beschreibstoffe ergeben, Innis: Empire and Communications. Anekdotisch und reichhaltig z. B. Heydenreich: Städtische Archivbauten. Zur späteren Entwicklung Leiskau: Architektur. Bachelard: Poetik des Raumes. Zur Körperlichkeit als wichtiger Kategorie des Praxis-Begriffs vgl. Reichardt: Praxeologische Geschichtswissenschaft. Mit ähnlichen Fragen zu frühneuzeitlichen Bibliotheksräumen Wagner: Architekturen des Wissens. ThHStA Kunst und Wissenschaft 10868, fol. 1r –2v . StA Gotha SS X 67, unfol. (Kunkel an Herzog, 13.5.1719). Coxe: Travels, I, S. 293. Vgl. dazu auch Hoffmann: Gerhard Friedrich Müller, S. 272.
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Allerdings benutzte man in Versailles angesichts der enormen Dimensionen große Mengen an Eisen, um die Deckengewölbe zusätzlich zu sichern. Espie: Manière, S. ij–iv kritisierte dies als ,,inutile“ und als unbeholfene Übernahme seiner Methode. Espie: Abhandlung von unverbrennlichen Gebäuden. Espie: Manière, S. ij–iij. Vgl. zum Versailler Archiv v.a. Béchu: ,,Mes archives“. Baudez (Hg.): Les hôtels, S. 17–20, 48–56. ThHStA Kunst und Wissenschaft 10697, fol. 34r (Weimar an Altenburg, 30.4.1623). ThHStA Kunst und Wissenschaft 10869, passim. ,,kellergewölb“: vgl. z. B. ThHStA Nachlass Hortleder 13, unfol. (nach fol. 33r ), 73v f. uvm. Unterirdische Lagerung und Detailangabe in ThHStA Kunst und Wissenschaft 10706, fol. 18r –22r . Collin: Le trésor des chartes, S. 285. Mariée: Traité des Archives, S. 96. Mariée: Traité des Archives, S. 82–84. Fladt: Anleitung, S. 123f. ThHStA Kunst und Wissenschaft 10697, fol. 39r . Ludovici: Einleitung Zum Civil-Proceß, S. 321. Espie: Manière, S. 17. Er erwähnte dies, um für seine voûtes plates zusätzlich Werbung zu machen, da diese für Nagetiere keine Öffnungen enthielten. So z. B. Etienne Baluze, zit. bei Gillet: Étienne Baluze & l’histoire du Limousin, S. 71. Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. 178f. Zit. nach Koch: Archivierung, S. 64. Vgl. AD Saône-et-Loire C 454, unfol., v.a. das Dokument vom 26.4.1727. ThHStA Kunst und Wissenschaft 10869, fol. 8r-v (1724). Fletcher: The Repair. Mercati: Cenni, S. 131. Vgl. a. die Erwähnung von Gehilfen zur Restaurierung in NLB XLII 1931, unfol. (§12) als Bestandteil einer idealen Bibliothek. Vgl. z. B. de Rodríguez Diego: Estudio, S. 109. FB Gym 5, fol. 4r-v : ,,Vetustas et incuria possessorum plerasque male laceraverant; sed sanandas curauimus per bibliopegam“. Pillich: Staatskanzler Kaunitz, S. 103 zu einem gewissen Luigi Zecchini. LHA Koblenz 30/176, passim (Altenkirchen 1731). AN 7 G 1317, unfol. (nr. 9, Aix-en-Provence 1682). Diese Stiche sind reproduziert z. B. in Béchu: ,,Mes archives“. Baudez (Hg.): Les hôtels, S. 275–277. Zu dieser Abbildung vgl. Lutz: Ein Mainzer Archiv. Dort wird fälschlicherweise behauptet, das Rollen von Akten/Urkunden sei fiktiv, vgl. dagegen z. B. Fladt: Anleitung, S. 102, 117. Frühe Beispiele sind der Pforzheimer Archivturm (um 1550/60) und der Anbau an das Stuttgarter Schloss von 1558, vgl. Leiskau: Architektur, S. 14–21, und Wolf: Archivbau als Fachaufgabe, S. 135–139. In Wertheim wurde 1742 ein Neubau errichtet, Müller: Negotia communia, S. 306–310. Entsprechend nichts zum Thema bei Pevsner: A history of building types. Das bedeutet nicht, dass nicht gelegentlich Archive mit städtebaulichen Maßnahmen in Konflikt kamen, 1754 ließ Ludwig XV. z. B. während der Sedisvakanz in Metz das Bischofsarchiv unter chaotischen Umständen abreißen, um eine neue Straße zu bauen, vgl. AN 154/II AP 42, unfol. (nr. 19). Jung: Stadtarchiv, S. 237–240.
Dreher: Das Städtische Archiv zu Friedberg. Zitat BayHStA I Hst-Pas 1.1.1.1, fol. IVr als ausdrückliche Entgegensetzung von Akten und Urkunden. Vgl. hierzu a. Fladt: Anleitung, S. 116f. Wolf: Archivbau als Fachaufgabe, S. 136f. ASR Camerale II, notariato, busta 3, unfol. (Faszikel ,,Sito grande sopra la Cappella Pontificia del Sisto nel Vaticano. Per fare Archivij per le Congregationi e spesa che vi sara necessaria 1703“). ThHStA Kunst und Wissenschaft 10729. Einen solchen Fall – das Archiv des Klosters Salem am Bodensee – beschreibt Krimm: Ex archivo Christi. Zu den Bibliotheken vgl. Lehmann: Die Bibliotheksräume. Penz: Erinnern. Dort auch Farbtafeln. ThHStA Kunst und Wissenschaft 10708, z. B. fol. 17r-v (Weimar an Gotha, 27.6.1667), 18r –19v (23.6.1669, Gotha an Weimar). Auslöser war die Einstellung Tobias Pfanners 1687 als ernestinischer Gesamtarchivar, ThHStA Kunst und Wissenschaft 10868, fol. 14r –15r und StA Gotha SS II 36, fol. 84r –85v (Eisenach an Weimar, 27.4.1687). StA Gotha SS II 36, fol. 97r –98v (Weimar an Gotha, 14.6.1687). ThHStA Kunst und Wissenschaft 10868, fol. 7r –8v . Es kam zu Konflikten über die Finanzierung zwischen Weimar und Eisenach, vgl. ebd., fol. 16r –23v . Cavallo/Evangelisti: Introduction. Eine Vergitterung der Archivfenster erfolgte beispielsweise 1719 in Montpellier im Stadtarchiv, vgl. Castets/Berthelé (Hg.): Notices, S. CXXIX. Beschreibung und Baupläne in AN 8 G 772. AN 1 O 1617A , unfol. (mehrere Schreiben seines Widersachers Pierron, 1773). Zu den Protagonisten vgl. Valois: Introduction, S. cxlvii, und http://dictionnairejournalistes.gazettes18e.fr/journaliste/191-charles-coqueley-de-chaussepierre. Das Folgende zu Italien alles nach Friedrich: Notarial Archives, S. 458. ThHStA Kunst und Wissenschaft 10706, fol. 11r-v (Pfanner an Weimar, 7.7.1697). Sandri: Nicolo Giussani, S. 337: ,,aulae [. . . ] annexae et connexae“. Für einige Beispiele vgl. AD Saône-et-Loire J 572, unfol. AD Rhône 52 J 44, unfol. Als der Louvre um 1760 umgebaut wurde, kam es zu einem kleinen Ansturm verschiedener Archivbildner, u. a. der Chambre des Comptes, des Conseil d’Etat und der Pairs de France, vgl. AN 1 O 1617A , passim. Die Pairs de France – der französische Hochadel, der sich gerade erst als eine politische Gruppe organisiert und dazu ein eigenes Archiv gegründet hatte – beanspruchte standesgemäß die besten Räume für sich, vgl. das Memoire ,,Archives de la Pairie au Louvre“, ebd. Zu den Pairs vgl. Rogister: The defence, v.a. S. 123, 125, 127f. ThHStA Kunst und Wissenschaft 10706, passim. Vgl. aber Te Heesen (Hg.): Schrank. Aebbtlin: Anführung, S. 25–27. Pütter: Anleitung zur Juristischen Praxi, S. 285f. Hierzu ganz besonders Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. 18f. StA Gotha SS II 36, fol. 140r . Ganz ähnlich, nur konstruktiver, ebd., fol. 176v . Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. 18. Borges: Borges und ich, S. 121. Beschreibung und Abbildung bei Castets/Berthelé: Notice, S. XXV–XXVI, XXIX. Vgl. hierzu reich illustriert Laue (Hg.): Möbel. Die Zitate ebd., S. 16. Fischer: Fleißiges Herren-Auge II, S. 12–20 die Beschreibung, 21f. die Abbildung und Diskussion.
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Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. 18. Vgl. AN PP 90. Navarro Bonilla: La imagen del archivo, S. 89. AN 8 G 756, unfol. (erstes Faszikel). Reinkingk: Politisches Bedencken, S. 34. Z. B. im Archiv in Moskau, Coxe: Travels I, S. 293. Generell Te Heesen: Geschlossene Ordnungen. StadtA Mainz 3/17, S. 28. Lehmann: Die Bibliotheksräume, S. 30f., 187, 222 zu Bibliotheksschränken. Vgl. z. B. Heß: Danziger Wohnkultur, S. 128–161. Dort nichts zu Archiven. Fluchtkisten aus dem 18. Jahrhundert sind abgebildet bei Bernhardt (Hg.): Stadtgeschichte, S. 15. StadtA Rostock 1.1.22 Nr. 1, fol. 31v –32r . Pütter: Anleitung zur Juristischen Praxi, S. 285f. Ähnlich auch Fladt: Anleitung, S. 119f. Albrecht: Schrank – Butze – Bett, S. 45. LA Speyer B2 6719, fol. 3r . Dort auch zu den folgenden Angaben. Schwarz: Archivschränke. Vgl. a. die Skizze (15. Jahrhundert) der ,,aumaires de la Chambre de France“ im Archiv der Chambre des Comptes, abgebildet bei Langlois: Registres perdus, nach S. 44. Vgl. a. das Photo eines Archivschrankes aus Kloster Medingen bei Albrecht: Schrank – Butze – Bett, S. 59. Zu Isenhagen vgl. die Abbildung bei Albrecht: Schrank – Butze – Bett, S. 52. Vgl. essayistisch hierzu Bothe: Archivschrank. Omont: Doat, S. 292. Vgl. dazu noch einmal Wagner: Architekturen des Wissens, S. 275–280. AA I 17, S. 556. Kritisch z. B. Giussani, ed. Sandri: Nicolo Giussani, S. 339. Gegen einen Ofen im Trésor des Chartes wendet sich ein um 1770 entstandenes Mémoire in BnF Moreau 343, fol. 170r . Befürwortend und mit praktischen Details vgl. ThHStA Kunst und Wissenschaft 10869, fol. 1r –2v . ThHStA Kunst und Wissenschaft 10871 zu Holzlieferungen. StA Gotha SS X 46a, passim über Reparaturen am Ofen zur Steigerung der Sicherheit. LHA Koblenz 1C/1173, fol. 46v (Bestallung für Johann Christoph Fringh als Registrator, Trier (undat.)). Ich orientiere mich an Wagner: Architekturen des Wissens, und Schneider: Bücher und Bewegung. Der regelmäßig wöchentliche Amtsordonnanzbote war für den Transport vorgesehen, HesHStA 340/2320, fol. 64r-v (Regierung Altenkirchen an Regierung Hachenburg, 4.11.1747). Lorenz: Aktenversendung. Vgl. Keitel/Keyler (Hg.): Serielle Quellen, S. 35–41. AD Ain 42 B 23, unfol. (Procès verbal von 1772 mit vielen Rechnungen). Tröger: Die Archive, S. 126f. hierzu und zu vergleichbaren Aktionen. GLA Rep 82, 12, unfol. (v.a. einige undat. Schreiben zu Beginn des Akts). Pillich: Flüchtung, S. 143–145. Schicksal des Kurmainzischen Erzkanzlerischen Reichs= und Kreisarchivs in StadtA Mainz 3/18, unfol. Ediert bei Mathy (Hg.): Mainz, S. 126–131. Ebd., S. 4–27 ein Überblick über die Geschichte dieses Archivs. BAB AR/1/Misc 953, unfol. (23.12.1682). Ebd.: ,,Vertrag und Modus wie die gerichtliche acta einzupacken“. So Avemann 1737, HesHStA 340/2321, fol. 23r –24v .
Die folgenden Details und Zitate finden sich alle in BAB AR/1/Misc 953 und 955, passim. BAB AR/1/Misc 955, unfol. (RKG an Kurfürst von Mainz, 19.9.1698): Das Gericht möchte an einem ,,navigablen Fluss“ untergebracht werden. GLA Rep 82, 12, unfol.: ,,Mangel der Schiffen“, ,,mittelmäßiges Schiff “, ,,nit ein schiff der zeit ledig“. Die Verwicklungen und Streitigkeiten schildert Oberseider: Das Archiv der Stadt Speyer. GLA Rep 82, 12, passim zu den Details der schwedischen Festsetzung. Vgl. AD Puy-de-Dôme 1 C 7322, unfol. (nr. 21–24).
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(Ohn-)Macht Archive als Ressourcen, Symbole und Gegenstände von Herrschaft
Johannes Althusius, der berühmte deutsche Politiktheoretiker, zählte 1604 die Archive eines Gemeinwesens neben Weizenspeichern und Arsenalen zu den unverzichtbaren Infrastrukturen der Machterhaltung. Baldassare Bonifacio, der Pionier der italienischen Archivliteratur, schrieb, wie wir schon gesehen haben, 1632 ähnliches: Archive waren für ihn mindestens genauso mächtig wie Heer und Marine. Weil in den Schriftlichkeitsdepots die Rechtstitel eines Gemeinwesens lagerten, sahen diese beiden und viele andere Publizisten in den Archiven wirksame Instrumente zur Durchsetzung von – rechtlich abgesicherten – Herrschaftsansprüchen. Archive garantierten Machtpositionen. Viele moderne Autoren würden Althusius oder Bonifacio zustimmen, wenngleich von einem etwas anderen Standpunkt aus. Auch die Kulturtheoretiker und Historiker der Gegenwart sehen im Wissen eine wesentliche Ergänzung zu Waffen, wenn es um die Frage geht, wie und wodurch Kontrolle und Macht entstehen. Die Einbeziehung des Faktors Wissen in die Untersuchung von Herrschaftsbeziehungen ist einer der tragenden Pfeiler eines neuen, stärker kulturgeschichtlichen Verständnisses von Politik. Demnach ist es heute beinahe schon eine Selbstverständlichkeit, in der Sammlung von Wissen für administrative und politische Zwecke einen Ausdruck und eine spezifische Form von Macht zu sehen. Unter dem Schlagwort ,,Biopolitik“, das Michel Foucault geprägt hat, wird die organisierte Erfassung und Verzeichnung von Menschen in Volkszählungen, Steuerlisten und Adressbüchern untersucht. Die Kartographiegeschichte hat die Erstellung von Landkarten und Landesbeschreibungen als Herrschaftstechnik interpretiert. Eine enge Verbindung von Wissen und Macht wird von vielen Historikern mittlerweile als selbstverständlich unterstellt. Archive gelten als ein wichtiges, ja beinahe selbstverständliches Bindeglied zwischen Wissen und Macht. Sie enthalten jene Informationen (bzw. jene Dokumente, in denen zum Beispiel Bevölkerungszählungen oder Steuerdaten erfasst sind), auf denen Macht basiert. Bei Bedarf, so suggerierte die Archivrhetorik von Althusius oder Leibniz, stellen die Archive diese Kenntnisse dann den Herrschenden zur Verfügung. Viele moderne Interpreten scheinen diesem Modell im Grunde genommen immer noch und stärker denn je zu folgen. 193
Doch in der Forschung ist bisher kaum näher untersucht worden, ob und wie die Archive im Alltag von Politik tatsächlich diese Funktion ausüben und die hohen Erwartungen erfüllen konnten. Dieser Frage soll das folgende Kapitel an einzelnen Beispielen nachgehen. Weil Wissen in der Frühen Neuzeit häufig in einem archivischen Aggregatszustand vorhanden war, hängt sein tatsächlicher Einfluss etwa für Herrschaftsausübung von den konkreten Möglichkeiten und Erfolgsaussichten einer Archivbenutzung ab. Will man der Verbindung von Wissen und Macht auf den Grund gehen, muss nicht nur der Weg der Dokumente aus der Regierungspraxis in das Archiv, sondern auch der Weg von politischen Unterlagen aus dem Archiv heraus zurück in die Entscheidungsgremien verfolgt werden. Dabei wird sich zeigen: Archive (und das dort enthaltene Wissen) waren nicht einfach und selbstverständlicherweise Stützen der Macht, sie ließen sich jedoch durch mehr oder weniger großen Aufwand fallweise in solche transformieren. Archive waren nicht einfach Wissensorte der Macht, konnten aber durch komplexe Vorgänge der ,,Aktivierung“ dazu werden. Welche vielfältigen Formen einer solchen machtbezogenen Aktivierung es gab, auf welche Schwierigkeiten sie jeweils stießen und wie Archive unter dem Machthandeln frühneuzeitlicher Fürsten litten, möchte das folgende Kapitel darstellen.
Was darf der Fürst? Oder: Das Archiv der königlichen Gesetze Einer bekannten, etwas spöttischen Formulierung zufolge war das Ancien Régime der Vormoderne zunächst einmal genau das, was der Name sagt: eine Sozialordnung, die sich vorrangig durch historisch belegbare, individuelle Rechtsbeziehungen und Gewohnheiten, durch das ,alte Recht‘, konstituierte. Das galt auch für die Könige und Fürsten. Wo die Macht eines Herrschers anfing und wo sie aufhörte war nicht so sehr kategorisch definiert, sondern vorwiegend durch die Summe konkreter Abmachungen und akzeptierter historischer Beispiele beschrieben. Das Recht des Königs war nicht zuletzt das Gesamt aller Kompetenzen, die man ihm früher in einzelnen Fällen einmal nachweislich zugestanden hatte. Die Macht des Königs basierte darum, wie ein zeitgenössischer Beobachter zutreffend notierte, zu einem erheblichen Teil auf der ,,Aufbewahrung der Rechtstitel, welche die Autorität des Königs etablieren, 194
und die zugleich [umgekehrt] die Rechte von Korporationen, Gemeinschaften, Gemeinden bestimmen und deren Rechte, Rechtsgewohnheiten, Vorrechte festlegen“. Das erklärt, weshalb Archive in der Frühen Neuzeit eine prominente Rolle bei jeder Debatte um Herrschaftsrechte spielten und warum Könige und Fürsten ein wachsendes Interesse an den Archivrecherchen der Historiker hatten. Es gab zwar Stimmen vor allem im 18. Jahrhundert, die diese vergangenheitsbezogene Legitimation königlicher Macht für veraltet hielten. Doch aufs Ganze gesehen blieb die Bewahrung und Verfügbarmachung des historischen Reichtums königlicher Gesetzgebungstätigkeit in und aus den Archiven von größter Bedeutung. Enorme Anstrengungen wurden unternommen, um relevante Unterlagen zu sammeln. Doch die praktischen Schwierigkeiten, die sich mit solchen Unternehmungen verbanden, waren erheblich. Das Beispiel der französischen Könige ist hier sehr instruktiv. Die königliche Bürokratie in Paris versuchte seit dem Mittelalter – wie gesehen –, selbstreflexiv über ihre eigenen Tätigkeiten Buch zu führen. In der Tat stellten die Archivbestände der Hauptstadt eine sehr große Masse an königlichen Rechtstexten bereit, doch enthielten sie bei weitem nicht alles. Eine ,,unendliche Zahl“ an Gesetzen lagerte eben nicht in Paris. Außerdem befanden sich wichtige Archive in den Händen der Parlamente, mit denen die Monarchen zusehends in immer schärfere Konflikte verwickelt wurden. Der Zugriff darauf war zumindest sehr kompliziert. Schließlich waren die Archivbestände weder in Paris noch sonst im Reich angemessen erschlossen. Die Vorstellung von den Archiven als Grundlage und Ausdruck, Speicher und Verkörperung königlicher Macht blieb deshalb virtuell: ,,Frankreich war sehr fruchtbar in der Gesetzgebung und man kennt nur einen kleinen Teil davon“, so fasste der erfahrene Louis-Guillaume de Vilevault 1757 diese Virtualität treffend zusammen. Damit der König das Versprechen der Archive auf Herrschaftskonstitution einlösen konnte, bedurfte es administrativ-gelehrter Gewaltakte. Auf Anregung seines Kanzlers Louis de Phelypeaux de Pontchartrain hin befahl Ludwig XIV. 1700 beispielsweise, systematisch im ganzen Land in allen Archiven nach königlichen Gesetzen suchen zu lassen, diese methodisch zu sammeln und in gedruckter Form herauszugeben. Dieser Befehl war der Auftakt zu einer monumentalen editorischen Leistung des Aufklärungszeitalters. 1723 erschien der erste Band der Ordonnances des rois de France de la troisième Race, von denen bis 1847 einundzwanzig Bände publiziert wurden. Zunächst betraf diese Sammlung vor allem die Gesetzgebungstätigkeit der französischen Könige des 195
Mittelalters. Das Unternehmen war an der Grenze zwischen gelehrter Historiographie und politisch-juristischen Überlegungen angesiedelt, doch bis zur Revolution 1789 war seine politische Ausrichtung im Dienste monarchischer Herrschaftsansprüche klar erkennbar. Im Unterschied zu früheren Kollektionen, von denen es eine ganze Reihe gab, standen daher hinter der neuen Initiative auch der König und seine Kanzler. Entsprechend wurde das Personal ausgewählt. Wichtige Gelehrte waren an der Sammlung beteiligt, doch geleitet und koordiniert wurde das Projekt von hohen Regierungsbeamten. Recherche, Verarbeitung und Drucklegung der Ordonnances waren ein langwieriges und mühsames Geschäft. Aus Vilevaults Amtszeit haben sich Korrespondenzen zur Vorbereitung dieser Edition erhalten – seine Briefe sind ein Zeugnis dafür, welche Schwierigkeiten der Einsatz der Archive zur Garantie der königlichen Rechts- und Machtposition tatsächlich machte. Immer wieder hatten die Verantwortlichen in Paris Rundschreiben an führende königliche Beamte in den Provinzen verschickt mit der Aufforderung, vor Ort in den Archiven nach königlichen Rechtstexten zu suchen. 1757 publizierte Vilevault eine etwa 250 Seiten lange Liste aller bisher gefundenen Stücke, an Hand derer die Magistrate prüfen konnten, ob sie zusätzliches Material hätten. In mehreren Wellen antworteten die Angeschriebenen, und ihren Briefen kann man entnehmen, was eine Indienstnahme der Archive in der Praxis bedeutete. Vielerorts wurde klar diagnostiziert, dass sich erst seit dem ausgehenden Mittelalter überhaupt Archivbestände erhalten hatten. Manche Magistrate schlugen deshalb vor, die Recherche auszuweiten. Aus Rouen hieß es, die Arbeit sei zwar möglich, aber man brauche ,,langen Atem“, und kaum jemand sei in der Lage, die Suche kompetent durchzuführen. Aus Montauban erreichte Vilevault eine grundsätzliche Stellungnahme, die zwischen ,,generellen“ und ,,partikularen“ Gesetzen unterschied. Sollten auch letztere, also spezielle und lokal oder sozial nur begrenzt gültige Dokumente des Königs aufgenommen werden? Erstere seien in den ,,Extremitäten“ des Königreichs kaum zu finden, während es von letzteren auch in der Peripherie umfangreiche Bestände gebe. Der Übergang vom Ideal des Archivs als Verkörperung des königlichen Rechtsbestands zur Praxis der Archivrecherche königlicher Rechtssetzungen stellte also auch die Frage, in welchen Formen von Gesetzgebung die Macht des Königs eigentlich genau bestand. Die präzise Bestimmung dessen, was man in den Archiven suchte, blieb ein grundlegendes Problem bei der Herstellung der Ordonnances. 196
Angesichts der Tatsache, dass die Ordonnances tagespolitisch relativ unhandlich waren und vorerst ohnehin nur das Mittelalter betrafen, suchte man bald nach flexibleren Alternativen zu diesem Projekt. Es wurde zwar weitergeführt, doch die direkt politisch motivierte Archivarbeit wurde ab den 1760er Jahren anders organisiert. JacobNicolas Moreau überzeugte die Regierung seit 1759 davon, durch eine umfassende Kampagne des Abschreibens eine Art Zentralarchiv an kopierten königlichen Rechtstiteln aufzubauen, das es endlich mit den Sammlungen der Parlamente aufnehmen könne. Moreau initiierte eine großangelegte Kampagne zur Sammlung von Urkundenabschriften. Für viele an archivischer Forschung Interessierte stellte das Vorhaben eine attraktive Erwerbschance dar, und so war es kein Wunder, dass Archivare ihre Kollegen, Historiker ihre Schreiber und Bekannte Moreaus ihre Freunde als Mitarbeiter empfahlen. Auch von jenseits der französischen Grenzen wurden Informationen geschickt. Das Bureau des Chartes wies dabei in Ideen und Mitarbeiterstab viele Kontinuitäten zum älteren Projekt der Ordonnances auf, war tagespolitisch aber wendiger und schneller einzusetzen. Seine Angehörigen waren nicht zuletzt direkt in die Produktion von tagesaktueller Propaganda eingebunden. Das Bureau war viel näher an den Ereignissen und Umständen des politischen Alltags. Doch auch dieses letzte große Projekt einer konzertierten Archivbenutzung im Dienste monarchischer Legitimation war im Blick auf eine Benutzungsgeschichte von Archiven mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert wie die Edition der Ordonnances. Beide Unternehmungen sind ein eindrucksvolles Denkmal für den Reichtum der französischen Archive und die Intensität der französischen Archivkultur. Doch sie zeigen auch, wie mühsam es war, Archive zur Legitimation von Recht und Privilegien heranzuziehen. Sollten Archive zu Machtmitteln werden, so blieb dies ein komplexes, ambivalentes und langwieriges – und zumindest partiell auch utopisches – Vorhaben.
Was schuldet der Untertan? Oder: Archive und ständische Herrschaftsrechte Als Pierre Camille Le Moine 1765 erklären wollte, wofür Archive nützlich waren, notierte er folgende Bemerkung: ,,Weil Pfarreien und ganze Gemeinden gegen ihre Lehnsherren rebellierten und ihre Abgaben verweigerten [und weil. . . ] untergeordnete Korporationen das Joch der
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Untertänigkeit abschütteln wollten, war man zur Verteidigung seiner Rechte gezwungen, die Archive zu durchsuchen, die Kartulare und Register einzusehen und alte Papiere auszugraben, die lange Zeit unter Staub gelegen haben.“
Le Moine war parteiisch, als er dies schrieb. Er war ausdrücklich nicht auf Seiten der rebellierenden Untertanen und Gemeinden. Er vertrat vielmehr die adeligen und kirchlichen Herren. Doch gerade deshalb wusste er um den Wert der Archive genauestens Bescheid. Es waren Urkunden und andere Archivalien, die klären sollten, wie die Rechte und Pflichten, Freiheiten und Abhängigkeiten in der Gesellschaft verteilt waren. Oder, konkreter gesagt: Aus den Archiven war im Zweifelsfall zu erfahren, welche Abgaben und Steuern die Menschen ihrem Lehnsherren bezahlen mussten. Was Le Moine hier beschrieb, nennen Historiker heute gerne die ,,patrimoniale“ Funktion der Archive. Damit ist gemeint, dass Archive tief mit der sozialen Logik der vormodernen Ständegesellschaft verbunden waren. Ohne einen kurzen, sehr schematischen Blick auf diese Sozialordnung bleibt die Rolle der Schriftlichkeitsdepots deshalb unklar. Zwischen einem Grundbesitzer (in Frankreich als seigneur bezeichnet) und seinen Untertanen herrschten Beziehungen der Abhängigkeit und wechselseitigen Verpflichtung. Der Lehnsherr stellte das Land und bestimmte Infrastrukturen zur Verfügung. Dafür standen ihm verschiedene Gegenleistungen materieller und symbolischer Art zu, beispielsweise Abgaben der Ernte und bevorzugte Sitzplätze in der Kirche. Außerdem übte der seigneur im Regelfall zumindest einen Teil der Rechtssprechung aus, was zur Gründung von Gerichtsarchiven führte, wie wir schon gesehen haben. Der entscheidende Punkt an dieser Stelle ist, dass all diese Beziehungen der Unter- und Überordnung seit langer Zeit nicht mehr willkürlich waren, sondern auf einer Vielzahl von individuellen Verträgen und regionalen Abmachungen beruhten bzw. beruhen sollten. Aus dem Jahr 1156 datiert die erste, heute noch bekannte Verschriftlichung eines solchen Lehnsverhältnisses. Ab dem 13. Jahrhundert und dann im Spätmittelalter wurde die Formalisierung der Lehnsbeziehungen durch geschriebene Urkunden gang und gäbe. Worüber der seigneur herrschte und was ihm der einzelne Untertan schuldete, war seither idealiter eine Frage, die anhand von Pergamenten und Papieren geprüft und beantwortet werden konnte. Hier kamen dann die Archive ins Spiel. Sie beinhalteten jene Dokumente, die zeigten, welche Macht der Lehnsherr hatte und welche Freiheiten seine Untertanen genossen. Archive wurden deshalb, wie Le Moine erklärte, systematisch durchsucht, wenn es zum Streit über diese Rechte und Pflichten kam. Das (selektive) 198
Hervorholen alter Schriftstücke diente dazu, soziale Freiheits- und Herrschaftsbeziehungen zu verstehen, zu verändern und durchzusetzen. Archivrecherche war in dieser patrimonialen Logik meist Folge oder Ursache konkreter Infragestellungen des sozialen status quo durch eine der beiden Parteien. Archivrecherche wurde auf diesem Weg zu einem alltäglichen Bestandteil der ständisch organisierten Gesellschaften in Europa. Archive dienten häufig zur Stabilisierung und Aufrechterhaltung, gelegentlich auch zur Infragestellung der bestehenden Sozialordnung. Eine häufige Durchsicht der Archive wurde den Grundherren oder seigneurs deshalb von vielen Ratgebern empfohlen, um sicher zu stellen, dass nichts von ihren Rechten und Einkünften vergessen wurde. In regelmäßigen Abständen versuchten viele Lehnsherren darum auch, Bestandsaufnahmen der Rechtsverhältnisse auf ihren Ländereien vorzunehmen. Solche Projekte hatten in der Frühen Neuzeit Konjunktur. Da sie von oben angeordnet wurden und somit aus der Perspektive der Lehnsherren erfolgten, waren diese Prozeduren bei den Untertanen unbeliebt und erregten gelegentlich Widerstand. Man kann zwei verschiedene Ziele unterscheiden, um die es den Lehnsherren bei solchen Unternehmungen gehen musste: Erstens ging es immer wieder um die exakten geographischen Grenzen ihrer Herrschaftsräume, die in der deutschen Rechtssprache als ,,Bann“ bezeichnet wurden. Zweitens ging es darum, sowohl die materiellen Abgaben wie die symbolischen Vorrechte, die die Untertanen schuldeten, im Bewusstsein zu halten. Im Verbund mit einem breiten Mix von Informationsquellen dienten in beiden Fällen Archive bzw. die in ihnen archivierten Rechtsurkunden dazu, den aktuellen status quo mit den urprünglichen Rechtsverhältnissen abzugleichen. Im Alten Reich wurde die periodische Vergewisserung über geographische Grenzen und juristische Geltungsbereiche von den Juristen als ,,Bannerneuerung“ (Renovatio Bannorum) bezeichnet. Wo der eigene Machtbereich endete und der des Nachbarn begann, war in der Frühen Neuzeit nicht ohne weiteres feststellbar. Das Problem bereitete den Zeitgenossen vielmehr ausgesprochene Sorgen. Grenzsteine verwitterten und markante Bäume verschwanden, so dass die Landschaft selbst oft keine Anzeichen mehr enthielt. Topographische Namen änderten sich ständig und sorgten damit eher für Verwirrung denn für Klarheit. Die Erfassung der Rechtsgrenzen und ihre regelmäßige Erneuerung (Renovatur) waren angesichts dessen eine praktische Notwendigkeit. Aus dieser Einsicht hatte in Deutschland 1571 sogar 199
die Archivliteratur ihren Ursprung genommen, denn Jakob von Ramingen wandte sich nur deshalb der Registratur zu, weil er sich im Rahmen übergreifender ökonomisch-politiktheoretischer Überlegungen mit der Renovatur beschäftigt hatte. Dabei war er auf die Archive als entscheidende Informationsquelle gestoßen. Er verstand Archivbildung und Landeserfassung als zwei Seiten derselben Medaille. Die Recherche in alten Büchern und Verzeichnissen förderte laut Ramingen notwendige Informationen über Grenzen und ihren Verlauf zu Tage. Gleichzeitig sollten die Ergebnisse des Erneuerungsprozesses ihrerseits in Form verbesserter Übersichten in den Archiven deponiert werden. Archivbildung und lehnsrechtliche Güterverwaltung bedingten und beförderten einander. Bannerneuerung war zu einem signifikanten Teil immer auch Archivarbeit. Andere Autoren folgten Ramingens Initialreflexion. Eine ganze Gattung von juristischer Literatur widmete sich bald der Renovatur und der damit verbundenen Archivrecherche. Friedrich Wieger publizierte in Strassburg 1674 ein Standardwerk zu diesem Thema. Regelmäßig erneuertes Wissen über die tatsächlichen Grenzverläufe sollte für alle Beteiligten Rechtssicherheit schaffen und dadurch nicht nur zu sozialem Frieden, sondern auch zu intensivierter Landwirtschaft beitragen. Alle zehn bis zwölf Jahre sei deshalb eine solche aufwendige Prozedur vonnöten, um der ,,Veränderlichkeit“ (mutatio) der Verhältnisse entgegenzuwirken. Die Personen, die eine solche Renovation durchführten, charakterisierte Wieger in erster Linie als Bürokraten und Aktenfresser. Eine ,,Unmenge von Dokumenten“ müsse dabei nämlich zur Kenntnis genommen werden, selbst wenn Gespräche und Ortsbesichtigungen in der Natur ebenfalls von großer Wichtigkeit seien. Archivdokumente, Grenzsteine und Zeugenvernehmungen bildeten demnach ein aufeinander bezogenes Geflecht von Informationsquellen, dessen sich ein sachkundiger Renovator virtuos und gleichzeitig zu bedienen hatte. Damit waren Wieger und andere Theoretiker nicht weit von der Realität entfernt. ,,Uhrkunden und Augenschein“ sollte Friedrich Hortleder 1629 gebrauchen, als er einen innersächsischen Streit über die steuerliche Zugehörigkeit von Wölnitz lösen sollte. ,,Grentz-Acten“ galten in der Praxis als entscheidendes Fundament zur präzisen Bestimmung des Herrschaftsumfangs. Sie waren, so hieß es etwa in Hessen 1628, ,,zu der iezt vorhabenden General Lands Visitation aller unserer regalien, grentzen, güther, land und leuthe [. . . ] multis modis höchlich bedürfftig“. Hortleder reiste deshalb nicht nur ,,zu fuß“ oder per ,,Miet Klepper“ umher und befragte Bauern oder inspizierte Grenzsteine, sondern 200
forschte regelmäßig in verschiedensten Archiven nach, um Beweise für eine Weimarische Oberhoheit zu sammeln. Zentrale Akten seien ,,von Weimar mittzubringen“, damit sie vor Ort zur Klärung benutzt werden könnten. Wo die entsprechenden Dokumente fehlten, etwa weil man bei der Archivierung geschlampt hatte, befand man sich schnell in der Bredouille. Ohne gründliche Recherche in papierenen und anderen Zeugnissen über die alten Rechtsverhältnisse, so meinten französische Praktiker, könnten Grundherren ihre Herrschaft niemals unangefochten ausüben, ,,weil die Ansprüche wegen der Unklarheit ihrer Grenzen, durch deren Wandel und durch die komplexe Vererbung nicht mehr klar bekannt sein würden“. Was es hieß, zu solchen Zwecken Archive systematisch heranziehen zu wollen (oder zu müssen), zeigt der Blick auf die Erstellung sogenannter terriers in Frankreich. Dies betraf den zweiten Zweck lehnsherrlicher Archivrecherche. Denn terriers waren Bestandsaufnahmen aller Herrschaftsrechte und Abgaben, die einem Lehnsherrn zustanden. Ein terrier wurde dadurch produziert, dass alle Lehnsnehmer ihre Rechtstitel zu einem festgelegten Zeitpunkt vor dem Grundherren oder seinem Gesandten präsentierten und notariell beglaubigen ließen (declaration). Es handelte sich also um eine Art erzwungener archivischer Selbstoffenbarung, wobei auch die seigneurs bei solchen Gelegenheiten regelmäßig ihre Archive durchsuchten, um sich selbst über ihre Ansprüche Klarheit zu verschaffen. Dies war für die Untertanen potenziell gefährlich, denn die Rechtsqualität ihrer Urkunden wurde ihnen bei dieser Gelegenheit häufig bestritten. Hinzu kam, dass die Erstellung eines terriers oft verbunden war mit der Einforderung ausstehender Zahlungen. Dass solche Initiativen zur seigneurialen Archivrecherche bei den regionalen Institutionen und Vasallen auf keine Gegenliebe stießen, versteht sich deshalb fast von selbst. Zum Schutz der Untertanen durfte in Frankreich der Grundherr ein solches Projekt nur nach gerichtlicher Genehmigung durchführen. Das eindrucksvollste Beispiel für die Etablierung eines terrier mitsamt aller Chancen und Schwierigkeiten sind die entsprechenden Initiativen der Krone. Der König war der größte Lehnsherr Frankreichs, und die Krongüter machten in der Frühen Neuzeit immerhin noch etwa 7 % seiner Einnahmen aus. Um die ihnen zustehenden Einnahmen zu maximieren, ließen auch die Könige immer wieder terriers ihrer Domänen herstellen. Unter Ludwig XIV. wurde seit 1656 und dann insbesondere in den 1670er Jahren mit einer Erneuerung des königlichen terrier begonnen, nicht zuletzt um durch striktere Eintreibung fälliger Abgaben 201
die kostspieligen Kriege am Rhein zu finanzieren. In vielen Orten, von der Grafschaft Forez bis zur kleinen Stadt Agen in Aquitanien, leisteten lokale Autoritäten erbitterten Widerstand. Ein Großteil der Arbeit der königlichen Kommissare, die um 1700 zur Erneuerung des terrier in die verschiedenen Provinzen Frankreichs entsandt wurden, bestand darin, die von den lokalen Lehnsnehmern des Königs vorgezeigten Urkunden zu ratifizieren. Damit verbunden waren häufig Diskussionen und Rechtsstreitigkeiten zwischen den königlichen Abgesandten und den lokalen Lehnsnehmern um die Bedeutung der vorgezeigten Dokumente. Tausende solcher Einzelprüfungen waren nötig und häufig entstanden daraus komplizierte Gerichtsprozesse. Deshalb wurde die Erstellung des terriers trotz des Drängens des leitenden Ministers Jean Baptiste Colbert unweigerlich zur ,,dauerhaften Aufgabe“. Im Zuge von Auseinandersetzungen über lokale Rechte, wie sie etwa zwischen dem König und dem Mareschal de Humiers über Besitzungen in Lille tobten, mussten die königlichen Amtsträger regelmäßig detaillierte Archivrecherchen anstellen, die im konkreten Fall der dort ansässige prominente Gelehrte und Archivar Denis III. Godefroy übernahm. Immer wieder wurden die königlichen Delegierten angewiesen, lokale Archive auf Materialien hin zu durchsuchen, Inventare anzufertigen und ältere Dokumente abzutransportieren. Das Projekt des königlichen Güterverzeichnisses ging daher auch mit einer archivischen Konzentrierung einher. Die stetig anwachsende Aktenproduktion dieses Unternehmens führte 1691 zur Einrichtung eines eigenen Sektors im Archiv der Pariser Chambre des Comptes. Wie kompliziert die Archivarbeit an diesem riesigen Projekt war, lässt sich aus den Quellen bruchstückhaft, aber klar entnehmen. Besonders eindrucksvolle Nachrichten liegen für die Jahre 1682 und 1683 aus Aix-en-Provence vor. Im Mai 1682 hatte Colbert den sieur Legras, von dessen einschlägigen Fähigkeiten er überzeugt war, in die Provence geschickt, um dort zusammen mit dem Intendanten Morant an der Evaluierung der königlichen Besitzungen zu arbeiten. Legras machte sich Anfang Juni sofort nach seiner Ankunft an die Arbeit, unterstützt von lokalen Archivkennern. In regelmäßigen, detaillierten Berichten erzählte er von den Fortschritten der Arbeit. Man kann aus diesen Schreiben gut erkennen, wie der terrier tatsächlich auch direkt im Archiv entstand. Legras hielt das Archiv der Chambre des Comptes in Aix, seine hauptsächliche Arbeitsstätte, für völlig ungepflegt. In außergewöhnlich drastischen Beschreibungen schilderte er Colbert den katastrophalen Zustand dort. In der schlechten Dokumentaufbewahrung vor Ort sah 202
er eine entscheidende und, so deutete er mehrfach an, absichtlich herbeigeführte Schwächung der königlichen Ansprüche. Erst als er selbst in monatelanger Arbeit Ordnung geschaffen hatte, konnte er sich mehr und mehr der Aufklärung einzelner Besitzverhältnisse zuwenden. Die Arbeit am terrier in Aix beinhaltete schließlich auch Archivreisen und schriftliche Anfragen bei teilweise weit entfernten Sammlungen. Bis nach Barcelona und Chambery dehnte man die Recherche aus. Immer wieder berichteten die königlichen Gesandten mit einiger Genugtuung, dass die örtlichen Untertanen des Königs durch die systematische und weit ausgreifende Archivrecherche ,,alarmiert“ waren. Umgekehrt bezichtigten königliche Investigatoren die lokalen Archivbildner immer wieder der absichtsvollen Verschleierung und offenen Fälschung. Man kann also festhalten, dass Archivbenützung in der Ständegesellschaft eine wichtige Rolle spielte, um soziale Beziehungen und ihre ökonomischen Konsequenzen zu legitimieren oder zu verändern. Dabei zeigen sowohl die Kompilation der Ordonnances wie der Terrier du Roi, dass Archivbenutzung klar ein Akt der Machtdemonstration und Bestandteil von Herrschaftsausübung sein konnte. Archive waren Wissensorte der Macht. Doch zugleich war die Hinwendung zu den Archiven auch ein Moment von Unsicherheit oder gar Schwäche, denn immer wieder wurden dabei auch die Grenzen und Schwierigkeiten obrigkeitlicher Informationsregimes deutlich. Die Ausbeutung des archivierten Wissens war kostspielig, kompliziert und, wenn überhaupt, nur durch Koordination kollektiv ausgeführter Kampagnen möglich.
Was soll man tun? Oder: Archive in Entscheidungsfindungsprozessen Es bleibt zu klären, ob Archive in der Frühen Neuzeit auch im politischen Alltag eine Rolle spielten. Bei den bisher beschriebenen Großprojekten aus der Zeit Ludwigs XIV. handelte es sich ja gewissermaßen um Grundlagenforschung. Wollte man Archive im Unterschied dazu auch kurzfristig und situationsbezogen als Informationsquellen im Tagesgeschäft politischen Entscheidens nutzen, so mussten dafür noch einmal andere Formen der Archivarbeit gefunden werden. Eine besonders offensichtliche Möglichkeit dazu war, Archivare direkt zu Beratungs- und Entscheidungssitzungen hinzuzuziehen. Theoretiker forderten dies häufig und in der Praxis folgte man ihren 203
Vorschlägen. Carlo Cartari beispielsweise, päpstlicher Archivar in der Engelsburg, war immer wieder bei den Zusammenkünften der Kardinalskongregationen anwesend. In den Akten vieler frühneuzeitlicher Regierungsgremien finden sich Hinweise darauf, dass regelmäßig zur Vorbereitung einzelner Entscheidungen Archivrecherchen durchgeführt wurden. In Frankfurt wurde im Archivarseid festgelegt, dass während aller Ratssitzungen immer ein Archivar diensthabend sein müsse, weil sonst ,,die Sachen sehr verzögert werden“. Archivanfragen konnten bisweilen sehr dringlich sein und sich direkt aus den Beratungen ergeben. Für das Kurfürstentum Trier lässt sich diese Form der Archivbenutzung besonders gut nachvollziehen. Im dortigen Hofrat, dem obersten Regierungsgremium des Kurfürsten, scheint der Registrator direkt mit am Beratungstisch gesessen zu haben oder doch zumindest unmittelbar aus den Gesprächen der Räte heraus ins Archiv geschickt worden zu sein. Am 10. September 1726 beispielsweise wurde dem Archivar Kircher befohlen, eine ältere Verordnung ,,sogleich aufzusuchen und ad consilium zugeben“, um dadurch aktuelle Probleme besser beurteilen zu können. Im November desselben Jahres, als es um Details der Religionspolitik ging, wurde ihm eine etwas längerfristige Recherche aufgetragen zur Frage, ob ,,mehrere die Ertzstiffts jurisdiction betreffende documenta in Cancellaria obhanden seyn“. In Reaktion auf solche, insgesamt sehr zahlreich dokumentierte Aufträge wird der Registrator regelmäßig lange Stunden im Archiv verbracht haben, um jene Papiere zu suchen, mittels derer seine Vorgesetzten dann hofften, einzelne Sachfragen angemessen behandeln zu können. Regelmäßig notierten die Protokolle der Ratssitzungen jedenfalls, der Archivar ,,präsentirt [. . . ] den fasciculum actorum“, er ,,präsentiert [. . . ] die so rubricirte ältere Acta“ oder er ,,producirte verschiedene original Acta“. In vielen dieser Fälle waren die Archivare mit ihrer Recherche also erfolgreich und konnten die gewünschten Informationen vorlegen. Häufig genug allerdings, das betonten die Sitzungsprotokolle ebenfalls, blieb ihre Suche ohne Ergebnis. Bisweilen konnte das Fehlen der gesuchten Stücke durch geschickte Benutzung von Sekundärüberlieferung aufgefangen werden, doch meistens musste der Registrator in solchen Fällen mit leeren Händen vor die Räte treten. Doch das Verfahren ist an dieser Stelle ganz unabhängig vom konkreten Erfolg bemerkenswert: Die kurfürstlich-erzbischöflichen Räte diskutierten eine Sachfrage und vertagten ihre endgültige Entscheidung dann zunächst, weil sie erst zusätzliche Informationen benötigten, zu deren Beschaffung sie wie204
derum den Archivar heranzogen. Das betraf dabei im Alltag vor allem Angelegenheiten, die nicht vorrangig in den Bereich der ,patrimonialen‘ Archivbenutzung fielen. Eher ging es darum, aktuelle Entscheidungen kohärent an frühere Politik anzuschließen oder Kontexte der gegenwärtigen Handlungsoptionen bestmöglich zu erhellen. Dies war die praktische Umsetzung dessen, was etwa Leibniz, wie gesehen, gefordert hatte. Eine derartig explizite und institutionalisierte Einbindung des Archivs in Entscheidungsfindungsprozesse lässt sich nicht überall nachweisen. Doch für die Versorgung von Regierungsmitarbeitern mit Akten war auch sonst gesorgt, beispielsweise durch Ausleihe von Unterlagen. Über solche Abgaben wurde meist genau Buch geführt. Zu sehr vielen Depots gibt es heute deshalb noch Ausleihbücher, das heißt kontinuierlich geführte Aufzeichnungen darüber, wer wann welche Akten entlieh und zurückbrachte. Diese Ausleihbücher dokumentieren eindrucksvoll die bemerkenswerte Regelmäßigkeit und den Umfang des Rückgriffs auf Archivalien zu Regierungszwecken. Auf oft dutzenden oder hunderten von Seiten registrierten sie tausende von Aktenentnahmen zum Zwecke einzelfallbezogener politischer oder administrativer Entscheidungsvorbereitung. Der Rostocker Archivar Daniel Brun dokumentierte auf diese Weise eine lebhafte Benutzung und Ausleihe von Münz- und Landtagsakten. Aus dem brandenburg-bayreuther Hausarchiv auf der Kulmbacher Plassenburg wurden insbesondere Kameralakten und Unterlagen zu Grenz- und Rechtsstreitigkeiten hundertfach benutzt. Und im gut dokumentierten Falle Gothas ist auf diesem Weg ein reger Verkehr an Akten über den Hof des Schlosses Friedenstein nachweisbar. Der Kanzler, die Kammer und einzelne Hofräte wie beispielsweise Hiob Ludolph liehen immer wieder Dokumente aus. Für große französische Archive mit nationaler Bedeutung wie das der Chambre des Comptes, aber auch für solche mit eher regionaler oder lokaler Bedeutung wie das des Lyoner Domkapitels, gilt Ähnliches. Freilich sollte man von der beeindruckenden Fülle dieser Fälle nicht umstandslos auf die Effizienz regierungspraktischer Archivbenutzung schließen. Die Gothaer Quellen notieren nämlich zu mancher Aktenausleihe: ,,Ist nicht das rechte gewesen“. Den politisch-administrativen Gewinn, den selbst ein einigermaßen wohlorganisiertes Archivwesen wie das Gothaer für die Herrschaftsausübung bedeutete, sollte man demnach weder überschätzen noch für selbstverständlich halten. Die Recherche im Archiv blieb aus vielen Gründen häufig genug ergebnislos oder vom individuellen Wissen einzelner Benutzer abhängig. 205
Doch trotz aller Schwierigkeiten machen sowohl die Sitzungsprotokolle wie die Ausleihbücher deutlich, dass Entscheidungsgremien und Verwaltungsinstitutionen in der Frühen Neuzeit in hohem Maß und in beeindruckend selbstverständlicher Alltäglichkeit auf ihre Archive zurückgriffen. Arbeit im Archiv wurde ein Element administrativer Praxis, so wie Seckendorff oder Leibniz das gefordert hatten.
Gutachten, oder: Das aufbereitete Archiv Es gab noch eine weitere Technik, um den Rückgriff auf Archive im politischen Alltag zu organisieren: das archivbasierte Gutachten. In manchen der bisher zitierten Fälle mag zwar tatsächlich unmittelbar die Vorlage der gesuchten Archivdokumente das Ziel gewesen sein. Doch im Regelfall dürfte es den Entscheidungsträgern kaum geholfen haben, wenn ihnen der Archivar einen Berg an Folianten, ein unförmiges Bündel an alten Briefkonzepten oder eine schwer entzifferbare mittelalterliche Urkunde unkommentiert auf die Beratungstische gelegt hätte. So wichtig die direkte Präsentation von Archivdokumenten auch war, mindestens genauso entscheidend war es, das im Archiv vorhandene alte Schrifttum zu konkret diskutierbaren Entscheidungsvorlagen zu verarbeiten. Das leisteten Gutachten. Sie machten Archive zu Wissensorten. In vielen fürstlichen Behörden und Archiven arbeiteten deshalb in der Frühen Neuzeit beständig Menschen daran, für ihre Herrschaften zu verschiedensten Fragen aus Recht und Politik auf der Basis der vorhandenen Akten und Urkunden umfangreiche Gutachten auszuarbeiten. Zwei sächsische Autoren, Friedrich Hortleder in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und Tobias Pfanner in der Zeit um 1700, dienen hier als Beispiele. Friedrich Hortleder ist heute vor allem als Historiker bekannt. 1579 in Ampfurth geboren, studierte er zunächst in Wittenberg und Jena, ehe er 1606 als Lehrer für mehrere der jungen Herzöge aus dem ernestinischen Zweig des sächsischen Fürstenhauses eingestellt wurde. 1609 wurde er Lehrkraft an der Universität Jena, 1617 Hofrat in Weimar und Leiter des fürstlichen Archivs. 1618 erschien erstmals seine über 1600 Seiten starke Edition von Schriften und Akten zum Schmalkaldischen Krieg und zum Konflikt zwischen Kaiser und Protestanten zwischen 1546 und 1548. Die Arbeit an dieser bis heute häufig benutzten Sammlung, Von Rechtmässigkeit Anfang Fort- vnd endlichem Außgang deß Teutschen Kriegs, 206
begann bereits während Hortleders Zeit an der Universität Jena. Schon 1607 hielt er dort Colloquia zum Thema ab, an denen mehrere Studenten beteiligt waren. Verschiedene Disputationen zu den für die deutsche Geschichte so entscheidenden Ereignissen um 1550 sind aus Hortleders Universitätszeit überliefert. Ob diese Studenten echte Mitarbeiter am Großprojekt waren, ist bisher kaum zu sagen, doch wir werden noch sehen, dass die Einbeziehung von Lernenden bei historiographischen Recherchen weit verbreitet war. Inhaltlich stützte sich Hortleders historiographische Arbeit auf die verschiedenen sächsischen Archive. Sein Nachlass umfasst noch mehrere Bände mit Abschriften von Material, das dem Umkreis seiner Publikation zuzuordnen ist. Unter den Quellenangaben sind dort neben zahlreichen Hinweisen auf verschiedene Bibliotheken häufig auch Formulierungen wie ,,in archivis Saxonicis“ zu lesen. Diese archivbezogenen Kenntnisse setzte Hortleder nach 1617 als fürstlicher Ratgeber auch für politische Entscheidungen in Weimar ein. Nach Prüfung alter Akten und eigener Augenscheinnahme produzierte Hortleder klare Aussagen, ob und in welcher Weise bestimmte Gebiete zu welchen Herrschaftsstrukturen gehörten. Ebenfalls tätig wurde Hortleder in Präzedenzfragen, die das sächsische Herzoghaus betrafen. Umfassende Ausarbeitungen hierzu stammen bereits aus den Jahren um 1612. Ein abschließendes Gutachten, die Gruntvest Sächssischer Weimarischer Praecedentz, wurde 1619 verfasst und später auch gedruckt. Auch in Fragen überregionaler Politik bereiteten Hortleders Gutachten das Archiv für die Politik auf. Während der 1630er Jahre beispielsweise waren die Wettiner mehrfach an einer Klärung der Rechtsverhältnisse um die Thüringische Ballei des Deutschen Ordens interessiert – Hortleder lokalisierte Akten, auch außerhalb des ernestinischen Machtbereichs, und Ende 1637 gab er nach mehrmaligen Anfragen eine ausführliche Stellungnahme für Albrecht von SachsenEisenach ab. In diesem sehr qualitätsvollen Gutachten ließ der Rat die archivierten Rechtstitel Revue passieren, nur um dann eher von ihrem Einsatz zu Gunsten anderer politischer Mittel abzuraten. Hortleders Archivtätigkeit ging also deutlich darüber hinaus, lediglich klar bezeichnete Stücke auszuheben. Immer wieder fragten ihn die Fürsten zwar auch ganz konkret nach einzelnen Dokumenten, die Hortleder dann aufzufinden und vorzulegen hatte. Doch meistens verstand er seine Aufgabe umfassender. Er hatte nicht nur relevante Archivalien zu lokalisieren, sondern be- und verarbeitete diese dann und beurteilte sie auf die konkrete Situation hin, um sie schließlich zu 207
einer juristisch oder politisch plausiblen Position zu verdichten. Das Gutachten war das Medium, in dem diese Aufgabe bewältigt wurde. Es war nicht zuletzt in dieser Form, dass Fürsten und Räte mit dem Archiv in Verbindung kamen. Die Transmutation der Archivrecherche in abwägende Gutachten verdeckte die konkreten Schwierigkeiten der Arbeit mit Urkunden und Akten. Die schriftliche Stellungnahme bereinigte die praktische Mühsal der Archivbenutzung, ohne dabei die inhaltliche Vielfalt der eigenen Archivposition zu unterschlagen. Das Gutachten machte aus dem konfusen, unhandlichen und schwer verständlichen Archiv eine inhaltlich differenzierte, zugleich aber übersichtliche und klar gegliederte Informationsquelle. Das schloss nicht aus, dass Hortleder häufig auch persönlich zur Berichterstattung einbestellt wurde. Doch das schriftliche Kondensat seiner Recherchen war ein entscheidendes Medium der Transformation der Archive in politisch einflussreiche Wissensorte. Die Medientechnik des Gutachtens perfektionierte im sächsischen Raum in besonderer Weise Tobias Pfanner. 1641 in Augsburg von österreichischen Glaubensflüchtlingen geboren, kam Pfanner durch ein fürstlich gothaisches Stipendium für sein Studium in Jena ab 1661 mit den Ernestinern in Verbindung. In Gotha diente er zunächst als Hofmeister bei lokalen Adeligen, doch seit etwa 1671 übernahm er administrative Aufgaben für die Herzöge von Gotha. 1680 wurde er für sie Amtmann in Saalfeld, 1687 erster Gesamtarchivar für alle ernestinischen Fürstenhäuser in Weimar. Diesen Titel durfte er behalten, als er sich ab 1699 wegen seiner zunehmend schwierigeren Position aus Weimar weg nach Gotha begab. Dort starb er 1716. Pfanner, eine bisweilen eratische und ,,melancholische“ Persönlichkeit, war als Schriftsteller auf historischem, reichsrechtlichem und theologischem Gebiet sehr aktiv. Bekanntschaften mit vielen Gelehrten, etwa dem Politiktheoretiker Veit Ludwig von Seckendorff und dem Historiker Caspar Sagittarius, verankerten ihn fest in der archivbezogenen Welt von Politik und Gelehrsamkeit. Pfanner hat in den Archiven von Weimar und Gotha überall seine Spuren hinterlassen. Heute wird im Thüringischen Hauptstaatsarchiv noch ein Korpus von 89 Bänden als Pfannersche Sammlungen verzeichnet. Dieser Bestand umfasst Arbeitsdokumente (Exzerptsammlungen und Verzeichnisse) und fertige Ausarbeitungen für die Fürsten, vorwiegend in politischen und juristischen Angelegenheiten. Genau für die Anfertigung solcher Schriften hatte man Pfanner überhaupt angestellt. Schon seine Instruktion lässt erkennen, dass er 208
als Archivar in erster Linie zu derartigen Recherchezwecken bezahlt wurde. Die meisten Gutachten, die er verfasste, waren ihren Themen und ihrer Art nach dabei nicht für brennende tagespolitische Konflikte gemeint. Pfanner schrieb eher über Grundsatzfragen, etwa über das Verhältnis der Herzöge zu den Grafen der Region, über die die Ernestiner traditionell die Hoheit beanspruchten, oder über die diffizile Frage, ob die Stifter Naumburg, Meissen und Merseburg reichsunmittelbar und damit dem sächsischen Zugriff entzogen seien. Kurz vor Ende seiner Amtszeit in Weimar verfasste er eine weitere, sehr stark archivbasierte juristisch-historische Standortbestimmung, seinen umfangreichen Bericht von den fürstlichen Landestheilungen im Hauße Sachsen. Hinzu kamen kleinere Schriften über die Grafschaft Henneberg, über Erbverbrüderungen und zahlreiche andere Themen. Zu diesen ,,Berichten“ und ,,Auffsätzen“ kommunizierten Pfanner und die Herzöge intensiv. Die Fürsten dürften ihren historisch-juristisch-archivarischen Experten in Weimar und dann in Gotha häufig direkt um Erstellung der jeweiligen Schriften gebeten haben. Seine Gutachten machten jedenfalls unter den Herzögen die Runde. Die Fürsten halfen regelmäßig auch sehr aktiv bei der Beschaffung von notwendigen Akten, wenn diese nicht in Weimar lagen. Manchmal scheint sich das Verhältnis allerdings auch umgekehrt zu haben und Pfanner selbst wurde in vorauseilender Pflichterfüllung aktiv. 1710 schickte er eine umfangreiche Liste mit möglichen Themen für zukünftige Gutachten und ,,Auffsätze“ an die Herzöge mit der Bitte, sie möchten ihm daraus doch neue Fragestellungen zuweisen. Offensichtlich diagnostizierte der alternde Hofrat in präventivem Gehorsam offene Stellen im Informationsregime der Ernestiner und bot seine Archivkenntnisse zu deren Schließung an. So spät in Pfanners Karriere scheint seine Gutachter- und Expertentätigkeit freilich eine ambivalente Aufnahme erfahren zu haben. Einerseits blieben die Herzöge voller Respekt für ihn, andererseits scheint man seine Kenntnisse nicht mehr aktiv nachgefragt zu haben. 1710 überließ man es Pfanner jedenfalls ausdrücklich selbst, sich aus der vorgeschlagenen Liste sein nächstes Thema auszusuchen. Eigene Bedürfnisse äußerten die Fürsten ihm gegenüber nicht mehr. Über den Status seiner Gutachten hat Pfanner sich sporadisch geäußert. Deutlich unterschieden wissen wollte er seine Ausarbeitungen von offiziellen ,,Deductionen“, die eine politische Position öffentlich und mit juristischer Absicherung präsentierten. Seine Arbeiten seien dagegen nur ,,zu einigen Beytrag von materialien“ gedacht. Freilich wussten 209
auch Pfanner und die Fürsten, dass es sich um weit mehr als um eine bloße Materialsammlung handelte und handeln sollte. Seine Rechercheergebnisse legten bestimmte Entscheidungen nahe, untermauerten manche Ansprüche und waren deshalb alles andere denn einfach nur objektive Sachbeschreibungen. Entsprechend vorsichtig und diskret gingen die Herzöge mit diesen Texten um. Die Gutachten durften auf keinen Fall ,,in privat=Hände“ gelangen, und zwar ,,besonders da in ein= und andern Aufsatze nicht allein dasjenige, was vor [sc. für] unser gesamtes Fürstl. Hauß, sondern auch was wieder daßelbe allegiret werden kann, enthalten.“ Wie schon in Hortleders Gutachten offenbarten Pfanners Papiere nicht nur die Stärken, sondern auch die archivischen Schwächen der ernestinischen Positionen. Sie zeigen, dass Archive ein mehrdeutiges Potenzial hatten. Auch Pfanner gab in diesen Ausführungen ähnlich wie Hortleder zudem deutlich zu erkennen, wo die Grenzen von Archivnutzung zur Vorbereitung von Politik lagen. Wegen fehlender Dokumente kam er häufig über eine bloße ,,Meynung“ nicht hinaus. Dass ,,dißfall inzuweilen gar mangelhafte Acta“ ein klares Entscheidungsvotum verhinderten, markierte er gegebenenfalls klar. Manche seiner Produkte sah Pfanner deshalb auch eher als Zwischenberichte an, die den bisherigen Stand der Kenntnisse abbildeten, aber klar diagnostizierte Lücken aufwiesen. Pfanners ,,Auffsätze“ samt den sie umgebenden Korrespondenzen machen deshalb noch einmal deutlich, dass die politischjuristische Indienstnahme der Archive selbst im besten Fall ein beständiges work in progress war. Die vorhandenen Depots boten nicht einfach Information zum Abruf an, diese musste vielmehr Schritt für Schritt gefunden und dann zusammengesetzt werden. Archivbenutzung war ein dynamischer Lernprozess. Dennoch waren Gutachten wie jene von Hortleder oder Pfanner, denen zahllose weitere ähnliche Akteure an die Seite gestellt werden könnten, von entscheidender Bedeutung. Ohne ihre Auswahl-, Synthese- und Analyseleistung wären viele Bestände überhaupt nicht politikrelevant geworden.
Landesteilungen und Herrschaftswechsel: Archive zwischen Pragmatik und Symbolik Archive gerieten nicht nur als administrative oder politische Wissensorte in den Bann von Herrschaftsausübung und Machtambitionen. 210
Archive wurden seit ihrem Bestehen auch zu politischen Streitobjekten mit hoher symbolischer Ausstrahlungskraft – ganz unabhängig vom Inhalt der archivierten Dokumente. Das lässt sich sehr gut zeigen an den weit verbreiteten Landesteilungen, die die territoriale Struktur des Heiligen Römischen Reichs prägten, und die meist ganz direkten Einfluss auf die regionale Archivgeschichte hatten. In vielen fürstlichen Familien galt das Prinzip der Erbteilung, so dass die beherrschten Territorien unter den (männlichen) Nachkommen eines verstorbenen Fürsten aufgeteilt wurden. So entstanden nicht nur verschiedene Familienzweige, sondern auch entsprechende Teilfürstentümer. Diese ,Kleinstaaterei‘ der deutschen Duodezfürsten prägte in einer häufig karikierten Weise beispielsweise die sächsischen Herzogtümer und hessischen Landgrafschaften, aber auch die Territorien kleinerer Geschlechter wie im Falle der Grafen von Sayn oder von Wertheim. Bei einer Erbteilung wurde der gesamte Besitz sorgfältig und penibel geteilt. Naturgemäß wurden seit ihrem Entstehen auch die Archive in diesen Prozess miteinbezogen. Den Archivaren der Frühen Neuzeit war sehr genau klar, dass dynastische Verwerfungen die ,,Acten in eine vielfaltige theilung bringen“. Das physische und epistemische Verfügen über die eigene Überlieferung setzte deshalb eine genaue Kenntnis der Landes- und Archivgeschichte voraus. Angesichts der häufig stark ausgeprägten Eifersucht und Rivalität unter den neu entstandenen Teilfürstentümern war die Sortierung und Aufteilung der Archivbestände ein oft konfliktgeladener, schwieriger und oft kontraproduktiver Prozess, wie das hessische Beispiel zeigt. Als Hessen 1567 unter den vier Söhnen Philipps I. aufgeteilt wurde, ging man sofort auch an die ,,extrahirung“ und Zerlegung des Archivs. Wegen der sehr komplexen Geschichte der Hessischen Teilfürstentümer, die immer wieder umgestaltet, vereint und neu aufgeteilt wurden, kam es in der Folgezeit bis 1648 zu einem dauernden Hin-und-Her von Akten je nach aktuellem Besitzstand. Ein Jahr nachdem die beiden damals verbliebenen Hessischen Landgrafen in Marburg und Darmstadt im sogenannten Hauptakkord von 1627 eine vorübergehende Lösung im familieninternen ,,Hessenkrieg“ erreicht hatten, kam es beispielsweise zu einem großen Austausch von Akten. Kassel musste viele Stücke herausgeben, die nun sachlich zu Darmstadt zu gehören schienen. Georg II. von Hessen-Darmstadt, der sich generell für Archivangelegenheiten interessierte, steuerte selbst minutiös die Logistik zur Neuverteilung der Akten, die aus Kassel nach Darmstadt und Marburg und in umgekehrte Richtung verteilt wurden. 211
Allerdings war dieser Vorgang wenig erfolgreich. Statt dynastisch klar bereinigter Archive erzeugte man völlige Unordnung. Statt zur Konsolidierung der hessischen Teillinien und ihrer Archive führte der Separierungsversuch der Akten zu demütigenden Notständen. 1629 erließ Kaiser Ferdinand II. im Dreißigjährigen Krieg das Restitutionsedikt, das den Besitzstand der protestantischen Fürsten radikal zu beschneiden drohte. Archivrecherchen waren notwendig, um in dieser Krisensituation zu bestehen. Doch wegen ihrer Archivkonflikte standen die Hessen damals schlecht da, denn ,,Es will unß aber doch bey etzlichen stücken an bericht mangeln, welches dahero rühret, weil hiebevor bey werender neuerlicher Streittigkeit, und spaltunge in unsern fürstlichen hause unßer gesambtes archivum nicht also in guter richtigkeit gehalten worden“. Die ständigen Neu- und Umverteilungen hatten überall Chaos hinterlassen. Aus dem hessischen Archiv war im Lauf der Wirrungen um die Landesteilung eine stumpfe Waffe geworden. Archivische Hilfe von außen musste erbeten werden, und so schrieb man an die Vettern in Weimar mit Bitte um nützliche Dokumente. Sachsen-Weimar stellte im Sommer 1630 tatsächlich Urkunden zur Verfügung, um Hessen in seiner Archivmisere nach dem Restitutionsedikt zu helfen. Doch diese ernüchternde Episode änderte das Verhalten in Hessen nicht grundsätzlich. Die dynastische Logik übertrumpfte weiterhin pragmatische Überlegungen. Als sich nach dem endgültigen militärischen Sieg Kassels über Darmstadt 1648 die Verhältnisse noch einmal verändert hatten, wurden wiederum Dokumente in größtem Umfang neu verteilt. Nun kamen verschiedene Unterlagen aus den darmstädtischen Archiven zurück nach Marburg, das wieder zu Kassel gehörte, aber auch umgekehrt aus Marburg nach Kassel und Darmstadt. Trotz dieser Umschichtungen blieben viele Dokumente zunächst in ,falschen‘ Depots. In den folgenden Jahren trieb man auch weiter Akten bei den Verwandten ein, auf die man ein Anrecht zu haben glaubte. Langfristig stabilisierte sich die Archivlage parallel zur landespolitischen Beruhigung. Die archivbezogenen Korrespondenzen der folgenden Jahrzehnte lassen nun häufig ein vergleichsweise kooperatives Arbeiten erkennen. Die komplexe Archivgeschichte des Landes, die ein Chaos an Überlieferungsverhältnissen erzeugt hatte, sorgte einerseits zwar immer noch für zahlreiche symbolträchtige Gelegenheiten zur Markierung der eigenen Standpunkte, zwang aber andererseits auch immer wieder zur Zusammenarbeit und damit zur Integration der Landesteile. 212
Deutlich sichtbar ist, wie schwierig und gleichzeitig unverzichtbar es war, die Archive an die dynastische Logik der Zeitgenossen anzupassen. Innerfamiliäre Rivalität führte zu Archivkonflikten, bei denen mit allen Mitteln gekämpft wurde. Die Zeitgenossen unterstellten immer wieder, und wohl nicht zu unrecht, manche Unterlagen seien ,,vielleicht vorsetzlich hinterhalten worden“. Das Archiv war nicht nur als Wissensort, sondern als symbolträchtiges Besitztum von Interesse. Das reine Verfügen-Wollen über Archivbestände trat in Einzelfällen sogar so stark in den Vordergrund, dass Akten ohne jegliche erkennbare inhaltliche Logik einfach durch Losverfahren auf die Konkurrenten verteilt wurden. Der Besitz von Archiven und Archivalien hatte hier keineswegs nur mit Informationsbedürfnissen oder Wissensgewinnung zu tun. Bei Archivteilungen wie der in Hessen blieb immer ein ,unteilbarer‘ Rest an Urkunden und Dokumenten übrig. Viele Stücke betrafen nämlich die Familie insgesamt, so dass keiner der Teilzweige alleine ein exklusives Interesse in Anschlag bringen konnte. Diese Dokumente wurden in solchen Fällen immer in einem gemeinschaftlichen oder Samtarchiv verwahrt. Häufig handelte es sich dabei um die grundlegenden und prestigeträchtigsten Unterlagen des Landes. Diese Samtarchive waren üblicherweise gemeinschaftliche Institutionen aller Erben. Jede Benutzung setzte darum die Zustimmung aller Familienmitglieder voraus. Es wurde immer wieder betont, dass ,,khein teile one das ander uber die brieffe [sc. Urkunden] gelassen werden“ solle, wie etwa die Herren von Lichtenberg nach ihrer Herrschaftsteilung 1480 festlegten. Wenn allerdings zwei, drei oder gar noch mehr eifersüchtig rivalisierende fürstliche Verwandte gemeinsam über das Hausarchiv wachen sollten, so waren Schwierigkeiten vorprogrammiert. Tatsächlich war schon die praktische Koordination einer Archivbenutzung oft sehr schwierig, weil alle Parteien anwesend sein oder zustimmen mussten. Die Angst vor Übervorteilung im Zugriff auf das unvermeidlich Gemeinsame war bisweilen so groß, dass sich beispielsweise die Grafen von LöwensteinWertheim im 17. Jahrhundert darauf einigten, dass selbst an Familienmitglieder keine Dokumente ausgeliehen werden durften, sondern stattdessen bei Bedarf Abschriften anzufertigen seien. Kein Beispiel kann die familienpolitische Aufladung der Archivfrage mit symbolischen Prestige- und Identitätskonflikten deutlicher vermitteln als die Verhältnisse in Sachsen, wo allein die seit 1485 bestehende ernestinische Familienlinie häufig in ein halbes Dutzend Teilherzogtümer aufgeteilt war. Das Gesamtarchiv dieser Teillinien befand sich seit 1554 in Weimar, und phasenweise hatte die Archivzugangstür so 213
viele Schlösser und verschiedene Schlüssel wie es Herzogtümer gab. Im Benutzungsfall mussten alle Schlüssel zusammengebracht werden, was zur langwierigen Vorbereitung jeder Öffnung nötigte. Obwohl dieses aufwendige Verfahren bei auswärtigen Betrachtern bisweilen für Überraschung und Verwunderung sorgte, schien es den Sächsischen Herzögen doch angemessen. Auch in anderen auf das Gemeinschaftsarchiv bezogenen Punkten konnte man sich kaum einigen. Bei den Verhandlungen zur Einstellung von Tobias Pfanner 1686/88 als gemeinschaftlichem Archivar für das Gesamtarchiv äußerte sich das archivbezogene wechselseitige ,,misstrauen“ ebenfalls. Die Einrichtung eines solchen Amtes sollte die Benutzung des Weimarer Archivs eigentlich auf eine neue Basis stellen, was im Grunde genommen das Interesse aller Ernestinischen Herzöge war. Aus den umfangreichen Korrespondenzen zu Pfanners Beschäftigung ist aber wiederum deutlich zu erkennen, dass die acht an der Entscheidung beteiligten Herzöge zwar einerseits die archivische Kooperation wünschten, aber andererseits voller Eifersucht befürchteten, auf diese Weise könnte ihnen ein Stück Kontrolle über das gemeinsame Archiv entgleiten. Die sächsisch-ernestinischen Archive waren zu einem Schauplatz symbolischer Machtkämpfe und fürstlicher Identitätspraktiken geworden. Das schloss echte Kooperation durch Ausleihe von Akten zwar nicht aus , doch drohten stets familiäre Rivalität und Misstrauen. Die sächsischen und hessischen Beispiele zeigen also, wie bei Landesteilungen eine Spirale archivischer Differenzierung beginnen konnte. Auf diese Weise entstanden komplexe und hierarchisch strukturierte Netzwerke von Teil- und Gemeinschaftsarchiven, welche die dynastische Zersplitterung der fürstlichen Familie spiegelten und inszenierten. Dabei ging es ganz wesentlich um Prestige und symbolisches Kapital. Den praktisch oft verheerenden Konsequenzen der identitäts- und prestigegeleiteten Archivpolitik blickten die Zeitgenossen wissend, aber meist unerschrocken entgegen. Ohne grundsätzliche Skrupel unterwarfen sie die Archive derartigen externen Kriterien. Die nicht zuletzt symbolisch wichtige Präsenz der Akten am ,richtigen‘ Ort übertrumpfte andere Erwägungen. Solche Aufladungen des Archivwesens gab es häufig auch im Falle von Herrschaftswechseln. Auch dies waren potentiell Momente, in denen Archive aus gleichermaßen praktischen wie symbolischen Gründen zum Streitobjekt werden konnten. Zu einem bemerkenswerten Beispiel hierfür kam es im Jahr 1742. Das Heilige Römische Reich durchlebte damals einen besonderen Krisenmoment. Erstmals seit langem folgte 214
auf den eben verstorbenen Karl VI. kein Habsburger als Kaiser nach. Karl war ohne Söhne gestorben. Zwar hatte er schon 1713 seine älteste Tochter, Maria Theresia, zur Nachfolgerin erklärt. Doch eine Reihe von Reichsfürsten, unter ihnen Karl Albrecht von Bayern und der junge Friedrich der Große, nutzten diese Gelegenheit, um im Verbund mit Ludwig XV. von Frankreich die Macht der Habsburger im Reich zu brechen. So wurde Karl Albrecht von Bayern am 12.2.1742 in Frankfurt zum Kaiser gekrönt. Dieser Machtwechsel musste auch dazu führen, dass zumindest Teile der Reichsverwaltung umziehen sollten. Wichtige Behörden sollten aus Wien abgezogen und unter anderem nach Frankfurt verlegt werden. Ausdrücklich forderte der Reichskanzler Karl Philipp von Eltz, Kurfürst von Mainz, seit Oktober 1741 von Maria Theresia in diesem Sinne die Herausgabe des Wiener Reichsarchivs. Vom neuen Kaiser erhielt er, wie zu erwarten war, Unterstützung für sein Anliegen. Die Österreicherin weigerte sich allerdings zunächst heftig und war später nur zur schrittweisen Überführung einzelner Bestände bereit. Auch dieser Konflikt hatte auf beiden Seiten durchaus praktische Gründe. Die Reichsorgane brauchten zur erfolgreichen Arbeit ihre Akten. Entsprechend betonte von Eltz die alltägliche Abhängigkeit der Reichsbehörden vom Archiv. Die Österreicher insistierten umgekehrt, dass wegen der jahrhundertelangen Verschmelzung von Reichsangelegenheiten mit habsburgischen Belangen im fraglichen Archiv neben den Reichsunterlagen auch ,private‘ Hausbetreffe lagerten. Vor einer Herausgabe müsse man deshalb erst penibel eine ,,Absonderung deren Akten“ vornehmen. Über die Details dieser Absonderung konnten sich die Streitparteien allerdings kaum einigen, und zwar auch aus prestigepolitischen Gründen. Über das Reichsarchiv wurde deshalb schnell nicht mehr nur als Informationsspeicher, sondern insbesondere auch als politisches Symbol gestritten. Das physische Verfügen über die Akten – unabhängig von praktischer Notwendigkeit – hatte ebenso wie die Antwort auf die Frage, wer die Absonderung von Reichs- und Habsburgerakten konkret durchführen dürfe, erhebliche symbolische Aussagekraft. Entsprechend formulierte Maria Theresia auch offen, man solle im Reich zuerst ihren Forderungen nachgeben, ,,alsdann werde es wegen des Reichs=Archivs keinen Anstand haben“. Die Archivfrage werde von Mainz und Bayern nur instrumentalisiert, um ,,bei dem von der sachen wahren hergang nicht genug unterrichteten theil des reichs gehässigkeit [gegen Österreich] zuzuziehen“. Dass es für die Gegner Maria 215
Theresias umgekehrt darum ging, auch und gerade durch die Frage der Archivhoheit die Habsburger symbolisch zu demütigen, zeigt eine Bemerkung des Bayernherzogs: ,,Der wienerische hof hat sich damit zu begnügen, wann ihm wie allen anderen reichsständen benöthigten falls aus der gemeinen reichscanzlei die anverlangende nachrichten und abschriften in copia vidimata künftighin ertheilet werden.“ Das Ende des habsburgischen Kaisertums sollte demnach auch das Ende gewohnter Archivpraktiken sein. Der Konflikt zwischen Kurmainz, Kurbayern und Habsburg blieb zwar ohne größere Konsequenzen, weil Karl VII. bereits 1745 verstarb und nun doch Maria Theresias Ehemann Franz Stephan von Lothringen zum Kaiser wurde. Doch der Kampf um das Reichsarchiv und der Plan zur Verlagerung umfangreicher Archivbestände aus Machtgründen waren keineswegs realitätsfern. Regelmäßig konnten Zeitgenossen solche Umzüge beobachten, so etwa fast zeitgleich 1741/42, als die Grafschaft Sayn-Altenkirchen aus sächsisch-eisenachischem in brandenburg-ansbachischen Besitz überging. In Ansbach wurde seitens der Hohenzoller Markgrafen sofort eine neue Regierungsbehörde eingerichtet. Teile der Sayner Archivbestände wurden infolgedessen Ende des Jahres 1741 aus Altenkirchen nach Ansbach verbracht. Einwände gegen dieses Vorgehen kamen von der Kurpfalz, die im benachbarten Sayn-Hachenburg traditionell politische und lehnsrechtliche Interessen verfolgte. In einem deutlichen Schreiben vom 2.11.1741 protestierte die Pfalz in Ansbach gegen die Aktenverlegung. Nicht zuletzt, weil seit 1736 eine gemeinsame archivische Infrastruktur zwischen den beiden Teilgrafschaften bestand , werteten die Pfälzer den Abtransport der Altenkirchner Archivalien als Affront und als Auftakt weiterer preußisch-brandenburgischer Aggressionen in der Region. Der nächste Schritt Brandenburg-Ansbachs sei sicherlich, ,,durch abweeg“ und ,,Regiment Infantrie“ auch das erst 1736 eingerichtete Saynische Gesamtarchiv zu entwenden. Auch dieser Archivstreit wurde bald von der generellen Reichskrise und dem ersten Schlesischen Krieg überlagert. Doch die Ereignisse zeigen noch einmal, dass und in welchem Maße auch und gerade die Archive zum Austragungsort des allgemeinen Machtgerangels geworden waren. Neben ihrer Funktion als Wissensort bestand offensichtlich ein symbolischer Wert, der von allen Parteien deutlich erkannt und bewusst eingesetzt wurde.
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Archive in Krieg und Frieden Hoheit über einzelne Archive wurde seitens der Mächtigen in der Frühen Neuzeit nicht nur symbolträchtig inszeniert, sondern regelmäßig auch gegen alles Recht mit blanker Gewalt erzwungen. Archiventführungen, wie die Kurpfalz sie vermutete, waren häufig. Immer wieder wurden auf diese Weise politische Gegner erpresst. Ihr pragmatischer wie symbolischer Wert machte Archive zu einem attraktiven Faustpfand. Dabei handelte es sich meist nicht um spontane Gewaltausbrüche, sondern um präzise geplante Formen der Archivbenutzung. Das lässt sich gut an einer Begebenheit erläutern, das sich im Frühjahr 1732 in Dijon ereignete. Um dem dortigen, erst 1731 gegründeten und deshalb noch ,,recht armen“ Bistum finanziell auf die Beine zu helfen, warfen der König und sein erster Minister, der Kardinal Fleury, ein begehrliches Auge auf die reiche Benediktinerabtei Saint-Bénigne, deren Besitzungen mit dem Hochstift vereint werden sollten. Fleury entsandte den Comte de Tavannes, den königlichen Repräsentanten vor Ort, am 6. April, einem Sonntag, morgens ohne Vorwarnung in die Abtei, um diesen Anspruch zum Ausdruck zu bringen. Das symbolische Mittel dazu war die Beschlagnahmung und Wegführung des gesamten Archivs der Abtei. Zwei Tage arbeitete de Tavannes, bis auch die letzten Papiere aufs Rathaus transportiert worden waren, wobei die Mönche und ihr Abt angesichts des königlichen Befehls weitgehend kooperierten. Die Angelegenheit wurde schließlich durch einen Kompromiss beigelegt und im September gab man das Archiv zurück. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist nicht nur, dass der Angriff auf den Besitz der Abtei durch die Beschlagnahmung des Archivs eröffnet wurde, sondern auch, dass sie sich sofort als durchsichtiges Mittel zu erkennen gab, um finanzielle und religionspolitische Zugeständnisse zu erpressen. Entsprechend hatte auch niemand ein Interesse daran, einen präzisen Überblick über den Inhalt des Archivs zu bekommen, denn es war völlig klar, dass im Falle des Nachgebens die Akten unbeschadet zurücktransportiert werden sollten. Man kann die Reaktion einiger Zeitgenossen auf diese Ereignisse zumindest exemplarisch rekonstruieren, denn der Präsident der Chambre des Comptes in Dijon, Jean Bouhier (ein Cousin des namensgleichen Bischofs), und der Pariser Jurist und Autor Mathieu Marais diskutierten die Affaire mehrfach in ihrem Briefwechsel. Beiden galt ein solches Vorgehen als unproblematisches, ja beinahe als typisches Mittel im Machtkampf. Beinahe zynisch zitierten sie die Ereignisse in Dijon 217
als Beleg für die Richtigkeit der ,,galanten“ Maxime: ,,il faut toujour commencer par enlever“ – ,,Man muss immer mit dem Einpacken beginnen“. Die Ereignisse gaben den beiden Beobachtern keinen Anlass zur Empörung oder zum Erstaunen, sehr wohl aber waren sie Gelegenheit für politische und anti-monastische Bemerkungen. Solange es die Richtigen traf, so suggerieren die Briefe, sahen die Zeitgenossen in einer solchen Archivbeschlagnahmung eine plausible und effektive Vorgehensweise, deren Wirksamkeit auf ein schnelles Voranschreiten der Affaire hoffen ließ. Noch viel deutlicher ausgeprägt war die Bereitschaft zum gewaltsamen Zugriff auf fremde Archive in internationalen Konflikten. In allen Zeiten seit der Etablierung des europäischen Archivwesens haben Dokumente unter Kriegen gelitten, und auch die Frühe Neuzeit hat – bedauerlicherweise – nicht unerheblich zur gewaltbedingten Vernichtung von Überlieferung beigetragen. Die Religions- und Bürgerkriege Frankreichs im 16. Jahrhundert beispielsweise zerstörten mancherorts die archivischen Grundlagen fast vollständig. In Deutschland war gerade der Dreißigjährige Krieg eine Phase großer Gefahr für die Archive. Die feindlichen Armeen gingen dabei sehr unterschiedlich vor. Manche Heerführer erkannten den strategischen Nutzen von Papieren genau. Alexander von Ersken, ein schwedischer General und Diplomat, berichtete beispielsweise von sich selbst: ,,Der Raub, den ich in Teutschland gethan habe / ist ein Briefe Raub. Wann wir mit der Armee an einen Ort / sonderlich in ein Kloster oder Jesuiter Collegium kamen / habe ich alsobald geeilet nach den Archiv zu / und habe alle Brieffe eingepacket. Wann ich den Zeit gehabt / habe ich sie durchgelesen / dadurch bin ich hinter so viel Arcana, hinter so viel Stücklein kommen, daß ihr es nicht wohl glauben könnet.“
Von Erskens bemerkenswert offene Selbstaussage belegt sein Interesse an den Archiven. Hier war ein Offizier, der aus den Dokumenten Kapital zu schlagen wusste. Deshalb ging er sorgsam mit den gefunden Beständen um. Viele seiner Kollegen in den Armeen des Dreißigjährigen Krieges hatten diese Weitsicht aber nicht und ließen blinde Zerstörung der Archive seitens ihrer Soldaten zu. Beispiele gibt es viele: Die Bestände in Stuttgart wurden von den Kaiserlichen entwendet, die Schweden beschädigten Meiningen 1640 stark und auch in Wolfenbüttel erlitt das Archiv umfangreiche Schäden. Viele Zeitgenossen meinten deshalb, dass die Zeit nach 1648 eine Ära archivischen Neubeginns sein müsse. Von besonderer Dramatik für die europäische Archivgeschichte waren auch die Eroberungsfeldzüge der französischen Könige an der 218
Ostgrenze ihres Reichs. Ludwig XIII., Ludwig XIV. und Ludwig XV. ließen 1633, 1661, 1670 und 1740 große Mengen an Unterlagen aus Nancy plündern und nach Paris bringen, nachdem sie Lothringen erobert, erneut erobert und schließlich dem Königreich eingegliedert hatten. 1688/89 im Neunjährigen Krieg erreichten die französischen Truppen auch Speyer. Am Beispiel der Reichsstadt und der verschiedenen dort lagernden Archive lässt sich exemplarisch zeigen, welchen ambivalenten Status die Schriftlichkeitsdepots in solchen Gewaltsituationen hatten. Speyer ist dabei von besonderem Interesse, weil sich dort neben einem städtischen Archiv auch die umfangreichen Archive des Bischofs und der rheinischen Städtebank sowie insbesondere das Archiv des Reichskammergerichts als oberstem Justizorgan des Alten Reichs befanden. Von der Besetzung unter Ludwig XIV. waren die Archive all dieser Einrichtungen gleichermaßen betroffen. Der Umgang der Franzosen mit den ,feindlichen‘ Archiven schwankte – wie bei vielen anderen kriegführenden Obrigkeiten – zwischen inhaltlicher Aufmerksamkeit und symbolischer Wertschätzung einerseits und Nachlässigkeit oder Desinteresse andererseits. Als im September 1688 die französischen Truppen in der Reichsstadt einmarschierten, schlossen sie sofort die Archive. Um die Jahreswende wurde absehbar, dass die Besatzer die Stadt einäschern wollten, deshalb begannen Maßnahmen zur Verlegung der verschiedenen Aktenbestände. Hunderte von Kisten wurden jeweils mit städtischen, bischöflichen oder reichskammergerichtlichen Unterlagen gefüllt und nach Straßburg überführt. Anderes hatten Bürger der Stadt in letzter Minute retten können, etwa nach Frankfurt, doch Vieles blieb zurück und wurde ein Raub der Flammen. Um derartigen Folgen politischer und militärischer Gewalt entgegen zu wirken, dachte man in der Frühen Neuzeit explizit über Schutzmaßnahmen nach: Archive wurden, beginnend seit dem Späten Mittelalter, besonders deutlich dann nach 1648, zum Gegenstand des Völkerrechts. Nur sehr selten wurde zwar vorerst ein genereller Archivschutz erörtert, etwa im Sinne einer automatischen Neutralitätserklärung einzelner Archive im Kriegsfall. Ganz üblich dagegen war es bereits, am Ende der Kampfhandlungen rückblickend und international über die vom Krieg betroffenen Archive zu verhandeln. Friedensverträge legten immer häufiger fest, wie mit Archiven im ehemaligen Kriegsgebiet umzugehen sei. In manchen Fällen wurden detaillierte Bestimmungen zur archivbezogenen Zusammenarbeit der ehemaligen Kriegsgegner erlassen. Als Heinrich III. 1570, 1576 und 1577 Edikte zur Beendigung der Bürgerkriege in Frankreich erließ, wurde die Rückgabe entwen219
deter Archive jedes Mal ausdrücklich erwähnt. 1583, im Vertrag von Tenremond zwischen Frankreich und den Niederlanden, wurde ebenfalls eine Restitution von ,,entfernten“ Papieren bestimmt. Wenn Friedensverträge Gebietsabtretungen vorsahen, wurde außerdem regelmäßig und genau festgelegt, was mit den Archivbeständen geschehen sollte, die sich in diesen Ländern befanden. Der Vertrag von Münster 1648, der Pyrenäenfrieden 1659 und die Verträge von Nijmegen 1679, Ryswijk 1697, Altranstädt 1706 oder Hubertusburg 1763 beschäftigten sich damit. Als Beispiel sei der Friedensvertrag von Utrecht 1713 zitiert, in dem Frankreich unter anderem zahlreiche Städte an die Niederlande zurückgab. In den Paragraphen acht und zwölf wurde dabei festgelegt, dass ,,alle Papiere, Briefe, Dokumente und Archive, sofern sie die Niederlande oder einen Teil davon betreffen“, zurückzugeben waren. Umgekehrt galt dasselbe: Die Niederlande sollten Lille mitsamt allen Archiven an Frankreich zurückgeben, wobei die besonders wertvollen Bestände der Chambre des Comptes in Lille ausdrücklich erwähnt wurden. Teilweise enthielten diese zwischenstaatlichen Abmachungen noch differenziertere Beschreibungen des betroffenen Archivguts. Bei der Kapitulation von Montreal 1760 etwa gestanden die siegreichen Engländer den geschlagenen Franzosen einerseits zu, dass sie ,,ihre“ Papiere ,,ohne Durchsuchung“ mitnehmen durften, andererseits aber ,,alle Landkarten“ sowie ,,Archive, die die Regierung des Landes“ betrafen, zurücklassen mussten. Letzteres betraf insbesondere die Akten der Gerichtsbarkeit, die die Franzosen schon von sich aus in Canada lassen wollten. Man machte die Archive zum Bestandteil des Völkerrechts, so zeigen all diese Belege, weil man sie als unmittelbar zum eroberten Gebiet gehörig betrachtete. Ein Territorium ohne seine Archive zu besitzen, war in der Frühen Neuzeit ein gravierender Nachteil. Wer vergaß, seine Aktenansprüche im Friedensvertrag unterzubringen, war in einer schwierigen Position. Nach Vertragsabschluss ging es darum, solche Rechtsansprüche umzusetzen. Das hessische Kloster Niederilbenstadt beispielsweise, dessen Archiv seit 1633 eine wahre Odyssee über Frankfurt, Kassel und Düsseldorf bis nach Bremen erlebt hatte, versuchte nach 1648 jahrelang, den Kaiser auf der Basis des Münsteraner Friedens für seine Rückgabeforderungen einzuspannen. Die Habsburger selbst pochten gleichzeitig gegenüber Frankreich auf die ebenfalls vereinbarte Herausgabe entwendeter Akten aus Ensisheim – ergebnislos, denn erst die diplomatische Revolution von 1756 erzeugte den politischen Willen, die archivbezogenen Rechtsbestimmungen auch umzusetzen. Auch 220
das Reichskammergericht argumentierte 1698/99 und 1714 mit den Friedensverträgen von Ryswijk und Rastatt, um seine Akten aus Frankreich zurückzuerhalten – ebenfalls nur mit eingeschränktem Erfolg. Schon Ende 1698 gelangte zwar der Großteil der Archivalien zurück, doch nach dem Rest fahndete man noch 1723, 1733, 1738 und 1755 ,,sehr begierig“ in Frankfurt, Straßburg und Paris. Nicht nur mindermächtige Teilnehmer der Politik hatten demnach Schwierigkeiten, ihre Ansprüche durchzusetzen. Die Stadt Speyer stieß deshalb 1723 eine internationale diplomatische Kampagne an, um Reste des Stadtarchivs aus Pariser Beständen zu erlangen. Die Lage war günstig: Seit einigen Jahren regierte ein deutscher Kurfürst, Georg Ludwig von Hannover, als George I. in England. London und Paris wiederum pflegten damals ein vergleichsweise kooperatives Verhältnis, so dass ein Eingreifen Englands für die Speyrer Belange offenbar vielversprechend erschien. Tatsächlich brachte George I. das Thema bei Ludwig XV. zu Gehör, und es finden sich zahlreiche Briefe, die Speyer selbst in Vorbereitung dieser Aktionen nach England und Frankreich sandte. Zumindest Einzelstücke erhielt man daraufhin zurück. Doch das, was die verschiedenen Speyrer Archive seit 1698 zurückbekommen hatten, schien durch die Verschleppung samt nachfolgender Unordnung in seiner pragmatischen Nutzbarkeit und in seiner symbolischen Bedeutung beeinträchtigt. Die Stadt holte ihr Archiv zwar unter erheblichem Aufwand zurück – doch anschließend brachte man wohl nicht mehr genug Engagement auf, die Bestände auch erneut in ihre alten Funktionen einzusetzen. 1746 jedenfalls lagerte ein Großteil des Materials unbeachtet und verwahrlost ,,auf dem obern boden“ des Rathauses. Auch das Archiv des Bischofs, um dessen Rückholung er hartnäckig gekämpft hatte, habe ,,in diesem Seculo noch keinen archivarium gehabt“. Sicherlich trugen die katastrophalen materiellen Bedingungen in der niedergebrannten Stadt um 1700 zum Archivchaos erheblich bei. Doch diese Vernachlässigung steht nichtsdestotrotz in einem Missverhältnis zu den Restitutionsanstrengungen. Dass man noch ein halbes Jahrhundert nach den Ereignissen zehn völlig übersehene und ungeordnete Kisten mit altem Material, das wohl aus Strassburg zurückgekommen war, auf einem Speicher finden konnte, dürfte nicht einfach nur auf die Notzeiten nach dem Stadtbrand zurückzuführen sein. Auch die wiedererlangten Reichskammergerichtsakten, um deren Restitution man so intensiv gekämpft hatte, gelangten jahrzehntelang nicht an das Gericht selbst, sondern verblieben im Zustand der Zwischenlagerung im kurfürstlich mainzischen Residenzschloss zu 221
Aschaffenburg, wo man sie nie richtig auspackte. Dort wurden sie zwar durchaus benutzt und 1713 sogar verzeichnet, doch aufs Ganze gesehen führten auch diese restituierten Akten nach ihrer Wiedererlangung eher ein Schattendasein. Es ist bezeichnend für die gebrochene Wertschätzung der geretteten alten Bände, dass man 1752, als die Zustände in Aschaffenburg unerträglich geworden waren, direkt eine umfangreiche Kassation der ehemals so wertvollen, nun aber als nutzlos eingeschätzten Stücke vorschlug. Dieser rasante Wandel in der Wertschätzung des zunächst gestohlenen und später zurückgegebenen Archivguts belegt, dass Kriegsgewalt häufig archivische Traditionsbrüche bedeutete, die man trotz materieller Wiederinbesitznahme der Unterlagen nur noch teilweise rückgängig machen konnte oder wollte. Angesichts derartiger Erfahrungen war es kein Wunder, dass Archivbildner oft frühzeitig Krisenszenarien entwarfen und bei drohenden Konflikten ängstlich wurden. Die Realität des Krieges hatte einen festen und prägenden Platz in der europäischen Archivkultur. Die ,,feststellung einer beharrlichen sicherheit“ des Reichskammergerichtsarchivs beispielsweise war seit jeher ein Anliegen, das grundsätzliche strategische Überlegungen auslöste. Dabei ist deutlich zu sehen, wie die internationale politische Lage die Archive zum Spielball von Furcht und Gewaltdrohungen machte: Im 16. Jahrhundert galt Speyer als sicher, 1681 mussten die Speyrer ihre Hoffnungen auf Frankfurt setzen, 1692 erwog man gar die Flucht ins entfernte Kitzingen oder Erfurt. Auch die Sicherheit in Wetzlar, wo das Gericht im 18. Jahrhundert seinen Platz fand, schien bald wieder trügerisch: schon 1734 sah man sich angesichts neuerlicher französischer Expansionsgelüste wiederum zu Verlagerungs- und Sicherungsplanungen genötigt, selbst wenn sich diese Ängste bald zerstreuten. Die Kriegs- und Gewalthandlungen der Frühen Neuzeit trieben die Archivare und ihre Archive vor sich her. Die symbolische und pragmatische Attraktivität genauso wie die materielle Fragilität der Akten machten Archive insgesamt also zu Opfern aller Arten von absichtlicher wie kollateraler Gewalteinwirkung. Archive waren verletzliche Ziele von herrscherlichem Gewalthandeln. Die materielle Anfälligkeit der Depots sowie ihre umstrittene und schwierige Benutzbarkeit waren die Schatten- oder Rückseite ihres sozialen und politischen Machtpotenzials. Die erwähnten Episoden belegen ganz deutlich, dass Archive keineswegs einfach nur Stützen und Instrumente von Herrschaft waren – sie konnten allerdings sehr wohl dazu werden, wenn die Archiveigentümer genügend Aufwand betrieben und 222
Ressourcen zur Verfügung stellten. Wie die Beispiele der Ordonnances und des königlichen terrier zeigten, konnten Archive bei guter Pflege, kompetenter Anwendung und ausdauernder Benutzung – aber auch nur dann – ihr Herrschaftspotenzial zumindest vorübergehend zur Geltung bringen.
Anmerkungen
Althusius: Politica Methodice digesta, S. 92, 229, 252–254. Unter dem Titel ,,Arsenale der Macht“ behandelt Hochedlinger: Österreichische Archivgeschichte, S. 23–70 die Entwicklung der fürstlichen und staatlichen Archive. Exemplarisch z. B. Landwehr: Die Erschaffung Venedigs. In historischer Perspektive Grebe: Simancas, S. 205–213 und vielfach passim. Systematisch Didi-Huberman/Ebeling: Das Archiv brennt, S. 52f. Vgl. noch einmal Ketelaar: Records out, S. 203. Zu dieser Definition vgl. Baker: Inventing, S. 34 u.ö. Hierzu und zum Folgenden de Vilevault: Table général, S. iii–viij, Zitate S. iv und vj. So z. B. Joseph II. von Österreich, vgl. die Edition bei Winter: Fürst Kaunitz. Vgl. zur parlamentarischen Geschichtskultur z. B. Rogister: L’argument historique. Baker: Inventing, S. 31–58, der die Exilierung der Parlamentarier 1753 als Initialzündung für eine Intensivierung dieser historisch-archivalischen Arbeit sieht (v.a. 33–37, 61). de Vilevault: Table général, S. vj. de Vilevault: Table général, S. vj–vij zur Geschichte. Olivier-Martin: Les lois du roi, S. 15–33. Baudouin-Matiszek: La publication. Barret-Kriegel: Les historiens, III, S. 284–288. Baker: Inventing, S. 39f. Anders Olivier-Martin: Les lois du roi, S. 17. Vilevault, der ab den 1750er Jahren mit der Herstellung der Ordonnances beauftragt war, war Mitarbeiter in der Cour des Aides. Deren Leiter Malesherbes war ebenfalls beteiligt. Später, um 1769, waren der Generalprokurator Joly de Fleury und der damalige Kanzler Maupeou verantwortlich. Vgl. die Vorarbeiten zur Registererstellung in AN 399 AP 66 und 67. Baudouin-Matiszek: La publication, S. 495. Olivier-Martin: Les lois du roi, S. 18. Vgl. ein Schreiben aus Lille, ca. Juli 1754, in AN 399 AP 65, unfol. de Vilevault: Table général. Vgl. den Etat des personnes auxquells il est necessaire d’envoyer la Table du Recueil des Ordonnances, AN 399 AP 65, unfol. Einbeziehung der Städte, AN 399 AP 84, unfol. (aus Quas, 5.5.1758). Einbeziehung Flanderns und der kirchlichen Archive, AN 399 AP 65, unfol. (De Calonne, 11.3.1758). General Le Sens de Folleuille, 16.3.1758, AN 399 AP 65, unfol. General Pradal, 19.3.1758, AN 399 AP 65, unfol. Für die 1760er Jahre vgl. OlivierMartin: Les lois du roi, S. 21f. Vgl. die Diskussion zwischen Moupeau und Joly de Fleury 1769, ed. Bondois: Joly de Fleury, S. 450.
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Die Vielzahl der unterschiedlichen Zuträger Moreaus wird aus seinen Korrespondenzen deutlich. Für die Hinwendung zu Moreaus Projekt vor dem Hintergrund ansonsten enttäuschender Entlohnung für archivbasierte Gelehrsamkeit vgl. z. B. das Schreiben von Dom Morle aus Dijon, 12.12.1782, BnF Moreau 291, fol. 267r . Z. B. aus Turin, unter Hinweis auf Mailänder Bestände, BnF Moreau 291, fol. 388r (Brüder Reycends, 18.4.1787). Gembicki: Histoire. Baker: Inventing, S. 58–85, v.a. 67f. Von den Mitarbeitern der Ordonnances wechselte v.a. der angesehene Gelehrte Georges Oudard Feudrix de Bréquigny zu Moreau. Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. ij. de Rodríguez Diego: Estudio, S. 15. Pomian: Les historiens, S. 110, 118–120. Vgl. als Zusammenfassung Spieß: Formalisierte Autorität. Einführung bei Keitel/Keyler (Hg.): Serielle Quellen, S. 55–61. Vgl. Richter: Lagerbücher, S. 38–68. von Ramingen: Von der Haußhaltung. Vgl. Richter: Lagerbücher, S. 67f., der skeptisch über Ramingen urteilt. von Ramingen: Der rechten künstlichen Renouatur, fol. Fijv –Fiijr , Hiijr , Liijr-v , etc. Wieger: Disputatio Inauguralis juridica, S. 16 (,,copia documentorum“), 22f. Aebbtlin: Anführung, S. 37f. Wehner: Practicarum Juris, S. 415. ASV Cibo IV, fol. 46r zu Florenz. ThHStA Nachlass Hortleder 42, fol. 3r (Hzg. Wilhelm an Hortleder, 16.7.1629). Dort weitere Korrespondenzen, die u. a. noch einen ,,abriß“ (5r ) und zusätzliches Quellenmaterial erwähnen. StA Marburg 19b/1801, unfol. (Lgrf. an Dr. Ruppel, 14.6.1628). Ähnlich StA Gotha SS 3, unfol. (Altenburg an Gotha, 9.11.1706) und LA Speyer B2 6763, fol. 3r – 4v (Schreiben von Bachmann aus Zweibrücken, 1747). ThHStA Nachlass Hortleder 42, fol. 3r , 13r , 15v , 18r zu den Informationsquellen und Reisemodalitäten. Hofgerichtsakten werden 19r erwähnt. Hortleder wollte auch das Wittenberger Gesamtarchiv aufsuchen (9r-v ). ThHStA Nachlass Hortleder 42, fol. 42r eine Liste unter dieser Überschrift. LHA Koblenz 30/177, S. 11–31: schlechter Zustand der Sayn-Altenkirchener ,,grentz-Acten“. Sieur de Sertoise, Beauftragter zur Erneuerung des terrier im Charolais, an Henri III. Jules de Bourbon-Condé, comte de Charolais, 15.4.1698, AD Saône-et-Loire C 453, unfol. Vgl. z. B. zahlreiche kritische Kommentare 1725 über vorgebrachte Urkunden in AD Ain C 529. Vgl. AD Saône-et-Loire C 453 viele Briefe zur schwierigen Arbeit im Archiv der Chambre des Comptes in Dôle zur Neuerstellung des terrier für das Charolais. Vgl. Soboul: Pratique des terriers. Déaux: Rénover un terrier. Brunel (Hg.): Terriers. In Deutschland fanden eher informell ähnliche aktualisierende Inventarisierungen von Lehnsverhältnissen statt, vgl. z. B. eine Initiative der Grafen von Nassau 1734, beschrieben in HesHStA 121/von Breidbach 13, unfol. (28.11.1734). Le Maresquier-Kesteloot: Le terrier du Roi, S. 134. Loirette: Un épisode, S. 133–135. Deharbe: Le Bureau, S. 370f. Ein solches Arbeitsbuch (minutes du terrier du Roi) für Lyon in AD Rhône 8 C 286. Vgl. Briefe von Davoust von 1682 in AN 7 G 1317, unfol. (Faszikel 8). Vgl. Baluze,
Lyon, an Colbert, 14.1.1682, in ebd. (Faszikel 7), und Colberts Antwort, in Lettres et Memoires de Colbert II 1, S. 194. Vgl. AN 7 G 1317, unfol. (Faszikel 6), z. B. ein Schreiben vom 30.9.1682. Vgl. z. B. aus dem Jahr 1692 Dokumente einer solchen Tour in Montbrison, der Hauptstadt der Grafschaft Forez, in AD Rhône 8 C 281. Vgl. Brussel: Nouvel Examen, S. ix–x. Brussel: Nouvel Examen, S. iv–xxxii. Zum Archiv vgl. Lalagué-Guilhemsans: Le dépôt des terriers. Alles Folgende nach AN 7 G 1317, unfol. (Faszikel 9 und 10). Lettres et Memoires de Colbert II 1, S. 187. Pierre Arnaud wurde nach Marseille geschickt (12.5.1683), AD Bouche de Rhône C 2194, fol. 135r . Belet an Colbert, 1.7.1682 (,,allarmé“), 4.8.1682 (,,j’ay faict donner l’alarme“), AN 7 G 1317, unfol. Guenée: L’enquête, S. 573. Es brauchte obendrein ein planvolles Vorgehen, vgl. einen Avis à nos venerables freres, in: Inventaire des rentes pensions et autres titres maintenant en valeur, pour le Chapitre de Chatillon les Dom[b]es (1756), AD Ain G 22, unfol. Spieß: Von Archiven, S. 11f. Filippini: Memoria, S. 122, 125. Vgl. z. B. sehr anschaulich StadtA Mainz 3/15, unfol. (Faszikel ,,V no 20“, 1757). Auch in Rostock saß nach 1621 der Archivar bei den Ratssitzungen, vgl. Raif: Entwicklung, S. 116. Vgl. a. StadtA Rostock 1.1.22 nr. 2, unfol. (19.5.1758): ,,Conclusum: Daß Dominus Archivarius auffsuchen möchte, wie es in vorzeiten in dergleichen Fällen gehalten worden, und darnach auch jetzo zu procediren wäre.“ Vgl. den Abdruck in Jung: Stadtarchiv, S. 298. LHA Koblenz 1C 10194, S. 29f., 382, 403, 457, 792f. LHA Koblenz 1C 10195, S. 186f., 198, 416, 816f. Vgl. das Special Verzeichnus und beschreibung aller acten [..] so uff befehl eines Eines Ehrbarn Hochweisen Raths, den Herrn Syndicis [. . . ] ex Archivo [. . . ] zugestellet, von 1621–1650, StadtA Rostock 1.1.22 nr. 29. Tröger: Die Archive, S. 110f. mit einer statistischen Auswertung. StA Gotha SS X 67, passim. StA Gotha SS X 5, 2 Bde., passim (v.a. hier zu Ludolph). Parallelfall (Mitnahme zum Augsburger Reichstag 1559) in StA Darmstadt 21A 1/7, unfol. AN P 2887/1. AD Rhône 12 G 726 und 727. StA Gotha SS X 5, Bd I, fol. 76r-v . Stark betont bei Wunschel: Die markgräflichen Archivare, S. 333f. Vgl. hierzu auch Filippini: Memoria, S. 187–205. Speziell hierüber Ritter: Hortleder als Lehrer. Hortleder (Hg.): Von Rechtmässigkeit. ThHStA Nachlass Hortleder 52, fol. 264r –304v . Das übersieht Klinger: Geschichte als Lehrstück, S. 104. ThHStA Nachlass Hortleder, z. B. die Bände 50 und 70. Zitat z. B. Bd. 50, fol. 77r . ThHStA Nachlass Hortleder 42. ThHStA Nachlass Hortleder 13, fol. 141r –156v . Limnaeus: Secundus Tomus, unfol. (Buch V, nr. 15). Das Gutachten mit vielen Korrespondenzen und Vorbereitungen in ThHStA Nachlass Hortleder 2.
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Z. B. Herzog Ernst I. an Hortleder, undat. (ca. 1624/8), ThHStA Nachlass Hortleder 22, fol. 69r . ThHStA Nachlass Hortleder 22 und 48, passim, häufige Aufforderungen, aus Jena nach Weimar zu kommen. V.a. Ernst der Fromme nahm Rücksicht auf den Gesundheitszustand des alternden Rats. Zu Pfanner existiert nur Büchsel (Hg.): Arnold. Dort passim zur Biographie. StA Gotha SS VII 1, unfol. (22.5. und 19.6.1671, Pfanners Briefe an Ernst den Frommen). Darüber gab es intensive Konsultationen der Herzöge. Es sollte sichergestellt werden, dass Pfanner sein Wissen nicht einseitig in Gothaische Dienste stellte, vgl. ThHStA Kunst und Wissenschaft 10716, fol. 43r –75v . Vgl. StA Gotha SS II 37 zahlreiche Beschwerde- und Bittschriften Pfanners. Zur Einstellung und zu den Schwierigkeiten bei der Besoldung Pfanners vgl. a. StA Altenburg Eisenberger Schlossarchiv I.14 Nr 9/317. Sagittarius bezeichnete Pfanner ,,conjunctissimus amicus“, so an Elias Veiel in Ulm, 6.7.1690, StaBi Berlin Nachlass 141 (Slg. Adam) Kapsel 24, unfol. (nr. 1). Zu Seckendorff vgl. Strauch: Seckendorff, S. 19–21. Die Pfannerschen Sammlungen umfassen ThHStA Sammlung F 573–662. Zumindest ein Teil dieser Sammlungen wurde in den 1730er Jahren aus dem Archiv ,,extrahirt“ und teilweise auch neu ,,collationirt“, vgl. z. B. die Bände F 591–611, 627, 634 (dort Zitate, fol. 1r ). Eine längerfristige Benutzung war also gegeben. StA Altenburg Eisenberger Schlossarchiv I.14 Nr 9/317, fol. 11v –12v . Bericht von denen Grafen und Herren des Haußes Sachsen, ThHStA Sammlung F 579, fol. 1r –275v . Zum reichspolitischen Hintergrund siehe Czech: Legitimation. Vgl. den Bericht von der Reichs=Immediataet oder Landsaesserey der Stiffter Naumburg, Merseburg und Meissen, ThHStA Sammlung F 638. ThHStA Sammlung F 656. Vieles wird passim erwähnt in StA Gotha SS II 38. Vgl. z. B. StA Gotha SS II 36, fol. 128r –130r (28.11.1689, Friedrich I. an Pfanner), 185v –186r (Pfanner an Friedrich I., 27.10.1690). ThHStA Kunst und Wissenschaft 10715, fol. 2r –3v . Pfanner erhält von den Fürsten sein ,,Project“, so schreibt er in StA Altenburg Eisenberger Schlossarchiv I.14 Nr 9/317, fol. 35v . StA Gotha SS II 38, passim, zahlreiche Schreiben in dieser Sache. Z. B. StA Gotha SS II 38, fol. 66r (Pfanner an Friedrich I., 29.9.1690). ThHStA Kunst und Wissenschaft 10884, fol. 1r –15v verschiedene Briefe. StA Gotha SS II 38, fol. 71r –72v . So Pfanner im Bericht über die Reichsunmittelbarkeit der Stifter, ThHStA Sammlung F 638, fol. 2r-v , 10r –11r . StA Gotha SS II 38, fol. 86r . ThHStA Sammlung F 656, fol. 279r . Das Folgende ebd., fol. 15r . Vgl. a. Sammlung F 638, fol. 13v –14r . Sehr deutlich in StA Gotha SS II 38, fol. 58r –59r (Pfanner an Friedrich I., 11.3.1690). Vgl. deutlich das Schreiben an Friedrich I., 25.9.1690, StA Gotha SS II 28, fol. 66r – 67r . Für den ländlichen Bereich vgl. z. B. den auch am Archivzugang ausgetragenen Kompetenzkonflikt zwischen Gemeinde und Pfarrer in Massiac 1752, AD Puyde-Dôme 1 C 7322, unfol. (Nr. 13–17).
Engel: Territorialänderung. Vgl. a. Müller: Zur Geschichte, S. 140–149. Tröger: Die Archive, S. 52–62. StA Marburg 19b 98, unfol. (im zweiten Teil des Dokuments; um 1736). Entsprechend ,archivhistorisch‘ wurde häufig argumentiert, vgl. z. B. StA Marburg 19b 98 (um 1736). StA Marburg C21 4. Grundlage war das Testament des Vaters, ed. Hollenberg (Hg.): Landtagsabsender, S. 264f. StA Marburg 19b 90. Georg II. gab u. a. Anweisungen bzgl. der Verpackung und der Beförderung. Das Edikt legte fest, dass alle nach 1552 säkularisierten Klöster restituiert werden müssen. Für viele protestantische Fürsten hätte dies große Gebiets- und Einkommensverluste bedeutet. Archivrecherchen waren nötig, um den Zeitpunkt der jeweiligen Verstaatlichungen zu belegen. Vgl. a. die Anfrage aus Königsberg an Hortleder, 10.2.1630, ThHStA Nachlass Hortleder 23, fol. 120r –121v . Vgl. auch Tröger: Die Archive, S. 65. ThHStA Nachlass Hortleder 22, fol. 82r (Lgrf. Georg an Hzg. Wilhelm von Weimar, 15.9.1629). Hessen schickte zu dieser Aufgabe Nicolaus Vigelius nach Weimar und bat Hortleder um Unterstützung, vgl. ThHStA Nachlass Hortleder 2, fol. 47r (Georg von Darmstadt an Hortleder, 4.1.1630), 78r (dito, 25.2.1630). Vgl. a. die Korrespondenz dazu zwischen Weimar und Darmstadt sowie unter den ernestinischen Herzögen in ThHStA Kunst und Wissenschaft 10697, fol. 1r –50v . StA Marburg 19b 1801. Vgl. z. B. StA Marburg 19b 96: ,,Verzeichnis“ von Akten, die 1618 aus Marburg nach Giessen geschickt (vgl. StA Marburg 19b 90) und 1656 zurückgefordert wurden. Vgl. a. die Korrespondenz in StA Marburg 19b 89. Vgl. a. StA Marburg 19b 1804. StA Marburg 19b 89, unfol. (Schreiben des Marburger Archivars Christoph Beckmann von 1709). HesHStA 340/62, fol. 2r betont ausdrücklich, die anschließend verzeichneten Akten seien Herzog Johann Georg von Sachsen ,,durchs Los zu theil gefallen“. Vgl. a. Mötsch: Regesten, S. 16. Vgl. a. die Ausführungen (am Beispiel der Welfen) bei Engelbrecht: De Iure Archivorum, fol. Bv –B4r . Dort auch Bemerkungen zu den ,,Gesamtarchiven“ der Reichsstädte und Ritterschaften. StA Darmstadt 21A 1/5, unfol. (Vertrag von 1488). StA Marburg 19a 9, unfol. (Wilhelm IV. von Hessen-Kassel an Ludwig IV. von Hessen-Marburg, 14.4.1590). Vgl. StA Altenburg Eisenberger Schlossarchiv I.14 Nr 9/317, fol. 17v , wo die Gemeinschaftlichkeit in sehr deutlicher Weise von Herzog Christian eingefordert wird. Müller: Negotia communia, S. 299. Hoffmeister/Wahl/Blaha: Die Wettiner in Thüringen, S. 191–193. Zum Verfahren in den 1620er Jahren vgl. z. B. ThHStA Kunst und Wissenschaft 10697, passim. Verwunderung äußerte Anton Wolff an Hortleder, 22.3.1630, ThHStA Nachlass Hortleder 2, fol. 80r . Vorher und auch weiterhin hatten die diversen Herzogtümer je einen eigenen Archivar dort. Für Gotha amtierte Israel Eckold, für Eisenach Johann Sebastian Müller. Diese partikularen Archivare am Gesamtarchiv blieben auch nach Pfanners Einstellung weiter aktiv, vgl. z. B. aus der Praxis die Belege in ThHStA Kunst und Wissenschaft 10706, passim (Pfanner, Müller, Eckold).
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StA Gotha SS II 36, v.a. fol. 6r –24r (Briefe der Fürsten untereinander). StA Gotha SS X 94, unfol.: Ausleihe von Akten von Coburg nach Gotha und Rückforderung 1734. Vgl. a. LA Speyer B2 6659, unfol. (Briefwechsel zwischen Christian IV. von PfalzZweibrücken mit Markgraf Ludwig Georg von Baden zum gemeinsam verwalteten Sponheimischen Samtarchiv in Trarbach 1753). Quellenreferat bei Moser: Staats-Historie, S. 296–311 (Zitate: 297f.). Groß: Reichshofkanzlei, S. 295–298. Duchhardt: Philipp Karl von Eltz, S. 217–226. Schlösser: Der Mainzer Erzkanzler, S. 152–162, v.a. S. 155f. Duchhardt: Philipp Karl von Eltz, S. 219f. Ediert bei Kretschmayr: Reichsvicekanzleramt, S. 484–486. Ediert bei Kretschmayr: Reichsvicekanzleramt, S. 482–484. Müller: Gemeinden. Zur Hachenburger Perspektive Czech: Legitimation, S. 272– 279. LHA Koblenz 30/171, fol. 1r , passim. Das Archiv war erst 1736 von Eisenach nach Altenkirchen verlegt worden, im Zuge der Installierung eines gemeinschaftlichen Archivars, vgl. HesHStA 340/19, z.B. fol. 20r . LHA Koblenz 30/171, fol. 30r –31v . Vgl. z. B. HesHStA 340/19, passim. Vgl. a. Müller: Gemeinden, S. 139. Anfang 1742 kam es im Rahmen dieser Verwicklungen zu einer kurzen Besetzung Hachenburgs durch die Kurpfalz. Das Hachenburger Archiv wurde geflüchtet, HesHStA 340/1386a , fol. 398r-v , 400r-v . StadtA Dijon D 43, unfol. Das hatte man 1575, 1577, 1578 sowie 1633 schon versucht. Zeitgenössische Schilderung in Martène: Histoire, Bd 9, S. 210–224. Vgl. ferner Auger: La collection, S. 43. Vgl. z. B. Staatssekretär Florentin an de Tavannes, 12.4. und 19.9.1732, StadtA Dijon D 43, unfol. Vgl. den Brief von Fleury, 30.4.1732, in: Martène: Histoire, Bd 9, S. 219. Duranton (Hg.): Lettres, V, S. 15f., 18, 20, 23f., 26, 31, 49, 120, 133. Vgl. z. B. AD Saône-et-Loire C 770, fol. 1r-v (Macon) und AD Puy-de-Dôme C 7047, passim (Auvergne). Berichtet von Schupp: Salomo, fol. Evr-v , angeblich auf der Basis eines mündlichen Gesprächs. Schneider: Geschichte, S. 10–13. Bechstein: Geschichte, S. 11. Kleinau: Geschichte, S. 37–39. Aebbtlin: Anführung, fol. A3v . Collin: Le trésor des chartes, S. 263f. zum 17. Jahrhundert. AN 257 AP 11, unfol. (Faszikel 4–6) zu 1740. Vgl. dazu auch Oberseider: Das Archiv der Stadt Speyer. StadtA Speyer 1A 79, fol. 5r –6v . Lehmann: Chronica, fol. )(3r . Die Reichsstadt Speyer als Sitz des Reichskammergerichts galt an sich als ,,neutral“, 1688 pochte das Gericht heftig auf seiner ,,Immunität“, vgl. UB Gießen Ms 142, fol. 99r-v (Johann Jakob Schatz an Johann Schilter, 6.10.1688). 1697 forderte das Gericht erneut und dauerhaft für die Zukunft einen Neutralitätsstatus für sein Personal und – ausdrücklich – auch für sein Archiv, vgl. BAB AR/1/Misc 955, unfol. (nr. 5). Bonifacio forderte 1632 die Unberührbarkeit der Archive als ,,heilige“ Plätze, ed. Born: Baldassarre Bonifacio, S. 236. Beispielsweise bei den Friedensschlüssen zwischen Österreich und Siebenbürgen 1621 (S. 4) und 1624 (§7), beides auf www.ieg-friedensvertraege.de.
Du Mont (Hg.): Corps, V/I, S. 182 (Artikel XXXI), 269 (Artikel XLIII), 306 (Artikel XLIV). Du Mont (Hg.): Corps, V/1, S. 434. Recueil de divers Traitez, Bd I, S. 29, 76f., 86 (Münster), 144 (Pyrenäen), 459 (Nijmegen), 568 (Ryswijk). Hubertusburg (Artikel IV), Altranstädt (Artikel VI) und Utrecht sind ediert auf www.ieg-friedensvertraege.de. Doughty/Shortt (Hg.): Documents I, S. 11, 13, 18, 23f., 27f. Frankreich hatte 1697 übersehen, im Frieden von Ryswijk auf Herausgabe der Akten der eroberten Gebiete Metz, Toul und Verdun zu pochen, weshalb das Reich nicht kooperationsbereit war. Frankreich versuchte, die Reichskammergerichtsakten in Straßburg als Druckmittel einzusetzen, vgl. BAB AR/1/Misc 955, unfol. (viele Schreiben von 1698). Als Faustpfand verblieben 12 Behälter bis mindestens 1743 dort, vgl. ebd. StA Darmstadt F 11A 117/1, passim (z. B. 11.5.1658). Steuer/Krimm: Vorderösterreichische Regierung, S. 23–25. StadtA Speyer 1A 78–79; 80, fol. 2r . BAB AR/1/Misc 968, unfol. (Zitat im Brief Speyers an Frankfurt, 25.4.1733). Noch 1753 tauchten in Kiel Reste auf, vgl. Andermann: Archivbenutzung, S. 336f. Enthalten in StadtA Speyer 1A 77, fol. 81r –106v . StadtA Speyer 1A 77, fol. 43r –44v , 59r-v (zu den 10 Kisten). Zu Aschaffenburg vgl. BAB AR/1/Misc 961–966. Benutzung 1738 an Hand von in Wetzlar deponierten Kopien der Aschaffenburger Inventare: HesHStA 340/1312, fol. 19v , 22r . Vernichtung erwähnt ein Promemoria in BAB AR/1/Misc 973, unfol. (Punkt 2). BAB AR/1/Misc 952, unfol. Die zitierte Formel findet sich dort allenthalben. Zu den Etappen vgl. StadtA Speyer 1A 200, fol. 16r –17v , 43r –44r , 51v –52r . BAB AR/1/Misc 952, 953 und 957. Ruppersberg: Frankfurt und das Archiv des Reichskammergerichts BAB AR/1/Misc 969.
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Quellen Archive in Historiographie und Genealogie
Christoph Lehmanns Chronica der Freyen Reichs Stadt Speyer, die 1612 in der ersten Auflage erschien, war ein historiographisches Standardwerk des 17. Jahrhunderts, das mehrfach wiederaufgelegt wurde und sich bis ins 18. Jahrhundert hinein großer Beliebtheit erfreute. Dazu trug sicherlich zu einem nicht geringen Teil bei, dass der Autor sehr umfangreiche und zuverlässige Recherchen unternommen hatte. Quellen unterschiedlichster Herkunft fanden Eingang in seine Darstellung, viele davon aus den reichen Archiven seiner Heimatstadt. Gründliches Nachforschen in allen verfügbaren Quellengattungen gehörte im Jahr 1612 nach Lehmann unausweichlich zu einer qualitätsvollen Geschichtsschreibung dazu. In seiner Vorrede hielt Lehmann fest, zur Historiographie ,,wird nicht allein erfordert / daß man alte und neue Historicos mit Fleiß muß verlesen / und darauß erlernen / was zum Werck dienen und nutz seyn will / sondern hierzu auch auß den Archivis und Cantzleyen / da alte Verzeichnussen / Brieff und schrifftliche Handlungen zu befinden / gute Hülff und Fürschub haben könne / damit die Historici mit gutem beständigem Grund von statten gehe.“
Zu Lehmanns Zeiten und in den folgenden Generationen wurde die Notwendigkeit historiographischer Archivrecherche immer wieder nachdrücklich betont – zwar keineswegs von allen Historikern, aber doch von vielen, und ihre Zahl wuchs im Lauf der folgenden Jahrzehnte. Am Ende des Jahrhunderts fragte Gottfried Wilhelm Leibniz beispielsweise nur noch rhetorisch: ,,Wie soll man die Geschichte eines Landes schreiben, ohne freien Archivzugang zu haben?“ Den historiographischen Fortschritt gegenüber älteren Geschichtsschreibern sah Leibniz entsprechend 1686 darin begründet, dass ,,man mittlerweile schon seit einiger Zeit die Geschichte des Mittelalters erforscht, wozu man aus den Archivschachteln und den Stapeln alter Papiere viele Chroniken, Urkunden und andere Dokumente heranzieht.“ Viele weitere, ähnlich selbstbewusste Einschätzungen von Historikern des 17. und 18. Jahrhunderts könnten zitiert werden, doch kaum jemand brachte die Selbstverpflichtung der Historiker auf Archivrecherche so pointiert zum Ausdruck wie Philipp Julius Rehtmeyer, ein Kirchenhistoriker des frühen 18. Jahrhunderts: ,,wer ohne solchen Archiven und bewährten documenten eine Braunschweigische Chronick oder dergleichen schreiben wolte / wäre eben so viel / als wenn jemand ein
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geistlich Buch ohne vorhergegangener fleißiger Lesung der Biblien zu sammmen [!] setzen würde.“
Archive wurden zur unverzichtbaren Grundlage historischen Arbeitens, sie wurden – ähnlich der Bibel für religiöse Schriftsteller – zur Inspirationsquelle und zum Garanten der Wahrheit. Was das konkret für den Alltag der Historiker und ihre Arbeitsweisen, aber auch für die Archive und Archivare bedeutete, soll dieses letzte Kapitel darstellen.
Vor dem Historismus Die Stilisierung von Archivbenutzung zum entscheidenden ,,Prinzip der Glaubwürdigkeit“ historischer Forschung begann keineswegs erst mit Leopold von Ranke und dem Historismus des 19. Jahrhunderts. Auf den historiographischen ,,Realitätseffekt“ des Archivs beriefen sich schon die Gelehrten der Frühen Neuzeit. Geschichtsschreibung, in der ,,kein einziges diploma, so vorher nicht schon gesehen, darin angetroffen“ werden könne oder die nur ,,wenig ex Manuscriptis“ anbot, wurde etwa von Leibniz 1691 kurz und knapp als ,,Enttäuschung“ abqualifiziert. Heinrich Meibom, Professor in Helmstedt, bezeichnete zwar noch im 17. Jahrhundert ein historisches, chronologisches oder genealogisches Interesse an der Lektüre und Analyse von Urkunden als einen ,,außerordentlichen Gebrauch“ der alten Stücke, deren ,,eigentliche“ Funktion nach wie vor in der juristischen Beweisführung lag. Doch zugleich bot er selbst bereits eine ausführliche Untersuchung an, wie man mittelalterliche Urkunden kritisch prüfen und dann historiographisch oder genealogisch nutzen konnte. An der historiographischen Ausbeutung der Archivalien führte längst kein Weg mehr vorbei. Gibt man deshalb in Sachen geschichtswissenschaftlicher Archivbenutzung die strikte Fokussierung auf das 19. Jahrhundert auf, so verschwimmen etablierte Periodisierungen und Grenzziehungen. Denn auch die (Kirchen-)Historiker des 18. Jahrhunderts wie Rehtmeyer und die späthumanistischen Gelehrten wie Meibom oder Lehmann um 1600 oder ihre französischen Kollegen um Jean du Tillet oder Hubert Languet im 16. Jahrhundert waren nicht die ersten, die den Weg ins Archiv antraten, um etwas über die Vergangenheit zu erfahren. Im Grunde genommen hat es in der abendländischen Geschichtsschreibung seit dem Mittelalter vielmehr immer die Praxis gegeben, auch archivalische Quellen zu verarbeiten und die Vergangenheit aus den Archiven heraus 232
zu rekonstruieren. Beispiele dafür lassen sich viele finden: Flodoards Geschichte der Kirche von Reims aus dem 10. Jahrhundert enthält Zusammenfassungen vieler Urkunden, ebenso die noch älteren Gesta der Abtei Fontenelle, in der mehrere Dutzend Archivstücke zitiert sind, die bei der Niederschrift bereits viele hundert Jahre alt waren. Teilweise wurden diese Unterlagen genau datiert und zumindest rudimentär in ihrer Entstehung erläutert. Abt Suger von Saint-Denis hatte es im 12. Jahrhundert dabei besonders leicht, denn er griff bei der Abfassung seines Lebens König Ludwigs VI. direkt auf einige Urkunden zurück, die dieser König für die Abtei kurz zuvor (und auf Vorschlag Sugers selbst) erlassen hatte. Spätere Chronisten und Autoren aus Saint-Denis benutzten dieselben Urkunden, wenngleich sie häufig wohl nicht die Originale selbst, sondern ihre tendenziösen Zusammenfassungen in den Inventaren lasen. Balduin V. von Hagenau ließ zur historischen Erkenntnis über Karl den Großen im zwölften Jahrhundert ,,in allen guten Abteien Frankreichs“ suchen, ob man nicht seine ,,wahre Geschichte“ finden könne als Grundlage für eigene Ausarbeitungen. William von Malmesbury führte zur Abfassung seiner Werke im gleichen Jahrhundert umfangreiche, allerdings in ihrer Ausdehnung auch ungewöhnlich breite Bibliotheksrecherchen durch. In Einzelfällen lassen sich heute sogar noch die verwendeten Originaldokumente samt Benutzungsspuren der Geschichtsschreiber auffinden, so etwa bei vier französischen Königsurkunden, die Eudes von Saint-Maur 1050 benutzte, um das Leben Burckhards, Graf von Vendôme, zu schreiben. Für bretonische Historiographen, die seit dem 14. Jahrhundert immer wieder auf Archivrecherchen zurückgriffen, sind im späten 15. Jahrhunderts sogar noch Notizbücher ihrer Archivbesuche vorhanden. Von diesen Ansätzen, so haben Mediävisten gezeigt, führte ein direkter Weg in die Chronistik und Geschichtsschreibung der Frühen Neuzeit. In Nürnberg beispielsweise lässt sich seit etwa der Mitte des 15. Jahrhunderts anschaulich sehen, wie eine intensive Archivkultur zunächst unabhängig von historiographischen Ambitionen entstand, diesen jedoch bald Vorschub leistete. In Bern griff der Verfasser der offiziösen Stadtchronik, Valerius Anshelm, um 1523 intensiv auf städtische Archivalien zurück, die ihm vom Berner Stadtschreiber herausgesucht und ausgehändigt wurden. Aufbauend auf der langen mittelalterlichen Tradition historiographischer Archivbenutzung kam es in der Frühen Neuzeit zu einer starken Intensivierung und Ausdehnung geschichtswissenschaftlicher Archivrecherche. Archivbenutzung wurde zum Regelfall und zog nun vermehrt auch eine Vielzahl von Depots mit ein. Der Hinweis auf Archive und 233
handschriftliche Dokumente begann, den Bezug der Menschen zur Vergangenheit zu formen. ,,Autorisierte Geschichte“, wie Claude-François Ménestrier diese von ihm selbst praktizierte neue Form der Historiographie 1694 nannte, griff um sich. Der Rückgriff auf Urkunden, auf Archive, auf Rechtsdokumente gehörte seiner Meinung nach zum alltäglichen Geschäft selbst von Historikern der zweiten und dritten Garde. Die philologischen Fähigkeiten der Historiker, geschärft durch die rhetorische Begeisterung des Humanismus und die gerade in Frankreich im 16. Jahrhundert beobachtbare Historisierung des Rechts, können als methodische Seite dieser geschichtskulturellen Veränderung gelten. Die philologische Technisierung des humanistischen Sprachenthusiasmus im sogenannten ,gelehrten Späthumanismus‘ führte zu einer immer präziseren Einschätzung von Archivdokumenten. Hinzu kam die seit dem 16. Jahrhundert rasant wachsende Begeisterung der europäischen Gelehrten für das Sammeln von Objekten und Texten. Der Antiquarianismus, wie diese Kultur des Suchens und Sammelns von Nachrichten über die Vergangenheit genannt wird, führte zu teilweise enormen Rechercheprojekten, die regelmäßig auf der Kooperation vieler Forscher beruhten. Die europäischen Schriftlichkeitsdepots zogen diese Gelehrten immer wieder an. Archive wurden fest in die Geschichtskultur Europas integriert. Es ist diese archivgestützte Form von Vergangenheitsbezug, die am Ende des 17. Jahrhunderts von Jean Mabillon und anderen methodisiert wurde. Ihr gilt im Folgenden das Augenmerk.
Warum Archivrecherche? Was sich Historiker von Archivalien erhofften, was man von ihnen erwartete, warum man sich der Mühe ihrer Einbeziehung aussetzte, all das unterlag ebenfalls einer gewissen Veränderung. Bernard Guenée, der die historiographische Praxis der mittelalterlichen Autoren in einer wegweisenden Studie 1981 untersuchte, betont den zunehmend ,,konkreten und alltagsbezogenen“ Charakter jener (wenigen) spätmittelalterlichen archivbasierten Geschichtsdarstellungen, die neben Urkunden auch auf Akten zurückgriffen. In der Frühen Neuzeit verband sich mit den Archivalien zudem die Hoffnung, so etwas wie die ,tatsächliche‘ Geschichte der politischen Ereignisse schreiben zu können. Friedrich Hortleder beispielsweise kritisierte an Johannes Sleidans älterer Darstellung der deutschen Geschichte des 16. Jahrhunderts, sie sei ,,mehren 234
Theils“ aus Akten gearbeitet, die bereits ,,vorhin in Druck außgangen“. Sleidan, so kritisierte Hortleder, habe also überwiegend nur Gedrucktes wiederverwertet. An einer solchen sekundären Benutzung von Belegen bemängelte Hortleder, diese entferne sich unnötig weit vom Geschehen selbst – was ihre Genauigkeit und Vertrauenswürdigkeit beeinträchtige, weil dadurch zusätzlicher Raum für Verfremdung und Verzerrung entstehe. Seine eigene Darstellung dagegen, vorwiegend aus den Originalhandschriften gearbeitet, sei so nah als möglich an den Akteuren selbst. Gerade in dieser ,Nähe‘ lag der Vorteil der archivalischen Überlieferung. Anschließend nutzte Hortleder am Beginn des 17. Jahrhunderts in exemplarischer Weise jene historiographische Fundamentalmetapher, die bis heute die Arbeit der Historiker prägt: die Bevorzugung handschriftlicher Belegstücke erläuterte Hortleder durch den Vergleich mit einer ,,Quelle“. Genauso wie man frisches Quellwasser dem abgestandenen Wasser eines trägen Flusses oder Sees vorziehe, so seien Hortleders Archivalien besonders rein und unkontaminiert von nachträglichen Zusätzen und deshalb den verschmutzten und veränderten späteren Aufzeichnungen vorzuziehen. Zur Illustration zitierte der Historiker einige Verse aus Georg Rollenhagens 1595 erschienenem Fabelgedicht Froschmeuseler: ,,Der Quellbrunn selbst ist rein und schon / Je weitr das Wasser fleust davon / Je [= Desto] mehr es annimpt Koth und Sandt / Von frembden Zuflüssn / und vom Landt.“
Das Gedicht hatte an sich nichts mit Historiographie zu tun – in Rollenhagens Text ging es vielmehr darum, dass man sich als guter Mensch möglichst direkt an der Bibel orientieren solle. Doch die Übertragung dieses religiösen Motivs in den Bereich der Geschichtsschreibung illustriert hervorragend, weshalb die Quellenmetaphorik für kritische und archivbewusste Historiker wie Hortleder so attraktiv war: Die Gleichsetzung von bestimmten Texten mit der ,Quelle‘ zeichnete diese als besonders vertrauenswürdig aus, weil sie besonders nah am Ursprung des Geschehens (bzw. des Flusses) lagen. Das Archiv, so ließe sich sagen, war das Reservoir der reinsten Nachrichten über die Vergangenheit – genauso wie die Quelle das Reservoir für reinstes Wasser war. Häufig war derartiges Lob der Archive verbunden mit einer immer deutlicher artikulierten Angst, die Geschichte habe gewissermaßen zwei Dimensionen: eine Oberfläche, die womöglich von den historischen Akteuren sogar absichtlich kreiert werde, etwa zu legitimatorischen Zwecken, und eine wahre, eigentliche Geschichte, die dann vom Histo235
riker mühsam entdeckt werden müsse – ein Topos, der in veränderter Form bis heute weiterlebt. Gottfried Lengnich bot in seiner Preußischen Geschichte von 1723 hierzu eine aufschlussreiche Beobachtung an. Er ging von der scheinbar evidenten Feststellung aus, dass nur den direkten Teilnehmern der politischen ,,Händel“ die inneren Abläufe der Geschehnisse, der ,,eigentliche Zusammenhang der Sachen / und derselben wahre Beschaffenheit“ bekannt seien. Die breite Bevölkerung habe dagegen genauso wie externe Beobachter und zeitgenössische Autoren von den Ereignissen meist nur ,,ein mehreres [. . . ] erfahren / auch zuweilen die Früchte erfahren“. Lengnich unterscheidet also eine Art Tiefenstruktur der Geschichte von einer Oberflächenstruktur. Das Potenzial der archivbasierten Historiographie sei es nun, über letztere hinaus zu ersterer vorzudringen. Denn die Akteure der Geschichte hätten die Substanz der Dinge ,,aufzeichnen und der Nachwelt zu gutte / in den Archiven beylegen lassen“. Die moderne historiographische Überzeugung, dass die Archive den Entstehungsprozess der Geschichte, die Genese von historischen Sachverhalten erkennen lassen, ist hier schon klar sichtbar. Die Archive versetzten nachgeborene Historiker in die Lage, genauso nah wie die Politiker selbst an den historischen Ereignissen, ihren Motiven und Ursachen, zu sein. Der alte Topos der Geschichtstheorie, dass Augenzeugen die Ereignisse am besten verstehen würden, weil nur sie ,,die Effekte durch die Ursachen“ zu erkennen in der Lage seien, anstatt induktiv umgekehrt von den Effekten auf die Ursache zu schließen, war bei Lengnich zwar nicht aufgehoben, aber doch entscheidend ergänzt: Die Handelnden, die Minister und Sekretäre, mussten aus Lengnichs Sicht nicht mehr unbedingt selbst historiographische Werke verfassen. Ihre schriftlichen Überlieferungen in den Archiven Europas erlaubten es auch späteren Historikern, ihren Kenntnisstand zu erreichen. Lengnichs Vertrauen in die Archivquellen als Garanten einer vertieften Einsicht in die geschichtlichen Abläufe war allerdings zu seiner Zeit nicht unumstritten. Es gab zum einen weiterhin viele Formen der Geschichtsschreibung, die schlichtweg auf andere Dinge Wert legten und für die das Suchen nach alten Dokumenten keine Priorität hatte. Noch lange Zeit galt Geschichte zunächst einmal als Geschäft der Rhetorik, so dass die Darstellung der Vergangenheit vor allem den Ansprüchen und Standards dieser Disziplin zu folgen hatte. Später, in der Aufklärung, wurde dann Geschichte vielfach zum Gegenstand philosophischer Überlegungen. Der Antiquarianismus hatte gegenüber diesen Traditionen zwar eine entschiedene Hinwendung 236
der Historiker zu Archivdokumenten sowie zu Münzen und anderen Objekten eingeleitet. Diese galten nun als entscheidende Grundlage aller Historiographie. Die Benediktiner von St. Maur (Jean Mabillon, Bernard Montfaucon) und die Bollandisten aus dem Jesuitenorden (Daniel Papebroch) hatten im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts die Analyse solcher Quellentypen methodisiert und damit auf ein neues Niveau gehoben. Doch diese stark empirische Form der Geschichtsforschung blieb ihrerseits nicht ohne Widerspruch. Rhetoriker und Philosophen spotteten über den Sammeleifer und die Detailverliebtheit der Antiquare. Doch viel wichtiger war, dass die Wahrheitsfähigkeit archivbasierter Historiographie auch ganz grundsätzlich angezweifelt wurde, wie Markus Völkel schon vor geraumer Zeit gezeigt hat. Der Glaube an die Archive, wie ihn Hortleder und Lengnich stellvertretend verkörperten, wurde selbst zum Gegenstand der Kritik. Über die Rolle und Funktion der Archive für die Geschichtswissenschaft kam es auch nach der methodischen Erneuerung durch Jean Mabillon immer wieder zu Kontroversen. Einer der wichtigsten Protagonisten unserer bisherigen Darstellung, der Weimarer und Gothaer Archivrat Tobias Pfanner, war an einer solchen Auseinandersetzung beteiligt. Im Jahr 1698 hatte Johann Peter von Ludewig, ein aufstrebender Diplomat, skeptischer Historiker und Professor an der Universität Halle eine Vorlesung angekündigt, die sich mit den jüngst abgeschlossenen Friedensverhandlungen in Ryswijk befasste. Ludewig, der in brandenburg-preußischen Diensten stand, hatte selbst am Kongress teilgenommen und wollte ausdrücklich als Augenzeuge über das Thema lesen. Der Diplomat war stolz auf seine persönlichen Erlebnisse und in seiner Vorlesungsankündigung wurde hieraus ein offener Angriff gegen eine Historiographie, die bloß aus den Archiven schöpfte und ohne eigene Beteiligung am historischen Geschehen auskommen wollte. Ludewig führte die eigene Erfahrung auf dem Kongress in den Niederlanden als entscheidenden Grund für seine Skepsis gegen die Archive an. Er habe miterlebt, wie die Dokumente, die in Archiven verwahrt und später von Historikern benutzt wurden, zustande kamen. Auslassungen, Schönungen und Verzerrungen waren die Regel, und zwar von jeder Partei im eigenen Sinne – von einer objektiven Wiedergabe der Ereignisse konnte keine Rede sein. Die Archive der verschiedenen Akteure mussten einander deshalb widersprechen, und wahre Aussagen waren nirgends zu erwarten. Die Archive waren deshalb für Ludewig nicht wahrheitsfähig. Pfanner polemisierte heftig gegen diese radikale Position Ludewigs. Der Weimarer Archivar fühlte sich durch die deutliche Haltung des 237
Hallischen Professors vermutlich persönlich angegriffen, hatte er selbst doch über einen anderen Friedenskongress, den von Münster und Osnabrück 1648, ganz ohne persönliche Anwesenheit geschrieben. Wohl auch deshalb entfachte Pfanner eine aggressive Polemik gegen Ludewig. Ludewig wolle ,,die Archiven und insonders die gesandtschaffts=Relationen verdächtig machen“. Wer, wie Ludewig, das Vertrauen in die Archivalien (,,fides actorum“) so heftig und ungerechtfertigterweise angreife, der sei ,,dem gantzen historien werck so gehäßig“. Die von Ludewig beschriebenen Schwierigkeiten und Ungereimtheiten der Archive leugnete Pfanner zwar nicht grundsätzlich. Doch mit der geeigneten historischen und hilfswissenschaftlichen Methode könne man die Probleme der Überlieferung in den Griff bekommen. Ähnlich wie Lengnich glaubte auch Pfanner daran, durch Aktenstudium, etwa durch die Lektüre interner Korrespondenzen, hinter die Oberfläche der Phänomene vorzudringen und an die wahren Motive der Handelnden heranzukommen. Zudem habe Ludewigs Position einen entscheidenden Fehler: Kein Augenzeuge, auch Ludewig nicht, könne überall gegenwärtig sein. Allein die Archive seien in der Lage, die Gesamtheit des Geschehens abzubilden. Der Konflikt zwischen Pfanner und Ludewig ist weniger wegen seiner inhaltlichen Positionen interessant. Beide Autoren vertraten polemisch übersteigerte Auffassungen. Doch als Indikator für den Status historiographischer Archivbenutzung um 1700 ist der Streit von großer Bedeutung. Er zeigt zum einen in der Auffassung Pfanners das enorm gesteigerte Selbstbewusstsein archivbasierter Historiographie, gerade wenn diese auf einem fortgeschrittenen methodischen Reflexionsniveau erfolgte. In Gestalt von Ludewigs Gegenposition stand Pfanner jedoch zum anderen eine durchaus schlagkräftige und zeitgenössisch virulente Kritik an den Archiven gegenüber. Ludewig schien zwar einerseits nur die alte Vorstellung von autopsiegeleiteter Geschichtsschreibung fortzuführen, doch hatte er diese andererseits durch Übernahme zeitgenössischer Kritiken an der historischen Methode aktualisiert. Trotz oder auch wegen des neuen Selbstbewusstseins archivbasierter Historiographie verstummten die Zweifel an ihrem Potential nicht.
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Angst vor Historikern: Geschichte zwischen Politik und Wissenschaft Archivrecherche zu fordern, war das eine. Etwas ganz anderes war es, diese Forderung auch umzusetzen. Denn die Archive, die Historiker gerne aufsuchen wollten, waren nicht ohne weiteres zugänglich. Im Gegenteil, wenn Gelehrte bei Fürsten und Obrigkeiten um Archivzugang baten, so schlugen ihnen – nach eigener Aussage – zunächst einmal meist ,,Viel nachfragens und soupçon [Sorge]“ entgegen. Selbst ihren eigenen Haus- und Hofhistoriographen gegenüber waren die fürstlichen Obrigkeiten bisweilen zurückhaltend, wie etwa Ernst Wilhelm Tentzel, der ernestinische Geschichtsschreiber, 1701 bei seiner abgelehnten Anfrage nach Archivzugang in Weimar, Meiningen und Gotha feststellen musste. Es war insbesondere der patrimoniale Charakter der frühneuzeitlichen Archive, der für dieses Misstrauen gegen die Historiker sorgte. Weil Archive und die in ihnen enthaltenen Urkunden als politisches Machtmittel galten, schien es den Obrigkeiten sinnvoll, das eigene Arsenal an Rechtstiteln zunächst einmal geheim zu halten. Historiker standen umgekehrt oft von vornherein unter dem Verdacht, sie würden nicht im gelehrten Interesse der Vergangenheitserkundung recherchieren, sondern eher die Interessen eines anderen Fürsten oder eines dynastischen Rivalen vertreten. Aus all diesen Gründen waren Obrigkeiten misstrauisch gegenüber historiographischen Anfragen. Eine ,,Archivräson“ bestimmte darüber, wer Einsicht in die Unterlagen erhielt. Die Sorge vor den politischen Motiven und Folgen historischer Forschung war dabei nur allzu begründet. Historiographische und politische Motive bei der Archivrecherche lassen sich in der Frühen Neuzeit oft nicht säuberlich trennen. Viele der berühmtesten Geschichtswerke der Frühen Neuzeit – und gerade solche, die für die neuen Tendenzen langfristig wegweisend wurden – waren auf der Grenze zwischen Politik, Jurisprudenz und Historiographie angesiedelt. Folgt man Donald Kelley, so gingen grundlegende Entwicklungen in Methode und Praxis frühneuzeitlicher Geschichtsschreibung auf die Pionierleistungen französischer Humanisten und Juristen zurück, die ihre neuen Archivpraktiken gerade als Kampfmittel im politischen Konflikt zwischen Königtum und Parlamenten seit dem 16. Jahrhundert entwickelten. Beide Seiten erkannten, dass sich politische Machtansprüche mit alten Urkunden und Akten neu belegen ließen. Antiquarisch und juristisch geschulte Historiker begannen, diese Unterlagen in immer größerem 239
Umfang zu beschaffen und kritisch zu interpretieren. Auch Autoren, die die kirchenpolitischen Rechte des französischen Königs gegenüber den Machtansprüchen des Papsttums verteidigen wollten, griffen damals zunehmend auf Archivdokumente zurück, wie der Jurist und Historiker Hubert Languet pointiert festhielt: ,,Weil sich der Papst immer arroganter in der französischen Politik verhält, hat man hier einigen Leuten den Auftrag gegeben, dass sie in den Archiven des Königs die Privilegien der Kirche Frankreichs auftreiben“. Politische Implikationen von historischer Archivbenutzung lagen auch dort auf der Hand, wo es darum ging, mittels historiographischer Recherchen Rechtsansprüche auf Territorien aussterbender Dynastien zu erheben. Weil Ländereien vererbt wurden, galt es in solchen Fällen, alte Familienbeziehungen zu belegen oder sogar alte Erbverträge vorzulegen – Archive hielten auch diese Texte bereit. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass solche historischen Recherchen von langer Hand geplant waren. Die bestens koordinierten, mitteleuropäisch ausgerichteten Forschungen von Leibniz und Chilian Schrader für den kurfürstlichen Hof in Hannover um 1691 sind gut bekannt – sie dienten einerseits der Produktion einer großen Welfengeschichte, andererseits aber auch zur Legitimation hannoverischer Ansprüche in verschiedenen Erbfällen, insbesondere das Herzogtum Sachsen-Lauenburg betreffend. Angesichts dieser Ereignisse, die er selbst aus eigener Anschauung kannte, hielt Christian Ludwig Scheidt in Hannover 1748 zutreffend fest, dass ,,Historiker zur Verteidigung der Rechte ihrer Fürsten weitaus nützlicher sind als gut gedrillte Armeen. Schrift und Feder können mehr schaden als die Zerstörung eines feindlichen Heeres.“ Scheidt führte dann ein besonders notorisches Beispiel politischer Historiographie bzw. Archivbenutzung an, das allerdings schon den Zeitgenossen als absurder Extremfall galt: die Legitimation der preußischen Aggression am Beginn des Schlesischen Krieges, die Friedrich der Große fabrizieren ließ, um seine militärische Aggression nachträglich zu legitimieren. Der politische Nutzen von zweckgebunden archivbasierter Historiographie ließ demnach auch im 18. Jahrhundert nicht nach. Man hat zwar davon gesprochen, dass die gelehrte Historiographie um 1700 eine entscheidende ,,Niederlage“ erlitten habe. Damals habe sich im Zeichen der Aufklärung eine stärker interpretierende, philosophische Form der Geschichtsschreibung etabliert, deren erklärtes Feindbild die antiquarische Pedanterie der Mauriner oder Bollandisten war. Doch das führte nicht zum Verzicht auf politisch motivierte historiographische Archivrecherche. Ohnehin wird man die Entgegensetzung von Anti240
quarianismus und Aufklärung relativieren und zumindest teilweise als rhetorisches Konstrukt einschätzen müssen. Aufs Ganze gesehen blieb archivbasierte Historiographie ein weiterhin sehr nützliches Genre, das im 18. Jahrhundert keineswegs an Bedeutung verlor. Im Gegenteil, in Frankreich wurde diese Form der forschungsbasierten Historiographie mit politischer Stoßrichtung gerade in den Machtkämpfen zwischen Monarchie und Parlamenten nach 1753 erneut sehr wichtig. Allerdings ist immer deutlicher zu beobachten, dass und wie archivbasierte historische Forschung sich von rein politischen Nutzenkalkülen emanzipieren oder gar mit diesen konkurrieren konnte. Das vorwiegend politisch motivierte Großprojekt der Ordonnances des Rois de France beispielsweise führte auch und gerade durch die Konfrontation der ministeriellen Pläne mit den tatsächlichen Archivfunden zu einer Differenzierung zwischen rein historischer und stärker politisch motivierter Recherche. Joly de Fleury betonte das ganz deutlich ex negativo, als er forderte, man solle alle ,,Stücke zu unserer Geschichte (histoire), d. h. alles, was nichts mit der Gesetzgebung (legislation) zu tun hat“, aus der Sammlung ausschließen. Die Suche nach bestimmten, machtpolitisch oder lehnsrechtlich relevanten Dokumenten trieb zusätzliche Funde und neue Interessen hervor, deren Bedeutung nicht im herrschaftsbezogenen, sondern in einem anderen, nämlich im gelehrt-historischen Bereich lag. Auch der österreichische Staatskanzler Kaunitz unterschied 1785 den ,,gelehrten fürwitz“ von einer politisch motivierten, ,,wahren diplomatisch-historischen Gelehrsamkeit“, die unterschiedlichen Relevanzkriterien folgten. Eine eigenständige Logik historischer Forschung lässt sich auch und gerade an Hand der archivischen Recherchepraktiken spätestens seit dem 18. Jahrhundert immer wieder ansatzweise erkennen. Historisch-gelehrte und politische Perspektiven auf das Archiv rückten auch sonst gelegentlich auseinander. Gerade im 18. Jahrhundert veränderten sich die Kriterien, an Hand derer Fürsten über Archivzugang für Gelehrte entschieden. Neben die politisch motivierte Furcht vor Archivrecherchen traten zusehends andere Überlegungen. Gelehrte appellierten nun nicht ohne Erfolg mit Hinweis auf die aufklärerisch verstandene Kategorie des gemeinen Nutzens an die Archivbesitzer. Diese differenzierten ihrerseits stärker, was die Bedeutung der eigenen Bestände anging – die alte patrimoniale Logik blieb zwar bestehen, doch sie betraf nicht mehr umstandslos alle Urkunden. Politisch, juristisch oder sozial unproblematische Stücke wurden leichter als früher für Forschungszwecke juristischer oder historischer Art zur Verfügung 241
gestellt. Das meinte jedenfalls Johann Adam Kopp, ein deutscher Jurist und Historiker, der 1739 die Fürsten im Reich ausdrücklich dafür lobte, dass sie ,,nicht mehr so sorgfältig / wie ehedessen geschehen / ihre Archiva mit denen Ketten einer ewigen Verschwiegenheit und Geheimnusses verschlossen halten“ würden. Urkunden, die nicht mehr zu den ,,arcana“ der Herrschaft zählten, würden den interessierten Historikern und Juristen mittlerweile sehr viel großzügiger zugänglich gemacht. Für solche Kooperationen erhielten die jeweiligen Obrigkeiten eine symbolische Gegenleistung der Gelehrten: lobende Erwähnung in der seit dem späten 17. Jahrhundert wachsenden Öffentlichkeit. Fürsten konnten darauf hoffen, durch eine liberale Handhabung des Archivzugangs gerade in gebildeten Kreisen ihre Reputation zu steigern. Wer den Gelehrten die Archive öffnete, hatte zumindest das Wohlwollen der Historiker, Literaten und Gebildeten auf seiner Seite – eine wortgewandte Gruppe, deren Meinung immer weniger zu überhören war und die einen wachsenden Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung der Fürsten hatte. Einen ,,unsterblichen Nahmen“ könne ein Fürst durch leichte Archivzugänglichkeit erlangen, so lockten die Bittsteller. Willfährige Magistrate wurden dann von Pariser Schriftstellern rhetorisch ,,dauerhaft dafür bewundert, wie sie die Allgemeinheit [durch Archivöffnung] mit tausend Dingen bereichern, die ohne Euch vergessen wären“. Durch Liberalität in Fragen des Archivzugangs konnte das eigene Ansehen gesteigert werden. Berühmte Archive zogen berühmte Historiker an, deren Interesse am eigenen Urkunden- und Aktendepot wiederum das Ansehen der Archivbesitzer steigerte. Als der berühmte ,,Herr Leibniz“ 1696 in Gotha um Akteneinsicht bat, wurde dieses Ansuchen in der herzoglichen Kanzlei nicht zuletzt deshalb befürwortet, weil ,,solches dero Chur= und F[ürstlichem] Hauße selbst zu Ehren gereichen möchte“. Der Ruhm einer umfangreichen Sammlung fiel auf die verantwortliche Obrigkeit zurück.
Geheimnis als Projekt und Projektion: Möglichkeiten und Grenzen gelehrten Archivzugangs Die politisch motivierte Abschottung der Archive beschränkte und erschwerte zwar die Recherchen vieler Historiker. Dennoch schafften es die Gelehrten immer wieder, durch unterschiedlichste Strategien den Zugang zu den gewünschten Archiven zu erhalten. Die Publikationen 242
der eingangs erwähnten Historiker von Lehmann bis Rehtmeyer forderten nicht nur archivbasierte Historiographie, sondern konnten diese auch in beeindruckender Weise umsetzen. Ihre Werke belegen, dass Historiker trotz des Dickichts von einschränkenden Normen den Zugang zu fürstlichen und kirchlichen, gelegentlich auch zu privaten Archiven fanden. Mit Blick auf die historiographische Praxis sollte man darum nicht undifferenziert auf dem Geheimnischarakter frühneuzeitlicher Archive beharren. Eher wäre die Frage zu stellen, bis zu welchem Grad und für wen welche Archive wann und aus welchen Motiven geheim waren. Statt vom tatsächlich geheimen Archiv sollte man vom geheimen Archiv als Projekt oder, besser noch, als Projektion ausgehen. Eine teilweise Zugänglichkeit der Archive war einerseits einkalkuliert, wenngleich gefürchtet, und andererseits befördert und erlaubt. Deshalb gilt es aufzuklären, mit welchen Strategien und Taktiken man als archivinteressierter Gelehrter das Misstrauen der Archivinhaber überwinden und sich Zugang verschaffen konnte. Christoph Lehmanns Fall war relativ einfach. Als er sein eingangs erwähntes Buch verfasste, stand er bereits seit vielen Jahren im Dienst der Stadt Speyer und hatte dabei auch seit langem regelmäßigen Archivzugang. Für seine Archivarstätigkeit wurde er bezahlt und ,,wegen der Stadt acten“ erhielt er gelegentliche Sondergratifikationen. Lehmann war also in einer privilegierten Position, denn als Historiker war er zugleich direkt in das Alltagsgeschäft des wichtigsten Archivs eingebunden, auf dem seine Arbeit beruhte. Menschen wie er waren die archivischen Insider der Frühen Neuzeit schlechthin und bevorzugt in der Lage, auf diesem Weg aktenbasierte Historiographie zu schreiben. Zugang zu Originalen war jedoch auch möglich, indem man sich formal um Einlass in eine Sammlung bewarb. Als Benediktinermönche um 1690 für eine ausführliche Geschichte der Bretagne recherchierten, baten sie die Ständeversammlung der Provinz offiziell um Archivzugang, der ihnen am 31. September 1691 auch gewährt wurde. Patronage- und Klientelbeziehungen der unterschiedlichsten Art waren bei solchen Anfragen oft nützlich, ja häufig unabdingbar. Persönliche Bekanntschaft mit leitenden Magistraten half hier weiter. Dem Benediktiner Dom Guillaume Aubrée beispielsweise wurden in den 1720er Jahren durch den Parlamentspräsidenten von Dijon, Jean Bouhier, ,,die Türen des Archivs der örtlichen Chambre des Comptes geöffnet“, wie dieser selbst etwas gönnerhaft bemerkte. Als 1729 dann posthum Aubrées Mémoires pour servir à l’histoire de France et de Bourgogne in zwei Bänden herauskamen, enthielten sie tatsächlich viele Informationen, die auf diesen Akten 243
beruhten. Insbesondere die umfangreichen Listen der burgundischen Amtsträger seit dem Mittelalter, die sich im zweiten Band fanden, gingen wesentlich auf sie zurück. Auch der Sieur de Batteney, der 1781 Zugang zu verschiedenen Archiven in Lyon erhalten wollte, bat mit dem Garde des Sceaux einen hohen königlichen Beamten um Fürsprache. Zugleich ließ er seine Expertise und die Nützlichkeit seiner Recherchen in diesem Empfehlungsschreiben unterstreichen. Damit sind bereits wichtige Themen und Topoi angesprochen, die in solchen Gesuchen um Archivzugang immer wieder auftauchten: Über die fachliche und technische Expertise hinaus betonten Gelehrte regelmäßig, frei von politischen Absichten zu sein. Sie behaupteten, nützliche Forschung zu betreiben, und sie erinnerten, wo möglich, die Adressaten ihrer Schreiben an frühere Gunsterweise in ähnlichen Angelegenheiten. Eine Topik von fachlicher Kompetenz und gelehrter Ungefährlichkeit entstand auf diesem Weg – wer sie erfolgreich anwandte, konnte durchaus auf Rechercheerlaubnis hoffen, denn archivverantwortliche Beamte wie beispielsweise Anton Graf Kaunitz im Fall des Wiener Hausarchivs wägten die zahlreichen Einzelanträge oft sehr gründlich ab. Wo sie Unbedenklichkeit oder gar einen konkreten Nutzen vermuteten, konnten sie durchaus entgegenkommend sein. Gottfried Lengnich war auf eine solche Anfrage hin Einlass in die Archive der Stadt Danzig gewährt worden. Manchmal wandten sich umgekehrt auch Fürsten gezielt an Gelehrte mit der Aufforderung, bestimmte historische Themen zu bearbeiten. Die Motive waren vielfältig und reichten von politischen über dynastische bis zu religiösen Absichten. Häufig war, sofern nötig, dabei die Unterstützung in Archivangelegenheiten Teil des Arrangements. Veit Ludwig von Seckendorff etwa erhielt für seine außerordentlich wirkmächtige und vollständig aktenbasierte Geschichte der Reformation bevorzugten Zugang zu diversen ernestinischen Archiven, weil Herzog Friedrich II. von Sachsen-Gotha aktiv hinter diesem Projekt stand. Über 400 Bände an Materialien wurden aus Weimar auf Seckendorffs Gut Meuselwitz transportiert. Wenn sich Fürsten oder andere staatliche Instanzen in solcher Weise bestimmte historiographische Projekte zu eigen machten, konnten ungeahnte Ressourcen zur Archivrecherche freigesetzt werden. In Frankreich wurde 1745 beispielsweise der ganze Behördenapparat der Intendanturen aktiviert, um möglichst lückenlos Material für das dreizehnbändige Publikationsprojekt einer Sammlung französischer mittelalterlicher Historiker (Recueil des historiens des Gaules et de la France) zu besorgen. In solchen Fällen konnten die beteiligten Fürsten für ih244
re Geschichtsschreiber dann höchst persönlich auch im Ausland um Archivöffnung bitten. Die Recherchearbeit des Historikers wurde auf diesem Weg zum Gegenstand frühneuzeitlicher Außenpolitik und Diplomatie. Solche obrigkeitliche Patronage war allerdings weder für alle Historiker erreichbar noch konnte sie alle Probleme ausräumen. Patronagenetzwerke, gerade wenn sie nicht auf höchste Einflussträger zurückgreifen konnten, schwächten sich oft mit räumlicher Entfernung ab. Je weiter weg das zu konsultierende Depot lag, desto schwieriger war es dann, das notwendige Vertrauen zu erzeugen. Archivzugang wurde deshalb zumindest teilweise auch eine Frage regionaler Zugehörigkeiten und Identitäten. Johann Heinrich Schmidt, Historiker in Helmstedt, fasste diese Tatsache 1707 kurz und knapp zusammen: Es sei klar, dass ,,Eingesessene das Glück eher als Frembde haben können / nicht nur die gehörige Nachrichten im Lande zu erforschen / sondern auch zu den Kirchen und andern Archiven nach und nach gelassen zu werden.“ Archive, Archivzugang und regionale Identitäten schienen aufeinander bezogen zu sein. Angesichts dessen war es das mindeste, Archivbesuche in der Fremde gründlich zu planen. Leibniz führte 1699 ausführliche vorbereitende Korrespondenzen mit Wien, um überhaupt einmal herauszufinden, in welchen Archiven – und unter wessen Aufsicht – die für ihn einschlägigen Akten lagerten und ob seine persönlichen Beziehungen ausreichten, dort Zugang zu bekommen. Der Versuch, zugkräftige Empfehlungsschreiben zu erhalten, gehörte ebenfalls zu solchen Vorbereitungen. Allerdings war die Gewährleistung des Archivzugangs aus der Ferne selbst bei bester Vorbereitung schwierig und blieb eine unsichere Angelegenheit. Alles hing von der sozialen Situation vor Ort ab, vom Mit- oder Gegeneinander von Besucher und Archivar. Entsprechend waren über die vorangegangenen Vorbereitungen hinaus oft langwierige soziale Anpassungsprozesse notwendig, bei denen es trotz Absprachen darum ging, die richtigen Personen noch einmal auf die richtige Weise zu überzeugen. Andreas Lamey etwa beschrieb anschaulich, wie kompliziert es 1769 war, trotz längst erteilter Erlaubnis dann auch tatsächlich ins Archiv des Speyrer Domkapitels zu kommen: ,,Am Mittag kamen wir in Speyer an, wo uns das Kapitel bereits den Archivzugang erlaubt hatte, um unsere Urkundenabschriften mit den Originalen zu vergleichen. Außerdem hatte man uns versprochen, uns weiteres Material zukommen zu lassen. Wir brauchten allerdings acht Tage, um zu erfahren, was wir gerne wissen wollten. Denn hier ist es wie überall, nichts geschieht ohne eine Vielzahl von Schwierigkeiten. Selbst jene Leute, die es gut mit uns meinen, sprechen nur sehr zurückhaltend
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mit uns, um nichts zu zerstören. Der Vorsitzende zwang uns dazu, jeden Abend mit ihm zu speisen. Nur einmal hatten wir unsere Ruhe. Außerdem mussten wir jeden Abend mit dem Archivar verbringen, der eine Goldmedaille im Wert von 25 Dukaten erhielt.“
Eine mühsame Abfolge gesellschaftlicher Ereignisse war demnach unumgänglich, um den versprochenen Archivzugang auch tatsächlich zu erhalten. Abendessen und Unterhaltung, soziale Kontaktpflege und gesellschaftliches Lavieren waren notwendig, um die gewünschten Unterlagen zu erhalten – und das, obwohl Lamey alles minutiös und lange im Voraus geplant hatte. Doch die Pflege der Beziehungen vor Ort war letztlich das Entscheidende, denn Archivzugang war eine im Kern situative und lokale Angelegenheit. Die Menschen des Archivs mussten individuell gewonnen und überzeugt werden. Dafür mussten Zeit und Geld aufgebracht werden. Lamey fiel das nicht leicht, denn beides war bei ihm wie bei vielen anderen Gelehrten auf Archivreise notorisch knapp. In Notfällen, in denen all dies unmöglich war oder nichts half, stand schließlich eine Reihe weniger eleganter Möglichkeiten zur Verfügung, derer man sich als letzte Mittel bedienen konnte, um doch noch Zugang zu oder Dokumente aus Archiven zu erhalten. Zwar zogen alle Beteiligten ,,freundliche und ehrliche“ Mittel der Archivöffnung vor. Doch daneben bestanden durchaus auch verschlagene Strategien, sich Zugang zu verschaffen. Geld beispielsweise dürfte den Weg in fast jedes Archiv ermöglicht haben und wurde teilweise ganz offensiv eingesetzt. Lameys Geschenk von 25 Dukaten an den Speyrer Archivar verwies bereits auf solches Vorgehen. Auch Chilian Schrader wusste um diese Praxis genau Bescheid. Immer wieder wurden ihm seitens der kurfürstlichen Regierung in Hannover vor Antritt einer Archivreise blanko Schuldscheine ausgestellt, die er im Zweifelsfall ausfüllen und benutzen durfte, um zurückhaltende Archivare mittels finanzieller Gunsterweise zur Kooperation zu bewegen. Gelegentlich waren dabei erhebliche Summen im Spiel. Einmal wurde ihm erlaubt, den großen Betrag von 1.000 Gulden für einen Archivar auszugeben. Wo freiwillige Unterstützung bei der Dokumentenbeschaffung ausblieb oder die persönlichen Beziehungen nicht eng genug waren, konnte der Aktenbeschaffung also erfolgreich durch finanzielle Kompensation auf die Sprünge geholfen werden. Neben offener Bestechung konnten auch Täuschung und Verstellung in mehr oder weniger elaborierter Form Einlass in so manches Archiv ermöglichen. Geschickte und gegebenenfalls verschleiernde Kommunikationsstrategien waren von größter Bedeutung. Vom Helmstedter Historiker Heinrich Meibom sen. beispielsweise berichtete sein Sohn, 246
er habe ,,bey vielen prelaten sich insinuieret“. Indem Meibom sen. den Archivbesitzern absichtlich verschwieg, ,,was er nun hierauß notitz zu notiren erachtet“, habe er es geschafft, ihr Misstrauen zu zerstreuen. Offenbar war Meibom sen. sehr geschickt und vertrauenserweckend im Umgang mit den Archiveigentümern, denn er habe immer wieder ,,gueten glauben“ erzeugt und deshalb ,,offtmahlen viell monumenta erhalten“. Andere Historiker gingen auf diesem Weg noch ein Stückchen weiter und legten sich regelrecht falsche Identitäten zu, um Argwohn zu zerstreuen. Als Chilian Schrader im hessischen Waldeck recherchieren wollte, täuschte er eine Erholungsreise ins nahegelegene Heilbad Wildungen vor. Seine Ausflüge ins Waldecker Archiv seien nur der Zeitvertreib eines Genesenden, nicht aber lange vorbereitete Missionen, und schon gar nicht in politischer Absicht. Manchmal schließlich brauchte es einfach nur Geduld. In einer Zeit häufiger Kriege und relativ flexibler Bündniskonstellationen konnten sich politische Verhältnisse schnell ändern. Archivrecherchen profitierten hiervon immer wieder. Das Jahr 1709 war für die hannoverschen Kurfürsten ein solcher Moment. Seit langem hatten die dortigen Welfen versucht, zur Klärung ihrer dynastischen Geschichte die Archive des Kurfürstentums Bayern benutzen zu dürfen, das einst ebenfalls von Welfen regiert worden war. Die Bayernherzöge hatten jedoch regelmäßig abweisend reagiert. Während des Spanischen Erbfolgekriegs wendete sich das Blatt. München hatte mit Frankreich und gegen Österreich gekämpft, während Hannover treu zum Kaiser stand. Als die Österreicher 1709 Bayern eroberten, die dortigen Herzöge vertrieben und in die Reichsacht erklärten, war deshalb plötzlich der Weg frei für Hannover. Kurfürst Georg Ludwig ergriff die Gelegenheit und schickte sofort Chilian Schrader nach München. Zugleich startete er eine diplomatische Initiative, um beim Kaiser als aktuellem Herrscher von Bayern Zugeständnisse in der Archivfrage zu erreichen. Kaiser Joseph I. war nur allzu bereit, die Depots im feindlichen Bayern den Verbündeten aus Norddeutschland zu öffnen. Schrader hatte mit dem politischen und militärischen Rückhalt der österreichischen Besatzungsmacht bei seiner Arbeit dann großen Erfolg. Über die umfangreichen Funde seiner Recherchen berichtete er in langen Listen regelmäßig nach Hannover. Die politische Unterstützung in Wien und in München zusammen mit weiteren Schmiergeldern (,,gratialia“) öffnete die bayerischen Archive. War es schwer genug aus Sicht der Historiker, in Archive der Fürsten und weltlichen Obrigkeiten zu kommen, so war es noch einmal etwas 247
ganz anderes, in kirchliche Sammlungen vorzudringen. Daran waren die Gelehrten oft ganz besonders interessiert, da gerade die Archive der Klöster den Ruf unvergleichlichen Reichtums hatten. Viele Historiker klagten allerdings offen darüber, wie schwer oder beinahe unmöglich es sei, in kirchlichen Archiven zu arbeiten. Das betraf selbst die Benediktiner von St. Maur, wie Jean Mabillon mehrfach bemerkte. Säkulare Forscher hatten es noch schwerer. Jean-Baptiste Carpentier etwa, ein erfahrener französischer Autor, beklagte sich 1661 mehrfach über die ,,Starrköpfigkeit und Interessenlosigkeit der Mönche“. Man könnte angesichts dieser häufig behaupteten Verbohrtheit der Kirchen vermuten, dass die konfessionellen Spannungen gerade in Deutschland die Schwierigkeiten der gelehrten Archivbenutzung noch einmal steigerten. Tatsächlich mutmaßten katholische Historiker gelegentlich, dass man ihnen aus religiösen Gründen den Zugang zu Archiven jener Klöster verweigerte, die seit der Reformation in Händen der Protestanten waren. Im Einzelfall konnte so etwas auch über die kirchlichen Institutionen hinausgehen. Der (katholische) Reichserzkanzler beispielsweise meinte 1752 bezüglich des Reichskammergerichtsarchivs, gerade von ,,protestantischen Assessori“ sei ,,schädlicher Missbrauch“ zu erwarten. Johann Heinrich von Harpprecht, der selbst dort arbeitete und zur Abfassung einer historischen Studie über das Gericht Akten benötigte, sollte deshalb nur nach strenger vorhergehender Kontrolle Unterlagen erhalten und sollte auf keinen Fall direkt selbst Zugang ins Archiv bekommen. Viele andere Beispiele illustrieren allerdings das Gegenteil. Für Andreas Lamey beispielsweise waren im 18. Jahrhundert die konfessionellen Grenzen zumindest so durchlässig, dass er bei guter Planung auch als Protestant in katholischen Kirchenarchiven arbeiten konnte. Auch der protestantische Archivar und Historiker Philipp Ernst Spieß aus Kulmbach galt seinen Zeitgenossen am Ende des 18. Jahrhunderts als Symbol für die überkonfessionell kooperierende historische Archivarbeit. Konfessionelle und archivische Schranken mussten nicht zwingend identisch sein, das wusste auch der protestantische Kirchenhistoriker Johann Georg Leuckfeld. Er äußerte sich 1721 sehr positiv über die Hilfe, die er seitens der französischen Benediktiner in Archivangelegenheiten für seine eigenen Projekte erhalten hatte. In dem Maße, in dem die Gelehrtenrepublik ihrem überkonfessionellen Ideal überhaupt praktisch entsprechen konnte, scheinen demnach auch Chancen und Grenzen des Archivzugangs nicht primär von Konfessionsfragen abhängig gewesen zu sein. 248
Kontrolle der Archivarbeit: Recherchemöglichkeiten und -beschränkungen Auf die eine oder andere Weise gelangten also viele Historiker trotz erheblicher Schwierigkeiten doch ins Archiv. Doch selbst wenn eine totale Abschottung unmöglich war, so hatten unwillige Archivbesitzer viele weitere Möglichkeiten, einen Archivbesuch mehr oder weniger frustrierend und nutzlos zu gestalten. Es scheint fast, als hätten viele von ihnen solche Strategien der Behinderung im Archiv kühl kalkulierend einer völligen Ausschließung der Gelehrten vorgezogen. Der offensichtlichste Weg war, dem eingelassenen Besucher das Arbeiten so ungemütlich wie möglich zu machen. Jean Doat, der im Auftrag Colberts und Ludwigs XIV. jahrelang südfranzösische Archive auf der Suche nach historischen Dokumenten mit politischem Nutzen bereiste, beklagte sich von verschiedenen Stationen aus immer wieder, wie unangenehm das Arbeiten vor Ort sei. Archivare würden ihm etwa verbieten, relevante Stücke mit nach Hause zu nehmen, wo er sie effizient und bequem abschreiben lassen könne. So wurde Doat, der ein gut eingerichtetes Büro mit bis zu einem Dutzend Schreibern auf seinen Reisen unterhielt, oft genug gezwungen, die einschlägigen Arbeiten in ,,kleinsten, dunklen und sehr unkomfortablen Räumlichkeiten“ vornehmen zu lassen. Das machte nach eigener Aussage nicht nur die Arbeit schwierig, sondern auch teuer und strapazierte die Geduld aller Beteiligten. Witterte man aus politischen Gründen Gefahr in der Archivbenutzung durch Fremde, so konnte man die exzerpierenden Historiker auch unter strenge Aufsicht stellen. Als Chilian Schrader 1691 im herzoglichen Archiv von Schwerin arbeitete, wurde ihm beispielsweise untersagt, bestimmte Akten selbst umzublättern. Anders als heute ging es dabei nicht darum, die materielle Beschaffenheit der Dokumente zu bewahren. Vielmehr sollte dadurch verhindert werden, dass Material, das dem ,,hohen Interesse“ Mecklenburgs gefährlich geworden wäre, an Schrader gelangte. Unmittelbar am Objekt, an den Akten selbst, wurde hier eine Lesezensur geübt. Anderes durfte er nur im Beisein eines Archivars lesen. Kontrolle und Beschränkung der Recherche waren demnach gang und gäbe. Es war klar, dass Abwägungen über die ,,ratio status“ den Zugang zu und Umgang mit Archivalien bestimmten und beschränkten. Auch die Verwendung der Rechercheergebnisse war davon betroffen. Weil manche Stücke als ,,arcanum“ der Herzöge anzusehen seien, durfte Schrader diese Dokumente nur lesen, nachdem 249
er zugesagt hatte, dass er sie ,,nimmer allegieren, vielweniger trucken laßen wolle“. Andere, subtilere Strategien der Rechercheverhinderung und -erschwerung standen gegenüber unliebsamen Besuchern zur Verfügung. Der Kirchenhistoriker Rehtmeyer konnte davon ein Lied singen. Immer wieder, so beschwerte er sich, wurden ihm von den Archivaren einschlägige Stücke zwar gezeigt, doch ohne dass man ihm Zeit ließ, diese gründlich zu studieren oder gar abzuschreiben. Eine andere Strategie bestand darin, zwar den Zugang zum Archiv zu gewähren, jedoch die vorhandenen Findmittel zurückzuhalten. In der Frühen Neuzeit gab es nur wenige gedruckte Inventare , so dass Benutzer auf die handschriftlichen Hilfsmittel vor Ort angewiesen waren. Das Verbergen der Verzeichnisse war demnach ein eleganter Weg, um die Suche in ihrer Effektivität zu beschränken: Wenn man nicht schon vorab wusste, wonach man suchte, war der Aufenthalt im Archiv ohne Findmittel praktisch wertlos. Inventare waren für das Archiv, was der Kompass für die Seefahrt war, so wussten die Zeitgenossen: Ohne ihre Orientierungsleistungen konnte man die Sammlungen nicht benutzen. Eine gute Vorbereitung konnte solche Schikanen allerdings zumindest ein Stück weit umgehen und die Hüter der Dokumente zugleich in Schrecken versetzen. Pierre Louvet, der 1672 im Archiv der Abtei Cluny nach alten Unterlagen suchte, brachte nicht weniger als ein gutes Dutzend gedruckter Geschichtswerke mit, um damit vor Ort genaue Anfragen stellen zu können. Tatsächlich brachen diese den Widerstand des Subpriors, der Louvet bis dahin die Findmittel vorenthalten hatte. Als man Chilian Schrader 1690 in Ratzeburg durch verschiedene Ausreden vom Recherchieren abhalten wollte, fragte er einfach direkt nach dem Stück, das ihn am meisten interessierte, dem Chronicon Chemnitii. Sein Gesprächspartner, Herr Burmeister, fiel ihm daraufhin überrascht ,,ins worth. woher ich wüste daß ein solch Chronicon vorhanden?“ Mit Schraders ausgedehntem Wissen um Archive und Bestände hatte man in Ratzeburg offensichtlich nicht gerechnet. Erfahrene Gelehrte konnten auf diese Weise manche Blockaden überwinden. Zugleich zeigen die Beispiele aus Schraders Recherchen auch, dass um 1700 die Situation für die Archivbesitzer offenbar sehr ambivalent geworden war. Über Bestände einfach zu lügen oder diese ungeniert vorzuenthalten, war zumindest im Umgang mit Besuchern, die wie Schrader enormes politisches, soziales und gelehrtes Kapital auf sich vereinten, keine Option mehr. 250
Historiker versuchten trotz und wegen der komplizierten Situation in den Archiven immer wieder, über die ihnen gezogenen Grenzen der Benutzung hinauszugehen. Caspar Sagittarius jedenfalls notierte einmal ausdrücklich, er habe seine vom Hause Schwartzburg finanzierten und geförderten Recherchen zur Genealogie dieses thüringischen Adelsgeschlechts auch genutzt, um – einmal im Archiv – gleich weitergehende Forschungen zur Landesgeschichte anzustellen. Er habe den ,,erlangten Vortheil“ des Archivzugangs ausgenutzt und ,,nicht nur das etwan zu einem Schwartzburgischen Chronico dienlichen und nothig erachtet worden, daraus gezogen und verzeichnet, sondern ich habe auch andere Thüringische Gräffliche und Herrn geschlechter darneben observiret und auffgezeichnet“. Auch der schon zitierte Heinrich Meibom sen. scheint den gutgläubig gewährten Archivzugang der niedersächsischen Klöster für Recherchen ausgenutzt haben, die über die offiziell konstatierten Absichten hinausgingen. Es gab aufs Ganze gesehen also keine einfache, eindeutige Beziehung zwischen Archiven und arcanum. Archive waren vielleicht ,geheim‘, aber sicherlich nicht unzugänglich. Und, ohnehin, was hieß ,geheim‘? Schrader durfte in Schwerin arcana sehen, aber nicht drucken. Viel eher als von einer echten Abschottung der Archive ist deshalb von einem abgestuften Umgang mit dem archivischen Geheimnis auszugehen, der für die Zeitgenossen ganz selbstverständlich gewesen sein dürfte. Die Frage nach Offenheit oder Verschlossenheit der frühneuzeitlichen Archive muss deshalb insgesamt sehr nuanciert beantwortet werden. Zugang zum Archiv war eine Ressource, mit der beide Seiten – Benutzer und Besitzer – sehr sorgfältig umgingen. Zugänglichkeit von Archivmaterial war demnach am Ende weniger eine Frage von Normen und Prinzipien als von sozialen, gelehrten und politischen Konstellationen. Gelehrte und Archivbesitzer befanden sich dabei immer wieder in einer Art Katz-und-Maus-Spiel. Historiker versuchten, durch offiziöse Anfragen und Kontaktpflege, durch Verstellung und kluges Verhalten Zugang zu erhalten und die im Archiv bestehenden Überwachungs- und Einschränkungstaktiken nach Kräften zu umgehen. Die Obrigkeiten taten umgekehrt alles dafür, den einmal gewährten Zugang so lange als möglich sorgfältig zu kontrollieren. Dieses Bemühen ging im Zweifelsfall auch weit über den einmaligen Archivbesuch hinaus und bezog auch die Zeit nach dem Tod eines Besuchers mit ein. Fürsten sorgten sich nach dem Ableben von Historikern, denen sie ihre Archive geöffnet hatten, immer wieder um die Papiere der Verstorbenen – gewissermaßen ein letzter Akt versuchter Archivkontrolle. ,,Die Fürsten von Sachsen 251
werden es nicht unterlassen, sich um den Nachlass einer Person zu bemühen, die in ihren Archiven geblättert hat“, so konstatierte Chilian Schrader, als Caspar Sagittarius 1694 verstarb. Um dessen Nachlass setzte dann tatsächlich ein überregionaler Wettlauf ein, in dem Politiker, Gelehrte und Universitäten miteinander wetteiferten. Die Zerstreuung seiner Papiere war die Folge. Auch hinter den Unterlagen von Heinrich Meibom sen. und Johannes Letzner, die teilweise aus Archivabschriften bestanden, waren fürstliche Kanzleien und Gelehrte bis zu Leibniz her. Auf die Arbeitsmaterialien und sonstigen Papiere des französischen Historikers Dom Aubrée griff bei seinem Tod 1729 der französische Staat zu. Über den Tod der Historiker hinaus blieb Archivzugang ein ambivalentes Ereignis, dessen Konsequenzen die Obrigkeiten nach Kräften zu kontrollieren beabsichtigten.
Archivarbeit Im Archiv sahen sich die Historiker einer komplexen Aufgabe gegenüber. Drei Aspekte können grundsätzlich unterschieden werden, das Finden von Material, das Kopieren des Gefundenen und schließlich die Interpretation. Das Finden selbst war dabei oft eine erste große Hürde. Dom Lobineau etwa versuchte Ende 1695 zweimal für mehrere Stunden, ein bestimmtes Manuskript im Depot des Domkapitels von Le Mans zu finden – vergeblich, wie er enttäuscht feststellen musste. Manchmal wussten die Besitzer auch selbst nicht, dass in ihren Häusern Archive vorhanden waren. Johannes Letzner wurde im 16. Jahrhundert von einfachen Leuten aus der Nachbarschaft auf vermauerte ,,bücher“ der Abtei Corvey aufmerksam gemacht, um die sonst niemand wusste. Nachdem das relevante Material gefunden und lokalisiert war, begann der eintönige Alltag des Kopierens. Bei umfangreicheren Funden konnte dies tage- und wochenlang dauern. Ein praktisches Problem von erheblicher Reichweite bestand dabei schon darin, den Überblick über die eigenen Exzerpte zu behalten. Immer wieder berichteten französische Historiker von ihrer Sorge, aus Versehen dieselben Urkunden mehrfach zu kopieren. Für die körperliche Arbeit des Abschreibens beschäftigten die Historiker der Frühen Neuzeit oft Teams von Gehilfen – und beklagten sich, wenn vor Ort keine (geeigneten) Schreibkräfte zu finden waren. So eintönig die Arbeit der Kopisten war, sie war doch nicht ohne Herausforderungen, gerade beim Umgang mit älteren 252
Aktenstücken, wie beispielsweise der Straßburger Magistrat Jean Rogier 1626 geknickt zugeben musste. Er wollte dem berühmten Historiker André Duchesne durch Abschriften aus dem Straßburger Archiv unter die Arme greifen, doch konnte er keinen lateinkundigen Kopisten finden. Auch den Maurinern, die regelmäßig größere Gruppen von Mönchen zum Abschreiben heranzogen, gingen immer wieder die Schreibkräfte im eigenen Orden aus, so dass man – nicht immer erfolgreich – versuchen musste, auf externe Gehilfen zurückzugreifen. Der Jenenser Professor Sagittarius war dagegen bei seinen regionalgeschichtlichen Recherchen in einer vorteilhafteren Lage, denn er konnte etliche seiner Studenten beschäftigen. Andreas Röthel, Jakob von Melle und Esaia Thilo unterstützten ihren Lehrer im Archiv und bei der sonstigen Materialrecherche. Einige von ihnen förderte er als Gegenleistung beim Beginn ihrer eigenen Karriere, sei es durch Empfehlungsschreiben oder durch die Verleihung akademischer Grade. Moderne Geschichtswissenschaft entstand auf der Basis der intellektuellen und körperlichen Arbeit dieser oft ungenannten Helfer. Das Kopieren von relevanten Quellen verlief dabei nicht immer nur in schriftlicher Form. Nicht übersehen werden darf, dass frühneuzeitliche Historiographie häufig auf einem kreativen Mix an Nachrichten basierte. Über die schriftliche Überlieferung hinaus griffen deutsche und französische Historiker regelmäßig auf Gebäude und Ruinen oder auf Grabsteine als Quellen zurück. Um ihre Inschriften zu ,kopieren‘, brauchte man gute Zeichner. Auch im Archiv selbst waren graphische Künste vonnöten, insbesondere wenn es um die längst als aussagekräftige Quellen identifizierten Siegel ging. ,,Nebenbei teile ich euch mit, dass ihr unbedingt einen guten Zeichner braucht, um die Siegel, Gräber, Münzen und alten Inschriften abzeichnen zu lassen,“ so empfahl Dom Maur Audren 1712 seinem Ordensbruder Dom Aubrée. Sagittarius erwähnte in seiner Schar von Gehilfen mehrfach solche künstlerisch begabten Zuarbeiter; in seinem Nachlass finden sich sehr gut ausgeführte Siegelzeichnungen (vgl. Abbildung 20). Das Gefundene und Kopierte musste schließlich bewertet und verstanden werden. Hier kamen die Kenntnisse und Techniken der neuen Diplomatik zum Einsatz. Bei der qualitativen Bewertung des Archivmaterials konnte man äußerst genau vorgehen. Sagittarius notierte 1680 im Zuge seiner Recherchen zur Familiengeschichte der Grafen von Kefernberg im Thüringischen hierzu: ,,Bey folgenden auß dem Ichtershausischen Kloster=Copialbuche extrahirten Documenten ist zu notiren, daß wo NB darbey stehet, dieselbe in dem Klosterbuche gantz
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Abbildung 20: Siegelzeichnung aus dem Nachlass von Caspar Sagittarius, letztes Viertel 17. Jahrhundert
von Wort zu wort gestanden. Wo aber das NB nicht stehet, da sind nur die worte auß dem hinden am ende befindlichen Register wie sie daselbst gestanden, hingeschrieben. Gantze Copiae aber istorum Documentorum stehen nicht darinnen.“
Sagittarius war sich über die Implikationen von Kopialbüchern oder Registern für die Verlässlichkeit seiner Quellengrundlage genau im Klaren. Schon die mittelalterlichen Historiker hatten die Archivalien nach ihrer Authentizität und ihrer damit verbundenen Verlässlichkeit unterschieden. Allerdings lag, wie Bernard Guenée herausgearbeitet hat, das mittelalterliche Verständnis von Authentizität noch weitestgehend in der Person des Schreibers, nicht aber in den Stufen der Textentstehung begründet. Über diese Art von Quellenkritik geht die zitierte Bemerkung von Sagittarius, der letztlich ja verschiedene Formen von Urkundenabschriften nach ihrer Glaubwürdigkeit differenziert, deutlich hinaus. Eng verbunden mit der Bewertung waren Prozesse des Verständlichmachens. Gelehrte Archivrecherche musste hierzu immer wieder mit Wissenspraktiken aus gänzlich anderen Kontexten verbunden werden. Auch hierfür bietet Sagittarius gute Beispiele. Ein für die Landesgeschichte Thüringens zentrales Dokument war eine Urkunde Ottos I., in der dieser große Landstriche Thüringens an den Mainzer Erzbischof 254
schenkte. Um 1680 diskutierte Sagittarius diese Urkunde ausführlich. Probleme bei der Interpretation bereiteten insbesondere die Ortsnamen, die dort aufgeführt wurden. Wie sollte man die in der Urkunde genannten und mit hochmittelalterlichen Namen bezeichneten Dörfer und Regionen identifizieren? Sagittarius konnte auf Vorarbeiten zurückgreifen, die niemand anderes als Friedrich Hortleder angestellt hatte. Im Jahr 1624 hatte der Weimarer Historiker den Forstmeister Dietrich Scherer, dem er offensichtlich gute geographische Kenntnisse aus eigenem Augenschein zubilligte, damit beauftragt, die historischen Namen mit gegenwärtigen Bezeichnungen abzugleichen. Auf solche Probleme wurden Historiker in der Frühen Neuzeit immer besser vorbereitet. Vereinzelt gab es zumindest im 18. Jahrhundert eigene ,,Schulen für Paläographie“, an denen man – wie im südfranzösischen Pau seit 1735 – spezialisierte Kurse zum Lesen alter Schriften besuchen konnte. Vor allem aber waren es die Universitäten, die solche Kenntnisse zukünftigen Archivbenutzern vermittelten. Lange bevor es die ersten Lehrstühle und Vorlesungen im Fach Diplomatik und in anderen Historischen Hilfswissenschaften gab, bereiteten erfahrene Geschichtsprofessoren ihre Studenten auf viele Probleme der alltäglichen Archivarbeit und Materialrecherche vor. Caspar Sagittarius hielt bibliothekskundliche Vorlesungen, in denen er seinen Zuhörern nach einem längeren Vorspann vor allem einen detaillierten und aus eigener Anschauung geschöpften Überblick über die Bücher- und Handschriftenbestände im Alten Reich und in Europa gab. Sagittarius gab auch das erste ,,Zeitungskolleg“, bei dem ebenfalls quellenkritische Probleme und Interpretationsfragen dieses zeitgenössisch noch recht neuen Informationsmediums erörtert wurden. Dazu passt außerdem, dass der Jenenser Geschichtsprofessor für seine Studenten eine der im 17. und 18. Jahrhundert zahlreichen Anweisungsschriften zur richtigen Methode des Exzerpierens verfasste, die neben der literarisch-rhetorischen auch eine historiographische Benutzung vorsah, selbst wenn von Archivalienabschriften dort nicht unmittelbar die Rede war. Heinrich Meibom jun., ein Zeitgenosse von Sagittarius, lehrte in Helmstedt als Professor für Geschichte nach 1681 ebenfalls gelegentlich über praktische Fragen, die bei einer Archivrecherche auftauchen konnten. Er behandelte beispielsweise das eben schon erwähnte Problem der sich wandelnden deutschen Ortsnamen und gab Hilfestellungen bei ihrer Zuordnung. Er bot zudem Lehrsätze an, die etwa bei der Datierung oder der Interpretation von Quellen hilfreich sein konnten. Dabei griff er auf die Abhandlungen von Jean Mabillon zurück, die demnach bereits bald 255
nach ihrer Entstehung den Weg in den akademischen Unterricht fanden und deren Inhalte dort durch die Besprechung von Beispielurkunden illustriert wurden.
Archivreisen und überregionale Zusammenarbeit Historiographie wurde nicht zuletzt wegen der immer aufwendigeren Archivarbeit im Lauf der Frühen Neuzeit zu einer Tätigkeit, die in wachsendem Maße auf überregionaler Recherche und damit auf erhöhter Mobilität beruhte. Archivbesuche wurden unverzichtbar, und so wurde das Schreiben von Geschichte für viele Autoren zu einer Reise. Jean Doat etwa, der in Frankreich für Colbert und Ludwig XIV. unterwegs in Archiven war und dort nach verschiedensten historischen Unterlagen suchte, reiste viele Jahre lang geduldig von Ort zu Ort und Archiv zu Archiv. Gottfried Wilhelm Leibniz war ebenfalls viele Monate auf Bibliotheks- und Archivreise im Reich, in Österreich und Italien. Auch Chilian Schrader, dem wir schon mehrfach begegnet sind, reiste sehr viel, um in unterschiedlichsten Archiven für seinen Herzog und die Geschichte des Welfenhauses nach Unterlagen zu suchen. Immer wieder finden wir ihn im Auftrag der Welfen Hannovers an verschiedensten Orten Nord- und Süddeutschlands. Sein unermüdlicher persönlicher Einsatz und sein Wille zur Mobilität galten anfangs des 18. Jahrhunderts konfessionsübergreifend als vorbildliche Gelehrtenpraxis. Schon aus infrastrukturellen und physischen Gründen hielt sich die Begeisterung für das archivbezogene Reisen allerdings bei manchen Historikern in Grenzen. Angesichts äußerer Schwierigkeiten verliefen manche Besuche ,,ein wenig oberflächlich“, wie frühneuzeitliche Historiker immer wieder zerknirscht zugaben. Cyriacus Spangenberg, ein mitteldeutscher Historiker, bezeichnete sich 1551 als ,,nicht wol zu fuße“ und wollte deshalb nur auf Bibliotheks- und Archivreise gehen, wenn ihm sein Mäzen, Graf Hans Georg von Mansfeld, ,,mitt pferd und Wagen hiezu befödderlich sein“ wolle. Angesichts der körperlichen Strapazen lehnten manche Gelehrte, gerade solche in fortgeschrittenem Alter, das Reisen auch gänzlich ab, so etwa 1712 Denis Briant, ein erfahrener Benediktinergelehrter in der zweiten Hälfte seines Lebens: ,,In meinem Alter denke ich nicht daran, eine Verpflichtung für zwei Jahre einzugehen, die mich zu Wanderungen in der ganzen Provinz zwingt, zur immerwährenden
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Übernachtung in geliehenen Wohnungen, zur Reise mit Pferden und Kutschen, zum Lesen alter Papiere rund um die Uhr, obwohl ich doch nur noch mit einer Brille überhaupt etwas sehe. Und dann noch die Gefahr, den gesetzten Ansprüchen nicht zu genügen! All das führt dazu, dass ich die Einladung zur Mitarbeit an der Archivrecherche gerne ablehne.“
Archivreisen waren nicht nur anstrengend, sondern potenziell auch gefährlich. Briants Mitbruder Dom Lobineau verletzte sich zum Beispiel 1714 unterwegs im Dienste der Gelehrsamkeit bei einem Reitunfall schwer die Hand und musste deshalb seine Recherchen im Parlamentsarchiv in Rennes monatelang aufschieben. Joachim Schmincke, ein vom hessischen Landgraf unterstützter Historiker, überließ angesichts solcher Gefahren und Beschwerlichkeiten große Teile der für ihn notwendigen Archivbesuche einem bezahlten Mitarbeiter. Johann Wilhelm Schannat, der für Schmincke Klöster und andere Depots besuchte, war ein Helfer von großen Fähigkeiten. In seinen jungen Jahren, zwischen 1721 und 1723, ,,durchwühlte“ der später zu Berühmtheit aufsteigende Schannat dutzende Klosterarchive für seinen Auftraggeber Schmincke gegen Bezahlung. Gut in Rechercheangelegenheiten ausgebildete junge Gelehrte wie Schannat konnten im 18. Jahrhundert bereits durch Übernahme der mühsamen Archivarbeit für besser situierte Historiker ihren Lebensunterhalt verdienen. Zugleich waren solche Mitarbeiterverhältnisse eine Basis, um eigene Karrieren zu starten. Das galt nicht nur für Schannat. Etwa auch Christian Schlegel, der eine Generation zuvor mit zahlreichen anderen Studenten seinen Jenenser Professor Caspar Sagittarius bei dessen Archivrecherchen und -reisen unterstützt hatte, nutzte dies als Karrieresprungbrett. Er lernte wichtige Quellen kennen und erwarb entscheidendes praktisches know-how für die Arbeit mit alten Dokumenten. Die Ausweitung der Archivrecherche zur kollektiven Tätigkeit hatte für beide Seiten langfristige, durchaus positive Konsequenzen. Gerade wenn Archivreisen delegiert oder mit einem größeren Stab an Mitarbeitern unternommen wurden, verursachten sie erhebliche Kosten, welche die ohnehin nicht gerade billige historiographische Arbeit zusätzlich verteuerten. Selbst die französischen Benediktiner, die ihre sehr beweglichen Forscher immerhin in den Klöstern des Ordens unterbringen konnten, stöhnten regelmäßig über die Reisekosten. Zu den materiellen Abwägungen kamen gerade bei den Ordenshistorikern weitere organisatorische Komplikationen hinzu. Mobilität und Arbeitseinsatz mussten dem mönchischen Leben angepasst werden. Erlaubnis zu Reisen war oft von den Oberen einzuholen, 257
die lange Schreibarbeit kollidierte womöglich mit religiösen Pflichten, von denen man nur durch besondere Dispense befreit werden konnte. Archivreisen konnten zu einem gewissen Teil vermieden oder doch reduziert werden, indem man Historiker vor Ort brieflich um Mithilfe bat. Die Zusammenarbeit und der beständige Austausch von Gelehrten galten nach dem Verhaltenskodex der frühneuzeitlichen Gelehrtenrepublik als selbstverständliche Praxis. Auch die Bitte um Archivrecherchen und um die Beschaffung von Dokumenten in Kopie oder Original war alles andere als unüblich. Wie Ernst Salomon Cyprian in Gotha gegenüber seinem Bekannten Joachim Schmincke in Kassel zusammenfasste: ,,An [. . . ] documenten habe kein mangel, weil was am letzten abgehet die correspondentz ersetzen kann.“ Zwischen Hessen, Sachsen und auch Braunschweig-Wolfenbüttel bestanden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts tatsächlich sehr dichte und intensive gelehrte Kontakte, die regelmäßig Archivrecherchen zum Gegenstand hatten. Conrad Mel aus Hersfeld schickte ,,documenta und monumenta“ an Schlegel in Gotha, der eine Kollektivbiographie Hersfelder Äbte verfassen wollte. Johann Zacharias Gleichmann schickte aus Ohrdruff Abschriften nach Frankfurt und ,,attestirte“ in einem Begleitbrief, dass die Kopien vollständig mit dem Original übereinstimmten. Als Johann Jakob Burckhardt um 1717 in Wolfenbüttel an einer Biographie des Luther-Freundes Ulrich von Hutten arbeitete, versicherte ihm der Geschichtsprofessor Schmidt aus Helmstedt, er wolle in Gotha bei Ernst Salomon Cyprian und Christian Schlegel wegen weiterer Materialien nachfragen. J.J. Müller in Weimar wiederum war so beeindruckt von Burckhardts Arbeit in Wolfenbüttel, dass er gleich von sich aus zur Unterstützung von dessen Recherchen im Weimarer Archiv nach Material gesucht hatte, allerdings vergeblich. Gelegentlich konnten sich solche Vorhaben zu breit gestreuten Rechercheaufforderungen in Archiven und Bibliotheken auswachsen. 1742 versuchte etwa Joachim Schmincke für seinen Sohn zunächst beim Archivar in Fritzlar und anschließend beim Bibliothekar in Wolfenbüttel mittelalterliche Urkunden ausfindig zu machen. Dass der berühmte Vater hier für seinen Sohn, den er selbst noch als Anfänger in der Geschichtsschreibung charakterisierte, um Hilfe bat, zeigt zugleich, wie sehr solche Unterstützung vom sozialen Prestige der Beteiligten und wohl auch von ihrer Fähigkeit zur Erwiderung des Gefallens abhing. Solche Kooperationen konnten durchaus auch in überregionalem und internationalem Maßstab bestehen. Leibniz etwa erhielt Archi258
valien von d’Hozier oder von Mabillon aus Paris oder von Kochanski aus Warschau zugesandt. Philipp Ernst Spieß ließ sich 1777 über den österreichischen Staatskanzler Kaunitz Archivmaterial aus Spanien besorgen, das er für eine Geschichte über Alfons den Weisen benötigte. In besonders günstiger Lage für überregional koordinierte Archivrecherchen waren solche Historiker, die über ihr gelehrtes Netzwerk hinaus noch auf stärker institutionalisierte Kontakte zurückgreifen konnten. Das galt in besonderer Weise für die historiographisch tätigen Benediktinermönche und Jesuiten an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Sowohl die Mauriner in Paris als auch die Bollandisten in Antwerpen und die Melker Benediktiner um die Gebrüder Pez nutzten die kommunikativen und infrastrukturellen Möglichkeiten, die ihnen ihre Ordensgemeinschaften zur Verfügung stellten, um die Ausbeute an Archivmaterial zu vervielfachen. Archivrecherche wurde im Rahmen der kommunikativen Praktiken der Gelehrtenrepublik zumindest teilweise zu einem kollektiven und gemeinschaftlich koordinierten Vorgehen. Es war abzusehen, dass aus solchen Kollaborationen schnell Konflikte entstehen würden. Unklarheiten darum, wer welches Dokument wo zuerst entdeckt hatte, wurden durch den Austausch befördert. Der allgemein anerkannte ,Erstfund‘ wurde zu einem zentralen Indikator gelehrten Könnens und Wissens. Angesichts dessen wurde die Hilfsbereitschaft innerhalb der Gelehrtenrepublik oft durch Misstrauen und Kontrollversuche konterkariert. Leibniz beispielsweise gab wichtige Quellen, die er selbst noch publizieren wollte, durch seine Mitarbeiter nur an gute Bekannte heraus, und selbst dann nur mit explizitem Hinweis, dass solche Dokumente ,,nicht [. . . ] public gemacht“ werden dürften. Eigensinn und Klugheit auch und gerade beim Umgang mit spektakulären Archivfunden spielten deshalb eine wesentliche Rolle bei der Kalibrierung kollegialer Beziehungen. Conrad Berthold Behrens, Mediziner und Historiker aus Hildesheim, formulierte dies 1725 in exemplarischer Deutlichkeit, als er entsprechende Erwartungen Polycarp Leysers zurückwies. Dieser verhalte sich so, ,,als wann einer schuldig wäre dem andern zu Gefallen wider sein eigen interesse zu handeln“. Weil das Material, das Behrens gesammelt hatte und das Leyser gerne einsehen wollte, ,,ein groß Stück meiner Antiquitatem Genealogicarum aus[mache]“ und weil Leyser den Druck derartiger Unterlagen angekündigt hatte, befürchtete Behrens, dass seine eigenen Publikationen ,,darüber untergefuttert worden wären.“ Das Beispiel zeigt deutlich nicht nur die Grenzen gelehrter Hilfsbereitschaft und Kommunikati259
onsfreudigkeit, sondern zugleich wird hier klar sichtbar, wie kompetitiv Historiographie als soziale Praxis geworden war. Das Wissen um und die Verfügung über relevante Archivdokumente waren soziales Kapital, das kein Gelehrter leichtfertig aus der Hand geben wollte. Ein Ausweg aus solchen Problemen konnte sein, die Zusammenarbeit anders zu gestalten, und zwar mit dem Ziel einer strikten Vermeidung von Interessen- und Rechercheüberschneidungen. Würde sich eine übergeordnete Gesamtdarstellung nicht aus vielen regional bearbeiteten Territorialgeschichten zusammensetzen lassen? Anstelle echter Gemeinschaftsarbeit würde die Komposition einzelner, unabhängig gefertigter Teile stehen. Johann Heinrich Schmidt, den wir schon als besonders sensibel für den Zusammenhang von Archivbenutzung und regionalen Identitäten kennengelernt haben, schien so etwas für die deutsche Situation vorzuschlagen. Regionalhistoriker sollten ihre archivbezogenen Vorteile ausnutzen und sich insbesondere auf die Erarbeitung geographisch begrenzter Geschichtswerke konzentrieren. In gedruckter Form würden die vielen auf diese Weise entstehenden Einzelgeschichten allgemein zugänglich und könnten schließlich bei Bedarf zusammengefügt werden. Wie realistisch seine Hoffnungen waren, ist ungewiss, selbst wenn sich zahlreiche Stimmen fanden, die sehr positiv über die wachsende Zahl an eher regional oder lokal ausgerichteten Akten- und Geschichtspublikationen sprachen. In Frankreich jedenfalls etablierte sich eine historiographische Praxis, die diese Idee umsetzte. Aufbauend auf einer Tradition an lokalen Klostergeschichten, die während des gesamten 17. Jahrhunderts gepflegt wurde, regte die Benediktinerkongregation von St. Maur besonders in den Jahren 1710 bis 1712 die systematische Verfassung von Regionalgeschichten an, die im Geiste Jean Mabillons erarbeitet werden sollten. 1737 wurde die institutionelle Basis dieser Aktivitäten in den Provinzen durch einen Beschluss des Generalkapitels noch einmal gestärkt, der die Einrichtung von ,,Akademien“ in den verantwortlichen Niederlassungen vorsah. In Umsetzung dieser Initiative entstanden im 18. Jahrhundert zahlreiche wegweisende Werke territorienbezogener Historiographie, die allesamt auf teilweise jahrelangen und kollektiv organisierten Archivrecherchen in der Umgebung basierten. Ob Rehtmeyer persönlich von diesen Unternehmungen wusste, ist nicht zu sagen. Denkbar wäre es jedoch, denn die französisch-benediktinische Historiographie war protestantischen Gelehrten durchaus vertraut.
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Adel, Archive, Ahnen: Genealogie als gelehrte Praxis Ein erheblicher Teil der Forschungsarbeiten, die bisher erwähnt wurden, hatte sein Hauptinteresse in Fragen der Genealogie. Familientraditionen waren in der Vormoderne von überragender Bedeutung. Idealerweise ließ sich die eigene Familie deshalb bis in die graue Vorgeschichte zurückverfolgen, und tatsächlich konstruierten viele Familien einen Stammbaum, in dem biblische, mythische, trojanische oder zumindest römische Helden als erste Stammväter des Geschlechts erschienen. Ursprünglich hatte das Andenken an frühere Familienmitglieder nicht zuletzt religiöse Hintergründe gehabt und deshalb besonders in Klöstern und in Form von Gebetsverbrüderungen seinen Ausdruck gefunden. Gerade im katholischen Bereich Europas blieb diese heilsgeschichtliche Bedeutung erhalten, doch langfristig wandelte sich der Blick auf Familiengeschichte seit dem späten Mittelalter. Genealogie wurde zu einer juristisch und sozial relevanten Form der Vergegenwärtigung von Vergangenheit. Neben Mönche und Priester traten Gelehrte und bürgerliche Genealogen als Akteure. Die Nachfrage nach ihren Diensten wuchs. Trotz der Einwände einzelner protestantischer Theologen, die in der Ahnenkunde bloß ,,unnützen Zeitvertreib“ sahen, wurde genealogische Forschung zu einer zentralen sozialen Praxis von zuvor unvorstellbarer Reichweite. Im Reich wirkte vor allem der unter Kaiser Maximilian I. intensivierte Bezug der Habsburger auf ihre Vorfahren vorbildhaft. In Frankreich waren die langen Religions- und Bürgerkriege nach 1550 dafür verantwortlich, dass die Position der Adelshäuser im Verhältnis zueinander ebenso wie in ihrer Beziehung zur Monarchie neu bestimmt werden mussten, zumal seit dem Aussterben der Valois 1589 mit den Bourbon auch eine neue Königsfamilie herrschte. Neue Rekonstruktionen der Familienverbindungen waren nötig. Abstammung wurde, nicht zuletzt gegen die wachsende Konkurrenz bürgerlicher Eliten, zu einer immer wichtigeren Komponente im adeligen Selbstverständnis. Zugleich wurde die Kontrolle adeliger Standesansprüche zu einer staatlichen Kompetenz erklärt. Damit wurde insbesondere die Überprüfung adeliger Genealogien zu einem königlichen Recht. 1595 und 1615 wurden zwei königliche Ämter eingerichtet – der Généalogiste des Ordres du Roi und der Juge d’armes –, die mit der Überprüfung der ,Adeligkeit‘ zahlreicher Geschlechter beauftragt wurden. Auch unter Ludwig XIV. kam 261
es zu einer kritischen Durchleuchtung adeliger Ansprüche. Das Thema des Adelsbeweises wurde immer wichtiger. Das Alter der Geschlechter spielte bei dieser Evaluation eine bedeutende Rolle. Der berühmte französische Genealoge Claude-François Ménestrier publizierte 1682 ein ganzes Buch über den Nachweis alter Adeligkeit. Ein eigenes königliches Archiv zur Dokumentation adeliger Rechtstitel (Cabinet des titres) wurde ungefähr gleichzeitig angelegt. Genealogie hatte eine entschieden defensive Aufgabe. Gerade die Beweismethode solcher Genealogien war einem gut erkennbaren Wandel unterworfen. Neue Kriterien der Glaubwürdigkeit bei der Prüfung von Verwandtschaftsverhältnissen setzten sich durch. Diese Ansichten fasste Ménestrier 1682 deutlich zusammen: ,,Der Beweis [des Adels] aus Urkunden und Akten ist am sichersten, und er ist heute überall in Gebrauch“. Dom Maur Aubrée, ein anderer gelehrter Ahnenforscher, stimmte 1694 zu: ,,Man darf nichts Fabulöses in diese Genealogie einmischen, denn das würde alles nur verderben“. Je länger desto mehr galt als einzig verlässlicher Beweis für genealogische Feststellungen, was in Urkunden oder auf Grabsteinen über familiäre Zusammenhänge festgehalten war. Archivalien dienten nicht mehr nur als Gedächtnisstütze, sondern wurden zur maßgeblichen Instanz der Authentifizierung: ,,Hier müssen die Archive [. . . ] Gewißheit geben.“ Etienne Baluze, der für Colbert und Ludwig XIV. an der kritischen Sichtung der Adelsgeschlechter arbeitete, forderte deshalb unbarmherzig solche schriftlichen Beweise für die Genealogien ein. In dieser sozio-politischen und gelehrten Konstellation wurde Genealogie beinahe gleichbedeutend mit systematischer Archivarbeit. Heinrich Meibom jun. erklärte um 1675 die Archive neben Ahnentafeln, Münzen und (Grab-)Inschriften zu den wichtigsten Quellen genealogischer Forschung. Allerdings war oft ein sehr detailliertes Archivwissen nötig, um eine überzeugende Rekonstruktion gerade der ältesten Familienzusammenhänge vorzunehmen. Das ,,Vermoderungs=Recht der Zeit und Hinfälligkeit“ wirkte sich gerade bei der mittelalterlichen Frühgeschichte vieler Genealogien negativ aus – es fehlten meist explizite Urkundenbelege. Die Brüder de Sainte Marthe, die kurz vor 1650 eine Genealogie des Hauses Trémoïlle erstellt hatten, äußerten sich zu diesem Problem ausführlich. Zunächst gaben sie die Quellenknappheit für die Zeit des frühen und hohen Mittelalters ausdrücklich zu. Doch die gelehrten Genealogen wussten sich zu helfen und schlugen einen neuen Blick auf bekannte Quellen vor. In den Urkunden von mittel262
alterlichen Kirchengründungen seien viele Namen von Spendern und Zeugen aufzufinden: ,,Um die Genealogie der Famille Trémoïlle zu schreiben und um sie bis in die weit zurückliegenden Zeiten zu verfolgen, haben wir auf verschiedene Chartulare zurückgegriffen, in denen alte Urkunden und Dokumente (monumens) von solchen Kirchen und Klöstern enthalten sind, die sie in ihren Herrschaftsbezirken erbaut oder erneuert haben. Dort haben wir zum Teil auch weitere Namen anderer Geschlechter gefunden, mitsamt ihrer Ämter und Statusangaben. Solche Dinge haben wir auch in vielen anderen Archiven angetroffen, ebenso bei einigen Historikern.“
Zahlreiche Zeugenlisten von Schenkungsurkunden wurden von den Brüdern de Sainte Marthe dann auch zitiert. Auf dem Weg einer solchen Lektüre vorhandener Schrifstücke gegen den Strich rekonstruierten die Autoren die Verwandtschaftsverhältnisse der Trémoïlle. Ohne das Expertenwissen archivkundiger Historiker war an die Erarbeitung einer glaubwürdigen Genealogie nicht mehr zu denken. Auch deutsche Fürsten waren zur gleichen Zeit an archivbasierter genealogischer Forschung interessiert und griffen zusehends auf einschlägig ausgewiesene, rechercheerfahrene Gelehrte zurück. 1626 startete Ludwig von Hessen, der mit einer Brandenburger Prinzessin verheiratet war, eine umfassende Umfrage bei verschiedenen deutschen Fürstenhäusern. Er bat um Hinweise zur Genealogie der Brandenburger. Hier stand weniger die juristische Sicherung eigener Ansprüche auf den Adelsstatus im Vordergrund, eher ging es darum, den späteren Generationen durch eine solche ,,stambslinie [. . . ] alß einem hellglantzenden Spigel, dero hochgeehrten voreltern, Mütterlicher Linien dapfferkeit und hohe Fürstliche Tugenden sehen, und denselben in ihrem leben, thun und lassen rühmlich zufolgen, ein immerwehrend monitorium haben“ zu lassen. Auch in Hessen galt dabei: ,,Ist doch nix [sic!] so sicher [. . . ] alß auf die ex archivis gezogene nachrichtungen zubawen.“ Diese Bemühungen wurden später fortgesetzt: 1648 wurde ein Stammbaum gedruckt und 1649 wurde Johann Jost Winckelmann für ein Jahr dafür bezahlt, ein Chronicon genealogicum zu erarbeiten. In Eisenach war man ebenfalls mit den fürstlichen Vorfahren befasst. Hier ging es 1631 nicht so sehr um Genealogie, als vielmehr um Heraldik. Weil man großflächige Abbildungen der alten Familienwappen in Gobelins wirken lassen wollte, bat man Hortleder vorab um eine hieb- und stichfeste Absicherung der vorhandenen Informationen. Fürstlich initiierte Archivrecherche, von bürgerlichen Experten in den vorhandenen Schriftlichkeitsdepots umfänglich ausgeführt, war die Grundlage für visuelle Repräsentationspraktiken in einem der anspruchsvollsten künstlerischen Medien der Zeit. 263
Über den Trend zu einer methodisierten, kritischen Genealogie schrieb sich Archivbenutzung in die Praktiken adeliger Selbstverständigung und Repräsentation immer stärker ein. Es ist wichtig zu betonen, dass nicht nur die gelehrten Ahnenforscher, sondern auch die betroffenen Familien selbst einen erheblichen Anteil an dieser familiengeschichtlichen Hinwendung zu den Archiven und ihrem Selbstverständlichwerden hatten. Zur Unterstützung ihrer genealogischen Beweisführung unternahmen die Adeligen selbst oft große Anstrengungen zur Besorgung einschlägiger Unterlagen. Jules Mazarin etwa, der Kardinal und Staatsminister Ludwigs XIII., schrieb zwischen 1654 und 1661 mehrere Briefe in die kleine Gemeinde Montaldeo nördlich von Genua, um einige Dokumente zu seiner Genealogie zu akquirieren. Er wollte eine Verbindung zweier gleichnamiger Familien Mazzarini aus Sizilien und Genua nachweisen. Generell versuchte der Adel zunehmend, gerade unter dem Druck etwa der französischen Könige, die Belege ihrer Familiengeschichte mehr oder weniger geordnet zusammen zu halten oder gar zu vervollständigen. Genealogische Ausarbeitungen wurden mit der Zeit selbst als notwendiger Bestandteil eines gut geordneten Adelsarchives angesehen. Genealogie und Archiv konnten sogar beinahe deckungsgleich sein. Als Louis de Bouvier aus Lausanne um 1445 das Archiv seiner Familie inventarisierte, geriet ihm das Urkundenverzeichnis beim Schreiben immer wieder zu einer kurz gefassten Familiengeschichte. Die Rekapitulation von Verwandtschaftsbeziehungen ergab sich direkt aus der beschreibenden Verzeichnung einzelner Unterlagen. Archivinventar und Familiengeschichte verschmolzen zu einem Text. Auf ganz andere mediale Weise kommt derselbe enge, durch die Genealogie gestiftete Zusammenhang zwischen Adel und Archiv auch in einem zweieinhalb Jahrhunderte später zu datierenden Aktenkonvolut der französischen Adelsfamilie Jaucourt zum Ausdruck. Diese ungeordnete Sammlung von Entwürfen und Arbeitsdokumenten macht deutlich, dass die Jaucourts des 18. Jahrhundert ständig mit archivbasierter genealogischer Forschung befasst und konfrontiert waren. Stammbäume wurden entworfen und korrigiert, Nachrichten zu einzelnen Vorfahren aus Urkunden herausdestilliert, Abgesandte zu Recherchen in Archive geschickt. Das genealogische Interesse an der eigenen Vergangenheit vermischte sich dabei mit einer Art Herrschaftsgeschichte des Geschlechts, und so umfassen die Notizen auch verschiedene Hinweise zu Schlössern, seigneuralen Rechten und ökonomischen Gegebenheiten. Genealogische und lehnsrechtli264
che Bestandsaufnahmen gingen bei den Archivrecherchen Hand in Hand. Gerade in ihrer vorläufigen, ungeordneten und ungeschönten Gestalt dokumentieren die archivbezogenen Arbeitsdokumente der Jaucourts, wie stark sich die genealogische Selbstvergewisserung durch Archivalien in die alltäglichen Routinen des Adels eingeschrieben hatte. Die Symbiose zwischen Adel und gelehrten Historikern hatte für beide Seiten ambivalente Konsequenzen. Im besten Falle ergab sich eine konstruktive und vorteilhafte Zusammenarbeit. Friedrich Hortleder hatte um 1623 wertvolle Informationen für die Genealogie der Familie Schenk von Tautenburg in Sachsen geliefert und konnte sich ihres Dankes und ihrer Verbundenheit sicher sein. Oft durfte auch das Interesse der Adeligen an Geheimhaltung mancher Urkunden auf das Verständnis der Historiker rechnen. Doch die Ziele gerieten auch schnell in Widerspruch zueinander. Etienne Baluze versuchte von mächtigen Adeligen eine Öffnung ihrer Archive geradezu zu erpressen, indem er auf ihre genealogische Beweispflicht verwies. Wenn ihm Erzbischof Daniel de Cosnac seine Urkunden nicht zur Überprüfung zugänglich machen würde, so schrieb Baluze 1688, dann müsse er in seiner demnächst erscheinenden Genealogie eben publizieren, dass bestimmte, von den Cosnac selbstverständlich unterstellte Familienverbindungen nicht verifizierbar und damit angreifbar seien. Die Cosnacs gaben nach, was ihnen in diesem Fall tatsächlich zum Vorteil gereichte. Weil Archivrecherche zum genealogischen Standard wurde, konnten sich unwillige Adelige dieser gelehrt-sozialen Praxis immer weniger entziehen. Die Archive wurden nicht nur durch den Adel geprägt, sondern prägten ihn ihrerseits. Umgekehrt konnte die genealogische Archivarbeit nicht nur den Adel, sondern auch die Ahnenforscher selbst in arge Verlegenheit bringen. Der 1688 noch so mächtige Baluze verlor 1710 seinen Rückhalt bei Ludwig XIV., weil er nach Ansicht des Königs mit ,,gefälschten“ Dokumenten eine Genealogie der La Tour-Bouillon verteidigt hatte, die sogar jene der Königsfamilie in den Schatten gestellt hätte. Exil war sein Lohn. Genealogische Archivarbeit war lukrativ, zugleich aber gefährlich. Dennoch übte das familiengeschichtliche Potenzial der Schriftlichkeitsdepots eine gewaltige Anziehungskraft aus, der sich selbst Archivare und Archivpraktiker in weitaus bescheideneren Milieus nicht entziehen konnten oder wollten. Aus Sicht mancher Archivautoren gehörte das Erstellen von Genealogien sogar zum Alltagsgeschäft der Archivare. Pierre Camille Le Moine beispielsweise fügte in seine praxisbezogene Anleitungsschrift von 1765, die sich vor 265
allem an Berufsvertreter im Dienst ländlicher, seigneuraler Archive richtete, einen Abschnitt ein, der die ,,Methode zur Erstellung einer Genealogie“ ausführlich erläuterte. Adel, Archive, Ahnen – in diesem Dreieck wurden nicht nur wesentliche Aspekte der frühneuzeitlichen Sozialordnung legitimiert, sondern auch die Geschichts-, Schrift- und Wissenskultur Europas entscheidend geprägt. Genealogie war eine entscheidende formende Kraft der europäischen Archivkultur.
Reden über Archivarbeit, oder: Das Archiv als narrativer Topos der Geschichtswissenschaft Die Analyse der Vergangenheit war also archivisch geworden, und Historiker konnten und wollten über diese Tatsache sprechen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Reden über Archive zu einem wichtigen Bestandteil des professionellen habitus der Historiker wurde. Allerdings war die narrative Rolle und rhetorische Funktionalität des Archivs und der Archivarbeit vielschichtig und zwiespältig. Auf der einen Seite konnte und musste Archivarbeit ausdrücklich in ihren Schwierigkeiten gewürdigt und erwähnt werden. Der immer wieder erzählte Kampf um Archivzugang und die schwierige Auseinandersetzung mit den gefundenen Dokumenten wurde zum Ausweis von Expertise und Ernsthaftigkeit. Plausible und konkrete Archivgeschichten erzählen zu können, sei es in Briefen, sei es in Vorworten zu Publikationen, trug nicht unerheblich dazu bei, den Historiker oder Herausgeber als Fachmann auszuweisen und seinem Produkt Autorität zu verleihen. Persönliche Vertrautheit mit vielen Archiven garantierte Legitimität. Archiverfahrung wurde zum Qualitätsmerkmal und zum Kriterium von Kompetenz. Als Heinrich Meibom um 1600 seine besondere Expertise als Historiker gegenüber verschiedenen Anfeindungen herausstellen wollte, betonte er genau diesen Aspekt: Seine fachliche Meinung solle besonders ernst genommen werden, und zwar nicht nur, weil er seit ,,nun mehr vier und viertzig“ Jahren als Professor tätig war, sondern vor allem, da er um ,,allerhand geschriebenen antiquiteten an den orten, da Sie verhoffentlich in verwarung, mich beworben“ habe – die Archivbesuche dienten ihm also als Qualitätsausweis. Meibom brachte dieses Argument in einer verzwickten Situation vor. Gegen einen anderen Historiker wollte er beweisen, dass es eine bestimmte Urkunde von Kaiser Ludwig dem Bayern nicht gab, obwohl die Literatur davon 266
sprach. Historiographische Argumente ex negativo waren (und sind) mit Blick auf die unüberschaubare Menge an Archivalien immer gefährlich. Doch Meibom warf gerade seine lebenslange Archiverfahrung als Argument in die Waagschale. Obwohl er jahrzehntelang ,,mehr und beßer gelegenheit bekommen, in hohen und mindern Stiften, Clostern und an herren hoffen nach alten Diplomatis, handfesten und Instrumenten nachfrage zu thun“, habe er vom fraglichen Stück jedoch ,,die geringste nachrichtung [. . . ] nicht gefunden“. Das (Nicht)Wissen des erfahrenen Historikers wurde auf Grund seiner umfangreichen, persönlichen Archiverfahrung zum Wahrheitskriterium. Recherchen, die ,,nicht nur durch Briefe, sondern persönlich“ durchgeführt wurden, verschafften Hochachtung und verliehen Glaubwürdigkeit. Die Details der eigenhändigen Archivarbeit wurden von den Historikern deshalb auch immer wieder dargestellt, denn das regelmäßige Erzählen von Benutzungsgeschichten veranschaulichte die Behauptung von Archiverfahrung und machte sie plausibel. Häufig stilisierten sie ihre Besuche zu regelrechten Heldentaten. Ein Historiker betonte beispielsweise, dass sein Quellenmaterial eigentlich nur angemessen als ein ,,Abgrund“ bezeichnet werden könne, den er selbst freilich durch beinahe übermenschliche ,,Geduld“ überbrückt habe. Christoph Lehmann, mit dem wir dieses Kapitel begonnen haben, betonte in ganz ähnlicher Weise, wie ,,sauer und schwer“ ihm die Arbeit an seiner Chronica geworden sei. Doch durch seine unablässigen ,,Bemühungen“ und seinen ,,Fleiß“ habe er Klarheit ins Dunkel gebracht. Ähnliche Dinge beschrieben auf den ersten Blick auch Dom Martène und Dom Durand in ihrer 1717 publizierten Voyage litteraire. Das Itinerar der beiden reisenden Historiker war beeindruckend. Mehr als 800 Abteien und über 100 Bistümer besuchten sie im Lauf der Jahre zur Materialsammlung für das Riesenprojekt der Gallia christiana. Über diese monatelangen Reisen von Kloster zu Kloster, Bistum zu Bistum, Dorf zu Dorf berichtete die Voyage in plauderndem Tonfall. Die beiden Autoren erzählten verschiedenste Schwierigkeiten und amüsante Zwischenfälle, die sie auf dem Weg erlebten: Prozessionen verhinderten Besuche, Martène fiel ins Wasser, sie kämpften mit schlechten Wegen und hatten Schwierigkeiten mit Pferden, Krankheiten, Seuchengefahr. Mehr als einmal waren Archive in so schlechtem Zustand, dass erst aufgeräumt werden musste. Andere Archive waren durch Kriegshandlungen oder Katastrophen zerstört worden. Deutlich erkennbar ist an der Darstellung, dass Martène und Durand einerseits mancherorts ein gutes Vorwissen und klare Vorstellungen von vorhandenen Bestän267
den hatten, andererseits ebenso häufig aber auch zu einzelnen Klöstern reisten, um erst einmal zu prüfen, ob überhaupt noch Unterlagen vorhanden waren. In der Voyage litteraire findet sich also ebenfalls ostentative Wiedergabe einzelner, pointierter Episoden aus dem Forschungsalltag. An dieser umfangreichen gelehrten Reisebeschreibung lässt sich jedoch zugleich – und viel besser – eine mindestens ebenso wichtige, allerdings gegenläufige narrative Tendenz beobachten, nämlich letztlich das Schweigen der Autoren über die Archive, die doch eigentlich das Zentrum ihrer Reise darstellten. Die Archive verschwanden häufig seitenlang hinter plaudernden Architekturschilderungen oder historischen Anekdoten, gepaart mit verschiedenen religiösen Anmerkungen. Wo doch über Archive geschrieben wurde, geschah dies in einem Darstellungsgestus, der die Schwierigkeiten und Frustrationen zu Gunsten des unterhaltenden, erbaulichen Registers meist ausblendete. Geradezu ostentativ schwiegen die Benediktiner über die eigentliche Archivarbeit, über das Kopieren und Blättern, Suchen und (Nicht-)Finden, Lesen und Entziffern. Nur sehr selten und dann bloß en passant wurde in der literarischen Darstellung jene methodisch skrupulöse Arbeit der Quellenkritik erwähnt, die Martène und Durand von Mabillon übernommen hatten und die sie zweifellos in jedem Archiv anwandten. Die Benutzung des Archivs selbst bedurfte offensichtlich keiner Schilderung. Harmlos klingende Formulierungen wie ,,ich habe die Urkunden besucht und habe dort folgende interessante Details gefunden“ oder ,,ich habe alle für mich notwendigen Erkenntnisse genommen“ verschleierten die Anstrengungen methodisch korrekter Archivarbeit. Entsprechend selten finden sich Bemerkungen, die Erleichterung, Frustration oder Erschöpfung zugeben. Die Erwähnung des Archivs wurde auch im hochgradig spezialisierten Milieu der Mauriner schnell zur literarischen Geste, deren Einsatz lediglich nötig war, um die ,,interessante“, ,,einzigartige“ oder ,,ungewöhnliche“ historische Quelle oder Begebenheit zu authentifizieren und narrativ zu inszenieren. Am Ende ihrer sechsjährigen Archivreise hatten Martène und Durand Großes erreicht. Über 2.000 Urkunden hatten sie in den Archiven für die Gallia christiana ,gefunden‘. Damit waren über 2.000 neue ,,epistemische Dinge“ kreiert worden, also wissenschaftsgerecht aufbereitete Phänomene, die nach ihrer Präparierung zur Grundlage von (historischer) Erkenntnis werden können. Die Archive wurden in eine Reihe von einzelnen, signifikanten Dokumenten transformiert, die am Ende der Recherchearbeit als unübersehbare, unhintergehbare Grund268
lage für die Interpretation der Vergangen präsentiert werden konnte. Archivarbeit macht aus den Archivalien Bausteine für historische Erzählungen. Dieser Vorgang ist dabei keineswegs trivial. Es handelt sich dabei vielmehr um einen außerordentlich kreativen, konstruktiven Prozess. Epistemische Dinge, so hat die Wissenschaftsgeschichte mittlerweile gezeigt, sind etwas kulturell Gemachtes. Die Suche nach Fakten verändert, ja kreiert die Archivalien als ,epistemische Objekte‘ erst eigentlich. Doch obwohl sie demnach in ihrer Grundlagenfunktion für die Geschichtsschreibung konstruiert sind, werden die gefundenen Urkunden oft als allgemeine und unveränderliche, feststehende ,Fakten‘ präsentiert und deshalb von ihren partikularen Entstehungskontexten narrativ befreit. Die frühneuzeitliche Historiographie zumindest verschleierte oft die Herstellungsprozesse, die aus amorphen Papieren eine Serie von diskreten, geordneten Dokumenten und Urkunden erzeugten, auf die dann eine interpretierende Geschichtsschreibung aufbauen konnte. Die Erzeugung historiographischer Tatsachen war de facto körperlich, chaotisch, kontingent, doch in ihrer literarischen Darstellung verschwanden diese Eigenschaften. Die Voyage litteraire mit ihrem Darstellungsgestus zeigt genau dies: Bei 2.000 neuen Urkunden bestand auch zweitausendmal die Neigung, die anstrengenden, kreativen und zum Teil durchaus unvorhergesehenen Prozesse auszublenden, die diese ,Fakten‘ erzeugt hatten. Die Voyage von Martène und Durand ist für diesen narrativen Umgang mit Archivrecherche sicherlich ein Extrembeispiel, weil sie aus einer hochgradig spezialistisch motivierten Archivreise ein (moderates) literarisches Spektakel zu machen versucht. Doch sie zeigt damit in radikaler Weise, wie der Archivbesuch zu einem legitimatorischen Topos, zu einer Chiffre für historiographische Aufrichtigkeit wurde : Einerseits verwies man zur Legitimation eigener Ergebnisse in stereotyper Weise auf die Schwierigkeiten der absolvierten Archivarbeit, die man dann manchmal mit Blick auf die äußeren Umstände auch etwas näher konkretisierte; andererseits stellte man narrativ sicher, dass die absolvierte Archivarbeit als Garant unangreifbarer historischer Fakten gelten konnte, um hier keinen Ansatzpunkt für Skepsis und Zweifel zu bieten. Auf diese Weise begann das Archiv, auch rhetorisch und legitimatorisch eine zentrale Bedeutung für die Geschichtswissenschaft zu spielen. Es wurde als Figur aufgerufen, wenn es darum ging, authentische Nachrichten über die Vergangenheit aufzuspüren. Es wurde zum Ort der Hoffnung für die Kenntnis des Vergangenen. Mit dieser rhetorischen Indienstnahme korrespondierten, wie gesehen, vielfältige Praktiken 269
und alltägliche Schwierigkeiten. Keineswegs alle, aber doch viele und vor allem immer mehr Historiker begannen, Geschichtsschreibung und Archivarbeit als zwei Seiten derselben Medaille zu sehen und beides als zusammengehörig zu beschreiben. Bis heute prägt diese Tradition unsere Auffassung von Geschichte und Geschichtsschreibung.
Anmerkungen
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Lehmann: Chronica, unfol. (Vorwort Lehmanns). AA I 20, S. 734: ,,Car le moyen de travailler avec quelque succées à l’Histoire du Païs, sans avoir la liberté de consulter les Archives, quand on le juge à propos?“ AA VI 4a, S. 687. Dort noch weiter. Rehtmeyer: Antiquitates, unfol. (Vorrede). Formulierung nach Osborne: Ordinariness. Zu Ranke und den Archiven vgl. mit übertriebener Betonung des Neuanfangs Eskilden: Archival Turn. ,,Effet de réel“, so Farge: Goût, S. 12, 18 u.v.m. AA I 6, S. 501 (Huldreich von Eyben für Leibniz über Historiographie, Mai 1691). NLB Ms VIII 630, unfol. Zum ,,usus ordinarius“ bzw. ,,usus extraordinarius“ gleich am Anfang. Morelle: La mis en ,,œuvre“. Dort die ältere Literatur, auch zu einzelnen Autoren. Guyotjeannin: La tradition de l’ombre. Hierzu insgesamt Guenée: Histoire, S. 110. Morelle: La mis en ,,œuvre“, S. 81. Vgl. insgesamt Jones: Memory. Zu den Notizbüchern ebd., S. 277. Vgl. als Überblick bis ins 16. Jahrhunderts Guenée: Histoire, S. 91–99. Meyer: Die Stadt als Thema, v.a. S. 71–130. Dort passim zu den Archiven. Schmid Keeling: Geschichte, S. 239f., 243, 251. Guenée: Histoire, S. 92f. Ménestrier: Divers Caractères, S. 60–69. Woolf: Circulating, schreibt zwar nicht direkt zu Archiven, erwähnt sie aber in diesem Sinne immer wieder. Guenée: Histoire, S. 98 zu Thomas Burton. Vgl. hierzu, v.a. mit Blick auf das späte 18. Jahrhundert, Zimmermann: Quelle als Metapher. Hortleder: Von Rechtmässigkeit, unpag. (Vorrede). Lengnich: Geschichte, Vorrede (unpag). Zitat von Anthoine Laval nach Schapira: Occuper l’office, S. 44. Vgl. z. B. Grafton: What was History? Eskilden: Archival Turn, reduziert die frühneuzeitliche Historiographie fast ausschließlich auf diese Tradition, um Rankes Hinwendung zu den Archiven zu profilieren. Grell: L’histoire. Völkel: ,,Pyrrhonismus historicus“ und ,,fides historica“, S. 177–181. Hierzu Völkel: ,,Pyrrhonismus historicus“ und ,,fides historica“, S. 191–196 auf der Basis von von Ludewig: Teutsche Schrifften, S. 324–409. Zur Skepsis Ludewigs vgl. a. Zedelmaier: Der Anfang, S. 34–58. Pfanner: Historia pacis Westphalicae.
Dies wurde in Weimar und Jena heftig kritisiert, vgl. ThHStA Kunst und Wissenschaft 10716, fol. 21r –28v . ThHStA Kunst und Wissenschaft 10716, fol. 30r-v (30.8.1698, an Weimar). Die folgenden Zitate ebd, fol. 32r . So z. B. sehr deutlich in ThHStA Sammlung F 656, fol. 110r –112r . So Schrader am 28.11.1690 aus Ratzeburg über die Schweriner, NLB Ms XXIII 175a, fol. 6r . ThHStA Kunst und Wissenschaft 10719, fol. 1r –12v . StA Gotha SS X 43, unfol. Begriff bei Irace/Bartoli Langeli: Archivi, S. 409 und passim. Vgl. u. a. Kelley: Foundations. Ders.: History. Grafton: What was History?, S. 62– 122 betont, dass diese Sicht um kirchengeschichtliche und altertumswissenschaftliche Anregungen zur Materialrecherche zu ergänzen sei. Ludewig (Hg.): Arcana Saeculi, S. 279. Reese: Die Rolle. Schnath: Archivreise. Vgl. jetzt auch Gädeke (Hg.): Leibniz als Sammler. NLB Ms XLII 1931, unfol. (§3). Barret-Kriegel: Les historiens II: ,,La défaite de l’érudition“. Kritisch dazu etwa Grell: L’histoire. Vgl. noch einmal Gembicki: Histoire. Rogister: L’argument historique. Klar, aber überpointiert hierzu Pomian: Les historiens, S. 121–123. Bondois: Joly de Fleury, S. 451. Den (rechts)historisch-gelehrten Nutzen betonte ein Memoire fait a l’occasion du Recüeil des ordonnances des Rois de France von 1748 in AN 399 AP 65, unfol. Vgl. a. Baudouin-Matiszek: La publication, S. 497. Ediert bei Winter: Fürst Kaunitz über die Bedeutung von Staatsarchiven, S. 134. Gembicki: Histoire, S. 118–120, 136–146. Kopp: Auserlesene Proben, S. 16. ThHStA Kunst und Wissenschaft 10719, fol. 1v (Tentzel an Hzg. Bernhard, 13.4.1701). Mathieu Marais an Jean Bouhier, 10.10.1729, ed Duranton (Hg.): Lettres, III, S. 145: ,,j’admire toujours comme vous enrichissez le public de mille choses qui seraient perdues sans vous.“ StA Gotha SS II 41, fol. 118r-v (Pfanner an die Regierung in Gotha, 4.5.1696). StadtA Speyer 1A, 76, fol. 2r –3v . Ediert in de Le Moyne Borderie (Hg.): Correspondence, S. 41f. Duranton (Hg.): Lettres, III, S. 137. Zitat ebd., S. 142 (Bouhier an Marais, 20.9.1729): ,,Je lui [. . . ] ai fait ouvrir les portes des archives de notre chambre des comptes“. Vgl. a. die etwas herablassende Titulatur als ,,mon bon Aubrée“ durch Bouhier ebd., S. 175. Hier dürfte auch der Regent, Philipp von Orleans eine Rolle gespielt haben, vgl. Bignon an dom Aubrée, 8.4.1716, ed. Auger: La collection, S. 119. [Aubrée]: Mémoires, I, S. IX–X; II, passim sehr häufig. StadtA Lyon AA 80, unfol. (pièces 63–65). BnF Moreau 291, fol. 226r . Moreau war der Mittelsmann, über den Batteney an den Garde des Sceaux herantrat. Zugleich schaltete er Minister Bertin ein. Vgl. die Bitte um Archivzugang Tentzels am 21.3.1701, in StA Gotha SS X 43, unfol. Sehr viele Beispiele referiert Pillich: Staatskanzler Kaunitz. Vgl. seinen Brief an Leibniz vom 7.8.1690, AA I 5, S. 654: das Weimarer Archiv wurde dort geschildert als ,,amplissimo sane et magni thesauri, sed pene absconditi, loco habendo“. Die Zahl der Akten wurde von Leibniz lobend gegenüber
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Magliabechi als Qualitätskriterium für das erst noch im Erscheinen begriffene Werk angeführt, vgl. AA I 6, S. 280f. Vgl. insgesamt auch Strauch: Seckendorff. AD Puy-de-Dôme C 7047. Vgl. Barret-Kriegel: Les historiens. III, S. 65–82. Gasnault: Les travaux, S. 116f. Davon war schon 1683 die Rede, so am 12.6. Du Cange an Papebroch, Joassart (Hg.): Lettres, S. 246. Vgl. z. B. LHA Schwerin 2.11–2/1 Auswärtige Beziehungen, Nr. 2972. Schmidt: Vorrede, in: Rehtmeyer: Antiquitates. Diese These war begründet, vgl. Klinge: Letzner, S. 116. AA I 16, S. 663, 696f. (Leibniz an Joseph Wilhelm von Bertram, 18.3.1699. Antwort 8.4.1699). Vgl. z. B. Voss (Hg.): Briefe, S. 619. Voss (Hg.): Briefe, S. 604. ,,il sera plus facile de réussir par des procédés doux et honnêtes que par des injonctions“, so Dom Col an Nicolas Moreau 1765, zit. in Gembicki: Histoire, S. 121. Ähnlich Colbert, vgl. Soll: The Information Master, S. 126. Reese: Die Rolle, S. 97. AA I 15, S. 124 (19.9.1698): Leibniz möchte d’Hozier entschädigt wissen. Leyser: Vertheidigung, unfol.: Leyser habe Behrens ,,Bezahlung“ oder ,,Äquivalenten“ für seine Materialien anbieten wollen. Vgl. Johann Heinrich Meibom an Johann Stucke, 15.9.1637, NLB Ms XLII 1867, unfol. Reese: Die Rolle. 121f. Reese: Die Rolle. Vgl. dazu v.a. NsHStA Hannover 91/Schrader 1. Zu Schmiergeldern dort fol. 2v . Vgl. die Anordnung Josephs I. an diverse Klöster, NLB Ms XXIII 74, fol. 2r-v . NLB Ms XXIII 74 enthält Aufstellungen bzw. Regesten von Dokumente aus den Münchner Beständen. Am 15.7.1707 an dom Aubrée, ed. Auger: La collection, S. 101. Le Carpentier: La veritable origine de la maison de Sohier, S. 49. Hartzheim/Schannat: Concilia, S. 1. BAB AR/1/Misc 987, unfol. (Reichserzkanzler an Kanzleiverwandten Rüdiger in Wetzlar, 4.12.1755). Vgl. Harpprecht: Staats-Archiv. Zu seiner Archivrecherche, die v.a. auf ,,communicationen“, nicht so sehr auf eigener Durchsicht zu beruhen schien, vgl. ganz kurz ebd., Bd I, S. 3, 6f. Bd III, fol. )()(4v . Harpprecht erläuterte seine Pläne in einem Schreiben vom 28.11.1755, BAB AR/1/Misc 986, unfol. Spieß: Lebensumstände, S. 11f. Leuckfeld: Antiquitates Praemonstratenses, unfol. (Vorrede). Omont: Doat, S. 292. Das passierte noch 1699 selbst dem angesehenen Leibniz, vgl. AA I 17, S. 111. LHA Schwerin 2.11–2/1 Auswärtige Beziehungen, Nr. 2972, fol. 15r. NLB Ms XXIII 175a, fol. 6r . Explizit im Zitat oben FN 7. NLB Ms XXIII 73, fol. 40r (24.12.1691 an Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg). Rehtmeyer: Antiquitates, unfol. (Vorrede). Ich kenne nur zwei Beispiele, vgl. Powell: Direction. Agard: The repertorie. Vgl. Woolf: Cirulating, S. 156f. Castets/Berthelé (Hg.): Notice, S. CXX (Louvet an d’Achery, 7.11.1672). NLB Ms XXIII 175a, fol. 7r .
UB Kassel 2° Hass 20, fol. 203r-v . Vgl. a. Sagittarius/Cyprian: Historia der Graffschafft Gleichen, fol. a3r . AA I 10, S. 353 (7.4.1694 an Leibniz). Zur Herausgabe der Papiere Meiboms, die auch Letzneriana enthielten, an die Wolfenbütteler Regierung vgl. NLB Ms XLII 1867, unfol. Teile von Letzners Nachlass gelangten zu Conrad Berthold Behrens, vgl. Behrens: Responsio. Leibniz interessierte sich sehr hierfür, vgl. AA I 18, S. 172, 182. Vgl. Klinge: Letzner, S. 109– 114. Auger: La collection, S. 24f. de Le Moyne Borderie (Hg.): Correspondence, S. 70f. (an de Gaignières, 1.1.1696). Zit. bei Klinge: Letzner, S. 118f. de Le Moyne Borderie (Hg.): Correspondence, S. 43 (Audren an de Gaignières, 6.3.1692). Castets/Berthelé (Hg.): Notice, S. CXX (Louvet an d’Achery, 7.11.1672). Daub (Hg.): Jagd, S. 6, 51, 88, 90. Griechischkundige Schreiber waren bei Bedarf besonders schwierig zu finden, vgl. Joassart (Hg.): Lettres, S. 206 (Papebroch an Du Cange, Antwerpen, 11.3.1683). Rogier an Duchesne, 22.11.1626, ed. Amiel (Hg.): Archives administratives, Bd. I, S. cxxiij–cxxv. Dom Aubren an dom Aubrée, 2.6.1713, ed. Auger: La collection, S. 113f. Zur Teamarbeit ebd., S. 53–74. Hiller: Geschichtswissenschaft, S. 22. Vgl. Melle: Historia, S. 34f. Vgl. die Vorrede in Sagittarius: Historia Gothana, unfol. Kritische Stimmen zu dieser Praxis verzeichnet Grell: Le dix-huitième siècle, S. 399f. Am 18.1.1712, ed. Auger: La collection, S. 104. Z. B. Jakob von Melle, vgl. Sagittarius/Cyprian: Historia der Graffschafft Gleichen, fol. a3r . Vgl. UB Kassel 2° Hass 23, fol. 13v . Zu Leibniz vgl. AA I 17, S. 111. UB Kassel 2° Hass 20, fol. 130v . Guenée: ,,Authentique et approuvé“. UB Kassel 2° Hass 22, fol. 7v f. Samarin: Pau. Die Schule wurde von Larcher gegründet und war nur wenige Jahre aktiv. Vgl. Cod. Guelf. 166.2 Extrav. Hiller: Geschichtswissenschaft, S. 34–37. Sagittarius: Commentariolus, v.a. S. 52–58, 79. Zur Anlage von theologischen Loci Communes Sammlungen vgl. a. seinen langen Brief an Samuel Heumann, 12.1.1668, FB Chart A 1037, S. 35f. Zum Folgenden die Vorlesungsskizze (?) samt Anschauungsmaterial in NLB Ms VIII 630. Anders Tröger: Die Archive, S. 408. Auch Woolf: Circulation, S. 142, sieht Textarbeit als meist ,,stationary“. Omont: Doat. Lobend erwähnt vom Katholiken Albert Krez an Bernhard Bez, 8.10.1709, in Wallnig (Hg.): Briefe, S. 55. de Le Moyne Borderie (Hg.): Correspondence, S. 43 (Audren an Gaignières, 6.3.1692): ,,Nous avons aussi veu les archives de M. le duc de Rohan à Blain, à la vérité un peu superficiellement“. Ed. bei Rembe (Hg.): Briefwechsel, S. 4 (Spangenberg an den Graf, 21.10.1551). de Le Moyne Borderie (Hg.): Correspondence, S. 154, 156 (Zitat), 158f. (Briant an Audren bzw. Sainte-Marthe, 1712).
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de Le Moyne Borderie (Hg.): Correspondence, S. 167f. (an abbé Chotard, 11.2.1714). Zit. bei Goetze: Frühzeit, S. 7. Vgl. oben FN 99. Vgl. die eindrucksvolle Rechnung ed. bei de Le Moyne Borderie (Hg.): Correspondence, S. 97–99. Vgl. mehrere Briefe hierzu ed. Auger: La collection, S. 110, 116. Insgesamt sehr gut zu den Schwierigkeiten der Recherche bei den Maurinern Gasnault: Les travaux Zitiert bei Fuchs: Traditionsstiftung, S. 373. Mel an Kalckhoff, 13.3.1721, UB Kassel 2° Ms Hass 90b/1 (Fasz. ,,Mel“), fol. 4r . FB Chart B 1830, fol. 14r (am 25.2.1727, an Johann Balthasar Vitter). Schmidt an Burckhardt, 18.7.1717, HAB 64.38 Extrav, fol. 307r –308r . Müller an Burckhardt, 26.4.1717, HAB 64.38 Extrav, fol. 83r . Schmincke an Burckhardt, 24.1.1742, HAB 64.38 Extrav, fol. 311r-v . Zu d’Hozier vgl. oben FN 66. Zu Kochanski vgl. AA I 10, S. 403 (vergeblicher Versuch). Pillich: Staatskanzler Kaunitz, S. 106. Vgl. z. B. Chifflet an Rosweyde, Besançon, 29.3.1627, Joassart (Hg.): Lettres, S. 55: Jesuiten in allen Provinzen sollten aus den örtlichen ,,Archiven“ Heiligengeschichten sammeln. Chilian Schrader an Heinrich Meibom d.J., 2.9.1692, NLB XLII 1909, fol. 111r-v . Behrens: Abgenöthigte Remonstration, fol. A2v –A3r . Schmidt: Vorrede, in: Rehtmeyer: Antiquitates, unfol. Lob für editorische Leistungen z. B. bei Eisenhart: De fide historica, S. 28. Wencker: Apparatus, S. 80f. Lecomte: Les Bénédictins. Auger: La collection. Barret-Kriegel: Les historiens. III, S. 83–92. Gasnault: Les travaux, S. 117–119. Bizzocchi: Genealogie. Vgl. als hilfreiche Übersicht Schröcker: Genealogie. Gegen theologische Kritik wandten sich z. B. Conrad Berthold Behrens, Cod. Guelf. 17 Noviss 2°, fol. 4r –5v , und Friedrich Hortleder, vgl. ThHStA Nachlass Hortleder 52, fol. 9r –10r . Zum enormen Bedeutungszuwachs der Genealogie vgl. Woolf: Circulation, S. 86–100. Vgl. die gute Zusammenfassung der Forschung bei Czech: Legitimation, S. 28–32. Zum Folgenden vgl. Burguière: La mémoire familiale, S. 773f. Jahn: Genealogie und Kritik. Zur wachsenden Bedeutung der Abstammung im Adelskonzept vgl. Schalk: From valor to pedigree Ménestrier: Noblesse, S. 513–515 zur königlichen Kontrolle. Vgl. dazu Bizzocchi: Genealogie, S. 86–90. Grell/Da Vinha: Les Généalogistes. Butaud/Pietri: Les enjeux, S. 158–163. Descimon: Élites parisiennes. Letzteres betont stark Bizzocchi: Genealogie, z. B. S. 36–49, 54 uvm. Ménestrier: Noblesse, S. 119. Dort ein breites Panorama zu Adelsbeweisen. de Le Moyne Borderie (Hg.): Correspondence, S. 62 (am 20.1.1694 an Hzg. de Carcado). Zeitfuchs: Stolbergische Kirchen- und Stadt-Historie, S. 73. Vgl. Burguière: La mémoire familiale, S. 777. Gillet: Étienne Baluze, S. 79–81 mit deutlichen Zitaten. NLB Ms VIII 643, unfol. (lib. II, nr 5.).
Das Zitat, das v.a. gegen die antiken und mythischen Ahnenkonstruktionen gerichtet ist, in Cyprians Vorrede bei Sagittarius/Cyprian: Historia der Graffschafft Gleichen, fol. a4r . AN 1 AP 11, S. 59–61 (Zitat 61). Die Passage fehlt in der gedruckten Fassung Histoire genealogique de la Maison de la Tremoille. Ganz ähnlich auch Heinrich Meibom jun. in NLB Ms VIII 630, unfol. (nr. 7–9). Aufschwung genealogischer Forschung nach 1550 bei sächsischen Grafen: Czech: Legitimation, S. 32–70. StA Darmstadt D3 6/2, passim. Die folgenden Zitate ebd., unfol. (9.2.1626 und 26.10.1626). StA Darmstadt D3 6/3, unfol. (10–7–1648). StA Darmstadt D3 6/5, unfol. ThHStA Nachlass Hortleder 2, fol. 105r-v . Es folgen viele Stücke hierzu. Vgl. ähnlich auch Woolf: Circulation, S. 99, 120f. Marinelli: Un corrispondente. Vgl. ein Schreiben von Mazarin 1661 (?) an Giustiniani (?) zum Projekt, die beiden Familien in seiner Genealogie zu verbinden, in Centro di studi e documentazione di storia economica ,,Archivio Doria“ Genova, Fondo Doria 589, unfol. Reinkingk: Biblische Policey, S. 321–323, zit. in Cod. Guelf. 17 Noviss 2°, fol. 4v – 5v . Ed. Kaenel (Hg.): Inventaire. Vgl. z. B. ebd., S. 89f., 103. AN 86 AP 1, unfol. Christian Schenk an Hortleder, 3.4.1623, ThHStA Nachlass Hortleder 22, fol. 60r – 61v . Vgl. z. B. eine Passage von Sagittarius, ed. Zeitfuchs: Stolbergische Kirchen- und Stadt-Historie, S. 114. Vgl. das lange Briefzitat bei Gillet: Étienne Baluze, S. 81. Vgl. das Dekret in AN 399 AP 55, unfol. Zur Episode vgl. Wrede: Genealogie, S. 35, 39f. Le Moine: Diplomatique-Pratique, S. 193–196. NLB Ms XIII 776b, fol. 51v f. (im handschriftlichen Anhang an die gedruckten Schriften). Albert Krez, Ottobeuern, an Bernhard Pez, 8.10.1709, ed. Wallnig (Hg.): Briefe, S. 55: ,,non per litteras tantum, sed et personaliter“. AA I 5, S. 654. Hierzu und zum Folgenden noch einmal Lehmann: Chronica, unpag. (Vorwort Lehmanns). Ich habe v.a. die ersten beiden Reisen einer Analyse unterzogen, Dom Martène/ Dom Durand: Voyage littéraire, S. 1–179. Ebd., S. 64f. zur Wahl Durands als Gefährten für Martène. Dom Martène/Dom Durand: Voyage littéraire, S. 17, 94, 134, 164f. Für kritische Worte zur Archivsituation vgl. z. B. Dom Martène/Dom Durand: Voyage littéraire, S. 29, 56. Das Fehlen von Archiven – etwa wegen der Religionskriege – wird ebenfalls erwähnt, ebd., S. 140 u.v.m. Z. B. Dom Martène/Dom Durand: Voyage littéraire, S. 15, 49, 80, 94. Ausnahme (,,Comme nous n’étions pas tant à Dijon pour voir les Églises que pour travailler“) ebd., S. 145. Auf das ganze Werk gesehen scheint die Frequenz der Erwähnung von Archivbesuchen abzunehmen. Vgl. z. B. Dom Martène/Dom Durand: Voyage littéraire, S. 87f., 154 (ganz en passant) Dom Martène/Dom Durand: Voyage littéraire, S. 19, 52, 57 (in Auxerre verzichtet
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man auf eigene Archivarbeit und greift auf eine Kompilation des Abts zurück), 138. Dom Martène/Dom Durand: Voyage littéraire, S. 65: ,,Nous la crûmes bien employée pour la consolation que nous eûmes de trouver une lettre originale de saint Louis“. Ebd., S. 64: ,,fatigue du voyage & de l’étude“. Rheinberger: Dinge, S. 70f. Sawilla: Vom Ding zum Denkmal, S. 442f. Vgl. Steedman: Dust, S. 77. Vgl. zur Formel ,,ex manuscriptis“ auf Titelblättern von Editionen Sawilla: Antiquarianismus, S. 317f.
Epilog Das vormoderne und das moderne Archiv
Am 14. Juli 1789 stürmten in Paris die Bürger die Bastille. Am 6. August 1806 legte Franz II. die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation nieder. Im Strudel dieser Ereignisse veränderte sich auch die europäische Archivkultur grundlegend. Die offensichtlichste Folge des Umbruchs um 1800 war ohne Zweifel, dass dadurch die sozialen und politischen Strukturen der alten ständischen Ordnung wegfielen. Damit wurden auch die alten Urkunden und Rechtstitel, auf denen das engmaschige Netz der ständischen Abhängigkeiten basierte, ihrer tagesaktuellen Funktion beraubt. Die patrimoniale Funktion der Archive war in dem Moment beendet, als das Rechtsgebäude der alten Ständeordnung in Frankreich und Deutschland einstürzte. Mit einem Schlag verloren die meisten Archive ihre gegenwartsbezogene juristische Bedeutung. Sie wurden zu Überresten einer nunmehr vergangenen Periode, eines beendeten Rechtssystems. Aus juristisch relevanten wurden historische Archive. Dadurch wandelte sich das Interesse an den Schriftlichkeitsdepots. Der Traditionsbruch mit dem Alten Reich veränderte, so hat Wolfgang Burgdorf dargestellt, den Vergangenheitsbezug der bisherigen Eliten. Die archiv- und schriftlichkeitsbezogenen Kenntnisse der Reichsjuristen wurden umgewidmet und in vorbildloser Intensität der historischen Forschung zugänglich gemacht. Geschichte wurde von der Aktualität des Rechts abgekoppelt. Für die Archive interessierten sich diese Eliten nun nicht mehr deshalb, weil sie gegenwärtige Rechtsverhältnisse dokumentierten, sondern weil sie das historische Erbe der Nation enthielten. Denn die neue Vergangenheitskultur verband sich mit dem aufkommenden Nationalismus des 19. Jahrhunderts. Geschichte, gerade auch die Epoche des Mittelalters, wurde zu einem Symbol nationaler Identität. Neue soziale Formen zur Organisation der historischen Archivrecherchen und Forschungen kamen in diesem Zusammenhang auf. Akademische Institutionen wie die 1819/1832 gegründeten Monumenta germaniae historica, aber auch die gesellschaftlich breiter aufgestellten Geschichtsvereine, waren typische Einrichtungen, die im Dienste der Nation das historische Erbe zu erschließen halfen. Archivarbeit spielte in all diesen Facetten der Geschichtskultur eine wichtige Rolle. Bürgerliche Vergesellschaftungsformen, Vergangenheitsbegeis277
terung, nationales Bewusstsein und Archivbenutzung gingen hier eine neuartige Mischung ein. Diese Hinwendung zur Geschichte hatte dabei häufig Züge von nostalgischer Romantik oder offensiver Restauration des Ancien Régime. Mit dieser gesellschaftlichen Neupositionierung der Archive und des aus ihnen zu gewinnenden Wissens ging eine Professionalisierung der Quellenkritik und Archivkunde einher. Institutionen wie die 1821 gegründete École des Chartes in Paris oder das 1854 eingerichtete Institut für Österreichische Geschichtsforschung in Wien wurden (wenngleich mit mancherlei Anfangsschwierigkeiten) zu Zentren der technischen Ausbildung und hilfswissenschaftlichen Forschung. Die Philologie wurde durch Karl Lachmann in ihre bis heute grundlegende Form gebracht, was auch für die Archiv- und Editionspraktiken der Historiker von großer Bedeutung war – zwischen den Mitarbeitern der Monumenta und Lachmann beispielsweise bestanden persönliche und fachliche Kontakte. Auch das Nachdenken über Archive wurde in bisher ungeahnten Formen verwissenschaftlicht und systematisiert. In den Archivtraktat von Joseph Anton Oegg von 1804 beispielsweise fand eine an Immanuel Kant angelehnte Wissenschaftssprache Einzug, die in neuer begrifflicher und systematischer Stringenz das Archiv in eine rationale Matrix zu zwängen versuchte. Die Praxis des Archivierens sollte in eine vermeintlich logische Gliederung überführt werden. Die Archivgebäude wurden ebenfalls zusehends präzise reflektiert, bis schließlich in der zweiten Jahrhunderthälfte ein eigener architektonischer Diskurs über diesen Bautypus entstand. In Form von repräsentativen Zweckbauten fanden Archive im Stadtbild vieler urbaner Zentren einen prominenten Platz. Schließlich wurden im 19. Jahrhundert Archivschulen gegründet, an denen Archivare systematisch und staatlich kontrolliert ausgebildet wurden. Speerspitze dieser Veränderungen in der europäischen Archivkultur waren in vielerlei Hinsicht die National- oder Staatsarchive – sie sollten der nationalen historischen Meistererzählung ihr Material zur Verfügung stellen. Dies war ein neuer Typus von Archiven, den es in dieser Form in der Frühen Neuzeit nicht gegeben hatte. In Frankreich wie in Deutschland war es während der Ablösung des Ancien Régime zu enormen Umverteilungs- und Zentralisierungsvorgängen von Archivalien gekommen. Adels- und Klosterarchive wurden aus ihren jahrhundertealten Sitzen entfernt und (sofern sie der Vernichtung entgingen) in neuen, öffentlichen Institutionen aufbewahrt. Die Führung dieser 278
Archive wurde nach dem Traditionsbruch um 1800 zu einer staatlichen Aufgabe, auch und gerade für die historischen Bestände. In Frankreich gründete man 1794 die Archives Nationales und 1796 die Archives departementales, in Deutschland entstanden in den Nachfolgestaaten des aufgelösten Alten Reichs ähnliche Institutionen. Archive wurden dabei zu Behörden, sie wurden nahtlos in Beamtenapparate und bürokratische Hierarchien eingebunden. Nationale Archivpolitik wurde in neuem Maßstab denkbar, und Debatten über Zentralisierung von Archiven oder die Verfassung von Gesamtübersichten aller nationalen Archivbestände waren an der Tagesordnung. Andere Archive, etwa kirchliche oder städtische Einrichtungen, profitierten ebenfalls von diesem Entwicklungsmoment, doch zeigten ihre Archivare häufig eine etwas abweichende Auffassung von ihren Aufgaben. Stadtarchivare zum Beispiel blieben in gewissem Maße offener gegenüber einer Vorstellung, die nicht vollständig in der Anbindung der Archive an ministerielle und staatliche Bürokratien aufging. Solche Einrichtungen übernahmen häufig weitergehende historische Dokumentationsaufgaben, beispielsweise das Führen von Stadtchroniken. Während die dominierende archivwissenschaftliche Auffassung in den Staatsarchiven entwickelt wurde und das Archiv immer stärker als Rezeptionseinrichtung behördlicher Reposituren begriff, blieben Stadt- und Regionalarchive offener für Fragen des Sammelns oder sonstiger historischer Dienstleistungen. Mit der Revolution in Frankreich wurde schließlich auch ein Grad von Demokratisierung der Archive vorstellbar, der vorher undenkbar war. Das umfassende Archivgesetz, das die französische Nationalversammlung am 25. Juni 1794 (7 messidor II) erließ, regelte nicht nur die umfangreichen und symbolträchtigen Vernichtungsaktivitäten, die den ständischen Rechtstiteln galten. In Artikel 37 wurde zugleich festgelegt, dass jeder Bürger alle öffentlichen Archive zu festgesetzten Besuchszeiten uneingeschränkt und umsonst konsultieren durfte. Archivzugang wurde zu einem Bürgerrecht. Zwar blieb der Zugang zu Archiven auch und gerade für Historiker noch während des gesamten 19. Jahrhunderts hindurch ein Objekt obrigkeitlicher Sorge und Kontrollbemühungen. Doch ungeachtet solcher Einschränkungen war mit dem Gesetz von 1794 der bis heute wichtige Zusammenhang zwischen Demokratie und Archivzugang erstmals formuliert. Mit all diesen Konsequenzen leuteten die Umbruchsjahre um 1800 also eine Phase rasanter Veränderung für die europäische Archivgeschichte ein. Die archivischen Verhältnisse des Ancien Régime wurden 279
in vielen Bereichen außer Kraft gesetzt. Das behördlich organisierte, professionalisierte und (mit vielen Einschränkungen und Zwischenschritten) auch demokratisierte Archiv der Moderne veränderte das Selbstverständnis des Archivs und der Archivare. Doch trotz der Wandlungen sollte man festhalten: Das 19. Jahrhundert markierte keinen totalen Bruch, keinen vollständigen Neuanfang. Es bedeutete nicht einfach den Übergang von einem ,uneigentlichen‘ zum ,eigentlichen‘ Archiv, es ist nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Vorgeschichte und dem Beginn der ,richtigen‘ Geschichte des europäischen Archivwesens. In vielerlei Hinsicht setzten die Archive, Archivare und Archivbenutzer des 19. Jahrhundert vielmehr die Erfahrungen vorhergehender Zeiten voraus und führten ihre Praktiken fort. Noch lange waren etwa die Aufbewahrungsbedingungen vielerorts so, dass sich frühneuzeitliche Archivare zurechtgefunden hätten. Der methodische ,,archival turn“ der Geschichtswissenschaft erfolgte längst vor Leopold von Ranke, wie wir gesehen haben. Ranke selbst musste sich noch in einer komplizierten Art und Weise um Archivöffnung bemühen, die stark den Anstrengungen frühneuzeitlicher Historiker ähnelte. Die wissenschaftliche Korrespondenz der Historiker Georg Waitz und Theodor Sickel aus den 1860er Jahren erinnert bei der Lektüre auffällig an frühneuzeitliche Gelehrtenbriefwechsel. Aktenausleihe nach Hause gehörte noch lange zu den ganz üblichen Benutzungspraktiken in vielen, selbst staatlichen Archiven. Nach wie vor hatte das katastrophale Folgen: 1880 verbrannten wertvolle Handschriften aus dem 8. Jahrhundert, die der Historiker Theodor Mommsen bei sich daheim bearbeitete, als sein Privathaus in Flammen aufging. Und noch im 21. Jahrhundert stürzen Archivbauten ein und werden selbst in demokratischen Staaten gelegentlich Akten, die politisch ,gefährlich‘ werden könnten, entgegen allen Regeln vernichtet. Historiker beschweren sich bis heute über Archivare, die ihre Arbeit durch eine Form des passiven Widerstands behindern, die frühneuzeitlichen Fachvertretern nur allzu bekannt gewesen wäre – Auskunftsverweigerung, Entzug der Findbücher, Verstellen von Unterlagen. Blickt man auf die Praktiken der täglichen Archivarbeit, so ist der Bruch um 1800 nicht immer so eindeutig, wie das zunächst scheinen mag. Zuletzt basiert das moderne Archiv Europas in einem ganz elementaren Sinn auf dem vormodernen, dem mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Archiv: Es waren jene Perioden der europäischen Geschichte, die Archive als Institutionen, Archivare als sozialen Typus und das Archivieren als kulturelle Praxis fest in der europäischen Gesell280
schaft verankerten. Die Imprägnierung Europas mit Archiven erfolgte längst vor dem 19. Jahrhundert, so sehr sich das Archivwesen seither auch gewandelt haben mag. Dass Archive zu einem ebenso selbstverständlichen wie omnipräsenten Bestandteil europäischer Politik und Ökonomie, Jurisprudenz und Kultur wurden, geschah zwischen dem ausgehenden Mittelalter und der Französischen Revolution. Damals wurde Europas Kultur archivisch.
Anmerkungen
Burgdorf: Weltbild, v.a. S. 225–333. Hoffmann: Archive. Burgdorf: Weltbild, S. 290–318. Bresslau: Geschichte. Fuhrmann: Gelehrtenleben. Zur École des Chartes als Einrichtung der französischen Restauration vgl. Moore: Restoring, S. 23–60. Moore: Restoring. Lhotsky: Geschichte. Bresslau: Geschichte, s.v. ,,Lachmann“ im Index. Timpanaro: Lachmann, v.a. S. 115f. zu dessen Leistung. Zum Wandel der Archivwissenschaft eindrucksvoll Escudier: De la mémoire. Zu Oegg ebd., S. 45. Leiskau: Architektur. Berger: National Archives. Vgl. dazu jetzt Berger: National Archives. Favier: La mémoire. Burgdorf: Weltbild, S. 233f., 290f. Escudier: De la mémoire, S. 47. Friedrich: Sammlungen. Der Gesetzestext ist leicht zugänglich auf http://www.legilux.public.lu/rgl/1794/ A/0002/Z.pdf (20.3.2013). Berger: National Archives. Heydenreich: Städtische Archivbauten. Eskilden: Archival Turn, v.a. S. 442–446. Vgl. Erben (Hg.): Briefwechsel. Briefliche Auskunft von Robert Bierschneider (Staatsarchiv München) vom 21.8.2012 mit Verweis auf die ,,Ausleihbücher“ des Münchner Archivs. Fuhrmann: Gelehrtenleben, S. 119. Zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs am 3. Juni 2009 vgl. z. B. Reininghaus/ Pilger (Hg.): Lehren aus Köln. Zur Aktenvernichtung im Zusammenhang der ,,Zwickauer Terrorzelle“ im Sommer 2012 vgl. z. B. ,,Innenministerium ordnete Aktenvernichtung an“, in Zeit-Online 19. Juli 2012 (http://www.zeit.de/politik/ deutschland/2012–07/nsu-aktenvernichtung-innenminsterium; 4.10.2012). Dort werden Politiker aller deutschen Parteien mit Einschätzungen wie ,,Skandal“, ,,politisch unsensibel“, ,,vertuscht“ oder ,,fassungslos“ zitiert, während sich die vernichtende Behörde auf ,,übliche“ Routinen beruft. So zur Arbeit im Archiv des Auswärtigen Amtes zum Nationalsozialismus Eckart Conze/Norbert Frey/Peter Hayes/Moshe Zimmermann: Panzerschrank der Schande, in: F.A.Z. 5.5.2012 (http://www.faz.net/-gpc-6zn4p; 20.3.2013).
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Abkürzungen AA
Gottfried Wilhelm Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe (Akademie Ausgabe), Darmstadt/Leipzig/Berlin seit 1923, bisher 52 Bände AD Archives departementales AN Archives Nationales Paris ASR Archivio di stato di Roma ASV Archivio segreto vaticano BAB Bundesarchiv Berlin BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv BnF Bibliothèque nationale de France Paris Cod. Guelf. Handschriften der HAB Wolfenbüttel FB Forschungsbibliothek Gotha GLA Generallandesarchiv Karlsruhe HesHStA Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden LA Landesarchiv LHA Landeshauptarchiv NLB Niedersächsische Landesbibliothek NsHStA Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover StA Staatsarchiv StaBi Staatsbibliothek StadtA Stadtarchiv ThHStA Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar UB Universitätsbibliothek
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Abbildungen Abbildung 1: Plan von Paris 1710, François Blondel, Ausschnitt (Privatbesitz). Abbildung 2: Vorsatzblatt des Liber maior feudorum, Archivio de la Corona de Aragón, Cancellería, Registro 1, fol. 1r . Abbildung 3: Arbeitskladde Jean Le Nains, AN U 2341, fol. 16v –17r . Abbildung 4: Archivverzeichnis aus Gotha, 17. Jahrhundert, ThStA Gotha, Geheimes Archiv SS X Nr. 5, fol. 53r . Abbildung 5: Pieter Brueghel d.J., Der Dorfadvokat, The Burghley House Collection, Stamford, England. Abbildung 6: Zeichnung des 16. Jahrhunderts zum Urteil gegen Bertrand Grebert, AN X1a 1522, fol. 329r . Abbildung 7: Archivio di Stato di Bologna, Insignia XIII, nr 59a III, unfol. Abbildung 8: Alexander Würdtwein: Nova subsidia diplomatica, Heidelberg 1781, Titelblatt, Ausschnitt (Bayerische Staatsbibliothek, J. can. p. 1168-1). Abbildung 9: Plan zur Neugestaltung der Archivräume 1733 in Weimar, ThHStAW, Kunst und Wissenschaft A 10729, fol. 34v –35r . Abbildung 10: Tür des Pfarrarchivs in Stralsund, St. Nikolai (Photo: Markus Friedrich). Abbildung 11: Tür zum Archiv der Erzabtei St. Peter, Salzburg (Photo: Helga Penz). Abbildung 12: Schema eines Archivschranks, Fischer: Fleißiges Herren-Auge II, S. 21 (Bayerische Staatsbibliothek, 4 Oecon. 131-1). Abbildung 13: Schema eines Archivschranks, Le Moine: Diplomatique Pratique, S. 165 (Stadtbibliothek/Stadtarchiv Trier, F 546 4°) (Photo: Anja Runkel). Abbildung 14: Archivübersicht der Pariser Chambre des Comptes, AN PP 90, fol. 6r . Abbildung 15: Archivkiste, Büro der Antoniterkirche Köln (Photo: Karsten Brall). Abbildung 16: Gerichtslaube Freiburg, Archivgewölbe, Photographie 1940, Stadtarchiv Freiburg, M 7040. Abbildung 17: Archivschrank Rothenburg/Tauber, Stadtarchiv (Photo: Angelika Tarokic). Abbildung 18: Mobiles Archivzimmer, Real Monasterio de Tordesillas (Photo: EvaMaria Hirmer). Abbildung 19: Archivschrank der Landschaft Eiderstedt, Museum der Landschaft Eiderstedt. Abbildung 20: Sigelzeichnung aus dem Nachlass von Caspar Sagittarius, UB KS 2° Hass 23, fol. 13r .
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Personen- und Ortsregister Aebbtlin, Georg 91, 94, 99f., 112, 123, 172 Ägypten 108 Agen 202 Aix-en-Provence 34, 202f. Albrecht, Herzog von Sachsen-Eisenach 207 Alexandre, Adrien 11–15, 18, 21, 148f., 151, 170 Alfons der Weise 259 Altdorf 94 Altenburg 44–46 Altenkirchen 126, 137, 184, 216 Althusius, Johannes 100, 193 Altranstädt 220 Amerika 59, 111 Amiel, Caterine 104, 150 Ampfurth 206 Amsterdam 185 Anjou 70 Ansbach 61, 138, 185, 216 Anshelm, Valerius 233 Antwerpen 259 Anweiler 74 Anzidei, Bartolomeo 170f. Aquitanien 202 Aragon 38, 40f., 43, 122 Aristoteles 98 Arras 44 Artières, Philippe 19 Aschaffenburg 185, 222 Aubrée, Guillaume 243, 252f. Aubrée, Maur 262 Audibert, Pierre 70 Audren, Maur 253 Augsburg 40, 208 Auvergne 124 Avemann, Heinrich Friedrich 124 Avignon 63 Bachelard, Gaston 160 Balduin V., Herzog von Flandern Balthasar, Augustin 94 Baluze, Etienne 262, 265 Bamberg 141 Barcelona 32, 46, 75, 203 Barisoni, Albertino 90, 98
233
Basel 142 Batteney, Joseph 96, 124f., 131, 244 Baudouin, François 105, 110 Baume, Familie de la, Grafen von Montrevel 67 Baur; Stadtarchivar in Speyer 104f. Bautier, Robert-Henri 24 Bayern 134, 215f., 247 Beaujeu 150 Beaujoulais 69 Beheim, Johann Carl 108 Behlen, Philipp 92 Behne, Axel 20 Behrens, Conrad Berthold 259 Benedikt XII., Papst 42 Benedikt XIII., Papst 63f. Benediktiner 60, 142, 217, 248, 256f., 259f., 268 Benet, Pere 75 Benevent 63f. Benoit, Jean 124, 126 Bern 233 Bernard, Claude 105f. Beselin, Valentin Johann 146 Béthune, Maximilian de 144 Bettelorden 60 Bigorre 124 Biousse, Pierre 151 Bisson, Thomas 37 Bizy 161 Blair, Ann 25, 81 Bodeck, Familie von 67 Bodensee 186 Böhmen 56, 67 Bollandisten 237, 240, 259 Bologna 163f., 177, 179, 182 Bonifacio, Baldassare 90, 101f., 107, 111, 193 Bonifaz VIII., Papst 32, 36 Bordeaux 60, 76, 124 Borges, José Luis 173 Borromeo, Carlo 63, 76 Borromeo, Federico 76 Bossuet, Jacques-Bénigne 110 Bouhier, Jean 217, 243 Bourbon 261 Bourdieu, Pierre 17
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Bourgogne 243 Bouvier, Louis de 264 Brandenburg 263 Brandenburg-Ansbach 216 Brandenburg-Bayreuth 205 Brandenburg-Preußen 216, 237 Braunschweig 231 Braunschweig-Wolfenbüttel 258 Breidbach 67 Bremen 220 Bremundans, Francisco Fabro 102 Brennecke, Adolf 24 Bretagne 233, 243 Briant, Denis 256f. Brockie, Mariano 108f. Brueghel d. J., Pieter 140, 163, 165 Brun, Daniel 205 Burckhard, Graf von Vendôme 233 Burckhardt, Johann Jakob 258 Burgdorf, Wolfgang 277 Burgund 55, 122, 142, 244 Burmeister, Archivar in Celle 250 Caldes, Ramon de 122 Calloujard, Bennoit 70 Calvin, Jean 64 Canada 220 Canterbury 62 Carpentier, Jean-Baptiste 248 Cartari, Carlo 142, 204 Casanova, Eugenio 24 Castello de Francavilla 170 Cavallo, Sandra 170 Čerdyn 59 Ceylon 59 Chaldäer 108 Chambery 203 Charolles 162 Chevrières, Jean-Guillaume de 96 China 111 Château-la-Vallière 69 Christ, Archivar in Marburg 128 Christen, frühe 108 Christoph, Herzog von Württemberg 142 Clanchy, Michael 19, 32, 35 Clermont-Ferrand 68 Cluny 38, 60, 250 Colbert, Jean-Baptiste 55, 142, 202, 249, 256, 262
314
Colombo 59 Conring, Hermann 96 Coqueley de Chausse-Pierre, Charles Georges de 170f. Corvey 252 Cosnac, Daniel de 265 Coxe, William 142 Crevent, Louis de, Mareschal d´Humiers 202 Cyprian, Ernst Salomon 102, 113, 163, 258 Danzig 244 Darmstadt 211f. Datini, Francesco di Marco 34f. Davis, Natalie 21 Derrida, Jacques 22, 112 Descartes, René 95 Deschamps, Leonard 70 Dijon 55, 142, 217f., 243 Doat, Jean 182, 249, 256 Dohna, Christoph von 67 Dombes 69, 185 Doucet, Jean de, Bischof von Belley 103 Duchesne, André 253 Düsseldorf 220 Durand, Ursin 267–269 Durmstein 66 d’Espie, Félix-François, Comte 161f. d’Estampes, Pierre 53, 55, 122 d’Estienne, Antoine 96, 124 d’Hozier, Charles René 259 Eckhard, Tobias 107f. Eisenach 263 Eisfeld 74 Elsass 74 Eltz, Karl Philipp von 215 Engelbrecht, Georg 98 England 32, 35f., 38, 43, 51, 59, 221 Ensisheim 220 Erfurt 130, 222 Erhardt, Johann Adam 109 Ernestiner 76, 169, 171, 206–210, 213f., 239, 244 Ernst I., der Fromme, Herzog von Sachsen-Gotha 143, 166, 169 Ernst, Wolfgang 22 Ersken, Alexander von 218
Eschwege 64 Eudes von Saint-Maur 233 Eugen IV., Papst 142 Evangelisti, Silvia 170 Evershop 180, 183 Faber, Johannes 52 Farge, Arlette 21 Faure, Jeanne 70 Ferdinand II., Kaiser 212 Ferraris, Maurizio 22f. Fischer, Christoph 68, 101, 174 Fladt, Philipp Wilhelm Ludwig 94f. Flandern 55 Fleury, Kardinal 217 Flodoard 233 Florenz 72 Fontenelle 233 Forez 202 Foucault, Michel 22, 78, 112, 193 Fouquet, Charles Louis Auguste, Herzog von Gisors, genannt von BelleIsle 161 Franckenthal 66 Franken 61 Frankfurt 56, 67, 124, 141, 166, 185, 204, 215, 219–222, 258 Franz I., König von Frankreich 127 Franz II., Kaiser 277 Franz Stephan von Lothringen, Kaiser 216 Freiburg 179f. Frenz, Thomas 32 Fresne, Charles du, sieur du Cange 131 Fréteval 51–53 Freud, Sigmund 22 Friderici, Petrus 130 Friedberg 166 Friedrich II., der Große, König von Preußen 215, 240 Friedrich II., Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg 244 Friedrich III., Herzog von SachsenGotha-Altenburg 139 Fritsch, Ahasver 91f. Fritzlar 258 Fulda 62 Garampi, Giuseppe
81
Gautier 51 Genf 64 Genua 93, 264 Georg II., Landgraf von Hessen-Darmstadt 211 Georg Ludwig, Kurfürst von Hannover und König von Großbritannien und Irland 221, 247 Gherbode, Thierry 122 Ginestra 64 Giussani, Nicolò 91 Gleichmann, Johann Zacharias 258 Godefroy, Denis III. 202 Godefroy, Familie 134 González de Mendoza, Juan 111 Gotha 74, 76f., 81f., 102, 104, 124, 130, 135, 139, 146, 161, 163, 166, 169, 205, 208f., 237, 239, 242, 258 Graz 56 Grebert, Bertrand 149 Griechenland 108 Gryphius, Syndikus in Rostock 146 Guenée, Bernard 234, 254 Habsburger 56, 58, 90, 185, 215f., 220, 261 Hachenburg 124, 184 Hagemeister, Ratsherr in Rostock 146 Hagenau 233 Halle 237f. Hannover 100, 133f., 139, 240, 246f., 256 Harpprecht, Johann Heinrich von 113, 248 Heidelberg 89 Heinrich III., König von Frankreich 72, 79, 219 Heinrich IV., König von Frankreich 72, 79 Helmstedt 93, 96, 232, 245f., 255, 258 Henckell, Melchior Anton 130 Henneberg 209 Hersfeld 258 Hessen 40, 61, 64f., 124–126, 134, 166, 200, 211–214, 220, 247, 257f., 263 Hildesheim 259 Hirsch, Johann Christian 113 Hohenzollern 216 Holstein 101
315
Holstenius, Lucas 108f. Hortleder, Friedrich 134, 147f., 200, 206–208, 210, 234f., 237, 255, 263, 265 Hoveden, Roger von 51 Hubertusburg 220 Hütterodt, Johannes 64f. Hurault, Philippe 144 Hutten, Ulrich von 258 Ilimsk 59 Inkas 111 Innozenz III., Papst 32f., 42 Innsbruck 56 Irigny 69 Isenhagen 180 Italien 33–35, 37, 90f., 108, 111f., 147, 170, 193, 256 Jakob I., König von England und Irland 142 Jaucourt, Familie 264f. Jaume I., König von Aragon 40, 51 Jena 103f., 206–208, 253, 255, 257 Jesuiten 61, 68, 91, 110, 218, 237, 259 Johann (Ohneland), König von England 51 Johannes XXII., Papst 36 Joly de Fleury, Guillaume-François 77–81, 159, 163, 241 Joseph I., Kaiser 247 Joseph II., Kaiser 61 Juden 108 Kant, Immanuel 278 Karibik 59, 110 Karl Albrecht, Herzog von Bayern, Kaiser 215 Karl der Große, Kaiser 233 Karl der Kahle, Kaiser 61 Karl V., Kaiser 52 Karl VI., Kaiser 215 Karl VII., Kaiser 216 Karolinger 32, 108 Kassel 211f., 220, 258 Katalonien 38, 161 Kaunitz, Wenzel Anton, Graf 244, 259 Kefernberg 253 Keller, Heinrich 150 Keller, Jakob 113
316
Kelley, Donald 239 Kissel, Johann Baptist 185 Kitzingen 222 Klick, Schreiber in Marburg 75 Knebel zu Catzenellenbogen, Franz Ludwig 74 Kochanski, Adam 259 Köln 56, 99 Kölner, Augustin 134 Konstanz 62, 150, 185f. Kopp, Johann Adam 242 Kornelimünster 150 Kulmbach 141, 205, 248 Kunkel, Christoph 76 La Marche 70 La Poix de Fréminvilles, Edme de 97 La Tour-Bouillon, Familie 265 Lachmann, Karl 278 Lamey, Andreas 245f., 248 Lamoignon de Malesherbes, Guillaume de 151 Lancelot, Antoine 71 Languet, Hubert 232, 240 Larcher, Jean-Baptist 124 LaRoche-Flavin, Bernard de 91 Lausanne 264 Layritz, Anton Friedrich Wilhelm 94 Le Blanc, Mitarbeiter des Parlaments von Paris 151 Le Mans 252 Le Moine, Pierre Camille 96f., 106, 110, 133f., 138, 162, 173–175, 197f., 265 Le Nain, Jean 77, 79–81 Legipont, Oliver 96 Legras, sieur de 202 Lehmann, Christoph 134, 231f., 243, 267 Leibniz, Gottfried Wilhelm 99f., 134, 183, 193, 205f., 231f., 240, 242, 245, 252, 256, 258f. Leipzig 113 Lengnich, Gottfried 236–238, 244 Leonhardi, Heinrich Ernst Moritz 137 Leopold I., Kaiser 100 Lerch von Dirmstein, Caspar IV. 66 Letzner, Johannes 252 Leuckfeld, Johann Georg 248 Leyser, Polycarp 259
Lichtenberg, Herren von 213 Liechtenstein, Gundaker von 67f. Lille 55, 134, 202, 220 Lionne, Hugues de, Marquis de Bernis 145 Lissabon 77 Lobineau, Guy Alexis 252, 257 Lodolini, Elio 24 Loener von und zu Laurenburg, Carl Frantz 67 Löwenstein-Wertheim, Grafen von 213 Lombardei 63 Loménie, Antoine de 144 London 60, 142, 221 Lothringen 219 Louvet, Pierre 124f., 250 Louvre 170 Loyseau, Charles 13, 91, 147 Ludewig, Johann Peter von 237f. Ludolph, Hiob 205 Ludovici, Jakob Friedrich 94, 162 Ludwig der Bayer, Kaiser 266 Ludwig IX., der Heilige, König von Frankreich 36 Ludwig V., Landgraf von Hessen-Darmstadt 263 Ludwig VI., König von Frankreich 233 Ludwig Wilhelm IV., Großherzog von Hessen und bei Rhein 124 Ludwig XIII., König von Frankreich 219, 264 Ludwig XIV., König von Frankreich 69, 72f., 93, 113, 128, 142, 144, 182, 185, 195, 201, 203, 219, 249, 256, 261f., 265 Ludwig XV., König von Frankreich 215, 219, 221 Ludwig, Herzog von Orleans 97 Lüneburg 56, 180 Lünig, Johann Christian 113 Luther, Martin 109, 258 Lyncker, Christoph 92 Lyon 64, 69, 73, 104f., 124, 126, 129, 147, 150, 205 Mabillon, Jean 95f., 131, 234, 237, 248, 255, 259f., 268 Macon 70, 105, 162
Mähren 67 Mailand 40, 63, 76 Mainz 61, 74, 164, 177, 179, 185, 215f., 221, 254 Manderscheid, Johann Graf von 62f. Manoux, Antoine 11–14, 25 Mansfeld, Graf Hans Georg von 256 Mantua 20 Marais, Mathieu 217 Marburg 40, 127f., 130, 211f. Marconnes, Pierre 11–13, 25, 148, 170 Maria Theresia 142, 215f. Mariée, M. 96, 132, 136, 139, 162 Martène, Edmond 142, 267–269 Maurepas, Jean-Frédéric Phélypeaux, comte de 79 Mauriac 187 Mauriner 240, 253, 259, 268 Maximilian I., Kaiser 40, 52, 56, 108f., 261 Mazarin, Jules, Kardinal 93, 264 Mecklenburg 65f., 101, 249 Meibom jun., Heinrich 255, 262 Meibom sen., Heinrich 232, 246f., 251f., 266f. Meiningen 149, 218, 239 Meissen 209 Mel, Conrad 258 Melchior, Anton 127 Melk 259 Melle, Jakob von 253 Ménestrier, Claude-François 234, 262 Merseburg 209 Meuselwitz 244 Mexiko 110 Meyer, Archivar in Marburg 128 Millitz, Heinrich von 74 Mommsen, Theodor 280 Moninger, Johann 126 Montaigu, Gérard de 54f., 122 Montaldeo 93, 264 Montauban 196 Montfaucon, Bernard 237 Montpellier 124, 173 Montreal 220 Montreuil-Bellay 70 Morant, Thomas de 202 Moreau, Jacob-Nicolas 134, 197 Moser, Johann Jakob 98, 113 Moskau 59, 142, 161
317
Müller, Gerhard Friedrich 59, 161 Müller, J. J. 258 Müller, Johann Sebastian 121f., 142 München 247 Münster 220, 238 Murol 68 Nancy 71, 134, 162, 219 Naumburg 209 Neapel 64 Neuville, Camille de 64 New York 59 Niederilbenstadt 61, 220 Niederlande 59, 220 Niedersachsen 251 Nieman, Johann 146 Nijmegen 220 Nordafrika 52 Nordamerika 59 Normannen 36 Nürnberg 233 Oberitalien 33, 37 Oegg, Joseph Anton 278 Österreich 58, 61, 215, 241, 247, 256, 259, 278 Ohrdruff 258 Olmo, Fortunato 90 Orléans 51 Orsini, Pietro Francesco 64 Osnabrück 62, 238 Otto I., Kaiser 254 Ovalle, Alonso de 110 Oviedo y Valdez, Gonzalo Fernández de 111 Oxford 163 Papebroch, Daniel 237 Papsttum 24, 32, 36, 38, 42, 46, 57f., 72, 81, 93, 98, 109, 145, 171, 240 Paris 11–13, 43, 46, 51, 54f., 57f., 69– 71, 73, 76–79, 124, 127, 129, 134, 148f., 151, 159, 170f., 176f., 195f., 202, 217, 219, 221, 242, 259, 277f. Passau 185 Passeya, Pere de 122 Pau 124, 255 Pehem, Franz 44–46 Penz, Helga 61 Peru 110f.
318
Perugia 102 Peter der Große 59 Peutinger, Kaspar 40 Pez, Bernhard 259 Pfalz 66, 216f. Pfalzgrafen bei Rhein 90 Pfalz-Neuburg 64 Pfanner, Tobias 74, 76, 128, 133, 141, 171–173, 206, 208–210, 214, 237f. Phelypeaux de Pontchartrain, Louis 195 Philipp I., Landgraf von Hessen 211 Philipp II. August, König von Frankreich 36, 51–53 Philipp II., König von Spanien 77, 125, 142 Philipp IV. der Schöne, König von Frankreich 53 Pius V., Papst 62 Plassenburg 126, 141, 205 Pommern 64 Portugal 77 Prämonstratenser 61 Prato 34 Preußen 67, 240 Provence 202 Prüschenk, Zacharias 147f. Pütter, Johann Stephan 94, 106, 172, 179 Pyrenäen 220 Rahts, E. F. 178 Ramingen, Jakob von 89–91, 99, 114, 121, 200 Ramusio, Giovanni Battista 111 Ranke, Leopold von 232, 280 Rastatt 221 Ratzeburg 250 Regensburg 64, 108, 110 Rehtmeyer, Philipp Julius 231f., 243, 250, 260 Reims 38, 233 Reininghaus, Wilfried 20 Reinkingk, Theodor 94, 101, 176 Renaud, Stadtsekretär in Lyon 147 Rennes 257 Reynie, Gabriel Nicolas de la 12 Rhein 202 Richard Löwenherz 51
Richelieu, Armand-Jean du Plessis, Duc de 55, 105 Richter, Johann Gottfried 108 Rodriguez de Diego, José Luis 20, 24 Röthel, Andreas 253 Rogier, Jean 253 Roland, Gilles 12 Rollenhagen, Georg 235 Rols, Laurent 150 Rom 42, 46, 57f., 62f., 92, 108, 110, 141f., 163, 166, 204 Rostock 65f., 126, 145f., 178, 205 Rothenburg ob der Tauber 56, 109, 179, 181 Rouen 196 Roussillon 161 Rudloff, Friedrich 91f., 107 Rück, Peter 20 Ruffier, Jean Pierre 104, 150 Ruffieu 63 Ryswijk 220f., 237 Saalfeld 208 Sachsen 45, 47, 56, 76, 104, 113, 121, 147f., 200, 206–209, 211, 213f., 252, 258, 265 Sachsen-Eisenach 216 Sachsen-Gotha 74, 76, 103, 169 Sachsen-Lauenburg 240 Sachsen-Weimar 147, 169, 212 Sagittarius, Caspar 130, 208, 251–255, 257 Saint Lager 70 Saint Maur 237, 248, 260 Sainte Marthe, Familie 262f. Saint-Bénigne 217 Saint-Denis 41, 233 Saint-Lager 69 Sales, Franz von 63 Salzburg 168f. Salzungen 74 Sandri, Leopoldo 24 Savigny, Ludwig 145 Savoyen 20 Sayn 184, 216 Sayn, Grafen von 211 Sayn-Altenkirchen 216 Sayn-Hachenburg 216 Schal, Friedrich Franz 92 Schannat, Johann Wilhelm 257
Scheidt, Christian Ludwig 133, 240 Schenk von Tautenburg, Familie 265 Scherer, Dietrich 255 Schlegel, Christian 257f. Schlesien 216 Schmid jun., Johann Christian 147f. Schmid sen., Johann Philipp 148 Schmidt, Johann Heinrich 245, 258, 260 Schmincke, Christoph 134 Schmincke, Joachim 257f. Schrader, Chilian 134, 139, 240, 246f., 249–252, 256 Schwabe, Heinrich 146 Schwartzburg 251 Schwarzburg-Rudolstadt 91 Schweden 185f. Schwerin 249, 251 Seckendorff, Veit Ludwig von 101, 108, 206, 208, 244 Sibirien 59 Sickel, Theodor 280 Siegert, Bernhard 31 Siena 162 Simancas 24, 58, 77, 125, 142 Sixtus V., Papst 72, 98, 111 Sizilien 264 Sleidan, Johannes 234f. Soufflot, Jacques-Germain 170 Souzy, Toussaint 150 Spangenberg, Cyriacus 256 Spanien 20, 57–59, 77, 110, 125, 145, 147, 179, 247, 259 Specklin, Daniel 62 Speidel, Johann Jakob 91f. Speyer 77, 104f., 123, 134, 185f., 219, 221f., 231, 243, 245f. Spieß, Philipp Ernst 95, 132–135, 144, 248, 259 Spinoza, Baruch de 95 Sponheim 145 Stang, J. P. 141 Steedman, Carolyn 16 Stieber, Gottfried 138 Stieber, Johann 123 Stralsund 168 Straßburg 62, 91, 132, 200, 219, 221, 253 Struve, Burkhard Gotthelf 103f., 113 Stuttgart 56, 218
319
Südeuropa 43 Südfrankreich 161, 173 Suger von Saint-Denis 233 Tassin, René Prosper 96, 131 Tavannes, Comte de 217 Temple, William 110 Tenremond 220 Tentzel, Ernst Wilhelm 239 Thierry, Denis 12 Thilo, Esaia 253 Thüringen 207f., 251, 253f. Tillet, Hélie du 127 Tillet, Jean du 127f., 134, 232 Tillet, Séraphim du 127f. Tobolsk 59 Tordesillas 179, 182 Toulouse 74, 124 Tournai, Stephan von 42 Tours 69 Toustain, Charles 96, 131 Trarbach 179 Trémoïlle, Familie 262f. Trevoux 69 Trient 62f. Trier 141, 204 Urban IV., Papst 36 Ursinus, Johann Heinrich Usingen 67 Utholm 180f., 183 Utrecht 220
110
Valence 151 Valois 261 Venedig 90 Versailles 141, 161, 164 Vic 124 Vieregge, Matthias 65f. Vierschrodt, Justin 134f., 139 Vilevault, Louis-Guillaume de 195f. Villefranche-sur-Saône 124 Vismann, Cornelia 19, 103 Völkel, Markus 237 Vossius, Johann Gerhard 89
320
Wachler, Friedrich Paul 76, 139 Wagenseil, Johann Christoph 91 Waitz, Georg 280 Waldeck 247 Warschau 259 Weber, Max 21 Wedekind, Rudolf 92 Weikersheim 179 Weimar 76, 121, 128, 133f., 137, 141, 143, 147f., 160–162, 166f., 169, 171, 173, 182f., 201, 206–209, 212–214, 237, 239, 244, 255, 258 Welfen 247, 256 Wencker, Johann Jakob 94, 108, 132, 134f. Wertheim, Grafen von 211 Westerwald 124 Wettiner 207 Wetzlar 222 Wieger, Friedrich 200 Wieland, Christoph Martin 114 Wien 163, 185, 215f., 244f., 247, 278 Wiener Neustadt 56 Wignancourt, Charles de 44 Wildungen 247 William von Malmesbury 233 Winckelmann, Johann Jost 263 Windschläg, Franz Michael Neveu von 91 Wittenberg 206 Wölnitz 200 Wolfenbüttel 218, 258 Würdtwein, Stephan Alexander 164, 182 Württemberg 98, 151 Würzburg 56, 62 York
38
Zanchi, Dionysius 145 Zisterzienser 38, 60 Zollmann, Friedrich 137 Zürich 150, 179, 181 Zweibrücken 123, 149