Institutionalisierte Geburt: Eine Mikrogeschichte des Gebärhauses [1. Aufl.] 9783839420355

Die Geschichte der Gebärhäuser ist ein viel diskutiertes Thema der feministisch orientierten Medizingeschichte. Am Beisp

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German Pages 362 Year 2014

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Inhalt
Vorwort
I. Einleitung
1. Forschungsdiskussion
2. Zentrale Forschungsfragen, Methoden und Konzepte
3. Quellen
II. Ausgangspunkte
1. Gebär- und Findelhäuser: ein merkantilistisches Patentrezept
2. Gebärhausgründungen im österreichischen Reichsgebiet
3. Gründungsvoraussetzungen in Tirol
3.1 Bevölkerungsentwicklung und Illegitimität in Tirol
3.2 Die Professionalisierung der geburtshilflichen Ausbildung
III. Das Innsbrucker Gebärhaus – Sozial- oder Prestigeprojekt?
1. Die städtische Gebärabteilung – Frühphase einer Institution (1816-1858)
1.1 Konstituierende Rahmenbedingungen
1.2 Standortdiskussion – Alle Laste versus Innsbruck
2. Die Filial-Gebäranstalt – eine institutionelle Übergangsphase (1858-1869)
2.1 Strukturelle Adaptierung und Optimierung
2.2 Reaktionen auf die Etablierung der Innsbrucker Filialanstalt
2.3 Standortfestigung – Innsbruck versus Alle Laste
3. Die Landesgebär- und Findelanstalt – Zentralisierung einer Institution (1870-1881)
3.1 Ausbau – Schließung – Neugründung
3.2 Raumnot und Überfüllung – von der Not im Notbehelf
3.3 „Findelhäuser machen Findelkinder“ – zur Schließung des Tiroler Findelhauses
4. Die Landesgebärklinik – Stabilisierung einer Institution (1881-1897)
4.1 Funktionswandel – von der Anstalt zur Klinik
4.2 Räumliche Veränderungen – der Neubau in Wilten
5. Die Landesgebärklinik – Hochphase und Krisenjahre einer Institution (1897-1924)
5.1 Hochkonjunktur und Rückkehr alter Muster
5.2 Zwang zur Einschränkung – das Überleben der Anstalt im Ersten Weltkrieg
5.3 Das Ende der Tiroler Landesgebärklinik
IV. Der Mikrokosmos Gebärhaus – medikale Lebenswelten
1. Das (medizinische) Personal – Organisatoren des medikalen Raumes
1.1 Der Direktor/Inspektor
1.2 Der Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie/Primarius
1.3 Der klinische Assistent/Sekundararzt
1.4 Die Gebärhaushebammen
2. Die Gebärhausklientel – Schwangere, Gebärende und Wöchnerinnen
2.1 Zivilstand
2.2 Alter
2.3 Soziale Verortung
2.4 Regionale Verortung
2.5 Religion
3. Das (Zusammen-)Leben in der Anstalt
3.1 Von der Aufnahme zur Entbindung
3.2 Das „geburtshilfliche Geschäft“ – die Vorgänge im Kreißzimmer
3.3 Wochenbett und Entlassung
V. Resümee
Bibliographie
Abbildungsverzeichnis
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Institutionalisierte Geburt: Eine Mikrogeschichte des Gebärhauses [1. Aufl.]
 9783839420355

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Marina Hilber Institutionalisierte Geburt

Histoire | Band 33

Marina Hilber (Mag. Dr. phil.) ist wissenschaftliche Projektmitarbeiterin und Lektorin am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck.

Marina Hilber

Institutionalisierte Geburt Eine Mikrogeschichte des Gebärhauses

Der Druck wurde gefördert durch die Universität Innsbruck: das Vizerektorat für Forschung, das Dekanat der Philosophisch-Historischen Fakultät und die Interfakultäre Forschungsplattform »Geschlechterforschung«

sowie das Land Tirol, Abteilung Kultur und die Stadt Innsbruck, Kulturamt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Ansichtskarte der Landesgebäranstalt Innsbruck (1909), Stadtarchiv Innsbruck, PH 7064 Lektorat & Satz: Marina Hilber Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2035-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 7 I. Einleitung | 9

1. Forschungsdiskussion | 13 2. Zentrale Forschungsfragen, Methoden und Konzepte | 22 3. Quellen | 31 II. Ausgangspunkte | 37

1. Gebär- und Findelhäuser: ein merkantilistisches Patentrezept? | 37 2. Gebärhausgründungen im österreichischen Reichsgebiet | 45 3. Gründungsvoraussetzungen in Tirol | 47 3.1 Bevölkerungsentwicklung und Illegitimität in Tirol | 48 3.2 Die Professionalisierung der geburtshilflichen Ausbildung | 66 III. Das Innsbrucker Gebärhaus – Sozial- oder Prestigeprojekt? | 77

1. Die städtische Gebärabteilung – Frühphase einer Institution (1816-1858) | 79 1.1 Konstituierende Rahmenbedingungen | 80 1.2 Standortdiskussion – Alle Laste versus Innsbruck | 87 2. Die Filial-Gebäranstalt – eine institutionelle Übergangsphase (1858-1869) | 101 2.1 Strukturelle Adaptierung und Optimierung | 102 2.2 Reaktionen auf die Etablierung der Innsbrucker Filialanstalt | 107 2.3 Standortfestigung – Innsbruck versus Alle Laste | 113 3. Die Landesgebär- und Findelanstalt – Zentralisierung einer Institution (1870-1881) | 116 3.1 Ausbau – Schließung – Neugründung | 117 3.2 Raumnot und Überfüllung – von der Not im Notbehelf | 129 3.3 „Findelhäuser machen Findelkinder“ – zur Schließung des Tiroler Findelhauses | 137 4. Die Landesgebärklinik – Stabilisierung einer Institution (1881-1897) | 142 4.1 Funktionswandel – von der Anstalt zur Klinik | 143 4.2 Räumliche Veränderungen – der Neubau in Wilten | 151

5. Die Landesgebärklinik – Hochphase und Krisenjahre einer Institution (1897-1924) | 161 5.1 Hochkonjunktur und Rückkehr alter Muster | 165 5.2 Zwang zur Einschränkung – das Überleben der Anstalt im Ersten Weltkrieg | 177 5.3 Das Ende der Tiroler Landesgebärklinik | 185 IV. Der Mikrokosmos Gebärhaus – medikale Lebenswelten | 195

1. Das (medizinische) Personal – Organisatoren des medikalen Raumes | 197 1.1 Der Direktor/Inspektor | 200 1.2 Der Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie/Primarius | 205 1.3 Der klinische Assistent/Sekundararzt | 220 1.4 Die Gebärhaushebammen | 224 2. Die Gebärhausklientel – Schwangere, Gebärende und Wöchnerinnen | 239 2.1 Zivilstand | 240 2.2 Alter | 242 2.3 Soziale Verortung | 245 2.4 Regionale Verortung | 253 2.5 Religion | 259 3. Das (Zusammen-)Leben in der Anstalt | 260 3.1 Von der Aufnahme zur Entbindung | 260 3.2 Das „geburtshilfliche Geschäft“ – die Vorgänge im Kreißzimmer | 276 3.3 Wochenbett und Entlassung | 303 V. Resümee | 315 Bibliographie | 329 Abbildungsverzeichnis | 357

Vorwort

Die vorliegende Studie entstand im Rahmen einer Dissertation am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck unter der wissenschaftlichen Betreuung von Ao. Univ. Prof. Dr. Elisabeth DietrichDaum. Eingebettet in die interdisziplinäre Forschungsplattform „Geschlechterforschung: Identitäten – Diskurse – Transformationen“ wurde die Qualifizierungsarbeit durch Mittel aus der Nachwuchsförderung der Universität Innsbruck finanziell unterstützt. Im Jahr 2008 wurde das Dissertationsprojekt außerdem mit dem national ausgeschriebenen Theodor-Körner-Preis prämiert. Für ihre Bemühungen und freundliche Hilfe, die mir im Laufe der Jahre zuteil wurde, gebührt mein herzlicher Dank allen voran den MitarbeiterInnen des Tiroler Landesarchivs, des Stadtarchivs Innsbruck, der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum sowie des Universitätsarchivs Innsbruck. Insbesondere danke ich den Archivdirektoren Dr. Wilfried Beimrohr (TLA) sowie DDr. Lukas Morscher (StAI) für die kostenlose Erteilung der Reproduktionsrechte einiger Bilder in diesem Band. Zu Dank verpflichtet fühle ich mich überdies meiner Doktormutter Ao. Univ. Prof. Dr. Elisabeth Dietrich-Daum für ihren wissenschaftlichen Input und ihre kollegiale Kritik. Nicht zuletzt seien auch meine fleißigen Lektorinnen, Freunde und Familie genannt, die durch ihre ideelle Unterstützung maßgeblich am Gelingen dieser Arbeit beteiligt waren. Innsbruck, Jänner 2012

Marina Hilber

I. Einleitung

Im Herbst 2008 füllte ein Film der etwas anderen Art die österreichischen Kinos. In die Welt, ein Dokumentarfilm von Regisseur Constantin Wulff, führte die KinobesucherInnen in die ungeschönte Realität einer modernen Gebärklinik. Eine medizinische Welt, die auf den ersten Blick von Technik, Bürokratie und Routine geprägt zu sein scheint. Sein intimes Porträt des Alltags in der Wiener Semmelweis-Klinik zeigte jedoch auch die soziale Komponente und die Emotionen, die den Start ins Leben begleiten. Auch die Bemühungen aller Beteiligten, das Streben nach Optimierung der Abläufe und der „Wille zum Fortschritt“ wurden kritisch in den Blick genommen. Was Wulff für das 21. Jahrhundert gelang, soll auch in der vorliegenden Studie versucht werden – allerdings geht es in dieser Arbeit darum, ein „historisches“ Bild von den Verhältnissen in und den Diskussionen um eine geburtshilfliche Einrichtung zu zeichnen. Doch wollen wir uns der Realität des Gebärhauses nicht etwa mit Hilfe von Kamera- oder Tontechnik, sondern vielmehr mit den Werkzeugen moderner Historiographie annähern. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden in nahezu allen europäischen Ländern Einrichtungen geschaffen, die der Bevölkerung sowie den Peuplierungsbestrebungen des aufgeklärten, absolutistischen Staates gleichermaßen gerecht werden sollten. Neben Findelhäusern, Einrichtungen für psychisch Kranke oder körperlich und geistig Behinderte, zählten auch die Gebärhäuser zum Inventar aufgeklärter, institutionalisierter Bevölkerungspolitik. Die erste europäische Gebäranstalt wurde 1728 in Straßburg eingerichtet und diente, zunächst über mehrere Jahre hinweg, exklusiv als Hebammenlehranstalt. Unter der Leitung Johann Jacob Frieds wurde dann im Jahre 1737/38 ein duales Ausbildungsprinzip implementiert. Das Straßburger Gebärhaus fungierte fortan auch als geburtshilfliche Ausbildungsstätte für männliche Medizinstudenten. Straßburg

1

Vgl. Fasbender Heinrich, Geschichte der Geburtshilfe [Reprographischer Nachdruck], Hildesheim 1964, 248-249. Vgl. Keunecke Susanne, Eintrag „Gebärhaus“, in: Enzy-

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wirkte als Vorbild und viele der im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts gegründeten Anstalten, die im deutschsprachigen Raum auch als Accouchierhäuser und Entbindungsanstalten bezeichnet wurden, sollten eine vergleichbare Evolution durchleben. Trotz eines gemeinsamen Ausgangsmodells entwickelte sich das Profil der Gebärhäuser in den verschiedenen europäischen Regionen aber nicht linear, sondern formte unterschiedliche Facetten aus. Nadia Maria Filippini spricht in diesem Zusammenhang von einem dreigliedrigen Modell, welches sich stark an der nationalen Organisationsform der geburtshilflichen Einrichtung orientierte. Zunächst definiert sie einen „französisch-österreichischen Typ“, welcher, eingebettet in das System der Armenfürsorge, den wohltätigen Charakter der Einrichtung durch die Gründung von assoziierten Findelhäusern zu verstärken suchte. Auch die (nord-)italienischen Gebäranstalten sind als in dieser Tradition stehend zu verorten. Abweichend von diesem Typ entstanden vornehmlich in den deutschen Territorien Universitäts-Gebärkliniken, welche den Ausbildungscharakter auf Kosten der Wohltätigkeitsaufgaben forcierten. Dieser Typ ist durch die Anwesenheit männlicher Auszubildender und die gänzliche Abwesenheit von Findeleinrichtungen gekennzeichnet.2 Als prägendes Vorbild für diese Entwicklungslinie gilt das 1751 gegründete Göttinger Gebärhaus, dessen zweifelhaftes Verdienst es war, „einen Medikalisierungsprozess ein[zu]leiten, der von vornherein frei war von den restriktiven Bedingungen der Armenfürsorge.“3 Ähnliche Verhältnisse und Schwerpunkte lassen sich auch in den 1745 und 1756 in Dublin und Edinburgh eingerichteten klinischen Instituten erkennen.4 Komplementär zu diesem „deutschen Modell“ entwickelte Filippini schließlich eine dritte Kategorie, welche sie als „englischen Typ“ bezeichnete. Dieser klopädie der Neuzeit, Bd. 4 Friede-Gutsherrschaft, Stuttgart/Weimar 2006, 202-205, hier 202. Vgl. Schneck Peter, Eintrag „Gebäranstalten“, in: Gerabek Werner E./Haage Bernhard D./Keil Gundolf/Wegner Wolfgang (Hg.), Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin 2005, 462. 2

Filippini Nadia Maria, Sous le voile: les parturientes et le recours aux hospices de maternité à Turin, au lilieu du XIXe siècle, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 49 (2002), 173-194, hier 173-179.

3

Bueltzingsloewen Isabelle von, Die Entstehung des klinischen Unterrichts an den deutschen Universitäten des 18. Jahrhunderts und das Göttinger Accouchierhaus, in: Schlumbohm Jürgen/Wiesemann Claudia (Hg.), Die Entstehung der Geburtsklinik in Deutschland 1751-1850. Göttingen, Kassel, Braunschweig, Göttingen 2004, 15-30, hier 27.

4

Vgl. Seidel Hans-Christoph, Eine neue „Kultur des Gebärens“. Die Medikalisierung von Geburt im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland, Stuttgart 1998, 232-239. Vgl. Keunecke, Gebäranstalt, 202-203.

E INLEITUNG

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sei gekennzeichnet durch die Unterordnung des klinischen Settings und die Aufwertung sozialer und medizinischer Hilfsangebote an die Frauen der städtischen Unterschichten. Die englischen maternity- oder lying-in hospitals nehmen eine Sonderposition in der Geschichte der Gebärhäuser ein, da sie sich im Gegensatz zum kontinentaleuropäischen System vorwiegend aus privaten Stiftungen, ohne Subventionierung des Staates, finanzierten. Und schließlich unterschieden sich die Einrichtungen auch hinsichtlich der bevorzugten Klientel: Während die kontinentaleuropäischen Gebärhäuser sich vorwiegend ledigen, „entehrten“ Schwangeren widmeten, standen die englischen Einrichtungen zwar einem ebenso unprivilegierten, aber vorwiegend verheirateten Publikum offen. Aus diesem Grund wurde in England auch generell auf die Einrichtung von Findelhäusern verzichtet.5 Zwar vermag diese Kategorisierung die territorial durchaus unterschiedlich verlaufende Geschichte der geburtshilflichen Einrichtungen in ihren Grundzügen zu erfassen, greift jedoch insgesamt zu kurz, indem ihre Entwicklung und Ausformung nicht allein vor einem nationalstaatlichen Hintergrund interpretiert werden kann. Diese Darstellung blendet den nicht zu unterschätzenden Einfluss von Trägerschaft, Finanzierung, ärztlicher Leitung, edukativer Ausrichtung und vorherrschenden medizinischen Traditionen aus. Die immer zahlreicher werdenden Studien, die sich v. a. im deutschsprachigen Raum seit den 1990er Jahren mit der Geschichte der Gebärhäuser im Allgemeinen und einzelnen lokalen Entbindungsanstalten im Speziellen auseinandersetzten, präsentieren – abweichend von bestehenden Kategorisierungen – ein breites Spektrum möglicher Ausformungen. Neben den etablierten Universitäts-Gebärkliniken, die aufgrund ihrer wissenschaftlichen und invasiv-medizinischen Prägung sowie aufgrund der „Verdinglichung der Frauen“ meist kritisch betrachtet wurden, bereicherte eine Reihe völlig anders gestalteter Entbindungseinrichtungen die geburtshilfliche Landschaft: Anstalten etwa, welche sich exklusiv der Ausbildung von Hebammen widmeten und somit einen gänzlich anderen medikalen und sozialen Raum schufen.6 Darüber hinaus sind vereinzelt auch obrigkeitlich finanzierte Gebär5

Vgl. Wilson Adrian, The Making of Man-midwifery. Childbirth in England 16601770, London 1995, 145-159. Vgl. Croxson Bronwyn, The foundation and evolution of the Middlesex hospital’s lying in service, 1745-86, in: Social History of Medicine 14 (2001), 27-57. Vgl. Fasbender, Geschichte, 257-258. Vgl. Keunecke, Gebäranstalt, 202-203.

6

Vgl. Loytved Christine (Hg.), Von der Wehemutter zur Hebamme. Die Gründung von Hebammenschulen mit Blick auf ihren politischen Stellenwert und ihren praktischen Nutzen, Osnabrück 2001. Vgl. Schaffer Wolfgang, Geschichte der ProvinzialHebammenlehranstalt Köln 1809-1924, in: Schaffer Wolfgang/Werner Wolfgang F.

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häuser ohne dezidiert edukative Ausrichtung dokumentiert, die sich, im Sinne der Armenfürsorge, als wohltätige Hilfsangebote verstanden.7 Die hier im Blick stehende Innsbrucker Gebäranstalt weist eine klassische Evolution auf, entwickelte sie sich doch aus dem „k. k. Gebär- und Findelhaus“ in Alle Laste bei Trient, welches 1833, als erste staatliche Hebammenschule Tirols, eingerichtet wurde. Parallel dazu wurden allerdings schon seit dem frühen 19. Jahrhundert Chirurgen und Hebammen am medizinisch-chirurgischen Lyzeum in Innsbruck ausgebildet. Ihnen diente die kleine Gebärabteilung des städtischen Spitals sowie eine eigens errichtete Poliklinik als geburtshilfliche Lehr- und Lernumgebung. Erst ab dem Jahre 1869, nachdem die medizinische Fakultät an der Universität Innsbruck wieder eröffnet worden war, durchlebte die Gebäranstalt ihre Transformation in ein klinisches Institut, welches bis 1924 der Ausbildung von Studenten der Medizin und Hebammenschülerinnen verpflichtet war. Die wiederholt betonte Ambivalenz der Gebärhäuser haftete somit auch der Innsbrucker Anstalt an. Die Ambivalenz des „österreichisch-französischen Typs“, welcher soziale, medizinische und berufspolitische Aspekte unter einem Dach zu vereinen suchte, ist nicht nur in der Zweigleisigkeit der Funktion angelegt, sie setzte sich auf subtileren Ebenen fort. Allgemein kennzeichnen verschiedene Gegensatzpaare die Geschichte der Gebärhäuser: So stehen sich medizinische Forschung und die teilweise hohe Sterblichkeit in den Anstalten, die Professionalisierung der akademischen Geburtshilfe und die Entmachtung der Hebammen, oder die wohltätigen Ambitionen der Eliten und die Entrechtung und Verdinglichung der Patientinnen gegenüber. Außerdem sind diese medizinischen Institutionen von einer Dichotomie von Freiwilligkeit und Zwang, Anonymität und Öffentlichkeit, Inklusion und Ausgrenzung, Subordination und Emanzipation sowie von Diskretion und Indiskretion geprägt. In der vorliegenden Studie wird die Geschichte des Innsbrucker Gebärhauses entlang institutionengeschichtlicher, politischer, sozialer und medizinhistorischer Leitlinien rekonstruiert. Der Vergleich mit den Entwicklungen in anderen Gebäranstalten wird dann bemüht, wenn es darum geht, regionale Vorkommnisse in einen breiteren Sinnzusammenhang zu stellen. (Hg.), Rheinische Wehemütter. 200 Jahre Ausbildung, Professionalisierung, Disziplinierung von Hebammen. Begleitband zur Austellung, Essen 2009, 67-183. 7

Vgl. dazu insbesondere: Stadlober-Degwerth Marion, (Un)Heimliche Niederkunften. Geburtshilfe zwischen Hebammenkunst und medizinischer Wissenschaft, Köln/ Weimar/Wien 2008. Stadlober-Degwerth Marion, Von der Kindbettstube zur Gebäranstalt. Zum Wandel von Geburt und Wochenbettpflege im neuzeitlichen Regensburg, in: Braunschweig Sabine (Hg.), Pflege – Räume, Macht und Alltag. Beiträge zur Geschichte der Pflege, Zürich 2006, 73-83.

E INLEITUNG

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1. F ORSCHUNGSDISKUSSION Die bisherige Forschung, welche die Geschichte der Gebärhäuser im deutschsprachigen Raum in mehreren Etappen, nach unterschiedlichen Richtlinien und unter Einbeziehung stark divergierender Vorannahmen in den wissenschaftlichen Blick genommen hat, tendierte lange Zeit zu Extrempositionen. Es lassen sich dabei für die Forschungsevolution und –diskussion drei relevante Forschungsstränge ausmachen. Für die traditionelle Medizingeschichte symbolisierte das Gebärhaus den kontinuierlichen Aufschwung und „Fortschritt“ der sich erfolgreich emanzipierenden akademischen Geburtshilfe.8 Der Fokus lag in erster Linie auf der Darstellung von Erfolgsgeschichten, welche, meist mittels eines biographischen Zugangs, die Karrierewege einzelner prominenter Vertreter des Faches skizzierten. In diesem traditionellen Kontext wurde die Institution des Gebärhauses als Wiege der modernen geburtshilflichen Wissenschaft und als „Schaufenster für den klinischen Unterricht“9 gewürdigt. Ohne je kritisch hinter die Fassade der Anstalten zu blicken und die männliche Dominanz in Frage zu stellen, herrschte noch in den 1980er Jahren eine verkürzte Sicht auf die eigentliche Relevanz der Gebärhäuser vor. „Die Geschichte von Geburtshilfe und Frauenheilkunde ist die Geschichte derer, die sie ausübten und lehrten, aber auch die der Institutionen, in denen sie arbeiteten und forschten,“10 resümierten Walter Kuhn und Alexander T. Teichmann noch im Jahre 1986 etwa aus Anlass des 100-jährigen Bestehens der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Das Zitat entstammt einer Übergangszeit, denn Ende der 1970er Jahre nahmen sich erstmals feministische und medizinkritische Kreise den augenscheinlichen Defiziten in der Rezeption der genannten Institutionen an. Diese Forschungen versuchten, den scheinbar kometenhaften Aufstieg der männlichen Geburtshilfe kritisch zu durchleuchten. Indem sich die Forschung der bisher unbedeutenden Masse der Frauen, der Betroffenen und auf weiten Strecken „Verliererinnen“ dieses Prozesses zuwandten, wurde erstmals die Rolle des weiblichen Ge-

8

Als besonders repräsentativ für diesen Ansatz gilt Fasbender, Geschichte, hier insbesondere: Vom zweiten Drittel des 18. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts, 243-281.

9

Bueltzingsloewen, Entstehung, 25.

10 Kuhn Walter/Teichmann Alexander Tobias, Zur Entstehung der ältesten Gebärklinik Deutschlands an der Universität Göttingen (1751), in: Beck Lutwin (Hg.), Zur Geschichte der Gynäkologie und Geburtshilfe. Aus Anlaß des 100jährigen Bestehens der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Berlin/Heidelberg/New York 1986, 365-370, hier 365.

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schlechts innerhalb des Gebärhausdiskurses thematisiert. Mit dem spezifischen Blick feministischer Forschung wurde das Gebärhaus schließlich, als ein zum Teil gewaltförmiges Mittel zum Zweck der Ausdifferenzierung und Professionalisierung des geburtshilflichen Faches, entlarvt.11 Die Geschichte der Gebärhäuser präsentierte sich damit als ein Problemfeld, welches zwischen der „Verdinglichung der Patientinnen“ und der „Pathologisierung von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett“ und zwischen männlichen Geburtshelfern und weiblichen Betroffenen angesiedelt war. Ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit wurde der Hierarchisierung des geburtshilflichen Marktes, mit anderen Worten, der „Verdrängung des traditionellen Hebammenwesens“ geschenkt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der einschlägigen Untersuchungen entstand im Kontext der Evaluierung der professionalisierten und hierarchisierten Hebammenausbildung.12 Ne11 Vgl. dazu Honegger Claudia, Überlegungen zur Medikalisierung des weiblichen Körpers, in: Imhof Arthur E. (Hg.), Leib und Leben in der Geschichte der Neuzeit, Berlin 1983, 203-213. Honegger Claudia, Frauen und medizinische Deutungsmacht im 19. Jahrhundert, in: Labisch Alfons und Spree Reinhard (Hg.), Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel, Bonn 1989, 181-194. Vgl. Huerkamp Claudia, Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert: vom gelehrten Stand zum professionellen Experten: das Beispiel Preußens, Göttingen 1985. Vgl. Fischer-Homberger Esther, Krankheit Frau und andere Arbeiten zur Medizingeschichte der Frau, Bern 1979; hier insbesondere das Kapitel: Geschichte der Gynäkologie und Geburtshilfe. Ein Überblick, 122-144. Vgl. Frevert Ute, Frauen und Ärzte im späten 18. und 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte eines Gewaltverhältnisses, in: Kuhn Annette/Rüsen Jörn (Hg.), Frauen in der Geschichte II. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Beiträge zur Sozialgeschichte der Frauen vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart, Düsseldorf ²1986, 177-210. Vgl. dazu auch Bolognese-Leuchtenmüller Birgit, Bevölkerungspolitik zwischen Humanität, Realismus und Härte, in: Matis Herbert (Hg.), Von der Glückseligkeit des Staates. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Österreich im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus, Berlin 1981, 177-208. Vgl. Borowsky Maya, Krankheit Schwangerschaft? Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett aus ärztlicher Sicht seit 1800, Zürich 1988. In diese Forschungstradition lässt sich auch die 1998 publizierte Studie Hans-Christoph Seidels einordnen, welche das Gebärhaus als Manifestation des Konfliktes zwischen Hebammen und Ärzten diskutiert. Vgl. Seidel, Kultur, 232-312. 12 Vgl. dazu in erster Linie folgende Monographien und Aufsätze: Metz-Becker Marita, Der verwaltete Körper. Die Medikalisierung schwangerer Frauen in den Gebärhäusern des frühen 19. Jahrhunderts, Frankfurt a.M./New York 1997; hier insbesondere den 1. Teil der volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Studie, welcher sich mit der Aneignung und Übernahme geburtshilflicher Kompetenzen durch die männliche Wissen-

E INLEITUNG

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ben jenen Arbeiten, die die strukturellen Defizite der Gebärhäuser anprangerten, entstanden in der Tradition dieser Forschungsrichtung auch erste Arbeiten, die sich qualitativ und quantitativ mit den Schwangeren und Gebärenden auseinandersetzten und ein erstes Profil dieser sozialen Gruppe zeichneten.13 schaft beschäftigt. Metz-Becker zeigt am Beispiel der Marburger Gebärklinik die „Vermännlichung“ der Geburtshilfe und die „Verdrängung der Hebammen“ auf. Auch Eva Labouvie befasste sich im Zuge der Erforschung des (ländlichen) Hebammenwesens und der Evaluation der Restriktionen, mit denen sich der Hebammenstand in Ausbildung und Berufsausübung konfrontiert sah, mit einer lokalen geburtshilflichen Einrichtung in Trier. Vgl. Labouvie Eva, Beistand in Kindsnöten. Hebammen und weibliche Kultur auf dem Land (1550-1910), Frankfurt a. M. 1999, 269-300. Vgl. auch für Regensburg: Stadlober-Degwerth, Niederkunften. Vgl. Stadlober-Degwerth, Kindbettstube. Vgl. Krenn-Simon Heidemarie, Von der „weisen Frau“ zur staatlich kontrollierten Geburtshelferin – Hebammen in Graz, in: Unterholzer Carmen/Wieser Ilse (Hg), Über den Dächern von Graz ist Liesl wahrhaftig. Eine Stadtgeschichte der Grazer Frauen, Wien 1996, 14-33. Vgl. auch für die Schweiz am Beispiel St. Gallens: Breu Margrith, Geburtshilfe und Gynäkologie in St. Gallen 1835-1941. Von der privaten Hebammenunterrichtsanstalt zur kantonalen Frauenklinik, St. Gallen 1985. Über die Implementierung von kostengünstigeren geburtshilflichen Poliklinikmodellen informieren u.a.: Barth-Scalmani Gunda, Die Reform des Hebammenwesens in Salzburg zwischen 1760 und 1815, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 134 (1994), 365-398. Barth-Scalmani Gunda, Hebammen in der Stadt. Einige Aspekte zur Geschichte ihres Berufsstandes am Beispiel der Stadt Salzburg vom 17. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Pro Civitate Austriae. Informationen zur Stadtgeschichtsforschung in Österreich 2 (1997), 7-22, hier 14-16. Vgl. Loytved Christine, Einmischung wider Willen und gezielte Übernahme: Geschichte der Lübecker Hebammenausbildung im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, in: Wahrig Bettina/Sohn Werner (Hg.), Zwischen Aufklärung, Policey und Vewaltung. Zur Genese des Medizinalwesens 1750-1850, Wiesbaden 2003, 131-145. Eine Sonderform weiblich dominierter, institutionalisierter Hebammenausbildung in einem Gebärhaus wird beschrieben bei: Beauvalet-Boutouyrie Scarlett, Die ChefHebamme: Herz und Seele des Pariser Entbindungshospitals von Port-Royal im 19. Jahrhundert, in: Schlumbohm Jürgen/Duden Barbara/Gélis Jaques/Veit Patrice (Hg.), Rituale der Geburt. Eine Kulturgeschichte, München 1998, 221-241. 13 Eine frühe volkskundlich orientierte Studie lieferte: Preußler Susanne, Hinter verschlossenen Türen. Ledige Frauen in der Münchner Gebäranstalt (1832-1853), in: Münchner Beiträge zur Volkskunde 4 (1984). Auch Marita Metz-Beckers qualitative Auswertungen zum Sozialprofil der Patientinnen müssen hier erwähnt werden. Vgl. Metz-Becker, Körper, 145-191. Vgl. auch Fuchs Rachel G./Knepper Paul E., Women

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Seit den 1980er Jahren beschäftigte sich auch der renommierte Sozialhistoriker Jürgen Schlumbohm mit der Thematik. Sein Untersuchungsraum war und ist das Göttinger Accouchierhaus, welches er im Wesentlichen für den Zeitraum der Direktorenschaft Friedrich Benjamin Osianders (1792-1822) einer eingehenden Analyse unterzog. Schlumbohm widmete sich aber nicht allein dem „Blick des Arztes“, sondern bemühte sich um die Sichtbarmachung der Frauen, die Aufdeckung von institutsinternen Hierarchien, die Ermittlung der Mortalitätsverhältnisse sowie in einer 2007 erschienenen Studie, der Rekonstruktion der Ausbildungsverhältnisse für angehende Ärzte und Hebammen. Bereits 1997 hatte Schlumbohm darauf hingewiesen, dass die einzelnen, deutschen und europäischen Gebärhäuser nicht als einheitliche Institutionen, in regional auswechselbaren Settings, anzusehen seien. Vielmehr seien sie als stark von den jeweiligen Rahmenbedingungen, so etwa Mentalität, Trägerschaft, medizinischer Tradition, Personal und Klientel, abhängige Einrichtungen zu akzeptieren.14 „[N]euerdings zeichnen sich die Umrisse einer komplizierteren und differenzierteren Geschichte der Entbindungshospitäler im 18. und 19. Jahrhundert ab,“15 machte er seinen Anspruch 2004 erneut geltend. Er konstatierte zwar, dass „die Göttinger Anstalt fraglos eher geeignet [sei], die Sicht der traditionellen Medizingeschichte oder aber die Thesen einer feministisch inspirierten Medizinkritik zu bestätigen [...]. Trotzdem konnte auch das Göttinger Gebärhaus die Frauen nicht einfach in bloße Fälle und Objekte der entstehenden geburtshilflichen Wissenschaft verwandeln. Die Frauen, die sich zur Klinikgeburt entschlossen, suchten die Institution so weit wie möglich für ihre eigenen Zwecke zu nutzen.“16 Auch Christine Vanja machte diesen neuen Ansatz, in einem Aufsatz zum Kasseler Accouchier- und Findelhaus, für sich nutzbar. Sie beschreitet mit einem dezidiert „sozialhistorischen Ansatz einen eigenen Weg zwischen medizinischer Erfolgsgeschichte und

in the Paris Maternity Hospital: Public Policy in the Nineteenth Century, in: Social Science History 13 (1989), 187-209. Vgl. Seidel, Kultur, 174-189. 14 Vgl. Schlumbohm Jürgen, „Verheiratete und Unverheiratete, Inländerin und Ausländerin, Christin und Jüdin, Weiße und Negerin“: Die Patientinnen des Entbindungshospitals der Universität Göttingen um 1800, in: Gerhard Hans-Jürgen (Hg.), Struktur und Dimension. Festschrift für Karl Heinrich Kaufhold zum 65. Geburtstag, Bd.1, Stuttgart 1997, 324-343. 15 Schlumbohm Jürgen, „Die Schwangeren sind der Lehranstalt halber da”: Das Enbindungshospital der Universität Göttingen, 1751 bis ca. 1830, in: Schlumbohm Jürgen/Wiesemann Claudia, Die Entstehung der Geburtsklinik in Deutschland 17511850. Göttingen, Kassel, Braunschweig, Göttingen 2004, 31-62, hier 31. 16 Schlumbohm, Lehranstalt, 55.

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Medizinkritik“,17 indem sie alle Betroffenen in den Fokus rückt und sich nicht in einer einseitig fokussierten Analyse verliert. Eben dieser neue, multiperspektivisch orientierte und in höchstem Maße differenzierte Ansatz scheint auch für die vorliegende Studie fruchtbar und verfolgenswert. Durch diesen „ganzheitlichen“ Zugang sieht sich die Gebärhausforschung nicht länger in eine Ecke des ideologischen Pools gedrängt. Im deutschsprachigen Raum fand der von Schlumbohm postulierte Ansatz nicht nur in den bereits erwähnten Arbeiten zur Göttinger und Kasseler Anstalt, sondern auch in den Studien zur Erlanger Entbindungsanstalt,18 zum Braunschweiger Accouchierhospital,19 oder aber zum Jenaer Accouchierhaus20 Anwendung. Allerdings muss betont werden, dass sich die genannten Studien vorwiegend mit der Geschichte der Gebärhäuser im ausgehenden 18. Jahrhundert beschäftigen und ihre Betrachtungen kaum über die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinausführen. Im englischsprachigen Raum lieferten beispielsweise Bronwyn Croxson,21 mit ihrer Untersuchung zur Etablierung einer geburtshilflichen Abteilung im Middlesex Hospital in London oder Alison Nuttall,22 die eine Studie zum Edinburgh Royal Maternity Hospital veröffentlichte, neue Forschungsimpulse. Wichtige Akzente wurden aber auch in der italienischen Gebärhausforschung gesetzt, 17 Vanja Christina, Das Kasseler Accouchier- und Findelhaus 1763 bis 1787: Ziele und Grenzen „vernünftigen Mitleidens“ mit Gebärenden und Kindern, in: Schlumbohm Jürgen/Wiesemann Claudia, Die Entstehung der Geburtsklinik in Deutschland 17511850. Göttingen, Kassel, Braunschweig, Göttingen 2004, 96-126, hier 98. 18 Vgl. Fritsch Elisabeth, Ort für „Gefallene Unglückliche“. Die Anfänge der Erlanger Entbindungsanstalt (1828-1854), in: Ley Astrid/Ruisinger Marion Maria (Hg.), Von Gebärhaus und Retortenbaby. 175 Jahre Frauenklinik Erlangen, Nürnberg 2003, 4962. 19 Vgl. Beisswanger Gabriele, Das Accouchierhospital in Braunschweig 1767 bis 1800: Tempel der Lucina oder Planzschule für Ungeziefer? in: Schlumbohm Jürgen/Wiesemann Claudia, Die Entstehung der Geburtsklinik in Deutschland 1751-1850. Göttingen, Kassel, Braunschweig, Göttingen 2004, 127-143. 20 Vgl. Regenspurger Katja, Die Frau als Gegenstand der Geburtshilfe: Accouchierhauspolitik und weibliches Selbstverständnis um 1800, in: Frindte Julia/Westphal Siegrid (Hg.), Handlungsspielräume von Frauen um 1800, Heidelberg 2005, 77-90. 21 Vgl. Croxson, foundation, 27-57. 22 Vgl. Nuttall Alison, „Because of Poverty brought into Hospital: …“ A CasenoteBased Analysis of the Changing Role of the Edinburgh Royal Maternity Hospital, 1850-1912, in: Social History of Medicine 20 (2007), 263-280. Vgl. Nuttall Alison, Maternity Charities, the Edinburgh Maternity Scheme and the Medicalisation of Childbirth, 1900-1925, in: Social History of Medicine 24 (2011), 370-388.

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die, ähnlich der deutschen Medizingeschichte, auf eine langjährige Tradition, vor allem in Verbindung mit der Erforschung des Findelwesens, zurückblickt. Nadia Maria Filippini ist in diesem Zusammenhang wohl als die versierteste italienische Vertreterin der zeitgenössischen Gebärhausforschung zu nennen. Nach frühen Studien zu Neapel23 publizierte sie Anfang der 1990er Jahre eine Überblicksdarstellung zur Geschichte der italienischen Gebärhäuser.24 Erst kürzlich erschien eine Geschichte des Turiner Gebärhauses, respektive seiner Patientinnen.25 Für den Trentiner Raum, welcher während des Großteils der hier untersuchten Zeit zum Gefüge Alttirols zählte, legte Jolanda Anderle Anfang der 1980er Jahre eine methodisch und empirisch äußerst fundierte Studie zur Gebär-, Findel- und Hebammenlehranstalt Alle Laste (1833-1869) vor.26 Anderle untersuchte darin die im ehemaligen Klostergebäude von Alle Laste bei Trient eingerichtete Staatsanstalt für die gefürstete Grafschaft Tirol. Die sehr detaillierte, auf empirischem Material basierende Arbeit muss als eine hervorragende sozial- und medizinhistorische Vergleichsstudie bzw. Vorarbeit für die vorliegende Untersuchung hervorgehoben werden. Die Anstalt in Alle Laste wurde auch während der 1990er Jahre, im Zuge der Beschäftigung Casimira Grandis mit der Geschichte der Illegitimität im Trentino, thematisiert.27

23 Vgl. Filippini Nadia Maria, Il bambino prezioso. Maternità e infanzia negli interventi instituzionali del primo Ottocento, in: Chinois Lia (Hg.), Nascere a Venezia. Dalla Serenissima alla prima guerra moniale, Turin 1985, 28-40. 24 Vgl. Filippini Nadia Maria, Gli ospizi per partorienti e i reparti di maternità tra sette e ottocento, in: Betri Maria Luisa/Bressan Edoardo (Hg.), Gli ospedali in area padana tra settecento e novecento, Mailand 1992, 395-411. 25 Vgl. Filippini, parturientes, 173-194. 26 Vgl. Anderle Jolanda, Maternità, assistenza e societá nell’ottocento trentino: il triplice istituto delle Laste [Diss. phil.], Trento 1979/80. Anderle Jolanda, Maternità illegittima ed esposizione infantile nel Trentino dell’800: il Triplice Istituto delle Laste, in: Studi Trentini di Scienze Storiche, LX 2 (1981), 129-193. Anderle Jolanda, Die Gebär- und Findelanstalt Alle Laste bei Trient, in: Dapunt Otto (Hg.), Fruchtbarkeit und Geburt in Tirol, Oberschleißheim bei München 1987, 123-141. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse Anderles unter Einbeziehung einiger medizinischer Schriften findet sich bei: Prommegger Milena, Die Gebär- und Findelanstalt Alle Laste bei Trient [Diplomarbeit], Innsbruck 2009. 27 Vgl. Grandi Casimira, L’abbandono degli illegitimi nel Trentino dell’Ottocento, in: Enfance abandonnée et Société en Europe, XIVe-XXe siècles (= Collection de l’École Française de Rome 140), Rom 1991, 653-678. Grandi Casimira, Una storia, mille storie. Le madri nubili del Tirolo-Vorarlberg nel XIX-XX secolo, in: Clementi Siglin-

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Auf dem Gebiet des heutigen Österreichs stehen für einen Vergleich in erster Linie die zahlreichen Arbeiten Verena Pawlowskys zum Wiener Gebär- und Findelhaus (1784-1910) zur Verfügung. Die Publikationen basieren auf Erkenntnissen, welche im Rahmen eines, am Wiener Institut für Geschichte unter der Leitung von Edith Saurer, zwischen 1991 und 1993 durchgeführten Forschungsprojekts gewonnen wurden. Der Zugang zum Thema erfolgte primär über die Institution des Findelhauses und auch die 2001 erschienene Monographie Pawlowskys, unter dem Titel Mutter ledig – Vater Staat, nahm das Gebärhaus an sich nur am Rande in den Fokus.28 Neben den empirisch fundierten Studien zu de/Spada Alessandra (Hg.), Der ledige Un-Wille. Zur Geschichte lediger Frauen in der Neuzeit, Wien/Bozen 1998, 141-165. 28 Vgl. Pawlowsky Verena/Zechner Rosa, Arm, ledig, schwanger. Frauen im Wiener Gebärhaus (1784-1910), in: Ariadne – Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung 21 (1992), 15-19. Pawlowsky Verena/Zechner Rosa, Verwaltete Kinder. Das Wiener Findelhaus (1784-1910), in: Wiener Geschichtsblätter 47 (1992), 129149. Pawlowsky Verena/Zechner Rosa, Vor der „Schand und Noth“ gerettet? Ledige Mütter im Wiener Gebär- und Findelhaus, in: Wisinger Marion (Hg.), Land der Töchter. 150 Jahre Frauenleben in Österreich, Wien 1992, 70-76. Pawlowsky Verena/Zechner Rosa unter Mitarbeit von Matschinegg Ingrid, Das Wiener Gebär- und Findelhaus (1784-1910). Forschungsbericht im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung und des Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank, Wien 1993. Pawlowsky Verena, Ledige Mütter als „geburtshilfliches Material“, in: Comparativ. Leipziger Beiträge zur Kulturgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung 5 (1993), 33-52. Matschinegg Ingrid/Pawlowsky Verena/Zechner Rosa, Mütter im Dienst - Kinder in Kost. Das Wiener Findelhaus, eine Fürsorgeeinrichtung für ledige Frauen und deren Kinder, in: L´Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 5 (1994), 61-80. Pawlowsky Verena, „Zu Unterrichtszwecken sich prostituieren zu müssen“ - Der geburtshilfliche Unterricht in Wien im 19. Jahrhundert, in: Grössing Helmuth/Horn Sonia/Aigner Thomas (Hg.), Wiener Gespräche zur Sozialgeschichte der Medizin. Vorträge des internationalen Symposions an der Universität Wien 9.-11. November 1994, Wien 1996, 237-244. Pawlowsky Verena, Kinderfürsorge zwischen Anspruch und Realität - die Sterblichkeit im Wiener Findelhaus (1784-1910) [Diss. phil.], Wien 1996. Pawlowsky Verena, Die Mütter der Wiener Findelkinder. Zur rechtlichen Situation ledig gebärender Frauen im 18. und 19. Jahrhundert, in: Gerhard Ute (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, 367-381. Pawlowsky Verena, Illegitimität in der Stadt. Das Beispiel Wien, in: Clementi Siglinde/Spada Alessandra (Hg.), Der ledige Un-Wille. Zur Geschichte lediger Frauen in der Neuzeit, Wien/Bozen 1998, 167-184. Pawlowsky Verena, Trinkgelder, Privatarbeiten,

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Wien existiert bislang für die österreichische Gebärhauslandschaft nur eine weitere unveröffentlichte Dissertation zum Grazer Gebär- und Findelhaus (17641914).29 Diese präsentiert sich jedoch größtenteils als unkritische Reproduktion isolierter Quellenfunde und hält leider kaum Material zu Vergleichszwecken bereit. Eine Arbeit über die Linzer Hebammenschule und ihre Absolventinnen: 1770-1939, so der Arbeitstitel der Dissertation von Daniela Elisabeth Petrovic, ist momentan im Entstehen und wird die Linzer Gebäranstalt wohl als Ausbildungsort thematisieren.30 Die vorliegende Studie möchte durch die Einbeziehung aller historischen Akteure und Akteurinnen eine mehrperspektivische und damit ganzheitliche Rekonstruktion der Verhältnisse in und um das Innsbrucker Gebärhaus erreichen – ein Anspruch, den die bisherigen Forschungen zur Innsbrucker Institution aufgrund ihrer nur skizzenhaften Bearbeitung des Themas nicht zu erfüllen vermochten. Allgemein wurde den unterschiedlichen geburtshilflichen Räumen und Angeboten in der Landeshauptstadt Innsbruck bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Erstmalige Erwähnung fand das Gebärhaus im Rahmen der Aufarbeitung der Geschichte der medizinischen Fakultät Innsbruck, welche, anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Fakultät, von Franz Huter verfasst wurde.31 Rund Schleichhandel mit Ammen: Personal und Patientinnen in der inoffiziellen Ökonomie des Wiener Gebärhauses (1784-1908), in: Schlumbohm Jürgen/Duden Barbara/Gélis Jaques/Veit Patrice (Hg.), Rituale der Geburt. Eine Kulturgeschichte, München 1998, 206-220. Pawlowsky Verena, Mutter ledig - Vater Staat: das Gebär- und Findelhaus in Wien 1784 – 1910, Innsbruck/Wien 2001. Pawlowsky Verena, Anonym gebären. Findelhaus, Babyklappe und anonyme Geburt, in: Rüb Dorothea/ Schindler Margot (Hg.), Aller Anfang. Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung im Österreichischen Museum für Volkskunde 10. April bis 6. Oktober 2002, Wien 2002, 197-201. Pawlowsky Verena, Anonym Gebären. Findelhaus, Babyklappe und anonyme Geburt, in: Dorffner Gabriele/Horn Sonia (Hg.), Aller Anfang. Geburt – Birth – Naissance. Wiener Gespräche zur Sozialgeschichte der Medizin, Wien 2004, 115-123. 29 Vgl. Kurmanowytsch Hemma, Das Grazer Gebärhaus von seinen Anfängen 1764 bis 1914. Ein Beitrag zu 150 Jahren Medizingeschichte der Steiermark [Diss. phil.], Graz 2002. 30 Stand: 31.01.2012: http://www.jku.at/content/e274/e13428/e13425/e13424?apath=e32 681/e31813/e31540/e31482. 31 Vgl. Huter Franz, Hundert Jahre Medizinische Fakultät Innsbruck 1869 bis 1969, Teil 1: Die Wiedererichtung der Fakultät und ihre Vorgeschichte, Innsbruck 1969 (hier: I. Kapitel – Von der ersten und zweiten Medizinischen Fakultät 1673 bis 1782, 1792 bis 1810, 1-5; II. Kapitel – Das Medizinisch-chirurgische Studium 1816 bis 1869 (1871), 6-53; III. Kapitel – Der Kampf um die dritte Medizinische Fakultät, 54-92; IV. Kapi-

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zwanzig Jahre später wandte sich der Historiker und damalige Direktor des Stadtarchivs Innsbruck, Franz Heinz Hye, im Zuge der XI. Akademischen Tagung deutschsprechender Hochschullehrer in der Gynäkologie und Geburtshilfe dem Thema Gebärhaus erneut zu. Sein historischer Abriss wurde schließlich 1987 in einem Sammelband publiziert, der verschiedenste historisch, kunsthistorisch und volkskundlich relevante Aspekte von Fruchtbarkeit und Geburt in Tirol – so auch der sprechende Titel des vom damaligen Primar der Universitätsklinik für Frauenheilkunde Dr. Otto Dapunt herausgegebenen Werkes –, vereinte.32 Ein vorläufig letztes Mal wurde das Thema vom Gynäkologen Dr. Christoph Brezinka aufgegriffen, der im Zuge der Festschrift für Primar Dapunt eine weitere, leider ebenfalls an der Oberfläche bleibende, Zusammenschau zur Geschichte des Gebärhauses präsentierte.33 Seit 2006 konnte die Autorin der aktuellen Studie bereits in mehreren kleineren, populären und wissenschaftlichen Arbeiten ihre Forschungsansätze und erste Ergebnisse zur Geschichte des Innsbrucker Gebärhauses präsentieren.34 tel – Die Errichtung der dritten Medizinischen Fakultät und ihre Eröffnung (1869), 93134). 32 Vgl. Hye Franz-Heinz, Vom Innsbrucker Bürgerspital zur neuen Frauenklinik, in: Dapunt Otto (Hg.), Fruchtbarkeit und Geburt in Tirol, Oberschleißheim bei München 1987, 143-153. 33 Vgl. Brezinka Christoph, Von der Gebär- und Findelanstalt zur UniversitätsFrauenklinik, in: Brezinka Christoph (Red.), Festschrift. Zusammenfassung der Vorträge, gehalten beim Kliniksymposium am 19. Mai 1995 in Innsbruck, anlässlich des 65. Geburtstages von Univ. Prof. Dr. Otto Dapunt, Purkersdorf bei Wien 1996, 18-29. Dieser historische Rückblick ist auch über die Homepage der UniversitätsFrauenklinik Innsbruck abrufbar: http://frauenheilkunde-innsbruck.uklibk.ac.at/ Stand: 31.01.2012. 34 Vgl. Hilber Marina, Das Innsbrucker Gebärhaus – soziale oder medizinische Institution? In: AEP Informationen. Feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft 3 (2006), 15-17. Hilber Marina, Die Gebärabteilung im Stadtspital im 19. Jahrhundert, in: Die Landeshauptstadt Innsbruck Informiert 12 (2006), 20. Dietrich-Daum Elisabeth/Heidegger Maria/Hilber Marina/Unterkircher Alois, Medizin/Psychiatrie und Geschlecht in historischer Perspektive, in: Geschlechterforschung: Identitäten-Diskurse-Transformationen. Forschungsergebnisse und –vorhaben des interdisziplinären Gender-Forschungsschwerpunktes an der Universität Innsbruck, Innsbruck 2006, 49-58. Hilber Marina, Die Landes-Gebäranstalt in Innsbruck (18701924), in: Die Landeshauptstadt Innsbruck Informiert 9 (2007), 20. Hilber Marina, Vom „Sonderzimmer für Kindbetterinnen“ zur Landesgebäranstalt. Die Anfänge der institutionellen Entwicklung des Innsbrucker Gebärhauses (1816-1869), in: Virus.

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2. Z ENTRALE F ORSCHUNGSFRAGEN , M ETHODEN UND K ONZEPTE „Institutionen sind Antworten auf zentrale Fragen des menschlichen Zusammenlebens. Diese Antworten fallen in verschiedenen Ländern und zu verschiedenen Zeiten sehr unterschiedlich aus,“35 so charakterisierte die Wirtschaftswissenschafterin Elisabeth Göbel im Jahr 2002 das Wesen einer Institution. Basierend auf einem rigiden System von normativ festgesetzten Regeln strebt jede Institution die (Wieder-)Herstellung von sozialer Ordnung an. Um das Ziel „einer geordneten Kooperation von Menschen“36 erreichen zu können, werden Entscheidungsfreiheit und Handeln des Individuums mitunter massiv eingeschränkt und modifiziert werden. Die Einhaltung des Regelsystems wird dabei mit Hilfe verschiedenster Durchsetzungsmechanismen gesteuert und zum Teil rigoros überwacht. Institutionen zeichnen sich außerdem durch ihre hohe Stabilität aus, weshalb die durch sie implementierten Normsysteme meist von langer Dauer gekennzeichnet sind.37 Ein Ziel dieser Studie wird es sein, die Gültigkeit dieser Definition am Beispiel des Innsbrucker Gebär- und Findelhauses kritisch zu prüfen und das Wesen der historischen Anstalt (engl. institution) zu erfassen. Im Sinne einer Sozialgeschichte der Medizin soll im Folgenden mit Hilfe eines mikrohistorischen Zuschnitts eine möglichst „dichte Beschreibung“38 der sozialen und medizinischen Verhältnisse in der geburtshilflichen Spezialeinrichtung sowie der

Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 7 (2008), 195-205. Hilber Marina, Geburtsgeschichte(n) – Einblicke in geburtshilfliche (Ausbildungs-)Räume um 1830, in: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 8 (2009), 85-94. Hilber Marina, „Zur Errichtung von Bildungsanstalten für Wehemütter“: Professionalisierte Hebammenausbildung am Beispiel der gefürsteten Grafschaft Tirol (1765 bis 1850), in: Schäfer Daniel (Hg.), Rheinische Hebammengeschichte im Kontext, Kassel 2010, 133-158. 35 Göbel Elisabeth, Neue Institutionenökonomik. Konzeption und betriebswirtschaftliche Anwendung, Stuttgart 2002, 17. 36 Göbel, Institutionenökonomik, 1. 37 Vgl. Göbel, Institutionenökonomik, 1-3. Vgl. dazu auch die Definition der „sozialen Institution“ wie sie Blänkner/Jussen liefern. Blänkner Reinhard/Jussen Bernhard, Institutionen und Ereignis. Anfragen an zwei alt gewordene geschichtswissenschaftliche Kategorien, in: Blänkner Reinhard/Jussen Bernhard (Hg.), Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, Göttingen 1998, 9-16, hier 12. 38 Vgl. Geertz Clifford, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a. M. 1987.

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politischen und gesellschaftlichen Debatten rund um das Innsbrucker Gebärhaus erarbeitet werden. Vereinfacht dargestellt, wendet die Arbeit zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen an: Den thematischen Leitlinien folgend, wird der Blick zum einen von außen auf die Anstalt gerichtet und beleuchtet aus dieser Perspektive das System Gebärhaus in seiner politischen, wirtschaftlichen und sozialen Einbettung in die Gesellschaft. Zum anderen gilt es einen Blick hinter die Fassade der normativ gelenkten Anstaltsstruktur zu werfen und die Sicht auf das Alltägliche, die internen Abläufe und somit auf die Organisation des konkreten Zusammenlebens unterschiedlicher Individuen in einem abgeschlossenen Raum freizulegen. Bevor jedoch eine zielgerichtete Aufarbeitung der multiperspektivischen Geschichte der Innsbrucker Gebäranstalt geschehen kann, müssen zunächst die „zentralen Fragen“ erörtert werden, die, laut Göbel, die Gründung einer Institution bedingen. Versteht man Institutionen als Lösungsansätze für zentrale Probleme zwischenmenschlicher Interaktion, als Reaktion auf soziale Unordnung,39 so drängt sich zwangsläufig die Frage nach den Ursachen und den am Konflikt beteiligten Personen- und Interessensgruppen auf. Wer waren die (politischen) Agitatoren, welche die Einrichtung von Gebärhäusern propagierten und welche Bevölkerungsteile wurden als Verursacher der vermeintlichen „Unordnung“ identifiziert? Auch Fragen nach der zeitlichen und räumlichen Dimension der verschiedenen Gründungswellen im europäischen Raum drängen sich auf. Das einführende Kapitel II. Ausgangspunkte wird sich daher in entsprechender Tiefe mit den aufklärerischen Wurzeln des Gebärhausdiskurses beschäftigen, das gesellschaftlich und sozial brisante Phänomen der Illegitimität berühren und einen Überblick über die diesbezüglichen politischen Reaktionen in der österreichischen Monarchie geben. Am Fallbeispiel wird schließlich zu klären sein, wie stark die Etablierung des Innsbrucker Gebärhauses vom Zentrum der Monarchie aus gelenkt wurde und in welchem Ausmaß auch regionale Motive die konstituierenden und legitimierenden Rahmenbedingungen beeinflussten. Da Institutionen prinzipiell variabel gestaltet sind und, Göbel zufolge, trotz einer ähnlichen Grundausrichtung in verschiedenen Ländern eine regionalspezifische Ausprägung erfahren können,40 wurde auch die vorliegende Untersuchung als regionale Fallstudie zur Geschichte einer medizinischen Institution in der Tiroler Provinz konzipiert. Obwohl sich auch die Tiroler Anstalt im Laufe ihrer Geschichte an nationalen Vorbildern wie der Wiener Gebäranstalt orientierte und durch überregionale Einflüsse geprägt war, dürften sich daneben regionale Besonderheiten in der Organisation und Umsetzung zentral definierter Normen er39 Vgl. Göbel, Institutionenökonomik, 1. 40 Vgl. Göbel, Institutionenökonomik, 17.

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geben haben. Kapitel III. Das Innsbrucker Gebärhaus – Sozial- oder Prestigeprojekt? widmet sich deshalb, auf der Basis einer quellenorientierten Herangehensweise, der „Außensicht“ der Anstalt. Diese zielt damit aber keineswegs auf eine rein deskriptive Auseinandersetzung mit der Architekturgeschichte der einzelnen Standorte, sondern soll eine kritische Annäherung an die Strukturgeschichte der Institution liefern. Dabei gilt es einerseits zu klären, wer die Anstalt nach außen repräsentierte, welche politischen Personen- und Interessensgruppen die Entscheidungsgewalt über die Anstalt innehatten (Stadt, Land, Staat) bzw. wie sich die Einrichtung an sich nach außen präsentierte (u. a. Statuten, Circulare, etc.). Andererseits muss auch die Wahrnehmung der geburtshilflichen Einrichtung durch die Politik, die regionalen Medien, den Klerus und die diversen medizinischen Professionen untersucht werden. Besonderes Augenmerk wurde auf eine regionale Besonderheit, nämlich das duale Nationalitätenverhältnis gelegt. Fragen nach dem regionenspezifischen Umgang mit dem Phänomen der Illegitimität in den deutsch- bzw. italienischsprachigen Teilen Tirols und ihrer Manifestation innerhalb des Gefüges der Institution des Gebärhauses drängen sich dabei unweigerlich auf. Wie stand es außerdem um die gesellschaftliche und politische Akzeptanz der Gebär- und Findelanstalt in den verschiedenen Teilen des Landes? Sind ähnliche Nutzungsstrategien erkennbar oder werden beispielsweise anhand der Frequentierungsmuster divergierende nationale Motive deutlich? Ebenfalls einer regionalen Prägung unterworfen ist der Themenbereich der gesellschaftlichen Durchsetzungskraft von Institutionen. Obwohl Institutionen durch ein engmaschiges Netz von Regeln zielgerichtetes Verhalten zu evozieren suchen,41 sind sie nicht bloß als starre Gebilde in einer sich stetig verändernden Welt zu betrachten. Auch in Bezug auf das Innsbrucker Gebärhaus ist anzunehmen, dass die Institution im Laufe ihres Bestehens einen sozialen, medizinischen und strukturellen Wandel erfuhr, ohne den der Fortbestand der Institution über mehr als einhundert Jahre wohl nicht zu gewährleisten gewesen wäre. Die Frage nach den unterschiedlichen Adaptions- bzw. Modifikationsmaßnahmen, mit welchen die (politisch) Verantwortlichen auf gesellschaftliche Veränderungen reagierten, soll hierbei ebenso zur Sprache kommen wie jene nach der sozialen und medizinischen Nachhaltigkeit des Wandels. Wie konsequent wurden politisch motivierte strukturelle Änderungen in die Tat umgesetzt? Wie war es um medizinische Innovation und die geburtshilfliche Wissenschaft in Innsbruck bestellt? Ist auf Grund der peripheren Lage eine verspätete Durchsetzung von medizinischen Verfahren, etwa den Prinzipien der Anti- bzw. Asepsis, anzunehmen, oder

41 Vgl. Göbel, Institutionenökonomik, 10-17.

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nahm das Innsbrucker Gebärhaus in medizinischen Belangen sogar eine Vorreiterrolle ein? Komplementär zur dieser strukturellen Institutionengeschichte wird in Kapitel IV. Der Mikrokosmos Gebärhaus – medikale Lebenswelten eine „Innenperspektive“ des Innsbrucker Gebärhauses skizziert. Diese Geschichte „nach innen“ bzw. „von innen“ bemüht sich um eine mikrogeschichtliche Rekonstruktion des Alltags der Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen, bezieht jedoch auch das medizinisch verantwortliche Anstaltspersonal mit ein. So müssen zunächst Personal und Klientel des Gebärhauses als separate soziale Gruppen definiert werden. Dabei stellt die Kategorisierung der Patientinnen nach Alter, Stand, sozialer und geographischer Herkunft mittlerweile das Grundrepertoire der analytischen Gebärhausforschung dar und wird auch in dieser Studie durchgeführt. Obwohl sich die Homogenität der Klientel in der deutschsprachigen Gebärhausforschung mittlerweile als Topos etabliert hat, gilt es diese Annahme zu hinterfragen, denn die bisherigen Befunde fußten meist auf Studien, die sich mit dem ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert befassten.42 Die vorliegende Studie dehnt den zeitlichen Betrachtungsrahmen deutlich aus und ermöglicht damit eine erweiterte Perspektive: Es wird vor allem die Frage zu beantworten sein, inwieweit sich der institutionelle Wandel auch auf anderen Ebenen – etwa hinsichtlich der sozialen Zusammensetzung der Klientel – fortsetzte. Es wird deshalb eine Hauptaufgabe der Arbeit sein, zu hinterfragen, inwieweit die genannten Kategorien tatsächlich ein „kollektives Subjekt“ zu prägen vermochten. Um ein umfassendes Bild der in Frage stehenden Anstalt zu zeichnen, soll hinsichtlich des medizinischen Personals versucht werden, deren individuelle Arbeits- und Verantwortungsbereiche zu umreißen und ihre lebensweltliche Einbindung in das System Gebärhaus zu skizzieren. In Bezug auf die Evaluation des praktischen Zusammenlebens in der Anstalt und der Organisation des (medizinischen) Alltags stehen mehrere medizinhistorische Konzepte auf dem Prüfstand. Die feministische Forschung verfolgte bisher – wie bereits einleitend erwähnt – sehr vehement die Position einer „opferzentrierten“ Annäherung an die Institution des Gebärhauses. „Disziplinierung“, „Subordination“, „einseitiges Gewaltverhältnis“ und „aufgezwungene Medikalisierung“ können als zentrale, charakterisierende Schlagworte dieser medizinkritischen Richtung gelten. Dieses Konzept, basierend auf Foucaults Geburt der

42 Vgl. u.a. die diversen Arbeiten Marita Metz-Beckers zur Marburger Accouchieranstalt, oder Jürgen Schlumbohms zum Göttinger Accouchierhaus. Vgl. auch Susanne Preußlers Studie zum Münchner Gebärhaus sowie Gabriele Beisswangers Arbeit zum Accouchierhospital in Braunschweig, die alle zu ähnlichen Ergebnissen kamen.

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Klinik43, soll im Sinne der Historikerin Francisca Loetz kritisch reflektiert werden. Loetz stellte nämlich fest, dass nicht allein die professionalisierte Ärzteschaft und der Staat als Träger der Medikalisierung gesehen werden können, sondern auch die betroffene Bevölkerung – in unserem Fall eben Schwangere, Gebärende und Wöchnerinnen – mitunter äußerst aktiv in medizinische Entwicklungsprozesse eingriffen und Verbesserungen der medizinischen Versorgung forderten. „Medikalisierung bezeichnet also nicht lediglich antagonistische, sondern ambivalente gesellschaftliche Prozesse, die zu einer Verärztlichung der Medizin und der Entwicklung spezifischer Verhaltensstandards beigetragen haben,“44 resümierte Loetz und kreierte in Anlehnung an Georg Simmel den breit rezipierten Begriff der „medizinischen Vergesellschaftung“. Dieser umfasst jene „wechselseitigen Beziehungen, in denen medikalisierende Aktionen und Reaktionen „von oben“ ebenso wie „von unten“ erfolgten. Disziplinierung und Fürsorge, Angebot und Nachfrage, „Herrschaft von oben“ und „Druck von unten“ schließen demnach einander nicht aus, sondern bedingen sich vielmehr gegenseitig.“45 Dieses Konzept unterstützt die Anliegen der jüngeren Gebärhausforschung, indem es jenes dichotome Trennungsdenken, welches lange Zeit prägend für diesen Zweig sozialgeschichtlicher Forschung war, überwindet. Das Beispiel der Innsbrucker Anstalt und der in sie eingebundenen Personengruppen soll damit einen Beitrag zur Entwirrung der bislang propagierten Polaritäten liefern, indem versucht wird, wo dies möglich ist, ganz im Sinne der medizinischen Vergesellschaftung „Ambivalenzen auszuloten“.46 Um die angesprochenen Ambivalenzen im System Gebärhaus tatsächlich verorten zu können, muss der Alltag der beteiligten Individuen fassbar gemacht 43 Vgl. Foucault Michel, Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks, Frankfurt a.M. 62002. 44 Loetz Francisca, Vom Kranken zum Patienten. „Medikalisierung“ und medizinische Vergesellschaftung am Beispiel Badens 1750-1850, Stuttgart 1993, 50. Siehe dazu vertiefend: Dietrich-Daum Elisabeth/Taiani Rodolfo (Hg.), Medikalisierung auf dem Lande. Midializzazione in area alpina (= Geschichte und Region/Storia e Regione 14), Innsbruck/Wien 2005. 45 Loetz, Patienten, 148. Vgl. Loetz Francisca, „Medikalisierung“ in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, 1750-1850: Ansätze, Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, in: Eckart Wolfgang U./Jütte Robert (Hg.), Das europäische Gesundheitssystem, Stuttgart 1994, 123-161. Vgl. auch Loetz Francisca, Theorie und Empirie in der Geschichtsschreibung: Eine notwendige Wechselbeziehung, in: Paul Norbert/ Schlich Thomas (Hg.), Medizingeschichte: Aufgaben, Probleme, Perspektiven, Frankfurt a.M 1998, 22-44. 46 Loetz, Patienten, 322.

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werden. Der Alltag in der Anstalt erschließt sich jedoch nicht allein über das normativ festgelegte Grundgerüst, sondern auch und gerade durch eine Analyse des Besonderen, von der Norm Abweichenden. Dieses „außerordentliche Normale“ kann beispielsweise durch die kritische Beleuchtung von Konflikten und Krisen in der Anstalt die vorherrschenden Gesetzmäßigkeiten im Alltag der Institution erkennen lassen. Hans Medick argumentierte, dass der „besondere Erkenntniswert des mikrohistorisch erschlossenen Einzelfalls“ darin bestehe, „Einblicke hinter die Oberfläche historischer Erscheinungen“ zu erlangen und der Wissenschaft damit ein „neue[r] Blick auf das in der Geschichte menschlich Mögliche“47 eröffnet werde. Wesentlich sind in diesem Zusammenhang nicht nur die medikalen Praktiken rund um die Geburt und das Wochenbett, sondern auch die verschiedenen Rituale, Hierarchien und Machtverhältnisse, denen die einzelnen AkteurInnen im sozialen Raum des Gebärhauses ausgesetzt waren. Dabei werden die sinnstiftenden Beziehungen zwischen den betroffenen Frauen, den für die Pflege verantwortlichen Anstaltshebammen, den akademischen Ärzten (Primarius/Sekundarius) und nicht zuletzt dem formalen Anstaltsleiter in den Blick gerückt. Mit Hilfe der Merkmalbündel, die Erving Goffman in seiner 1961 erschienen Studie Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen zur Identifikation und Beschreibung von so genannten „Totalen Institutionen“ erarbeitete,48 wird bereits seit mehreren Jahren verstärkt auch in der Geschichtswissenschaft versucht, historische Anstalten kritisch zu durchleuchten.49 Auch in der vorliegenden Arbeit soll das Ausmaß der Repressivität 47 Medick Hans, Mikro-Historie, Mikro-Geschichte, in: Schulze Winfried (Hg.), Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion, Göttingen 1994, 4053, hier 47. Vgl. Ginzburg Carlo, Mikro-Historie: Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß, in: Historische Anthropologie 1/2 (1993), 169-192. Vgl. Schlumbohm Jürgen, Mikrogeschichte-Makrogeschichte: Zur Eröffnung einer Debatte, in: Schlumbohm Jürgen (Hg.), Mikrogeschichte-Makrogeschichte komplementär oder inkommensurabel? Göttingen 1998, 9-32. Einen Überblick zu österreichischen Studien bietet: Scheutz Martin, „…irgendwie Geschichte ist es doch“. Mikrogeschichte in der österreichischen Frühneuzeitforschung, in: Scheutz Martin/Strohmayer Arno (Hg.), Was heißt „österreichische Geschichte“? Probleme, Perspektiven und Räume der Neuzeitforschung, Innsbruck/Wien/Bozen 2008, 73-92. Exemplarisch zur angewandten Mikrogeschichte: Medick Hans, Weben und Überleben in Laichingen 1650-1900. Lokalgeschichte als allgemeine Geschichte, Göttingen 1996. 48 Vgl. Goffman Erving, Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen, Frankfurt a.M. 1973. 49 Vgl. dazu etwa den 2008 erschienen Themenband der Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit, der die Anwendbarkeit des Modells der „Totalen Institution“

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im institutionellen System durch dieses „innenperspektivische, mikrosoziologisch orientierte Modell von geschlossenen Institutionen“50 ausgelotet werden. Neben psychiatrischen Kliniken, Gefängnissen, Kasernen oder Klöstern, nannte Goffman auch Waisen- und Versorgungshäuser als Einrichtungen mit totalem Charakter. Obwohl Entbindungsanstalten, Gebär- und Findelhäuser oder Accouchieranstalten dabei nicht dezidiert genannt wurden, lässt sich der Typus der Gebärhäuser des 18. und 19. Jahrhunderts durchaus hinsichtlich dieses Modells untersuchen. Ähnlich den Waisen- und Versorgungshäusern zielten sie nämlich zu einem wesentlichen Teil auf die Fürsorge für hilflose, unprivilegierte und ihrem Schicksal ausgelieferte Individuen.51 „Eine totale Institution läßt sich als Wohn- und Arbeitsstätte einer Vielzahl ähnlich gestellter Individuen definieren, die für längere Zeit von der übrigen Gesellschaft abgeschnitten sind und miteinander ein abgeschlossenes, formal reglementiertes Leben führen,“52 definierte Goffman das Wesen der durch ihn untersuchten Anstalten. Bereits mit dem Eintritt in die Anstalt wurde der Verlust der Intimsphäre deutlich, denn das neu ankommende Individuum musste sich einem vielfach degradierenden Aufnahmeprozedere unterziehen. Das Merkmal des Individualitätsverlustes bzw. die Negierung jeglicher Privatsphäre setzte sich dann im Anstaltsalltag fort und manifestierte sich etwa in der kollektiven Arbeitsverpflichtung, der Anstaltskleidung, den gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten sowie der gemeinschaftlich genutzten Aufenthalts- und Schlafräume. Eine zentrale Autorität bestimmte den Tagesablauf innerhalb des Systems und sprach den „Insassen“, in Goffmans Terminologie, jegliche Eigenverantwortung ab. Kontakte zur Außenwelt wurden beschränkt und sogar Spaziergänge nur unter Aufsicht des Anstaltspersonals erlaubt. Das Leben orientierte sich an einer Hausordnung, deren Einhaltung durch einen straff organisierten Personalstab überwacht wurde. In Goffmans Beschreibung einer „Totalen Institution“ waren die Lebenswelten der „Insassen“ und ausgehend von verschiedensten historischen Systemen wie etwa jenen des Klosters, des Waisenhauses, der psychiatrischen Anstalt, des Versorgungshauses oder des Kriegsgefangenenlagers überprüfte. Scheutz Martin (Hg.), Totale Institutionen (= Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 8), Innsbruck/Wien 2008. Vgl. auch Bretschneider Falk/Scheutz Martin/Weiß Alfred Stefan (Hg.), Personal und Insassen von „Totalen Institutionen“ – zwischen Konfrontation und Verflechtung, Leipzig 2011. 50 Scheutz Martin, „Totale Institutionen“ – missgeleiteter Bruder oder notwendiger Begleiter der Moderne? Eine Einführung, in: Scheutz Martin (Hg.), Totale Institutionen, Innsbruck/Wien 2008, 3-19, hier 4. 51 Vgl. Goffman, Asyle, 16-17. 52 Goffman, Asyle, 11.

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des „Personals“ wie „Blöcke“ streng voneinander getrennt53 und eben diese Trennung wurde „als Hauptquelle von sozialen Konflikten und Problemen innerhalb der Institution“ identifiziert.54 Der totale Charakter des Gebärhauses manifestierte sich wohl auch an der Tatsache, dass die Frauen sich für eine gewisse Zeit in ein von der restlichen Bevölkerung abgeschnittenes System begaben und sich dessen spezifischer Kontrolle unterwarfen. Ein ausgefeiltes Regelwerk, welches das Leben der Frauen in der Anstalt bestimmte und die Hierarchien in der Anstalt formte, lag diesem System zugrunde. Zentrale Fragen kreisen in diesem Zusammenhang um die Organisation des Zusammenlebens im Mikrokosmos des Gebärhauses. Insbesondere die Strategien aller Beteiligten zur Wahrung ihrer individuellen (Gruppen) Interessen sind dabei von Belang. Darüber hinaus wird zu klären sein, inwieweit sich die Lebenswelten der Patientinnen und des Personals überlagerten und wie viel Zündstoff das temporäre Zusammenleben unterschiedlicher Individuen für Konflikte in der Anstalt lieferte. Der gesamte Themenbereich des Findelhauses, welches für einen kurzen Zeitraum (1870-1881) in Innsbruck bestand, wird hingegen nur am Rande gestreift und soll nur dann in den Blick genommen werden, wo es Relevanz für die Nutzung des Gebärhauses erhält. Obwohl bereits im Jahre 1991 eine sozialgeschichtliche Diplomarbeit zum Tiroler Findelhaus entstand,55 wäre eine intensivere Beschäftigung – auch auf Grund des geschlossenen Quellenbestandes im Tiroler Landesarchiv – äußerst lohnend. Zusammenfassend stehen fünf zentrale Thesen und die daraus abgeleiteten Fragenkomplexe zur Diskussion: 1) Ähnlich wie in anderen europäischen Regionen ist auch für Tirol kein monokausales Erklärungsmodell für die Gründung von Gebärhäusern zu erwarten. Vielmehr gilt es zu klären, ob die Gründung der Tiroler Gebäranstalten (Innsbruck/Alle Laste) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Rahmen des monarchieweiten Maßnahmenpakets zur Eindämmung der Illegitimität und/oder, als gezielte Maßnahme zur Beförderung der geburts-

53 Vgl. Goffman, Asyle, 17-77. Vgl. auch die Zusammenfassung bei Scheutz, Institutionen, 5-8. 54 Scheutz, Institutionen, 6. Vgl. Watzka Carlos, Zur Interdependenz von Personal und Insassen in „Totalen Institutionen“: Probleme und Potentiale von Erving Goffmans „Asyle“, in: Bretschneider Falk/Scheutz Martin/Weiß Alfred Stefan (Hg.), Personal und Insassen von „Totalen Institutionen“ – zwischen Konfrontation und Verflechtung, Leipzig 2011, 25-53. 55 Vgl. Böhler Hermann, Das Findelwesen in Österreich unter besonderer Berücksichtigung Tirols [Diplomarbeit], Innsbruck 1991.

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hilflichen Wissenschaft zu sehen war? Welche Rolle spielten dabei sozialwohltätige und professionspolitische Motive? 2) Von Wien ausgehend wurde versucht, eine einheitliche InstitutionenLandschaft in der Monarchie zu kreieren. Dennoch gilt es, im Sinne Schlumbohms, zu berücksichtigen, dass jede Anstalt eine regional-spezifische Ausformung erfuhr. Teilaspekte wie die Übernahme zentral formulierter Normen, oder der Einfluss der Wiener Geburtshilflichen Schule nach Boër werden am Beispiel der Innsbrucker Anstalt dabei ebenso hinterfragt wie die hierarchische Personalstruktur der Gebäranstalt. Inwieweit sind dabei regionale Besonderheiten in der Organisationsform, der medikalen Praxis, dem Nutzungsverhalten und der lokalen Akzeptanz durch die Bevölkerung zu beobachten? 3) Hinsichtlich der medikalen Praxis muss davon ausgegangen werden, dass kleine, überschaubare Anstalten leichter zu organisieren und Maßnahmen zur Hebung der Anstaltshygiene besser durchsetzbar waren. Daraus ergibt sich die Annahme, dass ein positiver Einfluss auf die Mütter- und Säuglingssterblichkeit nachvollziehbar sein muss. Wie und wann wurden aber neue Methoden, etwa der Antisepsis, eingeführt? Ist ein Zusammenhang zwischen Operationshäufigkeit und der Morbidität bzw. Mortalität in der Anstalt zu sehen? 4) Gebäranstalten dürfen keineswegs als statische Gebilde gesehen werden, die sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert nicht mehr veränderten. Dieser These folgend, muss auch für das Innsbrucker Gebärhaus ein Wandel in der sozialen und medikalen Praxis angenommen werden. Dabei muss nach den Adaptionsstrategien gefragt werden, mit denen die Institution des Innsbrucker Gebärhauses auf gesellschaftliche und politische Veränderungen reagierte. 5) Ein Wesensmerkmal von Institutionen des 19. Jahrhunderts ist in ihrer Repressivität und ihrem Hang zur Disziplinierung zu sehen. Im Fall der Gebärhäuser wird dieses Charakteristikum häufig mit einer systematischen Entwertung und Verdinglichung der Patientinnen zum Zweck der geburtshilflichen Wissenschaft in Verbindung gebracht. Auf Grund des langen Bestandes und des stetig steigenden Zulaufs wird für die Innsbrucker Anstalt allerdings nicht von einer solchen „totalen Institution“ (Goffman) ausgegangen. Es gilt im Folgenden zu analysieren wie sich das alltägliche Zusammenleben von Personal und Patientinnen im sozialen und medikalen Raum der Gebäranstalt gestaltete und wie repressiv das System tatsächlich war? Lässt sich dabei anhand verschiedenster Aspekte ein „totaler Charakter“ der Institution nachvollziehen? Mit den beschriebenen Schwerpunkten siedelt sich die Studie am Schnittpunkt gleich mehrerer medizin- und sozialhistorischer Ansätze an. Einer Sozialgeschichte der Medizin verpflichtet, nimmt die Arbeit auch (methodische) Elemen-

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te und Ansätze der Mikrogeschichte, der Historischen Demographie sowie der Frauen- und Geschlechtergeschichte mit in den Blick. Die Untersuchung liefert somit nicht nur einen regionalspezifischen Beitrag zur Sozial- und Medizingeschichte des Landes Tirol, sondern kann, durch eine kritische Durchleuchtung der mannigfaltigen Intentionen der Institution, einen essenziellen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte der europäischen Gebärhäuser und den an diese Spezialeinrichtungen gekoppelten medizinischen Professionalisierungsprozessen leisten.

3. Q UELLEN Zu Beginn des Jahres 1902 stellte die Verwaltung der Landesgebäranstalt Innsbruck eine dringliche Anfrage an den zuständigen Landesausschuss, mit der Bitte, die überbordende Menge alten Aktenmaterials skartieren zu dürfen. Es wurde betont, dass das langjährig in der Anstalt dienende Verwaltungspersonal über das nötige Gespür verfüge, um die Auswahl der zu vernichtenden Aktenbestände sorgfältig vorzubereiten und all jene Aktenstücke zu bewahren, welche auch in Zukunft von Relevanz sein dürften. Am 30. April 1902 bewilligte der Landesausschuss den Antrag und traf damit eine – für HistorikerInnen – folgenschwere Entscheidung.56 Denn im Jahre 1902 fiel der Großteil der anstaltsintern archivierten Aktenbestände, die seit 1870 angefallen waren, einer rigorosen Skartierungsaktion zum Opfer.57 Die Beamten sortierten großzügig aus, sodass, am Ende der Aktion, lediglich einige wenige normative Quellen wie Statuten oder Hausordnungen sowie die sorgfältig geführten Bücherserien der Vernichtung entgingen. Die Restbestände befinden sich heute im Tiroler Landesarchiv (TLA) und wurden mit den im Laufe der Jahre 1900 bis 1924 entstandenen Verwaltungsakten im Sonderbestand „Landesgebäranstalt in Wilten (Innsbruck)“ zusammengefasst. Dieser Sonderbestand, bestehend aus insgesamt 16 Faszikeln und diversen Bücherserien – Geburtenregistern (1873-1925), Verpflegtenbüch-

56 Vgl. Tiroler Landesarchiv (TLA), Landschaftliches Archiv, Akten des Tiroler Landesausschusses 1902, Zl. 440, 7362. 57 Das Archiv Alle Lastes dürfte 1870 ebenfalls nach Innsbruck transferiert worden sein, konnte bisher aber nicht aufgefunden werden. Es ist anzunehmen, dass auch dieses frühe Anstaltsarchiv der Skartierung zum Opfer fiel. Jolanda Anderle bestätigt diese Vermutung, indem sie konstatiert, dass „leider […] alle Dokumente über die Hebammenschule in Alle Laste bis heute unauffindbar geblieben“ sind. Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 137.

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ern (1874-1924), Exhibiten-Protokollen (1890-1914) und Findel-Hauptbüchern (1871-1881) – stellt den bescheidenen Überrest der anstaltsinternen Überlieferung dar.58 Doch auch ohne den Rückgriff auf einen geschlossenen Archivbestand kann die Quellenlage zur Bearbeitung des Themas als durchaus gut beschrieben werden. Nachdem die Innsbrucker Gebäranstalt, zunächst als städtische Einrichtung, später als staatliche und schließlich als Landesinstitution geführt wurde, haben sich bei den zuständigen politischen Behörden zahlreiche Spuren des Gebärhauses erhalten. In qualitativer und quantitativer Hinsicht hielt das Tiroler Landesarchiv die Hauptbestände für die vorliegende Studie bereit. Gebärhausrelevante Akten fanden sich dabei vorwiegend in den Sanitätsbeständen des behördlichen Archivmaterials. Für die institutionelle Früh- und Übergangsphase von ca. 1816 bis 1869 standen in erster Linie die Bestände des Jüngeren Guberniums und dessen Folgeinstanz, der Statthalterei für Tirol und Vorarlberg, zur Verfügung. Das Aktenmaterial, welches an die obersten Verwaltungsinstanzen der Grafschaft Tirol gesandt wurde, war von äußerst heterogener Art. Darunter finden sich neben diversen Rechnungslegungen auch die jährlichen Sanitätsberichte, spezifische Berichte über die sanitären Zustände in der Gebäranstalt, Instruktionen für das medizinische und pflegerische Personal sowie Aktenmaterial zum Findelwesen in Tirol. Zudem sind in den Beständen auch die langwierigen Verhandlungen über die Einrichtung einer eigenständigen Gebäranstalt in der Landeshauptstadt dokumentiert.59 Wertvolle Quellenbestände für die Zeit bis 1870 fanden sich auch im Stadtarchiv Innsbruck (StAI), vor allem im Sonderbestand der Spital[s] Raitungen.60 Ein handschriftlicher Bericht über das städtische Spital, verfasst vom ehemaligen Spitalsverwalter Franz Xaver Honstetter, konnte in der Sondersammlung der Universitätsbibliothek Innsbruck lokalisiert werden. Das, als Codex 1019 archivierte, Manuskript enthält eine ausführliche Beschreibung der Entwicklung und Funktion der spitalsinternen Gebärabteilung.61 Ebenso gewinn58 Vgl. Beimrohr Wilfried, Das Tiroler Landesarchiv und seine Bestände, Innsbruck 2002, 295. Erschlossen sind die Bestände über das Repertorium B634 (neu): Schober Richard, Gesamtinventar des Landschaftlichen Archivs (= Abteilung des Tiroler Landesarchivs), Innsbruck ²1998. 59 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium, Sanität 1806-1849. Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg, Sanität 1850-1869. 60 Vgl. Stadtarchiv Innsbruck (StAI), Spital Raitungen, ca. 1830-1846. 61 Vgl. Honstetter Franz Xaver, Die Beschreibung des Stadtspitales zu Innsbruck, seiner Entstehung und Verbesserung in medicinischer und oekonomischer Hinsicht bis zum Schlusse des Jahres 1838. Sondersammlung der Universitätsbibliothek Innsbruck, Codex 1019 (1839).

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bringend waren die Recherchen im Universitätsarchiv Innsbruck (UAI), welches insbesondere in Hinblick auf die geburtshilfliche Ausbildungstätigkeit im Gebärhaus neue Aufschlüsse lieferte.62 Für die Hauptphase der Anstaltsgeschichte von 1870 bis 1924 – in der sich das Gebärhaus in Landesverwaltung befand – konnte auf reichlich Aktenmaterial aus den Beständen des Landschaftlichen Archivs, speziell auf die Akten des Landesausschusses, zurückgegriffen werden. Diese 1861 eingerichtete Landesbehörde konzentrierte sich schwerpunktmäßig auf die Verwaltung des Landesbudgets und hatte in dieser Eigenschaft auch die Kontrollgewalt über die diversen Wohlfahrtseinrichtungen des Landes.63 Dementsprechend war die Gebäranstalt dem Landesausschuss in allen finanziellen, personalbezogenen und sanitären Belangen Rechenschaft schuldig. 1920 wurde diese Behörde vom Amt der Tiroler Landesregierung abgelöst.64 Eine lückenlose Überlieferung war allerdings auch bei den Aktenbeständen der politischen Behörden nicht gegeben. Teilweise ergaben sich sogar massive Diskrepanzen zwischen den in den verschiedenen Repertorien dokumentierten Aktenbeständen und der tatsächlichen Quellendichte. Als ein hervorragendes Mittel zur Kontextualisierung der, teils isoliert erhaltenen, Aktensplitter stellten sich die, seit 1875 publizierten, Jahres- bzw. Rechenschaftsberichte der Landesgebäranstalt – als Teil der Rechenschaftsberichte des Tiroler Landesausschusses – heraus. Die mitunter sehr ausführlichen Berichte geben Einblick in Personalbewegungen, nennenswerte Ereignisse und vorherrschende Gesundheitsverhältnisse in der Anstalt und wurden stets mit einer statistischen Übersicht zur Frequentierung sowie zur finanziellen Gebarung bereichert.65 Zeitgenössische Medienberichte, die eine Rekonstruktion der Eigen- und Fremdbewertung der Anstalt erlauben, waren im Zeitungsarchiv der Bibliothek des Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (TLMF) zu finden. Abgesehen von den vor Ort zugänglichen Archivalien, wurde insbesondere für das politisch äußerst brisante Thema der Findelhausschließung auf Quellenmaterial aus den Beständen des Ministeriums des Inneren zurückgegriffen.66

62 Vgl. Universitätsarchiv Innsbruck (UAI), Med. Hebammen 1829-1880, sowie Med. 1819-1833. 63 Vgl. Beimrohr, Bestände, 113-115. 64 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1869-1918. Vgl. TLA, Amt der Tiroler Landesregierung 1919-1925. 65 Vgl. Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (TLMF), Rechenschaftsberichte des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit 1875-1896. 66 Vgl. Allgemeines Vewaltungsarchiv (AVA), Ministerium des Inneren, insbesondere 1880/1881.

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Medizinisch relevante Informationen finden sich breit verstreut in sämtlichen erwähnten Quellenbeständen. Leider haben sich kaum Berichte über die konkrete geburtshilfliche Tätigkeit in der Anstalt erhalten. Obwohl anzunehmen ist, dass die zuständigen Professoren „Geburtenprotokolle“ führten, in denen der Verlauf der Geburtsvorgänge, auftretende Komplikationen und Eingriffe dokumentiert wurden, konnten entsprechende Quellen nicht gefunden werden.67 Für die Existenz einer solchen Quellengattung spricht jedoch u. a. der 1888 publizierte Bericht über die Thätigkeit der Geburtshilflich-Gynäkologischen Klinik zu Innsbruck.68 Dieser umfangreiche klinische Bericht listet in akribischer Genauigkeit zahlreiche Fallbeispiele auf, in denen ärztliche „Kunsthilfe“ zur Anwendung kam. Politische Dimension gewann das Gebärhaus durch seine wiederholte Instrumentalisierung im schwelenden Konflikt zwischen den deutschen und italienischen Interessen im Land. Die politischen Debatten rund um die geburtshilfliche Einrichtung lassen sich nicht nur aus der Korrespondenz zwischen den einzelnen Instanzen abstrahieren, sondern spiegeln sich offen in den Stenographischen Protokollen des Tiroler Landtages wider.69 Auf normativer Ebene erwiesen sich die Gesetz- und Verordnungsblätter der gefürsteten Grafschaft Tirol und des Landes Vorarlberg (später: Landes-Gesetz- und Verordnungsblatt für Tirol) als wertvolle Quelle.70 Dem Beispiel Schlumbohms folgend, wurde gleichzeitig eine statistische Aufarbeitung des Themas angestrebt. Dafür stand eine regelrechte Fülle an seriellen Quellengattungen zur Verfügung, welche es ermöglichte, die Geschichte des Innsbrucker Gebärhauses quantitativ zu erfassen. Um die Voraussetzungen für eine valide Auswertung zu schaffen, wurde mit Hilfe des Datenbankpro-

67 Vgl. dazu etwa das von Friedrich Benjamin Osiander geführte Hospitals-Tagebuch in Göttingen. Eine ausführliche Beschreibung der Quellengattung findet sich bei: Schlumbohm Jürgen, Der Blick des Arztes, oder: wie Gebärende zu Patientinnen wurden. Das Entbindungshospital der Universität Göttingen um 1800, in: Schlumbohm Jürgen/Duden Barbara/Gélis Jaques/Veit Patrice (Hg.), Rituale der Geburt. Eine Kulturgeschichte, München 1998, 170-191, hier 172-185. 68 Vgl. Torggler Franz, Bericht über die Thätigkeit der Geburtshilflich-Gynäkologischen Klinik zu Innsbruck. Für die Zeit vom 1. October 1881 bis 31. März 1887, Prag 1888. 69 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol 18611914. Vgl. Stenographische Berichte des Tiroler Landtages 1922-1924. 70 Vgl. Gesetz- und Verordnungsblatt für die gefürstete Grafschaft Tirol und das Land Vorarlberg 1887-1918. Vgl. Landes-Gesetz- und Verordnungsblatt für Tirol 19191924.

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gramms MS Access eine eigene Datenbank71 generiert. Insgesamt wurden in dieser Gebärhaus-Datenbank 6.327 individualisierte Datensätze zu Geburtsfällen im Innsbrucker Gebärhaus gesichert. Diese namentliche Aufnahme der Einzelfälle wurde gewählt, um eine Zuordnung von Parallel– bzw. Referenzquellen wie etwa Kirchenmatriken zu ermöglichen. Obwohl die vorgefundene Datendichte über den Gesamtzeitraum hinweg variierte, konnten verschiedenste Informationen durchgängig erhoben und ausgewertet werden. Dazu zählen nicht nur der genaue Geburtstermin, der Zivilstand der Mütter sowie deren Herkunft, sondern auch die Dokumentation etwaiger Sterbefälle – Mütter und/oder Säuglinge betreffend –, welche während des Aufenthaltes im Gebärhaus vorkamen. Eine genauere Identifikation der eintretenden Frauen erfolgte bis 1869 vorwiegend über den Beruf ihres Vaters. Erst ab 1869 rückte die eigene Berufstätigkeit der ledigen Frauen in den Vordergrund. Um die Jahrhundertwende wurden vermehrt auch verheiratete Frauen aufgenommen, deren sozialer Hintergrund über die Berufe ihrer Ehemänner definiert wurde. Neben den individuellen Eintritts- und Austrittsdaten der Frauen und Kinder konnten aus den erhaltenen Quellengattungen auch nachträglich erfolgte Legitimierungen von unehelich geborenen Kindern nachvollzogen werden. Ab 1880 erfolgten auch Eintragungen über das Alter der aufnahmesuchenden Frauen. Für die Früh- und Übergangszeit zwischen 1818 und 1869 wurde vorwiegend serielles Datenmaterial aus dem Innsbrucker Stadtarchiv in die Datenbank aufgenommen. Insbesondere die, im Bestand der Spital[s] Raitungen befindlichen, jährlichen Stadtspitals Oeconomie Rechnungen (1819-1849), gaben Einblicke in die Frequentierung der städtischen Gebärabteilung.72 Ergänzt wurden die Informationen mit Daten aus den Tauf- und Sterbebüchern der zuständigen Dompfarre zu St. Jakob.73 Für diesen ersten Untersuchungszeitraum wurden sämtliche überlieferten Geburtsfälle, die sich im hospitalisierten Umfeld ereigneten, aufgenommen. Auf Grund der stark steigenden Frequenz konnte die lückenlose Aufarbeitung für den Folgezeitraum von 1870 bis 1924 nicht mehr gewährleistet werden. Anhand einzelner Stichjahre, die in Zehnjahresschritten gewählt 71 Für Ergebnisse, welche aus dem Datenbankmaterial gewonnen wurden, wird in der Folge der Quellenverweis „Datenbank G[ebär]H[aus], eigene Berechnungen“ verwendet. 72 StAI, Spital Raitungen, Stadtspital Oeconomie Rechnungen 1819-1849. 73 TLA, Taufbuch XXIV der Dompfarre zu St. Jakob 1820-1861 [Mikrofilm 0974]; Taufbuch XXVII der Dompfarre zu St. Jakob 1861-1875 [Mikrofilm 0975/1]; Sterbebuch der Dompfarre zu St. Jakob XII 1806-1825 [Mikrofilm 0993/3]; Sterbebuch XIII 1826-1849 [Mikrofilm 0993/4, Fortsetzung auf Mikrofilm 0994/1]; Sterbebuch der Dompfarre zu St. Jakob 1850-1874 [Mikrofilm 0994/2].

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wurden – im Wesentlichen die Jahre 1880, 1890, 1900, 1910 und 1924 – wurden generelle Trends im Bereich des Frequentierungsverhaltens aufgezeigt. Als Datenbasis für den zweiten Untersuchungszeitraum fungierten die, seit 1874 geführten, anstaltsinternen Verpflegtenbücher (Aufnahmebücher), welche bis auf eine halbjährige Überlieferungslücke im Jahr 1900 (Jänner-Mai fehlen), vollständig überliefert sind.74 Ergänzt wurden diese Basisdaten wiederum mit den kirchlich, ab 1870 ebenfalls anstaltsintern geführten Tauf- und Sterbematriken. 75

74 TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Verpflegtenbücher 1880, 1890, 1900, 1910 und 1924. 75 TLA, Innsbruck Krankenhauskaplanei, Taufbuch 6 1877-1883 [Mikrofilm 1152/3]; Taufbuch 7 1886-1891 [Mikrofilm 1152/4, Fortsetzung auf Mikrofilm 1153/1]; Taufbuch 9 1896-1901 [Mikrofilm 1154/2]; Taufbuch 13 1909-1910 [Mikrofilm 1156/1]; Taufbuch 19 1922-1924 [Mikrofilm 1158/3]; Innsbruck Krankenhauskaplanei, Totenbuch II 1868-1904 [Mikrofilm 1168/4]; Totenbuch III 1904-1924 [Mikrofilm 1168/5].

II. Ausgangspunkte

1. G EBÄR -

UND F INDELHÄUSER : EIN MERKANTILISTISCHES P ATENTREZEPT ?

Die merkantilistische Bevölkerungspolitik Maria Theresias und Josephs II. verfolgte in Österreich mit diversen Mitteln das deklarierte Ziel, eine „optimale“ Bevölkerungszahl zu erreichen. Diese peuplistischen Ambitionen, die auf eine Vermehrung arbeitstüchtiger Untertanen im gesamten Reichsgebiet und die Aufstellung eines schlagkräftigen Heeres abzielten, spiegeln sich in der rigoros geführten Konskriptionspolitik und der staatlich kontrollierten und zwangsweise induzierten Kolonisationstätigkeit im Osten des Reiches ebenso wider, wie in den diversen medizinischen, sanitären und gesellschaftspolitischen Reformmaßnahmen der Zeit. Eines der Hauptprobleme, das es in diesem Kontext zu lösen galt, war die kontinuierlich steigende Zahl unehelicher Geburten, welcher man in erster Linie mit der Etablierung eines staatlich organisierten Findelwesens zu begegnen versuchte. Die obrigkeitlich gelenkten Maßnahmen in diesem Bereich sind nach Birgit Bolognese-Leuchtenmüller „[...] als eigentlicher Beginn einer systematischen Wohlfahrts- und Fürsorgepolitik durch den Staat anzusehen.“1 Diese war zumindest unter Maria Theresia noch von ambivalentem Charakter und zeichnete sich durch eine recht widersprüchliche Gesetzgebung aus, die noch keine Balance zwischen Humanität und Toleranz sowie Repression und Zwang gefunden hatte. Dies zeigt sich eindrücklich an der Stellung lediger Mütter, die man einerseits mit Hilfsmaßnahmen abzusichern versuchte, andererseits aber, für das von

1

Leuchtenmüller-Bolognese Birgit, Bevölkerungspolitik zwischen Humanität, Realismus und Härte, in: Matis Herbert (Hg.), Von der Glückseligkeit des Staates. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Österreich im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus, Berlin 1981, 177-208, hier 194. Siehe zu Preußen: Frevert, Frauen, 177-209.

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ihnen begangene Delikt der „gemeinen Hurerey“2, bestrafen wollte. Bei Bekanntwerden ihres Unzuchtsdeliktes drohte den Frauen die Verhängung einer Strafe in Form einer Geldbuße oder einer entehrenden Körperstrafe. Zugleich sahen sich ledige Schwangere durch die vom Staat geforderte Anzeigepflicht unehelicher Schwangerschaften oft noch zusätzlich mit dem Verlust ihrer Arbeits- und Dienststelle konfrontiert.3 Andererseits wurde vom Gesetzgeber aber Unterstützung für die ledige Schwangere von Seiten der Eltern, des Kindsvaters und insbesondere von Seiten der politischen Obrigkeiten eingemahnt. In einem Erlass aus dem Jahre 1746 reagierte Maria Theresia beispielsweise auf den Umstand, dass arme hochschwangere Frauen häufig keinen geeigneten Ort finden konnten, um zu entbinden. Die jeweiligen Landgerichte verweigerten vielfach deren Aufnahme, da sie einen finanziellen Nachteil für die Gemeindekassen befürchteten. Maria Theresia ordnete deshalb an, dass die betreffenden Landgerichte im Bedarfsfall die Landesgubernien einzuschalten hätten, welche entsprechende Maßnahmen treffen bzw. finanzielle Hilfe leisten mussten. 1755 wurde schließlich die strittige Frage des Heimatrechts unehelicher Kinder geklärt, indem fortan die Heimat- bzw. Herkunftsgemeinde der ledigen Mutter für die Versorgung des Kindes verantwortlich war.4 Der Grund für die rigorose Überwachung lediger Schwangerschaften war die Sorge des Staates, potenzielle Arbeitskräfte durch Abtreibung, verheimlichte Schwangerschaften, Kindsmord oder indirekten Kindsmord infolge Vernachlässigung zu verlieren. Eine halbherzige Exekution der bestehenden Gesetze und ein damit verbundenes Umsichgreifen solcher Delikte führte in den Augen der Zeitgenossen zu einer Schwächung der Moralität und Sittlichkeit und leistete zudem der Prostitution Vorschub. Diese bedrohte allerdings nicht nur die „Würde des Staates“, sondern stellte zudem ein massives gesundheitliches Gefährdungspotenzial dar. Die öffentlichen Debatten des aufgeklärten Bildungsbürger2

Artikel 81 der Constitutio Criminalis Theresiana (CCT) definiert den Tatbestand „gemeiner Hurerey“ folgendermaßen: „Die gemeine Hurerey wird begangen, da entweder ernstlich: ledige Personen beyderley Geschlechts sich ein- oder andermal mit einander fleischlich vergehen; oder andertens: zwey ledige Personen in stäter unehrlicher Beywohnung leben; oder Drittens: da eine ledige Weibsperson dem unzüchtigen Leben nachhanget, und Jedermann zu Willen stehet.“ Ellrichshausen Egon Conrad, Die uneheliche Mutterschaft im altösterreichischen Polizeirecht des 16. bis 18. Jahrhunderts dargestellt am Tatbestand der Fornication (= Schriften zur Rechtsgeschichte 42), Berlin 1988, 79.

3

Vgl. Hammer Elke, Kindsmord. Seine Geschichte in Innerösterreich 1787-1849,

4

Vgl. Ellrichshausen, Mutterschaft, 118-124.

Frankfurt a. M. 1997, 152 und 218-220.

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tums, um diesen sensiblen gesellschaftspolitischen Konfliktbereich, gipfelten zu Ende des 18. Jahrhunderts in der so genannten Mannheimer Preisfrage (1780). Per öffentlicher Ausschreibung wurde dazu aufgerufen, über mögliche Ursachen des viel diskutierten Kindsmords nachzudenken und geeignete Präventionsmaßnahmen auszuarbeiten. Lösungsvorschläge, wie etwa die Aufhebung der Kirchenbußen und die Abschaffung der Unzuchtsstrafen, fanden schnell Eingang in juridisch und gesellschaftspolitisch einflussreiche Kreise, sodass die diskreditierenden Strafen auch von offiziellen Repräsentanten für wenig effektiv befunden wurden.5 So forderte Joseph von Sonnenfels die Abschaffung von Kirchenbußen, Anzeigepflicht und Schandstrafen für uneheliche Mütter, weil diese Rechtspraxis meist, so Sonnenfels, nur einen Teil der Unzuchtstraftäter, im juridischen Jargon der Zeit als „Fornikanten“ bezeichnet, treffe. Eine Studie zu Oberösterreich zeigt diesbezüglich auch, dass, trotz der Geschlechtsneutralität des betreffenden Gesetzestextes, der keine spezifischen Unterschiede bei der Bestrafung von Männern und Frauen vorsah, männliche Fornikanten tatsächlich wesentlich öfter mit einer Geldbuße abgestraft wurden, während Frauen – wohl auch auf Grund ihrer Mittellosigkeit – mit einer Ersatzstrafe in Form einer Ehrenstrafe rechnen mussten.6 Im Sinne der Aufklärung forderte Joseph von Sonnenfels deshalb eine humanere Behandlung lediger Mütter. Ein Anspruch, dem die Josephinische Gesetzgebung durchaus gerecht zu werden versuchte. Zunächst hob der Kaiser 1783 per Hofdekret den Makel unehelicher Geburt auf, was die Situation illegitimer Kinder verbessern und sie vor Benachteiligung schützen sollte. Im Jahr darauf wurde dieser stigmatisierende Tatbestand auch für die ledige Mutter beseitigt. „Gefallene“ Frauen, so die Diktion des Dekrets aus dem Jahre 1784, waren nun vom Makel der unehelichen Schwangerschaft und Geburt befreit und konnten fortan wieder „ehrenhafte Geschlechtsbeziehungen“ eingehen, ohne die Schande auf den neuen Partner zu übertragen. Das Josephinische Strafgesetzbuch, welches im Jahre 1787 publiziert wurde, setzte mit der Abschaffung des Tatbestands der Unzucht, der jeden Geschlechtsverkehr lediger Partner mit Strafe bedrohte, die vorerst letzte rechtliche Reform zum Schutz lediger Mütter.7 Der Entkriminalisierung lediger Mutterschaft war ein Ideen- und Wertewandel vorausgegangen, der maßgeblich von den intellektuellen Eliten getragen 5

Vgl. Ulbricht Otto, Kindsmord und Aufklärung in Deutschland, München 1990. Vgl. insbesondere Teil 2: Die aufklärerische Debatte um die Verhütung des Kindsmordes, 217-328.

6 7

Vgl. Ellrichshausen, Mutterschaft, 120-121. Vgl. Pawlowsky, Mütter, 370-371. Vgl. auch das Kapitel zu Fornikationsstrafen, Ehekonsens und rechtliche Aspekte der unehelichen Geburt in: Pawlowsky, Mutter, 34-37. Vgl. Hammer, Kindsmord, 35-38.

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wurde. War die ledige Mutter noch im 16. und 17. Jahrhundert als „Sünderin“ und „wollüstige Täterin“ verurteilt worden, so dominierten im Diskurs des aufgeklärten 18. Jahrhunderts zusehends Toleranz, Nachsicht und Mitleid im Umgang mit „gefallenen Frauen“. Der Ehrverlust, den die Frau durch ihre außereheliche Geschlechtsbeziehung, den Verlust ihrer Jungfräulichkeit und die illegitime Schwangerschaft erfuhr, wog schwer und wäre nach Ansicht der Zeitgenossen bereits Bestrafung genug.8 Die heikle Frage nach „Ehre“ bzw. „Ehrverlust“ wird in der Forschungsliteratur allerdings unterschiedlich bewertet. Während Otto Ulbricht den Ehrverlust durch eine uneheliche Geburt als höchst erniedrigend, und als Hauptmotiv in dem von ihm bearbeiteten Quellenbestand ausmachte,9 argumentiert Gerhard Ammerer für den Salzburger Raum, dass es insbesondere für die unterbäuerlichen Schichten, aus denen ledige Mütter typischerweise stammten, kaum „Ehre“ in einem engeren Sinn zu verlieren gab. 10 Elke Hammer widerspricht diesem Interpretationsansatz jedoch vehement und konstatiert für Innerösterreich, dass die „Angst vor gesellschaftlicher Missbilligung“ und öffentlicher Demütigung durchaus existierte. Hammer unterstreicht neben der Furcht vor dem Zorn der Eltern und des Dienstgebers wiederholt die Macht des örtlichen Klerus. Trotz des Verbots von öffentlich erniedrigenden Kirchenbußen im Jahre 1755, das eine Bestrafung nur im Geheimen zuließ, und der 1784 durch Joseph II. erlassenen Weisung, bei der Aussegnung (Vorsegnung) der Wöchnerin keinen Unterschied zwischen verheirateten und ledigen Frauen zu machen, herrschte die diskriminierende Behandlung lediger Mütter vielerorts noch bis weit in das 19. und teilweise bis ins 20. Jahrhundert vor.11 Die Aufhebung der Diskriminierung und Kriminalisierung lediger Mütter auf rechtlicher Ebene wurde schließlich auch zur Voraussetzung für die Implemen8

So urteilte etwa Josef von Sonnenfels im Zusammenhang mit dem Delikt des Kindsmords, dass die Situation der Schwangeren besonders prekär sei, denn „sie hat zwischen sich und dem Kind zu wählen, zwischen Schande, und dem Laster.“ Sonnenfels Josef von, Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft, Teil I, Wien 81819, 215.

9

Vgl. Ulbricht, Kindsmord, 163-173.

10 Vgl. Ammerer Gerhard, „...dem Kinde den Himmel abgestohlen ...“. Zum Problem von Abtreibung, Kindsmord und Kindsweglegung in der Spätaufklärung. Das Beispiel Salzburg, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der Österr. Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 6 (1992), 77-98. 11 Vgl. Hammer, Kindsmord, 220-224. Vgl. Clementi Siglinde, Die Aussegnung der ledigen Wöchnerin. Eine kirchliche Strategie zur Disziplinierung und Verhaltensnormierung, in: Clementi Siglinde/Spada Alessandra (Hg.), Der ledige Un-Wille. Zur Geschichte lediger Frauen in der Neuzeit, Wien/Bozen 1998, 185-204, hier 201.

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tierung eines weiteren Lösungsansatzes im aufgeklärten Diskurs um Kindsmord und Unehelichkeit. So hatten verschiedene Autoren in ihrer Antwort auf die Mannheimer Preisfrage nicht nur rechtliche, sondern auch wohlfahrtsstaatliche Ideen formuliert. Insbesondere die Errichtung von geheimen Entbindungs- und Findelhäusern, die Mutter und Kind vor gesellschaftlichen Repressalien und der viel diskutierten „Schande“ bewahren sollten, erschien den Zeitgenossen zweckmäßig. Durch die strikte Anonymität der Frauen in den Entbindungshäusern und die Möglichkeit der Abgabe des Kindes in ein Findelhaus glaubten sie, Kindsmorde verhindern zu können. Nicht zuletzt, weil das Geburtsgeschehen von einer Hebamme bzw. einem Arzt überwacht wurde. Auch Sonnenfels hatte in seinem Plädoyer für eine humanere Behandlung lediger Mütter die Einrichtung von „Zufluchtsstätten“ für die Schwangeren in Form von Kliniken propagiert, „worinnen solche unglücklichen Personen, ohne Furcht verrathen zu werden“,12 entbinden könnten und ihre Kinder in öffentlichen Waisen- oder Findelhäusern versorgt wussten. In vielen Ländern Europas wurde dieser Lösungsvorschlag zunächst als einzig adäquates Mittel zur Prävention des Kindsmords gehandelt. Doch das Phänomen der Tötung des neugeborenen Säuglings durch die Mutter stellte lediglich die sprichwörtliche „Spitze des Eisbergs“ dar. Als ähnlich virulent wurden die Probleme einer vermeintlich gesteigerten Abtreibungstätigkeit und Weglegungspraxis gesehen. Auch diesem Trend versuchte man mit der Errichtung von staatlich geführten Gebär- und Findelhäusern entgegenzuwirken, doch in erster Linie sind diese vielerorts im ausgehenden 18. Jahrhundert entstehenden Institutionen als die einzige politische Reaktion auf den frappierenden Anstieg unehelicher Geburten in Europa zu verstehen.13 Auch in Österreich versuchten die Zentralbehörden der steigenden Illegitimität und dem bevölkerungspolitischen „Schreckgespenst“ des Kindsmords, mit der Etablierung einschlägiger Häuser zu begegnen. Joseph II. griff die reformerischen Ideen bereitwillig auf und setzte sie in seinem Vorzeigeprojekt, dem Wiener Allgemeinen Krankenhaus (AKH), um. Er hatte damit nicht nur eine moderne Krankenanstalt geschaffen, die durch ihre Abteilungsstrukturierung, gemäß individuellen Krankheitsprofilen, auffiel, sondern eben auch eine Gebär- und 12 Sonnenfels, Grundsätze I, 213-217. Zu den Tiroler Verhältnissen, die eine nur geringe Verurteilungsziffer hinsichtlich des Kindsmords aufwiesen, siehe: Dietrich Elisabeth, Übeltäter, Bösewichter. Kriminalität und Kriminalisierung in Tirol und Vorarlberg im 19. Jahrhundert, Innsbruck/Wien 1995, 46-48. 13 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 30-39. Vgl. Bolognese-Leuchtenmüller, Bevölkerungspolitik, 197-199. Vgl. Ulbricht, Kindsmord, 297-307. Vgl. auch Meumann Markus, Findelkinder, Waisenhäuser, Kindsmord. Unversorgte Kinder in der frühneuzeitlichen Gesellschaft, München 1995, 249-254.

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Findelanstalt in das Gesamtkonzept integriert.14 Als gesellschaftspolitisches Novum ist dabei jedoch allein die Institution des Findelhauses zu sehen. Anstalten, die sich auf die Versorgung vornehmlich bedürftiger Schwangerer, Gebärender und Kindbetterinnen spezialisierten, existierten im österreichischen Reichsgebiet seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts. Das Angebot, welches ledigen Müttern beispielsweise im Wiener Spital zu St. Marx gemacht wurde, hatte jedoch keineswegs Züge eines wohltätigen Mutter-Kind-Heims. Vielmehr war das Gebärhaus seit der Mitte des 18. Jahrhunderts der Ausbildung von Hebammen, Chirurgen und akademischen Ärzten verpflichtet. Obwohl es verschiedene Initiativen gab, soziale Anlaufstationen für arme Schwangere zu schaffen, die einem dezidiert wohltätigen Zweck verpflichtet waren, wurden diese in der Regel von der aussichtslosen finanziellen Realisierbarkeit solcher Projekte konterkariert.15 Um also die Finanzierbarkeit von Gebär- und Findelhäusern gewährleisten zu können, musste daraus ein erkennbarer Nutzen für die Allgemeinheit abgeleitet werden können. Die akademische Ärzteschaft, insbesondere die junge Wissenschaft der Geburtshilfe, erkannte ihre einmalige Chance und meldete Bedarf an geeigneten Ausbildungseinrichtungen an. Die Lehre, insbesondere der praktische Unterricht des medizinischen Nachwuchses, sollte in adäquatem Rahmen abgehalten und dabei auch Raum für die notwendige wissenschaftliche Forschungstätigkeit geschaffen werden. Die Obrigkeiten schlugen so die sprichwörtlichen „zwei Fliegen mit einer Klappe“ und bedienten mit der Einrichtung von Gebärhäusern zweierlei Klientel – schutz- und mittellose ledige Mütter bzw. ihre aufgeklärten Fürsprecher sowie die Akteure einer sich ausformenden geburtshilflichen Wissenschaft. Letztere stellten sich bereitwillig in den Dienst des Staates und versuchten, durch die Monopolisierung des Gesundheitsgeschehens in ihren Händen, die peuplistischen Ziele des Staates umzusetzen. Dabei spielte gerade die Geburtshilfe eine wesentliche Rolle.16 Die enorme bevölkerungspolitische Relevanz dieses elementaren Bereichs der Medizin wurde auch von Maria Theresia bzw. ihrem Berater in Sanitätsfragen, Gerard van Swieten, erkannt. Die populationistischen Ideale der Aufklärung fassten Fuß, die Professionalisierung der akademischen Geburtshilfe wurde forciert und das junge Fach reüssierte darin, seine Machtposition als Kontrollorgan über das Gesundheits- und Krank14 Vgl. Neuburger Max, Joseph II. und die Medizin. Eine historische Skizze, Wien 1935 [Sonderabdruck aus: Wiener Medizinische Wochenschrift 20 (1935)], 1-8. Tragl Karl Heinz, Chronik der Wiener Krankenanstalten, Wien/Köln/Weimar 2007, 33-35 und 51-52. 15 Vgl. Ulbricht, Kindsmord, 299-300. 16 Siehe dazu die grundlegenden Arbeiten der feministischen Sozialgeschichte, u.a.: Frevert, Frauen, 177-209. Metz-Becker, Körper, 25-97.

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heitsverhalten bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett massiv auszubauen. Man erkannte, dass nicht nur Kindsmord und Abtreibung die Erhaltung des Bevölkerungsstandes gefährdeten, sondern – und wohl in einem ungleich höheren Maße –, auch die massiven Verluste durch Säuglings- und Kindersterblichkeit sowie die Mortalität von Frauen im Kindbett durch schlecht ausgebildetes Sanitätspersonal. Die Reglementierung und Professionalisierung des niederen Sanitätspersonals war mit der Hoffnung verbunden, eine signifikante Senkung der Sterblichkeit zu erreichen. Insbesondere in der traditionellen Ausbildung und Position der Hebammen sahen die auf Normierung und Hierarchisierung bedachten Bevölkerungspolitiker und Mediziner grundlegenden Reformbedarf.17 So initiierte Gerard van Swieten bereits 1748 die Etablierung von geburtshilflichen Kursen für Hebammen und Chirurgen. In der Hauptstadt Wien wurde zunächst der Besuch von theoretischen Vorlesungen beim kaiserlichen Leibchirurgen, Joseph Molinari, verpflichtend. Mit dem Jahre 1754 wurde schließlich die traditionelle Ausbildung bei erfahrenen Hebammen gänzlich verboten18 und durch eine praktische Ausbildungszeit im Wiener Spital zu St. Marx ersetzt.19 Legitimiert wurden diese obrigkeitlichen Eingriffe in ein etabliertes, weiblich dominiertes Metier mit der Sorge um den Fortbestand und die Gesundheit der Bevölkerung. So habe „[d]ie Unerfahrenheit der Hebamme [...] dem Staate schon so oft und vielmal den Verlust mancher Mitbürger gekostet,“20 wie der einleitende Paragraph der Hebammenordnung im Rahmen des 1770 publizierten Sanitätshauptnormatives für die k. k. Erbländer zu bedenken gab. Die stark innovative aber auch restriktive Sanitätspolitik Maria Theresias fand ihre Fortsetzung in der Regierungszeit Josephs II, der, wie seine Mutter, insbesondere die Entwicklung der akademischen Geburtshilfe förderte. Zu seinen Protegés gehörte auch der prominente Johann Lucas Boër, Begründer der Wiener Geburtshilflichen Schule, von welchem er verlangte, „daß er sich der Geburtshilfe weihe und diesem Fache jenen Fleiß und jene Obsorge zuwende,

17 Vgl. Lesky Erna, Gerard van Swieten. Auftrag und Erfüllung, in: Lesky Erna/Wandruszka Adam (Hg.), Gerard van Swieten und seine Zeit, Wien/Köln/Graz 1973, 11-62, hier 20. Vgl. auch Seidel, Kultur, 101-103. 18 Vgl. Horn Sonia, Wiener Hebammen 1643-1753, in: Studien zur Wiener Geschichte. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 59 (2003), 35-102, hier 52-66 und 82-86. 19 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 39-41. 20 Sanitätshauptnormativ für die k.k. Erblande vom 2. Jänner 1770, in: Macher Mathias, Handbuch der kaiserl.königl. Sanitäts-Geseze und Verordnungen mit besonderer Beziehung auf die innerösterreichischen Provinzen, Graz/Laibach/Klagenfurt 1846, 126.

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die es wegen seiner Wichtigkeit verdient.“21 Die Einrichtung des Wiener Gebärund Findelhauses, welches soziale wie medizinische, aber allen voran die statusbezogenen Ansprüche einer zunehmend professionalisierten Geburtshilfe und ihrer männlichen Akteure befriedigte, ist als Höhepunkt der aufklärerischen Ambitionen in diesem Bereich zu sehen. Während die österreichische Medizingeschichte der 1960er Jahre in der Person Erna Leskys noch den „philanthropisch-sanitären Elan“ Josephs II. würdigte und den durch seine Fördertätigkeit erreichten „Fortschritt“ im geburtshilflichen Fach hervorhob,22 kritisierten feministisch und medizinkritisch assoziierte WissenschafterInnen zunehmend die sichtbaren Zeugnisse des Professionalisierungsprozesses der Geburtshilfe. Insbesondere die stets gepriesene Dualität der Institution des Gebär- und Findelhauses wurde kritisch hinterfragt und so ortet Birgit Bolognese-Leuchtenmüller für die österreichischen Anstalten eine massive „Diskrepanz zwischen ideeller Konzeption und praktischer Durchführung“ der aufklärerischen Ideen. Sie verweist unter anderem auf die Defizite der Findelfürsorge, die in der auffallend hohen Sterblichkeit der Säuglinge23 sichtbar wurde sowie auf die erniedrigenden Praktiken, welchen sich die Mütter im Gebärhaus aussetzen mussten: Den „Versuchskaninchen“ gleich, wären die Frauen der Forschung und Lehre der Ärzte in den Gebärhäusern hilf- und schutzlos ausgeliefert gewesen. Der Umgang mit den Frauen sei besonders in der Prager Anstalt als abschreckend empfunden worden, was Bolognese-Leuchtenmüller zu der radikalen These verleitet, „die Behandlungsmethoden aller Gebäranstalten [seien] berüchtigt“ gewesen.24 Diese Verallgemeinerung, die sich ohne ein empirisch ausgearbeitetes Fundament präsentiert, kann allerdings nicht standhalten und wird den unterschiedlichen Ausprägungen und Entwicklungslinien des Phänomens Gebärhaus im österreichischen Kontext nur unzureichend gerecht.

21 Neuburger, Joseph II., 25. 22 Vgl. Lesky Erna, Die Wiener Medizinische Schule im 19. Jahrhundert, Graz/Köln 1965, 71. 23 Verena Pawlowsky konnte für das Wiener Findelhaus zeigen, dass im Zeitraum von 1784 bis 1907 68 Prozent aller in die Findelpflege aufgenommenen Kinder noch vor dem eigentlichen Ende der Pflegezeit verstarben. In besonders krasser Ausprägung zeigte sich diese Phänomen in den Anfangsjahren bis 1812, wo noch eine erschreckende Zahl von 95 Prozent aller Kinder vor Ende der Pflegezeit starb. Vgl. dazu das entsprechende Kapitel Überlebenschancen und Todesrisken bei Pawlowsky, Mutter, 199-251. 24 Vgl. Leuchtenmüller-Bolognese, Bevölkerungspolitik, 198-199.

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2. G EBÄRHAUSGRÜNDUNGEN IM ÖSTERREICHISCHEN R EICHSGEBIET Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts verfügten beinahe alle Provinzen des Habsburgerreiches über eine oder mehrere Gebär- und Findelanstalten, die ab 1819 größtenteils als „Provinzial-Staatsanstalten“ geführt wurden. Die damit eingeleitete Vereinheitlichung der Verwaltung bedeutete jedoch nicht zwangsläufig eine uniforme Weiterentwicklung dieser Anstalten. Regionale Gegebenheiten und vorherrschende soziale Bedingungen beeinflussten nicht nur die jeweilige Wahl des Anstaltsstandortes innerhalb der Kronländer, sondern machten auch eine Anpassung der Statuten der einzelnen Anstalten nötig. So sehr sich die Anstalten auch hinsichtlich ihrer Größe, Kapazität und zeitlichen Entwicklung unterschieden, lassen sich doch eine Reihe von Gemeinsamkeiten in der Entwicklungsgeschichte der einzelnen Gebärhäuser feststellen. Wenig überraschend nahm die Stadt Wien in diesem Entwicklungsprozess bereits im 18. Jahrhundert eine Vorreiterrolle ein. Die Verpflichtung zur Absolvierung einer kontrollierten, durch akademische Ärzte geleiteten und überwachten, praktischen Ausbildung von Hebammen und Chirurgen machte erstmals die Einrichtung eines Gebärhauses notwendig. Das zu diesem Zweck ausgewählte städtische Spital zu St. Marx verfügte schon seit Beginn des 18. Jahrhunderts über eine eigene Gebärabteilung, die zunächst aus wohltätigen Motiven gegründet worden war. Die Mitbelegung der Abteilung durch syphilitische Frauen und die erniedrigende Praxis der öffentlichen Zurschaustellung der Patientinnen – so gewährte man nämlich jedermann freien Eintritt in die Räumlichkeiten –, lassen die von der Stadt postulierte wohltätig sanitäre Ausrichtung der Anstalt in einem anderen Licht erscheinen. Der augenscheinlich disziplinierende Charakter der Anstalt trat ab der Mitte des 18. Jahrhunderts jedoch deutlich in den Hintergrund und wurde von einem klinischen Zweck überlagert. Obwohl jährlich etwa 500 Frauen in der Gebäranstalt entbanden, bemängelten die Lehrenden die ungenügende Zahl geburtshilflich relevanter Fälle. Sie führten den Mangel an „Unterrichtsmaterial“ auf die elenden Verhältnisse im Haus zurück,25 denn nicht ohne Grund hatte Johann Lucas Boër rückblickend im Jahre 1791 geurteilt, „daß nur solche, denen äußerste Noth bereits alles erträglich gemacht hatte, sich dahin versteckten“.26 Auch die 1764 auf Geheiß Maria Theresias eingerichtete Gebäranstalt in Graz fand zunächst in den Räumlichkeiten einer städtischen Institution – dem

25 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 39-41. 26 Boër Johann Lucas, Abhandlungen und Versuche geburtshülflichen Inhalts, Bd.1, Teil 1, Wien 1791-1807, 31.

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Armenhaus am Gries – seinen Platz.27 Dieses Anfangsstadium durchlief auch die Kärntner Entbindungsanstalt, welche im Jahre 1771 im Zuge der Etablierung einer Hebammenlehranstalt im Klagenfurter Bürgerspital eingerichtet wurde.28 Eine zweite Phase in der Entwicklung der österreichischen Gebärhäuser wurde 1784, nach nur zweijährigen Adaptierungsarbeiten am Großarmenhaus in der Alsergasse, mit der Eröffnung des Wiener AKHs eingeläutet. Diese Einrichtung hatte Vorbildwirkung, denn noch im selben Jahr wurden auch in den Städten Brünn und Klagenfurt Allgemeine Krankenhäuser eröffnet, die wie Wien über eine integrierte Gebäranstalt verfügten. 1789 folgte auch Graz diesem Beispiel und ein Allgemeines Krankenhaus mit angeschlossenem Gebär- und Findelhaus wurde gegründet.29 Das Jahr 1789 ist auch als Gründungsjahr der Gebäranstalt im oberösterreichischen Linz überliefert. Ob diese Anstalt jedoch eine Vorgängerinstitution hatte, bzw. 1789 im Rahmen eines Allgemeinen Krankenhauses eingerichtet wurde, kann den überlieferten Unterlagen leider nicht entnommen werden. Obwohl die gefürstete Grafschaft Tirol bereits seit 1765 einen eigenen Hebammenkurs in Innsbruck anbot und auch das Erzstift Salzburg 1792 einen solchen einführte, fehlten in beiden Territorien stationäre Gebäranstalten. Salzburg musste sogar mehr als ein Jahrhundert mit einer Poliklinik (Ambulatorium) sein Auskommen finden, denn das erste staatlich finanzierte Gebärhaus der Region wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts, im Jahre 1899, im Salzburger St.-Johann-Spital eingerichtet.30 Auch in Tirol wurde zunächst, in Verbindung mit dem medizinisch-chirurgischen Lyzeum, nur eine Poliklinik in der Landeshauptstadt Innsbruck eingerichtet und erst 1833 eine Gebär- Findel- und Hebammenlehranstalt in Alle Laste bei Trient eröffnet, welche jedoch 1869 im Zuge der Wiedereinrichtung der medizinischen Fakultät geschlossen und nach Innsbruck transferiert wurde. Dort hatte die Landesgebär- und Findelanstalt knapp

27 Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 16-18. 28 Vgl. Frick Karl R.H., Geschichte der Krankenhäuser Kärntens, Klagenfurt 1990, 22. Friedrich Schauta, k.k. Professor und Vorstand der Ersten geburtshilflichgynäkologischen Klinik in Wien, nennt in seiner Übersicht über die österreichischen Gebäranstalten in den Jahren 1848-1898 das Jahr 1750 als Gründungsjahr für die Gebäranstalt in Kärnten. Vgl. Schauta Friedrich, Die österreichischen Gebäranstalten in den Jahren 1848 bis 1898, in: Oesterreichs Wohlfahrts-Einrichtungen 1848-1898. Festschrift zu Ehren des 50jährigen Regierungs-Jubiläums Seiner k.u.k. Apostolischen Majestät des Kaisers Franz Joseph I., Bd. 3: Gesundheitspflege, Wien 1900, 263-283, hier 265. 29 Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 19-22. 30 Vgl. Barth-Scalmani, Reform, 376-383. Barth-Scalmani, Hebammen, 14-16.

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ein Jahrzehnt Bestand und wurde, nachdem die Findelanstalt 1881 aufgelöst wurde, als Gebärklinik bis 1924 weitergeführt.

3. G RÜNDUNGSVORAUSSETZUNGEN

IN

T IROL

Tirol bildet in der geburtshilflichen Landschaft Österreichs insofern eine Ausnahme bzw. einen Sonderfall, als es einerseits durch diverse Maßnahmen innovativ erscheint und relativ konform mit den in Wien erprobten sanitätspolitischen Modellen van Swietens ging, andererseits aber deutliche zeitliche Abweichungen in der Umsetzung staatlich formulierter Ziele aufwies. Die zeitliche Dimension spielte allerdings nicht nur bei der Implementierung von Gesetzen eine Rolle, sondern charakterisierte auch – in Form einer auffälligen Verzögerung – die sozialen und demographischen Entwicklungen der Tiroler Bevölkerung. Graph. 1: Frequentierung der Innsbrucker Gebäranstalt (1822-1924)

1800 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0 1820 1830 1840 1850 1860 1870 1880 1890 1900 1910 1920 Anzahl der Gebärenden

Quelle: StAI, Spital Raitungen, Rechnungen Gebärabteilung. TLA, Tauf- und Sterbebücher der Dompfarre zu St. Jakob (1820-1869). TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Verpflegtentagebücher 1880-1924. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Rechenschafts- und Tätigkeitsberichte 18971899, 1911-1923. TLMF, Rechenschafts- und Tätigkeitsberichte 1875-1896.

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Das folgende Kapitel widmet sich dem „Sonderfall Tirol“ und versucht sich der vorgefundenen Ausgangssituation anzunähern, um mögliche Ursachen für die im nationalen Vergleich spät erfolgte Gründung einer k. k. Provinzialgebär- und Findelanstalt in Tirol (1833) zu eruieren. Dabei muss, dies sei vorweggenommen, einer monokausalen Erklärung von vornherein eine klare Absage erteilt werden. Vielmehr wird eine Zusammenschau sozialer, demographischer und professionalisierungs-geschichtlicher Erklärungsversuche anvisiert. In diesem Sinne werden zunächst die gesellschaftspolitisch relevanten Dimensionen des demographischen Phänomens „Illegitimität“ auf ihre Relevanz als sinnstiftende bzw. legitimierende Gründe im Tiroler Gebärhaus-Diskurs analysiert. In einem zweiten Schritt werden die bildungspolitischen Entwicklungen im Bereich der geburtshilflichen Ausbildung von Hebammen und männlichen Geburtshelfern beleuchtet, um schließlich in Zusammenschau mit erkennbaren zeitgenössischen Bestrebungen im sozial-karitativen Bereich mögliche Gründungsvoraussetzungen in Beziehung setzen und gewichten zu können. 3.1 Bevölkerungsentwicklung und Illegitimität in Tirol Unehelichkeit oder Illegitimität31 – in anderen Worten, die Zahl jener Geburten respektive Geborenen, die nicht einer ehelichen und somit von den weltlichen und geistlichen Autoritäten als legitim erachteten Verbindung entstammten –, stellte in der demographischen Situation Tirols zweifelsfrei eher ein Randphänomen dar. Die kirchlichen Visitatoren der Diözese Brixen stellten der Tiroler Bevölkerung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein tadelloses „Sittenzeugnis“ aus.32 Die Wiener Enquete-Kommission, die zwischen 1828 und 1830 über die sittliche Lebensführung der Bevölkerung und die steigende Illegitimität 31 Die vorliegende Studie orientiert sich an den Ergebnissen der historisch-anthropologischen Familienforschung, welche sich intensiv seit der Mitte der 1960er Jahre der Illegitimitätsforschung zuwandte. An grundlegenden Arbeiten für Österreich sind in erster Linie die wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Studien Michael Mitterauers zu berücksichtigen: Vgl. Mitterauer Michael, Familienformen und Illegitimität in ländlichen Gebieten Österreichs, in: Archiv für Sozialgeschichte 19 (1979), 123-187. Mitterauer Michael, Ledige Mütter. Zur Geschichte illegitimer Geburten in Europa, München 1983. Mitterauer Michael, Illegitimität in Europa. Historische Bedingungen in Familienverfassung, Wertsystem und Arbeitsorganisation, in: Müller Ernst Wilhelm (Hg.), Geschlechtsreife und Legitimation zur Zeugung, Freiburg/München 1985, 551-682. 32 Vgl. Mantl Elisabeth, Heirat als Privileg. Obrigkeitliche Heiratsbeschränkungen in Tirol und Vorarlberg 1820-1920, Wien/München 1997, 211.

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beriet und 1834 die so genannten Maßregeln zur Beförderung der Sittlichkeit unter dem Volke publizierte,33 fand in Tirol ein Milieu vor, in welchem die restriktive Kontrolle des Sexualverhaltens gesellschaftlich tief verankert war. Die Gemeindevorsteher mussten sich kaum um eine Eindämmung der „Unsittlichkeit“ bemühen. Das nächtliche „Schwärmen“ der Jugendlichen war ohnehin einer strengen gruppeninternen Kontrolle unterworfen und auch die getrennten Schlafkammern für männliches und weibliches Gesinde hatten sich in Tirol, auch ohne autoritären Erlass, bereits durchgesetzt. Lediglich die Koedukation in Schulen bereitete der Geistlichkeit noch einiges Kopfzerbrechen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts konnten nach zeitgenössischer Einschätzung ebenso keinerlei Anzeichen „sittlicher Degeneration“ registriert werden.34 Die gefürstete Grafschaft Tirol zeigte „unter den österreichischen Alpenländern ein verhältnismässig günstiges Verhältniss hinsichtlich der unehelichen Kinder“35, wie etwa Vincent Goehlert in seiner Studie zur Bevölkerungsentwicklung Tirols aus dem Jahre 1880 urteilte. Das Land stehe „in Bezug auf die unehelichen Geburten in einem ganz ausserordentlich günstigen Lichte da,“36 lieferte J. Platter in seiner 1876 publizierten Untersuchung zum Heirats- und Reproduktionsverhalten der Tiroler Bevölkerung eine noch pointiertere Beschreibung der Situation. Vergleicht man tatsächlich das statistische Datenmaterial der österreichischen Länder, so wird die „Sonderstellung Tirols und Vorarlbergs“37 sofort deutlich, wobei das flächenmäßig größere Tirol die niedrigsten Werte aufweist. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, verstärkt noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, stiegen in den europäischen Ländern die Illegitimi33 Vgl. Saurer Edith, Geschlechterbeziehungen, Ehe und Illegitimität in der Habsburgermonarchie. Venetien, Niederösterreich und Böhmen im frühen 19. Jahrhundert, in: Ehmer Josef/Hareven Tamara K./Wall Richard (Hg.), Historische Familienforschung. Ergebnisse und Kontroversen. Michael Mitterauer zum 60. Geburtstag, Frankfurt a.M./New York 1997, 123-156, hier 125-128. 34 Vgl. Platter J., Trauungen und Geburten in Tirol und Vorarlberg in den Jahren 17511874, in: Statistische Monatsschrift 2 (1876), 197-217, hier 210-211. Der zeitgenössischen Einschätzung Platters zufolge stehe „nach den Versicherungen der geistlichen Presse, das ganze Landvolk auf Seite der Kirche, war niemals in so vielfacher unmittelbarer Berührung mit der Geistlichkeit, und besass niemals eine solche Menge geistlicher Lenker wie heutzutage.“ 35 Goehlert Vincent, Die Entwicklung der Bevölkerung von Tirol und Vorarlberg, in: Statistische Monatsschrift 6 (1880), 52-64, hier 58. 36 Platter, Trauungen, 210. 37 Mantl Elisabeth, Heiratsverhalten und Fruchtbarkeit in der ländlichen Bevölkerung Tirols (18. bis 20. Jahrhundert) [Diplomarbeit], Innsbruck 1990, 40.

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tätszahlen merklich an. Ausgehend von Westeuropa breitete sich das Phänomen über den ganzen Kontinent aus. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich der ostalpine Raum bereits als klarer Spitzenreiter im europäischen Feld positioniert. Kärnten, Teile der Steiermark und Niederösterreichs wiesen dabei mit einem Anteil von 30 bis 60 Prozent unehelicher Geburten mit Abstand die höchsten Werte auf. Die weitaus höchsten Werte wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bzw. um die Jahrhundertwende im Gebiet St. Veit an der Glan sowie im benachbarten Gurk- und Metnitztal erzielt. In einigen Pfarren wurden bis zu 80 Prozent uneheliche Geburten registriert, was auf eine allgemein „kirchenferne Haltung der bäuerlichen Bevölkerung“ zurückgeführt wird. Die schlechte seelsorgerische Situation und die wenig fruchtende Gegenreformation hatten in den abgeschiedenen Gebirgsdörfern der Diözese Gurk zum Fortbestand des Kryptoprotestantismus geführt. Die Zahl der Konkubinate, also jener eheähnlichen Partnerschaften, die, ohne jemals das kirchliche Sakrament der Ehe erhalten zu haben, existierten und Nachkommen hervorbrachten, war entsprechend groß.38 Um dieses erklärte Zentrum extrem hoher Unehelichkeit herum gruppierten sich Zonen mit einer Quote von 20 bis 30 Prozent, in welche neben Teilen Salzburgs und Oberösterreichs auch der Tiroler Bezirk Kitzbühel fiel. Abgeschwächte Werte zwischen 10 und 20 Prozent wiesen die Gebiete Krain, Böhmen, Mähren, aber auch der Tiroler Bezirk Kufstein auf.39 Während eine statistische Hochphase in den österreichischen Ländern in den späten 1850er und 1860er Jahren beobachtet wurde, war Tirol vom allgemeinen Anstieg der Illegitimität hingegen nur marginal betroffen. Lediglich die östlichsten Ränder des Landes, die bereits angeführten Regionen um Kufstein und Kitzbühel, zeigten bereits charakteristische Ausprägungen des ostalpinen Illegitimitätsmusters. Die übrigen Teile Tirols wiesen zu diesem Zeitpunkt unterdurchschnittliche Werte bei der Zahl der unehelich Geborenen auf.

38 Vgl. Mitterauer, Mütter, 23-36. Mitterauer prägte in seiner Studie zu ledigen Müttern für die Situation in Kärnten den Begriff des „Jamaikas Europas“. Zur substanziellen Prüfung dieses Vergleichs, siehe: Ortmayr Norbert, Illegitimität und Niedriglohnökonomie im 19. und 20. Jahrhundert: die österreichischen Alpenländer und Jamaika im Vergleich, in: Zeitgeschichte 7-8 (1994), 213-229. 39 Vgl. an älterer, zeitgenössischer Literatur: Schimmer Gustav Adolf, Die unehelich Geborenen in Oesterreich, in: Statistische Monatsschrift 2 (1976), 149-174, hier 155157. Aufarbeitung durch die moderne Familiengeschichte findet das Thema u.a. bei Mitterauer, Mütter, 23-30. Mitterauer, Familienformen, 123-131.

A USGANGSPUNKTE

| 51

Tab. 1: Entwicklung der Unehelichkeitsquote in den österreichischen Alpenländern (1831-1915) Land

1831-35

1836-40

1841-45

1846-50

1851-55

1856-60

Ö.u.d.E.

21,5

23,3

25,3

26,8

27,2

28,7

Ö.o.d.E.

17,7

17,7

17,6

18,3

20,5

21,9

Salzburg

19,7

21,8

22,7

22,3

24,8

28,5

Steiermark

22,2

23,4

24,6

24,3

26

27,2

Kärnten

31,8

33,6

35,7

35,5

36,1

40

Wien

Tirol

4,9

4,5

4

4,2

4,6

5

Vorarlberg

7,4

7,7

5,5

6

8,5

10,7

Summe

18,7

19,7

20,8

21,5

22,5

24,3

1861-65

1866-70

1871-75

1900

1911-15

Land Wien

28

Ö.u.d.E.

29,3

30,6

24,9

24

15,2

Ö.o.d.E.

20,9

20,8

18

18,1

19,8

Salzburg

29,4

30,2

28,8

25,3

25,9

Steiermark

29,4

20

26,5

23,8

29,6

Kärnten

43,5

45,8

45,8

41,1

36,9

Tirol

5,7

6

4,5

7,2

17,4

Vorarlberg

7,7

8,4

6,9

5,7

6,7

Summe

25,2

26,1

22,4

21,7

23,5

Quelle: Haslinger Alois, Uneheliche Geburten in Österreich. Historische und regionale Muster, in: Demographische Informationen (1982), 2-34, hier 21. Schimmer Gustav Adolf, Die unehelich Geborenen in Österreich 1831-1874, in: Statistische Monatsschrift 2 (1876) 149-174, hier 153; zitiert nach: Mantl Elisabeth, Heiratsverhalten und Fruchtbarkeit in der ländlichen Bevölkerung Tirols (18. bis 20. Jahrhundert) [Diplomarbeit], Innsbruck 1990, 41.

Je weiter westlich man sich begab, umso niedriger wurden die Werte. Der Bezirk Innsbruck Land ist dabei noch als eine Übergangszone zwischen relativ hoher Illegitimität im Osten und einer geringen Ausprägung des Phänomens im Westen zu sehen. Um 1890 lagen die unehelichen Geburten in diesem Bezirk bei knapp

52 | I NSTITUTIONALISIERTE G EBURT

14 Prozent und somit weit über den für die Bezirke Imst (7,6 Prozent), Landeck (5,9 Prozent) und Reutte (6,5 Prozent) errechneten Maßzahlen von deutlich unter zehn Prozent.40 Diese Tendenz einer verzögerten demographischen Entwicklung manifestierte sich auch in Hinblick auf das allgemeine Bevölkerungswachstum. So lassen sich nicht nur außerordentlich geringe Illegitimitätswerte erkennen, auch das Wachstum der Tiroler Bevölkerung hinkte im Vergleich zu anderen Gebieten der Monarchie deutlich hinterher. Als Hauptursachen hierfür werden einerseits die verzögerte Industrialisierung und Urbanisierung des Landes, andererseits die Kontinuität traditionell agrarischer Arbeits- und Lebensformen genannt. Dabei spielte die spezifische Ausprägung des alpinen Typs des „European Marriage Pattern“,41 welcher durch ein extremes Auseinanderklaffen von biologischer Geschlechtsreife und gesellschaftlich akzeptierter sexueller Aktivität charakterisiert war, eine wesentliche Rolle. Ein kontinuierliches Wachstum der Tiroler Bevölkerung konnte auf Grund des hohen Heiratsalters bei gleichzeitig niedriger Heiratsfrequenz nicht gewährleistet werden. Während nämlich indus40 Vgl. Mantl, Heiratsverhalten, 42. 41 Der Begriff des „European Marriage Pattern“ bezeichnet die in Nord-, Mittel und Westeuropa vorherrschenden Heiratsmuster und Haushaltsbildungssysteme, die, basierend auf einer späten Heirat, hohe Ledigenanteile aufweisen. In Anlehnung an dieses System wurde zunächst eine Grenze zwischen West- und Osteuropa gezogen, die so genannten Hajnal-Linie, die sich von St. Petersburg im Norden bis nach Triest im Süden erstreckte und die unterschiedlichen Heiratssysteme voneinander trennte. Vgl. dazu den bahnbrechenden Beitrag von: Hajnal John, European Marriage Pattern in Perspective, in: Glass David V./Eversley David E.C. (Hg.), Population in History. Essays in Historical Demography, London 1965, 101-143. Mittlerweile geht die Forschung weniger von einer dichotomen Ost-West-Abgrenzung aus, sondern spricht nach E.A. Wrigley von einem „Repertoire adaptierbarer Systeme“. Vgl. dazu Ehmer Josef, Heiratsverhalten, Sozialstruktur, ökonomischer Wandel: England und Mitteleuropa in der Formationsperiode des Kapitalismus, Göttingen 1991, 15-21. Ein neuerliches Plädoyer für eine differenzierte Sichtweise auf die europäischen Heiratsmuster, findet sich bei: Cerman Markus, Mitteleuropa und die ‚europäischen Muster’. Heiratsverhalten und Familienstruktur in Mitteleuropa, 16.-19. Jahrhundert, in: Ehmer Joseph/Hareven Tamara K./Wall Richard (Hg.), Historische Familienforschung. Ergebnisse und Kontroversen. Michael Mitterauer zum 60. Geburtstag, Frankfurt a.M./New York 1997, 327-346. Sowie bei: Szoltysek Mikolaj, Central European household and family systems, and the ’Hajnal-Mitterauer’ line: The parish of Bujakow (18th-19th centuries), in: The History of the Family 12 (2007), 19-42.

A USGANGSPUNKTE

| 53

triell geprägte Gebiete wie etwa Niederösterreich, Wien oder Vorarlberg nach kurzfristigen Einbrüchen während der Napoleonischen Kriege, bis um die Jahrhundertmitte eine Bevölkerungszunahme zwischen 39 und 45 Prozent aufwiesen, zeigte Tirol lediglich Zuwachsraten von 26 Prozent.42 Trotz einer vergleichsweise hohen ehelichen Fertilität lagen die Geburtenzahlen in allen Volkszählungsjahren deutlich unter dem Durchschnitt der Monarchie. Eine Kompensation dieser Werte durch hohe Illegitimitätsraten konnte im Gegensatz zu anderen alpinen Regionen während des gesamten 19. Jahrhunderts nicht erzielt werden.43 Erst gegen Ende des Jahrhunderts erfolgte ein erster wahrnehmbarer Anstieg der Illegitimitätsrate und zeigt dabei einen deutlichen Zusammenhang mit der allgemeinen Geburtenrate. Seit den 1890er Jahren bis zum Jahre 1913 kam es auf Grund der gestiegenen Heiratsrate zu einem Anwachsen der ehelichen Geburten um 18 Prozent. Gleichzeitig schnellte auch die Zahl der unehelich Geborenen in die Höhe und nahm um ganze 58 Prozent zu. Die Vermehrung ehelicher Nachkommenschaft muss in erster Linie den gelockerten Heiratsbeschränkungen zugeschrieben werden. Auf Grund der restriktiven Ehegesetzgebung waren zwischen 1820 und 1880 vor allem in Nord- und Südtirol heiratswillige Paare einer strengen sozialen Kontrolle unterworfen, die es insbesondere Angehörigen der nicht besitzenden Unterschichten praktisch unmöglich machte, ihre Beziehungen zu legitimieren. Ursprünglich als Mittel der kommunalen Armutsbekämpfung gedacht, avancierte der politische Ehekonsens in Tirol bald zum erklärten Machtmittel im Kampf um die Erhaltung sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Hierarchisierung. Dieses traditionelle System der Ordnung war so tief in der Tiroler Gesellschaft verwurzelt, dass es kaum Widerstand gegen das engmaschige Netz sozialer Kontrolle gab. Die Akzeptanz der obrigkeitlichen Heiratspolitik in breiten Teilen der Tiroler Bevölke42 Vgl. Dietrich Elisabeth, Die Bevölkerungsentwicklung Tirols im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert, in: Chronik der Tiroler Wirtschaft. Mit Sonderteil Südtirol, Wien 1993/1994, 125-139, hier 125-127. Vgl. Bruckmüller Ernst, Sozialgeschichte Österreichs, Wien/München ²2001, 200-201. 43 Peter Teibenbacher kontrastiert die Entwicklungen Tirol/Vorarlbergs mit jenen in der Region Steiermark und spricht von einer merklich höheren ehelichen Fertilität der Tiroler Bevölkerung, welche pro Heirat um ein Kind mehr zeugten als ihre steiermärkischen Pendants (Tirol/Vorarlberg: 4,5-4 Kinder/Heirat; Steiermark: 3,5-3 Kinder/Heirat). Vgl. Teibenbacher Peter, Die Bevölkerungsbewegung in Österreich im 19. Jahrhundert: Tirol/Vorarlberg und die Steiermark im Vergleich, in: Alexander Helmut/Dietrich-Daum Elisabeth/Meixner Wolfgang (Hg.), Menschen – Regionen – Unternehmen: Festschrift für Franz Mathis zum 60. Geburtstag, Innsbruck 2006, 251271, hier 253 und 256-257.

54 | I NSTITUTIONALISIERTE G EBURT

rung lässt sich einerseits an den wenigen Rekursverfahren ablesen, die bei negativem Konsensbescheid von den betroffenen Paaren angestrengt wurden, andererseits aber auch an der geringen Zahl unehelicher Geburten. Die Gründung einer Familie ohne Legitimation durch Kirche und Gemeinde und damit die offene Auflehnung gegen bestehende Normen schien in Tirol keine attraktive Alternative dargestellt zu haben.44 Tab. 2: Unehelichkeitsquote Tirols nach politischen Bezirken (1811/12-1910) Bezirk

1811/12

1881

1890

1900

1910

Innsbruck

16

14,5

15,3

12,6

37,9

Imst

2

6,9

7,6

6,4

5,7

Innsbruck Land

8,8

9,2

13,9

27,8

9,8

Kitzbühel

22,4

22

24,3

22,8

-

Kufstein

10,4

13,5

15,1

13,7

14,8

Landeck

2,2

9,3

5,9

5,6

4,2

Reutte

-

10,7

6,5

8,3

7,3

Schwaz

7

8,6

8,2

11,1

12,2

Summe

4,9

11,5

12,4

17,8

18,2

Quelle: Mantl Elisabeth, Heiratsverhalten und Fruchtbarkeit in der ländlichen Bevölkerung Tirols (18. bis 20. Jahrhundert), Diplomarbeit [Manuskript], Innsbruck 1990, 42; als Datengrundlage verwendet Mantl für 1811/12: Günther Adolf, Südbayern und Westösterreich zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Eine bevölkerungs- und sozialstatistische Darstellung (= Schriften des Instituts für Sozialforschung in den Alpenländern an der Universität Innsbruck 10), Innsbruck 1933, Tabellenanhang und für die weiteren Stichjahre die Daten der Österreichischen Statistik für die jeweiligen Jahre (1881, 1890, 1900, 1910).

44 Vgl. Mantl, Heirat, 136-191 und 220-229. Mantl Elisabeth, Verordnete Ehelosigkeit. Obrigkeitliche Heiratsbeschränkungen in Tirol im 19. Jahrhundert, in: Clementi Siglinde/Spada Alessandra (Hg.), Der ledige Unwille. Zur Geschichte lediger Frauen in der Neuzeit, Wien/Bozen 1998, 47-65, hier 60-63. Siehe weiterführend zum Thema Bevölkerungsentwicklung und Ehebeschränkungen: Teibenbacher Peter, Natural population movement and marriage restrictions and hindrances in Styria in the 17th to 19th centuries, in: The History of the Family 14 (2009), 292-308.

A USGANGSPUNKTE

| 55

Ob mit der Lockerung der Ehegesetzgebung auch eine gewisse Entspannung hinsichtlich der Aufnahme vorehelicher sexueller Beziehungen einherging, ist zweifelhaft. Peter Teibenbacher schreibt den merklichen Aufholprozess im generativen Verhalten der Tiroler Bevölkerung dem Mangel an Arbeitskräften zu, welchem immer stärker, auch durch die Reproduktion unverheirateter Bevölkerungsteile, entgegengewirkt werden sollte.45 Trotz dieses markanten Anstiegs der unehelichen Geburten zu Beginn des 20. Jahrhunderts wies Tirol vor dem Ersten Weltkrieg mit 17,4 Prozent immer noch äußerst geringe Illegitimitätswerte auf und rangierte im Ländervergleich an drittletzter Stelle. Lediglich Niederösterreich und Vorarlberg, die ihre Peaks bereits in den 1850er und 1860er Jahren erfahren hatten und bereits einen deutlichen Abwärtstrend verzeichneten, konnten die für Tirol gemessenen Zahlen noch weiter unterbieten.46 Doch die zunächst nur geringe Bevölkerungszunahme ist nicht als allgemeiner Trend zu verstehen, sondern zeigte starke regionale Unterschiede. Während nämlich das Trentino mit einem Bevölkerungswachstum von 40 Prozent, ähnlich wie das Tiroler Oberinntal, mit zunehmender Überbevölkerung und Pauperisierung zu kämpfen hatte, nahm die Bevölkerung Nordtirols (11,8 Prozent) zwischen 1810 und 1854 nur sehr mäßig zu. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wies Tirol eine noch weiter gebremste Zuwachsrate von 19,65 Prozent auf. Am regionalen Ungleichgewicht änderte sich jedoch auch in diesem Zeitraum nichts, denn um 1900 stellte das Trentino, mit 54 EinwohnerInnen pro Quadratkilometer, nach Südtirol (30 Einw./km²) und dem Schlusslicht Nordtirol (21 Einw./km²), immer noch das bevölkerungsreichste Gebiet Tirols dar.47 Die regionalen Bevölkerungszuwächse weisen jedoch keine Korrelation mit der Illegitimitätsentwicklung auf. So zeigte beispielsweise das bevölkerungsstarke Trentino minimale Werte bei der Zahl der unehelich geborenen Kinder, was mitunter auf ein tendenziell niederes Heiratsalter und eine dementsprechend höhere Verehelichungsrate, gepaart mit einer höheren ehelichen Fertilität in den italienischsprachigen Teilen Tirols, zurückzuführen ist.48 Demgegenüber wiesen die Bezirke Kitzbühel und Kufstein in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine mitunter negative Wachstumsbilanz auf, wo-

45 Vgl. Teibenbacher, Bevölkerungsbewegung, 257. 46 Vgl. Mantl, Heiratsverhalten, 41. 47 Vgl. Dietrich, Bevölkerungsentwicklung, 125-127. Vgl. Grandi Casimira, Aus dem Land der Armut. Landschaft, Bevölkerung und Gesellschaft des Trentino zwischen 1870 und 1914, in: Montfort. Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs 49 (1997), 246-292, hier 258-263. 48 Vgl. Goehlert, Entwicklung, 56-59.

56 | I NSTITUTIONALISIERTE G EBURT

gegen hohe Werte bei den unehelich geborenen Kindern erzielt wurden.49 In Zahlen ausgedrückt, kamen, laut Platter, auf 1000 Geborene in Deutschtirol 80, im Trentino lediglich acht und in Vorarlberg 65 uneheliche Kinder.50 Diese auffallend konträre Entwicklung innerhalb des Landes wurde ganz wesentlich von den vorherrschenden Wirtschaftsformen begünstigt. Während im Trentino kleinund kleinstbäuerliche Ökonomien überwogen, die unter Einbeziehung der Familienmitglieder bewirtschaftet wurden, dominierten im östlichen Nordtirol mittelund großbäuerliche Betriebe, deren Bewirtschaftung die Aufnahme von familienfernen Arbeitskräften (Gesinde) voraussetzte.51 Die Hofgröße wurde dabei in erster Linie durch die vorherrschenden Erbsysteme und die dadurch erfolgten (Nicht-)Teilungen des Besitzes bestimmt. Im östlichen Nordtirol, das eine typische Ausprägung des Anerbenrechts aufwies, wurden Höfe in aller Regel ungeteilt, meist erst nach dem Tod des Hausvaters, an den Erben übergeben. Nichterbende Geschwister mussten finanziell entschädigt werden. Im westlichen Nordtirol, ebenso wie im italienischsprachigen Teil Tirols, herrschten hingegen Freiteilbarkeit (Realteilung) und die dadurch einhergehende Zersplitterung des Grundbesitzes vor. Die gleichmäßige Aufteilung des Besitzes auf alle Erbenden führte in diesen Gebieten zur Entstehung von kaum oder nicht mehr Subsistenz fördernden Kleinbetrieben. Folglich spezialisierten sich die Kleinhöfe auf eine eingeschränkte Acker- und Viehwirtschaft, die höchst selten und nur saisonal bedingt zusätzliche Arbeitskräfte außerhalb der Familie benötigte. Die prekäre Situation in Realteilungsgebieten führte auch in Tirol zum Entstehen von Mischökonomien, die vielfach aus einer Kombination selbständiger landwirtschaftlicher Tätigkeit und gewerblicher oder protoindustrieller (Lohn-)Arbeit, aber auch saisonaler Arbeitsmigration bestanden.52 49 Vgl. Dietrich, Bevölkerungsentwicklung, 125. 50 Vgl. Platter, Trauungen, 211. 51 Im Trentino machten noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts so genannte „Zwergbetriebe“ (Wirtschaftsfläche < 0,5 ha) und Kleinbetriebe (0,5 bis 5 ha) 90 Prozent der landwirtschaftlichen Besitzungen aus. Vgl. Dietrich Elisabeth, Die Landwirtschaft Tirols vom ausgehenden 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, in: Chronik der Tiroler Wirtschaft. Mit Sonderteil Südtirol, Wien 1993/1994, 140-155, hier 143-145. Vgl. Grandi, Land, 247-252. Vgl. zum Zusammenhang von Wirtschaftsform und Heiratsverhalten auch: Ehmer, Heiratsverhalten, 133-135. 52 Vgl. Mitterauer Michael, Lebensformen und Lebensverhältnisse ländlicher Unterschichten, in: Matis Herbert (Hg.), Von der Glückseligkeit des Staates. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Österreich im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus, Berlin 1981, 315-338, hier 331-333. Trotz Mischökonomie ergeben sich, laut Mitterauer, in Anlehnung an Orvar Löfgren, der dies für Schweden untersuchte, folgende Pro-

A USGANGSPUNKTE

| 57

Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert bot vor allem die Textilindustrie zusätzliche Erwerbschancen in den westlichen Bezirken Tirols. 1786 arbeiteten beispielsweise knapp zehn Prozent der Gesamtbevölkerung der Bezirke Imst, Landeck und Reutte für die Leinen und Baumwolltuch produzierende Strele’sche Fabrik in Imst. Doch der vorübergehende wirtschaftliche Aufschwung währte nicht lange und schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte mit der Einführung der Spinnmaschine ein Prozess der Deindustrialisierung ein.53 Die Viehwirtschaft, die im Gegensatz zum Ackerbau, auf Grund der kontinuierlichen Pflege der Nutztiere, sehr personalintensiv war, machte in der Regel die ganzjährige Aufnahme von Mägden und Knechten notwendig. Das Gesinde war prinzipiell hausrechtlich abhängig und dadurch einer spezifischen sozialen Kontrolle unterworfen.54 Doch insbesondere in der ersten Phase der „Agrarrevolution“, die durch eine intensivierte landwirtschaftliche Produktivität und einen erhöhten Arbeitskräftebedarf gekennzeichnet war, stieg die Illegitimität bei Angehörigen des Gesindes stark an. Die höhere Gesindefluktuation, die größere Mobilität und die verstärkte Anstellung ortsfremder Personen führten zusehends zu einer Desintegration der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte in die bäuerliche Großfamilie.55 In Tirol hielt sich jedoch auch in jenen Gebieten, in denen große Höfe dominierten, die durchschnittliche Zahl der außerfamiliären Arbeitskräfte in Grenzen. So wurden 1870/74 im Bezirk Kitzbühel, bei einer durchschnittlichen Besitzgröße von 82,5 Joch produktiven Bodens, nur 3,1 ständige Dienstboten bzw. im Bezirk Kufstein, bei 73,1 Joch produktiver Fläche, 2,8 ganzjährig beschäftigte Knechte oder Mägde gezählt. Im Vergleich dazu beschäftigte ein durchschnittlich großer Bauer in Kärnten, der mit 83,8 Joch über ein ähnlich großes Gut verfügte, rund sechs Dienstleute.56 Weite Teile Kärntens zählten somit nicht nur zu den unbestrittenen Hochburgen der Illegitimität, sondern wiesen auch einen kausalen Zusammenhang mit den auffallend hohen Gesindeanteilen

bleme für die ländlichen Unterschichten: 1) Abhängigkeit von produktiver Subsistenzwirtschaft 2) Abhängigkeit von überregionalen Märkten 3) Abhängigkeit von saisonaler Lohnarbeit. Vgl. dazu Mitterauer Michael, Formen ländlicher Familienwirtschaft. Historische Ökotypen und familiale Arbeitsorganisation im österreichischen Raum, in: Ehmer Josef/Mitterauer Michael (Hg.), Familienstruktur und Arbeitsorganisation in ländlichen Gesellschaften, Wien/Köln/Graz 1986, 185-323, hier 254. 53 Vgl. Mantl, Heiratsverhalten, 29-31. 54 Zu den von Viehzucht und Ackerbau dominierten Ökotypen vgl. Mitterauer, Formen, 190-221. 55 Mitterauer, Mütter, 95-100. 56 Schimmer, Geborenen, 158.

58 | I NSTITUTIONALISIERTE G EBURT

auf.57 Der geringere Gesindeanteil in der Tiroler Bevölkerung dürfte jedoch nicht allein ausschlaggebend für die geringere Ausprägung der Illegitimität gewesen sein. Denn nicht nur die Zahl der Gesindepersonen pro Hof spielte eine Rolle, sondern auch deren Rekrutierung. Geringe Dienstbotenanteile in einer Gesellschaft deuten meist auf einen mitunter hohen Verwandtschaftsgrad zwischen dem Hausvater und dem Gesinde hin. Um den Arbeitskräftebedarf zu decken, wurde wohl in erster Linie auf unverheiratete Brüder oder Schwestern zurückgegriffen bzw. auf Personen aus der näheren Nachbarschaft oder verwandten Familien. Dieses von Verwandtschaftsnetzwerken geprägte Gesindesystem dürfte auch auf die Verhältnisse in Tirol zutreffen und eine strengere Kontrolle der Knechte und Mägde ermöglicht haben.58 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die ländliche Gesindewirtschaft mit ihren spezifischen Abhängigkeiten von agrarischen Ökotypen (Produktionsart), Besitzverhältnissen (Kapital- bzw. Hofgröße) und Erbsystemen (Realteilung/Anerbenrecht) von der historischen Illegitimitätsforschung als ein Hauptverursacher von Unehelichkeit im 19. Jahrhundert erkannt wurde. Auch für Tirol mag diese sozio-ökonomische Erklärung zutreffend sein, dennoch beschreibt sie nicht den vollen Umfang des Phänomens niedriger Illegitimität im Land. „Wie man es auch dreht und wendet, die sozio-ökonomische Argumentation mit der Lebenskultur als Oberbegriff hat wohl das Hauptgewicht, aber es gab noch einen sozio-kulturellen Faktor im engeren Sinne, der leider nicht genauer mit Zahlen fassbar ist“, beschreibt Peter Teibenbacher die Krux bei der Interpretation der Tiroler Verhältnisse. Diese seien wohl nur aus einer starken Unterdrückung der Sexualität erklärbar, denn „für überdurchschnittlich oft und wirkungsvoll geübte Verhütungsmaßnahmen oder gar Abtreibungen kann man in Tirol/Vorarlberg keine Hinweise finden.“59 Somit muss von einer Interpretation der Sexualität als grundlegendes menschliches Bedürfnis abgegangen werden, um vielmehr von einem durch individuelle soziale, ökonomische und kulturelle Bedingungen geprägten Bereich des menschlichen Lebens zu sprechen.

57 Vgl. Mitterauer, Mütter, 72. 58 Vgl. Mitterauer Michael, Familienformen, 159. Vgl. auch seine Ausführungen zum Gesindesystem in der Osttiroler Berggemeinde Innervillgraten: Mitterauer, Formen, 209-213. Vgl. auch Ortmayr Norbert, Späte Heirat. Ursachen und Folgen des alpinen Heiratsmusters, in: Zeitgeschichte 16/4 (1988), 119-134, hier 128. 59 Teibenbacher, Bevölkerungsbewegung, 262.

A USGANGSPUNKTE

| 59

Tab. 3: Unehelichkeitsquote Tirols und Vorarlbergs nach politischen Bezirken (1870/74 und 1910) Deutschtirol

1870/74

Bozen Stadt

4,68

Bozen Umgebung

2,4

Brixen

6,04

Bruneck

5,6

Meran

7,6

Imst

9,14

Innsbruck Stadt

11,51

Innsbruck Umgebung

7,77

Kitzbühel

24,37

Kufstein

14,04

Landeck

8,94

Lienz

8,35

1910

Reutte

9,02

Schwaz

10,68

Gesamt

16,8

24,4

1870/74

1910

Trentino Ampezzo

4,8

Borgo

1,46

Cavalese

3,28

Cles

0,59

Primiero

0,73

Riva

0,88

Rovereto Stadt

4,45

Rovereto Umgebung

0,34

Tione

0,61

Trient Stadt

4,91

Trient Umgebung

0,68

Gesamt

2,07

1,6

60 | I NSTITUTIONALISIERTE G EBURT

Vorarlberg

1870/74

Bludenz

7,71

Bregenz

7,48

Feldkirch

6,27

Gesamt

7,15

1910

6,1

Quelle: Datenmaterial 1870/74: Die Werte bezeichnen einen 5-jährigen Durchschnitt, Vgl. Schimmer Gustav Adolf, Die unehelich Geborenen in Österreich 1831.1874, in: Statistische Monatsschrift 2 (1876), 146-174, hier 170. Datenmaterial 1910: Die Werte beziehen sich auf die Handelskammer-Bezirke Innsbruck, Bozen, Rovereto und Vorarlberg, Vgl. dazu Pammer Michael, Risiko Unehelichkeit: Cisleithanien 1880-1913, in: Alexander Helmut/Dietrich-Daum Elisabeth/Meixner Wolfgang (Hg.), Menschen – Regionen – Unternehmen. Festschrift für Franz Mathis zum 60. Geburtstag, Innsbruck 2006, 207-227, hier 224.

Unehelichkeit muss in diesem Sinne als Ergebnis einer, auf materiellen Werten aufbauenden, restriktiven Heiratspolitik (verhinderte Eheschließungen) interpretiert werden, denn als Resultat promiskuitiver und flüchtiger sexueller Begegnungen.60 Die kulturelle Realität, die im „Heiligen Land Tirol“ sehr stark mit religiösen Elementen angereichert war, bot ohnehin wenig Raum für „ungeregelte sexuelle Freizügigkeit“.61 Durch die Gegenreformation war es zu einer noch massiveren Beeinflussung der bestehenden sozialen Normen durch religiös-moralische Wertvorstellungen gekommen, die nicht zuletzt in einer rigiden Sexualmoral gipfelten. Michael Mitterauer ortet darin jedoch keineswegs einen äußerlichen Zwang, der zur Unterdrückung der Sexualität bis zur Ehe und somit zur Verhütung unehelicher Nachkommenschaft führte, sondern sieht darin vielmehr eine

60 Vgl. Beck Rainer, Illegitimität und voreheliche Sexualität auf dem Land. Unterfinning, 1671-1770, in: Dülmen Richard von (Hg.), Kultur der einfachen Leute. Bayerisches Volksleben vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, München 1983, 112-150, hier 116-135. Vgl. Eder Franz X., Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität, München 2001, 33-45. Vgl. Laslett Peter, Introduction: comparing illegitimacy over time and between cultures, in: Laslett Peter/Oosterveen Karla/Smith Richard M. (Hg.), Bastardy and its Comparative History. Studies in the history of illegitimacy and marital nonconformism in Britain, France, Germany, Sweden, North America, Jamaica and Japan, Cambridge 1980, 1-68, hier 53-65. Vgl. Mitterauer, Mütter, 58-63. Vgl. Metz-Becker, Körper, 172-183. 61 Mitterauer, Mütter, 59.

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starke „Verinnerlichung kirchlicher Sexualnormen“.62 Der strenge Katholizismus in Tirol hatte im 19. Jahrhundert sogar eine regelrecht kultische Aufwertung des Ledigenstatus hervorgebracht, die sich in einem hohen Prozentsatz geistlicher Ersatzkarrieren in Tirol und Vorarlberg niederschlug. Im späten 19. Jahrhundert kamen in Tirol/Vorarlberg auf eintausend EinwohnerInnen immerhin 5,8 Geistliche, wobei der Bezirk Landeck (7,4 Geistliche/1000 Einw.) sowie der Vorarlberger Bezirk Bregenz (8,18 Geistliche/1000 Einw.) mit Abstand die höchsten Ausprägungen dieses kulturellen Musters zeigten. Insbesondere die breite Popularität des Marienkultes, der den Ledigenstatus und die zwingend damit einhergehende Jungfräulichkeit63 für die weibliche Bevölkerung Tirols zum Ideal erhob, intensivierte die Tragweite sozialer Normverstöße. Ledige Mütter sahen sich, trotz der juridischen Entkriminalisierung im ausgehenden 18. Jahrhundert, dennoch meist mit innerdörflicher Diskriminierung und sozialer Abwertung konfrontiert.64 War ein Paar, trotz aller Reglementierungen, durch das enge Netz gruppenspezifischer Kontrollsysteme (peercontrol) gefallen und erwartete ein gemeinsames Kind, so waren beide Beteiligten öffentlicher Schmähung durch die Gemeinschaft der (männlichen) Jugendlichen ausgesetzt.65 Die Geburt eines unehelichen Kindes wurde auch in Tirol von speziellen Rügebräuchen begleitet und etwa mit einer lauten „Katzenmusik“ publik gemacht, wobei sich dadurch in erster Linie die ledige Wöchnerin mit einer öffentlichen Demütigung konfrontiert sah.66 In manchen Gemeinden führte eine uneheliche Schwangerschaft sogar zum vorübergehenden Ausschluss aus der

62 Mitterauer, Mütter, 36. 63 Zur Virginität als symbolisches und materielles Kapital, siehe: Beck, Illegitimität, 135-136. Vgl. Mitterauer, Mütter 62-63. Vgl. auch Sabean David, Unehelichkeit: Ein Aspekt sozialer Reproduktion kleinbäuerlicher Produzenten. Zu einer Analyse dörflicher Quellen um 1800, in: Behrdahl Robert M./Lüdtke Alf/Medick Hans/Poni Carlo u.a. (Hg.), Klassen und Kultur. Sozialanthropologische Perspektiven in der Geschichtswissenschaft, Frankfurt a.M. 1982, 54-76, hier 61-62. 64 Vgl. Ortmayr, Heirat, 128-130. 65 Weiterführend zum Rügebrauchtum, siehe: Ettenhuber Helga, Charivari in Bayern. Das Miesbacher Haberfeldtreiben von 1893, in: Dülmen Richard von (Hg.), Kultur der einfachen Leute. Bayerisches Volksleben vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, München 1983, 180-207. Vgl. auch Hinrichs Ernst, „Charivari“ und Rügebrauchtum in Deutschland. Forschungsstand und Forschungsaufgaben, in: Martin Scharfe (Hg.), Brauchforschung, Darmstadt 1991, 430-463. 66 Vgl. Haider Friedrich, Tiroler Brauch im Jahreslauf, Innsbruck/Wien/Bozen ³1990, 94-96.

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Dorfgemeinschaft.67 Diese restriktive Form der Bestrafung unehelicher Mütter ist beispielsweise für die Gemeinde Navis dokumentiert. Unverheiratete Schwangere durften in der Regel nicht zu Hause entbinden, sondern mussten „zur Schande zu Fuss“ in das Gebär- und Findelhaus nach Trient wandern und konnten erst nach Monaten wieder in die Heimat zurückkehren.68 Auch im italienischsprachigen Teil Tirols gab es eine lange Tradition der Verheimlichung von abweichendem Verhalten und der Außerlandesbringung ihrer sichtbaren Zeugen. Lange bevor das Trentino über eine eigene Gebär- und Findelanstalt verfügte, dürften sich etliche uneheliche Schwangere nach Verona begeben haben, um vor Ort die Geburt abzuwarten und ihr Kind schließlich im dortigen Findelhaus, der so genannten Casa della Pietà abzugeben.69 Neben diesen drastischen Formen öffentlicher Verstoßung gab es auch subtilere Mittel zur Einschränkung gesellschaftlicher Teilhabe, wie den Ausschluss vom Empfang des Abendmahls.70 Eine besondere rituelle Degradierung lediger Mütter wurde in Form der Aussegnung der Wöchnerin praktiziert. Dieser Übergangs- und Reinigungsritus, dem sich jede Wöchnerin vor ihrem ersten Messbesuch nach der Geburt unterwerfen musste, wies spezielle Abwandlungen für die ledige Wöchnerin auf. Der „verschärfte Bußcharakter“ war beispielsweise daran erkennbar, dass die ledige Wöchnerin meist vor versammelter Kirchengemeinde vorgeführt wurde und um Vergebung bitten musste. In manchen Pfarrgemeinden wurde dieser disziplinierende und verhaltensnormierende Charakter noch zusätzlich verstärkt, indem die Aussegnungen lediger Wöchnerin generell nur sonntags, unmittelbar vor dem Hochamt durchgeführt wurden. Noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, wurde in Tirol die entwürdigende Praxis der öffentlichen

67 Einen Hinweis darauf gibt u.a. Schadelbauer Karl, Die Entwicklung der medizinischen Fakultät in Erinnerung und Anekdote (= Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv Innsbruck 32), Innsbruck 1968, 7. 68 Vgl. Zimmermann Egon, Bevölkerungsgeographische Untersuchungen über das Navis Tal [Diss.phil.], Innsbruck 1949, 37. Zimmermann spricht in seinem Manuskript zwar von einem Gang nach Triest, der ab ca. 1830 für die ledigen Schwangeren aus Navis üblich wurde, doch dürfte es sich dabei tatsächlich um die Gebär- und Findelanstalt in Trient gehandelt haben, welche 1833 eröffnet wurde. 69 Vgl. Garbellotti Marina, Un brefotrofio per più città: la Domus Pietatis di Verona (secoli XVII-XIX), in: Grandi Casimira (Hg.), Benedetto chi ti porta maledetto chi ti manda. L’infanzia abbandonata nel Triveneto (secoli XV-XIX) (= Studi veneti 6), Treviso 1998, 197-211, hier 203-207. 70 Vgl. Eder, Kultur, 39.

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Abbitte für ledige Mütter praktiziert.71 Neben dem Verlust der individuellen Ehre war die ledige Mutter meist auch mit existenzbedrohenden wirtschaftlichen Konsequenzen ihrer Schwangerschaft konfrontiert. Die illegitime Schwangerschaft wurde in bestehenden Dienstverhältnissen als grober Regelverstoß geahndet und konnte zu einer fristlosen Kündigung führen. Denn laut Paragraph 32, der von Joseph II. erlassenen Dienstbotenordnung für Tirol aus dem Jahre 1787, war es dem Dienstgeber gestattet, bei Entdeckung der Schwangerschaft, das Dienstverhältnis aufzukündigen.72 Ähnlich wie im Falle von Krankheit, war der Dienstgeber auch bei einer Schwangerschaft nicht verpflichtet, seinen Dienstmägden weiterhin Obdach zu gewähren oder ihnen finanziellen Beistand zu leisten. Vielmehr bestand die Gefahr, dass eine solche Hilfestellung falsch interpretiert wurde und sich negativ auf den guten Ruf des jeweiligen Dienstherrn auswirkte. Denn nach zeitgenössischem Rechtsverständnis hatte sich schließlich „einer geschwängerten Weibsperson Niemand verbunden [zu halten], als der 71 Zum vollen Umfang des Rituals der Aussegnung lediger Wöchnerinnen in Tirol, siehe: Clementi, Aussegnung, 193-197. Vgl. Ortmayr, Heirat, 129-130. 72 Dieses Recht wird in den Tiroler Dienstbotenordnungen nicht explizit ausgedrückt, jedoch bieten die einzelnen Paragraphen zum Kündigungsrecht einen gewissen Interpretationsspielraum. Paragraph 32 erlaubt die Kündigung eines Dienstboten bzw. einer Dienstbotin: „[e]rstens, da der Dienstbothe aus was immer für einer Ursache den Dienst nicht versehen könnte. Zweytens, der Trunkenheit, oder anderen Ausschweifungen in- oder außer dem Hause ergeben wäre. Drittens, ein ungestümes, unruhiges Betragen äußerte, und das Mitgesind gegen den Herrn, oder gegen einander aufzuhetzen wagte.“ Allgemeine Dienstbothenordnung für die Hauptstadt Innsbruck und die übrigen Städte, wie auch Märkte Tyrols, in: Provinzial-Gesetzsammlung von Tyrol und Vorarlberg für das Jahr 1827, Innsbruck 1830, 375-414, hier 403. Siehe ebenso den gleichlautenden Paragraphen 58 in der Allgemeinen Dienstbothenordnung für das offene Land in Tirol und Vorarlberg, in: Provinzial-Gesetzsammlung von Tyrol und Vorarlberg für das Jahr 1827, Innsbruck 1830, 415-260, hier 51-53. Franz I. erließ 1827 keine neue Dienstbotenordnung, sondern bestätigte lediglich die seit 1788 bestehende Ordnung. Erst 1879 wurde eine neue Ordnung für in städtischem oder agrarischem Dienst stehende Dienstboten erlassen. Diese Ordnung sah erstmals die Verpflichtung des Dienstherrn zur Leistung von Beistand im Krankheitsfalle vor, begrenzte die Pflegedauer jedoch auf drei Wochen. Vgl. Stolz Otto, Zur Geschichte der landwirtschaftlichen Dienstboten in Tirol, in: Bussmann Karl/Grass Nikolaus (Hg.), Festschrift Karl Haff zum siebzigsten Geburtstag, Innsbruck 1950, 185-194, hier 190191. Explizit angeführt war das Recht auf Kündigung bei Entdeckung einer Schwangerschaft hingegen in etlichen deutschen Gesindeordnungen. Vgl. dazu Seidel, Kultur, 108.

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sich Vater zu seyn – eigener Handlungen wegen – schuldig halten muß.“73 Obwohl die Dienstgeber verpflichtet waren, auch gekündigten Dienstboten ein Arbeitszeugnis („Abschied“) auszustellen, konnte ein negatives Sittlichkeitszeugnis jede weitere Anstellung erschweren.74 Unehelichkeit war somit in der Tiroler Gesellschaft äußerst streng sanktioniert. In einer, von der generellen „Knappheit der Ressourcen“ geprägten Armutskultur, gepaart mit einem tief greifenden und rigiden Katholizismus, musste jede uneheliche Geburt als Bedrohung des individuellen sozio-ökonomischen Überlebens sowie der Aufrechterhaltung der innerdörflich etablierten hierarchischen und sittlichen Ordnung verstanden werden. Auch in jenen Regionen des Tiroler Unterinntals, die über einen breiteren „Nahrungsspielraum“ und bessere Mittel zur Unterhaltssicherung verfügten, als große Teile der Tiroler Realteilungsgebiete, wurden uneheliche Schwangerschaften nur marginal toleriert.75 Trotz all der negativen Implikationen und der weitreichenden Ächtung unehelicher Reproduktion darf die Möglichkeit, dass Frauen sich bewusst für ein uneheliches Kind entschieden, dennoch nicht ganz außer Acht gelassen werden. Dahinter konnte sich, zum einen eine wohlüberlegte Strategie in der Erlangung einer Heiratsbewilligung verbergen, zum anderen „eine Art Lebensversicherung fürs hohe Alter“.76 Die Existenz unehelicher Kinder musste auch nicht zwangsläufig die Attraktivität der Mütter auf dem Heiratsmarkt schmälern, denn die Kinder konnten als zusätzliche Arbeitskräfte zum Familienunterhalt beitragen.77 In der überwiegenden Mehrheit der Fälle stellte eine uneheliche Schwangerschaft jedoch definitiv eine existenzbedrohende Situation für die betroffenen Frauen dar. Vor allem die Versorgung des Säuglings und Kleinkindes wurde zum Problem, denn auch auf den großen Höfen des Unterinntals war die gemeinsame Aufnahme von Dienstmägden und ihren illegitimen Kindern nicht üblich.78 Die Kinder wuchsen in den seltensten Fällen in der Obhut ihrer Mütter und/oder 73 TLA, Jüngeres Gubernium 1825, Sanität Zl. 580, 17317. 74 Vgl. Stolz, Dienstboten, 189. 75 Vgl. Mitterauer, Mütter, 71-72. Vgl. Mantl, Heirat, 213. 76 Sabean, Unehelichkeit, 69. 77 Sabean, Unehelichkeit, 68-71. Zu den Lebensverhältnissen unehelicher Kinder in Österreich, siehe insbesondere die Kapitel 6 und 7, in: Pawlowsky, Mütter, 151-251. Vgl. Pammer Michael, Risiko Unehelichkeit: Cisleithanien 1880-1913, in: Alexander Helmut/Dietrich-Daum Elisabeth/Meixner Wolfgang (Hg.), Menschen – Regionen – Unternehmen. Festschrift für Franz Mathis zum 60. Geburtstag, Innsbruck 2006, 207227. An lebensgeschichtlichen Erzählungen, siehe: Eigner Peter (Hg.), „Als lediges Kind geboren ...“ Autobiographische Erzählungen 1865-1945, Wien 2008. 78 Vgl. Mitterauer, Familienformen, 159-160. Vgl. Mantl, Heiratsverhalten, 64.

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Väter auf, sondern wurden zu Verwandten, Bauern- oder Häuslerfamilien in entgeltliche Pflege gegeben, für die in erster Linie die Mutter aufkommen musste. Lediglich bei äußerster Armut der Mutter und ihrer Familie wurde die Pflege der Kinder über die Armenfonds der jeweiligen Heimatgemeinden finanziert. Anders gestaltete sich jedoch das Schicksal vieler Trentiner Kinder: Sie wurden im Säuglingsalter von Hebammen oder eigens engagierten TrägerInnen in das Findelhaus nach Verona gebracht, obwohl das Risiko, dass die Kinder den Transport nicht überlebten, gerade in der kalten Jahreszeit groß war. In der Zeit zwischen 1760 und 1800 stellten die rund 50 Trentiner Kinder pro Jahr knapp ein Viertel der offiziellen Gesamtaufnahmen in Verona. Diese Zahl sei jedoch „hoffnungslos“ unterschätzt, denn schon der Leiter der Casa della Pietà glaubte, dass ein Großteil der Trentiner Findlinge heimlich abgegeben und ihre Herkunft dadurch verschleiert wurde.79 So wird in verschiedenen Dokumenten aus dem beginnenden 19. Jahrhundert von einer Zahl von 100 bis 150 Säuglingen gesprochen, die jährlich nach Verona gebracht wurden.80 Diese Zahl wird auch von Casimira Grandi bestätigt, indem sie in der Zeit zwischen 1822/23 und 1833 von etwa 1500 Kindern spricht, welche in Verona abgegeben wurden.81 Ein Großteil dieser Kinder stammte aus den Städten Trient und Rovereto und deren unmittelbarer Umgebung, aber auch die dem Viertel Vicariati zugehörigen Orte Mori, Ala, Avio und Brentonico scheinen als Herkunftsorte der Trentiner Findlinge auf.82 Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert beklagten klerikale und bürgerliche Kreise die vermeintlich „unmoralischen“ Auswüchse im Umgang mit der Illegitimität. In den Augen der Zeitgenossen gab es einen erkennbaren Anstieg in der Zahl der Abtreibungen, des Kindsmords und der Kindesaussetzungen an öffentlichen Plätzen. Doch vor allem die, seit dem 16. Jahrhundert praktizierte systematische „Entledigung“ unehelicher Kinder in der Casa della Pietà in Verona, wurde zunehmend thematisiert.83 Diese kontinuierliche Transferierung von Kin79 Vgl. Garbellotti, brefotrofio, 203-207. 80 Vgl. Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 126. 81 Vgl. Grandi, storia, 151. Vgl. auch Grandi, L’abbandono, 653-678. 82 Der geringe Anteil von Kindern aus der Region Gardasee, dem Valsugana, Nonsberg und Sulzberg könnte damit zusammenhängen, dass für diese Regionen die Findelhäuser in Brescia, Feltre, Belluno, Treviso und Bergamo leichter zu erreichen waren. Vgl. Garbellotti, brefotrofio, 211. 83 Der Legende nach soll ein gewisser Jacopo Cercolo, ein Veroneser Bürger, dem Findelhaus eine Alm am Monte Lessini vermacht und sich dadurch die Versorgung der Trentiner Findlinge im Haus gesichert haben. Die romantisch anmutende Geschichte des edlen Wohltäters ist historisch nicht belegbar und es scheint vielmehr eine Strate-

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dern in das Veroneser Findelhaus und der damit einhergehende Verlust einer Vielzahl potenzieller Arbeitskräfte wurde besonders von der österreichischen Regierung verurteilt. Bereits 1781 erachtete man die Einrichtung eines Findelhauses in Trient oder Rovereto für sinnvoll.84 Wohl auch, weil sich die Veroneser zusehends weigerten, die nur geringfügig abgegoltene Versorgung zu übernehmen.85 Die Planungen für die Errichtung eines Findelhauses für das italienische Gebiet waren bis 1811 soweit gediehen, dass kirchliche Kreise und lokale Behörden bereits mehrere Standorte diskutierten: Zur Debatte standen Findelhäuser in den Städten Riva, Rovereto, Trient und Bozen. Doch auf Grund der wirtschaftlichen Krisenzeiten im Zuge der Napoleonischen Kriege wurde keines der Projekte realisiert.86 Erst nach der Wiedervereinigung Tirols mit dem Habsburgerreich wurden die Ideen wieder aufgegriffen. Die zu Gunsten des südlichen Landesteils getroffene Entscheidung für die Etablierung der neuen und vorerst einzigen Gebärund Findelanstalt in Trient kam somit nicht unvermittelt. Zwar ist sie nicht unmittelbar als Resultat eines gravierenden Anstiegs der Illegitimität im Land zu werten, doch aber als Reaktion auf spezifische Missstände, die die Umsetzung sozialer, bevölkerungspolitischer und nicht zuletzt auch sanitärer Reformen, gefährdeten. 3.2 Die Professionalisierung der geburtshilflichen Ausbildung Die Einrichtung eines Findelhauses stellte für die lokalen Behörden und die Geistlichkeit im Trentino die dringlichste und sinnvollste Maßnahme im Umgang mit der zunehmenden Verarmung (Pauperisierung) der Bevölkerung und der dadurch bedingten Illegitimität dar. Für die Zentralbehörden des aufgeklärten, absolutistischen, österreichischen Staates spielten jedoch auch andere Aspekte eine entscheidende Rolle. Denn seit den ambitionierten Sanitätsreformen des 18. Jahrhunderts war man darauf bedacht, die medizinische Versorgung der Frauen bei Geburt und Wochenbett zu verbessern. Dies wollte man mit der Einführung einer verpflichtenden theoretischen, später auch praktischen Ausbildung für Hebammen und männliche Geburtshelfer erreichen. Nachdem zunächst in gie der Trentiner Fürstbischöfe gewesen zu sein, um die alten Gewohnheiten im Umgang mit der Unehelichkeit zu legitimieren. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts stritt man mit Verona um die Lage der erwähnten Alm und versuchte das Testament Cercolos ausfindig zu machen. Vgl. dazu: Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 126. 84 Vgl. Garbellotti, brefotrofio, 203-204. 85 Vgl. Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 126. 86 Vgl. Anderle, Maternità, 138.

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Wien die Ausbildung der Hebammen reformiert und reglementiert worden war, gingen die Verantwortlichen daran, auch in den Hauptstädten und größeren Orten der einzelnen Provinzen, eigene geburtshilfliche Lehrkurse für Hebammen, Mediziner und Chirurgen einzurichten. Die in Wien erprobte Reorganisation am geburtshilflichen Sektor fand somit als Modell im gesamten Reich Anwendung.87 In der gefürsteten Grafschaft Tirol wurden die Maßnahmen relativ schnell umgesetzt, was damit zusammenhängen mag, dass der mit den geburtshilflichen Vorlesungen betraute Professor für Anatomie und Chirurgie ein Schüler Gerard van Swietens gewesen war. Franz Caspar Benedikt von Egloff (1715ca. 1790) erhielt im Jahre 1754 den Auftrag, eine Vorlesung aus dem noch jungen Fach der Geburtshilfe für Medizinstudenten und interessierte Handwerkschirurgen zu halten.88 Ab 1755 wurde der wöchentlich stattfindende Kurs auch als theoretische Vertiefung für bereits praktizierende Hebammen geöffnet. Die Hebammen konnten zwar eine Prüfung über den vorgetragenen Lehrstoff ablegen, eine verpflichtende Prüfungsordnung existierte allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht.89 Dagegen spricht die 1753 vom Fürstbischof von Brixen erlassene Instruction der Heb-Ammen von einem verpflichtenden Examen, welches zwar nicht an einer Universität, allerdings bei einem „hierzu bestellten Leib-Arzten“90 abzulegen sei. Wie sorgfältig diese Ordnung jedoch exekutiert 87 Vgl. Lesky, van Swieten, 20. 88 Vgl. Probst Jacob, Geschichte der Universität in Innsbruck seit ihrer Entstehung bis zum Jahre 1860, Innsbruck 1869, 178. 89 Vgl. Rogenhofer Gert, Medicina Oenipontana. Magistri annorum 1673-1810 [Diss. tech.], München 1975, 54-56. Doch ähnlich wie in Wien bestand auch für Hebammen in Tirol seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die Möglichkeit, sich examinieren zu lassen, wie dies der Fall der Anna Neunerin belegt. Die Innsbrucker Hebamme unterzog sich im Jahre 1640 einer fachlichen Prüfung durch das „Collegium medicorum“ und ihre Approbation wurde zusätzlich vom katholischen Dekanat bestätigt. Vgl. dazu: Fischnaler Konrad, Innsbrucker Chronik IV., Innsbruck 1930, 140. Die Umstände der Prüfung liegen weitgehend im Dunkeln und so kann wohl nur im Sinne Sonia Horns argumentiert werden, dass mögliche Gründe für die freiwillige Examinierung, einerseits in der Verbesserung der individuellen Wettbewerbschancen sowie der Legitimation der Ausübung einer „modernen“ Geburtshilfe, andererseits in dem Aspekt der Qualitätssicherung gesehen werden können. Vgl. Horn, Hebammen, 53-60. 90 Instruction der Heb-Ammen von Hoch-Geistlicher Obrigkeit zu Brixen gutgeheissen. Brixen 1753. Die Ordnung orientierte sich stark an frühen deutschen Überlieferungen und konzentrierte sich im Wesentlichen auf die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Durchführung der Nottaufe. Dennoch finden sich bereits einige sozial und medizinisch relevante Themenbereiche (Nüchternheit der Hebamme, gewissenhafte Versor-

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wurde, ist leider ebenso wenig rekonstruierbar wie das theoretisch-anatomische Wissen oder die spezifischen praktisch-geburtshilflichen Techniken, welche die Prüflinge vorzuweisen hatten.91 Die zunächst von oben gesteuerte Professionalisierung des Hebammenwesens ist auch für das Fürstbistum Trient nachweisbar. Eine bischöfliche Erklärung aus dem Jahre 1743 ordnete an, dass eine Hebamme erst dann zur Berufsausübung berechtigt war, nachdem sie ihre Fähigkeiten in Anwesenheit von zwei Ärzten bewiesen hatte. Diese Ordnung wurde durch den Trentiner Arzt Francesco Borsieri weiterentwickelt und 1793 teilweise durch die Stadt Trient bestätigt. Die Examinierung durch einen Arzt und einen Wundarzt blieb dabei weiterhin als Hauptforderung bestehen.92 Nur zehn Jahre, nachdem geburtshilflich tätige Frauen in Tirol erstmals Zugang zu einer medizinisch-theoretischen Ausbildung erhalten hatten, wurde ein zweiter elementarer Schritt, in Richtung eines zentral organisierten, verschulten und durch die neu auftretenden, männlichen Experten exekutierten Ausbildungssystems, gesetzt. Per Dekret vom 2. April 1765 wurde nämlich die Einrichtung eines theoretischen Hebammenkurses an der Universität Innsbruck bewilligt. Mit dieser Maßnahme folgte Tirol dem Wiener Modell und implementierte zunächst ein duales Ausbildungssystem, dessen theoretischer Teil durch einen männlichen Geburtshelfer an der Universität, der praktische Teil jedoch traditionell, durch eine erfahrene Hebamme, vermittelt wurde. Gleichzeitig wurde damit ein duales Wertesystem kreiert, in welchem sich die geprüfte Hebamme als Symbolfigur einer verwissenschaftlichten Geburtshilfe und die ungeprüfte Hebamme als Personifikation des vielfach zum Aberglauben reduzierten, traditionellen Wissens gegenüberstanden. Neben den politischen und kirchlichen Interessen, die durch die Professionalisierung des Hebammenwesens realisiert wurden, wirkte der Prozess auch als Katalysator für den Ausbau männlich dominierter Hierarchien im Sanitätsbereich.93 Ähnlich wie in Wien fiel die Einrichtung eines Hebamgung der Wöchnerin), die in späteren staatlich erlassenen Ordnungen spezifiziert wurden. Vgl. Flügge Sybilla, Hebammen und heilkundige Frauen. Recht und Rechtswirklichkeit im 15. und 16. Jahrhundert, Basel/Frankfurt a.M. 1998, 132-166. 91 Diesen Trend zur Weiterentwicklung kirchlicher Reformbestrebungen im Bereich des Hebammenwesens konnte auch Eva Labouvie in ihrer Studie zu den deutschfranzösischen Grenzregionen (Saarraum, Pfalz und Lothringen) feststellen. Vgl. Labouvie, Beistand, 71. 92 Vgl. Renzetti Emanula/Taiani Rodolfo, Ein Handwerk gerät unter Kontrolle: Hebammen im Trentino im 18. und 19. Jahrhundert, in: Dapunt Otto (Hg.), Fruchtbarkeit und Geburt in Tirol, Oberschleißheim bei München 1987, 109-121, hier 111. 93 Siehe dazu u.a. Frevert, Frauen. Vgl. Metz-Becker, Körper, 25-55.

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menkurses mit der Etablierung einer geburtshilflichen Lehrkanzel zusammen.94 An der Universität Innsbruck geschah dies zwar zunächst nur in abgeschwächter Form, indem 1764 die Lehrkanzel für Anatomie und Chirurgie zu einer Dreifächer-Professur mit Einschluss der Geburtshilfe erweitert wurde.95 Doch sicherte diese Maßnahme der Universität und dem zuständigen Professor nicht nur zusätzliche finanzielle Einnahmen, sondern auch einen Zugewinn an Prestige. Die Ausbildung angehender Mediziner ging jedoch über eine rein theoretische Wissensvermittlung im klassischen Vorlesungsstil nicht hinaus. Doch waren die geburtshilflichen Vorlesungen nicht für ein ganzes Semester anberaumt, sondern wurden lediglich im Ausmaß von zwei Monaten gehalten.96 Auch die Hebammenschülerinnen absolvierten lediglich eine theoretische Einführung in die Geburtshilfe, während welcher sie sich allerdings verpflichteten, sechs Wochen lang täglich von 6:45 bis 8:00 Uhr morgens „anwesig, aufmerksam auch wohlgesittet“97 den Vorlesungen des Professors zu folgen. Nach Beendigung der geburtshilflichen Vorlesung mussten die Frauen ein einjähriges Praktikum bei einer erfahrenen Hebamme absolvieren und konnten sich erst nach Ablauf dieser einjährigen Frist zur Prüfung in Innsbruck melden. Die Erlangung eines Diploms und somit der Approbation war allerdings nicht nur an ein positives Prüfungsresultat gebunden, sondern auch an den Nachweis des katholischen Ordinariats, das den Hebammenkandidatinnen die Befähigung zur Durchführung einer Nottaufe bescheinigte. Die Ausbildungskosten an der Universität Innsbruck wurden vom Staat getragen, welcher im Gegenzug von den zuständigen Landgerichten bzw. Gemeinden erwartete, die finanziellen Auslagen für Unterkunft und Verpflegung der Schülerinnen zu übernehmen.98 Es ist jedoch anzunehmen, dass sich nicht jede Gemeinde eine approbierte Hebamme leisten konnte bzw. wollte. Auf diesen Missstand reagierte die 1770 im Rahmen des Sanitätshauptnormativs für die k. k. Erblande publizierte Hebammenordnung, indem sie die Empfehlung 94 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 39. 95 Hans-Christoph Seidel bezeichnet die Einrichtung von Sammelprofessuren (Anatomie/ Chirurgie/ Geburtshilfe) als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Institutionalisierung der Geburtshilfe an den Universitäten. In Deutschland ist dieser Prozess ab den 1740er Jahren erkennbar. Vgl. Seidel, Kultur, 135-136. 96 Vgl. Rogenhofer, Medicina, 70. 97 Hofdekret zur Einrichtung eines Hebammenlehrkurses (cathedrae. artis obstetritiae) zu Innsbruck vom 2. April 1765, reproduziert in: Köfler Werner, Hebammen in früherer Zeit, in: Dapunt Otto (Hg.), Fruchtbarkeit und Geburt in Tirol, Oberschleißheim bei München 1987, 79-84, hier 82. 98 Vgl. Hofdekret zur Einrichtung eines Hebammenlehrkurses (cathedrae. artis obstetritiae) zu Innsbruck vom 2. April 1765, reproduziert in: Köfler, Hebammen, 82-83.

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aussprach: „wo nicht in jedem Dorfe, doch wenigstens für 2 oder 3 benachbarte Gemeinden nach Thunlichkeit Eine“99 approbierte Hebamme anzustellen. Dieser Empfehlung folgte bereits 1773 ein generelles Berufsverbot für nicht geprüfte Hebammen im gesamten Reichsgebiet.100 Der hohen Reformdichte auf dem Gebiet der geburtshilflichen Ausbildung folgte auch in Tirol eine Zeit der Konsolidierung und Evaluierung der gesetzlichen und normativen Grundlagen. Die turbulenten Entwicklungen rund um die Universität Innsbruck, welche im Jahre 1782 aufgelöst, durch ein Lyzeum ersetzt und 1792 wieder installiert wurde,101 schienen den Verlauf der Hebammenausbildung kaum zu beeinflussen, ebenso wenig wie die Unruhen im Zuge der Napoleonischen Kriege. Die geburtshilfliche Theorie wurde weiterhin in jährlichen Intervallen vom Professor für Chirurgie und Geburtshilfe, dessen Lehrkanzel bereits 1771 von jener der Anatomie getrennt worden war, gelesen.102 Veränderungen lassen sich jedoch hinsichtlich der akademischen Ausbildung erkennen. Die Auflösung der Universität im Jahre 1782 hatte zu einer Degradierung der medizinischen Fakultät zu einer medizinischen Studienabteilung geführt, die an Stelle akademisch gebildeter Mediziner fortan praktisch orientierte Wundärzte ausbilden sollte. Ein Medizinstudium konnte zur Zeit Josephs II. lediglich in Wien und Prag belegt werden. Die Ausbildungszeit der Wundärzte wurde auf zwei Jahre fixiert und enthielt im zweiten Studienjahr auch geburtshilfliche Vorlesungen. Dieser Ausbildungsplan für praktische Chirurgen wurde beibehalten, nachdem 1792, auf Bitten der Tiroler Landstände, die Universität vollständig revitalisiert worden war.103 Der geburtshilfliche Unterricht fand in beiden Ausbildungsformen seine Legitimation, wobei eine stärkere Verankerung im praktisch orientierten Wundarztstudium zu erkennen ist. Für angehende Mediziner gehörten die geburtshilflichen Unterweisungen nämlich nicht zwingend zum Curriculum, sondern stellten lediglich eine vertiefende Zusatzqualifikation dar.104 Bis zur Etablierung der „Bildungsanstalt für Landwundärzte und Hebammen“ im Jahre 1816/18 war die Ausbildung der Hebammen, Wundärzte und 99

Sanitätshauptnormativ für alle k.k. Erbländer vom 2. Jänner 1770, zitiert nach: Macher, Handbuch, 111-129.

100 Nachtrag zum Sanitätshauptnormativ vom 10. April 1773, zitiert nach: Macher, Handbuch, 145-151. 101 Vgl. Huter, Fakultät, 1-5. Vgl. Oberkofler Gerhard/Goller Peter, Geschichte der Universität Innsbruck (1669-1945), Frankfurt a.M. ²1996, 142-143. 102 Vgl. Rogenhofer, Medicina, 63. 103 Vgl. Probst, Geschichte, 219. Vgl. Huter, Fakultät, 3-4. Vgl. Rogenhofer, Medicina, 72-76. 104 Vgl. Probst, Geschichte, 258.

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Mediziner in Innsbruck größtenteils auf die Vermittlung theoretischen Wissens beschränkt geblieben. Die Unterrichtsinhalte waren grundsätzlich für weibliche und männliche Geburtshelfer sehr ähnlich, unterschieden sich jedoch hinsichtlich der Instrumentenlehre, welche im Sinne der hierarchischen Kompetenzverteilung am medikalen Markt nur für Wundärzte und Mediziner zugänglich war.105 Anhand regelmäßiger Übungen „an der Maschine oder dem Fantom“ wurde zwar versucht, einen gewissen Praxisbezug gewährleisten zu können,106 doch reale, praktische Erfahrungen konnten die Hebammenschülerinnen, Studenten der Wundarzneikunde und Medizin, während ihres Aufenthaltes am Ausbildungsort, wohl nur selten sammeln. Zwar spricht eine Quelle aus dem Jahre 1816 von praktischen Übungen, welche der Professor auf eigene Initiative im Stadtspital oder bei den städtischen Hebammen organisiert hatte. Dies scheint jedoch ein Einzelbefund zu sein, denn es finden sich keine weiteren Belege für eine solche Unterrichtspraxis.107 Bis ins frühe 19. Jahrhundert lassen sich weder Veränderungen in den Rahmenbedingungen, noch grundlegende Adaptierungen in den jeweiligen Ausbildungsplänen, erkennen. Die Reformen waren ins Stocken geraten und es könnte sogar von einer Stagnation im Prozess der Professionalisierung der geburtshilflichen Ausbildung gesprochen werden. Erst die politischen Umbrüche im Zuge des Friedens von Pressburg, durch welchen sich das Land Tirol ab dem Jahre 1805 mit der Besetzung durch und Einverleibung in das Königreich Bayern konfrontiert sah, sollten, neben einer neuerlichen Diskussion um die Hebammenausbildung, auch drastische Veränderungen im männlich dominierten Ausbildungssegment der Wundarzneikunde und Medizin in Gang setzen. Trotz aller Normierungen praktizierten nach wie vor erfahrene Frauen, ohne staatliche Approbation, und die bayerische Regierung sah darin eine zu legere Exekution der bis dato bestehenden Gesetze. Das 1808 publizierte Organische Edikt über das Medizinalwesen im Königreiche Bayern sah vor, dass sich ausschließlich qualifizierte Hebammen der Geburtshilfe widmen durften.108 Als Expertinnen ihres Faches mussten sie sich durch besondere persönliche Eignung, spezifische und formale Ausbildung und öffentlich anerkannte Approbation von 105 Vgl. Vorlesungsverzeichnisse der Jahre 1800, 1801, 1804, reproduziert in: Rogenhofer, Medicina, 228-233. 106 Vgl. Vorlesungsverzeichnisse der Jahre 1800, 1801, 1804, reproduziert in: Rogenhofer, Medicina, 228-233. 107 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1816, Sanität Zl. 801, 11724. 108 Organisches Edikt über das Medizinalwesen im Königreiche vom 8. September 1808, in: Kotulla Michael, Deutsches Verfassungsrecht 1806-1918. Eine Dokumentensammlung nebst Einführung. Bd. 2: Bayern, Berlin 2007, 858.

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jenen Frauen unterscheiden, die die Geburtshilfe nach wie vor als eine Form der Nachbarschaftshilfe praktizierten. Das Edikt ließ jedoch detaillierte Bestimmungen, hinsichtlich der Rekrutierung, Ausbildung, Prüfung und Entlohnung sowie eine bindende Instruktion über die Rechte und Pflichten der Hebammen vermissen.109 Der von den neuen Machthabern unternommene Versuch, die Qualität des Hebammenwesens zu heben und für eine einheitliche Ausbildung zu sorgen, wurde jedoch von den Aufständen des Tiroler Volkes gegen die Fremdherrschaft im Jahre 1809 vereitelt. König Max I. Joseph hob daraufhin im Jahre 1810 die Universität Innsbruck auf und entließ alle bisherigen Professoren.110 Für die Medizinstudenten bedeutete dies, dass sie ihre Ausbildung nicht in Innsbruck fortführen konnten, sondern einen alternativen Studienort aufsuchen mussten. Wem die Flucht ins Habsburgerreich gelang, konnte sein Studium an den Universitäten Wien oder Prag beenden. Für alle anderen bedeutete die Schließung des Universitätsstandortes Innsbruck einen Abbruch der Studien oder einen Wechsel an die bayerischen Universitäten Erlangen oder Landshut.111 Auch die Universität Padua kam als Alternative in Frage,112 jedoch dürften sich dort in erster Linie Studenten aus den Kreisen Trient und Rovereto inskribiert haben. Der Tiroler Hebammenkurs wurde zwar durch die Landesverweisung Johann Nepomuk Keesbachers, der seit 1806 Chirurgie und Geburtshilfe in Innsbruck gelehrt hatte,113 seines Lehrers beraubt, nicht aber seiner grundsätzlichen Legitimation. Die bayerische Herrschaft bestimmte mit dem vormaligen Professor für Anatomie, Joseph Theodor Albaneder, einen provisorischen Hebammenlehrer, der den sechswöchigen Kurs im gewohnten Modus im anatomischen Hörsaal des verwaisten Universitätsgebäudes abhielt. In Ermangelung einer adäquaten Prüfungskommission nahm Albaneder dieselbe, unter Aufsicht des Kreismedizinalrates von Hörmann, ab. Unter bayerischer Herrschaft wurde erstmals auch ein Kurs in italieni109 Eine elaborierte und äußerst differenzierte Hebammenordnung für das Königreich Bayern wurde erst 1816 erlassen und trat in Tirol somit nicht mehr in Kraft. Vgl. Döllinger Georg, Sammlung der im Gebiete der inneren Staats-Verwaltung des Königreichs Bayern bestehenden Verordnungen, Bd. 15, München 1838, 186-244. 110 Vgl. Rogenhofer, Medicina, 86-98. Vgl. Oberkofler/Goller, Geschichte, 146. 111 Vgl. Probst, Geschichte, 219. 112 Vgl. Koler Egon, Die Wiedereinrichtung der österreichischen Verwaltung in Tirol und Vorarlberg in den Jahren 1814-1821 [Diss. phil], Innsbruck 1937, 260. Bezüglich der Nostrifizierung ausländischer Doktortitel gibt Koler an, dass diese akademischen Abschlüsse nach der Rückkehr ins Habsburgerreich für österreichische Staatsbürger, welche an ausländischen Universitäten promoviert hatten, problemlos anerkannt wurden. 113 Rogenhofer, Medicina, 120-123.

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scher Sprache angeboten, wodurch eine stärkere Einbindung von Trentiner Frauen in den Prozess der Professionalisierung erreicht werden sollte. Die Ausbildung der Hebammen im italienischsprachigen Gebiet war nämlich unter der geistlichen Führung des Landes zwar formal vorgeschrieben gewesen, effektiv jedoch kaum exekutiert worden.114 Obwohl die Stadt Rovereto im 18. Jahrhundert angeblich über eine entsprechende Lehranstalt verfügte und bis 1817 auch in Verona (später Padua) der Hebammenberuf erlernt werden konnte, wurde dieses Angebot nur von sehr wenigen Trentiner Frauen wahrgenommen. War das Trentino Mitte des 18. Jahrhunderts, zeitgenössischen Angaben zufolge, noch mit einer ausreichenden Zahl befähigter Hebammen versorgt, so beklagten die lokale Geistlichkeit sowie die Wiener Zentralbehörden zu Beginn des 19. Jahrhunderts die prekäre geburtshilfliche Situation, denn in den mehr als 300 Gemeinden des Gebiets waren kaum noch autorisierte Hebammen tätig.115 Die mangelnde Bereitschaft zur Erlernung des Hebammenberufes, gerade in den ruralen Gebieten mit ihrer spezifisch agrarischen Arbeitsteilung und starken familiären Einbindung, lässt sich zum Teil auf die Unabkömmlichkeit verheirateter Frauen zurückführen. Zudem war der Aufenthalt in einer fremden Stadt mit all ihren Versuchungen für eine verheiratete Frau aus moralischen Überlegungen nicht anzustreben. Selbst die mit dem Staat verbündete Geistlichkeit warnte vielfach vor der Entsendung von Kandidatinnen zum Hebammenunterricht und beförderte damit indirekt den Fortbestand traditioneller Hebammen.116 Nach dem Ende der bayerischen Herrschaft im Jahre 1814 und der Wiedereingliederung des Landes in die Habsburgermonarchie war der Innsbrucker Hebammenkurs zum alleinigen Überbleibsel des medizinisch-edukativen Spektrums in Innsbruck geworden. Die Bemühungen um den Fortbestand der geburtshilflichen Ausbildung lassen wohl auf eine nach wie vor mangelhafte Ausstattung mit approbierten Hebammen am Land schließen. Das bildungspolitische Vakuum, das nach Aufhebung der Universität Innsbruck im Jahre 1810 entstanden war, wurde erst im Jahre 1816 gefüllt. Kaiser Franz I. baute allerdings nicht auf die Wiedereinrichtung der alten Universität mit all ihren Fakultäten, sondern ordnete im medizinischen Bereich die Etablierung einer „Bildungsanstalt für Landwundärzte und Hebammen“, d. h. eines me-

114 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1808, Sanität Zl. 10271. Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1816, Sanität Zl. 801, 11724 und 8701. 115 Vgl. Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 136. Vgl. Renzetti/Taiani, Handwerk, 112. 116 Vgl. Filippini Nadia Maria, The Church, the State and childbirth: the midwife in Italy during the eighteenth century, in: Marland Hilary (Hg.), The Art of Midwifery. Early Modern Midwives in Europe, London/New York 1994, 152-175, hier 164.

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dizinisch-chirurgischen Lyzeums, ohne Promotionsrecht, an.117 Im Zuge der intensiven Bemühungen rund um eine neuerliche institutionelle Verankerung der Hebammenausbildung wurde, auf Wunsch der Tiroler Verantwortlichen, auch die seit 1808 für die übrigen habsburgischen Erbländer gültige Hebammenordnung, nachträglich für Tirol und Vorarlberg, in Kraft gesetzt.118 Somit waren zukünftig ausschließlich Hebammen zugelassen, welche ein Diplom an einer österreichischen Universität oder einem inländischen Lyzeum erworben hatten.119 Mit der Einrichtung des medizinisch-chirurgischen Lyzeums wurde im deutschsprachigen Teil Tirols nicht nur die Revitalisierung einer Lehranstalt für das niedere Sanitätspersonal durchgesetzt, sondern auch eine echte Reform der Ausbildungsschwerpunkte initiiert. Mit der Schaffung einer eigenständigen Lehrkanzel für theoretische und praktische Geburtshilfe erhob das Lyzeum 1816/18 erstmals den Anspruch, eine umfassende Ausbildung für angehende Hebammen und Wundärzte, mit deutlichem Akzent in Richtung eines zentral organisierten, praktisch orientierten Unterrichts, zu bieten. Damit wurde die bisher gepflegte Praxis der praktischen Wissensvermittlung durch erfahrene Hebammen am Land eingestellt. Dem Lyzeum oblag nunmehr die alleinige Ausbildungskompetenz für den nicht-akademischen Gesundheitsmarkt in Tirol. Doch für die praktischen Unterweisungen, welche die Hebammenschülerinnen und Studenten der Wundarzneikunde nunmehr im Rahmen ihrer sechsmonatigen Ausbildung parallel zu den theoretischen Vorlesungen erhielten, mussten erst geeignete geburtshilfliche Ausbildungsräume geschaffen werden. So wurde zum einen eine geburtshilfliche Poliklinik in der Landeshauptstadt Innsbruck gegründet. Das medizinisch-chirurgische Studiendirektorat bot dabei eine finanzielle Entschädigung für jede Frau, die ihren schwangeren bzw. gebärenden Körper zu edukativen Zwecken bereitstellte. In dieser Ambulanz konnten „angehende Geburtshelfer und Hebamm-Schülerinnen nicht nur die Hilfleistung der Hebamme sehen, sondern selbst Beystand leisten, u[nd] überhaupt die erste praktische Anleitung erhalten“.120 Zum anderen wurde die bereits bestehende, doch nur notdürftig ausgestattete Gebärabteilung des städtischen Bürgerspitals zum Gebärhaus adaptiert.121 117 Vgl. Westhoff Manfred, Medicina Oenipontana: Chirurgicum Lycei 1816-1869 [Diss.tech.], München 1978, 24-26. 118 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1816, Sanität Zl. 801, 11724. 119 Vgl. Zaleisky Adalbert, Handbuch der Gesetze und Verordnungen welche für die Polizei-Verwaltung im österreichischen Kaiserstaate von 1740-1825 erschienen sind. Bd. 2: H-R, Wien 1854, 33. 120 TLA, Jüngeres Gubernium 1824, Sanität Zl. 10130. 121 Vertiefend dazu, siehe: Hilber, Sonderzimmer, 195-205.

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Das Innsbrucker Lyzeum sollte zwar prinzipiell Schülerinnen und Studenten aus beiden Landesteilen ausbilden, doch versuchten die Zentralbehörden der schlechten Versorgung mit Hebammen im Trentino, mit einer zusätzlichen Maßnahme entgegen zu treten. Aus diesem Grund wurde 1819 die Einrichtung einer Hebammenlehranstalt mit angeschlossenem Gebärhaus, als Ort des praktischen Unterrichts im Trentino, eingerichtet. Das Findelhaus hingegen war aus der Perspektive der österreichischen Sanitätsbehörden nur ein notwendiges „Übel“, dessen Existenz jedoch maßgeblich den Erfolg der Ausbildung, nämlich den Zustrom an potenziellen „Lehrfällen“, bedingte.122 Beide Schulen orientierten sich am reichsweit gültigen Ausbildungsplan von 1804, respektive 1810.123 Die derart organisierte, vornehmlich nach Sprachgruppen getrennte Ausbildung von Hebammen in den beiden Tiroler Landesteilen wurde bis 1869 fortgeführt und endete erst im Zuge der Wiedereinrichtung der medizinischen Fakultät. Fortan wurde die medizinische Ausbildung in Innsbruck konzentriert.124 Die enge Verbindung der Institution Gebärhaus mit der sich ausformenden geburtshilflichen Wissenschaft ist auch am Beispiel Tirol unverkennbar, denn, ohne den enormen Bedeutungszugewinn praktisch-anschaulicher Unterrichtsformen, wäre die Etablierung einer solchen Einrichtung nicht hinreichend legitimiert gewesen. Hinweise auf eine frühe Einrichtung mit dezidiert wohltätigem Charakter sind nicht überliefert, allerdings dürften arme und ledige Schwangere bei großer Not in den Tiroler Spitälern Aufnahme gefunden haben. Demgegenüber wird jedoch für das 18. Jahrhundert von einer Art „Findelhaus“ für die „neugeborenen Kinder Mittelloser“125 in Innsbruck berichtet. Ob es sich dabei um ein städtisches oder ein auf private Initiative hin gegründetes Heim handelte, ist ebenso unsicher, wie das Ausmaß der Inanspruchnahme durch die städtischen und ländlichen Unterschichten. In Ermangelung von entsprechenden Quellenbelegen muss die Existenz einer solchen Einrichtung nach momentanem Kenntnisstand sogar stark angezweifelt werden.

122 Vgl. Anderle, Maternità, 139. Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 136. Bis zur Eröffnung dieser Anstalt im Jahre 1832 wurde jährlich auch in Innsbruck ein Kurs in italienischer Sprache angeboten, für dessen Abhaltung der Professor eine Zulage von 200 Gulden erhielt. Vgl. dazu Westhoff, Medicina, 31. 123 Vgl. Aprimento dell’Instituto delle partorienti e degli esposti in Trento, zitiert in: Bortoli Bruno/Grandi Casimira, Un secolo di legislazione assistenziale nel Trentino (1814-1918), Trient 1983, 119-120. 124 Vgl. Hilber, Sonderzimmer, 200-204. 125 TLA, Jüngeres Gubernium 1820, Sanität Zl. 2434, 594, 14201.

III. Das Innsbrucker Gebärhaus – Sozial- oder Prestigeprojekt?

Hinweise auf die Existenz außerhäuslicher oder hospitalisierter Geburtshilfe in Innsbruck lassen sich erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts finden. Ein 1807 unter bayerischer Regierung verfasster Bericht über die finanzielle und personelle Ausstattung der Innsbrucker Universität und des als klinisches Institut genutzten Bürgerspitals nennt ein „besondere[s] Zimmer für Wöchnerinnen“.1 Inwieweit dieses Zimmer aber tatsächlich für Entbindungen verwendet wurde oder vielmehr als vorübergehendes Asyl für bereits entbundene und erkrankte Wöchnerinnen ohne Familienanschluss diente, ist nicht geklärt. Letzteres scheint, den Aussagen des späteren Professors für Geburtshilfe, Joseph Hinterberger, zufolge, sogar plausibel, sprach er doch vom Widerwillen des Stadtmagistrats zur Aufnahme von Schwangeren in das Spital. Auf Grund der prekären finanziellen Lage des städtischen Spitalsfonds und der Angst, in der Anstalt geborene Kinder versorgen zu müssen, soll es sogar zur Entfernung von bereits aufgenommenen Schwangeren aus dem Spitalsgebäude gekommen sein.2 Demnach dürfte auch kein Unterricht darin stattgefunden haben. Die Existenz des Zimmers im Innsbrucker Bürgerspital wird 1816 wiederum bestätigt, indem der Landtag in einem Bericht an die Wiener Hofkommission, auf ein „Sonderzimmer für Kindbetterinnen“ im 1. Stock des Bürgerspitals, verweist.3 Im Zuge der Einrichtung eines medizinisch-chirurgischen Lyzeums, der so genannten Bildungsanstalt für Landwundärzte und Hebammen, kam es auch zur Reorganisierung des Innsbrucker Bürgerspitals. Das an Stelle einer medizinischen Fakultät mit Promotionsrecht neu geschaffene Lyzeum war in erster Linie Ausbildungsstätte und sollte 1

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Akt M Inn23738, zitiert nach: Rogenhofer, Medicina, 88.

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Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1820, Sanität Zl. 2434, 594, 14201.

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Vgl. Huter, Fakultät, 21. Genauere Angaben zu Quelle fehlen bei Huter.

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die zukünftigen Wundärzte (Chirurgen) und Hebammen auf ihre praktische medizinische Tätigkeit vorbereiten. Die Lehre, und dabei nicht zuletzt der klinische Unterricht, standen, im Gegensatz zur universitären Forschung, ganz im Vordergrund.4 Das neu geschaffene Lyzeum verfügte allerdings über keine eigenen klinischen Institute, weshalb zum praktischen Unterricht die PatientInnen des städtischen Spitals herangezogen wurden. Das Spital sollte nach dem Vorbild des Wiener Allgemeinen Krankenhauses, welches seit 1784 die zentrale Ausbildungsstätte für Mediziner und Hebammen im Zentrum der Monarchie darstellte, einer einschneidenden Modernisierung und Reorganisation unterzogen werden.5 Erste Impulse zur Adaptierung des „Sonderzimmers“ zu einer funktionierenden Gebäranstalt sollen, laut Bericht des Spitalsverwalters, bereits 1817 gesetzt worden sein.6 Welche Verbesserungen jedoch geplant waren und ob diese dem provisorisch das Fach der theoretischen und praktischen Geburtshilfe lehrenden praktischen Arzt, Anton Robatscher, zuzuschreiben sind, ist fraglich. Doch lassen sich aus den Rechnungsbüchern des Innsbrucker Bürgerspitals erstmals 1817 Entbindungen im Spital nachweisen und auch die Bezahlung einer Pflegefrau in Thaur für ein, vermutlich im Spital geborenes Kind, lässt auf eine, wenn auch spärliche Nutzung des geburtshilflichen Angebots im Bürgerspital schließen.7 Konkrete Maßnahmen zur Modernisierung werden jedoch erst im Jahr 1818 nachweisbar, als mit der Ernennung der Professoren für die einzelnen Lehrkanzeln auch Verantwortliche für die einzelnen Fächer und klinischen Abteilungen ausgewählt wurden. Die neu geschaffene und nunmehr eigenständige Lehrkanzel 4 5

Vgl. Stolz Otto, Geschichte der Stadt Innsbruck, Innsbruck 1959, 353. Vgl. dazu den im TLA erhaltenen Bestand: „Beschreibung des Gebähr-, Kranken-, und Findelhauses in Wien“, der neben diversen Instruktionen für das Personal u.a. auch die gedruckte „Nachricht an das Publikum über die Einrichtung des Hauptspitals in Wien: Bei dessen Eröffnung von der Oberdirektion herausgegeben, Wien 1784“ enthält. Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1818, Sanität Zl. 9988.

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Vgl. Honstetter, Beschreibung, 38. Diese, in Kanzleiformat verfasste, 106 Seiten lange Darstellung der Verhältnisse, wurde 1958 von Karl Schadelbauer ediert und diente Christian Kofler als Grundlage für seine kurze Überblicksdarstellung zur Geschichte des Innsbrucker Stadtspitals. Vgl. Schadelbauer Karl, Das Stadtspital im Jahre 1839. Die Beschreibung des Spitalsverwalters Fr. X. Honstetter (= Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv Innsbruck 18), Innsbruck 1958. Vgl. Kofler Christian, Die Geschichte des alten Innsbrucker Stadtspitals, in: Zeit-Raum-Innsbruck. Schriftenreihe des Innsbrucker Stadtarchivs 1 (2001), 31-51.

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Vgl. Stadtarchiv Innsbruck (StAI), Stadtspital Raitung, Stadtspital, lose Rechnung Nr. 50. Vgl. StAI, Stadtspital Raitung, Stadtspital-Oeconomie Rechnung vom 1 Nov[ember] 1817 bis Ende Oct[ober] 1818.

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für theoretische und praktische Geburtshilfe sowie das kleine klinische Institut im Bürgerspital wurden 1818 an den in Wien ausgebildeten Arzt, Joseph Hinterberger, verliehen.8 Die von Hinterberger eingeleiteten Bemühungen zur Steigerung der Attraktivität der Anstalt, wie etwa die räumliche Ausdehnung der Gebäranstalt oder die Schaffung von Anreizen für die Gebärenden, um so einen funktionierenden klinisch-geburtshilflichen Unterricht in Innsbruck gewährleisten zu können, sollten die Frühphase der Anstaltsgeschichte prägen. Der Beginn der institutionellen Entwicklung des Gebärhauses in Innsbruck hing somit eindeutig mit der Einrichtung des medizinisch-chirurgischen Lyzeums im Jahre 1816 bzw. mit der Besetzung der geburtshilflichen Lehrkanzel im Jahre 1818 zusammen. Erst ab diesem Zeitpunkt kann von einer strukturierten und sich sukzessive erweiternden geburtshilflichen Ausbildung und einer, für die praktische Ausbildung von Hebammen und männlichen Geburtshelfern nutzbaren Gebäranstalt, gesprochen werden.

1. D IE STÄDTISCHE G EBÄRABTEILUNG – F RÜHPHASE EINER I NSTITUTION (1816-1858) Die zuständigen Landesbehörden in Sanitäts- und Studienangelegenheiten erkannten recht schnell, dass im Zuge der Etablierung des medizinisch-chirurgischen Studiums, neben den klinischen Instituten für Medizin und Chirurgie, auch eine klinische Anstalt zur Erteilung des praktischen geburtshilflichen Unterrichts an Hebammenschülerinnen und Studenten der Wundarzneikunde, bereitgestellt werden musste. Das bisher hauptsächlich als Pfründnerhaus genutzte Bürgerspital wurde zu diesem Zweck in drei klinische Abteilungen strukturiert. Ganz nach dem Vorbild des Wiener Allgemeinen Krankenhauses wurde somit im Jahre 1818 eine Neustrukturierung des Bürgerspitals vorgenommen. Der dritte Stock des Hauses wurde zur chirurgischen Abteilung, mit einem Hörsaal und einem Operationszimmer. Im zweiten Stock wurde die medizinische Männerabteilung eingerichtet, bis auf zwei Zimmer, die für syphilitische PatientInnen reserviert waren. Die so genannte „venerische Abteilung“ unterstand der

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Zunächst war Franz Fikelscherer von Löwenek zum Professor für Geburtshilfe in Innsbruck ernannt worden, erhielt jedoch im Mai 1818 den Ruf als Professor für theoretische und praktische Chirurgie an das Lyzeum in Laibach, welchem er folgte. Vgl. Medicinische Jahrbücher des kaiserlich-königlichen österreichischen Staates, herausgegeben von den Professoren des Studiums der Heilkunde an der Universität Wien, Band 5, Stück 1, Wien 1819, 9.

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Leitung des Professors für Chirurgie. Der erste Stock diente ab 1818 als medizinische Frauenabteilung, welche, ebenso wie die Männerabteilung, vom Professor für Innere Medizin betreut wurde.9 Dem klinischen Unterricht dienten allerdings nicht alle im Spital behandelten PatientInnen, sondern nur eigens ausgewählte Fälle. Die medizinische sowie die chirurgische Abteilung verfügten über jeweils zwei gesonderte Zimmer – eines für Frauen, eines für Männer –, in denen die für den klinischen Unterricht geeigneten PatientInnen untergebracht waren. Jedes dieser Zimmer fasste sechs Betten und wurde von eigenem Wartpersonal betreut.10 Dem Professor für Geburtshilfe wies man im Gegensatz dazu nur das bereits bestehende „Sonderzimmer für Kindbetterinnen“ als Gebärabteilung zu. Es war aber offensichtlich, dass in dem bestehenden Zimmer nie die erforderliche Zahl an Lehrfällen aufgenommen werden konnte. Aus diesem Grund verfügte das Tiroler Landesgubernium, noch vor dem Eintreffen des neu ernannten Professors für Geburtshilfe und der eigentlichen Aufnahme des geburtshilflichen Unterrichts, die Erweiterung der Gebärabteilung auf zwei Zimmer.11 Dazu sollte ein an das Gebärzimmer anstoßendes, mit SpitalspfründnerInnen belegtes Zimmer geräumt und adaptiert werden. Auch eine geeignete Spitalshebamme für die Versorgung der Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen, sowie deren Neugeborenen, wurde 1818 eingestellt.12 Der Innsbrucker Stadtmagistrat zögerte die nötigen Umbauarbeiten jedoch hinaus, denn man wollte wohl der Entscheidung der Wiener Hofkanzlei über die Einrichtung eines Gebärhauses in Tirol nicht vorgreifen und vorschnelle Ausgaben auf städtische Kosten tätigen. 1.1 Konstituierende Rahmenbedingungen Die Entscheidung für die Etablierung eines auf Staatskosten (ärarisch) geführten Gebär- und Findelhauses fiel schließlich am 25. Juni 1819. Per k. k. HofkanzleiDekret wurde die Einrichtung eines solchen Hauses mit angeschlossener Hebammenlehranstalt in der gefürsteten Grafschaft Tirol verkündet, doch machte nicht Innsbruck das Rennen um den Standort der zukünftigen Staatsanstalt, sondern Trient.13 Um den praktischen geburtshilflichen Unterricht der Wundärzte und Hebammen am Innsbrucker Lyzeum dennoch gewährleisten zu können,

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Vgl. Honstetter, Beschreibung, 18-19.

10 Vgl. Huter, Fakultät, 22. 11 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1818, Sanität Zl. 14740, 13661. 12 Vgl. Honstetter, Beschreibung, 19. 13 Vgl. Anderle, Maternità, 140.

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ordnete die Studien-Hofkommission per Dekret vom 25. September 1819 an, dass der Professor für Geburtshilfe eine „ambulierende“ Gebäranstalt, eine Art Poliklinik, aufzubauen habe.14 Dieses Ambulatorium sollte bei geringem Kostenaufwand die Zahl der Lehrfälle für den praktischen, geburtshilflichen Unterricht bereitstellen und für gewisse Zeit eine „ordentliche Gebär-Anstalt“ ersetzen. Noch im Jahre 1820 war sich der Professor für Geburtshilfe sicher, dass es sich bei der Poliklinik lediglich um eine kurzfristige Übergangslösung handeln würde und der Aufbau einer zweiten, staatlich finanzierten Gebär- und Findelanstalt in Innsbruck, bei den Wiener Zentralbehörden, in Planung sei.15 Weiters ging er davon aus, dass die Erhaltung einer ständigen Gebäranstalt nur um ein Drittel höhere Kosten verursachen würde, als das bewilligte Ambulatorium, dessen Jahresbudget, eingebettet in eine Aufstockung des Budgets des allgemeinen Studienfonds, bei 800 Gulden lag.16 Daraus sollten zunächst folgende Posten bezahlt werden: ein Vermittlungshonorar in der Höhe von zwei Gulden für all jene städtischen Hebammen, die potenzielle Lehrfälle für die Poliklinik meldeten; jeweils ein Gulden und 30 Kreuzer für jede Frau, die ihren schwangeren Körper für Untersuchungsübungen an der Klinik zur Verfügung stellte; und schließlich fünf Gulden für jede Geburt, die Lehrzwecken diente. Die Geburten selbst waren allerdings nicht hospitalisiert, sondern fanden in den privaten Behausungen der Schwangeren oder den Wohnungen der städtischen Hebammen statt.17 Bereits knapp ein Jahr nach ihrer Einrichtung konnte die ambulierende Gebäranstalt eine positive Bilanz aufweisen. So berichtete Professor Hinterberger 1820, dass die 19 Studenten des ersten Semesters „im Durchschnitte jedes 5 Male zu Untersuchungen, und zu einer Geburt [kamen]. Die 35 des 2t Semesters jetzt schon jedes zu 7 Untersuchungen, und einer Geburt, einige aber waren 2,3,4,5 Mal bey Geburten.“18 14 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1820, Sanität Zl. 594, 14201. 15 „Die ambulatorische Klinik galt im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert als äußerst unvollkommenes, höchstens bis zur Gründung einer stationären Klinik provisorisch taugliches Modell,“ konstatierte Hans-Christoph Seidel in Anlehnung an die von Adam E. von Siebold geäußerten Kritikpunkte. Dazu zählten in erster Linie die beschränkte Zahl teilnehmender Studenten, die hohen Kosten sowie die eingeschränkte Machtposition des Arztes. Vgl. Siebold Adam E. von, Über Zweck und Organisation der Klinik in einer Entbindungsanstalt. Ein Programm zur Eröffnung der klinischen Schule in der Churfürstlichen Entbindungsanstalt an der Julius MaximiliansUniversität Würzburg, Würzburg 1806, 9-10, zitiert in: Seidel, Kultur, 305. 16 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1820, Sanität Zl. 594, 14021. 17 Vgl. Probst, Geschichte, 317. 18 TLA, Jüngeres Gubernium 1820, Sanität Zl. 594, 14201.

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Zusätzlich zur Einrichtung einer Poliklinik wurde dem Professor für Geburtshilfe aufgetragen, „sorgsam zu wachen [...], daß mehrere Schwangere in die Gebäranstalt /:des Stadtspitals :/ aufgenohmen werden können“, denn nur in der Kombination der beiden geburtshilflichen Institutionen könne eine angemessene Gemeinnützigkeit erzielt werden. Bereits 1820 hatte der Professor für Geburtshilfe deshalb den Vorschlag gemacht, die spitalsinterne Gebärabteilung nicht mehr als eine städtische Anstalt zu führen, sondern wiederum nach Wiener Vorbild für alle hilfsbedürftigen Schwangeren zu öffnen.19 Auch aus Wien kamen entsprechende Dekrete, die den Ausbau der geburtshilflichen Klinik in Form eines eigenständigen Gebärhauses auf Kosten des Landes anordneten.20 Damit dürfte bereits 1822 klar gewesen sein, dass der österreichische Staat keineswegs an der Etablierung einer zweiten ärarisch geführten Gebär- und Findelanstalt in Tirol interessiert war, sondern auf die nötige Eigeninitiative des Tiroler Landesguberniums hoffte. Neben dem wohltätigen Charakter und dem sozial regulierenden Aspekt, den eine solche Auffangstätte für hilfsbedürftige Schwangere mitbrachte, musste es, nach Ansicht der Wiener Zentralbehörden, schließlich auch das erklärte Ziel der Provinzial-Obrigkeiten sein, die Zahl der klinischen Lehrfälle an einem Ort zu bündeln, um daraus den größtmöglichen Nutzen für die Ausbildung ziehen zu können.21 Der Plan, die finanzielle Verantwortung für eine zweite klinische Gebäranstalt in Tirol auf das Land abzuwälzen, wurde jedoch vom anfänglich sehr guten Erfolg des Poliklinik-Modells konterkariert. Ein vom Land in Auftrag gegebenes Gutachten, zur Zweckmäßigkeit der beiden geburtshilflichen Institution Gebärabteilung und Ambulatorium, kam zum Schluss, dass das Ambulatorium den klinischen Anforderungen vollends gerecht werde, da eine ausreichende Zahl an Entbindungen zu Lehrzwecken stattfände und eine eigene Gebäranstalt deshalb nicht unbedingt von Nöten sei. Obwohl dieses Gutachten als ein die finanziellen Interessen des Landes wahrendes Dokument gelesen werden muss, ist die positive Bewertung des Ambulatoriums durch die klinisch verantwortlichen Professoren doch auch überraschend. Im Vordergrund stand der doppelte Nutzen der Anstalt, die, zum einen zur „Hilfeleistung und Pflege der armen Gebärenden“22, zum anderen dem klinischen Unterricht dienen sollte. Beide Zwecke sah man im Ambulatorium besser erfüllt, als in einer neu zu gründenden Gebäranstalt und sogar wesentlich besser, als in der bestehenden Gebärabteilung. Als Hauptargumente für den Fortbestand des Poliklinik-Modells wurden die hohe Frequentie19 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1820, Sanität Zl. 594, 14201. 20 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1822, Sanität Zl. 18631. 21 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1822, Sanität Zl. 18631. 22 TLA, Jüngeres Gubernium 1824, Sanität Zl. 10130.

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rungsrate, die Möglichkeit einer umfassenderen geburtshilflichen Ausbildung, durch vermehrte instruktive Untersuchungen in allen Stadien der Schwangerschaft sowie, nicht zuletzt, auch der soziale Nutzen für die Unterschichten, genannt.23 Das Ambulatorium bot schwangeren und gebärenden Frauen einen, wenn auch ungewöhnlichen Zuverdienst, in einer Zeit eingeschränkter Arbeitsfähigkeit. Wohl aus diesem Grund und vermutlich auch auf Grund der Tatsache, dass die Geburt und das Wochenbett in das gewohnte häusliche Umfeld der Frauen eingebettet waren und durch die Hebamme ihrer Wahl betreut wurden, konnte die Poliklinik in den Anfangsjahren einen regen Zulauf verzeichnen. Charakteristisch für das Innsbrucker Ambulatorium war zudem die deutliche Dominanz verheirateter Frauen, die sich zum Unterricht bereit erklärten.24 Bereits 1823 konnten ganze 60 Lehrgeburten gezählt; Untersuchungsübungen und Unterweisungen über die unterschiedlichen Stadien der Schwangerschaft hingegen sogar 161 Mal durchgeführt werden.25 Gerade die Untersuchungen während der Schwangerschaft stellten einen wesentlichen Vorteil gegenüber der bestehenden Gebärabteilung dar, denn die Frauen konnten aus Kostengründen in der Regel erst im achten Schwangerschaftsmonat in die Anstalt aufgenommen werden.26 23 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1824, Sanität Zl. 10130. 24 Diese klare Dominanz armer, verheirateter Frauen in den ambulanten Polikliniken, beschreibt auch Hans-Christoph Seidel, am Beispiel Breslaus. Vgl. Seidel, Kultur, 177-178. Im Gegensatz dazu betreute die Poliklinik in Salzburg deutlich mehr ledige Schwangere, als verheiratete Frauen. Dies mag jedoch daran liegen, dass die Poliklinik bis Ende des 19. Jahrhunderts das einzige geburtshilfliche Angebot in der Stadt Salzburg darstellte. Vgl. Pick Hermann, Beiträge zur Kenntnis von Stadt und Land Salzburg. Ein Gedenkbuch an die 54. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, Salzburg 1881, 222. 25 Marita Metz-Becker stellt fest, dass ein ähnlicher Versuch zur Einrichtung einer Poliklinik in der Stadt Marburg wiederholt an der fehlenden Akzeptanz männlicher Geburtshelfer durch die Gebärenden scheiterte (1822, 1835, 1864). Auch die Einbindung der städtischen Hebammen und Entlohnung ihrer Vermittlungsdienste brachte keinen Erfolg. Vgl. Metz-Becker Marita, Accouchieranstalten als ‚Vorbeugungsmittel wider den Kindsmord’. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte unehelicher Schwangerschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 29 (1991/92), 135-147, hier 137. Metz-Becker Marita, Gebären im Dienst der Wissenschaft. Zum Medikalisierungsprozeß unehelich schwangerer Frauen in den Gebärhäusern des frühen 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Volkskunde 90 (1994), 210-229, hier 227. 26 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1824, Sanität Zl. 10536

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Trotz der Erfolge der Poliklinik wurde das Projekt „Gebärhaus“, sowohl von Seiten des Landes, als auch der verantwortlichen Mediziner, nicht ad acta gelegt. Neben dem klinischen Aspekt wurde dem Ausbau der städtischen Gebärabteilung ein großer Nutzen für die „ganz verlassene[n] hilflose[n] Mädchen“ beigemessen.27 Die Erweiterung der Gebärabteilung im Rahmen der Neuorganisation des Stadtspitals und der damit einhergehenden Entfernung der PfründnerInnen hatte sich jedoch schwieriger gestaltet, als erwartet. Für die Gebärabteilung bedeutete dies, dass das ursprünglich für eine Erweiterung vorgesehene Zimmer nicht genutzt werden konnte und adäquater räumlicher Ersatz gefunden werden musste. Auf Vorschlag Hinterbergers und nach Bewilligung des Stadtmagistrats und des römisch-katholischen Dekanats wurde das, nicht durch PfründnerInnen belegte Kapellenzimmer im ersten Stock des Spitalsgebäudes, als zweites Zimmer für die Gebärabteilung „säkularisiert“.28 Die Spitalsverwaltung unterstützte den Lösungsvorschlag vor allem aus logistischen Gründen, denn eine Umquartierung von PfründnerInnen hätte wohl nur zu Chaos und Zwistigkeiten innerhalb des Hauses geführt.29 Der Zeitpunkt der tatsächlichen Realisierung des Projekts ist nicht eindeutig datierbar, doch mussten aus Kostengründen wiederum Einschnitte hingenommen werden, und so bekam die Gebärabteilung nicht die gewünschten acht Betten, sondern verfügte 1823 über nur zwei Betten für Kreißende und drei Betten für Wöchnerinnen. Hinterbergers hartnäckiger Initiative war es allerdings zu verdanken, dass die Gebärenden fortan von den Wöchnerinnen getrennt lagen und sich ihr Zimmer nur mit der Spitalshebamme teilen mussten.30 1824 wurde schließlich das Zimmer der Wöchnerinnen um ein viertes Bett ergänzt.31 Diese Erweiterungsmaßnahmen stellten vorerst den ersten und zugleich letzten Etappensieg auf dem Weg zu einer funktionierenden Gebärklinik dar, denn mehr als 30 Jahre sollten ohne merkliche räumliche Veränderungen in der Gebärabteilung vergehen.32

27 TLA, Jüngeres Gubernium 1824, Sanität Zl. 10130. 28 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1820, Sanität Zl. 594, 14201 und 16162. 29 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1820, Sanität Zl. 594, 16174. 30 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. 31 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1824, Sanität Zl. 10536. 32 Franz Huters Annahme, dass die zwei Zimmer umfassende Gebärabteilung erst 1830 durch einen Erweiterungsbau zu Stande kam, lässt sich anhand des empirischen Quellenmaterials widerlegen. Für die von ihm angegebene Bettenzahl (10), die jedoch nicht näher belegt wurde, fanden sich in den Quellen keine Belege. Vgl. Huter, Fakultät, 22-23.

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Die anfänglichen Raumprobleme waren somit einigermaßen beseitigt worden, dennoch schien die Attraktivität einer Klinikgeburt nur wenig gestiegen zu sein. Aus diesem Grund verlangte der zuständige Professor, dass es, bei interessanten klinischen Fällen und auf sein ausdrückliches Anraten, gestattet sein müsste, Fremde, das heißt nicht aus Innsbruck stammende Schwangere, unentgeltlich in die Abteilung aufzunehmen, um so die Zahl der Lehrgeburten zu erhöhen.33 Damit wiederholte er seine Aufforderung, die Gebärabteilung nicht länger als eine städtische Anstalt zu führen, die nur gebürtigen Innsbruckerinnen unentgeltliche Aufnahme und Verpflegung auf Kosten des städtischen Spitalsfonds gewährte. Mit der Aufnahme ortsfremder Schwangerer bewegte sich der nunmehrige Professor, Dr. Ammerer, zusehends in einer rechtlichen Grauzone, denn theoretisch hatten die Frauen selbst für ihre Verpflegung aufzukommen. Bei nachweisbarer Armut sollten jedoch die zuständigen Heimatgemeinden die Spitalsrechnung bezahlen. Die Stadt Innsbruck wehrte sich aber vehement gegen die Aufnahme ortsfremder Schwangerer, da eine Bezahlung der Spitalsrechnung durch die Heimatgemeinden keineswegs garantiert war. Zudem sorgten sich die Verantwortlichen um die Folgen der in Innsbruck stattgefundenen, illegitimen Geburten, denn, zum einen wurde das saubere Image der Stadt angegriffen, zum anderen war man davon überzeugt, dass die unehelich geborenen Kinder wohl früher oder später dem städtischen Armenfonds zur Last fallen würden. Um dies zu verhindern, plädierten die Innsbrucker Stadtbehörden mehrfach für eine rigide Handhabung der Unehelichenfrage. In praxi bedeutete dies die organisierte und koordinierte „Vertreibung“ unehelicher Schwangerer aus dem Stadtgebiet, verbunden mit der Verpflichtung zur Rückkehr in die zuständigen Heimatgemeinden. In erster Linie richtete sich der Groll der städtischen Behörden gegen die zahlreichen, aus allen Teilen Tirols stammenden Dienstbotinnen und Dienstmägde, die in und um Innsbruck Anstellung fanden.34 Die Praxis des Verweises schwangerer Frauen wurde auch von den verschiedenen Gemeinden des Landes begrüßt, wie das Beispiel der Gemeinde Nauders bzw. des Kreisamtes Imst zeigt, welche sich dafür aussprachen, dass „derlei schwangere Individuen in Zukunft nach ihrem Geburtsorte verschoben werden“.35 Konkreter Anlass waren zwei ledige Mütter aus Nauders gewesen, die in der Gebärabteilung des Innsbrucker Bürgerspitals Aufnahme gefunden und dort auch entbunden hatten: Kreszenz Joas befand sich im Jahre 1822 insgesamt 81 Tage im Spital, während Maria Anna Manz sich 1823 wegen einer drohenden Frühgeburt sogar 107 Tage in stationärer ärztlicher Betreuung befand. Da beide 33 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1824, Sanität Zl. 10536. 34 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1826, Sanität Zl. 17712. 35 TLA, Jüngeres Gubernium 1826, Sanität Zl. 17712.

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Frauen als Dienstmägde die beträchtlichen Spitalsrechnungen nicht bezahlen konnten, wurde die Gemeinde Nauders aufgefordert, die Kosten von 20 Gulden und 15 Kreuzern für die Verpflegung der Kreszenz Joas sowie 45 Gulden für den Aufenthalt der Maria Anna Manz zu begleichen. Die Gemeinde weigerte sich, einen vollen Kostenersatz zu leisten, erklärte sich aber bereit, die Kosten für die Dauer des Wochenbettes zu bezahlen. Man sah sich allerdings nicht verpflichtet, die Kosten für jene Verpflegszeiten zu erstatten, die vor der Geburt angelaufen waren, denn schließlich habe der Staat von den Frauen profitiert und solle die Kosten dafür tragen. Angedeutet wird hier die Verwendung der Frauen zum geburtshilflichen Unterricht, denn wie Kreszenz Joas später zu Protokoll geben sollte, habe „Profeßor Hinterberger sie aus ihrem Dienstorte gegen Versprechen einer freien Verpflegung in das Spital zu gehen beredet [...] um den Kandidaten der Geburtshilfe Gelegenheit zu verschaffen, sich an derselben durch Touchiren zu üben.“36 Ähnliches soll auch Maria Anna Manz dazu bewogen haben, in die Anstalt einzutreten. Der Wahrheitsgehalt der Aussagen ist hier nicht von Relevanz, vielmehr sind die Reaktionen auf diesen und etliche ähnliche, wegen der wohl geringen Höhe der geforderten Kosten allerdings nicht aktenkundig gewordenen Fälle von Interesse. Die Forderung nach einer staatlichen Unterstützung des Innsbrucker Gebärhauses wurde nicht mehr allein vom Professor für Geburtshilfe gestellt, sondern fand Unterstützer auf Gemeinde- und Kreisebene.37 Dass diese wiederholten Forderungen Früchte trugen, zeigen die, ab dem Wintersemester 1829/30, schriftlich belegten Verpflegskostenzuschüsse aus dem ärarischen Studienfonds. Der Staat finanzierte in der Folge den Aufenthalt all jener Frauen in der Anstalt, die zum klinisch-geburtshilflichen Unterricht verwendet wurden, kam aber nicht für die Verpflegsgebühren der Neugeborenen, etwaige anfallende Beerdigungskosten oder die an die Hebammen zu entrichtende „Ammgebühr“ auf.38 Diese Kosten waren weiterhin von den ledigen Müttern bzw. ihren Heimatgemeinden zu entrichten. Im Sinne einer klar kalkulierten Kosten-Nutzen-Rechnung fiel die Fürsorge für die Säuglinge von Seiten des Staates und der beteiligten Institutionen ohnehin eher spärlich aus. Meist blieben die Kinder für die Zeit des Wochenbettes bei ihren Müttern im Spital und wurden von ihnen mit Muttermilch ernährt. Hatte die werdende Mutter die nötige Kindswäsche nicht mit in die Anstalt genommen, so musste sie auf wohltätige Spenden hoffen. Mit Beendigung des Wochenbettes traten Mutter und Kind gänzlich aus dem staatlichen Einflussbereich, denn die weitere Pflege der Kinder 36 TLA, Jüngeres Gubernium 1826, Sanität Zl. 17712. 37 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1826, Sanität Zl. 17712. 38 Vgl. StAI, Stadtspital Raitungen, Geld-Rechnung des Stadtspitales Innsbruck vom 22t Juny bis Ende October 1830.

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wurde privat organisiert und stand unter keinerlei staatlicher Kontrolle.39 Mit der Aufnahme des Betriebes im Gebär- und Findelhaus in Alle Laste bei Trient, im Jahre 1833, eröffnete sich ledigen Müttern aus ganz Tirol die Möglichkeit, ihr Kind geheim und kostengünstig zu entbinden und dieses unentgeltlich im Findelhaus abgeben zu können. 1.2 Standortdiskussion – Alle Laste versus Innsbruck Die Gründe für die Wahl Trients als Standort für das Gebär- und Findelhaus sind mannigfaltig, doch welche Gründe mögen gegen die Etablierung des ärarischen Instituts in der Landeshauptstadt Innsbruck gesprochen haben? Die seit 1816 bestehende Bildungsanstalt für Zivilwundärzte und Hebammen (medizinischchirurgisches Lyzeum) in Innsbruck hätte zweifelsohne doppelt von der Einrichtung eines Gebär- und Findelhauses zu Ausbildungszwecken profitiert. Es wären dadurch nicht nur Hebammen, deren Zahl noch im Jahre 1815 auch für den Nordtiroler Raum gering war, gefördert worden, die Einrichtung eines Gebärund Findelhauses hätte auch die Chance eröffnet, Wundärzte in der Geburtshilfe und Kinderheilkunde ausbilden zu können.40 Die Bewilligung einer solchen Staatsanstalt in der Landeshauptstadt hätte zudem einen wertvollen Meilenstein im Kampf um die Wiedereinrichtung der Universität, speziell der medizinischen Fakultät, dargestellt. Es scheint jedoch, als ob man von Seiten der Wiener Zentralbehörden gerade diesen Trumpf nicht in die Hände der Befürworter einer vollständigen Universität spielen wollte und eine Stärkung der Innsbrucker Interessen tunlichst zu verhindern wusste. Mit der Resolution vom 5. August 1816 hatte sich Kaiser Franz I. nämlich gegen eine Universität ausgesprochen und stattdessen die Etablierung eines Lyzeums forciert. Obwohl der theologischen und philosophischen Studienrichtung schon 1820 das Promotionsrecht zurückgegeben, und diese 1826, mitsamt der juridischen Fakultät, wieder zur Universität erhoben wurden, verharrte die medizinische Studienrichtung im Status eines Lyzeums ohne Promotionsrecht. Ein Medizinstudium sollte nur in Wien oder Prag möglich sein, alle anderen Kronländer mussten sich vorerst mit einer praktisch orientierten Lehranstalt für das niedere Sanitätspersonal begnügen. Die Medizinalbehörden glaubten nämlich, dass ein solches medizinisches Lyzeum dem „öffentlichen Wohle in den Ländern draußen besser“41 diene, als eine Universität. Es sollten Staatsbeamte und keine Gelehrten ausgebildet werden.42 Na39 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1824, Sanität Zl. 10130. 40 Vgl. Westhoff, Medicina, 18-24. 41 Huter, Fakultät, 7. 42 Vgl. Huter, Fakultät, 6-8.

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türlich wurden auch die Staatsausgaben durch ein solches Lyzeum nicht übermäßig strapaziert. Doch ob finanzielle, peuplistische, nationale, soziale oder schlichtweg logistische Gründe für die Wahl des Standortes bestimmend waren, wird sich wohl, auch auf Grund des spärlich überlieferten Quellenmaterials, nie eindeutig beantworten lassen. Nicht zuletzt dürfte auch die Tatsache, dass mit der Irrenanstalt in Hall bereits eine Staatsanstalt im deutschsprachigen Teil Tirols bewilligt worden war, dazu beigetragen haben, Trient als Standort dieser nunmehr zweiten ärarischen Anstalt zu wählen. Da die Autonomiebestrebungen des italienischen Landesteils schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts deutlich spürbar waren, ist es denkbar, dass man durch dieses Zugeständnis die Bindung an das Land Tirol und den österreichischen Staat zu stärken versuchte. 1.2.1 Lage und Räumlichkeiten Die Tatsache, dass mit dem in napoleonischer Zeit enteigneten Karmeliterkloster Alle Laste bei Trient eine geeignete Lokalität für das Institut zur Verfügung stand, mag die Entscheidung für Trient zusätzlich erleichtert haben. Das Klostergebäude lag inmitten einer großzügigen Parkanlage, recht abgelegen auf einem Hügel, außerhalb der Stadt Trient und bestand aus einem großzügigen Bau, der drei miteinander verbundene Trakte umfasste. Im linken Flügel sollten die PatientInnen – Schwangere, Wöchnerinnen und Säuglinge – untergebracht werden. Zu diesem Zweck standen immerhin 30 beheizbare Zimmer mit einer maximalen Kapazität von 100 Betten zur Verfügung. Im Mitteltrakt befanden sich die privaten Räumlichkeiten der Ärzte und Hebammen sowie die Anstaltsküche. Der rechte Flügel beherbergte, neben den Büroräumen der Anstaltsverwaltung, die Hebammenschule, Lagerräume, die Unterkunft des Anstaltsgeistlichen und die Hauskirche. Außerdem verfügte die Anstalt über einen eigenen Badetrakt, der durch einen großen Heißwasserkessel ausreichend warmes Wasser bereitstellte.43 Zur Zeit der Entscheidung im Jahre 1819 stand im Gegensatz dazu in Innsbruck kein adäquates Gebäude für eine Gebär- und Findelanstalt zur Verfügung. Erst im Jahre 1848 wurde mit dem ehemaligen Kollegsgebäude der Jesuiten in der unteren Museumstraße, welches infolge des Verbots des Ordens leer stand, ein geeignetes Gebäude in Innsbruck gefunden. Durch seine abgeschiedene Lage am Stadtrand und die großzügigen Gartenanlagen stellte das Gebäude einen scheinbar idealen Ort für die Errichtung einer Gebär- und Findelanstalt dar. Die Größe des Hauses, das zwölf Schlafsäle mit etwa 100 Betten beherbergen konnte, sowie die geräumige Hauskapelle erhöhten die Attraktivität des Objektes 43 Vgl. Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 129.

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noch zusätzlich.44 Doch der Kauf der Immobilie, deren Wert mit 50.000 Gulden festgesetzt war,45 sollte nie realisiert werden. Doch auch das Gebäude in Alle Laste bei Trient konnte nicht sofort im Jahre 1819 bezogen werden. Es mussten erst verschiedenste Renovierungs- und Adaptierungsmaßnahmen durchgeführt werden, die den Einzug und die Eröffnung der Anstalt um weitere 13 Jahre verzögerten. 1830 war das Gebäude soweit ausgestattet, dass es als Sanitätsanstalt dienen konnte. Die offizielle Eröffnung der Hebammenschule erfolgte am 1. Oktober 1832, das Gebär- und Findelhaus nahm zu Jahresbeginn 1833 unter der Leitung des Institutsarztes und Professors für Geburtshilfe, Ignatz Laschan,46 seinen regulären Betrieb auf.47 Im Gegensatz zu Alle Laste, wo ausreichend Platz vorhanden war, konnte die Gebärabteilung im Innsbrucker Bürgerspital nur schwerlich dem Anspruch einer klinischen Institution gerecht werden. Die Raumnot blieb nicht unerkannt, wie Spitalsverwalter Franz Xaver Honstetter in seiner 1839 verfassten Spitalsbeschreibung erkennen ließ. Seines Erachtens nach, fand: „Keine Berücksichtigung des Scham- und Ehrgefühls bey den Schwangeren und Wöchnerinnen [statt], indem dieselben auf zwey kleine Zimmer beschränkt sind, in welchen die Schwangeren bis zu ihrer Entbindung wohnen, die Geburtsakte vorgenommen, und die Wochenbette darin gehalten werden.“48 1.2.2 Organisation und personelle Ausstattung Nach dem Vorbild des Wiener Gebär- und Findelhauses war auch die Anstalt in Alle Laste in zwei Abteilungen strukturiert: eine Gratis- und eine Zahlabteilung. Die Zahlabteilung gliederte sich in drei Klassen, wobei je nach Höhe des Kostensatzes die Annehmlichkeiten für die Patientinnen stiegen. Die 1. Klasse funk44 Vgl. Huter, Fakultät, 59-62. 45 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der I. Landtagsperiode, 4. Sitzung der 4. Session am 29. November 1865, 72-73. 46 Ignaz Laschan, Edler von Solstein (1802-1888), wurde in Wien-Hernals geboren und absolvierte sein Studium der Medizin, Chirurgie und Geburtshilfe an der Universität Wien. Nach seiner Promotion im Jahre 1828 arbeitete er als Sekundararzt im Wiener AKH und Distriktsarzt in Stein in der Steiermark, bevor er den Ruf nach Trient bekam. 1836 wurde er als Professor der Geburtshilfe an das Lyzeum nach Laibach berufen und 1838 als Professor der praktischen Medizin an das Innsbrucker Lyzeum geholt. In dieser Tätigkeit wirkte er bis 1851, bis er zum Direktor des k.k. Lyzeums ernannt wurde. 1877, im Alter von 75 Jahren, wurde er in den Ruhestand versetzt. Vgl. Westhoff, Medicina, 136-139. 47 Vgl. Anderle, Maternità, 140-141. 48 Honstetter, Beschreibung, 22.

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tionierte ähnlich einer modernen privaten Entbindungsklinik, denn die Frauen wohnten in einem Einzelzimmer, wurden exklusiv von der Oberhebamme betreut, konnten ihre Kinder durch Ammen säugen lassen und genossen das Privileg einer schmackhafteren und reichhaltigeren Kost. Zudem wurde ihnen absolute Anonymität in der Anstalt garantiert. Sie durften ihr Gesicht während des gesamten Aufenthaltes durch einen Schleier verhüllen und man stellte ihnen abgesonderte Plätze in der Kirche sowie getrennte Regionen im Park zur Verfügung. Die zahlenden Patientinnen der 1. Klasse konnten sich zudem frei bewegen, die Anstalt ohne Erlaubnis verlassen und uneingeschränkt Besuch empfangen. Ihren Namen mussten die Frauen nicht preisgeben, sondern lediglich schriftlich, in Form eines versiegelten Briefes, vermerken. Dieser wurde nur im Falle ihres Ablebens in der Anstalt geöffnet.49 Die Gebühren für die Verpflegung in der 1. Klasse betrugen einen Gulden (1 fl.) pro Tag, jene der 2. und 3. Klasse waren auf einen halben Gulden (30 Kreuzer) bzw. einen viertel Gulden (15 Kreuzer) festgelegt. Die Patientinnen der 2. und 3. Klasse wurden in Mehrbettzimmern zu je drei bis fünf Betten untergebracht und mussten sich den Kreißsaal, die Kirche und Gemeinschaftsräume mit den Frauen aus der Gratisabteilung teilen.50 Diese waren in Schlafsälen zu je acht bis zwölf Betten untergebracht51 und hielten sich während des Tages in einem beheizbaren Gemeinschafts- bzw. Arbeitsraum oder den Gartenanlagen auf.52 Die unentgeltliche Aufnahme in das Gebärhaus war an klar definierte Bedingungen geknüpft. So durften die Frauen erst im achten Schwangerschaftsmonat aufgenommen werden und mussten sich für den praktischen Unterricht der Hebammenschülerinnen zur Verfügung stellen. In der Zeit bis zur Geburt wurden die Schwangeren für verschiedene Hausarbeiten herangezogen. Im Gegensatz zum Wiener Gebärhaus, in dem die Schwangeren auch körperlich schwere Arbeiten, wie das Tragen von Holz und Wasser, das Waschen und Trocknen der Anstaltswäsche oder die Reinigung der Böden, Stiegen und Aborte, verrichten mussten53, sprechen die Trentiner Quellen nur von Handarbeiten, wie dem Spinnen, Stri-

49 Vgl. dazu die Schilderungen zum Gebär- und Findelhaus in Wien bei Pawlowsky, Mutter, 89-92. 50 Vgl. Anderle, Maternità, 150-155. Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 128-130. Vgl. Die Statuten der Anstalt in: Bortoli/Grandi, legislazione, 104-107. 51 Vgl. Die k.k. Gebär- und Findel-Anstalt alle Laste nächst Trient, in: Tiroler Zeitung (TZ), Nr. 56 vom 8. März 1851, 239-242, hier 239. 52 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1870, Zl. 309, 1152. 53 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 94-95.

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cken und Nähen.54 Bei einem Personalstand im Jahre 1851 von zwei Hebammen, zwei Verwaltungsbeamten, zwei Ärzten und einem Geistlichen, stellt sich aber die Frage, wer die anfallenden Hausarbeiten erledigte. Die Anstellung eigener TagelöhnerInnen für die schweren Arbeiten ist nicht belegt. Es wird jedoch berichtet, dass die Wärterinnen sich aus der Gebärhausklientel rekrutierten.55 Auch dürften die Hebammenschülerinnen, die jeweils von Oktober bis Februar und von März bis Juli in der Anstalt lebten zu den nötigen Hausarbeiten herangezogen worden sein. Während der Ferien mussten aber wohl die Schwangeren diese Arbeiten erledigen, wie auch Jolanda Anderle vermutete. Sie spricht von verschiedensten Diensten, u. a. dem Putzen der Anstaltsräumlichkeiten, dem Waschen der Wäsche oder von Handarbeiten, wie dem Spinnen und Weben von Hanf.56 Erst 1851 wurde der Pflegeorden der Barmherzigen Schwestern aus Lovere bei Bergamo in das Institut geholt und übernahm mit fünf Schwestern die Versorgung der Patientinnen.57 Doch auch nach Einführung des Pflegeordens wurde die individuelle Wartezeit bis zur Geburt für diverse Handarbeiten genützt. Mit dem Eintritt in die Gratisabteilung verpflichteten sich die Frauen, bei Bedarf und persönlicher Eignung, nach der Entbindung weitere vier Monate im Haus zu verbleiben und als Ammen im Findelhaus zu dienen. Diese Tätigkeit umfasste nicht nur die Versorgung mehrerer Säuglinge mit Muttermilch, sondern auch die Sauberhaltung der Kinder und die Reinigung der Kindswäsche.58 Von den in der Gratisabteilung entbundenen Frauen wurden in der Regel keine Aufnahmegebühren für das Findelhaus verlangt. Die Möglichkeit, ihre unehelichen Kinder im Findelhaus unterzubringen und für zehn Jahre auf Kosten des Staates versorgen zu lassen, ermöglichte den ledigen Müttern einen finanziell unbelasteten Wiedereinstieg in das Berufsleben.59 Für die zahlungskräftigen Kundinnen der Zahlabteilung galten jedoch andere Maßstäbe, denn die Frauen der 1. Klasse mussten einen Beitrag von 40 Gulden leisten, jene Frauen, die in der zweiten 54 Vgl. Erwiderung auf die Anschuldigungen gegen die k.k. Gebär-Findel-Anstalt alle Laste bei Trient vom 8. März 1851, in: Tiroler Bote (TB), Nr. 69 vom 26. März 1851 – Nr. 71 vom 28. März 1851, 357. 55 Vgl. Die k.k. Gebär- und Findel-Anstalt alle Laste nächst Trient, in: Tiroler Zeitung (TZ), Nr. 56 vom 8. März 1851, 239-242, hier 239. 56 Vgl. Anderle, Maternità, 153. 57 Vgl. Anderle, Maternità, 145. 58 Anderle, Maternità, 150-155. Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 128-130. Vgl. die Statuten der Anstalt in: Bortoli/Grandi, legislazione, 104-107. 59 Vgl. Anderle, Maternità, 150-155. Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 128-130. Vgl. die Statuten der Anstalt in: Bortoli/Grandi, legislazione, 104-107.

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oder dritten Klasse entbunden hatten, mussten 16 Gulden für die Unterbringung ihrer Kinder bezahlen.60 Das Findelhaus beherbergte aber nicht nur Kinder, welche in der Anstalt geboren wurden, sondern mitunter auch uneheliche, aber auch eheliche Kinder, welche auf Grund von Krankheit oder großer Not der Eltern nicht von denselben aufgezogen werden konnten. Auch Kinder, deren Mütter eine Gefängnis- oder Arbeitshausstrafe verbüßten, wurden in Alle Laste aufgenommen.61 Ebenso kamen die Trentiner Kinder, die an öffentlichen Plätzen ausgesetzt wurden, auf Kosten der wohltätigen Congregazione di carità ins Haus.62 Die Gebär- und Findelanstalt definierte sich selbst als ein Asyl für die „Entjungferten“, welches sie vor Scham, Schmach und Armut zu schützen versuchte, indem es die „Frucht ihrer Leiber“63 aufnahm. Die geheime Geburt in der Anstalt sollte es den meist jungen und ledigen Schwangeren ermöglichen, nach der Entbindung wieder ein geregeltes Leben führen zu können, ohne unter einem „befleckten“ Namen leiden zu müssen. Somit wurde in den Anstaltsstatuten nicht etwa eine Verbesserung der medizinischen Versorgung von Geburt und Wochenbett oder die Prävention des Kindsmordes als oberstes Ziel des Gebärhauses deklariert, sondern der Schutz der individuellen weiblichen Ehre. Die enorme Bedeutung der Diskretion ist unzweifelhaft auch an der Organisationsstruktur des Hauses ablesbar, zeigte jedoch in ihrer Umsetzung deutliche Schwächen. Wie in anderen vergleichbaren Anstalten konnte die Anonymität der Frauen nur für die zahlende Klientel der 1. Verpflegsklasse garantiert werden, denn die Aufnahme aller anderen Frauen, insbesondere jener der Gratisabteilung, war an den schriftlichen Nachweis ihrer Armut und Herkunft aus Tirol bzw. dem österreichischen Reichsgebiet geknüpft. Die von den jeweiligen Heimatgemeinden ausgestellten Dokumente machten der Anstaltsverwaltung sämtliche persönliche Daten der Frauen zugänglich. Konnte die proklamierte Maxime der Diskretion schon nicht innerhalb der Anstalt bzw. vor dem Anstaltspersonal gewährleistet werden, so wurde zumindest versucht, die Anonymität der Frauen nach außen hin zu wahren. Die geographische Abgeschiedenheit mag die Frauen zwar vor den wertenden Blicken der städtischen Öffentlichkeit bewahrt haben, ein anonym publizierter Bericht aus dem Jahre 1851 kritisierte jedoch die zu legere 60 Vgl. Anderle, Maternità, 157-160. Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 132-133. Vgl. die Statuten der Anstalt in: Bortoli/Grandi, legislazione, 111-114. 61 Vgl. Anderle, Maternità, 157. 62 Vgl. Grandi, Madri, 151. 63 Der Originaltext in den Statuten lautet: „Esso servo d’asilo generale alle deflorate, le garantisce dalla vergogna, e dai bisogni, ed accoglie il frutto del loro ventre.“ Aprimento dell’Istituto delle partorienti e degli esposti in Trento, in: Bortoli/Grandi, legislazione, 102.

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Handhabung der Diskretionsmaßnahmen. So schildert der anonyme Verfasser, dass die Frauen auch innerhalb der Anstalt nicht vor den mitunter neugierigen Blicken Außenstehender geschützt seien, denn „[a]uf jedem ihrer Gänge – in die Kirche, ins Freie, in die Kanzlei u.s.w. – können sie nicht nur von den Wohnungen der Beamten aus, zu denen der Zugang Niemandem verwehrt wird, mit aller Gemächlichkeit ausgespäht werden, sondern sie sind, da die Ringmauern baufällig, niedrig, an vielen Stellen dem Boden gleich sind, und sich ringsum Anhöhen befinden, die das Institut überragen, auch den Blicken der Auswärtigen bloßgestellt, ja sogar den kecken Besucher (oder Versucher) zugänglich.“64 Weiters kritisierte der Verfasser die mitunter ausführliche Kommunikation und den Informationsaustausch unter den betroffenen Frauen, der auch dazu führe, dass so manche Details der Einzelperson und individuellen Lebensumstände nach Außen gerieten und zum Amüsement der Bürger Trients beitrugen. Die Ankunft von neuen Patientinnen in der Anstalt beschreibt er mit moralisierend patriarchalem Ton: So hätten die Frauen nämlich kein anderes Interesse, als „von der Neuangekommenen [...] Namen, Herkunft, alle Umstände ihrer Schwängerung genau zu erfahren. Es vergeht keine Stunde, so ist das ganze weibliche Personale auf das Pünktlichste davon unterrichtet. Eifrigst wird es nun in alle Welt hinausposaunt. Die Gefallenen thun es, um durch fremde Schande ihre eigene zu verbergen, Andere, die dort den praktischen Unterricht der Geburtshilfe genießen oder sonst dem Dienste der Anstalt gewidmet sind, aus Geschwätzigkeit, aus Schadenfreude – man möchte fast sagen, aus Diensteifer.“65 Die Anstaltsleitung entgegnete diesem Angriff zwar öffentlich und in aller Vehemenz, konnte dabei aber einen gewissen Wahrheitsgehalt in den provokanten Aussagen nicht verleugnen. So wurde beispielsweise darauf verwiesen, dass die Frauen sich in der Anstalt durch Verschleierung vor aufdringlichen Blicken schützen könnten und dass die, das Grundstück umgebenden Mauern bereits erhöht worden seien und so keine Gelegenheit mehr bestünde, die Schwangeren zu beobachten. Bezüglich der „Geschwätzigkeit“ der Patientinnen wusste sich auch die Anstaltsleitung keinen Rat, denn die Einführung eines Zellensystems, welches in Strafanstalten zur Anwendung kam, fand man für eine soziale und medizinische Institution wenig sinnvoll.66 64 Die k.k. Gebär- und Findel-Anstalt alle Laste nächst Trient, in: Tiroler Zeitung (TZ), Nr. 56 vom 8. März 1851, 239-242, hier 239. 65 Die k.k. Gebär- und Findel-Anstalt alle Laste nächst Trient, in: Tiroler Zeitung (TZ), Nr. 56 vom 8. März 1851, 239-242, hier 239. 66 Vgl. Erwiderung auf die Anschuldigungen gegen die k.k. Gebär-Findel-Anstalt alle Laste bei Trient vom 8. März 1851, in: Tiroler Bote (TB), Nr. 69 vom 26. März 1851 – Nr. 71 vom 28. März 1851, 352-362.

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So sehr die Geheimhaltung illegitimer Mutterschaft und die Erhaltung weiblicher Ehre von den Obrigkeiten zum primären Zweck der Anstalt stilisiert wurden, so wenig praktikabel war sie allerdings in der Realität. Denn, obwohl sich die Frauen an einen vermeintlich diskreten Ort zurückzogen, um die Schwangerschaft zu verheimlichen, erfuhren unterschiedlichste Personenkreise davon. Zunächst mussten die Frauen die Gemeindevorstände ihrer Heimatgemeinden und mitunter auch die Ortsgeistlichen in ihre prekäre Situation einweihen, um die erforderlichen Dokumente für den Eintritt in die Gebäranstalt zu erhalten. Auch der Arbeitgeber musste über kurz oder lang, spätestens bei der Auflösung des Dienstverhältnisses, von der Schwangerschaft erfahren. Und schließlich gaben die Frauen auch in der Anstalt ihre Identität und nicht zuletzt auch ihren schwangeren Körper preis. Die Ambivalenz der Anstalt betont auch Verena Pawlowsky, indem sie das Wiener Gebärhaus als „äußerst ambivalente Schutzeinrichtung für Frauen und die als Humanität gepriesene Geheimhaltung der Mutterschaft als ein zwiespältiges Angebot“67 beschreibt. Die strengen Aufnahmebedingungen und die nur bedingte Anonymität der Mütter entsprachen nur sehr eingeschränkt den von den männlichen Repräsentanten postulierten Erwartungen, welche insbesondere die Trentiner Bevölkerung an das Findelhaus gestellt hatte. Somit scheint es nicht verwunderlich, dass das Findelhaus in Verona auch nach der Eröffnung Alle Lastes noch regelmäßig frequentiert wurde.68 1.2.3 Attraktivität und Frequentierung In den 37 Jahren ihres Bestehens – von 1833 bis 1870 – nahm die Gebäranstalt in Alle Laste insgesamt 8435 Schwangere auf. Nur 25 Frauen konnten und wollten sich die Versorgung nach der 1. Verpflegsklasse leisten (0,29 Prozent). 381 (4,5 Prozent) Schwangere wurden nach der 2. Klasse verpflegt, 1115 (13,21 Prozent) nach der 3. Klasse. In die Gratisabteilung des Hauses wurden insgesamt 6914 Frauen aufgenommen und machten mit rund 82 Prozent der Gesamtaufnahmen den Hauptanteil der Verpflegten aus.69 Trotz der anfänglichen Skepsis, die im italienischsprachigen Teil Tirols gegenüber der Anstalt herrschte, lief der Betrieb bereits 1833, mit 88 stattgefundenen Entbindungen, gut an. Auf Grund der räumlichen Nähe dürften doch mehr Trentinerinnen als erwartet, die Anstalt als Ort ihrer Niederkunft gewählt haben. In den Anfangsjahren dominierten sie auch ganz eindeutig das Herkunftsspektrum der Verpflegten. Aus den deutschsprachigen Kreisen Tirols entschlossen 67 Pawlowsky, Mutter, 98. 68 Vgl. Grandi, Madri, 151. 69 Vgl. Anderle, Maternità, 182.

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sich zunächst nur wenige schwangere Frauen, die Reise nach Trient auf sich zu nehmen. Stattdessen verzeichnete die Stadt Innsbruck einen Zustrom lediger Schwangerer aus den ländlichen Gebieten Nordtirols, die für die Zeit der Schwangerschaft und Geburt versuchten, in der Anonymität der Stadt unterzutauchen. Im Jahre 1834 soll bereits ein Drittel aller Geburten in der Stadt unehelich gewesen sein und die Stadtbehörden fürchteten über kurz oder lang eine Kostenexplosion bei der städtischen Armenfürsorge. Die winzige Gebärabteilung im Innsbrucker Bürgerspital konnte aber nur einem verschwindend geringen Anteil lediger Schwangerer Obdach und Herberge bieten und so sahen sich „[d]ie zahlreichen um die Lizenz hier entbinden zu dürfen sich meldenden verunglückten Mädchen [...] genöthigt, bey den bestehenden Hebammen um theures Geld Unterkommen“70 zu finden. Die Innsbrucker Gebärabteilung stellte also zumindest in der institutionellen Frühphase keine echte Alternative dar, dementsprechend wurden in den 1830er Jahren nur durchschnittlich 23 Geburten pro Jahr verzeichnet. Der Anteil deutschsprachiger Gebärender in Alle Laste lag im Vergleichszeitraum von 1833 bis 1839 hingegen bei knapp 31 Geburten pro Jahr. Obwohl die Herkunft der Gebärenden in Alle Laste bisher nur für die italienischen Bezirke aufgeschlüsselt wurde, legt ein Bericht des damaligen Anstaltsleiters Ignatz Laschan nahe, dass die Mehrzahl der deutschsprachigen Frauen aus dem benachbarten Bozner Raum stammten und nur sehr vereinzelt Schwangere aus dem Ober- oder Unterinntal in das Trentiner Gebärhaus aufgenommen wurden.71 Auf dieses Missverhältnis wies auch der Innsbrucker Stadtmagistrat hin und sah die Gebär- und Findelanstalt in Alle Laste, auf Grund der großen Entfernung, der beschwerlichen Reise, welche in einem vorgerückten Stadium der Schwangerschaft unternommen werden musste, nicht als eine attraktive Alternative für Schwangere aus Nordtirol. Außerdem stellte die fremde Sprache für so manche schwangere Frau wohl eine schwer zu überwindende Barriere dar. Auch die Tatsache, dass die Kinder bei italienischen Familien untergebracht und somit nicht in der Sprache und Kultur ihrer Mütter aufgezogen wurden, wurde als Argument gegen die Nutzung Alle Lastes ins Treffen gebracht.72 Doch der humanitäre Nutzen der Innsbrucker Anstalt war, in Ermangelung einer allgemein zugänglichen, kostenlosen Findelverpflegung und auf Grund massiv eingeschränkter Aufnahmekapazitäten noch wesentlich geringer. In Bezugnahme auf ein 1835 publiziertes Gesetz, welches die Wahl der Standorte von Gebär- und Findelanstalten sowie psychiatrischer Institutionen im Reichsgebiet 70 TLA, Jüngeres Gubernium 1835, Sanität Zl. 15617. 71 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1840, Sanität Zl. 1982. 72 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1835, Sanität Zl. 28459.

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regelte, wagte der Stadtmagistrat Innsbruck einen ersten ernsthaften Vorstoß in Sachen Gebärhausfrage. Das Gesetz sah nämlich vor, dass Gebär- und Findelhäuser „nur in der Stadt Wien und in den Provinzialhauptstädten, oder in deren Nähe, und in solchen größeren und zahlreich bevölkerten Städten zu bestehen haben, wo sich darnach ein Bedürfnis aus öffentlichen Rücksichten unverkennbar ausspricht.“73 Dieses Bedürfnis sah man in Innsbruck gegeben und immer deutlicher glaubten die städtischen Akteure, eine bewusste Benachteiligung des nördlichen Teiles Tirols und insbesondere der Landeshauptstadt erkennen zu können. Die Forderung nach Einrichtung einer zweiten ärarisch geführten Anstalt im Norden Tirols schien jedoch noch wenig Erfolg versprechend, weshalb man zunächst eine andere Strategie für verfolgenswert erachtete. Der Innsbrucker Stadtmagistrat forderte 1835 lediglich einen Ausbau der Findelversorgung im Norden Tirols. Dabei sollten jene unehelichen Kinder, welche in Innsbruck zur Welt kamen, auf Kosten des Staates bei deutschsprachigen Pflegefamilien untergebracht werden. Im Hinblick auf die Fürsorge für ledige Schwangere drängte man auf eine räumliche Expansion der bestehenden städtischen Gebärabteilung, mit der Möglichkeit zur Absonderung vom, bisher zwangsweise an den Schwangeren und Gebärenden, praktizierten Lehrbetrieb. Darin glaubte nämlich die Stadt, einen gewichtigen Grund für die schwache Frequentierung durch schwangere Frauen zu erkennen. Die Spitalsdirektion sah hingegen vielmehr die Tatsache, dass die städtischen Hebammen berechtigt waren, Schwangere in ihren Privatwohnungen aufzunehmen und zu betreuen, als wesentlichen Grund für die geringe Frequentierung der klinischen Abteilung. Zudem kritisierten die Direktion und der ärztliche Leiter der Abteilung die unangemessene Präsenz des Spitalsgeistlichen in den Räumlichkeiten der Gebärabteilung. Der zuständige Redemptoristenpater solle durch seine „inquisitionsartige Zudringlichkeit“74, die ihn mitunter zu nächtlichen Beichtbesuchen bei den Schwangeren verführe, negativ auffallen und so zum schlechten Image der Anstalt in der Öffentlichkeit beitragen.75 Die Gebärabteilung im Innsbrucker Bürgerspital wies grobe Mängel auf und konnte im Vergleich zum Gebär- und Findelhaus in Alle Laste kaum den Ansprüchen einer sozialen, klinischen und edukativen Institution gerecht werden. Obwohl die Missstände bekannt und viel diskutiert blieben, konnten auch im folgenden Jahrzehnt keine Änderungen räumlicher, humanitärer oder medizinischer Art erzielt werden. Ähnlich verhielt es sich mit den Aufnahmezahlen in Innsbruck, die zunächst stagnierten und ab der Mitte der 1840er Jahre sogar stark 73 TLA, Jüngeres Gubernium 1835, Sanität Zl. 15617. 74 TLA, Jüngeres Gubernium 1830, Sanität Zl. 26274. 75 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1830, Sanität Zl. 26274.

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abnahmen. Dieser Rückgang in den absoluten Aufnahmezahlen wurde bisher fälschlicherweise auf einen massiven Seuchenausbruch in der Abteilung bzw. im gesamten Spital zurückgeführt, wofür jedoch bei genauem Quellenstudium keine empirischen Belege gefunden werden konnten.76 Es ist vielmehr anzunehmen, dass sich im Zuge des generellen Aufschwungs in Alle Laste auch immer mehr ledige Schwangere aus den deutschsprachigen Kreisen Tirols entschlossen, die Reise nach Trient anzutreten. Ab 1838 stellte das deutschsprachige Tirol immerhin knapp ein Drittel der jährlichen Gesamtaufnahmen. Ob die Entscheidung zur Reise nach Alle Laste jedoch immer freiwillig getroffen wurde, ist fraglich, denn verschiedene Quellen berichten noch im 19. Jahrhundert von Ortsvertreibungen lediger Schwangerer.77 Auch die Stadt Innsbruck versuchte mit finanziellen Anreizen, wie der Übernahme der Reisekosten, ledige Schwangere zu einer Reise nach Trient zu bewegen.78 Aus Sicht der städtischen Behörden schienen jedoch immer noch zu wenige Frauen dieses Angebot anzunehmen, weshalb man im Jahre 1840 erneut die Notwendigkeit einer humanitären Lösung für das nördliche Tirol diskutierte. Es wurde nun eine Filiale Alle Lastes in Innsbruck projektiert, deren geburtshilfliche Abteilung im geplanten Spitalsausbau Platz finden würde. Die dringend nötige Erweiterung auf sieben Zimmer hätte die räumlichen Kapazitäten erhöht und so deutlich mehr Frauen die Möglichkeit gegeben, in der Anstalt zu entbinden. Die Versorgung und Erziehung der Findelkinder sollte zudem nur mehr von erfahrenen Pflegeeltern in den deutschsprachigen Kreisen Tirols besorgt werden. Ein drittes Argument für die dringend notwendige Etablierung einer Filialanstalt wurde in der Vermehrung der potenziellen Lehrfälle für den geburtshilflichen Unterricht gesehen. Die bestehende ambulatorische Anstalt sicherte zwar vorübergehend die Aufrechterhaltung des praktischen Lehrbetriebs, eine Filialanstalt würde den Hebammenschülerinnen jedoch zusätzliche Übung in der Wöchnerinnen-Nachsorge und in der Versorgung der Neugeborenen ermöglichen, so die Überlegungen der Innsbrucker Armendirektion. Überdies sei in Innsbruck ohnehin ein doppelter Nutzen gegeben, denn auch die Studenten der Wundarzneikunde würden von einer umfangreicheren und intensiveren geburtshilflichen Ausbildung profitieren. Zudem würde ihnen die Einrichtung eines Findelhauses die einmalige Gelegenheit bieten, sich in der Erteilung der Schutzpockenimpfung zu üben, den normalen Krankheitsverlauf der Schutzpocken bei den Säuglingen zu beobachten und noch zusätzlich Erfahrungen in der Diagnose und Behandlung anderer gängiger Kinderkrankheiten zu sammeln. Der ambitionierte und konkret ausgearbeitete Plan zur Errichtung einer Filialan76 Vgl. Brezinka, Gebär- und Findelanstalt, 19. 77 Vgl. Zimmermann, Untersuchung, 37. Vgl. Schadelbauer, Entwicklung, 7. 78 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1840, Sanität Zl. 1982.

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stalt in Innsbruck, welcher auch durch die Spitalsdirektion Unterstützung fand, wurde jedoch wiederum auf Grund von zu hohen Kosten abgewiesen.79 Doch schon im Revolutionsjahr 1848 war in Innsbruck die Zeit gekommen, ein neuerliches Ansuchen um die Errichtung einer ständigen Gebär- und Findelanstalt zu stellen. Im Zuge der Verhandlungen um die Wiedereinrichtung der medizinischen Fakultät an der Universität Innsbruck kam nun auch erstmals das Ansinnen auf eine vollständige Verlegung der Trentiner Anstalt nach Innsbruck auf das politische Tapet. Doch der Antrag auf Wiedereinrichtung der medizinischen Fakultät wurde vom Ministerium für Kultus und Unterricht abgewiesen und somit blieb auch die Transferierung der Gebär- und Findelanstalt zunächst nur ein frommer Wunsch.80 Das Ministerium für Kultus und Unterricht nahm die vielen Interventionen von Nordtiroler Seite zwar wahr und ordnete 1851 sogar an, die „den Verfall der Gebärklinik in Innsbruck begründenden Verhältniße wo möglich“81 zu beseitigen. Doch die darauf folgenden Maßnahmen, wie etwa das 1852 an die städtischen Hebammen gerichtete Verbot zur Aufnahme schwangerer Frauen in ihren Privathaushalten, brachte keine merkliche Verbesserung der Situation. Die Aufnahmezahlen in der Gebärabteilung blieben weiterhin sehr gering und auch die geburtshilfliche Poliklinik hatte viel von ihrer anfänglichen Attraktivität verloren.82 Der Professor für Geburtshilfe sah sich somit um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer stetig schrumpfenden Zahl von Lehrfällen konfrontiert. Aus diesem Grund startete das medizinisch-chirurgische Studiendirektorat 1855 einen neuerlichen Vorstoß in Richtung Filialeröffnung in Innsbruck. Die argumentative Linie war dabei erstmals auf einen wesentlichen Punkt beschränkt: Im Zentrum der Initiative stand die Ausarbeitung eines konkreten Lösungsansatzes, um der Gefährdung des geburtshilflichen Unterrichts durch mangelnde praktische Lehrfälle entgegenzuwirken. Soziale Aspekte, wie die Sorge um das Schicksal unverheirateter schwangerer Frauen und ihrer Kinder, welche noch wenige Jahre zuvor zentrale Argumente im Kampf um eine Gebäranstalt gewesen waren, wurden nun zu Gunsten einer rein bildungspolitischen Argumentation gekippt. Die offensive und auch national-gefärbte Forderung nach Transferierung wurde mit Verweis auf eine Verschlechterung der Ausbildungssituation im Trentino abgelehnt, denn der italienischsprachige Teil Tirols würde dadurch „die Gebärklinik für die dortigen italienischen Hebammen-Schülerinnen einbüßen, diese aber, wie dieß die Erfahrung in den früheren Jahren bereits bewiesen hat, 79 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1840, Sanität Zl. 1982. 80 Vgl. Huter, Fakultät, 59-62. 81 TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1855, Sanität Zl. 22220. 82 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1855, Sanität Zl. 22220.

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sich nur höchst selten entschließen behufs des geburtshilflichen Unterrichts nach Innsbruck zu reisen.“83 Und auch die Einrichtung einer zweiten ärarisch geführten Anstalt wurde auf Grund der hohen finanziellen Auslagen als nicht realisierbares Projekt bezeichnet. Die anfänglich humanitär beeinflusste und emotional geführte Diskussion rund um eine Gebärhauseinrichtung in Innsbruck war um die Mitte des 19. Jahrhunderts einer nüchternen, klar kalkulierten Strategie gewichen, die auf eine kosteneffiziente Nutzung bestehender Strukturen baute. Die kostenlose Betreuung mittelloser Frauen und die Versorgung der unehelichen Kinder über das Netzwerk des Findelhauses in Trient waren die wesentlichen Merkmale der angestrebten Reform und sollten rasch zu einer Steigerung der Frequentierung führen. Die Aufwertung des praktischen geburtshilflichen Unterrichts wurde jedoch nicht als einzig positiver Effekt der Filialeinrichtung in Innsbruck angepriesen, vielmehr wären durch die gleichmäßigere Verteilung der ledigen Mütter auf beide Landesteile erhebliche finanzielle Einsparungen möglich, der chronischen Überbelegung Alle Lastes entgegengewirkt und ein ebenfalls ausgewogeneres Verhältnis bei der Findelpflege erreicht worden. Das finanzielle Einsparungspotenzial für die Nordtiroler Gemeinden, welche nicht mehr die hohen Reisekosten nach Trient bezahlen müssten, wurde als ein weiterer positiver Nebeneffekt genannt.84 Die Gebärhausleitung in Trient sowie das dortige Kreisamt bestätigten und befürworteten die Innsbrucker Pläne, doch hatte man die Rechnung einmal wieder ohne die zuständige Stadtverwaltung gemacht.85 Denn der Innsbrucker Stadtmagistrat äußerte Bedenken, die sich vordergründig um die finanzielle Umsetzbarkeit des Projektes drehten. Die Stadtobrigkeiten legten in Sachen Gebärhausfrage einmal mehr eine äußerst zögerliche Haltung an den Tag, die wohl maßgeblich in der angespannten finanziellen Situation der Stadtgemeinde begründet war. Zum Problem wurden dabei allerdings nicht nur die Ausgaben für die räumliche Adaptierung, sondern vielmehr die latente Sorge vor einer Kostenexplosion im Bereich der städtischen Armenfürsorge, denn eine Klärung der örtlichen Zuständigkeit von Findlingen durch die Regierung ließ nach wie vor auf sich warten. Uneheliche Kinder fielen generell der Heimatgemeinde der Mutter zu, doch in jenen Fällen, in denen die Zuständigkeit der Mutter nicht geklärt werden konnte, mussten die Gemeinden, in denen das 83 TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1855, Sanität Zl. 22220. 84 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1855, Sanität Zl. 22220. Vgl. dazu auch TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1858, Sanität Zl. 17501, 12778, 3974 ex 1855. 85 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1858, Sanität Zl. 17501, 12778, 3974 ex 1855. Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1858, Sanität Zl. 17501, 12778, 17839 ex 1855.

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Kind geboren worden war, die Kosten der weiteren Unterbringung übernehmen.86 Vertreten durch die Ministerien für Kultus und Unterricht sowie Inneres wies eben diese Regierung das Innsbrucker Ansuchen zum nunmehr vierten Mal in Folge ab, diesmal jedoch mit dem Hinweis, dass eine generelle Reform der Staatsanstalten in Ausarbeitung sei, die auch eine Lösung für das Tiroler Problem beinhalte. Zwischenzeitlich wurde die bildungspolitische Verantwortung auf Stadt und Land abgewälzt, welche – nach Ansicht der Ministerien – mit der Abschaffung der Verpflegsgebühren für Mutter und Kind einen wichtigen Schritt in Richtung Aufnahmesteigerung hätten setzen können. Zum wiederholten Male stand die ungewöhnliche Praxis der zwangsweisen Verwendung der Frauen zum praktischen Unterricht bei gleichzeitiger Zahlungsverpflichtung in der Kritik, denn „es wird mit diesen beiden Anforderungen offenbar zu viel von den Schwangeren verlangt,“ und es sei somit „begreiflich, daß sie sich dieser Unbilligkeit entziehen,“87 so die Einschätzung der Statthalterei für Tirol und Vorarlberg. Doch das Blatt sollte sich bald wenden: Im Jahre 1858 erhielten die Verfechter einer ständigen Gebäranstalt in Innsbruck Hilfe von unerwarteter Seite. Auf Grund eines massiven Ausbruchs von Kindbettfieber in Alle Laste musste das Institut in Trient für die Dauer von fünf Wochen geschlossen werden, um eine weitere Ausbreitung der Epidemie zu verhindern.88 Diese Krise nahm der in Innsbruck tätige Professor für Geburtshilfe, Virgil von Mayrhofen,89 zum Anlass, um am 22. Juli 1858 bei einer Audienz beim Statthalter von Tirol, Erzherzog Karl Ludwig, eine eindringliche Stellungnahme zu den in Tirol herrschenden, misslichen Verhältnissen seines Faches abzugeben. Mayrhofen plädierte erneut für die Einrichtung einer Filialanstalt in Innsbruck. Dabei wiederholte er die bereits mehrfach genannten Reformen, wie etwa die Koordination der Ver86 Vgl. Meumann, Findelkinder, 182-185. Von einem Heimatrecht an sich kann erst mit der Einführung des „Provisorischen Gemeindegesetztes“ im Jahre 1849 gesprochen werden. Vgl. Wendelin Harald, Schub und Heimatrecht, in: Heindl Waltraud/Saurer Edith (Hg.), Grenze und Staat. Paßwesen, Staatsbürgerschaft, Heimatrecht, und Fremdengesetzgebung in der österreichischen Monarchie (1750-1867), Wien/Köln/Weimar 2000, 173-343, hier 195-230. 87 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1856, Sanität Zl. 198. 88 Vgl. Huter, Fakultät, 24. Vgl. Anderle, Maternità, 157. Vgl. Prommegger, Gebär- und Findelanstalt, 89-101. 89 Virgil von Mayrhofen (1815-1877) wurde 1851 zum Professor für Geburtshilfe am Innsbrucker Lyzeum ernannt. Ab 1869 war er Professor an der wieder eingerichteten medizinischen Fakultät. Vgl. Westhoff, Medicina, 146-149.

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waltungsgeschäfte über Alle Laste, die Übernahme aller in Innsbruck geborenen Kinder in das bestehende Findelsystem und die kostenlose Betreuung von Mutter und Kind. Diese Neuerungen, so der Professor, würden die Attraktivität der Innsbrucker Anstalt beträchtlich steigern, denn nur so „[...] werden die bitteren Tränen vieler gefallenen, aber deswegen nicht entsittlichten Mädchen getrocknet und endlich manches arme, gewiß schuldlose Kind vom jähen Untergange bewahrt.“90 Von dieser humanitären Verbesserung erwartete sich Mayrhofen natürlich zudem eine beträchtliche Zunahme potenzieller Lehrfälle, sodass er „als Lehrer des wichtigsten und unentbehrlichsten Zweiges der ganzen Medizin – denn in der Geburtshilfe ist jede unrichtige Beurteilung des concreten Falles oder irrige Wahl des entsprechenden Heilmittels oder fehlerhafte technische Kunsthilfe von unberechenbar traurigen Folgen – Ersprießliches leisten“91 könne. Statthalter Erzherzog Karl Ludwig – überzeugt durch die Beharrlichkeit der Tiroler oder das ausgereifte Reformpapier – setzte sich daraufhin über die Weisungen der zuständigen Ministerien hinweg und genehmigte eigenmächtig die Etablierung einer Filialanstalt in Innsbruck. Der Antrag Mayrhofens wurde am 16. August 1858 vollinhaltlich bewilligt92, die offizielle Verordnung zur Erweiterung der Gebärklinik in Innsbruck am 17. Oktober erlassen und erlangte schließlich am 1. November des Jahres 1858 volle Gültigkeit.93 Der zunächst aussichtslos und langwierig erscheinende Kampf um ein adäquates Gebärhaus in der Landeshauptstadt hatte damit ein vorläufiges Ende genommen.

2. D IE F ILIAL -G EBÄRANSTALT – EINE INSTITUTIONELLE Ü BERGANGSPHASE (1858-1869) „In Folge höchsten Auftrags Seiner kaiserlichen Hoheit, des durchlauchtigsten Herrn Erzherzog-Statthalters, Carl Ludwig vom 16. August 1858 werden Behufs der Ermöglichung der Ertheilung eines vollständigen Unterrichts in der praktischen Geburtshilfe für angehende Wundärzte und Hebammen an der Innsbrucker chirurgischen Lehranstalt folgende Bestimmungen erlassen,“ welche am

90 Huter, Fakultät, 24. 91 Huter, Fakultät, 24. 92 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1858, Sanität Zl. 17501. 93 TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1858, Sanität Zl. 18337 (findet sich im UAI, Med. Hebammen 1829-1880).

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30. Oktober 1858 über das Amtsblatt des Tiroler Boten einer breiten Öffentlichkeit kundgetan wurden.94 Die Erhebung und Erweiterung des Innsbrucker geburtshilflichen Instituts zur Filiale und Zweigstelle Alle Lastes leitete nicht nur eine Phase weitreichender, struktureller Veränderungen am medikalen Markt ein, sondern schuf auch neue Handlungsoptionen im Umgang mit dem sozialen Problem der Illegitimität. Im folgenden Kapitel soll diese kurze, aber intensive Phase der Transition näher beleuchtet und die Neuerungen und Verbesserungen in der geburtshilflichen Landschaft Tirols diskutiert werden, ohne jedoch auf eine kritische Prüfung der strukturellen Umwälzungen zu verzichten. 2.1 Strukturelle Adaptierung und Optimierung Die Etablierung einer Zweigstelle Alle Lastes sollte gemäß der Anordnung des Statthalters Erzherzog Karl Ludwigs in erster Linie den praktischen Unterrichtserfolg der Hebammen und Chirurgen garantieren. Gleichzeitig wurde damit aber auch eine lokale Anlaufstelle für arme, ledige Schwangere im Norden des Landes geschaffen. Um den erwarteten Zustrom lediger Schwangerer auffangen zu können, musste jedoch erst die räumliche Unterbringung geklärt und zusätzliche Zimmer geschaffen werden. Trotz anfänglicher Ablehnung erklärte sich der Innsbrucker Stadtmagistrat schließlich dazu bereit, die nötigen Adaptierungsund Renovierungsmaßnahmen für die räumliche Erweiterung der Gebärabteilung zu übernehmen. Um die zu erwartenden Mehraufnahmen auch beherbergen zu können, wurden drei zusätzliche Zimmer im 1. Stock des Spitalsgebäudes mit Betten bestückt und auch Vorkehrungen getroffen, um zahlenden Patientinnen Platz zu bieten. Die Erweiterungsarbeiten fanden noch im Herbst 1858 statt und nach deren Vollendung war aus der einst winzigen, zwei Zimmer umfassenden, städtischen Gebärabteilung eine kleine Gebärklinik mit je einem Zimmer für Schwangere (7 Betten), einem Zimmer für Wöchnerinnen (4 Betten), einem je nach Bedarf gemischt zu belegenden Zimmer (7 Betten), einem gesonderten Kreißzimmer (2 bis 3 Betten), einem Operations- bzw. Isolationszimmer (2 Betten), einer Küche und einem Aufnahmezimmer geworden. Zusätzlich ließ der Stadtmagistrat für die Küche einen neuen Sparherd mit eingemauertem Wasserbehälter, der die Verfügbarkeit heißen Wassers gewährleisten sollte sowie einen zusätzlichen Heizofen anschaffen.95

94 Dabei handelt es sich um die wortgetreue Reproduktion der Verordnung Zl. 18337, in: Amtsblatt zum Tiroler Boten, Nr. 233 vom 30. Oktober 1858, 507-508. 95 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1858, Sanität Zl. 17501, 22467. Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1858, Sanität Zl. 17501, 25356.

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Die ärztliche Leitung der neuen Gebärklinik wurde dem Professor für Geburtshilfe, Virgil von Mayrhofen, übertragen. Sämtliche Verwaltungsgeschäfte vor Ort sollten von der Spitalsdirektion und dem Spitalsverwalter übernommen und in regelmäßigen Berichten an die zentrale Verwaltungsstelle in Trient kommuniziert werden. Um eine transparente Abrechnung zu ermöglichen, wurde die Spitalsverwaltung verpflichtet, über Aufnahmen und Entlassungen von Patientinnen penibel Buch zu führen und alle relevanten, personenbezogenen Daten zu erheben. Auch dem verantwortlichen Professor wurde die Weisung erteilt, ein Journal zu führen, welches die Grundlage für die zu erbringenden wissenschaftlichen Berichte darstellte. Die Findelfürsorge war zwar offiziell unter die „Oberhoheit“ Alle Lastes gestellt, doch die Anwerbung potenzieller Pflegefamilien sowie die Prüfung der notwendigen Dokumente fiel in den Kompetenzbereich der Innsbrucker Spitalsverwaltung. Erst mit der definitiven Übergabe der Säuglinge an die Pflegeparteien endete ihre Verantwortung. Das Pflegegeld wurde den Familien aus Trient zugestellt und die Findelhausverwaltung fungierte ab dem Zeitpunkt der Übernahme als alleinige Ansprechstelle für etwaige Probleme der Pflegeeltern. Die Aufnahme aller in Innsbruck geborenen Kinder in das staatlich organisierte und finanzierte Findelsystem stellte wohl die strukturell wichtigste Veränderung im Zuge der Filialerhebung dar. Die medizinischen und politischen Obrigkeiten zielten damit auf eine Steigerung der Attraktivität der Gebärklinik ab, um mit einer ausreichenden Zahl an Lehrfällen einen qualitativ hochwertigen, praktischen Unterricht zu gewährleisten. Für die betroffenen Frauen bedeutete diese Gleichstellung eine neue Option im Umgang mit ihrer illegitimen Schwangerschaft. Mit Ausnahme der syphilitischen Säuglinge, welche auf Grund der Ansteckungsgefahr vermutlich in der Obhut ihrer Mütter verblieben, wurden die Kinder an Pflegefamilien in den deutschsprachigen Kreisen abgegeben.96 Müttern, die ihre Armut mit einem amtlichen Armutszeugnis belegen konnten, wurde die Abgabe ihrer Neugeborenen kostenlos gewährt, wohingegen all jene Frauen, die als zahlungsfähig erschienen – wie dies die Statuten in Alle Laste

96 Unter „Kreisen“ verstanden die Zeitgenossen seit 1754 politische Verwaltungseinheiten, von denen insgesamt sechs unterschiedliche Kreisämter eingerichtet worden waren: Oberinntal, Unterinn- und Wipptal, Pustertal, Etsch und Eisacktal, Burggrafenamt und Vinschgau. Ende August 1860 wurden die Kreise aufgelöst und durch die geographisch kleiner gefassten Verwaltungseinheiten der Bezirksämter ersetzt. Vgl. Beimrohr, Landesarchiv, 220-221.

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vorsahen – 16 Gulden für die weitere Verpflegung ihrer Kinder bezahlen mussten.97

Abb. 1: Ansicht des Innsbrucker Bürgerspitals, um 1850

Quelle: StAI, PH-7320.

Während die Organisation der Findelversorgung sich im Wesentlichen nicht von der in Alle Laste geübten Praxis unterschied, lassen sich, hinsichtlich der Rechte und Pflichten der ledigen Mütter, in der Innsbrucker Filialanstalt deutliche strukturelle Unterschiede feststellen. Diese begannen bereits bei den Aufnahmemodalitäten, denn im Gegensatz zur Gebäranstalt in Trient, die die Schwangeren nach vollendetem siebten Schwangerschaftsmonat aufnahm,98 wurde der Eintritt in Innsbruck erst kurz vor der Niederkunft, im neunten Schwangerschaftsmonat, gestattet. Ausnahmen waren nur in solchen Fällen möglich, in denen eine Gefährdung für Mutter und/oder Kind, etwa durch eine drohende Frühgeburt, absehbar waren. Um Einlass in die Anstalt zu erlangen, musste jede Schwangere sich durch einen amtlich erteilten Heimatschein ausweisen und die nötige Erstausstattung für das Neugeborene mitbringen. Zahlungsfähige Frauen wurden nur gegen Hinterlegung eines pauschalen Verpflegskostenbeitrags aufgenommen, 97 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1858, Sanität Zl. 18337 (findet sich im UAI, Med. Hebammen 1829-1880). 98 Vgl. dazu die Statuten der Gebär- und Findelanstalt Alle Laste: Bortoli/Grandi, legislazione, 104.

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wobei in der Innsbrucker Gebäranstalt lediglich eine dritte Verpflegsklasse bestand, die nur wenige Annehmlichkeiten und minimalen Komfort bot. Arme Schwangere wurden in der so genannten Gratisabteilung prinzipiell kostenlos betreut, mussten ihre Armut jedoch anhand eines anerkannten Armutszeugnisses, welches von der Gemeindevorstehung oder dem Ortsgeistlichen ausgestellt wurde, belegen. Mit ihrem Eintritt erklärten die Frauen ihre Bereitschaft, sowohl während der letzten Phase ihrer Schwangerschaft, als auch bei der Geburt als „Lehrobjekte“ für den praktischen geburtshilflichen Unterricht der Hebammenschülerinnen und Studenten zu fungieren. War dies nicht möglich, etwa weil die Frauen erst bei Eintritt der Wehen in die Anstalt kamen oder die beginnenden Geburtsschmerzen verheimlichten, so verloren sie alle Begünstigungen und mussten in der Folge selbst für die Verpflegskosten und die Übernahme des Kindes in die Findelfürsorge aufkommen. Auch jene Schwangeren, die die Anstalt noch vor der Geburt ihres Kindes verließen, konnten nicht auf eine Übernahme der Kosten durch den staatlichen Findelhausfonds zählen. Da in der Landeshauptstadt kein eigenes Findelhaus eingerichtet wurde, bestand für die Frauen keinerlei Verpflichtung, nach dem Wochenbett als Ammen zu dienen. Es wurde von den Frauen lediglich erwartet, sich während des Wochenbettes um ihr eigenes Kind zu kümmern. Die Verordnung die Erweiterung der Gebärklinik in Innsbruck betreffend enthielt einen weiteren Passus, der kein Äquivalent in den Statuten des Mutterhauses in Alle Laste hatte. Punkt 14 der amtlichen Verordnung regelte nämlich die Behandlung jener ledigen Schwangeren, welche außerhalb des offiziellen Studienjahres Aufnahme in die Anstalt begehrten. Da während der Sommerferien kein praktischer Unterricht stattfand, schloss die Innsbrucker Filiale alljährlich für mehrere Monate ihre Pforten und verwies aufnahmesuchende Schwangere zur Entbindung nach Alle Laste. Nur in Notfällen durften Hilfe suchende Frauen in der Klinik behandelt werden, allerdings verweigerte ihnen der Passus sämtliche Ansprüche auf kostenlose Betreuung, welche ihnen während des Studienjahres, im Austausch gegen die Bereitschaft ihre Körper für Lehrzwecke zu präsentieren, garantiert wurden. Die anfallenden Kosten mussten entweder von den Frauen selbst oder bei deren Mittellosigkeit von den zuständigen Heimatgemeinden bezahlt werden. Deutlich schwerer wog in diesem Zusammenhang jedoch die Bestimmung, die betroffenen Säuglinge nicht automatisch in das staatliche Findelsystem zu integrieren.99 Nur über den Umweg eines offiziellen Ansuchens der zuständigen Gemeinden, Kreis- oder Bezirksämter an die Statthalterei für Tirol und Vorarlberg, konnte eine nachträgliche Aufnahme der Säuglinge 99

Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1858, Sanität Zl. 18337 (findet sich im UAI, Med. Hebammen 1829-1880).

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erwirkt werden. Dieser Weg wurde in der knapp elfjährigen Übergangsphase jedoch nur selten beschritten. Die Kommunikation des jährlichen Zeitpunktes der Schließung bzw. Öffnung der Innsbrucker Gebärklinik über die landesweiten Printmedien dürfte recht gut funktioniert haben und es ist anzunehmen, dass die Information darüber, welche Anstalt aufgesucht werden sollte, über Vermittlung der Gemeindevorstehungen oder Ortsgeistlichen, auch tatsächlich bei den betroffenen Frauen ankamen. Offenbar fügten sich die ledigen Schwangeren den herrschenden Normen. Es wurden insgesamt nur wenige Fälle aktenkundig, in denen Frauen während der Studienferien im Krankenhaus Innsbruck niederkamen. Justina Kerschbaumer stellte, neben zwei weiteren Fällen, einen dieser Ausnahmefälle dar. Im August 1864 wurde die ledige Dienstmagd im Innsbrucker Krankenhaus von ihrem Sohn Georg entbunden. Die Dienstmagd aus Barbian hatte die Reise nach Innsbruck auf Grund der im Süden herrschenden Hitze vorgezogen und geglaubt, dass auch während der Sommermonate eine Niederkunft im Gebärhaus in Innsbruck, unter den bekannten Voraussetzungen, möglich sei. Die skizzierten Umstände ihrer Reise nach Innsbruck deuten auf ein klares Versagen der Gemeinde hin, die ihrer Verpflichtung zur Unterstützung der Schwangeren nicht zur Gänze nachgekommen war. Auf Grund der nachgewiesenen Armut Justina Kerschbaumers hatte die Gemeinde zwar die Reisekosten vorgestreckt, die Frau jedoch nicht über die Konsequenzen einer Aufnahme in Innsbruck aufgeklärt. Die Gemeinde Barbian musste für diesen folgenschweren Fehler bzw. ihre Unachtsamkeit aufkommen und nicht nur die Verpflegsgebühren für Mutter und Kind, sondern auch die 16 Gulden für die nachträgliche Aufnahme des unehelichen Kindes in die Findelpflege bezahlen, welche von der Statthalterei ausnahmsweise bewilligt worden war.100 Die 1858 erlassene Verordnung wurde von den politischen Vertretern sehr ernst genommen und streng exekutiert. Nicht nur einmal forderte die Krankenhausdirektion „zu Gunsten des guten Rufes der Anstalt, und im Geiste der Gründung derselben die Humanität über den buchstäblichen Sinn einer hohen Verordnung“101 zu stellen. Besonders jene vertrackten Fälle, in denen Schwangere noch während des Studienbetriebs in die Klinik eingetreten waren, Gegenstand des Unterrichtes wurden, jedoch am Ende des Studienjahres unentbunden zurückblieben, machten das wiederholte Auftreten der Direktion nötig.102 Laut Verordnung boten sich den betroffenen Individuen lediglich zwei Möglichkeiten: auf eigene Kosten in der Anstalt zu verbleiben oder

100 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1864, Sanität Zl. 20897. 101 TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1860, Sanität Zl. 19209. 102 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1860, Sanität Zl. 19209.

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kurzerhand in hochschwangerem Zustand nach Alle Laste zu reisen.103 Doch auch in Fällen wie jenem der Maria Müller oder der Anna Mauracher, welche jeweils nur einen bzw. zwei Tage nach der vorübergehenden Schließung der Klinik entbanden, zeigte der Appell der Krankenhausdirektion zur Milde keine Wirkung. Die Statthalterei stellte die Gebühren für Verpflegung und Aufnahme der Kinder in die Findelpflege in Rechnung.104 Lediglich der ledigen Dienstmagd Katharina Kagerer aus Lienz, welche nur wenige Stunden nach Ferienbeginn geboren hatte, wurde die kostenlose Aufnahme des Kindes gestattet.105 Etliche andere Frauen mussten die Filiale in Innsbruck mit Semesterende tatsächlich verlassen und die risikoreiche und umständliche Reise nach Trient antreten. Die lange Wegstrecke konnte nur zu Fuß, per Eilwagen oder mit der Armenfuhr, bewältigt werden. Die Gefahr, unterwegs von der beginnenden Geburt überrascht zu werden, war in vielen Fällen groß, wie das Beispiel der ledigen Dienstmagd Maria Plattner von Rietz zu zeigen vermag. Die junge Frau „fand in der Gebärklinik in Innsbruck keine Aufnahme, und wollte sich sohin in das Institut Alle Laste nach Trient begeben. Wegen zu weit vorgeschrittener Schwangerschaft und in Folge des Fahrens kam dieselbe jedoch nur bis Brixen, wo sie bei einer Hebamme Aufnahme fand, und am nämlichen Tage laut anruhenden Taufzeugnisses ein Mädchen Namens Maria Bertha Plattner gebar.“106 Da die ledige Mutter nachweislich auf dem Weg in das Gebär- und Findelhaus in Alle Laste war, wurde die kostenlose Aufnahme des Säuglings bewilligt.107 2.2 Reaktionen auf die Etablierung der Innsbrucker Filialanstalt Die zeitweilige Schließung der Innsbrucker Filiale während der vorlesungsfreien Sommermonate schien ihrer Attraktivität jedoch keinen Abbruch zu tun. Die Begünstigungen, welche den Frauen nun auch in Innsbruck zugutekamen, ließen die Nachfrage nach freien Betten im Gebärhaus regelrecht explodieren. Innerhalb des ersten Jahres stieg die Zahl verpflegter Gebärender, von 56 (1858) auf 147 (1859) an, was annähernd eine Verdreifachung des Ausgangswertes bedeutete. Waren in der Innsbrucker Anstalt in den vorangegangenen zwei Jahrzehnten lediglich fünf bis 15 Prozent der insgesamt in den beiden Tiroler Gebäranstalten – Alle Laste und Innsbruck – hospitalisiert betreuten Geburten vorgekommen, so 103 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1858, Sanität Zl. 18337 (findet sich im UAI, Med. Hebammen 1829-1880). 104 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1860, Sanität Zl. 19209. 105 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1862, Sanität Zl. 18900. 106 TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1867, Sanität Zl. 17452. 107 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1867, Sanität Zl. 17452.

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stieg dieser Prozentsatz innerhalb des ersten Betriebsjahres auf einen Gesamtanteil von 35 Prozent an. Obwohl die Aufnahmezahlen in der Innsbrucker Gebärklinik konstant anwuchsen, konnte man der Mutteranstalt im Trentino während der gesamten Periode dennoch nicht den Rang streitig machen. Alle Laste verzeichnete bis zum Ende der institutionellen Übergangsphase, welche durch die Schließung des Gebär- und Findelhauses in Trient gekennzeichnet war, regen Zulauf und versorgte immer noch die Mehrheit der Hilfe suchenden, ledigen Tiroler Mütter. Erst im Jahr 1869 sollte sich der bevorstehende Umbruch abzeichnen, denn erstmals wurden mehr als die Hälfte aller Hospitalsgeburten in der Landeshauptstadt betreut.108 Trotz der erfolgten, räumlichen Ausdehnung zu Beginn der Übergangsperiode, herrschten in der Innsbrucker Gebärklinik nach wie vor Raumnot und Überbelegung. Die 22 Betten umfassende Filiale konnte die enorm gestiegene Zahl aufnahmesuchender, lediger Schwangerer nicht angemessen beherbergen, weshalb im Jahre 1862 ein letzter großer Erweiterungsbau am alten Standort des Innsbrucker Bürgerspitals in Angriff genommen wurde. Der Anbau sollte die allgemeine Platznot im Spitalsgebäude mildern, kam jedoch in erster Linie der Gebärklinik zugute.109 Der Umbau bedeutete allerdings keine dauerhafte Lösung des Raumproblems, jedoch konnte die Aufstockung auf 33 Belegsbetten die Situation vorläufig entschärfen.110 Die über die Jahre hinweg gestiegene Zahl der im Spital verpflegten Schwangeren deutet auf eine hohe Akzeptanz der Innsbrucker Gebärklinik hin. Die jeweiligen Heimatgemeinden forcierten den Eintritt in die Gebäranstalt sowie die Abgabe des unehelichen Kindes in die Findelpflege, denn nur so konnten sich die ländlichen Armenfonds vor der finanziellen Verantwortung schützen. Ohne Zweifel bedeutete die staatlich finanzierte Fürsorge für Schwangere, Gebärende und Wöchnerinnen in den Gebärkliniken sowie die Findelversorgung in den Pflegefamilien eine respektable, finanzielle Entlastung, weshalb von Seiten der Gemeindeobrigkeiten, oft mit Nachdruck, auf eine Inanspruchnahme dieser Hilfe gedrängt wurde. Wie massiv der obrigkeitliche Druck auf die ledigen Schwangeren war, kann im Ganzen wohl nicht beurteilt werden, doch deuten verschiedene Quellenbelege auf eine, mitunter intensive Praxis der Bevormundung, hin. Als Beispiel sei hier der Fall der Elisabeth Unold herangezogen, wel108 Vgl. zum statistischen Zahlenmaterial: Datenbank GH, eigene Berechnungen sowie für die Alle Laste betreffenden Verpflegtenzahlen: Anderle, Maternità, 54. 109 Huter, Fakultät, 22. 110 Vgl. StAI, Coml. 1863-1866, Ausweis über den Bestand und die Einrichtung der hiesigen Gebärabtheilung im Jahre 1861/62, ohne Zahl. Vgl. StAI, Coml. 18671868, ohne Zahl.

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che nach eigenen Angaben „zwangsweise von der Gemeinde in die Gebärabtheilung geschickt worden sei.“111 Ihre Vorarlberger Heimatgemeinde Egg sowie das zuständige Bezirksamt in Bezau verlangten, neben der Entbindung in Innsbruck, auch die Übergabe des Säuglings in die Findelpflege – eine Forderung, welche von der jungen Mutter strikt abgelehnt wurde. Nur mit Hilfe der Krankenhausdirektion, welche sich „nicht für berechtigt [ansah] das fragliche Kind gegen den Willen seiner Mutter als Findling zu erklären“ und der Meinung war, dass „eine Wohlthat jedoch wohl niemandem aufgedrungen werden kann“,112 gelang es Elisabeth Unold ihren Wunsch, gegen die bereits gemachten Pläne der Gemeindevorstehung, durchzusetzen.113 Neben diesem überlieferten Einzelbefund ist anzunehmen, dass Frauen dem ausgeübten Druck nicht immer standhielten und sich gezwungenermaßen in ihr Schicksal fügten. Andererseits existieren aber auch Belege, die eindeutig eine bewusste Nutzung des Angebotes durch die betroffenen Frauen nahe legen. Etliche Frauen dürften die Vorteile einer Gebärhausgeburt gegenüber den herrschenden Nachteilen abgewogen und sich eigenständig für eine Inanspruchnahme der angebotenen Möglichkeiten entschieden haben. Dafür spricht etwa die Zahl der Mehrfachfrequentierungen.114 In der Innsbrucker Filialanstalt betrug der Prozentsatz jener Frauen, die wiederholt zur Niederkunft in die Gebärklinik eintraten, rund zehn Prozent. Dabei ist eine klare Differenzierung zwischen Zweit- und Mehrfacheintritten zu erkennen: Die eindeutige Mehrheit der Frauen nutzte die Anstalt im Zeitraum von 1858 bis 1869 für zwei Geburten, wohingegen nur knapp 1,5 Prozent der Frauen drei Mal, ein verschwindend geringer Anteil von unter einem Prozent vier Mal oder öfter zur Entbindung in die Gebärklinik eintraten.115 Im Vergleich zum Grazer Gebärhaus, welches jährlich weit mehr als 1000 Gebärende verpflegte, erscheint dieser Wert aber durchaus moderat, denn für den Zeitraum von 1843 bis 1847 konnten dort in Bezug auf die Mehrfachfrequentierungen Werte von rund 40 Prozent bei den zweimalig im Gebärhaus Niederkommenden bzw. circa zwölf Prozent für die Drei- und Mehrfachnutzungen errechnet werden. Kurmanowytsch wertet die wiederholte Inanspruchnahme der Entbindungskliniken jedoch nicht als Zeugnis einer gewissen Mündigkeit, sondern vielmehr als Ergebnis fehlgeschlagener sozial-disziplinierender Maßnahmen im Gebärhaus.116 Damit wird nicht nur ein zeitgenössisches Argument, welches ledigen Müttern „Unmoral“ und „Unsitt111 TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1859, Sanität Zl. 1221. 112 TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1859, Sanität Zl. 1221. 113 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1859, Sanität Zl. 1221. 114 Vgl. Vanja, Accouchier- und Findelhaus, 117. 115 Vgl. Datenbank GH, eigene Berechnungen. 116 Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 188.

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lichkeit“ zuschrieb, unreflektiert reproduziert. Kurmanowytsch unterstellt den betroffenen Frauen mit ihrer These zudem Passivität und mangelnde Fähigkeit zur Entwicklung einer individuellen Bewältigungsstrategie im Umgang mit ihrer illegitimen Schwangerschaft.117 Insgesamt zählten mehrere Personen- und Interessensgruppen zu den Profiteuren der Filialeinrichtung: Eindeutig lässt sich eine solche Profitsituation für die betroffenen Gemeindevertretungen, die politisch und medizinisch-geburtshilflichen Ausbildungsverantwortlichen sowie deren Schülerinnen und Studenten, feststellen. Weniger eindeutig präsentiert sich hingegen die Lage der ledigen Schwangeren, denn so unterschiedlich sich der individuelle Handlungsspielraum gestaltete, so vielfältig waren auch die einzelnen Schicksale. Die Grenzen zwischen physischer und psychischer Leidenserfahrung und dem Gefühl der Befreiung aus einer misslichen, persönlichen und sozialen Lage, waren im Kontext des Gebärhauses fließend und lagen stets in der persönlichen Wahrnehmung der Frauen begründet. Die deutliche Zunahme der Frequentierung in der Innsbrucker Filialanstalt kann jedenfalls als ein Indiz für eine klar kalkulierte Inkaufnahme negativer Erfahrungen im Rahmen des Gebärhausaufenthaltes gewertet werden, um schließlich von den Möglichkeiten des etablierten Fürsorgesystems zu profitieren.118 Kritisch wurde die Filialeinrichtung in der Landeshauptstadt nur von einer Gruppe bewertet, nämlich jener der städtischen Hebammen, welche sich durch die Dominanz der Institution in der Ausübung ihrer Profession beeinträchtigt sahen. Noch in der Frühphase der praktischen geburtshilflichen Ausbildung am medizinisch-chirurgischen Lyzeum hatten die Hebammen ein wichtiges Bindeglied zwischen theoretischer und praktischer Ausbildungserfahrung dargestellt. Der Erfolg des Poliklinikmodells fußte nicht nur auf der Bereitschaft der städti117 Für das Gebär- und Findelhaus in Wien fehlen zwar entsprechende Ausweise und statistische Berechnungen über Mehrfachfrequentierungen, doch Pawlowsky warnt vor der unkritischen Übernahme zeitgenössischer Annahmen, es müsse sich bei mehrfach im Gebärhaus entbindenden Frauen um „liederliche“ Personen handeln. Vgl. dazu Pawlowsky, Mutter, 69. 118 Vgl. dazu die gegensätzlichen Positionen der Ethnologin Marita Metz-Becker oder Hans-Christoph Seidels, welche noch eine frühfeministische und demnach stark opferzentrierte Sichtweise vertreten und jene in neueren Forschungen, u.a. von Jürgen Schlumbohm und Christina Vanja vertretene These der mitunter bewussten Partizipation am System „Gebärhaus“. Vgl. Metz-Becker, Körper, insbesondere Kapitel 9 „Verweigerungsformen der Schwangeren“, 230-277. Vgl. Seidel, Kultur, 168-169. Vgl. Schlumbohm, Entbindungshospital, 40 und 55. Vgl. Vanja, Accouchier- und Findelhaus, 114 sowie 116-117.

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schen Hebammen zur Vermittlung potenzieller „Lehrfälle“, sondern maßgeblich auch auf deren praktischer Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Professor der Geburtshilfe. Diese, seit dem Jahre 1819 bestehende Symbiose, war erstmals 1852 nachhaltig gestört worden. Auf Grund der stetig sinkenden Zahl stationärer Entbindungen in der städtischen Gebärabteilung hatte das Ministerium für Kultus und Unterricht ein Verbot zur Aufnahme lediger Schwangerer in die Privathaushalte der Hebammen initiiert. Die Auslastung der Poliklinik war damit zu Gunsten der stationären Entbindungseinrichtung beschnitten und zugleich auch die Verdienstmöglichkeiten der städtischen Hebammen geschmälert worden. Diese Maßnahme stellte eine gängige Praxis zur Sicherstellung und Vermehrung des klinischen „Patientinnenmaterials“ in stationären geburtshilflichen Einrichtungen dar. Zwangsmaßnahmen, welche die ledigen Schwangeren gesetzlich verpflichteten, zur Niederkunft ins Gebärhaus zu kommen, wurden in Tirol hingegen nicht öffentlich diskutiert.119 Rund ein Jahrzehnt lang bot das Verbot offensichtlich wenig Grund zur Beanstandung, denn selbst den Hebammen war nicht gerade daran gelegen, mittellose Schwangere kostenlos bei sich zu beherbergen und eine Geldbuße zwischen einem und einhundert Gulden bzw. eine Haftstrafe von bis zu 14 Tagen zu riskieren. Und schließlich hatte sich auch die Praxis eingebürgert, in Einzelfällen und bei entsprechendem Ansuchen der Hebamme, eine private Betreuung ausnahmsweise zu genehmigen. Zum Eklat kam es erst im Jahre 1861, als die Innsbrucker Polizeidirektion der Hebamme Anna Kofler eine solche ausnahmsweise Genehmigung nicht erteilen wollte. Daraufhin ließ besagte Hebamme gemeinsam mit einer Berufskollegin eine Annonce in den Innsbrucker Nachrichten schalten, in welcher sie vermögende, ledige Schwangere unmissverständlich dazu aufrief, sich zur Entbindung bei den städtischen Hebammen zu melden.120 Der 119 Anders hingegen in vielen deutschen Territorien: so erging im Bistum Fulda 1775 ein Dekret, das alle unehelich Geschwängerten verpflichtete, sich im 8. Schwangerschaftsmonat zu klinischen Zwecken in die Gebärabteilung des Hospitals St. Spiritum zu begeben. Auch in Bamberg existierte eine ähnliche Anordnung, bei deren Zuwiderhandlung bis ins Jahr 1859 der Landesverweis drohte. Vgl. Seidel, Kultur, 165-166. 120 „Es geht schon längere Zeit das Gerücht herum, daß ledige Frauenzimmer, welche sich der Niederkunft nahe befinden, außer dem Spital keine Unterkunft finden dürfen. Um diesem falsch ausgesprengten Gerüchte zu begegnen, diene hier zur Nachricht, daß solche hilfsbedürftige Personen, welche mit den nöthigen Mitteln versehen sind, sich nur an die hiesigen Hebammen wenden dürfen, diese werden dann schon die nöthigen Schritte machen und dafür sorgen, daß sie auch außer dem Spitale ihre Niederkunft abwarten können,“ so der genaue Wortlaut des mehrfach geschalteten

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Professor für Geburtshilfe sah darin einen offenen Angriff auf die Gebärklinik und fürchtete nicht nur einen Imageschaden für die Filiale, sondern sah sich durch die Initiative der Anna Kofler und ihrer Mitstreiterin Theres Hußl mit einem möglichen Verlust von Patientinnen konfrontiert. Was von Seite der medizinisch und sanitätspolitisch verantwortlichen Akteure daraufhin folgte, entbehrte allerdings jeglicher Rationalität: Man bemühte althergebrachte Stereotype und diffamierende Anschuldigungen, die besagten, es würden durch eine Genehmigung so genannte „Winkelgebäranstalten“ entstehen. Damit wurde versucht, die privaten Entbindungsinstitute „als verbotene Orte der Unsittlichkeit zu mythologisieren, an denen unkontrollierbare und jeder staatlicher und kirchlicher Kontrolle entzogene illegale Niederkünfte stattfanden,“121 abzuwerten. Neben fehlender Hygiene in den Privaträumlichkeiten wurde den Betreiberinnen Unsittlichkeit, Immoralität, Nachlässigkeit und Inkompetenz unterstellt.122 Doch nach eingehender Prüfung durch die Stadtbehörden erwiesen sich diese Anwürfe als nicht haltbar. Die projektierten, privaten Entbindungseinrichtungen in der Stadt hatten sich ausschließlich an ein zahlendes, gut situiertes Klientel gerichtet und traten somit nicht in offene Konkurrenz mit dem öffentlichen Gebärhaus. Aus diesem Grund genehmigte die Statthalterei die Pläne der beiden Hebammen, allerdings nur unter der Auflage, dass ihre Häuser streng kontrolliert würden, sie weiterhin einen sittlich einwandfreien Lebenswandel zu führen hätten und sich vor jeglichem Missbrauch und finanzieller Ausbeutung schwangerer Frauen hüten sollten.123 Mit ähnlichen Auflagen sahen sich auch die Hebammen der Stadt Regensburg konfrontiert, die allerdings bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Kampf um ihre traditionell privat geführten „Kindbettstuben“ verloren hatten.124 Für den österreichischen Raum konnten vergleichbare Hebammeninitiativen bisher lediglich in der Stadt Graz nachgewiesen werden, wo gegen Ende des 19. Jahrhunderts rund 26 Prozent der Entbindungen in konzessionierten Privatentbindungsanstalten von Hebammen betreut wurden. Insgesamt Inserats der Hebammen, in: Innsbrucker Nachrichten (IN), Nr. 274 vom 28. November 1861, 2394. IN, Nr. 278 vom 3. Dezember 1861, 2430 und IN, Nr. 281 vom 6. Dezember 1861, 2455. Eine 1891 in Graz durchgeführte Erhebung zur Praxis des Annoncierens von Hebammen in öffentlichen Zeitungen kam zum Schluss, dass dieses Vorgehen als „sanititätswidrig“ anzusehen sei. Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 63. 121 Diese stereotype Diffamierungsstrategie wird auch von Marion Stadlober-Degwerth für die Stadt Regensburg beschrieben. Stadlober-Degwerth, Niederkunften, 89. 122 Vgl. Stadlober-Degwerth, Niederkunften, 89. 123 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1862, Sanität Zl. 15865. 124 Vgl. Stadlober-Degwerth, Niederkunften, 105-120.

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zählte Graz im Jahre 1899 48 solcher privaten geburtshilflichen Institute, die allerdings jeweils nur eine Schwangere aufnehmen durften.125 Über Erfolge und Misserfolge dieses geburtshilflichen Zusatzangebots in Innsbruck lassen sich in Ermangelung entsprechender Quellenbelege zu Konzessionsvergaben, Auslastung und Visitation der Privatanstalten keine Aussagen treffen. 2.3 Standortfestigung – Innsbruck versus Alle Laste Aus Sicht des medizinisch-chirurgischen Professorenkollegiums bedeutete die Filialeinrichtung in Innsbruck einen ersten Etappensieg, aber keinesfalls den Schlusspunkt ihrer Bemühungen rund um eine Aufwertung des Ausbildungsstandortes Innsbruck. Pläne zur Wiedereinrichtung der medizinischen Fakultät existierten seit deren Auflösung im Jahre 1810, wurden mehrfach bei den zuständigen Ministerien eingebracht, doch stets abgewiesen. 1861 diskutierte der Tiroler Landtag erneut einen entsprechenden Entwurf, in welchem die Verlegung der Landesgebär- und Findelanstalt aus dem Trentino in die Landeshauptstadt als unumgängliches Erfordernis artikuliert wurde.126 Obwohl für die Aufrechterhaltung eines qualitativ hochwertigen geburtshilflichen Unterrichts, nach Ansicht des medizinisch-chirurgischen Studiendirektors, lediglich eine Erweiterung der Filialanstalt nötig gewesen wäre, sprach eine Reihe von Punkten für eine Transferierung der beiden Anstalten nach Innsbruck. So war, zum einen die Erteilung des Unterrichts im Rahmen der Innsbrucker Poliklinik „in den engen Hütten der Armen“127 immer stärker in die Kritik geraten, zum anderen wurde eine Übersiedelung in ein eigenes Gebäude, auf Grund der herrschenden Raumnot in der Filialanstalt, als unabdingbare Notwendigkeit erkannt. Die Einrichtung einer zweiten, vollwertigen Anstalt in Innsbruck, bei gleichzeitiger Beibehaltung des Institutes in Alle Laste, kam aber zu keinem Zeitpunkt in Frage. Ein moralischer Verfall der Tiroler Gesellschaft wurde befürchtet, denn eine zweite Auffangstätte für ledige Mütter und ihre Kinder „würde dem leichteren Fall leichtsinniger Personen Vorschub leisten.“128 Langfristig wurde durch die Konzentration des geburtshilflichen Angebots in der Landeshauptstadt eine deutliche Kostenersparnis hinsichtlich des Personals erwartet. Zudem sollten nützliche Sy-

125 Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 60-66. 126 Vgl. Beilage 2 zu den Stenographischen Berichten des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der I. Landtagsperiode, 1. Session 1861. 127 Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der I. Landtagsperiode, 4. Sitzung der 4. Session am 29. November 1865, 72. 128 Huter, Fakultät, 72.

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nergieeffekte mit den anderen, inzwischen eingerichteten, klinischen Abteilungen, etwa jener der Gynäkologie, Pädiatrie und Chirurgie entstehen. Die Problemsituation, die 1819 zur Etablierung Alle Lastes geführt hatten – die damals äußerst geringe Zahl ausgebildeter Hebammen –, wurden von medizinischen Experten als beseitigt erachtet. Zudem sei durch den Bau der Eisenbahnlinie über den Brenner und der damit erleichterten Reisebedingungen eine Barriere beseitigt worden, die bislang die Verlegung des italienischsprachigen Hebammenunterrichts nach Innsbruck verhindert hatte. Der Prozess der Abwägung etwaiger Vor- und Nachteile erstreckte sich über mehrere Jahre, bis man sich schließlich Mitte der 1860er Jahre dem Ziel, eine adäquate Gebäranstalt in der Landeshauptstadt eröffnen zu können, sehr nahe sah. Mit dem am Stadtrand gelegenen, ehemaligen Konviktsgebäude der Jesuiten schien sogar ein geeignetes Gebäude zum Ausrufungspreis von 50.000 Gulden gefunden worden zu sein.129 Doch die projektierten Adaptierungsmaßnahmen überstiegen schnell den budgetären Rahmen, und da das Stadtbauamt für einen Neubau auf Stadtgründen eine ähnliche Summe veranschlagt hatte, wurde ein entsprechender Neubau anvisiert.130 1867 trat das Land Tirol schließlich in konkrete Verhandlungen mit der österreichischen Regierung ein, um die Wiedereinrichtung der medizinischen Fakultät und die damit verbundene Etablierung einer vollwertigen Universität in Innsbruck voranzutreiben. Auch von Seite der Regierung wurde die Verlegung des Gebär- und Findelhauses in die Landeshauptstadt als eine wesentliche Voraussetzung formuliert. Die Entscheidung über eine Wiedereinrichtung war somit ganz wesentlich an die Bereitschaft des Landes Tirol geknüpft – in dessen Verwaltung die Gebäranstalt im Jahre 1864 übergegangen war (die Findelanstalt wechselte erst 1868 ihre Zuständigkeit) –, die Transferierung der Anstalt nach Innsbruck durchzusetzen und auf eigene Kosten zu realisieren. Obwohl das Land eine volle Kostenübernahme ablehnte, beschloss der Landtag 1868 die Verlegung der beiden Anstalten nach Innsbruck. Zur endgültigen Realisierung des Projektes fehlte jedoch noch immer ein geeignetes Quartier und so trat man in Verhandlungen mit der Stadt um eine mietweise Überlassung von Spitalsräumlichkeiten.131

129 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der I. Landtagsperiode, 4. Sitzung der 4. Session am 29. November 1865, 72-73. 130 Vgl. StAI, Kleinbestände „Spital- u. Univ. Klinik“ 1865, Studium Zl. 465. Vgl. StAI, Kleinbestände „Spital- u. Univ. Klinik“ 1865, Studium Zl. 2560. 131 Vgl. StAI, Kleinbestände „Spital- u. Univ. Klinik“ 1868, Studium Zl. 4965. Vgl. StAI, Kleinbestände „Spital- u. Univ. Klinik“ 1868, Studium Zl. 5141.

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Am 11. April 1869 genehmigte Kaiser Franz Joseph I. die Wiedereinrichtung der medizinischen Fakultät mit gleichzeitiger Übersiedlung der Landesgebärund Findelanstalt von Alle Laste nach Innsbruck. Mit Beginn des Studienjahres 1869/70 sollte nun auch in Innsbruck wieder eine akademische Ausbildung von Medizinern möglich sein. Das über mehr als 60 Jahre geführte, medizinischchirurgische Lyzeum hatte nach zweijähriger Übergangsfrist, in welcher die laufenden Studien abgeschlossen werden konnten, seinen Studienbetrieb einzustellen.132 Auch der Hebammenschule in Trient stand mit Ende des Wintersemesters 1869/70 die definitive Schließung bevor. Der Umzug des Gebär- und Findelhauses, inklusive Teilen des Personals, Mobiliars und der mit Ende des Semesters noch vorhandenen Patientinnen und Findlinge, musste im Februar und März des Jahres 1870 vonstattengehen, um die Aufnahme praktischer Lehreinheiten an der neuen medizinischen Fakultät gewährleisten zu können. Bis zur Herstellung eines neuen Gebäudes war die provisorische Unterbringung durch die Stadtgemeinde gesichert. Obwohl man insbesondere die Entbindungsanstalt vom eigentlichen Krankenhausbetrieb hatte trennen wollen,133 wurden beide Institute übergangsweise im Stadtspital untergebracht. Kaiser Franz Joseph I. hatte zwar die Errichtung eines neuen Spitalsgebäudes aus Mitteln der nächsten Staats-Wohltätigkeits-Lotterie für Civilzwecke bewilligt, doch auf Grund der unterschiedlichen Zuständigkeiten war 1869 noch unklar, ob dieser Neubau auch einen gesonderten Trakt für das Gebär- und Findelhaus umfassen sollte. Bis auf weiteres standen der Landesgebär- und Findelanstalt, gegen Entrichtung eines jährlichen Mietzinses von 2.500 Gulden, sämtliche Räumlichkeiten der jeweils dritten Stockwerke des alten Spitalsgebäudes, des neuen Spitalszubaus sowie des Spitalszinshauses zur Verfügung. Insgesamt konnte das geburtshilfliche Institut vier große Krankensäle sowie 23 unterschiedlich große Zimmer mit Patientinnen belegen, was eine Erweiterung der Aufnahmekapazitäten auf 95 Betten zuließ. Außerdem stimmte der Stadtmagistrat der gemeinsamen Benutzung von Ausspeisungsküche, Speisekammer, Keller und Waschküche zu und garantierte zudem die Herstellung eines kleinen Gartens, welcher ausschließlich von den Patientinnen des Gebärhauses genutzt werden konnte.134 Damit war zwar eine deut-

132 Vgl. Oberkofler/Goller, Geschichte, 267. 133 Die räumliche Integration in ein Krankenhaus wurde aus zeitgenössischer Sicht allgemein als nachteilig gesehen, denn der Anblick der Kranken würde die Schwangeren beunruhigen, die Ansteckungsgefahr sei hoch und auch die Wahrung der Disziplin sei in einem öffentlichen Krankenhause schwierig. Vgl. Seidel, Kultur, 194. 134 Vgl. Beilage zu den Stenographischen Berichten des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der II. Landtagsperiode, 3. Session 1869, 1-21 sowie 30. Vgl. TLA,

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liche Ausweitung des Bettenangebots geschehen, doch sollten die folgenden Jahre zeigen, dass die Raumnot, welche den Betrieb in Innsbruck stets geprägt hatte, auch im Provisorium eines der größten Probleme bleiben würde.

3. D IE L ANDESGEBÄR - UND F INDELANSTALT – Z ENTRALISIERUNG EINER I NSTITUTION (1870-1881) Bis zur Wiedereinrichtung der medizinischen Fakultät an der Universität Innsbruck waren die Geschicke des Tiroler Gebär- und Findelhauses hauptsächlich in sanitäts- und bildungspolitischen Kontexten thematisiert worden. Doch mit dem Beschluss des Kaisers, eine Revitalisierung des akademischen Medizinstudiums nur dann zu genehmigen, wenn das Land Tirol eine Konzentration des geburtshilflichen Ausbildungsangebots mit gleichzeitiger Zentralisierung des Gebärund Findelhauses in der Landeshauptstadt durchsetzen würde, wurde die Institution unfreiwillig zum Gegenstand nationalpolitischer Kontroversen. Im Klima nationaler Autonomiebestrebungen135 war der Symbolgehalt der Anstalt hoch: Die Ansiedlung im italienischsprachigen Teil des Landes war stets als ein Zeichen der von Wien betriebenen, aktiven Integration des Trentino in die Monarchie und der Fürsorge für den peripheren Raum interpretiert worden. Umso mehr, als es sich dabei lange Zeit um die einzige Staatsanstalt im italienischsprachigen Gebiet handelte, denn das psychiatrische Krankenhaus war 1830 in Hall in Tirol eingerichtet worden und auch das Taubstummen-Institut war nach wenigen Jahren von Brixen nach Hall übersiedelt.136 Die ersatzlose Schließung der

Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1869, Zl. 402, 2924 sowie Zl. 402, 5817. 135 Vgl. Fontanta Josef, Geschichte des Landes Tirol, Bd. 3: Vom Neubau bis zum Untergang der Habsburgermonarchie (1848-1918), Bozen/Innsbruck/Wien 1987, 7376. Vgl. Nequirito Mauro, Territorium und Identität in einer Grenzregion im 19. und 20. Jahrhundert: Der Streit um den Namen „Trentino“, in: Albertoni Giuseppe (Red.), Tirol – Trentino. Eine Begriffsgeschichte (= Geschichte und Region/Storia e regione. Jahrbuch der Arbeitsgruppe Regionalgeschichte 9), Wien/Bozen 2000, 6784, hier 67-77. Vgl. Schober Richard, Geschichte des Tiroler Landtages im 19. und 20. Jahrhundert, Innsbruck 1984, 256-272. 136 Vgl. Redinger Thomas, Zur Geschichte der psychiatrischen Disziplin [Diplomarbeit], Innsbruck 1998. Vgl. Grießenböck Angela, Die „Landesirrenanstalt“ in Hall und ihre Patientinnen und Patienten (1882-1919) [Diss. phil.], Innsbruck 2009. Vgl.

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Anstalt in Alle Laste bei zeitgleicher Aufwertung der vormaligen Filialanstalt in Innsbruck wurde zunächst von den bürgerlichen Intellektuellen im südlichen Landesteil als Affront und als unumstößlicher Beweis der systematischen Benachteiligung des Trentino wahrgenommen. Die nationalen Auseinandersetzungen auf politischer Ebene verschärften sich und die italienischsprachigen Landtagsabgeordneten äußerten unter Federführung des Liberalen Dr. Federico Graf Bossi-Fedrigotti wiederholt ihren Unmut über die Entscheidung.137 Die Thematik fand auch Eingang in die italienischsprachige Presse, wobei mehrfach die „stiefmütterliche Behandlung des Trentino“ beklagt wurde.138 Die nationalliberale Tageszeitung mit dem programmatischen Namen „Il Trentino“ war 1870 nicht nur damit beschäftigt, sich im Rechtsstreit, um die alternative Bezeichnung des italienischen Teil Tirols als „Trentino“ aktiv zu positionieren,139 sondern lancierte im selben Jahr auch eigens eine Kampagne gegen die Schließung Alle Lastes,140 die teilweise wohl auch dazu beitrug, die ansonsten relativ passive Landbevölkerung zu mobilisieren. Sie – die Gemeindevorstehungen, Ortsgeistlichen und betroffenen Frauen – sollten schließlich eigene Mittel und Wege finden, um ihren Protest auszudrücken. Obwohl am 1. November 1870 die neue Landesgebär- und Findelanstalt in Innsbruck offiziell eröffnet wurde und mit Ende des Monats November sämtliche Patientinnen, Findlinge und auch der Großteil des Personals Alle Laste verlassen hatte, gaben die politischen Repräsentanten des Trentino ihre Bemühungen um eine einvernehmliche Lösung des Problems nicht auf. Die Zeit zwischen 1870 und 1881 war von wiederholten Versuchen geprägt, neben der Einrichtung einer Zweigstelle des Gebärhauses auch die Wiedereinrichtung eines Findelhauses für das Trentino zu erreichen. Die Debatten rund um die Landesgebär- und Findelanstalt wurden dadurch zu einem Nebenschauplatz in der Geschichte der nationalen Auseinandersetzungen in Tirol. 3.1 Ausbau – Schließung – Neugründung Noch im Laufe des Jahres 1869 hatten der Tiroler Landtag sowie die Repräsentanten der neu etablierten, medizinischen Fakultät auf eine rasche Transferierung

Landestaubstummeninstitut in Mils (Hg.), Festschrift zum 125jährigen Bestande der Taubstummenanstalt in Tirol 1830-1955, Innsbruck 1955. 137 Vgl. Huter, Fakultät, 106-107. 138 Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 138-13. Vgl. Schober, Geschichte, 256. 139 Vgl. Nequirito, Territorium, 67-68. 140 Vgl. Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 139.

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der Landesgebär- und Findelanstalt gedrängt. Dies bedeutete nicht nur eine endgültige Schließung der Anstalt im Trentino, sondern auch die vollständige Räumung des Anstaltsgebäudes und die Übersiedlung aller brauchbaren Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände nach Innsbruck. Die Organisation und logistische Umsetzung dieses Vorhabens konnte zwar nicht bis zur Wiederaufnahme des Studienbetriebs im Wintersemester 1869/70 realisiert werden, doch spätestens im März 1870 sollte der praktische Unterricht in der neuen Landesgebäranstalt in Innsbruck starten. Allen Plänen zum Trotz konnte der Termin jedoch nicht eingehalten werden: Die Um- und Anbauarbeiten am Spitalsgebäude waren wohl über die Wintermonate ins Stocken geraten, die angemieteten Räumlichkeiten nicht bezugsfertig und die Übersiedlung aus dem Trentino somit auf unbestimmte Zeit verschoben.141 Erst am 15. September 1870 wurde die zügige Räumung beschlossen, mit dem Abtransport der Güter begonnen und die Eröffnung in Innsbruck für den 1. November 1870 fixiert.142 Per Eisenbahn kamen im Laufe des Monats Oktober große Teile des Anstaltsmobiliars, der Wäsche und übrigen Gerätschaften in Innsbruck an und wurden unter Aufsicht eines Amtsdieners in die neuen Anstaltsräumlichkeiten transportiert, wo auch die wenigen, neu angekauften Möbelstücke deponiert waren.143 Auch Akten, diverse Schriften und Bücher wurden nach Innsbruck geliefert und in der neuen Verwaltungskanzlei untergebracht. Die seit 1833 geführten Taufund Sterbebücher Alle Lastes wurden ebenso mitgenommen und von Anstaltskaplan Peter Solderer in bewährter Form, allerdings nicht mehr in italienischer Sprache, weitergeführt.144 Der Kaplan gehörte zu den wenigen Personen, für die auch weiterhin eine Stelle im Anstaltspersonal frei gehalten wurde. Die Doppel141 Laut Huter trug auch die im Raum stehende Aufhebung der Theologischen Fakultät zur Verzögerung der endgültigen Übersiedlung der Gebär- und Findelanstalt bei. Erst Mitte August 1870 wurde über den Verbleib der Theologie im Universitätsverbund entschieden. Vgl. Huter, Fakultät, 111. 142 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1870, Zl. 309, 7701. Vgl. Huter, Fakultät, 111-112. 143 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1870, Zl. 309, 6169. 144 Die Tauf- und Sterbebücher Alle Lastes finden sich unter der Kennung der sog. „Krankenhauskaplanei“ im Tiroler Landesarchiv. Vgl. TLA, Innsbruck Krankenhauskaplanei, Taufbuch 1 (1833-1839) [Mikrofilm 1151/5], Innsbruck Krankenhauskaplanei, Taufbuch 2 (1840-1851) [Mikrofilm 1151/6], Innsbruck Krankenhauskaplanei, Taufbuch 3 (1852-1859) [Mikrofilm 1151/7], Innsbruck Krankenhauskaplanei, Taufbuch 4 (1860-1864 und 1865-1871) [Mikrofilm 1151/8, Fortsetzung auf 1152/1].

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gleisigkeiten im medizinischen Bereich bedingten, dass weder Professor Ernst von Angelini145 eine Anstellung in Innsbruck erhielt, noch Sekundarärzte und Hebammen aus Alle Laste in Innsbruck gebraucht wurden. Dieselbe Situation trat beim Pflegepersonal ein, sodass die überwiegend italienischsprachigen Barmherzigen Schwestern aus dem Mutterhaus in Lovere ihre Tätigkeit an die seit 1838 in Innsbruck situierten Schwestern des Pflegeordens abtreten mussten.146 Und auch das Hilfspersonal, wie etwa der Portier oder der Amtsdiener, sollte auf Grund sprachlicher Defizite nicht weiter im Dienst behalten werden. Eine Ausnahme bildete dabei lediglich der erste Diurnist der Verwaltung, Karl Sontacchi, der „nebst der italienischen Sprache auch die deutsche Sprache größtenteils spricht und schreibt, zudem im Rechnen sehr geübt ist und in der Führung der Register und Vormerkbücher sehr viel Genauigkeit zeigt, zu gleich ein ehrenhafter Mann ist, und Liebe und Eifer für die Arbeit hat“147, so die Bewertung des Anstaltsverwalters Anton Adam. Die bevorstehende Schließung der Anstalt in Alle Laste und die gleichzeitige Eröffnung der neuen Landesgebär- und Findelanstalt in Innsbruck wurden im deutschsprachigen Gebiet in erster Linie über die Printmedien publik gemacht, während im Trentino auf die persönliche Information der Ortsseelsorger über die Dekanate gesetzt wurde.148 Um einen reibungslosen Übergang gewährleisten zu können und sich den mühevollen und aufwendigen Transport von Schwangeren aus der Trentiner Anstalt nach Innsbruck zu ersparen, war die reguläre Aufnahme der Schwangeren schon Mitte Oktober eingestellt worden. Nur in besonders kritischen Fällen wurden Ausnahmen gewährt und so befanden sich zum Zeitpunkt der offiziellen Schließung nur mehr wenige Schwangere, Wöchnerinnen und Findlinge in Alle Laste. Bis Mitte November hatte sich ihre Zahl auf vier Schwangere, zwölf Wöchnerinnen, sechs Ammen und insgesamt 17 Kinder re145 Angelini war erst 1864 zum Professor der Gebär- und Findelanstalt in Alle Laste ernannt worden. Vgl. Vierteljahrschrift für die praktische Heilkunde 81 (1864), 6 [Miscellen]. 146 Der Vertrag zwischen dem Tiroler Landesausschuss und den barmherzigen Schwestern, über die Übernahme der Pflegedienste und Verköstigung in der Anstalt, wurde am 3. November 1870 abgeschlossen. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 1, Position 4: Normaliensammlung mit Index 18641881 und 1882-1901. 147 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1870, Zl. 309, 7701. 148 Zur Rolle der Geistlichkeit im national aufgeheizten Klima, siehe: Benvenuti Sergio, Die Trientiner Kirche und die nationale Frage 1870-1914, in: Ara Angelo/Kolb Eberhard

(Hg.),

Grenzregionen

im

Zeitalter

der

Lothringen/Trient-Triest, 1870-1914, Berlin 1998, 153-175.

Nationalismen.

Elsaß-

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duziert. Zwei der Schwangeren wurden als transportfähig eingestuft und nach Innsbruck überstellt, während Maddalena Casagranda und Catterina Lindner in der Anstalt verblieben und somit als letzte ledige Mütter im Gebärhaus von Alle Laste entbanden. Bis Ende November waren alle Patientinnen entlassen149 und auch die älteren Findlinge zwischen drei und zehn Jahren nach Innsbruck gebracht worden.150 Obwohl die Trentiner Bevölkerung nicht direkt gegen die Schließung und Transferierung ihrer Anstalt nach Innsbruck vorgehen konnte und die Übersiedelungsarbeiten unbehindert vonstattengegangen waren, zeigte sich ihr Protest in den Folgemonaten nur allzu deutlich. Verhältnismäßig wenige Trentinerinnen nahmen die Reise nach Innsbruck auf sich, um in der Landesgebäranstalt zu entbinden und ihr Kind im Findelhaus versorgen zu lassen. Umso mehr dürften sich die Frauen an die alte Tradition der Nutzung des Veroneser Findelhauses erinnert haben, denn der Direktor des dortigen Findelhauses beklagte die ungewöhnliche Zunahme von anonymen Findlingen, welche durch die Drehlade des Hauses abgegeben wurden. Er vermutete, wohl nicht zu unrecht, dass es sich in Folge der Schließung der Trentiner Anstalt hauptsächlich um Kinder aus dieser Region handeln müsse. Da im Jahre 1833 sämtliche Verträge und finanziellen Übereinkommen mit dem Veroneser Findelhaus gelöst worden waren, forderte der Direktor eine finanzielle Unterstützung für die Versorgung oder eine sofortige Beendigung des Transfers illegitimer Kinder nach Verona. Der eindringliche Appell der Stadtbehörden von Trient an die Solidarität und Toleranz ihrer italienischen „Brüder“ zeigte wohl Wirkung, denn noch im Jahre 1877 wird aus Verona über zahlreiche Schwangere aus dem Trentino berichtet, die zur Niederkunft in die Stadt kämen. Doch wie bereits in der Vergangenheit stieß diese Bewältigungsstrategie nicht in allen sozialen Kreisen auf Verständnis und so prangerte das Kirchenblatt La Voce Cattolica die noch im Jahre 1883 bestehende Praxis der heimlichen Außerlandesbringung unehelicher Kinder an.151 Doch nicht nur die Ausweichmöglichkeit Verona wurde als Alternative wahrgenommen: In den Wintermonaten 1870/71 häuften sich auch die Ansuchen um nachträgliche Aufnahme außerhalb der Anstalt geborener Kinder in die Findelfürsorge.152 Berichten des Landesausschusses zufolge, machten von dieser Ausnahmeregelung insbesondere Frauen aus dem italienischsprachigen Teil Ti149 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1870, Zl. 309, 8658. 150 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1870, Zl. 309, 7701. 151 Vgl. Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 139-141. 152 Siehe dazu ausführlicher Kapitel 2.2. Strukturelle Adaptierung und Optimierung.

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rols Gebrauch und fanden dabei zusätzliche Unterstützung bei der in Trient ansässigen Congregazione di carità.153 Der wohltätige Verein hatte einen Plan ausgearbeitet, demzufolge das städtische Spital von Trient all jenen Schwangeren und Wöchnerinnen als Herberge dienen sollte, die aus finanziellen oder persönlichen Gründen nicht nach Innsbruck reisen konnten. Zudem wurde eine Übernahme der Verpflegskosten durch den Gebärhausfonds sowie eine Versorgung der Kinder über die Findelfürsorge des Landes gefordert.154 Im Kampf um eine Sonderregelung für das Trentino wurden dieselben altbekannten und stark emotionalisierten Argumente vorgebracht, welche rund dreißig Jahre zuvor schon von den Repräsentanten der deutschsprachigen Landesteile für ihre Zwecke genutzt worden waren. Neben den sprachlichen Barrieren, mit denen sich die Trentinerinnen in Nordtirol konfrontiert sahen, kritisierten die Stadtbehörden von Riva beispielsweise auch, dass die Reise für eine hochschwangere Frau unzumutbar und gefährlich für Mutter und Kind sei. Zwar war die Reise nach Innsbruck, durch die 1867 eröffnete Eisenbahnlinie über den Brenner, deutlich erleichtert worden, doch konnte sich aus finanziellen Gründen nicht jede Frau die Nutzung des Transportmittels leisten, wie etwa der Fall einer Trentiner Schwangeren zeigt, die zu Fuß den Weg nach Innsbruck bewältigen wollte. Auf halbem Wege setzten die Geburtswehen ein und die ledige Schwangere gebar ihr Kind alleine in einem Stall bei Brixen, wo sie den Säugling unversorgt zurückließ. Die Reaktionen auf diesen tragischen Vorfall ließen nicht lange auf sich warten: Die Stadtbehörden von Riva nahmen den konkreten Fall zum Anlass, eine humanitäre Lösung des Problems zu fordern, um die Ausbreitung derartiger „Verzweiflungstaten“ lediger Mütter zu verhindern. Der Forderung nach Präventions- und Hilfsmaßnahmen für den italienischen Landesteil schlossen sich in der Folge sämtliche Gemeinden des Trentino sowie die Polizeibehörde der Stadt Trient an.155 Doch der Tiroler Landesausschuss, welcher die unmittelbaren Verwaltungsgeschäfte der Landesgebär- und Findelanstalt überwachte, verweigerte zunächst jegliche Diskussion und beschloss, dem aufkeimenden Widerstand mit autoritärer Strenge zu begegnen. Am 10. Jänner 1871, nur knapp zwei Monate 153 Zur Tätigkeit der Congregazione di carità in Trient, in deren Verwaltung sich u.a. das Spital in Trient, die Armenversorgungsanstalt und ein Mädchenwaisenhaus befanden, siehe: Bassetto Pastori Ivana, La Congregazione di Carità di Trento nella prima metà dell’Ottocento, in: Grandi Casimira/Leonardi Andrea/Bassetto Pastori Ivana, Popolazione, assistenza e struttura agraria nell’Ottocento trentino, Trento 1978, 205-243. 154 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1871, Sanität Zl. 6419. Vgl. auch: Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 139. 155 Vgl. Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 139.

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nach Eröffnung der Innsbrucker Anstalt, wurden neue Aufnahmemodalitäten erlassen. Per Kundmachung in deutscher und italienischer Sprache, die landesweit an alle Stadtmagistrate, Markt- und Gemeindevorstehungen erging, wurden zwei wesentliche Änderungen der Aufnahmerichtlinien bekannt gegeben. Frauen, die sich fortan zur Aufnahme in die Gratisabteilung meldeten, mussten sich noch vor der Geburt persönlich um einen geeigneten Pflegeplatz für ihr uneheliches Kind kümmern. Als Beweis sollte nun, neben dem obligatorischen Heimatschein und dem Armutszeugnis, ein weiteres Dokument bei der Aufnahme vorgelegt werden. Dabei handelte es sich um eine offizielle Bestätigung des Ortsseelsorgers, der die Pflegevereinbarung bezeugte und den Namen der zukünftigen Pflegepartei bekannt gab. Die Verwaltung der Landesgebär- und Findelanstalt sowie die zuständigen Landesbehörden entledigten sich so eines durchaus arbeits- und zeitintensiven Teils ihrer organisatorischen Tätigkeit in der Findelfürsorge. Während die neue Richtlinie für die italienischsprachige Bevölkerung eine drastische Reform des bisherigen Umgangs mit illegitimen Kindern bedeutete, stellte der Passus in den deutschsprachigen Gebieten lediglich eine Verschriftlichung der bisherigen Gewohnheiten dar, denn Pflegeparteien waren meist ohnehin von den Müttern ausgewählt und auch zusätzlich von ihnen bezahlt worden. Die Trentiner Mütter überließen hingegen in der überwiegenden Zahl der Fälle ihre Kinder dem obrigkeitlichen Fürsorgesystem. Lange Zeit hatte diese Praxis keine Probleme verursacht, denn das Netz an Pflegefamilien war im Trentino sehr dicht gewesen und einzelne Gemeinden und Talschaften hatten sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sogar den zweifelhaften Ruf erworben, Findelkinder gewerbsmäßig anzunehmen.156 Doch mit der Verlegung nach Innsbruck verringerte sich die Bereitschaft der Trentiner Familien, einen Findling aufzunehmen, zumal die Pflegeeltern zunächst auf eigene Kosten in die Landeshauptstadt reisen mussten, um das Kind abzuholen. Bis Jänner 1871 hatte sich keine einzige potenzielle Pflegefamilie aus dem Trentino in Innsbruck gemeldet,157 weshalb der Landesausschuss eine Gratifikation in Form einer Freifahrt mit der k. k. Südbahngesellschaft in Aussicht stellte.158 Doch auch in den Folgejahren änderte sich wenig und die Vermittlung der Trentiner Findlinge an italienische Pflegefamilien, aber auch die Rückstellung jener Kinder, die von ihren Pflegeparteien nicht mehr versorgt werden konnten, hatte sich für die Verwaltung des Innsbrucker Findelhauses zunehmend verkom156 Vgl. Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 134-135. Zum Vorwurf der Gewerbsmäßigkeit und des „Kinderhandels“, siehe: Pawlowsky, Mutter, 161-163 und 172-179. 157 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1871, Sanität Zl. 6419. 158 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Tiroler Landesausschusses 1871, Zl. 32, 214.

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pliziert. Auf Grund der geographischen Entfernung war es der Findelhausverwaltung nach dem Umzug nach Innsbruck nicht gelungen, die bestehenden Netzwerke im Trentino weiterhin gewinnbringend zu nutzen und so waren der administrative und finanzielle Aufwand enorm gestiegen. Als einziger Erfolg versprechende Lösungsansatz für das Problem stand die Einrichtung einer Zweigstelle des Innsbrucker Findelhauses im Raum, deren Realisierung im Jänner 1873 konkret in Angriff genommen wurde. Nachdem die Stadtbehörden in Trient, die Congregazione di carità und auch die ehemals für Alle Laste zuständigen Barmherzigen Schwestern die Verantwortung und zeitweilige Pflege der Findlinge verweigerten, wurde die als „Asyl“ bezeichnete Filialanstalt in den alten Institutsräumlichkeiten von Alle Laste untergebracht und unter Aufsicht des Innsbrucker Pflegeordens gestellt.159 Als Zweigstelle erfüllte das Trentiner Findelasyl ähnliche Aufgaben wie die Mutteranstalt in Innsbruck und war in erster Linie Durchgangsstation für all jene Kinder, die im Gebärhaus in Innsbruck zur Welt gekommen waren, aber nicht durch die eigene Mutter versorgt werden konnten. Im Alter von wenigen Wochen wurden sie durch die Mutter selbst oder durch Mitglieder des Anstaltspersonals von Innsbruck nach Trient gebracht und verweilten solange im Asyl, bis die Pflegefamilien sie dort abholten. Im Asyl waren bis zu ihrer Weitervermittlung aber auch jene älteren Findelkinder untergebracht, deren Pflegefamilien sie nicht länger versorgen konnten oder wollten. Im Verlauf des Jahres 1875 waren insgesamt weit mehr als 100 Kinder im Asyl untergebracht und nahezu alle in Innsbruck geborenen Trentiner Säuglinge – 1875 waren es 65 Kinder gewesen –, passierten in ihren ersten Lebensmonaten diese Durchgangsstation.160 Die Säuglinge blieben in der Regel nur kurze Zeit in Alle Laste, weshalb die Aufnahme von Ammen nicht notwendig erschien. Dies änderte sich im Jahre 1879, als der Stadtmagistrat von Riva – welcher in Bezug auf das Gebär- und Findelhaus besonders aktiv seine Rechte einforderte –, erreichte, dass auch all jene unehelichen Kinder, welche während der Studienferien im August und September außerhalb der Anstalt geboren würden, im Findelasyl Aufnahme finden sollten. Die Säuglinge durften jedoch erst am zehnten Tag nach der Geburt nach Alle Laste gebracht werden und die Aufnahme war an die Bedingung geknüpft, dass die Mütter sich als Ammen zur Verfügung stellten. Andernfalls musste die ledige Mutter ihr Kind zunächst bei sich behalten und

159 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der IV. Landtagsperiode, 5. Sitzung der 3. Session am 13. Dezember 1873, 62-63. 160 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1875, Innsbruck 1876, 109.

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durfte es erst im Alter von drei Wochen abgeben.161 Diese Bestimmung führte jedoch rasch zu Kritik, denn sie sei – so wurde argumentiert – mit dem allgemeinen Umgang mit der Illegitimität im Trentino nicht vereinbar. So würden nämlich die Gemeindevorstehungen und auch die Seelsorger, vielfach, auf Grund „drückender Armut“ und „um das Aergerniß zu vermeiden“,162 auf eine sofortige Entfernung unehelicher Kinder aus dem Gemeinde- bzw. Pfarrgebiet drängen und eine vorübergehende Pflege durch die eigene Mutter verhindern. 163 Die auf Betreiben der Stadt Riva erlangte Ausnahmeregelung stellte eine Aufweichung der zweiten, 1871 erlassenen Norm dar, welche die Praxis der Aufnahme unehelicher Kinder in die Findelfürsorge, ohne Erbringung einer Gegenleistung durch die Mütter, zu unterbinden versuchte. Als Lehranstalt für angehende Hebammen und Ärzte musste die Direktion besonders darauf achten, dass jederzeit eine ausreichende Zahl an Patientinnen zum praktischen Unterricht im Vorfeld der Geburt bereitstand und auch sämtliche Geburtsereignisse in der Anstalt einem edukativen Zweck zukamen. Aus diesem Grund wurde per Verordnung von 1871 all jenen Frauen, die erst beim Einsetzen der Geburtswehen um Aufnahme im Gebärhaus ansuchten, oder bereits geboren hatten, zwar „ein augenblicklicher Unterstand in der Anstalt bewilligt“,164 die weitere Versorgung des Kindes über das Findelsystem jedoch rigoros verwehrt. Trotz der Bereitschaft, die Mutter in der Phase der Geburt und des Wochenbettes zu unterstützen, sah sich die Anstalt mit dem Vorwurf der Inhumanität konfrontiert.165 Verglichen mit anderen Entbindungshäusern der Zeit kann jedoch von einer besonders unmenschlichen Handhabung keine Rede sein, denn insbesondere die deutschen Universitäts-Accouchierhäuser, wie jenes in Göttingen oder Marburg, verweigerten, im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Lage und ihre Rolle als Unterrichtsanstalten, generell die Aufnahme bereits entbundener Frauen.166 Die Tiroler

161 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1879, Innsbruck 1880, 125. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 8799. 162 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 8799. 163 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 8799. 164 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Tiroler Landesausschusses 1871, Zl. 32, 214. 165 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1871, Sanität Zl. 6419. 166 Vgl. Schlumbohm, Patientinnen, 334-336. Vgl. Metz-Becker, Gebären, 218-220. Vgl. Metz-Becker Marita, Die Sicht der Frauen. Patientinnen in der Marburger Accouchieranstalt um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Schlumbohm, Jürgen/Duden

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Gebär- und Findelanstalt hatte sich demgegenüber, auch nach dem Übergang der Amtsgeschäfte in die Zuständigkeit des Landes, als sozial-wohltätige Institution definiert und der Landesausschuss relativierte die erlassene Bestimmung mit den Worten, es handle sich dabei lediglich um eine „kräftige Mahnung an die betreffenden Personen [...], sich rechtzeitig anzuschicken, um in die Anstalt zu kommen.“167 Die humanitäre Ausrichtung der Anstalt wurde auch im Zuge der 1873 durchgeführten Revision der Statuten nicht aus dem Programm gestrichen, sondern neben ihrer Bestimmung als Unterrichtsanstalt und Impfinstitut, gleich im ersten Paragraphen der neuen Statuten, festgelegt.168 Die politischen Repräsentanten des italienischsprachigen Landesteiles erhoben jedoch mehrfach die Klage, dass eben dieser wohltätige Charakter der Institution unter der Verlegung nach Innsbruck gelitten hätte. Durch den neuen Standort im nördlichen Landesteil würden nämlich vorwiegend Frauen aus den deutschsprachigen Gebieten Tirols begünstigt, während sich die Frequentierung der Landeseinrichtung durch ledige Trentinerinnen massiv verringert hätte, so der einstimmige Tenor. Tab. 4: Zahl der aufgenommenen Schwangeren nach Landesteilen (1875-1880) Deutschtirol

Trentino

1875

307

90

1876*

k.a.

k.a.

1877

309

91

1878

367

111

1879

257

111

1880

298

105

Quelle: TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1875, 1877,1878,1879,1880,1881. * für das Jahr 1876 ist kein Zahlenmaterial überliefert.

Barbara/Gélis Jacques/Veit Patrice (Hg.), Rituale der Geburt. Eine Kulturgeschichte, München 1998, 193-205, hier 201. 167 TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1871, Sanität Zl. 6419. 168 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der IV. Landtagsperiode, 5. Sitzung der 3. Session am 13. Dezember 1873, 63. Bis zum 1.1.1874 waren die alten Statuten Alle Lastes in Kraft, welche in den mehr als 40 Jahren ihres Bestehens nur geringfügig adaptiert worden waren. Vgl. dazu TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1872, Zl. 758.

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Das rohe Datenmaterial über die zwischen 1875 und 1880 aufgenommenen Schwangeren in der Innsbrucker Anstalt scheint die Klage der Trentiner zunächst zu bestätigen und lässt ein deutliches Missverhältnis, in Hinblick auf die jährlichen Aufnahmen, vermuten. Im Vergleich zu den Verpflegtenzahlen der Jahre 1865 bis 1869 – als noch zwei Gebäranstalten in Tirol existierten169–, präsentiert sich die Differenz jedoch deutlich weniger exorbitant, denn ledige Schwangere aus den deutschsprachigen Gebieten Tirols entbanden schon vor der Schließung Alle Lastes ungleich öfter in einem klinischen Rahmen und nutzten die Vorteile des Findelsystems deutlich stärker als ledige Frauen aus dem Trentino. In dieser Phase machten die Deutschtirolerinnen sogar 71 Prozent der Verpflegten beider Anstalten aus, während die Trentinerinnen mit nur 29 Prozent vertreten waren.170 In Anbetracht der Tatsache, dass etwa in der Periode 1870 bis 1874 lediglich 13 Prozent aller unehelichen Geburten auf den italienischsprachigen Landesteil entfielen, erscheint dieses charakteristische Nutzungsverhalten nicht verwunderlich.171 Nach der Schließung Alle Lastes änderte sich die Vertei169 Zwischen 1865 und 1869 wurden in den beiden Tiroler Anstalten – in der Mutteranstalt in Alle Laste und der Filiale in Innsbruck – insgesamt 2212 Entbindungen in einem hospitalisierten Umfeld betreut. 55 Prozent der Geburten entfielen dabei auf die Anstalt in Alle Laste, die Filialanstalt versorgte immerhin bereits 45 Prozent aller Gebärhausgeburten. In Alle Laste fanden zwischen 1865 und 1869 rund 52 Prozent Trentinerinnen sowie 48 Prozent deutschsprachige Tirolerinnen Aufnahme, während die Filiale in Innsbruck zu 99 Prozent eine deutschsprachige Klientel bediente. Lediglich in acht Fällen nutzten gebürtige Trentinerinnen die Innsbrucker Filiale: bei zwei Frauen konnten Identität und Herkunft jedoch nicht restlos geklärt werden. Drei dieser acht Geburten waren zudem ein und derselben ledigen Mutter zuzuschreiben: Die aus Coria stammende Fabriksarbeiterin Elisabeth Sperandio kam in den Jahren 1865, 1867 und 1869 zur Entbindung in die Filialanstalt. Es ist anzunehmen, dass Sperandio das Innsbrucker Gebärhaus der Anstalt in Alle Laste aus logistischen Gründen vorzog, denn die Anstalt in Innsbruck war von ihrem Arbeitsplatz, der Baumwollspinnerei von Kolbermoor, nahe Rosenheim, deutlich weniger weit entfernt, als die Anstalt in ihrer Heimat. Vgl. für den Zeitraum zwischen 1865 und 1869: Datenbank GH, eigene Berechnungen. Für den Zeitraum zwischen 1875 und 1880: TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1875, 1877,1878,1879,1880,1881. 170 Vgl. für den Zeitraum zwischen 1865 und 1869: Datenbank GH, eigene Berechnungen. Für den Zeitraum zwischen 1875 und 1880: TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1875, 1877,1878,1879,1880,1881. 171 Vgl. Schimmer, Geborenen, 170.

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lung nur geringfügig: Der Prozentsatz der verpflegten Trentinerinnen verringerte sich zwar tatsächlich, jedoch keineswegs so drastisch, wie dies von den politischen Vertretern suggeriert wurde. Zwischen 1875 und 1880 (für 1876 sind keine Daten überliefert) setzte sich die Tiroler Gebärhausklientel zu drei Vierteln aus Deutschtirolerinnen und einem Viertel aus Trentinerinnen zusammen. Damit hatte sich das ursprüngliche Versorgungsvolumen nicht wesentlich verändert, denn der Anteil der Trentinerinnen an der Gesamtzahl der hospitalisiert betreuten Geburten in Tirol war, im Vergleich zur Untersuchungsperiode 1865 bis 1869, um lediglich vier Prozentpunkte gefallen.172 Dennoch wurden die politischen Repräsentanten des südlichen Landesteiles nicht müde, die Revitalisierung des Entbindungsinstituts in Alle Laste zu fordern. Die 1873 begonnenen Vorerhebungen zur Zweckmäßigkeit einer solchen Zweigstelle im Trentino mündeten 1875 in einem offiziellen Antrag des Landes an die Ministerien des Inneren und für Kultus und Unterricht in Wien, in welchem die Errichtung einer Filialanstalt in Alle Laste mit angeschlossener Hebammenschule für italienischsprachige Frauen gefordert wurde. Aus Wien kam allerdings eine abschlägige Antwort, denn durch die Einrichtung einer solchen Filialanstalt würde, nach Meinung der Ministerien, „die geburtshilfliche Lehrkanzel in Innsbruck nicht allein alle italienischen Schwangeren, sondern auch voraussichtlich einen großen Theil der Schwangeren deutscher Zunge verlieren, und die genannte Lehrkanzel dadurch auf das empfindlichste geschädigt werden“173. Nachdem die Trentiner Repräsentanten 1874 mit ihrem Autonomieantrag im Reichsrat gescheitert waren und ihnen auch im Jahre 1877 die eingeschränkte Selbstverwaltung, durch Einrichtung einer eigenen Sektion des Landesausschusses, verwehrt worden war,174 forderten die Abgeordneten des südlichen Landesteils entsprechende politische Zugeständnis zur Wahrung der Landeseinheit. Die Einrichtung einer geburtshilflichen Filialanstalt für den italienischsprachigen Teil Tirols stellte dabei eine wiederkehrende Forderung dar. Bis zum Jahre 1877 war mit Hilfe des Landesausschusses ein konkreter Entwurf 172 Vgl. für den Zeitraum zwischen 1865 und 1869: Datenbank GH, eigene Berechnungen. Für den Zeitraum zwischen 1875 und 1880: TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1875, 1877,1878,1879,1880,1881. 173 TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1875, Innsbruck 1876, 7. 174 Vgl. Schober Richard, Das Trentino im Verbande Tirols 1815-1918, in: Kühebacher Egon (Hg.), Tirol im Jahrhundert nach Anno Neun. Beiträge der 5. Neustifter Tagung des Südtiroler Kulturinstituts (= Schlernschriften 279), Innsbruck 1986, 87109, hier 102-104. Vgl. Fontana, Geschichte, 156-158.

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ausgearbeitet worden: Die Idee einer Hebammenlehranstalt war gefallen, doch wollte man immer noch eine Filiale der Gebär- und Findelanstalt aufbauen, die jährlich insgesamt 200 Schwangere aufnehmen sollte.175 Aber auch der zweite, wesentlich detailliertere Vorschlag wurde unter Berufung auf das bekannte Argument der „Schädigung des Unterrichts-Materiales für die Klinik Innsbruck“176 abgelehnt. Im Jahre 1880 kam das Thema ein vorläufig letztes Mal auf die politische Tagesordnung: In der 13. und 14. Sitzung des Tiroler Landtags am 5. Juli 1880 wurde erneut über die Etablierung einer Gebäranstalt in Trient abgestimmt. Es lagen bereits ein ausführliches Statut für die Anstalt sowie ein detaillierter Kostenvoranschlag vor.177 Allerdings hatten die Initiatoren der neuerlichen Gebärhausdebatte scheinbar blauäugig dem Versprechen der Tiroler Konservativen vertraut. Diese hatten nämlich im Gegenzug für das einstimmige Votum der Trentiner Abgeordneten, mit welchem die Schließung der Tiroler Findelanstalt besiegelt wurde, ihre Befürwortung des Antrags auf Reinstallierung der Trentiner Gebäranstalt in Aussicht gestellt. Die Landtagsdebatte gestaltete sich aber trotz dieses Versprechens äußerst kontrovers und die Trentiner Abgeordneten warnten eindringlich vor den Folgen einer erneuten Abweisung ihrer Bitten, denn dies würde die Autorität der politischen Führung des Landes massiv beeinträchtigen, die Autonomiebestrebungen im Land stärken und die Landeseinheit gefährden.178 Der Antrag wurde daraufhin zwar vom Tiroler Landtag angenommen,179 scheiterte jedoch endgültig an der negativen Beurteilung durch die zuständigen Wiener Ministerien. Inwieweit diese politische Entscheidung absehbar war, lässt sich nicht restlos klären, doch der Kommentar einer Innsbrucker Zeitung „die wälschtirolischen Landtagsabgeordneten“ hätten „die ihnen von den

175 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1877, Innsbruck 1878, 275-276. 176 TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1877, Innsbruck 1878, 27. 177 Vgl. Beilage 40 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 3. Session 1880. 178 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 13. Sitzung der 3. Session am 5. Juli 1880, 258-261. 179 Vgl. zur finalen Landtagsdebatte zur Causa: Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 13. Sitzung der 3. Session am 5. Juli 1880, 245-273. Vgl. Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 14. Sitzung der 3. Session am 5. Juli 1880, 275-289.

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Ultramontanen in Aussicht gestellte Entlohnung nicht erhalten“180, lässt ein gewisses Kalkül vermuten. Umso mehr, als der Statthalter, Graf Taafe, eine geradezu flehentliche Bitte an das Ministerium des Inneren gerichtet hatte, die Filialeinrichtung im Trentino „mit allen ihr zu Gebote stehenden Mittel zu verhindern.“181 Die unterschiedlichen Bemühungen rund um die Filialeinrichtung im Trentino hatten in dieser Phase nationaler Abspaltungstendenzen für politischen Zündstoff gesorgt, welcher den schwelenden Konflikt um die deutschen und italienischen Interessen im Land noch weiter anheizen sollte. 3.2 Raumnot und Überfüllung – von der Not im Notbehelf Am 31. Dezember 1870 unterzeichnete das Land den Vertrag über die mietweise Überlassung von städtischen Spitalsräumlichkeiten für die Landesgebär- und Findelanstalt, welcher rückwirkend ab dem 25. Juli 1870 auf fünf Jahre Gültigkeit haben sollte. Vierteljährlich sollte der Mietzins von 625 Gulden an die Stadt Innsbruck bezahlt werden, als Kündigungsfrist wurde ein Jahr vereinbart.182 Die Unterbringung des neuen Gebär- und Findelhauses in den notdürftig sanierten Spitalsräumlichkeiten war ein schlechter Kompromiss gewesen, der wohl von vornherein aus der Not geboren war. Die Transferierung in den nördlichen Landesteil war so abrupt beschlossen worden, dass kaum Zeit für die Suche, geschweige denn für den lange projektierten Neubau eines adäquaten Anstaltsgebäudes, blieb. Als einzige kostengünstige Alternative präsentierte sich das Innsbrucker Spital, welches aber auf Grund seiner Lage in einer hochfrequentierten Geschäftsstraße und seines desolaten Allgemeinzustandes nicht im geringsten den Ansprüchen eines ruhigen, hygienischen und anonymen Rückzugsortes für ledige Schwangere genügte. „Schon das Äußere des Spitales mit seiner halbverfallenen, ruinenartigen Facade, seinem gar oft von Fässern und Kisten verbarrikadierten Eingang und den rechts und links vom Eingang im Erdgeschoß untergebrachten Kaufläden“183, dürfte keinen vertrauenserweckenden Eindruck gemacht haben. Doch wie war es um das Innere des Gebäudes bestellt?

180 IN, Nr. 116 vom 23. Mai 1881, o.S. Eine Reaktion auf den erhobenen Vorwurf wurde im Juni in einem konservativen Tiroler Wochenblatt publiziert. Vgl. Andreas Hofer. Wochenblatt für das Tyroler Volk, Nr. 24 vom 15. Juni 1881, 212-213. 181 Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA), Ministerium des Inneren 1881, 36/2, Kt. 1101, Zl. 6157, 12936. 182 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 1, Position 4: Normaliensammlung mit Index 1864-1881 und 1882-1901. 183 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1871, Zl. 32, 3164.

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Im Erdgeschoß befanden sich die Ausspeisungsküche, die Waschküche und das einzige Badezimmer des gesamten Spitals, der erste und zweite Stock waren mit Krankenzimmern und -sälen der einzelnen Kliniken belegt und das dritte Stockwerk des alten Spitalsgebäudes beherbergte die Wöchnerinnenstation des Gebärhauses. Durch verschiedene Umbauarbeiten waren im dritten Stock Verbindungsgänge zum Spitalszinshaus geschaffen worden, wo die Schwangeren der Gratisabteilung sowie in drei separaten Zimmern die Zahlabteilung untergebracht war. Die Findelanstalt wurde gesondert in einem eigenen Trakt im dritten Stock des Spitalneubaus eingerichtet.184 Die räumliche Trennung des Gebärhausbetriebs von den Findlingen war nicht nur aus hygienischen Gründen erfolgt, sondern wohl auch auf Anraten des Anstaltskaplans, Peter Solderer, denn dieser hatte schon während seiner Tätigkeit in Alle Laste auf die nachteiligen Auswirkungen des räumlichen Verbundes von Gebär- und Findelanstalt hingewiesen. Besonders die älteren Findelkinder würden durch die ständige Anwesenheit der vielen Schwangeren in ihrer moralischen Entwicklung beeinträchtigt, so die Einschätzung des Kaplans.185 Doch auf Grund massiver, baulicher Mängel im neu errichteten Spitalsanbau konnte diese Separierung der Findlinge nur kur184 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1870, Zl. 7551. 185 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1871, Sanität Zl. 6419. Kaplan Solderer zeichnete im Juli 1862 folgendes Bild von der Situation: „ ... denn wegen Enge des Raumes können die größeren Kinder von den Weibern nicht ganz abgeschieden werden. Die zur Arbeit fähigen Weiber werden auf dem Waschplatz, im Garten, im Holztragen, im Spülen und Kehren auf den Gängen verwendet, sind somit überall den Augen der Kinder ausgesetzt, namentlich auf den Spaziergängen; ja sogar eine Schwangere wurde der Klosterfrau, die bei den Kindern ist, zur Aushilfe beigegeben, die solange zu diesem Dienste gebraucht wurde, bis selbe ins Wochenbett kam, wo dann eine andere Schwangere dafür einstehen mußte, daher kommt es, daß es den älteren Kindern nicht unbekannt ist, warum diese Weiber in das Haus kommen, und nur noch nicht ganz deutlich sich erklären können, wie die Neugeborenen auf die Welt kommen, deswegen wurde mir öfters schon von ihnen aus Neugierde die Frage gestellt, wie das geschehen kann. Auch mussten im Winter die Mädchen bei Tag mit den Schwangeren in dem Arbeitszimmer beisammen sein, wo sie während dieser Zeit Gelegenheit genug hatten, das Benehmen und den Gang derselben zu beobachten, und Referent konnte mit eigenen Augen sehen, wie die Mädchen bei ihrem Spielen die Schwangeren nachzuahmen suchten; auch geschah es sogar einmal, daß Eine zufällig im Arbeitszimmer in Gegenwart der Mädchen entbunden wurde, wo sie mir hernach in ihrer Einfalt mit Staunen den Vorfall erzählten.“ TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1870, Zl. 309, 1152.

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ze Zeit gewährleistet werden. Schon wenige Wochen nach dem Bezug des neuen Quartiers sah sich der Primarius, Virgil von Mayrhofen, gezwungen, die Verlegung der Findelkinder zu veranlassen, denn die Räume im Neubau waren derart hellhörig, dass die im zweiten Stockwerk untergebrachten Kranken schwer unter der Lärmbelastung durch die Kinder litten und ihre Genesung dadurch verzögert wurde. Obwohl eine zeitweilige Ausquartierung der Findelkinder und externe Unterbringung im städtischen Waisenhaus angedacht war, musste dieser Lösungsversuch aus Kostengründen wieder verworfen werden. Stattdessen wurden in der ohnehin sehr beengten Gebäranstalt einzelne Zimmer für die Beherbergung der Kinder geräumt.186 Damit war der erste Versuch einer Reform der internen Organisation gescheitert, doch stellte dies nicht das einzige strukturelle Problem dar. Die Gebär- und Findelanstalt kam zwar durch die relativ abgeschiedene Lage im dritten Stock nur wenig mit dem eigentlichen Krankenhausbetrieb und seinen PatientInnen in Kontakt, doch auch dieser eingeschränkte Kontakt war nicht unproblematisch. So musste nämlich jede aufnahmesuchende Schwangere, die beim Portier am Haupteingang um Einlass bat, zunächst den allgemeinen Stiegenaufgang benutzen, um zum Aufnahmezimmer der Anstalt im dritten Stock zu gelangen. War ihre Aufnahmefähigkeit durch die Hebamme bestätigt worden, führte sie ihr nächster Weg neuerlich quer durch das Haus, denn die Verwaltungskanzlei, in welcher die Aufnahme offiziell dokumentiert wurde, war auf Grund der prekären Raumsituation nicht in den eigentlichen Anstaltsräumlichkeiten untergebracht worden und hatte zwei Zimmer im ersten Stock beziehen müssen.187 Wenngleich die Sicherstellung absoluter Anonymität gegenüber Außenstehenden für die unentgeltlich aufgenommenen Patientinnen ohnehin nicht zur Debatte stand, dürfte eine allzu große Öffentlichkeit nicht im Sinne der Anstalt gewesen sein. Umso mehr, als die Situation auch für die zahlende Klientel nicht besser war, die sich schließlich um teures Geld ihre Anonymität erkaufte. Doch nicht nur die mangelnde Diskretion wurde kritisiert, noch wesentlich schärfer verurteilte das Professorenkollegium der medizinischen Fakultät die hygienische Misere: Die generelle Raumnot im Spital und die ständige Überfüllung erhöhten die Infektionsgefahr, ebenso wie die Leichen der Verstorbenen, die oft nicht vor Eintritt der Fäulnis abtransportiert wurden; ein geeignetes Sektionslokal fehlte und das „Badezimmer“ der Anstalt „bestehend in einem schmutzigen, schlecht geweißten kleinen Raum, der drei durch Vorhänge gegen einander ab-

186 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1871, Sanität Zl. 6419. 187 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1870, Zl. 309, 7701.

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geschlossene alte Badewannen enthält“188, dürfte die Verbreitung von Krankheiten nicht unbedingt eingedämmt haben. Denn in den Wannen badeten „sämmtliche Kranke des Spitals, Syphilitische, Kräzige, Schwangere, Kranke mit Krebsen, Blasenscheidenfisteln, Gebärmutterkrankheiten, hospitalbrandigen Wunden und anderen übelriechenden und ansteckenden Affektionen“189, so der Bericht der Professoren. Ein zusätzliches Problem stellte der eben erst fertiggestellte Neubau dar, denn nicht nur der dritte Stock war von schlechter Bausubstanz, auch die Senkgruben waren derart schlecht zementiert, dass die Jauche in den Keller eindrang und mit Kübeln über den Innenhof zur zweiten Senkgrube getragen werden musste.190 Trotz der Klagen und beunruhigenden Berichte der zuständigen Sanitätsorgane wollte der politisch verantwortliche Landesausschuss die Prekarität der Situation nicht anerkennen und hielt an seiner Meinung, es bestehe ausreichend Platz zur Unterbringung aufnahmesuchender Patientinnen, fest.191 Die Landesbehörde war sogar dermaßen überzeugt von der Eignung des Spitalsgebäudes, dass es 1875 den bestehenden Mietvertrag, trotz einer empfindlichen Erhöhung des Mietzinses auf 4000 Gulden pro Jahr, um weitere drei Jahre verlängerte. Der Mietvertrag war nur deshalb nicht erneut auf fünf Jahre abgeschlossen worden, weil die Stadt beabsichtigte, das bisherige Spitalsgebäude nach der Fertigstellung des neuen Krankenhauskomplexes im Jahre 1878 in lukrative Zinshäuser umzuwandeln.192 Die ursprünglich angeprangerten Mängel hatten sich über die Jahre hinweg verschlimmert und ein Ausbruch des Kindbettfiebers rief im Jahre 1878 gleich mehrere politische Behörden auf den Plan. Das Engagement der diversen Gremien führte zu einem politischen Kräftemessen, denn die Statthalterei für Tirol und Vorarlberg sah sich auf Grund der Nachrichten aus dem Gebärhaus veranlasst, auf eine drei- bis vierwöchige Schließung der Anstalt und gründliche Reinigung und Desinfektion der Anstaltsräumlichkeiten zu drängen, doch die verantwortliche Instanz, der Tiroler Landesausschuss, verweigerte die Befolgung dieser Anordnung. Er machte vielmehr geltend, dass die

188 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1871, Zl. 32, 3164. Eine ausführliche Zusammenfassung der baulichen und hygienischen Mängel im Innsbrucker Stadtspital findet sich bei Huter, Fakultät, 121-122. 189 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1871, Zl. 32, 3164. 190 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1871, Zl. 32, 3164. 191 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1871, Sanität Zl. 6419. 192 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1875, Innsbruck 1876, 14-15.

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Räumlichkeiten erst vor kurzer Zeit einer Generalreinigung unterzogen worden wären.193 Die Situation hatte sich weiter zugespitzt, immer noch fehlten die 1869 in Aussicht gestellten Gartenanlagen, die Krankenwartung ließ einiges zu wünschen übrig und auch die Verpflegssituation der Säuglinge lag im Argen.194 Nach wie vor musste ein Großteil der Säuglinge mit Mehlbrei und Kuhmilch ernährt werden. Dies lag allerdings nicht am generellen Widerwillen der Frauen gegenüber dem Ammendienst,195 sondern schlichtweg an der Tatsache, dass nicht ausreichend Platz bestand, um die erforderliche Zahl an Ammen adäquat unterzubringen.196 Noch im Jahre 1875 standen für die im Laufe des Jahres aufgenommenen 77 Ammen lediglich sieben bis acht Betten in der Anstalt zur Verfügung.197 Ob die Dauer des Ammendienstes im Jahre 1874, auf Grund der Proteste der Frauen, von vier auf zwei Monate verkürzt,198 oder vielmehr, auf Grund der angesprochenen Raumnot, eingeschränkt wurde, ist nicht hinlänglich dokumentiert, doch liegt eine solche Interpretation nahe. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Ammen betrug etwa im Jahre 1875 nur drei Wochen, lediglich zwei Frauen absolvierten den regulären Ammendienst von zwei Monaten. Wegen Erkrankung oder körperlicher Untauglichkeit wurde ein Großteil der Ammen frühzeitig entlassen. Die hohe Ausfallsquote verwundert jedoch nicht, be-

193 Die Grundreinigung der Anstaltsräumlichkeiten war ein aufwändiger Prozess, denn es sollte dabei die Tünche von den Wänden geschabt, die Wände mit Karbolsäure desinfiziert und schließlich mit einem Karbol-Kalkgemisch neu gestrichen werden. Weiters sollten die Fußböden, die Aborte und sämtliche Gerätschaften einer Desinfektion unterzogen und die Räumlichkeiten ausgiebig gelüftet werden. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1878, Innsbruck 1879, 87. 194 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1878, Innsbruck 1879, 87-88. 195 Pawlowsky verwendet in diesem Zusammenhang den Terminus der „Zwangssäugung“, da der Ammendienst von den betroffenen Frauen oft als Unzumutbarkeit und Freiheitsberaubung wahrgenommen und deshalb mit teils drastischen Mitteln umgangen wurde. Vgl. Pawlowsky, Mutter, 122-125. 196 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1871, Sanität Zl. 6419. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 10888. 197 TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1875, Innsbruck 1876, 112-114. 198 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der IV. Landtagsperiode, 5. Sitzung der 3. Session am 13. Dezember 1873, 63-73.

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denkt man, dass eine einzige Amme während ihres Aufenthaltes bis zu sechs Säuglinge mit Muttermilch zu versorgen hatte.199 Die Sterblichkeit in der Anstalt war besonders im Jahre 1878 hoch, von den 351 versorgten Frauen waren bis Juli zwölf, von den 297 Kindern insgesamt 81 in der Anstalt verstorben. Zur Entschärfung der Situation musste schnellstmöglich zusätzlicher Raum im Spital geschaffen werden. Als einzig realisierbare Alternative bot sich die Schließung der Zahlabteilung an, welche immerhin drei Zimmer belegte. Die vorläufige Schließung wurde im Dezember 1878 veranlasst und zunächst auf drei Monate festgesetzt,200 doch noch vor Ablauf der Frist suchte der seit 1878 in Innsbruck tätige Primarius und Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie, Ludwig Kleinwächter, um die endgültige Auflassung der Zahlabteilung an. Bei geringer Auslastung verursache sie hohe Kosten und stelle keinen Nutzen für den Unterricht dar, so die Argumente des Primarius.201 Doch waren dies nicht die einzigen Gründe, warum die Innsbrucker Zahlabteilung nicht wieder eröffnet wurde. Seit den 1860er Jahren hatte es in der Monarchie Bestrebungen gegeben, die permanente Geheimhaltung, die der zahlungskräftigen Klientel der österreichischen Gebärhäuser zugesichert wurde, abzuschaffen. Allen voran in den beiden großen Anstalten in Wien und Prag wurde über die grundsätzliche Frage debattiert, ob die Institution des Gebär- und Findelhauses nun eine Anstalt zum Schutze der ledigen Mutter oder des unehelichen Kindes sei. Die Anonymität für wohlhabende Frauen wurde zunehmend kritisch betrachtet, denn nach Auffassung der Zeitgenossen, wurden durch die Geheimhaltung die Grundrechte des Kindes beschnitten. Ohne Kenntnis der Identität seiner Eltern verlor das Kind nicht nur sämtliche Erbansprüche, sondern wurde auch der

199 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1875, Innsbruck 1876, 112-114. Die von Friedrich Presl für Innsbruck und Triest konstatierte, durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Ammen im Findelhaus von mehr als sechs Monaten kann anhand der statistischen Befunde nicht bestätigt werden. Vgl. Presl Friedrich, Das Findelwesen in Oesterreich während der Jahre 1873-1882, in: Statistische Monatsschrift 12 (1886), 183-210, hier 194. 200 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 13277. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1878, Innsbruck 1879, 88. 201 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 4698. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1879, Innsbruck 1880, 122.

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„Liebe seiner Mutter“202 beraubt. In Wien wurden die Privilegien der zahlenden Mütter bereits 1870 geschmälert, jedoch 1878 in vollem Umfang wieder eingeführt, und bis 1899 beibehalten. Die Anstalt in Prag löste die Zahlabteilung im Jahre 1881 endgültig auf.203 Auch in Tirol sind Ansätze dieser Debatte erkennbar: Im Zuge der Revision der Anstaltsstatuten im Jahre 1873 diskutierte der Tiroler Landtag über die Zweckmäßigkeit der Zahlabteilung und stellte fest, dass sie „vom prinzipiellen Standpunkte betrachtet nicht beizubehalten wäre, weil die Kindesweglegung verwerflich ist.“204 Man einigte sich schließlich auf einen Kompromiss, der vorsah, dass die Anonymität derjenigen zahlenden Mütter, die ihre Kinder in die allgemeine Findelpflege abgeben wollten, teilweise eingeschränkt wurde. Fortan waren die Schwangeren verpflichtet, dem Primarius beim Eintritt in die Anstalt einen Heimatschein auszuhändigen, dessen Details in ein geheimes Protokoll eingetragen und bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes unter Verschluss gehalten wurden. Mit dem Verweis auf die „natürliche Mutterliebe“ gab man der ledigen Mutter zehn Jahre Zeit, um ihre Lebensverhältnisse zu ordnen und das Kind schließlich in die eigene Pflege zu übernehmen. Meldete sich die Mutter nach Ablauf der zehnjährigen Frist jedoch nicht bei der Findelhausverwaltung, so sollte das Kind in die Vormundschaft der Heimatgemeinde übergehen.205 Ähnlich wie bereits in Alle Laste machten zahlende Mütter in Innsbruck aber nur einen geringen Teil der aufnahmesuchenden Frauen aus. Eine intensive Nutzung des Gebärhauses durch Frauen aus gutem Hause, wie sie etwa für die großstädtische Anstalt in Wien bis in die 1820er Jahre belegt ist, hatte es in Tirol nie gegeben. Von 1833 bis 1870 hatten insgesamt nur 25 Schwangere die erste Verpflegsklasse in Alle Laste in Anspruch genommen, 381 Schwangere waren nach der zweiten, 1115 nach der dritten Klasse verpflegt worden. Insgesamt machten jene Frauen, die absolut anonym bleiben wollten, nicht einmal ein Fünftel der Gesamtaufnahmen Alle Lastes aus.206 In Innsbruck setzte sich dieser Trend fort, wobei das Datenmaterial für die Anfangsjahre zwischen 1870 und 1874 äußerst fragmentarisch ist. Die Frequentierung der Zahlgebärabteilung wird erstmals im 202 Ein kompakter Abriss über den zeitgenössischen Diskurs zur „Mutterliebe“ und die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Phänomens findet sich bei: Pawlowsky, Mutter, 269-276. 203 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 252-268. 204 Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol IV. Landtagsperiode, 5. Sitzung der 3. Session der am 13. Dezember 1873, 63. 205 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der IV. Landtagsperiode, 5. Sitzung der 3. Session am 13. Dezember 1873, 63-73 206 Vgl. Anderle, Maternità, 181.

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Jahre 1875 thematisiert, wobei nur rund 14 Prozent der insgesamt aufgenommenen Patientinnen gegen Bezahlung betreut wurden. Die Verpflegung in der 1. Klasse war sehr kostspielig, denn es fiel eine tägliche Verpflegsgebühr von zwei Gulden für die Mutter sowie 120 Gulden für die Übernahme des Kindes in die Findelpflege an.207 In den dokumentierten Jahren 1875, 1877 und 1878, war nur eine einzige Frau bereit, diese Auslagen zu tätigen.208 Die Versorgung in der 2. Klasse war etwas günstiger und kostete einen Gulden und 20 Kreuzer, aber immerhin ganze 90 Gulden für die Ausstattung des Findelkindes und in der 3. Klasse waren 80 Kreuzer pro Tag für die Verpflegung der Mutter und 60 Gulden für die Übernahme des Kindes zu bezahlen.209 Die zweite Verpflegsklasse war ebenfalls relativ gering frequentiert: 1875 waren 16 Schwangere zur Entbindung eingetreten, 1877 10 Frauen und 1878 ebenfalls nur 11 Frauen verpflegt worden. Die überwiegende Mehrheit der Patientinnen ließ sich, wie schon in Alle Laste, in die dritte Klasse aufnehmen, die zwar keinen Komfort bot, doch immerhin eine Befreiung von der Verwendung zum Unterricht darstellte. 1875 betreute die Zahlabteilung 47 Frauen nach der dritten Verpflegsklasse, 1877 53 und 1878 war die Zahl auf nur 34 Patientinnen gesunken.210 Die Schließung der Zahlabteilung im Jahre 1879 brachte allerdings nur eine vorübergehende Verbesserung der sanitären Verhältnisse und schon in den Sommermonaten sah sich die Anstaltsleitung gezwungen, erneut eine vorübergehende Schließung der gesamten Anstalt zu beantragen. Die Studienferien im August und September sollten erneut zur gründlichen Reinigung und Desinfektion verwendet werden und so wurden alle Schwangeren, „die vom 27. Juli an behufs Aufnahme in die Anstalt nach Innsbruck kommen und ohne Schaden für ihre Gesundheit die Rückreise in die Heimat machen können“211, abgewiesen. 207 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der IV. Landtagsperiode, 5. Sitzung der 3. Session am 13. Dezember 1873, 63-73. 208 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1878, Innsbruck 1879, 90. 209 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der IV. Landtagsperiode, 5. Sitzung der 3. Session am 13. Dezember 1873, 61-73. 210 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1875, Innsbruck 1876, 110. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1877, Innsbruck 1878, 127. Vgl. TLFM, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1878, Innsbruck 1879, 90. 211 TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1879, Innsbruck 1880, 122.

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Auch in den Sommermonaten des Jahres 1880 wurde die Anstalt zeitweilig geschlossen und die darin befindlichen Patientinnen auf Grund eines Ausbruchs der Pocken unter mehrwöchige Quarantäne gestellt.212 Durch die gestiegene Mortalität und die gehäuften Seuchenausbrüche in der Gebär- und Findelanstalt sah sich die zuständige Landesbehörde endlich veranlasst, eine räumliche Verlegung der Anstalt in Erwägung zu ziehen, wohl auch, weil der Innsbrucker Stadtmagistrat immer stärker auf sein Recht als Vermieter pochte, den Mietvertrag zu lösen und auf einen Auszug der Anstalt drängte. Der Landesausschuss bemühte sich zwar, eine attraktive Alternative in der Stadt Innsbruck oder der näheren Umgebung für eine mietweise Unterbringung der Gebär- und Findelanstalt zu finden, jedoch kristallisierte sich immer deutlicher die Notwendigkeit eines Neubaus heraus. 1881 wurde erstmals ein möglicher Standort diskutiert: Die Wiltener Felder, südlich vor der Stadt Innsbruck gelegen, schienen für ein solches Großprojekt, das mit 100.000 Gulden budgetiert wurde, am geeignetsten. Die zuständige Baubehörde plante ein zweistöckiges Gebäude, das auf 1.096m² ausreichend Platz bot – vor allem, da darin lediglich eine Gebärklinik, ohne angeschlossenes Findelhaus, untergebracht werden sollte.213 3.3 „Findelhäuser schaffen Findelkinder“ – zur Schließung des Tiroler Findelhauses Die Aufhebung der Tiroler Findelanstalt im Jahre 1881 ist nicht als isoliertes Ereignis zu werten, sondern markierte das vorläufige Ende einer regelrechten Schließungswelle von Findelfürsorgeeinrichtungen in der österreichischen Monarchie. Den Anfang hatte bereits 1869 die Anstalt in Linz gemacht, das Findelhaus in Laibach schloss im Jahre 1871 seine Pforten, Graz folgte im Jahre 1872, Lemberg und Krakau im Jahre 1874 sowie Brünn, Olmütz und Triest im Jahre 1879.214 Die Entscheidung zur Auflösung des Tiroler Findelhauses war am 3. Juli 1880 gefällt215 und am 16. April 1881 von den Wiener Ministerien bestätigt

212 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1880, Innsbruck 1881, 213. 213 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1881, Innsbruck 1882, 116. 214 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 263. Vgl. Presl, Findelwesen, 183. 215 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 11. Sitzung der 3. Session am 3. Juli 1880, 208-227. Vgl. Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 12. Sitzung der 3. Session am 3. Juli 1880, 229-244.

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worden.216 Der Schließung waren langwierige politische Debatten vorausgegangen, die bereits 1873 ihren Anfang genommen hatten. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Tiroler Landtag aber noch von einer übereilten Schließung der Findelanstalt abgesehen, denn man befürchtete, mit einer ersatzlosen Streichung der Fürsorge, die Attraktivität der Gebäranstalt zu schmälern und in weiterer Folge mit einer spürbaren Verringerung des „Unterrichtsmaterials“ kämpfen zu müssen. Auch konnte das Land nicht auf das ins Findelhaus integrierte Impfinstitut verzichten,217 in welchem das Vakzin zur Schutzpockenimpfung gewonnen wurde – insbesondere, da seit 1870 die Zahl der Neuerkrankungen in Tirol deutlich angestiegen war und gerade im Jahr 1873 ein erster Höhepunkt der Epidemie der 1870er Jahre verzeichnet wurde.218 An Stelle einer nachhaltigen Reform des Findelwesens in Tirol, baute das Land auf eine kurzfristige Strategie zur Kostensenkung, denn seit das ehemals staatlich finanzierte Fürsorgeinstitut 1868 in die Kompetenz des Landes übergegangen war, schlug dieser Budgetposten jährlich ein großes Loch in den Landesetat. Die Staatskassa war zwar verpflichtet, bis zum Jahre 1878 für all jene Kinder aufzukommen, die vor 1868 in die Findelpflege eingetreten waren, doch nach zehn Jahren sollten sämtliche finanziellen Ansprüche erlöschen. Mit den überarbeiteten Statuten, welche am 1. Jänner 1874 in Kraft traten, wurde das „Normalalter“, in welchem die Findlinge offiziell aus dem Fürsorgesystem ent-

216 Vgl. AVA, Ministerium des Inneren 1881, 36/2, Kt. 1101, Zl. 6157. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1881, Innsbruck 1882, 111. 217 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der IV. Landtagsperiode, 5. Sitzung der 3. Session am 13. Dezember 1873, 62. 218 Vgl. Unterkircher Alois, „Tyroler lasset eure Kinder impfen“ – Sterblichkeitsverhältnisse und frühe Seuchenprophylaxe in Tirol am Beispiel der Pocken im 19. Jahrhundert, in: Dietrich-Daum Elisabeth/Taiani Rodolfo (Hg.), Medikalisierung auf dem Lande (= Geschichte und Region/Storia e regione 14), Innsbruck/Wien 2005, 42-69, hier 48-50. Siehe weiterführend zum Thema der Schutzpockenimpfung: Pammer Michael, Pocken I: Gesundheitspolitik unter Franz II./I., in: Historicum. Zeitschrift für Geschichte, Frühling 2003, 17-21. Pammer Michael, Pocken II: Die Impfung im 19. Jahrhundert, in: Historicum. Zeitschrift für Geschichte, Sommer 2003, 15-19. Unterkircher Alois, „… seinen Kindern lieber die Engelsglorie, als längeres Leben …“. Vorstellungen über die Wirkung der Schutzpockenimpfung bei Ärzten und medizinischen Laien zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Tiroler Heimat 68 (2004), 93-115.

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lassen wurden, von zehn auf sechs Jahre gesenkt.219 Diese Maßnahme sicherte zwar den unmittelbaren Fortbestand des Systems für die Folgejahre, stellte aber gleichzeitig die erste Etappe auf dem Weg zur Abschaffung des Findelhauses dar. Die zweite Etappe wurde im Jahre 1878 eingeläutet, doch die politischen Entscheidungsträger verhielten sich äußerst zögerlich und wollten im Hinblick auf die möglichen Reaktionen der Bevölkerung zunächst ein Stimmungsbild erstellen lassen. Aus diesem Grund wurde der brisante Schließungsantrag zur Begutachtung an die katholischen Ordinariate, Gemeindevorstehungen und an ausgewählte Persönlichkeiten im Land versandt. Doch der Aufruf, zum Papier Stellung zu nehmen, verhallte ungehört und bis zur neuerlichen Aufnahme der Landtagsdebatten im Jahre 1880 war keine einzige Reaktion zum Thema eingegangen.220 Der politische Diskurs, um die Schließung der österreichischen Findelhäuser, zeigte wenige länderspezifische Charakteristika, sondern orientierte sich an populären Argumenten, die für die Abschaffung dieses Fürsorgezweiges sprachen. Auch die Debatten im Tiroler Landtag lassen sich auf drei wesentliche Motive reduzieren: die Kosten, die Moralität der Bevölkerung und die Mortalität in der Anstalt.221 Die enorme, finanzielle Belastung des Landesbudgets war wohl unbestritten das schlagkräftigste Argument für die Abschaffung der Landesgebär- und Findelanstalt als Institution mit doppelter Funktion. Die Findelanstalt verursachte dem Land jährlich Kosten in der Höhe von 70.000 Gulden, wohingegen die Erhaltung der Gebäranstalt mit einem finanziellen Aufwand von rund 20.000 Gulden deutlich günstiger war.222 Der Themenbereich der Moralität wurde jedoch weniger eindeutig bewertet, denn noch 1873 hatte der Landtag festgestellt, dass die Findelanstalt keinerlei nachteilige Auswirkungen auf die Moral und „Sittlichkeit“ der Bevölkerung habe.223 Innerhalb nur weniger Jahre hatte jedoch die auf den gängigen Topos 219 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der IV. Landtagsperiode, 5. Sitzung der 3. Session am 13. Dezember 1873, 61. 220 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 11. Sitzung der 3. Session am 3. Juli 1880, 208. 221 Auch bei der Abschaffung des Grazer Findelhauses wurden ähnliche Argumente bemüht. Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 218. Pawlowsky bestätigt dies für Graz und weist die gängige Argumentation auch für Prag und Laibach nach. Vgl. Pawlowsky, Mutter, 260-263. 222 Vgl. AVA, Ministerium des Inneren 1881, 32/2, Kt. 1101, Zl. 6157, 12936. 223 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der IV. Landtagsperiode, 5. Sitzung der 3. Session am 13. Dezember 1873, 62. Auch der Direktor der Gebäranstalt konstatierte 1873: „Ein nachtheiliger Einfluss der Findel-

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„Findelhäuser machen Findelkinder“ rekurrierende Argumentation der Schädlichkeit dieser Institution auch in den konservativen Kreisen Tirols an Boden gewonnen. Die politischen Repräsentanten verlangten allerdings nicht auf Grund einer drastischen Häufung illegitimer Geburten – seit 1870 war die Zahl der unehelich Geborenen in Tirol nämlich nachweislich gesunken224 – die Schließung des Findelhauses, sondern kritisierten die vermeintliche „Verantwortungslosigkeit“ und „Sorglosigkeit“ im Umgang mit unehelichen Kindern.225 Daran manifestierte sich ein grundlegender Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung der Institution Findelhaus: Während ihre Einrichtung im ausgehenden 18. Jahrhundert zum Schutz der ledigen Mutter vor Schande und Not und zur Prävention von Abtreibungen, Kindesweglegungen und Kindsmord noch breite, gesellschaftliche Zustimmung gefunden hatte, hatte sich die Einstellung zum Findelhaus im Laufe der Zeit geändert. Ab den 1860er Jahren rückte das Wohl des Kindes immer deutlicher in den Vordergrund und die systematische Trennung von Mutter und Kind, durch das bestehende Fürsorgewesen, stieß immer stärker auf Ablehnung.226 Der bürgerlichen Auffassung nach sollte die Mutter ihr Kind selbst versorgen und erziehen und so zur Senkung der allgemein hohen Sterblichkeit der Findelkinder beitragen. In Wien war die Übernahme des Säuglings in die Pflege der Mutter bereits seit 1870 forciert worden und auch die Findelanstalt in Prag erlaubte seit 1873 einen Verbleib des Kindes bei der Mutter.227 Auch in Innsbruck ist der obrigkeitliche Wunsch zur Belassung des Kindes in der Obhut der Mutter beobachtbar. So bestimmte der Paragraph 9 der Anstaltsstatuten von 1874: „Jede Mutter hat das Recht beim Austritte aus der Gebäranstalt ihr Kind, anstatt es der Findelanstalt zu übergeben, mit sich zu nehmen.“228 1874 war dies allerdings noch ein zweifelhaftes Recht, denn die Mütter erhielten keinerlei finanzielle Unterstützung für die Pflege ihres unehelichen Kindes. Wohl aus wirtschaftlichen Gründen machten zwischen 1874 und 1881 nur sehr wenige Mütter, insgesamt nur fünf Prozent, von ihrem Recht Gebrauch, das Kind selbst aufzuhäuser auf die Moralität der Bevölkerung lässt sich im Allgemeinen nicht nachweisen.“ TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1874, Zl. 8990 ex. 1873. 224 Vgl. Haslinger Alois, Uneheliche Geburten in Österreich. Historische und regionale Muster, in: Demographische Informationen (1982), 2-34, hier 21. 225 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 11. Sitzung der 3. Session am 3. Juli 1880, 220-222. 226 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 252-256. 227 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 263. 228 Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der IV. Landtagsperiode, 5. Sitzung der 3. Session am 13. Dezember 1873, 63-73.

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ziehen. Die überwiegende Mehrheit der im Gebärhaus geborenen Kinder wurde nach wie vor in das etablierte System der Findelfürsorge übergeben.229 Die Sterblichkeit der Kinder war auch in der Innsbrucker Findelanstalt hoch, was jedoch nach Meinung der zuständigen Sanitätsbehörde nicht am System selbst lag, sondern an der beengten Raumsituation im provisorischen Quartier. Der Umstand, dass die große Zahl der Neugeborenen nach wie vor in einem einzigen Zimmer des Spitalsgebäudes untergebracht werden musste, wurde für die Sterblichkeitsverhältnisse verantwortlich gemacht, doch konnte oder wollte das Land Tirol diesen Missstand nicht beseitigen. In vielen Fällen war aber auch die spätere Pflege außer Haus mangelhaft: Zwischen 1873 und 1881 starben rund 40 Prozent der durch das Findelsystem versorgten Kinder innerhalb des ersten Lebensjahres.230 Ab dem 1. August 1881 nahm die Findelanstalt in Innsbruck keine neuen Findelkinder mehr auf, musste jedoch sämtliche, seit 1874 in die Pflege übernommenen Kinder, bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr weiterhin finanziell unterstützen. Erst am 31. Juli 1887, nachdem das letzte Findelkind sein vorgeschriebenes „Normalalter“ erreicht hatte, konnte die Fürsorgeverantwortung endgültig abgegeben und das Findelhaus offiziell für geschlossen erklärt werden. Dem Findelasyl in Alle Laste war ein ähnliches Schicksal beschieden, allerdings war der Betrieb in der Zweigstelle bei Trient schon am 3. März 1883 eingestellt worden. Das mittlerweile stark renovierungsbedürftige Gebäude wurde in der Folge dem Militärkommando übergeben, welches sich schon 1881 im Südtrakt einquartiert hatte. 1885 verkaufte das Land die gesamte Liegenschaft in Alle Laste um einen Kaufpreis von 12.500 Gulden und unter der Auflage, dass der bestehende Mietvertrag mit dem Militärkommando aufrechtzuerhalten sei, an die Stadt Trient.231

229 Vgl. dazu die bei Böhler wiedergegebenen Daten aus dem Geburtsregister der Gebäranstalt Innsbruck 1873-1881. Die Quelle findet sich im Tiroler Landesarchiv. Vgl. Böhler, Findelwesen, 75. 230 Vgl. Böhler, Findelwesen, 83. 231 Nicht im Kaufpreis inkludiert waren jedoch die Altäre der ehemaligen Anstaltskirche. Die beiden Seitenaltäre wurden von der Gemeinde Lasino um 600 Gulden erworben, doch für den Hauptaltar fanden sich zunächst keine Käufer. Erst im Jahre 1887, als das Militär die Kirchenräumlichkeiten zur Turnhalle umfunktionieren wollten, erklärte sich das fürstbischöfliche Ordinariat in Trient dazu bereit, den Altar anzukaufen. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1887, Innsbruck 1888, 100.

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4. D IE L ANDESGEBÄRKLINIK – S TABILISIERUNG EINER I NSTITUTION (1881-1897) Im zeitgenössischen Diskurs um die Abschaffung des Tiroler Findelhauses schien nur ein Argument gegen die Schließung zu sprechen, nämlich die zu erwartende Beeinträchtigung der geburtshilflichen Lehranstalt. Dementsprechend gehörte das medizinische Professorenkollegium, vertreten durch den Rektor der Universität, zu den schärfsten Kritikern der mehrheitlich gefassten Pläne. Doch auch der Statthalter, Graf Eduard Taafe, stand den Plänen des Landtages ablehnend gegenüber, denn er erwartete nicht nur eine Verschlechterung der Ausbildungssituation im geburtshilflichen Bereich, sondern gleichzeitig auch eine Schwächung des Ausbildungsstandortes Innsbruck.232 Die Erfahrung der vergangenen Jahre hatte nämlich deutlich gezeigt, dass die Schließung der Findelanstalten mit einem spürbaren Rückgang der Frequentierungszahlen in den Gebärhäusern einherging. So sank die Zahl der Geburten etwa in Brünn, nach der Aufhebung der Findelanstalt, auf die Hälfte, in Olmütz auf ein Drittel der zuvor erreichten Zahlen. Auch in Linz und Graz waren drastische Einbrüche verzeichnet worden, weshalb in Graz bereits in den 1870er Jahren wieder an der Revitalisierung der Findelanstalt gearbeitet wurde und auch in Linz zur Aufrechterhaltung des Hebammenunterrichts eine Poliklinik eingerichtet werden musste.233 Obwohl nach Ansicht des Ministeriums für Kultus und Unterricht zweifellos „auch für Innsbruck nach Auflassung der Findelanstalt das gleiche Resultat zu gewärtigen ist, um so mehr, als schon dermalen die Zahl der Geburten daselbst für den gleichzeitigen Unterricht der Mediciner und Hebammen nur notdürftig ausreicht“234, war dem Antrag des Tiroler Landtages stattgegeben worden. Die Anstaltsleitung vor Ort rechnete ebenso mit einem gewissen Einbruch der Frequentierungszahlen, setzte diesen jedoch äußerst optimistisch auf ein relatives Minus von nur einem Viertel an. Tatsächlich zeigte sich, dass die Einbußen, auf Grund der Findelhausschließung, das Tiroler Gebärhaus zunächst weniger stark trafen, als dies in anderen österreichischen Regionen der Fall gewesen war: Die Zahl der Entbindungen nahm von 1881 auf 1882 relativ moderat, um die erwarteten 25 Prozent, ab. Dennoch sah sich die Politik veranlasst, einem weiteren Absinken der Aufnahmezahlen und der damit verbundenen Beeinträchtigung des Studienbetriebs entgegenzuwirken. Die Marke von 300 Geburten pro Jahr sollte nicht unter-

232 Vgl. AVA, Ministerium des Inneren 1881, 36/2, Kt. 1101, Zl. 6157, 12936. 233 Vgl. AVA, Ministerium des Inneren 1881, 36/2, Kt. 1101, Zl. 6157, 3039. 234 AVA, Ministerium des Inneren 1881, 36/2, Kt. 1101, Zl. 6157, 3039.

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schritten werden, weshalb der Tiroler Landesausschuss von den niederösterreichischen und böhmischen Behörden eine generelle Abweisung sämtlicher nach Tirol zuständiger, aufnahmesuchender Schwangerer verlangte. Die Gebär- und Findelhäuser in Wien und Prag waren schließlich Ende des 19. Jahrhunderts die einzigen österreichischen Institutionen, welche eine kostenlose Verpflegung des Kindes auf zehn Jahre garantierten.235 Doch die zuständigen Instanzen zeigten sich wenig kooperativ und auch die Statthalterei für Tirol und Vorarlberg glaubte nicht, dass die entfernt gelegenen Findelhäuser eine echte Konkurrenz für die Innsbrucker Anstalt darstellten.236 Vielmehr musste die lokale Politik alternative Anreize schaffen, um mehr Frauen zum Eintritt in die Gebärklinik zu bewegen. Das neu ausgearbeitete Statut der Landesgebärklinik, welches am 1. August 1881 in Kraft trat und in der Folgezeit bis 1897 mehrmals überarbeitet und ergänzt wurde, stellte einen ersten Schritt in Richtung eines grundlegenden Wandels in der sozialen Ausrichtung der Institution dar. 4.1 Funktionswandel – von der Anstalt zur Klinik Mit der Schließung des Tiroler Findelhauses wurde aus der vormaligen Doppelinstitution, welche als (Landes-)Gebär- und Findelanstalt ihre doppelte Ausrichtung auch semantisch zum Ausdruck gebracht hatte, eine Institution mit einem klar definierten Zweck und einem neuen Namen: Aus der Anstalt war eine Klinik geworden, die fortan unter dem Namen „Landesgebärklinik“ agierte. Doch nicht nur die Namensänderung und die eingeschränkten Aufgaben- und Verantwortungsbereiche, die sich im Wesentlichen auf die Ausbildung von Geburtshelfern und Hebammen sowie die Versorgung der Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen konzentrierten, ließen eine Neupositionierung der Anstalt erkennen. In aller Deutlichkeit wurden die strukturellen Veränderungen im neuen Anstaltsstatut dargelegt: Die Fokussierung auf die „entehrte“, ledige Schwangere, 235 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1881, Innsbruck 1882, 113. 236 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1882, Innsbruck 1883, 118. Die Position der Statthalterei wird durch das erhaltene Quellenmaterial gestützt, denn es konnte lediglich ein Fall gefunden werden, bei dem eine ledige Tiroler Mutter ihr Kind dem Prager Findelhaus überließ. Anna Hechenberger, uneheliche Tochter der Anna Elisabeth Hechenberger von Sautens, wurde im Jahre 1903 auf Auftrag des Landesausschusses von der Hebamme Josefina Dallavecchia in Prag abgeholt und in die Heimatgemeinde Sautens überstellt. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 6, Jg. 1903, Zl. 1913.

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der man seit 1833 einen „Zufluchtsort“ in Form der (Landes-)Gebär- und Findelanstalt geboten hatte, wurde zugunsten eines breiteren Fürsorgekonzeptes, welches auch bedürftige Witwen und verheiratete Frauen mit einschloss, aufgegeben. Ab dem 1. August 1881 fanden explizit alle Tirolerinnen, ungeachtet ihres Zivilstandes, in der Gebärklinik Aufnahme. Als einzig zwingende Voraussetzung war die fortgeschrittene Schwangerschaft im achten Monat sowie die Bereitschaft zum klinischen Unterricht zu dienen, festgelegt worden. Mit der Integration von verheirateten und verwitweten Frauen war das Land Tirol einer Strategie gefolgt, welche zuvor auch schon in der Steiermark Anwendung gefunden hatte. Während verheirateten Frauen noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts „nur in Ausnahmefällen die Unterbringung im Gebärhaus gestattet“237 war, änderte sich auch in Graz die soziale Ausrichtung mit der Auflösung der Findelanstalt. Seit dem Jahre 1872 war es verheirateten Frauen offiziell erlaubt, um Aufnahme in die Gebäranstalt anzusuchen. Durch die Aufnahme verheirateter Frauen sollte der dramatische Frequentierungseinbruch nach Schließung des Findelhauses abgefangen werden – mit wenig Erfolg, denn bis zum Jahre 1875 hatten sich die Aufnahmezahlen auf ein Fünftel der Werte reduziert, die noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts erreicht worden waren.238 Von einem Ausgangsniveau von jährlich rund 1500 verzeichneten Geburten waren die hospitalisierten Entbindungen in der Steiermark nach 1872 auf weit weniger als 500 Geburten gesunken (1874: 304).239 Bis zum Jahre 1880 stellten verheiratete Frauen auch im Innsbrucker Gebärhaus einen verschwindend geringen Prozentsatz von etwa ein bis drei Prozent und wurden wohl nur in Ausnahmefällen aufgenommen. Insbesondere, wenn sich die Schwangeren nur kurzzeitig in Innsbruck aufhielten und keinen Familienanschluss hatten.240 Dies traf etwa bei Landfahrers-, Geschirr- und Obsthändlersgattinnen zu, während Hebammenschülerinnen eine weitere Gruppe der verheirateten Patientinnen der Gebäranstalt ausmachten. Teilweise ließen auch die privaten Wohnverhältnisse oder die Abwesenheit des Ehemannes eine Entbindung und die Absolvierung des Wochenbetts zu Hause nicht zu. Wenngleich soziale Gründe wohl deutlich überwogen, rechtfertigte in manchen Fällen auch eine medizinische Implikation eine ausnahmsweise Aufnahme von verheirateten Schwangeren: so etwa bei der verheirateten Barbara Gogl aus Hötting, welche am 16. Mai 1856 auf Grund von schweren Geburtskomplikationen kurzerhand in 237 Kurmanowytsch, Gebärhaus, 113. 238 Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 142-143. 239 Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 46. 240 Dies konnte auch Alison Nuttall für das schottische Edinburgh zeigen. Vgl. Nuttall, Poverty, 270-272.

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die Gebärabteilung des Innsbrucker Bürgerspitals gebracht worden war. Eine natürliche Geburt schien jedoch aussichtslos und lebensbedrohlich für Mutter und Kind, weshalb sich der Professor in letzter Konsequenz für die gefährliche Kaiserschnittoperation entschied. Der Eingriff war nicht von Erfolg gekrönt. Das neugeborene Mädchen starb nur wenige Minuten nach der Nottaufe und auch Barbara Gogl verstarb nur wenige Stunden nach der Operation an den Folgen des Kaiserschnitts.241 Mit dem Statut von 1881 änderte sich die Zusammensetzung der Gebärhausklientel und bis 1890 machten verheiratete Frauen immerhin bereits zehn Prozent der Gesamtaufnahmen aus. Ein ähnlicher Trend zur gesteigerten Inanspruchnahme des Gebärhauses durch verheiratete Frauen ist auch in Wien zu beobachten. Zwischen 1896 und 1903 lag der Anteil von Ehefrauen an den Gesamtaufnahmen zwischen zehn und fünfzehn Prozent.242 Anders verhielt es sich hingegen bei einer weiteren Gruppe von neu zugelassenen Frauen: Die Nutzung des Tiroler Gebärhauses durch Witwen war stets sehr gering gewesen, obwohl ihnen bis 1874 der Eintritt in die Anstalt frei stand. Erst mit der Einführung neuer Statuten im Jahre 1874 wurde beschlossen, dass jene Frauen, die nicht mehr von ihrem verstorbenen Ehemann schwanger waren und somit ein uneheliches Kind erwarteten, keinen Anspruch auf Aufnahme im Gebärhaus und Versorgung des Kindes durch das Findelhaus hätten.243 Trotz der Intervention der Direktion der Gebär- und Findelanstalt, welche geltend machte, „daß in dieser Beziehung verunglückte Witwen eben denselben Schutz, wenn vielleicht auch nicht verdienen, so doch benöthigen, ja nicht selten desselben weit bedürftiger erscheinen, als ledige Schwangere.“244 Die moralische Verfehlung, welcher sich verwitwete Frauen in den Augen der Zeitgenossen schuldig machten, wog schwerer, als das „Vergehen“ der Ledigen, doch die Direktion plädierte für Milde, insbesondere in Hinblick auf die Vorbildwirkung. Denn „das Aergerniß von Witwen in einer Gemeinde gegeben, ein größeres ist, als das von unverehelichten Mädchen, daß daher die fragliche Aufnahme von Witwen in das Institut auch aus dieser Ursache erwünscht sein muß“245, so Direktor Plaseller im Jahre 1874. Ob dem Antrag des Direktors stattgegeben wurde, konnte den Aktenbeständen nicht entnommen 241 Vgl. Datenbank GH, Fall Barbara Gogl 1856. 242 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 70-71 bzw. 294. Ein ähnlicher, sozioökonomischer Wandel gegen Ende des 19. Jahrhunderts konnte auch für die Maternité in Paris und das Royal Maternity Hospital in Edinburgh festgestellt werden. Vgl. Fuchs/Knepper, Women, 195-196. Vgl. Nuttall, Poverty, 270. Vgl. Seidel, Kultur, 173-179. 243 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1874, Zl. 7098. 244 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1874, Zl. 8921. 245 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1874, Zl. 8921.

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werden, doch könnte die Zunahme des Witwenanteils auf drei Prozent der Gesamtaufnahmen im Jahre 1880 auf eine solche Maßnahme hindeuten.246 Im Vergleich zum Grazer Gebärhaus, welches nach der Auflösung der Findelanstalt mit einem massiven Rückgang der Frequenz zu kämpfen hatte und die erst nach Wiedereinführung der Findelversorgung im Jahre 1899 wieder rasant ansteigen sollte, erholten sich die Aufnahmezahlen der verhältnismäßig kleinen Tiroler Anstalt relativ schnell. In keinem Jahr waren sie unter die kritische Marke von 300 Geburten gefallen und bereits 1885 konnten mit 411 verzeichneten Entbindungen im Gebärhaus ähnliche Werte wie vor 1881 erreicht werden. Bis auf das Jahr 1888, das auf Grund der zeitweiligen Schließung der Anstalt wegen einer Kindbettfieberepidemie Rückgänge aufwies, sanken die Entbindungen in der Innsbrucker Gebärklinik nie mehr unter die Marke von 400 Geburten pro Jahr. Ausschlaggebend für die neu erlangte Attraktivität der Anstalt dürften, neben der verbesserten medizinischen Versorgung, auch die strukturellen Veränderungen in der Anstaltsorganisation gewesen sein. Die Aufnahme und kostenlose Verpflegung der Schwangeren war zwar weiterhin an die Beibringung diverser Dokumente gebunden, doch wurde deren Abgabe nicht mehr so streng gehandhabt. Die Frauen sollten beim Eintritt einen Heimatschein vorweisen, doch wurde ihnen auch ohne diesen der Eintritt gewährt und das Dokument nachträglich über die Anstaltsverwaltung beschafft. Der Heimatschein berechtigte die Schwangeren kostenlos in der Gebärklinik zu entbinden, sowie nach der Geburt für zwei bis drei Wochen in der Anstalt zu verbleiben. Zudem erhielten alle Frauen kostenlos die notwendige Erstausstattung für das Kind, welche aus „1 Oberröckl, 1 Unterröckl, 1 Haube, 2 Fatschen und 4 Windeln“247 bestand. All jene Frauen, die neben dem Heimatschein auch ein offizielles Armutszeugnis vorweisen konnten, durften zwischen zwei unterschiedlichen Entlassungsszenarien wählen: Entweder sie nahmen das zweimonatige Aufenthaltsrecht in der Anstalt in Anspruch, welches lediglich an die Bedingung geknüpft war, ihr eigenes Kind zu säugen, oder sie verließen die Anstalt bereits nach zwei bis drei Wochen und erhielten beim Austritt einen finanziellen Ausgleich von 15 Gulden. Unabhängig von der Dauer des Aufenthaltes, erhielten all jene Mütter, die nachweislich vermögenslos waren, eine Reiseunterstützung zur Rückkehr in ihre Heimatgemeinden. Je nach Entfernung konnte diese Unterstützung zwischen fünf und 15 Gulden betragen. Mütter, die in der Stadt Innsbruck oder deren näheren Umgebung beheimatet waren, erhielten einen Pauschalbetrag von fünf Gulden. Das Armutszeugnis berechtigte ledige Mütter des Weiteren dazu, wäh246 Vgl. Datenbank GH, eigene Berechnungen. 247 Beilage 34 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 3. Session 1880.

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rend der ersten beiden Lebensjahre des Kindes Pflegegeld einzufordern. Im ersten Lebensjahr betrug die Unterstützung des Landes 43 Gulden und 20 Kreuzer, während der Betrag im zweiten Lebensjahr auf 36 Gulden sank.248 Nachdem kein obrigkeitlich organisiertes Findelwesen mehr existierte, wurden die Säuglinge der Obhut der Mutter anvertraut, wobei die unehelichen Kinder noch zusätzlich einen Vormund erhielten. Doch auch dieser konnte meist von den Müttern selbst ausgewählt werden. Wie die weitere Versorgung und Erziehung der Kinder gestaltet wurde, lag im persönlichen Ermessen der Mutter und des Vormundes und war keinerlei obrigkeitlicher Kontrolle unterworfen. Lediglich in Fällen, in denen die Mutter in der Klinik verstorben war, oder „wegen Krankheit in das Spital übertragen werden mußte, oder der es wegen Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit oder wegen sittlicher Verkommenheit“249 nicht erlaubt war, das Kind mit sich zu nehmen, sollte die Klinikverwaltung einen geeigneten Vormund in der zuständigen Heimatgemeinde finden.250 Die neuen Aufnahmemodalitäten wurden jedoch zunächst nur wenig berücksichtigt und so sah sich der Landesausschuss nur ein Jahr nach Inkrafttreten der Statuten, genötigt, per Cirkular vom 15. Oktober 1882 erneut auf die Änderungen hinzuweisen. Die mangelnde Ausstattung der Frauen mit Armutszeugnissen hatte bisher vielfach verhindert, dass die versprochenen, finanziellen Unterstützungen gewährt werden konnten.251 Die Entwicklung der Folgejahre zeigt, dass die Intervention der Landesbehörde tatsächlich Erfolg hatte und die Zahl der versorgten und mit den erwähnten Unterstützungen bedachten Frauen jährlich anstieg. Ob erneute Sparmaßnahmen des Landes oder Fälle von Missbrauch dazu führten, dass die Statuten bereits im Jahre 1887 eine erste Adaption erfuhren, ist nicht hinreichend belegt. Fakt ist jedoch, dass zwei der drei Paragraphen, welche finanzielle Belange regelten, geändert wurden (§ 3/§4). Der Unterstützungsbeitrag von 15 Gulden, welcher bei frühzeitigem Austritt aus der Anstalt gewährt wurde, wurde auf einen Betrag von zehn Gulden reduziert. Und auch die Pauschalbeträge von fünf bis 15 Gulden, welche als Reiseunterstützung an die Mütter bezahlt worden waren, wurden nunmehr auf die „wirklich erlaufenden Ausla-

248 Vgl. Beilage 34 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 3. Session 1880. 249 Beilage 34 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 3. Session 1880. 250 Vgl. Beilage 34 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 3. Session 1880. 251 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1882, Innsbruck 1883, 119.

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gen für die Rückkehr“252 in die jeweilige Heimatgemeinde gekürzt. Abgesehen von den finanziellen Einsparungen wurde am normativen Grundgerüst der Anstaltsführung jedoch auch 1887 nichts verändert.253 Obwohl die Statuten nur wenig interpretativen Spielraum ließen, bereitete die praktische Auslegung der einzelnen Paragraphen dennoch Schwierigkeiten. So kam es etwa 1889 zu Differenzen zwischen der Anstaltsverwaltung und dem Primarius, hinsichtlich des in § 3 festgelegten Unterstützungsbeitrags. Konkret schieden sich die Geister an der Frage, ob diese finanzielle Gratifikation auch Müttern zustünde, welche eine Totgeburt erlitten hatten. Der Primarius befürwortete eine solche Praxis, denn schließlich waren die Frauen uneingeschränkt für den klinischen Unterricht verwendet worden. Die Anstaltsverwaltung, und in letzter Instanz auch der Landesausschuss, verweigerten jedoch die Ausbezahlung dieser „Starthilfe“, welche schließlich für die Erstversorgung des Kindes gedacht sei.254 Auch bei Wöchnerinnen, die ihr Kind nicht selbst stillen konnten oder wollten, sollte der Unterstützungsbeitrag einbehalten werden. Bei Jakobina Soppelsa, geb. Zeni aus Ziano im Trentino, ließen die politischen Behörden jedoch Milde walten: Obwohl die Mutter ihr Kind auf Grund von Krankheit mehrere Tage nicht selbst gestillt hatte, wurden keinerlei Abstriche bei der finanziellen Unterstützung gemacht, denn – so die Begründung –sie habe es zumindest über einige Tage hinweg versucht.255 Im Jahre 1893 wurde schließlich in Bezug auf den umstrittenen Paragraphen 3 eine Änderung der Anstaltsstatuten erwirkt. Zukünftig sollten alle Wöchnerinnen, welche nach zwei bis drei Wochen aus der Anstalt austraten eine Unterstützung von zehn Gulden erhalten, ausgenommen jene, die „sich weigern, ihr eigenes Kind selbst zu stillen, welche ein todtes Kind geboren haben oder deren Kind während des Wochenbettes gestorben ist, oder

252 Statthalterei-Kundmachung vom 12. October 1887, zitiert in: Schranz Julius, Vollständige Sammlung der dermalen in Tirol und Vorarlberg zu Recht bestehenden Sanitätsgesetze und Verordnungen, Wien 1889, 273-275. 253 Vgl. Gesetz- und Verordnungsblatt für die gefürstete Grafschaft Tirol und das Land Vorarlberg 1887, Nr. 40, 175. 254 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1889, Innsbruck 1890, 108. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 3, Jg. 1900, Zl. 20 ex 1889. 255 Vgl. Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 2, Jg. 1891, Zl. 1613.

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endlich jene, welche wegen Bildungsfehler der Warzen und der Brüste in die Unmöglichkeit versetzt sind, ihr Kind selbst zu stillen.“256 Eine weitere Änderung der Statuten trat im Jahre 1894 in Kraft und reduzierte neuerlich die finanzielle Unterstützung, welche den Müttern gewährt wurde. Bereits im Juli 1893 hatte der Landtag beschlossen das Pflegegeld (§ 5), auf welches all jene unehelichen Kinder einen rechtlichen Anspruch hatten, welche in der Gebärklinik das Licht der Welt erblickt hatten, zu kürzen. Das Pflegegeld wurde daraufhin im ersten Lebensjahr von 43 Gulden und 20 Kreuzern auf 36 Gulden und im zweiten Lebensjahr auf 27 Gulden herabgesetzt. Gleichzeitig wurde angeordnet, dass unversorgte Säuglinge, welche etwa in Folge des Todes ihrer Mutter alleine in der Gebärklinik zurückblieben, dort innerhalb von drei Monaten von der Vormundschaft abgeholt werden mussten, um ein Erlöschen der finanziellen Ansprüche zu verhindern.257 1897 wurde das Statut der Anstalt neuerlich, nahezu unverändert, öffentlich publiziert: Lediglich der 1894 geänderte Paragraph 5 wurde mit einem Zusatz versehen, der bestimmte, dass der An256 TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1893, Innsbruck 1894, 21. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 2, Jg. 1893, Zl. 2852. Im Jahre 1902 führte eben dieser Passus erneut zu Unstimmigkeiten zwischen dem Landesausschuss und der Verwaltung sowie dem ärztlichen Personal der Klinik. Auf Grund eines konkreten Falles, welcher von der Trentiner Presse aufgegriffen worden war und bei dem man „der Verpflegten Maria Preti nur das knappe Reisegeld verabreicht [...] so daß sie auf der langen Heimreise nach Celentino Hunger leiden mußte,“ hatte sich die Verwaltung gemeinsam mit dem Primarius für eine Revision des Paragraphen 3 ausgesprochen. Das Kind der besagten Frau war in der Gebärklinik verstorben, weshalb ihr, laut Statut, kein Unterstützungsbeitrag in der Höhe von nunmehr zwanzig Kronen zustand. Der Verwalter argumentierte, dass ihm die „Vorenthaltung der 20 Kr. an jene Wöchnerinnen, deren Kinder todt geboren oder gestorben sind, nicht gerecht vor[kommt], da diese armen Wöchnerinnen auch ohne Kind auf der Reise leben müssen, und das Kind wohl nur den geringsten Theil der 20 Kr. verzehrt.“ Doch der Landesausschuss beharrte weiterhin auf der strikten Einhaltung der obrigkeitlichen Maßregel. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1902, Zl. 440, 8974. 257 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der VII. Landtagsperiode, 22. Sitzung der 4. Session am 20. Juli 1893, 44. Vgl. Beilage 103 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der VII. Landtagsperiode, 4. Session 1892/93. Vgl. Gesetz- und Verordnungsblatt für die gefürstete Grafschaft Tirol und das Land Vorarlberg 1894, Nr. 9, 31-32. Vgl. auch AVA, Ministerium des Inneren 1894, 36/2, Kt. 1101, ohne Zahl.

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spruch auf das Pflegegeld fortan, nicht binnen drei Monaten, sondern erst binnen eines Jahres ab der Geburt des Kindes erlosch.258 Doch noch immer bereitete die Auslegung des normativen Regelwerks in der alltäglichen Praxis der Gebäranstalt Schwierigkeiten. 1897 richtete sich der klinische Assistent, Balthasar Zanotti, mit einer Anfrage bezüglich des Paragraphen 1 an die politischen Behörden. Dieser erste Paragraph regelte die Aufnahme der Schwangeren in die Anstalt und legte fest, dass keiner bereits vollständig entbundenen Frau der Eintritt in die Klinik gewährt werden könne. Per definitionem war die Aufnahme solange nicht gefährdet, solange die Nachgeburt nicht erfolgt und der Geburtsakt nicht vollständig abgeschlossen war. Aus diesem Grund war im Jahre 1891 auch Theres Tschugnall aus Tarrenz, trotz der Geburt ihres Kindes außerhalb der Anstalt, in den Genuss aller Gratifikationen gekommen. Die Frau war zwar während ihrer Reise in die Landesgebärklinik von der Geburt überrascht worden und hatte ihr Kind im „Eisenbahn-Coupé“259 geboren, doch in Innsbruck angekommen, brachte man die frisch Entbundene unverzüglich in die Klinik, wo die Nachgeburt erfolgte und die Wöchnerin fachgerecht versorgt wurde. Theres Tschugnall hatte Glück, denn die weitere kostenlose Versorgung sowie die Ausbezahlung sämtlicher Unterstützungen wurden ihr allein auf Grund der im Haus erfolgten Nachgeburt von der Verwaltung der Gebärklinik gewährt.260 In anderen Fällen hatten die Frauen nicht soviel Glück und wurden nach einer „Straßengeburt“ bereits vollständig entbunden in die Klinik eingeliefert. Theoretisch mussten die Verantwortlichen die Wöchnerinnen rigoros abweisen, doch es fehlte in der Landeshauptstadt an alternativen Unterbringungsmöglichkeiten für solche Ausnahmefälle. Die Wöchnerinnen konnten aus hygienischen und logistischen Gründen, weder auf der Frauenklinik noch in anderen Abteilungen des allgemeinen Krankenhauses untergebracht werden. Aus diesem Grund hatte Dr. Zanotti, in Abstimmung mit dem Primarius, bereits zwei Frauen einen humanitären Eintritt in die Klinik erlaubt, denn „abgesehen davon, dass es roh ist, eine auf der Straße entbundene, Unterkunft suchende Person abzuwei-

258 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der VIII. Landtagsperiode, 10. Sitzung der 2. Session am 23. Februar 1897, 20. Vgl. Beilage 69 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der VIII. Landtagsperiode, 2. Session 1897. Vgl. AVA, Ministerium des Inneren 1897, 36/2, Kt. 1101, Zl. 22765. Vgl. auch IN, Nr. 151 vom 7. Juli 1897, 2. 259 Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 2, Jg. 1891, Zl. 1613. 260 Vgl. Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 2, Jg. 1891, Zl. 1613.

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sen, ist dies aus oben angeführten Gründen auch unzukömmlich und oft auch unmöglich“261, so die Rechtfertigung des klinischen Assistenten. Die Fürsorge für Schwangere, Gebärende und Wöchnerinnen war auch im ausgehenden 19. Jahrhundert noch unmittelbar an deren Mehrwert für die medizinisch-geburtshilfliche Ausbildung gekoppelt. Die Tiroler Statuten von 1881 legten unumstößlich fest, dass alle versorgten Frauen dem Unterricht der Hebammenschülerinnen und Medizinstudenten zu dienen hatten, und führten somit die 1784 in Wien begründete Anstaltspolitik fort. Doch ähnlich wie in der Hauptstadt zeichneten sich auch in Tirol Veränderungen in der sozialen Ausrichtung der verkleinerten Anstalt ab, welche Verena Pawlowsky als die „wichtigsten Veränderungen in der Geschichte der Großinstitutionen“262 bezeichnete. Denn „Hilflosigkeit und Versorgungslosigkeit von Frauen und Kindern hingen im ausgehenden 19. Jahrhundert immer weniger mit Zivilstand und Geburtsstatus zusammen, sondern leiteten sich von der sozialen Stellung her“263, so Pawlowsky. Die Ausdehnung des allgemeinen Fürsorgekonzeptes und die Miteinbeziehung sämtlicher bedürftiger Schwangerer hatten jedoch nicht nur einen wohltätig-karitativen Wandel herbeigeführt, sondern trug maßgeblich auch zu einer veränderten Wahrnehmung der Institution „Gebärhaus“ in der breiten Öffentlichkeit bei. 4.2 Räumliche Veränderungen – der Neubau in Wilten Neben den strukturellen Neuerungen in Bezug auf die Gebärklinik, spielte aber wohl auch die bauliche Neugestaltung der Anstalt eine nicht unwesentliche Rolle bei der Zunahme der öffentlichen Akzeptanz. Der Bau der Landesgebärklinik stellte in den 1880er Jahren das zweite Großprojekt an den damaligen Rändern der Stadt dar. Mit der konkreten Umsetzung der 1881 erstmals geäußerten Pläne konnte jedoch erst gegen Ende des Jahres 1887, nachdem der Bau der ersten Pavillons des allgemeinen städtischen Krankenhauses (1884-1886) abgeschlossen war, begonnen werden.264 Auf politischer Ebene führte die Angelegenheit neuerlich zu Kontroversen, denn nach Ansicht der Trentiner Landtagsabgeordneten seien „in der Angelegenheit der Gebäranstalt immer die Gegensätze zwischen dem italienischen und deutschen Landestheil am schärfsten hervorgetreten“265. 261 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1897, Zl. 101, 18364. 262 Pawlowsky, Mutter, 70. 263 Pawlowsky, Mutter, 70. 264 Vgl. Hye, Frauenklinik, 148. 265 Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der VI. Landtagsperiode, 8. Sitzung der 5. Session am 11. Jänner 1887, 126.

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Die überwiegende Mehrheit der italienischen Abgeordneten votierte gegen die Errichtung eines neuen Klinikgebäudes in Innsbruck und forderte erneut die Revitalisierung einer Gebäranstalt im italienischsprachigen Teil Tirols. Doch ein entsprechender Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt und der Bau einer neuen Gebärklinik am 11. Jänner 1887 im Landtag beschlossen.266 Abb. 2: Skizze der projektierten Landesgebärklinik in Wilten, 1887

Quelle: TLA, Hochbaupläne, Nr. 28.

Ein geeigneter Baugrund in der südlich an Innsbruck angrenzenden Gemeinde Wilten war bereits ausgewählt und wurde dem Juwelier Andreas Norz um 20.000 Gulden abgekauft. Die Planung wurde dem arrivierten Tiroler Architekten Joseph von Stadl267 übertragen und die Ausführung der Bauarbeiten an die Firma Johann Huter und Söhne vergeben.268 Es sollte ein zweigeschossiges Gebäude entstehen, umgeben „von einem freien, mit Bäumen bepflanzten Rau-

266 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der VI. Landtagsperiode, 8. Sitzung der 5. Session am 11. Jänner 1887, 140-142. Vgl. auch Beilage 32 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der VI. Landtagsperiode, 5. Session 1886. 267 Joseph von Stadl (Baumeister und Architekt) wurde am 26.03. 1828 in Steinach am Brenner geboren und machte sich mit zahlreichen Kirchenbauten einen Namen. Neben der Landesgebärklinik plante er u.a. das Mutterhaus und die Kirche der Barmherzigen Schwestern in Zams sowie das Knabenseminar Vizentinum mit zugehöriger Kirche in Brixen. Joseph von Stadl war einer der Mitbegründer der Tiroler Glasmalereianstalt. Er starb am 21.12.1893 in Hall in Tirol. Vgl. dazu Biographie Joseph von Stadl, in: Österreichisches Biographisches Lexikon (ÖBL) 1815-1950, Bd. 13, Wien 2007, 70. 268 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1887, Innsbruck 1888, 98-99.

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me“269. Allerdings befürworteten nicht alle politischen Entscheidungsträger die großzügige Ausführung des Klinikbaus und nannten die projektierte Klinik einen „Palast“ und „Prachtbau“, der den disziplinierenden Charakter der Institution nicht adäquat widerspiegle. Doch eben diese Komponente war durch die Einführung der neuen Statuten im Jahre 1881 deutlich in den Hintergrund getreten. Wesentlich stärker wurde seitdem der Aspekt der Armenfürsorge betont und so sei zu beachten, dass es sich bei den aufnahmesuchenden Frauen „ja nahezu immer um Personen handelt, die außen, außerhalb der Anstalt, in äußerst gedrückten Verhältnissen leben und in diesem gewissen Zustande in das Haus kommen. Daß diese Leute eine gute Behandlung und Unterkunft unbedingt nothwendig haben, liegt denn doch auf der Hand, wenn anders das Haus nicht geradezu zu einer Mordgrube werden soll“270, argumentierte der mit dem Bauprojekt betraute Sanitätsreferent Dr. Friedrich Graf. Das Klinikgebäude wurde nicht nur möglichst wohnlich eingerichtet, sondern auch nach modernsten Richtlinien ausgestattet. Neben einer Niederdruckdampfheizung aus dem Eisenwerk Kaiserslautern verfügte die Klinik über Fließwasserleitungen in allen Stockwerken,271 eine Ventilationsanlage zur Belüftung der Räumlichkeiten, einen eigenen Telegraphenanschluss sowie Gasbeleuchtung im gesamten Gebäude.272 Die Wöchnerinnenstation sowie der Kreißsaal waren mit Warm- und Kaltwasseranschlüssen ausgestattet und mit teuren Parkettböden ausgelegt worden, welche eine effiziente und hygienische Reinigung erleichtern sollten. Lediglich die Sanitäranlagen entsprachen nicht dem geforderten Standard: An Stelle von modernen Wasserklosetts war ein veraltetes

269 Beilage 32 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der VI. Landtagsperiode, 5. Session 1886. 270 Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der VI. Landtagsperiode, 8. Sitzung der 5. Session am 11. Jänner 1887, 138. 271 Die 1886/87 in Wilten errichtete Hochdruckwasserleitung ermöglichte die Einleitung von fließendem Wasser in alle Stockwerke. Vgl. Huemer-Plattner Ingrid, Die Stadt wird immer durstiger, in: Dietrich Elisabeth (Hg.), Stadt im Gebirge. Leben und Umwelt in Innsbruck im 19. Jahrhundert, Innsbruck/Wien 1996, 111-124, hier 116. 272 Von der elektrischen Beleuchtung der Anstalt war man nur deshalb abgegangen, da scheinbar zwischen vier und sechs Uhr morgens kein Strom geliefert werden konnte. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1889, Innsbruck 1890, 192-193.

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Senkgrubensystem eingebaut worden.273 Diese Entscheidung wurde nach Besichtigung der Baustelle durch einen Ministerialbeamten aus Wien massiv kritisiert, denn die „primitiven Abortanlagen“ würden den sanitären Ansprüchen einer Gebäranstalt keineswegs genügen und „das Vorkommen von Geburtsunfällen /:Sturzgeburten am Aborte:/ ermöglichen“274, so die Auffassung des Ministeriums des Inneren. Die Bauherren versuchten ihre Entscheidung damit zu rechtfertigen, dass das Fehlen eines geschlossenen Kanalsystems in Innsbruck und Umgebung die Ableitung der Ab- und Schmutzwässer unmöglich mache. Die Stadt Innsbruck und ihre Vororte verfügten gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch über ein traditionelles System von teils offenen, teils geschlossenen Abzugsrinnen, welche im Allgemeinen als „Ritschen“ bezeichnet wurden. Für den Abtransport von Fäkalien war dieses Rinnensystem nicht geeignet, weshalb die Fäkalien in Senkgruben gesammelt und üblicherweise halbjährlich mittels pneumatischer Apparate abtransportiert wurden.275 Hinsichtlich des Wasserklosetts glaubten die Verantwortlichen weiters, dass „die nach diesem Sisteme konstruirten Aborte thatsächlich erst recht Ekel erregend“276 und abschreckend auf die vornehmlich aus einfachen, ländlichen Verhältnissen stammenden Patientinnen der Klinik wirken würden.277 Diesem Argument wurde jedoch keine sonderliche Beachtung geschenkt, umso weniger, als der Landesausschuss beabsichtigte, die Senkgruben wie gewohnt nur zwei Mal im Jahr entleeren zu lassen, obwohl auch in Zukunft sämtliche in der Klinik anfallenden Schmutzwässer und auch Blut über die Aborte entsorgt werden müssten. Die Sanitätsreferenten des Ministeriums, aber auch der Statthalterei sahen darin eine Gefahr für die Anstaltshygiene und forderten eine sofortige Umgestaltung,278 doch das System wurde erst nach mehreren Jahren gegen eine Wasser-

273 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1888, Innsbruck 1889, 117. Vgl. AVA, Ministerium des Inneren 1889, 36/2, Kt. 1101, Zl. 5085. 274 TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1889, Sanität Zl. 6727, liegt bei TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1891, Sanität Zl. 18404. 275 Vgl. Stemberger Walburga, Vom „Raggeln“ zur Kanalisation – Die Abwässerfrage, in: Dietrich Elisabeth (Hg.), Stadt im Gebirge. Leben und Umwelt in Innsbruck im 19. Jahrhundert, Innsbruck/Wien 1996, 125-137, hier 128-129. 276 TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1889, Sanität Zl. 3265, liegt bei TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1891, Sanität Zl. 18404. 277 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1889, Sanität Zl. 3265, liegt bei TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1891, Sanität Zl. 18404. 278 Vgl. AVA, Ministerium des Inneren 1889, 36/2, Kt. 1101, Zl. 5085.

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klosettanlage ausgetauscht.279 Diese Entscheidung fußte allerdings nicht auf hygienischen Gründen, sondern wurde vielmehr auf Grund zweier tragischer Ereignisse getroffen. Im Jahre 1895 war nämlich der vom Ministerium befürchtete Fall eingetreten, dass „Schwangere auf dem Aborte geboren haben und das Kind in die Senkgrube fallen ließen, resp. mit Absicht hinunterwarfen.“280 Der Einbau einer modernen Spülanlage wertete die Gebärklinik als Vorzeigeanstalt noch zusätzlich auf, denn um die Jahrhundertwende verfügten nur äußerst wenige wohlhabende Häuser in Innsbruck über eine solche Klosettanlage.281 Hygienische Überlegungen hatten aber andererseits dazu geführt, dass die Waschküche, die Badezimmer und die Desinfektionsräume282 der Anstalt nicht, wie ursprünglich geplant, im Souterrain des Gebäudes untergebracht, sondern in einem Ausweichquartier, außerhalb des Hauses, eingerichtet wurden. Aus Furcht, die Feuchtigkeit aus der Waschküche und den Badezimmern könnte sich im neuen Gebäude festsetzen, wurden die notwendigen Einrichtungen in einem kleinen Nebengebäude realisiert. Doch die Tatsache, dass die Schwangeren – außer im Kreißsaal – keinerlei Bademöglichkeit im Haupthaus hatten und bei jeder Witterung über den Hof laufen mussten, um die Badezimmer zu erreichen, stieß in Wien auf wenig Verständnis.283 Aus diesem Grund wurden bereits im Juli 1890, nur wenige Monate nach der Eröffnung der neuen Gebärklinik, diverse Alternativen diskutiert. Die Errichtung eines „Glas-Corridors“284 zwischen dem Haupthaus und dem Nebengebäude wurde dabei ebenso angedacht, wie die Herstellung eines unterirdischen Verbindungstunnels oder die Möglichkeit, die Frauen in geschlossenen Sänften hin und retour tragen zu lassen. Das Hauptar279 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1896, Innsbruck 1897, 42. 280 TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck Fasz. 2, Jg. 1895, Zl. 4458. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1895, Zl. 319, 20264. 281 Vgl. Huemer-Plattner, Stadt, 121. Mit dem Bau einer Schwemmkanalisation in Innsbruck und Wilten wurde erst 1903 begonnen und die Landesgebäranstalt im Jahre 1907 an das neue System angeschlossen. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1907, Zl. 524. 282 Rund drei Jahre lang musste die Desinfektion der medizinischen Gerätschaften im städtischen Krankenhaus durchgeführt werden, denn erst im Jahre 1893 wurde ein entsprechender Desinfektionsapparat für die Gebärklinik angeschafft. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1893, Innsbruck 1894, 21. 283 Vgl. AVA, Ministerium des Inneren 1890, 36/2, Kt. 1114, Zl. 11263. 284 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1890, Zl. 164, 9014.

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gument dabei war, dass man die Frauen vor schlechter Witterung schützen und dadurch Erkältungen vermeiden wollte. Schließlich wurde eine realistischere Lösung gefunden, die darin bestand, ein Zimmer im Hauptgebäude als Badezimmer zu adaptieren.285 Während die Bauarbeiten am neuen Standort seit 1888 stetig voranschritten und der anvisierte Einzugstermin im Frühjahr 1890 immer näher heranrückte, herrschte in der provisorisch untergebrachten Gebärklinik im Stadtspital bereits Aufbruchstimmung. Doch machten sich die Verantwortlichen nicht für einen Umzug in die neuen Anstaltsräumlichkeiten bereit, sondern für eine zwischenzeitlich anberaumte Übersiedlung innerhalb des alten Spitalskomplexes. Die Stadt Innsbruck hatte nämlich mit Oktober des Jahres 1888 den bestehenden Mietvertrag gelöst und damit die seit 1881 angedrohte Räumung der bisher genutzten Lokalitäten erzwungen. Da im gesamten Stadtgebiet aber scheinbar kein geeignetes Gebäude zur kurzfristigen Anmietung gefunden werden konnte, einigten sich Stadt und Land auf eine Fortsetzung des Mietverhältnisses, allerdings in abgeänderter Form. Bis zum 16. Oktober 1888 musste die Gebärklinik sämtliche Zimmer im Spitalszinshaus sowie die meisten Zimmer im alten Spitalsgebäude räumen. Als vorübergehendes Quartier wurden 23 Zimmer im ersten und zweiten Stock des Spitalsanbaus sowie sieben Zimmer im Altbau zur Verfügung gestellt. Der Mietpreis, welcher die Mitbenutzung der Waschküche, des Kellers und Gartens inkludierte, belief sich auf einen Betrag von 3.500 Gulden, welcher jährlich bis zur Übersiedlung in das neue Klinikgebäude in Wilten zu entrichten war.286 Zwanzig Jahre nachdem die Landesgebär- und Findelanstalt im Jahre 1870 ihr provisorisches Quartier im Innsbrucker Stadtspital bezogen hatte, konnte die inzwischen als Gebärklinik agierende Institution an ihren neuen Standort im Dorf Wilten übersiedeln. Bis zum 1. Mai 1890 war die Räumung des alten Spitalsgebäudes so weit fortgeschritten, dass nur mehr vier Zimmer mit nicht transportfähigen Wöchnerinnen belegt waren. Doch auch diese konnten bis zum 6. Mai größtenteils entlassen bzw. in das neue Gebärhaus nach Wilten verlegt werden.287 Bereits ab dem 28. April 1890 waren keine zusätzlichen Neuaufnahmen 285 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1890, Zl. 164, 9014. 286 Vgl. StAI, Kleinbestände Spital 1875-1888, Zl. 14446. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1887, Innsbruck 1888, 99. 287 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1890, Zl. 164, 6026. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1890, Innsbruck 1891, 104.

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am alten Standort mehr geschehen, sondern sämtliche aufnahmesuchenden Schwangeren nach Wilten verwiesen worden.288 Trotz der Tatsache, dass der Professor für Geburtshilfe seit dem Jahre 1878 gleichzeitig auch den noch jungen Fachbereich der Gynäkologie betreute und über eine kleine gynäkologische Abteilung verfügte, war diese räumlich nicht in die neue Gebärklinik integriert worden. Die politischen Vertreter argumentierten vorderhand mit hygienischen Problemen, die sich für Wöchnerinnen und gynäkologische Patientinnen aus der räumlichen Nähe ergeben würden, doch hinter den medizinischen Argumenten standen einmal mehr finanzielle Kompetenzstreitigkeiten zwischen der Stadt Innsbruck, dem Land Tirol und den Ministerien in Wien. Aus diesem Grund hatte der zuständige Professor bereits 1888 um die Errichtung eines eigenen Pavillons am Gelände des allgemeinen städtischen Krankenhauses angesucht, welcher insgesamt zwanzig Krankenbetten umfassen sollte.289 Dieser Antrag wurde nicht bewilligt und die Frauenklinik nach Räumung des alten Stadtspitals im Jahre 1890, zunächst gemeinsam mit der Augenklinik, provisorisch im 1. Stock des Verwaltungsgebäudes untergebracht. Insgesamt verfügte die Gynäkologie über zwei Zimmer mit zehn Krankenbetten, wovon vier Betten mit klinischen Patientinnen belegt werden konnten. Im Jahre 1894 bezog die Gynäkologie, gemeinsam mit der Abteilung für Dermatologie, Psychiatrie und Nervenpathologie und der Hals-, Nasen-Ohrenklinik, den vierten Krankenhauspavillon. Neben einer angemessenen Anzahl von Zimmern verfügte die Frauenklinik in den neuen Räumlichkeiten zudem über einen eigenen Hörsaal, ein Professoren- und ein Assistentenzimmer sowie über ein eigenes Operationszimmer.290

288 Vgl. Bote für Tirol und Vorarlberg (TB), Nr. 95 vom 26. April 1890, 844. 289 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1888, Innsbruck 1889, 117. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1889, Innsbruck 1890, 106. 290 Die Geschichte der Gynäkologie in Innsbruck stellt bislang ein Desiderat der lokalen medizinhistorischen Forschung dar und wurde nur im Zuge der allgemeinen historischen Werke zur medizinischen Fakultät oder der Krankenhausgeschichte erwähnt. Vgl. Huter, Fakultät, 150-154. Vgl. Hye, Frauenklinik, 151. Eine äußerst kursorisch bleibende Diplomarbeit, verfasst am Institut für Erziehungswissenschaft, lieferte keine neuen Ergebnisse und ist vom historischen Standpunkt insgesamt als mangelhaft einzustufen. Vgl. Vorhofer Charlotte, Die Geschichte der Gynäkologie in Innsbruck. Ein medizinhistorisch feministischer Diskurs [Diplomarbeit], Innsbruck 1995.

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Am 1. Mai 1890 wurde die Landesgebärklinik in Wilten in Anwesenheit zahlreicher weltlicher und geistlicher Honoratioren durch einen feierlichen Festakt offiziell eröffnet.291 Nach der Lesung einer Messe in der Anstaltskapelle und zahlreichen politischen Festreden, die den Wert der Gebärklinik für die Gesellschaft, nämlich „die Unterkunft der Hilfsbedürftigen einerseits und die Klinik andererseits“292, hervorzuheben suchten und darin die Realisierung eines wohltätigen und eines wissenschaftlichen Zwecks sahen, wurde zum geselligen „Gabelfrühstück“ geladen.293 Das ausschließlich männliche Publikum erhielt auch Gelegenheit, das Anstaltsgebäude zu besichtigen, welches aus einem großzügigen Haupttrakt und zwei Seitentrakten bestand. Neben Zimmern und Sälen zur Unterbringung von rund 40 Patientinnen, welche Anfang Mai bereits teilweise belegt waren, gab es weiters Platz für eine Krankenabteilung, Wohnungen für die beiden Hebammen sowie Unterkünfte für die Hebammenschülerinnen. Die Wohnungen des Wart- und Pflegepersonals, der Barmherzigen Schwestern, waren ebenso im Anstaltsgebäude untergebracht, wie Zimmer für das ärztliche Personal, die Verwaltungsbeamten, den Portier sowie den Kaplan. Die Anstalt verfügte zudem über eine geräumige, aber schlicht ausgestattete Kapelle294 und einen Hörsaal, in dessen Nebenräumen die geburtshilfliche Sammlung sowie das anatomische Museum untergebracht waren. Im Souterrain befand sich außerdem ein kleines Zimmer, welches für den Operationskurs des Professors adaptiert worden war.295 291 Den Feierlichkeiten in der neuen Gebärklinik wohnten insgesamt 34 geladene Gäste, u.a. der Statthalter Freiherr von Widmann, der Landescommandeur Freiherr von Teuchert-Kauffmann, der Oberlandesgerichtspräsident Freiherr von Mages, der Prälat von Wilten, Hofrath Baron Puthon, der Rektor der Universität Innsbruck, Professor Müller, der Statthaltereirat Baron Reden, der Dechant Dr. Kometer, der Innsbrucker Bürgermeister Dr. Falk, der Gemeindevorsteher von Wilten August Neuhauser, der Architekt von Stadl, die Bauherrn der Firma Johann Huter und Söhne, der Landessanitätsreferent Dr. Sauter, der Universitätsprofessor Dr. Möller, der Primarius der Gebärklinik Dr. Ehrendorfer sowie die Verwaltungsbeamten der Anstalt bei. Vgl. TB, Extra Beilage zu Nr. 103 vom 6. Mai 1890, 921. Vgl. IN, Nr. 100 vom 2. Mai 1890, 3. 292 TB, Extra Beilage zu Nr. 103 vom 6. Mai 1890, 921. 293 Vgl. TB, Extra Beilage zu Nr. 103 vom 6. Mai 1890, 921. 294 Zur künstlerischen Ausgestaltung des Anstaltsgebäudes, insbesondere der Kapelle, siehe: Neue Tiroler Stimmen, Nr. 97 vom 29. April 1890, o.S. 295 Vgl. AVA, Ministerium des Inneren 1890, 36/2, Kt. 1114, Zl. 11263. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1890, Innsbruck 1891, 104. Eine genauere Beschreibung

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Der Neubau der Landesgebärklinik auf den Norz’schen Gründen in Wilten hatte insgesamt 228.500 Gulden und 28 Kreuzer gekostet und war somit rund 20.000 Gulden günstiger gewesen, als anfänglich kalkuliert.296 Obwohl die Gebäranstalt 1868 in die Kompetenz des Landes übergegangen und das neue Klinikgebäude aus Landesmitteln bezahlt worden war, konnte sich der Staat nicht gänzlich seiner Verantwortung entziehen. Da die Anstalt nach wie vor als Ausbildungsstätte für Hebammenschülerinnen und Mediziner fungierte und auch einen gewissen Forschungsauftrag realisieren sollte, unterstützte das Ministerium für Kultus und Unterricht die Tiroler Gebärklinik mit einem jährlichen Beitrag von 3.500 Gulden aus dem Staatsschatz.297 Dieser Betrag wurde 1894 rückwirkend ab dem Jahre 1890 um 100 Gulden auf insgesamt 3.600 Gulden erhöht.298 Außerdem mussten alle Sonderausgaben für klinische Instrumente, aber auch für die Beheizung und Beleuchtung des Hörsaals und des Operationszimmers, vom Ministerium beglichen werden. Um einen zusätzlichen, finanziellen Ausgleich zu bekommen, verlangte das Land zudem einen Pauschalbetrag von zehn Gulden von jeder Hebammenschülerin, die ein Quartier in der neuen Gebärklinik beziehen wollte.299 1891 wurden die Gartenanlagen hergestellt, welche in einen landwirtschaftlich genutzten und einen für die Patientinnen zugänglichen Teil getrennt und von einem eisernen Zaun begrenzt waren. Und schließlich rundete die an der Nordseite des Gebäudes hergestellte Verbindungsstraße mit einem Gehsteig zwischen Tempel- und Leopoldstraße, die Bauarbeiten in Wilten ab.300 Kaiser Franz Joseph I. konnte das endgültig fertiggestellte Anstaltsareal am 29. September 1893, als er im Zuge der Enthüllung des Andreas-Hofer-Denkmals am Bergisel, in

aus der Feder Emil Ehrendorfers findet sich in der Wiener Klinischen Wochenschrift. Vgl. Ehrendorfer Emil, Die neue Landesgebärklinik in Innsbruck, in: Wiener Klinische Wochenschrift 26 (1890), 496-497. 296 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1891, Innsbruck 1892, 111. 297 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1889, Innsbruck 1890, 106. 298 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1894, Innsbruck 1895, 25. 299 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1889, Innsbruck 1890, 106. 300 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1891, Innsbruck 1892, 111.

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Innsbruck weilte, besichtigen.301 Bis zur Visite des Kaisers war die Bettenzahl in der neuen Gebärklinik kontinuierlich, von den ursprünglich verfügbaren 40 Belegbetten auf eine Gesamtkapazität von 70 Betten, angewachsen.302 Diese Zunahme geschah jedoch nicht ohne Grund, denn seit der Übersiedlung der Institution nach Wilten waren die jährlichen Aufnahmezahlen sprunghaft angestiegen. Bereits ein Jahr nach der Eröffnung wurde die Marke von 500 Geburten pro Jahr überschritten und schon im Jahre 1893 konnten 603 Entbindungen in der Landesgebärklinik verzeichnet werden. Das großzügige Anstaltsgebäude förderte die Akzeptanz der Institution in der Öffentlichkeit und immer mehr verheiratete Frauen entschieden sich, die Klinik zur Entbindung und Absolvierung des Wochenbettes aufzusuchen.

Abb. 3: Die Landesgebärklinik in Wilten bei Innsbruck, Ansichtskarte 1909

Quelle: StAI, PH 7064.

301 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1893, Innsbruck 1894, 21. Vgl. auch TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 2, Jg. 1893, Zl. 2947. 302 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1893, Innsbruck 1894, 23. Zum Ausbau der Kapazitäten, siehe auch die Offerte der Firma R. Rigl in Wien, welche Betten für den Anstaltsgebrauch herstellte und deren Muster B in zehnfacher Ausführung 1895 angekauft wurde. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1895, Zl. 319, 2506 sowie 11872 und 12035.

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Daran konnte auch ein 1894 erschienener Artikel im Tiroler Tagblatt nichts ändern, welcher anprangerte, „daß die an einer der Längsseiten der Säle Liegenden gezwungen sind, in die Helle der großen gegenüberliegenden Fenster zu schauen. Dauernder Kopfschmerz und auch Augen-Entzündungen sind mir als Folge davon bekannt in zwei Fällen“303, so der Bericht des anonym bleibenden Verfassers. Die Klinikleitung identifizierte den Autor als einen gewissen Dr. Burbeisen, welcher bei einem Besuche der Gebärklinik die Bedenken äußerte, die Zimmer der Wöchnerinnen seien zu grell beleuchtet und selbe Klage auch in Bezug auf die gynäkologische Abteilung im Krankenhaus vorbrachte. Der Inspektor der Landesgebärklinik entschied auf diese, seiner Ansicht nach, unhaltbaren Anschuldigungen nicht zu reagieren und „ganz stillschweigend darüber hingehe und sich zu keiner Entgegnung in den Tagblättern herbeilassen solle.“304 Der Vorstand der Gebärklinik, Professor Emil Ehrendorfer, führte die Zunahme der Frequenz und insbesondere das gesteigerte Interesse von verheirateten Frauen an den Angeboten der Gebärklinik allerdings nicht vorrangig auf die Anziehungskraft des neuen Klinikbaus zurück, sondern sah neben der kontinuierlich gesteigerten Qualität der ärztlichen Versorgung noch mehr die „weitgehendste humane Behandlung, die wir den Anstaltspfleglingen zukommen zu lassen uns sehr ernstlich bemühen“305, als ausschlaggebenden Faktor. Bereits im Jahre 1893 hatte der Sanitätsreferent Dr. Friedrich Graf darauf hingewiesen, dass die steigende Auslastung der Gebärklinik wohl auf die, seines Erachtens nach, hervorragende ärztliche Leitung der Anstalt durch Professor Ehrendorfer zurückzuführen sei.306

5. D IE L ANDESGEBÄRKLINIK – H OCHPHASE UND K RISENJAHRE EINER I NSTITUTION (1897-1924) Die Ursachenforschung, welche 1904/05 von Professor Emil Ehrendorfer, bezüglich des Frequentierungsbooms, betrieben worden war, blendete einen wesentlichen Aspekt, welcher insbesondere die zukünftige Entwicklung der Auf-

303 Tiroler Tagblatt (TT), Nr. 66 vom 23. März 1894, 3. 304 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1894, Zl. 131, 5272. 305 Ehrendorfer Emil, Rückblick auf einzelne klinische Fortschritte in der Tiroler Landesgebärklinik innerhalb der letzten ca. 1 ½ Dezennien, in: Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie 24 (1905), 575-580. 306 Vgl. Beilage 103 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der VII. Landtagsperiode, 4. Session 1892/93.

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nahmezahlen bedeutend beeinflussen sollte, noch weitgehend aus. Denn die Bevölkerungszunahme in der Stadt Innsbruck wurde noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts als wenig ausschlaggebender Faktor in der Entwicklung der Frequentierungszahlen der Landesgebäranstalt betrachtet.307 Tatsächlich machten die aus dem Stadtgebiet stammenden Schwangeren und Wöchnerinnen im Jahre 1900 bereits mehr als zehn Prozent der Gesamtaufnahmen aus. Bis 1910 hatte sich ihr Anteil auf ein Viertel der jährlich Verpflegten gesteigert, und insbesondere der hohe Anteil an Zugezogenen reflektiert die überproportional stark gestiegene EinwohnerInnenzahl der Stadt Innsbruck.308 Tab. 5: Anteil der nach Innsbruck und anderen Regionen zuständigen, aber in Innsbruck* lebenden Frauen an der Gebärhausklientel in Prozent (1859-1924)

1859 1869 1880 1890 1900 1910 1924

Nach Innsbruck zuständige Patientinnen 12,2 8,1 2,1 3,8 2,2 6,7 25,1

Auswärtige, in Innsbruck lebende Patientinnen 0,0 3,6 0,3 3,6 11,6 18,4 31,5

Prozentueller Anteil an der Gesamtzahl der Patientinnen 12,2 11,7 2,4 7,4 13,8 25,1 56,6

Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen. * mit Einschluss der 1904 eingemeindeten Orte Wilten und Pradl

Die Landeshauptstadt Innsbruck war um die Jahrhundertwende einem Wandlungsprozess unterworfen, welcher durch die äußerst spät einsetzende Industrialisierung und Urbanisierung des gesamten Landes ausgelöst wurde. Die Stadt war auf Grund der 1904 durchgeführten politischen Eingemeindung der Nachbardörfer Wilten und Pradl nicht nur flächenmäßig von einer Grundfläche von 3,1 km² im Jahre 1880 auf ganze 14 km² im Jahre 1910 angewachsen, auch die EinwohnerInnenzahlen waren in die Höhe geschnellt. Zwischen 1900 und 1910 wies Innsbruck eine enorme Zuwachsrate auf und die Bevölkerung der Landeshauptstadt konnte sich in diesem Zeitraum nahezu verdoppeln. Noch im Jahre 1900 hatte Innsbruck rund 29.000 EinwohnerInnen gezählt, während 1910 be-

307 Vgl. Ehrendorfer, Rückblick, 576. 308 Vgl. Datenbank GH, eigene Berechnungen.

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reits eine Bevölkerungszahl von etwa 53.000 erreicht wurde. Für dieses massive Wachstum konnten die eingemeindeten Dörfer Wilten und Pradl, welche um 1900 circa 12.000 bzw. 2.000 EinwohnerInnen zählten, nicht allein verantwortlich sein. Vielmehr sah sich die Landeshauptstadt mit dem zeittypisch vermehrten Zuzug aus den ländlichen Regionen Tirols und anderen Ländern der Habsburgermonarchie konfrontiert. 1910 setzte sich die Bevölkerung Innsbrucks nämlich bereits zu 27,68 Prozent aus Personen, welche aus anderen Regionen der Monarchie stammten und zu 8,09 Prozent aus AusländerInnen zusammen.309 Aus anderen Teilen der Monarchie kamen vorwiegend Angestellte der Eisenbahn, der Post oder des Militärs nach Innsbruck, während aus dem Ausland hauptsächlich Geschäftsleute und Techniker zuzogen.310 In Innsbruck geborene Personen machten 1910 28,59 Prozent und in anderen Regionen Tirols geborene Personen 35,64 Prozent der Gesamtbevölkerung Innsbrucks aus. Obwohl das Land Tirol um 1910 noch größtenteils agrarisch geprägt war,311 wurden die Berufsverhältnisse in der Landeshauptstadt eindeutig von den Sektoren Handel und Verkehr, Industrie und Gewerbe sowie von der zivilen wie militärischen Verwaltung und den freien Berufen (Ärzte, Juristen, etc.) dominiert. Als größte Arbeitgeber fungierten demnach der Warenhandel, das durch den beginnenden Fremdenverkehr aufblühende Gast- und Schankwesen sowie das seit der Mitte des 19. Jahrhunderts florierende Eisenbahnwesen.312 Der Bevölkerungszuwachs hatte zudem zu einem regelrechten Bauboom geführt – so stieg die Zahl der Häuser im Stadtgebiet von Innsbruck zwischen 1890 und 1910 um 1296 neu errichtete Gebäude an. Die Wohnverhältnisse waren relativ gut und so standen pro Person theoretisch 72,52 m² Haus- und Hoffläche zur Verfügung. Im Vergleich zu den durchschnittlich 15 m² Wohnfläche, die in Wien im Schnitt für eine Person zur Verfügung standen, waren die Verhältnisse in Innsbruck sogar äußerst günstig. Dennoch lässt sich der tatsächliche Zustand anhand dieser statistisch ermittelten Durchschnittswerte nur schwer erkennen. 309 Vgl. Plattner Irmgard, Fin de Siècle in Tirol. Provinzkultur und Provinzgesellschaft um die Jahrhundertwende, Innsbruck/Wien 1999, 49-51 und 78-82. Vgl. Knitel Regina/Profanter Arnold/Gassler Markus, Die Stadt unter dem Mikroskop, in: Dietrich Elisabeth (Hg.), Stadt im Gebirge. Leben und Umwelt in Innsbruck im 19. Jahrhundert, Innsbruck/Wien 1996, 12-51, hier 12-21. 310 Vgl. Stolz, Geschichte, 237. 311 Vgl. Mathis Franz, Überbevölkerung – Exportproduktion – Industrialisierung. Zur Entwicklung der Industrie in Tirol und Vorarlberg bis zum Ersten Weltkrieg, in: Bertsch Christoph (Hg.), Industriearchäologie Nord-, Ost-, Südtirol und Vorarlberg, Innsbruck 1992, 29-39, hier 34. 312 Vgl. Plattner, Fin de Siècle, 51-59.

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Auch in Innsbruck variierte die Wohnqualität je nach Wohngegend und vor allem die Angehörigen der unteren sozialen Schichten lebten in schlechten Verhältnissen in den als „Arbeitersiedlungen“ oder Vorstädten bezeichneten Vierteln Mariahilf, St. Nikolaus, der Kohlstadt oder Dreiheiligen.313 Um die Wohnungsnot des „Innsbrucker Proletariats“ zu lindern, hatte etwa die k. k. privilegierte Südbahngesellschaft eigene Wohnhäuser für ihre Arbeiterschaft errichtet und auch auf Kosten des St. Vinzenz-Vereins waren vier Wohnhäuser für ArbeiterInnen erbaut worden.314 Die zunehmende Verarmung und Proletarisierung jener Bevölkerungsschichten, welche sich, trotz regelmäßiger Erwerbstätigkeit und einigermaßen geregelter Wohnverhältnisse, keineswegs zur Mittelschicht zählen konnten, lässt sich, laut Irmgard Plattner, an der geringen Zahl der einkommenssteuerpflichtigen Erwerbstätigen ablesen: Bei Einführung der neuen Steuer 1898/99 waren tirolweit nur 5,74 Prozent der Erwerbstätigen als steuerpflichtig erklärt worden. In der Stadt Innsbruck traf die Abgabepflicht etwas mehr als ein Drittel der EinwohnerInnen (36 Prozent), wobei mehr als 60 Prozent davon nicht mehr als 2.400 Kronen im Jahr verdienten.315 Dass die strukturelle Armut zunehmend auch respektable, verheiratete Frauen und nicht mehr nur ledige Schwangere betraf, hatten die politischen Verantwortlichen in Tirol verhältnismäßig früh erkannt und mit der Änderung der Gebärhausstatuten von 1881 reagiert. Der soziale Wandel, der dadurch eingeleitet wurde, verhalf der Tiroler Gebärklinik zu einem ungeahnten Frequentierungsboom und sollte die Zusammensetzung der Gebärhausklientel grundlegend verändern: „Früher war die Landesgebäranstalt eigentlich eine Anstalt, wo hauptsächlich nur uneheliche Kinder geboren wurden“316, konstatierte der Innsbrucker Bürgermeister, Wilhelm Greil, im Jahre 1913. „Heute aber“, so fuhr Greil fort, „werden dort hauptsächlich eheliche Kinder geboren und das ist ein großer Unterschied. Diese Erscheinung rührt daher, daß sich die Erwerbsverhältnisse so verschlechtert haben und die Einschränkung in Bezug auf die Wohnung eine so große geworden ist, daß nunmehr eine Menge verheirateter Frauen in die Lage kommen, nur in der Gebäranstalt entbinden zu können.“317 Tatsächlich waren im Jahre 1910 – um 313 Vgl. Zschiegner Christine, Die Stadt als Krankheitsfaktor, in: Dietrich Elisabeth (Hg.), Stadt im Gebirge. Leben und Umwelt in Innsbruck im 19. Jahrhundert, Innsbruck/Wien 1996, 52-80, hier 63-64. 314 Vgl. Knitel/Profanter/Gassler, Stadt, 19. 315 Vgl. Plattner, Fin de siècle, 64. 316 Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 14. Sitzung der 4. Session am 17. Oktober 1913, 271. 317 Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 14. Sitzung der 4. Session am 17. Oktober 1913, 271.

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beim Beispiel Innsbruck zu bleiben – 67 Prozent der aufgenommenen Innsbruckerinnen verheiratet, 1924 stellte diese Gruppe schließlich knapp 80 Prozent der insgesamt aufgenommenen Wöchnerinnen aus der Stadt Innsbruck dar.318 5.1 Hochkonjunktur und Rückkehr alter Muster In den Jahren nach der Jahrhundertwende verzeichnete die, auf Grund der Eingemeindung 1904 wieder innerhalb der Innsbrucker Stadtgrenzen gelegene Entbindungsanstalt, einen gesteigerten Zustrom an Hilfe suchenden Schwangeren. Schon im Jahre 1901 konnte die Marke von 700 Geburten überschritten, 1903 die Zahl der jährlichen Entbindungen um weitere 100 Geburten gesteigert werden. Obwohl die Aufnahmekapazität seit den 1890er Jahren von 70 auf 85 Belegbetten ausgebaut worden war, wurde der verfügbare Raum zusehends enger. Im Jahre 1901 betrug der Stand, der im Durchschnitt täglich anwesenden Frauen, bereits 53, 1903 war diese Zahl auf 61 verpflegte Frauen angestiegen. Die durchschnittliche Anzahl der Verpflegstage pro Patientin reduzierte sich im selben Zeitraum – wohl auf Grund des Platzmangels – von rund 25 auf 24 Tage. Tab. 6: Mittlere Aufenthaltsdauer (Verpflegstage) der Frauen im Gebärhaus (1830-1924) Aufenthalt vor der Geburt

Dauer des Wochenbettes

GesamtAufenthaltsdauer

1830-1839

34

24

58

1880

21

13

34

1890

19

14

33

1900

11

14

25

1910

10

11

21

1924

3

11

14

Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen.

Der massive Anstieg um die Jahrhundertwende führte unweigerlich auch zu einer Kostensteigerung, denn die Erhaltung der Gebäranstalt absorbierte große Budgetteile, nicht zuletzt, da die 1897 statutenmäßig bestätigten Gratifikationen für die Wöchnerinnen (Erziehungsbeitrag für uneheliche Kinder, Unterstützungszahlung beim Austritt und Reisekosten) unverändert ausbezahlt wurden. Die Gesamtkosten der Anstalt beliefen sich 1901 auf 103.238 Kronen und 56 318 Vgl. Datenbank GH, eigene Berechnungen.

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Heller, wovon allein 45.226 Kronen und 81 Heller auf die zuvor erwähnten Hilfszahlungen entfielen. Bis 1903 waren die Kosten auf 116.652 Kronen und 54 Heller angewachsen, die ausgezahlten Gratifikationen schlugen mit 51.025 Kronen und 54 Hellern zu Buche.319 Aus diesem Grund setzte der Tiroler Landesausschuss 1904 neuerlich den Sparstift an und verkürzte die Unterstützungsdauer für uneheliche Kinder von bislang 24 Monaten auf ein Jahr. Für die ledigen Mütter bedeutete dies, dass sie auf einen Betrag von 54 Kronen (vormals 27 Gulden) im zweiten Lebensjahr ihres Kindes verzichten mussten und fortan lediglich eine Zahlung von 72 Kronen als Pflegebeitrag für das Kind erhielten. 320 Diese empfindliche Kürzung der Unterstützung für uneheliche Kinder führte jedoch keineswegs zu einem Abflauen der Aufnahmezahlen. Im Jahre 1906 wurde die magische Zahl von 1000 Anstaltsgeburten überschritten, bis 1913 stieg die Zahl der jährlich in der Innsbrucker Gebäranstalt betreuten Geburten aber weiter an. Mit 1704 Entbindungen im Jahre 1914 wurde schließlich das absolute Maximum an Geburten, welche im hospitalisierten Umfeld der Tiroler Gebärklinik betreut wurden, erreicht. Während der enorme Zulauf zu Beginn des 20. Jahrhunderts, einerseits als Zeichen der öffentlichen Akzeptanz und als Bestätigung für die medizinisch-geburtshilfliche Qualität der Anstalt gewertet wurde, sah sich die Klinikverwaltung, welche noch während der 1890er Jahre über einen modernen Vorzeigebau mit ausreichend Raum und diversen Annehmlichkeiten verfügt hatte, andererseits mit Problemen konfrontiert, die über Jahrzehnte hinweg den Anstaltsalltag geprägt hatten: Die alten Schreckgespenster der Überfüllung und Raumnot, mit all ihren Gefahren für Gesundheit und Hygiene, waren in die Anstaltsgebäude zurückgekehrt.321 Die Reaktionen auf die wachsende Inanspruchnahme und die damit verbundenen Probleme blieben nicht aus. Grundsätzlich lassen sich aus dem erhaltenen Quellenmaterial zwei unterschiedliche Strategien extrahieren, mit denen eine Verbesserung der räumlichen und finanziellen Situation der Tiroler Gebäranstalt herbeigeführt werden sollte: Zum einen wurden ein Erweiterungsbau und die 319 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1902, Zl. 440, 1879. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1904, Zl. 101, 2216. 320 Vgl. Gesetz- und Verordnungsblatt für die gefürstete Grafschaft Tirol und das Land Vorarlberg 1904, Nr. 101, 465-467. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1914, VII 1180, Zl. 387, 378 ex 1913 [Mikrofilm 0061/0]. 321 Vgl. Beilage 13 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 4. Session 1913. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 387, 378 ex. 1913 [Mikrofilm 0061/0].

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Einrichtung bzw. Revitalisierung der 1878 geschlossenen Zahlabteilung diskutiert. Zum anderen sollte durch eine Änderung der Statuten das kontinuierliche Anwachsen der Kosten eingedämmt werden. Bereits 1908 klagten die Anstaltsärzte über die drückende Notsituation, in welcher sich die Landesgebäranstalt, auf Grund der unverhältnismäßig stark gestiegenen Nachfrage, befand. Die Betten der Schwangerenabteilung reichten bei Weitem nicht aus, um den Andrang der Schwangeren zu bewältigen, weshalb die Frauen teilweise sogar auf notdürftig hergestellten Matratzenlagern und Strohsäcken nächtigen mussten. Ähnlich prekär gestaltete sich die Raumsituation auf der Station der Wöchnerinnen. Aus Gründen der Hygiene waren dort seit geraumer Zeit zwar die Strohsäcke und Matratzenlager verschwunden, doch mussten immer noch andere Wege gefunden werden, um der Überfüllung entgegenzuwirken: Als einzig wirksames Mittel stellte sich die Verkürzung der Genesungsund Erholungszeit nach der Geburt und somit eine vorzeitige Entlassung der Wöchnerin heraus. Die Maßnahmen verhinderten zwar, dass Hilfe suchende Frauen abgewiesen werden mussten, doch führte diese Praxis zu weiteren Problemen. Die fortwährende, maximale Auslastung der Zimmer und Betten verhinderte in den meisten Fällen eine gründliche Reinigung und Desinfektion der Anstaltsräume.322 Denn kaum war eine Patientin ausgetreten, war das Bett bereits mit einer neuen Patientin belegt, glaubt man zumindest den Schilderungen des Sekundararztes, Marius Casper, der bei einem drohenden Seuchenausbruch in der Gebärklinik verheerende Folgen prophezeite. Daneben sprachen allerdings auch andere bauliche und hygienische Mängel, wie etwa die fehlenden Bademöglichkeiten, die stark abgenutzten Holz- und schwer zu reinigenden Fliesenböden sowie die mittlerweile als gefährlich und unzureichend erachtete Gasbeleuchtung, für einen Um- bzw. Ausbau der Landesgebärklinik.323 Die Anstaltsleitung forderte bereits 1908, dass die bestehenden Gebäudestrukturen um ein drittes Stockwerk erweitert sowie ein zusätzlicher Seitenflügel angebaut werden sollte.324 Bis 1911/12 hatte sich an der zusehends sanitätswidrigen und hygie322 Ähnliche Verhältnisse herrschten über Jahrzehnte hinweg auch in der Wiener Gebäranstalt. Vgl. Pawlowsky/Zechner/Matschinegg, Wiener Gebär- und Findelhaus, 83-89. 323 Die Beleuchtung mittels Leuchtgaskörpern war insbesondere im Kreißzimmer unzureichend und so berichtet der Sekundararzt Marius Casper, er habe eine nächtliche Notoperation nur mit Hilfe des Lichtes seiner „Radfahrlaterne“ durchführen können. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180/2, Zl. 28421 ex. 1908 [Mikrofilm 0061/0]. 324 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180/2, Zl. 28421 ex. 1908.

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nisch äußerst bedenklichen Unterbringungssituation in der Landesgebäranstalt nichts geändert, lediglich die Verpflegszahlen waren weiter in die Höhe geschnellt. „Die Unterbringung der Schwangeren auf bloßen Strohsäcken, die eilig in verschiedene Zimmer oder auch auf die Gänge gelegt werden, gehört fast zu den Regelmäßigkeiten, wie die Unterbringung der Wöchnerinnen auf der Schwangeren-Abteilung“325, schildert ein Landtagsbericht die prekäre Raumsituation. Das ärztliche Personal forderte eine umgehende Lösung des Problems, doch die Ausbaupläne waren in den politischen Debatten hintan gereiht worden, denn die politischen Entscheidungsträger liebäugelten stattdessen mit einem anderen Projekt: Im Jahre 1910 hatte der Landtag demnach den Landesausschuss beauftragt, Vorerhebungen zur Errichtung einer geburtshilflichen Entbindungsanstalt erster und zweiter Klasse für zahlende Patientinnen durchzuführen.326 Die Leitung der Landesgebäranstalt wusste diesbezüglich zu berichten, dass sich schon seit mehreren Jahren die Anfragen, vornehmlich verheirateter Frauen, bezüglich eines Aufenthaltes gegen vollen Kostenersatz, häuften. Als Gegenleistung für die Bezahlung wollten die Frauen in einigermaßen komfortablen Einzelzimmern untergebracht werden und auch die Geburt sollte unter Ausschluss der klinischen Öffentlichkeit von einer eigenen Hebamme geleitet werden. Der stets auf Kostenminimierung bedachte Landesausschuss erhoffte sich wohl einen finanziellen Profit durch die Aufnahme von Frauen aus den „besseren Ständen“. Die Erfahrung aus anderen Städten hätte nämlich gezeigt, so der Bericht des Sanitätsreferenten Freiherr von Sternbach, dass vergleichbare Einrichtungen „auch in finanzieller Hinsicht bei guter Leitung ein Beträchtliches abwerfen.“327 1912 wurden schließlich erste, konkrete Pläne für die Etablierung eines geburtshilflichen Sanatoriums in Innsbruck präsentiert. Die neu zu gründende Institution richtete sich explizit an die wohlhabenden Schichten Tirols, die laut Projektskizze „ein finanziell günstiges Ergebnis dieses Unternehmens garantieren.“328 Das Sanatorium sollte jedoch keinesfalls, in Form eines „Zahlstocks“, im Gebäudeverbund mit der bestehenden Landesgebärklinik errichtet werden, sondern eine 325 Beilage 4 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 3. Session 1911/12. 326 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 26. Sitzung der 2. Session am 11. November 1910, 900. 327 Beilage 175 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 1. Session 1908. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180/2, Zl. 28421 ex. 1908 [Mikrofilm 0061/0]. 328 Beilage 4 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 3. Session 1911/12.

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eigenständige Institution unter ärztlicher Leitung bilden. Jeder Patientin der geburtshilflichen Exklusivanstalt sollte die freie Wahl des Arztes, der Hebamme und Pflegerinnen gewährt werden. Nur in Fällen, da die betroffene Schwangere selbst keine Vorkehrungen getroffen hatte, sollte das Anstaltspersonal tätig werden. Die Kosten für das Projekt beliefen sich, je nach Ausstattung und Dimension des Baus, auf 316.000 bzw. 329.000 Kronen.329 Einer früheren Einschätzung des Sekundararztes Casper zufolge, hätten sich die beträchtlichen Kosten aber wohl innerhalb weniger Jahre amortisiert und die Einrichtung wäre relativ bald zum profitablen Geschäft für das Land Tirol geworden.330 Für den aus ärztlicher Sicht unaufschiebbaren Erweiterungsbau der Landesgebäranstalt wurde ein Kostenvoranschlag von 580.000 Kronen erstellt. Vorgesehen waren die Verdoppelung der Kapazitäten in den Schwangeren- und Wöchnerinnenstationen (30 bzw. 80 zusätzliche Belegsbetten) sowie die Schaffung zusätzlicher Räumlichkeiten für eine Isolierstation, für weitere Badeanlagen und Studierzimmer für die wissenschaftliche Arbeit des ärztlichen Personals. Zudem musste dringend Raum für zusätzliche Pflegerinnen sowie zur Unterbringung der Hebammenschülerinnen geschaffen werden. Diese hatten bisher in Kellerräumen gehaust, welche als Zwölf- bzw. Achtbettzimmer eingerichtet waren. Die Zimmer der Schülerinnen waren besonders in den Wintermonaten feucht und finster, sowie, auf Grund der mangelnden Heizmöglichkeiten, kalt. Die schlechte Unterbringungssituation war weder der Gesundheit noch dem Studienerfolg der Schülerinnen zuträglich und sollte daher umgehend behoben werden, wie die Anstaltsleitung und die politischen Verantwortlichen mehrfach betonten.331 Doch die Tiroler Landespolitik legte in der Erweiterungsfrage eine äußerst zögerliche und wenig entschlussfreudige Haltung an den Tag, welche wohl, unter anderem, daraus resultierte, dass es im sanitären Bereich konkurrierende Bauvorhaben gab. Erst im Jahre 1905 war der erste Teilausbau einer weiteren Landesinstitution, der „Landesirrenanstalt“ in Hall in Tirol, fertiggestellt worden und bereits 1909 wurde dort mit der Projektierung einer zweiten Ausbauphase begonnen.332 Der kostspielige Ausbau der psychiatrischen Anstalt ist zweifels329 Vgl. Beilage 4 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 3. Session 1911/12. 330 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180/2, Zl. 28421 ex. 1908 [Mikrofilm 0061/0]. 331 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180/2, Zl. 28421 ex. 1908 [Mikrofilm 0061/0]. Vgl. Beilage 4 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 3. Session 1911/12. 332 Vgl. Grießenböck, „Landesirrenanstalt“, 232-236 und 251-257.

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ohne als hemmender Faktor in der politischen Umsetzung des Erweiterungsbaus der Landesgebärklinik zu sehen. 1913 wies Karl Knoflach, Inspektor der Landesgebäranstalt, neuerlich auf die unhaltbaren Zustände in der Landeseinrichtung hin und schlug vor, der akuten Überfüllung, mittels eines unverzüglich zu errichtenden Zubaus zwischen der Gebäranstalt und dem benachbarten Gastronomiebetrieb („Kaffee Konrad“) in der Leopoldstraße 24, entgegenzuwirken. In diesen kleineren Zimmern des Zubaus könnte zunächst eine Zahlabteilung eingerichtet werden, wo quasi im Probebetrieb die Rentabilität eines zukünftigen Sanatoriums evaluiert werden könnte. Der Zubau war eine Notlösung, denn der Inspektor präferierte eine gänzliche Neuprojektierung und einen Neubau der Landesgebäranstalt,333 was jedoch ungefähre Kosten von 1.000.000 Kronen verursacht hätte und deshalb im Juni 1914 als nicht realisierbar fallen gelassen wurde. Beschlussfähig war hingegen im Juni 1914 ein Zu- bzw. Aufstockungsprojekt am bisherigen Standort der Landesgebäranstalt. Den Bauplänen zufolge sollte neben einem nordseitigen Vorbau, eine Aufstockung der bestehenden Bausubstanz um ein drittes Stockwerk durchgeführt werden. Dadurch könnten zusätzliche Zimmer für die Schwangeren und Wöchnerinnen, die Hebammenschülerinnen und das Wartpersonal hergestellt, zudem zusätzliche Badezimmer und Lagerräume, geschaffen werden. Die Kosten für die Umbauarbeiten wurden mit lediglich 400.000 Kronen veranschlagt.334 Die Anstaltsärzte waren jedoch keineswegs zufrieden, sondern kritisierten vielmehr die Pläne und wiesen auf grobe Mängel hin. So wäre durch den straßennahen, nordseitigen Vorbau die geforderte Diskretion in der Anstalt gefährdet, denn die Wöchnerinnen und Schülerinnen könnten jederzeit von der Straße aus beobachtet werden. Zudem befürchteten die Ärzte, dass die gegenüberliegende Gartenanlage in absehbarer Zeit durch ein hohes Wohngebäude ersetzt werden würde, woraus nicht nur ein Mangel an Licht in den Anstaltsräumen resultieren könnte, sondern auch das „ganze Leben in diesen sozusagen vor den Augen der Gegenüberwohnenden sich abspielen“335 würde. Alternativ schlug die Ärzteschaft vor, an Stelle eines nordseitigen Vorbaus, das Gebäude im Bereich der Anstaltskapelle um einen südseitigen Vorbau zu erweitern. Allein durch diese Baumaßnahme glaubte man zusätzliche Kapazitäten für 75 Betten in der Wöch-

333 Vgl. TLA, Landeschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 379 ex. 1913 [Mikrofilm 0061/0]. 334 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180/2, Zl. 301 ex. 1914 [Mikrofilm 0061/0]. 335 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180/2, Zl. 379 ex. 1913 [Mikrofilm 0061/0].

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nerinnen- und 30 Betten in der Schwangerenabteilung gewinnen zu können.336 Trotz der Proteste und Bedenken der Ärzte finalisierte der Tiroler Landesausschuss die Projektphase am 20. Juni 1914 und übergab den Erweiterungsantrag dem Tiroler Landtag zur Beschlussfassung.337 Doch ähnlich anderen Bauprojekten, welche am Vorabend des Ersten Weltkrieges bereits im Detail ausgearbeitet waren, gelangte auch der Ausbau der Landesgebäranstalt in Innsbruck, auf Grund der Kriegsereignisse, nie zur Ausführung.338 Ein interessantes Detail, am Rande dieser politischen Debatten, waren die neuerlichen Anträge der Trentiner Abgeordneten, welche zum wiederholten Male die Einrichtung einer Gebäranstalt in Trient forderten. Jahrzehntelang wurden sämtliche Ansuchen um Revitalisierung einer geburtshilflichen Einrichtung im Trentino mit dem Argument abgeschmettert, ein solches Gebärhaus im südlichen Landesteil würde der Innsbrucker Anstalt Patientinnen entziehen und dadurch die geburtshilfliche Ausbildung in der Landeshauptstadt schwächen. Bis in die letzten Friedensjahre, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, hatte sich die Situation jedoch, wie beschrieben, grundlegend verändert und die zuvor gefürchtete Reduktion der Aufnahmezahlen, durch Errichtung einer zweiten Anstalt, wurde auf Grund der Raumnot in Innsbruck, zunehmend herbeigesehnt. Als Höhepunkt dieser, durchaus skurrilen Wende im Streit um eine Ausweichinstitution im italienischsprachigen Landesteil, ist wohl die Fürsprache des ärztlichen Leiters der Landesgebärklinik, für ein solches Lösungsszenario im Kampf gegen die drückende Überfüllung in Innsbruck, zu sehen.339 Doch der Ausbruch des Krieges verhinderte auch in diesem Fall die Umsetzung des Projekts. Erst nach Kriegsende, nachdem das Trentino an den Staat Italien gefallen war, wurde wieder eine Fürsorgeinstitution etabliert, welche sich vornehmlich der Unterstützung von ledigen Müttern und ihren Säuglingen widmete. Das 1920 in Rovereto eröffnete Heim Famiglia materna bot ledigen Müttern und ihren Kindern Schutz und Arbeit.340 336 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180/2, Zl. 379 ex. 1913 [Mikrofilm 0061/0]. 337 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180/2, Zl. 301 ex. 1914 [Mikrofilm 0061/0]. 338 Vgl. Grießenböck, „Landesirrenanstalt“, 257. 339 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 14. Sitzung der 3. Session am 23. Jänner 1912, 44-46. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 387, 429 ex. 1914 [Mikrofilm 0061/0]. Vgl. dazu auch Anderle, Gebär- und Findelanstalt, 140. 340 Vgl. Anderle, Maternità, 148.

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Parallel zu den Ausbauplänen ging der Landesausschuss seit 1911/12 auch daran, die Änderung, der seit 1897 bestehenden und 1904 ergänzten Statuten, zu erwirken. Die Statutenänderung zielte in erster Linie darauf, durch eine Beschränkung des Zugangs zur Gebärklinik, deren Kosten zu reduzieren.341 Obwohl seitens des Landesausschusses ausdrücklich betont wurde, dass man Schwangere durch das neue Statut keineswegs davon abhalten wolle, in die Anstalt einzutreten, suchte man trotzdem eine zeitgemäße Lösung für das immer gravierender werdende Problem der Überfüllung. Denn während man im Jahre 1897 noch von der Annahme ausgegangen war, „daß es gewisser finanzieller Beihilfen und anderer materieller Vorteile benötige, um das für das Studium der Geburtshilfe an der medizinischen Fakultät und zum Unterrichte für die Hebammenschülerinnen notwendige Material an die Landesgebäranstalt zu bekommen“, habe sich das „Vertrauen zu dieser Anstalt [...] in der Bevölkerung derart eingelebt, daß [nun] über alles eher, als über mangelhafte Frequenz geklagt werden könnte.“342 Der erste Statutenentwurf sah zunächst eine Verkürzung der Aufenthaltsdauer vor: Den Schwangeren sollte erst kurz vor der Niederkunft, im neunten Schwangerschaftsmonat, der Eintritt in die Anstalt gewährt werden. Bei der Aufnahme waren, neben dem Heimatschein und einem eventuell vorhandenen Armutszeugnis, nun auch der Taufschein der Mutter, bei verheirateten Frauen der Trauschein sowie bei Witwen der Totenschein des verstorbenen Ehemannes, vorzuweisen. Die Dauer des Wochenbettes wurde von durchschnittlich zwei bis drei Wochen – wie dies das Statut von 1897 vorgesehen hatte –, auf längstens zwei Wochen verkürzt.343 Tatsächlich war die Anstaltsleitung aber schon seit geraumer Zeit gezwungen, Einschränkungen bei der Aufenthaltsdauer durchzusetzen und die Schwangeren wurden ohnehin erst kurz vor der Niederkunft aufgenommen. Dies verstieß zwar ebenso gegen die bestehenden Anstaltsstatuten wie die frühzeitige Entlassung der Wöchnerinnen nach nur sieben bis acht Tagen, doch ohne diese Maßnahmen wären kontinuierliche Neuaufnahmen nicht 341 Vgl. Beilage 4 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 3. Session 1911/12. 342 Beilage 13 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 4. Session 1913. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 387, 378 ex. 1913 [Mikrofilm 0061/0]. 343 Vgl. Beilage 13 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 4. Session 1913. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 387, 378 ex. 1913 [Mikrofilm 0061/0].

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möglich gewesen.344 Diese Praxis war jedoch, nach Ansicht Professor Ehrendorfers, weder medizinisch, noch sozial verwerflich, denn die meisten Mütter würden nach erfolgter Geburt ohnehin auf eine ehest mögliche Entlassung aus der Anstalt drängen.345 Zusätzliche Einsparungen sollten über die Streichung der in Paragraph 3 festgelegten, so genannten „Stillprämie“346, jenem Geldbetrag also, den die Wöchnerinnen beim Austritt aus der Anstalt erhielten sowie über die Einstellung der Ausgabe von Säuglingswäsche an alle in Tirol heimatberechtigten Frauen, erreicht werden. Zukünftig sollten nur mehr jene Frauen, die ihre Armut offiziell nachweisen konnten, in den Genuss der erwähnten Gratifikationen kommen. Unangetastet blieb in diesem ersten Entwurf hingegen das Pflegegeld für uneheliche Kinder – im Gegenteil stellte man den ledigen Müttern noch zusätzliche rechtliche Hilfe in Aussicht: Zur Ausfindigmachung des leiblichen Vaters sollte eine so genannte „Rechtsschutzabteilung“ eingerichtet werden, welche alle juristisch notwendigen Schritte zur Einforderung der Alimentationsbeiträge setzen sollte.347 Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert besaß die ledige Mutter das Recht, gegenüber dem Kindsvater Unterhaltszahlungen für das gemeinsame uneheliche Kind einzufordern, doch war sie bei der Durchsetzung ihres Rechts wohl meist auf sich allein gestellt gewesen. Die Idee eine solche „Rechtsschutzabteilung“ als Landeseinrichtung zu etablieren, ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil dadurch eine Hilfeleistung für ledige Mütter institutionalisiert wurde, sondern auch, weil die Alimentationspflicht, im Zuge der Novellierung des ABGB von 1811, äußerst kontrovers diskutiert wurde. Führende Juristen kritisierten die mangelnde Beweismöglichkeit für Vaterschaftsnachweise348 und plä344 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 379 ex. 1913 [Mikrofilm 0061/0]. 345 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 387, 429 ex. 1914 [Mikrofilm 0061/0]. 346 Beilage 13 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 4. Session 1913. 347 Vgl. Beilage 13 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der X. Landtagsperiode, 4. Session 1913. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 387, 378 ex. 1913 [Mikrofilm 0061/0]. Eine derartige „Rechtsschutzabteilung“ war bereits zuvor im Findelhaus in Graz, 1905 auch in Wien installiert worden. Vgl. Pawlowsky/Zechner/Matschinegg, Gebär- und Findelhaus, 67-69. 348 Die Schwierigkeiten beim Nachweis einer Vaterschaft illustriert auch der folgende Fall, welcher 1898 zur Begutachtung an den Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie herangetragen wurde: Johann Gayer war von der Kindsmutter Adelheid

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dierten daher für eine Verschärfung der Bestimmungen zur Einleitung einer solchen Klage, während diverse Vereinigungen der bürgerlichen Frauenvereine, allen voran der Allgemeine Österreichische Frauenverein, für den Schutz der mütterlichen und nicht zuletzt der Kindsrechte eintraten.349 Allerdings gilt es, trotz des Innovationscharakters dieser Institution, zu bedenken, dass die juristische Hilfestellung sich schon bald als ein Mittel zum Zweck der Abwälzung finanzieller Verantwortung, von Seite des Landes auf die betroffenen Elternpaare, herausstellen sollte. Schon im Jahre 1914 erkannte das Land Tirol nämlich, dass die Notwendigkeit zur allgemeinen Kostenreduktion gestiegen und das volle Einsparungspotenzial in Bezug auf die Landesgebäranstalt noch nicht erreicht war. Aus diesem Grund plädierte der Budgetausschuss des Landes für die Abschaffung der „Stillprämie“ von zwanzig Kronen (zuvor zehn Gulden) und für eine endgültige Streichung des Erziehungsbeitrages für uneheliche Kinder.350 Der überarbeitete Entwurf wurde noch im Jahre 1914 vom Tiroler Landtag genehmigt351 und stellte, im Gegensatz zum Statut von 1897, eine grundlegende Änderung der Modalitäten dar. Es wurde festgelegt, dass die unentgeltliche Aufnahme fortan nur ausnahmsweise gewährt werden sollte, wenn ein offizielles Armutszeugnis vorlag. Kirchmair als Vater ihres unehelichen Kindes auf Unterhalt verklagt worden. Der Anwalt des vermeintlichen Vaters forderte daraufhin folgende Auskunft von der Gebärklinik: „Herr Gayer könnte nur dann von allen Verbindlichkeiten befreit werden, wenn der Nachweis gelingt, daß das Kind nur 9 Monate, aber nicht 299 Tage im Mutterleibe gewesen sein könne. Ich stelle daher an die löbliche Vorstehung der Landesgebäranstalt die Bitte mir bekannt zu geben, ob auf Grund der in der Klinik aufscheinenden Daten über die Geburt des Rudolf Kirchmair mit Bestimmtheit das sachverständige Gutachten abgegeben werden könne, es sei ausgeschlossen, daß Adelheid Kirchmair mit Rücksicht auf die Leibesbeschaffenheit des am 10/III 1897 geborenen Kindes mit demselben 10 Monate schwanger gegangen sei.“ Eine entsprechende Reaktion Dr. Ehrendorfers ist im Aktenbestand nicht erhalten. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 3, Jg. 1898, Zl. 335. 349 Vgl. Hämmerle Christa, „La recherche de la paternité est interdite.“ Ledige Väter um 1900 im Spannungsverhältnis von Recht und popularer Autobiographik, in: Ehmer Josef/Hareven Tamara K./Wall Richard (Hg.), Historische Familienforschung. Ergebnisse und Kontroversen. Michael Mitterauer zum 60. Geburtstag, Frankfurt a.M./New York 1997, 197-227, hier 199-206. Vgl. auch Pawlowsky, Mutter, 37. 350 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 387, 698 ex. 1914 [Mikrofilm 0061/0]. 351 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der XI. Landtagsperiode, 16. Sitzung der 1. Session am 3. Juli 1914, 456.

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Andernfalls mussten die aufnahmesuchenden Schwangeren vier Kronen für jeden Verpflegstag, den sie in der Anstalt verbrachten, bezahlen. Nur in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen konnte diese Taxe auf zwei Kronen reduziert werden. Ungeachtet der entgeltlichen oder unentgeltlichen Aufnahme hatten jedoch alle Patientinnen dem klinischen Unterricht zu dienen. Die Aufenthaltsdauer in der Entbindungsanstalt wurde rigoros eingeschränkt, die Schwangeren erst kurz vor der Entbindung aufgenommen und die Wöchnerinnen nach längstens zwei Wochen Genesungszeit entlassen. All jene Frauen, die nachweislich arm waren, erhielten beim Austritt die nötige Kindswäsche sowie eine Unterstützung zur Bestreitung der Rückreisekosten in die Heimat. Endgültig abgeschafft wurde das Pflegegeld für uneheliche Kinder.352 Der Wegfall sämtlicher finanzieller Unterstützungen stieß bei den beiden Wiener Ministerien, welchen das finale Genehmigungsrecht der Statuten zustand, auf massive Kritik, denn „der Lehrzweck der Gebäranstalten, der gewiss nicht unterschätzt werden soll, ist keineswegs der Hauptzweck der Landesgebäranstalt. Die Aufgaben des Säuglingsschutzes und Mutterschutzes, welche die Anstalt zu erfüllen hat, sind für die Allgemeinheit ebenso wichtig“353, so das Ministerium des Inneren zur Begründung seiner ablehnenden Haltung. Insbesondere die Streichung der „Stillprämie“ dürfte in Sanitätskreisen für Aufregung gesorgt haben, denn die Forcierung der Brustnährung von Säuglingen stellte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eines der Hauptmittel im Kampf gegen die hohe Säuglingssterblichkeit dar.354 Bereits 1905 hatte Professor Ehrendorfer erklärt, dass die Stillgewohnheiten in Tirol, wie überhaupt in den Alpenländern, katastrophal seien. Dabei wären es in erster Linie nicht die ledigen Mütter, denen es oft, auf Grund von beruflichen Zwängen, nicht möglich war, ihr eigenes Kind regelmäßig zu stillen,355 sondern vielmehr die verheirateten Frauen, die „dem 352 Vgl. Beilage 155 zu den Stenographischen Berichten des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der XI. Landtagsperiode, 1. Session 1914. 353 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschuss 1915, VII 1180, Zl. 387/6. 354 Vgl. Spree Reinhard, Soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod. Zur Sozialgeschichte des Gesundheitsbereichs im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1981, 66-73. Vgl. Weigl Andreas, Demographischer Wandel und Modernisierung in Wien, Wien 2000, 216-219. Vgl. Unterkircher Alois, Ein ungleicher Start ins Leben? Morbidität und Mortalität von männlichen und weiblichen Säuglingen um 1860 in den Krankenjournalen des Südtiroler Landarztes Franz von Ottenthal, in: Dinges Martin (Hg.), Männlichkeit und Gesundheit im historischen Wandel ca. 1800 – ca. 2000 (=MedGG-Beiheft 27), Stuttgart 2007, 53-72, hier 66-69. 355 Vgl. Weigl, Wandel, 218.

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Selbststillen einen hartnäckigeren Widerstand entgegenbringen.“356 Ehrendorfer schrieb die Gründe für dieses Verhalten veralteten Traditionen sowie dem „Unverstand und [der] Gleichgültigkeit“357 der Menschen zu, während Elisabeth Mantl eine differenziertere Erklärung anbietet. Ihrer Argumentation folgend erschien es „[a]ngesichts des hohen Heiratsalters und der hohen Säuglingssterblichkeit […] notwendig, die für die Hausökonomie nötige Kinderzahl möglichst schnell zu erreichen.“358 Demzufolge versuchten die Ehepaare wohl durch das Aussetzen der Stillperiode eine Laktationsamenorrhö zu vermeiden, und so die Fruchtbarkeit aufrechtzuerhalten.359 Als Ersatznahrung für Säuglinge kam in Tirol vor allem im 19. Jahrhundert das so genannte „Kindsmus“, ein Brei aus Mehl und Wasser sowie Wasser mit gebranntem Zucker oder verdünnte Tiermilch zum Einsatz.360 Um die Jahrhundertwende hatten sich zwar qualitativ höherwertige Milchsurrogate am Markt etabliert, diese waren jedoch für die Angehörigen der unteren sozialen Schichten nicht erschwinglich.361 Genau aus diesem Grund propagierte auch Professor Ehrendorfer das Stillen der Säuglinge durch die eigene Mutter und war überzeugt, dass die Prämie in Höhe von zwanzig Kronen, welche selbststillende Wöchnerinnen beim Austritt aus der Anstalt erhielten, einen wesentlichen Beitrag zur Durchsetzung der Ernährung mit Muttermilch darstellte.362 Trotz der angesprochenen sozialen und wohl auch sanitären Bedenken, die man von Seiten der Ministerien hegte, wurde das Statut schließlich im

356 Ehrendorfer, Rückblick, 580. Siehe dazu auch die Feststellung Hans Medicks, der insbesondere für Wirtsgattinnen in seiner Untersuchungsregion Laichingen eine verkürzte Stillperiode nachgewiesen hat. Vgl. Medick, Weben, 368. 357 Ehrendorfer, Rückblick, 580. 358 Mantl, Heiratsverhalten, 81. 359 Vgl. Imhof Arthur E., Einführung in die historische Demographie, München 1977, 76-79. Vgl. Gehrmann Rolf, Methoden der historischen Bevölkerungsforschung – historische Demographie und Bevölkerungsgeschichte, in: Mueller Ulrich/Nauck Bernhard/Diekmann Andreas (Hg.), Handbuch der Demographie 1. Modelle und Methoden, Berlin/Heidelberg/New York 2000, 709-728, hier 717-718. 360 Laut Jolanda Anderle sollen unter der Leitung von Dr. Braun an den Findelkindern in Alle Laste bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Studien zur Entwicklung einer künstlichen Ersatznahrung durchgeführt worden sein. Vgl. Anderle, Maternità, 160-161 und 170. 361 Vgl. Unterkircher, Start, 66-69. Vgl. auch Reisigl Verena, Lebens- und Sterberisiko: Die Säuglinge, in: Dietrich Elisabeth (Hg.), Stadt im Gebirge. Leben und Umwelt in Innsbruck im 19. Jahrhundert, Innsbruck/Wien 1996, 81-94, hier 84-85 und 88-89. 362 Vgl. Ehrendorfer, Rückblick, 580.

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Mai 1915 vollinhaltlich genehmigt363 und trat mit 1. Juni 1915 in Kraft. Welche Rolle dabei der kriegsbedingte Zwang zu finanziellen Einsparungen und sozialen Einschränkungen gespielt hatte, lässt sich wohl nur erahnen. Umso mehr, als der Landesausschuss die Verwaltung dazu anhielt, gerade in den ersten Monaten nach Inkrafttreten der Statuten „mit unnachsichtlicher Strenge diese Bestimmungen zu handhaben.“364 5.2 Zwang zur Einschränkung – das Überleben der Anstalt im Ersten Weltkrieg Bevor das neue Anstaltsstatut am 1. Juni 1915 offiziell in Kraft treten konnte, erzwangen äußere Umstände eine Modifikation der Aufnahmerichtlinien. Die Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn veranlasste die Leitung der Landesgebäranstalt bereits am 26. Mai 1915 eine Anfrage, bezüglich der Aufnahmewürdigkeit von schwangeren Kriegsflüchtlingen, welche über keinerlei Ausweispapiere verfügten, an den zuständigen Landesausschuss zu richten. Dieser bestimmte, dass Schwangeren aus den Frontgebieten, auch ohne die erforderlichen Dokumente, ein humanitärer Aufenthalt gewährt werden sollte, sie jedoch erst kurz vor der Niederkunft aufzunehmen seien.365 Diese neue Maßregel betraf in erster Linie schwangere Frauen aus dem Trentino, welche unmittelbar nach der Kriegserklärung Italiens eigenständig die Flucht nach Norden angetreten oder mittels organisierter Evakuierungsmaßnahmen ihre Heimat verlassen hatten. Dass es für sie schwierig war, die erforderlichen Dokumente von den Heimatbehörden zu bekommen, zeigt das Beispiel der Bezirkshauptmannschaft Borgo, welche auf Grund der Kriegsereignisse nach Pergine verlegt worden war. Per öffentlicher Aussendung bat die Bezirkshauptmannschaft unter anderem die Landesgebäranstalt, keine Anfragen bezüglich Heimatscheinen oder Auskünften zum Zivilstand von Patientinnen an sie zu richten, da sämtliche Akten in Borgo verblieben waren.366 Durch die Gewährung eines kostenlosen Aufenthaltes in der Landesgebärklinik konnten die betroffenen Frauen zumindest die unmittelbare

363 Vgl. Gesetz- und Verordnungsblatt für die gefürstete Grafschaft Tirol und das Land Vorarlberg 1915, Nr. 44, 208-213. 364 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 387/7 [Mikrofilm 0061/0]. 365 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 387/8 und 387/9 [Mikrofilm 0061/0]. 366 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 12, Jg. 1915, Abt. IV, Zl. 40.

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Krisenzeit von Geburt und Wochenbett überbrücken, doch mit der Entlassung aus der Entbindungsklinik sahen sich die Trentinerinnen mit weitaus gravierenderen Problemen konfrontiert. Auf Grund der Kriegsereignisse konnten sie nicht mehr in die Heimat zurückkehren und hatten vielfach auf der Flucht ihre Familien aus den Augen verloren. Diese wieder zu finden, dürfte, angesichts der Tatsache, dass die Evakuierten in diversen Regionen des Hinterlandes, nicht nur in Tirol, sondern auch in Gemeinden und Barackenlagern in Böhmen, Mähren, Ober- und Niederösterreich, der Steiermark und Salzburg untergebracht waren, äußerst beschwerlich gewesen sein.367 Fehlender Familienanschluss und drohende Obdachlosigkeit veranlassten die Anstaltsleitung, sich um alternative Unterbringungsmöglichkeiten für die Kriegsflüchtlinge zu bemühen. Die Statthalterei für Tirol und Vorarlberg bewilligte schließlich schon im Juni 1915 die Unterbringung der Mütter und Säuglinge im Malfatti-Heim der Barmherzigen Schwestern in St. Nikolaus, wo sie bis zur Klärung ihrer persönlichen Verhältnisse Unterschlupf finden sollten.368 Die rasche und recht unbürokratische Hilfe für die Kriegsflüchtlinge hatte jedoch keineswegs eine allgemeine Aufweichung der Statuten zur Folge. Im Gegenteil versprachen sowohl der Primarius, als auch die Verwaltung die normativen Grundlagen streng zu exekutieren.369 Doch innerhalb nur weniger Monate hatte sich dieses Versprechen als unhaltbar erwiesen, denn die Gemeinden und Pfarreien verweigerten den Schwangeren vielfach, laut Aussage der Verwaltung, die Ausstellung der zusätzlich geforderten Dokumente. Aus diesem Grund ließ die Verwaltung eine Anzeige in den lokalen Printmedien schalten, welche die verschärfte Ausweispflicht erneut betonte. Auch sollte mittels StatthaltereiKundmachung die Verpflichtung der Gemeinden zur Ausstellung von Ausweispapieren an schwangere Frauen in Erinnerung gerufen werden. Eine solche Kundmachung ist jedoch nicht dokumentiert und noch Ende des Jahres 1915 beklagte die Verwaltung, dass der Strom der aufnahmesuchenden Schwangeren ohne gültige Ausweispapiere nicht abgerissen sei.370

367 Vgl. Kuprian Hermann J.W., Flüchtlinge, Evakuierte und die staatliche Fürsorge, in: Eisterer Klaus/Steininger Rolf (Hg.), Tirol und der Erste Weltkrieg (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 12), Innsbruck/Wien 1995, 277-305, hier 290-295. 368 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 12, Jg. 1915, Abt. IV, Zl. 40/1 und 40/3. 369 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 387/8 und 387/9 [Mikrofilm 0061/0]. 370 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 387, 1061[Mikrofilm 0061/0].

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Insgesamt war die Zahl der Entbindungen in der Landesgebäranstalt jedoch seit Mitte des Jahres 1915 rückläufig. Noch im Februar 1915 versuchte die Verwaltung über eine Verlautbarung in den deutsch- und italienischsprachigen Lokalzeitungen, eine allzu frühe Anreise von Schwangeren nach Innsbruck zu vermeiden, da „die Aufnahme in die Landesgebäranstalt wegen Platzmangels nur einige Tage vor der Entbindung erfolgen kann.“ Insbesondere die „aus den Tälern kommenden Personen“ sollten gewarnt werden, damit „sie sich darnach einrichten und nicht zu früh herreisen und eventuell abgewiesen werden könnten.“371 Bis September 1915 hatte sich die Aufnahmezahl jedoch soweit reduziert, dass die statutarisch festgelegte Aufnahme ab dem neunten Schwangerschaftsmonat wieder durchgeführt werden konnte.372 Über die Gründe für die Abnahme der Frequentierung waren sich die Zeitgenossen nicht einig, denn, einerseits sprach die Tatsache, dass bis September 1915 nur zwei zahlende Patientinnen aufgenommen worden waren, für eine Abwehrreaktion auf die Streichung sämtlicher finanzieller Zuwendungen im neuen Statut, andererseits konnte auch die unmittelbare Bedrohung durch den Krieg als Auslöser für den Einbruch der Entbindungen betrachtet werden.373 Während noch im Jahre 1914 ein absolutes Maximum von 1704 Geburten in der Landesgebäranstalt registriert werden konnte, verringerten sich die Zahlen bereits im Jahre 1915 um circa 400 Geburten und reduzierten sich im Laufe des Jahres 1916 noch weiter auf lediglich 870 Entbindungen.374 Für die geburtshilfliche Ausbildung, welche auch während des Krieges fortgeführt wurde, bedeutete dieses Tief eine drastische Reduktion der Lehrfälle. Diese Tatsache machte sich besonders bei den Schwangeren bzw. den an ihnen praktizierten Schwangerschaftsuntersuchungen bemerkbar, denn teilweise befanden sich weniger als 15 schwangere Frauen in der Anstalt. Dies beeinträchtigte nicht nur die Qualität der geburtshilflichen Unterweisungen, sondern bedeutete auch eine deutliche Mehrbelastung für die betroffenen Frauen, denn sie mussten sich wiederholt zu Untersuchungsübungen bereit erklären. Auch die 371 Diese Verlautbarung wurde im Tiroler Boten, in den Tiroler Stimmen, im Tiroler Anzeiger, den Innsbrucker Nachrichten, der italienischsprachigen Zeitung Il Trentino und dem L’Alto Adige publiziert. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 12, Jg. 1915, Abt. IV, Zl. 18. 372 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 12, Jg. 1915, Abt. IV, Zl. 18/1. 373 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 387, 1061 [Mikrofilm 0061/0]. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 1, Jg. 1919, Abt. III, Zl. 29/2. 374 Vgl. Datenbank GH, eigene Berechnungen.

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Barmherzigen Schwestern beklagten die geringe Zahl an so genannten „Hausschwangeren“, denn in der Regel wurden diese zur Unterstützung der Schwestern bei der Erledigung leichter Hausarbeiten eingesetzt.375 Die Forderung des Professors, die Zahl der „Hausschwangeren“ nicht mehr unter die Marke von 18 Patientinnen fallen zu lassen und daher auch Frauen zu akzeptieren, welche ohne die erforderlichen Ausweispapiere um Aufnahme in die Gebärklinik ansuchten bzw. das neunte Schwangerschaftsmonat noch nicht erreicht hatten, stieß bei den politischen Behörden nicht auf generelle Zustimmung. Der Landesausschuss behielt sich vor, von Fall zu Fall über die Aufnahmewürdigkeit der Frauen zu entscheiden.376 Die rückläufige Entwicklung kam der politischen Verwaltungsinstanz vermutlich ohnehin nicht ungelegen, denn jede ausbleibende Patientin bedeutete eine erhebliche finanzielle Ersparnis für das Land. Infolge der allgemeinen Kriegsteuerung hatten sich die Kosten für die Verpflegung mittelloser Frauen, welche die Mehrheit der Patientinnen ausmachte, schon im Mai 1915 um 15 Prozent erhöht und waren im Mai des darauf folgenden Jahres um weitere zehn Prozent auf einen Betrag von einer Krone und 50 Hellern pro Verpflegungstag erhöht worden. Die Verpflegsgebühren für zahlende Patientinnen, die bisher entgegen den Statuten generell bei zwei Kronen gelegen hatten, wurden 1916 ebenso auf die ursprünglich festgelegte Summe von vier Kronen pro Tag erhöht.377 Ab 1916 sah sich die Landesgebäranstalt nicht nur mit einer allgemeinen Teuerung, sondern auch mit der immer gravierender werdenden Lebensmittelknappheit konfrontiert. Die mit der Verköstigung der Patientinnen und Angestellten betrauten Barmherzigen Schwestern standen zwar im Ruf, äußerst sparsam zu wirtschaften, doch trotz ihrer Sparsamkeit neigten sich die Lebensmittelvorräte im Oktober 1916 dem Ende zu.378 Die Beschaffung der benötigten 375 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1915, VII 1180, Zl. 387/8 [Mikrofilm 0061/0]. 376 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1916, Abt. III, Zl. 41/4. 377 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1916, Abt. III, Zl. 48/1 und 48/4. Die Preisentwicklung bei Milch erreichte zwischen 1914 und 1916 in Innsbruck eine Steigerung von mindestens 150 Prozent, bei Kartoffeln rund 340 Prozent, bei Kohlrüben 480 Prozent, bei Eiern 566 Prozent und schließlich 755 Prozent bei Schweinefett. Vgl. Heiss Hans, Andere Fronten. Volksstimmung und Volkserfahrung in Tirol während des Ersten Weltkrieges, in: Eisterer Klaus/Steininger Rolf (Hg.), Tirol und der Erste Weltkrieg (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 12), Innsbruck/Wien 1995, 139-177, hier 156. 378 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1916, Abt. III, Zl. 48/1.

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Grundnahrungsmittel wurde zusehends schwieriger: So hatte etwa die Stadt Innsbruck die bislang praktizierte privilegierte Abgabe von Mehl aus den Beständen der städtischen Großmarkthalle im Jahre 1916 eingestellt und die Landesgebäranstalt dadurch in die Lage versetzt, ihren Bedarf über das zentral organisierte Bezugskartensystem decken zu müssen.379 Seit April 1915 regelte die Kriegsgetreide-Verkehrsanstalt die rationierte Abgabe von Lebensmitteln in Innsbruck und neben den 1915 eingeführten Brot- und Mehlkarten, gab es ab 1916 auch eine so genannte Zucker-, Milch-, Kaffee- und sogar eine Fettkarte. 380 Die Anstaltsleitung, allen voran die Barmherzigen Schwestern, kritisierten die Anwendung des Bezugskartensystems auf die sozial-wohltätige Anstalt, denn ein klinisches Institut ihres Umfangs könne nicht mit einem gewöhnlichen Haushalt gleichgesetzt werden. Die Anstalt verfügte, laut Aussage der Anstaltsleitung, nicht über die personellen Ressourcen, um mitunter stundenlang bei den Ausgabestellen Schlange zu stehen. Zudem wurde massiv bezweifelt, dass die erforderlichen Lebensmittelmengen überhaupt durch die wenigen Bezugsstellen gedeckt werden könnten. Zu Recht fürchteten die Verantwortlichen deshalb nicht allein um den guten Ruf der Anstalt, sondern auch um die Gesundheit der Mütter und Säuglinge. Die Proteste der Anstaltsleitung und die Forderungen, den privilegierten Statuts, welchen man bis Oktober 1916 innegehabt hatte, wieder zu erlangen,381 verhallten jedoch ungehört, was angesichts der bereits 1916 deutlich schwieriger werdenden Grundversorgung der städtischen Zentren nicht verwundern darf. Bereits im März waren die Kartoffel- und Saatgutvorräte des Landes erschöpft, die Truppeneinquartierungen im Frühjahr 1916 hatten das ihrige dazu beigetragen und auch die Mehllieferungen in die einzelnen Bezirke mussten im Herbst 1916 um rund 20 bis 30 Prozent gekürzt werden. Der Kriegszustand bedingte allerdings nicht nur eine Reduktion der verfügbaren Nahrungsmittel, sondern auch deren qualitative Verschlechterung. Ab Oktober 1914 wurde beispielsweise die Broterzeugung massiv reglementiert und so durften keine vollwertigen Weizen- und Roggenprodukte mehr hergestellt werden. Mindestens 30 Prozent, später sogar 50 Prozent des Backmehles mussten aus Substituten, wie

379 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1916, Abt. III, Zl. 48/2. 380 Vgl. Prassnigger Gerhard, Hunger in Tirol, in: Eisterer Klaus/Steininger Rolf (Hg.), Tirol und der Erste Weltkrieg (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 12), Innsbruck/Wien 1995, 179-210, hier 184-189. 381 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1916, Abt. III, Zl. 48/2.

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etwa Gersten-, Mais- oder Kartoffelmehl, bestehen.382 Obwohl der Landesgebäranstalt die tägliche Belieferung mit „50 Stück feinen Weizenbrot“383 aus der nahe gelegenen Bäckerei der Witwe Lokar in der Müllerstraße 35 weiterhin gewährt wurde, ist anzunehmen, dass es sich auch dabei um qualitativ minderwertige Mischprodukte handelte.384 Auch die Rationierung von Milch bereitete der Landesgebäranstalt Probleme, denn die zugewiesenen 30 Liter pro Tag reichten, laut Aussage des Inspektors, bei Weitem nicht aus, um die Patientinnen angemessen zu ernähren.385 Die allgemeine Milchration pro Kopf betrug in Innsbruck, Mühlau und Hötting im Sommer 1916 lediglich einen viertel Liter, sollte jedoch für Kranke, stillende Mütter und Kinder auf bis zu einen Liter Milch erhöht werden. Diese allgemeinen Maßzahlen waren jedoch in der Praxis nicht umsetzbar, denn die Zulieferung von Milch in das städtische Zentrum funktionierte alles andere als reibungslos und die verfügbaren Mengen blieben teilweise um ganze 10.000 Liter unter dem Tagesmilchbedarf der Stadt.386 Nicht einmal in der bis Ende 1916 privilegiert behandelten Landesgebäranstalt konnten die festgesetzten Pro-KopfRationen eingehalten werden und die eigentlich begünstigten Schwangeren und Wöchnerinnen erhielten vielfach weniger, als den veranschlagten Mindestbezug von einem viertel Liter Milch pro Tag. Um jeder Schwangeren und Wöchnerin wenigstens die tägliche Mindestmenge zukommen lassen zu können, wurde der Bedarf auf nur unwesentlich mehr, nämlich mindestens 52 Liter pro Tag, veranschlagt. Die Bitte um Erhöhung der Ration blieb allerdings wiederum ohne Reaktion.387 Nur wenige Monate später, in den Sommermonaten des Jahres 1917, 382 Zur Ernährungslage der Tiroler Bevölkerung während des Krieges, siehe ausführlich: Rettenwander Matthias, Stilles Heldentum? Wirtschafts- und Sozialgeschichte Tirols im Ersten Weltkrieg (= Tirol im Ersten Weltkrieg. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft 2), Innsbruck 1997, 194-225. 383 TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1916, Abt. III, Zl. 48/5 und 48/7. 384 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1916, Abt. III, Zl. 48/5 und 48/7. 385 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1916, Abt. III, Zl. 48/8. 386 Vgl. Rettenwander, Heldentum, 288-294. 387 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1916, Abt. III, Zl. 48/8. Die Landesgebäranstalt bezog die benötigte Milch vom Bauern Vinzenz Lacher aus Natters. Die Verwaltung bat das Stadtmagistrat Innsbruck im Dezember 1916 zum scheinbar wiederholten Male und im ausdrücklichen Interesse der Landesgebäranstalt um die Enthebung des Bauern vom Kriegsdienst.

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wurde schließlich die Milchration weiter gekürzt und auf täglich ein achtel Liter Milch, für alle Personen zwischen dem zehnten und fünfundsiebzigsten Lebensjahr, festgesetzt.388 Ähnliche Klagen tauchten bei der Versorgung mit Kartoffeln und anderen Grundnahrungsmitteln auf. Die im Oktober 1916 versprochene Ration von einem Drittel Waggon Kartoffeln war nie eingetroffen, doch hatte man zumindest 5.000 kg vom städtischen Kartoffelernährungsamt erhalten. Diese Vorräte waren bis Ende Jänner 1917 jedoch ebenfalls erschöpft und erneut erging die verzweifelte Bitte, die zuständigen politischen Behörden mögen rasch Lebensmittel (Kartoffeln, Gerste, Fisolen und Polenta) an die Gebärklinik senden, da ansonsten eine ausreichende Ernährung der Schwangeren und Wöchnerinnen nicht mehr garantiert werden könne. Im März 1917 erhielt die Anstalt aus den Beständen der Kriegsgetreide-Verkehrsanstalt somit 2.000 kg Kartoffeln, 50 kg Gerste sowie 100 kg Bohnen.389 Die gelieferten Rationen waren jedoch nicht mehr als der sprichwörtliche „Tropfen auf den heißen Stein“ und so spitzte sich die prekäre Versorgungslage im Laufe der Jahre 1917, speziell jedoch im Jahre 1918, noch weiter zu. „In der Landesgebäranstalt herrscht strenge Hungersnot. Die Vorräte sind fast vollständig erschöpft und von den Lebensmittelkarten muß nahezu die Hälfte uneingelöst bleiben“390, berichtete die Verwaltung beispielsweise im Juli 1918 an die Statthalterei für Tirol und Vorarlberg. Die Reaktionen der politischen Behörden blieben zwar diesmal nicht aus, doch die im August bewilligten Sonderzuweisungen von Mehl, Hirse und Gerste reichten nur wenige Monate und konnten nicht über die fehlende Nachhaltigkeit der zentralen Nahrungsmittelbewirtschaftung hinwegtäuschen. Die im Laufe des Jahres 1918 immer katastrophaler werdende Versorgungslage391 hatte bereits dazu geführt, dass der Hebammenkurs frühzeitig beendet Laut Matthias Rettenwander war dies eine gängige Praxis und so waren 1917 mehr als 100 Milchbauern zur Versorgung der Stadt Innsbruck vom Kriegsdienst enthoben. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1916, Abt. III, Zl. 49/27. Vgl. Rettenwander, Heldentum, 289-290. 388 Vgl. Rettenwander, Heldentum, 292. 389 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1917, Abt. III, Zl. 28/1 und 28/4. 390 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1918, VII 1180/1, Zl. 935. 391 Die zentrale Lebensmittelbewirtschaftung war ab 1918 nicht mehr aufrecht zu erhalten und im ganzen Land wuchs sich die Nahrungsmittelknappheit zu einer Hungersnot aus, begleitet von regelmäßigen Demonstrationen und Hungerkrawallen. Vgl. dazu Rettenwander, Heldentum, 214-220.

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worden war, doch die dadurch eingesparten Lebensmittel konnten den Bedarf der Patientinnen nicht lange decken. Obwohl die Zahl der Geburten in der Landesgebäranstalt von 1916 bis 1918 weiter, auf lediglich 660 hospitalisiert betreute Fälle, gesunken war, entspannte sich die Situation nicht. Die Oberin der Barmherzigen Schwestern, Gaudentia Neumair, prangerte die nachlässige Versorgung an und betonte, dass die Anstalt im Gegensatz zu Privathaushalten nicht mit Hilfe des so genannten „Hamsterns“, des Schleichhandels oder diverser Schwarzmarktaktivitäten für eine Verbesserung ihrer Ernährungslage sorgen könne. Außerdem werde man ständig zwischen dem Innsbrucker Stadtmagistrat und der Kriegsgetreide-Verkehrsanstalt hin- und hergereicht, ohne dass sich eine der Behörden für die Versorgung der Anstalt zuständig fühle. „Überall scheint es an dem nötigen Ernst zu fehlen, der Anstalt wirklich helfen zu wollen, an der richtigen Erkenntnis der sozialen Wichtigkeit unserer Anstalt“392, so die verzweifelten Worte der Oberin. Die Statthalterei unterstützte die Aussagen Gaudentia Neumairs und hob die Bedeutung der Landesgebärklinik als „humanitäre Anstalt“ ebenso hervor, wie die Pflicht des Landes, helfend einzuschreiten – insbesondere, da die Schließung der Landesgebäranstalt, auf Grund der Notlage, als Drohung im Raum stand. Aus diesem Grund versuchte die Tiroler Politik mit einer neuen Maßnahme, die Lebensmittelknappheit zu überbrücken: In Zukunft sollten alle Patientinnen ihre persönlichen Bezugskarten beim Eintritt in die Anstalt abgeben und so zum eigenen, wie zum Überleben der Anstalt, in der Krisenzeit beitragen.393 Der Landesgebäranstalt blieb zwar die unmittelbare Schließung erspart, doch hatte sie insgesamt stark unter dem Ersten Weltkrieg gelitten. Neben der größtenteils bedrohlichen Unterversorgung mit Grundnahrungsmitteln und der Kälte, auf Grund der allgemeinen Holznot,394 hatte die Anstalt im Zuge der Beschlagnahme von Metall ab 1916 auch etliche Kessel, Pfannen und Teller, sowie Gegenstände ohne künstlerischen Wert aus der Hauskapelle abgeben müssen.395 392 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1918, VII 1180/1, Zl. 935 [Mikrofilm 0065/1]. 393 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1918, VII 1180/1, Zl. 935 [Mikrofilm 0065/1]. 394 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1917, Abt. III, Zl. 37/13. Siehe dazu auch die 1917 immer größere Ausmaße annehmende Holznot in der Landesheil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke in Hall. Vgl. Grießenböck, „Landesirrenanstalt“, 360. 395 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1916, Abt. III, Zl. 50/2. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1917, Abt. III, Zl. 33/1.

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5.3 Das Ende der Tiroler Landesgebärklinik Die Kriegsereignisse in Tirol hatten in Bezug auf die Landesgebäranstalt zu einem massiven Einbruch der Aufnahmezahlen geführt. Insbesondere aus edukativen Gründen hatte die Verwaltung der Landesgebäranstalt, auch während des Krieges, versucht, die Attraktivität der Entbindungsklinik hochzuhalten. 1917 etwa wollte man einem Gerücht entgegentreten, welches von einer dramatischen Überfüllung durch die Einquartierung von Truppen und die Umfunktionierung der Landesgebäranstalt in ein Armeelazarett sprach. Die Patientinnen der Anstalt wären gezwungen auf dem Boden zu schlafen und erhielten nicht die medizinische Aufmerksamkeit, die ihnen zustünde, so die nachteiligen Berichte. Tatsächlich konnte von Überfüllung jedoch keine Rede sein, denn die Aufnahmezahlen nahmen im Vergleich zu den Friedenszeiten konsequent ab. Auch die beobachtete Militärpräsenz in der Gebärklinik war keineswegs auf tatsächliche Einquartierung von verwundeten Soldaten zurückzuführen, sondern vielmehr auf die Studenten, welche teilweise uniformiert zum Unterricht in der Anstalt erschienen. „Es liegt im öffentlichen Interesse dies bekannt zu geben, damit nicht viele Frauen, für die in der jetzigen harten Zeit die Gebäranstalt der einzig erträgliche und hygienische Ort zur Entbindung ist, sich aus Furcht vor den erwähnten, aber nicht bestehenden Übelständen selbst dieses Vorteiles berauben“396, so die Verwaltung. Doch der allgemein rückläufige Trend konnte auch mit dieser Nachricht nicht aufgehalten werden. Im Jahre 1918 erreichten die Aufnahmezahlen lediglich einen Wert von 660 versorgten Wöchnerinnen und waren somit auf das Niveau der Jahrhundertwende gefallen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit verbesserte sich die schwache Auslastung nur geringfügig, zumal weite Teile der vormals gefürsteten Grafschaft Tirol nun nicht mehr zum Staatsgebiet Österreichs und somit zum Einzugsgebiet der Innsbrucker Gebäranstalt zählten. Der gesamte italienischsprachige Landesteil sowie die deutschsprachigen Gebiete Südtirols, jenseits der Brennergrenze, waren durch den Friedensvertrag von St. Germain im September 1919 an Italien gefallen. Noch im Jahre 1910 hatten diese Landesteile rund die Hälfte der Gebärhausklientel gestellt.397 Die Landesgebäranstalt verlor dadurch zwar nicht ihre unmittelbare Existenzberechtigung, jedoch sahen sich die politisch und medizinisch verantwortlichen Gremien, angesichts der angespannten Finanzlage des

396 TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1917, Abt. III, Zl. 35/5. 397 Vgl. Datenbank GH, eigene Berechnungen. Vgl. Huter, der ähnliche Tendenzen auch für das Allgemeine Krankenhaus in Innsbruck feststellte. Huter, Fakultät, 163.

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Landes, gezwungen, Anpassungsstrategien und alternative Einkunftsmöglichkeiten in Erwägung zu ziehen. Eine dieser Alternativen war die Vermietung von Räumlichkeiten in der Landesgebäranstalt für die Einrichtung eines Mütter- und Säuglingsheims. Als Reaktion auf die hohe Kinder- und Säuglingssterblichkeit während des Krieges hatte sich in den Jahren 1917/18 ein privater Wohltätigkeitsverein, unter der Führung des Primarius der Landesgebäranstalt, Dr. Paul Mathes, formiert. Die so genannte „Landeskommission für Mütter- und Säuglingsschutz“, zunächst finanziert durch einen einmaligen Betrag von 400.000 Kronen aus den Überschüssen der Viehverwertungsstelle, hatte sich zum Ziel gesetzt, Mütterberatungs- und Säuglingsfürsorgestellen einzurichten sowie Kurse zur Ausbildung von professionellen Säuglingsfürsorgerinnen zu organisieren. Damit war eine private Initiative den staatlichen Aufgaben im Bereich des Säuglings- und Mütterschutzes zuvorgekommen.398 Das österreichische Innenministerium befürwortete jedoch die Einrichtung solcher wohltätigen und sanitär wertvollen Beratungsstellen für hilfsbedürftige, nicht krankenversicherte Frauen.399 Die Aufgaben einer solchen ambulanten Institution wurden vom Innenministerium mit den Stichworten Aufklärung, Beratung und Überwachung skizziert. Dabei sollten im klassischen Sinn nicht nur die Mütter in Bezug auf die vollwertige und gesunde Ernährung der Säuglinge und Kleinkinder belehrt (Stillpropaganda) und der allgemeine Versorgungs- und Gesundheitszustand der Kinder überwacht, sondern auch Schwangere, in sozialen wie medizinischen Belangen, unterstützt werden. Die Beratungsarbeit konzentrierte sich zunächst lokal auf das Stadtgebiet von Innsbruck, wo am 15. Juni 1918 die erste Mütterberatungsstelle am Margarethenplatz 1 (heute: Bozner Platz) eingerichtet wurde.400 Neben der ambulanten Betreuung, die einerseits durch die Beratungsstelle, andererseits durch Heimbesuche der Fürsorgerinnen abgedeckt wurde, schien im Jahre 1919 die Einrichtung eines Mütter- und Säuglingsheims zur stationären Aufnahme hilfsbedürftiger Frauen und ihrer Kinder notwendig. Angedacht war die institutionelle Anbindung eines größeren 398 Vgl. dazu die Geschichte der Säuglingsfürsorge am Beispiel Düsseldorfs bei: Fehlemann Silke, Stillpropaganda und Säuglingsfürsorge am Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Genge Gabriele (Hg.), Sprachformen des Körpers in Kunst und Wissenschaft (= Kultur und Erkenntnis. Schriften der Philosophischen Fakultät der Heimrich-Heine-Universität Düsseldorf), Tübingen/Basel 2000, 19-30, hier 20-22. 399 Vgl. Rettenwander, Heldentum, 275-276. 400 Vgl. Hohenauer Margret, Die historische Entwicklung der Fürsorge für Mutter und Kind, in: Unterrichter Leopold (Hg.), 50 Jahre Mutter- und Säuglingsfürsorge Innsbruck, Innsbruck 1968, 5-10, hier 6-7. Vgl. dazu auch Fehlemann, Stillpropaganda, 25-28.

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Kinder- und Säuglingsheims an das Krankenhaus in Schwaz, doch das Projekt befand sich nach dem Krieg lediglich in der Planungsphase. Aus diesem Grund stellte der Wohlfahrtsausschuss der Stadt Innsbruck den Antrag zur provisorischen Einrichtung eines solchen Heimes in Innsbruck. Zur vorübergehenden Unterbringung des Säuglingsheims schienen die ohnehin mäßig ausgelasteten Räumlichkeiten der Landesgebäranstalt am geeignetsten.401 Fünf Zimmer wurden daraufhin für das Mütter- und Säuglingsheim reserviert. Adaptierungsmaßnahmen blieben aus und Mobiliar und Wäsche wurden leihweise von der Landesgebäranstalt übernommen.402 Der Tiroler Landesrat erteilte am 21. Februar 1919 die offizielle Bewilligung, dass künftig auch Frauen und Säuglinge, welche nicht in der Landesgebärklinik entbunden worden waren, um Aufnahme in die Sonderabteilung ansuchen konnten. Zudem garantierte das Land die finanzielle Unterstützung der wohltätigen Einrichtung. Mittellose Tirolerinnen wurden auf Kosten des Landes versorgt, alle anderen hatten einen Pauschalbetrag von sechs Kronen pro Verpflegstag zu bezahlen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer wurde mit drei Monaten fixiert, wobei eine einmonatige Verlängerung, auf Anfrage bei der Gebärhausverwaltung, unbürokratisch genehmigt werden sollte.403 Damit stand der Eröffnung nichts mehr im Wege und der Betrieb im neuen Mütter- und Säuglingsheim wurde am 12. April 1919 aufgenommen. Mit der ärztlichen Leitung wurde der Sekundararzt der Landesgebäranstalt betraut, die Pflegetätigkeit wurde von einer Barmherzigen Schwester, zwei weltlichen Pflegerinnen sowie zwei Ammen besorgt. Da die Ärzte der Gebäranstalt bei der Behandlung von Kinderkrankheiten unerfahren seien, forderte der Vorstand der Landesgebäranstalt bereits im Mai 1919, einen eigenen Kinderarzt für das Säuglingsheim einzustellen. Ein geeigneter und erfahrener Kandidat schien in der Person des Dr. Alfred Soppelsa gefunden, welcher der privaten Initiative der „Landeskommission für Mütter- und Säuglingsschutz“ als ärztlicher Leiter vorstand. Für seine Konsiliartätigkeit im Säuglingsheim sollte ein Monatsgehalt von 150 Kronen bezahlt werden. Doch mit der Begründung, der Sekundararzt der Landesgebäranstalt sei schließlich nicht nur Geburtshelfer, sondern auch Doktor der gesamten Heilkunde, verweigerte der Landesrat die Bestellung eines zusätzlichen Arztes und damit die

401 Vgl. IN, Nr. 33 vom 8. Februar 1919, 6. 402 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1920, Abt. III, Zl. 32/1. 403 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1919, Abt. III, Zl. 32/1. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Amt der Tiroler Landesregierung 1921, VII 1179, Zl. 342/2 und 342/3 ex. 1919 [Mikrofilm 0092/4].

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Schaffung eines zusätzlichen Budgetpostens.404 Dennoch erfreute sich das Mütter- und Säuglingsheim eines regen Zulaufs: Bis Ende des Jahres 1919 wurden durchschnittlich zwei Frauen und 16 Säuglinge pro Tag verpflegt. Ähnlich wie in den Kriegsjahren, hatte die Gebäranstalt auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit Versorgungsengpässen und Preissteigerungen zu kämpfen, unter denen nun auch das neu eingerichtete Sonderinstitut zu leiden hatte. Die politischen Verantwortlichen hatten im April 1919 zwar zugesagt, dass zusätzliche Rationen an Fett an das Mütter- und Säuglingsheim ergehen sollten, Milch blieb jedoch weiterhin Mangelware.405 Schon im Oktober 1919 waren die berechneten Mindestmengen von einem Liter Milch pro Kopf, auf Grund einer neuerlichen Preissteigerung, nicht mehr leistbar.406 Im Laufe des Jahres 1920 verschlechterte sich die Situation noch weiter und die Barmherzigen Schwestern forderten wiederholt eine Aufstockung ihres Budgets durch das Land. Obwohl die „Beköstigungsentschädigung“ für den Pflegeorden im Mai 1920 auf zwölf Kronen pro Verpflegstag erhöht worden war, fanden die Barmherzigen Schwestern, auf Grund der beständigen Teuerung von Milch, Fleisch und anderen Lebensmitteln, nur schwer ihr Auslangen.407 Nur die Versorgung mit Brot schien zunächst keinen Anlass zur Klage zu bieten, denn die Anstalt erhielt jeden zweiten Tag sechzehn große Laib Weißbrot zugeteilt. Diese Ration reichte scheinbar aus, um den durchschnittlichen Verpflegsstand von 35 Wöchnerinnen mit täglich einem viertel Stück zu verköstigen.408 Doch auch dies sollte sich bald ändern, wie neuerliche Anfragen um Zuschüsse an die Landesgebäranstalt aus dem Jahre 1921 belegen.409 Insgesamt verbesserte sich die Versorgungslage der Landesgebäranstalt und des Mütter- und Säuglingsheims in der 404 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1919, Abt. III, Zl. 32/6. 405 Vgl. TLA; Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1920, Abt. III, Zl. 32/1. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Amt der Tiroler Landesregierung 1921, VII 1179, Zl. 342/4 ex. 1919 [Mikrofilm 0092/4]. 406 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 13, Jg. 1919, Abt. III, Zl. 32/16. Zu den Versorgungsengpässen mit Milch in der Nachkriegszeit, siehe: Schober Richard, Tirol zwischen den Weltkriegen: Die Wirtschaft (= Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 11), Innsbruck 2005, 137-146. 407 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Amt der Tiroler Landesregierung 1920, VII 1180, Zl. 106, 106/7 sowie 1085/10 [Mikrofilm 0073/5]. 408 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 14, Jg. 1920, Abt. III, Zl. 25/4. 409 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Amt der Tiroler Landesregierung 1921, VII 1180/3, Zl. 98/2, 98/3 sowie 98/4 [Mikrofilm 0092/4].

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Nachkriegszeit nicht. Letzteres musste bereits 1920, auf Grund finanzieller Schwierigkeiten, wieder geschlossen werden. Die stationäre Mütter- und Säuglingsschutzeinrichtung wurde noch im selben Jahr durch eine weitere ambulante Fürsorgestation, in Form einer zweiten Mütterberatungsstelle in der Innsbrucker Kinderklinik, ersetzt.410 Darüber hinaus wurde im Jahre 1921 auch eine geburtshilfliche Ambulanz an der Landesgebärklinik eingerichtet, in welcher Schwangeren und Wöchnerinnen kostenlose medizinische Hilfe zu Teil wurde. Das Ambulatorium erfreute sich, wie zuvor das Mütterheim, regen Interesses: 1921 wurden insgesamt 381 Frauen ambulant betreut. Doch schon 1922 schien es notwendig, eine Gebühr für die Behandlungen einzuführen. Die Verwaltung der Landesgebäranstalt schlug ein sozial gestaffeltes Gebührenmodell vor, demzufolge gänzlich mittellose Frauen weiterhin unentgeltlich versorgt werden sollten. „Besser situierte“ Frauen sollten hingegen 500 Kronen, „minderbemittelte“ Frauen 300 Kronen pro ambulanter Behandlung bezahlen.411 Doch nicht nur an der Vergebührung dieser Zusatzleistung ist der finanzielle Druck, der auf der Landesgebäranstalt bzw. auf dem Land als Träger der Institution lastete, ablesbar. Die Verpflegsgebühren für die zahlende Klientel der Landesgebäranstalt spiegeln die dramatische Kostenentwicklung noch eindrücklicher wider. Ab dem 1. Jänner 1919 betrugen die Gebühren pro Verpflegstag fünf Kronen, stiegen ab dem 1. April auf sechs Kronen und wurden ab dem 1. August auf neun Kronen erhöht.412 Dieser Trend setzte sich im Jahre 1920 noch weiter fort und die Teuerung schlug sich ab dem 1. Jänner 1920 in einer einhundertprozentigen Erhöhung der Verpflegsgebühren nieder. Bereits im Mai 1920 wurden die Gebühren um weitere 50 Prozent auf 27 Kronen und im September 1920 auf 76 Kronen pro Verpflegstag erhöht.413 Die potenziell zahlungskräftige Klientel reagierte zunehmend mit der Meidung der Landesgebäranstalt. „Wie die Pfortenschwester angibt, ereignet es sich sehr häufig, dass Aufnahmesuchende wieder fortgehen, nachdem sie die Höhe 410 Vgl. Hohenauer, Entwicklung, 7. 411 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 14, Jg. 1922, Abt. III, Zl. 15/2. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Amt der Tiroler Landesregierung 1922, VII 1180, Zl. 551/1 [Mikrofilm 0135/5]. 412 Vgl. Landes-Gesetz- und Verordnungsblatt für Tirol 1919, Nr. 3 vom 31. Dezember 1918, 9; Nr. 42 vom 11. Juni 1919, 118; Nr. 55 vom 2. August 1919, 153, sowie Nr. 57 vom 14. August 1919, 155. 413 Vgl. Landes-Gesetz- und Verordnungsblatt für Tirol 1920, Nr. 2 vom 30. Dezember 1919, 2; Nr. 74 vom 27. Mai 1920, 237 sowie Nr. 109 vom 2. September 1920, 344. Vgl. Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 14, Jg. 1921, Abt. III, Zl. 20/1.

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der Verpflegskosten erfahren haben“414, schilderte etwa der Primarius, Dr. Paul Mathes, die Verhältnisse im Jahre 1920. Entschieden sich die Frauen dennoch für einen Eintritt, versuchten sie, die Zeit vor dem Einsetzen der unmittelbaren Geburtswehen, solange wie möglich, außerhalb der Anstalt zu verbringen. Da sich die Klientel der Landesgebäranstalt nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Großteil aus in Innsbruck oder den umliegenden Gemeinden lebenden Frauen zusammensetzte, stellte diese Praxis des Abwartens die werdenden Mütter vor keine allzu großen logistischen Probleme. Die daraus resultierende, geringe Zahl an Schwangeren in der Landesgebäranstalt beeinträchtigte allerdings zusehends die Durchführung des praktisch-geburtshilflichen Unterrichts. Am 18. Juni 1920 betrug die Zahl der Schwangeren lediglich fünf Personen und da die Untersuchungsübungen der Hebammenschülerinnen und Studenten vorwiegend an den Schwangeren praktiziert wurden, sah sich Professor Mathes dazu veranlasst, die Aufrechterhaltung eines geregelten Unterrichtsbetriebes massiv in Frage zu stellen. Mathes sah den ursprünglichen Zweck der Landesgebäranstalt, als soziales und klinisches Institut, gefährdet und forderte den politisch verantwortlichen Landesausschuss dazu auf, „wenn möglich, Vorsorge [zu] treffen, dass die Anstalt wieder ihrem Zwecke als Zufluchtsstätte für bedürftige Schwangere und als Unterrichtsanstalt für die Aerzte und Hebammen das Landes Tirol dienen kann.“415 Doch infolge der Inflation schnellten die Kostensätze in der Landesgebäranstalt bis zum Jahre 1922 auf 600 Kronen, im März 1922 sogar auf 1.200 Kronen hinauf.416 Die Erhaltung der Landesgebäranstalt als eigenständige Landeseinrichtung wurde immer stärker in Frage gestellt. Trotz der kaum leistbaren Gebühren schien die Landespolitik die Einrichtung einer Zahlabteilung, wie sie vor 1915 geplant worden war, als echte Chance im Kampf um den Erhalt der Landesinstitution zu erachten. Die Nachfrage nach einer komfortablen, außerhäuslichen Alternative zur Hausgeburt war, nach Ansicht der politischen Verantwortlichen, im Innsbruck der 1920er Jahre durchaus gegeben. Es gäbe „gar viele Mütter, die gerne diese Anstalt oder die Frauenklinik aufsuchen möchten, dennoch aber nicht hinaufgehen [nach Wilten, M.H.], weil sie die Untersuchung durch junge

414 TLA, Landschaftliches Archiv, Amt der Tiroler Landesregierung 1920, VII 1180, 60/4 [Mikrofilm 0073/5]. 415 TLA, Landschaftliches Archiv, Amt der Tiroler Landesregierung 1920, VII 1180, 60/4 [Mikrofilm 0073/5]. 416 Vgl. Landes-Gesetz- und Verordnungsblatt für Tirol 1922, Nr. 16 vom 4. Februar 1922, 69 sowie Nr. 41 vom 24. März 1922, 111. Vgl. zu den Auswirkungen der Inflation: Schober, Tirol, 28-39.

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Aerzte oder Hebammenschülerinnen scheuen.“417 In Erwägung dieser Tatsache hatte die Anstaltsverwaltung bereits 1920 für eine Befreiung von verheiraten Frauen von der Pflicht „als Lehrmittelbehelf der Klinik“418 dienen zu müssen, plädiert. Auf Grund der schwierigen Wohnverhältnisse stellte die Entbindung in der eigenen Wohnung für etliche Schwangere keine Option dar, denn „viele Familien sind so zusammengepfercht, daß oft Eltern und Kinder im selben Zimmer schlafen müssen“419, so die Argumentation der Verfechter einer Zahlabteilung. Zu diesem Zweck griff die Verwaltung im Jahre 1920 die alten Umbauvorhaben wieder auf und veranschlagte für die Adaptierung des Ostflügels, der zusätzlichen Raum für sechs Krankenzimmer, einen Kreißsaal, drei Zimmer für das ärztliche und pflegerische Personal sowie eine Teeküche und ein Bad bieten würde, auf 530.000 Kronen. Jährlich sollte die Zahlabteilung dem Land nicht weniger als 340.000 Kronen kosten – ein Betrag, dem zu erwartende Einnahmen von lediglich 240.000 Kronen pro Jahr gegenüberstanden. „Dieses ungünstige errechnete Ergebnis ist wohl zunächst darauf zurück zuführen, dass dem erheblichen Aufwand nur ein Belag von 6 Betten gegenüber steht“420, rechtfertigte die Verwaltung die horrenden Ausgaben. Die Ausbaupläne wurden relativ schnell wieder verworfen und die Landespolitik verfolgte eine alternative Variante zur Schaffung des notwendigen Raumes: Der Anstaltskaplan sollte seine Wohnung räumen und die frei werdenden Zimmer sollten zur Einrichtung einer Zahlabteilung genutzt werden. Da durch die Delogierung des Kaplans und die Nutzung seiner Wohnräume nur geringe Adaptierungskosten verursacht würden, spekulierte das Land gleichzeitig darauf, mit der Einrichtung einer Zahlabteilung, eine rentable Einnahmequelle zu installieren. Obwohl die Verpflegsgebühren in der Folge weiterhin rasant anstiegen und bis Ende 1922 auf 16.000 Kronen, bis Ende 1923 sogar auf 26.000 Kronen angestiegen waren,421 schienen sich die Prognosen hinsichtlich des Bedarfes an Klassebetten, zu bestätigen: Während 1919 bereits rund 70 Prozent der Aufnahmesuchenden kein Armutszeugnis vorlegten 417 Stenographische Berichte des Tiroler Landtages der I. Landtagsperiode, 15. Sitzung der 2. Session vom 29. bis 31. Dezember 1921, 443. 418 TLA, Landschaftliches Archiv, Amt der Tiroler Landesregierung 1920, VII 1180, 60/4 [Mikrofilm 0073/5]. 419 Stenographische Berichte des Tiroler Landtages der I. Landtagsperiode, 15. Sitzung der 2. Session vom 29. bis 31. Dezember 1921, 443. 420 TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 14, Jg. 1920, Abt. III, Zl. 16/3. 421 Vgl. Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 14., Jg. 1923, Zl. 5/2. Vgl. Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 15, Jg. 1924, Zl. 5/3.

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und somit entgeltlich verpflegt wurden, war der Anteil der zahlenden Patientinnen bis 1924 auf 97 Prozent gestiegen.422 Eine Zahlabteilung, wie sie 1915 geplant worden war, wurde jedoch nie eingerichtet. Trotz aller Rettungsversuche stellte sich die Landesgebäranstalt als defizitär heraus und war als eigenständige Institution nicht mehr lebensfähig. Die Fusionierung der Anstalt mit der gynäkologischen Klinik erschien dem Land die einzig gewinnbringende Lösung zu sein, zumal die räumliche Trennung der beiden Institutionen längst nicht mehr zeitgemäß war. Die Zusammenlegung der beiden klinischen Einrichtungen im Krankenhausareal wurde noch im Jahre 1921 beschlossen423 und sollte, einerseits die geringe Auslastung der Frauenklinik kompensieren, andererseits aber genügend Platz für eine verkleinerte, geburtshilfliche Abteilung bieten. Außerdem versprach sich das Land durch die Vereinigung der bislang getrennten Betriebseinheiten – das Innsbrucker Krankenhaus war durch das Krankenanstaltengesetz von 1920 in die administrative Verwaltung des Landes übergegangen424– eine erhebliche Reduktion der administrativen und operativen Kosten. Um genügend Platz für die Unterbringung der Gebäranstalt bereitstellen zu können, wurde im Jahre 1922 eine Aufstockung des Pavillons der Augen- bzw. gynäkologischen Klinik beschlossen. Auch die Hebammenschule sollte in den Krankenhauskomplex übersiedeln. Allerdings wurde die Zahl der Teilnehmerinnen pro Kurs auf 15 Schülerinnen beschränkt, was wiederum als eine Reaktion auf das, nach dem Ersten Weltkrieg geschrumpfte, geographische Gebiet des Landes Tirol zu sehen ist.425 Die Bauarbeiten zur Aufstockung der Frauenklinik sowie zur Errichtung eines Zubaus Richtung Anichstraße wurden 1923 begonnen und bei laufendem Betrieb durchgeführt.426 Bereits am 19. Februar 1924 konnte der Zubau, welcher dem neuesten Stand der Wissenschaft entsprechend ausgestattet war und neben 422 Vgl. Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Verpflegtenbuch 1919 sowie 1923-1925. 423 Vgl. Stenographische Berichte des Tiroler Landtages der I. Landtagsperiode, 15. Sitzung der 2. Session vom 29. bis 31. Dezember 1921, 443-444. 424 Mit dem Krankenanstaltengesetz vom 15. Juli 1922 wurde festgelegt, dass die finanzielle Verantwortung für die Krankenanstalten zu je 3/8 von Bund und Land, sowie zu 2/8 vom jeweiligen Beitragsbezirk (z.B. Nordtirol) zu tragen sei. Damit ging die administrative Verwaltung des zuvor städtischen Krankenhauses in die Kompetenz des Landes bzw. Bundes über. Vgl. Huter, Fakultät, 163-164. 425 Vgl. IN, Nr. 171 vom 25. März 1922, 5. 426 Vgl. Stenographische Berichte des Tiroler Landtages der I. Landtagsperiode, 9. Sitzung der 3. Session am 30. Jänner 1923, 218-218. Vgl. auch IN, Nr. 198 vom 31. August 1923, 3.

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einem neuen Operationssaal, einem Narkoseraum und einem eigenen Sterilisationsapparat, auch einen amphitheaterartigen Hörsaal, inklusive modernstem Projektionsapparat enthielt, feierlich eingeweiht werden. Abb. 4: Grundrissplan des Parterres der neuen Frauenklinik, 1924

Quelle: TLA, Hochbaupläne, Nr. 30.

Über einen Verbindungsgang gelangte man direkt vom Hörsaal in die klinischen Räumlichkeiten, welche ebenso nach den neuesten hygienischen Richtlinien eingerichtet wurden. Auch für die Hebammenschülerinnen wurden Wohnräume bereitgestellt, die sie während ihres mehrmonatigen Ausbildungsaufenthaltes an der Klinik nutzen konnten. Ähnlich wie im Gebäude in der Schulstraße waren die Zimmer der Schülerinnen aber wiederum im Souterrain des Anbaus untergebracht. Die Fertigstellung der Arbeiten am einstöckigen Aufbau des Pavillons war bis Herbst des Jahres 1924 projektiert, weshalb der Jahreswechsel 1924/25 als Einzugstermin anvisiert wurde.427 Tatsächlich konnte die erweiterte Frauenklinik am 30. Dezember 1924 feierlich eröffnet werden. Der 30. Dezember 1924 markierte somit gleichzeitig das Ende der Tiroler Gebäranstalt, welche rund 100 Jahre als eigenständige Institution geführt worden war. Die Aufgabenbereiche der nunmehr kombinierten Anstalt sollten sich allerdings auch nach der Konzentra-

427 Vgl. IN, Nr. 42 vom 20. Februar 1924, 4-5 sowie Nr. 183 vom 11. August 1924, 4. Vgl. auch Pfannerstill Andrea, Die Baugeschichte der Klinik Innsbruck. Vom Neuen Stadspital zum a.ö. Landeskrankenhaus 1885-1948 [Diplomarbeit], Innsbruck 2001, 74-76.

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tion des geburtshilflich-gynäkologischen Angebots nicht wesentlich ändern und so eröffnete Landeshauptmann-Stellvertreter Dr. Peer die Doppelinstitution „[m]it dem Wunsche, daß die neue Frauenklinik die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen, den gebärenden und leidenden Frauen eine angenehme Zufluchtsstätte werden und die Heranbildung des jungen Aerztenachwuchses fördern möge.“428 Insgesamt hatten die Um- und Ausbauarbeiten Bund und Land rund 900.000 Kronen gekostet.429 Zu Beginn des Jahres 1925 befanden sich noch insgesamt 35 Frauen in den Räumlichkeiten in der Wiltener Schulstraße, und bis 7. Jänner fanden, laut Verpflegtenbuch der Landesgebäranstalt, auch noch täglich Neuaufnahmen von Schwangeren bzw. kreißenden Frauen am alten Standort statt. Bis Mitte Jänner konnten aber auch die letzten Patientinnen entbunden aus der Gebärklinik austreten und am 15. Jänner 1925 schloss die Landesgebäranstalt endgültig ihre Pforten.430 Die Nachnutzung des Gebäudes in Wilten war bereits 1922 bestimmt und teilweise umgesetzt worden. Die österreichische Justizverwaltung sollte die Räumlichkeiten übernehmen und hatte bereits seit 1. August 1922 rund ein Viertel der Gesamtfläche, insgesamt neun Zimmer und drei Säle, um einen Mietpreis von 3.000 Kronen monatlich angemietet. Ab 1925 beherbergte der ehemalige Klinikbau das Oberlandesgericht Innsbruck.431

428 IN, Nr. 298 vom 31. Dezember 1924, 9. 429 Vgl. Huter, Fakultät, 165 430 Vgl. Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Verpflegtenbuch 1923-1925. 431 Vgl. Landschaftliches Archiv, Amt der Tiroler Landesregierung 1922, VII 1180/2, ohne Zl. sowie 855/3 [Mikrofilm 0092/4]. Vgl. IN, Nr. 71 vom 25. März 1922, 5.

IV. Der Mikrokosmos Gebärhaus – medikale Lebenswelten

Räume werden neuerdings nicht mehr ausschließlich als physisch-materielle oder territoriale Entitäten gesehen, sondern im Sinne des durch die Kulturwissenschaften populär gewordenen spatial turns, als mannigfaltige Produkte sozialer, kultureller, virtueller oder ästhetischer Prozesse interpretiert.1 Im Zuge dieses Paradigmenwechsels wurde jüngst auch die Frage nach der Existenz spezifischer, durch medizinische Prozesse konstituierte Räume – so genannte medikale Räume – gestellt. Medikale Räume definieren sich demnach als ihrer Umwelt gegenüber abgeschlossene Systeme, die einen mehr oder weniger disziplinierenden Charakter aufweisen. Innerhalb der physisch raumbegrenzenden und symbolisch aufgeladenen „Begrenzungsmauern“ bilden sich eigene Normkonzepte zur Regulierung des Zusammenlebens, soziale Praktiken und medikale Kulturen aus. „So gesehen ähneln Anstalten vom Raummodell her Behältern oder Containern“2, verbildlichten Hänel/Unterkircher die Funktion medikaler Räume, die 1

Zu den Konzepten des spatial turns, siehe vertiefend: Bachmann-Medick Doris, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek 2006. Günzel Stephan (Hg.), Raumwissenschaften, Frankfurt a. M. 2009. Günzel Stephan (Hg.), Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart/Weimar 2010. Löw Martina, Raumsoziologie, Frankfurt a. M. 2001. Schroer Markus, Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums, Frankfurt a. M 2006.

2

Hänel Dagmar/Unterkircher Alois, Die Verräumlichung des Medikalen. Zur Einführung in den Band, in: Eschenbruch Nicholas/Hänel Dagmar/Unterkircher Alois (Hg.), Medikale Räume. Zur Interdependenz von Raum, Körper, Krankheit und Gesundheit, Bielefeld 2010, 7-20, hier 11. Vgl. zur modernen Medikalkulturforschung: Unterkircher Alois, „Medikale Kultur“ – zur Geschichte eines Begriffes und zur Einführung in diesen Band, in: bricolage. Innsbrucker Zeitschrift für Europäische Ethnologie 5 (2008), 7-23.

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sich eben durch ihr straffes, an medizinischen Grundsätzen orientiertes Regelwerk deutlich von der Außenwelt abheben. Dabei wurden insbesondere psychiatrische Anstalten als Beispiel für die „Verräumlichung des Medikalen“ herangezogen, denn die ihnen gemeinsamen Konzeptionen von psychischer Gesundheit und Krankheit, von Therapie, Organisation und Verwaltung lassen eine nahezu einheitliche Institutionen-Infrastruktur entstehen. Doch auch Krankenhäuser, Sanatorien und auch Gebär- und Findelhäuser können, laut Hänel/Unterkircher, im Sinne des medikalen Raumes verstanden werden.3 Gerade am Beispiel der institutionalisierten Entbindungshäuser kann die Verräumlichung medizinischer Konzepte, aber auch sozial-wohltätiger, sozial-präventiver und sozial-disziplinierender Elemente nachvollzogen werden. Ohne die Professionalisierungsbestrebungen der geburtshilflichen Wissenschaft und die gleichzeitig vorangetriebene Medikalisierung von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett, wäre die Konstituierung eines solchen Raumes und somit die monarchieweite Einrichtung von Gebärhäusern nicht denkbar gewesen. Die hier untersuchte Gebäranstalt war ein medikaler Raum, der in sich weitere kleine Räume ausbildete. Im Folgenden wird, einerseits den einzelnen „Bestandteilen“ der Raumkonstruktion, dem Personal sowie den Patientinnen, Aufmerksamkeit geschenkt und ihre Einbettung in das räumliche System des Gebärhauses aufgezeigt, andererseits das (Er-)Leben der Individuen in den einzelnen Mikrokosmen – dem Aufnahmezimmer, der Schwangerenabteilung, dem Kreißsaal, dem Operationssaal oder der Wöchnerinnenabteilung – rekonstruiert.4

3

Hänel/Unterkircher, Räume, 7-13.

4

Äußerst interessant wäre in diesem Zusammenhang die Analyse der Aneignungsstrategien des Raumes durch die Patientinnen, wie diese von Monika Ankele für die Patientinnen einer psychiatrischen Anstalt aufgezeigt wurden. Auf Grund des nur temporären Aufenthaltes der Patientinnen im Gebärhaus und der mangelnden Quellenüberlieferung war eine solche Annäherung an einen medikal beeinflussten Sub-Raum allerdings nicht möglich. Vgl. Ankele Monika, Am Ort des Anderen. Raumaneignung von Frauen in Psychiatrien um 1900, in: Eschenbruch Nicholas/Hänel Dagmar/Unterkircher Alois (Hg.), Medikale Räume. Zur Interdependenz von Raum, Körper, Krankheit und Gesundheit, Bielefeld 2010, 43-63.

D ER M IKROKOSMOS G EBÄRHAUS – MEDIKALE L EBENSWELTEN

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1. D AS ( MEDIZINISCHE ) P ERSONAL – O RGANISATOREN DES MEDIKALEN R AUMES Bis zu Etablierung der Landesgebär- und Findelanstalt, als eigenständige Institution im Jahre 1870, war das Innsbrucker Gebärhaus stets in die übergeordnete Institution des städtischen Bürgerspitals eingebunden gewesen und hatte deren personelle Ressourcen genutzt. Dabei waren sämtliche administrativen Aufgaben von der städtischen Spitalsverwaltung, die pflegerische Verantwortung von weltlichen WärterInnen bzw. später vom Pflegeorden der Barmherzigen Schwestern übernommen worden. Die ärztliche Leitung der Gebäranstalt oblag dem geburtshilflichen Primarius, der zugleich die Funktion eines k. k. Professors für Geburtshilfe am medizinisch-chirurgischen Lyzeum innehatte. Für die seelsorgerische Betreuung der Frauen im Gebärhaus zeichnete der Spitalskaplan verantwortlich.5 Mit der Eröffnung der Landesgebär- und Findelanstalt in Innsbruck wurde ein unabhängiges System implementiert, das sich in vier wesentliche Kernbereiche gliederte. Dazu gehörte neben dem medizinischen Kompetenzbereich, der Pflege und dem Verwaltungsapparat auch die institutseigene Seelsorge. Die vier Kernbereiche standen teilweise in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander und waren in eine hierarchische Struktur eingebunden, über welche ein vom Land Tirol eingesetzter Direktor, respektive Inspektor, die Kontrollgewalt ausübte. Dem ärztlichen Personal stand ein Primararzt vor, welcher – wie bereits zuvor am Lyzeum – zugleich Ordinarius für Geburtshilfe, später auch Gynäkologie, an der wiedereröffneten, medizinischen Fakultät war. Untergeordnet waren ihm ein oder mehrere Assistenz- oder Sekundarärzte, die Ober- sowie die Unterhebamme und die geistlichen Pflegerinnen aus dem Orden der Barmherzigen Schwestern. Der administrative Bereich bestand aus einem Anstaltsverwalter, dem ein Kontrollor6, zwei Verwaltungsbeamte (Diurnisten) und ein Amts- bzw. Hausdiener

5

Vgl. Honstetter, Beschreibung, 20-21, 55 und 75.

6

Die Schließung des Findelhauses (1881) brachte auch personelles Einsparungspotenzial mit sich. Die Stelle eines Kontrollors wurde deshalb mit dem neuen Anstaltsstatut von 1881 ersatzlos gestrichen und blieb lediglich bis April 1881 besetzt. Vgl. Stenographische Berichte des Landtages der gefürsteten Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 11. Sitzung der 3. Session am 3. Juli 1880, 209. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1881, Innsbruck 1882, 121.

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zur Seite gestellt waren. Die Tätigkeiten im seelsorgerischen Bereich wurden von einem in der Anstalt lebenden Kaplan abgedeckt. 7 Das Personal der Landesgebär- und Findelanstalt setzte sich aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen und Professionen zusammen, die erst in ihrer Gesamtheit die Einrichtung des Systems „Gebärhaus“ ermöglichten. Trotz der Diversität der Aufgabenbereiche kann eine Gemeinsamkeit des GebärhausPersonals hervorgehoben werden: Die Beherrschung der beiden Tiroler Landessprachen, des Deutschen und des Italienischen, wurde den einzelnen Personen bei ihrer Anstellung zur Bedingung gemacht. So waren beispielsweise die Verträge mit dem Portier und dem Amtsdiener aus Alle Laste bei der Übersiedelung nach Innsbruck gekündigt worden, da beide Männer der deutschen Sprache nicht mächtig waren.8 Auch auf den höheren Hierarchieebenen wurde die Kenntnis der beiden Landessprachen zu einer essenziellen Dienstanforderung erhoben. Diese resultierte, etwa beim Professor und Primararzt der Anstalt, nicht allein aus dem intensivierten Kontakt mit italienischsprachigen Patientinnen, sondern ebenso aus der Verpflichtung den Trentiner Hebammenkandidatinnen Unterricht in ihrer Muttersprache zu erteilen. Zwar akzeptierte der Landesausschuss 1877, mit Ludwig Kleinwächter, einen Primarius, der bislang der italienischen Sprache nicht mächtig war, machte es ihm allerdings zur Bedingung, diese innerhalb eines Jahres zu erlernen. Bereits im Folgejahr wusste der Landesausschuss zu berichten, dass „der neuernannte Professor Dr. Kleinwächter [...] jetzt die italienische Sprache so weit erlernt [habe], dass er den Unterricht an italienische Hebammen ganz gut ertheilen könne.“9

7

Vgl. Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der IV. Landtagsperiode, 5. Sitzung der 3. Session am 13. Dezember 1873, 63.

8

Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1870, Zl. 309, 7701.

9

In der Zwischenzeit hatte der zweisprachige Sekundararzt Franz Innerhofer die Hebammen in italienischer Sprache unterrichtet. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtwirksamkeit während des Jahres 1878, Innsbruck 1879, 87. Insgesamt fällt auf, dass seit 1870 etliche Sekundarärzte aus dem italienischsprachigen Trentino stammten und aufgrund ihrer Studien in Innsbruck nachweislich beide Sprachen beherrschten. Zu nennen sind dabei u.a. Elias Sartori aus Ospedaletto, Valentino Bazzanella aus Piscine-Sover oder Balthasar Zanotti aus Mori. Vgl. zu den Biographien: Goller Peter, Die Matrikel der Universität Innsbruck. Abteilung: Medizinische Fakultät, Bd. 1: 1869-1900, Innsbruck 1995, 77-231.

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Graph. 2: Personalstruktur in der Landesgebärklinik Innsbruck nach 1881

Direktor/Inspektor

Kaplan

Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie/ Primarius

Oberhebamme

Sekundararzt

Unterhebamme

Hebammenschülerinnen

Verwalter

Oberin

Beamte

Barmherzige

Amts- und Hausdiener

Schwestern

Studenten

weltliche Mägde

Quelle: Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol, 5. Sitzung der 3. Session der IV. Landtagsperiode am 13. Dezember 1873, 63. TLMF, Rechenschafts-Bericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1875, Innsbruck 1876, 115. TLMF, Rechenschafts-Bericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1881, Innsbruck 1882, 121.

Die eigentliche medizinisch-geburtshilfliche Betreuung der Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen sowie der neugeborenen Kinder erfolgte in der Innsbrucker Gebäranstalt durch ein Team geburtshilflicher ProfessionistInnen. An

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der Spitze des ärztlichen Personals stand – lässt man die Funktion des Direktors vor 1881 außer Acht – ein Primararzt. Ihm unterstand einerseits ein Sekundararzt, der eine zeitlich begrenzte, geburtshilfliche Fachausbildung in der Anstalt genoss. Andererseits waren auch die Gebärhaushebammen vitaler Bestandteil der anstaltsinternen geburtshilflichen ExpertInnengemeinschaft. Welche Arbeitsfelder die einzelnen medizinischen Berufsgruppen in der Praxis abzudecken hatten, soll in der Folge ebenso geklärt werden, wie die Frage nach ihrer lebensweltlichen Einbindung in den Gebärhausalltag. 1.1 Der Direktor/Inspektor Die formale Leitung der Landesgebär- und Findelanstalt wurde 1870 einem eigens bestellten Direktor überantwortet. Das Statut von 1874 definierte den weitläufigen Aufgabenbereich des Anstaltsdirektors mit der Formulierung: Er „vertritt die Anstalt nach außen und leitet dieselbe unmittelbar.“10 Die Repräsentanz nach außen bestand in erster Linie in der Kommunikation mit dem Landesausschuss, welchem der Anstaltsdirektor unmittelbar weisungsgebunden war. Ferner spielte aber auch die Kooperation mit anderen politischen Behörden im In- und Ausland eine gewichtige Rolle. Die Leitung nach innen manifestierte sich einerseits an der Kontrollgewalt, die der Direktor über das im Gebärhaus praktizierte, medizinisch-geburtshilfliche Behandlungsrepertoire ausübte. Andererseits kontrollierte er auch sämtliche administrativen und personellen Vorgänge in seiner Anstalt und besaß nicht nur die uneingeschränkte Disziplinierungsgewalt über das ihm unterstellte Personal, sondern auch über die ihm anvertraute PatientInnenschaft. Die jeweilige Person des Direktors wurde vom Landesausschuss gewählt, musste jedoch auch von der Regierung in Wien bestätigt werden. Denn obwohl die Gebär- und Findelanstalt zur Landesinstitution geworden war, behielt die Staatsverwaltung weiterhin die Oberaufsicht über die geburtshilfliche Einrichtung.11 Im Gegensatz zu anderen Sanitätseinrichtungen, wie etwa der „Landesirrenanstalt“ in Hall in Tirol, war der Direktor des Gebärhauses jedoch nicht gleichzeitig zum Primararzt der Anstalt bestellt worden.12 Warum das Land Tirol gerade bei der Gebär- und Findelanstalt auf dieser abweichenden Ordnung bestand, ist nicht nachvollziehbar. Doch schon bald sollte sich Widerstand gegen dieses 10 Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der IV. Landtagsperiode, 5. Sitzung der 3. Session am 13. Dezember 1873, 63. 11 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der IV. Landtagsperiode, 5. Sitzung der 3. Session am 13. Dezember 1873, 63. 12 Vgl. Grießenböck, „Landesirrenanstalt“, 55-57.

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Ordnungsprinzip regen, das auf einer systematischen Abwertung der Kompetenzen des Primararztes basierte. So beklagte sich etwa Primarius Dr. Ludwig Kleinwächter über die unklare Kompetenzverteilung, indem er „nicht wisse, an wen er sich eigentlich in Anstaltsangelegenheiten mit seinen Anliegen wenden solle, nachdem er den Herrn Direktor der Anstalt sehr selten in den Anstaltsräumlichkeiten sehe.“13 Damit wurde ein weiteres kennzeichnendes Merkmal der Direktorenschaft im Gebärhaus angeschnitten, denn die einzelnen Führungspersönlichkeiten waren nicht verpflichtet, in der Anstalt zu leben. Es fehlte zudem eine klare Arbeitszeitregelung für die Führungsspitze und so konnten die vornehmlich bürokratischen Verpflichtungen, nach Bedarf, äußerst flexibel gehandhabt werden. Der zweite Direktor der Anstalt, Ignaz von Laschan, hatte dem Landesausschuss dementsprechend zur Bedingung gemacht, selbst über seine Anwesenheit in der Anstalt zu entscheiden und sich nicht auf fixe Dienstzeiten festlegen zu wollen.14 Die Stelle des Direktors wurde zunächst mit Honoratioren, mit verdienten und erfahrenen Medizinern besetzt. Für diese dürfte die Ernennung zum Direktor der Gebär- und Findelanstalt eine Würdigung ihrer bisherigen Verdienste dargestellt haben. Die Direktorenschaft war eine ehrenvolle Nebentätigkeit, die den Amtsinhabern mit einem jährlichen Gehalt von 200 Gulden entlohnt wurde.15 Erster Direktor war Dr. Josef Plaseller (1812-1877), der auf eine Karriere als k. k. Bezirksarzt in Innsbruck, Mitglied und stellvertretender Vorsitzender der Landesmedizinalkommission Tirols und, seit 1857, Direktor des Allgemeinen Krankenhauses in Innsbruck zurückblickte. Plaseller vereinte damit in seiner Person die Position des Krankenhausdirektors sowie des Leiters der im Krankenhaus situierten Gebär- und Findelanstalt. Obwohl Josef Plaseller neben der Augenheilkunde auch die Geburtshilfe zu seinen Fachbereichen zählte,16 dürfte sich seine Intervention in medizinischen Belangen in Grenzen gehalten haben. Anders hingegen bei seinem Nachfolger Ignatz von Laschan zu Solstein (18021888), der unmittelbar nach Plasellers Tod im Jahre 1877 zum zweiten Direktor der Landesgebär- und Findelanstalt berufen wurde.17 Mit ihm gelangte erneut ein ausgewiesener, sanitätspolitischer und geburtshilflicher Experte in die Position 13 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 13082. 14 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 13082. Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1878, Sanität Zl. 15029. 15 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1877, Innsbruck 1878, 50. 16 Vgl. Biographie Josef Plaseller, in: ÖBL, Bd. 8, Wien 1983, 117-118. 17 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1877, Innsbruck 1878, 50.

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des Gebärhausdirektors. Laschan hatte im Laufe seiner Karriere bereits etliche respektable, öffentliche Positionen innegehabt, wobei die ärztliche Leitung der Gebär- und Findelanstalt Alle Laste bei Trient sowie seine Tätigkeit als Professor für Geburtshilfe an der medizinisch-chirurgischen Studienanstalt in Laibach,18 ihn einschlägig für den Posten des Direktors an der Tiroler Landesgebärklinik qualifizierten. Zudem war Laschan bereits in leitender Funktion als Direktor des medizinisch-chirurgischen Studiums in Innsbruck, als Kreismedizinalrat, Statthaltereirat und Landessanitätsreferent tätig gewesen.19 Trotz seines bereits fortgeschrittenen Alters übte der 75-jährige seine Kontrollfunktion in der Anstalt gewissenhaft aus. Diese brachte ihn auch unweigerlich in Kontakt mit den Patientinnen, denen er unter anderem in regelmäßigen Abständen die Hausordnung näher zu bringen hatte. Darüber hinaus besuchte er mehrmals wöchentlich die Schwangerenabteilung und vergewisserte sich, dass die Frauen mit ihrer Betreuung in der Anstalt zufrieden waren. Der Direktor schien bei den Patientinnen großes Vertrauen zu genießen und so entschlossen sich um den Jahreswechsel 1878/79 gleich mehrere Frauen, sich auf Grund der umstrittenen Methoden Professor Ludwig Kleinwächters, schriftlich und mündlich, an den Direktor zu wenden. Die Klagen der ledigen Frauen wurden gehört und Laschan leitete eine kommissionelle Untersuchung gegen den Primararzt der Anstalt ein. Dabei ging es auch um die seit dessen Dienstantritt gehäuft vorkommenden Frühgeburten und Erkrankungen der Mütter im Kindbett.20 Obwohl Ignaz von Laschan an einer diplomatischen Lösung des Konfliktes interessiert zu sein schien, lässt sich aus seinem Agieren doch eine klare Linie erkennen. Als Direktor der Anstalt war er für deren positive Außenwirkung verantwortlich und konnte im Sinne der Wahrung des allgemein guten Rufes der Tiroler Landeseinrichtung keinerlei 18 Vgl. Westhoff, Medicina, 136-137. Vgl. Biographie Ignaz von Laschan zu Solstein, in: ÖBL, Bd. 5, Wien ²1993, 30-31. 19 Vgl. Biographie Ignaz von Laschan zu Solstein, in: ÖBL, Bd. 5, Wien ²1993, 30-31. 20 Diverse Protokolle mit Schwangeren, aufgenommen am 28.12.1878 und 06.02.1879. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 13082. Sekundararzt Franz Innerhofer glaubte ebenfalls die Ursachen für die gestiegene Zahl der Frühgeburten in den Methoden des Professors zu sehen, denn es sei „in der That auffällig, daß seit Beginn des klinischen Unterrichtes sich die Zahl der Frühgeburten im Verhältniß derselben zu den Sommer(ferien)Monaten ungewöhnlich steigert, was somit auf die Untersuchungen von Seite der Herren Mediziner und auch Hebammenschülerinnen zurückzuführen ist.“ TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66.

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schlechte Presse dulden. Deshalb mussten die Ursachen für die Unzufriedenheit der Patientinnen eliminiert werden, auch wenn dies bedeutete einen durchaus renommierten Wissenschaftler nachhaltig zu demontieren.21 Mit der Einführung des neuen Statuts im Jahre 1881 wurde die uneingeschränkte Machtposition des Direktors jedoch deutlich beschnitten. Dies wurde nicht nur in der semantischen Änderung des Funktionsnamens, sondern auch auf normativer Ebene sichtbar. Fortan sollte die Anstalt nicht mehr durch einen Direktor, sondern lediglich durch einen Inspektor, mit eingeschränkten Rechten, öffentlich vertreten und überwacht werden. Die Leitungsfunktion wurde dem Inspektor dezidiert aberkannt, da „die Leitung einer Klinik einzig und allein dem Professor zusteht“22, wie im Zuge der statutenbildenden Landtagsdebatte im Jahre 1880 festgestellt worden war. Obwohl die Stelle weiterhin mit einem ausgebildeten Mediziner zu besetzen war, hatte man seine Kompetenzen im ärztlichen Bereich massiv eingeschränkt. Der Inspektor sollte sich in Zukunft nicht mehr primär in ärztliche und behandlungstechnische Belange einmischen, sondern lediglich die Einhaltung der statutarisch festgesetzten Anstaltsnormen überwachen. Das Land, konkret der Landesausschuss, behielt damit aber weiterhin die „Oberleitung der Landesgebärklinik“23 und sicherte sich in der Funktion des Inspektors ein unmittelbares Kontrollorgan vor Ort.24 Obwohl das neue Statut die Degradierung des Direktors nach sich zog, erklärte sich Ignaz von Laschan bereit, die Funktion weiterhin auszuüben25 und hatte die Position des Inspektors bis zu seinem Tod am 27. Jänner 1888 inne. An seine Stelle trat bereits im Folgemonat der praktische Arzt Dr. Franz Innerhofer, welcher einige Jahre zuvor als Sekundararzt in der Innsbrucker Gebär- und Findelanstalt tätig gewesen war. Er übte seine Verpflichtungen als Inspektor zwar, wie seine Vorgänger, ebenfalls nur als Nebentätigkeit aus, erhielt dafür aller-

21 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 8315. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 13082. Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1878, Sanität Zl. 15029. 22 Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 11. Sitzung der 3. Session am 3. Juli 1880, 240. 23 Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 11. Sitzung der 3. Session am 3. Juli 1880, 208. 24 Vgl. Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol der V. Landtagsperiode, 11. Sitzung der 3. Session am 3. Juli 1880, 208-209. 25 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1881, Innsbruck 1881, 111.

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dings eine wesentlich höhere Jahresgage von 500 Gulden.26 Innerhofer dürfte die Position des Inspektors bis zu seiner Pensionierung in den Jahren 1897/98 bekleidet haben.27 Ähnliche Konflikte mit dem Primarius sind aus seiner Dienstperiode nicht überliefert, obwohl auch Dr. Friedrich Schauta die eigentümliche, hierarchische Struktur der Tiroler Landesgebärklinik thematisierte. In einem Bericht an das Unterrichtsministerium bemängelte er die Tatsache, dass „der Professor der Geburtshilfe in Innsbruck [...] ja faktisch nicht Vorstand der Klinik [ist]. In allen ärztlichen und administrativen Fragen untersteht der Professor […] dem von der Landesbehörde eingesetzten Inspektor, resp. dem Verwalter. Ohne dessen Zustimmung ist er nicht imstande, über ein Zimmer selbständig zu verfügen oder von den Verhältnissen und den Fortschritten des Faches geforderte Änderungen einzuführen. Man könnte über Mißstände, welche aus der Stellung des Professors zur Gebärklinik entstehen, Bücher schreiben.“28 Als weitere Amtsinhaber sind nach Innerhofers Pensionierung zunächst ein gewisser Dr. Knoflach zu nennen, der die Geschäfte bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte. Ihm folgte schließlich Medizinalrat Dr. Hermann Schumacher nach, welcher, neben seiner Tätigkeit als Inspektor, eine erfolgreiche Privatheilanstalt in Obladis führte. Eben diese Zweigleisigkeit brachte Schumacher 1918 in einen Interessenskonflikt, da ihm vorgeworfen wurde, sich mehr um das wirtschaftliche Überleben seines Kurzentrums zu bemühen, als sich um das Wohl der Landesgebärklinik zu kümmern. In der durch die Kriegsgeschehnisse angespannten Versorgungslage schien nämlich der Erhalt des Kurzentrums in Obladis nie gefährdet zu sein, wohingegen die Gebäranstalt stark unter der Mangelversorgung zu leiden hatte.29 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Machtbefugnisse des Direktors, respektive Inspektors, sich im Laufe der Zeit bedeutend verringerten, während seine Funktion als Schnittstelle zwischen der Anstalt und der Außenwelt, insbesondere den diversen regionalen und landespolitischen Entscheidungsträgern, immer mehr an Bedeutung gewann.

26 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1888, Innsbruck 1889, 118. 27 Vgl. Biographie Franz Innerhofer, in: ÖBL, Bd. 3, Wien ²1993, 35. 28 Huter Franz, Hundert Jahre Medizinische Fakultät Innsbruck 1869 bis 1969, Teil 2: Geschichte der Lehrkanzeln, Institute und Kliniken, Innsbruck 1969, 355. 29 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Tiroler Landesausschuss 1918, VII 1180/1, Zl. 935.

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1.2 Der Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie/Primarius Der Primararzt der Innsbrucker Gebäranstalt hatte seit 1818 stets gleichzeitig den Posten eines Professors der theoretischen und praktischen Geburtshilfe am medizinisch-chirurgischen Lyzeum, später an der medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck, in Personalunion zu besetzen. Dies war zunächst eine personelle Zweckgemeinschaft, denn die Funktion als Primararzt legitimierte sich allein aus der Verpflichtung, Hebammenschülerinnen und Studenten auch praktisch im geburtshilflichen Fach zu unterrichten. Die Professoren an den neu eingerichteten klinischen Abteilungen des Innsbrucker Stadtspitals erhielten für ihre Tätigkeit als Primarärzte der jeweiligen Kliniken aber keinerlei zusätzliche Gratifikationen von Seiten des Spitalsfonds, sondern mussten allein von ihrem Professorengehalt leben.30 Im Gegensatz zu den Professoren der Chirurgie und Inneren Medizin, die jeweils ein Jahresgehalt von 800 Gulden erhielten, kam dem Professor für Geburtshilfe zunächst nur ein Fixgehalt von 600 Gulden zu. Durch eine Remuneration von 200 Gulden, die dem Professor bis zur Eröffnung der Hebammenschule in Trient im Jahre 1833 für die Erteilung des Hebammenunterrichts in italienischer Sprache ausbezahlt wurde, konnte das Ungleichgewicht zwischen den einzelnen medizinischen Fächern ausgeglichen werden.31 Von seinem Gehalt musste sich der Professor für Geburtshilfe eine Wohnung in der Landeshauptstadt finanzieren, denn laut Instruktion war er dazu verpflichtet, dem Ruf der Spitals- sowie der städtischen Hebammen zu „jeder lehrreichen Geburt“32 unverzüglich Folge zu leisten. Ein Anrecht auf eine eigene Dienstwohnung innerhalb des Spitalsgebäudes wurde dem Professor von Seiten der Stadt jedoch nicht eingeräumt, obwohl aus Wien verlautbart wurde, dass die Bereitstellung von angemessenen Unterkünften „wünschenswerth und selbst dem Dienste zusagend“33 sei. Die Tatsache, dass der Professor sich außerhalb der Anstalt ein Quartier zu suchen hatte, wurde sogar in der Dienstinstruktion ausdrücklich festgehalten. Darin wurde vorgeschrieben, dass der Professor nur in kritischen und lange andauernden Geburtsfällen in der Anstalt übernachten solle bzw. dürfe.34 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Arbeitsfeld des geburtshilflichen Primararztes und Professors ganz eindeutig von den edukativen Tätigkeiten dominiert. In jedem Studienjahr war er zur Abhaltung von zwei Kursen 30 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1818, Sanität Zl. 14740, 19823. 31 Vgl. Probst, Geschichte, 317. 32 UAI, Med. 1831-1833, Karton 8, Zl. 21/11. 33 TLA, Jüngeres Gubernium 1818, Sanität Zl. 14740, 19823. 34 Vgl. UAI, Med. 1831-1833, Karton 8, Zl. 21/11.

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für Hebammenschülerinnen und Studenten verpflichtet und musste, neben den täglich, außer an den Wochenenden, stattfindenden theoretischen Vorlesungen, auch die praktische Geburtshilfe lehren. Dazu zählten die regelmäßig stattfindenden Untersuchungsübungen ebenso wie die konkreten Geburtsfälle in der stationären, klinischen Abteilung und dem Poliklinikum. War eine Patientin verstorben, so musste der Professor den Leichnam zu anatomischen Lehrzwecken obduzieren. Wie viel Zeit der Primarius effektiv in der Gebärabteilung verbrachte, ist nicht dokumentiert, doch das Ausmaß des Patientinnenkontaktes war anfänglich starken Schwankungen unterworfen. Erst ab der Jahrhundertmitte, sicher jedoch ab der Filialerhebung im Jahre 1858, dürften sich seine Dienstzeiten in der Anstalt mit den rapide ansteigenden Verpflegtenzahlen deutlich intensiviert haben. Abseits der geburtshilflichen Betreuung übte der Primarius in der Gebäranstalt zusätzlich eine Kontrollfunktion über das Personal aus.35 Während die Position des Professors eine dreimonatige Ferienzeit (Februar, Juli, August) inkludierte, wurden ihm als Primarius keine Urlaubszeiten gewährt. Er hatte ganzjährig, ohne Unterbrechungen, seinen Dienst in der Gebäranstalt zu versehen.36 1818 hatte man zwar angedacht, den Primarius für seinen Einsatz in der vorlesungsfreien Zeit extra zu entlohnen,37 doch noch im Jahre 1842 beklagte sich Dr. Fabian Ullrich über die schlechte Bezahlung der Doppelfunktion mit lediglich 600 Gulden, die zudem keinerlei Möglichkeit zu lukrativen Nebenverdiensten lasse. Dies war seines Wissens nach allerdings „bei keinem der übrigen Professoren desselben Faches an allen anderen Lehranstalten des österreichischen Kaiserstaates der Fall“38, so die Aussage Ullrichs. Sonderurlaube wurden nur in Ausnahmefällen genehmigt, etwa im Fall des scheidenden Professors, Dr. Johann Joseph Ammerer, der im August 1833 um die zeitweilige Enthebung seines Dienstes ansuchte, „hauptsächlich darum [...], um für seine und seiner Familie zukünftige Existenz möglichst zu sorgen.“39 In der Abwesenheit des Professors wurde die ärztliche Leitung der Gebäranstalt dem Sekundararzt übertragen, der gemeinsam mit der Hebamme die geburtshilfliche Betreuung der Frauen sicherte.40 Auch im Jahre 1879 kam es zu einer mehrmonatigen Übertragung der Leitungsfunktion auf den Sekundararzt, Dr. Franz Innerhofer. In der vorlesungsfreien Zeit, im Februar des Jahres, hatte 35 Vgl. UAI, Med. 1831-1833, Karton 8, Zl. 21/11. 36 Vgl. UAI, Med. 1831-1833, Karton 8, Zl. 21/11. 37 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1818, Sanität Zl. 14740, 19823. 38 TLA, Jüngeres Gubernium 1842, Sanität Zl. 30202. 39 UAI, Med. 181-1833, Karton 8, Zl. 149/11. 40 Vgl. UAI, Med. 1831-1833, Karton 8, Zl. 21/11. Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383.

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er die Leitung der Klinik während der Abwesenheit des Primarius, Dr. Ludwig Kleinwächter, kurzfristig übernehmen müssen,41 da Kleinwächter sich unerlaubt, das heißt, ohne den Landesausschuss davon in Kenntnis zu setzen, von seinem Dienstort entfernt hatte. Dies zog nicht nur eine Rüge von Seiten des Landesausschusses und der medizinischen Fakultät nach sich, auch das zuständige Ministerium für Kultus und Unterricht in Wien war über das eigenmächtige und unverantwortliche Verhalten des Professors informiert worden. Diese „plötzliche, und dem Landesausschusse nicht angezeigte Abreise des Primarius“42 stellte allerdings nur die sprichwörtliche „Spitze des Eisbergs“ an Vorwürfen gegen den seit 1877 tätigen Primarius dar. Seit Ende des Jahres 1878 hatten sich nicht nur die Klagen der Patientinnen über seine rohe und entwürdigende Untersuchungsweise gehäuft, sondern, in vereinzelten Fällen, waren auch die zuständigen Gemeindevertretungen gegen die Methoden des Professors aktiv geworden. Gebärhausinterne Konflikte mit dem Direktor, der Verwaltung, der Hebamme und dem Sekundararzt überschatteten zudem die Position Ludwig Kleinwächters als Primarius der Landesgebäranstalt.43 Der Landesausschuss sah sich auch in Bezug auf die immer prekärer werdenden, sanitären Verhältnisse, die zum Teil dem Verhalten Kleinwächters angelastet wurden, gezwungen, offiziell beim Ministerium in Wien um die Entfernung des Professors anzusuchen. Bereits im Juni des Jahres 1879 teilte die Statthalterei mit, dass „der Minister geneigt sei sobald sich entsprechende Gelegenheit hiezu bietet, dem Professor Dr. Kleinwächter eine andere Bestimmung zu geben.“44 Es sollte aber schließlich bis Ende Juli 1881 dauern, bis in der Causa Kleinwächter eine endgültige Entscheidung getroffen und somit eine Lösung der Konfliktsituation gefunden worden war. Bis dahin verrichtete Kleinwächter weiterhin, mit Unterbrechungen in den Ferienmonaten,45 seinen Dienst in der Gebäranstalt. Ab August 1881 wurden Kleinwächters Gehaltsbezüge als Primarius jedoch vom Land endgültig eingefroren. Auch das Ministerium für Kultus und Unterricht reagierte auf die Schwierigkeiten: Man enthob Kleinwächter seiner Professorenstelle und beurlaubte den umstrittenen Medizi41 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1879, Innsbruck 1880, 120. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 2203. 42 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 2203. 43 Siehe dazu ausführlicher Kapitel 3.1.3. 44 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 2203. 45 So etwa in den Sommermonaten 1879, in denen erneut Dr. Franz Innerhofer die Leitung der Anstalt übernahm. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1879, Innsbruck 1880, 120.

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ner offiziell ab dem Wintersemester 1881/82.46 Effektiv kamen diese Maßnahmen einer dauerhaften Suspendierung bzw. einer Entlassung aus dem staatlichen Dienst gleich, auch wenn das 1901 in Berlin herausgegebene Biographische Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts davon spricht, dass Kleinwächter seine leitende Position aus freien Stücken aufgegeben habe. Pagel zufolge, hatte Kleinwächter „durch klerikale Einflüsse in seiner wissenschaftlichen Thätigkeit behindert, seine Stellung auf[gegeben] und siedelte nach Czernowitz über, wo er, als Prof[essor] in Disposition, wissenschaftlich und als prakt[ischer] Gynäkologe thätig lebt. Eine Wiederanstellung konnte er, der am massgebendsten Orte als Atheist und Freigeist angeschwärzt wurde, nicht erreichen“47, so die Deutung Pagels im Jahre 1901. Kleinwächter war allerdings nicht der erste Primarius, der „unehrenhaft“ aus seinem Dienst entlassen worden war. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es zu Konflikten rund um den zwischen 1823 und 1833 tätigen Professor, Dr. Johann Joseph Ammerer, gekommen. Auch Ammerer wurden schwere Dienstverletzungen vorgeworfen: So hatte es bereits im Jahre 1828 nicht näher definierte „Beschuldigungen wegen eigennütziger Handlungen bei Untersuchungen der Schwangeren Weibspersonen“48 gegeben, die jedoch auf Grund fehlender Aktenbestände nicht mehr rekonstruiert werden können.49 1831 wurde Ammerers Umgang mit den Patientinnen als „etwas unsanft“50 bezeichnet, 1832 wurde er vom Studiendirektorat offiziell gerügt, da er einer Gebärenden, zur Steigerung der Wehentätigkeit, zu viel Wein gegeben hatte und diese in völlig betrunkenem Zustand ihr Kind gebar.51 Johann Joseph Ammerer scheint eine äußerst kontroverse Persönlichkeit gewesen zu sein und so urteilte der Spitalsverwalter rückblickend im Jahre 1838: „Sein Wirken in der Gebärabtheilung spricht außer dem Lehrfache nicht vorteilhaft für ihn.“52 Doch auch hinsichtlich seiner Funktion als Lehrperson kam es zu Klagen, denn Ammerer soll Hebam46 TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1881, Innsbruck 1882, 114. 47 Biographie Ludwig Kleinwächter, in: Pagel Julius (Hg.), Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts. Mit einer historischen Einleitung, Berlin 1901, 866. 48 TLA, Jüngeres Gubernium, Repertorium 1828. 49 In den entsprechenden Beständen findet sich unter der Signatur Jüngeres Gubernium 1828, Sanität Zl. 127 und Nachakten lediglich eine leere Aktenhülle mit dem Vermerk, dass die darin befindlichen Aktenstücke im Jahre 1856 skartiert wurden. 50 UAI, Med. 1830-1831, Karton 7, Zl. 59/11. 51 Vgl. UAI, Med. 1831-1833, Karton 8, Zl. 38/11. 52 Honstetter, Beschreibung, 38.

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menschülerinnen in seiner Privatwohnung Unterkunft gewährt haben. Dieses Naheverhältnis zu seinen Schülerinnen wurde stark kritisiert, doch schwerer, als all die bisher genannten Vergehen, wog schließlich der Alkoholmissbrauch des Professors. Ammerer war bereits einmal von seinem Dienst suspendiert worden, bevor im Dezember 1832 eine letzte Warnung seitens des verantwortlichen Studiendirektorats ausgesprochen wurde. Dieses hatte erfahren, dass Ammerer „nicht selten in der Gebärabtheilung mehr oder weniger betrunken“53 erschien. Diese wiederholten Fehltritte wurden dem Mediziner „somit ein für alle Mahl ernstlich gerügt [...], mit der gut gemeinten und wohl zu beherzigenden Warnung, daß, wenn Sie sich diesen Fehler, welcher Sie als öffentlichen Lehrer in den Augen Jedermannes, und besonders in den Augen Ihrer eigenen Schüler und Schülerinnen tief herabwürdiget, und Sie möglicher Weise selbst zu gefährlichen Mißgriffen bey Geburten verleiten kann, noch ein Mahl zu Schulden kommen lassen sollten, das Directorat die Anzeige hievon an das hohe Landesgubernium unfehlbar erstatten wird, wovon Sie sich dann die traurigen Folgen nur selbst zuzuschreiben haben werden.“54 Sein Alkoholismus wurde Ammerer schließlich zum Verhängnis und der Professor wurde deshalb in den Sommermonaten 1833, im Alter von 55 Jahren, in den Ruhestand versetzt.55 Über seinen weiteren Verbleib und seine Lebensumstände nach der Entlassung sind keinerlei Informationen überliefert.56 In Innsbruck schien man allerdings äußerst erleichtert über den endgültigen Weggang Ammerers, denn unter seiner Leitung hatte der Ruf der Gebärabteilung massiv gelitten. Der Verwalter, Franz Xaver Honstetter, sah sich sogar im Hinblick auf den Dienstantritt Professor Fabian Ullrichs, der nach Ammerer die Lehrkanzel übernahm, hingerissen „sein Erscheinen auf Profeßor Ammerer“ mit dem „Erscheinen eines Engels“ gleichzusetzen und charakterlichen Stärken wie die Freundlichkeit, den Fleiß und die fachliche Kompetenz des neuen Amtsinhabers in krassem Gegensatz zu seinem Vorgänger hervorzuheben.57 „Die Schwangeren und Wöchnerinnen überlassen sich seiner ärztlichen Behandlung mit vollem Vertrauen, und alle im Spitale Angestellten zollen ihm Achtung und Liebe“58, setzte Honstetter die Lobrede auf Professor Dr. Fabian Ullrich fort. Trotz dieser theatralischen Worte lassen sich daraus einige grundlegende Schlüsse ziehen. Der respektvolle und humane Umgang mit den Patien53 UAI, Med. 1831-1833, Karton 8, Zl. 38/11. 54 UAI, Med. 1831-1833, Karton 8, Zl. 38/11. 55 Vgl. Huter, Fakultät, 31. 56 Westhoff konnte in seiner biographischen Zusammenstellung weder den zukünftigen Wohnort Ammerers, noch sein Sterbedatum eruieren. Vgl. Westhoff, Medicina, 87-88. 57 Honstetter, Beschreibung, 38. 58 Honstetter, Beschreibung, 38.

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tinnen wurde im Innsbrucker Gebärhaus stets von allen Beteiligten gefordert. Die Lehre und später auch die wissenschaftliche Betätigung standen zwar deutlich im Vordergrund, doch durften diese übergeordneten Ziele niemals auf Kosten einer inhumanen und erniedrigenden Behandlung der Patientinnen erreicht werden. Für Ammerer und Kleinwächter stellte die Kündigung ihrer Dienstverhältnisse in Innsbruck das Ende ihrer Karrieren dar. Für andere Professoren der Geburtshilfe war das Engagement in der Tiroler Provinz jedoch eine Art Karrieresprungbrett: Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Hinterberger sowie Ullrich, an das k. k. Lyzeum in Linz berufen.59 Hinterberger stammte selbst aus Oberösterreich und hatte wohl deshalb um seine Versetzung in die Heimat angesucht.60 Professor Fabian Ullrich hatte seinerseits bereits im Jahre 1842 seine Versetzung nach Wien beantragt. Der Dienst in Tirol schien aus vielerlei Beweggründen nicht gerade attraktiv: Zum einen nannte Ullrich die schlechte Entlohnung, die unentgeltliche Bekleidung einer arbeitsreichen Doppelfunktion, als Professor und Primarius sowie die ungünstigen, klimatischen Verhältnisse im Land. Ihm zufolge hatte die Gesundheit seiner Ehefrau „während der Dauer seiner Anstellung in Innsbruck so bedeutend gelitten, daß er oft Ursache hatte um ihr Leben besorgt zu seyn, was dem Zeugniße der erfahrendsten Ärzte zu Folge, größtenteils den dort vorkommenden klimatischen Einflüßen zuzuschreiben ist.“61 Seinem Wunsch auf Versetzung in die Hauptstadt wurde 1842 zwar nicht nachgekommen, 1846 folgte er jedoch Joseph Hinterberger, als Professor der Geburtshilfe in Linz, nach.62 Auch die Professur Wilhelm Langes war zeitlich begrenzt, bereits nach drei Jahren wurde er zunächst in seine Ausbildungsstätte Prag zurückberufen, bevor er 1851 zum Ordinarius der Geburtshilfe sowie zum Direktor der Entbindungsanstalt in Heidelberg aufstieg.63 Friedrich Schauta komplettiert die Liste jener Professoren der Geburtshilfe, für die das Innsbrucker Gebärhaus nur eine Durchgangsstation war. Er erhielt nach nur wenigen Jahren in Tirol – in denen er, ab 1881, zunächst als Privatdozent, seit 1884 als Ordinarius der Geburtshilfe, tätig war –, den Ruf an eine der renommiertesten Universitäten der Monarchie. Im Jahre 1887 wurde er zunächst zum 59 Honstetter berichtet, dass Hinterberger 1821 den Ruf nach Salzburg erhielt, ob er diese Stelle je antrat, ist nicht belegt. 1822 wird er nämlich bereits als Professor der Geburtshilfe in Linz genannt. Vgl. Honstetter, Beschreibung, 38. Vgl. Medicinische Jahrbücher des kaiserlich-königlichen österreichischen Staates, Band 1, Wien 1822, 14. 60 Vgl. Westhoff, Medicina, 102-103. 61 TLA, Jüngeres Gubernium 1842, Sanität Zl. 30202. 62 Vgl. Westhoff, Medicina, 186. 63 Vgl. Westhoff, Medicina, 133-134.

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Nachfolger August Breiskys in Prag bestellt, wenig später, im Jahre 1891 schließlich zum Vorstand der I. geburtshilflichen Klinik in Wien.64 Nur zwei der insgesamt zehn Professoren und Primarii konnten dauerhaft an der Innsbrucker Gebärklinik gehalten werden. Der aus Südtirol stammende Virgil von Mayrhofen versah über 26 Jahre hinweg seinen Dienst in Innsbruck, Emil Ehrendorfer stand der Gebärklinik insgesamt 27 Jahre als Primarius vor. Professor Paul Mathes, der das Amt seit 1915 bekleidet hatte, schied im Jahre 1922 freiwillig aus dem Leben. Seit Jahren hatte der Arzt an Depressionen gelitten und schließlich saß „das Leiden […] zu tief. Seine geliebten Berge konnten Mathes die Heilung nicht bringen. Nun sehen sie herab auf seinen Grabhügel, die letzte Ruhestätte eines erfolgreichen Forschers und geliebten Lehrers, eines offenen und aufrechten Mannes“65, resümierte der Assistenzarzt Oscar Nebesky in seinem Nachruf. Auf Mathes Nachfolge bewarben sich etliche ausländische Mediziner, darunter Heinrich Eymer aus Heidelberg, welcher im Juni 1924 den Ruf nach Innsbruck erhielt. Seiner Bestellung waren jedoch langwierige Verhandlungen mit dem Ministerium vorausgegangen, welches sich lange geweigert hatte, einen Ausländer zum Ordinarius einer österreichischen Universität zu ernennen.66 Denn vor dem Zerfall des Vielvölkerstaates hatte man schließlich nie einen Mangel an qualifizierten, inländischen Medizinern verspürt. Alle bisher in Innsbruck tätigen Professoren hatten ihre Ausbildung in den österreichischen Universitätszentren in Wien oder Prag genossen, lediglich Johann Joseph Ammer konnte auf ein Studium in Innsbruck verweisen.67 So wenig attraktiv der Standort Innsbruck für viele der hier genannten Ärzte auch gewesen sein mag, so bedeutete die Berufung nach Innsbruck doch für alle eine massive Aufwertung, denn schließlich bekleideten sämtliche genannten Mediziner in Innsbruck ihre erste Stelle als Ordinarii ihrer Fachrichtung. Im Hinblick auf die wissenschaftliche Forschungstätigkeit stand die Innsbrucker Gebäranstalt zunächst ganz eindeutig in der lyzealen Tradition. Dies bedeutete, dass die geburtshilfliche Forschung ausschließlich an der Universität stattfinden und sich die Lyzeen auf die praktische Ausbildung des wundärztlichen Nachwuchses sowie auf den Unterricht der Hebammen konzentrieren sollten.68

64 Vgl. Huter, Fakultät (2), 356. 65 Nebesky Oscar, Nachruf Paul Mathes, in: Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie 64 (1923), 243-245, hier 245. 66 Vgl. Huter, Fakultät (2), 359. 67 Vgl. Westhoff, Medicina, 87. 68 Vgl. Huter, Fakultät, 6-8.

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Tab. 7: Professoren der Geburtshilfe/Primarii in Innsbruck (1818-1924) Dienstzeit in Innsbruck

Name des Professors für Geburtshilfe (und Gynäkologie)

Ausbildungsund Studienorte

folgender Dienstort

1818-1822

Hinterberger Joseph (1795-1844)

Wien

Linz

1823-1833

Ammerer Johann Joseph (1778-?)

Innsbruck

?

1835-1846

Ullrich Fabian (1801-1868)

Wien

Linz

1847-1850

Lange Wilhelm (1813-1881)

Prag

Prag

1851-1877

Mayrhofen Virgil, von (1815-1877)

Wien



1877-1881

Kleinwächter Ludwig (1839-1906)

Prag

(Czernowitz)

1884-1887

Schauta Friedrich (1849-1919)

Wien/Innsbruck/ Würzburg

Prag

1887-1914

Ehrendorfer Emil (1853-1945)

Wien

-

1915-1923

Mathes Paul (1871-1923)

Wien/ Greifswald



1924

Eymer Heinrich (1883-1965)

Heidelberg

Heidelberg

Quelle: Westhoff Manfred, Medicina Oenipontana: Chirurgicum Lycei 1816-1869 [Diss. tech.], München 1978, 87-88, 101-106, 133-135, 146-149, 186. Huter Franz, Hundert Jahre Medizinische Fakultät Innsbruck 1869 bis 1969. Teil 2: Geschichte der Lehrkanzeln, Institute und Kliniken, Innsbruck 1969, 353-360.

Aus der Lyzealzeit sind deshalb kaum Publikationen aus Innsbruck erhalten, die auf wissenschaftliche Tätigkeiten hinweisen würden. Im Gegensatz zur Gebärund Findelanstalt in Alle Laste bei Trient, wo bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Studien zum Chloroformgebrauch69 bei geburtshilflichen Indikatio69 Vgl. Esterle Carlo/Pastorello Luigi, Studi Sul Cloroformi, in: Gazzetta Medico Chirurgica del Trentino (1851/52), 73-91; zitiert nach: Prommegger, Gebär- und Findelanstalt, 70. Vgl. Braun C., Übersicht der klinischen Ergebnisse des k.u.k. Gebär- und

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nen durchgeführt und wissenschaftlich evaluiert wurden, ist über derartige Versuchsreihen in Innsbruck nichts bekannt. Auch das medizinische Berichtswesen, das für die Anstalt Alle Laste durch diverse Publikationen nachvollziehbar wird, wurde an der Innsbrucker Gebäranstalt nahezu vollständig vernachlässigt.70 Fabian Ullrich tat sich, als einziger Professor, mit einer Publikation über die klinischen Ergebnisse des Studienjahres 1835/36 hervor.71 Der klinische Bericht in der Medizinisch-chirurgischen Zeitung fällt in die unmittelbare Dienstantrittszeit des neuen Professors, weshalb es plausibel erscheint, dass der aus Wien in die Provinz wechselnde Arzt beabsichtigte, seine wissenschaftliche Tätigkeit im Geiste seiner universitären Ausbildungsstätte fortzuführen. Welche Gründe schließlich gegen die Fortführung der Publikationstätigkeit sprachen, kann aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollzogen werden. Mögliche Ursachen könnten allerdings in der dienstlichen Überforderung des Professors oder in der vom Studiendirektorat gewünschten, ausschließlichen Fokussierung auf den Aufgabenbereich der Lehre gesehen werden. Die Betonung der Lehre spiegelt sich auch an der Tatsache wider, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts mehrere Hebammenlehrbücher in Innsbruck verfasst wurden. Das erste dieser Werke wurde 1817 von Anton Robatscher, der das Fach der Geburtshilfe von 1816 bis 1818 am neu errichteten Lyzeum supplierte, veröffentlicht.72 Sein Lehrwerk mit dem programmatischen Titel Unterricht für Hebammen dürfte allerdings nur wenig Anerkennung gefunden haben, denn zu Findelhauses in Trient, Würzburg 1855. Vgl. Esterle Carlo, Rapporto Clinico sull’andamento sanitario dell’I.R. Instituto delle Partorienti e degli Esposti alle Laste presso Trento nell’ anno scolastico 1856-1857, in: Annali Universali di Medicina 163 (1858), 546-550. 70 Vgl. Laschan Ignaz, Uebersicht der an der k.k. Gebär-, Findel- und Hebammenunterrichts-Anstalt alle Laste bey Trient im Solarjahre 1834 Statt gehabten Ereignisse, in: Medicinisch-chirurgische Zeitung 66 (1835), 207-208; Fortsetzung in 66 (1835), 223224. Laschan Ignaz, Uebersicht der im Schuljahre 1834/35, d.i. vom 1. October 1834 bis Ende July 1835 auf der geburtshülflichen Klinik alle Laste bey Trient vorgefallenen Ereignisse, in: Medicinisch-chirurgische Zeitung 87 (1836), 141-143. Laschan Ignaz, Beschreibung einer durch regelwidrige Bildung der Gebärmutter veranlaßte merkwürdige Zwillingsgeburt, in: Medicinisch-chirurgische Zeitung 21 (1837), 333336. 71 Vgl. Ullrich Fabian, Uebersicht der Ereignisse an dem klinischen Entbindungsinstitute des Civil-Hospitals zu Innsbruck, und in der nebstbey bestehenden ambulatorischen geburtshülflichen Klinik vom 1. Oktober 1835 bis letzten July 1836, in: Medicinischchirurgische Zeitung 96 (1836), 302-304. 72 Vgl. Robatscher Anton, Unterricht für Hebammen, Innsbruck 1817.

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Beginn des 19. Jahrhunderts war die Hebammenausbildung noch streng reglementiert und orientierte sich in erster Linie an den in der Metropole Wien entwickelten Grundsätzen. Eine Verwendung von Robatschers Hebammenlehrbuch nach 1818 ist nicht überliefert.73 Größere Kontinuität wies hingegen das von Professor Virgil von Mayrhofen 1854 publizierte Lehrbuch der Geburtshülfe für Hebammen auf.74 Es wurde erst Ende der 1870er Jahre durch das vom neuen Lehrstuhlinhaber, Ludwig Kleinwächter, verfasste Lehrbuch der Hebammenkunst verdrängt.75 Dieses wurde im Jahre 1881 sogar, mit einer staatlichen Subvention von 300 Gulden, für den Gebrauch beim italienischen Lehrgang als Compendio di obstetricia in Übersetzung veröffentlicht.76 Außerdem verfasste Kleinwächter eine eigene Schrift über die Präparation und den Gebrauch von geburtshilflichen Phantomen im klinischen Unterricht.77 Neben der Veröffentlichung von Lehrwerken konzentrierte sich Kleinwächter verstärkt auf die wissenschaftliche Forschungstätigkeit. Mit ihm war es in Innsbruck nicht nur zur Einrichtung einer gynäkologischen Klinik, sondern erstmals auch zur Etablierung einer nachhaltigen Forschungstradition gekommen.78 In Innsbruck widmete er sich zunächst der Ausformulierung einer exakten medizinischen Indikation für die künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft. Neben der Weiterentwicklung der entsprechenden Operationsmethoden experimentierte Kleinwächter auch mit medikamentösen Mitteln zur künstlichen Einleitung einer Frühgeburt, welche, vor allem bei hochgradigen Beckenverengungen, lebensrettend für Mutter und Kind sein konnte. Erste Versuche hatte er dabei an der Gebärklinik Innsbruck mit dem als schweißtreibendes Mittel bekannten Pilocarpinuum muriaticum unternommen.79 Neben der geburtshilflichen 73 Vgl. Hilber, Bildungsanstalten, 148-149. 74 Vgl. Mayrhofen Virgil, Lehrbuch der Geburtshülfe für Hebammen, Innsbruck 1854. 75 Vgl. Kleinwächter Ludwig, Lehrbuch der Hebammenkunst, Innsbruck 1879. 76 Vgl. Kleinwächter Ludwig, Compendio di obstetricia ad uso delle levatrici, Innsbruck 1881. Vgl. Huter, Fakultät (2), 354. 77 Vgl. Kleinwächter Ludwig, Geburtshilfliche Phantome, Innsbruck 1878. 78 Vgl. Huter, Fakultät (2), 354. 79 Vgl. Kleinwächter Ludwig, Die künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft [Separat-Abdruck aus der „Wiener Klinik“], Wien 1879. Die Publikation basiert auf einem Vortrag, den Kleinwächter in der 10. Sitzung des naturwissenschaftlichmedizinischen Vereins in Innsbruck am 19. Juni 1878 gehalten hatte. Vgl. Berichte des naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines in Innsbruck, 8 (1877), IX. Vgl. Kleinwächter Ludwig, Einleitung der künstlichen Frühgeburt mittels Pilocarpinum muriaticum mit raschem und glücklichem Erfolge für die Mutter wegen bestehender Beckenenge bei gleichzeitig vorhandener Blasenscheidenfistel, in: Archiv für Gynä-

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Studientätigkeit beschäftigte sich Kleinwächter an der neu gegründeten gynäkologischen Klinik zusehends auch mit wissenschaftlichen Untersuchungen zu diversen Problemfeldern der Gynäkologie. Dabei unterlief dem neu bestellten Professor im Jahre 1878 jedoch ein schwerwiegender, wissenschaftlicher Fauxpas: Kleinwächter, der zu einer Konsiliartätigkeit an die Klinik für Dermatologie gerufen worden war, hatte eine junge Patientin untersucht, die unter starker Blasenbildung der Haut, unter anderem im Genitalbereich, litt. Der Professor konnte die Frau allerdings nur wenige Male untersuchen, da sich diese vehement weigerte, eine vaginale Untersuchung über sich ergehen zu lassen. Dennoch publizierte Kleinwächter die Fallgeschichte noch im Jahre 1878 unter dem Titel „Pemphigus vaginae, eine bisher noch nicht beschriebene Krankheitsform“.80 Die Publikation ohne gesicherte Diagnose wurde dem Professor schließlich zum Verhängnis, denn noch im selben Jahr konnte Professor Eduard Lang, der Vorstand der dermatologischen Klinik, seine Patientin als Simulantin überführen. Sie hatte die Blasen auf ihrer Haut durch den Einsatz von Canthariden-Pflastern (Spanische Fliege) selbst herbeigeführt.81 Eduard Lang warf seinem Kollegen daraufhin die vorschnelle Publikation der Fallgeschichte vor,82 doch dieser reagierte in keinster Weise auf sein wissenschaftliches Fehlverhalten. Die publizierten Ergebnisse wurden von Kleinwächter nie revidiert und noch Jahrzehnte später international rezipiert.83 kologie 13 (1878), 280-286. Vgl. Kleinwächter Ludwig, Asymetrisch verengtes rachitisches Becken mit einer Conjugata vera von 64 Mm., Einleitung der künstlichen Frühgeburt mittels Pilocarpinum muriaticum mit Erfolg, in: Archiv für Gynäkologie 13 (1878), 442-446. 80 Vgl. Kleinwächter Ludwig, Pemphigus vaginae, eine bisher noch nicht beschriebene Krankheitsform, in: Zentralblatt für Gynäkologie 2 (1878), 189. Ursprünglicher Erscheinungsort: Prager Medizinische Wochenschrift 6 (1878). 81 Als eine mögliche Ursache für das abnorme Verhalten der Frau gibt der Dermatologe Eduard Lang folgende Erklärung: „Unvergleichlich häufiger werden Cantharidenpräparate von arbeitsscheuen Weibern oder von hysterischen Frauenzimmern angewendet, und von letzteren theils um interessant zu erscheinen, und um die Theilnahme ihrer Uumgebuug [sic!] und der Aerzte zu erwecken, theils aber auch aus krankhafter Sucht, ihre Geschlechtsorgane in Reizungszustände zu versetzen.“ Lang Eduard, Pemphigus-Simulation, in: Berichte des naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines in Innsbruck 2 (1878), 3-10, hier 10. 82 Vgl. Lang, Pemphigus-Simulation, 5. 83 So schreibt etwa Wallace F. Grosvenor im Jahre 1898: „Kleinwächter reports one case of pemphigus vaginae.“ Grosvenor Wallace F., Phlebo-thrombotic ulcers of the vagina, in: The Journal of Pathology and Bacteriology 5 (1898), 111-119, hier 111.

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Ein weiteres wissenschaftliches Betätigungsfeld Kleinwächters war jenes der operativen Gynäkologie,84 dem sich auch sein Nachfolger, Friedrich Schauta, intensiv widmete. Schauta konzentrierte sich während seiner Innsbrucker Zeit vor allem auf seine experimentelle Tätigkeit in der geburtshilflichen Operationslehre. So publizierte er beispielsweise im Jahre 1885 ein Lehrwerk unter dem Titel Grundriss der operativen Geburtshilfe für praktische Ärzte und Studirende.85 Schauta sah es, nach eigenen Angaben, als eine unumgängliche „Pflicht der klinischen Lehrer, auf Grund ihrer Kenntnis der Spezialliteratur, sowie an der Hand eigener reicher Erfahrung die vorhandenen Lücken in der medicinischen Literatur von Zeit zu Zeit zu schließen.“86 Später konzentrierte sich der Professor vor allem auf die Weiterentwicklung und Evaluierung der gerade in den 1880er Jahren viel diskutierten, maximal-invasiven Methode des Kaiserschnitts.87 Damit befand sich Schauta am Puls der Zeit und konnte seine führende Rolle als Operateur in der österreichischen Geburtshilfe noch zusätzlich ausbauen.88 Neben seiner ausgewiesenen Stärke in der geburtshilflich-gynäkologischen Lehre ließ ihn seine intensive Publikationstätigkeit im Jahre 1887 als geeigneten und höchst qualifizierten Kandidaten für die Stelle eines Ordinarius in Prag erscheinen.89 Nach Schautas Weggang wurde die Lehrkanzel in Innsbruck mit dem in Wien ausgebildeten Geburtshelfer Emil Ehrendorfer besetzt. Dieser hatte sich an der II. Wiener Gynäkologischen Klinik unter Späth zwar ebenfalls mit der opera84 Vgl. Kleinwächter Ludwig, Ein Beitrag zur Battey-Hegar’schen Operation. Exstirpation beider Ovarien mit gleichzeitiger Myotomie, in: Archiv für Gynäkologie 16 (1880), 145-154. Vgl. Kleinwächter Ludwig, Zur Castration wegen funktionirender Ovarien bei rudimentärer Entwicklung der Müller’schen Gänge, in: Archiv für Gynäkologie 17 (1881), 475-489. 85 Vgl. Schauta Friedrich, Grundriss der operativen Geburtshilfe für praktische Ärzte und Studirende, Wien/Leipzig, 1885. 86 Schauta, Grundriss, V. 87 Vgl. Schauta Friedrich, Ein Fall von konservativem Kaiserschnitt mit günstigem Ausgang für Mutter und Kind nebst Bemerkungen über Silberdrahtnaht des Uterus, in: Wiener Medizinische Wochenschrift 2 (1886), 33-36; Fortsetzung in 3 (1886), 73-77; in 4 (1886), 101-104 und in 5 (1886), 136-140. Schauta Friedrich, Ein zweiter glücklicher Kaiserschnitt mit Silberdrahtnaht des Uterus, in: Wiener Medizinische Wochenschrift 19 (1886), 672-674; Fortsetzung in 20 (1886), 709-711. 88 Auch Schautas weitere berufliche Laufbahn sollte von der operativen Geburtshilfe dominiert sein: Vgl. Neumann Julius, Die sectio caesarea an der Klinik Schauta, in: Archiv für Gynäkologie 79 (1906), 1-157. Vgl. Biographie Friedrich Schauta, in: ÖBL, Band 10, Wien 1994, 53-54. 89 Vgl. Huter, Fakultät (2), 356.

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tiven Geburtshilfe beschäftigt,90 doch sein Hauptaugenmerk auf die Implementierung und Weiterentwicklung antiseptischer Methoden und die Prävention von Kindbetterkrankungen gelegt.91 Im September 1887 hatte ihn seine Expertise auf diesem Gebiet sogar zum International Medical Congress in die Vereinigten Staaten geführt, wo er in Washington einen Vortrag zum Thema „The Prophylaxis of Puerperal Fever“ hielt.92 Während seiner Professorenschaft in Innsbruck führte Ehrendorfer dieses Spezialgebiet fort, widmete sich aber zusehends auch anderen Aspekten der Geburtshilfe und Gynäkologie. Neben diversen Einzelpublikationen über Fehllagen des ungeborenen Kindes,93 Schwangerschaftsanomalien94 oder die Publikation von spektakulären Fallgeschichten,95 widmete sich Ehrendorfer um die Jahrhundertwende vor allem der hygienisch-korrekten Säuglings- bzw. Nabelpflege96 sowie der Behandlung von Geburtsgeschwulsten bei

90 Vgl. Ehrendorfer Emil, Zur Casuistik der Kaiserschnitt-Operationen, in: Archiv für Gynäkologie 20 (1882), 101-116. Ehrendorfer Emil, Mittheilung über zwei an Hofrath Späth’s Klinik ausgeführte Kaiserschnitt-Operationen, in: Archiv für Gynäkologie 26 (1885), 125-136. 91 Vgl. Ehrendorfer Emil, Ueber die Verwendung der Jodoformstäbchen bei der intrauterinen Nachbehandlung im Wochenbette, in: Archiv für Gynäkologie 22 (1884), 84-98. Ehrendorfer Emil, Ueber antiseptische (locale) Behandlung in der Geburtshülfe mit Berücksichtigung der Resultate der II. Wiener gynäkologischen Klinik in den Jahren 1882, 1883 und 1884, in: Archiv für Gynäkologie 27 (1886), 171-226. Ehrendorfer Emil, Leitung der Geburt und des Wochenbettes nach antiseptischem Principe, in: Klinische Zeit- und Streitfragen 2 (1888), 169-198. 92 Vgl. International Congress, in: The Journal of the American Medical Association 9/8 (1887), 252-256, hier 252. Vgl. Arrangements for the Ninth International Medical Congress, in: The British Medical Journal 1365 (1887), 478-479. 93 Vgl. Ehrendorfer Emil, Zur Kenntnis der fehlerhaften Haltung der Frucht, in: Archiv für Gynäkologie 37 (1890), 279-285. 94 Vgl. Ehrendorfer Emil, Mittheilung über einen Fall von Haematoma vulvae im Verlaufe der Schwangerschaft, in: Archiv für Gynäkologie 34 (1889), 161-163. 95 Vgl. Ehrendorfer Emil, Ein Beitrag zur traumatischen Schwangerschaftsruptur des hochgraviden Uterus mit Austritt des ganzen Eies in die Bauchhöhle, in: Archiv für Gynäkologie 86 (1908), 255-262. 96 Vgl. Ehrendorfer Emil, Ueber den gegenwärtigen Stand der Frage bezüglich der Nabelinfektion der Neugeborenen und die dringende Notwendigkeit einer allgemeinen Rücksichtnahme auf die strenge Durchführung prophylaktischer Massregeln gegen dieselbe, in: Wiener Medizinische Wochenschrift 12 (1895), 509-512; Fortsetzung in 13 (1895), 551-554.

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Neugeborenen.97 Diese Themenbereiche sollten auch die wissenschaftliche Forschungstätigkeit seiner Schüler an der Innsbrucker Gebärklinik dominieren.98 So wurde etwa im Studienjahr 1893, im Rahmen eines Preisstipendiums, die Frage nach der „Möglichkeit, bzw. den Einfluß der Infection eines Säuglings durch die Milch der puerperal erkrankten Wöchnerin“99 diskutiert. Im Studienjahr 1906/1907 stellte Ehrendorfer erneut eine Preisfrage aus dem Fach der Gynäkologie und Geburtshilfe, diesmal zur „Ätiologie des Uterusvorfalls“100. Dieses Preisstipendium ging an den Assistenzarzt der Gebärklinik, Oscar Nebesky, der sich zu diesem Thema habilitierte und seine Studie auch im renommierten Archiv für Gynäkologie veröffentlichen konnte.101 Auch die frühe gynäkologische Krebsforschung zählte zu den Forschungsgebieten, die unter Ehrendorfer initiiert und vor allem von Oscar Nebesky intensiviert wurden.102 Mit Nebesky war die letzte Phase des intensiven wissenschaftlichen Schaffens an der Landesgebärklinik angebrochen. Nebesky, der bis zu seiner Ernennung zum Professor der Hebammenlehranstalt in Salzburg, als Assistenzarzt in 97

Vgl. Ehrendorfer Emil, Zur Kenntnis des Caput succedaneum, in: Archiv für Gynä-

98

Vgl. Nebesky Oscar, Beitrag zur Kenntnis des Caput succedaneum, in: Monats-

kologie 80 (1906), 32-42. schrift für Gynäkologie und Geburtshilfe 38 (1913), 655-662. 99

Dieses Preisstipendium wurde laut Huter, vermutlich aus Mangel an geeigneten Zuschriften, nicht vergeben. Huter, Fakultät (2), 484.

100 Huter, Fakultät (2), 484. 101 Vgl. Nebesky Oscar, Die Aetiologie des Uterovaginalprolapses. Eine klinischanatomische Studie, in: Archiv für Gynäkologie 87 (1909), 497-571. Vgl. Huter, Fakultät (2), 357-358 und 485-487. 102 Vgl. Ehrendorfer Emil, Ueber das gleichzeitige Vorkommen von Myofibrom und Carcinom in der Gebärmutter, in: Archiv für Gynäkologie 42 (1892), 255-272. Ehrendorfer Emil, Ueber Krebs der weiblichen Harnröhre, in: Archiv für Gynäkologie 58 (1899), 463-491. Ehrendorfer Emil, Zur Achsendrehung des Uterus durch Geschwülste, in: Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie 9 (1899), 301-307. Ehrendorfer Emil, Beitrag zur serösen Infiltration des parauterinen Bindegewebes und deren Ausdehnung in weitere Gebiete des Cavum subserosum an der Lebenden, in: Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie 11 (1900), 803-808. Vgl. Nebesky Oscar, Kasuistischer Beitrag zur Kenntnis der Adenomyome des Uterus, in: Archiv für Gynäkologie 69 (1903), 339-354. Nebesky Oscar, Ueber das gleichzeitige Vorkommen von Sarkom und Carcinom im Uterus, in: Archiv für Gynäkologie 73 (1904), 653-668. Eine Berichtigung dazu findet sich in: Archiv für Gynäkologie 74 (1904), 259. Nebesky Oscar, Zur Kenntnis der Sarkome der weiblichen Urethra, in: Archiv für Gynäkologie 93 (1911), 539-553.

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der Innsbrucker Gebäranstalt tätig gewesen war, publizierte unter anderem eine umfangreiche Studie zur Leitung der Geburt bei Beckenverengungen,103 zur medizinisch-geburtshilflichen Vorgangsweise bei Verletzungen der Nabelschnur104 sowie zur Therapie der Uterusruptur.105 Während sich Nebesky eingehend der geburtshilflichen Forschung widmete, beschäftigte sich sein zweiter Vorgesetzter, Professor Dr. Paul Mathes, vorwiegend mit gynäkologisch-genetischen Fragestellungen. Kurz vor seinem Tod konnte er sein Werk über die verschiedenen Konstitutionstypen der Frau, insbesondere den intersexuellen Typ, fertigstellen. So interpretierte Mathes die zunehmende Berufstätigkeit der Frauen und den Geburtenrückgang nach dem Ersten Weltkrieg als ein Zeichen der Intersexualität der Frau, welche durch einen spezifischen Chromosomensatz bedingt sei. Im Gegensatz zu den Rassenhygienikern der Zeit pathologisierte Mathes diese vermeintlich genetische Ausformung nicht und sah keine Notwendigkeit zur Intervention, etwa durch Eheverbote.106 Vielmehr argumentierte der Arzt für eine gewisse Diversität, denn „[w]ir sind trotz der Bestrebungen der Eugeniker nicht in der Lage des züchterischen Bildners und werden es nie sein, jeder nimmt, wie von altersher, was ihm gefällt.“107 Diese letzte Studie des Gynäkologen wurde 1924 posthum, in dem von Joseph Halban und Ludwig Seitz herausgegebenen Handbuch der Frauenheilkunde und Geburtshilfe, veröffentlicht.108 Nach dem Tod des Primarius im Jahre 1922 war es einmal mehr am bisherigen Sekundararzt, Oscar Nebesky, die Landesgebärklinik bis zur Neubesetzung der Professo103 Vgl. Nebesky Oscar, Die Geburtsleitung bei engem Becken an der Innsbrucker geburtshilflichen Klinik in den letzten 15 Jahren (1899-1913) mit besonderer Berücksichtigung der daselbst ausgeführten Kaiserschnitte, in: Archiv für Gynäkologie 103 (1914), 395-478. 104 Vgl. Nebesky Oscar, Beitrag zur Nabelschnurzerreißung intra partum, in: Archiv für Gynäkologie 100 (1913), 601-640. 105 Vgl. Nebesky Oscar, Beitrag zur Therapie der kompletten Uterusruptur, in: Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie 38 (1913), 417-427. 106 Vgl. vertiefend zur (De-)Konstruktion der diversen Konstitutionstypen bei Mathes: Satzinger Helga, Rasse, Gene und Geschlecht. Zur Konstituierung zentraler biologischer Begriffe bei Richard Goldschmidt und Fritz Lenz, 1916-1936. Ergebnisse des Forschungsprogramms „Geschichte der Kaiser-Wilhelms-Gesellschaft im Nationalsozialismus“ 15, Berlin 2004, 17-20. 107 Mathes Paul, Die Konstitutionstypen des Weibes, insbesondere der intersexuelle Typus, in: Halban Joseph/Seitz Ludwig (Hg.), Biologie und Pathologie des Weibes. Ein Handbuch der Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Bd. 3, Berlin 1924, 1-112, hier 77. 108 Vgl. Mathes, Konstitutionstypen, 1-112.

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renstelle zu leiten und den klinischen Unterricht zu besorgen. Ganze zwei Semester musste Nebesky die vakante Lehrkanzel supplieren. Diese Aufgabe war ihm jedoch nicht neu, hatte er doch, seiner Funktion als Sekundararzt entsprechend, bereits nach Ehrendorfers Pensionierung im Jahre 1914, Erfahrung in der Führung der Landesgebärklinik gesammelt.109 1.3 Der klinische Assistent/Sekundararzt Im hierarchischen System der Innsbrucker Landesgebäranstalt besetzte der Sekundararzt die zweitwichtigste, ärztliche Position nach dem Primarius. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte der geburtshilfliche Sekundarius in einem zweigeteilten Abhängigkeitsverhältnis gestanden: Laut Instruktion vom Jahre 1823 war er nämlich gleichzeitig der chirurgischen Klinik als Sekundararzt und Assistent zugeteilt.110 Bis zur Etablierung der Landesgebär- und Findelanstalt war diese Zweiteilung des Dienstes nicht mehr nachvollziehbar und der Sekundarius war nunmehr ausschließlich zum Dienst an den PatientInnen der Gebärund Findelanstalt sowie, in seiner Funktion als Assistent, zur theoretischen und praktischen Vermittlung des geburtshilflichen Lehrstoffes an Hebammenschülerinnen und Studenten verpflichtet.111 In seiner Rolle als Sekundararzt im Gebärhausbetrieb hatte er aber auch Kontrollkompetenzen über die WärterInnen, die Hebammen und die in der Anstalt praktizierenden Schülerinnen und Studenten inne. So legten die Anstaltsnormen unter anderem fest, dass der Sekundararzt auf die strengste Sittlichkeit zu achten habe und „zur größeren Aneiferung […] immer selbst mit gutem Beyspiele vorangehen [sollte], und man erwartet von ihm, als einem der wissenschaftlichen Ausbildung sich widmenden Mann, auch einen der Modalität in jeder Hinsicht entsprechenden Conduit“112, so die entsprechende Dienstinstruktion. Zur Wahrung seiner Autorität waren ihm persönliche Kontakte zu seinen Patientinnen, aber insbesondere auch zum Pflegepersonal untersagt. So durfte er sich in keinerlei Abhängigkeitsverhältnisse zu dem ihm untergebenen Personal begeben, indem er sich etwa „in seinem Zimmer von den Wärtersleuten bedienen“113 lasse. Die Ausbildungszeit war für die Sekundarärzte mit einer gewissen, sozialen Isolation verbunden, die sich nicht nur innerhalb des Gebärhauses manifestierte, 109 Vgl. Huter, Fakultät (2), 358-359. 110 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. 111 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1878, Innsbruck 1879, 5. 112 TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. 113 TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383.

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sondern sich auf Grund der verpflichtenden und dauerhaften Anwesenheit an der Dienststelle auch auf deren Außenkontakte auswirkte. Ähnlich der Hebamme war auch der Sekundarius zu einer zölibatären Lebensweise angehalten.114 Der Dienst als Sekundararzt bzw. klinischer Assistent, der lange Zeit in Personalunion von einer Person verrichtet wurde, war prinzipiell als zeitlich begrenzte Stelle zur fachlichen Qualifizierung konzipiert. Generell sollte diese karrierebildende Position lediglich zwei Jahre bekleidet werden, nur bei exzellenten Ergebnissen und auf ausdrücklichen Wunsch des Primararztes konnte die Anstellung zeitlich verlängert werden.115 Dies scheint im Innsbrucker Gebärhaus zur gängigen Praxis geworden zu sein, denn durchschnittlich dauerte das Anstellungsverhältnis der einzelnen geburtshilflich-gynäkologischen Sekundarärzte drei bis fünf Jahre. Eine Ausnahme bildete dabei lediglich Oscar Nebesky, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts über zwanzig Jahre hinweg, als Assistent an der Gebärklinik praktizierte. Dieses Engagement machte sich aber schließlich bezahlt, denn auf Grund seiner Erfahrung und regen Publikationstätigkeit wurde er im Jahre 1924 zum Professor der Hebammenlehranstalt und zum Primarius der Landesfrauenklinik in Salzburg bestellt.116 In finanzieller Hinsicht war der Posten des Sekundarius aber nur wenig lukrativ. Seitens des Landesausschusses, welcher den Sekundararzt besoldete, wurden etwa im Jahre 1879 300 Gulden an Jahresgehalt ausbezahlt sowie ein vollmöbliertes Dienstzimmer in der Anstalt zur Verfügung gestellt. Auch für Beleuchtungs- und Beheizungskosten kam der Landesausschuss auf. Die klinische Tätigkeit als Assistent wurde hingegen stets separat, durch das Ministerium für Kultus und Unterricht, entlohnt (200 fl.).117 Anders als die Position des Sekundarius der „Landesirrenanstalt“ in Hall, die zwar traditionell auch als karrierefördernde Ausbildungsstelle an frisch promovierte Jungmediziner vergeben wurde, allerdings, wie Grießenböck feststellte, stets durch eine gewisse „Begrenzung der Handlungsfreiheit“118 charakterisiert war, wurde dem Sekundararzt der Gebäranstalt ein deutlich breiterer Handlungsspielraum zugestanden. In Abwesenheit des Primararztes sollte er in Absprache mit der Hebamme unaufschiebbare, 114 Vgl. Heidegger Maria/Dietrich-Daum Elisabeth, Die k.k. Provinzial-Irrenanstalt Hall in Tirol im Vormärz – eine totale Institution? In: Scheutz Martin (Hg.), Totale Institutionen (= Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 8), Innsbruck/Wien 2008, 68-85, hier 80. 115 Vgl. Grießenböck, „Landesirrenanstalt“, 60-61. 116 Vgl. Huter, Fakultät (2), 358. 117 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1879, Innsbruck 1880, 120-121. 118 Grießenböck, „Landesirrenanstalt“, 61.

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medizinische Entscheidungen treffen. Da der Sekundarius im Gegensatz zum Primararzt (bis 1890) in der Anstalt lebte und somit in ständiger Bereitschaft stand, kam ihm wohl in vielen Fällen die Erst- bzw. Notversorgung der Patientinnen zu. Auch bei längerer Abwesenheit des Primarius wurde dem Sekundararzt die medizinische und administrative Entscheidungsgewalt zugestanden. Darüber hinaus hatte der Sekundarius im alltäglichen Anstaltsbetrieb auch administrative Kompetenzen inne: So war er beispielsweise für die Führung von Protokollen über die Frequentierung der praktischen geburtshilflichen Kurse durch Hebammenschülerinnen und Studenten verantwortlich. Inwieweit ihm auch andere Schreibtätigkeiten, wie etwa die Dokumentation diätischer, therapeutischer oder medikamentöser Anordnungen zukam, war normativ nicht geregelt. Ähnlich anderen im Landesdienst stehenden Sekundarärzten dürfte aber auch der Sekundarius des Gebärhauses, zur Entlastung des Primarius, in administrativen Belangen herangezogen worden sein.119 Trotz des erweiterten Handlungsspielraumes musste sich der Sekundararzt in das mitunter starre Geflecht der gebärhausinternen Hierarchien einfügen, was allerdings, wie der Fall Franz Innerhofers zeigt, mit massiven Konflikten verbunden sein konnte. Innerhofer hatte im Jahre 1872 in Innsbruck promoviert und war anschließend als Sekundarius unter Virgil von Mayrhofen tätig gewesen. Nach dem Tod des Professors übernahm der erfahrene Innerhofer, bis zur Neubesetzung der Professur mit Ludwig Kleinwächter, die Leitung des ärztlichen Dienstes in der Gebäranstalt. Zwischen dem neu berufenen Kleinwächter und dem Sekundararzt sollte es aber schon unmittelbar nach dem Dienstantritt des Primarius zu fachlichen und persönlichen Problemen kommen. Ende des Jahres 1878 eskalierte der Streit und sorgte bei den zuständigen politischen Behörden für regen Schriftverkehr. In erster Linie lagen dem Konflikt ideologische Differenzen, die sich an der Art der professionellen Versorgung der Patientinnen manifestierten, zugrunde. Andererseits spielte aber wohl auch Kleinwächters Günstlingswirtschaft eine nicht unwesentliche Rolle. Kleinwächter hatte durch die Ernennung Robert Haumeders zu seinem persönlichen Assistenten, einen Konkurrenten für Innerhofer in die Gebäranstalt gebracht und damit die Kompetenzen des Sekundararztes beschnitten.120 Dieser hinterfragte in der Folge die fachlichen und führungspolitischen Methoden des neuen Professors und zog damit nicht nur dessen Zorn, sondern auch den Unmut des Professorenkollegiums der medizinischen Fakultät auf sich. Seiner Position als Sekundararzt gemäß war er zur Subordination verpflichtet; die öffentliche und wiederholte Artikulation von Kritik 119 Vgl. Grießenböck, „Landesirrenanstalt“, 60-62. 120 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1878, Innsbruck 1879, 5.

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an seinem Vorgesetzten stand ihm dementsprechend nicht zu. Aus diesem Grund wurde Innerhofer im Jänner 1879 als klinischer Assistent suspendiert und zudem ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet.121 Im März 1879 wurde er schließlich auf Grund der anhaltenden Querelen, aber „unter ausdrücklicher Anerkennung der von ihm bisher geleisteten ersprießlichen Dienste“122, auf Beschluss des Professorenkollegiums, seiner beruflichen Stellung als Assistent enthoben. Der Landesausschuss, der die Personalgewalt über die Stelle des Sekundarius ausübte, nahm diesen Entschluss zwar zur Kenntnis, weigerte sich jedoch Innerhofer zu entlassen und die Position des Sekundararztes neu zu besetzen. Trotz Innerhofers eindringlicher Bitte sein Amt niederlegen zu dürfen, beharrte der Landesausschuss auf seiner weiteren Anstellung. Die politische Behörde sprach dem Mediziner damit zwar unmissverständlich ihr Vertrauen aus, zwang Innerhofer allerdings gleichzeitig zum Verharren in einer psychisch äußerst belastenden Arbeitssituation.123 Erst nachdem Kleinwächter im Oktober 1879 die weitere Zusammenarbeit mit dem Sekundararzt rigoros verweigerte und ihm die Ausübung seiner ärztlichen Betreuungsfunktion bei Geburten untersagte, akzeptierte der Landesausschuss das Kündigungsgesuch Innerhofers und sah sich verpflichtet „Dr. Innerhofer für seine unter den schwierigsten Verhältnissen geleisteten vorzüglichen Dienste den Dank und die vollste Anerkennung auszusprechen.“124 Innerhofers Nachfolge als Assistent hatte bereits im Frühjahr 1879 der frisch promovierte Elias Sartori angetreten. Schon im Oktober 1879 wurden die kurzzeitig personell getrennten Positionen des Sekundararztes und des klinischen Assistenten wiederum in einer Person vereinigt.125 Diese personelle Konstellation sollte bis zur räumlichen Trennung der Geburtshilfe von der Gynäkologie im Jahre 1890 bestehen bleiben. Die Übersiedlung der Landesgebärklinik in das neu errichtete Gebäude in Wilten erforderte jedoch eine praktische Reorganisation der Assistenten- bzw. Sekundararztstelle. Professor Ehrendorfer forderte deshalb die Schaffung eines zusätzlichen Postens für die ausschließliche Verwendung an 121 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 714. 122 TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1879, Innsbruck 1880, 120. 123 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1879, Innsbruck 1880, 120. 124 TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1879, Innsbruck 1880, 120. 125 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1879, Innsbruck 1880, 120-121.

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der gynäkologischen Klinik. Dieser Vorschlag wurde allerdings nicht weiter verfolgt, denn das Ministerium war nicht gewillt einen zusätzlichen, besoldeten Dienstposten zu schaffen. Aus diesem Grund kam es zu einer Kompromisslösung: Die bisher in Personalunion besetzte Stelle wurde geteilt und die Position des klinischen Assistenten allein der gynäkologischen Klinik zugewiesen. Die Assistentendienste in der Gebärklinik, die sich auf den Unterricht der Hebammen und Studenten beschränkten, sollten gegen eine Erhöhung des Grundgehaltes auf 600 Gulden pro Jahr, vom Sekundararzt verrichtet werden.126 Die personelle Zweiteilung brachte somit auch eine Teilung der Kompetenzen in rein geburtshilfliche und gynäkologische Bereiche mit sich, die bis zum Ende der Untersuchungsperiode aufrecht bleiben sollte. 1.4 Die Gebärhaushebammen Im Jahre 1879 langte beim Tiroler Landesausschuss ein Gesuch der Albina Denicolò um einvernehmliche Auflösung ihres Dienstverhältnisses, als so genannte „landschaftliche Hebamme“ in der Landesgebär- und Findelanstalt Innsbruck, ein. Als Grund für ihre Entscheidung nannte Denicolò ihren Wunsch, sich in ihrer Heimat Castelnuovo im Trentino zu verheiraten. Das Kündigungsgesuch wurde von einem Bittschreiben um Abfertigung begleitet, welches der Landesausschuss bewilligte und zusicherte, „ihr die volle Anerkennung für die treue und fleißige Ausführung ihres schweren und mit Opfern verbundenen Dienstes“127 zukommen lassen zu wollen. In diesen kurzen Worten fasste der verantwortliche Verfasser die Realität des Hebammenberufes in seiner institutionalisierten Form zusammen: Seit der Etablierung der klinischen Gebärabteilung im Innsbrucker Stadtspital im Jahre 1819 hatten die pflegerischen Hauptaufgaben bei Gebärenden und Wöchnerinnen größtenteils im Verantwortungsbereich der Gebärhaushebamme gelegen. Sie führte lange Zeit die Aufnahmeuntersuchungen durch, leitete alle regelmäßigen Geburten und musste auch bei Komplikationen den akademischen Geburtshelfern als „Kunstgehülfin“ assistieren und „gleichsam als einzige weibliche Autorität, und Zeuge selbst zur Beruhigung der leidenden Gebärenden bey der Operation gegenwärtig sein.“128 In der institutionel126 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1890, Innsbruck 1891, 107. 127 TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1879, Innsbruck 1880, 121. 128 TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. Vgl. Honstetter, Beschreibung, 55-56. Vgl. Pawlowsky, Trinkgelder, 210. Vgl. Beauvalet-Boutouyrie, Chefhebamme, 228-229. Offenbar war für die klinische Gebärabteilung in Innsbruck die

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len Frühzeit stellte die Hebamme die hauptsächliche Bezugsperson für die Patientinnen dar: Sie verabreichte nicht nur die verordneten Medikamente und Klistiere, oder brachte warme Umschläge an, sondern teilte sich mit den Gebärenden sogar ein und dasselbe Zimmer.129 Dies erleichterte zwar die Kontrolle über die Frauen, bedeutete aber gleichzeitig den Verzicht auf jegliche Privatsphäre. Ihr gesamter Tagesablauf war von der Arbeit bestimmt, auch nachts musste sie mehrere Kontrollgänge durchführen, damit keine Geburt oder Erkrankung der Patientinnen unentdeckt blieb. Das prägendste Charakteristikum ihres Dienstes war aber, dass sie an sieben Tagen der Woche einen 24stündigen Dienst zu verrichten hatte, mit anderen Worten, stets auf Abruf bereit sein musste. Aus diesem Grund war es ihr auch strengstens untersagt, sich, ohne ausdrückliche Erlaubnis ihres unmittelbaren Vorgesetzten, des Professors für Geburtshilfe, von ihrem Arbeitsplatz zu entfernen.130 Die Tätigkeit als Gebärhaushebamme forderte somit die volle Einsatzbereitschaft rund um die Uhr – ihr Arbeitsumfeld wurde dadurch unweigerlich zum exklusiven Lebensumfeld der Hebamme. Das Leben in der Gebäranstalt bot kaum Rückzugsmöglichkeiten, die Hebamme durfte auch keine Haustiere halten und indirekt verpflichteten sich die Frauen zu einer zölibatären Lebensweise unter Verzicht auf eine eigene Familie. Rosina Urlacher, die erste besoldete Hebamme des Innsbrucker Gebärhauses, war ledig und übernahm im Alter von 54 Jahren ihren Dienst in der Gebärabteilung. Sie war bereits vor der Einrichtung der klinischen Abteilung als Wärterin im Spital beschäftigt gewesen und hatte dort geburtshilfliche Erfahrungen gesammelt.131 So hatte sie etwa im Jahre 1818 einen Betrag von sieben Gulden und 48 Kreuzern „für die bis zum 30t Juli 1818 besorgte 3 Kindbetts-(Bey)-Wartungsdienste und geleistete 18-tägige Verpflegung des Neugebohrenen von der löbl. SpitalsHebammeninstruktion des Wiener Gebärhauses übernommen worden. Auch bei Pawlowsky findet sich der oben zitierte Wortlaut wieder. Vgl. Pawlowsky, Trinkgelder, 214. 129 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. 130 Ähnliche Hierarchieverhältnisse sind auch für die Wiener Gebäranstalt dokumentiert. Vgl. Pawlowsky, Trinkgelder, 210. Eine gänzlich konträre Ausformung der Kompetenzsphären findet sich hingegen im Pariser Gebärhaus Port Royale, wo die Oberhebamme faktisch die Leitung der Anstalt übernahm. Vgl. BeauvaletBoutouyrie, Chefhebamme, 231. 131 Die Vereinigung des Wärterinnen- und Hebammendienstes in einer Person dürfte ein Charakteristikum der kleinen, wenig frequentierten Gebäranstalten gewesen sein, denn in der Wiener Großanstalt wurde die Oberhebamme von Hilfshebammen, Schülerinnen und mehreren Wärterinnen unterstützt. Vgl. Pawlowsky, Trinkgelder, 210.

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verwaltung als besondere Remuneration“132 erhalten. Auf eine Heirat konnte Rosina Urlacher in ihrem fortgeschrittenen Alter wohl nicht mehr hoffen, weshalb ihr die Anstellung als Hebamme und Wärterin eine gewisse, finanzielle und soziale Sicherheit gegeben haben dürfte. Ab 1819 zahlte ihr die Stadt zusätzlich zu ihrem monatlichen Wärterinnenlohn von zehn Gulden und dreißig Kreuzern, eine jährliche Pauschale von zehn Gulden für die Hebammentätigkeit. Zudem durfte die Hebamme eine so genannte „Ammgebühr“, in der Höhe von zwei Gulden pro Geburt, von jeder Patientin einfordern.133 Im Gegensatz zu den privat agierenden Hebammen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts meist mit einem Wartgeld von nur zwanzig Gulden versehen waren und ihre eigentliche Tätigkeit vielfach in Naturalien abgegolten bekamen,134 verfügte die Innsbrucker Gebärhaushebamme über ein geregeltes Einkommen. Hatte Rosina Urlacher für einen Lebensabend außerhalb der Anstalt gespart, so wurde ihr dieser Wunsch jedoch nicht erfüllt, sie starb nämlich 1825, im Alter von 60 Jahren, an ihrem Arbeitsplatz.135 Obwohl der Professor für Geburtshilfe, Johann Joseph Ammerer, bei der Neubesetzung der vakant gewordenen Stelle darauf gedrängt hatte, die Tätigkeitsfelder zu trennen und, neben einer eigenen Hebamme, noch zusätzlich eine geeignete Wärterin anzustellen, wurde dieses Ansinnen vom Stadtmagistrat, der nach wie vor die Personalkosten aus dem Spitalsfond zu tragen hatte, abgelehnt. Vielmehr vertraute man auch im Jahre 1825 auf das bewährte Muster, eine bereits angestellte Krankenwärterin zur Hebamme ausbilden zu lassen und diese mit demselben Wartgeld wie bisher zu versehen. Aus Kostengründen wurde die geburtshilfliche Kompetenz somit einer ungeübten Anfängerin überlassen, anstatt eine ausgewiesene Expertin in Anstellung zu nehmen. Bis ein geeigneter Ersatz für Rosina Urlacher gefunden war, sollte eine der städtischen Hebammen die ohnehin nur selten vorkommenden Geburten im Spital betreuen. In der Folgezeit übernahm Regina Ploner – von der Innsbrucker Polizeidirektion als „geschickte und sittlich gute Hebamme“ mit „ausgewiesenen guten Kunstkenntnissen und untadelhaften Wandel“136 bezeichnet – von Juli 1825 bis einschließlich 132 StAI, Stadtspital Raitung, lose Rechnung Nr. 51 vom 30. Juli 1818. 133 Vgl. StAI, Stadtspital Raitung, Empfangs- et Ausgabs-Journal mit Anfang Monat Juli 1819 bis Ende April 1820. Vgl. Honstetter, Beschreibung, 63. 134 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1822, Sanität Zl. 18631. Vgl. Pancino Claudia, Von der Nachbarschaftshilfe zur medizinischen Disziplin, in: Dapunt Otto (Hg.), Fruchtbarkeit und Geburt in Tirol, Oberschleißheim bei München 1987, 91-104, hier 101. 135 Vgl. TLA, Innsbruck Dompfarre zu St. Jakob, Sterbebuch XII 1806-1825 [Mikrofilm 0993/3]. 136 TLA, Jüngeres Gubernium 1825, Sanität Zl. 16750.

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März des folgenden Jahres die Hebammendienste in der Gebärabteilung. Die in diesen neun Monaten erfolgten vier Entbindungen wurden ihr mit 15 Gulden und 30 Kreuzern vergütet.137 Warum ganze neun Monate bis zur definitiven Neubesetzung der Hebammenstelle vergingen, lässt sich wohl anhand der Tatsache erklären, dass die designierte Anstaltshebamme, Maria Moser, erst die Hebammenkunst erlernen, das heißt, den sechsmonatigen, theoretisch-praktischen Kurs absolvieren und ihre Hebammenprüfung ablegen musste. Ob der Stadtmagistrat, respektive der Spitalsfond, für die Ausbildung aufkam, ist nicht geklärt, kann jedoch mit einiger Wahrscheinlichkeit angenommen werden.138 Im April 1826 schließlich wurde die Krankenwärterin Moser als neue Spitalshebamme angelobt139 und erfüllte ihren Dienst bis zu ihrer Entlassung am 8. Mai 1838.140 Die genauen Umstände ihrer Entlassung sind leider nicht bekannt,141 es kann an dieser Stelle nur spekuliert werden, dass sich Maria Moser eines Dienstvergehens, wie der Misshandlung einer Patientin, schuldig gemacht hatte,142 oder sie auf Grund einer bevorstehenden Heirat aus dem Spitalsdienst ausschied. Als sicher gilt, dass noch im Jahre 1838 die Hebamme Elisabeth Staudacher als Nachfolgerin eingestellt wurde.143 Am 1. Mai 1839 übernahm der von München nach Innsbruck geholte Pflegeorden der Barmherzigen Schwestern die Pflege und Ausspeisung im Stadtspital. Die geistlichen Schwestern sollten das weltliche Wartpersonal fast zur Gänze ersetzen und die Pflege der Kranken unentgeltlich besorgen.144 Ihren Ordensstatuten gemäß endete die Pflegeverpflichtung jedoch bei „venerischen Kranken, 137 Vgl. StAI, Spital Raitung, Spital Oeconomie Rechnung pro 1825/26. 138 Vgl. zur Hebammenausbildung in Innsbruck: Hilber, Bildungsanstalten, (in Druck, erscheint 2010). 139 Vgl. StAI, Spital Raitung, Spital Oeconomie Rechnung pro 1825/26. 140 Vgl. StAI, Spital Raitung, Oeconomie Rechnung der Spitalsverwaltung zu Innsbruck für die Zeit von 1 November 1837 bis 31 October 1838. 141 Bereits 1837 finden sich in den Geschäftsprotokollen des Stadtspitals Einträge über regen Schriftverkehr zwischen dem Professor für Geburthilfe und der k.k. Landesstelle in Bezug auf die Hebamme Moser. Vgl. StAI, Spital Raitung, Gestionsprotokoll des Innsbrucker Stadtspitals 1837. 142 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. 143 Vgl. StAI, Spital Raitung, Stadtspital Rechnung 1838/39. 144 Vgl. Thorer Pauline/Duelli Dominika (Red.), 150 Jahre Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul in Innsbruck, Innsbruck 1989, 1114. Vgl. Hartung von Hartungen Christoph, Studien zur Sozialgeschichte Tirols im Vormärz (1814-1848). Menschen und Institutionen [Diss. phil.], Innsbruck 1985, 291-296.

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bey Wöchnerinnen und bei Dienstleistungen, welche männliche Hilfe erfordern“.145 Für die Verrichtung dieser Arbeiten sollte spezielles, weltliches Personal auf Kosten der Barmherzigen Schwestern eingestellt werden, darunter auch eine Hebamme für die Gebärabteilung. Da die Mitglieder des Pflegeordens nur kurze Zeit vor ihrer Dienstaufnahme, nämlich am 17. April 1839, in Innsbruck eintrafen,146 konnten keine geeigneten, neuen WärterInnen gefunden werden. Aus diesem Grund entschloss sich der Orden einige Mitglieder des bisherigen Wartpersonals, auf Rechnung des Spitalsfonds, weiter zu beschäftigen, bis entsprechende Personalentscheidungen getroffen werden konnten. Diese Bestimmung galt auch für die Hebamme Elisabeth Staudacher, die in der Folge ihren Dienst bis 28. März 1840 weiter verrichten durfte. Nach ihrer Entlassung führte die von den Barmherzigen Schwestern berufene und fortan auch von ihnen besoldete Hebamme, Johanna Mayr, die Arbeiten in der Gebärabteilung fort.147 Die bisherige, jährliche Remuneration von zehn Gulden aus dem Spitalsfond wurde nun allerdings direkt an den Orden, als Gegenwert für die Verköstigung der Hebamme, bezahlt. Der Lohn der Hebamme bestand deshalb lediglich aus der von den Gebärenden bezahlten Entbindungsgebühr in der Höhe von jeweils zwei Gulden. Die Barmherzigen Schwestern willigten jedoch ein, in Jahren, in denen die Zahl der Geburten unter dreißig lag und somit die einlaufenden Gebühren eine Summe von sechzig Gulden unterschritten, eine Ausgleichzahlung an die Hebamme zu tätigen.148 Insgesamt verdiente Johanna Mayr aber dennoch deutlich weniger, als ihre Vorgängerinnen, die noch von der öffentlichen Hand entlohnt worden waren. Rund zwanzig Jahre lang versah die Hebamme, trotz der finanziellen Mindestentlohnung, ihren Dienst in der Gebäranstalt. 1858 wurde sie allerdings als nicht mehr allzu belastungsfähig betrachtet: „Sollte die gegenwärtige Spitalshebamme wegen allfälliger körperlicher Gebrechlichkeit, der sich mehrenden Dienstobliegenheiten nicht mehr entsprechen können, so ist im Einvernehmen mit dem Professor der Geburtshilfe u. der Oberin der barmherzigen Schwestern eine neue Hebamme anzustellen“149, urteilte die Statthalterei deshalb in Anbetracht der Tatsache, dass mit der Filialeinrichtung der Gebär- und Findelanstalt in Innsbruck ein enormer Zustrom von Patientinnen erwartet wurde. Während der Studienzeit konnte die Hebamme noch auf die Unterstützung der Hebammenschülerinnen zählen, die täglich nach der Morgenvisite, um sieben Uhr, unter ihrer Aufsicht die Pflege der anwesenden Wöchnerinnen und Säug145 Honstetter, Beschreibung, 75. 146 Vgl. Thorer/Duelli, Kongregation, 14. 147 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1859, Sanität Zl. 427. 148 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1855, Sanität Zl. 22220. 149 TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1855, Sanität Zl. 22220.

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linge übernahmen und wohl auch in die Sauberhaltung der Anstaltsräume miteinbezogen wurden. Doch während der Ferienzeit hatte sie stets alle Dienste alleine zu besorgen.150 Die Statthalterei hatte 1858 zwar die Anstellung einer Gehilfin während der dreimonatigen Abwesenheit der Schülerinnen angeregt, doch wiederum scheiterte diese Idee an der ökonomischen Umsetzbarkeit.151 Mit der Filialeinrichtung im Jahre 1858 ergab sich nicht nur ein erheblicher Mehraufwand für die Hebamme, sondern auch eine erneute Änderung der Zuständigkeiten. Dienstgeber waren ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die Barmherzigen Schwestern, sondern das staatlich finanzierte Studiendirektorat. Der Lohn in Höhe von 80 Gulden sollte fortan aus dem Budget der früheren Poliklinik bezahlt werden, da dieselbe mit der Filialeinrichtung gänzlich überflüssig geworden war. Da die Hebamme aber immer noch in Personalunion das Amt einer Wärterin im Gebärhaus ausübte, mussten die Barmherzigen Schwestern weiterhin für die Verköstigung der Hebamme aufkommen.152 Rund dreißig Jahre nachdem der Professor für Geburtshilfe erstmals für eine Trennung der Verantwortlichkeiten von Hebamme und Wärterin plädiert hatte, brachten die Barmherzigen Schwestern einen ähnlichen Antrag ein. Dabei ging es ihnen aber weniger um die Verbesserung der Arbeitssituation der Hebamme bzw. um eine Verbesserung der Pflegesituation in der Gebäranstalt, sondern vielmehr um eine Minimierung ihrer eigenen Ausgaben. Der Stadtmagistrat weigerte sich aber vehement, die Kosten für eine solche Aufteilung der pflegerischen Kompetenzen zu übernehmen und auch die Statthalterei für Tirol und Vorarlberg sah sich selbst nicht in der Pflicht. Angeregt wurde hingegen die Kostenübernahme durch den staatlichen Studienfonds bzw. den Fonds für das Gebär- und Findelhaus in Alle Laste. Ob sich die Streitparteien über die Finanzierung der Kost der Hebamme einig wurden, ist nicht dokumentiert. Eine Trennung der Wärterinnendienste von der Hebammentätigkeit konnte allerdings auch 1859 noch nicht durchgesetzt werden, weshalb die Hebamme weiterhin ihren allumfassenden Dienst in der Innsbrucker Gebäranstalt zu bewältigen hatte.153 Bis Ende des Jahres 1860 scheint

150 TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. 151 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1859, Sanität Zl. 427. Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1859, Sanität Zl. 18337 (findet sich im UAI, Med. Hebammen 1829-1880). 152 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1859, Sanität Zl. 427. Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1859, Sanität Zl. 18337 (findet sich im UAI, Med. Hebammen 1829-1880). 153 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1859, Sanität Zl. 427. Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1861, Sanität Zl. 22402. Vgl. TLA, Statthalte-

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Johanna Mayr den Dienst, trotz des enorm erhöhten Dienstaufwandes, alleine erledigt zu haben, wurde aber von Jänner 1861 bis Ende April desselben Jahres auf Grund einer langwierigen Erkrankung von der Aushilfshebamme Anna Leitner suppliert.154 Noch im selben Jahr quittierte Mayr ihren Dienst im Gebärhaus und an ihre Stelle trat die ledige Anna Pezzei. Erneut schienen sich die alten Muster zu wiederholen, denn auch Pezzei konnte auf keine lange Praxiszeit verweisen, denn sie hatte ihr Hebammendiplom nur ein Jahr zuvor in Innsbruck erworben. Neun Jahre lang verrichtete sie sämtliche Dienste als Hebamme und Wärterin in der Innsbrucker Filialanstalt und wurde schließlich im Jahre 1870 bei der Eröffnung der Landesgebär- und Findelanstalt in Innsbruck als Hebamme übernommen. Die Konzentration des geburtshilflichen Angebots in der Landeshauptstadt sollte endlich zur lange überfälligen Reform des Hebammendienstes führen. Auf Grund der stetig steigenden Frequenz wurde der Aufgabenbereich fortan auf zwei qualifizierte Hebammen aufgeteilt. Pezzei wurde durch das Professorenkollegium der medizinischen Fakultät zur Oberhebamme bzw. zur so genannten ersten oder „klinischen Hebamme“ ernannt. Besoldet wurde die klinische Hebamme weiterhin aus dem staatlichen Studienfonds. Die zweite an der Gebäranstalt tätige Hebamme, die so genannte „landschaftliche Hebamme“, war der erfahrenen Pezzei unterstellt und wurde vom Landesausschuss entlohnt.155 Nach weiteren vier Jahren als erste Hebamme im Gebärhaus war aber auch für Anna Pezzei, die mittlerweile ihr dreißigstes Lebensjahr überschritten hatte, die Zeit gekommen, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Pezzei wollte heiraten und beendete deshalb im Mai 1874, nach dreizehn Jahren, in denen sie ihren Dienst stets zur vollsten Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten ausgeübt hatte, ihr Dienstverhältnis mit der Innsbrucker Gebärklinik. Der Ehe mit dem Diener des pathologisch-anatomischen Instituts entstammte eine Tochter, welche jedoch auf Grund der weiteren Berufstätigkeit Pezzeis, von einer ledigen Schwester ihres Mannes aufgezogen wurde. Auch als verheiratete Frau konnte bzw. wollte Anna Pezzei nicht auf die Ausübung ihres erlernten Berufes verzichten und war ab 1874 als Privathebamme in der Landeshauptstadt tätig. Auf Grund ihrer großen Erfahrung

rei für Tirol und Vorarlberg 1859, Sanität Zl. 18337 (findet sich im UAI, Med. Hebammen 1829-1880). 154 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1861, Sanität Zl. 22402. 155 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1875, Innsbruck 1876, 108.

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verzeichnete die Hebamme eine besonders hohe Nachfrage bei den Gebärenden im Stadtgebiet von Innsbruck.156 Der unerwartete Weggang Pezzeis hatte zu einigen Personalveränderungen in der Landesgebäranstalt geführt und 1875 setzte sich das Hebammenteam aus der vormaligen zweiten Hebamme, Regina Unterhauser, und der eingangs erwähnten Albina Denicolò zusammen. Erstere war durch den Tod der Hebamme Bonani, im Jahre 1875, in die Position der Oberhebamme gelangt, während Letztere im Oktober 1875 ohne Ausschreibung, allein auf Professor Mayrhofens Initiative hin, als landschaftliche Hebamme akzeptiert worden war.157 Denicolò hatte während ihrer Zeit im Gebärhaus wohl tatsächlich einen strengen Dienst zu verrichten, denn im Jahre 1878 war ihre vorgesetzte Hebamme durch Krankheit nicht in der Lage gewesen, ihren Verpflichtungen nachzukommen und Denicolò musste über lange Zeit den ansonsten geteilten, 24-stündigen Schichtdienst, ohne Unterstützung einer Aushilfshebamme, alleine bewerkstelligen.158 1879 verließ Albina Denicolò – wie berichtet – die Landesgebäranstalt und ganze zehn Bewerberinnen meldeten sich auf die öffentliche Ausschreibung. Die Stelle der Gebärhaushebamme scheint, trotz der vielen Nachteile in privater Hinsicht, einen begehrten Posten dargestellt zu haben. Insbesondere für aus dem Trentino stammende Frauen schien eine Anstellung in Innsbruck attraktiv gewesen zu sein. Insgesamt acht der zehn Bewerberinnen stammten nämlich aus dem italienischsprachigen Teil Tirols. Einige von ihnen hatten erst vor Kurzem ihr Diplom in Innsbruck erworben und waren zum größten Teil nicht einmal der deutschen Sprache mächtig. Unter den Bewerberinnen befand sich aber auch eine alte Bekannte: Die ehemalige Oberhebamme Anna Pezzei, mittlerweile vierzig Jahre alt und von leichten rheumatischen Beschwerden geplagt, bewarb sich erneut um eine Stelle in der geburtshilflichen Einrichtung. Sie führte den Dreiervorschlag, welcher dem Landesausschuss von der Direktion, im Einvernehmen mit dem Professor für Geburtshilfe, übergeben worden war, an. Zweitgereiht wurde die ehemals im Gebärhaus in Alle Laste tätige Christina Neuner aus Verla im Trentino. Für sie sprach, neben ihrer einschlägigen Erfahrung, auch die Tatsache, dass sie beide Landessprachen fließend beherrschte, ein Umstand, der zum Nachteil Pezzeis gereichte. Diese konnte nur ein wenig Italienisch, doch hatte sie dies, laut Auskunft der Direktion, auch zuvor nicht in der Ausübung ihrer Tätig156 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 12243. 157 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1875, Innsbruck 1876, 108. 158 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1878, Innsbruck 1879, 89.

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keit behindert. Gegen die Hebamme Neuner sprach hingegen, dass sie bereits 47 Jahre alt war und im Falle einer Ernennung ihren Ehemann im Trentino zurücklassen müsste. An dritter Stelle rangierte die 29jährige Witwe Maddalena Franceschini, die dem Professor während des letzten Hebammenkurses auf Grund ihrer ausgezeichneten Leistungen aufgefallen war. Die Tatsache, dass sie ausschließlich ihre Muttersprache beherrschte und zudem über keinerlei praktische Erfahrung verfügte, disqualifizierten Maddalena Franceschini allerdings gegenüber den beiden vorgenannten Bewerberinnen.159 Erstmals in der Geschichte der Innsbrucker Gebäranstalt wurde der Erfahrung vor allen anderen Kriterien Rechnung getragen und mit Anna Pezzei die am längsten gediente Hebamme eingestellt. Dass sie keine Unbekannte war, kam ihr bei der Personalentscheidung aber sicherlich zugute. Obwohl Pezzei bei ihrer Bewerbung noch versichert hatte, es stelle kein Problem für sie dar, zukünftig nicht mehr mit ihrer Familie zusammenleben zu können, reichte sie bereits kurz nach ihrer Ernennung einen Antrag auf Erweiterung ihrer Wohnlokalien in der Anstalt ein. Pezzei beabsichtigte zumindest ihren Ehemann zu sich in das Gebärhaus zu holen, doch die Direktion untersagte den Einzug des potenziellen „Contagieurs“.160 Tatsächlich dürfte die Tatsache, dass Pezzeis Ehemann als Diener in der pathologischanatomischen Klinik arbeitete, und durch ihn die Einschleppung von Krankheitskeimen begünstigt worden wäre, den Hauptgrund für die abschlägige Reaktion dargestellt haben. Bis Ende der 1870er Jahre hatte sich nämlich der zölibatäre Zwang, welcher lange Zeit auf den Gebärhaushebammen gelegen hatte, zusehends gelockert. So wurde etwa auch der Oberhebamme Regina Unterhauser, welche sich ebenfalls im Jahre 1879 verheiratete, gestattet mit ihrem Ehemann, dem Amtsdiener Johann Winkler, in der Anstalt zu leben. Zudem nahm das Ehepaar den gebrechlichen Vater der Braut zu sich in Pflege. Die Wohnsituation der Familie dürfte jedoch alles andere als ideal gewesen sein, denn auf Grund der beschränkten Raumverhältnisse im alten Stadtspital, stand den drei Personen lediglich ein einziges, gemeinsames Zimmer zur Verfügung. Im Vergleich zu den institutionellen Anfangsjahren der Institution stellte die separate Unterbringung der Hebamme, trotz der beengten Verhältnisse, aber eine enorme Aufwertung ihres Dienstes dar. Bis um 1880 hatte sich die Hebamme das Recht auf ein – wenn auch eingeschränktes – Privatleben innerhalb des Anstaltsbetriebes erworben und sich somit einen sozialen Rückzugsort geschaffen.161 159 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 12243. 160 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 12243. 161 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1879, Innsbruck 1880, 121.

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Das Recht auf Familienanschluss wollte sich offenbar auch Anna Pezzei nicht nehmen lassen und drohte ihren Dienst nicht antreten zu wollen, wenn man den Einzug ihres Mannes nicht doch erlauben wolle. Die Direktion rückte nicht von ihrem Standpunkt ab, man konnte sich jedoch auf einen Kompromiss einigen: Die Hebamme durfte jeden zweiten Abend bzw. jede zweite Nacht, in der sie zu keinem Dienst in der Anstalt eingeteilt war, zu Hause bei ihrer Familie verbringen.162 Dieses Zugeständnis seitens der Anstaltsdirektion lässt auf die hohe Wertschätzung der ehemaligen Oberhebamme Pezzei schließen, denn an Bewerberinnen, die die vakante Stelle, ohne jegliche Sonderkonditionen, übernommen hätten, hatte es nicht gemangelt. Pezzeis Dienstantritt hatte sich somit nicht ohne Turbulenzen abgespielt und auch ihre weitere Dienstzeit in der Anstalt sollte von persönlichen Querelen und professionellen Auseinandersetzungen bestimmt sein. Pezzei hatte die Hierarchisierung ihres Arbeitsbereiches wohl unterschätzt und konnte sich nur schwer mit der Position der untergeordneten, zweiten Hebamme abfinden. Umso mehr, als sie der nunmehrigen Oberhebamme, Regina Winkler, fachliche Inkompetenz bis hin zu schweren Dienstvergehen unterstellte. Winkler verstieß in ihren Augen beständig gegen die normativen Grundfesten, an denen sich der Dienst der Innsbrucker Gebärhaushebammen seit jeher orientiert hatte.163 Am eklatantesten gingen die Meinungen der beiden Hebammen bei der eigentlichen Wartung der Wöchnerinnen auseinander. Pezzei beschuldigte die Oberhebamme ihren Dienst nur nachlässig auszuführen, bei der Reinigung der Wöchnerinnen zu schlampen, die Gesundheit der Säuglinge durch Verstöße gegen die Anstaltshygiene zu gefährden und insgesamt die Anweisungen der ärztlichen Vorgesetzten regelmäßig zu missachten. So wurden notwendige Vaginalausspritzungen zur Behandlung von Infektionen schlichtweg unterlassen und verordnete Medikamente nicht verabreicht. Diese Tatbestände allein bedeuteten bereits eine massive Pflichtverletzung, hatten sich die Hebammen schließlich zu Gehorsam gegenüber ihren Vorgesetzten und zur uneingeschränkten Ausführung von ärztlichen Anordnungen verpflichtet. Indirekt bedeutete die Vernachlässigung der Wöchnerinnen auch eine Misshandlung derselben, welche allein schon zur Rechtfertigung einer fristlosen Entlassung der Hebamme gereicht hätte.164 Der klinischen Hebamme wurde aber zudem vorgeworfen, sich, ohne Erlaubnis des Professors, zu Spaziergängen aus der Anstalt zu entfernen 162 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1879, Innsbruck 1880, 121. 163 Vgl. dazu die vom Wiener Vorbild abgeleitete Instruktion für die Innsbrucker Gebärhaushebamme und Wärterin: TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. 164 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383.

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und sich während ihrer Abwesenheit durch eine Aushilfshebamme vertreten zu lassen. Außerdem vernachlässige sie ihre nächtlichen Kontrollgänge, welche sie ebenfalls von einer Aushilfshebamme durchführen ließ.165 Klagen über die mangelnde Kontrolltätigkeit der Hebamme wurden auch von vereinzelten Schülerinnen geäußert. Obwohl die Hebamme, als Lehrperson, dazu verpflichtet war, das sittliche Betragen ihrer Schülerinnen und Studenten zu überwachen, kam es gegen Ende des Jahres 1878 vermehrt zu delikaten Zwischenfällen. Hebammenschülerinnen sollen sich dabei wiederholt mit den männlichen Studenten im Kreißsaal verabredet haben, um sich zu unterhalten, zu trinken und zu scherzen. Die Gebärenden beklagten sich zwar über den Lärm und die mitunter unsittlichen Gespräche zwischen den Auszubildenden, doch die Hebamme schien zunächst nicht einzugreifen.166 Erst nach einem weiteren Zwischenfall am Silvesterabend des Jahres 1878, bei dem eine Schülerin die Kleidung des Vaters der Oberhebamme entwendet hatte und zur allgemeinen Belustigung der anderen Schülerinnen, verkleidet als „neuer Praktikant“167, die Wöchnerinnenabteilung und auch das Kreißzimmer heimsuchte, verstärkte die klinische Hebamme ihre Kontrollgänge. Gänzlich einstellen konnte sie die Übertretungen der Schülerinnen jedoch nicht, lediglich von seltener vorkommenden Eskapaden wird berichtet.168 Darüber hinaus hatte sich die Oberhebamme aber auch mehrerer Übertretungen der Hausordnung schuldig gemacht, so die Anschuldigungen der zweiten Hebamme. Winkler habe Institutswäsche veruntreut, Schwangere und Ammen für private Dienste, wie dem Waschen ihrer eigenen Wäsche oder dem Durchführen von Besorgungen in der Stadt, herangezogen. Es war nicht ungewöhnlich, dass die Schwangeren während ihres Aufenthaltes in der Anstalt zu Arbeiten verpflichtet wurden, doch sollten diese ausschließlich dem Wohle der Anstalt 165 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 4270. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 5307. 166 Protokoll aufgenommen mit Nothburga Eller und Rosa Weis, Hebammenschülerinnen am 03.02.1879. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 167 Protokoll aufgenommen mit Philomena Tschiderer, Hebammenschülerin am 04.02.1879. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 168 Protokoll aufgenommen mit Nothburga Eller und Rosa Weis, Hebammenschülerinnen am 03.02.1879 sowie Protokoll aufgenommen mit Philomena Tschiderer, Hebammenschülerin am 04.02.1879. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83.

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zugutekommen. Aus diesem Grund unterstützten die Schwangeren die Hebammen bei den täglichen Verrichtungen, wie dem Waschen der Anstaltswäsche, dem Reinigen der Zimmer und dem Ausbessern beschädigter Kleidungsstücke.169 Strengstens verboten war es jedoch, die Schwangeren für private Dienste zu missbrauchen und einen persönlichen Vorteil aus ihrer Situation zu ziehen.170 Weiters wusste Anna Pezzei zu berichten, dass die Hebamme Winkler häufig heimliche Treffen zwischen ledigen Schwangeren und ihren Geliebten begünstige und sich somit eines weiteren schweren Verstoßes gegen die allgemeine Hausordnung schuldig machte.171 Dieser Vorwürfe nicht genug wurde Regina Winkler noch eine weitere, häufig in Bezug auf die Hebammen genannte Charakterschwäche unterstellt. Die Hebamme Winkler solle dem Alkoholkonsum frönen und häufig betrunken sein, so ihre Kollegin. Dieser Vorwurf wurde nicht allein von Pezzei bekräftigt, sondern auch von der Barmherzigen Schwester Pia sowie dem Anstaltsverwalter Dejacoo bestätigt. Keine dieser Personen hatte die Winkler zwar je beim Trinken beobachtet, allerdings deutliche Wesensveränderungen an ihr wahrgenommen. So soll sie, Berichten der beiden Frauen zufolge, unkontrolliert gelacht oder geweint und sich infolge ihres Rauschzustandes heftig übergeben haben. Schwester Pia, die regelmäßig die Bettwäsche der Hebamme reinigte, gab zu Protokoll, dass das Erbrochene stark nach Wein gerochen habe und auch der Verwalter führte an, „daß die Regina Winkler das Getränk liebt ist mir bekannt, ebenso ist mir bekannt, daß sie einmal im berauschten Zustande in einem Wochenzimmer sich zu Bette legte, daß sie aber öfters berauscht gewesen sei, ist mir nicht bekannt.“172 Mit den Vorwürfen konfrontiert, reagierte Regina Winkler abwehrend und stritt alle Aussagen, als „niederträchtige Verleumdungen“173 seitens ihrer Konkurrentin, ab und versicherte lediglich unter einem „schwachen Magen“174 zu leiden und den Wein nicht zu vertragen.175 Dennoch warf gerade der Vorwurf des Alkoholismus ein äußerst schlechtes Licht auf die Hebamme. Ob es sich dabei tatsächlich um eine gezielte Diffamierung der Oberhebamme handelte, ist nicht rekonstruierbar, allerdings fungierte 169 Siehe dazu ausführlicher Kapitel 3.1.3. 170 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. Vor allem hinsichtlich der Wärterinnen, siehe: Pawlowsky, Trinkgelder, 211-214. 171 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 4270. 172 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 5307. 173 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 5307. 174 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 5307. 175 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 5307.

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der durchaus gängige Vorwurf offenbar auch in diesem geschlechterspezifischen und professionsinternen Konflikt um persönliche Kompetenzen, als finaler Versuch Regina Winkler zu diskreditieren.176 Wiederholt hatte Anna Pezzei, eigenen Angaben zufolge, versucht die Oberhebamme Winkler durch Ermahnungen zur Einhaltung der Regeln zu bewegen, doch diese kollegiale Intervention hatte nicht gefruchtet. Deshalb richtete sich die zweite Hebamme mehrfach mit Beschwerden an den Direktor der Anstalt sowie an den Sekundararzt, Franz Innerhofer. Pezzei entschied sich allerdings gegen eine Miteinbeziehung des vorgesetzten Professors, Ludwig Kleinwächter, da sie „gegen ihn etwas scheu“177 gewesen sei. Der Direktor entschloss sich, nach einer eingehenden Prüfung der Vorkommnisse im April des Jahres 1880, eine Verwarnung gegen die Oberhebamme auszusprechen. Auch der Landesausschuss und die Statthalterei, zu denen die Problematik bereits vorgedrungen war, schlossen sich dieser Rüge an und betonten, dass bei weiteren Vergehen mit einer Kündigung der Hebamme zu rechnen sei. Anna Pezzei wurde aufgetragen, sich um den Frieden in der Anstalt zu bemühen178 und, gemäß der Instruktion, „alles Lärmen, Zank und Raufereyen zu vermeiden.“179 Die Ermahnungen der Vorgesetzten waren jedoch scheinbar kontraproduktiv, hatten „zwar einige Tage [geholfen], aber dann war wieder das frühere Benehmen, nur gegen mich wurde die Hebamme Regina wüthender, haßte mich nur um so mehr, u. besonders als ihr von Seite des H[errn] Verwalters die Besorgung der Wäsche im Kreiszimmer abgenommen, u. mir übertragen wurde [...]. Selbst von ihrem Mann wurde ich bei der Gelegenheit mit harten Worten u. mit einer Drohung auf Klage angesprochen“180, schrieb Anna Pezzei in einem persönlichen Brief an den Landesausschuss. Die Oberhebamme versuchte in der Folge ihre Position zu behaupten und unterminierte die Autorität ihrer Kollegin bei jeder sich ihr bietenden Gelegenheit. So berichtete Pezzei weiters, „es hieß bei mancher Gelegenheit, daß die Oberhebamme es erlaubt und anbefohlen habe, selbst die Schülerinnen erschienen mir ganz entfremdet, so daß sie mir, sobald ich den Dienst versehe, mir nicht folgten, u. sie selbst erklären daß die Regina 176 Vgl. u.a. Schmitz Britta, Hebammen in Münster. Historische Entwicklung – Lebensund Arbeitsumfeld – Berufliches Selbstverständnis, Münster 1994, 64-65. 177 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 5307. 178 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 4270. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1880, Innsbruck 1881, 213. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 6060. 179 TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. 180 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 4270.

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ihnen den Auftrag gegeben habe auf mich nicht zu achten.“181 Zu diesem Zeitpunkt war das Verhältnis zwischen den beiden Hebammen offenbar bereits dermaßen zerrüttet, dass Anna Pezzei freiwillig um Entlassung aus ihrem Dienst als zweite Hebamme ansuchte.182 Auch der Verwalter beurteilte die Situation zusammenfassend als äußerst vertrackt und befürchtete, „daß eine Versöhnung und ein harmonisches Zusammenwirken dieser beiden Frauen gar nicht mehr möglich ist, weshalb eine radikale Aenderung getroffen werden muß, wenn man eine Ruhe und eine Ordnung wieder herstellen will.“183 Das gezielte Mobbing durch die Oberhebamme hatte Anna Pezzei krank gemacht, weshalb sie Anfang April beurlaubt wurde. Ihre zweite Dienstperiode im Innsbrucker Gebärhaus beendete die erfahrene Hebamme vorzeitig, am 25. Mai 1880, nachdem sie nicht einmal ein ganzes Jahr im Dienst gestanden hatte.184 Regina Winkler konnte vorerst ihre Tätigkeit als Oberhebamme an der Landesgebär- und Findelanstalt fortsetzen, doch schon im August desselben Jahres wurden neuerlich Vorwürfe gegen die Hebamme laut. Dieses Mal war es der Sekundararzt, der der Hebamme medizinisches Fehlverhalten, Verstöße gegen die Hausordnung und, zu guter Letzt, auch Dienstunfähigkeit auf Grund von Trunksucht vorwarf.185 Die Zustände mussten sich gegenüber dem Frühjahr des Jahres 1880 noch deutlich verschlechtert haben, denn noch im April hatte Sekundarius Dr. Sartori zu Protokoll gegeben, ihm seien keine Klagen über die Oberhebamme bekannt und ebenso wenig habe er die Winkler jemals betrunken gesehen.186 Gemäß der offiziell ausgesprochenen Verwarnung drohte der Hebamme nun die Entlassung. Diesem Schritt kam Regina Winkler jedoch zuvor und bat selbst, am 17. August 1880, um ihre vorzeitige Versetzung in den Ruhestand.187 Ihr Ansu181 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 4270. 182 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 4270. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, 161, 6211. 183 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 5307. 184 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 6211. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1880, Innsbruck 1881, 213. 185 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 9897. 186 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 5307. 187 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 10600. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1880, Innsbruck 1881, 213.

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chen wurde unverzüglich auf Grund von „Dienstunfähigkeit“ bewilligt, ein Gesuch auf Abfertigung jedoch rigoros abgewiesen. Winkler durfte noch mehrere Monate ihr Zimmer in der Anstalt bewohnen, musste dieses jedoch mit Ablauf der ihr gesetzten Frist bis zum 15. Oktober 1880 räumen. Ihr Auszug wurde streng kontrolliert und die Mitnahme jeglichen Inventars wurde der Hebamme strikt untersagt.188 Das unrühmliche Ausscheiden der Oberhebamme blieb nicht ohne Konsequenzen für den Anstaltsbetrieb. Das Professorenkollegium der medizinischen Fakultät und der Landesausschuss einigten sich auf eine Modifikation des Anstellungsverhältnisses: In Hinkunft sollten nur mehr befristete Dienstverträge über zwei Jahre ausgegeben werden. Die Nachbesetzung der Hebammenstelle wurde erst um die Mitte des Jahres 1881 in Angriff genommen.189 In der Zwischenzeit wurde der geburtshilfliche Dienst in der Anstalt durch die aus Innsbruck stammende Privathebamme Harasser, welche ab 1. September 1880 noch zusätzlich von der Aushilfshebamme Maria Haidacher unterstützt wurde, verrichtet.190 Letztere wurde schließlich am 20. Juli 1881 als neue, klinische Hebamme mit einem jährlichen Lohn von 210 Gulden angestellt.191 Als zweite Hebamme war bereits 1880 die 30-jährige Witwe Maddalena Franceschini aufgenommen worden, welche sich bereits 1879 auf die Stelle beworben hatte. Die Anstellung der Trentinerin aus Scurelle erfolgte jedoch vorerst nur auf Probe und unter der Bedingung, dass Franceschini binnen Jahresfrist die deutsche Sprache erlernen musste.192 Bereits im Jahre 1883 rückte Franceschini zur klinischen Hebamme auf, versah diesen Dienst aber nur bis 1884. Die ständigen Personalfluktuationen schienen erst mit der Anstellung der Leopoldine Chinatti aus Molina, im März 1884, ein Ende zu nehmen.193 Sie wird auch im Jahre 1907 noch als klinische Hebamme der Landesgebärklinik genannt. Doch auch die Hebamme Chinatti war in einen aktenkundig gewordenen Konflikt involviert: Im Jahre 188 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1880, Innsbruck 1881, 213. 189 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1881, Innsbruck 1882, 115. 190 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1880, Innsbruck 1881, 213. 191 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1881, Innsbruck 1882, 115. 192 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1880, Innsbruck 1881, 212. 193 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1884, Innsbruck 1885, 111.

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1907 erhoben insgesamt 32 städtische Hebammen schwere Vorwürfe gegen die Hebammentätigkeit der Anstaltshebammen außerhalb ihrer Institution. Dieser Zuverdienst war den Hebammen an sich untersagt und die Privathebammen beklagten zu Recht, dass es dadurch zu einer materiellen Schädigung ihrer eigenen Einkommensverhältnisse kommen würde. Umso mehr, als die erfahrenen Anstaltshebammen vorwiegend zu den wohlhabenden und damit „einträglichen Parteien“194 gerufen wurden. Tatsächlich hatten die beiden Gebärhaushebammen allein im Jahre 1906 jeweils zwanzig Entbindungen außerhalb ihres eigentlichen Dienstbereiches betreut. „Dass diese auswärtige Tätigkeit dem Dienste in der Anstalt nicht zum Vorteile gereicht, ist etwas Selbstverständliches, und wäre die gleichzeitige Einstellung dieser Tätigkeit [...] höchst wünschenswert“195, bestätigte der für die landschaftliche Hebamme verantwortliche Landesausschuss. Noch im Jahr 1907 wurde die weitere Tätigkeit der landschaftlichen Hebamme außerhalb der Gebärklinik auf Grund der Konkurrenzsituation zu den städtischen Hebammen verboten. Außerdem wurde die Betreuung von Geburten außerhalb der Anstalt auf Grund hygienischer Bedenken für unvorteilhaft empfunden.196 Von Seiten der Statthalterei, welche die dienstrechtlichen Belange der klinischen Hebamme regelte, blieb eine klare Positionierung jedoch vorerst aus. Wie sich die politische Behörde entschied, ist nicht dokumentiert. Überhaupt fehlen in den Akten der Landesgebäranstalt jegliche weiteren Hinweise auf die Tätigkeit der Gebärhaushebammen.

2. D IE G EBÄRHAUSKLIENTEL – S CHWANGERE , G EBÄRENDE UND W ÖCHNERINNEN Das Innsbrucker Gebärhaus beherbergte zwischen 1820 und 1924 insgesamt mehr als 40.000 Frauen, die aufgrund unterschiedlichster Motive in einem hospitalisierten Umfeld gebären wollten oder mussten. Für viele, insbesondere ledige Frauen, dürfte der Gang ins Gebärhaus einen Ausweg aus finanzieller und sozialer Not bedeutet haben. Doch auch fehlender Familienanschluss und mangelnde, räumliche Unterbringung zwangen Frauen, die Gebäranstalt aufzusuchen. Ande-

194 TLA, Landschaftliches Achiv, Akten des Landesausschusses 1907, Zl. 524, 20371. 195 TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 9, Jg. 1907, Zl. 1811. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1907, Zl. 524, 22175. 196 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1907, Zl. 524, 25945.

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re wiederum sahen einer schwierigen Geburt entgegen und wandten sich aus medizinischen Gründen an die geburtshilfliche Spezialeinrichtung. Welche Schicksale und Geschichten sich dahinter verbargen, wird im Einzelnen nicht geklärt werden können, doch stellt sich dennoch die Frage, wer die Frauen waren, die sich im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Niederkunft im Gebärhaus entschlossen? Aus den genannten über 40.000 Fällen lässt sich allerdings kein repräsentatives Bild der typischen Patientin zeichnen. Das Profil dieser sozialen Gruppe ist vielschichtig und war bis zum Ende der Untersuchungsperiode starken Veränderungen unterworfen. Trotz der Diversität der einzelnen Gruppen lässt sich aus den statistisch festgehaltenen Informationen eine Reihe von Gemeinsamkeiten extrahieren. Die folgenden Ergebnisse hinsichtlich des Zivilstandes, des Alters, der sozialen und geographischen Herkunft der Frauen und ihrer Religion erlauben zumindest eine grobe Skizzierung der individuellen Lebensumstände. 2.1 Zivilstand Der Ledigenstand war ein typisches Merkmal jener Frauen, die zur Entbindung ein Gebärhaus aufsuchten. Seien es Wien, München, Göttingen oder andere Städte in Mitteleuropa, unverheiratete Frauen bildeten stets die Kernklientel ihrer Gebärhäuser.197 Seidel konstatierte, dass sich die Patientinnen der einzelnen, geburtshilflichen Einrichtungen „bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus […] fast ausschließlich aus der Zielgruppe der Ledigen“198 rekrutierten und verheiratete Frauen, aus diversen Gründen, die Gebäranstalten mieden. Vielfach hatten es verheiratete Frauen schlichtweg nicht nötig, eine Entbindung im hospitalisierten Umfeld in Erwägung zu ziehen, da sie – im Gegensatz zu vielen ledigen Schwangeren – über ein Zuhause verfügten, in welchem die Geburt, in aller Privatheit, vonstattengehen konnte.199 Dieser eindeutige Befund lässt sich bis weit über die Jahrhundertmitte hinaus, auch anhand der vorliegenden Daten zum Innsbrucker Gebärhaus, bestätigen.

197 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 69-71. Vgl. Schlumbohm, Patientinnen, 330. Vgl. MetzBecker, Körper, 152. Vgl. Preußler, Türen, 112. Vgl. Vanja, Accouchier- und Findelhaus, 112. Vgl. Beisswanger, Accouchierhospital, 134. Vgl. Fuchs/Knepper, Women, 196. Vgl. Filippini, parturientes, 181. 198 Seidel, Kultur, 174. 199 Vgl. Seidel, Kultur, 177-178.

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Auch in Innsbruck lag die Absenz verheirateter Frauen im Gebärhaus weniger an der viel zitierten Scheu200 vor medizinischen Untersuchungen oder der Unabkömmlichkeit der „Hausmutter“ im Familienverband, sondern vielmehr an der Tatsache, dass sich das Innsbrucker Gebärhaus jahrzehntelang als Zufluchtsstätte für eine ausschließlich ledige Klientel definierte. Verheirateten Frauen wurde nur in medizinischen oder sozialen Ausnahmefällen die Aufnahme gestattet. Erst im Zuge einer Modifikation der Statuten im Jahre 1881, die einer zeitgemäßen Wohlfahrtspolitik entstammte, wurde auch verheirateten Frauen die Aufnahme und kostenlose Verpflegung garantiert. Im Vergleich zu den deutschen Entbindungsanstalten erfolgte diese Öffnung relativ spät, denn dort war bereits seit den 1860er Jahren eine steigende Inanspruchnahme der Gebärhäuser durch verheiratete Frauen zu beobachten.201 Das Angebot einer Spitalsgeburt wurde zunächst nur zögerlich angenommen und selbst 1890 stellten verheiratete Frauen in Innsbruck nur zehn Prozent der Gesamtaufnahmen. Vielfach handelte es sich dabei um Frauen in vorgerücktem Alter, die vermutlich aufgrund medizinischer Indikationen in die Anstalt kamen, wie der Fall der 46-jährigen Gertraud Gruber illustriert. Die verheiratete Webersgattin aus Trins im Gschnitztal nahm wegen einer Risikoschwangerschaft – sie erwartete in ihrem Alter noch eine Zwillingsgeburt – die Hilfe des Gebärhauses in Anspruch.202 Es scheint, als ob die Entbindungsanstalt hinsichtlich ihrer fachlichen Kompetenz einen guten Ruf hatte und selbst für verheiratete Frauen in konkreten medizinischen Notfällen eine Alternative zur traditionellen Hausgeburt darstellte. Nur langsam änderte sich die typische Zusammensetzung der Klientel und um die Jahrhundertwende – rund zwei Jahrzehnte nachdem das Gebärhaus offiziell seine Pforten für verheiratete Frauen geöffnet hatte –, war der Anteil der Ehefrauen an der Gesamtklientel auf ein Viertel angewachsen. Somit

200 Seit 1819 hatte auch in Innsbruck zur Gewährleistung des klinischen Unterrichts eine Poliklinik bestanden, welche zunächst großen Zuspruch aus dem Kreis verheirateter Unterschichtsfrauen erfuhr. Gegen ein Entgelt erklärten sich die Schwangeren und Gebärenden bereit als „Unterrichtsmaterial“ für Untersuchungsübungen und Lehrgeburten der Auszubildenden zu fungieren. Interessanterweise meldeten sich dabei vorwiegend erfahrene Mehrgebärende, die größtenteils bereits mehr als vier Mal entbunden hatten. Dies lässt den Schluss zu, dass die Scheu in einem halböffentlichen Raum zu gebären mit zunehmender Erfahrung sank. Vgl. Hilber, Geburtsgeschichte(n), 89. Vgl. zur Frequentierung der geburtshilflichen Polikliniken durch verheiratete Frauen auch Seidel, Kultur, 177-178. 201 Vgl. Seidel, Kultur, 177-179. 202 Vgl. Datenbank GH, Fall Gertraud Gruber 1890.

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bestätigt das Tiroler Beispiel erneut Seidels Feststellung, dass die Gebärhäuser bis um 1900 ein Refugium für ledige Mütter blieben.203 Unmittelbar nach der Jahrhundertwende sollte sich die klassische Zusammensetzung der Gebärhausklientel allerdings grundlegend verändern. Im Jahre 1910 wurden, zum ersten Mal in der Geschichte des Tiroler Gebärhauses, mehr verheiratete als ledige Mütter verpflegt. Und dieser Trend sollte sich nach dem Ersten Weltkrieg noch deutlicher fortsetzen: Bis 1924 hatte sich die ehemalige „Zufluchtsstätte“ für arme, ledige Frauen in ein Entbindungsheim für die Ehefrauen der städtischen Arbeiterschaft verwandelt. Graph. 3: Zivilstand der Mütter in der Innsbrucker Gebäranstalt (1859-1924)

700 600 500 400 OHGLJ

300

YHUKHLUDWHW

200

YHU ZLWZHW

100

ND JHVFKLHGHQ

0 1859 1869 1880 1890 1900 1910 1924

Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen.

2.2 Alter Für die institutionelle Frühzeit von 1816 bis 1869 sind keine seriellen Daten erhalten, die Rückschlüsse auf das Alter der Patientinnen erlauben. Lediglich die Altersangaben, welche in den so genannten „Geburtsgeschichten“ (klinische Hospitationsberichte) im Rahmen des Anamnesegesprächs protokolliert wurden, lassen vorsichtige Schlüsse über das Alter der Gebärenden zu. Das durchschnitt-

203 Vgl. Seidel, Kultur, 178.

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liche Alter der ledigen Gebärenden lag bei 26 Jahren,204 ein Befund, der sich exakt mit den Ergebnissen Schlumbohms für das Göttinger Accouchierhaus deckt.205 Aufgrund der geringen Datenmenge sind diese Angaben jedoch kritisch zu betrachten. Stichhaltigere Angaben liefert hingegen die Vergleichsstudie zur Gebäranstalt in Alle Laste bei Trient, wo zwischen 1833 und 1870 rund zwei Drittel der verpflegten Frauen zwischen 20 und 29 Jahren alt waren.206 Diese altersspezifische Verteilung war auch nach der Übersiedlung der Anstalt nach Innsbruck keinerlei Veränderungen unterworfen. Für die Zeit zwischen 1880 und 1924 machten die 20- bis 29-jährigen mit rund 60 Prozent die Mehrheit der verpflegten Frauen aus. Das Innsbrucker Gebärhaus weist im Hinblick auf das Alter der Mütter somit eine klassische Verteilung auf. 207 Bei den ledigen Müttern zeigt sich, mit annähernd 40 Prozent, ein deutlicher Überhang jüngerer Frauen im Alter von 20 bis 24 Jahren. Diese Werte entsprachen dem landesweit ermittelten Durchschnittsalter von ledigen Müttern: Die 20bis 25-jährigen brachten, laut einer Statistik der Jahre 1896 bis 1900, mit 42,9 Prozent die meisten unehelichen Kinder zur Welt.208 Diese Dominanz jüngerer Frauen, in einem – wie Seidel es nennt – „jugendlichen Alter“, ist auch in den verschiedenen, deutschen Gebärhäusern beobachtbar.209 Verheiratete Frauen fanden sich auch in Innsbruck, wenig überraschend, eher in den höheren Altersklassen wieder: Rund 30 Prozent waren zwischen 25 und 29 Jahren alt, mehr als 40 Prozent waren in einem Alter von 30 bis 39 Jahren. Diese Werte korrespondieren mit dem durchschnittlichen Erstheiratsalter, welches in Tirol traditionell recht hoch war. Um die Jahrhundertmitte etwa hatte das Heiratsalter der Bräute bei rund 30 Jahren gelegen, bis 1890 war es allerdings auf rund 28 Jahre gesunken.210 Noch 1870/74 wurde in Tirol weniger als ein

204 Vgl. UAI, Med. Hebammen 1829-1880, Geburtsgeschichten 1830 und 1834. Die Altersangaben wurden ausgewertet für: Hilber, Geburtsgeschichte(n), 89. 205 Vgl. Schlumbohm, Patientinnen, 331. 206 Vgl. Anderle, Maternità, 184. 207 Laut Seidel machten die 21- bis 29jährigen in den unterschiedlichen deutschen Entbindungsanstalten stets mehr als 75 Prozent aus. Vgl. Seidel, Kultur, 185. Auch im Wiener Gebärhaus stellten die 20- bis 29jährigen den Hauptanteil der verpflegten Mütter. Vgl. Pawlowsky, Mutter, 68-69. Vgl. dazu auch Fuchs/Knepper, Women, 192-193. Vgl. Filippini, parturientes, 181. 208 Vgl. Presl Friedrich, Die weibliche Bevölkerung Österreichs und deren Fruchtbarkeitsziffer, in: Statistische Monatsschrift 31 (1905), 499-541, hier 524-526. 209 Vgl. Seidel, Kultur, 185-186. 210 Vgl. Mantl, Heiratsverhalten, 137.

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Viertel aller Ehen vor der Erreichung des 25. Lebensjahres der Braut geschlossen.211 Die jüngsten Mütter, die zwischen 1880 und 1924 im Innsbrucker Gebärhaus entbanden, waren 15 Jahre alt und ledig. Die Älteste, die verehelichte Bauersfrau Maria Madlaner, hatte im Jahre 1910 bereits ein Alter von 48 Jahren erreicht.212 Als charakteristisch für die Inanspruchnahme eines Gebärhauses hob die einschlägige Forschung bisher noch einen weiteren, alterspezifischen Aspekt hervor: Die betroffenen Frauen suchten das Gebärhaus hauptsächlich für ihre erste oder zweite Entbindung auf.213 Dabei waren die Frauen eben meist, wie das Beispiel des Münchner Gebärhauses zeigt, jünger als 25 Jahre.214

Graph. 4: Alter der Mütter im Innsbrucker Gebärhaus (1880-1924)

0,3 3,6

8,9

30,3 30,4

15-19 Jahre 20-24 Jahre 25-29 Jahre 30-34 Jahre 35-39 Jahre 40-44 Jahre 45-49 Jahre

16,6 29,9

Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen.

 Ob es sich bei den Frauen im Innsbrucker Gebärhaus vorwiegend um unerfahrene Erstgebärende handelte, konnte nicht zweifelsfrei eruiert werden. Obwohl die Aufnahmebücher hinsichtlich des Alters eine durchaus verlässliche

211 Vgl. Schimmer, Geborenen, 158. 212 Vgl. Datenbank GH, eigene Berechnungen. 213 Vgl. Seidel, Kultur, 181. Vgl. Metz-Becker, Körper, 150. 214 Vgl. Seidel, Kultur, 185-186.

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Quelle darstellen, geht der individuelle Geburtenrang aus den Aufzeichnungen nicht hervor. Zeitgenössische Daten, welche aus dem Zeitraum von Oktober 1881 bis März 1887 stammen, legen jedoch nahe, dass Erst- bzw. Zweitgebärende auch im Innsbrucker Gebärhaus den Großteil der Patientinnenschaft ausmachten. Innerhalb der analysierten fünfeinhalb Jahre wurden 1.043 Erstgebärende (47,8 Prozent), 630 Zweitgebärende (28,8 Prozent) und 425 Gebärende (19,5 Prozent) betreut, welche ihr drittes, viertes oder fünftes Kind entbanden. Hinzu kamen noch 85 Fälle von so genannten „Vielgebärenden“ (3,9 Prozent) – Frauen also, welche ihr sechstes bis fünfzehntes Kind zur Welt brachten.215 2.3 Soziale Verortung Zur Eruierung des sozialen Hintergrunds der im Innsbrucker Gebärhaus verpflegten Mütter stehen zwei unterschiedliche, qualitativ und quantitativ klassifizierbare Informationseinheiten zur Verfügung. Zum einen kann die Einordnung in ein soziales Herkunftsmilieu über die so genannten „Väterberufe“ erfolgen. Dabei wird anhand der dokumentierten, nominalen Berufsbezeichnungen der Väter der ledigen Mütter, eine soziale Kategorisierung vorgenommen. Dieses System kann in ähnlicher Weise auch bei verheirateten Frauen, über die Berufe ihrer Ehegatten, angewandt werden. Die Schwächen dieser Methode liegen jedoch klar auf der Hand, denn aufgrund fehlender besitzstruktureller Einordnungen, unklarer Einkommens- und somit Vermögensverhältnisse kann eine klare, schichtspezifische Stratifizierung der einzelnen Familien nicht erfolgen.216 Dennoch erlaubt das Berufsmodell zumindest eine vage Annäherung an die gesellschaftliche Position und soziale Absicherung der Frauen. Einer solchen Kategorisierung folgend, verortete Schlumbohm die ledige Klientel des Göttinger Accouchierhauses als der Unter- bzw. unteren Mittelschicht angehörend.217 Laut Metz-Becker dürfte es sich auch bei der Klientel des Marburger Gebärhauses „so gut wie ausnahmslos um Frauen aus der Unterschicht gehandelt haben.“218 Insgesamt lässt sich eine klare Dominanz der charakterisierenden Attribute „arm“ bzw. „mittellos“ feststellen. Preußler spricht zusammenfassend von „sozial per-

215 Vgl. Torggler, Bericht, 4. 216 Vgl. Goller, Matrikel, 22-23. Vgl. Preußler, Türen, 112. 217 Vgl. Schlumbohm, Patientinnen, 333-334. 218 Metz-Becker, Körper, 150.

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spektivenlosen Verhältnissen“219, aus denen die meisten im Gebärhaus niederkommenden Frauen – gleichgültig ob ledig oder verheiratet – stammten.220 In den hier analysierten Stichjahren 1859 und 1869 erfolgte eine nähere Beschreibung der Frauen vorwiegend über die Berufe ihrer Väter. Klassische Angaben wie „ledige Bauerstochter“, „ledige Maurerstochter“ oder „ledige Taglöhnerstochter“ lassen auch für Tirol auf ein gewisses Herkunftsmilieu schließen. Insgesamt ergab die Evaluation der statistisch verwertbaren Informationen eine, für das agrarisch geprägte Tirol überraschende, im internationalen Vergleich jedoch durchaus typische Verteilung. Obwohl um 1850 noch 78 Prozent der Tiroler Bevölkerung landwirtschaftlich geprägt waren und diese Zahl bis 1890 nicht unter die 70-Prozent-Marke sinken sollte,221 machten Bauerntöchter in den Jahren 1859 und 1869 nur 28,6 Prozent bzw. 21,6 Prozent der ledigen Gesamtklientel aus. Hingegen stellten die Töchter der städtischen und ländlichen Handwerker und Gewerbetreibenden, welche 1869 nur einen marginalen Anteil von drei Prozent der Tiroler Berufstätigen ausmachten,222 weit mehr als ein Drittel der im Gebärhaus verpflegten Patientinnen. 1859 lag ihr Anteil bei 37,1 Prozent, 1869 sogar bei 42,7 Prozent der Gesamtklientel. Was im Hinblick auf die in Tirol vorherrschende Berufsstruktur verwunderlich erscheint, kann, im Vergleich mit anderen Gebärhäusern im deutschsprachigen Raum, als klassisches Bild interpretiert werden. In Göttingen stammten um 1800 rund 40 Prozent der Patientinnen aus einem handwerklich geprägten Milieu, wohingegen Bauerntöchter mit nur sechs Prozent vertreten waren.223 Auch in München konnte für das Beispieljahr 1829/30 ein deutlicher Überhang von Angehörigen des Handwerks und Kleingewerbes (45 Prozent) beobachtet werden. Diesen Werten stand auch in Bayern eine geringe Frequentierung durch landwirtschaftlich geprägte Bevölkerungsteile (16 Prozent) gegenüber.224 Als ursächlich für diese Verteilung bezeichnete Preußler, in erster Linie, die zunehmende Verarmung des ländlichen Handwerks, doch auch die unterschiedliche Sozialisierung der Frauen sowie die stark divergierende Bedeutung von vorehelicher Sexualität in bäuerlichen und handwerklichen Kreisen. So wird häufig argumentiert, dass die voreheliche Zeugung von 219 Preußler, Türen, 113. 220 Vgl. Fuchs/Knepper, Women, 193-194 und 198. Vgl. Filippini, parturientes, 181183. Vgl. Nuttall, Poverty, 269. 221 Vgl. Dietrich, Bevölkerungsentwicklung, 129. 222 Vgl. Kessler Bettina/Meixner Wolfgang, Tiroler Industrie und Gewerbe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Chronik der Tiroler Wirtschaft. Mit Sonderteil Südtirol, Wien 1993/1994, 177-198, hier 181. 223 Vgl. Schlumbohm, Patientinnen, 333-334. 224 Vgl. Preußler, Türen, 112.

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Nachkommenschaft in landwirtschaftlich geprägten Gesellschaften oftmals zur Eheanbahnung gehörte und deshalb keiner allzu strengen Sanktionierung unterworfen war. Deshalb schienen Bauerntöchter deutlich seltener gezwungen, die Anonymität eines Gebärhauses in Anspruch nehmen zu müssen.225 Demgegenüber herrschten im handwerklichen Milieu rigidere Sexualnormen vor. Aufgrund der hohen Mobilität der Handwerksgesellen und ihrer nur kurzen Verweildauer in den lokalen Handwerkerfamilien waren ledige Töchter oder Schwestern von Handwerkern im Schwangerschaftsfall scheinbar in sehr viel höherem Maße gefährdet, nicht vom Kindsvater geehelicht zu werden. „Hier waren strengere Sexualnormen notwendig [und] wurden zu einem integrierenden Bestandteil des handwerklichen Ehrbegriffs“226, wie Michael Mitterauer konstatierte. Innerhalb der Gruppe der Handwerkerstöchter waren, laut Schlumbohm, vor allem die ärmeren und klein- bzw. kleinstgewerblich strukturierten Handwerke, wie die Schuhmacher, Schneider oder Weber, vertreten.227 Auch im Tiroler Sample werden diese Berufsgruppen genannt, allerdings sticht vor allem eine Sparte deutlich hervor: Angehörige der Baubranche (Maurer, Zimmermann) sowie der Baunebengewerbe (Schlosser, Tischler) werden in den Jahren 1859/1869 überdurchschnittlich oft als Väter der ledig gebärenden Frauen im Innsbrucker Entbindungshaus genannt. Aufgrund der klein- und kleinstbetrieblichen Struktur des Tiroler Gewerbes, welche auch im Jahre 1902 noch vorherrschte,228 war es den Herkunftsfamilien häufig nicht möglich, jugendliche und erwachsene Kinder weiterhin im elterlichen Haushalt zu integrieren, geschweige denn ledige Töchter und ihre unehelichen Kinder finanziell zu unterstützen. Viele junge Frauen waren deshalb gezwungen, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Dabei dominierten unqualifizierte Tätigkeiten als landwirtschaftliche Dienstmägde, Dienstbotinnen, Tagelöhnerinnen, Fabriksarbeiterinnen oder (un-)selbständige Textilarbeiterinnen.229 Insgesamt waren die Töchter der Handwerker damit „sozial ’niedriger’ gestellt [...] als ihre Väter“230 und glitten vielfach in das diffuse Milieu der Unterschichten ab. Eine klare Grenzziehung zwischen der unteren Mittelschicht, der ihre Väter teilweise angehörten und den breiten Unterschichten ist aufgrund der fehlen225 Vgl. Preußler, Türen, 113-115. Vgl. Mitterauer, Mütter, 61. Vgl. Mitterauer, Familienformen, 179-188. Vgl. Beck, Illegitimität, 135-150. 226 Mitterauer, Mütter, 61. 227 Vgl. Schlumbohm, Patientinnen, 334. 228 Vgl. Kessler/Meixner, Industrie, 182. 229 Vgl. Ehmer Josef, Frauenerwerbsarbeit in der industriellen Gesellschaft, in: Beiträge zur Historischen Sozialkunde 3 (1981), 97-106, hier 98-100. 230 Vgl. Preußler, Türen, 112.

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den, kontextualisierenden Angaben zu Besitzverhältnissen und Einkommenschancen aber nicht möglich. Der Anteil jener Frauen, deren Väter aus Berufen stammten, die mehr oder weniger eindeutig den sozialen Unterschichten zugerechnet werden müssen (z. B.: Fabriksarbeiter, Tagelöhner, Salinenarbeiter, Bergknappen), lässt sich auf rund ein Viertel der Gesamtklientel veranschlagen (1859: 25 Prozent; 1869: 27 Prozent). Zusätzlich müssen auch die bereits selbst unehelich geborenen, ledigen Mütter den Unterschichten zugerechnet werden. Metz-Becker betonte, dass diese Reproduktion der prekären, sozialen Verhältnisse häufig stattfand. „Viele uneheliche Schwangere waren selbst bereits unehelich geboren worden, und hatten in den elterlichen bzw. mütterlichen Haushalten gar nicht oder nur kurze Zeit gelebt“231, beschrieb sie die Marburger Verhältnisse, ohne jedoch konkrete Vergleichswerte anzugeben. Ebenfalls ohne nachvollziehbare Belege kam auch Kurmanowytsch für die Grazer Gebäranstalt zu dem Schluss, dass etliche ledige Mütter selbst ähnlichen Lebensumständen entstammten.232 Der Anteil der unehelich geborenen, ledigen Mütter lag 1859/1869 in Innsbruck bei rund einem Viertel, sank jedoch in den Folgejahren stetig ab. 1890 machte diese Gruppe nur mehr 18 Prozent der Gesamtaufnahmen aus, im Jahre 1924 hatte sich ihr Anteil an den ledigen Müttern auf 14 Prozent reduziert. Hinsichtlich der sozialen Verortung der verheirateten Patientinnen lässt sich feststellen, dass sich eine deutliche Verschiebung in Richtung des vornehmlich städtischen Proletariats einstellte. 1910 wurden lediglich 11,8 Prozent verheiratete Bäuerinnen verpflegt, während Ehefrauen von Handwerkern und Gewerbetreibenden mit 23 Prozent, noch rund ein Viertel der verheirateten Gebärhausklientel stellten. Etwas über 60 Prozent der verheirateten Frauen waren den Unterschichten zuzurechnen, wobei rund ein Drittel davon Ehefrauen von Bediensteten der k. k. Südbahngesellschaft bzw. der Lokalbahnen waren. Ihre Männer arbeiteten teilweise in spezialisierten Bereichen, als Kondukteure, Lampisten, Verschieber oder Heizer. Viele verdienten ihren Lebensunterhalt jedoch auch als einfache Bahnarbeiter. Bis zum Jahr 1924 zeigte sich ein noch deutlicherer Rückgang hinsichtlich der agrarisch tätigen Ehefrauen sowie hinsichtlich der traditionellen Handwerke. Nur mehr in Ausnahmefällen wurde die Gebäranstalt von Bauersfrauen aufgesucht und auch Handwerkersgattinnen waren mit einem Anteil von nur mehr 16 Prozent innerhalb der verheirateten Klientel vertreten. Insgesamt wurde das Berufsspektrum erheblich erweitert, mit einer deutlichen Zunahme des tertiären Sektors. Als neue, abgrenzbare Gruppe etablierten sich dabei die Ehefrauen der Beamten. 231 Metz-Becker, Körper, 150. 232 Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 164.

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Neben der indirekt, über die Väter und Mütter bzw. Ehegatten erfolgten sozialen Einordnung, lassen sich die ledig gebärenden Mütter häufig auch über ihre eigenen Berufe bzw. Tätigkeitsfelder sozial zuordnen. Seidel bezeichnete illegitime Schwangerschaft und die Geburt in einem Gebärhaus, besonders treffend, als „Dienstmädchenschicksal“.233 Diese These wird durch eine Reihe von Studien der letzten Jahre gestützt, die allesamt die Gruppe der Dienstmägde und Dienstbotinnen als Hauptklientel der europäischen Gebäreinrichtungen definierten.234 In Wien bezeichneten sich, in den untersuchten Stichjahren 1857 und 1888, 47 Prozent bzw. 67 Prozent der verpflegten, ledigen Frauen als Dienstbotinnen.235 Vergleichbare Werte lassen sich auch für die Innsbrucker Anstalt festhalten: Der Anteil der in landwirtschaftlichem oder häuslichem Dienst stehenden Frauen lag bis 1910 immer über 50 bzw. 60 Prozent und erreichte im Jahre 1910 sogar einen Wert von 70 Prozent der ledigen Berufstätigen. Zusammen mit den Dienst- und Wartberufen, die, einer Definition Pawlowskys zufolge, all jene Beschäftigungen umfassten, „die differenzierter formuliert waren und weniger deutlich auf hausrechtliche Abhängigkeit hinwiesen (z. B. Köchin, Bedienerin, Wärterin)“236, formte der „Dienst im fremden Haus“ die klassische Tätigkeit junger, lediger Frauen.237 Andere Berufssparten waren deutlich unterrepräsentiert: Während der Anteil der Fabriksarbeiterinnen238, in allen Stichjahren, relativ 233 Seidel, Kultur, 186. Vgl. Wierling Dorothee, Mädchen für alles. Arbeitsalltag und Lebensgeschichte städtischer Dienstmädchen um die Jahrhundertwende, Berlin/Bonn 1987, 226-228. 234 Anderle hingegen definierte ledige „contadina“ (Bäuerinnen) als Hauptklientel der Gebär- und Findelanstalt in Alle Laste. „Domestica“ (Dienstmägde) rangierten in der Trentiner Gebäranstalt nur an zweiter Stelle. Vgl. Anderle, Maternità, 188. Vgl. Schlumbohm, Patientinnen, 331. Vgl. Metz-Becker, Körper, 175-189. Vgl. Preußler, Türen, 112. Vgl. Pawlowsky, Mutter, 76-81. Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 164. Vgl. Vanja, Accouchier- und Findelhaus, 112. Vgl. Beisswanger, Accouchierhospital, 134. Vgl. Fuchs/Knepper, Women, 193. Vgl. Filippini, parturientes, 182-183. Vgl. Wierling, Mädchen, 226-228. 235 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 74-76. 236 Pawlowsky, Mutter, 75. 237 Vgl. Ehmer, Frauenerwerbsarbeit, 100-101. 238 Vor allem die Tiroler Textilindustrie bot viele Arbeitsplätze für Frauen und Kinder. 1859 beschäftigte etwa die k.k. priv. Maschinen-, Band- und Spinnfabrik in Matrei am Brenner über 70 Prozent Frauen. Vgl. Meixner Wolfgang, Tirols Gewerbe und Industrie in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Chronik der Tiroler Wirtschaft. Mit Sonderteil Südtirol, Wien 1993/1994, 167-176, hier 170. Vgl. Ehmer, Frauenerwerbsarbeit, 101-102.

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konstant um zehn Prozent lag, wies die Gruppe der Tagelöhnerinnen bzw. Hilfsarbeiterinnen eine hohe Schwankungsbreite auf. Die Werte bewegten sich zwischen fünf Prozent und annähernd 15 Prozent der Klientel. Als Schlusslicht rangierten die gewerblichen Arbeiterinnen, wobei innerhalb dieser Gruppe, ganz eindeutig, die Beschäftigten im Textilgewerbe dominierten. Aus Berufsangaben, wie „Näherin“, „Strickerin“, „Weberin“ oder „Stickerin“, geht jedoch nicht hervor, ob die Frauen in hausgewerblicher Eigenproduktion, oder einer Manufaktur bzw. Fabrik tätig waren.239 Im Jahre 1924 wiesen die Berufsangaben der Frauen eine breitere Streuung auf. Interessant ist dabei die Kategorie „andere Berufsangaben“, die erstmals im Untersuchungszeitraum die Zehn-Prozent-Marke erreichte. Darin inkludiert waren neue Berufsbezeichnungen, wie beispielsweise „Kassierin“, „Laborantin“ oder „Verkäuferin“. Insbesondere Letzterer wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum klassischen Frauenberuf. Ehmer konstatierte dazu, dass vor allem „frühere Dienstmädchen gern in die Verkäuferinnenberufe gingen, die ihnen Kontakt mit höhergestelltem Publikum versprachen.“240 Prostituierte wurden in keinem der untersuchten Stichjahre offiziell verzeichnet. Dies entspricht wiederum dem allgemeinen Trend. Auch Seidel stellte fest, dass die professionelle Prostitution im Gebärhauskontext keine ausschlaggebende Rolle spielte. Nicht zu vernachlässigen sei jedoch die Gelegenheitsprostitution, welcher so manches Dienstmädchen, zur Aufbesserung ihres mageren Einkommens, nachging. Das Ausmaß der Promiskuität ist allerdings nur schwer zu beziffern.241 Die klare Dominanz des weiblichen Gesindes dürfte auch die relativ geringen Legitimationsaussichten der im Gebärhaus geborenen Kinder bedingen. Das landwirtschaftliche Gesinde formte nämlich, nach den städtischen Dienstmädchen, die Gruppe mit den traditionell geringsten Aussichten auf eine nachträgliche Legitimation ihrer Nachkommenschaft. 239 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 75. Vgl. Ehmer, Frauenerwerbsarbeit, 102-103. 240 Ehmer, Frauenerwerbsarbeit, 103. 241 Vgl. Seidel, Kultur, 188-189. Vgl. Fuchs/Knepper, Women, 194-195. Vgl. Pawlowsky, Mutter, 80. Der vermeintlich enge Zusammenhang zwischen Dienstbotenstand und Prostitution wird ausführlicher erörtert bei: Wierling, Mädchen, 228-233. Zeitgenössisch wurde als auslösende Ursache für die Prostitution zwar auch „das Elend der Frauen“ gesehen, daneben sah vor allem die psychiatrische Wissenschaft diverse Prädispositionen, die die Frauen in die Prostitution führten (Alkoholismus, „Idiotie“, etc.). Vgl. zum Prostitutionsdiskurs: Sabisch Katja, Die Prostituierte im 19. Jahrhundert. Zur Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 21 (2010), 11-28, hier 22-24.

D ER M IKROKOSMOS G EBÄRHAUS – MEDIKALE L EBENSWELTEN

| 251

Graph. 5: Berufe der ledigen Mütter im Innsbrucker Gebärhaus (1869-1924)

80 70 60 50 40 30 20 10 0 1869

1880

1890

1900

Dienstmagd Fabriksarbeiterin aus dem Gewerbe k.A.

1910

1924

Dienst- und Wartberufe Taglöhnerin/Hilfsarbeiterin andere B erufsangaben

Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen.

 Ihre Chancen auf Heirat des Kindsvaters lagen bei lediglich 21,5 Prozent, während das städtische Dienstpersonal mit 16,3 Prozent, noch wesentlich schlechtere Legitimationschancen aufwies.242 Deutlich bessere Aussichten auf eine Heirat des natürlichen Kindsvaters hatten hingegen die im Textilgewerbe beschäftigten Arbeiterinnen. 29,8 Prozent ihrer unehelich geborenen Kinder konnten durch die Heirat der Eltern nachträglich legitimiert werden. Auch die landwirtschaftlichen Tagelöhnerinnen hatten mit 29 Prozent243 gute Aussichten auf den, zeitgenössisch so genannten „sozialen Heilungsprozess der Unehe-

242 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 81. Vgl. Wierling, Mädchen, 227. 243 Vgl. Seutemann Karl, Die Legitimation unehelicher Kinder nach dem Berufe und der Berufsstellung der Eltern in Oesterreich, in: Statistische Monatsschrift 26 (1900), 13-68, hier 39.

252 | I NSTITUTIONALISIERTE G EBURT

lichkeit“.244 Insgesamt wurden in Tirol und Vorarlberg aus den Geburtsjahrgängen 1895 und 1896, bis zur Vollendung des fünften Lebensjahres, 21,3 Prozent aller lebendgeborenen, unehelichen Kinder legitimiert. Josef Plaseller, der erste Direktor der Landesgebär- und Findelanstalt, ging im Jahre 1874 davon aus, dass „gar nicht selten uneheliche Mütter vom Kindesvater nachträglich geehelicht und die Findlinge dadurch legitimiert werden.“245 Tatsächlich zeigt die Legitimationsstatistik, die aus dem Datenmaterial des Innsbrucker Gebärhauses erstellt wurde, nur geringe Legitimationswerte. Das erhobene Zahlenmaterial weist allerdings deutliche Unsicherheiten auf: Die Matriken verzeichneten nämlich lediglich die erfolgte Legitimierung noch lebender Kinder. Sämtliche Ehen, welche nach dem frühzeitig erfolgten Tod des Kindes zwischen den natürlichen Eltern geschlossen wurden, fehlen somit in der Statistik. Es darf deshalb, aus dem gegebenen Material, nicht auf die prinzipiellen Heiratschancen lediger Mütter geschlossen werden. Denn ebenfalls nicht erfasst werden dabei jene Ehen, welche die Kindsmutter mit anderen Männern einging, da der Umstand einer Legitimation nicht gegeben war.246

 Tab. 8: Nachträgliche Legitimierungen durch spätere Verehelichung der Mütter mit dem Kindsvater (1859-1910) Anzahl der ledigen Mütter

Prozentsatz der Legitimierungen

1859

141

8,5

1869

225

5,3

1880

358

7,5

1890

371

12,7

1900

463

14,7

1910

597

16,2

Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen.

244 Spann Othmar, Die Legitimation unehelicher Kinder in Österreich unter Berücksichtigung der Sterblichkeit nach Gebieten, in: Statistische Monatsschrift 35 (1909), 129-138, hier 129. Vgl. Buske Sybille, Fräulein Mutter und ihr Bastard. Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900-1970, Göttingen 2004, 46-48. 245 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1874, Zl. 8990 ex. 1873. 246 Vgl. Seutemann, Legitimationen, 33-34. Vgl. Spann, Legitimation, 129.

D ER M IKROKOSMOS G EBÄRHAUS – MEDIKALE L EBENSWELTEN

| 253

Erwähnenswert erscheint noch die Tatsache, dass sich die meisten Kindsväter, die nachträglich die Kindsmutter ehelichten, von vorn herein zu ihrem Kind standen und die Vaterschaft auch selbständig, bei der Taufe des Kindes, erklärten. Die entsprechende Anerkennung wurde schriftlich im Taufbuch dokumentiert und vielfach sogar durch die eigenhändige Unterschrift des Vaters bestätigt. Generell wird davon ausgegangen, dass die Hälfte aller nachträglichen Eheschließungen bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres des unehelich geborenen Kindes vollzogen wurde. Nach fünf Jahren war schließlich ein Großteil, immerhin rund zwei Drittel, der zu erwartenden Legitimierungen durchgeführt worden. Somit fiel die Wahrscheinlichkeit einer Heirat mit zunehmendem, zeitlichen Abstand zur Geburt des Kindes.247 Diese Tendenz zeigt sich auch deutlich an der Statistik des Innsbrucker Gebärhauses, wobei das Hauptgewicht der nachträglichen Legitimationen hier interessanterweise zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr der Kinder verzeichnet wurde. Tab. 9: Zeitpunkt der nachträglichen Legitimierung (1859-1910 ) innerhalb eines Jahres 2-5 Jahre 6-10 Jahre > 10 Jahre Gesamt 1859

4

5

2

1

12

1869

2

8

2

-

12

1880

4

12

7

4

27

1890

11

23

11

2

47

1900

24

36

6

2

68

1910

32

54

10

1

97

Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen.

2.4 Regionale Verortung Die Ermittlung der Herkunftsräume stellt die vorliegende Studie zur historischen Gebärhausforschung vor ein schwerwiegendes, methodisches Problem. Die Aufnahmebücher protokollierten zwar den Herkunftsort, sprich jenen Ort, an welchem die Mutter durch Geburt oder Heirat das Heimatrecht besaß, dieser musste jedoch nicht zwangsläufig mit dem eigentlichen Wohn- bzw. Dienstort der Frauen übereinstimmen. Die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der ledigen Mütter in einem Dienstverhältnis stand, lässt auf eine hohe Mobilität in dieser Gruppe 247 Vgl. Seutemann, Legitimationen, 17. Vgl. Spann, Legitimation, 135.

254 | I NSTITUTIONALISIERTE G EBURT

schließen, doch wurden die jeweiligen Dienstorte nur in Ausnahmefällen dokumentiert. Preußler argumentiert, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts rund 80 Prozent der Klientel des Münchner Gebärhauses aus den ländlichen Gebieten Bayerns stammten, die Frauen zum Zeitpunkt ihrer Schwängerung aber nicht mehr in ihrem Heimatort wohnten. Preußlers Aussagen basieren auf einer Besonderheit der Münchner Gebärhausdokumentation: Es existieren Einträge in den Aufnahmebüchern, die den individuellen Ort der Schwängerung ausweisen. Etwa 46 Prozent der im Gebärhaus verpflegten Frauen stammten demnach nicht aus München, wurden aber in der Stadt schwanger. Diese Informationen stützen, laut Preußler, die Annahme, dass der geographische Radius des Einzugsgebietes auf das unmittelbare Stadtgebiet und dessen Vororte beschränkt war und das Gebärhaus demnach „als Lösungsmöglichkeit für eher städtische Probleme der Illegitimität verstanden werden“248 muss. Auch im Wiener Gebärhaus gaben mehr als 75 Prozent der Frauen das unmittelbare Stadtgebiet und seine Vororte als letzten Wohnort vor der Entbindung an.249 Im Gegensatz zu den großstädtischen Verhältnissen rekrutierte sich die Klientel des Tiroler Gebärhauses wohl nur zu einem geringen Prozentsatz aus dem, wenn auch zugewanderten, städtischen Milieu. Vielmehr scheint das von Seidel vorgeschlagene Herkunftsmodell auch für die Tiroler Verhältnisse zutreffend zu sein. Seidel zufolge ging der Einzugsbereich der deutschen Gebärhäuser charakteristischerweise immer „über das jeweilige Stadtgebiet“250 hinaus. Auch in Seidels Modell spielt der Ort der Schwängerung eine ausschlaggebende Rolle, nach welchem er zwei unterschiedliche Kategorien von Schwangeren bildete: Zum einen wären jene Frauen zu nennen, welche in ihrem Heimatort geschwängert worden waren und, wohl aufgrund gesellschaftlicher bzw. familiärer Zwänge, im Laufe der Schwangerschaft mit der Absicht, ihr Kind in der Gebäranstalt zur Welt zu bringen, in die städtischen Zentren kamen. Eine zweite Gruppe, welche an ihrem (städtischen) Dienstort geschwängert worden war, wählte das Gebärhaus, vorwiegend aufgrund fehlenden Familienanschlusses und existenzieller Not, als Ort der Niederkunft.251 Verallgemeinernd stellt Seidel fest, dass allein die städtischen Zentren Verdienstmöglichkeiten für junge Frauen bereithielten. 248 Preußler, Türen, 121. Die Annahme, dass es sich bei der Gebärhausklientel vorwiegend um Frauen aus dem städtischen Milieu gehandelt habe, wird auch von Christine Vanja bestätigt, welche für Kassel feststellte, dass die Patientinnen hauptsächlich aus der Stadt selbst und den umliegenden Ortschaften stammten. Vgl. Vanja, Accouchier- und Findelhaus, 112. 249 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 67. 250 Seidel, Kultur, 176. 251 Vgl. Seidel, Kultur, 182-184.

D ER M IKROKOSMOS G EBÄRHAUS – MEDIKALE L EBENSWELTEN

| 255

Im Hinblick auf die starke agrarische Prägung des Landes Tirol muss für die vorliegende Studie eine dritte Kategorie ergänzt werden, nämlich die der ledigen Frauen, die außerhalb ihres Heimatortes in vorwiegend landwirtschaftlichem Dienst standen und zur Entbindung an den städtischen Standort des Gebärhauses reisten. Betrachtet man die geschichtliche Entwicklung der Tiroler Entbindungsanstalten, so erhärtet sich die Annahme, dass ein beträchtlicher Teil der verpflegten Frauen mitunter lange und beschwerliche Anreisewege auf sich nehmen mussten. Wiederholt taucht die Unzumutbarkeit der weiten Reise als Argument für die Verbesserung der geburtshilflichen Infrastruktur im Land auf. Während die Klagen über die gesundheitlichen Folgen der Fußmärsche hochschwangerer Frauen nach Trient in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem aus dem nördlichen Landesteil kamen, nutzte die Trentiner Politik nach der Übersiedelung der Gebär- und Findelanstalt ähnliche Argumente im Kampf um eine Revitalisierung des Standortes Alle Laste.252 Solange die Gebäranstalt im Trentino existierte, verzeichnete die Gebärabteilung im Innsbrucker Stadtspital bzw. die spätere Filialanstalt in Innsbruck nahezu keine Aufnahmen von italienischsprachigen Patientinnen. Erst nach der Schließung Alle Lastes bildeten die Trentinerinnen eine wahrnehmbare Gruppe. Aufgrund der sprachlichen Barrieren, mit denen sich die Frauen in Innsbruck konfrontiert sahen, ist anzunehmen, dass sie ausschließlich zur Entbindung in die fremde Stadt reisten und nach der Niederkunft umgehend in ihre Heimat zurückkehrten. Bei der Zusammensetzung der Patientinnenschaft zeigt sich ein deutlicher Überhang von Frauen aus den deutschsprachigen Gebieten Tirols, wobei die Inanspruchnahme des Gebärhauses innerhalb der einzelnen Nord-, Süd- und Osttiroler Herkunftsgebiete unterschiedlich stark ausgeprägt war. Die meisten Frauen stammten aus dem Nordtiroler Raum, wobei die traditionell von hohen Illegitimitätszahlen geprägten Gebiete des Unterinntales den größten Teil ausmachten. Dennoch stellten auch die Frauen aus dem Tiroler Oberinntal, welches landesweit eine der niedrigsten Illegitimitätsraten aufwies, eine größere Gruppe dar. Zwischen 1859 und 1880 lagen die Werte dieser Gruppe bei einem Fünftel bis zu einem Drittel und sollten bis 1910 sogar auf 40 Prozent der Nordtiroler Patientinnen anwachsen. Bis ins Jahr 1924 war der Anteil der Oberinntalerinnen mit 23,5 Prozent jedoch wieder auf das Niveau von 1869 gesunken.

252 An dieser Stelle sei vor allem auf die in Kapitel 2 und 4.1 beschriebenen Fälle von vorzeitigen Entbindungen auf dem Weg in die Gebäranstalt verwiesen.

256 | I NSTITUTIONALISIERTE G EBURT

Graph. 6: Regionale Herkunft der Mütter im Innsbrucker Gebärhaus – Deutschtirol, Trentino, Vorarlberg (1858-1924)

100

Prozentwerte

75

50

25

0 1859

1869

1880

Deutschtirol

1890

1900

Trentino

1910

1924

Vorarlberg

Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen.

 Aus dem unmittelbaren Stadtgebiet von Innsbruck stammte während des untersuchten Zeitraumes nur ein geringer Prozentsatz. Erst im Jahre 1924 machten in Innsbruck heimatberechtigte Frauen ein Viertel der Gesamtklientel aus. Ähnlich verhielt es sich mit den von auswärts stammenden, jedoch bereits vor der Entbindung in Innsbruck lebenden Müttern. Erst um die Jahrhundertwende begannen die Werte signifikant zu steigen, was in erster Linie auf die zunehmende Inanspruchnahme des Gebärhauses durch verheiratete Frauen zurück zuführen ist. Bis 1924 stellte diese Gruppe bereits mehr als 30 Prozent der aufgenommenen Schwangeren. Insgesamt lässt sich feststellen, dass das Innsbrucker Gebärhaus erst nach dem Ersten Weltkrieg zu einer Institution wurde, die vorwiegend eine städtische Klientel (56,6 Prozent) bediente.253 Obwohl sich das weitere Einzugsgebiet der Innsbrucker Gebäranstalt auch auf das angrenzende Land Vorarlberg erstreckte, machten Vorarlbergerinnen, in allen untersuchten Stichjahren, nur einen marginalen Prozentsatz der Gesamtklientel aus. 253 Vgl. Datenbank GH, eigene Berechnungen. Siehe, dazu: Kapitel 5, Tabelle 5.

D ER M IKROKOSMOS G EBÄRHAUS – MEDIKALE L EBENSWELTEN

| 257

Tab. 10: Regionale Herkunft der Mütter im Innsbrucker Gebärhaus (1858-1924) Deutschtirol

Trentino

Vorarlberg

Nt

Ei/Pu

Vi/Et

Gesamt

1859

125

13

-

138

-

6

1869

164

28

27

219

3

8

1880

135

67

50

252

97

4

1890

187

54

48

289

94

9

1900

270

94

93

457

91

5

1910

521

218

172

911

141

19

1924

557

18

10

585

6

39

Nt (Nordtirol) Regionen Innsbruck, Wipptal, Oberinntal, Unterinntal; Ei/Pu (Eisack-, Pustertal) Regionen Eisacktal, Brixen, Pustertal, Osttirol, ladinische Gebiete; Vi/Et (Vinschgau, Etschtal) Regionen Bozen, Bozner Unterland, Überetsch, Meran, Burggrafenamt, Passeiertal und Vinschgau Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen.

 Dies scheint verwunderlich, da die Illegitimitätsquote in Vorarlberg bis 1900 stets leicht über den für Tirol errechneten Werten lag und daher eine stärkere Inanspruchnahme des Gebärhauses zu erwarten gewesen wäre. Ob es den ledigen Vorarlberger Frauen eher möglich war im Familienverband bzw. bei den örtlichen Hebammen zu entbinden, ist nicht belegt. Eine denkbare Alternative zum Innsbrucker Gebärhaus stellte aber wohl das Entbindungshaus im nahe gelegenen Schweizer St. Gallen dar.254 Keine echte Alternative bot sich hingegen den Salzburgerinnen, denen im eigenen Land nur eine Poliklinik, ohne Findelversorgung, zur Verfügung stand. Seit der Etablierung des Gebär- und Findelhauses in Innsbruck waren immer mehr ledige Salzburgerinnen eigens zur Entbindung in die Tiroler Landeshauptstadt gekommen. 1880 stellten sie mit insgesamt 16 Entbundenen die größte außertirolische Gruppe. Doch mit der Schließung des Findelhauses im Jahre 1881 schwand die Attraktivität des Standortes und die Gebärhausverwaltung wusste bereits 1882 zu berichten, dass „nunmehr die ledigen Schwangeren aus dem benachbarten Salzburgischen ganz wegbleiben“.255

254 Vgl. zur Gebäranstalt in St. Gallen: Breu, Geburtshilfe. 255 TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1881, Innsbruck 1882, 114.

258 | I NSTITUTIONALISIERTE G EBURT

Tab. 11: Überregionale Herkunft der Mütter im Innsbrucker Gebärhaus (1858-1924) Tirol und Vbg.

Salzburg

Kärnten





1859

144

-

-

-

1

1869

230

1

-

1

1

1880

353

16

1

-

-

1890

392

4

7

2

1

1900

553

11

15

9

7

1910

1071

26

60

48

26

1924

630

19

39

43

31

Steiermark

Böhmen

Mähren

Krain

Ungarn

1859

-

-

-

-

-

1869

-

-

1

-

-

1880

1

2

2

-

-

1890

2

-

3

-

-

1900

3

9

6

8

1

1910

34

39

8

9

9

1924

12

6

5

-

1

div. Kronl.

Ausland

k.A.

Gesamt

1859

-

2

-

147

1869

-

13

-

247

1880

-

5

-

380

1890

1

8

1

419

1900

5

20

-

647

1910

8

45

-

1383

1924

-

34

21

841

div. Kronländer: in dieser Kategorie wurden die in den Quellen aufscheinenden Kronländer Schlesien, Görz und Galizien zusammengefasst. Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen.

Die Tatsache, dass ab 1910 vermehrt auch Frauen aus anderen, österreichischen Gebieten, vorwiegend aus Kärnten, Oberösterreich, Böhmen oder der Steiermark, im Innsbrucker Gebärhaus entbanden, ist als typisches Zuzugsphänomen

D ER M IKROKOSMOS G EBÄRHAUS – MEDIKALE L EBENSWELTEN

| 259

zu betrachten. Viele Frauen kamen mit ihren Ehemännern, die größtenteils der Bahnarbeiterschaft angehörten, nach Tirol. Ausländerinnen sind in allen untersuchten Stichjahren in großer Zahl nachweisbar. Die Frauen stammten dabei meist aus den unmittelbaren Grenzregionen des benachbarten Bayern, den italienischen Gebieten (Belluno, Veneto) oder dem Schweizer Kanton Graubünden. 2.5 Religion Die starke katholische Prägung des Landes Tirol spiegelt sich auch bei der Auswertung der Aufnahmebücher des Innsbrucker Gebärhauses wider. Um die Jahrhundertwende bekannten sich immerhin ganze 99,13 Prozent aller TirolerInnen zum katholischen Glauben. Zwar existierte seit dem Jahre 1875 eine evangelische Kirchengemeinde in Innsbruck, doch zählte diese im Jahre 1900 nur knapp 700 Mitglieder. Durch die verstärkte Zuwanderung nach 1900 konnte sich die evangelische Gemeinde beinahe verdreifachen und zählte 1910 bereits 2000 Gläubige. Die drittgrößte Religionsgruppe in Tirol bildete die jüdische Glaubensgemeinschaft, welche 1910 jedoch nur knapp 400 Mitglieder zählte.256 Obwohl das Religionsspektrum im Innsbrucker Gebärhaus im Jahre 1924 noch eindeutig von den Katholikinnen dominiert wurde, nutzten vereinzelt auch Angehörige anderer, christlicher Konfessionen und Religionen das Gebärhaus für ihre Zwecke. Tab. 12: Religionszugehörigkeit der Mütter im Innsbrucker Gebärhaus (1859-1924)

1859 1869 1880 1890 1900 1910 1924

röm.kath 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 99,5 97,7

evangelisch 0,5 1,7

mosaisch 0,1

andere 0,5

In der Kategorie „andere“ wurden Personen griechisch-orthodoxen oder alt-katholischen Glaubens zusammengefasst. Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen.

256 Vgl. Stolz, Geschichte, 341-343. Vgl. Plattner, Fin de siècle, 53-54.

260 | I NSTITUTIONALISIERTE G EBURT

3. D AS (Z USAMMEN -)L EBEN

IN DER

ANSTALT

3.1 Von der Aufnahme zur Entbindung Der Zeitpunkt der Aufnahme in das Gebärhaus war variabel und richtete sich, einerseits nach den statutenmäßig erlassenen Aufnahmekriterien, andererseits nach dem individuellen Gesundheitszustand der Frauen. In der städtischen Gebärabteilung konnten die Schwangeren bereits am Ende des siebten Schwangerschaftsmonats um Aufnahme ansuchen.257 Dieser frühe Aufnahmezeitpunkt wurde jedoch bereits mit der Filialeinrichtung im Jahre 1858 aufgehoben und auf das Ende des achten Schwangerschaftsmonats verlegt. Dies bedeutete, dass die Frauen in der Regel erst kurze Zeit vor der zu erwartenden Niederkunft in die Anstalt eintreten konnten. Nur bei Vorliegen einer medizinischen Indikation, etwa einer drohenden Frühgeburt, war ein Eintritt in frühen Stadien der Schwangerschaft gerechtfertigt.258 Diese Bestimmungen blieben bis Ende des 19. Jahrhunderts in Kraft, mussten schließlich jedoch, infolge drückender Raumnot, zusätzlich verschärft und der Aufnahmezeitpunkt noch weiter aufgeschoben werden.259 Diese Entwicklungen spiegeln sich, recht eindrücklich, in der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer der Frauen vor der Geburt wider. Doch auch die zunehmende Inanspruchnahme des Entbindungshauses durch verheiratete und in Innsbruck lebende Frauen reduzierte die Aufenthaltsdauer vor der Geburt: 1924 traten die Schwangeren durchschnittlich nur drei Tage vor ihrer Entbindung in das Gebärhaus ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Innsbrucker Anstalt endgültig ihre sozial regulierende Funktion, als Zufluchtsstätte für arme, häufig obdachlose Frauen verloren. Der Wandel in der Funktion des Innsbrucker Gebärhauses lässt sich auch an den, in Graphik 7 dargestellten, tatsächlichen Eintrittszeitpunkten ablesen. Der Zeitpunkt des Eintrittes war demnach weniger individuell gewählt, sondern stark vom Stand und der damit verbundenen, sozialen Absicherung der Schwangeren abhängig. Solange das Gebärhaus vorwiegend von ledigen Frauen genutzt wurde, lag der zeitliche Schwerpunkt der Eintritte bei etwa zwei bis vier Wochen vor der Geburt des Kindes. Bis 1900 machte der Anteil derjenigen Frauen, die am Tag der Entbindung eintraten, kaum mehr als 20 Prozent der Gesamtaufnahmen aus. Extrahiert man allerdings diejenigen Schwangeren, welche einen Tag

257 Vgl. Honstetter, Beschreibung, 84. 258 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1858, Sanität Zl. 18337 (findet sich im UAI, Med. Hebammen 1829-1880). 259 Siehe dazu ausführlicher Kapitel 5.1.

D ER M IKROKOSMOS G EBÄRHAUS – MEDIKALE L EBENSWELTEN

| 261

vor der Entbindung um Aufnahme ansuchten, so erhöht sich der Prozentsatz der unmittelbar vor der Geburt in das Gebärhaus Eingetretenen um rund sieben Prozent (1830-1839: 6,6 Prozent; 1880: 8,4 Prozent; 1890: 7,6 Prozent der Gesamtaufnahmen), auf rund ein Viertel der Gesamtklientel.260 Graph. 7: Tatsächlicher Zeitpunkt des Eintrittes der Frauen vor der Geburt (1830-1924)

60

50

Prozentwerte

40

30

20

10

0 1830-1839

1880

0 Tage 5-7 Wochen

1890

1900

1910

bis 1 Woche 8-10 Wochen

1924

2-4 Wochen > 10 Wochen

Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen.

Um die Jahrhundertwende ist mit der allmählichen Zunahme von verheirateten Patientinnen eine eindeutige Umkehrung der Verhältnisse zu beobachten. Bis 1924 intensivierte sich die Tendenz des späten Eintrittes soweit, dass mehr als die Hälfte aller Patientinnen erst am Tag der Entbindung in die Anstalt kam. Vielfach dürften die Schwangeren zuhause das Einsetzen der Geburtswehen abgewartet haben, wofür auch die Tatsache sprechen mag, dass jede fünfte

260 Vgl. Schlumbohm, Patientinnen, 334-336. Zur Frequentierung der städtischen Gebärabteilung in Innsbruck: Hilber, Sonderzimmer, 199-200.

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Schwangere, sich erst einen Tag vor der Niederkunft zum Eintritt in die Entbindungsanstalt entschloss.261 Das extreme Hinauszögern des Aufnahmezeitpunktes kann, einerseits als Strategie zur Vermeidung der oftmals peinlich und erniedrigend empfundenen Schwangerschaftsuntersuchungen verstanden werden.262 Andererseits muss das späte Verlassen der Familie, bei verheirateten Müttern, auch als Ausdruck familiären Pflichtgefühls interpretiert werden. Die Analyse der Aufnahmezeitpunkte zeigte im Hinblick auf die jahreszeitliche Verteilung keine wesentlichen Auffälligkeiten, sieht man von einem leichten Überhang von Eintritten und Geburten in den Frühjahrsmonaten März, April und Mai ab.263 In den Wintermonaten, die in den deutschen Gebärhäusern üblicherweise zu den am stärksten frequentierten Monaten gehörten,264 war das Innsbrucker Gebärhaus nur durchschnittlich besucht. Dies könnte, in Anbetracht der inneralpinen Lage, an den durch die winterlichen Verhältnisse zusätzlich erschwerten Transportmöglichkeiten nach Innsbruck gelegen haben. 3.1.1 Das „Aufnahme-Prozedere“ Gleichgültig wann sich eine Schwangere zur Aufnahme in das Gebärhaus meldete, die internen Abläufe rund um den Eintritt waren streng reglementiert und folgten einer festgelegten Organisationsstruktur. Nachdem die Schwangere ihre Bereitschaft zum Eintritt in die Anstalt, mit all ihren Rechten und Pflichten, vor dem zuständigen Professor erklärt hatte, wurde sie in ein eigenes Aufnahmezimmer gebracht. Es folgte eine Untersuchung zur Feststellung der Aufnahmewürdigkeit, in deren Verlauf der Fortschritt der Schwangerschaft bewertet und der zu erwartende Geburtstermin eruiert wurden.265 Noch im Jahre 1823 lag diese Erstuntersuchung im alleinigen Kompetenzbereich der Anstaltshebamme,266 doch bereits 1828 wurde die wichtige Entscheidung über die Aufnahme von Patientinnen, im Rahmen eines neuen Organisationsplans, zur Pflicht des Profes-

261 Vgl. Datenbank GH, eigene Berechnungen. 262 Vgl. Stenographische Berichte des Tiroler Landtages der I. Landtagsperiode, 15. Sitzung der 2. Session vom 29. bis 31. Dezember 1921, 443. 263 Vgl. Datenbank GH, eigene Berechnungen. 264 Vgl. Schlumbohm, Patientinnen, 338-339. Vgl. Metz-Becker, Körper, 130. 265 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1828, Sanität Zl. 438. Vgl. Honstetter, Beschreibung, 83-85. 266 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. Verena Pawlowsky zufolge oblag die Prüfung der Aufnahmefähigkeit im Wiener Gebärhaus stets der Oberhebamme. Vgl. Pawlowsky, Trinkgelder, 212.

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sors für Geburtshilfe erhoben.267 Ob die jeweiligen Professoren dieser Verpflichtung immer nachkamen, ist für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht hinreichend dokumentiert. Während der Amtszeit Dr. Virgil von Mayrhofens (18511877) ist jedoch erstmals eine Aufteilung der Kompetenzen nachweisbar. Die Tätigkeit der Hebamme wurde aufgewertet, indem ihr wieder die alleinige Verantwortung für die Aufnahme der Schwangeren übertragen wurde. Nur im Zweifelsfall sollte der Professor in die Entscheidung miteinbezogen werden.268 War eine Schwangere für aufnahmewürdig befunden worden, musste ihr Eintritt in die Anstalt formal bestätigt werden. Dazu wurde die Frau in die Verwaltungskanzlei geschickt, wo sie, unter Angabe ihres Namens und Herkunftsortes, in das Aufnahmebuch eingetragen wurde. Das Vorliegen eines amtlichen Heimatscheins und eines Armutszeugnisses entschied über die entgeltliche oder unentgeltliche Verpflegung in der Anstalt. Nachdem die Formalitäten erledigt waren und die Schwangere offiziell als neue Patientin akzeptiert worden war, wurde diese in die Abteilung der Schwangeren begleitet.269 Dort nahm sie die Hebamme, welche die Schwangeren „bey ihrem Eintritte mit Güte aufzunehmen“270 hatte, in Empfang. Mit der Ankunft in der Abteilung war das AufnahmeProzedere jedoch noch nicht abgeschlossen. Die Neuzugänge mussten ihre Kleidung abgeben und wurden von der Hebamme oder ihren Helferinnen „vom Schmutze und Ungeziefer“271 gereinigt. Hatten die Frauen dieses physische „Aufnahmeritual“ überstanden, wurde ihnen ein Bett in der Schwangerenabteilung zugewiesen. Kleider, welche von Ungeziefer befallen waren, wurden sofort verbrannt und die Patientinnen mit Ersatzkleidung ausgestattet.272 Es ist aber allgemein anzunehmen, dass die Patientinnen während ihres Aufenthaltes ihre eige267 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1828, Sanität, Zl. 483. 268 Diese Angaben stammen aus dem Protokoll mit der Schulhebamme Regina Unterhauser, aufgenommen am 4. und 5. Jänner 1879 sowie dem Protokoll mit dem Sekundararzt Dr. Franz Innerhofer, aufgenommen am 6. Jänner 1879. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 2203. Vgl. Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 269 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1828, Sanität Zl. 483. 270 TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. Dieser Wortlaut stammt aus der Instruktion für die Anstaltshebamme aus dem Jahr 1823, welche mit den in Wien geltenden Vorschriften für die Hebamme übereinstimmen. Vgl. Pawlowsky, Trinkgelder, 212-213. 271 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. 272 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1828, Sanität Zl. 483.

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nen Kleider trugen und die Gebäranstalt nur in Ausnahmefällen Wäsche zur Verfügung stellte.273 Mit dem Dienstantritt Professor Ludwig Kleinwächters im Jahre 1877 wurde der Anstaltshebamme ihre fachliche Kompetenz im Bereich der Aufnahmeuntersuchung wieder aberkannt. Kleinwächter bestand darauf, die Untersuchungen selbst durchzuführen und bereits diese Erstuntersuchung zu Unterrichtszwecken zu nutzen. Außerdem führte er die obligatorische Beckenmessung im Rahmen der Erstuntersuchung ein. Diese Praxis wurde von Sekundararzt Dr. Franz Innerhofer, der bereits unter Kleinwächters Vorgänger als Sekundarius in der Anstalt gearbeitet hatte, massiv kritisiert. Die Beckenmessung verursache den Frauen unnötige Schmerzen und käme auch in den Anstalten in Wien und Graz nur in jenen Fällen zum Einsatz, in denen ganz offensichtlich eine anatomische Abnormität des Beckens vorlag.274 Trotz dieser Bedenken scheint sich die Beckenmessung, als Diagnosemittel, bis in die 1880er Jahre vollends durchgesetzt zu haben, denn auch Friedrich Schauta empfahl die Durchführung dieser diagnostischen Maßnahme an jeder Schwangeren: Denn „wird man erst durch den Geburtsverlauf auf ein enges Becken aufmerksam, […] ist meist die Zeit zu wichtigen Eingriffen, die den Geburtsverlauf günstig hätten gestalten können, vorüber, oder man hat eine Operation bereits unternommen, welche man bei Kenntniss der Beckenenge unterlassen hätte.“275 Da sich Kleinwächter seitens des Landesausschusses in der Kritik sah, gegen die Statuten verstoßen und Frauen zu früh in die Anstalt aufgenommen zu haben, gingen die Aufnahmeuntersuchungen kurzzeitig wieder in den Kompetenzbereich der Hebamme über.276 Langfristig wurde die mitunter kostspielige Entscheidung über die Aufnahme der Schwangeren aber einem Mediziner überlassen. 1895 betraute der Landesausschuss den im Landesdienst stehenden, so genannten „landschaftlichen Sekundararzt“ mit der Durchführung und Überwachung eines angemessenen Aufnahmeprozederes für die Schwangeren.277

273 Vgl. Pawlowsky, Trinkgelder, 213. 274 Protokoll mit dem Sekundararzt Dr. Franz Innerhofer, aufgenommen am 6. Jänner 1879. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 275 Schauta, Grundriss, 25. 276 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 1487. 277 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit im Jahre 1895, Innsbruck 1896, 21.

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3.1.2 Der Alltag zwischen Spinnrad und Untersuchungsraum Die Organisation des Alltages in der Anstalt erfolgte mithilfe eines strengen Regelwerks. Die Normierung des Anstaltslebens wurde für die neu aufgenommenen Schwangeren relativ schnell spürbar und manifestierte sich etwa an den für Krankenanstalten üblichen morgendlichen Weckzeiten, den ärztlichen Visiten oder dem Zeitpunkt allabendlicher Bettruhe. Die einzelnen Punkte der Hausordnung wurden den Patientinnen durch den Direktor näher gebracht, der die normative Grundlage des Zusammenlebens, in regelmäßigen Abständen, in den Räumlichkeiten der Schwangerenabteilung verlas. Aushänge der Anstaltsnormen in den beiden Landessprachen sollten zusätzlich zur Einhaltung der Regeln ermahnen.278 Bis zum Jahre 1881 hatte die Hausordnung unterschiedslos für alle Patientinnen der Anstalt gegolten. Die Öffnung der Landesgebäranstalt für verheiratete Frauen schlug sich jedoch in einer Änderung der anstaltsinternen Organisation und einer Revision des Reglements nieder. Die verheirateten Frauen wurden nicht nur in separaten Zimmern und Sälen, getrennt von den Ledigen untergebracht, sondern auch in der Hausordnung eigens berücksichtigt. „Hinsichtlich des Ausgangs und der Besuche galten für diese beiden Kategorien verschiedene Bestimmungen. Diese Unterscheidung hat sich natürlich dann auch auf die ganze Behandlung übertragen und ist fortwährend schärfer hervorgetreten“279, ist etwa einem Landtagsbericht aus dem Jahre 1921 zu entnehmen. Wie gravierend die Kluft zwischen den Rechten der Ledigen und Verheirateten zu Beginn war, lässt sich, in Ermangelung einer überlieferten Hausordnung aus dem Jahre 1881, nicht mehr feststellen. Die Ordnung des Jahres 1904 zeigt jedoch nur wenige, formale Unterscheidungen zwischen den beiden sozialen Gruppen. 280 Mit dem Eintritt in das Gebärhaus verloren alle Frauen, „gleichgiltig ob ledig, verheiratet oder verwitwet“281, das Recht, selbst über ihre persönliche Frei-

278 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit im Jahre 1877, Innsbruck 1878, 123-124. Vgl. dazu die Marburger „Haus-Gesetze“ bei Metz-Becker, Körper, 121. 279 Stenographische Berichte des Tiroler Landtages der I. Landtagsperiode, 15. Sitzung der 2. Session vom 29. bis 31. Dezember 1921, 444. 280 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 14, Jg. 1921, Abt. III, Zl. 30/15. 281 Diese Formulierung ersetzte in der Fassung von 1921 den bisherigen Wortlaut: „Jeder in der Landesgebäranstalt aufgenommenen Frauensperson, sei sie nun ledig, verheiratet oder verwitwet, ist während ihres Aufenthaltes daselbst auf das strengste verboten, sich zu entfernen, außer sie tritt mit ärztlicher Erlaubnis ganz aus.“ TLA,

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heit zu entscheiden. Nur in Ausnahmefällen, die jeweils schriftlich vom Professor zu genehmigen waren, durften die Schwangeren die Anstalt für kurze Zeit verlassen, um Besorgungen oder Besuche in der Stadt zu tätigen. Selbst das unmittelbar zur Anstalt gehörende Hofgelände durfte, ohne Erlaubnis des Professors oder einer diensthabenden Barmherzigen Schwester, nicht betreten werden. Verstöße gegen die bestehende Ordnung wurden mit der Verhängung einer rigorosen Ausgangssperre geahndet. An Werktagen wurden die Frauen zur Arbeit angehalten, welche, einerseits im Sinne einer Disziplinierungsmaßnahme282 zu verstehen war, andererseits auch ökonomische Funktionen erfüllte. Zur Aufrechterhaltung des Betriebes war die Mithilfe der Schwangeren bei diversen Arbeiten nötig.283 Ein Bericht aus dem Jahre 1872 spricht von leichteren Arbeiten und „Dienstverrichtungen“ wie dem Nähen, Stricken oder dem Reinigen der Anstaltsräumlichkeiten,284 während die Hausordnung des Jahres 1877 die zu verrichtenden Arbeiten wesentlich konkreter beschrieb. Je nach individueller Begabung und Gesundheitszustand sollten die Schwangeren die Barmherzigen Schwestern bei der Haushaltsführung unterstützen und ihnen beim Holen von Wasser und Holz, beim Wäschewaschen oder dem Putzen der Anstaltsräumlichkeiten zur Hand gehen.285 So wurde etwa die Trentinerin Maria Preti aufgrund „ihrer Unfähigkeit zu Näharbeiten zu gröberen Arbeiten wie Waschen und Reinmachen verwendet“286, wie ein Bericht der Anstaltsverwaltung verdeutlicht. Bis 1900 wurden den Schwangeren auch im Wiener Gebärhaus ähnlich schwere Arbeiten zugemutet.287 In der Grazer GebäranLandschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 14, Jg. 1921, Abt. III, Zl. 30/15. 282 Vgl. dazu Metz-Becker, die die „Beschäftigung der Schwangeren zum Nutzen des Hauses“ in einem eindeutigen Zusammenhang mit den Arbeitsdiensten in Zuchtund Arbeitshäusern interpretierte. Metz-Becker, Körper, 127. Vgl. Anderle, Maternità, 153. 283 Vgl. dazu die Bemerkungen über den „therapeutischen“ Zweck der Arbeit in der „Tiroler Irrenanstalt“ im Vormärz, der zur Beruhigung, Eingewöhnung und Zerstreuung beitragen sollte. Heidegger/Dietrich-Daum unterstreichen dabei auch die Zuweisung der Arbeiten „gemäß bürgerlicher Geschlechterstereotypien“. Heidegger/Dietrich-Daum, Provinzial-Irrenanstalt, 78. 284 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1872, Zl. 758. 285 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit im Jahre 1877, Innsbruck 1878, 123-124. 286 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1902, Zl. 440, 14493. 287 Vgl. Pawlowsky, Mutter, 94-95. Pawlowsky, Trinkgelder, 212.

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stalt wurden die Schwangeren hingegen nur mit Handarbeiten beschäftigt, nachdem schwere, körperliche Einsätze dort bereits im Jahre 1792 verboten worden waren.288 Handarbeiten waren auch in Innsbruck üblich, vor allem in jenen Fällen, in denen der physische Zustand keine schweren, körperlichen Arbeiten mehr zuließ.289 Jedes Jahr wurden zu diesem Zweck mehrere hundert Kilogramm Flachs angekauft, welcher zunächst versponnen, verwebt und schließlich zu Leintüchern verarbeitet wurde. Auch fertige Stoffe, aus welchen die Schwangeren Wäsche und Kleidung für den Anstaltsgebrauch nähten, wurden angekauft.290 Aus dem Jahre 1878 sind sogar Berichte erhalten, die dokumentieren, dass die Schwangeren während der Studienferien, in welchen sich keine Schülerinnen zur Unterstützung der Hebammen und Barmherzigen Schwestern im Hause befanden, zu Pflegediensten bei den Wöchnerinnen herangezogen wurden.291 Eine finanzielle Entlohnung ihrer Dienste, wie dies für das Göttinger Accouchierhaus belegt ist, gab es in Innsbruck aber nicht.292 Die Arbeiten durften in der Regel nur dann unterbrochen werden, wenn dies dem reibungslosen Ablauf des Anstaltsalltages dienlich war. Dazu zählte unter anderem die mittägliche Ausspeisungszeit. Die Schwangeren erhielten an fünf Tagen der Woche eine Rindsuppe mit Semmelschnitten, danach etwas Rindfleisch und leichtes Gemüse, wozu Karotten, weiße Rüben, Spinat, Kohl oder Kartoffeln zählten. Nur an Donnerstagen und Sonntagen wurde das Gemüse durch eine Mehlspeise („Semmelschmarn“), bestehend aus Semmeln, Mehl, Schmalz, Ei und Milch, ersetzt.293 Das Frühstück bestand für Schwangere aus

288 Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 117. 289 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit im Jahre 1877, Innsbruck 1878, 123-124. 290 1877 wurden 400 Kilogramm Flachs und Stoffe im Wert von 2.266 Gulden beim Händler Jacob Mayr in Innsbruck gekauft. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit im Jahre 1877, Innsbruck 1878, 125-126. Auch im Jahre 1895 wurde beispielsweise auch „Materiale zur Anfertigung von Kleidern und Wäsche“ im Wert von 2.089 Gulden über denselben Händler erworben. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit im Jahre 1895, Innsbruck 1896, 21. 291 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 10888. Vgl. Metz-Becker, Körper, 127. Vgl. Schlumbohm, Patientinnen, 338. 292 Vgl. Schlumbohm, Patientinnen, 338. 293 Vgl. dazu die Speiseordnung des Grazer Gebärhauses aus dem Jahre 1833 bei Kurmanowytsch, Gebärhaus, 149-156; sowie die Speiseordnung für die Marburger Anstalt (1821) bei Metz-Becker, Körper, 129-130.

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einer Einbrennsuppe mit Einlage, das Abendessen aus einer Rindsuppe, wiederum angereichert mit den obligatorischen Semmelschnitten. Die abendliche Hauptspeise war am abwechslungsreichsten, denn alternierend wurde eine „Milchspeise“ (Reis- oder Griesbrei), ein „Geröstel“ oder „Eingemachtes mit Säure“ ausgegeben.294 „Die Kost ist so gut, daß ich mir wünsche, immer eine so gute Kost zu haben“295, gab die Schwangere Anna Klingler im Dezember 1878 zu Protokoll. Insgesamt wurde die Qualität der Speisen als schmackhaft und bekömmlich beschrieben.296 Hinsichtlich der Quantität wusste allein Anna Luner zu berichten, dass die Portionen sie nicht satt machten, da sie „eine Hungrige [sic!] Person“ sei.297 Dabei waren, laut Aussage der Verwaltung, lediglich die täglichen Fleischportionen rationiert, „während Suppe, Gemüse und Mehlspeisen in großen Schüsseln auf den Tisch kommen, so daß jede Verpflegte ganz nach Belieben herausnehmen kann.“298 Zwischenmahlzeiten waren für die Schwangeren nicht vorgesehen, allerdings stand es ihnen, laut Hausordnung von 1877, frei, sich auf eigene Kosten Wein, Bier oder Obst durch das Pflegepersonal besorgen zu lassen.299 Der entsprechende Passus scheint in den späteren Ordnungen jedoch nicht mehr auf. Die Patientinnen nahmen ihre Mahlzeiten gemeinschaftlich ein, wobei anzunehmen ist, dass sich auch im Speisesaal die Trennung der verheirateten von den ledigen Frauen fortsetzte. Fasttage wurden in der Anstalt wohl nicht oder nur in abgeschwächter Form eingehalten, da „Heilanstalten vom Fastengebote ausgenommen“300 waren. Der für Innsbruck gültige Speiseplan war dem früher für die Anstalt Alle Laste gültigen, sehr ähnlich. Lediglich die Verwendung der im Trentino weit verbreiteten Polenta wurde als „nicht ganz passend“ bezeichnet, da man sie im nördlichen Landesteil „zu wenig gewohnt sei,“ so die Oberin Melania Stecher. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1869, Zl. 402, 3799. 294 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1869, Zl. 402, 6432. 295 Protokoll aufgenommen mit Anna Klingler am 29.12.1878. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 296 Diverse Protokolle mit Schwangeren, aufgenommen am 29.12.1878. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 297 Protokoll aufgenommen mit Anna Luner am 29.12.1878. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 298 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1902, Zl. 440, 14493. 299 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit im Jahre 1877, Innsbruck 1878, 123-124. Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 147. 300 Kurmanowytsch, Gebärhaus, 148.

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Ein weiterer Pflichttermin, der die Niederlegung der Arbeit erlaubte, war der tagtägliche Gartenbesuch. Soweit es die Witterung zuließ, mussten sich die Schwangeren zu festgesetzten Stunden in den Gartenanlagen aufhalten. Bis zur Übersiedelung in den Neubau stand jedoch lediglich ein „schattenloser Hof“, welchen sich die Schwangeren mit den „oft mit den ekelhaftesten Leiden behafteten Patienten des allgemeinen Krankenhauses“301 teilen mussten, zur Verfügung. Aus diesem Grund war es für die Anstaltsverwaltung nachvollziehbar, dass sich die Schwangeren nur ungern im Hof des Stadtspitals aufhielten.302 Die Bewegung an der frischen Luft, welche später im großzügig angelegten Garten in Wilten möglich war, zielte darauf ab, die körperliche Konstitution der Schwangeren zu stärken. Dabei war es ihnen jedoch strengstens verboten, über die Begrenzungszäune zu blicken oder Gespräche mit Personen jenseits der Gartenmauern zu führen. Ohnehin waren die Kontakte zur Außenwelt streng reglementiert und, für die Schwangeren, auf eine Besuchsstunde, welche täglich, von neun bis zehn Uhr vormittags, anberaumt war, beschränkt. Bevor die Landesgebärklinik 1890 in den Neubau in Wilten übersiedelt war und dort über ein eigenes Sprechzimmer verfügte, hatten die Besucher auf den Fluren des städtischen Spitals empfangen werden müssen. Doch auch das Sprechzimmer versprach keine allzu große Diskretion, fanden doch sämtliche Zusammentreffen unter den wachsamen Augen einer Barmherzigen Schwester statt. Sie hatte darauf zu achten, dass nichts heimlich in oder aus der Anstalt hinaus geschmuggelt wurde. Auch die Dauer der Begegnungen der Patientinnen mit ihren Angehörigen lag im Ermessen der anwesenden Barmherzigen Schwester und sollte stets auf kurze Zeit beschränkt sein.303 Um die Jahrhundertwende betrug die maximale Besuchsdauer beispielsweise nur fünfzehn Minuten. Interessant erscheint die Tatsache, dass die Hausordnung des Jahres 1904 sogar geschlechterspezifische Besuchsvorschriften enthielt: Ledige Schwangere und Witwen durften demnach nur von weiblichen Personen besucht werden, wohingegen verheiratete Frauen auch ihren Ehemann im Sprechzimmer empfangen durften. Die Hausordnung von 1921 kannte diese geschlechterspezifischen Restriktionen nicht mehr, wies aber darauf hin, dass nur erwachsene Angehörige zu den Besuchszeiten vorgelassen wurden. Es wurde dezidiert darauf hingewiesen, dass Kindern kein Zutritt zum Anstaltsgebäude

301 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 10888. 302 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 10888. 303 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit im Jahre 1877, Innsbruck 1878, 123-124.

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gewährt werden könne.304 Angesichts der Tatsache, dass die Patientinnen aus den unterschiedlichsten Teilen des Landes stammten und die Anreise oft lang und beschwerlich war, stellt sich aber ohnehin die Frage, wie oft tatsächlich Besucher in die Anstalt kamen. Ein eigenes Besucherbuch, welches die Frequenz der Besuche dokumentiert, ist leider nicht überliefert. Abb. 5: Grundrissplan des Parterres der Landesgebärklinik, 1889

Quelle: TLA, Hochbaupläne, Nr. 28.

Der disziplinierende Charakter der Einrichtung wird auch im Hinblick auf die „religiös-moralische Erziehung“ der Patientinnen deutlich. Katholische Schwangere mussten täglich, solange es ihr Zustand erlaubte, zu den Messen in der Spitalskirche, später in der anstaltseigenen Kapelle, erscheinen. An Sonntagen fanden zudem religiöse Unterweisungen durch den Anstaltskaplan statt. Die Teilnahme daran war für alle Schwangeren verpflichtend vorgeschrieben.305 Ob es sich dabei tatsächlich um einen „Sittenunterricht“, wie er für das Jahr 1822 im Wiener Gebärhaus belegt ist, gehandelt hat, ist für Innsbruck nicht bekannt.306 Die Unterscheidung zwischen ledigen und verheirateten Frauen trat aber offen304 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 14, Jg. 1921, Abt. III, Zl. 30/15. 305 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit im Jahre 1877, Innsbruck 1878, 123-124. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 14, Jg. 1921, Abt. III, Zl. 30/15. 306 Vgl. Pawlowsky, Trinkgelder, 213.

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bar besonders in kirchlichen Belangen klar zutage, denn laut der Abgeordneten Maria Ducia, behandelte der Kaplan „die nach seiner Ansicht gefallenen Mädchen, die das Unglück haben, Entbinden zu müssen, anders und zwar schlechter als die Frauen.“307 Aufgrund des zunehmenden, politischen Drucks vonseiten der sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten wurde der Zwang zur Teilnahme an den religiösen Übungen 1921 aus der Hausordnung gestrichen.308 Eine andere Art der Beschränkung der persönlichen Freiheit blieb jedoch bis zuletzt, in Form der ärztlichen Schwangerschaftsuntersuchungen, bestehen. Der Lehrcharakter der Landesgebäranstalt bedingte letztlich, dass jede Frau vor ihrer Niederkunft mindestens drei Mal untersucht wurde. Neben der Erstuntersuchung waren stets eine Lehruntersuchung für die Studenten der Medizin sowie eine gesonderte Untersuchung für die Hebammenschülerinnen vorgesehen. Die manuelle Examination umfasste eine äußerliche Untersuchung des Beckens, des Gebärmuttergrundes und der äußeren Geschlechtsteile. Die anschließende, vaginale Untersuchung sollte den angehenden Geburtshelfern und Hebammen Sicherheit in der Feststellung des individuellen Schwangerschaftsfortschrittes und Gelegenheit zur Übung der Untersuchungstechniken geben. Laut Berichten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgten diese Untersuchungen meist an der aufrecht stehenden, völlig bekleideten Frau.309 Diese zurückhaltende, auf die frühe Wiener Geburtshilfliche Schule zurückgehende Herangehensweise wurde auch im Ausbildungskontext thematisiert. Ludwig Friedrich von Froriep, nach dessen Handbuch der Geburtshülfe zwischen 1818 und 1836 in Innsbruck gelehrt wurde, forderte seine vornehmlich männliche Leserschaft unmissverständlich auf, „die Schaamhaftigkeit des Weibes nicht [zu beleidigen], [man] nehme daher so selten wie möglich die Augen zu Hülfe, entblösse keinen Theil des Körpers unnöthigerweise, entferne alle Zeugen, und sey verschwiegen.“310 Obwohl sich seine Mahnung nicht zur Gänze auf die Ausbildungssituation anwenden 307 Stenographische Berichte des Tiroler Landtages der I. Landtagsperiode, 15. Sitzung der 2. Session vom 29. bis 31. Dezember 1921, 444. 308 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 14, Jg. 1921, Abt. III, Zl. 30/15. 309 Vgl. UAI, Med. Hebammen 1829-1880, Geburtsgeschichten 1830 und 1834. Ausführlicher dazu: Hilber, Geburtsgeschichte(n), 90-92. 310 Froriep Ludwig Friedrich von, Theoretisch-praktisches Handbuch der Geburtshülfe, zum Gebrauche bei akademischen Vorlesungen und für angehende Geburtshelfer, 6. vermehrte und verbesserte Auflage, Weimar 1818, 300-301. Auch die Instruktion des Sekundararztes legte dezidiert fest, dass er darüber zu wachen habe, dass „jede öffentliche, schamlose und unnöthige Entblößung sorgfältig vermieden werde.“ TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383.

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lässt, erlaubt sie doch einen Einblick in die gängige Untersuchungspraxis, die in Innsbruck nachweislich noch in den 1870er Jahren gepflegt wurde. Unter der Leitung Professor Mayrhofens musste sich keine werdende Mutter in der Untersuchungssituation entkleiden. Diese Rücksichtnahme auf die Schamgrenzen der Patientinnen erscheint, besonders vor dem Hintergrund der vielfach als offensiv beschriebenen Osiander’schen Praxis, erwähnenswert. Um 1800 wurde den Patientinnen des Göttinger Accouchierhauses in der Lehrsituation zwar das Gesicht bzw. der Oberkörper verhüllt, ihren Unterleib musste die Frau den Auszubildenden jedoch gänzlich nackt präsentieren.311 Trotz dieser Scheinanonymität, die den Frauen durch die Verhüllung des Gesichts geboten wurde, stellte diese Untersuchungspraxis eine entwürdigende Prozedur für die betroffenen Frauen dar. Schlumbohm nimmt an, dass allein aufgrund der Tatsache, dass Männer sich in der Untersuchungssituation an den Geschlechtsteilen der Frauen zu schaffen machten, ein Tabu gebrochen wurde.312 Francisca Loetz zufolge war die Körperuntersuchung allerdings bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts bereits zum gängigen Diagnosemittel avanciert und stand kaum im Gegensatz zu den Schamgrenzen der Patientinnen.313 Bestätigung findet diese Annahme wohl auch am Beispiel des Innsbrucker Gebärhauses, wo lange Zeit keine Kritik über die Untersuchungspraxis an sich laut wurde. Dies sollte sich allerdings mit der Übernahme der Professur durch Ludwig Kleinwächter ändern. Täglich mussten sich drei bis vier Schwangere im Gebärzimmer bis auf das Unterhemd entkleiden und in den Betten auf die Untersuchung durch den Professor und seine Studenten warten. Dem nicht genug, wurde ihnen in der Untersuchungssituation das Hemd bis zu den Achseln hinaufgezogen, um auch die Brüste der Frauen zu entblößen. Die völlige, körperliche Nacktheit, als Zwangsmaßnahme, wurde von den vielfach streng katholischen Frauen als Erniedrigung empfunden und löste massive Proteste aus. Erschwerend hinzu kam, dass der Professor sich den Frauen gegenüber sehr grob und respektlos verhielt. Etliche Schwangere verließen die Anstalt deshalb noch vor ihrer Entbindung. Amalia Peer aus Fulpmes gab bei ihrer vorzeitigen Rückkehr in die Heimatgemeinde zu Protokoll, dass „sie das oftmalige und lange Untersuchen, nicht nur wegen allzu großen Schmerzen, sondern ganz vorzüglich wegen schrankenloser Verletzung der Schamhaftigkeit nicht ertragen konnte.“314 311 Vgl. Schlumbohm Jürgen, The Practice of Practical Education: Male Students and Female Apprentices in the Lying-in Hospital of Göttingen University, 1792-1815, in: Medical History 51 (2007), 3-36, hier 17. 312 Vgl. Schlumbohm, Practice, 11. Vgl. Metz-Becker, Sicht, 195-196. 313 Vgl. Loetz, Patienten, 90 und 108. 314 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 3074.

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Tab. 13: Prozentueller Anteil der jährlich unentbunden ausgetretenen Schwangeren an der Gesamtverpflegtenzahl (1875-1884) 1875 4,5

1876 3,3

1877 4,4

1878 6,4

1879 14,1

1880 3,4

1881 2,4

1882 1,9

1883 2,9

1884 5,2

Quelle: Daimer Josef, Sanitäts-Bericht über Tirol und Vorarlberg für die Jahre 1883 und 1884 mit Rückblicken auf die früheren Jahre, Innsbruck 1886, 169.

Auch im Fall der Maria Bacher aus Kitzbühel stellte der unverzügliche Austritt aus der Anstalt die einzige Option dar. Nachdem sie den Untersuchungsübungen hatte beiwohnen müssen, ohne jedoch selbst untersucht zu werden, war die ledige Schwangere zusammengebrochen. „Trotz dem wäre ich geblieben u[nd] hätte mich untersuchen lassen, weil ich glaubte verpflichtet zu sein solche Qual und Pein auszustehen“315, berichtete die traumatisierte Frau dem Anstaltsverwalter. Doch etliche Mitpatientinnen rieten der jungen Frau zum Austritt, welchen sie, am Tag nach ihrem Eintritt, offiziell erklärte.316 Die Gemeindeobrigkeiten stellten sich in ähnlichen Situationen zusehends hinter die ledigen Mütter. Zum Beispiel forderte die Gemeindevorstehung von Kitzbühel, dass „den armen Müttern von Seite der Ärzte eine mehr humane Behandlung zutheil werde.“317 Die Anstaltsverwaltung, welche sich erstmals in den Jahren 1878 und 1879 mit zahlreichen schriftlichen und mündlichen Klagen über die Untersuchungsweisen in der Anstalt konfrontiert sah, war mit den Entwicklungen rund um das Innsbrucker Gebärhaus ebenfalls mehr als unzufrieden.318 Die Vorfälle erlangten schnell politische Brisanz, denn zu Recht sah der Landesausschuss den bislang guten Ruf der Tiroler Entbindungsanstalt gefährdet. Ende des Jahres 1878 wurde schließlich eine offizielle Untersuchung der Vorkommnisse eingeleitet.319 Dabei bestätigte auch die als Schulhebamme beschäftigte Regina Unterhauser die Vorwürfe gegen den Primarius und gab zu Protokoll, dass sich die Schwangeren oftmals „über die häufigen Untersuchungen, sowie über die Bloßstellung vor den vielen Schülern beschweren.“320 Konfrontiert mit dem Vorwurf einer „inhuma-

315 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 66. 316 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 66. 317 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 3074. 318 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 3248. 319 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 2000. 320 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 2203.

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nen, rohen, das Schicklichkeitsgefühl verletzenden Unterrichtsweise der Schwangeren“321, reagierte der Professor mit Unverständnis und tat die Beschwerden als „erbärmliche Verläumdungen [sic!]“322 ab. Während Kleinwächter sich jegliche persönliche und fachliche Kritik vonseiten seiner ärztlichen Kollegen und politischen Vorgesetzten verbat,323 schien er die Reaktionen der betroffenen Frauen schlichtweg zu ignorieren. In einigen Fällen versuchten sich die Frauen gegen die erzwungene Nacktheit zu wehren, wurden jedoch in rüdem Ton vom Professor zurechtgewiesen. Julia Reichhart, einer Schwangeren aus Innsbruck zufolge, soll ihre abwehrende Haltung, eine Beschimpfung mit den Worten „halten sie das Maul, seien sie ruhig, das muss sein“324, nach sich gezogen haben. Obwohl das weibliche Aufbegehren im direkten Kontakt mit dem Professor erfolglos blieb, fanden die ledigen Frauen Mittel und Wege ihre Unzufriedenheit zu artikulieren. In Briefen und persönlichen Gesprächen mit dem Anstaltsdirektor, Ignatz Laschan, brachten sie ihre Beschwerden vor.325 „Hochgeerter Türekter Ich bitt um Engschultigung ich bin noch nicht 8 tage dahir in der Gebaranstalt und bin schon das 5 mal in Trawal gewesen ohne Wehen und ihmer ist mir so schlecht geworten nach der Visied in […]zimmer N 27 Wochnerin Rosina Jabinger“ „Ich unter Suche Eich mit einer hoflich Keit das hir in den gebaerhaus nicht mer aus halten ist das Man behandel wirt wie ein vich ih war Jetz ein kurze zeit hir und war schon vir mal unter sucht unt wie das vich ih bite um eine verschonung weles nicht aus zu halten ist mit grus von mir; Schwangere Filomena Wille auf N 24“326 Das Recht auf eine gute ärztliche Betreuung in der Landesgebäranstalt wurde aktiv eingefordert, zumal einige Patientinnen schon in der Anstalt geboren und,

321 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 382. 322 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 382. 323 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 382. 324 Protokoll mit Julia Reichhart, aufgenommen am 08.02.1879. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 325 Zur Effektivität der Beschwerdepraxis von Gebärhaus-Patientinnen, siehe auch: Metz-Becker, Sicht, 196-205. 326 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses, Zl. 66, 2000.

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unter der Leitung Professor Mayrhofens, einen respektvollen und professionellen Umgang erlebt hatten.327 Im Gegensatz zu Professor Kleinwächter agierte der langjährig in der Anstalt dienende Sekundararzt, Franz Innerhofer, nicht derart „progressiv“, sondern untersuchte die Schwangeren nach der althergebrachten, „sanften“ Methode. Diese, seinen Angaben zufolge auch im Wiener und Grazer Gebärhaus übliche Untersuchungsweise versuchte er an die Hebammenschülerinnen weiterzugeben. Bei den Lehruntersuchungen, die Innerhofer betreute, waren die Patientinnen stets mit Hemd und Unterrock bekleidet, wobei Letzterer nicht über das Knie angehoben werden durfte.328 Wohl aufgrund etlicher fachlicher und ideologischer Auseinandersetzungen mit dem neuen Vorgesetzten wurde Innerhofer zu Beginn des Jahres 1879 seines Dienstes als Hebammenlehrer enthoben und der Professor und sein persönlicher Assistent, Dr. Robert Haumeder, kümmerten sich daraufhin um die Ausbildung der Hebammen.329 Die Patientinnen mussten sich nun auch vor den Hebammenschülerinnen ausziehen. Ohne großen Erfolg hatte eine Schülerin den Arzt darauf hingewiesen, dass eine solche Praxis in ihrem späteren Betätigungsfeld am Land auf massiven Widerstand stoßen würde.330 Häufig wurden die Patientinnen auch öfter als drei Mal zu Untersuchungsübungen herangezogen. Insbesondere die seit Jahresbeginn 1879 aufgenommenen Frauen wurden unverhältnismäßig oft untersucht. Bis zu neun Mal habe man sich der entwürdigenden Prozedur innerhalb kürzester Zeit unterziehen müssen, wussten die befragten Patientinnen zu berichten. Die wiederholten und teils stundenlangen Untersuchungsübungen blieben nicht ohne Folge. Die Patientinnen berichteten, beinahe einstimmig, dass sie während der Untersuchungen Angst und starke Schmerzen verspürten, sodass einige von ihnen laut schrien oder weinten. Nach den Untersuchungen litten sie, nach eigenen Angaben, an

327 Diverse Protokolle mit Schwangeren, aufgenommen am 29.12.1878 und 06.02.1879. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 328 Protokoll mit dem Sekundararzt Dr. Franz Innerhofer, aufgenommen am 6. Jänner 1879. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 329 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 3191. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit im Jahre 1879, Innsbruck 1880, 120. 330 Protokoll mit Philomena Tschiderer, aufgenommen am 04.02.1879. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83.

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Erschöpfung, Krämpfen und Übelkeit.331 Die Hebamme spezifizierte die Symptome noch weiter und nannte Schwellungen der Geschlechtsorgane, Fieber und Blutungen als Resultat der ausufernden Untersuchungsfrequenz.332 Mit dem endgültigen Weggang Professor Kleinwächters im Jahre 1881 endete die Beschwerdeflut allerdings ebenso abrupt, wie sie begonnen hatte. Für die Folgezeit sind keine weiteren Vorkommnisse dieser Art dokumentiert. 3.2 Das „geburtshilfliche Geschäft“ – die Vorgänge im Kreißzimmer Eine wissenschaftliche Untersuchung der Schwangerschaftsdauer von insgesamt 60 Patientinnen der Innsbrucker Gebäranstalt, durchgeführt in den Jahren 1881 bis 1887, ergab eine durchschnittliche Zeitspanne von 273 Tagen. Bei mehr als der Hälfte der befragten Schwangeren stellten sich die Geburtswehen zwischen dem 260. und 280. Tag nach der Befruchtung ein. Nur fünf Kinder konnten erst nach über 300 Tagen entbunden werden.333 Der eigentliche Geburtsakt dauerte unterschiedlich lange, wobei der Innsbrucker Sekundararzt, Franz Torggler, bei einer Evaluation der Erstgebärenden einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Alter der Mütter und der Dauer der Geburt zu erkennen glaubte. Junge Erstgebärende, bis zum 20. Lebensjahr, hatten danach mit der kürzesten Entbindungsdauer von durchschnittlich 16 Stunden und 15 Minuten, Erstgebärende im Alter von zwanzig bis dreißig Jahren, mit 20,5 Stunden zu rechnen. Am längsten dauerte die Geburt bei älteren Erstgebärenden: Das statistische Mittel für die Altersgruppe der 30 bis 45-jährigen lag bei immerhin knapp 23 Stunden.334 Mit welchen Eindrücken die Frauen während ihrer Klinikgeburt konfrontiert waren und was sich während der Entbindung im Kreißsaal abspielte, soll im Folgenden erörtert werden.

331 Diverse Protokolle mit Schwangeren, aufgenommen am 29.12.1878 und 04.02.1879. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 332 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 2203. 333 Vgl. Torggler, Bericht, 121. Vgl. dazu auch die Ermittlung der Schwangerschaftsdauer nach Mayrhofen: Mayrhofen, Lehrbuch, 87-90. Die ermittelten Werte entsprechen der auch heute geltenden mittleren Schwangerschaftsdauer: diese wird post menstruationem mit 280 bis 282 Tagen, post conceptionem mit 267 Tagen angegeben. Vgl. Schmidt-Matthiesen Heinrich/Wallwiener Diethelm, Gynäkologie und Geburtshilfe. Lehrbuch für Studium und Praxis, Stuttgart 102007, 208. 334 Vgl. Torggler, Bericht, 117.

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3.2.1 Die regelmäßige oder „normale“ Geburt Mit dem Einsetzen der Wehentätigkeit traten die Frauen aus der Gemeinschaft der Schwangeren aus und betraten nun als Gebärende den schon aus der Untersuchungssituation bekannten Kreißsaal. In der Gebärabteilung des Innsbrucker Stadtspitals war das Gebärzimmer noch spartanisch, mit lediglich zwei Betten für die Kreißenden, ausgestattet.335 Doch auch in den später vergrößerten Kreißsälen der Landesgebärklinik stellte das Geburtsbett das Zentrum der Aufmerksamkeit dar, denn ab dem Zeitpunkt des erfolgten Blasensprungs spielten sich alle mit einer normalen Geburt verbundenen Aktionen rund um das Geburtsbett ab. Dieses wurde in der Regel mit einer gegerbten Rehhaut oder einem Wachstuch bespannt und der obere Teil des Bettes durch eine zusätzliche Matratze, einen Strohsack oder ein Kissen erhöht.336 An den Bettpfosten wurden Tücher befestigt, an denen sich die Gebärende während der Austreibungsphase festhalten konnte.337 Während die Gebärende ab der dritten Geburtsphase338 das Bett nicht mehr verlassen durfte, konnte sie bis dahin jedoch selbst über die ihr angenehmste Position entscheiden. Viele Frauen legten sich bereits bei beginnender Wehentätigkeit in das Bett, andere wiederum empfanden es als schmerzlindernd, sich während der ersten Geburtsphase zu bewegen. Über Maria Strasser, eine 21335 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. 336 1820 ließ man ein Geburtskissen nach Siebold anfertigen, allerdings findet dieses Utensil keine weitere Erwähnung. Vgl. UAI, Med. 1819-1822, Karton 2, Zl. 113/11. Der speziell geformte Polster wurde unter das Gesäß der Gebärenden geschoben und stellte somit eine Weiterentwicklung der primitiven Erhöhung durch eine zusammengelegte Matratze oder einen Strohsack dar und geht auf den renommierten Geburtshelfer Elias von Siebold (1775-1828) zurück. Vgl. dazu Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften (Berlin 1836) 14. Band, 183-184. 337 Vgl. UAI, Med. Hebammen 1829-1880, diverse Geburtsgeschichten 1830/1834. Vgl. Mayrhofen, Lehrbuch, 172. 338 Die Darstellung orientiert sich an Mayrhofens Einteilung der fünf Geburtszeiten: Die 1. Geburtszeit umfasst den Zeitraum einige Tage vor der Geburt, in welchem Senkwehen zu beobachten sind. In der 2. Geburtszeit öffnet sich der Muttermund, weshalb diese Zeit auch als „Eröffnungsphase“ bezeichnet wird. Sie endet mit dem Springen der Fruchtblase. Während der 3. Geburtszeit wird der Fötus durch verstärkte Wehentätigkeit immer weiter in den Geburtskanal vorgetrieben. Die 4. Geburtszeit, oder „Austreibungsphase“ genannt, umfasst jenen Zeitabschnitt, in welchem der Kopf des Kindes ins Einschneiden kommt und schließlich geboren wird. Die 5. und letzte Geburtszeit bezeichnet die Nachgeburtsphase. Vgl. Mayrhofen, Lehrbuch, 137-146.

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jährige Dienstmagd aus Kufstein, welche sich am 22. April 1830 in hochschwangerem Zustand in die Gebärabteilung des Innsbrucker Bürgerspitals aufnehmen hatte lassen und in den frühen Morgenstunden des 9. Mai 1830 erste Wehentätigkeiten bemerkte, schreibt ein anwesender Student: „Bey meiner Ankunft um 5 Uhr früh, fand ich die Gebärende außer dem Bette, in den Zimmer herumgehend, da die Schmerzen immer heftiger wurden, von Kreutze anfangend, bis nach vorne an die Schamgegend sich erstreckten, und sie sich in das Bett sehnte, so wurde sie in das Geburtsbett gebracht.“339 Während der Eröffnungsphase sollte sich die werdende Mutter „ruhig verhalten, und soviel als möglichst das Mitarbeiten der Wehen enthalten“340, um ihre Kräfte zu schonen. Zur zusätzlichen Stärkung konnte die Hebamme den Gebärenden geeignete Kost, in Form von warmer Fleischbrühe, weich gekochten Eiern oder Wein, verordnen. Gegen leichte Magenkrämpfe und Übelkeit der Gebärenden wurde Kamillentee gereicht.341 Laut Dienstinstruktion aus dem Jahre 1823 hatte die Hebamme alle natürlichen Geburten selbständig zu betreuen und war verpflichtet, jeweils zwei Schülerinnen und einen Studenten, aktiv in die Abläufe rund um die Geburt einzubinden. Obwohl sie grundsätzlich nur im Falle von Komplikationen dazu verpflichtet war, einen Arzt beizuziehen,342 ist bereits ab den 1830er Jahren in vielen Fällen die Anwesenheit des Professors bei den Lehrgeburten belegt. Dieser bemühte sich nämlich aktiv um die praktische Ausbildung der zukünftigen Geburtshelfer und Hebammen. Doch wohl aufgrund der geringen Auslastung der städtischen Gebärabteilung musste die Zahl der anwesenden Auszubildenden am Geburtsbett bald erhöht werden. Im Unterschied zu Göttingen, wo Osiander die Studenten zwar im Vorfeld der Geburt reichlich Erfahrungen im Bereich der Untersuchungen sammeln ließ, jedoch nur je einem Studenten und einer Hebammenschülerin die eigentliche Betreuung der Geburt überantwortete,343 wurden die Auszubildenden in Innsbruck meist in kleinen Gruppen zu den Lehrgeburten gerufen. Während in der Poliklinik nie mehr als vier Auszubildende erlaubt waren,344 wurde das Geburtszimmer bei Spitalsgeburten von einer größeren Zahl von BeobachterInnen bevölkert. Neben zwei bis drei Studenten wurden stets „alle Candidatinen“, das heißt je nach Semester zwischen 15 und 20 Schülerinnen, 339 UAI, Med. Hebammen 1829-1880, Geburtsbericht Jakob Kotter 1830. 340 UAI, Med. Hebammen 1829-1880, Geburtsbericht Franz Kunater 1830. Vgl. Mayrhofen, Lehrbuch, 175-176. 341 Vgl. UAI, Med. Hebammen 1829-1880, diverse Geburtsgeschichten 1830/1834. 342 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. 343 Vgl. Schlumbohm, Practice, 19. 344 Vgl. Probst, Geschichte, 317.

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zugelassen.345 Auch im Fall der erwähnten Maria Strasser nahmen, mit Franz Kunater und Jakob Kotter, zwei Studenten und eine nicht näher definierte Anzahl von Hebammenschülerinnen an der Entbindung teil.346 Die Zahl der im Kreißzimmer anwesenden Personen spielt eine gewichtige Rolle in der Rekonstruktion der Vorgänge bei der Geburt, denn sie beeinflusste ganz maßgeblich die Zahl der vorgenommenen Untersuchungen. Bei Maria Strasser wurde kurz nach Eintreffen der Studenten, die zunächst ein Anamnesegespräch mit der ledigen Tagelöhnerstochter führten, mit den Untersuchungen begonnen. „Unter Anleitung fand ich bei der inneren Untersuchung die Mutterscheide bedeutend erweitert, eine beträchtliche Menge Schleim mit Blutstreiffen gemischt absondernd, der Muttermund bedeutent erweitert, so daß sich die Blase schon tief stellen konnte, der vorliegende Theil des Kindes welcher allen sehr deutlich durch das Befühlen wahrnembar war, bedraf den Kopf, auch dieser ist sehr vorgerückt, die Blaße schon springfertig, die Häute derselben sehr derb zum befühlen“347, lautete der Befund des Studenten Franz Kunater. Im Laufe ihrer Spitalsgeburt sollte Maria Strasser mindestens acht Untersuchungen durch männliche Geburtshelfer und mindestens ebenso viele Untersuchungen durch Hebammenschülerinnen über sich ergehen lassen müssen.348 Im Gegensatz zu den Schwangerschaftsuntersuchungen, welche an der stehenden Frau durchgeführt wurden, mussten sämtliche Untersuchungen während der Geburt an der liegenden Frau erfolgen. Dabei saß oder stand der Geburtshelfer bzw. die Hebamme am seitlichen Rand des Bettes und war gezwungen durch reines Erfühlen unter den Kleidern der Frauen, eine Diagnose zum individuellen Geburtsfortschritt zu stellen. Die Existenz eines Gebärstuhles ist zwar dokumentiert,349 der Stuhl kam jedoch in der Praxis nicht zum Einsatz.350

345 Vgl. UAI, Med. 1829-1830, Karton 6, Zl. 153/11. 346 Vgl. UAI, Med. Hebammen 1829-1880, Geburtsberichte Franz Kunater und Jakob Kotter 1830. 347 UAI, Med. Hebammen 1829-1880, Geburtsbericht Franz Kunater 1830. 348 Vgl. UAI, Med. Hebammen 1829-1880, Geburtsberichte Franz Kunater und Jakob Kotter 1830. 349 StAI, Spital Raitung, Vormerkung über die dem Stadtspital Innsbruck angehörigen Geräthschaften vom 1t Februar 1831 bis 31 8ber 1831 [lose Blätter]. 350 „Alle frühern, mehr oder weniger festgesetzten und oft sonderbaren: Geburtsstühle, Geburtstische und Gebärkissen sind als unbequem, nachtheilig und nur der Kindheit des geburtshilflichen Wissens entsprechend, außer Gebrauch gekommen,“ urteilte Virgil von Mayrhofen über die verschiedenen geburtshilflichen Vorrichtungen. Mayrhofen, Lehrbuch, 172. Vgl. dazu auch Pawlowsky, Trinkgelder, 213.

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Mit der Einrichtung der Filialanstalt um die Mitte des 19. Jahrhunderts konnte die praktische Ausbildung verbessert und gleichzeitig die Belastung für die Gebärenden in der Unterrichtssituation verringert werden. Durch die Zunahme der potenziellen Lehrfälle konnte unter Mayrhofen die Zahl der Auszubildenden am Geburtsbett wieder auf ein Mindestmaß reduziert werden. Bis in die 1870er Jahre hinein durften lediglich zwei Schülerinnen und zwei Studenten den Entbindungen beiwohnen und sich aktiv in der Geburtshilfe üben. Doch ähnlich wie im Bereich der Schwangerschaftsuntersuchungen standen mit dem Dienstantritt Ludwig Kleinwächters gravierende Veränderungen bevor.351 Anna Luner, eine Schwangere aus Lienz, beklagte sich etwa 1878, dass die Frauen auch während der Geburt von unzähligen Auszubildenden als Lehrobjekte verwendet wurden und glaubte, „in diesem Zustande sollen wir von Untersuchungen verschont werden.“352 Eine andere Schwangere versuchte gar die Hebamme zu bestechen, um heimlich bei ihr entbinden zu können, anstatt erneut als Versuchsobjekt fungieren zu müssen.353 Die ausufernde Untersuchungsfrequenz während der Niederkunft wurde jedoch nach Kleinwächters Weggang nicht fortgesetzt und die Lehrsituation erneut, wenn auch weniger streng als vor 1878, normiert. Friedrich Schauta ließ jeweils drei Schülerinnen und ebenso viele männliche Studenten Untersuchungen an der Gebärenden durchführen.354 In Bezug auf die vorherrschende Gebärhaltung lassen Berichte aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf eine liegende Position der Frau schließen. Die Rückenlage der Gebärenden wurde auch von den theoretischen Autoritäten der Zeit präferiert. Nach Froriep etwa war eine stehende Geburtsstellung als „gefährlich“, das Niedersitzen auf dem blanken Boden als „unreinlich“, das Knien hingegen, als ermüdend und verzögernd anzusehen.355 Auch die vorher erwähnte Maria Strasser gebar ihr drittes Kind in Rückenlage. Während der Austreibungsphase wurde ihr „befohlen, so viel als möglich den jetz schnell widerkehrenden ziemlich heftigen Wehen mitzuarbeiten, zugleich wurde ihr auch eine nach den 351 Protokoll mit der Schulhebamme Regina Unterhauser, aufgenommen am 4. und 5. Jänner 1879. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 2203. 352 Protokoll aufgenommen mit Anna Luner am 29.12.1878. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 353 Protokoll mit Julia Reichhart, aufgenommen am 08.02.1879. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 354 Vgl. Torggler, Bericht, 10. Diese Anzahl an Studenten entspricht auch den für die II. geburtshilflich-gynäkologische Klinik in Wien überlieferten Angaben. Vgl. Ehrendorfer, Behandlung, 218. 355 Froriep, Handbuch, 327-328.

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Regeln der Kunst an dem Bette angebrachte Unterstützung für Hände und Füße angewießen, um mehr mitarbeiten zu können.“356 Um Verletzungen des Dammes zu vermeiden, wurde „der Gebärenden von einer Candidatin das Mittelfleisch mittelst Compreße welche auf die flache Hand gelegt gehörig unterstützt.“357 Obwohl Mayrhofen anerkannte, dass die Rückenlage für die Frau wohl am angenehmsten sei, da sie das kräftige Pressen unterstütze und zwischen den Wehen ein bequemeres Ausruhen erlaube, gab der Professor, zur Vermeidung der Dammrisse, der Seitenlage den Vorzug. Seiner Erfahrung nach trat dabei der Kopf des Kindes langsamer aus und verursachte nur in wenigen Fällen schwerwiegende Verletzungen der Mutter.358 Damit orientierte sich Mayrhofen an der Boër’schen Lehre der Geburtshaltung. Denn bereits Ende des 18. Jahrhunderts hatte Johann Lucas Boër die Seitenlage der Gebärenden, als die „natürlichste und beste Entbindungsart“ propagiert. Die Gebärende sollte dabei „vollkommen zu linken Seite liege[n], den Hintern gegen den Rank des Bettes gekehrt, und die Knie gegen den Bauch gezogen“359 haben. Kleinwächter änderte aber auch diese Vorgehensweise und die Geburt in Rückenlage wurde endgültig zur dominierenden Entbindungsform. Zur Vermeidung von Rupturen erlaubte er seinem persönlichen Assistenten, Robert Haumeder, chirurgische Schnitte zu setzen, um das Gewebe zu entlasten.360 Dieses „Einschneiden in die Weichtheile zur Schonung des Mittelfleisches“361 hatte nicht selten hartnäckige Geschwüre zur Folge, welche nach Angaben der Hebamme mit Karbolsäure und Chloral-Hydrat behandelt werden mussten.362 Auch den Schwangeren blieb die operative Praxis des Dr. Haumeder nicht verborgen und Anna Eduardi, eine Schwangere aus Abtei, wusste über die Situation zu berich356 UAI, Med. Hebammen 1829-1880, Geburtsbericht Franz Kunater 1830. 357 UAI, Med. Hebammen 1829-1880, Geburtsbericht Franz Kunater 1830. 358 Vgl. Mayrhofen, Lehrbuch, 176-177. Vgl. Schauta, Grundriss, 37. 359 Boër Johann Lucas, Natürliche Geburtshilfe und Behandlung der Schwangeren, Wöchnerinnen und neugeborenen Kinder. Nach Versuchen und Beobachtungen an der öffentlichen Entbindungsschule in Wien. In Sieben Büchern. Bd. 1, 3. vermehrte Auflage, Wien 1817, 192. 360 Protokoll mit dem Sekundararzt Dr. Franz Innerhofer, aufgenommen am 6. Jänner 1879. Vgl. Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 361 Protokoll mit der Schulhebamme Regina Unterhauser, aufgenommen am 4. und 5. Jänner 1879. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 2203. 362 Protokoll mit der Schulhebamme Regina Unterhauser, aufgenommen am 4. und 5. Jänner 1879. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 2203.

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ten, dass die Frauen ihn regelrecht fürchteten, „weil er schneidet, daher die Schwangeren weinen, wenn sie zur Entbindung kommen in der Zeit, in welcher Dr. Haumeder im Kreiszimmer ist.“363 Insgesamt lässt sich an der Innsbrucker Gebärklinik jedoch ein Festhalten an der Tradition der exspektativen Geburtshilfe nach Boër erkennen.364 Selbst um die Jahrhundertwende betonte Professor Ehrendorfer, dass er seinen „Schwerpunkt auf möglichste naturgemässe Leitung der Geburt [lege], in welcher die Studierenden besonders zu unterweisen sind.“365 3.2.2 Die operative Geburtshilfe Nicht jede Geburt konnte jedoch auf natürlichem Wege beendet werden. Etliche Fälle erforderten das umgehende Eingreifen eines Geburtshelfers und die Anwendung spezieller geburtshilflicher Techniken. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zählten die Zangenentbindungen zu den häufigsten, geburtshilflichen Operationen, die in den Gebärhäusern durchgeführt wurden.366 Allerdings galt die Anlegung der Zange, in der österreichischen, geburtshilflichen Tradition, als eines der letzten Mittel, um eine Geburt erfolgreich zu beenden. Nach Johann Lucas Boër sollte sie nur im äußersten Notfall zur Anwendung kommen. Mit dieser Ansicht stand Boër um 1800 allerdings in krassem Gegensatz zu seinen Zeitgenossen, allen voran Friedrich Benjamin Osiander, welcher in der Göttinger Accouchieranstalt nicht weniger als vierzig Prozent aller Geburten mittels Forzeps beendete. Berücksichtigt man weitere sechs Prozent, in denen andere, geburtshilfliche Operationen zum Einsatz kamen, so wurde in Göttingen beinahe jedes zweite Kind operativ entbunden.367 Demgegenüber stand die äußerst zurückhaltende, operative Praxis, die von Wien ausgehend in den österreichischen Gebäranstalten gepflegt wurde. Bei 29.891 Geburten legte Boër nicht mehr als 119 Mal die Zange an (0,39 Prozent), führte 142 Mal Wendungen des Fötus durch (0,47 Prozent) und musste in nur 51 Fällen eine Perforation des Ungeborenen (0,17 Prozent) vornehmen.368 „Diejenigen, welche behaupten, man könne 363 Protokoll mit Anna Eduardi, aufgenommen am 29.12.1878. Vgl. Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 364 Vgl. dazu Erna Leskys Ausführungen zu Boër: Lesky Erna, Schule, 71-75. 365 Ehrendorfer, Rückblick, 579. 366 Vgl. Metz-Becker, Körper, 205-206. Vgl. Stadlober-Degwerth, Niederkunften, 187. 367 Vgl. Schlumbohm Jürgen, „Die edelste und nützlichste unter den Wissenschaften“: Praxis der Geburtshilfe als Grundlage der Wissenschaft, ca. 1750-1820, in: Bödeker Hans Erich/Reill Peter Hanns/Schlumbohm Jürgen (Hg.), Wissenschaft als kulturelle Praxis 1750-1900, Göttingen 1999, 275-297, hier 289-290. 368 Vgl. Lesky, Schule, 73.

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in der Geburtshilfe in jedem Falle der Instrumente entbehren, haben das Unglück an Phantasien zu leiden [...] Aber jene, die ohne Nothwendigkeit Instrumente gebrauchen, meistens aus Eigennutz oder übelverstandener Ruhmsucht, Unwissenheit und Charlatanerie, sind dreiste Menschen, welche Mutter und Kind immer zugleich misshandeln. Diese sind gemeiniglich nicht zu bessern, und sie bleiben, so lange sie leben, die Blutsfeinde der gebährenden Natur“369, urteilte Boër über den inflationären Einsatz der Geburtszange durch viele seiner Zeitgenossen. Indikationen wie allgemeine Schwäche der Gebärenden, Ohnmachten, unerträgliche, lang andauernde Schmerzen, starkes Erbrechen oder das Ausbleiben der Wehentätigkeit konnten den Einsatz der Geburtszange rechtfertigen.370 Ein solcher Fall kam 1830 auch in der Innsbrucker Gebärabteilung vor: Nachdem die 28-jährige, ledige Dienstmagd Anna Delama aus Innsbruck bereits 34 Stunden in den Wehen gelegen hatte, entschloss sich der Professor, eine Operation durchzuführen, da „die Gebärende sehr geschwächt, keine weitern Wehen sich mehr einstellten, das Fruchtwasser schon lange abgeflossen sey, und daher zur Rettung der Kreisenden kein anders Mittel mehr uns übrig als die Zange Kunstgemäß anlegen zu müssen.“371 Bevor jedoch mit der Applikation der Zange begonnen werden konnte, wurde der Gebärenden die Situation erklärt und um ihr Einverständnis gebeten. Die beiden anwesenden Studenten beschrieben Anna Delamas Reaktion auf die bevorstehende Operation, als „geduldig“ und „bereitwillig“.372 Daraufhin wurde der Fötus intrauterin notgetauft, die Kreißende auf das so genannte „Querbett“373 gebracht und die nötigen Instrumente vorbereitet. Die Zan369 Boër, Geburtshilfe, 139. 370 Vgl. Froriep, Handbuch, 423. Dr. Carlo Esterle, Direktor der Gebär- und Findelanstalt in Alle Laste empfahl die Zangenoperation auch in Fällen von Eklampsie. Vgl. Prommegger, Die Gebär- und Findelanstalt, 74. Vgl. Nebesky, Geburtsleitung, 443. 371 UAI, Med. Hebammen 1829-1880, Geburtsbericht Degno Zambelli 1830. 372 UAI, Med. Hebammen 1829-1880, Geburtsberichte Degno Zambelli und Sebastian Thaler 1830. 373 Friedrich Schauta lieferte eine anschauliche Beschreibung des Querbettes: „Man construirt dasselbe in der Weise, dass man das Bett mit seiner Breitseite an die Wand stellt, so dass die Kopfkissen an letzterer eine Stütze finden, oder es wird diese Stütze durch einen angeschobenen kleinen Kasten oder Tisch ermöglicht. Dabei liegt die Kreissende quer über das Bett, mit dem Steiss knapp am Bettrande. Ausserdem soll womöglich der ganze Körper durch ein untergeschobenes Polster derartig erhoben werden, dass die Genitalien der Gebärenden sich in der Höhe der Magengrube des aufrecht stehenden Operateurs befinden. Ist es nicht möglich, das Bett in dieser Weise zu erhöhen, so wird unter Umständen ein fest stehender Tisch oder ein

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ge war durch das Eintauchen in warmes Wasser „von ihrer Kälte befreyt“374 und mit Fett gleitfähig gemacht worden. Anna Delamas Füße wurden von den beiden anwesenden Studenten gehalten, „eine Candidatin stand hinter der Gebärenden fasste sie unter den Armen und hielt sie fest nach rückwärts“375, beschrieb Sebastian Thaler die unmittelbare Ausgangssituation. Die auszubildenden Wundärzte durften während der Zangenoperation zwar hospitieren und kleinere Hilfsdienste übernehmen, die eigentliche Applikation wurde jedoch dem wesentlich erfahreneren, chirurgisch-geburtshilflichen Assistenten überantwortet. Die geburtshilfliche Operation verlief für Mutter und Kind günstig. Auch aus dem Studienjahr 1835/36 wird von einer erfolgreichen Forzepsapplikation berichtet, welche aufgrund von mütterlicher Beckenverengung indiziert erschien.376 Doch nicht in jedem Fall war ein sicherer Ausgang für Mutter und Säugling garantiert: Aus dem Jahre 1833 ist ein kindlicher Todesfall infolge Zangenentbindung dokumentiert.377 Im Grazer Gebärhaus lag die Sterblichkeit der Kinder, zwischen 1855 und 1859, infolge des Eingriffs, bei insgesamt 14,5 Prozent, jene der Mütter, bei elf Prozent.378 Deutlich besser schienen die Ergebnisse seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auszufallen. Seidel führt für Baden, im Zeitraum zwischen 1865 bis 1914, eine stetig sinkende Mortalitätsrate der Mütter zwischen 3,5 und 0,4 Prozent sowie eine vergleichbar starke Reduzierung kindlicher Todesfälle, von 17,5 auf 4,8 Prozent, an.379 In Innsbruck wurden in den 1880er Jahren rund neun Prozent aller Geburten unter Zuhilfenahme der Zange beendet. In 54 Prozent der Fälle wurde der operative Eingriff eindeutig zum Schutze des Kindes durchgeführt, welches meist aufgrund von Wehenschwäche nicht auf natürlichem Wege geboren werden konnte. Für den Zeitraum von 1899 bis 1914 spricht Nebesky sogar davon, dass zwei Drittel aller Zangenentbindungen zum Schutze des kindlichen Lebens durchgeführt wurden.380 Nur in seltenen Fällen wurde die Zange aufgrund von Verengungen des mütterlichen Beckens verwendet. Den Zeitgenossen zufolge kamen solche Beckenverengungen an der Tiroler Gebärklinik nur in recht geringem Ausmaß vor. Kleinwächter hatte in den Jahren 1877 bis 1881 rund 12,7 Prozent Commodenkasten dem Bette vorzuziehen sein. Die Beine der Gebärenden werden auf zwei Stühle gestellt oder von Assistenten gehalten.“ Schauta, Grundriss, 9. 374 UAI, Med. Hebammen 1829-1880, Geburtsbericht Sebastian Thaler 1830. 375 UAI, Med. Hebammen 1829-1880, Geburtsbericht Sebastian Thaler 1830. 376 Vgl. Ullrich, Uebersicht, 302-304. 377 Vgl. Jüngeres Gubernium 1833, Sanität Zl. 17251. 378 Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 260. 379 Vgl. Seidel, Kultur, 359. 380 Vgl. Nebesky, Geburtsleitung, 443.

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der Frauen mit verengten Becken behandelt. Schauta zählte zwischen 1881 und 1887 lediglich 7,1 Prozent381 und Nebesky dokumentierte für den Beginn des 20. Jahrhunderts eine relative Häufigkeit von Beckenverengungen bei den Patientinnen des Gebärhauses von 10,5 Prozent. Rachitische Deformationen machten dabei nur ein Viertel der Gesamtzahl aus.382 Nebesky führte das relativ seltene Vorkommen von Beckenverengungen, einerseits darauf zurück, dass sich „das Material der hiesigen Klinik zum grossen Teile aus der landbautreibenden Bevölkerung rekrutiert“383, andererseits machte er dafür auch Dokumentationsmängel verantwortlich, da „viele Frauen in so weit vorgeschrittenem Geburtsstadium zur Aufnahme gelangten, dass eine innere Beckenmessung vor der Entbindung nicht mehr möglich war, weil der vorangehende Teil bereits zu tief im Becken stand“384, so die Erklärung des Mediziners. Der Eingriff fand, nach wie vor, auf dem Querbett statt, die Übertragung der Gebärenden in das Operationszimmer war dafür nicht notwendig.385 Für die tief- bzw. in der Mitte des Beckens stehenden, fetalen Köpfe verwendete Friedrich Schauta die so genannte „Wiener Schulzange nach Simpson“386, für die noch hochstehenden Köpfe die Breus’sche Achsenzange.387 Seidel zufolge ist die quantitative Zunahme der Zangenentbindungen seit Beginn der 1880er Jahre, als Manifestation der „steigenden Operationslust der Geburtshelfer“388 zu verstehen. Durch die Einführung der Antisepsis schwanden

381 Vgl. Torggler, Bericht, 84-85. 382 Vgl. Nebesky, Geburtsleitung, 395. Vgl. auch Torggler Franz, Zwergbecken mit Lumbosacral-Kyphose, in: Archiv für Gynäkologie 26 (1885), 429-438. 383 Nebesky, Geburtsleitung, 395. 384 Nebesky, Geburtsleitung, 395. 385 Vgl. Torggler, Bericht, 131-134. Eine detaillierte Anleitung zur korrekten Handhabung des Forzeps findet sich bei Schauta, Grundriss, 150-156. 386 „Braun hat diesen Simpson’schen Forceps in der Weise modificirt, dass er das Fenster der Zange durch eine von aussen angelöthete Metallplatte schliessen und dann die ganze Zange mit Hartgummi überkleiden liess. Der Vortheil dieses HartgummiUeberzuges der Zange liegt in der Möglichkeit der leichten antiseptischen Reinigung, in der Dauerhaftigkeit, in der Verwendung eines schlechten Wärmeleiters, in der Beseitigung aller scharfen Metallkanten und wohl vielleicht auch darin, dass für die Gebärende und Umgebung ein Instrument, dem man das blanke Eisen nicht ansieht, weniger schreckenerregend erscheint, als die gewöhnliche Zange,“ urteilte Schauta 1885 über das geburtshilfliche Instrument. Schauta, Grundriss, 147. 387 Vgl. Torggler, Bericht, 131-134. Vgl. Schauta, Grundriss, 164-166. 388 Seidel, Kultur, 353.

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scheinbar zusehends die Hemmungen, auch riskante oder nicht unbedingt notwendige Eingriffe vorzunehmen.389 Tab. 14: Art und Frequenz der geburtshilflichen Operationen (1881-1914) Art der Operation

Anteil an der Gesamtgeburtenzahl (%) 1881-1887

ca. 1890-1904

1899-1914

Zangenentbindung

9,16

4,67

7,5

Nachgeburtsoperation

4,21

-

-

Manualhilfe

3,06

-

2,8

Wendung

1,65

0,96

3,8

Craniotomie

0,46

0,32

1,6

Reposition

0,42

-

-

Ritgen's Handgriff

0,32

-

-

Künstliche Frühgeburt

0,22

0,36

4,7

Kaiserschnitt

0,14

0,07

1,3

Quelle: Torggler Franz, Bericht über die Thätigkeit der Geburtshilflich-Gynäkologischen Klinik zu Innsbruck. Für die Zeit vom 1. October 1881 bis 31. März 1887, Prag 1888, 6. Ehrendorfer Emil, Rückblick auf einzelne klinische Fortschritte in der Tiroler Landesgebärklinik innerhalb der letzten ca. 1 ½ Dezennien, in: Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie 14/5 (1905), 575-580, hier 578-579. Nebesky Oscar, Die Geburtsleitung bei engem Becken an der Innsbrucker geburtshilflichen Klinik in den letzten 15 Jahren (18991913) mit besonderer Berücksichtigung der daselbst ausgeführten Kaiserschnitte, in: Archiv für Gynäkologie 103 (1914), 395-478, hier 436.

Dieser Trend ist auch im Innsbrucker Gebärhaus beobachtbar, wobei ein deutlicher Schwerpunkt operativer Tätigkeit in die Zeit der Professorenschaft Schautas fällt. Unter dessen Nachfolger, Emil Ehrendorfer, zeichnete sich wiederum eine allmähliche Abnahme der Frequenz ab. Dieser hielt die Zangenoperation in lediglich 4,67 Prozent aller Geburten für die angemessene Form der „Kunsthilfe“ und bestand stets auf der absoluten medizinischen Notwendigkeit der Operation.390 „Zu einem laxeren Handhaben der Indikation, zum Zwecke der Einübung Studierender [...] sind wir meiner Ansicht nach bei den, wenn auch nicht immer

389 Vgl. Seidel, Kultur 353-354. 390 Vgl. Ehrendorfer, Rückblick, 578-579.

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„blutigsten aller geburtshilflichen Operationen“ weder ganz berechtigt, noch erscheint mir dies nötig“391, argumentierte Ehrendorfer. Sicherheit in den geburtshilflichen Operationsmethoden sollten die Studenten, auch um die Jahrhundertwende, vor allem am Phantom gewinnen.392 Nachgeburtsoperationen, welche vielfach als „Luxusoperationen“ verpönt waren,393 zählten in Innsbruck während der 1880er Jahre zu den am zweithäufigsten durchgeführten, geburtshilflichen Eingriffen. Sekundararzt Franz Torggler zufolge, war die Frequenz im Vergleich zu anderen Kliniken im deutschsprachigen Raum, eine relativ hohe. In der Regel zählten Plazentalösungen und die manuelle Entfernung von Plazentaresten aus dem Uterus und Geburtskanal zu den gängigsten, diesbezüglichen Eingriffen. Die hohe Zahl wurde mitunter damit gerechtfertigt, dass auch kleinere Eingriffe, wie die Entfernung von Eihautresten, in die Summe der Operationen mit eingerechnet wurden. Dennoch handelte es sich nicht in allen Fällen um harmlose Eingriffe, denn knapp jede fünfte Frau entwickelte nach einer solchen Nachgeburtsoperation Fieber, immerhin zwei Prozent aller operierten Mütter starben sogar infolge des Eingriffs.394 Dagegen verlief die manuelle Extraktion des Kindes aus dem Geburtskanal in keinem der dokumentierten Fälle tödlich für die Mutter. Vor allem bei anatomischen Fehlbildungen des Beckens wurde die Manualhilfe nötig und war als lebensrettende Maßnahme für das Kind gedacht. Dennoch lag die kindliche Mortalität bei rund 16 Prozent.395 Wendungen aufgrund von Fehllagen der Frucht gehörten ebenfalls zum Repertoire operativer Geburtshilfe. Einerseits konnte eine Lageverbesserung des Fötus durchgeführt werden, um den Fötus in die Längslage zu bringen und so eine natürliche Geburt zu ermöglichen. Andererseits wurden Wendungen unternommen, um den Geburtsverlauf zu beschleunigen. Diese Vorgehensweise war in jenen Fällen angebracht, in denen die Mutter unter Blutungen, Krämpfen oder Wehenschwäche litt, oder eine Uterusruptur zu befürchten war. Zur Durchführung des Eingriffs wurde die Kreißende wiederum auf das Querbett gelegt und die Wendung mittels äußerer und innerer Handgriffe vollzogen. Dabei kniete oder saß der Geburtshelfer, respektive die Hebamme,396 zwischen den Füßen der 391 Ehrendorfer, Rückblick, 579. 392 Vgl. Ehrendorfer, Rückblick, 578-579. 393 Vgl. Seidel, Kultur, 353. 394 Vgl. Torggler, Bericht, 145-146. 395 Vgl. Torggler, Bericht, 128-131. 396 Laut Instruktion von 1823 gehörten innere und äußere Wendungen zum Aufgabenbereich der Hebamme: „Die nöthigen manuellen Hülfleistungen, welche insgemein in den Hebammen-Bereich einschlagen, sind in dringenden Fällen ohne weiteres

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Frau und führte während einer Wehe die zuvor befettete, keilförmig zusammengepresste Hand in den Uterus ein. Durch den Druck der äußerlich aufgesetzten Hand und das Repositionieren in der Gebärmutter sollte eine Drehung des Fötus, auf den Kopf bzw. die Füße, erreicht werden. Die künstliche Wendung des Fötus im Mutterleib stellte im Allgemeinen eine sehr schmerzhafte Prozedur für die Mutter dar.397 In den 1880er Jahren wurden die Kreißenden deshalb, in der Regel, vor der Wendung narkotisiert.398 Frühe Versuche mit Chloroformnarkosen zur Schmerzlinderung bei Wendungen wurden bereits in den 1850er Jahren in der Gebär- und Findelanstalt in Alle Laste unternommen.399 Häufig folgte einer erfolgreichen Wendung jedoch keine spontane Geburt, weshalb diese Operation oft mit weiteren Eingriffen, etwa einer manuellen Extraktion des Kindes400 oder einer Perforation des fetalen Kopfes (Kraniotomie)401, einhergingen. Im Laufe einer solch komplizierten und strapaziösen Geburt starben, laut Torggler, rund

von ihr zu verrichten.“ TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität Zl. 167, 13383. Auch Mayrhofen sah die Wendung durch die Hebamme in seinem Hebammenlehrbuch vor. Allerdings sollte die häufig darauf folgende Extraktion des Säuglings nur in Notfällen von der Hebamme durchgeführt werden. Vgl. Mayrhofen, Lehrbuch, 295. Stadlober-Degwerth zufolge war der Hebammenberuf gegen Ende des 19. Jahrhunderts einer neuerlichen Reglementierung unterworfen, in deren Verlauf die Durchführung von Wendungen durch die Hebamme verboten und gänzlich der ärztlichen Praxis überantwortet wurde. Vgl. Stadlober-Degwerth, Niederkunften, 189190. 397 Vgl. Mayrhofen, Lehrbuch, 275-285. Vgl. zu den diversen Wendungstechniken: Schauta, Grundriss, 97-122. 398 Vgl. Torggler, Bericht, 127. Vgl. Schauta, Grundriss, 10-12. 399 Vgl. Prommegger, Gebär- und Findelanstalt, 71-72. 400 Vgl. zu den Techniken der manuellen Extraktion: Schauta, Grundriss, 123-141. 401 „Die Kraniotomie besteht in der Eröffnung der Schädelhöhle des Kindes zu dem Zwecke, um den Schädelinhalt (Gehirn, Blut, Liquor cerebro-spinalis) den Austritt zu gestatten und den Kopf auf diese Weise für die Geburt durch’s Becken vorzubereiten,“ so die Definition dieses geburtshilflichen Eingriffes nach Schauta. Schauta, Grundriss, 170. Anhand der Kraniotomie thematisierte Nebesky im Jahre 1914 ein Problem der expektativen Geburtshilfe: „Das längere Zuwarten darf natürlich nicht zu einer Verspätung der notwendigen Kraniotomie führen. Letztere muss daher vorgenommen werden, so lange die Mutter nicht septisch infiziert ist und ein Todesfall nach Perforation ist stets ein Zeichen, dass zulange mit derselben gezögert wurde. Die Frau stirbt nicht wegen oder trotz der Kraniotomie, sondern weil diese zu spät kam.“ Nebesky, Geburtsleitung, 455.

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dreißig Prozent der betroffenen Säuglinge.402 Nebesky gibt hingegen, für die Periode zwischen 1899 und 1914, eine wesentlich höhere Mortalität der Säuglinge von 65,4 Prozent an.403 Hinsichtlich der künstlichen Frühgeburt zeigte sich erst um die Jahrhundertwende eine Intensivierung dieser operativen Praxis. Die künstlich evozierte Frühgeburt zielte darauf ab, ein unreifes, jedoch lebendes Kind zu entbinden. Vielfach wurde diese Methode bei hochgradigen Beckenverengungen nötig, denn ein völlig ausgetragenes Kind konnte meist nicht lebend entbunden werden. Meist wurde die Geburt daher einige Wochen vor dem errechneten Geburtstermin durch künstliche Blasensprengung eingeleitet. Das durchschnittliche Geburtsgewicht der Frühgeborenen betrug, zwischen 1899 und 1914, rund 2,5 Kilogramm.404 Neben der Tatsache, dass sich durch die künstliche Frühgeburt eine Perforation des Kindes vermeiden ließ, hatte diese „rein prophylaktische Entbindungsmethode“, laut Nebesky, noch den weiteren Vorteil, „dass sie bei den Frauen als durchaus ungefährlich gilt und wir demgemäss mit dem Vorschlage derselben kaum je einmal auf eine absolute Ablehnung des operativen Eingriffes seitens der Frau stossen, wie bei Hebeosteotomie oder Kaiserschnitt. Auch die uneheliche Mutter nimmt dieses Risiko zugunsten des Kindes auf sich, zumal die Einleitung der künstlichen Frühgeburt in den Augen der Leute als ungefährlicher gilt selbst wie die Perforation.“405 Der Kaiserschnitt stellte bis zum Ende der Untersuchungsperiode eine Rarität in der operativen Praxis im Innsbrucker Gebärhaus dar. Aufgrund ihrer Besonderheit zog sie jedoch das wissenschaftliche Interesse der Mediziner auf sich und wurde teils ausführlich dokumentiert. Bis zum Jahre 1870 wurde im Innsbrucker Gebärhaus drei Mal eine Sectio caesarea gewagt. In rund 80 Prozent der bis 1860 im deutschen Sprachraum dokumentierten Fälle erfolgte der Kaiserschnitt jedoch in Form einer Leichenentbindung an der verstorbenen Mutter.406 Auch in Innsbruck wurden zwei der drei Kaiserschnitte post mortem durchgeführt. Am 21. Dezember 1835 war die schwangere, 42-jährige Elisabeth Innenbichler sterbend in die Gebärabteilung des Innsbrucker Bürgerspitals gebracht worden. Noch am selben Tag verstarb die ledige Frau an den Folgen eines „Markschwammes“ und die Ärzte nützten die Gelegenheit, um wenigstens eine Ret402 Vgl. Torggler, Bericht, 124-125. 403 Vgl. Nebesky, Geburtsleitung, 446. 404 Vgl. Nebesky, Geburtsleitung, 447-448. 405 Nebesky, Geburtsleitung, 447. 406 Vgl. Schäfer Daniel, Geschichte des Kaiserschnitts, in: Stark Michael (Hg.), Der Kaiserschnitt. Indikation – Hintergründe – Operatives Management der MisgavLadach-Methode, München 2009, 1-26, hier 10.

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tung des ungeborenen Kindes zu versuchen. Post mortem kam das noch unreife Kind durch einen Kaiserschnitt zur Welt, überlebte die Operation jedoch nicht. Auch der am 16. Februar 1859 an der verstorbenen, 40-jährigen Maria Mair durchgeführte Kaiserschnitt hatte für das Kind keinen positiven Ausgang. Es verstarb ebenfalls kurz nach der Nottaufe.407 Es scheint, als ob die beiden Frauen nur aufgrund einer Kombination von Erkrankung und Schwangerschaft in das Spital gebracht worden waren. Dieser Zusammenhang ist auch im Fall der Barbara Gogl, einer verheirateten Frau aus Hötting, anzunehmen. Aufgrund von Geburtskomplikationen wurde sie, wohl als letzte Alternative, am 17. Mai 1854 in die Gebärabteilung gebracht. Jegliche andere Form der ärztlichen Kunsthilfe war vergebens gewesen und so entschied man sich, an der noch lebenden Mutter einen Kaiserschnitt zu versuchen. Das Kind starb wiederum unmittelbar nach der Nottaufe und auch die Mutter überlebte die Operation nur acht Stunden.408 Ob für den Tod der Mutter die unzureichende Wundversorgung, der große Blutverlust oder eine bereits eingetretene Sepsis verantwortlich waren, ist aufgrund fehlender Krankenakten nicht nachvollziehbar. Tatsache war allerdings, dass die Operationen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch keinerlei Hygienestandards unterworfen waren und die Wunde nur notdürftig vernäht wurde. Von einer Uterusnaht wurde dabei meist gänzlich abgesehen, da man eine zusätzliche Entzündung durch das Nahtmaterial befürchtete. Man hoffte vielmehr auf eine rasche Verwachsung der Gebärmutter mit der Bauchdecke. Die Laparotomiewunde wurde, in der Regel, ebenfalls nicht verschlossen, sondern lediglich mit Pflastern verklebt, wobei das Wundsekret durch eine Öffnung aussickern sollte.409 1876 hatte Edoardo Porro zwar mit der vollständigen Uterusentfernung, eine neue Methode des Kaiserschnitts entwickelt, die Operation kam jedoch immer noch einem Glücksspiel gleich. Jede zweite Frau starb während oder an den Folgen der gefährlichen Operation. Erst im Jahre 1882 schien ein Wendepunkt in der Geschichte des Kaiserschnitts erreicht. Lehmann spricht in diesem Zusam-

407 Schauta bezeichnete den Erfolg derartiger Eingriffe als äußerst gering. Vgl. Schauta, Grundriss, 219. Vgl. dazu auch die schlechte Prognose für Säuglinge bei MetzBecker, Körper, 215. 408 Vgl. Datenbank GH, 1835, 1854, 1859. Einen ähnlichen Fall beschreibt Kurmanowytsch auch für das Grazer Gebärhaus. Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 256-258. 409 Vgl. Lehmann Volker, Zur Geschichte der Uterusnaht beim Kaiserschnitt, in: Beck Lutwin (Hg.), Zur Geschichte der Gynäkologie und Geburtshilfe. Aus Anlaß des 100jährigen Bestehens der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Berlin/Heidelberg/New York 1986, 95-102, hier 95-96. Vgl. Schäfer, Geschichte, 11.

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menhang sogar von einem „medizinhistorischen Ereignis“410. Relativ zeitgleich erkannten Max Sänger und Ferdinand Adolf Kehrer die Notwendigkeit der Uterusnaht, wobei der Muskel und das Bauchfell separat vernäht werden sollten. Als geeignetes Nahtmaterial schlug Sänger feinen Silberdraht und karbolisierte Seide vor.411 Die Neuerungen wurden von der Fachwelt „erstaunlich schnell aufgenommen. Die Zeit war offensichtlich reif für Veränderungen der operativen Verfahren en gros und en detail“412, kommentierte Schäfer 2009 den durchschlagenden Erfolg dieser Weiterentwicklung des „klassischen Kaiserschnitts“. Auch im Innsbrucker Gebärhaus wurde die einschlägige Fachliteratur rezipiert und bereits 1885 sah Friedrich Schauta einen Fall absoluter Indikation für einen Kaiserschnitt gekommen. Am 30. August 1885 wurde eine 22-jährige, ledige Näherin aus Rovereto aufgenommen, welche an einem stark verengten, rachitisch deformierten Becken litt. Die kleinwüchsige Frau, die nur 125 cm maß, befand sich ansonsten in einem guten Ernährungs- und Gesundheitszustand. Bereits bei ihrer Aufnahme hatte Schauta die Problematik erkannt, der Frau gegenüber jedoch die Möglichkeit einer Operation verschwiegen. Schauta entschloss sich, nach einer Konsultation der bestehenden Forschungsliteratur und aufgrund seiner Erfahrungen mit der Porro’schen Methode, gegen diese und ließ alles für einen klassischen Kaiserschnitt vorbereiten. Das Operationszimmer wurde rund eine Woche vor dem erwarteten Geburtstermin täglich mit Sublimat-Dampfspray desinfiziert, alle Möbel und auch die Wände des Raumes mit Sublimat gewaschen. Die Instrumente wurden in Karbolsäure gekocht und auch die Schwämme in Karbolsäure gelagert. Rund einen Monat nach der Aufnahme, am 25. September 1885, traten schließlich Wehen bei der Frau ein und zwangen die verantwortlichen Mediziner zu raschem Handeln. Erst unmittelbar vor dem bevorstehenden Eingriff wurde nun auch die Betroffene in die Pläne des Professors eingeweiht und gab ihre Zustimmung zu dem riskanten Eingriff.413 Schauta war davon überzeugt, dass eine ausführliche Aufklärung der Betroffenen nicht bzw. erst kurz vor dem eigentlichen Eingriff nötig sei. Diese eigenwillige, ärztliche Informationspraxis mag primär auf die Vermeidung von Furcht- und Angstzuständen bei den Frauen abgezielt haben, andererseits kam sie doch einer Entmündigung der Patientinnen gleich.414 Umso mehr, als Schauta forderte, generell nicht über die geplanten, operativen Maßnahmen zu sprechen, sondern sich lediglich das prinzipielle Einverständnis zu einem operativen Ein410 Lehmann, Geschichte, 97. Vgl. Schäfer, Geschichte, 19. 411 Vgl. Lehmann, Geschichte, 98. Vgl. Schäfer, 19-20. Vgl. Seidel, Kultur, 367. 412 Schäfer, Geschichte, 20. 413 Vgl. Schauta, Kaiserschnitt (1). 414 Vgl. Schauta, Grundriss, 198.

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griff geben zu lassen. Dieser Mangel an ärztlicher Aufklärung kam in Expertenkreisen um die Jahrhundertwende zunehmend in die Kritik und auch in Innsbruck nahm man zu dieser Praxis Stellung. „Wir sind doch gewohnt, jeder Patientin vor der Operation zu sagen, was wir tun wollen und was wir eventuell werden tun müssen“415, skizzierte etwa der Sekundararzt, Oscar Nebesky, die nun in Innsbruck übliche Praxis. Doch thematisierte er damit nicht nur die Pflichten des Arztes, sondern auch das Recht der Patientinnen auf umfassende, medizinische Aufklärung. So müsse man „unserer Ansicht nach auch der kreissenden Frau das Recht zugestehen zu wissen, was mit ihr gemacht werden soll, und ob es noch andere, wenn auch schlechtere, aber ungefährlichere Mittel gibt, ihr zu helfen“416, argumentierte Nebesky. Doch nicht in allen Fällen waren andere Maßnahmen geeignet, einen positiven Ausgang der Geburt zu gewährleisten. Dies war etwa bei Schautas erstmaligem Kaiserschnitt-Versuch in Innsbruck der Fall. Noch im Kreißzimmer wurde die Gebärende mit einer Chloroformmischung narkotisiert und auf die Operation vorbereitet. Dazu wurden alle Schamhaare entfernt, die Bauchdecke und die äußeren Genitalien gründlich mit Seife und Bürste gereinigt und schließlich mit Sublimat desinfiziert. Zum Schluss folgte eine Scheidenspülung mit Sublimatlösung. Nachdem die Patientin, nach erfolgter Vorbereitung, in das Operationszimmer gebracht worden war, wurde ihr Körper dort erneut desinfiziert. Auch die Operateure, Dr. Schauta und sein Assistent Franz Torggler, desinfizierten ihre Hände mit Sublimat. Der Bauchschnitt wurde längs über den Nabel verlaufend gesetzt und maß ganze 18 Zentimeter. Das Kind wurde problemlos entwickelt und der Uterus anschließend aus der Bauchhöhle gehoben. Die Blutzufuhr wurde mittels eines Gummischlauches unterbunden, die Uterushöhle mit in Sublimatwasser getränkten Schwämmen gereinigt. Nach dem Anlegen der Silberdrahtnaht wurde der Gummischlauch gelöst, zur Blutstillung eine Spritze Ergotin in den Unterarm verabreicht und der Uterus wieder in die Bauchhöhle versenkt. Einer neuerlichen Desinfektion der Bauchhöhle mit warmem Thymol und der Bestreuung der Nahtlinie mit Jodoform folgte schlussendlich die Schließung der eigentlichen Laparotomiewunde. Die erste Kaiserschnittoperation dieser Art in Innsbruck hatte insgesamt eine Stunde und 23 Minuten gedauert. Die Patientin erholte sich relativ rasch und konnte eineinhalb Monate nach erfolgter Operation gesund entlassen werden. Auch das Kind hatte den Eingriff unbeschadet überstanden. Nur wenige Monate nach diesem erfolgreichen Eingriff wurde erneut eine rachitische Erstgebärende per Kaiserschnitt entbunden. Durch die Einhaltung strengster Antisepsis konnte auch in diesem Fall eine postoperative Entzün415 Nebesky, Geburtsleitung, 462. 416 Nebesky, Geburtsleitung, 462.

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dung vermieden werden. Die Patientin durfte bereits 19 Tage nach der Operation das Bett, 27 Tage danach die Klinik verlassen. Die zweite Operation hatte insgesamt nur mehr 58 Minuten gedauert.417 Metz-Becker argumentierte, dass die Schwangere beim Kaiserschnitt „das Ausgeliefertsein in sehr extremer Weise“418 erlebt, doch ohne vorherige Zustimmung der Mutter wurde die Sectio an der Lebenden nicht durchgeführt.419 Vielfach verweigerten sich die Patientinnen des Innsbrucker Gebärhauses dem invasiven Eingriff. „Trotz des hier zu Lande auch durch religiöse Gründe mächtig unterstützten Verlangens der Frauen nach lebenden Kindern erleben wir nicht selten, dass auch Verheiratete die Einwilligung zu künstl[icher] Frühgeburt oder auch zur Kraniotomie geben, ohne im mindesten zu zaudern, die zum Kaiserschnitt aber sofort und für immer verweigern. Der Selbsterhaltungstrieb tritt hierbei in scharfe Konkurrenz mit dem Muttertriebe und wer wird es schliesslich der Frau so sehr verübeln können, wenn der erstere obsiegt“420, machte Nebesky die Zweifel und Ängste der Patientinnen deutlich. Die Entscheidung der Frauen musste respektiert werden, auch wenn das Leben des Kindes dabei auf dem Spiel stand. Vor allem bei ledigen Schwangeren war es den Ärzten des Innsbrucker Gebärhauses noch nie gelungen, das Einverständnis zu einer Sectio aus relativer Indikation zu erlangen, wie Nebesky im Jahr 1914 schilderte.421 417 Vgl. Schauta, Kaiserschnitt (2). Noch in seinem 1885 publizierten Werk zur operativen Geburtshilfe hatte sich Schauta pessimistisch über die Fortschritte der Kaiserschnittoperation geäußert. Auf die Frage, ob es möglich sei, eine postoperative Infektion zu vermeiden, hatte Schauta folgendermaßen geantwortet: „Leider hat uns jedoch die Betrachtung aller der Versuche und Bemühungen, welche auf die Erfindung eines sicher wirkenden Abschlusses der Uteruswunde gerichtet waren, gezeigt, dass wir dieses Ziel noch nicht erreicht haben und wohl noch lange nicht erreichen werden. So lange wir aber nicht im Stande sind, die Uterushöhle sicher und fest von der Bauchhöhle abzuschließen, müssen durch das Ausfliessen der Sekrete der Wunde, ferner der (nach Kehrer selbst im normalen Zustande infectiösen) Lochien in die Bauchhöhle todte Räume entstehen, in denen die Bacterien einen ausgezeichneten Nährboden finden.“ Schauta, Grundriss, 209. 418 Metz-Becker, Körper, 210. 419 Vgl. Albrecht Herbert, Der Kaiserschnitt im Wandel der Geburtshilfe von 18851985, in: Beck Lutwin (Hg.), Zur Geschichte der Gynäkologie und Geburtshilfe. Aus Anlaß des 100jährigen Bestehens der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Berlin/Heidelberg/New York 1986, 102-118, hier 104. Vgl. Schäfer, Geschichte, 16. Vgl. Seidel, Kultur, 364. Vgl. Schauta, Grundriss, 198. 420 Nebesky, Geburtsleitung, 461. 421 Vgl. Nebesky, Geburtsleitung, 461.

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Dennoch kann die Möglichkeit der Nachfrage seitens der Frau nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Dies beweist der Fall einer 33-jährigen Bäuerin aus Mazzin im Trentino. Schauta hatte die verheiratete Mutter von zwei Kindern bereits 1884 wegen einer Blasenscheidenfistel erfolgreich operiert. „Aus Furcht bei der Geburt wieder eine Blasenscheidenfistel zu acquiriren“422, suchte die Frau im November 1885 erneut um medizinische Hilfe in der Landesgebäranstalt an. Die Frau bat den Professor, alles in seiner Macht stehende zu versuchen, um die neuerliche Entstehung einer Fistel zu vermeiden. Auf die Möglichkeit eines Kaiserschnitts hingewiesen, gab die Patientin scheinbar „freudig ihre Zustimmung [...], mit den Worten: lieber sterben, als noch einmal die Qualen einer Blasenscheidenfistel ertragen.“423 Die Operation wurde wiederum vom Professor selbst, unter Assistenz Dr. Torgglers, durchgeführt. Zwei weitere Ärzte waren mit der Narkotisierung und der Reichung der Instrumente betraut worden. Die innovative Operationsmethode erregte auch das Interesse von Fachkollegen und weitere vier Medizinern wohnten dem Eingriff als Beobachter bei. Die Kaiserschnittoperation wurde auch für die medizinische Ausbildung nutzbar gemacht: Insgesamt vierzehn Studenten wurde der Zutritt zum Operationszimmer gewährt. Da die Operation nachts ausgeführt werden musste, fungierten sie gleichzeitig als Träger für die Petroleumlampen und Kerzen. Auch dieser Kaiserschnitt verlief, für Mutter und Kind, ohne Komplikationen.424 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte die Beleuchtung des Operationssaales immer noch ein massives Problem dar, weshalb unter Ehrendorfer meist fünf bis acht Tage vor dem errechneten Geburtstermin operiert wurde. Einerseits sollte dadurch eine ausreichende Desinfizierung der Räumlichkeiten gewährleistet, andererseits aber, einer möglichen Notoperation bei Nacht vorgebeugt werden.425 Friedrich Schauta hatte mit der Einführung der weiterentwickelten Kaiserschnittoperation in Innsbruck medizinisches Neuland betreten. Sein Nachfolger, Emil Ehrendorfer, war in der Umsetzung operativer Praktiken jedoch zögerlicher. Nach den drei erfolgreichen Kaiserschnitten innerhalb eines Jahres wurde erst im Jahre 1899 erneut eine Sectio caesarea im Innsbrucker Gebärhaus durchgeführt. Danach sollten sich die Fälle jedoch häufen und bis 1905 konnten insgesamt sieben weitere Kinder erfolgreich, per Kaiserschnitt entbunden werden.426 Zwischen 1906 und 1914 sind weitere sechzehn Kaiserschnittoperationen doku422 Torggler, Bericht, 142. 423 Torggler, Bericht, 142. 424 Vgl. Torggler, Bericht, 138-145. 425 Vgl. Nebesky, Geburtsleitung, 463. 426 Vgl. Ehrendorfer, Rückblick, 579. Diese Geburtsfälle werden bei Nebesky in kurzen Skizzen präsentiert. Vgl. Nebesky, Geburtsleitung, 456-457.

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mentiert. Dabei weisen die einzelnen Geburtsfälle einige Gemeinsamkeiten auf: Die Operation wurde meist aufgrund einer rachitischen Verengung der Beckenknochen vorgenommen, nur selten waren andere Ursachen, wie etwa narbige Verengungen des Geburtskanals oder Tumorerkrankungen, ausschlaggebend. Alle betroffenen Patientinnen hatten bereits mindestens einmal (tot)geboren und dabei schlechte Erfahrungen gesammelt. Häufig wurde im Zuge der Kaiserschnittoperation eine Sterilisation der Frauen durch vollständige Resektion der Eileiter vorgenommen.427 Einerseits wurde diese Maßnahme zum Schutz vor einer Uterusruptur bei neuerlicher Schwangerschaft, andererseits aber, auf ausdrücklichen Wunsch der Frauen, durchgeführt. Von ärztlicher Seite „billigen wir gerechterweise der Mutter, die einmal für die Geburt eines lebenden Kindes ihr Leben in die Schanze schlug, das Recht zu, sich für die Zukunft dieser Notwendigkeit enthoben zu wissen. In einigen Fällen konnten wir überhaupt nur unter dieser Bedingung die Einwilligung zur Vornahme der Sectio caes[area] erhalten“428, kommentierte Nebesky diese Praxis. Sämtliche zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchgeführten Kaiserschnittoperationen verliefen für Mutter und Kind positiv und die Betroffenen konnten, nach circa drei Wochen, gesund aus der Klinik entlassen werden.429 Bis in die 1920er Jahre hatte sich der Kaiserschnitt schließlich soweit etabliert, dass er zur „erste[n] Operation [wurde], die obligat an die Geburtsklinik gebunden war und auf diese Weise die Klinik – gegenüber der Hausgeburt unterstützte.“430 3.2.3 Die Versorgung der Neugeborenen Sofort nach der Abnabelung kam das neugeborene Kind in die Obhut der Hebamme, welche den Säugling selbst badete oder durch die anwesenden Hebammenschülerinnen in einem warmen Bad reinigen ließ. Danach wurde der Nabel versorgt und mit einem Verband versehen. Sobald das Kind gewickelt worden war, konnte es der Mutter zu ersten Stillversuchen übergeben werden.431 Die Versorgung des Säuglings nach der Geburt lag im alleinigen Kompetenzbereich der Hebamme, die auch für die zeitgerechte Taufe des Kindes vor dem Austritt aus der Anstalt zu sorgen hatte.432 Einen Sonderfall bei der Versorgung des neu427 Vgl. Nebesky, Geburtsleitung, 456-460. 428 Nebesky, Geburtsleitung, 465-466. 429 Vgl. Nebesky, Geburtsleitung, 456-460. 430 Schäfer, Geschichte, 24. 431 Vgl. UAI, Med. Hebammen 1829-1880, diverse Geburtsgeschichten 1830/34. 432 Auch die Instruktion des Sekundararztes enthielt einen Paragraphen, der ihn dazu verpflichtete über die Taufe aller in der Anstalt geborenen „Christenkinder“ zu wachen. Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität 167, 13383.

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geborenen Kindes stellte die Wiederbelebung scheintoter Kinder dar. Die spezifischen Techniken, wie das Beatmen des Kindes, Brustkorbmassagen oder kalte Duschbäder, Abreibungen des Körpers mit spirituösen Essenzen oder das Bürsten der Fußsohlen, bis hin zur Einflößung von Wein, sollten den Hebammenschülerinnen näher gebracht werden. In letzter Konsequenz verwies Froriep sogar auf die Anwendung von Elektrizität,433 welche allerdings in Innsbruck nicht belegt ist. Schauta empfahl, neben mechanischen Hautreizungen, auch die künstliche Beatmung mittels Katheter sowie „Schwingungen“ des Kindes434, als Erfolg versprechende Therapiemethoden bei Asphyxie.435 Nach der Erstversorgung sollte das Kind viel Ruhe erhalten und nach Möglichkeit in ein eigenes Bett gelegt werden, denn „in dem Bette der Mutter ist das Kind in großer Gefahr erdrückt zu werden“436, plädierte Froriep bereits in den 1830er Jahren für ein gesondertes Lager von Mutter und Kind. Nur zum Stillen sollten die Mütter ihre Kinder aus der Wiege in das eigene Bett nehmen.437 Doch noch in den 1870er Jahren gab es nicht genügend Kinderbetten für alle Säuglinge und die Kinder mussten notgedrungen bei ihren Müttern schlafen. 1879 erstattete Ludwig Kleinwächter Anzeige, da es zu einem vermeintlichen Mord an einem Neugeborenen gekommen war. Ob es sich dabei tatsächlich um eine vorsätzliche Tat gehandelt hat, geht aus den Unterlagen nicht hervor und eine strafrechtliche Untersuchung ist nicht dokumentiert. Kleinwächter nahm den Vorfall allerdings zum Anlass, mit Nachdruck, die sofortige Anstellung zusätzlicher Wärterinnen für die Wöchnerinnenabteilung zu fordern.438 Der Landesausschuss präferierte eine kostengünstigere Lösungsvariante und anstatt eine neue Pflegerin zu besolden, wurden neue Kinderbetten angekauft, um „Unglücksfälle durch 433 Vgl. Froriep, Handbuch, 323-324. 434 „Man fasst die Frucht von oben her so, dass die Daumen beiderseits an der Vorderfläche des Thorax, die Zeigefinger von der Rückenseite her in den Achselhöhlen, die anderen Finger auf dem Rücken liegen und der Kopf des Kindes ziwschen den beiden Handgelenken gehalten wird. Man beginnt nun die Schwingungen in der Weise, dass man das Kind so aufwärts bewegt, dass es über dem Kopfe des Arztes gehalten, mit dem eigenen Kopfe nach abwärts sieht, […]Diese erste Schwingung bedeutet Exspiration […] Die nun folgende Inspiration wird in der Weise eingeleitet, dass man das Kind kräftig, und zwar ruckweise, nach abwärts schwingt, so dass der Kopf wieder nach aufwärts, das Becken nach unten gekehrt ist.“ Schauta, Grundriss, 250. 435 Vgl. Schauta, Grundriss, 249-252. 436 Froriep, Handbuch, 236. 437 Vgl. Froriep, Handbuch, 236. 438 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 2330, 1563.

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Erstickung oder durch das Erdrücken der neugeborenen Kinder, wenn solche zur Nachtzeit von ihren Müttern bei sich im Bette gehalten werden“439, zu vermeiden. Interessanterweise waren die Kinderbetten in der Wiener Gebärklinik zu Beginn der 1880er Jahre wieder abgeschafft worden, da sie kaum in Gebrauch waren und die Mütter – ähnlich wie in Innsbruck – ihre Säuglinge bei sich im Bett behielten.440 Erst im Jahre 1883 kam die Anstellung einer eigenen Wärterin für die Innsbrucker Wochenabteilung wieder zur Sprache, nachdem die beiden Hebammen erklärt hatten, die Pflege bei den Wöchnerinnen nicht länger alleine bewältigen zu können.441 Daraufhin wurde, mit 1. Februar 1884, Anna (Franziska) Jenewein aus Pfunds, als Wärterin engagiert, dieselbe quittierte allerdings bereits 1885 ihren Dienst.442 Auch die darauf folgende Pflegerin blieb nicht lange im Dienst, sondern wurde nach nur einem Jahr von der Oberin der Barmherzigen Schwestern entlassen. 1886 wurde schließlich eine gewisse Anna Pallhuber als Pflegerin für die Wöchnerinnen und Säuglinge eingestellt,443 wie lange sie ihren Dienst jedoch versah, ist nicht belegt. Allerdings bestätigen Berichte aus den 1880er Jahren, dass die Pflege und Überwachung der Wöchnerinnen nach wie vor mangelhaft war und das Verbot die Säuglinge ins eigene Bett zu nehmen, immer noch häufig ignoriert wurde.444 Im Jahre 1893 war es dadurch erneut zu einem tragischen Todesfall gekommen, der sogar eine Untersuchung wegen vermeintlichen Kindsmords nach sich zog. Der ledigen Rosa Röck aus Sterzing wurde vorgeworfen, ihre neugeborene Tochter absichtlich erstickt zu haben. Das Kind war in Bauchlage liegend, tot im Bett der Mutter gefunden worden und der Obduktionsbericht bestätigte die „Erstickung in Folge mechanischer Behinderung des Zutrittes der Luft zu den Respirationsöffnungen“445, ver439 TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 4698. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1879, Innsbruck 1880, 121. 440 Vgl. Ehrendorfer, Behandlung, 219. 441 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1883, Innsbruck 1884, 139. 442 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1884, Innsbruck 1885, 111. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1885, Innsbruck 1886, 103. 443 Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1886, Innsbruck 1887, 88. 444 Vgl. Torggler, Bericht, 167. 445 TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 2, Jg. 1894, Zl. 6211.

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mutlich verursacht durch einen Polster oder eine Matratze. Der untersuchende Mediziner kam jedoch zum Schluss, dass „nichts gegen die Annahme eines zufälligen Todes durch Erstickung“446 spreche. Die Anklage gegen Rosa Röck wurde im Jänner 1894 fallen gelassen, doch der Vorfall sollte organisatorische Konsequenzen für die Gebäranstalt nach sich ziehen. Der Untersuchungsrichter forderte eine bessere Überwachung der Wöchnerinnen und Säuglinge, insbesondere nachts. Die Anstaltsverwaltung reagierte prompt und versprach, in Zukunft besonderes Augenmerk auf die pflegerische Aufsicht bei den Wöchnerinnen, bei Tag und bei Nacht, zu legen.447 Ob die angekündigte Maßnahme allerdings auch praktisch umgesetzt wurde, ist in Anbetracht der Tatsache, dass die Anstalt unter chronischem Wärterinnenmangel litt, stark zu bezweifeln. Ähnliche Vorfälle sind dennoch für die Folgezeit nicht dokumentiert. Ende der 1870er Jahre wurde der Mangel an geeignetem und ausgebildetem Pflegepersonal mehrfach als Grund für die hohe Sterblichkeit der Wöchnerinnen und Säuglinge genannt. In der Pflege der Kinder – dem Wickeln, Baden und Stillen – waren die Wöchnerinnen vielfach sich selbst überlassen. Lediglich bei kranken Frauen war die Unterstützung durch eine Amme oder eine Schwangere üblich.448 Die Säuglinge blieben, in der Regel, mindestens zwei Wochen bei ihren Müttern in den Wochenzimmern, bis sie in die Findelpflege übergeben werden konnten. Nach 1881 verblieben die Kinder über den gesamten Zeitraum in der Obsorge der Mutter. Aufgrund der unterschiedlichen Verweildauer der Säuglinge im Gebärhaus ergeben sich methodische Probleme bei der Berechnung der kindlichen Mortalitätsverhältnisse. Zwar können die Totgeburten separat ausgewiesen werden, im Bereich der Neonatalsterblichkeit sind Unschärfen aber nicht zu vermeiden. Deshalb muss die Mortalitätsrate innerhalb der ersten Lebenswoche als wesentlich verlässlicher betrachtet werden, als jene bis zum vollendeten ersten Lebensmonat. Die Zahl der tot geborenen Kinder lag im Innsbrucker Gebärhaus deutlich über der für Tirol und Vorarlberg errechneten, mittleren Totgeborenenrate. Laut Bolognese-Leuchtenmüller kamen nämlich auf 100 Geborene in Tirol und Vorarlberg im Jahre 1869 nur 0,79, 1880 insgesamt 1,36 Totgeburten. Damit verzeichnete man im hospitalisierten Umfeld des Innsbrucker Gebärhauses beinahe drei Mal so viele Totgeburten, als im Landesdurchschnitt. Um die Jahrhundertwende lagen die Werte zwar immer noch deutlich über dem Durchschnittswert 446 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landesgebäranstalt Innsbruck, Fasz. 2, Jg. 1894, Zl. 6211. 447 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1894, Zl. 131, 2106. 448 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1878, Zl. 14408, 15029.

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für das Land, doch hatte sich die Differenz bereits leicht verringert. Dennoch wurden 1910 in der Anstalt immer noch doppelt so viele Säuglinge, als außerhalb, tot entbunden.449 Daimer führte die relative Häufigkeit von Totgeburten im Gebärhaus allerdings nicht auf eine tatsächliche Häufung zurück, sondern hielt die genauere Dokumentation der Fälle für ausschlaggebend.450 Diese Annahme wird auch von Birgit Bolognese-Leuchtenmüller bestätigt, da die offizielle Totgeburtenstatistik aufgrund massiver Dokumentationsmängel bis zum Jahre 1870 als „höchst unzuverlässig bezeichnet werden“451 muss. In manchen Fällen war eine eindeutige Feststellung des Todeszeitpunktes nicht möglich, doch wesentlich häufiger dürften tot geborene Säuglinge als kurz nach der Geburt verstorben in die Matriken eingetragen worden sein, um eine (Not-)Taufe und damit ein kirchliches Begräbnis zu ermöglichen.452 Auch die traditionelle Vorstellung des „Wiedergängertums“ trug vermutlich zur Unterregistrierung von Totgeburten bei.453 Im Vergleich zu anderen Teilen der Monarchie waren die Werte für Tirol jedoch generell recht gering, wobei sich auch hier das charakteristische Übergewicht der unehelichen Kinder zeigte. Zwischen 1881 und 1884 kam eine Totgeburt in durchschnittlich nur etwa einem Prozent aller ehelichen Geburten vor, während rund 2,6 Prozent aller ledigen Mütter eine Totgeburt erlitten. Ein regionaler Vergleich innerhalb des Landes Tirol zeigt weiters, dass Totgeburten wesentlich häufiger im Trentino vorkamen und männliche Föten ungleich öfter betroffen waren. In der Regel wurden die Ursachen der Totgeburten in der schweren Arbeit, welche auch die Schwangeren zu verrichten hatten, gesehen. 449 Vgl. Bolognese-Leuchtenmüller, Bevölkerungsentwicklung und Berufsstruktur, Gesundheits- und Fürsorgewesen in Österreich 1750-1918, Wien 1978, 128-130. 450 Vgl. Daimer Josef, Sanitäts-Bericht über Tirol und Vorarlberg für die Jahre 1883 und 1884 mit Rückblicken auf die früheren Jahre, Innsbruck 1886, 172. 451 Bolognese-Leuchtenmüller, Bevölkerungsentwicklung, 87. 452 Vgl. Bolognese-Leuchtenmüller, Bevölkerungsentwicklung, 86-88. 453 Vgl. Schneider Ingo, Zur Interdependenz von Volksfrömmigkeit, Volksglaube und Kirchenbrauch bei Geburt, Taufe und Aussegnung in Tirol, in: Dapunt Otto (Hg.), Fruchtbarkeit und Geburt in Tirol, Oberschleißheim bei München 1987, 43-67, hier 47-56. Vgl. Ulrich-Bochsler Susi/Gutscher Daniel, Wiedererweckung von Totgeborenen. Ein Schweizer Wallfahrtszentrum im Blick von Archäologie und Anthropologie, in: Schlumbohm Jürgen/Duden Barbara/Gélis Jaques/Veit Patrice (Hg.), Rituale der Geburt. Eine Kulturgeschichte, München 1998, 244-268. Vgl. Lobenwein Elisabeth, Medizin- und Sozialgeschichtliche Aspekte der Mirakelberichte von Maria Luggau in Kärnten (1740-1800), in: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 8 (2009), 119-128, hier 121-122.

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Tab. 15: Totgeburten und Neonatalsterblichkeit im Innsbrucker Gebärhaus (1859-1924) Totgeburten 1859 1869 1880 1890 1900 1910 1924

1,3 3,2 3,9 5,4 3,4 4,5 4,2

Neonatalsterblichkeit 0-7 Tage 8-28 Tage Gesamt 10,0 0,0 10,0 3,6 1,6 5,2 4,9 4,9 9,8 2,8 1,2 4,0 1,7 0,9 2,6 2,5 0,1 2,6 1,3 0,2 1,5

Gesamt 11,3 8,4 13,7 9,7 6,0 7,2 5,8

Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen.

Landessanitätsrat Josef Daimer nannte das Tragen schwerer Lasten und die diversen, landwirtschaftlichen Tätigkeiten, als primäre Auslöser von Tot- oder Frühgeburten.454 Auch in der Gebärklinik erkannte man in „der harten Lebensweise unserer Schwangeren, die ja beinahe ausschließlich den schwer arbeitenden Classen angehören, eine Ursache mancher vorzeitigen Geburt“455. Darüber hinaus kommen aber auch geburtshilfliche Operationen, wie die Applikation der Geburtszange oder Perforationen, aber auch Erkrankungen der Mutter, wie Eklampsie oder Syphilis, als Ursachen des pränatalen Todes in Betracht.456 In Bezug auf die Sterblichkeit der lebend geborenen Säuglinge bis zum ersten Lebensmonat zeigte das Innsbrucker Gebärhaus allerdings eine durchaus günstige Bilanz. Insgesamt verstarben deutlich weniger Kinder im Neonatalstadium, als außerhalb des klinischen Umfeldes. Laut Bolognese-Leuchtenmüller lagen die Werte für Tirol und Vorarlberg nämlich stets über zehn Prozent457 und auch Daimer errechnete für die Periode 1881 bis 1884 einen Durchschnittswert von 10,5 Prozent.458 Die geringere Mortalitätsrate in der Gebäranstalt dürfte, einerseits auf die unmittelbare Verfügbarkeit medizinischer Hilfe, andererseits auf die Sicherstellung einer ausreichenden Ernährung der Säuglinge zurückzuführen sein. Die im Gebärhaus herrschenden, hygienischen Richtlinien dürften wohl erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen echten Einfluss auf die Neona-

454 Vgl. Daimer, Sanitäts-Bericht, 54 und 141. 455 Torggler, Bericht, 12. 456 Vgl. Daimer, Sanitäts-Bericht, 141-142. 457 Vgl. Bolognese-Leuchtenmüller, Bevölkerungsentwicklung, 121-122. 458 Vgl. Daimer, Sanitäts-Bericht, 122-123.

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talsterblichkeit gehabt haben. So stellte Emil Ehrendorfer 1895 fest, dass der Vorbeugung von Nabelinfektionen bei den Neugeborenen lange Zeit keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Häufig wären derartige Infektionen nicht erkannt und der Tod fälschlicherweise der Lebensschwäche des Kindes oder einer durch die Infektion entstandenen Pneumonie zugeschrieben worden. Ehrendorfer plädierte dafür, dass der behandelnde Arzt oder die Hebamme dem kindlichen Nabel in den ersten Lebenstagen besondere Aufmerksamkeit schenke und bereits bei der Abnabelung eine desinfizierte Schere und saubere Bänder verwende. Zudem sollten „alle den Nabel versorgenden Personen sich die Hände zuvor gründlich reinigen. Das Kind selbst ist trocken und besonders in den ersten zwei Lebenswochen rein zu halten.“459 Das Kind sollte täglich in sauberem Badewasser gewaschen werden und eventuell entzündete Stellen mit SalicylamylumPuder bestreut oder mit Karbolsäurelösung desinfiziert werden, um eine Ausbreitung der Sepsis zu vermeiden.460 Als häufigste Todesursache wurde, in allen untersuchten Stichjahren, der generalisierte Befund einer vorliegenden „Lebensschwäche“ genannt. Unter diesem Sammelbegriff wurden diverse Diagnosen subsumiert, welche, laut Presl, „die Lebens- und Widerstandsfähigkeit des Kindes beschränken oder ganz aufheben.“461 Darunter fielen neben Frühgeburten auch Fehlbildungen sowie Säuglinge, welche durch besondere Erkrankungen der Mutter, wie beispielsweise der Syphilis oder Tuberkulose, geschwächt zur Welt kamen. Zudem konnten Alkoholismus und schwere körperliche Arbeit während der Schwangerschaft zu einer Unterentwicklung des Fötus führen. „Lebensschwache“ Kinder waren deshalb, in der Regel, kleiner und leichter als gesunde Kinder, hatten eine „schwache Stimme und andere Anzeichen, die außer bei einer sehr ausgezeichneten Pflege ein weiteres Leben kaum erwarten ließen.“462 Laut Daimer war dieser pauschalisierten Todesursache der Großteil, der im ersten Lebensmonat verstorbenen Säuglinge zuzurechnen.463 Und noch um die Jahrhundertwende erlag in Öster459 Ehrendorfer, Nabelinfektion, 553. 460 Vgl. Ehrendorfer, Nabelinfektion, 552-553. Im Jahre 1880 war der klinischen Hebamme Regina Winkler vorgeworfen worden, ihren „Dienst nur sehr schlenderisch zu machen s.z.B. badete sie am ersten Tag 11 Kinder in einem Baad, am zweiten Tag 9.“ Neben anderen Unzulänglichkeiten führte diese fahrlässige Praxis zur Entlassung der Hebamme. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 4270. 461 Presl Friedrich, Die Säuglingssterblichkeit in Österreich, in: Statistische Monatsschrift 29 (1903), 651-680, hier 659. 462 Presl, Säuglingssterblichkeit, 659-660. 463 Vgl. Daimer, Sanitäts-Bericht, 143.

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reich rund ein Drittel aller, innerhalb des ersten Lebensmonats verstorbenen Kinder einer angeborenen „Lebensschwäche.“464 Daneben scheinen in den anstaltsinternen Sterbebüchern auch Frühgeburt, Erkrankungen der Respirationsorgane oder des Verdauungstraktes als Todesursachen der Säuglinge auf.465 Die Sterbebücher der Gebäranstalt decken jedoch nur den Zeitraum bis zur Entlassung des Kindes ab und lassen daher keine Aussagen über den weiteren Gesundheitszustand und die tatsächliche Lebenserwartung der Säuglinge zu. Doch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde von den Ärzten der Gebäranstalt kritisiert, dass immer noch unzählige Kinder aufgrund des „sogenannten Ausstattungssystems mit der ganz unkontrollierbaren künstl[ichen] Ernährung innerhalb des ersten Lebensjahres zugrunde gehen.“466 Zu den häufigsten, nicht tödlich verlaufenden Erkrankungen der Säuglinge zählten in der Innsbrucker Gebärklinik Bindehautentzündungen (Blennorrhoea neonatorum), welche durch eine Gonorrhö der Mutter verursacht wurden und zur Erblindung des Kindes führen konnten.467 Die Ansteckung erfolgte während der Geburt, weshalb seit den 1880er Jahren alle Kinder, sofort nach der Entbindung, einer prophylaktischen Reinigung der Augen mit einprozentiger Karbollösung unterzogen wurden. Die Desinfizierung wurde der Hebamme überantwortet, welche ab 1885 jede prophylaktische Behandlung eigens protokollieren musste. Erkrankte dennoch ein Kind an der Blennorrhö, so wurde es mit der Mutter isoliert und ambulant von Ärzten der Augenklinik behandelt. Als wirksame Therapie galt die Einträufelung von antiseptischem, aber toxischem Silbernitrat in die Augen und die Anlegung von kalten Umschlägen.468 An zweiter Stelle rangierten 464 Vgl. Presl, Säuglingssterblichkeit, 660. Köck/Kytir/Münz zufolge waren bei den innerhalb des 1. Lebenjahrs verstorbenen Säuglingen bis 1873 ca. 30-45 Prozent auf eine „angeborene Lebensschwäche“ zurückzuführen. Vgl. Köck Christian/Kytir Josef/Münz Rainer, Risiko „Säuglingstod“. Plädoyer für eine gesundheitspolitische Reform, Wien 1988, 17. 465 Vgl. Datenbank GH, eigene Berechnungen. Vgl. dazu auch Daimer, SanitätsBericht, 170. 466 Nebesky, Geburtsleitung, 450. Vertiefend, siehe dazu: Bolognese-Leuchtenmüller Birgit, Unterversorgung und mangelnde Betreuung von Kleinkindern in den Unterschichten als soziales Problem des 19. Jahrhunderts, in: Knittler Herbert (Hg.), Wirtschafts- und Sozialhistorische Beiträge: Festschrift für Alfred Hoffmann zum 75. Geburtstag, München 1979, 410-430. 467 Vgl. Krogmann Frank, „Blennorrhö“, in: Gerabek Werner E./Haage Bernhard/Keil Gundolf/Wegner Wolfgang (Hg.), Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin 2005, 186-187. 468 Vgl. Torggler, Bericht, 166-169.

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Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes, dicht gefolgt von Erkrankungen infolge angeborener Syphilis (lues congenita). Insbesondere die höchst ansteckenden, luetischen Erkrankungen bereiteten den Ärzten der Gebäranstalt praktische Probleme, denn eine Übertragung der Infektion auf andere Wöchnerinnen oder Säuglinge war nur schwer zu verhindern. Aus diesem Grund forderte Ludwig Kleinwächter schon Ende der 1870er Jahre, dass syphilitische Kinder in die darauf spezialisierte, klinisch-dermatologische Abteilung des Krankenhauses überstellt werden sollten. Damals jedoch weigerten sich die zuständigen Obrigkeiten gegen einen solchen Transfer, denn laut dem Statut der Anstalt und der Instruktion des Professors, war derselbe verpflichtet, sich mit seinem Sekundarius selbst um derartige Infektionsfälle zu kümmern. Warum speziell im Fall der Syphilis eine solch strenge Maßregel bestand, ist nicht erklärlich, schließlich bestand, hinsichtlich der Schwangeren und Wöchnerinnen, ein teils reger Transfer zwischen den Kliniken. Regelmäßig wurden nämlich auf anderen Abteilungen in Behandlung stehende Schwangere zur Niederkunft in das Gebärhaus bzw. erkrankte Wöchnerinnen zur Behandlung auf die Klinik der Inneren Medizin überstellt.469 3.3 Wochenbett und Entlassung Nach der Geburt begann für die frisch entbundenen Mütter die letzte Phase ihres Gebärhausaufenthaltes. Sie kehrten nicht mehr in das Zimmer zurück, welches sie als Schwangere bewohnt hatten, sondern wurden in eigenen Wochenzimmern untergebracht. Bei der Übersiedelung der Landesgebäranstalt nach Innsbruck standen zu diesem Zweck insgesamt fünf Zimmer zur Verfügung, allerdings sollten diese mit jeweils nicht mehr als sechs Wöchnerinnen belegt werden.470 Die Vermeidung von Überfüllung in der Wöchnerinnenabteilung ist als eine der ersten Maßnahmen gegen die Ausbreitung infektiöser Wochenbetterkrankungen, welche gemeinhin als „Kindbettfieber“ bezeichnet wurden, zu betrachten. Außerdem brauchten die Mütter Ruhe, um sich von den Strapazen der Geburt erholen zu können. In Anbetracht der Tatsache, dass die Säuglinge in Form eines frühen „Rooming-ins“, gemeinsam mit ihren Müttern untergebracht waren und lange Zeit jegliches Hilfspersonal auf der Wochenabteilung fehlte, ist jedoch zu bezweifeln, dass den Müttern während dieser Zeit die nötige Erholung zukam.471

469 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1878, Sanität Zl. 14408. Vgl. Torggler, Bericht, diverse Fallbeispiele. 470 Vgl. StAI, Kleinbestände „Spital- u. Univ. Klinik“ 1865, Zl. 261. 471 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1878, Sanität Zl. 14408.

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Abb. 6: Grundrissplan des 1. Stocks der Landesgebärklinik, 1889

Quelle: TLA, Hochbaupläne, Nr. 28.

Nicht nur bei der Unterbringung, auch bei der Kost wurden die Unterschiede zwischen den Schwangeren und Wöchnerinnen deutlich. Obwohl auch die Kost der Schwangeren, im Sinne einer diätetischen Intervention, reichhaltig und ausgewogen war, galt dies noch viel mehr für die Speisenzusammenstellung der Wöchnerinnen. Die Frauen erhielten morgens, ähnlich wie die Schwangeren, Fleisch- oder Einbrennsuppe mit Semmeln. Hingegen war das Mittagessen mit vier unterschiedlichen Menüvarianten wesentlich abwechslungsreicher, als jenes der Schwangeren. Die Wöchnerinnen erhielten eine vollwertige, fleischreiche Kost, die mit Reis, Nudeln, Semmeln und Gemüse angereichert war. Die Abendmahlzeit bestand wiederum aus einer Rindsuppe.472 Die Schonungsphase nach der Entbindung betrug gewöhnlich zwei bis maximal drei Wochen, wobei sich die Dauer bis zum Austritt der Frauen im Laufe der Zeit deutlich verkürzte. Während die vorwiegend ledigen Mütter über mehr als drei Wochen nach der Entbindung die Hilfe der Anstalt in Anspruch nahmen, verkürzte sich die Aufenthaltsdauer nach der Geburt bis zum Ende der Untersuchungsperiode sukzessive, auf durchschnittlich nur elf Verpflegstage im Jahre 1924.473 472 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1869, Zl. 402, 3799. 473 Vgl. Kapitel 5.1., Tabelle 6. Vgl. Datenbank GH, eigene Berechnungen. Im Göttinger Accouchierhaus war bereits um 1800 ein relativ kurzes Wochenbett üblich. 90

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Graph. 8: Aufenthaltsdauer der Wöchnerinnen nach der Geburt (1830-1924)

100

Prozentwerte

80

60

40

20

0 1830-1839

1880

1890

1900

bis 1 Woche

bis 2 Wochen

bis 4 Wochen

> 4 Wochen

1910

1924

bis 3 Wochen

Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen.

Über den Entlassungszeitpunkt konnten die Frauen allerdings nicht selbst entscheiden, sondern waren auf die Expertise des Professors angewiesen. Erst nachdem die Frauen bei einer abschließenden Untersuchung durch den Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie für gesund befunden worden waren, konnte die Entlassung aus der Anstalt formal beantragt werden. Zuvor mussten die Frauen aber sämtliche, ihnen überlassenen Anstaltskleider im hausinternen Kleidungsmagazin abgeben. Dort erhielten sie gleichzeitig ihre eigene Kleidung sowie andere persönliche Habseligkeiten, welche den Frauen beim Eintritt abgenommen worden waren, von der Hebamme zurück. Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts musste die Hebamme die Mütter in die Verwaltungskanzlei begleiten, wo ihr Austritt und eventuelle Verpflegskostenrückstände protokolliert

Prozent der Frauen verließen zwischen dem 7. und 18. Tag nach der Entbindung das Entbindungshospital, wobei rund 75 Prozent die Anstalt nach gut zwei Wochen verließen. Vgl. Schlumbohm, Patientinnen, 334-337.

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wurden.474 Später übernahmen wohl die Barmherzigen Schwestern diesen Dienst. Nachdem die Frauen eine letzte Mahlzeit zu sich genommen hatten, durften sie schließlich um die Mittagszeit – mit oder ohne ihrem Kind – die Gebäranstalt verlassen.475 3.3.1 Wochenbetterkrankungen – erfolgreiche Prävention oder Hilflosigkeit? Vor der Transferierung der Gebäranstalt nach Innsbruck war ausführlich über die Notwendigkeit von mehreren Krankenzimmern bzw. Reservezimmern diskutiert worden, welche im Fall eines Seuchenausbruchs zu Isolationszwecken genutzt werden konnten. Anlass für eine solch großzügige Planung hatte wohl die Erfahrung aus Alle Laste gegeben, wo im Jahre 1858 ein massiver Ausbruch von Kindbettfieber mehrere Opfer gefordert hatte. Die Mortalitätsrate hatte 1858 bei rund sechs Prozent gelegen. Im Jahr 1860 hatte im Institut bei Trient erneut eine Epidemie um sich gegriffen, an deren Folgen zehn Wöchnerinnen (3,5 Prozent) starben.476 Ähnlich schwere Krankheitsfälle waren in der Innsbrucker Gebäranstalt bis zur Filialerhebung nicht bekannt gewesen. Zwar waren immer wieder vereinzelte Todesfälle vorgekommen, doch eine epidemische Ausbreitung erfuhren die Wochenbetterkrankungen aufgrund der geringen Frequentierung nie. Mit der raschen Zunahme der Frequenz ab 1859 änderte sich dies aber abrupt: So hatte sich „nach und nach auch hier jenes gefährliche Übel der Wöchnerinnen zu zeigen begonnen [...], welches der Schreken aller Gebäranstalten ist, und nicht nur die schnelle Absonderung der Kranken, sondern auch das öftere und längere Leerstehenlaßen der Belegezimmer, unabweißlich fordert“477, wie aus einem Protokoll des Innsbrucker Stadtmagistrats hervor geht. Seidel macht für die verstärkte Ausbreitung von Wochenbetterkrankungen in den Gebärhäusern, ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, auch die intensivierte Ausbildungspraxis verantwortlich. Ein strafferes Medizinstudium erforderte demnach häufig Überschneidungen zwischen geburtshilflicher Praxiserfahrung und anatomischpathologischen Übungen am Leichentisch.478 Die Sterblichkeit im Innsbrucker Gebärhaus hatte bereits im Jahre 1860 erstmals die kritische Drei-Prozent-Marke überschritten. In immer kürzeren 474 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1823, Sanität 167, 13383. Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1828, Sanität Zl. 483. 475 Vgl. TLA, Jüngeres Gubernium 1828, Sanität Zl. 483. 476 Vgl. Anderle, Maternità, 157 und 186. Vgl. Prommegger, Gebär- und Findelanstalt, 89-91. 477 Vgl. StAI, Kleinbestände „Spital- u.Univ.Klinik“ 1864, Zl. 4397, 1864. 478 Vgl. Seidel, Kultur, 203-207.

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Intervallen kam es zu sich wiederholenden Sterblichkeitskrisen.479 Von März 1866 bis Ende Mai des Jahres starben acht Wöchnerinnen, wobei die Todesursachen „Bauchfellentzündung“ und „Blutzersetzung“ auf septische Wochenbetterkrankungen hindeuten. Insgesamt lag die Sterblichkeit im Jahre 1866 bei rund fünf Prozent. 1868 erreichte die Mortalitätsrate im Innsbrucker Gebärhaus ihren vorläufigen Höhepunkt: Knapp über sechs Prozent der entbundenen Frauen verstarben an einer postpartal auftretenden Infektion.480 Nach der Übersiedelung der Landesgebär- und Findelanstalt standen zwar zwei Krankenzimmer zur Verfügung, diese reichten jedoch bei Weitem nicht aus, um die ständig steigende Zahl erkrankter Wöchnerinnen wirkungsvoll abzusondern. Deshalb wurden über die Jahre hinweg immer wieder Frauen aufgrund fortgeschrittener Sepsis auf die Klinik für Innere Medizin überstellt. Nur bei langwierigen Fällen, die operative Intervention benötigten, kam eine Transferierung auf die gynäkologische Abteilung der Klinik in Frage. 481 Zwischen 1873 und 1884 schwankte die Zahl der an Wochenbetterkrankungen verstorbenen Frauen zwischen 0,3 und 4,2 Prozent, was Sanitätsrat Josef Daimer sogar dazu veranlasste von „fast endemisch gewordenen Puerperalprozessen“482 zu sprechen. Erstmals zog die erhöhte Sterblichkeit in der Gebärklinik im Jahre 1878 verstärkte Aufmerksamkeit auf sich. Im August des Jahres wurden entsprechende Anzeigen aus der Landesgebäranstalt bei den zuständigen politischen Behörden aktenkundig.483 Die daraufhin eingeleitete Untersuchung der sanitären Verhältnisse ergab, dass, innerhalb von nur elf Monaten, insgesamt 479 Schlumbohm zufolge lag die Mortalität in der I. Wiener Gebärklinik (Medizinstudenten) bis 1863 bei 5,3 Prozent, in der II. Wiener Gebärklinik, welche sich auf die Ausbildung der Hebammen beschränkte aber auch bei immerhin 3,5 Prozent. Auch im Grazer Gebärhaus sind zwischen 1859 und 1861 Sterblichkeitsraten von 3,1 Prozent dokumentiert. Die Gebärhäuser in Prag, Budapest oder Göttingen verzeichneten bis Ende der 1860er Jahre ebenfalls Mortalitätsraten von über drei Prozent. Vgl. Schlumbohm Jürgen, Did the Medicalisation of Childbirth reduce Maternal Mortality in the Eighteenth and Nineteenth Centuries? Debates and Data from Several European Countries, in: Hubbard William H./Pitkänen Kari/Schlumbohm Jürgen/Sogner Solvi/Thorvaldsen Gunnar/Poppel Frans van, Historical Studies in Mortality Decline, Oslo 2002, 96-112, hier 107-108. 480 Vgl. Datenbank GH, eigene Berechnungen. Vgl. Kurmanowytsch, Gebärhaus, 239245. 481 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1878, Sanität Zl. 14408, 15029. Vgl. Torggler, Bericht, 148 und 160. Vgl. Seidel, Kultur, 205. 482 Daimer, Sanitäts-Bericht, 169. 483 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 9412.

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zwölf Mütter am Kindbettfieber verstorben waren. Dies entsprach immerhin drei Prozent der Gesamtaufnahmen. Ludwig Kleinwächter hielt die Entwicklungen für besorgniserregend, indem er geltend machte, dass die Mortalität der Wöchnerinnen in gut geführten Anstalten bei lediglich einem bis eineinhalb Prozent liegen dürfe. Mit diesem Hinweis war Kleinwächter jedoch bereits zum Kern der Ursachen vorgestoßen, denn die Innsbrucker Anstalt wies grobe sanitäre Mängel auf. So sprach im Verständnis der Zeitgenossen allein die Lage der Landesgebärund Findelanstalt – untergebracht in einem baufälligen Gebäude, mitten in einer stark frequentierten Geschäftsstraße, noch dazu eingebettet in einen öffentlichen Krankenhausbetrieb – eindeutig gegen eine positive Entwicklung der Morbiditäts- und Mortalitätsraten. Dem nicht genug wurde die Einrichtung der Wöchnerinnenzimmer direkt oberhalb des Sezierlokals im Sinne der noch weit verbreiteten Miasmenlehre stark kritisiert, denn besonders in den warmen Sommermonaten war der als schädlich empfundene Leichengeruch deutlich wahrnehmbar. An eine gründliche Lüftung und Ventilation der Räumlichkeiten war aus baulichen Gründen nicht zu denken und auch die Reinigung der Patientinnenzimmer konnte aufgrund der dauernden Überfüllung nicht gewährleistet werden.484 Zudem war, wie bereits bei der Pflege der Säuglinge angesprochen, die Wartung der Wöchnerinnen äußerst mangelhaft. Die Barmherzigen Schwestern weigerten sich, den Pflegedienst bei den gesunden Wöchnerinnen zu übernehmen, weshalb ausschließlich die Hebammenschülerinnen dafür herangezogen wurden. In den Ferienmonaten und auch zu Beginn eines jeden Semesters war deshalb mit einer Unterversorgung zu rechnen, die nur durch die Mithilfe der Schwangeren ausgeglichen werden konnte.485 Erkrankte eine Wöchnerin, so übernahmen die Barmherzigen Schwestern zwar die Wartung, konnten diese aufgrund der ihnen auferlegten Ordensregeln allerdings nur mangelhaft ausführen. Da ihnen verboten war, die Genitalien der Frauen zu berühren, mussten wiederum die Hebammenschülerinnen die notwendigen, vaginalen Ausspritzungen vornehmen. Den Schülerinnen war jedoch der Zutritt zu den bis Ende der 1870er Jahre bestehenden Klassezimmern untersagt, weshalb die beiden Anstaltshebammen dort auf sich allein gestellt waren. Teilweise dürften aber auch die Schwangeren der Klasseabteilung ihre kranken Mitpatientinnen aus Mitleid gepflegt haben.486 484 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 10888. Vgl. Schlumbohm, Medicalisation, 101-102. Vgl. Metz-Becker, Körper, 221-224. 485 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1878, Sanität Zl. 14408, 15029. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 10888. 486 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1878, Sanität Zl. 14408, 15029. Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10,

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Die Erforschung der Ursachen des Kindbettfiebers im Rahmen einer kommissionellen Untersuchung ist aus medizinhistorischer Sicht besonders interessant, prallten doch unterschiedliche Ideologien und medizinische Standards aufeinander. Der geschäftsführende Direktor der Landesgebäranstalt, Ignatz Laschan, welcher, in den 1830er Jahren, als ärztlicher Leiter in Alle Laste fungiert hatte, beharrte auf dem Standpunkt, dass das übermäßige Desinfizieren mit Karbolsäurelösung die Haut unnötig reize und daher zu Wundinfektionen führen würde. Laschan verwies auf die Erfolge, welche er während seiner aktiven Zeit durch Aderlässe und das Ansetzen von Blutegeln erzielt hatte.487 Kleinwächter tat diese Methoden jedoch als veraltet und ineffektiv ab und erklärte, dass die vom Briten Joseph Lister, in den 1860er Jahren in die Chirurgie eingeführten Methoden der Antisepsis, sich mittlerweile soweit etabliert hätten, dass sie auch im Bereich der Geburtshilfe zum internationalen, medizinischen Standard gehörten.488 Vorwürfe, Kleinwächter ließe Studenten, welche zuvor seziert hatten, direkt zu Untersuchungen bei Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen zu und begünstige somit Infektionen, wurden mithilfe der Aussage des Professors für Anatomie und Pathologie entkräftet. Dieser bestätigte das von Kleinwächter verhängte Verbot, unmittelbar nach dem Sezierkurs auf die Gebärklinik zu kommen. In der Regel mussten die Studenten 24 Stunden warten, bevor ihnen der Zutritt wieder gewährt wurde. Einem Studenten, welcher zeitweise den Assistenten der Pathologie supplierte, wurde sogar für den gesamten Zeitraum der Zutritt zur Gebäranstalt verweigert.489 Trotzdem hielten sich die Vorwürfe gegen den Professor hartnäckig und bei einer späteren Einvernahme der Hebamme und des Sekundararztes wurden belastende Aussagen wiederholt. Die beiden wollten sogar, unabhängig voneinander, beobachtet haben, wie der Professor selbst direkt 10888. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1878, Innsbruck 1879, 88. 487 Vgl. dazu das Therapiekonzept, welches 1858 in Folge der Kindbettfieberepidemie in Alle Laste durch Dr. Carlo Esterle angewendet wurde. Prommegger, Gebär- und Findelanstalt, 94-96. Vgl. Seidel, Kultur, 200. Vgl. Stadlober-Degwerth, Niederkunften, 229. 488 Zur geburtshilflichen Desinfektionslehre, siehe: Schauta, Grundriss, 3-7. Die zur Desinfektion gebräuchliche Karbolsäurelösung wurde in Innsbruck universitätsintern über das Institut für Chemie bezogen. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1880, Innsbruck 1881, 214. 489 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1878, Sanität Zl. 14408, 1509. Vgl. Schauta, Grundriss, 6.

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nach einer Sektion Untersuchungen an den Schwangeren und Wöchnerinnen durchgeführt habe.490 Ob hinter den Aussagen ein Plan stand, den unbeliebten Professor zu diskreditieren, ist nicht geklärt. Ein gewisses Kalkül lässt sich jedoch vermuten, denn das Jahr 1878 wies im Vergleich zu den Vorjahren keine exorbitante Zahl an puerperalen Sterbefällen auf. 1870/71 waren insgesamt sogar weit mehr, nämlich dreißig Wöchnerinnen verstorben, 1875 fünfzehn und 1876 achtzehn Frauen einer Erkrankung im Wochenbett erlegen.491 Kleinwächter selbst glaubte in der pflegerischen Tätigkeit der Hebammen bei gesunden und kranken Wöchnerinnen, die eigentliche Ursache der Wochenbetterkrankungen gefunden zu haben. Diese Praxis war, seinen Aussagen zufolge, in vielen anderen Gebärkliniken schon lange Zeit „verpönt“, denn die Pflege kranker Wöchnerinnen sollte stets durch separates Wartpersonal erfolgen. Die Kommission kam daraufhin zum Schluss, dass umgehend eine geeignete Wärterin für die ausschließliche Pflege der kranken Wöchnerinnen anzustellen sei.492 Doch es blieb bei einem Lippenbekenntnis, denn noch im Jahre 1880 wurden Beschwerden über die nachlässige Betreuung kranker Frauen vorgebracht. Die Hebamme, welche nach wie vor den Dienst in den Krankenzimmern verrichtete, hatte die Wöchnerinnen mehrere Tage nicht gereinigt und verordnete, vaginale Ausspritzungen nicht durchgeführt. Außerdem warf man ihr vor, kranke Frauen nur unzureichend zu isolieren und ärztliche Anordnungen in Bezug auf die Verabreichung von Medikamenten schlichtweg zu ignorieren.493 1883 baten die Hebammen schließlich selbst um eine zusätzliche Krankenwärterin, da sie, mit der Erfüllung des Pflegedienstes, überfordert waren und eine Verbreitung des „Contagiums des Puerperalprozesses“494 durch die Hebammen, auch vom neuen Professor Friedrich Schauta, als wahrscheinlich erachtet wurde. Zudem hatte das Ministerium des Inneren, bereits im Jahre 1881 eine revidierte Hebammeninstruktion veröffentlicht, der zufolge die Pflege kranker Personen durch die Hebamme strikt zu unterlassen sei.495 Erst fünf Jahre, nachdem Ludwig Kleinwächter 490 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1879, Zl. 66, 2203 sowie TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1878, Zl. 10, 83. 491 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1878, Sanität Zl. 14408, 1509. 492 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1878, Sanität Zl. 14408, 1509. 493 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1880, Zl. 161, 4270 sowie TLA, Landschaftliches Archiv 1880, Zl. 161, 9897. 494 TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1883, Sanität Zl. 1381, 23539. 495 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1883, Sanität Zl. 1381, 23539. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1883, Innsbruck 1884, 139.

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erstmals die Einstellung einer eigenen Krankenwärterin für die Gebärklinik gefordert hatte und nachdem der politische Druck, auch seitens des Ministeriums, gestiegen war, wurde der Pflegemisere im Innsbrucker Gebärhaus, mit der Aufnahme einer zusätzlichen Wärterin für die Wochenabteilung, teilweise entgegengewirkt.496 Die Tatsache, dass zwischen Dezember 1883 und Ende des Jahres 1884 kein einziger Todesfall unter den Wöchnerinnen zu beklagen war, ist jedoch wohl nur zum Teil der Pflege durch die neue Wärterin zuzuschreiben.497 Vielmehr dürfte dafür nämlich der Einsatz eines neuen Antiseptikums, des Präparats Sublimat, verantwortlich gewesen sein. Dieses wurde seit Dezember 1883 aufgrund seiner hautfreundlichen Eigenschaften vermehrt anstelle von Karbolsäurelösung zur Desinfektion bei geburtshilflichen Untersuchungen und Operationen eingesetzt.498 Während die Sterblichkeit der Wöchnerinnen noch in den Jahren 1881 bis 1883 bei 2,1 Prozent der Gesamtverpflegtenzahl gelegen hatte, konnte dieselbe in der Folgezeit bis 1887 auf 0,21 Prozent gedrückt werden. Dabei unterschied Sekundararzt Torggler in seiner Analyse der Mortalitätsverhältnisse allerdings zwischen einer allgemeinen und einer spezifisch puerperalen Sterblichkeit. Letztere lag zwischen 1883 und 1887 bei lediglich 0,07 Prozent.499 Ehrendorfer verzeichnete zwischen 1888 und 1904 eine durchschnittliche Sterblichkeit der Wöchnerinnen von insgesamt 0,31 Prozent, wobei er nur etwas mehr als die Hälfte dieser Sterbefälle direkt mit einer postpartalen Infektion in Verbindung brachte.500 Hans-Christoph Seidel folgend ist jedoch anzunehmen, dass diese zeitgenössischen Werte zu tief gegriffen waren. Er vermutete, dass weit mehr als die Hälfte, rund 80 Prozent aller Sterbefälle, auf eine puerperale Infektion zurückzuführen waren.501 Die Erkrankungen traten meist zwischen dem ersten und dritten Tag nach der Entbindung auf und kündigten sich zunächst durch Symptome wie Schüttelfrost und teils bis zu 40 °Celsius hohem Fieber an. Dazu gesellten sich in vielen Fällen Entzündungen der Gebärmutterschleimhaut (Endometritis), des Bauchfells

496 Vgl. TLA, Statthalterei für Tirol und Vorarlberg 1883, Sanität Zl. 1381, 24612. Vgl. TLMF, Rechenschaftsbericht des tirolischen Landesausschusses über seine Amtswirksamkeit während des Jahres 1884, Innsbruck 1885, 111. Vgl. Torggler, Bericht, 147. 497 Vgl. Daimer, Sanitäts-Bericht, 169. 498 Vgl. dazu die Geschichte der Antisepsis bei Ehrendorfer, Behandlung, 171-194. 499 Vgl. Torggler, Bericht, 148. 500 Vgl. Ehrendorfer, Rückblick, 577. 501 Vgl. Seidel, Kultur, 201.

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(Peritonitis) oder durch die allgemeine Sepsis verursachte Lungenentzündungen. Der Tod trat meist acht bis vierzehn Tage nach der Entbindung ein.502 Graph. 9: Müttersterblichkeit in der Innsbrucker Gebäranstalt (1830-1924)

8 7

3UR]HQWZHUWH

6 5 4 3 2 1 0 1830 1840 1850 1860 1870 1880 1890 1900 1910 1920

0RUWDOLWlW GHU 0WWHU LQ ,QQVEUXFN 0RUWDOLWlWGHU 0WWHU DOOJHPHLQ 0RUWDOLWlW GHU 0WWHU LQ $OOH/DVWH

Quelle: Datenbank GH, eigene Berechnungen. Für Alle Laste: Anderle, maternità, 186. Für die Gesamtmortalität in den österreichischen Gebärhäusern: BologneseLeuchtenmüller, Bevölkerungsentwicklung, 263-265.

Als Todesursache wurde nur in den seltensten Fällen die Diagnose „Kindbettfieber“ notiert, vielmehr setzte sich das Spektrum der zum Tode führenden Krankheiten aus den für den Krankheitsverlauf typischen, sekundären Erkrankungen wie Bauchfellentzündungen, Blutzersetzungen, Lungenentzündungen und Lungenödemen zusammen.503

502 Vgl. Torggler, Bericht, 152-153. Siehe dazu auch die zeitgenössische Beschreibung der Symptome bzw. des Krankheitsverlaufs wie er 1858 in Alle Laste beobachtet wurde. Vgl. Prommegger, Gebär- und Findelanstalt, 91-94. 503 Vgl. Datenbank GH, eigene Berechnungen.

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Wie ausschlaggebend die Einführung des Sublimats tatsächlich war, zeigt sich auch an der spezifischen Morbiditätsstatistik. Während 1881 noch 42,8 Prozent aller Wöchnerinnen ein fieberhaftes Wochenbett durchlebten, konnte diese horrende Zahl nach Einführung des Sublimats auf unter zwei Prozent gedrückt werden. Insgesamt ließ auch die Intensität und Dauer der Erkrankungen durch den Einsatz von Sublimat, anstelle von Karbolsäure, nach. Torggler bezifferte die Krankheitsdauer bei Karboldesinfektion mit rund zwanzig bis dreißig Tagen, wohingegen die meisten Frauen des Sublimat-Samples bereits nach gut zwei Wochen gesund aus der Anstalt entlassen werden konnten. Als einer der Infektionsherde wurde die Untersuchungstätigkeit der Auszubildenden identifiziert. Aus der geringen Morbiditätsrate in den Ferienmonaten August und September schloss Sekundararzt Torggler auf den Zusammenhang zwischen Untersuchungsintensität und Krankheitshäufigkeit und somit auf den „großen Einfluss, den das viele Untersuchen von Seite der Studenten und Schülerinnen auf die Gesundheit mit sich bringt.“504 Behandelt wurden die Kindbettfiebererkrankungen mittels vaginaler Ausspritzungen mit Karbolsäurelösung, welche zwei bis drei Mal täglich wiederholt wurden. Bei schweren Krankheitsverläufen musste auch intrauterin mittels eines Jodoformstiftes ein Antiseptikum appliziert werden. Fiebersenkende Mittel, wie Chinin oder das entzündungshemmende Natriumsalicylat, kamen nur selten zur Anwendung. Kalte Bäder zur Fiebersenkung konnten aufgrund der baulichen Mängel im Stadtspital erst nach der Übersiedelung in den Neubau, ab dem Jahre 1890, erfolgreich angewendet werden. Insgesamt konzentrierte sich die ärztliche Behandlung des Kindbettfiebers auf die kontinuierliche Desinfektion sowie diätetische Maßnahmen zur Stärkung der allgemeinen, körperlichen Konstitution. Dabei wurde kranken Wöchnerinnen vor allem flüssige Nahrung in Form von Rindssuppe, welche den Frauen täglich in fünf kleinen Portionen eingeflößt wurde,505 Milch und „grossen Dosen Alkohol in Form von Wein und Cognac“506 verabreicht. Mit Kleinwächter hatte die „antiseptische Revolution“ Ende der 1870er Jahre im Innsbrucker Gebärhaus Einzug gehalten, entfaltete ihre volle Wirkungsmacht jedoch erst im Laufe der 1880er Jahre. Nachdem Pasteur die Existenz pathogener Keime (Streptokokken) durch Isolierung derselben nachgewiesen hatte und die geringe Wirksamkeit der Karbolsäure thematisierte, begannen auch im Innsbrucker Gebärhaus unter Friedrich Schauta spezifische Experimente mit diversen

504 Torggler, Bericht, 159. 505 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Akten des Landesausschusses 1869, Zl. 402, 3799. 506 Torggler, Bericht, 160-161.

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Antiseptika.507 Bis Mitte der 1880er Jahre hatte sich die konsequente Desinfektion zur Prävention von Kontaktinfektionen – vierzig Jahre nachdem Ignaz von Semmelweis diese Prophylaxe 1847 erstmals vorgeschlagen hatte508 – in der geburtshilflichen Praxis durchgesetzt und zu einer deutlichen Senkung der wochenbettspezifischen Erkrankungen und Sterbefälle geführt.509 Perfektioniert wurden die antiseptischen Methoden in Innsbruck schließlich durch Emil Ehrendorfer, welcher während seiner Zeit in Wien intensiv zur Prävention des Kindbettfiebers geforscht hatte.510

507 Vgl. Torggler, Bericht, 156-158. 508 Joseph Späth, Leiter der II. geburtshilflich-gynäkologischen Klinik in Wien, urteilte über Semmelweis Errungenschaft: „Damals hätte Semmelweis‘ Lehre gewiss raschere und ausgedehntere Erfolge erzielt […] wenn Semmelweis anfangs nicht zu einseitig aufgefasst und Alles nur auf Leichengift bezogen hätte, und wenn er später, als er seine Einseitigkeit eingesehen und die Aetiologie des Puerperalfiebers soweit klargestellt, wie sie heute als maassgebend betrachtet werden kann, in einem Tone verfochten hätte, der bis dahin in der Wissenschaft unerhört gewesen ist.“ Ehrendorfer, Behandlung, 171. Ignaz Philipp Semmelweis (01.07.1818 in Buda/Ungarn – 13.08.1865 in Wien) wurde nach einem Medizinstudium in Wien, geburtshilflicher Assistent an der I. geburtshilflichen Klinik in Wien. 1847 entdeckte er den Zusammenhang zwischen der Entstehung des Kindbettfiebers und den Sezierübungen der Ärzte. Seine Erkenntnisse wurden von der Fachwelt zunächst jedoch ignoriert und Semmelweis persönlich diskreditiert. 1850 führten die Anfeindungen sogar zu seiner Entlassung, seine Habilitation wurde nur mit Einschränkung genehmigt. Semmelweis kehrte nach Pest/Ungarn zurück, wo er als Ordinarius für praktische und theoretische Geburtshilfe tätig war. 1865 verstarb er in Wien. Vgl. Biographie Ignaz Semmelweis ÖBL, Bd. 12, Wien 2005, 168-169. Weiterführend, siehe: Benedek Istvan, Ignaz Philipp Semmelweis: 1818-1865, Wien 1983. Lesky Erna, Ignaz Philipp Semmelweis und die Wiener Medizinische Schule, Wien/Graz 1964. Stadlober-Degwerth Marion, Aus der Geschichte der Geburtshilfe: Die Wiener Geburtshelfer Ignaz Philipp Semmelweis und Johann Lucas Boër, in: Österreichische Hebammenzeitung 8 (2002), 13-14. 509 Vgl. Schlumbohm, Medicalisation, 110. Vgl. Seidel, Kultur, 215. Vgl. Metz-Becker, Kultur, 225-229. 510 Vgl. Ehrendorfer, Behandlung, 171-226. Vgl. Ehrendorfer, Leitung, 169-198.

Resümee

In der vorliegenden Arbeit wurde im Sinne einer modernen Sozial- und Medizingeschichte eine multiperspektivische Herangehensweise an die historische Institution des Gebärhauses gewählt. Als Studienobjekt diente das Innsbrucker Gebärhaus, welches zunächst als stationär geführte Gebärabteilung des städtischen Bürgerspitals existierte. Über den Entwicklungsschritt einer weiterhin in den Räumlichkeiten des Allgemeinen Krankenhauses situierten Gebär- und Findelanstalt, avancierte die geburtshilfliche Einrichtung schließlich im Jahre 1890 zu einer räumlich eigenständigen Gebärklinik mit neuem Standort in Wilten bei Innsbruck. Der zeitliche Rahmen dieser Untersuchung erstreckt sich vom Jahre 1816, als erstmals über die Notwendigkeit eines eigenen Gebärhauses in Innsbruck nachgedacht wurde, bis hin zur Schließung der Anstalt als eigenständige Institution mit Ende des Jahres 1924. Während ihres rund 100-jährigen Bestehens wurden in der Innsbrucker Gebäranstalt insgesamt mehr als 40.000 Frauen entbunden. Das Fehlen eines geschlossenen Anstaltsarchivs, welches sich zu Beginn der Recherchen als gravierendes Problem präsentierte und umfangreiche Sichtungsund Transkriptionsarbeiten in den verschiedenen Archiven vor Ort nötig machte, erwies sich auf den zweiten Blick als Chance, ein umfassenderes Bild der Anstalt zeichnen zu können. Durch die Einbeziehung von Quellenmaterial unterschiedlichster Provenienz – seien es Akten der städtischen, landschaftlichen oder staatlichen Verwaltungsbehörden, der Gemeinden, der medizinisch-universitären Gremien, oder anstaltsinterne Berichte, zeitgenössische, wissenschaftliche Publikationen sowie die äußerst seltenen, persönlichen Berichte von Patientinnen und Ärzten – gelang es, die Entstehungszusammenhänge und Entwicklungslinien der geburtshilflichen Institution erstmals eingehend und umfassend zu analysieren. Außerdem konnten auch der konkrete Alltag der beteiligten Personengruppen in der Anstalt (Patientinnen/Personal) sowie die medizinhistorisch relevanten Themenbereiche der medikalen Praxis und der spezifischen Morbiditäts- und

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Mortalitätsverhältnisse in der medizinischen Einrichtung rekonstruiert werden. Wesentlich war dabei stets, das Innsbrucker Gebärhaus nicht als isolierten, historischen Gegenstand zu betrachten, sondern eine Einbettung in (über-)regionale, gesellschaftliche, politische und soziale Diskurse zu leisten sowie Vergleiche zur Geschichte ähnlicher Anstalten im In- und Ausland (v. a. Wien, Graz, Göttingen, Marburg) zu ziehen. Ein erster Schwerpunkt dieser Studie lag auf der Evaluation der legitimatorischen und konstituierenden Rahmenbedingungen für die Gründung eines Gebärhauses in Tirol. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Frage gelegt, ob im Zuge der Etablierung des Gebärhauses sozial-wohltätige, sozial-disziplinierende, sozial-präventive oder sanitäts- bzw. professionspolitische Interessen im Vordergrund standen. Charakteristisch war auch in Tirol, dass die Notwendigkeit eines Gebärhauses erst zu jenem Zeitpunkt artikuliert wurde, als im Jahre 1816 durch das neu eingerichtete, medizinisch-chirurgische Lyzeum die praktische, geburtshilfliche Ausbildung forciert wurde. Durch die monarchieweite Reform der Hebammenausbildung (Hebammenordnung 1808) bzw. der geburtshilflichen Grundausbildung der Wundärzte, welche durch Intensivierung des „bedsideteaching“ im Kreißsaal eine Qualitätssteigerung der geburtshilflichen Ausbildung zu erreichen versuchte, wurde die Verfügbarkeit von „Unterrichtsmaterial“ in Form von Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen zur unabdingbaren Voraussetzung. Diese Intensivierung der praktischen Ausbildung zielte in weiterer Folge darauf ab, das staatlich proklamierte Ziel, durch die Medikalisierung der Geburt eine Verringerung der Mütter- und Säuglingssterblichkeit zu bewirken, zu erreichen. Auch in Tirol sollte diese Entwicklung durch gezielte Maßnahmen vorangetrieben werden: Die Einrichtung einer aus dem staatlichen Studienfonds finanzierten, geburtshilflichen Poliklinik sollte die Bedürfnisse des Innsbrucker medizinisch-chirurgischen Lyzeums befriedigen; die Schaffung der k. k. Staatsanstalt im Trentino, die eine Hebammenschule inkludierte, sollte auf die spezifischen Bedürfnisse des italienischsprachigen Landesteils reagieren. Mit der – im deutschsprachigen Teil Tirols viel beklagten – Standortwahl des staatlichen Gebärhauses in Alle Laste bei Trient wurde nicht nur die Hebung der Hebammendichte in einem peripheren Raum unterstützt, sondern auch der Versuch unternommen, der traditionell geübten Praxis der Außerlandesbringung von unehelichen Kindern (Findelhaus Verona) und dem damit einhergehenden Verlust potenzieller Arbeitskräfte entgegen zu wirken. Die Verhältnisse im Trentino wurden von den staatlichen Entscheidungsträgern als wesentlich prekärer und damit reformbedürftiger erachtet. Diese Fokussierung der Aufmerksamkeit auf den italienischsprachigen Teil Tirols sowie die ungleiche Verteilung der Fi-

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nanzmittel konterkarierten lange Zeit die Einrichtung einer ebenfalls staatlich finanzierten, stationären, geburtshilflichen Einrichtung in Innsbruck. Noch eindeutiger wird der sanitätspolitisch motivierte Leitgedanke, blickt man auf die Illegitimitätsquote Tirols. Da die gefürstete Grafschaft Tirol bis um die Jahrhundertwende stets das Schlusslicht im Illegitimitätsranking der österreichischen Länder darstellte und Tirol auch nach 1900 unterdurchschnittliche Werte aufwies, kann der Faktor Illegitimität nicht als ausschlaggebend für die Einrichtung eines Gebär-, später auch Findelhauses in Tirol gesehen werden. Obwohl sich ledige Mütter und uneheliche Kinder in der restriktiv orientierten Gesellschaft Tirols mit besonders prekären sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen konfrontiert sahen, in denen die betroffenen Frauen beinahe immer von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht waren, tritt der sozial-wohltätige Charakter des Gebärhauses deutlich hinter den medizinisch-sanitätspolitischen Faktor zurück. Die in den Statuten stets betonte Schaffung einer „Zufluchtsstätte“ für ledige Schwangere ist daher nur als positiver Nebeneffekt zu werten. Gerade am Beispiel der städtischen Gebärabteilung tritt die Abwertung sozialer Motive besonders deutlich zutage, denn obwohl alle verpflegten Frauen auch zu Unterrichtszwecken „verwendet“ wurden, wurde das Privileg einer unentgeltlichen Versorgung nur jenen Frauen zugestanden, die auch das Heimatrecht in Innsbruck besaßen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Einrichtung von Gebärhäusern in Tirol in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem zentral gelenkten, obrigkeitlichen Bestreben stand, die Medikalisierung der Geburt und die Professionalisierung der geburtshilflichen Wissenschaft (Hebammen, akademische Ärzte) voranzutreiben. Soziale Motive spielten eine weitgehend untergeordnete Rolle, sie sind lediglich als positive Begleiterscheinungen zu werten, die die Akzeptanz der Institution zusätzlich erhöhen sollten. Ein zweiter, wesentlicher Teil dieser Arbeit beschäftigte sich mit den langfristigen Entwicklungstrends und äußeren Einflüssen auf die Anstalt. Dabei spielten die Identifizierung der verschiedenen Trägerorganisationen und die Ausgestaltung ihrer individuellen Machtbefugnisse über bzw. in der Anstalt eine zentrale Rolle. Kennzeichnend für die Innsbrucker Anstalt ist, dass obwohl sich die Institution beinahe über den gesamten Zeitraum ihres Bestehens in städtischer oder landschaftlicher bzw. Landesverwaltung befand, der staatliche Einfluss auf die geburtshilfliche Institution gleichbleibend hoch war. Es kann dabei von einem „Wiener Modell“ gesprochen werden, dessen Teilkonzepte – Verwaltung, Versorgung und Lehre – zentral erprobt und schließlich monarchieweit umgesetzt wurden. Die Orientierung am Wiener Modell erfolgte auch in der Tiroler Institutionenlandschaft und ist, im Hinblick auf die Innsbrucker Gebäranstalt, auf mehreren Ebenen nachvollziehbar. Im administrativen Bereich zeichne-

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te sich dies an der Übernahme einer spezifischen Personalstruktur ab. Parallelen im hierarchischen Aufbau lassen sich auch im Vergleich mit anderen, staatlich beeinflussten Landeseinrichtungen, wie der „Landesirrenanstalt“ in Hall in Tirol, beobachten. Auch dort wurde die Schlüsselposition des Direktors mit einem qualifizierten Mediziner besetzt, der die formale Aufsichtsgewalt über die drei Kernbereiche – Verwaltung, Medizin und Seelsorge – hatte. Für den Teilbereich der Administration war ein ökonomisch versierter Verwalter zuständig, der medizinische Kompetenzbereich lag in den Händen ausgewiesener ProfessionistInnen und auch die Seelsorge wurde als eigener Bereich definiert. Interessant erscheint im Kontext des Gebärhauses, dass der Posten eines Direktors sowie die Stelle eines Primarius nicht in einer Person vereint, sondern gesondert besetzt wurden. Dies lässt die Interpretation zu, dass sich das Land in der Funktion des Direktors ein letztes Kontrollorgan im staatlich geprägten System des Gebärhauses sichern wollte. Allerdings mit nur mäßigem Erfolg, denn über die Jahre hinweg, büßte der Direktor, später Inspektor, viele seiner anfänglichen Machtbefugnisse in der Anstalt ein. Hatte er zu Beginn noch Einfluss auf die Ausgestaltung der medizinischen Versorgung nehmen können, kam ihm gegen Ende der Untersuchungsperiode nur mehr die Rolle eines Vermittlers zwischen dem ärztlichen und administrativen Gebärhauspersonal und der (Landes-)Politik zu. Die staatliche Einflussnahme auf das Gebärhaus wurde auch an der Übernahme grundlegender Anstaltsnormen sichtbar: Es sei hier etwa an die Dienstinstruktionen für das Gebärhauspersonal erinnert, die sich beinahe wortwörtlich am Wiener Vorbild orientierten. Dies galt für die Frühphase des Bestehens ebenso, wie für das ausgehende 19. Jahrhundert. Als Beispiel möge hier die Trennung der Hebammentätigkeiten von den Wärterinnendiensten im Jahre 1883 gelten, die nur auf Grund einer – zwei Jahre zuvor – zentral beschlossenen und monarchieweit geltenden Revision der Hebammeninstruktion durchgesetzt werden konnte. Auch im Hinblick auf die Statuten und Hausordnungen orientierte sich die Innsbrucker Anstaltsleitung an bestehenden Formaten. Hauptsächlich wurden zu Vergleichszwecken jene Normen herangezogen, die für die großen, österreichischen Gebärhäuser in Wien, Prag und Graz erlassen worden waren. Doch nicht nur die Vorbereitung neuer Anstaltsnormen war zentral beeinflusst, sämtliche neu formulierten bzw. überarbeiteten Statutenentwürfe und Hausordnungen mussten vor ihrer Implementierung eine zentrale Prüfung durch die zuständigen Ministerien durchlaufen. Diese ministerielle Genehmigungspflicht galt in weiterer Folge auch für alle wesentlichen Entscheidungen, welche vonseiten des Landes in Bezug auf die Gebäranstalt gefällt wurden. Als Beispiele seien hier etwa die Transferierung des Gebär- und Findelhauses von Alle Laste nach Innsbruck im Jahre 1869, die Schließung des Findelhauses im Jahre 1881 sowie die wie-

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derholten Anträge auf Revitalisierung eines Gebär- und/oder Findelhauses im Trentino in den Jahren 1870/71, 1875, 1880 und 1912 genannt. Im Fall der Übersiedelung der Anstalt nach Innsbruck wurde die Transferierung sogar zur staatlichen Bedingung, ohne die eine Wiedereinrichtung der medizinischen Fakultät im Jahre 1869 nicht erfolgt wäre. Allerdings wurde nicht nur die Verwaltung zentral geplant, sondern gleichzeitig auch der elementare Bereich der medikalen Praxis von außen gesteuert. Diese Lenkung geschah in erster Linie über die in der Gebäranstalt tätigen Professoren bzw. Primarii. Wie gezeigt werden konnte, wurden die leitenden Positionen größtenteils mit Medizinern besetzt, die ihre Ausbildung an einer der renommierten, medizinischen Fakultäten in der Monarchie, in Wien oder Prag, absolviert hatten. Die Geschichte der geburtshilflichen Institution wurde maßgeblich durch ihre Führungspersönlichkeiten geprägt, durch die neue Impulse in die alltägliche, medizinisch-geburtshilfliche Praxis implementiert werden konnten (u. a. obligatorische Beckenmessung, Antisepsis, operative Methoden, etc.). Eine Gemeinsamkeit, welche die leitenden Mediziner verband, ist in der durch ihre Ausbildung erfahrenen, einschlägigen Sozialisation zu sehen. Sie alle waren im Geiste der medizinischen und sozialen Konzepte der Wiener Geburtshilflichen Schule ausgebildet worden. Die Ideologie der exspektativen bzw. „natürlichen“ Geburtshilfe, welche auf einer möglichst naturgemäßen Geburt, ohne übermäßigen Instrumenteneinsatz basierte, wurde somit auch in der Provinz umgesetzt und hatte über den gesamten Untersuchungszeitraum Geltung. Am Beispiel der Zangenoperationen manifestieren sich dabei grundlegende Elemente der Wiener Geburtshilflichen Schule: So wurde die Entscheidung, den Forzeps anzulegen, nie leichtfertig getroffen, sondern unterlag einer strikten Indikation. Zu den Symptomen, welche die Applikation der Zange rechtfertigten, zählten unter anderem allgemeine Schwäche der Gebärenden, Ohnmachten, unerträgliche, lang andauernde Schmerzen, starkes Erbrechen oder das Ausbleiben der Wehentätigkeit. In der Mehrzahl der Fälle kam die Zange zum Wohle des Kindes zum Einsatz, konkret dann, wenn eine Geburt auf natürlichem Wege nicht mehr möglich bzw. für das Kind ein tödlicher Ausgang (Asphyxie/Perforation) zu befürchten war. Obwohl manche Professoren, wie etwa Friedrich Schauta, „operationsfreudiger“ waren als andere, lag der Anteil der mittels Zange entbundenen Frauen über den gesamten Zeitraum hinweg nie über zehn Prozent. Interessanterweise wurde die Zange allerdings nur selten aufgrund einer Verengung des mütterlichen Beckens appliziert. In diesen Fällen waren künstliche Frühgeburten Erfolg versprechender. Lediglich bei hochgradigen Deformationen des mütterlichen Beckens kamen maximal-invasive Methoden wie die Sectio caesarea zur Anwendung. Der Kaiserschnitt stellte jedoch bis zum Ende der Untersuchungspe-

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riode stets eine absolute Ausnahme dar. Erwähnenswert erscheint allerdings, dass sämtliche seit den 1880er Jahren in Innsbruck durchgeführten Kaiserschnittoperationen einen positiven Ausgang für Mutter und Kind aufwiesen. Neben der Praxis der exspektativen Geburtsleitung bildete auch die Zurückhaltung bei medikamentösen Behandlungen ein Wesensmerkmal der Wiener Geburtshilflichen Schule. So wurden etwa bei postpartal auftretenden Infektionen kaum fiebersenkende Mittel (Chinin) eingesetzt, sondern auf eine kontinuierliche Desinfektion der betroffenen Körperstellen gesetzt. Zudem spielten diätische Maßnahmen eine große Rolle: Die oftmals schlecht genährten Schwangeren wurden durch reichhaltige und ausgewogene Nahrung gestärkt; der Aufenthalt an der frischen Luft sowie mäßige, körperliche Ertüchtigung (Spaziergänge) sollten zusätzlich zum Aufbau einer guten Konstitution beitragen. Auch bei Erkrankungen im Wochenbett kamen diätetische Mittel, wie etwa die Gabe von hochprozentigem Alkohol (Cognac, Wein), zum Einsatz. Die Grundsätze der Wiener Geburtshilflichen Schule setzten sich natürlich auch in der Lehre durch. Bis um die Jahrhundertmitte war der Einfluss Wiens noch deutlich an der Verwendung zentral vorgeschriebener Lehrwerke sichtbar. Obwohl dieser Zwang allmählich nachließ und die Professoren vielfach ihre eigenen Lehrwerke publizierten (Mayrhofen, Kleinwächter, Schauta), betonte Emil Ehrendorfer noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Wichtigkeit der Sensibilisierung seiner Studierenden für eine abwartende und demnach naturgemäße Geburtshilfe. Zusammenfassend lässt sich daher die eingangs formulierte These stützten, dass anhand des in Wien erprobten Modells eine einheitliche Institutionen-Landschaft in Österreich kreiert wurde. Das Innsbrucker Gebärhaus muss deshalb als ein Beispiel für die Durchsetzungskraft zentral beschlossener Normen verstanden werden. Regionale Einflüsse sind in Bezug auf die formale Gebärhausstruktur, die grundlegenden Anstaltsnormen (Instruktionen, Hausordnung, Statuten) sowie die vor Ort geübte medikale (Lehr-)Praxis nicht wahrnehmbar. Als ein spezifisches Phänomen muss die politische Instrumentalisierung des Gebär- und Findelhauses im Nationalitätenkonflikt zwischen deutschen und italienischen Interessensgruppen hervorgehoben werden. Die mit der Gründung der Anstalt beginnenden Konflikte um eine „gerechte“ Verteilung von (finanziellen) Ressourcen und die damit verbundene Schaffung einer ausgewogenen, medizinisch-geburtshilflichen Infrastruktur in den beiden Landesteilen, konnten bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht gelöst werden. Die Institution des Gebär- und Findelhauses war Druck- und Lockmittel zugleich und führte in regelmäßigen Abständen zu Auseinandersetzungen zwischen den liberal gesinnten Trentiner Landtagsabgeordneten und den konservativen Vertretern der deutsch-

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sprachigen Gebiete. Bis 1914 wurden alle Bestrebungen zur Wiedereinrichtung eines Gebär- und/oder Findelhauses im Trentino von staatlicher Seite rigoros unterbunden. Ausschlaggebend waren stets ökonomische und logistische Faktoren, denn die zuständigen Ministerien befürchteten, durch das Ausbleiben der Trentinerinnen, eine Schwächung der geburtshilflichen Ausbildung am Universitätsstandort Innsbruck herbeizuführen. Erst als das Problem der Überfüllung der Innsbrucker Anstalt nicht mehr von der Hand gewiesen werden konnte, schien eine Revitalisierung des Standortes Alle Laste in greifbare Nähe gerückt. Doch der Plan wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges konterkariert. Erst nachdem das Trentino durch die Friedensverhandlungen nach dem Krieg an Italien gefallen war, wurde wieder ein eigenes Mütter- und Säuglingsheim für diese Region eingerichtet. Ebenfalls im Kontext der Regionalität ist ein anderer wesentlicher Schwerpunkt dieser Arbeit zu sehen: Das Innsbrucker Gebärhaus zeigte hinsichtlich der Entwicklung seiner Attraktivität (Frequentierung) bzw. der Zusammensetzung der aufnahmesuchenden Klientel deutliche Abweichungen vom monarchieweiten Trend. Mit dem Statut von 1881, das einerseits die Abschaffung der Findelversorgung fixierte, wurde andererseits die Öffnung des Gebärhauses für ein breites Publikum durchgesetzt. Obwohl diese Maßnahme in erster Linie dazu dienen sollte, durch die Aufnahme von Witwen und Ehefrauen, auch weiterhin die Aufrechterhaltung der klinischen Ausbildungsfunktion zu gewährleisten, bereitete sie den Weg für eine Entwicklung, die im Zusammenhang mit den österreichischen Gebärhäusern bislang nicht beschrieben wurde: die vermehrte Inanspruchnahme eines außerhäuslichen Betreuungsangebots durch verheiratete Frauen. Diese Veränderung der Kernklientel war in deutschen Gebärhäusern bereits verstärkt seit den 1860er Jahren spürbar, vollzog sich in Innsbruck jedoch mit einiger zeitlicher Verzögerung. Dabei war auch nach 1881 keine sprunghafte Zunahme des Anteils der verheirateten Frauen an der Gesamtklientel, die sich bis um 1900 noch zu einem überwiegenden Teil aus der klassischen Gruppe der ledigen Frauen zusammensetzte, zu verzeichnen. Verheiratete Frauen waren zwar nachweisbar, nahmen die Anstalt jedoch nur bei ausgesprochener, medizinischer Indikation in Anspruch. Doch gerade diese Bedeutung des Gebärhauses als medizinische Spezialeinrichtung konnte seit den 1880er Jahren ausgebaut werden. Elementar war hinsichtlich der medikalen Praxis allerdings nicht nur die qualitativ hochwertige Behandlung, sondern auch ein weiterer Aspekt, der sich mit den Schlagworten „Respekt“ und „Mündigkeit“ umreißen lässt. Im Geiste der Wiener Medizinischen Schule sollte ein respektvoller Umgang mit den Patientinnen gepflegt werden, was auch mit einschloss, dass die Frauen über die ärztlichen Therapievorschläge informiert wurden und bei operativen Eingriffen

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selbst über deren Durchführung entscheiden konnten. Diese offene Informationspraxis wird in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Forzepsapplikation deutlich, bei der die Frauen stets gründlich über das Prozedere aufgeklärt wurden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bzw. um die Jahrhundertwende kam es allerdings in Fachkreisen zu Diskussionen um das angemessene Ausmaß der ärztlichen Aufklärungspflicht. Friedrich Schauta war der Auffassung, dass es im Falle einer Operation keiner umfassenden, medizinischen Aufklärung bedürfe. Er war vielmehr der Ansicht, dass eine genaue Beschreibung des bevorstehenden, operativen Eingriffs Ängste und wohl auch eine gewisse Abwehrhaltung bei den Patientinnen auslösen könnte. Oscar Nebesky, um die Jahrhundertwende Sekundararzt in der Anstalt, bestand jedoch auf umfassenden Aufklärungsgesprächen, in welchen den Frauen alle Konsequenzen der Operation offen dargelegt wurden. Nebesky sprach den betroffenen Patientinnen damit dezidiert die Fähigkeit zu selbst über ihr bzw. das Schicksal des noch ungeborenen Kindes entscheiden zu können. Die letztgültige Entscheidungsgewalt über ihren Körper sollte somit immer bei den Patientinnen liegen. Vor diesem Hintergrund kann es deshalb auch nicht verwunderlich erscheinen, dass ledige Mütter lange Zeit nicht für die riskante und invasive Methode des Kaiserschnitts zu gewinnen waren. In diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache zu erwähnen, dass nicht nur die Verweigerung eines Eingriffes von den Ärzten akzeptiert werden musste, sondern auch auf die ausdrücklichen Wünsche der Patientinnen eingegangen wurde. Dies zeigt sich etwa am Beispiel der Sectio caesarea, bei der häufig, auf ausdrücklichen Wunsch der Frauen hin, auch eine Sterilisation durchgeführt wurde. Diese Nachfrage nach bestmöglicher, ärztlicher Betreuung muss als ein Indiz für die Existenz der „medizinischen Vergesellschaftung“ nach Loetz interpretiert werden. Ein Aspekt, der zudem zum guten Ruf der Anstalt beitrug, war in der Tatsache zu sehen, dass sämtliche operativen Eingriffe im Innsbrucker Gebärhaus ausschließlich von erfahrenen Experten durchgeführt wurden. Dies bedeutete, dass – im Gegensatz zu anderen, vor allem deutschen Anstalten – Studenten keine Kompetenzen in der Operationssituation zugebilligt wurden. Auszubildende durften im Kontext der Operation lediglich als Hospitanten anwesend sein und die Vorgänge beobachten. Echte praktische Erfahrung, etwa im Umgang mit der Zange, mussten die Medizinstudenten auch um die Jahrhundertwende noch in Form eines „Trockentrainings“ am geburtshilflichen Phantom sammeln. Auffallend ist auch, dass experimentelle Versuchsreihen bzw. die grundlegende, wissenschaftliche Forschungstätigkeit, die für die Hebammenlehranstalt Alle Laste bei Trient bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dokumentiert ist (Chloroform), für Innsbruck bis in die 1870er Jahre nicht nachgewiesen werden

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konnte. Inwieweit dies mit einer unterschiedlichen, medizinischen Sozialisation der in Alle Laste praktizierenden, meist italienischsprachigen und möglicherweise in Bologna ausgebildeten Professoren zusammenhängt, konnte in diesem Rahmen allerdings nicht geklärt werden. Einen zusätzlichen Zustrom erfuhr das Gebärhaus um die Jahrhundertwende, im Zuge der verstärkten Urbanisierung der Stadt Innsbruck. Trotz massiver Wohnbautätigkeit konnte die Stadt nicht ausreichend Wohnraum für die zahlenmäßig angewachsene Stadtbevölkerung bieten und das Gebärhaus gewann deshalb als zeitweilige Unterkunft für die kritische Phase der Geburt und des Wochenbettes noch zusätzlich an Bedeutung. Die städtischen Unterschichten – vor allem die vielen Bahnarbeiterfamilien – nutzten die Institution bewusst für ihre Zwecke. 1924 hatte mehr als die Hälfte der behandelten Patientinnen bereits vor ihrem Eintritt in das Gebärhaus in Innsbruck gelebt. Insgesamt zeichnete sich ab 1900, verstärkt noch ab 1910, eine Veränderung des Nutzungsverhaltens ab. Mit der Dominanz verheirateter Frauen ist eine deutliche Verringerung der zeitlichen Aufenthaltsdauer in der Anstalt beobachtbar: Während die Anstalt von ledigen Müttern als eine Art Rückzugsort für die letzten Monate der (sichtbar werdenden) Schwangerschaft genützt wurde, trat die Mehrheit der verheirateten Frauen erst unmittelbar vor der Geburt ein und verweilte nur rund zwei Wochen in der Anstalt. Somit lässt sich die eingangs formulierte These vom Wandel der sozialen Ausrichtung durchaus bestätigen. Die Innsbrucker Anstalt war gegen Ende ihres Bestehens tatsächlich von einer „Zufluchtsstätte“ für ledige Mütter aus allen Teilen Tirols zu einem Entbindungsheim für ein vorwiegend städtisches, verheiratetes Publikum geworden. Witwen und geschiedene Frauen machten in allen untersuchten Stichjahren nur einen verschwindend geringen Prozentsatz aus. Dies lässt die zusammenfassende Schlussfolgerung zu, dass die in der Gebäranstalt geübte medikale und soziale Praxis ausschlaggebend für die hohe Akzeptanz der Institution in der Bevölkerung war. Die außerhäusliche bzw. institutionalisierte Geburt wurde jedoch erst nach der Jahrhundertwende zunehmend auch von verheirateten Frauen als bewusst wählbare Option zur Hausgeburt wahrgenommen. Die eingangs aufgestellte These, kleine Anstalten seien aufgrund der Überschaubarkeit ihrer Patientinnenschaft leichter zu führen und in hygienischer Sicht besser zu organisieren, erwies sich bereits nach der Erarbeitung der Frühphase (1816-1858) bzw. der institutionellen Übergangsphase (1858-1869) als nicht haltbar. Obwohl die Anstalt in Bezug auf die Frequentierung im monarchieweiten Vergleich weit abgeschlagen auf den hinteren Rängen lag, war das Gebärhaus räumlich derart beschränkt, dass hygienische Missstände, die eigentlich charakteristisch für große Anstalten waren, auch in Innsbruck voll zum Tra-

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gen kamen. Insbesondere nach der Transferierung der Gebär- und Findelanstalt aus dem Trentino nach Innsbruck potenzierten sich die Probleme und schlugen sich in einer drastisch erhöhten Morbidität von Müttern und Säuglingen sowie einer gesteigerten Mortalität nieder. Permanente Überfüllung, mangelnde Desinfektion, unzureichende personelle Ausstattung mit weltlichen Pflegerinnen, Hebammen oder Krankenwärterinnen und fehlende Isolierungsmöglichkeiten führten besonders in den 1870er Jahren zu wiederholten Ausbrüchen des gefürchteten „Kindbettfiebers“. Allerdings muss betont werden, dass die explizite Todesursache „Kindbettfieber“ nur äußerst selten in den Sterbematriken aufscheint. Dort finden sich in erster Linie die sekundären, endgültig zum Tode führenden Erkrankungen wie etwa Peritonitis, Endometritis oder Pneumonie, die jedoch meist in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer wochenbettspezifischen Infektion standen. Seit Mitte bzw. Ende der 1880er Jahren war eine langsame Beruhigung der Situation spürbar, die auf zwei grundlegenden Eckpfeilern fußte: Es gelang nämlich erstmals, die pathogenen Ursachen von Wochenbetterkrankungen zu erkennen und gleichzeitig wirksame Antiseptika herzustellen. Für das Innsbrucker Beispiel muss vor allem der Erfolg des Präparats Sublimat hervorgehoben werden: Durch dessen Einsatz ab dem Jahre 1883 konnte nicht nur die Sterblichkeit infolge von Wochenbetterkrankungen eingedämmt, sondern auch die Morbidität in der Anstalt auf ein Minimum reduziert werden. Hatte noch in den Jahren zuvor, nahezu die Hälfte aller Wöchnerinnen ein fieberhaftes Wochenbett durchlebt, so minimierte sich die Erkrankungshäufigkeit durch den Einsatz von Sublimat, anstelle von Karbolsäure, auf unter zwei Prozent. Neben der allgemeinen Häufigkeit nahmen in der Folgezeit auch die Intensität der individuellen Krankheitssymptome sowie die durchschnittliche Dauer der Erkrankungen ab. Insgesamt wurde der Prozess der Implementierung neuer, antiseptischer Methoden in Innsbruck bereits relativ früh, durch Ludwig Kleinwächter (18781881), in Gang gesetzt, fand seine volle Ausformung und Wirksamkeit aber schließlich erst unter seinen Nachfolgern, allen voran, Emil Ehrendorfer. Ein zweiter, wesentlicher Faktor, der zur Minimierung des Sterblichkeitsrisikos beitrug, ist in der Schaffung eines ausgewogenen Raum-PatientinnenVerhältnisses zu sehen, welches im Jahre 1890 durch die Übersiedelung in den großzügigen Neubau in Wilten realisiert wurde. Allerdings kann dieser Aspekt nur für wenige Jahre als Faktor für eine nachhaltige Senkung der Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit in der Anstalt gesehen werden, denn bereits um 1910 hatte sich die Frequenz des Gebärhauses derart gesteigert, dass die altbekannten Probleme der Überfüllung erneut eintraten. Bis dahin hatte sich die Anstaltshygiene allerdings derart etabliert, dass mit einem neuerlichen Aufflammen von schwer kontrollierbaren Infektionskrankheiten nicht mehr gerechnet werden

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musste. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Vorteile einer überschaubaren, kleinen Anstalt in Innsbruck kaum bzw. nur zeitweilig zum Tragen kamen, da sich durch die räumliche Limitierung der Institution und der daraus resultierenden Überfüllung, hygienische Missstände nur schwer beseitigen ließen. In Bezug auf den anstaltsintern gelebten Alltag standen in dieser Studie das soziologische Modell der „Totalen Institution“ nach Erving Goffman sowie das Konzept der „medizinischen Vergesellschaftung“ nach Francisca Loetz auf dem Prüfstand. Die Innsbrucker Gebäranstalt wies hinsichtlich der Organisation und Struktur des Alltags der in der Anstalt lebenden Personen durchaus „totale Merkmale“ auf. Die Institution schloss sich gegenüber ihrer Umwelt ab und bildete einen sozialen und medikalen Mikrokosmos mit eigenen Regeln. Diese räumliche und gesellschaftliche Trennung wurde durch gezielte, bauliche Maßnahmen zusätzlich unterstützt: Während der Unterbringung im städtischen Spital war der Zugang zum Gebärhaus nur durch ein Tor, welches von einem eigens bestellten Portier bewacht wurde, möglich. Die Abtrennung von der Außenwelt setzte sich auch beim Neubau in Wilten fort, denn das Gebäude wurde von einer hohen Gartenmauer umgeben. Schließlich müssen auch die Bedenken der Anstaltsleitung im Zuge des projektierten Anbaus an die Anstalt in diese Richtung interpretiert werden, denn es wurde befürchtet, dass die Anstaltsräumlichkeiten durch einen straßenseitigen Zubau von außen einsehbar und somit der Kontakt zwischen Innen- und Außenwelt intensiviert werden könnte. Auch das Aufnahmeprozedere, dem sich die Schwangeren beim Eintritt in die Anstalt stellen mussten, ist als modellhaft zu bezeichnen. Die Aufnahmewürdigkeit der Frauen wurde durch eine gynäkologische Untersuchung geprüft, die anschließende, körperliche Reinigung sowie die Abgabe persönlicher Habseligkeiten markierten den formalen Übertritt von der Außen- in die Innenwelt der Institution. Allerdings bestand für die Patientinnen in Innsbruck keine Verpflichtung eigene Anstaltskleidung, die den Identitätsverlust der Frauen noch zusätzlich betont hätte, zu tragen. Der tägliche Ablauf war straff organisiert und orientierte sich an einer Hausordnung, die nicht nur von den „Insassinnen“, sondern auch vom „Personal“ einzuhalten war. Das Leben in der Anstalt war geprägt von gemeinnützigen Arbeiten für die Anstalt, gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten, gemeinschaftlichen Hof- und Messgängen sowie der Unterbringung in Mehrbettzimmern bzw. Schlafsälen. Es herrschte ein generelles Ausgangsverbot, das nur in Ausnahmefällen aufgeweicht werden konnte. Besuche waren zwar erlaubt, allerdings auf bestimmte Personen(gruppen) beschränkt, zeitlich und räumlich limitiert sowie einer rigorosen Überwachung unterworfen. Zusätzlich gingen die Frauen mit ihrem Eintritt in die Anstalt die Verpflichtung ein, sich zu wissenschaftlichen und edukativen Zwecken „verwenden“ zu lassen. Diese

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„Verwendung“ manifestierte sich in erster Linie an den Untersuchungen, die im Vorfeld der Geburt zu Unterrichtszwecken von Hebammenschülerinnen und Studenten durchgeführt wurden. Aber auch während des eigentlichen Geburtsaktes waren die Frauen dieser Ausbildungs-Öffentlichkeit ausgesetzt, was mit einem massiven Verlust von Privatsphäre gleichzusetzen ist. Demgegenüber steht jedoch die Tatsache, dass sich die „Insassinnen“ nur temporär – für wenige Tage bis Wochen – in der Anstalt aufhielten und ihr Eintritt vielfach frei gewählt war. Dies zeigt sich, einerseits an den Mehrfachfrequentierungen, die in Innsbruck von 1858 bis 1869 rund zehn Prozent der Gesamtaufnahmen ausmachten. Andererseits bestand für die Frauen auch die Möglichkeit die Anstalt vorzeitig, das heißt, ohne dort entbunden zu haben, wieder zu verlassen. Doch nur in Ausnahmefällen nahmen die Patientinnen dieses Recht auch tatsächlich in Anspruch. Eine Häufung der vorzeitigen Entlassungen aufgrund von Unzufriedenheit mit den medikalen und sozialen Praktiken im Gebärhaus konnte nur für die Professorenschaft Kleinwächters rekonstruiert werden, in dessen Dienstzeit es sogar zu einer Verdoppelung der vorzeitigen Austritte kam. Dabei wurde im Jahr 1879, in welchem 14 Prozent aller aufgenommenen Patientinnen frühzeitig aus der Anstalt austraten, ein Höhepunkt erreicht. Der Eintritt in das Gebärhaus war aber nicht nur frei wählbar, sondern für die betroffenen Schwangeren auch mit einer Art „Entlohnung“ verbunden, denn die Bereitschaft sich zeitweilig in das institutionalisierte System zu begeben, wurde mit (materiellen) Gegenleistungen vonseiten der Trägergesellschaften entschädigt. Die Attraktivität der Anstalt wurde durch die Angebote der Findelversorgung, die Erteilung von finanziellen Beihilfen oder die Verfügbarkeit einer qualitativ hochwertigen, medizinischen Betreuung gewährleistet. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass nicht nur die Trägerorganisation bzw. die Anstaltsleitung auf die Einhaltung des normativen Grundgerüsts pochte, sondern auch die „Insassinnen“ aktiv für die Wahrung ihrer individuellen (Gruppen-) Interessen eintraten. Dies zeigt sich deutlich am Konflikt um Professor Kleinwächter, bei dem die betroffenen Schwangeren und Gebärenden den ihnen gebührenden Respekt einklagten. Zudem forderten sie die bestmögliche, medizinische Versorgung und waren bereit, offen gegen den Mediziner vorzugehen. Dieses Fallbeispiel spricht zudem für das Konzept der „medizinischen Vergesellschaftung“, denn die betroffenen Frauen versuchten mit Nachdruck ihr Recht auf eine optimale, geburtshilfliche Betreuung durchzusetzen. An dem genannten Konfliktbeispiel wird außerdem eine weitere Schwäche des Goffman’schen Modells sichtbar: Die Blockbildung zwischen „Personal“ und „Insassinnen“ war in der historischen Institution des Gebärhauses weitaus geringer ausgeprägt, als Goffman dies für Gefängnisse oder psychiatrische An-

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stalten beschrieb. Im konkreten Fall verbündete sich ein Großteil des Personals sowie der politischen Trägerschaft mit den „Insassinnen“, um gemeinsam gegen den unbeliebten Professor vorzugehen – eine Initiative, die von Erfolg gekrönt war. Eine besondere Position in diesem Konflikt nahm die Person des Direktors ein, denn er unterstützte die Anliegen der Frauen und wurde von ihnen als Vertrauensperson wahrgenommen. Einerseits spiegelt die Haltung des Direktors die Prinzipien des respektvollen Umgangs mit Patientinnen im Sinne der Wiener Medizinischen Schule wider, andererseits ist darin aber auch ein politisches und wirtschaftliches Kalkül zu sehen: Da der Erfolg bzw. der Weiterbestand des Gebärhauses auf der fortwährenden, freiwilligen Frequentierung durch schwangere Frauen fußte, durfte der allgemein gute Ruf der Institution nicht beschädigt werden. Mit der Entfernung Kleinwächters von seiner Professur konnte die Zufriedenheit der Patientinnen wiederhergestellt und somit der Erhalt des Gebärhauses, respektive die Aufrechterhaltung eines universitären, geburtshilflichen Ausbildungsangebots in Innsbruck gewährleistet werden. Obwohl sich die charakteristische Blockbildung im Hinblick auf die sozialen Gruppen des Personals und der Klientel nicht abzeichnete, lässt sich eine solche Unterscheidung jedoch im Bereich der ledigen und verheirateten Patientinnen rekonstruieren. Sie bewohnten separate Schlafräume, es galten getrennte Besuchszeiten und auch an der bevorzugten Behandlung der verheirateten Frauen durch den geistlichen Kaplan wurde die Differenz zwischen den beiden Gruppen deutlich. Anhand des erhaltenen Quellenmaterials kann allerdings nicht geklärt werden, wie sich diese formale, von oben aufoktroyierte Trennung der Sphären, im persönlichen Umgang der beiden Gruppen miteinander manifestierte. Konflikte zwischen ledigen und verheirateten Frauen sind nicht überliefert. Das Innsbrucker Gebärhaus ist somit als eine Anstalt mit „totalen Merkmalen“ zu sehen, kann jedoch aufgrund der bewussten Inanspruchnahme und der aktiven und erfolgreichen Einforderung von Patientinnenrechten sowie aufgrund der fehlenden Separation der beiden „Welten“ (Insassinnen/Personal) nicht als eine in allen Merkmalen ausgebildete „totale Institution“ im Sinne Goffmans gewertet werden.

Bibliographie

ARCHIVE

UND

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Abbildungsverzeichnis

ABBILDUNGEN Abb. 1: Ansicht des Innsbrucker Bürgerspitals, um 1850 | 104 Abb. 2: Skizze der projektierten Landesgebärklinik in Wilten, 1887 | 152 Abb. 3: Die Landesgebärklinik in Wilten bei Innsbruck, Ansichtskarte 1909 | 160 Abb. 4: Grundrissplan des Parterres der neuen Frauenklinik, 1924 | 193 Abb. 5: Grundrissplan des Parterres der Landesgebärklinik, 1889 | 270 Abb. 6: Grundrissplan des 1. Stocks der Landesgebärklinik, 1889 | 304

G RAPHIKEN Graph. 1: Frequentierung der Innsbrucker Gebäranstalt (1822-1924) | 47 Graph. 2: Personalstruktur in der Landesgebärklinik Innsbruck nach 1881 | 199 Graph. 3: Zivilstand der Mütter in der Innsbrucker Gebäranstalt (1859-1924) | 242 Graph. 4: Alter der Mütter im Innsbrucker Gebärhaus (1880-1924) | 244 Graph. 5: Berufe der ledigen Mütter im Innsbrucker Gebärhaus (1869-1924) | 251 Graph. 6: Regionale Herkunft der Mütter im Innsbrucker Gebärhaus – Deutschtirol, Trentino, Vorarlberg (1858-1924) | 256 Graph.7: Tatsächlicher Zeitpunkt des Eintrittes der Frauen vor der Geburt (1830-1924) | 261 Graph. 8: Aufenthaltsdauer der Wöchnerinnen nach der Geburt (1830-1924) | 305 Graph. 9: Müttersterblichkeit in der Innsbrucker Gebäranstalt (1830-1924) | 312

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T ABELLEN Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5:

Tab. 6: Tab.7: Tab. 8: Tab. 9: Tab. 10: Tab. 11: Tab. 12: Tab. 13: Tab. 14: Tab. 15:

Entwicklung der Unehelichkeitsquote in den österreichischen Alpenländern (1831-1915) | 51 Unehelichkeitsquote Tirols nach politischen Bezirken (1811/12-1910) | 54 Unehelichkeitsquote Tirols und Vorarlbergs nach politischen Bezirken (1870/74 und 1910) | 59 Zahl der aufgenommenen Schwangeren nach Landesteilen (1875-1880) | 125 Anteil der nach Innsbruck und anderen Regionen zuständigen, aber in Innsbruck lebenden Frauen an der Gebärhausklientel in Prozent (1859-1924) | 162 Mittlere Aufenthaltsdauer (Verpflegstage) der Frauen im Gebärhaus (1830-1924) | 165 Professoren der Geburtshilfe/Primarii in Innsbruck (18181924) | 212 Nachträgliche Legitimierungen durch spätere Verehelichung der Mütter mit dem Kindsvater (1859-1910) | 252 Zeitpunkt der nachträglichen Legitimierung (1859-1910) | 253 Regionale Herkunft der Mütter im Innsbrucker Gebärhaus (1858-1924) | 257 Überregionale Herkunft der Mütter im Innsbrucker Gebärhaus (1858-1924) | 258 Religionszugehörigkeit der Mütter im Innsbrucker Gebärhaus (1859 -1924) | 259 Prozentueller Anteil der jährlich unentbunden ausgetretenen Schwangeren an der Gesamtverpflegtenzahl (1875-1884) | 273 Art und Frequenz der geburtshilflichen Operationen (1881-1914) | 286 Totgeburten und Neonatalsterblichkeit im Innsbrucker Gebärhaus (1859-1924) | 300

Histoire Thomas Etzemüller Die Romantik der Rationalität Alva & Gunnar Myrdal – Social Engineering in Schweden 2010, 502 Seiten, kart., zahlr. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1270-7

Bettina Hitzer, Thomas Welskopp (Hg.) Die Bielefelder Sozialgeschichte Klassische Texte zu einem geschichtswissenschaftlichen Programm und seinen Kontroversen 2010, 464 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1521-0

Michael Hochgeschwender, Bernhard Löffler (Hg.) Religion, Moral und liberaler Markt Politische Ökonomie und Ethikdebatten vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart 2011, 312 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1840-2

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Histoire Oliver Kühschelm, Franz X. Eder, Hannes Siegrist (Hg.) Konsum und Nation Zur Geschichte nationalisierender Inszenierungen in der Produktkommunikation März 2012, 308 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-1954-6

Anne Kwaschik, Mario Wimmer (Hg.) Von der Arbeit des Historikers Ein Wörterbuch zu Theorie und Praxis der Geschichtswissenschaft 2010, 244 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN 978-3-8376-1547-0

Sarah Zalfen, Sven Oliver Müller (Hg.) Besatzungsmacht Musik Zur Musik- und Emotionsgeschichte im Zeitalter der Weltkriege (1914-1949) August 2012, ca. 230 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1912-6

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Histoire Lars Bluma, Karsten Uhl (Hg.) Kontrollierte Arbeit – disziplinierte Körper? Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Industriearbeit im 19. und 20. Jahrhundert Februar 2012, 434 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1834-1

Thomas M. Bohn, Victor Shadurski (Hg.) Ein weißer Fleck in Europa ... Die Imagination der Belarus als Kontaktzone zwischen Ost und West (unter Mitarbeit von Albert Weber) 2011, 270 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1897-6

Claudia Dittmar Feindliches Fernsehen Das DDR-Fernsehen und seine Strategien im Umgang mit dem westdeutschen Fernsehen 2010, 494 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1434-3

Petra Hoffmann Weibliche Arbeitswelten in der Wissenschaft Frauen an der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1890-1945 2011, 408 Seiten, kart., 38,80 €, ISBN 978-3-8376-1306-3

Alexandra Klei, Katrin Stoll, Annika Wienert (Hg.) Die Transformation der Lager Annäherungen an die Orte nationalsozialistischer Verbrechen

Timo Luks Der Betrieb als Ort der Moderne Zur Geschichte von Industriearbeit, Ordnungsdenken und Social Engineering im 20. Jahrhundert 2010, 336 Seiten, kart., zahlr. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1428-2

Michael März Linker Protest nach dem Deutschen Herbst Eine Geschichte des linken Spektrums im Schatten des ›starken Staates‹, 1977-1979 März 2012, 420 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2014-6

Patrick Ostermann, Karl-Siegbert Rehberg, Claudia Müller (Hg.) Der Grenzraum als Erinnerungsort Über den Wandel zu einer postnationalen Erinnerungskultur in Europa August 2012, ca. 270 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2066-5

Carola S. Rudnick Die andere Hälfte der Erinnerung Die DDR in der deutschen Geschichtspolitik nach 1989 2011, 770 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1773-3

Stefanie Samida (Hg.) Inszenierte Wissenschaft Zur Popularisierung von Wissen im 19. Jahrhundert 2011, 324 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1637-8

2011, 318 Seiten, kart., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-1179-3

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