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German Pages 263 [264] Year 2014
Die Farben höfischer Körper
Literatur | Theorie | Geschichte Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik Band 6 Herausgegeben von Udo Friedrich, Bruno Quast und Monika Schausten
Carolin Oster
Die Farben höfischer Körper Farbattribuierung und höfische Identität in mittelhochdeutschen Artus- und Tristanromanen
Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen, 2012. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
ISBN 978-3-05-006469-7 eISBN 978-3-05-006534-2 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Akademie Verlag GmbH, Berlin Ein Unternehmen von De Gruyter Titelabbildung: Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, fol. 364r Satz: SatzBild, Panketal Druck und Bindung: Hubert & Co GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1
Farbe als kulturelles Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.2
Farbe und Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.3
Farbe als Forschungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.4
Die Chromophilie des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1.5 Farbsymbolik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.6
Höfische Körper als Zeichen(träger): Körperfarben und ihre identitätsstiftende Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
1.7
Zielsetzung, Methodik und Textcorpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
2
ein lebende bilde: Schönheit und ihre farbigen Variationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2.1
Ästhetik- und Schönheitsdiskurse des Mittelalters im Kontext der Farbigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.1.1 Die Grundlagen der mittelalterlichen Vorstellungen vom Ästhetischen und Schönen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.1.2 Philosophische Definitionen von Ästhetik und Schönheit in Antike und Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.1.2.1 Augustinus – Schönheit, Farbe und Proportion . . . . . . . 41 2.1.2.2 Pseudo-Dionysius Areopagita – Die Schönheit des Lichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.1.2.3 Scholastische Schönheitslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.1.2.4 Das Schöne als das Gute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
6 Inhaltsverzeichnis 2.2
Die Verhandlung des weiblichen Schönheitstopos im höfischen Roman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
2.3
Kleidung und Farbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2.4
Semantiken und Funktionen schöner Frauenkörper im höfischen Artus- und Tristanroman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2.4.1 Enite – Hartmanns von Aue Erec . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
2.4.2 Isolde – Gottfrieds von Straßburg Tristan . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
2.4.3 Florie – Wirnts von Grafenberg Wigalois . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
2.4.4 Amurfina – Heinrichs von dem Türlîn Diu Crône . . . . . . . . . . . 103 2.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
3
in einer varwe gar swarz: Spielarten (genuiner) Hässlichkeitsbeschreibungen und ihre Farben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
3.1
Hässlichkeit und ihre Rechtfertigungen im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . 111 3.1.1 Zum mittelalterlichen Wortfeld von „hässlich“ . . . . . . . . . . . . . 112 3.1.2 Philosophische und theologische Diskurse des Hässlichen in Spätantike und Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3.1.3 Rechtfertigungs- und Bewältigungsstrategien des Hässlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3.1.3.1 Die deformitas Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3.1.3.2 Ursprungsmythen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
3.2
Hässlichkeit und ihre farbigen Limitierungen in der höfischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3.2.1 Körpermerkmale und die varwe des Hässlichen . . . . . . . . . . . . . 128 3.2.1.1 Schwarze Haut als Hässlichkeitsattribut. Ein Exkurs . . 134
3.3
Hässliche Körper im höfischen Artus- und Tristanroman: Eine exemplarische Analyse ihrer Semantiken und Funktionen . . . . . . . . . . . 138 3.3.1 Hässlich im Sinne von nicht-höfisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3.3.2 Funktionen des Hässlichen im Artusroman . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3.3.3 Typologie des Hässlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3.3.4 Semantiken und Funktionen genuiner und irreversibler Hässlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
Inhaltsverzeichnis
7 3.3.4.1 Der Wilde Mann – Hartmanns von Aue Iwein . . . . . . . . 144 3.3.4.2 Wilde Frauen – Wirnts von Grafenberg Wigalois und Heinrichs von dem Türlîn Diu Crône . . . . . . . . . . . . . . 158 3.3.4.3 Der ackerkneht – Heinrichs von dem Türlîn Diu Crône . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
3.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
4 missevar: Farbiges Verkennen und farbiger Selbstverlust: Beschreibungen entstellter Schönheit . . . . . . 183 4.1
Iwein – Hartmanns von Aue Iwein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
4.2
Tristan – Gottfrieds von Straßburg Tristan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
4.3
Rual – Gottfrieds von Straßburg Tristan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
4.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
5
der vremde helt: Farbe als Werkzeug – Täuschung, Tarnung und Verstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
5.1
Tristrant – Eilharts von Oberg Tristrant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
5.2
Lanzelet – Ulrichs von Zatzikhoven Lanzelet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
5.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
6
Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
7
Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
7.1 Primärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 7.2
Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
7.3 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
1
Einleitung
Farben gehören zu allen Zeiten zu den für den Menschen faszinierendsten Erscheinungen der ihn umgebenden Erlebniswelt. Sie zählen in ihrer engen Bindung an die Gefühlswelt zu den unmittelbarsten Erfahrungen eines jeden, entziehen sich aber bis zu einem gewissen Grad auch gleichzeitig der Mittelbarkeit. Farben haben offensichtlich die Kraft, Menschen zu beeinflussen, der Betrachter verbindet sie mit bestimmten Eigenschaften und Empfindungen, die oft, aber nicht immer, nach kulturell geprägten, kollektiven Mustern zugeordnet werden. Gleichzeitig jedoch erschwert gerade ihre spezifische Verfasstheit als zwar basale, aber auch subjektive Erfahrung die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Farbe. Die Kluft zwischen dem vom menschlichen Auge aufgenommenen chromatischen Effekt und der chromatischen Realität der Pigmente und Wellenlängen des Lichts macht Farbe zu einem schwer greifbaren Phänomen. Muss dieses Phänomen nun, um darüber wissenschaftlich verhandeln zu können, noch in das Raster der Sprache gepresst werden, entsteht eine Uneindeutigkeit, mit der jede Beschäftigung mit der Farbe unwillkürlich zu kämpfen hat. Trotz dieser Schwierigkeiten sind Farben in kaum vergleichbarer Art und Intensität für alle Kulturen und Epochen ein Mittel der Kommunikation und der Differenzierung, der Markierung und Auszeichnung.1 Will man sich mit dem Phänomen der Farbe in einer bestimmten Zeit, im Kontext dieser Arbeit auch einer bestimmten literarischen Gattung, beschäftigen, gilt es immer zuerst festzustellen, dass der Gegenstand „Farbe“ nicht allein die optische Erscheinung und deren Gesetzmäßigkeiten umfasst, sondern zugleich ein ganzes System von physikalischen, chemischen, physiologischen, ontologischen, kulturellen und ästhetischen Aspekten. Die Beschäftigung mit der Farbe erfolgt in einem multimedialen und interdisziplinären Feld.2 Trotz des Umstands, dass Farbe zumeist dem ästhetischen Bereich zugeordnet wird, ist also zu konstatieren, dass sie weitaus mehr ist als nur dekoratives Element, sie ist immer auch zugleich ein Bedeutungsträger. Deshalb, so stellt John Gage in seinem
Vgl. Welsch, Norbert; Liebmann, Claus Christian (2004): Farben. Natur, Technik, Kunst. 2. Aufl. München: Elsevier Spektrum Akad. Verlag, hier S. VII. 2 Vgl. Pastoureau, Michel (2009): Black. The History of a Color. Princeton/Oxford: Princeton University Press, hier S. 17. 1
10 Einleitung Werk „Die Sprache der Farben“ fest, ist „Farbbetrachtung gleichzeitig Farbbedeutung“3. Diese Farbbedeutung erschließt sich nicht allein über die Betrachtung der Farben in den Erzeugnissen der bildenden Kunst, sondern auch gerade in literarischen Zeugnissen. Farbe verfügt über eine Geschichte, die Rekonstruktion dieser Geschichte muss sich immer auch auf zeitgenössische fiktionale, aber auch auf philosophische, wissenschaftliche und technische Literatur stützen. Literatur transportiert historisches Wissen und kulturelle Konzepte in einer ihr eigenen Darstellungsästhetik bei der auch, so Claudia Lauer, „kulturell vorgegebene Wissenskomplexe und -zusammenhänge wie Farbsysteme und Farbbedeutungen in die Literatur eingehen, aber über verschiedene Grade des Fingierens auch darüber hinausgehen können.“4 Dies gilt auch im Besonderen für die auf Visualität und Materialität ausgelegte Literatur des hohen Mittelalters, die volkssprachliche höfische Epik des 12. und 13. Jahrhunderts. Wie Monika Schausten 2008 in ihrer Arbeit zu Wolframs Parzival5 herausstellt, partizipiert im Speziellen die höfische Literatur in ihrer Darstellungsästhetik an der „Chromophilie“ des Mittelalters, der dem gesamten christlichen Mittelalter eignenden Lust an der Farbe. Über den rein ästhetischen, dekorativen Effekt hinaus wird über die Farben in einer spezifischen Farbsemantik, einem Farbencode, Sinn vermittelt. Die literarischen Erzeugnisse des Mittelalters bereiten ihre Inhalte für die Ohren, aber auch für das innere Auge des Publikums auf. Aus diesem der Vortragssituation und der mittelalterlichen Medialität zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit geschuldeten Umstand entwickelt diese Literatur eine eigenständige Poetik, die sich nicht zuletzt als eine „Poetik der Visualität“ beschreiben lässt.6 Zu den Visualisierungsstrategien dieser Poetik gehört auch der Einsatz von Farben zur Sinnbesetzung und -vermittlung. Besonders auffällig wird dies nicht nur in den ekphrastischen Beschreibungen von Räumen und Objekten7 der literarischen Welt, sondern insbesondere auch in den Körper- und Kleidungsbeschreibungen der höfischen Epik um 1200. Die Farbdeskriptionen, welche die hochmittelalterliche Literatur zahlreich durchziehen, sind bisher kaum in den Fokus einer wissenschaftlichen Analyse
Gage, John (1999): Die Sprache der Farben. Bedeutungswandel der Farbe in der bildenden Kunst. Ravensburg: Ravensburger Buchverlag, hier S. 67. 4 Lauer, Claudia (2011): Bunter Zufall? Farben und Farbsemantiken in der ‚Krone‘ Heinrichs von dem Türlin. In: Ingrid Bennewitz und Andrea Schindler (Hg.): Farbe im Mittelalter. Materialität – Medialität – Semantik. Akten des 13. Symposiums des Mediävistenverbandes vom 1. bis 5. März 2009 in Bamberg, Bd. 2. 2 Bände. Berlin: Akademie Verlag Berlin, S. 439–460, hier S. 440. 5 Schausten, Monika (2008): Vom Fall in die Farbe. Chromophilie in Wolframs von Eschenbach „Parzival“. In: Beiträge zur deutschen Literatur und Sprache (PBB) 130, Heft 3, S. 459–482. 6 Vgl. ausführlich Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 460. Für einen Diskursüberblick vgl. auch Peters, Ursula (2006): From Social History to the Poetics of the Visual. Philology of the Middle Ages as Cultural History. In: JEGP 2006 (105), S. 185–206, und Horst Wenzel [u.a.] (Hg.) (2006): Visualisierungsstrategien in mittelalterlichen Bildern und Texten. Berlin: Schmidt (Philologische Studien und Quellen, 195). 7 Zur mittelalterlichen Ekphrasis ausführlich: Wandhoff, Haiko (2003): Ekphrasis. Kunstbeschreibungen und virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters. Berlin; New York: de Guyter. 3
Farbe als kulturelles Phänomen
11
gerückt worden. Zwar konstatieren Arbeiten zu den descriptiones, den Schönheits- und Hässlichkeitsdarstellungen, den Kleiderbeschreibungen stets die überbordende Farbigkeit des Beschriebenen, aber über einen Hinweis auf die dekorative Funktion der Farben geht die Betrachtung meist nicht hinaus. Dabei implementieren vor allem die Farben der Figuren und damit des Körpers, der Kleidung und des Schmucks eine eigene Semantik, einen Farbdiskurs, sie schreiben über die Zeichenfunktion der Farben der Figur Sinn zu. Dieser Sinn ist „von einer überindividuellen, gesellschaftsbezogenen und deiktischen Natur“.8 Die Farben der Figuren tragen so grundlegend zur Identitätskonstruktion im höfischen Roman bei. Auch Herman Pleij definiert Farben für das Mittelalter als machtvolle, identitätsstiftende Instrumente: For one thing, color enables us to distinguish one object from another more easily. Color also gives pleasure to those who perceive it, as well as bestowing power, beauty, and value on what it colors. And, last but not least, color lends people identity, security and strength.9
Ziel dieser Analyse ist es, dieser identitätsstiftenden Funktion der Farbe in den Figurendeskriptionen anhand ausgewählter Beispiele nachzugehen. Dazu müssen auch der Deutungskontext und das polyvalente symbolische Bedeutungsspektrum der jeweiligen Farben betrachtet werden. Zuerst sollen nun einige grundlegende Betrachtungen zur Natur der Farbe und zu den Schwierigkeiten der Beschäftigung mit ihr dargelegt werden.
1.1 Farbe als kulturelles Phänomen Das durchschnittliche menschliche Auge kann von dem enormen Frequenzbereich des Lichtes nur einen sehr kleinen Teil wahrnehmen – den mit Wellenlängen zwischen 0,00038 und 0,00075 Millimetern. Diesen Wellenbereich kennen wir als das sichtbare Licht.10 Ausgehend von dieser physikalischen Farbwahrnehmung, welche fast alle Menschen teilen, stellt sich Farbe als eines der grundlegendsten Phänomene in der den Menschen umgebenden Welt dar. Jedwede menschliche Lebenserfahrung ist verknüpft mit der Wahrnehmung von Farben, und diese Farbwahrnehmung und vor allem ihre Wiedergabe in der Sprache sind eng an die Kultur geknüpft, in der sie stattfinden.
Meier, Christel; Suntrup, Rudolf (1987): Zum Lexikon der Farbenbedeutungen im Mittelalter. Einführung zu Gegenstand und Methoden sowie Probeartikel aus dem Farbenbereich ,Rot‘. In: Frühmittelalterliche Studien, 21 (1987), S. 390–477, hier S. 399. 9 Pleij, Herman (2004): Colors Demonic and Divine. Shades of meaning in the Middle Ages and after. New York: Columbia Univ. Press, hier S. 63f. 10 Vgl. Finlay, Victoria (2003): Das Geheimnis der Farben. Eine Kulturgeschichte. 2. Aufl. München: Claassen, S. 15. 8
12 Einleitung Der französische Historiker Michel Pastoureau fasst Farbe in seinen Werken „Black“ und „Blue“11 vorrangig als kulturelles Phänomen auf.12 Alle Beschäftigung mit Farben beruhe auf kultureller Relativität: Farbe müsse immer in dem Rahmen von Zeit und Raum sowie dem kulturellen Kontext betrachtet werden, in dem sie verwendet wird. Nicht der Künstler, Schriftsteller oder Wissenschaftler, nicht einmal der biologische Vorgang des Farbensehens bestimme die tatsächliche Wahrnehmung der Farbe, den chromatischen Effekt, sondern der soziale Kontext erst „erschaffe“ sie.13 Alle Komponenten einer Kultur müssten bei der Beschäftigung mit Farben berücksichtigt werden: [T]he lexicon and phenomena of naming, the chemistry of pigments and colorants, the techniques of painting and dyeing, the systems of dress and the codes underlying them, the place of color in daily life and in material culture, the regulations issued by authorities, the moral standards of the church, the speculations of science, the creations of artists.14
Daraus resultierend ist Farbe als Gegenstand einer historischen Anthropologie ein dynamisches Phänomen. Bei einer diachronen Analyse wird man unweigerlich auf Veränderungen, Innovationen, auf das Auftauchen und Verschwinden, die Bevorzugung oder Ablehnung bestimmter Farben stoßen. Des Weiteren ist Farbwahrnehmung eng gekoppelt an das Subjekt, welches sie vollzieht. Farbe hat eine psychophysische Wirkung, einen Einfluss auf die Gefühlswelt des Betrachters. Diese psychische Wirkung, die den Farben zugeschrieben wird, resultiert zum Teil aus einem Grundempfinden des Menschen, zum Teil auch aus verfestigten Symbolwirkungen und kulturellen Vorstellungen. Prominentester Vertreter dieses Verständnisses von der „sittlichen Konnotation“ der Farbe ist bekanntlich Goethe. In seiner Farbenlehre (1810) vertritt er die Ansicht, dass Farbe direkt auf den Geist und das menschlichen Empfinden einwirke.15 Diese Vorstellung vom Gefühlswert der Farbe sei jedoch ein vor allem nachmittelalterlicher Ansatz, so betonen Christel Meier und Rudolf Suntrup, die Farbenbedeutung des Mittelalters sei hingegen im weitesten Sinne mit dem
Pastoureau (2009): Black, und ders. (2001): Blue. The History of a Color. Princeton, NJ: Princeton Univ. Press. 12 Pastoureau (2001): Blue: „Color is a natural phenomenon, of course, but it is also a complex cultural construct that resists generalization and, indeed, analysis itself. It raises numerous and difficult questions. […] Color is first and foremost a social phenomenon. There is no transcultural truth to color perception […].“ (S. 7) 13 So auch bei Eco, Umberto (1985): How Culture Conditions The Colours We See. In: M. Blonsky (Hg.): On Signs. Baltimore: Johns Hopkins University Press, S. 157–175, hier S. 157. 14 Pastoureau (2009): Black, S. 16. 15 Vgl. Gage, John (2009): Kulturgeschichte der Farbe. Von der Antike bis zur Gegenwart. Übersetzt von Magda Moses und Bram Opstelten. Leipzig: E. A. Seemann Verlag, hier S. 204. Zu Goethes Farbverständnis siehe auch Schausten, Monika (2012): Die Farben imaginierter Welten in Literatur und Kunst der Vormoderne und der Neuzeit. Zur Einführung. In: Schausten, Monika (Hg.) (2012): Die Farben imaginierter Welten. Zur Kulturgeschichte ihrer Codierung in Literatur und Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Berlin: Akademie Verlag. S. 11–29, hier S. 19f. 11
Farbe und Sprache
13
Begriff der repraesentatio zu charakterisieren, womit Farben vorrangig als Zeichen in objektiven Verweiszusammenhängen erschienen.16 Farbe ist mithin vor allem eine cultural matter, eine kulturelle Angelegenheit. Beim Umgang mit einem Farbterminus besteht und entsteht immer eine Verbindung und Korrelation mit einem kulturell determinierten Konnotationssystem. Die Umsetzung des sensorischen Stimulus Farbe wird durch semiotische Relationen zwischen dem linguistischen Ausdruck und der kulturell festgelegten Bedeutung geleitet.17 Die wissenschaftliche Betrachtung von Farbe ist somit immer eine kulturelle Problemstellung, gefiltert durch das linguistische System der Sprache – was weitere Probleme mit sich bringt, denn Sprache eignet sich nur sehr bedingt zur Wiedergabe des Phänomens „Farbe“.
1.2 Farbe und Sprache Auch Farbnamen und -bezeichnungen sind eng an die jeweilige Kultur geknüpft, in der sie verwendet werden. Während Sprache stark davon beeinflusst ist, wie eine bestimmte Gesellschaft ihre Wertsysteme und ihre Ideen definiert, so ist im Gegenzug die Farbwahrnehmung der Mitglieder dieser Gesellschaft eng geknüpft an das ihnen zur Verfügung stehende Farbvokabular.18 Eine Arbeit, die sich mit der Zeichenhaftigkeit der Farben in der mittelalterlichen Literatur beschäftigt, sieht sich daher mit einem Problem konfrontiert, auf welches die Forschung bereits zuvor hingewiesen hat: Der, um es mit Christel Meiers Worten zu sagen, „Schwierigkeit, über Farben zu reden“.19 Sprache als eines der grundlegendsten Kommunikationsmittel des Menschen, sei sie nun gesprochen oder geschrieben, vermag nur sehr eingeschränkt, die basale Erfahrung von „Farbe“ wiederzugeben.20 Meier charakterisiert dieses Problem als eines der Intermedialität zwischen Wort und Bild bzw. Gedanke. Bei der Übersetzung visueller Phänomene ins Sprachliche kommt es durch die Beschränktheit und starke Segmentierung der Sprache zu Problemen. Der Mensch ist in der Lage, beinahe unendlich viele Farbvalenzen visuell zu unterscheiden21, hat für deren sprachliche Umsetzung aber nur eine begrenzte Anzahl an Farbwör Meier/Suntrup (1997): Zum Lexikon der Farbenbedeutungen (Probeartikel ,Rot‘), S. 399f. Vgl. Eco (1985): How Culture Conditions, S. 160. 18 Eco (1985): How Culture Conditions, S. 175: „Just as language is determined by the way in which society sets up systems of values, things and ideas, so our chromatic perception is determined by language.“ (S. 175). 19 Meier, Christel (2006): Von der Schwierigkeit, über Farben zu reden. In: Michael Scheffel, Silke Grothues und Ruth Sassenhausen (Hg.): Ästhetische Transgression. Festschrift für Ulrich Ernst zum 60. Geburtstag. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier, S. 81–99. 20 Vgl. dazu Schausten (2012): Die Farben imaginierter Welten in Literatur und Kunst der Vormoderne und der Neuzeit. Zur Einführung. S. 11ff. 21 Eco spricht von einer Zahl zwischen 7,5 und 10 Millionen Farben, die das menschliche Auge theoretisch unterscheiden kann. (Vgl. Eco [1985]: How Culture Conditions, S. 167f.). 16 17
14 Einleitung tern zur Verfügung. Damit erscheint die Sprache als System zur Beschreibung von Farben unzulänglich, dem Phänomen der Farbe nachzugehen bedeutet immer, sich den Grenzen der Sprache anzunähern. Farbbezeichnungen gehören zu den Grundbausteinen, den Universalien jeder natürlichen Sprache. Einer Untersuchung von Berlin und Kay aus dem Jahr 196922 zufolge verfügen ausdifferenzierte menschliche Kulturen über nur 11 basale Farbbezeichnungen23, die ergänzt werden durch Mischfarben und Zwischennuancen, deren Bezeichnungen oft auf Vergleichen mit typisch gefärbten Objekten beruhen (Grasgrün, Zitronengelb, Feuerrot etc.). Da die Fähigkeit des Menschen, Farben zu umschreiben, sehr beschränkt ist, nennt er beispielhaft Dinge, die diese Farbe besitzen – er verlegt sich auf die vermittelnde Funktion von Dingassoziationen.24 Somit erscheinen Farben kaum als eigenständige, erfassbare Gegenstände, sondern vielmehr als Attribute von Gegenständen im weitesten Sinne. Wir sprechen selten über Farben als eigenständige Einheiten, sondern über die Dinge, in denen sie sich substantiieren.25 Bei der Umsetzung und Wiedergabe von Farben in der geschriebenen Sprache entstehen durch die Unvereinbarkeit der Konzepte so zwei grundlegende Probleme: (1) die Tatsache, dass ein Farbwort eine ganze Bandbreite an Abstufungen innerhalb des Farbenspektrums abdecken muss, und (2) die Unbeständigkeit von Farbbezeichnungen im Verlauf der Geschichte einer Sprache. Diese Unbeständigkeit des Farbvokabulars hat Auswirkungen auf die damit eng verknüpfte Farbsymbolik: Ist die Farbterminologie in machen Punkten vieldeutig und unklar, so ist es auch die daran geknüpfte Farbsymbolik.26
1.3 Farbe als Forschungsproblem Auch aufgrund dieser zuvor beschriebenen Schwierigkeiten wurde das Phänomen „Farbe“ bisher in der Forschung vergleichsweise zurückhaltend behandelt. Obwohl Farbe den meisten Menschen als ein unmittelbares und eindeutiges Phänomen erscheint, Berlin, Brent; Kay, Paul (1969): Basic Color Terms. Their Universality and Evolution. Berkeley/Los Angeles: University of California Press. Berlin und Kay untersuchten 98 Sprachen auf ihr Farbvokabular hin. Ihren Ergebnissen zufolge gibt es eine feste chronologische Ordnung, nach der sich die Evolution von Farbbezeichnungen in der Genese einer Kultur vollzieht, eine temporal-evolutionäre Ordnung. Nach Berlins und Kays These gibt es weiterhin eine Korrelation zwischen der Komplexität, d.h. der Entwicklungsstufe einer Kultur und der Komplexität ihres Farbvokabulars (vgl. S. 16ff.). Diese Thesen sind in der heutigen Forschung allerdings umstritten. 23 Vgl. Berlin/Kay (1969): Basic Color Terms, S. 2. So sollen sich die Farbadjektive wie folgt entwickeln: (1) Weiß und Schwarz – (2) Rot – (3) Grün oder Gelb – (4) Grün und Gelb – (5) Blau – (6) Braun – (7) Violett, Rosa, Orange, Grau in unspezifischer Reihenfolge. 24 Vgl. Meier (2006): Von der Schwierigkeit, S. 85. 25 Diese Gegenstände wiederum beeinflussen die Wahrnehmung der Farbe durch Eigenschaften wie Oberflächenqualität oder Reflexionsfähigkeit des Lichtes. 26 So Gage (1993): Kulturgeschichte der Farbe, S. 79. 22
Farbe als Forschungsproblem
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erweist sich die systematische, wissenschaftliche Beschäftigung mit ihr als problematisch, und das sowohl in der naturwissenschaftlichen wie auch kultur- und literaturwissenschaftlichen Perspektive. Daraus entsteht im Rückblick auf die geisteswissenschaftliche Forschungsgeschichte – mit Ausnahme der Linguistik und der Psychophysik – eine Vernachlässigung des Gegenstands Farbe, der erst in den letzten Jahrzehnten durch einige Arbeiten ins Blickfeld der wissenschaftlichen Beschäftigung gerückt ist: Zu nennen ist hier aus dem Bereich der Kunstgeschichte vor allem John Gages „Kulturgeschichte der Farbe“ (1993), die einen Überblick über den ästhetischen Farbdiskurs im Hinblick auf Farbe als Material und Symbol in der abendländischen Kulturentwicklung bietet. Ebenfalls mit Farben in kultur- und kunsthistorischer sowie mentalitätengeschichtlicher Sicht beschäftigen sich die Untersuchungen „Blue“ (2001) und „Black“ (2009) des Historikers Michel Pastoureau, sowie die Arbeit von Herman Pleij (2004)27, der spezifisch die Farbencodes des Mittelalters untersucht. Die Arbeiten Christel Meiers und Rudolf Suntrups widmen sich der Auslegung von Farben im Kontext der Bibelallegorese.28 Speziell für die mediävistische Literatur- und Kulturwissenschaft bedeutsam ist der Tagungsband „Farbe im Mittelalter“29, der sich mit Farbe in Architektur und Malerei, Farbterminologie, Farbe im Kontext von Religion und Politik des Mittelalters sowie mit Farbsemantiken in der höfischen Literatur beschäftigt. Der Tagungsband „Die Farben imaginierter Welten“30 wiederum versammelt Beiträge aus der Älteren und der Neueren Literaturwissenschaft sowie der Kunstgeschichte und betrachtet Farbe aus den Blickwinkeln der Poetologie und Ästhetik, der gesellschaftlichen Ordnungen und Identitätskonzepte, der historischen Anthropologie und der Medialität. Aber ist die lange vorherrschende Nichtbeachtung der Farbe in der Forschung allein dem problematischen Gegenstand geschuldet? Will man der provokanten These des Kunsttheoretikers und Künstlers David Batchelor Glauben schenken, die er in seinem Essay „Chromophobia“ (2000)31 aufstellt, dann ist der Blick auf die Farbe möglicherweise durch eine neuzeitliche Ästhetik verstellt, die, basierend auf der Adaptation der klassischen Antike im 18. Jahrhundert, dazu tendiert, Farbe konsequent zurückzudrängen und negativ zu besetzen.32 Batchelors These ist eine gewagte: Das Schicksal der westlichen Kultur sei eng mit der Farbe verbunden, vor allem mit deren Verurteilung und Pleij (2004): Colors Demonic and Divine, im niederländischen Original (2002): Van karmijn, purper en blauw. Over kleuren van de Middeleeuwen en daarna. 28 Meier, Christel; Suntrup, Rudolf (2011): Lexikon der Farbenbedeutungen im Mittelalter. Teil 2. CDRom. Köln: Böhlau Verlag & Cie, und dazugehörigen Vorarbeiten. 29 Bennewitz, Ingrid; Schindler, Andrea (Hg.) (2011): Farbe im Mittelalter. Materialität – Medialität – Semantik. Akten des 13. Symposiums des Mediävistenverbandes vom 1. bis 5. März 2009 in Bamberg. 2 Bände. Berlin: Akademie Verlag Berlin. 30 Schausten, Monika (Hg.) (2012): Die Farben imaginierter Welten. Zur Kulturgeschichte ihrer Codierung in Literatur und Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Berlin: Akademie Verlag. 31 Batchelor, David (2000): Chromophobia. London: Reaktion Books (Focus on contemporary issues), in deutscher Ausgabe: Batchelor, David (2002): Chromophobie. Angst vor der Farbe. Wien: WUV. 32 Vgl. dazu auch Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 463ff. 27
16 Einleitung Verdrängung. Farbe sei entweder als Eigenschaft des Fremden stigmatisiert und damit als gefährlich, oder als oberflächlich und zweitrangig abgehandelt worden. Dahingegen würden Form, Gegenstand, Zeichnung, Komposition und Linie bevorzugt. Dies habe zu einer wahrhaften Chromophobie der abendländischen Kultur geführt.33 Jedoch, und darauf weist bereits Schausten 2008 hin, steht diese angebliche Chromophobie der westlichabendländischen Welt, welche Batchelor propagiert, einer der Farbe in allen Lebensbereichen zugewandten Strömung gegenüber, die besonders das Mittelalter wie auch die Kunst der Antike maßgeblich kennzeichnet. Dieser „Chromophilie“ und dem damit verknüpften komplexen Diskurs über die Farbe im Mittelalter jedenfalls wird Batchelors These keinesfalls gerecht.34
1.4 Die Chromophilie des Mittelalters Dass die Vorstellung vom „düsteren Mittelalter“, wie sie in der Populärkultur so häufig propagiert wird, bei weitem nicht der Realität entspricht, ist von der mediävistischen Forschung bereits mehrfach betont worden. Ganz im Gegenteil unterhält besonders diese Epoche eine, wie es Pleij beschreibt, beinahe schon obsessive Faszination mit allem Farbigen: „If any one era could be singled out as being the most obsessed with color, it would be the Middle Ages.“35 In einer Art wahren „paint and color mania“36 wurden alle Gegenstände, bei denen dieses möglich war, eingefärbt. Diese über das natürliche Maß gesteigerte Buntheit ist aber nicht alleinig Ausdruck des mittelalterlichen ästhetischen Empfindens, vielmehr dienen die Farben als eine „Zeichen-Sprache“, mit deren Hilfe jedem Objekt der Lebenswelt polyvalente Informationen eingeschrieben werden können. Farben transportieren also im Rahmen der höfischen Repräsentationskultur Sinn, sie dienen „nicht einer rein mimetischen Abbildung der Materialität der Adelskultur.“37 Diese ganz offensichtlich breit und nicht zuletzt in ihren Literaturen dokumentierte Chromophilie mittelalterlicher Gesellschaften weist den Farben eine für ihre Selbstdarstellung sowie für die Konstruktion kollektiver christlicher und säkularer Identitäten wohl bedeutsame Funktion zu.38
Farbe gilt im Mittelalter als stark abhängig von ihrem Trägermedium, ein Objekt und seine Farbe werden als eng verknüpft betrachtet. Daher sagt die Farbe einer Sache oder eines Körpers auch immer etwas über ihre Natur, ihr Wesen aus. Farben dienen folglich als Werkzeug, mit dem Haltungen, Ansichten oder Gefühle nach außen projiziert
35 36 37 38 33 34
Vgl. Batchelor (2002): Chromophobie, S. 20. Vgl. Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 465. Pleij (2004): Colors Demonic and Divine, S. 4. Pleij (2004): Colors Demonic and Divine, S. 5. Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 470. Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 466.
Die Chromophilie des Mittelalters
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werden können.39 Weiterhin gelten Farben als Zeichen von Macht und Wohlstand, daher überschlagen sich vor allem der Hof und der höfische Kontext in ihrer Farbigkeit. Überbordende Polychromie wird zum Aushängeschild des Höfischen – ein Aspekt, der sich auch besonders für die höfische Literatur festhalten lässt. Auch diese setzt auf reine, klare Farben: grasgrün, blutrot, lilienweiß, lasurblau, kohlschwarz – leuchtend präsentiert sich die höfische Welt in ihr. Es gibt Superlative und Farbabstufungen, aber keine Verläufe.40 So lässt sich bei der Farbwahl in der Literatur bereits die Vorherrschaft der reinen, ungebrochenen, ungemischten Farbe feststellen, welche für das Mittelalter bezeichnend ist. Es bedient sich einer noch eingeschränkten Farbpalette mit chromatisch kräftigen Farben, die auf antike Farbtheorien, vor allem die Vierfarbentheorie, zurückgeht, in welcher die Farben mit Vorliebe in starken Kontrasten präsentiert werden. Zur objektiven Schönheit der Materie gehören die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften wie Glanz, Lichtdurchlässigkeit und Reflexionsfähigkeit. Man ist bedacht, Gegenstände so leuchtend wie nur möglich zu gestalten, da man Schönheit mit Leuchtkraft gleichsetzt.41 Die Lust der mittelalterlichen Kultur an der Farbe zeigt sich auch in ihrer Kunstgestaltung. Auch sie arbeitet mit einer gewissen Einfachheit, nutzt Elementarfarben mit abgesetzten Vollton-Farbflächen, setzt auf das Nebeneinander dessen, was wir heute als stark kontrastierende Farben verstehen, welche in Kombination einen leuchtenden Lichteffekt kreieren. Hier haben die Farben jedoch weniger eine abbildende als eine sinnstiftende Funktion, daher können sie auch durchaus von der natürlichen Farbgebung der dargestellten Objekte abweichen.42 Die Anzahl an verwendeten Farbtönen ist gering, da die Praxis des Farbenmischens nicht üblich ist und dem symbolischen Farbdenken entgegen steht. Vielmehr ist die Farbgestaltung der mittelalterlichen Kunst auf Symbolwirkung über Harmonien und Kontraste ausgelegt.43 Die Hochschätzung des Mittelalters für die Farbe hat ihre Wurzeln in der Antike, welche sich bereits intensiv mit Farben und Farbtheorie beschäftigt und vor allem dem Glanz und
Vgl. Pleij (2004): Colors Demonic and Divine, S. 10. Vgl. Eco, Umberto (1991): Kunst und Schönheit im Mittelalter. Aus dem Italienischen von Günter Memmert. München: Carl Hanser Verlag, hier S. 68. 41 Vgl. Assunto, Rosario (1996): Die Theorie des Schönen im Mittelalter. Übers. aus dem Ital. und Latein v. Christa Baumgarth. Sonderausgabe. 2. Aufl. Köln: DuMont, hier S. 63. 42 Die symbolische und ornamentale Flächengestaltung in Kombination mit Zahlenproportion und Farbsymbolik steht mehr im Vordergrund als neuzeitliche Prinzipien wie Raumillusion, Plastizität oder Stofflichkeitsillusion. Vgl. dazu Linares, Marina (2011): Kunst und Kultur im Mittelalter. Farbschemata und Farbsymbole. In: Bennewitz/Schindler (Hg.): Farbe im Mittelalter. Materialität – Medialität – Semantik. Akten des 13. Symposiums des Mediävistenverbandes vom 1. bis 5. März 2009 in Bamberg, Bd. 1. 2 Bände. Berlin: Akademie Verlag Berlin, S. 297–311, hier S. 300f. 43 Vgl. Dittmann, Lorenz (2010): Farbgestaltung in der europäischen Malerei. Ein Handbuch. Köln: Böhlau (UTB Kunstgeschichte, Kunstwissenschaft, 8429), hier S. 10. 39 40
18 Einleitung der Strahlkraft der Farbe hohen Wert zumisst.44 Aus den antiken Farbenlehren erwächst ein Vierfarbenschema von Weiß, Schwarz, Rot und Gelb (Ockergelb, Grüngelb bis hin zu einem unbestimmt fahlen Farbton), welches auch den Grundstein der mittelalterlichen Farbpoetik darstellt.45 Das Vierfarbenschema wird von Platon und Aristoteles46 aufgenommen und ist die Grundlage für sämtliche späteren Farbordnungen bis hin zu Newton. Mit den aus der Antike überlieferten Farbmodellen arbeiten bis ins hohe Mittelalter Gelehrte und Theologen wie Isidor von Sevilla, Robert Grosseteste, Wilhelm von Auvergne, Bartholomäus Anglicus, Vinzenz von Beauvais, Thomas von Aquin und Roger Bacon.47 Das Mittelalter beurteilt eine Farbe nach ihrer Position auf einer Skala zwischen den Polen Hell und Dunkel, oftmals verstanden als Kontrast von Tag und Nacht, Licht und Schatten.48 Die Pole der Farbskala sind eindeutig Schwarz und Weiß – alles dazwischen ist schwieriger festzulegen. Gelegentlich wird Grün49, andernorts Rot50 als Mittelfarbe der Skala bestimmt. Festzuhalten ist, dass beide Farben einen besonderen Status in der mittelalterlichen Farbentheorie einnehmen:
Dass die Annahme, die Antike habe monochromes, reines Weiß als alleinige Verkörperung der Perfektion verstanden, eine unzutreffende Fehlinterpretation archäologischer Funde ist, wurde von der Forschung inzwischen mehrfach betont, zuletzt von: Haag, Saskia (2012): Bunte Antike in Schwarzweiß. Zur Darstellung antiker Kunst um 1830. In: Schausten, Monika (Hg.) (2012): Die Farben imaginierter Welten. Zur Kulturgeschichte ihrer Codierung in Literatur und Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Berlin: Akademie Verlag. S. 111–121. 45 Vgl. für einen Überblick über die antiken Farbtheorien: Gage (1993): Kulturgeschichte der Farbe, S. 11ff., und Lersch, Thomas (1981): Art. „Farbenlehre“. In: Zentralinstitut für Kunstgeschichte München (Hg.): Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte. Begonnen von Otto Schmitt. Stuttgart: Metzler (Band VII: Farbe, Farbmittel – Fensterladen), Sp. 157–274, hier Sp. 158–166. 46 Bei Aristoteles finden sich umfassende theoretische Auseinandersetzungen mit dem Thema Farbe. Für ihn entstehen alle Farben aus bestimmten Mischungsverhältnissen von Schwarz und Weiß. Zwischen diesen beiden Polen siedelt er fünf unvermischte Farben an: Tiefblau (Ultramarin), Grün, Violett (Purpur), Scharlachrot und Gelb. Damit entsteht eine siebenfarbige Skala, gestaffelt nach Eigenhelligkeit. 47 Dazu ausführlich Lersch (1981): Art. „Farbenlehre“. Sp. 166–182, weiterhin Welsch/Liebmann (2004): Farben, S. 117f. 48 Das mittelalterliche Farbverständnis orientiert sich am Tonwert und der Helligkeit einer Farbe, während sich moderne Farbordnungen auf ein dreidimensionales System von Buntart, Helligkeit und Sättigung stützen. Diese Farbmetrik bestimmt Farben mithilfe von Angaben zu Farbton (Buntart, Buntton), Sättigung (Reinheit) und Helligkeit und macht Farben so in Form von Zahlen- und Buchstabenkombinationen greifbar. 49 Innozenz III. etwa plädiert bei der Festlegung der grünen Farbe für die liturgischen Gewänder der weniger bedeutenden Festtage damit, dass Grün mittig zwischen Weiß, Schwarz und Rot angesiedelt sei; und auch Wilhelm von Auvergne betrachtete Grün als Mittelwert der Farbskala und damit als noch schöner als das Rot, ähnlich äußert sich auch Hugo von St. Viktor. (vgl. Gage [1999]: Sprache der Farben, S. 71; Pleij [2004]: Colors Demonic and Divine, S. 84). 50 So etwa Roger Bacon. In den meisten antiken und mittelalterlichen Quellen jedoch ist Rot eher dem hellen Ende der Farbenskala zugeordnet und wird neben Gelb angesiedelt. (Gage [1999]: Sprache der Farben, S. 72). 44
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Gerade im Mittelalter war die Beziehung zwischen Rot und Grün wohl am engsten, weil beide als Mittelglied auf der Farbskala galten und Schönheit und Harmonie nach mittelalterlichem Verständnis im Mittelweg zwischen den Extremen bestand. In der Kleidung war die Kombination von Rot und Grün im späten Mittelalter mit die beliebteste, insbesondere im nördlichen Europa.51
Rot taucht in fast allen Kulturen als erste Farbdistinktion nach Schwarz und Weiß auf.52 Es zeigt sich deutlich, dass die Farbtrias Schwarz-Weiß-Rot in Europa, aber auch in Afrika und Asien, tatsächlich die elementarste und dominanteste Farbkombination darstellt, wobei das meist negativ besetzte Schwarz als Gegensatz zu den positiv konnotierten Farben Weiß und Rot fungiert.53 Diese drei Farben haben auch die ausgeprägteste, am breitesten gefächerte Symbolik. Die Grundfarben der mittelalterlichen Farbordnung sind somit unter Rückgriff auf die Vierfarbenlehre der Antike Schwarz, Weiß und Rot, häufig ergänzt durch Grün oder Gelb(grün). Diese Farbordnung bleibt bis ins hohe Mittelalter bestehen, wo sie durch den Aufstieg der Farbe Blau erweitert wird und schließlich, auch unter Einfluss der sich entwickelnden Heraldik, in ein Farbsystem von sechs Grundfarben – Schwarz, Weiß, Rot, Gelb, Grün, Blau – übergeht.54 Diese leuchtenden Farben der mittelalterlichen Kultur, und dazu gehören in besonderer Intensität auch die Farben der Literatur, haben eine Zeichenfunktion, sie schaffen Struktur, können sowohl ordnungsstiftende als auch irritierende Elemente sein.55 Um dieser Funktion nachzugehen, müssen zuerst einige Grundlagen des mittelalterlichen Farbverständnisses beleuchtet werden, vor allem die komplexe Farbsymbolik mit ihren Wurzeln in der christlichen Allegorese und der Zusammenhang von Licht und Farbe, als auch nicht zuletzt der zweischneidige Status der Farbe, welchen sie im mittelalterlichen gelehrten Diskurs innehat und welcher auf der Grundlage naturwissenschaftlicher, aber immer auch christlich-theologischer Perspektive den Rang der Farben in der Schöpfung diskutiert.
1.5 Farbsymbolik Die grundlegendste kulturelle Funktion der Farbe ist die des Klassifizierens, Unterscheidens, Markierens, der Bekanntmachung, des Ausweises, die Funktion von Kombination und Kontrastierung.56 Dabei überschneiden sich Gegebenheiten von Materialien und 53 54 55 56 51 52
Gage (1993): Kulturgeschichte der Farbe, S. 90. Dies bestätigt auch die Studie von Berlin und Kay (1969): Basic Color Terms. Vgl. Gage (1993): Kulturgeschichte der Farbe, S. 79. Vgl. Pastoureau (2009): Black, S. 40. Vgl. Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 470. So auch bei Hermann, Alfred (1969): Art. „Farbe“. In: Theodor Klauser (Hg.): Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt. Stuttgart: Anton Hiersemann (Band VII: Exkommunikation – Fluchformeln), Sp. 358–447, hier Sp. 359.
20 Einleitung deren Verfügbarkeit mit sozialen, ideologischen und symbolischen Kategorien der Sinnbesetzung.57 Farbe fungiert als Zeichen.58 Jedoch ist sie bei weitem nicht festgelegt auf einen einzelnen Sinn, vielmehr erweisen sich insbesondere Farben als polyvalent, unter Umständen auch ambivalent mit Sinn besetzt. Es gibt kaum eine andere Erscheinung in der den Menschen umgebenden Welt, die so eng mit Symbolik verbunden ist wie Farbe. Für das Mittelalter scheint dies in noch gesteigerter Form zuzutreffen. Die Welt erscheint als ein von Gottes Hand geschriebenes Buch, in welchem alle Dinge, auch die Farben, eine mystische oder moralische Bedeutung erhalten. Welche Bedeutung dies ist, und ob Farbe darin positiv oder negativ besetzt ist, hängt von dem Symbolsystem ab, welches evoziert wird. Weiterhin sind diese Symbolsysteme einer zeitlichen Veränderung unterworfen; so kann eine Farbe zuerst hochgeschätzt, später aber verteufelt werden.59 Die Polyvalenz der Bedeutungszuschreibungen stellt ein Problem bei der Beschäftigung mit dem Sinngehalt von Farben in der Literatur dar, denn sie macht diesen nur schwerlich greifbar, zugleich ermöglicht diese Polyvalenz es aber auch, in Form eines Farbencodes einem Gegenstand oder Lebewesen vielschichtig Informationen „auf den Leib zu schreiben“, ohne diese explizieren zu müssen. Wie das Phänomen „Farbe“ allgemein, so ist auch die Farbsymbolik eng kulturgebunden. Je nach Herkunftskultur erfüllt sie unterschiedlichste Aufgaben im alltäglichen wie auch im religiösen Kontext.60 Die Farbsymbolik der verschiedenen Kulturen erscheint wenig einheitlich, jedoch gibt es einige grundlegende Übereinstimmungen: An der Basis steht der Kontrast von Schwarz und Weiß, was zurückzuführen ist auf die erlebnisweltliche Gegebenheit der Polarität von Licht und Dunkel, Tag und Nacht. Auch weitere Anteile der Farbsymbolik haben ihren Ausgangspunkt in der Natur, im Grün des Frühlings, im Rot des Feuers und des Blutes und im Blau des Himmels, wie auch im Erröten Vgl. Pastoureau (2009): Black, S. 17. Zu Farbe als Zeichen vgl. Eco (1985): How Culture Conditions, S. 161ff.: Zeichen sind, so Eco, nach der semiotischen Zeichentheorie von C. S. Peirce kulturelle Einheiten, die für bestimmte Personen (die Interpretanten) unter bestimmten Umständen für etwas anderes stehen können, d.h. auf etwas anderes verweisen. Jede Kultur segmentiert das Kontinuum ihrer Erfahrung in Einheiten nach Faktoren von Relevanz, praktischen Zielsetzungen und materiellen Voraussetzungen. So sind auch Farben kulturell bedingte, mit Sinn besetzte Einheiten. 59 Auf diesen Umstand weist besonders Eco [Eco, Umberto: Die Geschichte der Schönheit. Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Martin Pfeiffer. München: Carl Hanser Verlag 2004, hier S. 123] hin. 60 Welsch und Liebmann [Welsch/Liebmann (2004): Farben, S. 16–21] bieten einen Überblick über die chinesische, indische, altägyptische, islamische und indianische Farbsymbolik; Hermann (1969): Art. „Farbe“, Sp. 362–383, widmet sich der altägyptischen und vorderasiatischen Farbsymbolik. Der mittelalterlichen beeinflussend voraus geht vor allem die antike Farbsymbolik, vgl. dazu Hermann (1969): Art. „Farbe“, Sp. 383–413, sowie Meier, Christel (2001): The Colourful Middle Ages. Anthropological, Social and Literary Dimensions of Colour Symbolism and Colour Hermeneutics. In: Rudolf Suntrup (Hg.): Tradition and innovation in an era of change. Frankfurt am Main: Lang Verlag, S. 227–256, hier S. 231f. Die antike Farbsymbolik, so Meier, beziehe sich vor allem auf die Farben Gold, Weiß, Purpur und Schwarz. 57 58
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und Erbleichen des menschlichen Körpers unter dem Einfluss von Emotion, Krankheit oder Tod.61 Das Mittelalter selbst kennt eine Reihe von Farbsymboliken verschiedener Provenienz, darunter zuerst die christliche Farballegorese, in deren Zusammenhang sich auch die liturgischen Farben62 herausbilden. Aus dem religiösen Bereich und der Liturgie inspiriert entwickeln sich weiterhin weltlich geprägte Farbsysteme: die Minnefarbensymbolik63, die Farbsymbolik der Heraldik (mit eigener Nomenklatur)64, die Symbolik der Gewandfarben65, der Farben in Malerei und Architektur66, die der Edelsteinfarben67,
Vgl. dazu Lauffer, Otto (1948): Farbensymbolik im deutschen Volksbrauch. Hamburg: Hansischer Gildenverlag, hier S. 9. 62 Zu den liturgischen Farben im Speziellen: Neuheuser, Hanns Peter (2011): Auf dem Weg zum liturgischen Farbenkanon. Die Farbenbedeutungen im liturgischen Zeichensystem des Mittelalters. In: Ingrid Bennewitz und Andrea Schindler (Hg.): Farbe im Mittelalter. Materialität – Medialität – Semantik. Akten des 13. Symposiums des Mediävistenverbandes vom 1. bis 5. März 2009 in Bamberg, Bd. 2. 2 Bände. Berlin: Akademie Verlag Berlin, S. 727–747. 63 Zur Minnefarbensymbolik zusammenfassend Susanne Brügel (2008): Farben in mittelalterlichen Minnereden. Schweizerische Gesellschaft für Symbolforschung. Online verfügbar unter http://www. symbolforschung.ch/Minnereden (Zugriff am 19.11.2013). Allgemein zur Minnefarbensymbolik auch Kapitel 2.3. 64 Zu den Farben der mittelalterlichen Heraldik vgl. Meier (2001): Colorful Middle Ages, S. 237ff., Wandhoff, Haiko (2000): Der Schild als Bild-Schirm. Die Anfänge der Heraldik und die Visualisierung in der Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts. In: P. Wiesinger (Hg.): Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses, Wien 2000. Zeitenwende – Die Germanistik auf dem Weg vom 20. ins 21. Jahrhundert, Bd. 5. Wien: Peter Lang Verlag (5), S. 81–88; Wandhoff, Haiko (2012): Schwarz auf Weiß – Rot auf Weiß: Heraldische Tinkturen und die Farben der Schrift im Parzival Wolframs von Eschenbach. In: Schausten, Monika (Hg.) (2012): Die Farben imaginierter Welten. Zur Kulturgeschichte ihrer Codierung in Literatur und Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Berlin: Akademie Verlag. S. 147–167, Gage (1993): Kulturgeschichte der Farbe, S. 81f. sowie Pastoureau (2009): Black, S. 68–71, ders. (2001): Blue, S. 55–63. 65 Vgl. dazu im Detail Kapitel 2.3. 66 Zur mittelalterlichen Malereitheorie und Architektur und ihren Farben vgl. Haupt, Gottfried (1941): Die Farbensymbolik in der sakralen Kunst des abendländischen Mittelalters. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Form- und Geistesgeschichte. Diss. Leipzig 1941. Dresden: Verlag M. Dittert & Co.; Dittmann, Lorenz (1987): Farbgestaltung und Farbtheorie in der abendländischen Malerei. Eine Einführung. Darmstadt: Wiss. Buchges; ders.: (2010): Farbgestaltung in der europäischen Malerei, sowie die Arbeiten von John Gage. 67 Mit den Farben der Edelsteine in der Bibelallegorese beschäftigt sich Meier, Christel (1977): Gemma Spiritalis: Methode und Gebrauch der Edelsteinallegorese vom frühen Christentum bis ins 18. Jahrhundert. Teil 1. München: Wilhelm Fink (Münstersche Mittelalter-Schriften), zur Farbe als Proprietät der Edelsteine vor allem S. 142–236], während sich Ulrich Engelen [Engelen, Ulrich (1978): Die Edelsteine in der deutschen Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts. München: Fink (Münstersche Mittelalter-Schriften, 27), zu den Farben der Steine besonders S. 69–76, S. 232–234] mit den Edelsteinen als Bedeutungsträger in der deutschen Literatur des 12. und 13. Jahrhundert auseinandersetzt. 61
22 Einleitung der Blumenfarben68, der Farben der Temperamente, der Tugenden und Laster69, der Elemente, Planeten, Wochentage, Jahreszeiten, Lebensalter, Windrichtungen, Körpersäfte, der Perioden der christlichen Zeitrechnung70 und zahlreiche mehr. Diese sind mitunter nicht miteinander vereinbar oder widersprechen sich. Es gibt daher kein einheitliches System der mittelalterlichen Farbsymbolik. Den mittelalterlichen Autoren werden diese verschiedenartigen Farbschemata durchaus bekannt gewesen sein, daher darf davon ausgegangen werden, dass sie bei der farbigen Ausgestaltung ihrer Werke auf das Wissen um eins oder auch mehrere Systeme der Sinnbesetzung zugleich zurückgegriffen haben. Die sich daraus ergebende Vermischung aus Säkularem und Sakralem führt zu einer Variabilität, was wiederum dazu führt, dass sich die Forschung bis heute damit schwertut, eindeutige Schlussfolgerungen hinsichtlich der mittelalterlichen Farbsymbolik zu ziehen.71 Die mittelalterliche Farbsymbolik zeichnet sich folglich vor allem durch Komplexität und Ambivalenz aus, der Symbolgegenstand „Farbe“ aktiviert vielschichtige Vorstellungen und Erlebnismomente, und das in Bezug auf jede Facette des menschlichen Lebens.72 Der theologisch perspektivierte Blick auf die Farben orientiert sich vor allem an ihrer heilsgeschichtlichen Bedeutung. Farben sind, wie die meisten Objekte der mittelalterlichen Welt, Gegenstand der christlichen Allegorese, dem System der allegorischen Auslegung von Texten.73 Die allegorische Ausdeutung von Gegenständen, Ereignissen, Zahlen und anderen Sinnträgern wie auch der Farben ist kein unberechenbares System, so Meier74, sondern ein rational erklärtes, lehr- und lernbares Verfahren. Ein in der Bibel Überblicksartig bei Wackernagel, Wilhelm (1872): Die Farben- und Blumensprache des Mittelalters. In: Ders. (Hg.): Kleinere Schriften von Wilhelm Wackernagel. 3 Bände. Leipzig: Hirzel, S. 143–240. 69 So etwa bei Thomas von Aquin, vgl. Welsch/ Liebmann (2004): Farben, S. 22. 70 Etwa bei Hugo von St. Viktor und Hildegard von Bingen, vgl. zu Hildegards Zeitfarbenfolgen: Meier, Christel (1997): Die Bedeutung der Farben im Werk Hildegards von Bingen. In: Frühmittelalterliche Studien, 6 (1972). Berlin/New York: de Guyter, S. 245–355, hier S. 320ff. 71 So auch Gage (1993): Kulturgeschichte der Farbe, S. 83: „Symbole waren fließend, Erfindungen der Phantasie, unabhängig davon, ob sie späterhin eine Bestätigung fanden, etwa dadurch, dass sie von einer Institution wie der Kirche aufgegriffen wurden. Sie waren ein Ausfluß der ,colori‘ der Rhetorik, jener antiken Techniken des sprachlichen Ausmalens und Ausschmückens, die sich in mittelalterlichen Poetiken eines nach wie vor quicklebendigen Daseins erfreuten.“ 72 Vgl. Linares (2011): Kunst und Kultur, S. 309. 73 Grundlegend zur christlichen Allegorese: Christel Meier: (1977): Gemma Spiritalis, S. 27–55, zum mehrfachen Schriftsinn: Wehrli, Max (2006): Literatur im deutschen Mittelalter. Eine poetologische Einführung. [Nachdr.]. Stuttgart: Reclam (Universal-Bibliothek, 8038), hier S. 236–270 (Der mehrfache Sinn). 74 Speziell zur Farbe im System der mittelalterlichen (Bibel-)Allegorese forschte bisher vor allem Christel Meier: Meier, Christel (1977): Gemma Spiritalis; dies. (1997): Das Problem der Qualitätenallegorese. In: Frühmittelalterliche Studien, 8 (1974). Berlin/New York: de Guyter, S. 385–435; dies. (1997): Bedeutung der Farben; dies. (2001): Colourful Middle Ages; dies. (2006): Von der Schwierigkeit. Weiterhin sei hier auf Meiers Zusammenarbeit mit Rudolf Suntrup am „Lexikon der Farbenbedeutungen im Mittelalter“ und die dazugehörigen Veröffentlichungen hingewiesen: Meier/ Suntrup (2011): Lexikon der Farbenbedeutungen; Meier/ Suntrup (1997): Zum Lexikon der Farbenbedeutungen (Probeartikel ,Rot‘). 68
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genanntes Objekt wird auf seine Eigenschaften hin untersucht.75 Aus diesen wird dann die geistige Bedeutung erschlossen. Farben erscheinen im System der allegorischen Weltauslegung meist als Qualitäten von Dingen, nicht als eigenständige Sinnträger. Sie beantworten die semantische Frage „Wie ist ein Gegenstand gestaltet?“ und gleichen damit anderen Faktoren wie etwa Wärme, Kälte, Süße, Helligkeit, Härte etc. Jeder Sinnträger wird über seine Eigenschaften gedeutet, die proprietates.76 Jeder Gegenstand der Allegorese hat so viele Ausdeutungsansätze, wie er Proprietäten hat. Eine besonders wichtige Gruppe der Eigenschaften sind die Qualitäten, zu welchen auch die Farbe zählt. Sie haben als bedeutungsstiftende Proprietäten den vermittelnden Platz zwischen Sinnträger und Bedeutung inne und können unter Umständen auch selbst Sinnträgerfunktion annehmen.77 Als Proprietäten eines Dinges verstanden werden Farben nicht selbst als Gegenstand allegorisch ausgelegt, sondern nur in Zusammenhang mit und bezogen auf andere Sinnträger bearbeitet. Dabei stellt Farbe eine der wichtigsten Eigenschaften eines Gegenstandes in der Allegorese dar und wird auf verschiedenste Sinnträger angewandt.78 Die selbständige Farbenbezeichnung, so Meier und Suntrup, biete bei den Hauptfarben wie Rot, Grün, Blau, Schwarz oder Weiß keinen Ansatzpunkt für weitere Deutung. Deutbar seien erst Hinweise auf die Ähnlichkeit einer Farbe mit einem Ding: Die Farbe besitzt „das Aussehen von“, „die Ähnlichkeit mit“, sie „ahmt nach“ oder hat eine Farbe „gleichsam“ der einer anderen Sache. Über diese Dingähnlichkeit erfolge die Deutung.79 Die Zuschreibung von Farben zu Sinnträgern erfolgt willkürlich, d.h. akzidentiell. Somit gibt es keine bevorzugte Gegenstandszuweisung. Aus diesem Umstand erwächst auch die Möglichkeit, der Farbe, je nachdem welchem Sinnträger sie zugewiesen wird, unterschiedliche Bedeutungen zuzuordnen. So kann die gleiche Farbe, je nach Kontext und Sinnträger, ad bonam und ad malam partem und damit völlig unterschiedlich ausgelegt werden. So entsteht eine große Pluralität der Bedeutungen.
Vgl. Engelen (1978): Edelsteine, S. 222. Um ein Beispiel Meiers zu nennen: Um Purpurrot auszulegen werden zuerst charakteristische Merkmale der Farbe, die Proprietäten, gesucht, über die man ihr Bedeutungen zuschreibt, so gleicht z.B. Purpurrot im Aussehen Feuer oder Blut, wird aus Meerestieren gewonnen, von Königen und Richtern getragen usf. Darüber erschließen sich Bedeutungen wie Liebe, Passion Christi, Martyrium, Taufe, ewiges Leben, und Gerechtigkeit. (Vgl. Meier [1997]: Qualitätenallegorese, S. 395f., und [1977]: Gemma Spiritalis, S. 150ff.) Nach diesem Schema vollzieht sich die gesamte Farbenallegorese, wie auch die Allegorese anderer Qualitäten. Für eine ausführliche Illustration der Farbenallegorese anhand des Beispiels der Farbe Rot vgl. Meier/Suntrup (1987): Zum Lexikon der Farbenbedeutungen (Probeartikel ,Rot‘). 77 Vgl. Meier (1997): Qualitätenallegorese, S. 393. 78 Auf die wichtige Stellung der Farbe in der Edelsteinallegorese weisen sowohl Meier ([1977]: Gemma Spiritalis, S. 142) als auch Engelen ([1978]: Edelsteine, S. 69ff., S. 232) hin. Weiterhin finden sich Farben auch bei anderen Gegenständen der Bibelexegese wie etwa Stoffen, Pflanzen (Blumen), Früchten oder Tieren (z.B. Pferden). 79 Vgl. Meier/ Suntrup (1997): Zum Lexikon der Farbenbedeutungen (Probeartikel ,Rot‘), S. 406. 75 76
24 Einleitung Allegorese bleibt im Mittelalter nicht auf die Auslegung der Bibel beschränkt. Friedrich Ohly80 hat darauf hingewiesen, dass die Suche nach dem geistigen Sinn in der Praxis auch auf die außerbiblische und sogar die weltliche Literatur angewendet wurde.81 Auch der höfische Roman agiert mit den Werkzeugen der Allegorie, indem ein Zweitsinn insinuiert wird. Allegorie in der volkssprachlichen Literatur des Mittelalters (sprachlich auch in Form von Metapher, Vergleich, Gleichnis oder Parabel gestaltet) ist der Bibelallegorese inhaltlich wie auch methodologisch verpflichtet82, und auch die allgemeine Farbsymbolik unterhält spezifische Beziehungen zu den Traditionen der Farballegorese. Die Übertragbarkeit von Erkenntnissen der Bibelallegorese auf Elemente des höfischen, weltlichen Romans muss jedoch jeweils einzeln im Kontext geprüft werden. Wichtige Grundlage der Farballegorese ist auch der enge Zusammenhang von Farbe und Licht. Farbe kann nicht ohne Licht gedacht werden, sie ist eine Substantiierung und Materialisierung des Lichtes. Die enge Verwandtschaft von Farbe und Licht bildet den Ausgangspunkt für die wissenschaftliche Farbenlehre seit Aristoteles, in der Ästhetik wie auch in der Metaphysik.83 Auch die Literatur des Mittelalters ist geprägt durch das Verzücken über Erscheinungen des Lichtes, Glanzes, Widerscheins der Farbe, über Sonne und Feuer. Auch die Bildzeugnisse der Zeit sind voller Licht und Leuchtkraft. Licht wird häufig mit dem Göttlichen gleichgesetzt und gilt als Zeichen göttlicher Manifestation. In der Spätantike nimmt es, über den Neoplatonismus vermittelt, auch im Abendland allmählich eine transzendentale Dimension an. Besonders Plotin gilt als wichtigster Theoretiker des Lichts und der Farbe in der Antike. Für ihn ist das Licht Sinnbild der Einheit; Schönheit ist für ihn das Eine und das Lichte. Farbe wiederum ist eine Erscheinungsform dieses Lichtes, das von der Materie reflektiert wird.84 Farben, so legt Plotin nahe, erscheinen dem Menschen als schön, obwohl sie nicht in symmetrischer Ordnung auftreten – das ist zurückzuführen auf das Licht, welches die Materie in Form von Farbe bewältigt und gestaltet.85 Auch das Mittelalter beschäftigt sich intensiv mit dem Licht, vor allem mit der Lichttheologie, diese stellt das Fundament für die der Zeit eignende Lust an der Farbe dar.86 Der Blick der mittelalterlichen Theologie auf das Licht ist ein sehr positiver, was Auswir Vgl. Ohly, Friedrich (1977): Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter. in: Ders. (Hg.): Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung. Darmstadt: Wiss. Buchges., S. 1–31. 81 Vgl. dazu Wells, David A. (1992): Die Allegorie als Interpretationsmittel mittelalterlicher Texte. Möglichkeiten und Grenzen. In: Wolfgang Harms, Klaus Speckenbach und Herfried Vögel (Hg.): Bildhafte Rede im Mittelalter und früher Neuzeit. Probleme ihrer Legitimation und ihrer Funktion. Tübingen: Max Niemeyer, S. 1–23. 82 Vgl. Engelen (1978): Edelsteine, S. 225. 83 Vgl. Meier/Suntrup (1987): Zum Lexikon der Farbenbedeutungen (Probeartikel ,Rot‘), S. 390. 84 Vgl. Gage (1993): Kulturgeschichte der Farbe, S. 26f. 85 Vgl. Eco (2004): Geschichte der Schönheit, S. 102f. und Lersch (1981): Art. „Farbenlehre“, Sp. 165. 86 Zur herausgehobenen Stellung des Lichts in der mittelalterlichen Ästhetik- und Schönheitslehre vgl. vor allem Perpeet, Wilhelm (1977): Ästhetik im Mittelalter. Freiburg i. Br./München: Alber (AlberBroschur Philosophie), der sich intensiv mit Lichtschönheit und Lichtmetaphysik auseinandersetzt. 80
Farbsymbolik
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kungen auf den Status der Farbe hat, sie gilt als untergeordnetes Attribut des Lichtes, als dessen materiellster Aspekt.87 Gottes erste Handlung in der Schöpfungsgeschichte ist es, Licht in die Welt zu bringen, was folglich bedeutet, dass Farben Teil der „Vorhut“ seiner kreativen Kräfte sind, auch wenn sie flüchtig und immateriell erscheinen mögen.88 Nach Augustinus ist das Licht die „Königin aller Farben“, die aber selbst keine Farbe darstellt. Farben sind vielmehr eine vom Licht abhängige Qualität. Johannes Scotus Eriugena bestimmt dieses Licht näherhin als „Gott“, als Emanation göttlicher Kraft. Erst in seiner farbigen Brechung ist das weiße, göttliche Licht für den Menschen erfahrbar. Farben sind ein Widerschein göttlichen Lichtes und partizipieren daran.89 So hat die Lichtmetaphysik des Mittelalters ihren Ursprung in der Antike, sich fortsetzend über die Lehren des Augustinus und des Pseudo-Dionysius Areopagita und findet ihren Höhepunkt schließlich in der Hochscholastik bei Theoretikern wie Hugo von St. Viktor, Robert Grosseteste, Albertus Magnus, Bonaventura90 und Vinzenz von Beauvais.91 In Bezug auf Kunst- und Architekturgeschichte findet die Synthese von Licht und Farbe ihren Ausdruck vor allem in drei, nach Dittmann, ,epochemachenden Leistungen‘, welche unmittelbar reales, physisches Licht mit einbeziehen: dem Wand- und Deckenmosaik der frühchristlichen Tradition92, der Einführung des Goldgrunds und der von der mittelalterlichen Lust an der Farbe geprägten gotischen Kirchenbaukunst, vor allem in Form der Glasfenster der gotischen Kathedrale. Hier erscheint das lux nova als Mittel göttlicher Lenkung, es ist direkt mit dem Göttlichen verknüpft.93 Trotz der überwiegend chromophilen Einstellung des Mittelalters finden sich auch Vertreter, die den Farben kritisch gegenüberstehen. Während die einen Farbe als Abglanz göttlichen Lichts verstanden wissen wollen, gibt es auch diejenigen Theologen, denen So auch Pastoureau (2009): Black, zu der dem Licht untergeordneten Stellung der Farbe im Mittelalter: „[T]o name the color, the parameter of luminosity is more important than that of coloration.” (S. 28). 88 Vgl. Pleij (2004): Colors Demonic and Divine, S. 2. 89 Vgl. Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 467f. 90 Speziell zu Bonaventuras Lichttheorie: Riedenauer, Markus (2011): Wesen und Wirkung des Lichts bei Bonaventura. In: Ingrid Bennewitz und Andrea Schindler (Hg.): Farbe im Mittelalter. Materialität – Medialität – Semantik. Akten des 13. Symposiums des Mediävistenverbandes vom 1. bis 5. März 2009 in Bamberg, Bd. 2. 2 Bände. Berlin: Akademie Verlag Berlin, S. 855–866. 91 Vgl. zu den vielfältigen Theorien der Farbe und des Lichts als Elemente der Schönheit die Zusammenfassung bei Lersch (1981): Art. „Farbenlehre“, Sp. 169–174, sowie Dittmann (2010): Farbgestaltung, S. 9. 92 Vgl. zum Mosaik in der christlichen Baukunst Gage (1993): Kulturgeschichte der Farbe, S. 39–64 (Ex Oriente Lux), ders. (1999): Sprache der Farben, S. 77–89, und Dittmann (2010): Farbgestaltung, S. 12f. 93 Vgl. Gage (1993): Kulturgeschichte, Kapitel: „Das neue Licht der Gotik“, S. 69–78. An dieser Stelle wird nicht näher auf die mittelalterliche Lichttheologie und -theorie eingegangen, diesen Themen widmet sich das Kapitel zu den Farben der Schönheitsdarstellungen, Kapitel 2.1. Zur Bedeutung der Lichthaftigkeit und der Glanzevokationen für die Darstellung idealer höfischer Figuren vgl. Kapitel 2.2. 87
26 Einleitung Farbe suspekt erscheint, korrumpiert durch den Sündenfall, Ausdruck der vergänglichen, diesseitigen Welt – und damit Instrument und Werkzeug des Teufels.94 Die Debatte um die Farbe ist insofern eine zweischneidige. Einer der vehementesten Gegner des Farbüberflusses ist Bernhard von Clairvaux. Seine Kritik richtet sich vornehmlich gegen die bunte Ausgestaltung der Kirchen.95 Die meisten Farbkritiker akzeptieren nur reines Weiß als Farbe des göttlichen Lichts, alle anderen Farben sind zwar Substanzen eigenen Rechts, materielle Bestandteile des Weltlichen, aber keine Materialisierungen des Göttlichen.96 Sie sind Produkt des biblischen Sündenfalls, nach dem die diesseitige Welt nicht mehr einzig göttliche Schöpfung, sondern auch Feind des Menschen ist, was eine ambivalente Haltung allem Weltlichen gegenüber fordert.97 Die Farbe wird als etwas verstanden, das die wahre Natur einer Sache überdeckt und daher potentiell gefährlich ist. Farben sind weiterhin der Vergänglichkeit unterworfen, sie können verbleichen, sich verwandeln, vermischen. Sie müssen im göttlichen, reinen Licht geläutert werden, denn Unsterblichkeit und Unvergänglichkeit gehen mit Entfärbung einher. Einen zentralen Platz in der kritischen Einstellung den Farben gegenüber nimmt das Mischen von Farben ein. Dies, so Gage, basiere auf der Vorstellung, dass nur Gott die richtigen Mischverhältnisse der Farben kenne. Es wäre ein Verkennen der Unterschiede zwischen menschlicher und göttlicher Natur, Vieles zu Einem zusammenmischen zu wollen, denn nur Gott habe die Macht, solche Verbindungen zu schaffen. An diese Auffassung knüpft das mittelalterliche Farbendenken an, dem Farbenmischen und dem Ver- und Überfärben wird vor allem von theologischer Seite große Missbilligung zuteil.98 Die nun überblicksartig dargelegte spezifische Verfasstheit des Gegenstands „Farbe“ mit all seinen Facetten muss bedacht werden, wenn wir den Blick nun auf den zentralen Gegenstand dieser Arbeit richten: den volkssprachlichen höfischen Artus- und Tristanroman des 12. und 13. Jahrhunderts, spezieller noch die Figurenbeschreibungen und Körperdeskriptionen.
Dazu zusammenfassend Pastoureau (2009): Black, S. 60. Zur Kritik von Farbigkeit in Bezug auf Kleidung vgl. ausführlich Kapitel 2.3. 95 Vgl. Pleij (2004): Colors Demonic and Divine, S. 3f. Zu Bernhards von Clairvaux Kritik an der Farbigkeit auch Pastoureau (2009): Black, S. 60ff. 96 Vgl. Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 468f. 97 Die Kritiker stützen sich laut Pleij auch auf die Etymologie des Wortes color, die vermutlich zurückgeht auf lat. celare oder occulere, „etwas überdecken, verhüllen“. Vgl. dazu Pleij (2004): Colors Demonic and Divine, S. 11. Isidor von Sevilla (7. Jh.) wiederum verbindet das Wort color mit lat. calor, Hitze, da die Hitze der Sonne oder des Feuers die Farben hervorbringe. 98 Dazu ausführlich Gage (1993): Kulturgeschichte der Farbe, S. 30 (Das Problem der Farbenmischung). 94
Höfische Körper als Zeichen(träger): Körperfarben und ihre identitätsstiftende Funktion
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1.6 Höfische Körper als Zeichen(träger): Körperfarben und ihre identitätsstiftende Funktion Ein Merkmal vormoderner Gesellschaften und somit auch des hohen Mittelalters ist ihre im Vergleich mit der heutigen Zeit stärker ausgeprägte Bezugnahme auf Materielles und die Körper.99 Es gibt im Mittelalter ein großes physiologisch-anthropologisches Interesse am Körper, das sich in der Theologie, den Naturwissenschaften, aber auch in der Literatur der Zeit ablesen lässt. Zugleich bleibt die Haltung dem Körper gegenüber zutiefst ambivalent: Auf der einen Seite steht der schöne Körper als Träger und Repräsentationsfläche innerer Qualitäten, als Schöpfung Gottes, auf der anderen Seite der Körper als von Begierden und Leidenschaften heimgesuchter irdischer Leib, sündhaft und der diesseitigen Welt verhaftet, der zugunsten christlicher Heilserfahrung aufgegeben werden muss. Diese Ambivalenz zeigt sich auch in der zeitgenössischen Literatur. Die mittelalterlichen Texte präsentieren sich als „Erscheinungsfläche einer körpergeprägten Kommunikation.“100 Über die Inszenierung von Körpern in der Narration werden sichtbare Zeichen gesetzt und repräsentative Akte vollzogen, dem Körper kommt eine kommunikations- und sinnstiftende Funktion zu.101 Dies erlaubt und erfordert die ausführlichen descriptiones von Körpern, Kleidern und Rüstungen, deren Glanz und Schein, Farbigkeit, Stofflichkeit und Bewegung als Repräsentationsfläche der höfischen Kultur fungieren. Zugleich manifestiert sich das Ästhetische in der mittelalterlichen Literatur als ein Wechselspiel zwischen einer Dimension des Materiellen und des Spirituellen. Die mittelalterliche Kultur kennt und erlaubt eine Transzendenz, eine Aufhebung des Materiellen und Körperlichen zugunsten höherer, geistiger Werte. Die ästhetische Wahrnehmung des Mittelalters richtet folglich ihre Aufmerksamkeit sowohl auf das, was real, das heißt materiell in der Welt erscheint, als auch auf die Kräfte, welche dieses Erscheinen erst möglich gemacht haben.102 Auch in der Literatur bezieht sich die Ästhetik immer zugleich auf das Äußerliche wie auf das Innerliche, man liest eine Figur vom Äußeren zum Inneren. Für den Gegenstand dieser Arbeit bedeutet das, dass die Farben des Körpers und der damit verbundenen Zierobjekte wie Kleidung oder Schmuck immer auch als ein
Das Paradigma „Körper“ ist auch in der neueren mediävistischen Forschung stark in den Fokus gerückt. Für eine ausführliche Literaturliste zum Thema vgl. Ernst, Ulrich (2007): Haut-Diskurse. Semiotik der Körperoberfläche in der Erzählliteratur des hohen Mittelalters. In: Friedrich Wolfzettel (Hg.): Körperkonzepte im arthurischen Roman. Tübingen: Niemeyer, S. 149–200, hier S. 150f. 100 Kiening, Christian (2007): Ästhetik des Liebestodes. Am Beispiel von Tristan und Herzmære. In: Braun, Manuel; Young, Christopher (Hg.): Das fremde Schöne. Dimensionen des Ästhetischen in der Literatur des Mittelalters. Berlin/New York: de Guyter, S. 171–193, hier S. 178. 101 Vgl. dazu auch Wenzel, Horst (1988): Partizipation und Mimesis. Die Lesbarkeit der Körper am Hof und in der höfischen Literatur. In: Hans Ulrich Gumbrich, Karl Ludwig Pfeiffer und Monika Elsner (Hg.): Materialität der Kommunikation. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 178–202. 102 Vgl. Kiening (2007): Ästhetik des Liebestodes, S. 192f. 99
28 Einleitung Widerschein und eine Reflexion des inneren Zustandes, der spirituellen Qualitäten der Figur inszeniert sind. Die Bedeutung der Körper- und Kleiderbeschreibungen in der Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts ist von der älteren Forschung im Hinblick auf die Materialität der höfischen Kultur, aber auch in Bezug auf ihre Gebundenheit an die aus der antiken Rhetorik entwickelten poetischen Traditionen sowie schließlich auch in Hinblick auf ihr diskursives Umfeld bereits herausgestellt worden.103 Die Mediävistik zeigt seit Längerem ein reges Interesse an der literarischen Darstellung von Körpern und spezieller der Darstellung von höfischer und nicht-höfischer Körperlichkeit in den mittelalterlichen Romanen. Ein wichtiger Teil dieser Körperdarstellungen sind auch die Farben, diese wurden bisher von der Forschung jedoch eher wenig beachtet.104 Die mittelalterliche Kultur aber, so wurde bereits festgestellt, nutzt Farben als Mittel der Kommunikation. Zum Zweck der Unterscheidung, der Markierung und der Auszeichnung färbt sie Objekte ihrer unmittelbaren Umwelt – und nicht zuletzt auch die Körper, Gewand und Schmuck. Den Farben von Körper und Kleidung ist insbesondere für das Mittelalter ein nicht zu unterschätzendes personales wie auch kollektives Identifikations- und Differenzierungspotential inhärent. Nicht nur jede Handlung, sondern auch jede Farbe des höfischen Körpers hat zeichenhaften Charakter. Diese direkte Verknüpfung des Gegenstands Farbe mit dem Körper, genauer gesagt mit dessen Erscheinung, seinem Aussehen und damit auch seiner potentiellen Schönheit ergibt sich bereits über die Betrachtung des Bedeutungsspektrums des mhd. varwe bzw. var. So kann varwe, var105 im Mittelhochdeutschen sowohl Farbe im Allgemeinen bezeichnen, die Farbe der Haut oder die Farbe eines Objektes, aber auch die Substanz ,Farbe‘ zum Einfärben oder Schminken wie auch das Aussehen, die Schönheit, den Glanz oder Schmuck einer Sache oder Person. Besonders im Mittelalter, so stellt Jan-Dirk Müller fest, ist Identität106 eng an den Körper, das Äußere und damit auch an seine Farben gebunden. Das Identitätsverständnis Vgl. dazu Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 461, auch für Hinweise zu weiterführender Literatur. So Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 462, zur Vernachlässigung der Farbperspektive bei der Betrachtung von Visualisierungsstrategien. 105 Vgl. Eintrag varwe, var in: Lexer, Matthias von (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch: zugleich als Supplement und alphabetischer Index zum Mittelhochdeutschen Wörterbuche von Benecke-Müller-Zarncke. 3 Bände. Leipzig: Hirzel. hier Bd.3, Sp. 26. Weiterhin bezeichnet verwen/värwen im MHD: ein Aussehen geben, ein Aussehen haben, färben, Flecken machen, malen oder bemalen, farbig besticken, aber auch zugleich etwas beschönigen, sich verfärben, ein Aussehen gewinnen oder annehmen oder sich schminken. (vgl. Eintrag verwen, värwen in: Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.3, Sp. 300.) 106 Der Begriff „Identität“ beschreibt komplexe und diffuse Bezugsordnungen, es gibt keine einheitliche Definition. Er bezeichnet sozialpsychologisch das „Verhältnis von individuellem Anspruch auf ein bestimmtes Selbstkonzept und dessen soziale Anerkennung bzw. Realisierung […].“ (Sosna, Anette [2003]: Fiktionale Identität im höfischen Roman um 1200. Erec, Iwein, Parzival, Tristan. Stuttgart: S. Hirzel, hier S. 17) Identität meint somit ein soziales wie psychisches Organisationsprinzip. Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ist dabei jeweils abhängig davon, wie die Ansprüche des Individuums mit denen der Gesellschaft korrespondieren. Es wird davon ausgegangen, dass sich 103
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des Mittelalters orientiert sich stark – aber sicher nicht ausschließlich107 – an der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen und gesellschaftlichen Gruppen (Gefolgschaft, Stand, Ordo)108. Der Einzelne kann sich gegenüber diesen Gruppen auszeichnen, indem er ihre Werte in besonderer Weise verkörpert, oder aber sie auf exemplarische Weise verfehlt. Während sich die moderne Gesellschaft vor allem durch ein Konzept der partizipativen Identität auszeichnet, ist dem Mittelalter ein eher inklusives Identitätskonzept eigen.109 im Mittelalter die Identität des Einzelnen vorwiegend mit den Vorgaben der Gesellschaft deckt und Einzelner und Kollektiv zu einer Einheit verschmelzen, dem Typus, der den Aspekt der Individualität weitgehend zurückdrängt. Gleichzeitig sind Identität und Individualität Grundmerkmale des Menschen, die auch in einem Kollektiv unterscheidbar bleiben. (vgl. S. 18) Identität lässt sich in eine Innen- und eine Außenperspektive aufspalten, die Außenperspektive im Sinne von öffentlicher und sozialer Identität beruht auf der Identifizierung einer Person durch andere, die Innenperspektive bezeichnet Identität als Selbsterfahrung. Identität entsteht durch die Relationen zwischen Außen und Innen. Sie ist „eine innere, selbstkonstruierte, dynamische Organisation von Trieben, Fähigkeiten, Überzeugungen und individueller Geschichte“ (Sosna [2003]: Fiktionale Identität, S. 19) und wird damit von der Rolle als Bündel gesellschaftlicher Erwartungshaltungen und der Persönlichkeit als Gesamtheit der psychischen Merkmale eines Menschen abgegrenzt. Weiterhin wird zwischen individueller, personaler und kultureller Identität unterschieden. Individuelle Identität meint die Unverwechselbarkeit und Unersetzbarkeit des Einzelnen. Personale Identität bezeichnet die Rollen, Eigenschaften und Kompetenzen des einzelnen im Sozialgefüge einer kollektiven oder „Wir-Identität“, die sich über einen Prozess der Identifikation entwickelt. Kulturelle Identität meint die Teilnahme an bzw. das Bekenntnis zu einer Kultur. (vgl. dazu Sosna [2003]: Fiktionale Identität, S. 20) Diese Identitätskonzepte werden in der Literatur in Form von fiktionaler Identität beschrieben und zugleich diskutiert. Fiktionale Identität ist eine Form der Identität, die sich über den Prozess der Fiktionalisierung in der literarischen Brechung konfiguriert. (vgl. ebd., S. 30) Die Thematisierung von Identität im Text, also die Untersuchung fiktionaler Identität, erlaubt eine Annäherung auf der literaturtheoretischen Ebene, überdies aber auch einen Rückgriff auf die dahinterstehenden Identitätsvorstellungen der Entstehungszeit. (vgl. ebd., S. 33.) 107 Sosna weist darauf hin, dass der tiefgreifende, gesellschaftliche Wandel des Hochmittelalters auch Einfluss auf das Selbstverständnis des Individuums hat: „Mit wachsendem intellektuellen Selbstvertrauen definiert sich der Einzelne in seinem Verhältnis zur Umwelt und zu Gott. Wenn auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, zur Gemeinschaft generell, nach wie vor von großer Bedeutung ist, so wird doch die Gewichtung innerhalb dieses Verhältnisses zugunsten des Individuums verschoben bzw. steht das Individuum gleichberechtigt neben der Gemeinschaft.“ (Sosna [2003]: Fiktionale Identität, S. 15.) 108 Vgl. Müller, Jan-Dirk (2004): Identitätskrisen im höfischen Roman um 1200. In: Peter von Moos (Hg.): Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft. Köln: Böhlau (Norm und Struktur, Bd. 23), S. 297–323. 109 Für die Beschäftigung mit fiktionaler Identität im höfischen Roman sei allgemein auf die Arbeit von Anette Sosna (2003): Fiktionale Identität, verwiesen, die sich mit der Darstellung von Identität in ausgewählten Artus- und Tristanromanen auseinandersetzt und die mittelalterliche Texte unter einer identitätsanalytischen Perspektive betrachtet. Weiterhin zu Identitätskonzepten im Mittelalter: Luhmann, Niklas (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. 1. Aufl. 4 Bände. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (3), hier v.a. S. 149–258; und speziell für den Roman: Lugowski, Clemens und Schlaffer, Heinz (1994): Die Form der Individualität im Roman. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Zum Identitätsbegriff und zur sozialen Rolle weiterhin Straub, Jürgen (1998): Personale und kollektive Identität. Zur Analyse eines theoretischen
30 Einleitung Der mittelalterliche Mensch definiert sich über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, nicht über die Distanz zu ihr. Auch in der höfischen Literatur gibt es verbindliche Entwürfe des Verhaltens und Sich-Verhaltens, nach denen sich das einzelne Ich zu modellieren hat, um seine höfische Identität zu definieren. Diese Modellierung, so Müller, kann gelingen oder aber auch misslingen, dadurch wird eine Spannung zwischen dem Ich und dem gesellschaftlich sanktionierten Entwurf aufgebaut, die sich als Krise manifestiert. Identität wird in den Romanen um 1200 als konflikthafter Prozess dargestellt, die Krise ist folglich ein wesentlicher Faktor der Identitätsbildung. Die Konflikte erwachsen „aus der ,Reibung‘ zwischen den verschiedenen Interaktionsrahmen mit ihren jeweiligen Rollenerwartungen, Wertekonventionen und Interaktionsstrukturen, in denen sich der Protagonist bewegt.“110 Dieser Konflikt kann überwunden werden, indem der kollektive Entwurf sich durchsetzt, es zu einer Abwägung zwischen unterschiedlichen Entwürfen und ihrer Verbindlichkeit kommt, oder aber er ist Ausgangpunkt zu einer Bestimmung des eigenen Standpunktes gegenüber den Entwürfen.111 Die Inklusion in die höfische Gesellschaft bleibt jedoch immer Ziel dieses Prozesses. Durch das dem Mittelalter eigene Verständnis des Körpers als Spiegelfläche des Inneren, als materielles Abbild der spirituellen Verfasstheit des Menschen, wird diese Spannung zwischen Ich und gesellschaftlichen Konventionen, die Diskussion der höfischen Identität, die Zugehörigkeit zur höfischen Sphäre oder eben auch die Ausgliederung aus derselbigen nicht zuletzt am Körper der erzählten Figur sichtbar gemacht. Dies geschieht vor allem über die Applizierung von Kategorien wie „schön“ oder „hässlich“, „hell“ oder „dunkel“, und nicht zuletzt „wohl gefärbt“ oder „missfarbig“, dem idealen höfischen Farbenschema entsprechend oder verfärbt. „Der lîp entscheidet darüber, was jemand ist, ob in den eigenen Augen oder in denen anderer.“112 Die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen wird auch über eine Reihe äußerlicher Zeichen bestätigt, dazu gehören neben Bildzeichen wie Wappen oder Herrschaftsinsignien auch die körperliche Gestalt und das Kleid bzw. die Rüstung. Diese äußerlichen Merkmale haben einen Signal- und Zeichencharakter, die Merkmalskomplexe von Gestalt, Kleid und Gebärde (auch Mimik und Gestik) sind Zeichenträger nonverbaler Kommunikation und leisten einen Beitrag zur Sinnstiftung, der auf dem Kontinuum zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit angesiedelt werden muss.113 Die Grundlage dieser Begriffs. In: Aleida Assmann und Heidrun Friese (Hg.): Identitäten. Erinnerung, Geschichte, Identität 3. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 73–104; Luckmann, Thomas (1979): Persönliche Identität, soziale Rolle und Rollendistanz. In: Odo Marquard und Karlheinz Stierle (Hg.): Identität. München: W. Fink, S. 293–313, und Jauß, Hans Robert (1979): Soziologischer und ästhetischer Rollenbegriff. In: Odo Marquard und Karlheinz Stierle (Hg.): Identität. München: W. Fink, S. 599–607. 110 Sosna (2003): Fiktionale Identität, S. 290. 111 Müller (2004): Identitätskrisen, S. 303. 112 Müller (2004): Identitätskrisen, S. 308. 113 Karina Kellermann [Kellermann, Karina (1999): Entstellt, verstümmelt, gezeichnet – Wenn höfische Körper aus der Form geraten. In: Iris Denneler (Hg.): Die Formel und das Unverwechselbare. Interdisziplinäre Beiträge zu Topik, Rhetorik und Individualität. Frankfurt am Main: Lang, S. 39–58, hier S. 40] spricht in diesem Zusammenhang von einer Trias von Mündlichkeit, Schriftlichkeit und
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verbalen und nonverbalen Kommunikation über den Körper bildet die Zeichentheorie Augustinus’, „der sprachliche und körperliche Zeichen (signa data) als Repräsentation von Handlungen festschreibt, die das menschliche Seelenleben sichtbar machen.“114 Die körperliche Erscheinung eines Menschen ist etwas Materielles mit einem bestimmten ästhetischen Wert, eine res, an welches durch Konvention begründete, gesetzte Bedeutungen geknüpft werden, so etwa an das Merkmal körperliche Schönheit die Bedeutungen „tugendhaft und adelig“, an körperliche Hässlichkeit die Bedeutung „unhöfisch und böse“.115 Hier steht der Körper als Zeichenträger im Zentrum: „So ist letztlich doch der Körper die Instanz, an der sich Identität entscheidet, nicht der empfindende, mit Wahrnehmungsorganen ausgestattete Körper, sondern der Körper als Zeichenträger […].“116 Diese dem Körper zugeschriebene Zeichenfunktion manifestiert sich auch in den Farben, die den höfischen Körper zieren und gleichzeitig definieren. Als optisches Signal scheint vor allem die Hautfarbe für das Mittelalter von besonderer Aussagekraft zu sein.117 Der Schönheit lichter, weißer Haut mit einer fast schon endogenen Leuchtkraft, meist in Kombination mit Rot, als auch der schwarzen oder allgemein dunklen Haut mit ihrer ambivalenten Konnotierung von hässlich und unhöfisch, aber zugleich auch exotisch-anziehend, wird viel Aufmerksamkeit geschenkt.118 Haut erscheint im allegorisch-heilsgeschichtlichen Diskurs früh als spiritueller Bedeutungsträger, der sich mit dem „Fächer seiner Signifikate in das System des mehrfachen Schriftsinns im Mittelalter einordnet.“119 Die Haut und Hautfarbe als speculum animae erscheint in der humores-Lehre als Spiegel pathologischer Seelenzustände. So erweist sich die Haut, vor allem die des Gesichts, auch als Darstellungsfläche für Emotionen im Wechselspiel des Erblassens und Errötens.120 Dieses Verständnis ist inspiriert vom antikörperlicher Repräsentation. Die klare Dichotomie von Mündlichkeit – Schriftlichkeit sei, so Kellermann, für das Mittelalter nicht haltbar; als dritte Fundamentalkategorie der Kommunikation müsse die körpergebundene Repräsentation angesehen werden. 114 Kellermann (1999): Entstellt, S. 40. Zur Zeichentheorie des Augustinus auch Meier (1977): Gemma Spiritalis, S. 38–41. 115 Vgl. dazu Hahn, Ingrid (1977): Zur Theorie der Personenerkenntnis in der deutschen Literatur des 12. bis 14. Jahrhunderts. In: Hans Fromm, Peter Ganz und Marga Reis (Hg.): Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. Tübingen: Max Niemeyer Verlag (99), S. 395–444, hier S. 401f. 116 So Müller (2004): Identitätskrisen, S. 311, in Bezug auf den Iwein Hartmanns von Aue. 117 Pastoureau (2009): Black, S. 79: „Like most ancient societies the Christian Middle Ages were attentive to the colors of the body, and the skin color even more than hair and eye color.” 118 Zum Topos der weißen Haut als Schönheitsideal vgl. Kapitel 2.2, zur schwarzen Haut als Hässlichkeitsmerkmal in aller ihr zugeschriebenen ambivalenten Bedeutung vgl. Kapitel 3.2.1.1. 119 Ernst (2007): Haut-Diskurse, S. 158. 120 Wackernagel führt dazu aus, dass eine rote Gesichtsfarbe meist für Liebe, Freude, aber auch Scham und Zorn stehen kann, eine weiße Gesichtsfarbe (verstanden als auffällige Blässe, nicht als weiße Haut des Schönheitsideals) spricht für Liebesschmerz, Seelenängste, Tod, Angst, Krankheit und Neid, eine dunkle, schwärzliche Gesichtsfarbe für Gram und Betrübnis, eine gelbliche, sogar grünliche Farbe für Zorn, Hass, Lust, Schrecken, Fasten und Trauer. Vgl. Wackernagel (1872): Farben- und Blumensprache, S. 148ff.
32 Einleitung ken Konzept der Temperamente und Körpersäfte und den ihnen zugeordneten Farben.121 Sowohl für die Darstellung von Schönheit als auch von Hässlichkeit spielt Haut, und insbesondere Hautfarbe, eine zentrale Rolle, denn Haut, so Ulrich Ernst, werde im höfischen Epos weniger aus der Perspektive der Berührung als vielmehr visuell wahrgenommen, wobei laut Ernst koloristische Proprietäten dominieren, die sich bis ins Hohelied und den hellenistischen Liebesroman zurückverfolgen lassen.122 Die Bedeutung der Hautfarben sei in den weltlichen poetischen Texten nicht auf bestimmte allegorische Signifikanzen festgelegt123, sondern erweise sich als ein Wechselspiel sozialer und erotischer Konnotationen, sei somit von polyvalenter Symbolhaftigkeit. Auch die Farben weiterer Teile des Körpers wie Haare oder Augen tragen zu dessen Markierung als schön oder hässlich, höfisch oder unhöfisch bei.
1.7 Zielsetzung, Methodik und Textcorpus Auf der Grundlage der oben dargestellten Verfasstheit des facettenreichen Gegenstands „Farbe“ im Mittelalter und im Rückgriff auf die erläuterte Funktion der Farbe als Sinnträger, aber auch unter Berücksichtigung der vielfältigen Schwierigkeiten, die sich bei der Beschäftigung mit Farbe im Allgemeinen und spezieller in der mittelalterlichen Kultur und Literatur auftun, sollen im Folgenden die fiktionale Farbimagination und die damit verknüpfte Farbsemantik einiger höfischer volkssprachlicher Artus- und Tristanromane des 12. und 13. Jahrhunderts näherhin betrachtet werden. Diese Betrachtung soll sich vor allem auf den Komplex der Farben in den die mittelalterliche höfische Literatur besonders auszeichnenden descriptiones konzentrieren, deren spezifische Farbigkeit, so die grundlegende These, eine eigenständige Semantik etabliert und damit weit über die topische und stereotype Abbildung von Schönheit und Hässlichkeit hinausgeht. Farben erscheinen vielmehr als Werkzeuge, mit denen Gefühle, Haltungen und Ansichten nach außen darstellbar werden und in denen Konflikte und Problemstellungen der höfischen Kultur sichtbar gemacht werden. Dies trifft in besonderem Maße auf die der höfischen Figur direkt „auf den Leib“ geschriebenen Farben von Körper, d.h. Hautfarbe im Speziellen, und Körperoberfläche im Allgemeinen, auch in Form von Verfärbung, Verschmutzung bzw. Überdeckung der Körperoberfläche zu, aber auch auf die dem Körper zugeschriebenen Farben von Kleidung und Schmuck, die ebenfalls im Fokus der Betrachtung stehen sollen. Dabei geht es vor allem um die Frage, inwieweit die Farben des Körpers So z.B. bei Thomas Cantimpre im Liber de natura rerum, vgl. dazu Wackernagel (1872): Farbenund Blumensprache, S. 152ff. Näher zur Säftelehre des Mittelalters, zur Humoralpathologie und den dazugehörigen (Körper-)Farben vgl. Kapitel 4.1. 122 Vgl. Ernst (2007): Haut-Diskurse, S. 187f. 123 Zur allegorisch-heilsgeschichtlichen Auslegung der Farben der menschlichen Gestalt, exemplarisch am Werk Hildegards von Bingen, vor allem an den personifizierten Tugenden und Lastern vgl. Meier (1972): Bedeutung der Farben, S. 295ff. 121
Zielsetzung, Methodik und Textcorpus
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über einen rein ästhetischen Effekt hinaus an der Identitätskonstruktion einer Figur im höfischen Roman unmittelbar beteiligt sind. Die Polyvalenz von figurenbezogenen Farbmarkierungen wird durch ein Verfahren des close-readings ermittelt, jedoch im Kontext zeitspezifischer Konzepte und Vorstellungen. Zugleich erschöpft sich die Analyse der Textstellen aber nicht in einer bloßen Applikation des festgelegten theoretischen Rahmens auf die mittelalterlichen Texte. Vielmehr dienen die den jeweiligen Kapiteln vorangestellten theoretischen und diskurshistorischen Erläuterungen zu Konzepten von Schönheit und Hässlichkeit in der Vorstellungswelt des Mittelalters als Grundlage der Textlektüren, die indes durch die Analyse keinesfalls bloß bestätigt oder zurückgewiesen werden sollen. Des Weiteren soll sich die Untersuchung nicht auf einen einzelnen Roman des betrachteten Zeitraums beschränken. Die Zielsetzung ist nicht die Gesamtinterpretation eines einzelnen Werkes unter dem Blickwinkel der Farbigkeit. Vielmehr werden eine ganze Reihe höfischer Artus- und Tristanromane exemplarisch herangezogen, um ein möglichst breites Bild der körperbezogenen Farbsemantik geben zu können. Aufgrund dieser Vielzahl an Primärquellen kann die Stoffgeschichte der Romane nur an einigen konkreten Stellen, wo dies nötig ist, aufgearbeitet werden, da sonst der Rahmen der Arbeit gesprengt würde. Analysiert werden Beispiele aus Hartmanns von Aue Erec und Iwein, Ulrichs von Zatzikhoven Lanzelet, Wirnts von Grafenberg Wigalois, Heinrichs von dem Türlîn Diu Crône, Eilharts von Oberg Tristrant sowie Gottfrieds von Straßburg Tristan. Weiterhin werden an einigen Stellen Figurenbeschreibungen aus dem Gauriel von Muntabel Konrads von Stoffeln und dem Wigamur herangezogen. Die Tristanfortsetzungen Ulrichs von Türheim und Heinrichs von Freiberg, der Daniel von dem Blühenden Tal des Strickers und der Garel von dem Blühenden Tal des Pleiers wurden in die allgemeine Betrachtung mit einbezogen, aber nicht explizit behandelt. Die Figuren des Parzival Wolframs von Eschenbach werden in dieser Arbeit bewusst nicht in die nähere Analyse miteinbezogen.124 Den Anfang der Beschäftigung mit den Farben bildete im Rahmen dieser Forschungsarbeit der Überblick über alle Farbnennungen in den in Frage stehenden Romanen. Diese Farbnennungen wurden katalogisiert und anschließend auf ihre Verteilung und Häufung hin analysiert. Dabei wurde schnell deutlich, dass vor allem die Körper- und Kleidungsbeschreibungen der Romane von intensiver Farbigkeit geprägt sind und diese an für die Identitätskonstruktion der Figuren ausschlaggebenden Textstellen auftreten. Die Auswahl der Beispiele für eine nähere Analyse berücksichtigte die Absicht, einen möglichst breit gefächerten, d.h. auch zeitlich weiten Ausschnitt der volkssprachlichen höfischen Romane zu erfassen. Daher wurden neben Werken der klassischen Artusepik auch Beispiele aus dem nachklassischen und späthöfischen Bereich miteinzubezogen, die bisher 124
Im Rahmen des DFG-Forschungsprojektes „Polychrome Entwürfe höfischer Welten: Farben und ihre Semantiken in erzählender Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts“, in dessen Kontext diese Dissertation entstanden ist, soll eine Monographie zur Farbsemantik im Parzival Wolframs von Eschenbach entstehen, weshalb die Figuren des Romans hier nicht explizit behandelt werden. So wird nur an einigen Stellen auf diesen für die Fragestellung ebenfalls zentralen Roman Bezug genommen.
34 Einleitung wenig Betrachtung erfahren haben. Die Struktur der nachfolgenden Analyse verdankt sich der Unterscheidung von als schön klassifizierten Figuren und als hässlich markierten Figuren. Bei letzteren wird wiederum zwischen bleibender, d.h. irreversibler Hässlichkeit und entstellter Schönheit, d.h. reversibler, zeitlich beschränkter körperlicher Hässlichkeit unterschieden, werden doch den so unterschiedlichen Fallgruppen differente Farben zugeordnet und erfolgt zudem eine unterschiedliche Bewertung in den Erzählungen. Zuletzt soll anhand zweier Beispiele den Phänomenen der Verstellung und Verkleidung nachgegangen werden, denn die hier erzählte willentlich erzeugte Unkenntlichkeit von Figuren geschieht im Rekurs auf Farbe. Zu zeigen gilt es in diesem Zusammenhang, dass Farbe auch dezidiert als ein Werkzeug der Identitätsmodifikation verwendet werden kann.
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2.1 Ästhetik- und Schönheitsdiskurse des Mittelalters im Kontext der Farbigkeit Die Schönheit literarischer Figuren – vor allem die weibliche Schönheit – ist ein essentielles Element der mittelalterlichen Artus- und Tristanromane. Die langen, teilweise ausufernden Schönheitsbeschreibungen fallen dem modernen Leser sofort ins Auge. Dabei kommen der Farbe und auch der Lichtwirkung des Figurenkörpers als sinnstiftende Elemente und Sinnträger eine große Bedeutung zu. Die Farben des Körpers haben, in Kombination mit Farbe und Form, Material und Schnitt der Kleidung und dem Schmuck, einen mit Sinn versehenen Platz innerhalb der Personenbeschreibung und harmonieren gleichzeitig mit der der Figur zugeschriebenen inneren Verfasstheit – oder sind bewusst auf eine inszenierte Inkongruenz von Innen und Außen angelegt. Das Zusammenspiel dieser Elemente manifestiert sich schließlich im Gesamtbild als eine überwältigende Erscheinung.2 Während dem Schönheitsideal in der mittelalterlichen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, den Körper- und Kleidungsbeschreibungen in der Forschung bereits viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wurde der Aspekt der farbigen Ausgestaltung bisher nur am Rande betrachtet. Diese Perspektive aber, die Schausten 2008 in ihrem Artikel zur Gottfrieds von Straßburg Tristan, V. 10956. Der Tristan Gottfrieds und seine Übersetzung werden zitiert nach folgenden Ausgaben: Gottfried von Straßburg (2007): Tristan. Band 1. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort versehen von Rüdiger Krohn. 12. Aufl., unveränd. Nachdr. 2001 der 6., durchges. Aufl. 1993. Stuttgart: Reclam, und Gottfried von Straßburg (2007): Tristan. Band 2. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort versehen von Rüdiger Krohn. 9. Aufl. Stuttgart: Reclam. Im Folgenden werden Zitate aus dem Tristan durch das Kürzel Tr gekennzeichnet. 2 Philipowski, Katharina (2007): Die Ordnungen des Erzählens und ihre Entblößung. Formalismus und Verfremdung als Selbstreflexion von Erzählstrategien. In: Braun, Manuel; Young, Christopher (Hg.): Das fremde Schöne. Dimensionen des Ästhetischen in der Literatur des Mittelalters. Berlin/ New York: de Guyter, S. 195–224, hier S. 200. „Solch detailversessene, obsessive und eindringliche [sic!] Beschwörungen von (Form-)Schönheit sind in der Erzähldichtung des Mittelalters durchaus verbreitet.“ 1
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Chromophilie in Wolframs Parzival3 eröffnet, bietet einen neuen Blickwinkel auf die bekannten Schemata. Im Folgenden werden daher die Farben und Licht- sowie Glanzevokationen in einigen beispielhaften Schönheitsbeschreibungen der höfischen Artus- und Tristanromane auf ihren Sinn- und Symbolgehalt hin analysiert und mit den zur Entstehungszeit der Texte vorherrschenden philosophischen und theologischen Konzepten des Schönen, des Farbigen und, damit eng verknüpft, des Lichthaften in Relation gesetzt. Zuerst muss dafür der theoretische Hintergrund der Diskurse von Schönheit und Ästhetik im Mittelalter dargelegt werden, dessen Einfluss auf die Literatur der Zeit offenkundig ist. Zu diesen Vorstellungen zählen philosophische und theologische ebenso wie architektonische und kunsthandwerkliche Aspekte, die zum Teil bereits aus antiker Tradition stammen. Anschließend soll ein Überblick über das weibliche höfische Schönheitsideal des Mittelalters und die Bedeutung der Kleidung und ihrer Farbigkeit für die Figurendarstellung den Rahmen für die Betrachtung ausgewählter Beispiele aus dem Literaturkanon setzen, an dem entlang – und besonders über den hinaus – die Schönheitsbeschreibungen von Figuren wie Enite, Isolde, Florie oder Amurfina ihre überwältigende Präsenz entfalten. Ziel der anschließenden Betrachtung der Textbeispiele soll es sein zu zeigen, wie das höfische Schönheitsideal in Form insbesondere von Farb- und Lichteindrücken wissentlich und zielgerichtet variiert, unterschiedlich gewichtet, ausgebaut, und schließlich übersteigert wird, um verschiedene Typen weiblicher Schönheit zu inszenieren und an ihnen höfische Idealität immer wieder zu verhandeln. Farbe verdeutlicht dabei, so meine einführende These, in diesen Schönheitsbeschreibungen insbesondere eine Problematisierung des Vollkommenheitsanspruchs der Figuren, und das in unterschiedlicher Art und Weise. Über die Farben werden problematische Aspekte des Verhältnisses von Innen und Außen, von makelloser Schönheit und der dazugehörigen, idealen adligen Grundhaltung verhandelt. Farbe dient hier somit als Mittel zum Ausweis verschiedener Formen von Identität.
2.1.1 Die Grundlagen der mittelalterlichen Vorstellungen vom Ästhetischen und Schönen Das allgemein als „Ästhetik“ bezeichnete Theoriefeld bezieht sich grundlegend auf zwei Gegenstandsbereiche: Das Schöne und die Kunst.4 Beide gemeinsam bilden einen Bereich der wissenschaftlichen Betrachtung, der zu allen Zeiten Gegenstand philosophischer Reflexion gewesen ist.5 Die Beschäftigung mit Vorstellungen von Ästhetik und Schausten, Monika (2008): Fall in die Farbe. Für einen grundlegenden Überblick über die Begriffe „ästhetisch“ bzw. „Ästhetik“ und ihre Entwicklung von der Antike bis zur Moderne sowie eine ausführliche Literatursammlung zum Thema vgl. Gerhardus, Dietfried; Gatzemeier, Matthias (2005): Art. „ästhetisch/Ästhetik“. In: Jürgen Mittelstraß (Hg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 1. A–B. Unter Mitarbeit von Martin Carrier. 2. Aufl. Stuttgart: J.B. Metzler, S. 253–264. 5 Vgl. dazu Speer, Andreas (1994): ,Kunst‘ und ,Schönheit‘. Kritische Überlegungen zur mittelalterlichen Ästhetik. In: Ingrid Cramer-Ruegenberg und Andreas Speer (Hg.): Scientia und ars im 3 4
Ästhetik- und Schönheitsdiskurse des Mittelalters im Kontext der Farbigkeit
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Schönheit im Mittelalter erweist sich oftmals als schwierig, da die Begriffe „Ästhetik“ bzw. „Schönheit“ anders besetzt sind als dies seit Beginn der Neuzeit der Fall ist. Von der Antike bis zur Gegenwart verändern diese Kategorien ihre Gültigkeit, das gilt, so Andreas Speer, auch für die als selbstverständlich angenommenen Definitionen von „Kunstschönheit“, „Kunst“ und „Künstlertum“ (pulchrum, pulchritudo, ars, artifex). So zieht das Mittelalter zur Definition von Schönheit Begriffe wie Maß, Zierlichkeit, Ordnung, Größe und Zweckmäßigkeit heran6 – Begriffe, die heute zumeist nicht mehr im Zentrum einer Definition von Schönheit stehen – ebenso wie es Glanz und Licht eine herausragende Stellung beimisst. Susanne Bürkle weist in der Einleitung zu dem 2009 erschienenen Band zur Interartifizialität und der Diskussion der Künste im Mittelalter7 deshalb zu Recht darauf hin, dass die Debatte um den Kunstbegriff des Mittelalters vor allem im Rahmen des Theorems der Alterität, der Differenz zwischen Mittelalter und Vormoderne und anschließend auch Neuzeit und Moderne, geführt werden muss.8 Rosario Assunto führt zu Anfang seiner Arbeit über die Theorie des Schönen im Mittelalter aus, dass der uns heute geläufige Begriff der Ästhetik ein noch recht junger ist, der sich erst im 18. Jahrhundert in dieser Form entwickelt hat. Von einer „mittelalterlichen Ästhetik“ zu sprechen sei hingegen falsch – das Mittelalter kenne nicht die Verbindung „der Begriffe Sinneswahrnehmung, Kunst und Schönheit“9, infolge derer heute nach Baumgarten10 von „Ästhetik“ gesprochen wird, und noch weniger kenne es „die Auffassung der Kunst als einer menschlichen, subjektiven Schöpfung“.11 Ganz traditionell wird so der mittelalterlichen Kultur im Allgemeinen oft ein ästhetisierter Kunstbegriff pauschal abgesprochen und ein bloß normativer zugewiesen.12 Schönheit ist aus moderner Perspektive ein subjektiver Ausdruck. Als solcher ist er eine Eigenschaft, die menschliche Werke, Objekte oder Personen näher bestimmt. Im Mittel-
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Hoch- und Spätmittelalter. Miscellanea Mediaevalia / Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Universität Köln 22. Berlin/New York: de Guyter (Halbbd. 2), S. 945–966, hier S. 948. Vgl. Huizinga, Johan (1969): Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. 10. Aufl. Stuttgart: Kröner (Kröners Taschenausgabe, Bd. 204), hier S. 395. Bürkle, Susanne; Peters, Ursula (Hg.): Interartifizialität. Die Diskussion der Künste in der mittelalterlichen Literatur. Berlin: Schmidt (Sonderhefte der Zeitschrift für deutsche Philologie, 128/2009). Bürkle, Susanne (2009): Einleitung. In: Susanne Bürkle und Ursula Peters (Hg.): Interartifizialität. Die Diskussion der Künste in der mittelalterlichen Literatur. Berlin: Schmidt Erich (Sonderhefte der Zeitschrift für deutsche Philologie, 128/2009), S. 1–16, hier S. 2. Assunto (1996): Theorie des Schönen, S. 17. Alexander Gottlieb Baumgarten (Aesthetica, 1750) gilt als Begründer der modernen Auffassung von Ästhetik als eigenständige philosophische Disziplin. Sein Verständnis von Ästhetik ist das eines kognitiven Weltzugangs, der zusammen mit den Leistungen der Logik und Vernunft dem Menschen gesicherte Erkenntnisse über die Welt verschafft. Diese Erkenntnis eröffnet sich im Falle der Ästhetik über die Sinneswahrnehmung (cognitio sensitiva). (vgl. dazu Seel, Martin [2003]: Ästhetik des Erscheinens. Frankfurt am Main: Suhrkamp, hier S. 16f.) Assunto (1996): Theorie des Schönen, S. 17. Vgl. Bürkle (2009): Einleitung, S. 3.
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alter ist dies grundlegend anders: Schönheit ist eine „objektive Eigenschaft des Seins an sich. Diese Eigenschaft konnte der Mensch aufdecken, aber nicht hervorbringen.“13 Die Schöpfungen des Menschen können folglich nur an der objektiven Schönheit, die Gott über die Welt ausstrahlt, partizipieren. Die Schönheit eines Dinges bemisst sich daran, wie es die göttliche Idee substantialisiert. Absolute Schönheit ist nur in Gott möglich. Daher gilt als besonders schön, was der von Gott geschaffenen Natur ähnelt: „Während wir die Natur als schön beurteilen, wenn sie sich der Kunst nähert, galt im Mittelalter die Kunst als schön, wenn sie sich der Natur anglich.“14 Folglich unterscheidet sich auch der Kunstbegriff des Mittelalters stark vom modernen. Ars entsprach eher einem heutigen Verständnis von Wissenschaft. Die Semantik des mittelalterlichen artes-Begriffes ist kaum stabil und nicht auf ein System der Künste im engeren Sinne beschränkt. Vielmehr changiert das Spektrum zwischen technischem Vermögen, Kunstfertigkeit und dem ästhetischen Genuss eines Kunstwerkcharakters.15 Was heute als Kunstwerk bezeichnet wird, ist im Mittelalter erstrangig ein zu einem Zweck geschaffenes Objekt, es unterscheidet sich qualitativ nicht von Kleidung, Gerätschaften oder Waffen. Ein jedes Kunstwerk – ebenso wie auch die Produkte der Dichtkunst – stellt eine Einheit aus einer technischen Komponente der Herstellung und einer wissenschaftlich-philosophischen Bedeutung dar. Es ist zugleich auf einen irdischen wie auf einen überirdischen (transzendentalen) Sinn ausgerichtet, ist bestenfalls moralisch, werbend und lehrhaft.16 Das schöne Objekt muss einen moralischen Zweck erfüllen, nämlich den, den Betrachter zur Erkenntnis bestimmter Ideen zu veranlassen. Damit ist die Schönheit eines Objektes immer der Bestimmung und dem Zweck eines Gegenstandes untergeordnet.17 Die Kategorien von Nützlichkeit und Kunstschönem werden nicht unterschieden. Mittelalterliche Kunst ist somit vor allem Eines: Bedeutungsträger, Repräsentation, Abbreviation.18 Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die ästhetische Kategorie im Mittelalter mehr Aspekte umfasst als die moderne, und dass die Aufmerksamkeit für die Schönheit der Dinge von einem Bewusstsein für deren metaphysischen Ursprung stimuliert wird. Das Ästhetische bildet kein eigenes System, durchquert vielmehr theologische, philosophische und rhetorische Diskurse, in denen Fragen der Manifestation des Göttlichen im Irdischen – in der Welt, der Natur, der Sprache, der Kunst – verhandelt werden.19
Interessant für den Blickwinkel dieser Arbeit ist nun vor allem die Bedeutung, die der Farbe in den für das Mittelalter bedeutsamen Ästhetiktheorien zugewiesen wird.
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Assunto (1996): Theorie des Schönen, S. 18, Hervorhebungen im Original. Assunto (1996): Theorie des Schönen, S. 19, Hervorhebungen im Original. Vgl. Bürkle (2009): Einleitung, S. 4. Vgl. Assunto (1996): Theorie des Schönen, S. 24. So kann zum Beispiel eine gläserne Säge nie von vollkommener Schönheit sein, da sie ihren Zweck, nämlich zu sägen, nicht erfüllt. 18 Vgl. Speer (1994): Ästhetik des Erscheinens, S. 96. 19 Kiening (2007): Ästhetik des Liebestodes, S. 174. 13 14
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2.1.2 Philosophische Definitionen von Ästhetik und Schönheit in Antike und Mittelalter Die antike Kultur misst der Farbe als Element des Schönen in ihren ästhetischen Theorien20 bereits einen hohen Wert zu. Symmetrie und Farbe gelten bei den Stoikern als Bestandteile der Schönheit, vor allem die Strahlkraft und der Glanz der Farben sind für den antiken Betrachter von großer Bedeutung – eine Auffassung, die das Mittelalter immens beeinflusste. In den Lehrmeinungen der Antike hat die Farbe, ebenso wie die Schönheit im Allgemeinen, einen ambivalenten Status. Auf der einen Seite gilt sie als bloße Dekoration, als etwas Illusorisches, auf der anderen Seite sind es die Farben, die einer Materie Leben und Wahrheit verleihen und die aus dem positiv konnotierten Licht entstehen.21 Auf diesem ambivalenten Status basierte auch der grundlegende Streit um die Dominanz der Linienzeichnung über die Farbe, beziehungsweise der Unterordnung unter dieselbige, der sich durch die gesamte antike und römische Kunsttheorie zieht.22 Auch für das Mittelalter bleibt die Frage nach der Priorität von Form beziehungsweise Farbe in der Kunst bestehen: Während etwa Isidor von Sevilla die Rolle der Farbe in der Kunst als etwas Unheilvolles auffasst, plädieren Beda Venerabilis und Theophilus Presbyter23 dafür, dass auch durch die Farbe die Herrlichkeit Gottes zur Anschauung gebracht wird. Aristoteles vertritt das Primat der Zeichnung über die Farbe, Farbe erscheint ihm willkürlich und zufällig, er favorisiert Linie und Komposition. Für ihn hängt die Schönheit der Farben vor allem von den Zahlenverhältnissen ab, nach denen sie aus Schwarz und Weiß gemischt sind. Je weiter die Buntfarben von den extremen Polen entfernt sind, das heißt, je ausgeglichener die Proportion, desto angenehmer ist die Farbe für die Augen. Aristoteles sieht vor allem Scharlachrot und Purpur als besonders harmonisch gemischte Farben
Umberto Eco in seinem Werk „Kunst und Schönheit im Mittelalter“ (1991) folgend, bezeichnet der Begriff der ,ästhetischen Theorie‘ „jeden Diskurs […], der sich einigermaßen systematisch und unter Verwendung philosophischer Begriffe mit Phänomenen befaßt, die in Zusammenhang stehen mit der Schönheit, der Kunst und den Bedingungen für das Hervorbringen und Beurteilen von Kunstwerken, den Beziehungen zwischen Kunst und anderen Aktivitäten sowie zwischen Kunst und Moral, der Funktion des Künstlers, den Begriffen des Angenehmen, des Ornamentalen, des Stils, den Geschmacksurteilen wie auch der Kritik dieser Urteile und mit den Theorien und Praktiken der Interpretation von verbalen oder nichtverbalen Texten, also mit der hermeneutischen Frage – in Anbetracht dessen, daß diese die aufgezählten Probleme auch dann betrifft, wenn sie sich, wie das im Mittelalter besonders der Fall war, nicht allein auf die sogenannten ästhetischen Phänomene bezieht.“ (S. 10). 21 Vgl. Gage (1993): Kulturgeschichte der Farbe, S. 15. 22 Vgl. Gage (1993): Kulturgeschichte der Farbe, S. 117. 23 Theophilus Presbyter verfasste mit De Diversibus Artibus ein mittelalterliches Regelwerk der Malerei auf der Grundlage christlicher Lehren, verbunden mit Anleitungen zur Anfertigung, Mischung und Anwendung von Malfarben. Dazu ausführlich: Brepohl, Erhard (1999): Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Gesamtausgabe der Schrift DE DIVERSIBUS ARTIBUS in zwei Bänden [lateinischer Originaltext und deutsche Übersetzung mit Kommentaren]. Band 1: Malerei und Glas. Köln [u.a]: Böhlau Verlag. 20
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an.24 Für ihn repräsentieren Farben keine seelischen Zustände, sie sind nur von akzidentieller Bedeutung. Die wesentliche Aufgabe eines Bildes, nämlich die Nachahmung der Natur, werde allein durch die Zeichnung erfüllt. In den Ästhetikvorstellungen des Platon hingegen ist Farbe primäres Element des Schönen, ein Symbol der Vorstellung, das sich jeder begrifflichen Vermittlung entzieht. Platon versucht, den Glanz und das Licht mit dem Begriff des Bunten zu verbinden, in dem die Farben zu einer gesteigerten Wirkung kommen. Diese Auffassung hat lange nachgewirkt. Neben der Proportion und der Form ist Farbe das dritte Element, das in jedem Gemälde geprüft werden muss. Gleichzeitig spricht Platon aber auch von einer Verführungskraft, aufgrund derer Farben nach strengen Maßangaben und Normen verwendet werden sollen, wenn sie die sittliche Wahrnehmung des Betrachters nicht täuschen sollen.25 Der Philosoph ist auch der erste, der den Farben einen spezifisch ästhetischen Charakter zuspricht, indem er sie bestimmten Empfindungen wie beispielsweise Freude oder Zorn zuordnet.26 Plotin, Hauptvertreter des Neoplatonismus, erachtet die Farbe neben Form und Ton als eine der Hauptkategorien des Schönen. Die antike Schönheit definiert sich für ihn über symmetría und chróma. Weiterhin widmet er sich auch dem Licht als Schönheitssymbol. Das Schöne ist für ihn folglich das Eine und das Lichte. Farbe ist dabei eine Erscheinungsform, eine Substantialisierung des Lichtes, das von der Materie zurückgeworfen wird. Die Farbe als etwas „Einfaches“ wird der Symmetrie als etwas „Zusammengesetzten“ entgegengesetzt. Die Auffassungen des Mittelalters über Ästhetik, Schönheit und die damit eng verknüpfte Farbigkeit sind deutlich durch die Einflüsse der antiken Philosophen und Gelehrten, insbesondere durch die des Platon, des Plotin und des Aristoteles geprägt. Die Hauptkategorien des Schönen – Proportion, Licht und Farbe – sind direkt aus der antiken Tradition übernommen.27 Die frühchristlichen Theoretiker postulieren vor allem die Ambivalenz der Schönheit und der Farbigkeit. Die schon für die Antike konstatierte gespaltene Einstellung wandelt sich zu einer regelrechten Abwertung des Schönen. „Die rigorose Vernünftigkeit ethischer Existenz schließt eine der Schaulust ergebene Vernünftigkeit der schönen Existenz aus.“28 Schönes und damit auch Farben gelten als bloßer Schein, sie rufen Gemütsbewegungen hervor und gefährden das moralische Bewusstsein. Gleichzeitig aber vermischt sich diese tradierte Abwehrhaltung der Schönheit gegenüber mit christlichen Vorstellun Lersch (1981): Art. „Farbenlehre“. Sp. 160ff. Auch Plutarch gesteht der Farbe einen gewissen Täuschungseffekt zu, der dieser eine Überlegenheit über die Linienzeichnung verschaffe. 26 Vgl. Lersch (1981): Art. „Farbenlehre“, Sp. 160. 27 Die folgenden Ausführungen zu den Theorien des Schönen und Ästhetischen im Mittelalter stützen sich besonders auf das Werk „Ästhetik im Mittelalter“ (1977) von Wilhelm Perpeet. Dieses beschäftigt sich intensiv mit der Rolle der Farben und des Lichtes in der mittelalterlichen Vorstellung von Schönheit und bietet daher eine gute Grundlage für die folgende Auseinandersetzung. Für Arbeiten jüngeren Datums zum Thema der Ästhetik im Mittelalter vgl. die ausführliche Bibliographie in Gerhardus/Gatzemeier (2005): Art. „ästhetisch/Ästhetik“, S. 262 (Antike und Mittelalter). 28 Perpeet (1977): Ästhetik im Mittelalter, S. 9. 24 25
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gen. Es entsteht eine apologetische Einschränkung des Schönen auf Gott. Demzufolge darf und soll Schönes in Fülle vorhanden sein – allerdings nur eingeschränkt für den Menschen verfügbar. „Schönheit ist Eigentum des transzendenten Weltschöpfers und -erhalters. Als Geschöpf hat der Mensch kein Recht auf Schönheit.“29 Was nicht Gottes Schönheit ist, ist die des Teufels. Damit erschließt sich das Grundproblems einer mittelalterlichen Ästhetik: Die Welt ist Gottes Schöpfung und damit sein Werk, und Gott ist Mensch geworden in Christus. Ableitend müsste alles, was an der irdischen Welt schön erscheint, ein Abglanz der göttlichen Schönheit sein. Aber, so fragen sich die mittelalterlichen Theoretiker, ist die Welt nicht gerade da, wo sie besonders schön ist, allzu verführerisch? Die Zwiegespaltenheit gegenüber der Schönheit und damit auch der Farbigkeit als ihrer Verkörperung ist offensichtlich. Trotz dieser komplexen Gemengelage des theoretischen Diskurses über Schönheit, Farbe und Licht und auch den farbkritischen Stimmen, die es im gesamten Verlauf des christlichen Mittelalters gegeben hat, stellt sich die Epoche, wie in den eingehenden Ausführungen erläutert30, als überwiegend „chromophil“ und nahezu besessen von allem Farbigen dar. Farbe, Licht und Schönheit gehen Hand in Hand. Dies ist größtenteils auf die Lehren des Augustinus und des Pseudo-Dionysius Areopagita zurückzuführen. 2.1.2.1 Augustinus – Schönheit, Farbe und Proportion Die dominierende Definition für „Schönheit“ im Mittelalter ist die des Augustinus (Epistula 3, CCSL 31): „Quid est corporis pulchritudo? Congruentia partium cum quadam coloris suauitate.“31[Worin besteht die körperliche Schönheit? Im richtigen Verhältnis der Teile zueinander mit einer gewissen Lieblichkeit der Farben.]32 Diese Formel ist eine Wiederaufnahme der stoischen und allgemein antiken Tradition der Diade chrôma kaì symmetrìa.33 Über diese congruentia der augustinischen Kontrastästhetik fügen sich Schönes wie auch Hässliches in ein gemeinsames Weltbild ein. In Augustinus’ Lehre verliert sich die frühchristliche apologetische Verdächtigung des Schönen und Farbigen – wenn es auch dem Teufel angehört, das sinnliche Schöne ist schön. Augustinus Preis gilt allem Seienden in Pracht und Fülle, auch vor allem in seiner Farbenpracht. Besonders die Natur ist dem Menschen als Kreatur Gottes zum Anschauen und Bewundern gegeben worden. Sie ist schöner als alles Menschengeschaffene. Dieser Tradition folgend preisen später zum Beispiel Beda Venerabilis und Hugo von St. Viktor die Naturerscheinungen
Perpeet (1977): Ästhetik im Mittelalter, S. 16. Vgl. dazu Kapitel 1.4. dieser Arbeit. 31 Augustinus, Aurelius (2004): Aurelii Augustini Opera, Pars III, 1. Corpus Christianorum, Series Latina XXXI. Sancti Aurelii Augustini Epistulae I–LV. Cura et studio Kl. D. Daur. Turnhout: Brepols Publishers, hier. S.8. 32 Übersetzung zitiert nach Eco (1991): Kunst und Schönheit, S. 49. 33 Vgl. Eco (1991): Kunst und Schönheit, S. 49. 29 30
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in ihrer Farbenpracht als schöner und vollkommener als jede menschliche Schöpfung.34 Licht wiederum ist für Augustinus die „Königin aller Farben“ und produziert die Färbung aller Dinge, stellt aber selbst keine Farbe dar. Dies weist den Farben einen besonderen Status in seiner symbolischen Naturauslegung zu.35 Augustinus Blick gilt in seiner Theorie der Schönheit im Sinne einer Kombination eines harmonischen Verhältnisses der Teile mit einer „Lieblichkeit“ der Farbe vor allem den Aspekten hinter dem Individuellen, dem, was Schönheit prinzipiell und dauerhaft ausmacht. Er versucht, das vergängliche Einzelschöne zu transzendieren und fragt nicht mehr nach dem, was schön ist, sondern danach, was Schönheit ausmacht und kommt zu dem Schluss: Nichts ist schöner als die Schönheit selbst; Nihil pulchrius ipsa pulchritudine.36 Das Einzelschöne versucht Augustinus vor allem über die Begriffe der Ganzheit, der Einheit (unitas), die die Proportion der einzelnen Teile noch übergreift, und der Zweckmäßigkeit (aptum) zu erfassen. Maß (modus) und Ordnung (ordo) sind ebenfalls Zeichen des Schönen. Außerdem ist die Zahl für Augustinus von immenser Bedeutung. Schön ist, was eine angemessene Proportion hat. Dies gilt auch besonders für Musik und Architektur und schlägt sich in der Baukunst der gotischen Kathedralen nieder. Was Augustinus’ Ansichten deutlich von denen der antiken Philosophen, deren Lehren er im Ansatz folgt, unterscheidet, ist, dass für den Kirchenvater allein der alles erschaffende Gott Grund all dieser Schönheit sein muss. Gott ist der Inbegriff der wandellosen, vollkommenen Schönheit. Alles, was nicht Gott ist, ist wandelbar und kreatürlich. „Schönheit heißt Vollkommenheit. Je wandelloser die Vollkommenheit, um so schöner die Schönheit.“37 Die ideale Schönheit zeigt sich in der Dreizahl und der Ungeteiltheit der Trinität. Die Welt, und damit auch der Mensch, sind die verwirklichten Gedanken des Schöpfergottes. Als seine Kreatur kann die Schöpfung allein eine Ähnlichkeit mit der Schönheit des Schöpfers teilen, indem sie nach Proportionen von Gewicht, Zahl und Maß geschaffen ist. Schönheit ist somit staunenswert und der Inbegriff dieses Schönen ist der menschliche Körper, die „[u]nverwesliche strahlende Jugendschönheit als innigste Einheit von Sein, Wissen um dieses Sein und Lieben dieses Seinswissens!“38 So zum Beispiel bei Hugo von St. Viktor [Didascalicon (12. Kap., 7. Buch)]: „Was ist ergötzlicher anzusehen als der klare Himmel, der wie ein Saphir erstrahlt… Die Sonne erstrahlt wie Gold, der Mond glänzt hell wie das Elektron, und die Sterne funkeln, einige im rötlichen Licht, andere wieder abwechselnd in rotem, grünem oder weißem… Wir betrachten die roten Rosen, die weißen Lilien und die purpurfarbenen Veilchen, an denen nicht nur die Schönheit, sondern auch ihr Ursprung ein Wunder ist, denn die Weisheit Gottes schuf sie aus dem Staub der Erde. Wie über alle Maßen ergriffen ist erst die menschliche Seele von der Schönheit des Grüns, wenn wie zu wahrhaft neuem Leben die Keime ersprießen und ihre Spitzen wie aus der Knechtschaft des Todes sich zum Licht emporrichten, als gelte es der zukünftigen Auferstehung“. (Zitiert nach Perpeet [1977]: Ästhetik im Mittelalter, S. 33) 35 Vgl. Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 467f. 36 Perpeet (1977): Ästhetik im Mittelalter, S. 37. 37 Perpeet (1977): Ästhetik im Mittelalter. S. 44. 38 Perpeet (1977): Ästhetik im Mittelalter, S. 59f. 34
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2.1.2.2 Pseudo-Dionysius Areopagita – Die Schönheit des Lichtes Neben Farbe und Proportion ist vor allem das Licht für die Philosophen und Mystiker des Mittelalters ausschlaggebend. Das Sonnenlicht, der Schimmer und Glanz auf spiegelnden Flächen und das Flammen und Leuchten des Feuers sind ein Ausdruck höchster Schönheit. Dies ist vor allem in der Vorstellung von Gott als dem Licht verankert. Diese Vorstellung ist nicht erst mit dem Christentum entstanden – sie stammt aus weit zurückreichender Tradition, in der Götter als Personifizierungen der Sonne und des Lichtes gelten. Über die neuplatonischen Strömungen gelangt diese Vorstellung in die christliche Tradition, zuerst durch Augustinus, später durch (Pseudo-)Dionysius Areopagita. (Pseudo-)Dionysius Areopagita39 und seine Lehren prägen die mittelalterlichen Schönheitsauffassungen und vor allem die Lichttheologie. „Die mittelalterliche Schönheitslehre ist vom emotionalen Gesamtklang der kontemplativen Areopagitischen Lichthymnologie bestimmt.“40 Pseudo-Dionysius spricht – wie auch Augustinus – die überwesentliche Schönheit Gott zu, dessen Allmacht alles Weitere geschaffen hat. Diese überwesentliche Schönheit Gottes äußert sich vor allem im Licht. Nach seinen Ansichten ist der Abglanz der Natur Gottes eine Lichtüberfülle, während er selbst sich in Urdunkelheit befinde. Die altjüdische Vorstellung, Gott weile in undurchdringlicher Dunkelheit, wurde durch Pseudo-Dionysius als christliches Gedankengut angenommen.41 Nach seinen Ansichten gibt es ein unberührbares und unsichtbares Dunkel, welches erst die Voraussetzung des Lichts darstellt. Gott selbst ist für Dionysius kein Licht. Er ist kein Lichteinfall und auch keine Lichtquelle, sondern das Licht ist eine Schöpfung Gottes – er selbst aber steht noch über dieser Schöpfung. Trotz dieser Unähnlichkeit scheint für Pseudo-Dionysius Licht noch am besten Gottes Wesen begreifbar zu machen. Es hat eine Sonderstellung in der Schöpfung inne. „Licht ist schön, weil Gottes Schönheit im sichtbaren Licht derart transparent wird, daß in der natürlichen Hinneigung des Menschen zu leichtvoll Schönem die Schönheit Gottes ahnungsvoll geliebt werden kann.“42 Das Licht und vor allem das Feuer, welches Dionysius am gottähnlichsten erscheint, bietet dem Menschen die Möglichkeit, einen Blick auf den Abglanz Gottes zu werfen. Damit kommen die Ansichten des Dionysius dem mittelalterlichen Bedürfnis nach Anschaulichkeit mehr entgegen als die Beschäftigung mit Maß, Zahl und Ordnung des Augustinus. Dionysius Areopagita (heute meist Pseudo-Dionysius, Ende des 5./Anfang des 6. Jahrhunderts) war ein Autor, der vermutlich aus syrischen oder palästinensischen Mönchskreisen stammte und eine platonische und plotinische Bildung besaß. Man hielt ihn (fälschlicherweise) für den in der Apostelgeschichte [17, 34] erwähnten Dionysios von Areopag. Bis zum ausgehenden Mittelalter war er eine Autorität in den Gebieten der Schönheitstheologie und der Lichtsymbolik und hatte großen Einfluss auf spätere Philosophen und Theologen. Im Mittelalter wurden die Schriften des Ps.-Dionysius als Worte der Heiligen Schrift zitiert und ausgelegt. (vgl. Perpeet [1977]: Ästhetik im Mittelalter, S. 65ff.) 40 Perpeet (1977): Ästhetik im Mittelalter, S. 72. 41 Vgl. Gage (1993): Kulturgeschichte der Farbe, S. 60. 42 Perpeet (1977): Ästhetik im Mittelalter, S. 80. 39
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Dionysius’ Begeisterung für das Licht hatte auch einen großen Einfluss auf die Wertschätzung der Farbe. Die Emanationen des göttlichen Lichts erscheinen dem Menschen in der Verhüllung der Farbe. Über die Betrachtung dieser Farben führt der Weg der Erkenntnis zurück zum weißen, unverhüllten Licht Gottes. „Farben sind demnach der Widerschein des absoluten Lichts, oder umgekehrt, sie partizipieren aufgrund ihres Theophaniecharakters am göttlichen Licht.“43 Diese Möglichkeit der Gotteserkenntnis über die Farbe hatte vor allem auf die Kirchenbaukunst der Gotik großen Einfluss, die Kathedralen der Zeit sind auf diesen Aspekt hin ausgestaltet44: Die großen bunten Glasfenster der gotischen Kirchen mit ihrem Spiel aus Lichtdurchlässigkeit und Farbe harmonieren mit der Transparenz der Architektur und erzeugen mit ihrem gefärbten Glas das dunkel-bunte Düsterlicht, auf das die Lehren des Pseudo-Dionysius hindeuten.45 2.1.2.3 Scholastische Schönheitslehren Die areopagitischen Auffassungen über das Licht wirken sich deutlich auf die spätere hochscholastische Ästhetik aus. Ihre Züge vereinen „augustinische und areopagitische, aristotelische und neuplatonische, philonische und arabische Anteile, aber auch franziskanische und dominikanische.“46 Von besonderer Bedeutung für die scholastische Schönheitslehre des Abendlandes sind die Übersetzung und der Kommentar des Johannes Scotus Eriugena (9. Jh.) zum Corpus Dionysiacum. Er betont vor allem, dass die göttliche, übermäßige Schönheit nur als Differenz fassbar ist. Die Anschauung ist die höchste Erkenntnisform. Alle Anschauung ist erleuchtende Anschauung, allerdings auch nur eine Schau der unähnlichen Abbilder der absoluten Vollkommenheit. Auch mangelhafte oder Schausten, Monika (2006): Suche nach Identität. Das „Eigene“ und das „Andere“ in Romanen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Köln: Böhlau, hier S. 79. 44 Der Grundgedanke der gotischen Kathedrale ist der einer vollkommenen Einheit, einem harmonischen, klaren Gesamtbild, in dem Architektur, geometrische Anordnung, die Proportion der einzelnen Teile, Lichteinfall, Materialien und auch Farben einheitlich auf den Betrachter wirken. Besonders die Choreographie des Lichteinfalls durch die großflächigen Fenster, dessen Färbung, Bündelung und Lenkung ist ein wesentliches Gestaltungselement. Das Licht Gottes sollte die Kirche auf eine metaphysische Ebene erheben. Die Eigentümlichkeit des Lichtes ist, dass es illuminando colorat (erleuchtend färbt). Das hereinströmende bunte Licht sollte den Anblick des überirdischen Lichtes vorwegnehmen. 45 Zur Bedeutung der Lichtphilosophie des Pseudo-Dionysius Areopagita für die Gestaltung der gotischen Kathedrale, vor allem für den Ausbau der Kathedrale St. Denis nahe Paris (ca. 1137 – 1144) durch Abt Suger vgl.: Eco (2004): Geschichte der Schönheit, S. 114f.; Assunto (1996): Theorie des Schönen im Mittelalter, S. 90–104, und Toman, Rolf; Bednorz, Achim (Hg.) (2007): Gotik. Architektur, Skulptur, Malerei. Sonderausg., 1. Aufl. Königswinter: Ullmann. Zur intensiv polychromen Ausgestaltung der Außen- und Innenwände der Kathedralen sowie der Skulpturen und zur Gesamtwirkung von Architektur und Farbe vgl. Kurmann, Peter (2011): Als die Kathedralen farbig waren… In: Ingrid Bennewitz und Andrea Schindler (Hg.): Farbe im Mittelalter. Materialität – Medialität – Semantik. Akten des 13. Symposiums des Mediävistenverbandes vom 1. bis 5. März 2009 in Bamberg, Bd. 1. 2 Bände. Berlin: Akademie Verlag Berlin, S. 31–46. 46 Perpeet (1977): Ästhetik im Mittelalter, S. 82. 43
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böse Dinge dienen der Anschauung, denn auch in ihnen erkennen wir die Vollkommenheit, an der jedes Wesen Anteil hat. Die Lehren des Johannes Eriugena beschäftigen sich vor allem mit dem Licht, welches er als eine Immanation Gottes auffasst. Nur durch die Verhüllung des göttlichen, weißen Lichtes in farbigen Erscheinungen wird es für den Menschen erfahrbar. Farben sind somit der Widerschein göttlichen Lichtes auf Erden. Der aus den Areopagitica stammende Lehrsatz, dass alles Kreatürliche, das in sich selbst schön ist, auch Licht beinhalten muss, führt in der Schönheitslehre des 13. Jahrhunderts schließlich zu der einflussreichen Unterscheidung zwischen lux und lumen. Der lichtreiche Schöpfer wird von seiner ebenfalls leuchtenden Schöpfung begrifflich getrennt. Der Begriff lux begreift Gott, während lumen weltliche Objekte und Phänomene bezeichnet. Lumina sind u. a. Lichtträger oder Leuchten, Gestirne, Fackeln, Kerzen und Fenster, aber auch Spiegel oder Edelsteine, die das Licht reflektieren. Nach dem Verständnis der scholastischen Schönheitslehre ist das Licht die Ursubstanz allen Seins. Je mehr lux ein leuchtendes Ding beinhaltet, desto formvoller und damit auch schöner ist es. Das durch Johannes Scotus Eriugena überlieferte Wissen bleibt bis ins frühe und hohe Mittelalter zum Beispiel durch die Zusammenfassungen bei Hugo von St. Viktor (Didascalicon, VII, 4) einflussreich. Gleichzeitig entsteht aber auch eine neuplatonisch gefärbte Lehre vom Licht, geprägt durch das aufkeimende Interesse an Optik und Physik des Lichtes, vor allem beeinflusst durch Roger Bacons Theorien der Optik als Wissenschaft. Robert Grosseteste versucht, eine versöhnliche Theorie zwischen qualitativem und quantitativem Prinzip zu finden. Er versteht das Licht als die vollkommenste aller Proportionen, als Harmonie in sich. Sein Weltbild ist durch das Licht als Ursprung allen Seins geprägt. Das vom Licht Geschaffene ist durchweg schön anzuschauen – wegen der Proportion und auch wegen der Wirkung des Lichtes, die dem Auge angenehm ist. Grossetestes Theorie bildet damit eine Summe der neuplatonischen Lehren von Proportion und Harmonie und der areopagitischen Lichtmetaphysik. Bonaventura entwickelt diese Metaphysik des Lichtes weiter.47 Das Licht ist für ihn Grundlage und Ursprung aller Schönheit. Er differenziert zwischen drei Formen des Lichtes: dem lux als dem Licht an sich, dem lumen als Licht, welches von transparenten Medien durch den Raum transportiert wird und schließlich den Aspekten von color (Farbe) und splendor (Glanz), die auftreten, wenn Licht von undurchlässigen Körpern reflektiert wird. Licht und Farbe sind innerhalb der Körper nicht zu trennen. Thomas von Aquin definiert Schönheit schließlich als eine Kombination aus drei Elementen: nam ad pulchritudinem tria requiruntur; primo quidem integritas sive perfectio, quæ enim diminuta sunt, hoc ipso turpia sunt; et debita proportio, sive consonantia; et iterum claritas. Unde quæ habent colorem nitidum, pulchra esse dicuntur.48 [Summa Theologiae, 39,8] 47 48
Vgl. hierzu vor allem Riedenauer (2011): Wesen und Wirkung des Lichts bei Bonaventura. De Aquino, Thomas (1903): Summa theologica. Diligenter emendate. De rubeis, billuart et aliorum. Notis selectis ornata. Pars 1a. T.1. Turin: Typographia Pontificia, Eq. Petri Marietti, hier S. 266, Hervorhebungen im Original.
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ein lebende bilde: Schönheit und ihre farbigen Variationen Für die Schönheit bedarf es dreier Dinge. Erstens der Vollständigkeit oder Vollkommenheit; unvollständige Dinge nämlich sind häßlich. Weiter der rechten Proportion oder Harmonie. Und schließlich der Klarheit oder des Glanzes: Denn wir nennen solche Dinge schön, die leuchtende Farben haben.49
Die Klarheit und das Leuchten (claritas) stammen bei Thomas aus dem Innersten der Dinge, die sie erfüllt. Auch die Farbe ist für ihn von äußerster Wichtigkeit: Je mehr Licht etwas enthält, desto leuchtender auch sein reiner Farbenglanz. Sich Verfärbendes ist nicht schön, unklare oder gebrochene Farben können die Forderung nach Klarheit und Ordnung nicht erfüllen. Für Thomas sind Gutes und Schönes untrennbar verbunden. Wer Schönes schätzt und liebt, liebt zugleich auch das Gute. Damit entsteht der prägende Topos: pulchra enim dicuntur quae visa placent (S. Th., 5, 4)50 – „Schön nennt man, was als Erkenntnisgegenstand (der Anschauung) gefällt.“51 Diese Wertschätzung des Schönen besitzt bereits einen rezeptionstheoretischen Aspekt. Richard von St. Viktor spricht davon, dass bei der contemplatio, der Betrachtung von Schönem, ein Staunen entsteht. „Im Augenblick der Ekstase weitet sich die Seele, wird von der wahrgenommenen Schönheit erhoben, verliert sich völlig im Gegenstand.“52 Bonaventura weist vor allem darauf hin, dass das Objekt der Betrachtung, um beim Subjekt Genuss auszulösen, von proportionaler, harmonischer Schönheit sein muss. Unproportionale, übermäßige Schönheit führe zum Leiden der Sinne. Sind jedoch Harmonie, Proportion und Schönheit gegeben, entstehe „Liebe“.53 Aus der Betrachtung des Schönen, Farbigen und Lichten entsteht eine Emotion – ein Aspekt, der später in der Goetheschen Farbenlehre wieder aufgegriffen wird.54 Diese Schönheitstheorien haben Einfluss auch auf die Literaturtheorie des Mittelalters. In den mittellateinischen Lehrbüchern der Rhetorik und Poetik im 12. Jahrhundert, zum Beispiel des Matthäus von Vendôme (Ars versificatoria)55, werden venustas (Anmut) und elegantia als zu beachtende Kategorien genannt. Merkmale der schönen Literatur sind des Weiteren die rechte Verbindung der Teile (elegans junctura), die Vermeidung von Zuviel oder Zuwenig und, nicht zuletzt, die Qualität der Farbigkeit und der Lichthaftigkeit (colores). Die rhetorischen Akzente der venustas verbi und der elegantia operieren mit den Schönheitsmerkmalen von proportio und color.56 Die Erörterung der rhetorischen colores 51 52 53 54
Übersetzung zitiert nach Eco (1991): Kunst und Schönheit, S. 124. De Aquino, Thomas (1903): Summa theologica. Pars 1a, S. 32. Übersetzung zitiert nach Perpeet (1977), Ästhetik im Mittelalter, S. 98. Eco (1991): Kunst und Schönheit, S. 118. Vgl. Eco (1991): Kunst und Schönheit, S. 119. Vgl. zu Goethes Farbtheorie: Gage (1993): Kulturgeschichte der Farbe, S. 191–212 (Goethe und das subjektive Farbempfinden). 55 Matthäus von Vendôme: Ars versificatoria. In: Edmont Faral (Hg.) (1971): Les arts poétiques du 12e et du 13e siècle. Recherches et documents sur la technique littéraire du moyen âge. Paris: Champion, S. 106–193, für die Schönheitsbeschreibung der Helena speziell S. 129f. 56 Vgl. Huber, Christoph (2007): Merkmale des Schönen und volkssprachliche Literaturästhetik. Zu Hartmann von Aue und Gottfried von Straßburg. In: Braun, Manuel; Young, Christopher (Hg.): Das 49 50
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wie der Klarheit und Lichtförmigkeit der gewünschten Sprache kehren dabei das Farbmerkmal hervor. Matthäus von Vendôme legt in seiner Poetik auch bereits die wichtigsten Konstituenten weiblicher Schönheit inklusive der dazugehörigen Farbzuweisungen fest und legt somit den Grundstein für die mittelalterliche Poetik des Ekphrastischen.57 Auch inhaltlich ist die mittelalterliche Literatur durchdrungen von den ästhetischen Ansichten und Lehren ihrer Zeit. Ihr Verständnis von „Schönheit“ oder „Hässlichkeit“ als Prinzip und Ideal oder Gegentypus ist geprägt von den Vorstellungen der Philosophie ebenso wie der Theologie. Die hohe Wertschätzung, die der Farbe, der Proportion der Körper und der Harmonie der Teile in den außerliterarischen Schönheitstheorien entgegengebracht wird, spiegelt sich unzweifelhaft in den Beschreibungstopoi der Literatur wieder, vor allem im Ideal des adeligen Körpers in seiner Farbigkeit, seinen Glanzeffekten und dem endogenen Lichtschein, der ihn des Öfteren umgibt. Die besondere Wertschätzung für Lichthaftigkeit und Glanz, für das Leuchten und Widerspiegeln von Materialien, Stoffen und des menschlichen Körpers ist in den Personenbeschreibungen präsent, ebenso wie die Leidenschaft der mittelalterlichen Kultur für die Farbe. Strahlende Augen und glänzendes Haar sind ebenso schön wie weiße Haut und rote Lippen. Trotz dieser überdeutlichen Präsenz von Farbe und Lichtwirkung in den Schönheitsbeschreibungen sind diese Aspekte bisher noch nicht im Einzelnen untersucht worden. Im Fokus der folgenden Analyse steht daher die Fragestellung, wie sich der Schönheitsdiskurs aus der Perspektive der Farbigkeit darstellt, speziell in den Farben der Beschreibungssequenzen höfischer Damen. Weiterhin stellt sich die Frage nach dem Sinngehalt der Farben und vor allem danach, wie Abweichungen oder Übersteigerungen des bekannten Musters der Farbgebung einen hervorgehobenen Status der Figur, einen ambivalenten Charakter der Schönheit oder gar einen Bruch zwischen Körperschönheit und vollkommener Tugendhaftigkeit markieren können. 2.1.2.4 Das Schöne als das Gute Die erwartete Entsprechung von körperlicher Schönheit und innerer Tugendhaftigkeit ist ein Aspekt, der in den literarischen Schönheitsbeschreibungen immer wieder thematisiert wird. „Das moderne Denken unterscheidet die Kategorie der Schönheit von denen des Wahren und des Guten. Das mittelalterliche Denken setzt dagegen die Schönheit mit den Kategorien des Wahren und des Guten gleich.“58 Die Schönheit der Welt gilt als Widerschein und Ebenbild der idealen Schöpfung. Damit geht eine Einheit von Wahrheit und Güte (bonum), und gleichzeitig auch von Gutem und Schönem einher:
fremde Schöne. Dimensionen des Ästhetischen in der Literatur des Mittelalters. Berlin/New York: de Gruyter, S. 111–141, hier S. 119. 57 Vgl. Ernst (2007): Haut-Diskurse, S. 186. 58 Assunto (1996): Theorie des Schönen, S. 43.
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ein lebende bilde: Schönheit und ihre farbigen Variationen Die Sensibilität der Zeit führt in einer Atmosphäre eines christlichen Spiritualismus zu einem Wiederaufleben der griechischen kalokagathìa, der Endias kalos kai agathos (schön und gut), die die harmonische Vereinigung von körperlicher Schönheit und Tugend bezeichnete.59
Diese Einheit von Gutem und Schönem wird besonders in der fiktionalen Literatur des Mittelalters bei Beschreibungen adliger Figuren verhandelt.60 Die höfische Literatur interessiert vor allem, ob eine Koinzidenz von Innen und Außen vorliegt, die Frage, ob die Schönheit wirklich auf Tugend beruht und damit tatsächlich signum und nicht nur res ist. Schönheit muss mit einer ethischen Entsprechung einhergehen, sonst ist sie wertlos.61 Die mittelalterliche Auffassung bezüglich der körperlichen Schönheit ist, wie bereits gezeigt, ambivalent. Schönheit kann dazu dienen, edle Tugenden und richtige Verhaltensweisen im Menschen hervorzurufen, gleichzeitig aber warnt schon Augustinus davor, dass am Schönen nicht nur zwingend die Guten teilhaben können, und körperliche Schönheit – vor allem die der Frau – den Mann vom Weg der Tugend abzubringen vermag. Allerdings erscheint die Schönheit gerade durch diese Ambivalenz als besonders verlockend. Aus diesem Grund sind die mittelalterlichen Dichter, vor allem die des Minnesangs, aber auch die der höfischen Romane darum bemüht, die Schönheit der Damen nicht ohne Hinweis auf ihre Tugendhaftigkeit und ihre adlige Haltung zu loben. Die descriptio pulchritudinis ist grundsätzlich begleitet von einem Tugendlob.62 Das Innen soll das Außen noch übertrumpfen, innere Schönheit kann auch das heruntergekommene Äußere durchbrechen, wie es im Kapitel zur entstellten Schönheit noch deutlich werden wird.63 Jedoch wird stets der Übereinstimmung beider Teile als unübertrefflichem Ideal der Vorrang gewährt.
2.2 Die Verhandlung des weiblichen Schönheitstopos im höfischen Roman Die mittelalterlichen Vorstellungen von Schönheit, Hässlichkeit und höfischer Repräsentation äußern sich vor allem in den kunstvoll gestalteten Beschreibungen der Figuren, Räume, Gegenstände, Landschaften, Gebäude und Kleider. Im Rahmen dieser Arbeit werden vor allem Körper- und Kleiderbeschreibungen betrachtet, da sie direkten Anteil
61 62
Eco (1991): Kunst und Schönheit, S. 38f, Hervorhebungen im Original. Vergleiche hierzu auch die Ausführungen zum Schönheitsideal im höfischen Roman, Kapitel 2.2. So auch ausführlich Hahn (1977): Theorie der Personenerkenntnis, S. 402. Vgl. Tervooren, Helmut (1988): Schönheitsbeschreibung und Gattungsethik in der mittelhochdeutschen Lyrik. In: Stemmler, Theo (Hg.): Schöne Frauen – Schöne Männer. Literarische Schönheitsbeschreibungen. 2. Kolloquium der Forschungsstelle für europäische Literatur des Mittelalters. Tübingen: Gunter Narr Verlag, S. 171–198, hier S. 172. 63 Vgl. dazu Kapitel 4. 59 60
Die Verhandlung des weiblichen Schönheitstopos im höfischen Roman
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an der Identitätskonstruktion der Figuren haben und sie in ihrer Visualität repräsentieren. Die Beschreibungen von Gesicht, Körper und, eng damit verknüpft, des Gewandes bilden eine Einheit, welche ein vollständiges Bild der Figur vermitteln soll. Grundsätzlich folgen die topischen Figurenbeschreibungen oder descriptiones einem schematischen Muster. Diese Topoi sind rhetorische Orte64, Gemeinplätze, die von immer wiederkehrenden Strukturen geprägt sind, daher ist es besonders auffällig, wenn die Grenzen dieser Strukturen überschritten werden. Betrachtet man das Verhältnis des außerliterarischen Lebens des Mittelalters zum in der Literatur dargestellten, so wird deutlich, dass die Literatur der Epoche selten die „Wirklichkeit“ von Wahrgenommenem wiedergibt. Die Figuren, die Umwelt und die Motive sind grundlegend einfach dargestellt. Dies, so Ernst Robert Curtius, gilt für die geschriebene wie auch für die „mündliche Literatur“, für die germanische (volkssprachliche) wie lateinische Literatur.65 Die descriptiones sind in einer literarischen Tradition verankert, deren Ursprünge bis in die Antike zurückreichen. Die mittelalterlichen Autoren bedienen sich alle dieser typischen Muster, sie sind gebunden an einen vorgegebenen Stoff, einen Vorgängertext oder den virtuellen, abrufbaren Kanon der beschreibenden Topoi. Gleichzeitig aber lässt dies nicht auf einen Mangel an Einfallsreichtum schließen. Die Variation und der Ausbau des tradierten Schemas sind die Aufgabe des Autors, nach der sein Werk beurteilt werden muss, nicht die Innovation. Die Anteile des topisch fundierten Ideals werden immer wieder neu zusammengestellt, koordiniert, und in neuen kompositionellen und gedanklichen Zusammenhängen dargestellt. Im Werk unterbrechen die Beschreibungspassagen den Handlungsfortgang, sie erzeugen einen Stillstand, einen Moment des Schauens und der Anschauung im Fluss der Erzählung. Die digressionsartigen Textpassagen bieten dem Autor Platz, um andere Inhalte in die Schönheitsbeschreibungen mit einfließen zu lassen. Diese Inhalte können und werden im mittelalterlichen höfischen Roman auch über Farben codiert. Susanne Bürkle erläutert in ihrem Aufsatz zur „Kunst-Reflexion aus dem Geiste der descriptio“66 den Umgang der mittelalterlichen Autoren mit den bekannten Mustern. Sie behandeln die descriptiones entweder in Form der amplificatio, der Erweiterung und Vergrößerung an Umfang, der „detailreichen, ausschmückenden dilatatio materiae“67, oder sie bedienen sich der topischen Argumente und Frageschemata der römischen Rhetorik und verdichten die Topoi zu einer Art „normativer Poetik mit wirkungsästhetischem Vgl. Curtius, Ernst Robert: Rhetorische Naturschilderungen im Mittelalter. In: Romanische Forschungen. Vierteljahresschrift für romanische Sprachen und Literaturen, 56 (1942), S. 219–156, hier S. 219. Curtius analysiert den Gebrauch von tradierten Darstellungsschemata in seinem Aufsatz beispielhaft am Topos der rhetorischen Landschaftsschilderung, speziell des locus amoenus. 65 Vgl. Curtius (1942): Rhetorische Naturschilderungen, S. 220. 66 Bürkle, Susanne (2007): ,Kunst‘-Reflexion aus dem Geiste der descriptio. Enites Pferd und der Diskurs artistischer meisterschaft. In: Braun, Manuel; Young, Christopher (Hg.): Das fremde Schöne. Dimensionen des Ästhetischen in der Literatur des Mittelalters. Berlin/New York: de Guyter, S. 143– 170. 67 Bürkle (2007): ,Kunst‘-Reflexion, S. 143. 64
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Anspruch“68, die der Handlungsmotivation, Lob oder Tadel, Glaubwürdigkeit oder Wahrscheinlichkeit, oder der Geschlechter- oder Altersdifferenzierung dient. Generell sind die descriptiones Formen der Retextualität.69 Ihre Ausformungen bewegen sich im Rahmen von Identität und Differenz, variierender Innovation und innovativer Variation, sowie freier, angemessener Ergänzungen, Übersteigerungen und Überbietungen des Vorgegebenen.70 Der Spielraum zwischen Eigen- und Fremdanteil, der dadurch entsteht, erlaubt ein Spiel mit den Konventionen – dazu zählen im Interessensgebiet dieser Arbeit die Schönheits- und Hässlichkeitsbeschreibungen, die hervorgehobenen Lichtund Glanzeffekte, Farb-, Feuer- und Lichtmetaphern sowie die Verwendung von Körperfarben zur Darstellung von Emotionen, auch von erotischen Qualitäten und Absichten.71 Der Fokus auf das literarische Spiel mit den Farben eröffnet eine neue Perspektive auf die bereits oft betrachteten Beschreibungssequenzen. Der körperlichen Schönheit einer Person kommt im Selbstverständnis der mittelalterlichen Adelsgesellschaft ein hoher Stellenwert zu, dies zeigt sich zweifellos auch in der höfischen Literatur, in der die Schönheit des Helden und auch vor allem die der höfischen Dame stets betont wird. Die Einheit von Schönem, Wahrem und Gutem wird in der höfischen Literatur repräsentiert durch die adelige Figur mit ihrem makellosen, symmetrischen, wohl-proportionierten und auch wohl gefärbten Körper mit der standesgemäßen, prachtvollen Bekleidung und dem dazugehörigen Schmuck. Der Körper als Zeichenträger steht im Zentrum. Gerade weil die schöne Seele dem menschlichen Auge verborgen bleibt, übernimmt der schöne Körper eine bedeutende Funktion, indem er den Betrachter über die Sinnesorgane zu einer Wahrnehmung des Schönen führt, das Zeichen für das darunterliegende Gute ist. Die optischen, akustischen, manchmal gar olfaktorischen Signale, die der Körper aussendet, lassen ihn als harmonisches Gebilde erscheinen, als schöne Hülle für den guten Kern.72 Bürkle (2007): ,Kunst‘-Reflexion, S. 144. Retextualität bezeichnet nach Bumke unterschiedlichste Formen produktiver Rezeption [Bumke, Joachim (2005): Retextualisierungen in der mittelalterlichen Literatur, besonders in der höfischen Epik. In: Joachim Bumke (Hg.): Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Berlin: Erich Schmidt, S. 6–46.] Die mittelalterliche Poetik beruht auf der Unterscheidung zwischen der materia, dem Stoff, und dem, was der Dichter damit tut, dem dichterischen Schaffensprozess und dem dichterischen Werk. Die Tätigkeit des Dichters wird mit materiam tractare oder materiam dilatare bezeichnet. Es gibt laut Bumke eine Anzahl verschiedener Formen der Retextualisierung in der höfischen Epik; dabei unterscheidet er zwischen der Arbeit der Dichter, die eine materia bearbeiten und der Weiterarbeit an einem Werk. (vgl. dazu S. 24–43) Laut Bumke sind alle diese Bearbeitungen Formen produktiver Rezeption. Dabei verbinden sich Formen der Retextualisierung aufs engste mit literarischen Experimenten und Vorstößen in literarisches Neuland. 70 Vgl. Bürkle (2007): ,Kunst‘-Reflexion, S. 146. 71 Des Weiteren gehören dazu auch die detaillierten Beschreibungen von Tieren (so z.B. dem Feenhündchen Petitcreiu im Tristan Gottfrieds oder dem Pferd der Enite im Hartmanns Erec), Gegenständen (z.B. dem Sattelzeug des Pferdes der Enite im Erec), oder Räumen (z.B. die Minnegrotte in Gottfrieds Tristan oder der Palast der vrouw Sælde in der Crône Heinrichs von dem Türlîn), welche aber hier im Umfang dieser Arbeit nicht näher betrachtet werden können. 72 Kellermann (1999): Entstellt, S. 47.
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Die Verhandlung des weiblichen Schönheitstopos im höfischen Roman
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Der höfische Dichter ist in seinen Schönheitsbeschreibungen nicht seinem eigenen, subjektiven Ideal, sondern auch dem der Gesellschaft, seines Standes verpflichtet. Aufgrund der Gleichsetzung der äußerlichen Schönheit mit dem inneren Adel ist Schönheit exklusiv und standesgebunden: Nur die edle, hochgeborene und reiche Figur kann schön sein.73 Trotz des stilisierten Schönheitsideals steht es dem Autor frei, die erweiterbare Natur der descriptiones zu nutzen, um den Überbietungstopos aufrecht zu erhalten, die Schönheitsbeschreibung zu variieren, ihr besondere Schwerpunkte zu verleihen und den Fokus auf bestimmte Details zu legen. Deutlich zeigt sich die Erweiterung des Schemas bei der Betrachtung des weiblichen Schönheitsideals, das in der volkssprachlich-höfischen wie auch mittellateinischen Literatur dominiert und das auch in dieser Analyse im Vordergrund stehen soll. Das Schöne wird als Inbegriff des Weiblichen verstanden und umgekehrt das Weibliche als Inbegriff des körperlich Schönen.74 Aus der Betrachtung schöner Damen (vrouwen schouwen) entsteht das Hochgefühl der höfischen vröude. Gleichzeitig weist die Darstellung idealer Frauenschönheit aber auch viele Gemeinsamkeiten mit dem Typus des schönen jungen Mannes auf. Es gibt große Ähnlichkeiten zwischen dem weiblichen und dem männlichen Schönheitstypus.75 Die descriptio des Körpers verläuft zumeist schematisch vertikal vom Kopf hinab zu den Füßen, begleitet von einer Beschreibung von Haltung, Gang, Auftreten und einem Hinweis auf die Tugendhaftigkeit der Figur.76 Allerdings sind bei dem deskriptiven Muster der topischen Schönheitsbeschreibung, so Schausten, neben der stereotypen Beschreibungsrichtung vor allem auch die Farben, die mit dem Topos einhergehen, ausschlaggebend: „Der Deskription weiblicher Schönheit unterliegt ein auffallend stabiles
Ausnahmen hierzu bilden beispielsweise bei Hartmann die Meierstochter im Armen Heinrich und die verarmte Enite zu Beginn des Erec. 74 Vgl. auch Schnell, Rüdiger (2005): Die höfische Kultur des Mittelalters zwischen Ekel und Ästhetik. In: Gert Althoff, Hagen Keller und Christel Meier (Hg.): Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster. Berlin/New York: de Guyter (39), S. 1–100, hier S. 87. 75 Dazu Haupt, Barbara (2002): Der schöne Körper in der höfischen Epik. In: Ridder, Klaus; Langer, Otto (Hg.): Körperinszenierungen in mittelalterlicher Literatur. Kolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (18. bis 20. März 1999). 1. Aufl. Berlin: Weidler (Körper, Zeichen, Kultur, 11), S. 47–73, hier S. 47. Haupt fasst das männliche Schönheitsideal wie folgt zusammen: schlanker Wuchs, blondes, gelegentlich auch braunes Haar, meist gelockt, glänzende Augen, kleiner, roter Mund, freundlich und lächelnd, heller Teint, Rot und Weiß kombiniert, männlich breite Schultern und breite Brust, schöne, wohlgeformte und lange Beine. Musterbeispiele männlicher Schönheit bietet Gottfried von Straßburg im Tristan, indem er Riwalin [Tr. V. 695–719] und Tristan [Tr. V. 3331–3350; 6683–6720; 11090–11149] ausführliche Schönheitsbeschreibungen widmet. 76 Haupt (2002): Der schöne Körper, fasst die maßgeblichen Aspekte einer solchen descriptio pulchritudinis unter 5 Gesichtspunkten zusammen: 1) Jugend, 2) Verzicht auf Kosmetika (natürliche Schönheit), 3) erotisierende Wirkung, 4) höfischer Habitus inklusive Gestik, Körperpflege und Kleidung und 5) der Wirkung auf die Zuschauer (vgl. S. 50ff.). 73
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Farbschema.“77 Dieses Schema findet sich bereits bei Matthäus von Vendôme (Ars versificatoria), der anhand der Helena von Troja eine Beschreibung idealer Schönheit inklusive der dazugehörigen Farben demonstriert: goldenes, blondes Haar, weiße Haut, rote Wangen, dunkle Brauen, weiße Zähne, ein weißer Hals und ebenso weiße Schultern.78 Es zeigt sich eine Bevorzugung des hellen, blonden Haares, die sich durch die gesamte westliche Kulturgeschichte verfolgen lässt, und ein Farbschema von Rot-Weiß-Schwarz (und Gold), das seinen Ursprung bereits bei antiken Autoren hat.79 Es lässt sich im Hinblick auf die Farbigkeit des Idealbildes Folgendes beobachten: Farbnennungen treten gehäuft bei der Beschreibung von Haut, Augen, Haar, Wangen und Mund auf. Die Haut ist meist von reinem Weiß, im Gesicht sowie am gesamten Körper, sie ist weiß wie eine Lilie, wie Schnee, ein Schwan, Alabaster, Mondschein oder Silber – Elemente, die eindeutig von allegorischen Auslegungstraditionen inspiriert sind.80 Gerade die weiße Haut ist Zeichen des hohen Standes, diese Vorstellung findet sich bis heute im Ausdruck der „vornehmen Blässe“ wieder. Neben dem Umstand, dass weiße Haut ein Zeichen dafür ist, dass der Mensch nicht zu Arbeit auf dem Feld gezwungen und damit beständig der Sonne ausgesetzt war, geht diese Bevorzugung der weißen Haut auf die symbolische Besetzung der Farbe Weiß zurück: Für Weiß lässt sich eine ziemlich stabile, durchgehende Symbolik nachweisen, die sich vor allem auf das Verständnis des Weißen als Farbe des Lichts und des Tages zurückführen lässt.81 Es ist in fast allen kulturellen Kontexten ein Zeichen von Licht, Ungetrübtheit, Reinheit, Tugend, Erhabenheit und damit dem Göttlichen.82 Weiß ist, ähnlich wie Rot, eine Farbe der Macht und der Herrschaft, ebenso des Gerichtes. In der christlichen Symbolik steht es für Gottes Herrlichkeit, vor allem für das göttliche Licht, Glaube, Hoffnung, christliche Tugend, Wahrheit und Bekennertum, für Christus und den Heiligen Geist im Besonderen, für Keuschheit, Unschuld und Unberührtheit und steht damit in direkter Opposition zu Schwarz als Farbe der Sünde, des Todes, der Trauer und Unreinheit.83 Weiß, auch in Kombination 79 80 81
Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 462. Vgl. Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 462. Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 1.4. dieser Arbeit. Vergleiche Kapitel 1.5. dieser Arbeit zur Allegorese und der christlichen Farbenbedeutungslehre. Der Status von Weiß als Farbe ist, genau wie der des Schwarz, umstritten, je nach Kultur und Epoche wird es als eigenständige Farbe oder eben als unfarbig, farblos oder unbunt verstanden. Mal gilt es als Mischung aller Farben, mal als Abwesenheit aller Farbe. 82 Welsch und Liebmann weisen darauf hin, dass Weiß als Verkörperung des Himmlisch-Göttlichen meist in Zusammenhang mit männlichen Gottheiten auftritt, während bei den erdgebundenen Muttergöttern Schwarz als Symbolfarbe gewählt wird. Allerdings gibt es auch „weiße Göttinnen“ wie Juno oder Isis. (vgl. Welsch/Liebmann [2004]: Farben, S. 103.) 83 Vgl. zur christlichen allegorischen Auslegung der Farbe Weiß: Meier/Suntrup (2011): Lexikon der Farbenbedeutungen, Art. albus, S. 39–78 und Art. candidus, S. 266–322. Meier und Suntrup weisen auch auf die enge Verwandtschaft des Weißen (vor allem von candidus) zu Erscheinungen von Licht, Glanz, Klarheit, Helligkeit und Schimmer hin (S. 46). Weiterhin Hermann (1969): Art. „Farbe“, Sp. 431f., Lauffer (1948): Farbensymbolik, S. 29ff., Wackernagel (1872): Farben- und Blumensprache, S. 167ff., und Meier (1997): Bedeutung der Farben, S. 255: „Reinheit, Glaube, Gerechtigkeit 77 78
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mit Rot, ist Zeichen der körperlichen Schönheit und des Adels. Auch Christus wird mit dem Schönheitsfarbenpaar Weiß – Rot beschrieben. Es kann auch Zeichen des Alters und damit der Weisheit sein. In anderen Kulturen ist Weiß hingegen Farbe des Todes und der Witwen. Weitere negative Konnotationen sind Furcht und Furchtsamkeit, Häresie, Trauer und Betrübnis, wohl angelehnt an das Erbleichen der Gesichtsfarbe84, die Hingabe an die Eitelkeit der Welt, Bequemlichkeit, Anmaßung und blendende Verstellung.85 Die Wangen sind rot oder rosenrot; in Kombination mit dem restlichen Gesicht sind auf ihnen Weiß und Rot in perfektem Mischungsverhältnis zu finden. Dies gilt als Zeichen körperlicher Gesundheit, was vor allem im Kontext genealogischen Denkens Wichtigkeit besitzt. Die Farbmischung von Weiß und Rot (oft expliziert in Vergleichen mit Milch und Blut, Schnee und Blut, Rose und Lilie) ist gleichbedeutend mit Leibesschönheit. Speziell die Kombination von Lilienweiß und Rosenrot hat in Form- und Deutungstradition ihren Ursprung in der christlichen Bildsymbolik: Das Weiß der Lilie unter Dornen wird nach einer Deutung des Hohelieds (Cant, 2,1–2) meist auf Maria bezogen. Es steht in diesem Kontext für Reinheit und Keuschheit.86 Die rote Rose hingegen gilt als Blume der Liebe, der Verschwiegenheit, der Zurückhaltung und Treue, aber auch der Lust.87 Rose und Lilie in Kombination stehen sinnbildlich für die Schönheit Marias und auch Jesu, der im Hohelied mit dem Bild der Rose beschrieben wird. Der Mund ist süß und rot, klein, geschwungen und lieblich und wird ebenfalls in Vergleich mit der Rose gesetzt, daneben stehen Vergleiche mit dem Rubin, mit Scharlach oder Blut, mit dem Feuer und darüber die Beschreibung als glühend, brennend, leuchtend oder heiß.88 Die Zähne sind weiß wie Lilien, Elfenbein, Schnee oder Hermelin. Die Augen werden häufig als lieht beschrieben, dies markiert eine helle Färbung und einen Effekt des Leuchtens oder Strahlens, dazu gehören auch die Bezeichnungen lauter/lûter oder klar. Sie werden auch mit einem Spiegel verglichen, ebenso wie mit der Sonne, dem Mond oder Sternen. Wird dem Glanz und der Lichthaftigkeit der Augen viel Aufmerksamkeit zuteil, so bleibt die tatsächliche Augenfarbe ein meist marginales Element, das häufig ausgespart oder mit einem Hinweis auf eine allgemein helle Farbe substituiert
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sind im Werk Hildegards die wichtigsten durch Weiß bedeutenden Kräfte; daneben ist die Farbe auch der Liebe (dilectio, charitas), der Demut (humilitas, devotio), dem Frieden (pax), der Barmherzigkeit (misericordia, bonitas) und dem Gehorsam (obedientia) eigen.“ Vgl. Wackernagel (1872): Farben- und Blumensprache, S. 238f. So im Werk Hildegards von Bingen, vgl. Meier (1972): Bedeutung der Farben, S. 260f, auch in der Deutung des weißen Aussatzes, vgl. Meier/Suntrup (2011): Lexikon der Farbenbedeutungen, Art. albus, S. 48, 72–75. Nach Wackernagel (1872) (Farben- und Blumensprache, S. 208) kann die weiße Lilie aber auch für Tod oder nahenden Krieg stehen. Vgl. Wackernagel (1872): Farben- und Blumensprache, S. 208ff. Vgl. Köhn, Anna (1930): Das weibliche Schönheitsideal in der ritterlichen Dichtung. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Greifswald. Greifswald: H. Eichblatt (Form und Geist, Arbeiten zur germanischen Philologie, 14), hier S. 100.
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wird.89 Eine spezifische Augenfarbe, beispielsweise grau [Crône, V. 8182]90 oder braun [Wigamur, V. 4919]91, wird nur an den wenigsten Stellen genannt. Brauen und Haare runden das Antlitz ab. Die Augenbrauen sind meist braun, ihr dunkler Kontrast vervollständigt die weiß-rot-schwarze Farbtrias. In Bezug auf Haarfarben ist eine deutliche Bevorzugung des Blonds festzustellen, beschrieben als val oder gelb wie Gold, ein Phänomen, das sich von der antiken bis hin zur heutigen Zeit beobachten lässt. Das blonde Haar, so Pleij, stelle das beständigste, vor allem weibliche, Schönheitsmerkmal dar, das sich über den Vergleich mit Gold, Licht und Sonne erklären lässt.92 Das blonde Haar markiert die Figuren, denen es attribuiert wird, als privilegiert. Dunkle Haare gelten hingegen als Zeichen niederen gesellschaftlichen Ranges, in bestimmten Fällen, vor allem bei weiblichen Figuren, ist es sogar ein explizites Hässlichkeitsmerkmal. Rote Haare werden häufig als negativ konnotiert verstanden. Dies hängt vor allem mit der Imagination des Judas als rothaarig zusammen.93 Graues oder auch weißes Haar signalisiert Alter, und darüber auch Weisheit, Erfahrung und Ansehen. Das Schönheitsideal der blassen Haut mit hellem Haar und hellen Augen entspricht einem eher nordischen Typus, ansonsten spiegelt es das Schönheitsideal der Antike und auch der französischen Literatur wieder.94 Die meisten weiblichen Figuren, denen man in der höfischen Literatur begegnet, ähneln sich stark, sie repräsentieren das Idealbild der höfischen Dame, das das mittelalterliche Publikum kannte und sich stets vor Augen rufen konnte. Bestandteil dieses literarischen Ideals ist, dass die beschriebene Dame immer die Schönste unter den Anwesenden sein muss, wenn nicht gar die Schönste der ganzen Welt. Sie wird als gottgeschaffen insze Dies konstatiert auch Ostheeren in seinem Überblick über den mittelalterlichen Schönheitstopos, vor allem im Zusammenhang mit Glanz- und Lichtästhetik: Ostheeren, Klaus (1971): Toposforschung und Bedeutungslehre. Die Glanzvorstellung im Schönheitskatalog und die mittelenglischen Farbadjektive blak und broun. In: Anglia: Zeitschrift für englische Philologie 1971 (89), S. 1–47, hier S. 15. Der Glanz der Augen, so führt Ostheeren aus, sei dabei nicht nur Zeichen ästhetischer Schönheit, sondern auch als ein Ausdruck der Kraft, der Macht, die eine Wirkung auf das Innere des Menschen hat, der sie betrachtet. Diese Kraft dringe in die Seele des Betrachters und erwecke dort Liebe. (vgl. S. 27) 90 Der Roman Diu Crône Heinrichs von dem Türlîn wird hier zitiert nach folgender Ausgabe: Heinrich von dem Türlin (1966): Diu Crône von Heinrîch von dem Türlîn. Zum ersten Male herausgegeben von Gottlob Heinrich Friedrich Scholl. Orig.-Ausg. 1852. Amsterdam: Editions RODOPI. Zitate aus dieser Ausgabe des Romans werden in Folgenden mit dem Kürzel Cr gekennzeichnet. 91 Der Wigamur wird zitiert nach folgender Ausgabe: Anonym (1987): Wigamur. Editè avec Introduction et Index. Hrsg. v. Danielle Buschinger. Göppingen: Kümmerle (320). Zitate aus dem Roman werden in Folgenden mit dem Kürzel Wgm gekennzeichnet. 92 Vgl. Pleij (2004): Colors Demonic and Divine, S. 49. 93 So Pleij (2004): Colors Demonic and Divine, S. 81ff. Pleij zufolge werden auch Juden häufig mit dem Phänomen der Rothaarigkeit in Verbindung gebracht, ihr Haar soll durch das Blut Christi gefärbt sein. Zur roten Haarfarbe im höfischen Roman vgl. Kapitel 3.2.1. 94 Vorformen dieses Topos finden sich bereits in der Antike und Spätantike. Zu diesen Ursprüngen des Schönheitstopos vgl. Ostheeren (1971): Toposforschung, S. 2ff. 89
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niert, um die Möglichkeit der Übertreffung auszuschließen.95 Die Schönheit von Figuren wird in der höfischen Epik in dreierlei Weise dargestellt: (1) durch die Schilderung ihrer Wirkung auf andere, (2) den Vergleich mit einem als schön vorausgesetzten Objekt oder Naturphänomen und (3) durch eine direkte Beschreibung.96 Alle Varianten bedienen sich der Farbigkeit, um Schönheit darzustellen: In dem Farb- und Lichteindruck, den die Betrachter auffangen, in dem Vergleich mit besonders wegen ihrer schönen Farbe oder ihrer Lichtwirkung gerühmten Objekten und in den detailreichen direkten Beschreibungen, in denen durch Farben und Lichteffekte Akzente gesetzt werden. Bei der Wirkungsbeschreibung wird dem Schönheitspreis eine Schilderung der Wirkung der Dame auf ein Publikum voraus- oder nachgestellt. Die bloße Anschauung der Dame kann einen Ritter in Liebe entflammen lassen, sie vermag ihn in Staunen und Ehrfurcht, sogar Angst zu versetzen und denjenigen, der sie erblickt, dazu zu bringen, der Dame keinen Wunsch mehr abschlagen zu können. Wer sie ansieht, wird bei ihrem Anblick von Freude erfasst, so unglücklich er auch ist. Auf der anderen Seite kann große Schönheit auch Verlangen nach der Dame und einen Wunsch, sie zu besitzen, hervorrufen. Dies kann zu einer Gefahr für die Dame selbst und auch für den ihr zugeordneten Mann werden. Die Wirkungsbeschreibung ist häufig mit Glanzevokationen und Farbeindrücken verknüpft. Vergleiche werden in den Schönheitsbeschreibungen vor allem auf der Farbebene gezogen: Haut, weiß wie Schnee oder Lilien, Lippen und Wangen rot wie Rosen, Haare blond wie reines Gold. Ein Vergleich, der in der höfischen Literatur (und auch im Minnesang, vor allem bei Heinrich von Morungen) immer wieder aufgegriffen wird, ist der mit der Sonne in ihrer Funktion als Licht- und Wärmespenderin. Die Himmelskörper Sonne, Mond und Sterne gelten in vielen Kulturen als Symbole strahlender Schönheit.97 Sonnenverglei Von Laudine heißt es zum Beispiel in Hartmanns Iwein: zewâre got der hât geleit / sîne kunst und sîne kraft, / sînen vlîz und sîne meisterschaft, / an disen lobelîchen lip: / ez ist ein engel und niht ein wîp. [Iwein, V. 1686–1690] (Wahrlich, Gott hat all sein Vermögen und seine Macht, seine Sorgfalt und seine Meisterschaft auf diese Schönheit verwendet. Ein Engel ist sie, keine Frau.) Der Iwein und seine Übersetzung werden zitiert nach: Hartmann von Aue (2001): Iwein. Text und Übersetzung. Text der siebenten Auflage von G. F. Benecke, K. Lachmann und L. Wolff. Übersetzung und Nachwort von Thomas Cramer. 4., überarb. Aufl. Berlin/New York: de Guyter (De-Gruyter-Texte). Im Folgenden werden Zitate aus dem Roman mit dem Kürzel Iw markiert. 96 In den folgenden Ausführungen zur literarischen Darstellung weiblicher Schönheit beziehe ich mich auf die Arbeit von Anna Köhn [Köhn (1930): Das weibliche Schönheitsideal], die in Bezug auf die in ihr vertretenen, teilweise sehr einseitigen und wertenden Ansichten nur unter Vorbehalt verwendet werden konnte. Gleichzeitig beinhaltet die Arbeit aber eine große, umfassende und immer noch aktuelle Materialsammlung zum weiblichen Schönheitsideal und ist in ihrer Archivierung der Textstellen auch hinsichtlich der Farbigkeit sehr ertragreich. 97 Dieses „Lichtwunder“, so Ostheeren (1971): Toposforschung, S. 3, ist älter als der Schönheitskatalog, es existiert bereits in der altägyptischen Liebesdichtung. Bei den Sonnenvergleichen geht es aber nicht nur um die Lichtwirkung, sondern auch um den Rang, den die Sonne (und auch der Mond) gegenüber anderen Himmelskörpern haben. Das Sonnenbild dient somit zur Darstellung des Vortrefflichen, Unübertroffenen. Siehe hierzu auch die Erläuterungen zur Verbindung von Licht und Schönheit in Kapitel 1.5. 95
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che sind besonders im Tristan Gottfrieds gehäuft zu finden, da die junge Isolde als der Inbegriff des Sonnenlichts erscheint. Sie finden sich aber auch in vielen anderen Romanen: Enite beispielsweise leuchtet als diu sunnẹ in liehtem tage [Erec, V. 1717]98. Auch Vergleiche mit Mond oder Sternen, dem Morgen- und dem Abendrot sind zahlreich. Die Himmelskörper sind vor allem wegen der durch sie aufgerufenen Lichtwirkung beliebt. Die Vorstellung einer Lichtemanation des menschlichen Körpers hat ihre Ursprünge in der Bibel: Von Gottes Antlitz geht Licht aus, und auch der Leib Christi verbirgt eine für den Menschen unerträgliche Lichtfülle. Gottes Schönheit, an der Christus, Maria und die Gerechten teilhaben, ist nicht Gestalt, sondern Licht. Aus der Bildsprache der Bibel und gnostisch-neuplatonischem Gedankengut entwickeln christliche Exegeten die Predigt und Legende auch der Volkssprache beherrschende Vorstellung des aus dem Innern hervorbrechenden Strahlens als Konkretisierung eines Schönheitsbegriffs, der das Phänomen der Täuschung ausschließt.99
Dieser Aspekt der Hochschätzung des Lichtes zeigt sich zweifellos auch in den Beschreibungen der vrouwe – und auch beim Ritter, deutlich bei Parzival100 oder Tristan – deren lichter Schein und strahlende Aura mehrfach Erwähnung finden. Hier ist die Schönheit und Lichthaftigkeit des Helden Zeichen der Verheißung, der Gottesgunst. Das Attribut lieht, ob in Kombination mit Farbangaben und Farben assoziierenden Wörtern oder einzeln verwendet, wird häufig als Synonym für „schön“ geführt.101 Damit steht die Hervorhebung des Lichtes in den Schönheitsbeschreibungen auch in Übereinstimmung mit den Prinzipien der mittelalterlichen Ästhetik, auf deren Hochschätzung von splendor und claritas bereits oben hingewiesen wurde. Neben leuchtenden Himmelskörpern findet man
Hartmanns Erec und seine Übersetzung werden zitiert nach folgender Ausgabe: Hartmann von Aue (2005): Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung von Thomas Cramer. 26. Aufl., Orig.-Ausg. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag. Im Folgenden werden Zitate aus dem Roman mit dem Kürzel Er markiert. 99 Hahn, Ingrid (1975): Parzivals Schönheit. Zum Problem der Erkennens und Verkennens im „Parzival“. In: Hans Fromm, Wolfgang Harms und Uwe Ruberg (Hg.): Verbum Et Signum. Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung. Studien zu Semantik und Sinntradition im Mittelalter. München: Wilhelm Fink (2), S. 203–232, hier S. 216. 100 Eine ausführliche Analyse der Schönheit Parzivals, vor allem in Bezug auf die Lichthaftigkeit der Figur im Kontext der Lichtphilosophie des Mittelalters bietet Hahn (1975): Parzivals Schönheit. Weitere Erkenntnisse zum Stellenwert von Glanz und Farbigkeit, insbesondere zur Rolle der Farbe Rot im Parzival bei Schausten (2008): Fall in die Farbe, v.a. S. 471ff. 101 Zur Bedeutung des Lichtes für die Schönheitsbeschreibung und den unterschiedlichen Gewichtungen des zur Umschreibung von Lichteffekten verwendeten Vokabulars am Beispiel des Parzival ausführlich: Brinker-von der Heyde, Claudia (2008): Lieht, schîn, glast und glanz in Wolframs von Eschenbach „Parzival“. In: Christina Lechtermann und Haiko Wandhoff (Hg.): Licht, Glanz, Blendung. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Leuchtenden. Bern: Lang (Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik, N.F., 18), S. 91–103. „Für Sachen wie für Personen erweist sich das Attribut lieht also ganz allgemein als die kürzest mögliche Form einer Schönheitsbeschreibung und wird deshalb nicht nur in Verbindung mit Farben, sondern einfach auch als Synonym für ,schön‘ eingesetzt“. (S. 94) 98
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vor allem Vergleiche mit wertvollen Materialien wie Gold, Silber und Edelsteinen102; außerdem mit dem reflektierenden Spiegel. Vergleiche mit Engeln, Göttinnen oder Feen sind ebenfalls zu finden, genauso wie mit schönen Jagd- oder exotischen und farbenprächtigen Zuchtvögeln. Die direkte Schönheitsbeschreibung ist von dem bereits oben erläuterten Schema geprägt, das in der Zeit des nachklassischen und späten Artusromans immer mehr ausdifferenziert wird. Hier wird eine Genese der Schönheitsbeschreibung sichtbar, welche mit Details (insbesondere bezüglich des Gewandes), Schmuckelementen und vor allem Farben erweitert wird, wie einige Beispiele zu zeigen vermögen: Die früh anzusiedelnde Schönheitsbeschreibung der Isalde-Figur in Eilharts von Oberg Tristrant (um 1180) ist vollständig auf Lichtwirkung ausgelegt. Strahlender Schein kündigt Isaldes Kommen an, es erscheint dem wartenden Kehenis, als nahten dort zwei Sonnen auf einmal: dar navch unlang kam ain schin, der im do so luchte, daß in selber beduchte, der sunnen wären zwo. [Tristrant, V. 6752–55]103 (Bald danach strahlte ein so heller Glanz auf, daß Kehenis meinte, es nahten zwei Sonnen auf einmal [.])
Isalde selbst in ihrer körperlichen Erscheinung bleibt allerdings verhüllt von dem strahlenden Lichtglanz, der ihr Kommen ankündigt. Der Text beschreibt nur ihren kostbar gearbeiteten Mantel, der von Edelsteinen und Gold funkelt. Das einzige Detail, das wir über ihren Körper und ihr Gesicht erfahren, ist, dass sie weiße Haut hat – und das ist stereotypes Zeichen aller höfischen Damen. Hartmanns Frauenbeschreibungen sind ausführlicher, jedoch schenkt auch er noch seine Aufmerksamkeit vor allem der Beschreibung der Wirkung seiner Frauenfiguren auf ihre Betrachter.104 Im Erec ist für Hartmann aber die Ausstattung Enites bereits von wesentlicher Bedeutung, und er widmet ihr eine ausführliche Beschreibung. Enite und ihr prachtvolles Kleid bilden eine Einheit, eins steht auf das andere bezogen, wobei die Trägerin aber noch stets das Kleid zu überstrahlen vermag. Beim Übergang zum nachklassischen Artusroman werden die descriptiones nach dem Muster der amplificatio an Umfang – aber nicht zwingend an hand Beim Vergleich der Schönheit von Figuren mit Edelsteinen geht es nicht alleinig um den bunten Glanz derselbigen, sondern auch um die magische Kraft der Steine, die damit auf die Figur übertragen wird. Hier überschneiden sich die semantischen Bedeutungsbereiche von Glanz und Kraft/ Macht. (Vgl. dazu Ostheeren (1971): Toposforschung, S. 19ff.) 103 Der Tristrant des Eilhart von Oberg und seine Übersetzung werden zitiert nach folgender Ausgabe: Eilhart von Oberg (1993): Tristrant und Isalde. Mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch von Danielle Buschinger und Wolfgang Spiewok. Greifswald: Reineke-Verlag. Im Folgenden werden Zitate aus dem Roman durch das Kürzel TI gekennzeichnet. 104 Von Laudines Körper erwähnt Hartmann nur das goltvarwe har [Iw, V. 1672] und den schimmernden Leib, von Enite Augen [Er, V. 8097], Mund [Er, V. 8100] und Hände [Er. V. 354], sowie ihre schöne, weiße Haut. 102
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lungsbezogenem Inhalt – immer mehr ausgebaut. Beim Wigalois Wirnts von Grafenberg beispielsweise sind die Schilderungen detailliert und mit farbigen Akzenten durchsetzt, Wirnts Frauenfiguren erscheinen wie Kunstobjekte, die der genussvollen Anschauung dienen. Die Gewänder stehen zeitweise mehr im Vordergrund als die Figuren selbst, denen sie „übergehängt“ sind.105 In einem verhältnismäßig spät anzusetzenden Werk wie dem Wigamur (um 1250) übertreffen die Gewandschilderungen die Beschreibungen des Gesichts und der Gestalt vielfach an Länge. Bei Figuren wie Ysope und Dulceflur werden die Kleider ausführlich beschrieben, die Gesichter aber mit wenigen, stereotypen Details abgehandelt. Die Frauen scheinen wie verschwommen gezeichnete Figuren in bunten Prachtgewändern. Allein die Königin Dinifrogar wird nochmals ausführlich an Gesicht und Körper beschrieben. [Wgm, V. 4896–4976]: Ihr Mund ist rot wie ein Rubin, die Zähne elfenbeinfarben, ihre Haut ist weiß und rot gemischt, jedoch überwiegt hier der rote Anteil: doch het die röt den pessern tayl [Wgm, V. 4915]. Die Augen sind ungewöhnlich prawn nach valcken art [Wgm, V. 4919], braun wie die eines Falken, ebenso wie die Augenbrauen. Hände, Finger, Nacken und Hals sowie Kehle und Kinn sind weiß, die Füße zart und weyß dann ain alapaster [Wgm, V. 4940]. In diesem Beispiel erkennen wir deutlich den Ausbau des tradierten Schemas und die Erweiterung insbesondere um zusätzliche Farbeindrücke. Während die Beschreibungssequenzen immer länger, detaillierter und auch farbiger werden (bis zu einem gewissen Grad der Übersteigerung) bleiben jedoch die grundlegenden Schönheitsmerkmale die gleichen: Hinter den ausführlichen Schilderungen steht noch das Idealbild der höfischen Dame, von dem Eilhart nur die weißen Hände und einen Schimmer ihrer Haut aufblitzen lässt.
2.3 Kleidung und Farbe Bei einer Betrachtung von Farben und ihrer Sinnbesetzung in der Figurendarstellung, insbesondere der Körperdarstellung, darf ein wichtiges Element nicht fehlen: Das Gewand der Figur, das in der volkssprachlichen Epik oftmals in nahezu überbordender Farbigkeit dargestellt wird und damit als Aushängeschild der zeittypischen Chromophilie fungiert. Zu der Schilderung einer als schön imaginierten Figur gehört neben der Beschreibung von Antlitz, Körper, Haltung und Gestik auch grundlegend eine Beschreibung ihrer Bekleidung.106 Gibt es keine ausführliche Gewanddescriptio, wird zumindest auf die allgemeine Pracht des Kleides verwiesen – oder aber der Dichter verweigert sich ausdrücklich einer
Die Kleiderbeschreibung behält in der Folgezeit ihre Wichtigkeit innerhalb des Schönheitspreises, so zum Beispiel in Werken des Strickers (Daniel von dem blühenden Tal), des Pleiers (Garel von dem blühenden Tal), dem Gauriel von Muntabel und in der Crône. 106 In der Beschreibung hässlicher Figuren spielt die Kleidung – insofern sie überhaupt erwähnt und beschrieben wird – nur eine untergeordnete Rolle und wird nur dann ausführlich geschildert, wenn sie im Gegensatz zum Figurenkörper höfisch, schön und prachtvoll dargestellt wird. 105
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solchen Schilderung.107 Die offensichtliche Beliebtheit dieser Kleiderbeschreibungen bei den Autoren sowie beim höfischen Publikum liegt in der Bedeutung begründet, die das Gewand für die Selbstdarstellung der adeligen Gesellschaft in der Literatur hat. Für die höfische Gesellschaft ist prächtige Kleidung ein Ausdruck des Selbstbewusstseins und des Hochgefühls, der vröude; der Idealtypus des höfischen Menschen erstrahlt durch die Pracht der Kleider in vollem Glanz. Kleidung hat im Mittelalter eine soziale Verweisfunktion, die dort vielleicht noch stärker ausgeprägt ist als in allen anderen Epochen.108 Dies spiegelt sich zweifellos auch in der höfischen Literatur wieder. Das Selbstverständnis und Selbstbewußtsein der Adelsgesellschaft, die als Träger dieser Literatur in Frage kommt, manifestiert sich in den Texten in der Beschreibung einer überaus prunkvollen materiellen Kultur und eines spezifischen Verhaltenskodexes. In diesem Kontext erhält die Darstellung der kostbaren und modischen Gewänder ihren Sinn. Bestimmte Privilegien der Kleidung in Material, Farbe, Schnitt und Verarbeitung sind dem Adel vorbehalten, der dadurch seine Kleider, zu deren angemessener Präsentation es zudem einer festgelegten Körperhaltung und Gestik bedarf, dazu einsetzen kann, sich auszuzeichnen und von den unteren Schichten deutlich abzugrenzen. In einer solchen Darstellung, die den Zweck verfolgt, den besonderen Rang der Mitglieder der höfischen Gesellschaft herauszustreichen, spiegelt sich der Herrschaftsanspruch der mittelalterlichen Feudalgesellschaft.109
Diese repräsentative Funktion für den Adel zeigt bereits, dass das Kleid in der mittelalterlichen Literatur mehr ist als nur ein Mittel zur Befriedigung des menschlichen Grundbedürfnisses nach Körperbedeckung. Es fungiert in der Einheit mit Sprache, Gestik und Mimik, aber auch Schmuckelementen und der Haar- und Barttracht als Mittel zur Selbstdarstellung des Menschen. Die ritterlich-höfische Gesellschaft des 12. und 13. Jahrhunderts, so betont Andreas Kraß, bedient sich des Zeichensystems der Kleidung, um ihre Identität zu modellieren: „Kleidung ist ein prädestiniertes Symbol sozialer Identität, weil der Mensch sie am Leibe trägt, weil sich, zeichentheoretisch gesprochen, die Relation von Signifikant, Signifikat und Zeichen im Verhältnis von Kleidung, Körper und Person wiederholt.“110 Damit gewinnt die Kleidung, so auch Gabriele Raudszus111, eine multivalente Signifikanz, die sich vor allem im gesellschaftlich-kommunikativen Kontext entfaltet. Kraß beschreibt die Sinnbildfunktion des geschriebenen Kleides mit dem Begriff des „vestimentären Codes“
Eine solche Verweigerung findet sich beispielsweise in Hartmanns Erec in der Beschreibungssequenz der Dame des Mabonagrin: welh ir roc wære? / des vrâget ir kamerære: / ich gesach weizgot nie, / wan ich niht dicke vür si ẹngie. [Er, V. 8946–49] 108 Vgl. Brüggen, Elke (1988): Die weltliche Kleidung im hohen Mittelalter. Anmerkungen zu neueren Forschungen. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) (110), S. 202– 228, hier S. 218. 109 Brüggen (1988): Weltliche Kleidung, S. 218f. 110 Kraß, Andreas (2006): Geschriebene Kleider. Höfische Identität als literarisches Spiel. Univ. Habil.Schr. 2003, München. Tübingen: Francke (Bibliotheca Germanica, 50), hier S. 2. 111 Vgl. Raudszus, Gabriele (1985): Die Zeichensprache der Kleidung. Untersuchungen zur Symbolik des Gewandes in der deutschen Epik des Mittelalters. Hildesheim, New York: Olms (Ordo, Bd. 1). hier S. 2f. 107
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von Roland Barthes.112 Insbesondere die Kleidung symbolisiert Identität, denn sie ist, nach Barthes, Substitut und Maske der Person und somit Objekt einer intensiven Besetzung. Für den Schwerpunkt dieser Analyse ist vor allem der Sinnbildcharakter der Farben, die den Kleidungsstücken zugeschrieben werden, von Bedeutung. Der Zeichencharakter der Kleidung ist polyvalent und lässt sich nur aus dem jeweiligen Kontext der Textstelle erschließen. Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Beziehung von Körper, Kleid und „Wesen“ der dargestellten Figur. Diese kann einer Kongruenz unterliegen oder aber Differenzen aufweisen. [D]as optisch Wohlgefallen Erregende ist nach außen gewendete Seelenschönheit, das prächtige Kleid Signum und Garant innerer Tugend, ebenso wie das zerrissene, beschmutzte, unpassende oder unangemessene Kleid einen Mangel oder Defekt in der geistigen Einstellung des Trägers transparent machen kann, und zwar sowohl eine grundsätzliche ethische Fehlhaltung als auch eine situative, zeitlich begrenzte. In beiden Fällen erweist sich die Beziehung von Kleid und Charakter als kongruent.113
In den in diesem Kapitel analysierten Textbeispielen finden sich beide Ausformungen: die Übereinstimmung von Kleid und innerer Disposition, in der das Kleid pars pro toto für das adlige Wesen und entsprechende Tugend steht, aber auch die Inkongruenz, bei der ein höfischer Körper in einem schlechten Kleid präsentiert wird.114 Zu Kleidung und Mode des Mittelalters in real- und kostümgeschichtlicher Hinsicht und auch spezieller zu ihrer literarischen Darstellung innerhalb der höfischen Epik gibt es zahlreiche Arbeiten, auf die ich hier für nähere Informationen verweisen möchte, da es mir im Umfang dieser Arbeit nicht möglich ist, einen vollständigen Überblick über das breite Feld der mittelalterlichen Gewanddarstellung zu geben.115 An dieser Stelle soll daher ein nur kurzer Zum Begriff des „vestimentären Codes“ bei Barthes siehe Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 9ff.: Barthes bezeichnet die geschriebene Kleidung als „ein ausgezeichnetes poetisches Objekt […]; zunächst einmal, weil sie mit vielerlei Abwandlungen sämtliche Eigenschaften der Materie heraufbeschwört: Substanz, Form, Farbe, Tastbarkeit, Bewegung, Festigkeit, Glanz; zum anderen, weil sie den Körper berührt und als dessen Substitut und Maske ganz gewiß Objekt einer intensiven Besetzung ist.“ (Barthes, Roland (1985): Die Sprache der Mode. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, hier S. 242.) 113 Raudszus (1985): Zeichensprache, S. 199. 114 Vor allem Hartmann und Wolfram präsentieren Figuren (z.B. Enite, Laudine, Jeschute, Sigune), die auch dann noch als höfisch-vorbildlich konnotiert sind, wenn sie in unstandesgemäße, zerschlissene, beschädigte oder auch in schlichte Demutskleidung gekleidet sind. 115 Einen Überblick zum Thema der Kleider und Stoffe in Literatur und Gesellschaft des hohen Mittelalters bietet Bumke, Joachim (1986): Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, S. 172–210. Weiterhin sei verwiesen auf die umfangreiche Arbeit von Elke Brüggen [Brüggen (1989): Kleidung und Mode in der höfischen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts. Univ. Diss. 1987, Köln, 1986. Heidelberg: Winter (Beihefte zum Euphorion, 23)], die sich der höfischen Kleidung vor allem unter Rückgriff auf die Kostümgeschichte widmet; und auch auf ihre weiteren Aufsätze zum Thema: Brüggen (1988): Weltliche Kleidung; dies. (1993): Kleidung und adeliges Selbstverständnis. Literarische Interessenbildung am Beispiel der Kleidermotivik in der höfischen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts. In: Literarische Interessenbildung im Mittelalter. DFG-Symposion 1991. Stuttgart [etc.]: J. B. Metzler, S. 200–215.] und dies. (1991): 112
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Überblick zuerst über die materiellen Grundlagen höfischer Kleidung gegeben werden: die verwendeten Stoffe, ihre Verzierungen und ihre Färbung inklusive der im Mittelalter verfügbaren Farbstoffe, und anschließend über die wichtigsten Kleidungsstücke der höfischen Mode und die Art und Weise, in der sie präsentiert werden. Zur Herstellung weltlicher Kleidung verwendet man im Hochmittelalter vorwiegend Leinen- und Wollstoffe, aber auch Seide und Brokat, die zumeist importiert werden mussten. Bei den Kleiderstoffen, die in der höfischen Gewandbeschreibung genannt werden, handelt es sich meist um Seidenstoffe verschiedener Art sowie um hochwertige wollene Tuchsorten. Am teuersten und damit auch am höchsten geschätzt sind orientalische Seidenstoffe.116 Für diese kostbaren Stoffe wird meist ein Herkunftsort erwähnt, sei er real oder auch fiktional (dies vor allem bei Wolfram). Außerdem finden oft geheimnisvolle Entstehungsgeschichten der Stoffe Erwähnung, um ihre Ausgefallenheit zu betonen und auf magische Eigenschaften, aber auch auf eine besonders auffällige Färbung (Changieren, Farbwechsel) zu verweisen.117 Die meisten Seidenstoffe werden in verschiedenen Farben erwähnt, sind auch häufig zweifarbig, gemustert oder mit Gold durchwirkt. Die kostbarste Seidenart ist der Purpur, diesen gibt es neben einem intensiven Rot auch in Schwarz, Blau oder Grün. Neben Seidengeweben sind auch feine Wollstoffe beliebt, darunter vor allem der farbenprächtige Scharlach und der Brunat. Der Scharlach ist das am höchsten geschätzte mittelalterliche Wollgewebe, hauptsächlich in den Farben rot und violett (brûn). Die Stofffärbung rôt als ein bluot findet sich häufig in den Texten und stellt
Kleidung im Mittelalter. Fiktion und Realität. In: JbVk (14), S. 7–23. Des Weiteren beschäftigt sich die Arbeit von Gabriele Raudszus [Raudszus (1985): Zeichensprache der Kleidung] intensiv mit der bedeutungsgeschichtlichen Symbolik der Kleidung. Ulrike Lehmann-Langholz’ Arbeit [LehmannLangholz, Ulrike (1985): Kleiderkritik in mittelalterlicher Dichtung. Der Arme Hartmann, Heinrich ,von Melk‘, Neidhart, Wernher der Gartenaere und ein Ausblick auf die Stellungnahmen spätmittelalterlicher Dichter. Univ. Diss. Zugl.: Köln, 1983. Frankfurt am Main: Lang (Europäische Hochschulschriften Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 885).] wiederum beschäftigt sich vor allem mit der prominenten Kritik am Prunk der höfischen Kleidung in der geistlichen wie weltlichen Literatur. Katrin Kanias Arbeit [Kania, Katrin; Ericsson, Ingolf (2010): Kleidung im Mittelalter. Materialien – Konstruktion – Nähtechnik; ein Handbuch. Univ. Diss. Bamberg, 2008. Köln: Böhlau.] widmet sich der Entwicklung der mittelalterlichen Kleidung, ihrer Konstruktion und mittelalterlichen Näh- und Schneidertechniken, sie stützt sich vor allem auf archäologische Funde. Vor allem sei aber auch auf die Arbeit von Andreas Kraß aus dem Jahr 2006 verwiesen [Kraß (2006): Geschriebene Kleider], die eine ausführliche Analyse des vestimentären Codes im höfischen Roman darstellt und Kleiderdeskriptionen in den Blick nimmt, welche das Zeichensystem der höfischen Kleidung nutzen, um Identität zu modellieren. 116 Mhd. sîde oder phellel, auch purpur, zendâl, baldekîn, samît, siglât und bliât/bliâlt, timît, rôsât, diasper, tribelât und andere. Vgl. dazu Bumke (1986): Höfische Kultur, S. 178. 117 So ist z.B. der Waffenrock, den Gahmuret im Parzival Wolframs trägt, mit Gold aus Arabien durchwoben, das seinen Ursprung im Kaukasusgebirge hat, wo Greifen es aus dem Felsen gerissen haben. [Parzival, V. 71,17–27] Beliebt ist auch die Vorstellung, dass Seide von Salamandern im Feuer gesponnen wurde, so z.B. im Parzival [V. 735,24ff.] oder im Wigalois [Wigalois, V. 7431ff.] (dazu Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 53).
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ein Qualitätsmerkmal dar.118 Um die Stoffe noch kostbarer zu machen und um ihnen eine schimmernde oder buntfarbige Lichtwirkung zu geben, werden sie mit Goldfäden durchwoben, mit Goldplättchen verziert und mit Edelsteinen, Borten und Perlen besetzt. Den Edelsteinen kommt dabei nicht nur durch ihre Buntheit und farbige Lichtwirkung große Bedeutung zu, sondern auch durch Kraft und Schutz spendende, magische Fähigkeiten, die ihnen zugeschrieben werden.119 Sie dienen der Auszeichnung von Reichtum und Macht, Exotischem, Wunderbarem, Märchenhaftem und Geheimnisvollem und können auf innere Tugenden verweisen.120 Gleichzeitig können Edelsteine auch punktuell negativ ausgelegt und als Zeichen von übermäßigem Prunk und weltlichem Luxus verstanden werden. Dies gründet vor allem auf der biblischen Darstellung der Hure Babylon (Apc, 17,4) und der aufgeputzten Frauen Jerusalems (Is, 3, 16–26), die sich mit Edelsteinen schmücken.121 Neben dem Edelsteinschmuck werden die Gewänder häufig mit Pelzen gefüttert oder verziert, am höchsten geschätzt werden das weiße Hermelinfell und der graue oder schwarze Zobel. Zobelbesatz sollte möglichst dunkel sein [von swarzem zobel alsam ein kol, Tr, V. 6616], Hermelinfell hingegen weiß wie ein Schwan [ein veder, wîz alsam ein swan, Wg, V. 2409].122 Die bunte Färbung der teuren Stoffe trägt weiterhin zu ihrer Wertsteigerung bei. Reine, klare und bunte Farben gelten, wie bereits erwähnt, im Mittelalter als besonders schön, deshalb sind auch die Stofffarben beliebt, die besonders leuchtend und farbintensiv sind und mit denen sich kontrastreiche Farbkombinationen schaffen lassen. Grundsätzlich steht dem Mittelalter bereits eine praktisch unbegrenzte Palette an Farbtönen zur Verfü-
So ist im Wigamur die Kleidung des Helden rot gar als ein plůtt [Wgm, V. 431], auch Laries Reisemantel im Wigalois ist rôt als ein bluot [Wigalois, V. 8898]. Der Wigalois und seine Übersetzung werden zitiert nach folgender Ausgabe: Wirnt von Grafenberg (2005): Wigalois. Text, Übersetzung, Stellenkommentar. Text der Ausgabe von J. M. N. Kapteyn. Übersetzt, erläutert und mit einem Nachwort versehen von Sabine Seelbach und Ulrich Seelbach. Berlin: de Guyter (De-Gruyter-Texte). Im Folgenden werden Zitate aus dem Roman mit dem Kürzel Wg markiert. 119 Im 12. Jahrhundert bewirkt der Einfluss der arabischen Lithologie eine Erweiterung der christlichen Edelsteinauslegung um Aspekte des Magisch-Medizinischen. Die Vorstellung der medizinisch, physikalisch und magisch wirksamen Steine ist vielfach in der Literatur verarbeitet worden. Vgl. dazu Lehmann-Langholz (1985): Kleiderkritik, S. 81ff; und Engelen (1978): Edelsteine in der deutschen Dichtung, S. 85ff. 120 Vgl. Engelen (1978): Edelsteine, S. 393ff. Die positive Bewertung von Edelsteinen liegt vor allem in der Auslegung dreier Bibelstellen begründet: der Beschreibung des mit Edelsteinen besetzten Brustschilds des Hohepriesters (Ex, 28, 15–30), den Edelsteinen in der Totenklage für den König von Tyrus (Ez, 28, 11–19) und der Edelsteingruppe, die in der Darstellung des neuen Jerusalems erwähnt wird (Apc, 21, 19–21). 121 Vgl. Lehmann-Langholz (1985): Kleiderkritik, S. 83–87. Näher zur Auslegungstradition der Edelsteine in der Bibelallegorese die ausführliche Arbeit von Christel Meier (1977): Gemma Spiritalis, sowie zum Vorkommen und der Auslegung von Edelsteinen in der Literatur die Arbeit von Engelen (1978): Edelsteine in der deutschen Dichtung. 122 Vgl. Brüggen (1993): Kleidung und adeliges Selbstverständnis, S. 204. 118
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gung.123 Zu den Färbestoffen zählen tierische Produkte wie der rote Farbstoff Kermes124, den man aus einer Schildlausart herstellt, oder das Purpurrot125, das aus der Purpurschnecke gewonnen wird, traditionell aber vor allem pflanzliche Farbstoffe: Für Blau nutzt man Färberwaid, ab dem 15. Jahrhundert auch zunehmend Indigo, für Rot Krapp, Saflor (Färberdistel) und Brasilholz, für Gelb Labkraut, Färberwau, Saflor und Safran. Weitere Farbstoffe sind Färberflechte, Eichenrinde und Galläpfel.126 Farbtöne wie Grün, Schwarz und Violett können nur durch Mischung mehrerer Farben bzw. mehrfaches oder besonders intensives Färben erreicht werden. Die tatsächlichen Färbemethoden sind nur teilweise überliefert, Einblicke bieten vor allem die mittelalterlichen Vorschriften für Färberzünfte.127 Betrachtet man die aus diesen farbigen Stoffen gefertigten Kleidungsstücke, so stellt man fest, dass Männer- und Frauenkleidung sich in Stoffen, den Farben und Verzierungen, aber auch im Schnitt nicht wesentlich voneinander unterscheiden.128 Wichtig ist der gute, körperbetonte Schnitt, häufig richtet er sich nach französischen Vorbildern. Auch dieser Schnitt der Bekleidung gilt als Privileg des Adels. Ein Mantel gehört zur Kleidung beider Geschlechter und ist der eindrucksvollste Teil der Garderobe. Besonders der Mantel wird als farbenprächtig und prunkvoll verziert beschrieben, hat ein andersfarbiges oder gemus So zeigt Kania [Kania, Katrin (2011): Das Blaue vom Himmel gelogen oder bunt wie das Leben selbst? Kleiderbeschreibungen in Wolframs von Eschenbach ‚Parzival‘ und archäologische Funde im Vergleich. In: Ingrid Bennewitz und Andrea Schindler (Hg.): Farbe im Mittelalter. Materialität – Medialität – Semantik. Akten des 13. Symposiums des Mediävistenverbandes vom 1. bis 5. März 2009 in Bamberg, Bd. 1. 2 Bände. Berlin: Akademie Verlag Berlin, S. 213–218.] am Beispiel des Parzival Wolframs von Eschenbach, dass tatsächlich das Erzeugen aller im Text genannten Stofffarben technisch durchaus möglich war. Allerdings sind Naturfarbstoffe oft umständlich herzustellen und in begrenzten Mengen verfügbar, erfordern aufwändige Färbeverfahren und Beizen, ergeben häufig nur blasse, nicht lichtechte Farben. 124 Kermesrot (lat. granum, mhd. gran), im Mittelalter einer der teuersten Farbstoffe überhaupt, wird aus der Schildlaus gewonnen und ist einer der intensivsten roten Farbstoffe der Natur. Mit Kermesrot gefärbten Wollstoff nennt man Scharlach und er ist in seiner besten Farbqualität teuer und damit ein Statussymbol. Mit „Scharlach“ bezeichneter Stoff muss aber nicht immer rot sein, sondern ist zuweilen blau, grün oder schwarz. Scharlach bezeichnet mithin nicht zwingend die rote Farbe, sondern die Stoffart. [Zum roten Kermesfarbstoff vgl. Finlay (2003): Geheimnis der Farben, S. 161ff.] 125 Purpur wird aus der Purpurschnecke gewonnen und ist damit bereits in der Antike ein nur sehr begrenzt erhältlicher Naturfarbstoff. Die Gewinnung ist zeitraubend und aufwendig und ergibt nur sehr wenig Farbstoff. Diese Umstände und der daraus resultierende hohe Preis des Farbstoffes bzw. der damit gefärbten Kleidungsstücke erheben Purpur zu einer Würdenfarbe. [Vgl. Welsch/Liebmann (2004): Farben, S. 186.] 126 Vgl. zu den Färberpflanzen auch Suntrup, Rudolf (1989): Art. „Farbe, Färber, Farbensymbolik“. In: Lexikon des Mittelalters. München [u.a.]: Artemis-Verlag (4), Sp. 285–291, hier Sp. 285f. 127 Vgl. Kania (2010): Kleidung im Mittelalter, S. 71. Zu Färbergewerbe und Farbstoffhandel auch Suntrup (1989): Art. „Farbe, Färber, Farbensymbolik“, Sp. 286–288. 128 Es soll an dieser Stelle kein detaillierter Überblick über die einzelnen Kleidungsstücke der Frauenund Männerbekleidung gegeben werden, für weitere Informationen zu den Bestandteilen des weltlichen Gewandes vgl. Lehmann-Langholz (1985): Kleiderkritik, S. 24–36 und Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 71–115. 123
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tertes Futter, Kragenbesatz, Saum- und Kanteneinfassung aus Pelz, und kann mit Schmuck, Borten und Perlen verziert sein.129 Auffällige Accessoires speziell der weiblichen Kleidung sind prunkvolle Schmuckärmel und die Schleppe. Weiterhin gehören Broschen, Zierborten, Spangen und Gürtel zum höfischen Prachtgewand, die ebenfalls mit Edelsteinen und Perlen verziert sein können. Als Kopfschmuck werden Blumen- und Textilkränze oder Reifen (schapel) im Haar getragen, die wiederum ähnlich einer Krone verziert sein können, außerdem Gebende, Tücher oder Schleier. Auch in der Männerkleidung, so lässt sich aus Texten und Bildern schließen, finden sich solche reichen Verzierungen, sie ist ebenso prunkvoll und farbenprächtig.130 Überwiegend wird jedoch (mit Ausnahme einiger Beispiele wie Tristans Auftritt am irischen Königshof [Tr, V. 11089ff.]) weibliche Kleidung detailliert beschrieben. Der weiblichen Kleiderbeschreibung entspricht die Schilderung der Rüstung, der Ausrüstung und Bewaffnung des Ritters.131 Zur luxuriösen Kleidung gehört auch eine angemessene Präsentation und Gestik, eine Kultiviertheit, die Kleidung und Träger zu einer Einheit zusammenschweißt. Das Kleid muss mit ruhigem Gang, einer aufrechten Körperhaltung, harmonischen, flüssigen Bewegungen und einer eleganten Gestik getragen werden. Ein Musterbild einer solch angemessenen Präsentation zeigt Gottfried im Tristan am Beispiel Isoldes bei ihrem Auftritt auf dem Hoftag in Weisefort. Nicht zuletzt aber ist es neben der Schilderung teurer Stoffe, erlesener Pelze, kostbarer Verzierungen und reichen Schmucks vor allem die leuchtende Farbigkeit, die in den Kleiderbeschreibungen ins Auge fällt. Fast alle Forschungstexte zur Gewanddescriptio erwähnen die Farbe des Kleides als einen der wichtigsten Aspekte für die adelige Selbstdarstellung, eine Arbeit speziell zur Symbolik der Farbe in der höfischen Kleiderbeschreibung steht allerdings noch aus. Die beschriebenen Gewänder zeichnen sich durch eine auffallend schillernde, beinahe grelle Farbigkeit aus. Diese Bevorzugung des leuchtend Gefärbten lässt sich, so Brüggen, auch an den vielen Vergleichen ablesen, die in den Farbumschreibungen zu finden sind: Stoffe weiß wie der Schnee, schwarz wie Kohle, grün wie Gras, rot wie Blut oder Feuer und blau wie der intensiv gefärbte Lasurstein. Als edelste Kleiderfarben gelten in der höfischen Literatur Rot, das als Kleiderfarbe bereits in der Antike als Ausweis höchster weltlicher Würde gilt, und Grün.132 Wahrscheinlich beruht diese Bevorzugung auf dem prominenten Beispiel des grünen Jagdge-
Vgl. Brüggen (1993): Kleidung und adeliges Selbstverständnis, S. 205 und dies., (1989): Kleidung und Mode, S. 83, zum Tasselmantel, zur Bedeutung des Mantels als Herrschaftszeichen, Krönungsmantel und zur Schutzmantelgeste vgl. Lehmann-Langholz (1985): Kleiderkritik, S. 89f. 130 Einen markanten Unterschied zur Frauenkleidung stellt geschlitzte Kleidung dar. Die Schlitze werden mit andersfarbigem Stoff unterlegt oder offen gelassen, damit der Blick auf die nackte Haut frei wird – dies wird als besonders effektvoll beschrieben, wenn es sich um geschlitzte Beinkleider handelt. So z.B. in der Crône: Zwo hosen durchsniten gar / Vuort er von rotem scharlach, / Da man div bein durch sach [Cr, V. 3708–11].([Er trug] eine Hose, überall mit rotem Scharlach durchsetzt, durch die man die Beine hindurchscheinen sah […].) 131 Vgl. Bumke (1986): Höfische Kultur, S. 197. Vgl. dazu auch Kapitel 5.2. 132 Vgl. Brüggen (1988): Weltliche Kleidung, S. 214f. 129
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wandes der Dido in Heinrichs von Veldeke Eneas-Roman [Eneit133, V. 59,19–60,33], das als Vorbild vieler nachfolgender Kleiderbeschreibungen gilt. Grün ist als Kleiderfarbe hoch geschätzt, wahrscheinlich auch, weil ein sattes Grün nur sehr schwerlich und durch mehrfaches Überfärben eines Stoffes zu erzeugen und die dafür benötigten Farbstoffe kostspielig waren.134 Gelb hingegen, welches besonders in der geistlichen Kleiderkritik eine große Rolle spielt, scheint in der Literatur keine besondere Bevorzugung zu erfahren. In den betrachteten Beispielen findet sich kein Fall eines rein gelben Gewandes an einer epischen Hauptfigur. Eine besonders farbenprächtige Erscheinung der mittelalterlichen Kleidung ist die Verwendung unterschiedlich gefärbter Stoffe für Hemd, Rock, Mantel und Futter. Noch einen Schritt weiter geht das so genannten Mi-parti135: eine horizontale, diagonale oder vertikale Zweiteilung eines Kleidungsstückes, bei dem die Teile des Gewandes unterschiedliche Farben aufweisen, aber auch schachbrettartig gewürfelte und gestreifte Kleidungsstücke. Beispiele für diese Art des geteilten Kleides finden sich vielfach in den höfischen Romanen.136 Das Teilen der Kleidung in verschiedene Farben hat grundlegend heraldischen Ursprung. Im 12. und 13. Jahrhundert, so Mertens, wird Mi-parti von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen aus verschiedenen Gründen getragen und hat damit auch eine jeweils veränderte Zeichenhaftigkeit.137 In der höfischen Mode ist es vorwiegend Ausweis des Vornehmen und der Pracht, es dient der Steigerung der Buntheit. Das Buntgemusterte und modisch Extravagante ist Zeichen des Weltlichen, in den moralisierenden Darstellungen hingegen ist es Symptom für das Verhaftetsein mit der Welt und Gottesferne. Besonders dominant sind laut Mertens im Mi-parti die Farben Rot, Gelb und Grün in verschiedenen Zusammensetzungen.138 Weiterhin zeigt sich neben der auffälligen Farbigkeit auch eine besondere Hervorhebung des Glanzes und der Licht reflektierenden Eigenschaften der Kleider. Leuchtkraft Zitiert nach folgender Ausgabe: Heinrich von Veldeke (1986): Eneasroman. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Hrsg. v. Dieter Kartschoke. Stuttgart: Reclam. 134 Vgl. Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 63. 135 Mit dem Mi-parti beschäftigt sich insbesondere die Arbeit von: Mertens, Veronika (1983): Mi-parti als Zeichen. Zur Bedeutung von geteiltem Kleid und geteilter Gestalt in der Ständetracht, in literarischen und bildnerischen Quellen sowie im Fastnachtsbrauch vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Remscheid: Verlag Ute Kierdorf. 136 Florie trägt im Wigalois einen Rock aus Brokat in Grün und Rot zusammengeschnitten [Wg, V. 746– 752], die Kerzen tragenden zwölf Jungfrauen auf Burg Glois sind in rot und gelb geteilte Kleider gehüllt [Wg, V. 7300–7303]. Im Wigamur trägt Ysope ein geteiltes Kleid aus grünem Samt und rosenrotem Ziklat [Wgm, V. 2565–2571]. Vgl. für weitere Textbeispiele Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 65ff. 137 Mertens widmet sich in ihrer Untersuchung mehreren Gruppen von Personen der mittelalterlichen Gesellschaft, die Mi-parti getragen haben. Vor allem bei den Kleidern von Vasallen, Herolden, Dienern und Knechten dient das Mi-parti der Abbildung eines Abhängigkeitsverhältnisses. (vgl. S. 10, S. 49) Bei der Spielmanns- und Narrenkleidung wiederum verweist das geteilte Kleid auf ein „Ausgesondertsein aus aller bestehenden ständischen Gliederung“ (S. 12). Es ist dort Zeichen übertriebener Diesseitigkeit. 138 Zur Ausdeutung dieser Farben im Mi-parti vgl. Mertens (1983): Mi-parti, S. 54–59. 133
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und Farbbrillanz üben eine große Faszination aus. Die Texte berichten vielfach von dem liehten schîn [Garel139, V. 4480] und der liehten gevar [Gar, V. 6421] der Kleider. Der Widerglanz der Stoffe überstrahlt das Tagelicht und das Feuer und erleuchtet sogar die Nacht.140 Man erkennt in diesen Beschreibungen erneut die „exzeptionelle und höchst intensive Vorliebe für alles Strahlende, Glänzende, Weiße nicht nur an Gewändern, sondern auch an Zelten, Rüstungen, Bettdecken, usw.“141 In dieser Bevorzugung des HellGlänzenden und Leuchtenden zeigen sich Anklänge an die ursprünglich allegorische Lichtsymbolik, die dem Hellen, Lichthaften besonderen Wert zumisst. In den Kleiderbeschreibungen zeigen sich überdeutlich die für die höfische Kultur konstitutiven Merkmale des Farbigen und des Glänzend-Lichthaften in Kombination. Die Farben des Gewandes erfüllen, genau wie die Farben der Körperbeschreibung und das Kleid als Objekt, eine sinnstiftende Funktion. Sie sind mehr als nur ein auf ästhetische Zwecke hin angelegtes Dekorationsmittel. Grundlegend, darauf verweist Raudszus, orientiert sich die Farbensymbolik im Bereich der höfischen Kleidung an der allgemein christlichen Farbsymbolik des Mittelalters, wie sie in Kapitel 1.5 beschrieben wurde, ohne dass sie bei jeder Erwähnung explizit aufgeschlüsselt wird.142 Eine Betrachtung der mittelalterlichen Kleiderfarbensymbolik ist ohne einen Blick auf die Bibelexegese nicht denkbar, gleichzeitig aber muss davon ausgegangen werden, dass die christlich fundierte Farbsymbolik teilweise von der höfischen Minnefarbensymbolik überlagert wird, ebenso wie von der heraldischen Farbsymbolik.143 Auch die Minnefarbensymbolik misst den einzelnen (Kleidungs-)Farben einen eigenen Wert zu und spielt mit Farbkombinationen.144 Der Garel von dem Blühenden Tal ist zitiert nach folgender Ausgabe: Der Pleier (1981): Garel von dem blünden Tal von dem Pleier. Hrsg. v. Wolfgang Herles. Wien: Verlag Karl M. Halosar. Im Folgenden werden Zitate aus dem Roman mit dem Kürzel Gar markiert. 140 Vgl. Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 69. 141 Raudszus (1985): Zeichensprache, S. 221. 142 „In säkularer Literatur ist zwar die strenge Bindung allegorischer Inhalte an bestimmte Farben nicht mehr gewährleistet, aber die christlich orientierte Farbsymbolik wirkt spürbar nach. Die ursprüngliche Sinnbildlichkeit wird noch empfunden und als episches Vehikel mit Verweischarakter auf psychologische oder metaphysische Sinnkomplexe eingesetzt. Die optische Signalwirkung von Farbigkeit verwenden die einzelnen Autoren nicht willkürlich, sondern sie halten sich weitgehend an die beim Publikum als bekannt vorauszusetzende spezifische Sinnbildlichkeit der Farben, die zwar nicht bei jedem Hinweis auf Couleur von Kleidung aktualisiert wird, vielfach jedoch konkrete Verweiskraft gewinnt und sich je nach Kontext mehr oder weniger aus exegetischen Traditionen speist, die, wenn auch in säkularer Form, wiederaufgegriffen und fortgeführt werden.“ (Raudszus (1985): Zeichensprache, S. 224f.) 143 Vgl. Mertens (1983): Mi-parti, S. 54. 144 Vgl. dazu beispielhaft die Minnereden aus dem Liederbuch der Clara Hätzlerin [Haltaus, Carl (Hg.) (1966): Liederbuch der Clara Hätzlerin. Mit einem Nachwort von Hanns Fischer. Berlin: de Guyter], in welchem in den Reden Was Blütenfarben bedeuten (67v–69v, Nr. II, 17, S. 162–163), Die acht Farben (Von allerlay varben) (72r–73v, Nr. II, 19, S. 165–166) und Die sechs Farben (Von vszlegung der sechs varb) (75v–79r, Nr. II, 21, S. 168–170) das System der Minnefarben dargelegt wird, mit Verweis auf die richtige sowie unlautere Verwendung dieses Zeichensystems. Dazu zusammenfassend: Susanne Brügel (2008): Farben in mittelalterlichen Minnereden. Brügel macht im Kanon der 139
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Das System der Minnefarben ist ein relativ konstanter Zweig der mittelalterlichen Farbsymbolik, in welchem die Stufen des Minnelebens farbsymbolisch markiert werden, und das seine Ursprünge in Frankreich hat. Zwar variieren die Bedeutungen der einzelnen Farben leicht von Quelle zu Quelle, die Grundtendenz der Auslegung bleibt allerdings bestehen. Besonders die Minnereden, die ab ca. 1300 am Ende der Hochphase des Minnesangs entstehen, und deren Anzahl im 14. und 15. Jahrhundert stark zunimmt, explizieren die Regeln und Zuschreibungen bezüglich der Gewandfarbensymbolik. Woher die Verfasser der Minnereden ihr Wissen beziehen, wird nicht gesagt, man darf daher davon ausgehen, dass es sich um kollektives kulturelles Wissen handelt, über welches auch die Rezipienten verfügten. Die Autoren schreiben den einzelnen Phasen der Minne bestimmte Farben zu: Grün steht für den Anfang, die erste Liebe und die Hoffnung auf Erhörung, Weiß für die Offenbarung und das Zugeständnis der Liebe, die erste Zuneigung und deren Erwiderung. Rot steht für die brennende Liebe, negativ verstanden auch für das Leiden an der Liebe. Blau bedeutet Treue, konstante Liebe und die Bereitschaft, zu dienen. Gelb steht für die gewährte Liebe und sexuelle Erfüllung – diese Farbe wird oft mit dem Argument negativ bewertet, dass man solche Dinge nicht nach außen tragen solle. Schwarz schließlich bedeutet Wut, Beleidigung oder Kränkung, Streit mit der Geliebten, die Trennung aufgrund von Untreue, Tod oder problematischen Umständen. Manche Texte nennen auch noch Grau und Braun als Symbolfarben, Grau steht dann für die „richtige Minne“, den Dienst, die Demut und die Frohgestimmtheit darüber, Braun für Stetigkeit, Wachsamkeit, Verschwiegenheit und Ehre.145 Der symbolische Gehalt dieser Farben wird, so Brügel, in den Minnereden durchweg auf das richtige oder falsche Minneverhalten bezogen, er hat normierende Funktion.146 Die Minnefarben kombinieren höfische mit religiös-moralischen Elementen der Farbendeutung. Hier fungieren Farben und ihre Kombinationen147 als nonverbales Kommunikationsmittel und Sinnträger: Mit der Farbwahl des Gewandes signalisiert der Träger den bewanderten Betrachtern seine Befindlichkeiten und Absichten. Sie können aber auch mit täuschender Absicht verwendet werden, um das Wissen des Gegenübers über das Symbolsystem auszunutzen, um falsche Tatsachen auszuweisen. Was sich in den Kleiderbeschreibungen der höfischen Minnereden ca. 20 Texte aus, die sich mit Farben und deren symbolischen Gehalt beschäftigen, die auf verschiedene zeitgenössische Diskurse zurückgehen und in denen Kleiderfarben als nonverbale Kommunikationsmittel genutzt werden, um Auskunft über Absichten und Befindlichkeiten des Trägers an ein mit den Farbencode vertrautes Publikum zu übermitteln. 145 Für die Bedeutungen der einzelnen Farben vgl. Meier (2001): Colorful Middle Ages, S. 242ff., Brügel (2008): Minnereden, Mengis, Carl (1929/30): Art. „Farbe“. In: Hanns Bächtold-Stäubli (Hg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Berlin/Leipzig: de Guyter (2), Sp. 1189–1215, hier Sp. 1200f., Lauffer (1948): Farbensymbolik, S. 26ff. 146 Brügel (2008): Minnereden. 147 Die Minnerede Die acht Farben (Von allerlay varben) (Brandis 377, in: Haltaus (Hg.) (1966): Liederbuch der Clara Hätzlerin, S. 165f.) enthält außer der Behandlung von acht Einzelfarben auch die Ausdeutung von 17 Farbkombinationen und einen Hinweis auf die negative Besetzung der Mehrfarbigkeit.
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Epik findet, ist folglich eine Überschneidung christlicher und weltlich-höfisch geprägter Farbensymbolik, und vor diesem Hintergrund müssen die Farben der in den literarischen Beispielen erwähnten Kleidungsstücke von Fall zu Fall unabhängig betrachtet werden.148 Nach dem Blick auf die Materialität der höfischen Kleidung und der Zeichenhaftigkeit speziell ihrer Farben soll nun noch auf die Funktion des Gewandes im höfischen Zeremoniell und seine repräsentativen Eigenschaften eingegangen werden. Die bereits erwähnte soziale Verweis- und Prestigefunktion der Kleidung für das Mittelalter kann sich nur vor den Augen eines Publikums entfalten. Soziales Ansehen kann durch Kleidung nur vermittelt werden, wenn sie gesehen wird, dass heißt, es erfordert die repräsentative Zurschaustellung auf einem Schau-Platz, zum Beispiel einem Fest.149 Aus dieser öffentlichen Zurschaustellung ergibt sich auch häufig eine Beschreibung der Wirkung der Kleider auf die Beobachter. Kleidung gibt Auskunft über den Stand und Reichtum des Trägers, zum Teil auch über eine Gruppenzugehörigkeit, die Herkunft und den Rang. Neben solchen „festen“ Kategorien lässt sich Kleidung vor allem in der Literatur aber auch als Spiegel, als optisches Signum der Verfasstheit der Figuren verstehen, das die emotionale Befindlichkeit widerspiegelt. Die Garderobe zeigt Emotionen wie Trauer, Demut oder Buße an, Aggression, aber auch Freude und Glück, nicht zuletzt durch die Farbwahl oder eine besondere Schlichtheit bzw. besonderen Prunk.150 Auch hat Kleidung eine unbestritten erotische Funktion und unterstreicht die natürliche Schönheit des Trägers. Aufgrund dieser repräsentativen Funktion der höfischen Kleidung für den Adel und ihrer prestigeträchtigen Rolle im höfischen Zeremoniell unterliegt die Kleidung auch Auflagen und Verordnungen. Besonders bezüglich der Vorrechte des Adels im Bereich der Kleidung gibt es bereits seit der Mitte des 12. Jahrhunderts (zum Teil fiktive) Verordnungen, die es dem Adel vorbehalten sollen, kostbare Materialien, Stoffe und auch bestimmte Farben zu tragen und es gleichzeitig den anderen Ständen zu verbieten.151 Hier stellt Kleidung und deren Farbe eine Strategie der Aus- und Abgrenzung gegenüber dem Niederständischen dar.
So soll an dieser Stelle eine Auflistung der einzelnen Kleiderfarben und ein Versuch ihrer übergreifenden Ausdeutung unterbleiben, da die jeweilige Bedeutung der Farbwahl sich nur im Kontext der Textstelle und unter Berücksichtigung der Figur, auf die sie appliziert wird, erschließen lässt. 149 Vgl. Raudszus (1985): Zeichensprache, S. 187. Zum Hoffest, spezieller zur Rolle der Kleidung in demselbigen vgl. Marquardt, Rosemarie (1985): Das höfische Fest in der mittelhochdeutschen Dichtung (1140–1240). Göppingen: Kümmerle Verlag, S. 175ff. 150 Vgl. Raudszus (1985): Zeichensprache, S. 229. Vgl. dazu auch Hahn (1977) Personenerkenntnis, S. 404. 151 Vgl. zu Kleiderordnungen – realhistorisch belegt wie auch fiktiv – Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 142. Beispiel für eine fiktive Kleiderordnung ist die „Kaiserchronik“ Karls der Großen (1150), die den Bauern strenge Vorschriften bezüglich ihrer Kleidung macht. Als Farben werden ihnen Schwarz und Grau zugewiesen. Zu den realhistorischen Kleiderordnungen zählt z.B. der „Bayerische Landfrieden“ von 1244. Auch hier wird den Bauern nur schwarze oder billige blaue Kleidung zugebilligt, die Bauersfrauen dürfen keine verzierten Kleider tragen. (so auch Brüggen [1991]: Kleidung im Mittelalter, S. 12ff.) 148
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Einen Gegensatz zu den Schilderungen prunkvoller höfischer Kleidung bilden kritische Stimmen in der geistlichen, allerdings auch in der höfischen Literatur des Mittelalters, in denen das Gewand nicht nur beschrieben, sondern auch problematisiert wird, vor allem als Zeichen von Übermaß oder Blendwerk.152 Hier spielt die leuchtende Farbigkeit der Gewänder eine große Rolle. Auch die höfische Epik, eigentlich Bühne für repräsentative Prachtentfaltung, bietet einige Textbeispiele, in denen Prunkkleidung negativ besetzt beziehungsweise als zweitrangig dargestellt wird. Dort wird vor allem betont, dass Kleidung nicht in demselben Maße wie andere Merkmale wie körperliche Schönheit, Tugend, Herkunft und Haltung als Spiegel der Vollkommenheit des Menschen gesehen werden darf.153 Diese Beispiele sind allerdings eher als Einzelerscheinungen zu betrachten, grundsätzlich zeichnet sich die höfische Epik durch eine positive Besetzung prachtvoller Kleidung aus. Die überbordende Farbigkeit der Kleider wird in den Texten nie negativ besetzt. Ganz anders hingegen die geistliche Literatur, die in Predigten, religiösen Dichtungen und der Legendenepik nicht müde wird, den höfischen Kleiderprunk zu kritisieren. Die in Form prachtvoller Gewänder zur Schau getragene Liebe zur diesseitigen Welt stößt bei den Kirchenvertretern auf Widerstand.154 Diese geistliche Kleiderkritik des 12. und 13. Jahrhunderts fußt auf einer langen Tradition: Bereits die Kirchenväter äußern Kritik am Kleiderluxus, dem Schmuck und den Schminkkünsten. Am häufigsten wird dabei die Frau attackiert – Frauen- und Kleiderschelte gehen Hand in Hand.155 Die prächtige Kleidung der höfischen Zeit bietet diesen Kritikpunkten neue Nahrung. Kleiderprunk wird gewertet als Zeichen von Eitelkeit, Unsittlichkeit, Schamlosigkeit, Leichtfertigkeit, Verschwendung, vor allem aber der Hoffart, der Sünde der superbia.156 Auch hier steht die auffällige Farbigkeit der Kleider, neben dem körperbetonten Schnitt und den kostspieligen Materialien, im Mittelpunkt der Kritik. Besonders Berthold von Regensburg zeigt sich empört über die Farbenpracht und vor allem das Kombinieren unterschiedlicher Stofffarben in einem Kleidungsstück. Die Kritik an der prachtvollen Buntfärbung der höfischen Kleidung speist sich vor allem aus dem Fälschungsdiskurs. Wer färbt oder Siehe zum Thema der Kleiderkritik in der höfischen wie geistlichen Tradition und Literatur vor allem Ulrike Lehmann-Langholz (1985): Kleiderkritik. 153 Im Erec Hartmanns von Aue ist es der Titelheld selbst, der wiederholt eine Einkleidung Enites mit standesgemäßer Kleidung verhindert, da er der Meinung ist, die Frau solle nicht über ihre Kleidung, sondern über ihr Auftreten beziehungsweise ihren Körper beurteilt werden [Er, V. 642ff.]. Auch im Parzival Wolframs von Eschenbach erwähnt der Erzähler, eine unstandesgemäß in zerschlissener Kleidung gewandete Dame (Jeschute) sei manchmal einer prachtvoll gekleideten vorzuziehen [Parzival, V. 257,29–32]. Dazu auch Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 149f. 154 Zu den geistlichen Hintergründen der Gewandkritik im Detail vgl. Lehmann-Langholz (1985): Kleiderkritik, S. 95ff. 155 Vgl. Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 154; Bumke (1986): Höfische Kultur, S. 206, Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 164f. 156 Vgl. Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 156. Wiederum sind es besonders die Frauen, die von Autoren wie Berthold von Regensburg, Heinrich von Melk und Hugo von Trimberg als Inbegriff der Prunksucht geführt werden. 152
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auch schminkt, zeigt Unzufriedenheit mit der göttlichen Schöpfung.157 Besonders stark kritisiert werden gelbe Kleidungsstücke, in erster Linie gelbe Kopfbedeckungen.158 Für die Farbe Gelb finden sich im geistlichen Diskurs fast ausschließlich negative Bedeutungen. Trotzdem ist sie aufgrund ihrer Leuchtkraft außerordentlich beliebt und gilt als eine elegante, erotische Farbe.159 Gelb als Gewandfarbe (nicht verstanden als das meist positiv besetzte Gold), so führt Lehmann-Langholz aus, sei bereits im Altertum bei Griechen und Römern als verächtliche Farbe erschienen. Das Mittelalter kennt Gelb als Farbe der Dirnen. Diese negativen Bewertungen gehen zurück auf das fahlgelbe Pferd in der Apokalypse (Apc, 6,8). Das Fahle steht dort, parallel zum Reiter des Pferdes, für den Tod, moralische Mängel und Sünde. Es wird auf Unglauben und Häresie, Verfolgung, Leid und den Teufel hin gedeutet.160 Die Bedeutung von Gelb als Farbe von Zorn und Neid in Opposition zum Rot der Liebe stammt aus der Physiognomik. Gleichzeitig gilt es als Farbe des Lauen, der Verleumdung und Doppelzüngigkeit. Daher wird auch Judas oft im gelben Gewand dargestellt.161 Weiterhin steht Purpurrot stark in der Kritik der geistlichen Schriften. Als erotische Signalfarbe steht es für Übermut, Ausschweifung und schlussendlich für den Seelentod.162 Vieles, was in der geistlichen Literatur kritisiert wird, erscheint in der höfischen Literatur unter anderen Vorzeichen. Das höfische Weltbild bezieht auch Diesseitiges mit ein, christliche Frömmigkeit wird ins weltliche Leben integriert. In der höfischen Literatur, die langsam die Vormachtstellung der geistlichen Literatur verdrängt, stehen das prächtige Kleid und auch seine intensive Farbigkeit nicht mehr im Gegensatz zum tugendhaften Wesen des Menschen – sie sind vielmehr Abbild desselbigen.163 Die prächtige Vgl. dazu und für weitere Beispiele Lehmann-Langholz (1985): Kleiderkritik, S. 131ff. Zum gleichen Diskurs zählt auch die Kritik an der Schminke. Die Frau verändert mit ihrer Hilfe ihr gottgegebenes Gesicht – damit tadelt sie Gottes Schöpfung (vgl. S. 109, 149). 158 So Elke Brüggen (1989): Kleidung und Mode: So sagt z.B. Hugo von Trimberg im Renner, dass Gelb eine besonders erotische Signalfarbe sei und falsche Begehrlichkeit wecke. (S. 161) Berthold von Regensburg versucht in seinen Predigten, gelbe Kleidung für ehrbare Frauen zu tabuisieren, indem er sie stigmatisierten Gruppen der Bevölkerung zuschreibt: Prostituierten, Pfaffendirnen und Juden. (S. 162f.) Jede Frau, die Gelb trägt, zeichnet sich damit als sündhaft und töricht aus. Auch Bumke (1986): Höfische Kultur, S. 209, verweist auf das gelbe Gebende als Inbegriff der weiblichen Hoffart und sinnlichen Freuden, ebenso Veronika Mertens (1983): Mi-parti, S. 57–59. 159 Vgl. Mertens (1983): Mi-parti, S. 57. 160 Vgl. für die allegorische Ausdeutung der fahlen Farbe des Pferdes Meier/Suntrup (2011): Lexikon der Farbenbedeutungen, S. 562–577, Art. pallidus, zur Auslegung bei Hildegard von Bingen vgl. Meier (1972): Bedeutung der Farben, S. 332–339. Eine andere Gelbschattierung, croceus/crocinus (Safrangelb, vgl. Meier/Suntrup (2011): Lexikon der Farbenbedeutungen, S. 374–378, Art. croceus/ crocinus) enthält aber auch durchaus positive Ausdeutungsvarianten wie Liebe und Weisheit. 161 Vgl. Mertens (1983): Mi-parti, S. 58. 162 Vgl. Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 165. 163 Lehmann-Langholz (1985): Kleiderkritik, S. 127: „Die positiven religiösen Auslegungen von Gold und Vielfarbigkeit werden durch das Medium des Gewandes auf das ethische Verhalten des Menschen übertragen, so daß den Träger solcher Prachtkleidung jene positiven Charaktereigenschaften auszeichnen, die mit dem jeweiligen Symbolwert der Dinge korrespondieren.“ 157
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Kleidung ist für den höfisch geprägten Menschen Ausdruck innerer Vollkommenheit und spiegelt ein Wertesystem ritterlich-höfischer Normen wieder, steht aber nicht im Widerspruch zum christlichen Ideal – vielmehr wird ein Einklang von Diesseits und Jenseits angestrebt. Das farbenfrohe, aufwendige Gewand ist somit ein unverzichtbarer, wenn auch ambivalent bewerteter Teil der Schönheitsbeschreibungen im höfischen Roman, daher muss seiner literarischen Ausgestaltung bei einer Betrachtung dieser descriptiones genauso viel Aufmerksamkeit zukommen wie der Gestaltung von Gesicht und Körper der Figur.
2.4 Semantiken und Funktionen schöner Frauenkörper im höfischen Artus- und Tristanroman Im Folgenden werden nun vier Textstellen aus höfischen Artus- und Tristanromanen beispielhaft auf die Schönheitsbeschreibungen und vor allem auf die Farb- und Lichteffekte hin analysiert. Selbstverständlich können diese Textstellen nicht alle Spielarten der Schönheitsbeschreibung im höfischen Roman abdecken, jedoch eigenen sich insbesondere die ausgewählten Beispiele, um zu veranschaulichen, wie sich der Typus der Schönheitsbeschreibung und ihre farbige Ausgestaltung im Verlauf der Gattungsgenese verändern und wie das ursprüngliche Muster erweitert und verändert wird, oftmals mit erstaunlichen Auswirkungen auf die Außenwirkung der Figuren und ihre Wahrnehmung durch andere.
2.4.1 Enite – Hartmanns von Aue Erec Bei den Figuren Enite aus Hartmanns von Aue Erec und Isolde aus Gottfrieds von Straßburg Tristan, so die einführende These, zeigt sich der Typus einer Schönheit, deren Wirkung als „dynamisch“ zu beschreiben ist. Sie ist nicht statisch und objekthaft angelegt, sondern als wandlungsfähig inszeniert und entsteht in Wechselwirkung mit dem männlichen Betrachter, erschließt sich aus dessen Blicken und Reaktionen. Indem sie das vorgegebene höfische Ideal noch überbietet und erweitert, deutet diese Art der Schönheitsbeschreibung auf ein individuierendes Moment, welches die Figur in den Vordergrund rückt und sie von anderen Frauenfiguren abhebt. Die beiden Schönheitsdarstellungen inszenieren weibliche Schönheit als einen ambivalent zu deutenden Faktor, was vor allem über die Farben von Gesicht und Kleidung als auch über deren Lichtwirkung dargestellt wird. Im höfischen Roman ist Frauenschönheit ein Aspekt, der den der Dame zugeordneten Ritter bei seinen Taten unterstützen soll. Wohl kontrolliert hat sie eine tiurende, erhebende Kraft, die Minne hervorruft und den Ritter anspornt. Gleichzeitig kann Schönheit aber auch einen irritierenden bis destruierenden Effekt auf die sie betrachtenden Figuren ausüben. Auf diesen zweischneidigen Effekt der weiblichen Schönheit wurde
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bereits zuvor hingewiesen, er steht im Kontext des ebenfalls ambivalenten Verständnisses von Schönheit in den für das Mittelalter ausschlaggebenden ästhetischen Theorien. Verfällt der Ritter der Dame zu sehr, kann dies zur Schädigung des sozialen Ansehens führen, wie der Fall von Erecs verligen zeigt. Bei Isolde wird ein anderer Effekt vom Dichter inszeniert: Isoldes blendende Schönheit hat nicht nur die erwünschte Wirkung auf Tristan, sondern auch eine (eher unerwünschte) Wirkung auf Marke, was wiederum zu einem verheerenden Ende der Liebenden führt. Katharina Philipowski stellt in ihrem Aufsatz über die Ordnungen des Erzählens164 die These auf, dass die Formvollendung der höfischen Schönheitsbeschreibung adeliger Personen auf einem Zusammenspiel vom Schönheit, Form und Macht beruht. Form ist demzufolge die Beherrschung der Gestalt, das Verfügen über den Stoff. Da Schönheit aus Macht resultiert und Macht vergegenständlicht – denn nur Adligen, also auch gleichzeitig Mächtigen, kommt Schönheit zu, und das Maß ihrer Schönheit verbürgt wiederum für ihren Adel – ist es verständlich, dass auf eine Machtdemonstration in Form von übermäßiger Schönheit mit Erschrecken und einer Art von Furcht reagiert wird, wie sie angesichts Isoldes oder Enites beschrieben wird.165 Dies erklärt das atemlose Erstarren der Hofgesellschaft beim Auftritt der beiden Damen, aber auch beim Erscheinen Tristans, das durch die über das menschenmögliche Maß erhöhte Schönheit ausgelöst wird. Der Frauenschönheit wird in dem Moment, in dem sie überbordend wird und das ihr zugeordnete Ideal noch superlativisch übertrifft, auch eine zerstörerische Macht zugeschrieben. Es wird erzählt, dass die Gesellschaft dieses Ideal nicht mehr zu verarbeiten weiß. Frauenschönheit gelangt so in einen Grenzbereich, in welchem sie kanalisiert werden muss (Enite), oder ungezügelt waltend auf ein fatales Ende hinweist (Isolde). Diese Grenzüberschreitung wird, so soll gezeigt werden, in den beiden Beispielen durch die sprachliche Evokation von Farbigkeit beziehungsweise Lichtwirkung markiert und inszeniert. Die Farben leisten hier einen Hinweis auf die in beide Richtungen auszudeutende Konnotierung weiblicher Schönheit und lösen eine Diskussion um den Vollkommenheitsanspruch aus, den die beiden Figuren so (noch) nicht vollständig zu erfüllen vermögen. Die Szene aus Hartmanns Erec, die in Bezug auf die Schönheitsbeschreibung der Enite-Figur näher betrachtet werden soll, ist Erecs erste Begegnung mit seiner zukünftigen Frau: Auf der Suche nach dem Ritter Iders und seinen Begleitern gelangt Erec nach Tulmein, wo ein Turnier um einen Schönheitspreis stattfindet. Auf seiner Suche nach einer Unterkunft trifft er in einem heruntergekommenen Gemäuer auf den verarmten Adligen Koralus, der dort zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter Enite lebt. Koralus gewährt Erec Obdach, bereitet ihm ein Lager und ein Mahl. Da die Familie kein Philipowski (2007): Die Ordnungen des Erzählens. So sieht auch Rüdiger Schnell (2005: Die höfische Kultur) adelige Schönheit als Mittel sozialer Distinguierung und Ausweis von (politischer wie sozialer) Macht: „Der Adel konnte also auf verschiedene Art Schönheit inszenieren und dabei Schönheit als Zeichen von Macht und Legitimität reklamieren. Damit erweist sich das ästhetische Moment zugleich als politisches Instrument. Schönheit konnte per se Adel anzeigen.“ (S. 63)
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Personal zur Verfügung hat, das Erecs Pferd versorgen könnte, soll nun Enite diesen Pferdedienst übernehmen. Die folgende Szene beschreibt den ersten Blick, den der Erzähler auf die junge Enite gewährt. Er beginnt seine Beschreibung mit der Feststellung, sie sei diu schœniste maget / von der uns ie wart gesaget [Er, V. 310f.] (das schönste Mädchen, von dem man je gehört hat). Ist dieser Hinweis noch ein üblicher Einstieg für eine Beschreibung weiblicher Schönheit im höfischen Roman und wird auf fast jede weibliche Hauptfigur angewandt, so ist die folgende nähere Beschreibung Enites durchaus nicht mehr schemakonform: Aufgrund der Verarmung ihres Vaters ist auch Enite nicht den Erwartungen an eine adlige Jungfrau gemäß gekleidet. Die Hörererwartung einer Einheit von Kleid, Gesinnung und körperlicher Schönheit der Figur wird nicht saturiert.166 Enite stellt damit eine Ausnahme im Kanon der höfischen Artusromane dar, deren weibliche Hauptfiguren sonst bei ihrem ersten Erscheinen ausschließlich prachtvoll ausgestattet auftreten. Enites Kleid hingegen ist abgenutzt, an manchen Stellen zerrissen. Die armselige Aufmachung ist aufgrund ihrer Inkongruenz mit Enites eigentlich adeliger Abstammung als eine Schmach zu lesen. Der Autor nutzt jedoch diesen Umstand zugleich für eine außergewöhnliche Darstellung der Schönheit des Mädchens, die besonders durch den Kontrast zwischen dem grünen Kleid und dem schwanenweißen Körper hervorgehoben wird. Nach dem überblicksartigen Hinweis auf Enites schönen Leib geht die Betrachtung zuerst zur Bekleidung über: der roc was grüener varwe, / gezerret begarwe, / abgehære über al. [Er, V. 324ff.] (Ihr Kleid [Oberkleid] war grün, ganz und gar zerrissen und überall abgeschabt.) Auch das Hemd darunter ist sal / und ouch zerbrochen eteswâ [Er, V. 327f.] (schmutzig167 und an vielen Stellen zerrissen). Doch durch den zerrissenen grünen Stoff hindurch eröffnet sich, gleich einem Fenster, der Blick auf Enites weißen Leib: sô schein diu lîch dâ / durch wîz alsam ein swan. [Er, V. 329f.] (dort schimmerte ihr Körper schwanenweiß hindurch). Mit lîch kann an dieser Stelle auch explizit die Haut und Hautfarbe Enites bezeichnet sein.168 Der Anblick dieses schwanengleichen Körpers ist es, der den Erzähler zu der Aussage ermutigt, daz nie kint gewan / einen lîp sô gar dem wunsche gelîch [Er, V. 331f.] ([Man Vgl. Raudszus (1985): Zeichensprache, S. 81. Cramer übersetzt an dieser Stelle sal als schmutzig. sal trägt aber im MHD durchaus noch weitere Konnotationen, nämlich neben „schmutzig“ die Bedeutungen „dunkelfarbig, welk oder trübe“. Enites Hemd kann also sowohl als schmutzig als auch zugleich als dunkelfarbig imaginiert werden. Dies würde den Kontrast zu ihrer weißen Haut noch verstärken. (Eintrag sal, sal-wes in: Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.2, Sp. 576.) 168 Hier sei auf den Unterschied zwischen der Bedeutung und Verwendung von lîch und lîp im Mittelhochdeutschen hingewiesen: lîch (vgl. Eintrag lîch in: Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.1, Sp. 1896.) kann sowohl den Leib einer Person, d.h. den Körper, als auch die Körperoberfläche, explizit die Haut und Hautfarbe, besonders die Gesichtsfarbe, bezeichnen, wie auch die Leibesgestalt oder das Aussehen im Allgemeinen. In anderem Kontext meint es auch einen toten Leib oder Leichnam. lîp (Eintrag lîp in: Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.1, Sp. 1930.) kann allgemein das Leben aber auch den Leib (im Gegensatz zur Seele, dem Innerlichen), bezeichnen, wie auch den Körper als Gesamtheit der Glieder. Es kann auch als Umschreibung für den ganzen Menschen, die Person, eingesetzt werden. 166 167
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sagt,] daß nie ein junges Mädchen eine so vollkommene Gestalt gehabt habe.) Was sich hier am Beispiel der Enite zeigt, ist ein Konflikt mit dem antiken Kalokagathia-Ideal, eine Problematisierung des Verhältnisses von Außen und Innen – eine Dichotomie im augustinischen Sinne. Wenn auch das Äußere von einem unstandesgemäßen Gewand teilweise überdeckt wird, so verweist der lichte, weiße Körper bereits auf die im Inneren der Figur verborgenen Werte. Der Kontrast von Grün und Weiß, bekleidet und unbekleidet, verborgen und sichtbar, wird an Enite effektvoll inszeniert. Dazu wird besondere Betonung auf den Zustand von Rock und Hemd gelegt. Auf Kontrastierung angelegt fährt auch die Beschreibung fort: Der Körper des Mädchens schimmert durch die Risse hindurch alsam diu lilje, dâ si stât / under swarzen dornen wîz. [Er, V. 337f.] (wie eine Lilie, wenn sie weiß unter schwarzen Dornen blüht.) Die weiße Lilie (unter schwarzen Dornen)169, auch in Kombination mit der roten Rose, ist eine Umschreibung, die häufig der Gottesmutter Maria zukommt. Mit dieser Verwendung christlicher Metaphorik und durch diese inspirierte Farbensymbolik weist der Erzähler Enites Exzeptionalität aus, die sich auch in schlechtem Gewand durch ihre körperliche Makellosigkeit auszeichnet.170 Dieser Vergleich motiviert das abschließende Urteil: ich wæne got sînen vlîz / an si hâte geleit / von schœne und von sælekeit. [Er, V. 339ff.] (Mir scheint, Gott hatte alle seine Sorgfalt an sie gewandt in bezug auf Schönheit und Anmut.) Das einzige Farbdetail, das sonst in dieser Beschreibungssequenz Erwähnung findet, sind ihre hende vil wîze [Er, V. 355], mit denen sie den ungebührlichen Pferdedienst verrichtet. Die Farbwahl und -verwendung dieser ersten Szene ist mithin deutlich auf Gegensätze angelegt. Die Kontrastierung Weiß/Grün beziehungsweise Weiß/Schwarz erfüllt dabei die Funktion eines Sichtbar-Machens von etwas, das sonst verborgen bleiben würde. Enites ärmliche Aufmachung birgt die Gefahr, das zu verdecken, was im höfischen Roman den Adel nach außen sichtbar zeigt: die Schönheit des Körpers, das reine Weiß der Haut. Sie könnte als das durchgehen, als was sie Iders kurze Zeit später bezeichnen wird: als dürftiginne [Er, V. 694], als Bettlerin. Damit dieser falsche Eindruck nicht entsteht, sorgt ein sprachlich inszenierter Blick durch die Kleidung, das verdeckende, „verfälschende“ Äußere hindurch, für die Erkenntnis: Unter der Hülle der Armut verbirgt sich Schönheit im klassischen höfischen Sinne. Die Schönheit des Körpers erstrahlt unter der Kleidung Zur Auslegung der weißen Lilie (besonders im Hohelied, 2, 1–2, hier auch speziell die Lilie unter Dornen/Disteln) in der Bibelallegorese als Zeichen von Reinheit (vor allem der Fleischwerdung Jesu), Inkarnation ohne Sünde, Enthaltsamkeit, Tugendhaftigkeit und Mäßigung, Unschuld und jungfräulicher Unversehrtheit vgl. Meier/Suntrup: Lexikon der Farbenbedeutungen (2011), Art. candidus, S. 266–322: „Klar dominant sind jedoch eine Proprietät und eine Deutung: die weiße Farbe der Blüte, die die Lilie zum Zeichen der Jungfräulichkeit und moralischen Reinheit macht.“ (S. 294) Das Weiß der Lilie ist als Zeichen der Reinheit im biblischen Kontext besonders Maria zugeordnet. (vgl. S. 295) 170 So auch Kraß (2006): Geschriebene Kleider: „So zieht Hartmann auf engstem Raum verschiedene religiöse Register (christliche Farbenästhetik, mariologische Metaphorik, biblische Typologie), um Enite mit einer Aura der Vollkommenheit zu umgeben, die in ihrer leiblichen Schönheit sichtbar wird.“ (S. 172) 169
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in einen Weiß alsam ein swan [Er, V. 330]. Mehr noch, der Glanz des Körpers – ein Schein aus der Person heraus, beschrieben als endogene Lichtwirkung – dringt durch den schäbigen Stoff, genauso wie eine weiße Lilie selbst unter schwarzem Dornengestrüpp blüht. Selbst unter widrigsten Umständen, als solche lassen sich die schwarzen Dornen hier lesen, zeigt sich an Enites Körper ihre wahre Natur. Jedoch, diese Einschränkung der absoluten Vollkommenheit Enites wird vom Erzähler mit der Formulierung und wære si gewesen rîch [Er, V. 333] (Und wäre sie reich gewesen) deutlich hervorgehoben, wäre Enite an diesem Punkt nur dann als perfekte Partie für Erec erschienen, wenn sie nicht verarmt gewesen wäre. Der Vollkommenheitsaspekt, den das Ideal für die höfische Dame fordert, besteht hier nur unter Vorbehalt. Aussagekräftig in farbensymbolischer Hinsicht ist in diesem Kontext vor allem das Grün des Kleides, das der Autor Enite auf den Leib schreibt. Grün als kostspielige Kleiderfarbe verweist auf die Zeit vor der Verarmung ihres Vaters, ist eine Reminiszenz vergangenen Wohlstands. Grün symbolisiert in den meisten Auslegungstraditionen in Anlehnung an das Ergrünen der Natur das Leben, Erwachen, Auferstehung, Frühling, Wachsen, Sprießen, Kraft, erwachende Liebe und damit auch Hoffnung, Optimismus und Jugend.171 Jugendlichkeit wird durchweg positiv konnotiert, sie verweist auch auf den genealogischen Aspekt der Fruchtbarkeit. Im christlichen Farbenkanon steht Grün außer für den vegetativen Aspekt weiterhin für Barmherzigkeit, Kontemplation, Ewigkeit und Unvergänglichkeit, für die Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe, gute Werke, auch für Heiligkeit, Sittlichkeit und Jungfräulichkeit.172 In der Liturgie ist es die Farbe der Bekenner, Apostel und Propheten. Grün wird häufig als besonders schön angesehen, da es in vielen Farbtheorien von Antike und Mittelalter als die harmonischste Farbe gilt und eine Mittelstellung zwischen den Polen Schwarz und Weiß einnimmt. Hugo von St. Viktor nennt Grün deshalb gar die schönste aller Farben.173 Hartmann, so Kraß, nutze diese Symbolik für das Farbenspiel der Szene: Er kontrastiert das ausgleichende, harmonische Grün mit Schwarz und Weiß als den äußersten Polen der Farbskala.174 Als wiederholt Enite zugeordnete Farbe kann das Grün der Beständigkeit hier auf Enites ausgleichende, vermittelnde Funktion und als Gegenpol Erecs in Vgl. Wackernagel (1872): Farben- und Blumesprache, S. 239, und Pleij (2004): Colors Demonic and Divine, S. 84. 172 Vgl. Meier/Suntrup (2011): Lexikon der Farbenbedeutungen, Art. viridis, S. 802–857. 173 Vgl. dazu die Ausführungen zu Farbordnungsmodellen in Kapitel 1.4, weiterhin Assunto (1996): Theorie des Schönen, S. 200ff. Auch Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 172 verweist auf Hugos Vorliebe für die Farbe Grün. 174 Das gleiche Farbschema findet später bei der Beschreibung des Pferdes wieder Verwendung, welches Enite auf Penefrec geschenkt bekommt [Er, V. 7290–7365]. Hier werden die Kontrastfarben Weiß und Schwarz der Seiten des Tieres durch einen grünen Mittelstrich getrennt, was wiederum auf den harmonischen, ausgleichenden Charakter der grünen Farbe deutet. Vgl. dazu Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 172 und Wandhoff, Haiko (2003): Das geordnete Welt-Bild im Text: Enites Pferd und die Funktionen der Ekphrasis im ‚Erec‘ Hartmanns von Aue. In: Wolfgang Harms, C. Stephen Jaeger, Horst Wenzel und Kathrin Stegbauer (Hg.): Ordnung und Unordnung in der Literatur des Mittelalters. Stuttgart: Hirzel, S. 45–60, hier für den Zusammenhang der Farben der Figurendarstellung Enites und der Pferdebeschreibung besonders die S. 58f. Das Grün als Mittelstrich auf dem Körper 171
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der Romanhandlung verweisen.175 Raudszus wiederum sieht im Grün des Kleides einen Hinweis auf die Hoffnung, vor allem in Bezug auf soziale Mobilität und Aufstieg. Enite und auch Erec werden im sozialen Ordo aufsteigen.176 Die Erscheinung und Schönheit Enites an diesem Punkt ist eine der Potentialität, der Möglichkeit, die sich unter veränderten Umständen entwickeln wird. Das grüne Kleid, wenn auch zerschlissen und abgenutzt, verweist auf die Jugend Enites, ihr Potential zur Entfaltung.177 Gleichzeitig, so die These, kann das Grün an dieser Stelle aber auch auf Unreife und die Unerfahrenheit der Figur hinsichtlich der Wirkung ihrer Schönheit auf andere verweisen, sowie auf den jugendlichen Leichtsinn Erecs, der diese Gefahr nicht zu erkennen vermag und nur auf seine eigenen Ziele ausgerichtet handelt.178 Damit korrespondiert die Tatsache, dass auch Erec auf dem Turnier zur Hochzeit mit Enite Ausrüstung trägt, bei der Waffenrock und Schabracke grün sind [Er, V. 2339–2343]. Eine grüne Rüstung kann im Farbencode des höfischen Romans auf die Unerfahrenheit des sie tragenden Ritters verweisen.179 Grün steht folglich in diesem Kontext neben anderen Aspekten auch für Jugend und Unreife, was bereits auf die nahende Krise des verligens auf Karnant hindeutet. Neben dem Kontrasteffekt zu Grün und Schwarz hat die entblößte weiße Haut auch eine erotische Komponente. Der Effekt der durchschimmernden Nacktheit ist ein andedes Pferdes verweise, so Wandhoff, an dieser Stelle auf Enites Zustand der erreichten Lebensharmonie und der überwundenen Mühsal. (S. 58) 175 Eindeutig als Farbe der Beständigkeit bestimmt Gottfried von Straßburg das Grün in seiner allegorischen Auslegung der Minnegrotte im Tristan: zur Farbe des grünen Marmorbodens erläutert sein Erzähler: der marmelîne esterîch / der ist der staete gelîch / an der grüene und an der veste. / diu meine ist ime diu beste / von varwe und von slehte. / diu staete sol ze rehte / ingrüene sîn reht alse gras, / glat unde lûter alse glas. (Der marmorne Fußboden gleicht der Beständigkeit in seiner ewig grünen Festigkeit. Diese Bedeutung paßt am besten zu ihm wegen seiner Farbe und Art. Die Beständigkeit muß wahrlich so grün sein wie das Gras, so eben und klar wie Glas.) [Tr, V. 16969–76] 176 „Die soziale vertikale Mobilität, die sich motivisch durch alle Werke Hartmanns zieht, präsentiert sich deutlich in der kontrastiven Beschreibung des Körper-Kleid-Verhältnisses, die zugleich auch erwartungs- und handlungsauslösende Funktion gewinnt.“ Raudszus (1985): Zeichensprache, S. 82. 177 Auch in Der arme Heinrich nutzt Hartmann von Aue die Farbe Grün als Zeichen von Jugend und Frische. Als Heinrich durch Gott für seine Überheblichkeit mit Aussatz gestraft wird, beschreibt Hartmann den Verfall seiner jugendlichen Schönheit mit einem Verweis auf die Blüte, die ebenfalls vergehen muss, wenn sie am grünsten ist: unser bluome der muoz vallen, / so er allergrüenest wænet sîn. [V. 110f., hier zitiert nach folgender Ausgabe: Hartmann von Aue (1977): Der arme Heinrich. Mittelhochdt. Text und Übertragung von Helmut de Boor. 88.–92. Tsd. Frankfurt M: Fischer Taschenbuch Verlag] 178 So zu finden auch bei der Auslegung des Grün in der Bibelallegorese: Grün kann, ad malam partem, auch für Unerfahrenheit, Unreife und einen Zustand des Nicht-Belastbar-Seins stehen (vgl. Meier/ Suntrup [2011]: Lexikon der Farbenbedeutungen, S. 812), auch bei Mertens (1983): Mi-Parti, S. 55, die allgemein auf die Deutung von Grün im Sinne von jung, unreif oder unfertig hinweist, oft auch verbunden mit Torheit oder Narrheit. 179 Mit dem Aspekt der über die Farbe der Rüstung implizierten Semantik beschäftigt sich das Kapitel 5.2. An dieser Stelle kann das Grün der Ausrüstung Erecs aber auch als Hinweis auf seinen Minneritterdienst für Enite verstanden werden – Grün verdeutlicht im Minnefarbensystem die erste Stufe der aufblühenden, hoffnungsvollen Liebe.
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rer als der eines wissentlich und vorsätzlich entblößten Körperteils wie eines Arms, des Halses oder Dekolletés. Die Risse erlauben einen (fast schon verbotenen) Blick auf die weiße Haut, die das Kleid eigentlich verdecken soll. Dieses Element des Unerlaubten, Versehentlichen verstärkt den erotischen Charakter des Blickes auf die nackte Haut, ein enthüllender, fast schon voyeuristischer Anblick. Einen ähnlichen Effekt finden wir bei Hartmanns Laudine im Iwein. Iwein erblickt die ihm noch unbekannte Königin Laudine und ist von ihrer Schönheit gefesselt. In der Verzweiflung ihrer Todesklage um ihren verstorbenen Ehemann hat Laudine ihr Kleid zerrissen. Unter der zerfetzten Kleidung zeigt sich ihr makelloser Leib. Der weiße Schimmer der nackten Haut hat eine beinahe hypnotisierende Wirkung auf Iwein: swâ ir der lîp blôzer schein, da ersach sî der her Îwein: dâ was ir hâr und ir lîch sô gar dem wunsche gelîch daz im ir minne verkêrten die sinne, [Iw, V. 1331–36] (Wo ihr Leib entblößt schimmerte, betrachtete sie Herr Iwein. Ihr Haar und ihre Gestalt waren so vollkommen, daß ihm die Liebe zu ihr den Verstand raubte[.])
Die Minne für Laudine ergreift Besitz von ihm und er verspürt einen fast unwiderstehlichen Drang, zu ihr zu eilen. Die entblößte Haut mit ihrem Schimmer ist ein machtvoller visueller Auslöser erotisierten Begehrens. Im Erec ist dieser Effekt so nicht beschrieben. Die Erec-Figur scheint im Gegenteil von der Schönheit Enites kaum Notiz zu nehmen. Insbesondere im Vergleich mit der Szene des ersten Auftritts Enites vor dem Artushof, dem atemlosen Staunen der Artusritter, ist Erecs Reaktion auf ihre Schönheit eher verhalten. Er will zwar nicht, dass sie sein Pferd versorgt, aber von einem plötzlichen Aufwallen eines Verlangens nach der Dame wie im Iwein wird nichts erzählt. Erec ist noch viel zu sehr mit der Tilgung seiner eigenen Schmach beschäftigt, seine Gedanken kreisen allein um die Möglichkeit, Iders zu besiegen. Erst auf dem Schönheitsturnier äußert er sich zur Schönheit seiner Begleiterin, als er Imain verbietet, Enite für das Turnier neu einzukleiden. Erec beharrt auf der Tatsache, Enite brauche keine prächtige Kleidung, um schön zu sein. Mehr noch, wer dies glaube, zeige eine falsche Einstellung: ,er hæte harte missesehen, swer ein wîp erkande niuwan bî dem gewande. man sol einem wîbe kiesen bî dem lîbe ob sie ze lobe stât unde niht bî der wât.‘ [Er, V. 643–49] (Der hätte eine falsche Einstellung, wer eine Frau nur nach ihrer Kleidung einschätzen wollte. Bei einer Frau soll man nach der Gestalt urteilen, ob sie schön ist, und nicht nach der Kleidung.)
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Enites Schönheit wird hier aus verschiedenen Perspektiven thematisiert: Nach der Beschreibung der überwältigenden, körperlichen Schönheit der Dame durch den Erzähler äußert nun die Figur Erec ihre nahezu schon kleiderkritisch zu lesende Einschätzung.180 Er hat die äußerliche Fassade der Verarmung durchschaut, hat genau das getan, was er von Imain fordert: er hat nach der Gestalt geurteilt und nicht nach der Bekleidung. Die angeborene Schönheit Enites übertrifft jeden Kleiderprunk, selbst wenn sie nackt wie Erecs Hand und schwärzer als Kohle wäre (und wære si nacket sam mîn hant / unde swerzer dan ein brant, Er, V. 652f.) und damit nicht dem höfischen Schönheitsideal entspräche. Trotz dieser Erkenntnis ist Erec noch immer nicht bewusst, was für eine besondere Frau er dort gewonnen hat. Seine Wahrnehmung der Schönheit Enites ist gegenüber dem, was der Erzähler zuvor berichtet hat, noch eingeschränkt. Eine für den Betrachter gefährliche Wirkung erkennt er nicht, Erec unterschätzt Enites Schönheit und ihre Wirkung. Dies wird zu einem Kernproblem des Erec-Romans, so Kathryn Smits.181 Der junge Ritter bemerkt zwar, dass das Mädchen schön ist, er weiß aber nicht um ihre Einzigartigkeit. Er ist nur in der Lage, Iders zu besiegen, weil Enites Schönheit ihm hilft.182 Das jedoch versteht Erec zu dieser Zeit nur dunkel. Er unterschätzt die Wirkung der Frauenschönheit für den Kampf. Nach Kathryn Smits ist die schœne der Frau die äußerlich sichtbare Manifestierung ihres ganzen Wesens und ihres Einwirkens auf den Mann: „Die schoene der Frau strahlt eine tiurende kraft aus, die sich entscheidend auf die Kampftüchtigkeit des Mannes auswirkt.“183 Und dass Enites Schönheit große Macht auf Erec auszuüben vermag, hat sich hier bereits gezeigt – dieser Umstand wird ihm im Verlauf der Handlung zum Verhängnis werden.184 Die weibliche Schönheit, deren gefährliches Potential sich auch im Erschrecken der Artusritter bei Enites Anblick zeigen wird, und deren Fähigkeit, den höfischen Ritter in seiner Existenz zu erschüttern, in Erecs verligen zum Vorschein kommt, bleibt auch über das Ende des Romans hinaus problematisch und muss kanalisiert werden, um keine Gefährdung für die Gesellschaft darzustellen. Der Mann muss die schœne der Frau
Vgl. zur Kleiderkritik Kapitel 2.3. Smits, Kathryn (1982): Die Schönheit der Frau in Hartmanns „Erec“. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 101 (1982), S. 1–28. 182 und als er dar zuo ane sach / die schœnen vrouwen Ênîten, / daz half im vaste strîten: / wan dâ von gewan er dô / sîner krefte rehte zwô. [Er, V. 935–939] ([U]nd als er obendrein die schöne Enite ansah, da half ihm dies beim Kampf: denn dadurch verdoppelten sich seine Kräfte.) 183 Smits (1982): Schönheit der Frau, S. 8. 184 Und nicht nur auf Erec hat Enites Schönheit eine nicht immer positiv wirkende Macht: Die Räuber, die das Paar nach ihren geheimen Aufbruch vom Hof überfallen wollen, werden angezogen von Enites schöner Erscheinung [Er, V. 3324–3335]. Auch Graf Orilus, der Enite nach den Scheintod Erecs zu einer Zwangsheirat bringen will, ist geblendet von ihrer Schönheit und beansprucht sie für sich [Er, V. 6178–6210]. 180 181
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„mit liebevollem Verständnis […] zügeln und lenken“.185 An dieser Stelle der Romanhandlung ist Enites Schönheit jedoch noch vor allem eines: ein Risikofaktor. Dieses gefährliche Potential zeigt sich noch weit deutlicher in der zweiten Schönheitsbeschreibung anlässlich ihres Auftritts vor dem Artushof. Bei der Ankunft am Artushof wird Enite von Königin Ginover willkommen geheißen, die die junge Frau sofort unter ihre Fittiche nimmt. Die erste Eingebung der Königin, als sie die noch immer ärmlich gekleidete Enite erblickt, ist, die vrou maget wol getân [Er, V.1530] von eigener Hand neu einzukleiden. Diesmal leistet Erec keinen Widerspruch – er hat die „Verwandlung“ Enites vorsätzlich bis zu diesem Moment hinausgezögert. Das Mädchen wird in den Privatgemächern der Königin gebadet und dann in kostbare Gewänder gehüllt, die Hartmann trotz der vorherigen Aussage durch Erec, dass Kleider kein Urteil über das Wesen der Dame ermöglichen, nun detailliert in ihrer Pracht von Material und Farbe beschreibt. Die Gestaltung und Beschreibung der neuen Kleider ist stark durch Heinrichs von Veldeke Schilderung des Jagdgewandes der Dido in der Eneit geprägt.186 Enite wird erneut in die gleichen Farben gekleidet, in denen sie dem Publikum zuerst präsentiert wurde: grünes Oberkleid und weißes Hemd. Im Gegensatz zur ersten Beschreibung sind die Materialien aber ausnehmend kostbar: Das Oberkleid aus grünem Seidenstoff ist mit goldbestickten Borten geschmückt, Enite trägt einen kostbaren Gürtel, das Brusttuch wird zusammengehalten von einer Brosche, die mit einem funkelnden Rubin besetzt ist, welcher für seine besonders intensive Lichtwirkung bekannt ist.187 Der Mantel aus Ziklat ist mit Hermelin gefüttert und am Ärmel mit Zobel abgesetzt. Das Haar Enites ist mit glänzenden Bändern gehalten [Er, V. 1566–1577]. In Kombination ergeben diese Elemente das Bild einer prachtvoll gekleideten Dame. Allerdings legt Hartmann großen Wert darauf, zu betonen, dass selbst diese Pracht noch übertroffen wird von dem Lichtschein Enites, den sie aus sich heraus ausstrahlt: doch überwant im [dem Rubin, C.O.] sînen schîn / diu maget vil begarwe / mit ir liehten varwe. [Er, V. 1563ff.]188 (Doch besiegte dessen Glanz das Mäd Smits (1982): Schönheit der Frau, S. 13. Anders Haupt (2002): Der schöne Körper, S. 55: Sie sieht Smits Interpretation der Schönheit Enites als „gefährlich und beunruhigend“ als unverständlich an. Mit dieser Auslegung, so Haupt, unterstelle man Hartmann eine Position der frühscholastischen Moraltheologie, der zufolge die Frau als gefährliches Geschöpf die Männer ins Verderben stürzen kann. Sie sieht es eher so, dass Hartmann den richtigen oder falschen Umgang mit Schönheit diskutiert bzw. zur Diskussion stellt, während die positive oder negative Reaktion der Männer darauf in hohem Maße von ihnen selbst abhängt. 186 Vgl. dazu Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 40. 187 Rote Edelsteine können laut Christel Meier ([1977], Gemma Spiritalis, S. 147–152) über ihre Proprietäten Feuer- und Blutähnlichkeit vor allem auf Liebe, Macht, Herrschaft und königliche Würde gedeutet werden. Im christlichen Kontext stehen sie auch für den Heiligen Geist, die Passion Christi, und die Märtyrer. Speziell zur Ausdeutung des Rubins (auch Karfunkel) vgl. Engelen (1978): Edelsteine, S. 324–331. Der Rubin, so Engelen, zeichne sich vor allem durch seinen hohen Wert und seine Leuchtkraft aus. Der leuchtende Stein werde häufig auf die Liebe Marias bezogen ausgedeutet, die das Dunkel der sündhaften Welt durchdringe. 188 An dieser Stelle, so Kraß (2006: Geschriebene Kleider, S. 173), zeige sich der Versuch einer Balance zwischen Kleiderluxus und Kleiderkritik, die Hartmann anstrebe. 185
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chen völlig durch ihr strahlendes Aussehen.) Das Mädchen, schon in ärmlicher Kleidung schön, hat nun ihr volles Potential erreicht: alsô schœne schein diu maget in swachen kleidern, sô man saget, daz si in sô rîcher wât nû vil wol ze lobe stât. [Er, V. 1586–1589] (Das Mädchen hatte, wie man sagt, schon in ärmlichen Kleidern so schön ausgesehen, daß sie in derart prächtiger Kleidung jetzt rühmenswert ist.)
Prächtige Kleidung kann Tugendhaftigkeit zwar nicht hervorbringen, aber sie kann sie stärker betonen, als dies in ärmlicher Kleidung möglich ist. So fällt der Erzähler das abschließende Urteil: ir kleit was rîch, si selbe guot. [Er, V. 1578] (Ihr Gewand war reich, sie selbst tugendhaft.) Damit haben in Enite zwei Ideale zusammengefunden: makellose Schönheit in Kombination mit der ihr angemessenen prächtigen Kleidung zeichnen das perfekte Bild der höfischen Dame – der Reichtum des Äußeren deckt sich mit der Tugend des Inneren – ein Abbild des zuvor beschriebenen Kalokagathia-Ideals. Wir erkennen hier einen dynamischen Aspekt der Schönheit Enites: Ihr äußerlich vollzogener Wandel erst transformiert sie von der Ausnahme, der ärmlich gekleideten Adeligen, hin zum Idealbild. So kann sie ihr volles Potential ausschöpfen, was zu einer nun für den Betrachter überwältigenden Gesamtwirkung führt [Er, V. 1608ff.]. In den Beschreibungssequenzen der Enite-Figur wird das Ideal vollkommener Schönheit durchaus kontrovers und auch veruneindeutigend entfaltet und diskutiert. Betonte Hartmann bisher, dass Enite auch in Armut durch die ihr eignende körperliche Schönheit und angeborene adelige Grundhaltung außergewöhnlich schön sei, so ist sie es auch in – oder gerade wegen – ihrer nun prachtvollen Kleidung. Enites Schönheit wird hier als Problem kenntlich gemacht: Trotz aller aus inneren Tugenden gespeisten Körperschönheit kann sie den höchsten Grad der Perfektion erst erreichen, wenn sie im Schein der Pracht durch Ginovers Einkleidung erstrahlt.189 Die junge Adelige durchläuft einen wandel [Er, V. 1531], der ihre äußere Erscheinung von einer „natürlichen“ Schönheit zu einer übernatürlichen steigert. Aus dieser Übersteigerung resultiert auch der Schockeffekt für die Ritter des Artushofes. Auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit angelangt muss Enite ihre abschließende Prüfung bestehen: ihren Auftritt vor der Tafelrunde. Der Auftritt vor großen Publikum erfüllt sie mit Furcht und Verlegenheit. Als Ginover das Mädchen in den Saal führt, eröffnet der Erzähler die Beschreibung mit dem Einzelaspekt ihres Mundes. Er ist dem oben beschriebenen Schema der idealen Dame entsprechend rosenfarben, in einer Mischung aus Lilienweiß und Rosenrot190: als der rôsen varwe under wîze liljen güzze, So auch bei Raudszus (1985): Zeichensprache, S. 93f. Zur Symbolik von Rose und Lilie, vor allem in Bezug auf die in ihnen implizierte Mariensymbolik vgl. Kapitel 2.2.
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und daz zesamene vlüzze, und daz der munt begarwe wære von rôsen varwe, dem gelîchete sich ir lîp. man gesach nie ritterlîcher wîp. [Er, V. 1701–1707] (Wollte jemand Rosenrot unter Lilienweiß gießen und das zusammenmischen, aber so, daß der Mund ganz rosenfarben würde, so wäre dem ihr Aussehen gleich. Nie sah man eine edlere Frau.)
Das Wechselbad der Gefühle, das ungemach [Er, V. 1711] bei ihrem Auftritt lässt Enites Gesicht abwechselnd in Rot und Weiß erscheinen. Als sie die versammelte Ritterschar erblickt, erblasst sie vor Scham: diu rôsen varwẹ ir entweich / nû rôt und danne bleich / wart si dô vil dicke [Er, V. 1712–14.] (Ihre Rosenröte schwand, erst rot, dann blaß wurde sie abwechselnd). Der Erzähler umschreibt den Effekt mit einem Vergleich mit der sunnẹ in liehtem tage [Er, V. 1717], vor deren hellen schîn sich eine dünne Wolke schiebt.191 Sobald sie aber die Schwelle überschritten hat, errötet Enite erneut sanft mit der ihr eigenen wünneclîchen varwe [Er, V. 1728], ihrer köstlichen Farbe, und der Erzähler merkt abschließend an, dass der Farbwechsel ihr durchaus gut stehe: ei wie wol ez ir gezam / dô ir varwe wandel nam! [Er, V. 1730f.] (Wie schön stand es ihr, als ihre Farbe sich änderte.) Der Farbwechsel des Gesichts, so Ulrich Ernst, bildet die jungmädchenhafte Scham der Dame ab und folgt damit bestimmten geschlechtsspezifischen Rollenbildern.192 Die Haut dient hier als Spiegel von Emotionen in Form von Farbwechseln. In der sich verändernden Gesichtsfarbe zeigt sich erneut der thematische Wechsel zwischen Perfektem und Nicht-Perfektem, Vollkommenheit und Unvollkommenheit. Dieses Wechselspiel, Dynamik, wandel – abgebildet auf der Farbebene – erscheint programmatisch für die Enite-Figur. Als Enite nun vor die versammelte Ritterschar tritt, ist ihr immer noch nicht gewahr, welche Wirkung ihre makellose Schönheit, in Kombination mit der nun angemessenen Kleidung, auf die Ritter haben wird. Die nämlich erschrecken vor der so unerwartet auftretenden Schönen so sehr, dass sie sich selbst vergessen und das Mädchen wortlos anstarren (stupor pulchritudinis):
als diu sunnẹ in liehtem tage / ir schîn vil volleclîchen hât, / und gâhes dâ vür gât / ein wolken dünnẹ und nicht breit, / sô ẹnist ir schîn niht sô bereit / als man in vor sach. [Er, V. 1717–1722] ([W]enn die Sonne am hellen Tage in vollem Glanze strahlt und plötzlich eine dünne, kleine Wolke davortritt, so ist ihr Glanz nicht mehr so hell wie zuvor.) 192 Vgl. Ernst (2007): Haut-Diskurse, S. 195. Wie an den Beispielen in Ernsts Aufsatz ersichtlich, „erweisen sich die psychologisierenden Hautbeschreibungen der höfischen Dichter einerseits als höchst subtil, da sie Nuancen von Regungen und Emotionen dem Leser nahebringen, andererseits als überaus komplex, insofern sie am Schnittpunkt zweier Tendenzen der höfischen Kultur, einerseits der zur Internalisierung und andererseits der zur Visualisierung, Relationen zwischen Körper und Seele, Außen und Innen, Stand und Individuum spiegeln, die sich, wie bei Enites Debüt in der höfischen Gesellschaft zu beobachten, auch im Spannungsraum von Öffentlichkeit, Teilöffentlichkeit und Privatheit abspielen.“ 191
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ein lebende bilde: Schönheit und ihre farbigen Variationen dô diu maget in gie, von ir schœnẹ erschrâken die zer tavelrunde sâzen sô daz sị ir selber vergâzen und kapheten die maget an. dâ ẹnwas dehein man er enbegundẹ ir vür die schœnsten jehen die er hæte gesehen. [Er, V. 1736–1743] (Als das Mädchen eintrat, erschraken von ihrer Schönheit die in der Tafelrunde saßen, so daß sie sich vergaßen, und das Mädchen anstarrten. Da gab es niemanden, der sie nicht als Schönste bezeichnet hätte, die er jemals gesehen hatte.)
Als letztes Bild in der Reihe zieht der Erzähler noch einen Vergleich zwischen Enites Schönheit und dem silbern leuchtenden Schein des Mondes: Wenn man des Nachts die Sterne am Himmel sieht, dann glaubt man, si wæren wol genæme / ob in schœners niht enkæme. [Er, V. 1772f] (sie seien wohlgefällig, solange nichts Schöneres kommt.) Erblickt man dann aber den heraufziehenden Mond, so erscheinen die Sterne nichtig durch seinen hellen Schein. Und ebenso, so berichtet der Erzähler, verhält es sich mit Enite und den anderen anwesenden Damen: sus swachetẹ ir varwe / die vrouwen begarwe. [Er, V. 1782f] (Ebenso aber stellte ihr Glanz alle anderen Damen in den Schatten.) Die Schönheitsbeschreibung, so Kraß, wird hier ins Kosmologische übersteigert.193 Über den Himmelskörpervergleich schafft Hartmann einen dramatischen Lichteffekt. „Jener bestürzende Moment, als Enite den Saal betritt, ist wie ein Sieg des Lichts über die Finsternis.“194 Die varwe Enites, ihr Glanz, ihre Aura, die sie umgibt, blendet die anderen Damen aus. Nur sie ist des Schönheitskusses durch Artus würdig, den sie auch ohne Widerspruch erhält. Die schœne Enites im Erec ist weit mehr als nur körperliche Schönheit – sie ist ein Attribut der Figur, dessen Wirkung kanalisiert werden muss. Sie kann die innere Tugend der Figur widerspiegeln, andererseits kann sie den Mann auch regelrecht verrückt machen und zu verderblichem sinnlichem Verlangen führen.195 Dies widerspricht der Vorstellung der Vollkommenheit und Gutheit von körperlicher Schönheit. Enites Schönheit bedarf einer eindämmenden „Bearbeitung“. Die Kanalisierung der Wirkung erweist sich jedoch als schwierig, da das Äußere Enites einem Wandel unterliegt, der zu einer Übersteigerung ihrer Schönheit führt. Diese Entwicklung hin zu einer nahezu übernatürlichen Erscheinung wird in den farbig ausgestalteten descriptiones deutlich gemacht. Das fesselnde Farbenspiel des Errötens und Erbleichens ihres Gesichtes und auch besonders die durch den Vergleich mit sunne und mâne hervorgehobene Lichtwirkung ihrer Erscheinung sind machtvolle visuelle Reize, die die Aufmerksamkeit der Männer (Erecs, der Tafelritter, aber später auch der Räuber und des Grafen Orilus) auf die Figur lenken und diese mithin auch in negativer Art und Weise beeinflussen. So ist es bei Hartmanns Inszenierung der Vgl. Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 174. Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 174. 195 Vgl. Smits (1982): Schönheit der Frau, S. 10f. 193 194
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Enite-Figur vor allem der wandel der Farben und der Lichtwirkung, das Verblassen und dann erneute Aufleuchten ihres schîns [Er, V. 1718], der die Augen der Betrachter auf ihre Gestalt lenkt, der Wechsel von Vollkommenheit und Unvollkommenheit, der sie in diesen Szenen als gefährlich schön auszeichnet.
2.4.2 Isolde – Gottfrieds von Straßburg Tristan Isolde, die Königstochter des irischen Hofs in Gottfrieds Tristan, wird von Anfang an als herausragend schön beschrieben und vor allem immer wieder mit der Sonne als dem ihr am meisten gleichenden Objekt in Zusammenhang gestellt. Gleichzeitig aber wird „Isoldes Schönheit […] seit ihren ersten Auftritten auf der epischen Bühne als beunruhigend, verwirrend, destabilisierend geschildert.“196 Auch ihre Musikaufführungen [Tr, V. 8027– 8131] sind sirenengleich und so wundersam, dass sie die Zuhörer in Ekstase versetzen und mitreißen. Ihre Künste haben eine sinnesverwirrende, realitätsverschleiernde Macht, so Peter K. Stein197, von Christoph Huber bekommen sie sogar eine magisch-dämonische Seite attestiert. Ebenso ambivalent wie ihre Kunstaufführungen wird, so meine These, auch Isoldes goldglänzende Erscheinung bewertet, sowie deren Veränderung von einer positiv konnotierten, strahlenden Schönheit hin zu einer (ver)blendenden, gleißenden Lichtwirkung, die hier vor allem anhand ihres Auftritts vor dem Hoftag in Weisefort und dem Blick Markes auf die schlafende Figur in der Minnegrotte betrachtet werden soll. Die erste Szene zeigt Isoldes Erscheinen an der Seite ihrer Mutter auf dem Hoftag in Weisefort. Die beiden Isolden, Mutter und Tochter, sowie Brangäne bereiten sich geflissentlich auf ihren Auftritt vor. Auch Tristan putzt sich heraus. Er hat eine Truhe mit Schmuck von seinem Schiff holen lassen, deren kostbaren Inhalt er den drei Damen schenkt.198 Der Auftritt der beiden Isolden hat – im Gegensatz zu Enites Erscheinen vor dem Artushof – den Charakter des Inszenierten und wohl Geplanten. Er erscheint bis hin zur Blickregie durchchoreographiert. Das Publikum verfolgt hier das Tun zweier Frauen, die mit dem Spiel mit den Betrachtern durchaus vertraut sind und sich ihrer Außenwirkung, besonders der der jungen Isolde, absolut bewusst sind. Der Erzähler leitet die ausführliche und suggestive Beschreibung mit einem Himmelskörpervergleich ein. Die Königin Isolde ist daz vrôlîche morgenrôt [Tr. V. 10886], das heitere Morgenrot. An ihrer
Huber (2007): Merkmale des Schönen, S. 136. Vgl. zur Macht und Ohnmacht der Musik in Gottfrieds Tristan: Stein, Peter K. (1980): Die Musik in Gotfrids von Strassburg Tristan – Ihre Bedeutung im epischen Gefüge. Vorstudie zu einem Verständnishorizont des Textes. In: Peter K. Stein (Hrsg.): Sprache – Text – Geschichte. Beiträge zur Mediävistik und germanistischen Sprachwissenschaft aus dem Kreis der Mitarbeiter 1964–1979 des Instituts für Germanistik an der Universität Salzburg. Göppingen: Kümmerle Verlag 1980, S.569– 694, hier vor allem S. 600ff. 198 Da sich die Damen mit den Schmuck- und Kleidungsstücken aus der Truhe Tristans einkleiden, nimmt dieser eine gewisse gestalterische Funktion in der Ausstattung der drei Frauen ein. 196 197
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Hand führt sie ihre Tochter, „das Wunder von ganz Irland“, die bereits zuvor mit dem Beinamen der Sonne belegt wurde199; dieser findet auch hier wieder Erwähnung: und vuorte ir sunnen an ir hant, daz wunder von Îrlant, die liehten maget Îsôte, diu sleich ir morgenrôte lîse und staetelîche mite [Tr. V. 10887–10891] ([U]nd [sie] führte ihre Sonne mit sich, das Wunder von Irland, das strahlende Mädchen Isolde. Die schritt neben ihrem Morgenrot still und gleichmäßig einher [.])
Der Vergleich mit leuchtenden Himmelskörpern und -phänomenen ist, wie bereits ausgeführt, ein gängiges Mittel der Schönheitsbeschreibung. Die Sonnenmetapher ist bekannt aus religiösen Kontexten. Die Sonne erscheint in vielen Religionen als göttliche Erscheinung, die die Finsternis bekämpft und Leben bringt, Göttlichkeit geradezu verkörpert. Das Christentum überträgt im Marienkult diese Sonnenmetapher auch auf die Frau.200 Der Tristanroman nutzt diese säkularisierte Sonnenmetapher für die Isolde-Figur. Wie die Sonne der Erde Leben schenkt, so mehrt Isoldes Anblick die vröude des Hofes.201 Eine so machtvolle Leuchtkraft wird sonst keiner Figur des Romans zugeschrieben, die Attribute lieht und lûter verweisen fast ausschließlich auf sie. Auch in dieser Szene exponiert Gottfried deutlich die Lichtwirkung der liehten maget Îsôte.202 Bevor er näher auf die Kleidung eingeht, rühmt der Erzähler Isoldes anmutige Gestalt, ihren wohlgeformten Körper, suoze gebildet über al [Tr, V. 10893] (ganz und gar lieblich anzusehen). Hier setzt die nächste Vergleichskette ein: Isolde wird als vederspil der Minne beschrieben, als „Spielzeug“, „Zuchtvogel“ der Liebe, nach ihrem Willen geformt. Der Vergleich mit dem Jagd- und exotischen Ziervogel wird später noch einmal aufgegriffen. Isolde wird uns in diesem ersten Moment vorgeführt als ein strahlendes, glühendes Wesen, ein Inbegriff der Lieblichkeit, geschaffen von und für die Minne, was ihr in dieser Szene einen instrumentalisierten Charakter verleiht. Ihre betörende Wirkung auf die Umstehenden steht außer Frage. In seiner Beschreibung Isoldes vor Marke bezeichnet Tristan das Mädchen als diu niuwe sunne [Tr, V. 8280] (die neue Sonne), als diu liehte wunneclîche [Tr, V. 8285] (Das glänzende, wundervolle Mädchen), deren Anblick läuternde Wirkung besitzt rehte als diu gluot dem golde tuot [Tr, V. 8292] (so wie die Glut das Gold [läutert]). 200 So auch Ingrid Hahn (1975): Parzivals Schönheit, S. 214: Eine Durchlichtung der sündigen menschlichen Natur werde vor allem bei Maria erwähnt, von der Christus das menschliche Fleisch annahm. „Wie Gott Maria, im Bild, von innen erleuchtet, so strahlt ein physisch wahrnehmbarer Glanz von ihrem Gesicht“. 201 Vgl. dazu Röcke, Werner (1990): Im Schatten des höfischen Lichtes. Zur Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit im mittelalterlichen Tristan-Roman. In: Licht. Religiöse und literarische Gebrauchsformen. Frankfurt am Main/New York: P. Lang, S. 37–64, hier S. 43. 202 Lieht steht, so Brinker-von der Heyde (2008): Lieht, S. 103, als substanzloses Attribut eines Objektes, in dem Falle Isoldes. Das Wort lieht ruft das Bild makelloser, strahlender Schönheit ohne individuelle Differenzierung auf. Es gibt keine Trennung zwischen Sache und Person. 199
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Es schließt sich eine Kleiderbeschreibung mit Verweis darauf an, wie hervorragend Isolde diese Prachtkleidung zu tragen und vorzuführen vermag [Tr, V. 10900–11020]. Sie ist gekleidet in einen Mantel und einen Rock aus Samt, deren Farbe als brûn beschrieben wird. Der Farbwert von brûn ist schwer zu bestimmen, ich fasse ihn nach Elke Brüggens Vermutung203 als einen violett schimmernden Farbton auf. Das Kleid ist nach französischer Mode geschnitten und liegt oben betont eng am Körper an, unten wirft es üppige Falten [Tr, V. 10902–16]. Der Mantel ist mit Hermelin gefüttert, am Saum ist er mit Zobel besetzt. Besonders der Farbigkeit der Pelze schenkt der Erzähler große Aufmerksamkeit: swarz unde grâ [Tr, V. 10927 und 109228] gesprenkelt ist der Zobel, alsô gemischet under ein, / daz ir dewederez dâ schein. [Tr, V. 10929f.] Die Farbmischung ist so harmonisch, dass keine der Farben hervorsticht. Der Umschlag besteht wiederum aus weißem Hermlin, dessen Farbe mit dem dunklen Zobel gut zusammenpasst [Tr, V. 109331–34]. Gehalten wird der Mantel mit einer Tasselschnur aus weißen Perlen. Isolde weiß den Mantel so zu präsentieren, dass sowohl Innen- wie auch Außenseite sichtbar sind, sich den Betrachtern also sowohl das Pelzfutter wie auch die seidene Außenseite zeigt. Die Lust an kostbaren Gewändern, so Brüggen, ist hier gepaart mit dem Sinn für ihre Verarbeitung, der Gestik und Eleganz, mit der sie getragen werden, einem höfischen Gang, einer aufrechten Körperhaltung. Die „Schönheit der Gestalt, Kleidung, Haltung, Bewegung, Gestik und Benehmen gemeinsam [definieren, C.O.] den höfischen Menschen“.204 Die Farben der Kleidung werden von Gottfried als besonders harmonisch inszeniert. Isoldes strahlende Schönheit ist umrahmt von eher gedeckten Tönen; brûn, Weiß, Grau und Schwarz, die ihren Glanz unterstützen, aber nicht überstrahlen. Sie ist nicht mehr, wie zum Beispiel Veldekes Dido, blutrot und grasgrün gekleidet, und nicht überbordend bunt dargestellt wie die später anzusiedelnden Beispiele, sondern ihre Kleidung präsentiert sich vor dem inneren Auge als farbig zurückgenommen, aber reich an Nuancen. Der Erzähler weist, ebenso wie auch im Enite-Beispiel, darauf hin, dass hier Frau und Bekleidung eine ideale Einheit bilden: diu zwei, gedraet unde genaet, / diun vollebrâhten nie baz / ein lebende bilde danne daz. [Tr, V. 10954ff.] (Beide zusammen, Gebilde und Gewand, haben niemals besser geschaffen ein lebendes Bild als dieses.) „Geist, Körper Brûn ist, so Brüggen, ein Farbwert, der vor allem im Zusammenhang mit Scharlachstoff genannt wird und gehört wahrscheinlich zur Rot-Blau-Skala. Dass es sich tatsächlich um eine violette Färbung handeln könnte, legt eine weitere Szene aus dem Tristan nahe, in welcher der Farbton mit dem eines Veilchens und einer Schwertlilie verglichen wird [Tr, V. 11121f.]. (vgl. Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 63.) Gleichzeitig, darauf verweist Ostheeren (1971): Toposforschung, S. 32 und 44, trägt brûn neben dem ihm zugewiesenen Farbwert auch die Valenz „glänzend“ oder „leuchtend“. Oguy [Oguy, Oleksandr (2011): ‚Farbige‘ Mentalität im Mittelalter. Eine quantitative Rekonstruktion. In: Ingrid Bennewitz und Andrea Schindler (Hg.): Farbe im Mittelalter. Materialität – Medialität – Semantik. Akten des 13. Symposiums des Mediävistenverbandes vom 1. bis 5. März 2009 in Bamberg, Bd. 1. 2 Bände. Berlin: Akademie Verlag Berlin, S. 395–418.] lokalisiert den Ursprung des Wortes im AHD: hier verweise das Farbwort brûn/prûn auf die Lehnsbedeutung „pflaumenfarben, violett“, die es von seinem lateinischen Homophon prunum (Pflaume) übernommen habe. 204 Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 44. 203
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und Kleidung harmonieren in der Schönheit dieses lebendigen Kunstwerks.“205 Isolde ist die Personifikation der versammelten höfischen Harmoniewerte. Hierin zeigt sich Gottfrieds ästhetisches Prinzip: Die Darstellung der Figur muss, dem Kalokagathia-Ideal folgend, in allen ihren Elementen eine Einheit darstellen. Bevor er aber nun zum Höhepunkt der Auftrittsbeschreibung kommt, schildert der Erzähler noch die Wirkung, welche Isolde auf die Anwesenden hat. Und auch hier wird diese als unerwartet bewegender Effekt inszeniert – der Anblick Isoldes verwirrt die Zuschauer so sehr, dass sie in einen Zustand der Selbstvergessenheit verfallen: gevedere schâchblicke die vlugen dâ snêdicke schâchende dar unde dan. ich waene, Îsôt vil manegen man sîn selbes dâ beroubete. [Tr, V. 10957–61] (Geflügelte Räuberblicke flogen da dicht wie Schneeflocken raubgierig heran und um sie herum. Ich glaube, Isolde hat da viele Männer ihrer Sinne beraubt.)
Die Verwendung der Begriffe schâchblicke und schâchende verweisen auf das semantische Feld des Räubers oder Jägers – Isolde wird zur Beute stilisiert, die von gierigen Blicken umkreist wird. Alle Männer im Raum wollen sie besitzen. Jedoch ist sie alles andere als „leichte Beute“, ihr Anblick allein beraubt jeden Mann seiner Sinne, sîn selbes. Huber deutet die Verwendung dieser Begriffe als aggressiv: Der Erzähler streue beunruhigende Hinweise auf die „aggressiven Eigenschaften von Isoldes Schönheit als Beizvogel der Minne (V. 10896f.) und den Vergleich mit dem Jagdfalken und der grellen Farbigkeit eines Papageis (V. 10994f.)“ ein.206 Im Gegensatz zu Enite löst Isoldes Anblick nicht Erschrecken aus, sondern Begierde. Beides jedoch mündet in einer gedankenlosen Selbstvergessenheit derer, die sie betrachten. Die Schönheit der Damen scheint einen störenden Effekt auf die Sinne der Männer zu haben. Diese negative Konnotierung der Schönheit Isoldes verweist auf eine Einschränkung ihrer Vollkommenheit. Gleichzeitig, das führt Pastré207 aus, verweist diese Sinnesverwirrung beim Anblick Isoldes auch auf einen Mangel in den Betrachterfiguren. Ihre Schönheit wecke alleinig die Leidenschaft und das Begehren der Männer, weil nur deren Sinne beim Betrachten des Mädchens zum Einsatz kämen, nicht das Herz. Sie sehen nur den Körper und das Äußere – genau wie es auch Marke tut. Die edelen herzen Gottfrieds, und dazu zählt auch Tristan, sind Kellermann, Karina (2002): und vunden vür ir herren da / einen zestucketen man. Körper, Kampf und Kunstwerk im „Tristan“. In: Huber, Christoph; Millet, Victor (Hg.): Der „Tristan“ Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. – 8. April 2000. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, S. 131 – 152, hier S. 134. 206 Vgl. Huber (2007): Merkmale des Schönen, S. 137. 207 Pastré, Jean-Marc (1989): Aspekte der Wahrnehmung in Gottfrieds Tristan und Isolde. In: Danielle Buschinger (Hg.): Sammlung – Deutung – Wertung. Ergebnisse, Probleme, Tendenzen und Perspektiven philologischer Arbeit. Unter Mitarbeit von Wolfgang Spiewok. Amiens: Université de Picardie, Centre d’études médiévales, S. 281–289. 205
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jedoch in der Lage, über die äußerliche Schönheit, die Hülle der Formen und der Körper hinauszusehen. Das Herz hat in Gottfrieds Ästhetikvorstellung genauso Anteil an der Wahrnehmung des Schönen wie das Auge. Die Fähigkeit der edelen herzen besteht darin, über die äußere Hülle hinweg die Ausstrahlung des Lebewesens oder des Gegenstandes zu sehen und die tiefere Schönheit zu erfassen. Verfügt der Betrachter aber nicht über diese Fähigkeit, führt der Anblick der leuchtenden Gestalt zu einer Sinnesverwirrung, einer Blendung. Der Höhepunkt der blendenden Lichtwirkung Isoldes wird dann erreicht, wenn der Erzähler den Anblick ihres Haares und des darin befindlichen Goldreifens beschreibt. Auf dem Haupt trägt das Mädchen einen schmalen, kunstvoll gearbeiteten Reifen, der mit Smaragden, Hyazinthen, Saphiren und Chalcedonen verziert ist.208 Die Edelsteine der Krone strahlen vil lieht auf ihrem Kopf. Jedoch steht der Reif dort im direkten Vergleich mit Isoldes güldenem Haar – und das Material Gold verliert diesen Wettstreit: dâ lûhte golt unde golt, der circkel unde Îsolt in widerstrît ein ander an. da enwas kein alse wîse man, haete er der steine niht gesehen, daz er iemer haete verjehen, daz dâ kein circkel ware. sô gelîch und alse einbaere was ir har dem golde. [Tr, V. 10977–85] (Gold leuchtete da wider Gold, der Reif und Isolde strahlten um die Wette. Da war kein noch so erfahrener Mann, der, hätte er die Steine nicht gesehen, nicht behauptet hätte, daß da kein Reif sei. So genau glich ihr Haar dem Golde.)
Der goldene Reif und das goldene Haar strahlen in einem Wettstreit gegeneinander an. Der Glanz liegt in Isoldes Person begründet und ist vergleichbar mit dem königlichen 208
Si truoc ûf ir houbete / einen cirkel von golde / smal, alse er wesen solde, / geworht mit spaehem sinne. / dâ lâgen gimmen inne, / erwünschete steine, / vil lieht und iedoch cleine / die besten von dem lande. / smaragde und jachande, / saphîre und calcedône, [Tr, V. 10962–71] (Auf dem Kopf trug sie einen goldenen Reif, schmal, wie er sein soll, überaus kunstvoll gearbeitet. Edelsteinen waren da eingelasssen, makellose Juwelen, strahlend hell und dabei doch zierlich, die besten des ganzen Reiches. Smaragde und Hyazinthe, Saphire und Chalcedone[.]) Speziell diese Edelsteine, so führt Engelen (1978): Edelsteine, S. 113, 125–129, aus, verweisen in ihrer Kombination möglicherweise auf die Krone Marias. Weiterhin weise der Reif auf die königliche Würde Isoldes hin und kennzeichne ihre Verbindung zu Tristan – aber auch zu Marke: „Isoldes Reif unterstreicht ihre ästhetisch ansprechende Erscheinung und weist darüber hinaus auf ihre Königswürde, deren dichterisch und historisch verbürgtes Zeichen seit alters das mit Edelsteinen verzierte Diadem ist. Folglich trägt Tristan kein Diadem, sondern ein schapelekin, das wie Isoldes Kopfschmuck vier Edelsteine schmücken. Dadurch werden Tristan und Isolde von der Masse der Anwesenden, insbesondere auch vom trügerischen Truchseß, der Anspruch auf Isolde erhebt, abgehoben und vorausdeutend als zusammengehörig gekennzeichnet. Zugleich wird die Spannung sichtbar, die sich daraus ergibt, daß Isolde als Trägerin des Diadems eigentlich zu einem König, also zu Marke, gehörte.“ (S. 128)
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splendor. Die Figur zeigt eine endogene Strahlkraft, die, so Brinker-von der Heyde, nach theologischer Sicht den Menschen vor dem Sündenfall auszeichnete.209 Kein Betrachter, der nicht die bunten Edelsteine gesehen hätte, hätte gewusst, dass dort in diesen goldenen Haaren ein Reif versteckt ist. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen dem Edelmetall und Isoldes Haarpracht. Licht- und Farbwirkung der beiden Materialien sind identisch. „Gold“ als Material und „golden“ als Farbattribut werden hier nicht unterschieden. Die Ausstrahlung von Isoldes Schönheit ist vom Autor als eine Wechselwirkung mit dem Reif inszeniert: Sie und das Gold reflektieren aufeinander und gegeneinander, eines erhöht und übertrifft den Glanz des anderen.210 Gold ist (Metall-)Farbe und Material, das grundlegend drei Eigenschaften in sich vereint: Es stellt eine eigenständige Farbe dar, es erzeugt Licht in Form von Glanz, und es ist eine kostbare Materie.211 Gold als Farbe und Material kann, je nach Kontext, ambivalent ausgelegt werden: Nach christlicher Tradition symbolisiert es zumeist die Allmacht Gottes, da sein Glanz auf das göttliche Licht zurückgeführt wird.212 Gold und Weiß sind einander in diesem Kontext eng verwandte Farben. Gold wird als die Vergegenwärtigung der himmlischen Welt in der irdischen Sphäre gedeutet, was zurückzuführen ist auf die Darstellung des Neuen Jerusalems in der Johannes-Apokalypse. Trotzdem wird das Gold auch in der mittelalterlichen Symbolik zum Teil negativ ausgelegt, nämlich dann, wenn es zum Zeichen für übermäßigen Prunk und dem alleinigen Streben nach weltlichem Besitz verwendet wird. So trägt zum Beispiel die Hure Babylon (Apc, 17, 4f.), Sinnbild der Sünde der Überheblichkeit, der superbia, kostbare, mit Gold bedeckte Kleidung. An ihr degeneriert das Gold zum Zeichen für Verderben und gotteslästerlichen Prunk.213 Isoldes goldenem Farbton wird in dieser Szene grundsätzlich eine positive Bewertung zugewiesen, trotzdem muss man bereits hier in ihrem blendenden Schein auch eine gefährliche, sinnestrübende Komponente erkennen, die später in der Minnegrotten-Szene noch deutlicher zum Vorschein kommt. Zum Abschluss bedient sich der Autor noch einmal der beiden Metaphern, die er durchgängig für Isoldes Anblick nutzt: zuerst der Vogel- und dann der Sonnenmetapher. Vgl. Brinker-von der Heyde (2008): Lieht, S. 96. Vgl. Huber (2007): Merkmale des Schönen, S. 133. 211 Vgl. Dittmann (2010): Farbgestaltung, S. 13. 212 Vgl. zur christlichen Auslegung des Goldes Meier/Suntrup (2011): Lexikon der Farbenbedeutungen, Art. aureus, aurum, S. 120–234. Gold ist ein in der Bibel besonders häufig belegtes Material bzw. Farbe und hat ein entsprechend breit gefächertes Deutungsspektrum. Zumeist wird es positiv ausgelegt, auf Gott oder die Göttlichkeit gedeutet, auf Himmel, Ewigkeit und ewiges Leben, Reinheit und Gewissen, Wissen und Weisheit. Negativ bewertet wird Gold dort, wo es auf irdische Werte, weltliche und zeitliche Dinge verweist. Hier steht es für Hochmut und Heuchelei, Selbstüberschätzung, Begehrlichkeit und übermäßige Prachtentfaltung. Als wichtigste Proprietät des Goldes gilt seine Lichtwirkung: „Der Glanz, das Leuchten, Blitzen, Blinken, Schimmern, die Klarheit“ (S. 131) Es verweist auf die göttliche Kraft, die Königsherrschaft Christi und die Liebe. Das Gold als Symbol des Göttlichen findet sich auch in der abendländischen Kunst des Mittelalters, zum Beispiel im Goldgrund der christlichen Malereien und in den Gewändern und Heiligenscheinen der Figuren. 213 Vgl. Lehmann-Langholz (1985): Kleiderkritik, S. 63–67, sowie Meier/Suntrup (2011): Lexikon der Farbenbedeutungen, Art. aureus, aurum, S. 140, S. 227ff. 209 210
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Isoldes gesamte Erscheinung ist aufgeputzt, ihre Vorzüge dezent betont und untermalt. Wie ein Sperber auf seiner Stange, wie ein bunter Papagei, ist sie hergerichtet und zur Präsentation bereit. Ihre Augen schweifen umher wie die eines Falken [Tr, V. 10996f.], sind leuchtend und rein wie spiegelglas [Tr, V. 11004]. [D]ie wunnebernde sonne / sie breite ir schîn über al [Tr, V. 11006f.] (Die freudebringende Sonne verbreitete ihr Licht über alles), als das Mädchen mit ihrer Mutter durch den Raum gleitet, schweigend und hier und dort huldvolle Blicke verteilend, wo es sich geziemt. Das Bild, das sich in diesem Auftritt dem Betrachter bietet, ist eines, das nicht durch Farbe dominiert wird, sondern durch Glanz. Die Farben der Kleidung sind maßvoll verwendet – der Erzähler legt großen Wert darauf, dies zu erwähnen, mâze wird bei der Beschreibung sowohl der Bekleidung als auch Isoldes sittlicher Tugend und Haltung erwähnt214 – und werden in den Hintergrund gedrängt von ihrer goldenen Aura. Unterstrichen und kombiniert mit der Sonnenmetapher bietet sich das Bild einer wortwörtlich strahlenden Schönheit, deren Selbstsicherheit und angemessene Haltung ihre Anmut noch unterstreicht. Durch die besonders häufig verwendete Lichtmetaphorik gestaltet Gottfried Isolde (und auch Tristan) zu „beinahe halbgöttlichen Gestalten“ aus.215 Dieser überbordende Glanz ist als ein Verweis auf die bereits erwähnte Lichttheorie des Pseudo-Dionyisus Areopagita zu verstehen.216 Das göttliche Licht geht in Abstufungen auf die Schöpfung nieder, alle Stufen der Schöpfung werden entsprechend ihrem Platz in der Hierarchie erleuchtet. So ist die leuchtende Isolde ein Zeichen von Vollkommenheit, Schönheit und Anmut. Dies kann jedoch in unterschiedlichen Abstufungen von den Betrachtern wahrgenommen werden. Die nicht mit den Gaben der edelen herzen ausgestatteten Betrachter verweilen bei Isoldes Anblick auf der gleißenden Oberfläche und werden von ihrem Lichtglanz überwältigt und gelähmt. Ihr Anblick ruft bei ihnen nur Verlangen hervor. Somit erhält Isoldes lichte Schönheit auch einen gefährdenden Faktor. Diese Beschreibung Isoldes korreliert insbesondere im Hinblick auf Farb- und Lichteindrücke und die Kleidung mit der Auftrittsbeschreibung Tristans nur wenige Verse später. Bereits hier wird ersichtlich, dass Tristan und Isolde eine Verbindung zueinander haben, die sich auch auf der visuellen Ebene darstellt. Kraß beschreibt dies mit dem Stichwort der „ästhetischen Harmonie“217, welche die Bestimmung der Liebenden füreinander bereits vor dem Minnetrank demonstriere. Tristan tritt auf als vollkommener Ritter, sein makelloser Körper und die fremdartige, prächtige Kleidung bilden in ihm eine Einheit, die bestaunenswert ist: ez stuont allez an im wol, daz ze ritters lobe stât. sîn geschepfede und sîn wât die gehullen wunneclîche in ein. Tr, V. 10925 und V. 10991. Raudszus (1985): Zeichensprache, S. 155. 216 Vgl. dazu Kapitel 2.1.2.2. 217 Vgl. Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 185. 214 215
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ein lebende bilde: Schönheit und ihre farbigen Variationen si bildeten under in zwein einen ritterlîchen man. [Tr, V. 11096–11101] (Alles an ihm war herrlich, was einem Ritter zum Lobe gereicht. Sein Körper und seine Kleider entsprachen einander wunderbar – beide zusammen bildeten sie einen einzigen vollendeten Ritter.)
Tristan trägt cyclâdes cleider [Tr, V. 11102], in den Stoff ist so viel Gold eingewebt, dass man die Seide kaum noch erkennen kann und das Gewand wie glühende Kohlen leuchtet [Tr, V. 11118f.]. Der Rock ist mit einem Perlennetz überzogen, das Innere ist mit Seidenstoff gefüttert, der genau wie Isoldes Gewand brûn ist; er schimmert noch violetter als ein Veilchen, ist gefärbt wie eine Schwertlilie [vil brûner danne ein vîolate, / rehte ebenbrûn dan der gloien blate. Tr, V. 11121f.]. Auf dem Kopf trägt Tristan ein schapelekîn [Tr, V. 11132], das mit Edelsteinen (Topasen, Karneolen, Chrysolithen und Rubinen218) verziert ist und das sein Haupt mit einem hellen Schein umgibt.219 Die Schlüsselwörter, mit denen Tristan immer wieder in Verbindung gebracht wird, sind vremede und spaehe – fremd und wunderlich. Seine Erscheinung wie auch seine golddurchwirkten Gewänder sind am Hofe so nicht bekannt. Sie sind überaus prachtvoll, niht in der hovemâze [Tr, V. 11107] – was man auch als implizite Kritik an der Hofkleidung lesen kann – und mit dem golde ertrenket [Tr, V. 11111]. „Dieser Aufzug ist edel, wertvoll, kulturell raffiniert, aber auch befremdend. So erregen auch Tristans Körperschönheit und sein bewundertes Betragen […] Faszination und Verwunderung, ja Erschrecken.“220 Die Kleiderbeschreibung Tristans, so Kraß, markiere insbesondere seine Annäherung an Isolde: Die erhebliche Relevanz der verflochtenen vestimentären Beschreibungen Tristans und Isoldes wurden bislang völlig übersehen. Gottfried erzeugt sowohl auf der Ebene des Beschriebenen (Kleider) als auch der Beschreibung (Stilfiguren) den Effekt einer ästhetischen Harmonie, die schon vor dem entscheidenden Ereignis des Liebestranks auf die Unio der künftigen Liebenden vorausdeutet.221
Die Beschreibung Tristans und Isoldes ist als Wechselspiel angelegt, geprägt von Parallelismen und Wiederholungen, ausgerichtet auf Einheit und Reziprozität. Tristans Erscheinung ist, sehr ähnlich der Isoldes, eng mit bestimmten Farben beziehungsweise dem Goldschimmer verknüpft: Beide tragen Gewänder aus einem Seidenstoff in brûn, beide Gewänder sind goldbestickt und haben einen Perlenschmuck, beide Figuren tragen einen Kranz mit Edelsteinen auf dem Haar. Weiterhin sind sie umgeben von einer Aura goldenen Lichtes und werden mit Feuermetaphern belegt. Über die poetischen Verflechtungen wie Parallelismen, Chiasmen, Rahmungen und Ringschlüsse und die materielle Nach Engelen (1978: Edelsteine, S.37) können diese vier Edelsteine auf die vier Kardinaltugenden ausgelegt werden. 219 ez was lieht unde clâr, / ez haete im houbet unde hâr / clârlîchen umbevangen. [Tr, V. 11137–39] (Der helle, leuchtende Schein hatte sein Haupt und sein Haar strahlend umhüllt.) 220 Huber (2007): Merkmale des Schönen, S. 135. 221 Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 187. 218
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Entsprechung (Form, Farbe, Material) der Schönheitsbeschreibungen werden die beiden Figuren aufeinander bezogen und harmonieren miteinander.222 Es zeigt sich also auch im Bereich der farbigen Inszenierung der beiden Figuren die von Kraß beschriebene ästhetische Harmonie. Während Isolde allerdings aus sich heraus strahlt, und vor allem ihr Haar dem Goldglanz in nichts nachsteht, ist es bei Tristan mehr der Prunk seiner fremdartigen Kleidung, der ihn umgibt. Gottfried, so Huber, markiert Tristans erschreckende Schönheit vornehmlich in einem orientalischen und antikisierenden Aufzug.223 Der bleibende Eindruck der beiden Figuren, Tristans wie Isoldes, ist jedoch ähnlich – sie sind vremede unde lobelîch [Tr, V. 11104], fremd und herrlich zugleich, und damit zutiefst verstörend. Auch vor Tristan weichen die Anwesenden ehrfurchtsvoll zurück, als er den Palas betritt. Doch erneut zu Isolde. Ihre überwältigende, die Sinne verwirrende Schönheit findet ihren Höhepunkt in einer zweiten Szene des Romans, in der Marke sie und Tristan in der Minnegrotte erspäht und erneut Isoldes Anblick erliegt. Ein Jäger berichtet Marke, in einer verborgenen Grotte in der Wildnis ein man und ein gotinne [Tr, V. 17470] gesehen zu haben. Der Mann, so gibt er an, sei alse ein ander man [Tr, V. 17473] (wie ein gewöhnlicher Mann) – Tristan erscheint dem Jäger offensichtlich eher gewöhnlich, zumindest im Vergleich zu Isolde – die Frau allerdings sei von einer anderen Welt. Er sei sich nicht sicher, ob sie tatsächlich ein Mensch sein könne, ist sie doch schoener danne ein feine [Tr, V. 17477] (schöner als eine Fee). Isolde ist in den Augen des Mannes von solcher Schönheit, dass sie unmöglich menschlicher Natur sein kann – es bleibt ihm nur der gedankliche Ausweg ins Übernatürliche zur Erklärung. Durch ein Fenster erblickt wenig später auch Marke in der (unterirdischen) Minnegrotte Isolde und Tristan auf einem Bett liegend, zwischen ihnen ein blank gezogenes Schwert. Was folgt ist eine Beschreibung der Zweifel, die Marke beim Anblick seiner Frau mit seinem Neffen überkommen, ein wahres Wechselbad der Emotionen, schwankend zwischen Schmerz, Betrübnis, Verleugnung, Argwohn und Zweifel an der ehebrecherischen Natur der Beziehung. Auslöser seines Sinneswandels ist der Anblick Isoldes, der es vollbringt, Markes Gedanken zu verwirren und ihn zu täuschen. Die Liebe Markes für Isolde, hier als Minne diu süenaerinne [Tr, V. 17536], als Versöhnerin beschrieben, hat Isoldes Erscheinung geverwet, übertüncht. Diese Rolle der Minne dominiert den ersten Teil der Anblicksbeschreibung: si truoc ûf daz wîze geverwet under ougen daz guldîne lougen, ir allerbeste varwe: nein.
Vgl. dazu im Detail Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 190. Diese ästhetische Harmonie sei, so Kraß, jedoch eine Vorgreiflichkeit auf kommende Ereignisse, die weder den Hofangehörigen noch den Protagonisten bewusst ist, was zu einer gesteigerten Widersprüchlichkeit der Szene führe. (vgl. S.192) 223 Vgl. Huber (2007): Merkmale des Schönen, S. 136. Auch Isoldes Schönheit, so Huber, habe fremde Wurzeln, da ihrem Vater Gurmun genealogische Ursprünge in Afrika zugewiesen werden. [Tr, V. 5882f.] 222
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ein lebende bilde: Schönheit und ihre farbigen Variationen daz wort daz lûhte unde schein dem künege in sîn herze. [Tr, V. 17540–17545] (Sie hatte das Weiß ihres Gesichts überfärbt mit der goldenen Täuschung, ihrer besten Farbe: „Nein“. Das Wort strahlte und glänzte dem König ins Herz.)
Isoldes Gesicht ist gefärbt mit dem guldînen lougen, einem goldenen Schein der Täuschung, die die allerbeste varwe der „Schönfärberin“ Minne224 in sich trägt: Ihr Strahlen vermittelt Marke allein durch den Anblick von Isoldes Gesicht den Eindruck, es könne kein schuldhaftes Verhalten zwischen diesen beiden geben. Die Macht der Minne mit ihrem goldenen Schimmer ist offenbar nicht nur eine täuschende, sondern auch eine blendende. der minnen übergulde, diu guldîne unschulde, diu zôch im ougen unde sin mit ir gespenstikeite hin, [Tr, V. 17551–54] (Die Übergoldung der Liebe, die goldene Unschuld, zog ihm Augen und Verstand durch ihre Verführung fort[.])
Die Farbe (und das Material) Gold ist Isolde als Figur von ihrem ersten Auftauchen im Roman an zugeschrieben. In dieser Szene wird ihr Strahlen und Glänzen allerdings nun der (personifizierten) Minne als Effekt zugewiesen, welche Isolde, von der das Publikum natürlich weiß, dass sie des Ehebruchs schuldig ist, dennoch in das Licht der Unschuld rückt. Die goldglänzende Isolde ist zur Verblenderin geworden, die durch der minnen übergulde passiv einen visuellen Einfluss auf Marke ausübt, der hier mit gespenstigkeite beschrieben wird. Krohn übersetzt dies in seiner Tristan-Übersetzung mit „Verführung“, seine Wurzel hat das Wort aber in gespenst, zu verstehen als Lockung, Verlockung, teuflisches Trugbild oder Gespenst.225 Der blendende Anblick der Frau ist hier nicht ausschließlich positiv konnotiert. Wir erkennen in ihm auch eine zauberische Eigenschaft, die dem Betrachter etwas vorgaukelt, das sich so nicht verhält. Der goldene Lichtglanz Isoldes gewinnt deutlich auch eine negativ bewertete Wirkung. Für Marke erscheint Isolde jedoch als unschuldig. Es folgt eine nähere Beschreibung Isoldes aus dem Blickwinkel Besonders Mark Chinca [Chinca, Mark (2009): Metaphorische Interartifizialität. Zu Gottfried von Straßburg. In: Ursula Peters, Susanne Bürkle, Manuel Braun, Mark Chinca, Margreth Egidi et al. (Hg.): Interartifizialität. Die Diskussion der Künste in der mittelalterlichen Literatur. Berlin: Schmidt Erich (Sonderhefte der Zeitschrift für deutsche Philologie, 128/2009), S. 17–36.] widmet sich der artes-Metapher des Schminkens und Färbens an dieser Stelle. Im Bildbereich der kosmetischen Kunst trete die Minne als Schminkende und als Geschminkte auf [Tr, V. 11908; V. 17536]. Die Minne ist die verwærinne, die mit ihrer Gewalt über die Liebenden auch ihre Gesichter färbt und diese abwechselnd rot und weiß macht. In der Minnegrotte ist sie die süenærinne, deren Gesicht sorgfältig geschminkt ist und eine versöhnliche Wirkung erzeugt. (vgl. S. 23) Hier, so Chinca, zeige sich ein Beispiel von metaphorischer Interartifizialität bei Gottfried. 225 Vgl. Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Eintrag gespanst, -spenst, Bd. 1, Sp. 921. 224
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der Marke-Figur: Ihr Körper ist von einem Morgenspaziergang erhitzet [Tr, V. 17563] und ihre Gesichtsfarbe wie auch ihre ganze Gestalt leuchten rot wie eine Rose, ihr Mund gar wie glühende Kohlen.226 Diese erhitzte Farbe will nicht so recht zu dem Bild der schlafenden Unschuld passen. Es findet ein Umschwung von der sonst Isolde zugeordneten Gold- hin zu einer Feuermetaphorik statt, die die gesamte Szene dominiert. Aus dem Glänzen wird ein Entflammen, das auf den morgendlichen Spaziergang zurückgeführt wird [und was dâ von enbrunnen; Tr, V. 17575]. Zu beachten ist hier die Verwendung des Wortes schîn. Schîn, so Brinker-von der Heyde, bezeichnet ein öffentliches Sichtbarwerden der im Inneren des Menschen angelegten Fähigkeiten, ethischen Werte und Gefühle. Gleichzeitig aber ist es auch ein problematischer Begriff, sobald eine Inkongruenz von Innen und Außen besteht, wenn die äußere Erscheinung nicht mehr fraglos die inneren Werte christlicher Ethik widerspiegelt: „Problematisch ist der Schein bzw. das Erscheinen eines Objektes dadurch, dass der Betrachter nicht eindeutig entscheiden kann, ob es sich um eine wahre Offenbarung des Seins, eine Inszenierung des Scheins oder gar um beides handelt.“227 Genau dies scheint bei Isolde in dieser Szene der Fall zu sein. Der Schein, die flammende Farbe, verbirgt den inneren Makel ihrer Untreue, der adelige Körper ist nicht mehr ohne zu Hinterfragen als Abbild des Guten und der moralischen Integrität zu lesen. Die entflammte Farbe wird durch einen weiteren Effekt sogar noch gesteigert: Die Sonne dringt ins Innere der Minnegrotte und erleuchtet Isoldes Gesicht, glänzt auf Wange, Mund und Kinn. Während die Kombination von Isoldes Haar und dem Goldreif einen Wettstreit der Leuchtkraft auslöste, so ist die Sonne als Sinnbild für die Isolde-Figur hier ein Element, welches sich nicht mit ihr misst, sondern vereint. Die beiden Lichtquellen spielen in eins. zwô schoene haeten an der stunt ein spil gemachet under in zwein. dâ schein lieht unde lieht in ein. Diu sunne und diu sunne die haeten eine wunne und eine hôhzît dar geleit Îsôte z’einer saelekeit. [Tr, V. 17580–86] (Zwei Schönheiten spielten da miteinander. Zwei Lichter strahlten dort gemeinsam. Die eine und die andere Sonne hatten ein Vergnügen und ein Fest dort vorbereitet zu Isoldes Preis.)
Der Anblick trägt einen Aspekt des Transzendentalen in sich. Die naturhafte bzw. allegorisch transzendente Sonne der Grotte und die schöne Frau mit ihrer erotischen Ausstrahlung lassen ihren Glanz spielerisch in eins zusammenfallen. Der reflexive
und lûhte ir varwe unde ir schîn / als suoze und alse lôse / als ein gemischet rôse / hin ûf allez wider den man. / ir munt der viurete unde bran / rehte als ein glüejender kol. [Tr, V. 17564ff.] ([…] [I]hre Gesichtsfarbe und ganze Gestalt strahlte so lieblich und anmutig wie eine mehrfarbige Rose geradewegs zu dem Manne hinauf. Ihr Mund leuchtete und brannte wie glühende Kohle.) 227 Brinker-von der Heyde (2008): Lieht, S. 101. 226
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ein lebende bilde: Schönheit und ihre farbigen Variationen Charakter des irdisch Schönen, der Doppelaspekt von Vielheit und Einheit wird in der ästhetischen Theorie synthetisch verbunden.228
Der Blendungseffekt ist groß genug, um auch Markes letzte Zweifel an ihrer Integrität fortzuwischen: Er erliegt Isolde vollkommen [Tr, V. 17590]. Aus seinem andächtigen Betrachten wird ein durch erotische Anziehung geleiteter Blick, der sich mit einem intensiven Wunsch nach der erneuten Zusammenkunft mit seiner Ehefrau paart, was wieder mit einer dominanten Metaphorik aus dem Bereich von Feuer und Entflammen/Entzünden beschrieben wird: Minne diu warf ir vlammen an, Minne envlammete den man mit der schoene ir lîbes. diu schoene des wîbes diu spuon im sîne sinne z’ir lîbe und z’ir minne. [Tr, V. 17593–98] (Die Liebe entfachte ihr Feuer, sie entflammte den Mann mit der Schönheit ihres Körpers. Die Schönheit der Frau verlockte seine Sinne zu ihrem Körper und zu liebender Leidenschaft für sie.)
Isolde hat sich gewandelt. Die Unschuld ihrer Erscheinung ist nun Fassade, ein Trugspiel der Minne. Entbrannt in ihrer Leidenschaft für Tristan steht sie in Flammen, ist lustsam. War sie vorher ein engelsgleiches Wesen, dessen Glanz die Männer in Staunen versetzte, so ist sie jetzt Markes lustvollen Blicken schutzlos ausgeliefert. Die sakrale Aura des Goldglanzes, Lüge und dämonische Bezauberung, österliche Freude und Herzenswonne als Garanten von Authentizität sind hier zusammengespannt, um einen irrigen subjektiven Eindruck von ,rechter‘ Schönheit zu beschreiben.229
Zuletzt bemerkt der König einen Sonnenstrahl, der auf Isoldes Gesicht fällt, und befürchtet, er könne ihr schade unde schedelîch [Tr, V. 17612] sein. So verstopft er die Fensteröffnung mit Gras und Laub. Diese Handlung, so mein Verständnis der Szene, ist höchst symbolträchtig: Marke schließt die Sonne, ursprünglicher Inbegriff der Isolde-Figur, aus. Sie erscheint ihm nicht mehr erwünscht, ihre Anwesenheit stört den Schlaf der Liebenden.230 Die Sonne als Sinnbild der Figur ist ersetzt durch die Flamme der Minne. Marke ist geblendet vor Liebe, die sich jedoch vor allem in körperlichem Verlangen äußert. Dies ist eine Art von Blindheit, die der Dichter stark negativ bewertet231: diz was diu alwaere, diu herzelôse blintheit, Huber (2007): Merkmale des Schönen, S. 138. Huber (2007): Merkmale des Schönen, S. 138. 230 Zur „Verdunklung des höfischen Lichtes“ bei Gottfried, vor allem in der Minnegrottenszene, und zur Auflösung des dualistischen Gegensatzes von Licht und Dunkelheit im Tristan vgl. Röcke (1990): Im Schatten des höfischen Lichtes. 231 Vgl. dazu auch Gottfrieds Ausführungen zur Blindheit der Liebe [Tr, V. 17738–17816]. 228 229
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von der ein sprichwort dâ seit: ,diu blintheit der minne diu blendet ûze und inne.‘ si blendet ougen unde sin. [Tr, V. 17738–43] (Hier war jene törichte, empfindungslose Blindheit, von der ein Sprichwort sagt: „Die Blindheit der Liebe macht außen und innen blind.“ Sie verblendet Augen und Verstand.)
So zieht der Dichter ein nahezu vernichtendes Urteil bezüglich der blendenden Schönheit Isoldes: ez ist doch wâr ein wortelîn: / »schoene daz ist hoene.« [Tr, V. 17802f.] ([S]o ist das Wort doch wahr : „Schönheit ist Gefahr“.)232 Abschließend lässt sich zur Farb- und Lichtsymbolik der Schönheitsbeschreibungen Isoldes Folgendes festhalten: Die grundlegend positiv konnotierte goldglänzende Sonnenschönheit wird von Anfang an in Kombination mit Hinweisen auf ihre potentiell destruierende Macht präsentiert. Dies zeigt sich bereits in dem aggressiven, aus dem Jagdbereich entliehenen Vokabular, das die Blicke der Männer auf Isoldes Gestalt beschreibt, aber auch in dem sinnesverwirrenden Effekt, den ihre Schönheit auf die Betrachter hat. Die Farben und der Schmuck ihrer Kleidung unterstützen vor allem den von Kraß beschriebenen literarischen Effekt der ästhetischen Harmonie zwischen Isolde und Tristan, der an dieser Stelle bereits auf das später einsetzende, die höfische Gesellschaftsordnung unterwandernde Liebesverhältnis der beiden hindeutet. Im weiteren Fortschreiten der Handlung, insbesondere in der Minnegrottenszene mit Marke, ersetzen, bezogen auf Isoldes Äußeres, Feuer- und Flammenmetaphern die üblichen Sonnenvergleiche. Der Glanz der Figur wird zu einem Blendwerkzeug, das die Minne als personifizierte Färberin und Blenderin einsetzt, um Marke zu täuschen. Die Sonnenschönheit Isoldes wird, zumindest bezogen auf Marke, als gefährlich, als täuschend entlarvt. Dieser Effekt wird insbesondere über die Perspektive der Farben, der Blendungs- und Feuermetaphorik erzeugt.
2.4.3 Florie – Wirnts von Grafenberg Wigalois Bei der Figur der Florie, der Geliebten Gaweins und Mutter Wigalois’, lässt sich eine andere Art der Inszenierung von Frauenschönheit erkennen, als dies bei Enite und Isolde der Fall war. Besaßen die beiden Vorgängerinnen eine auf Wechselwirkung mit einer Betrachterinstanz hin ausgerichtete und in diesem Sinne durchaus ambivalent zu bewertende Schönheit, stellt sich die Florie-Figur vor allem als Objekt der Betrachtung und als durch das Dichterwort geformte „Substanz“ dar. Deutlich verweist der Erzähler auf die Kunstfertigkeit des Dichters, der sie so vor den Augen des Zuhörers oder Lesers entstehen lässt. Die Idee ist aus dem Minnesang übernommen: Die Frau erfährt eine 232
Wehrli ([1984]: Literatur im deutschen Mittelalter) spricht im Zusammenhang mit Isoldes betörendtäuschender Lichtwirkung an dieser Stelle sogar von einer ihr innewohnenden Dämonie: In der Szene in der Liebesgrotte könne man „in dem fast betäubenden, betörenden Aufwand an Sinnenreizen eine verhaltene Dämonie herausspüren.“ (S. 162)
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Vergegenständlichung zum Kunstwerk, zum Anschauungsobjekt. Dies zeigt sich auch in der Ausgestaltung der Beschreibungssequenz, die vor allem durch ihre überbordende Farbigkeit die Figur Flories als einen ausstaffierten Gegenstand und als Frucht literarischer Kunstfertigkeit erkennen lässt, was auch mehrfach durch Erzählerkommentare untermauert wird. Die Schönheit der Figur wird somit auf einer fiktiven Ebene lokalisiert, die deutlich von der nicht-literarischen abgegrenzt wird. Gawein trifft Florie von Syrie auf der Burg ihres Onkels Joram. Auf dieser Burg, die in einem „wilden Land“ liegt und nur mit Zauberunterstützung zu erreichen ist, dreht sich das Schicksalsrad des Glücks. Dies transportiert die Burg und ihre Bewohner in eine übernatürliche Sphäre. Die Figur der Florie trägt hier gewisse Züge einer Mahrte: Gawein trifft sie in einem magisch konnotierten Kontext an, ihre Schönheit betört ihn. Ihr Zusammenleben hat nur auf der Schicksalsburg Bestand. Sobald Gawein trotz Flories ausdrücklicher Bitte, es nicht zu tun, die Burg verlässt, verliert er seine Frau und kann sie niemals wiedersehen. Die Dame wird dem Leser vorgestellt als die schönste Frau ihrer Zeit [Wg, V. 723ff.]. Sofort verfällt Gawein ihr, si enzunde im herze unde muot. [Wg, V. 729] (Sie entflammte ihm Herz und Sinne.) Im Gegensatz zu Amurfina233 scheut der Dichter hier keine Mühen, um sein Publikum von der auch charakterlichen Vollkommenheit seiner Figur zu überzeugen: Sie ist nicht nur jung und schön, sondern auch besonnen und tugendhaft, von hoher Abkunft, voller Weisheit und Anstand.234 Im Anschluss an die Beteuerung ihrer charakterlichen Vorzüge folgt zuerst die Kleidungsbeschreibung. Die lange, überaus farbig ausgestaltete Gewandbeschreibungssequenz inklusive Schmuck, Mantel und schapel nimmt ganze 125 Verse ein, bevor sie in den Preis der körperlichen Schönheit übergeht. Was hervorsticht sind die besonders intensiven, kontrastreichen Farben der Kleidung. Die Dame trägt ein Oberkleid im Mi-parti aus zweierlei kostbarem Brokatstoff zusammengeschnitten: eine Hälfte ist grüene alsam ein gras [Wg, V. 750] (grasgrün), die andere ist von rôter varwe [Wg, V. 751] (rot gefärbt) und mit golde wol gezieret. [Wg, V. 752] ([…] mit Goldfäden durchwirkt.) Gefüttert ist das Kleid kontrastierend mit weißem Hermelin, herme vil wîze [Wg, V. 755]. Wie Mertens betont, dient die Verwendung des Mi-Parti in der höfischen Kleidung vor allem der Intensivierung der Buntheit. Für den Adel ist es Zeichen des Vornehmen und der Pracht – gleichzeitig aber auch Zeichen der betonten Weltlichkeit.235 Die Farben kommen dabei durch das flächige Gegeneinandersetzen in leuchtendem Kontrast besonders zur Geltung. Rot und Grün sind im Mi-Parti und auch sonst in der höfischen Gewandung überaus häufig vorkommende Farben. Sie gelten als
Vgl. Kapitel 2.4.4. wan dâ was schœne unde jugent, / gewizzen unde ganziu tugent, / geburt unde sinne; / si möhte wol keiserinne / von ihr tugent sîn gewesen. [Wg, V. 731–735] ([…] denn dort gab es Schönheit und Jugend, Besonnenheit und vollendete Tugend, hohe Abkunft und Weisheit; ihrer Tugend nach könnte sie wohl eine Kaiserin gewesen sein.) 235 Vgl. Mertens (1983): Mi-parti, S. 107. 233 234
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besonders edel.236 Es ist anzunehmen, dass die Verwendung von Rot und Grün in diesem Beispiel den papageienhaft bunten Gesamteindruck der Figur unterstreichen soll, um Florie als Musterbeispiel höfischer Prachtentfaltung zu stilisieren. Ihr Hemd ist wîz sîdîn / mit guldîner næte. [Wg, V. 767f.] (aus weißer Seide, mit goldenem Faden geschnürt). Unter dem geteilten Obergewand scheint es – des nam den rîter wunder – glänzend und hell blendend wie ein Spiegel.237 Es erscheint Gawein harte vremde [Wg, V. 765] (sehr seltsam) – möglicherweise ein Hinweis auf Flories übernatürliche Herkunft. Ihr Gürtel ist golden und mit vielfarbigen Edelsteinen, weißen Perlen und goldenen Tierfiguren verziert. Die Schnalle besteht aus einem Smaragd, rehte grüene alsam ein gras [Wg, V. 775]. Besondere Aufmerksamkeit schenkt der Erzähler jedoch einem Rubin, der vorne in den Gürtel eingearbeitet ist, und der die Fähigkeit besitzt, durch sînen wünniclîchen schîn [Wg, V. 793] (wegen seines herrlichen Glanzes) Verdruss hinwegzunehmen, wenn Florie seine Farbe eingehend betrachtet: sô benam des steines güete mit süezem schîne ir ungemach, sô si sîn varwe rehte ersach; an tugende was er niht swach. [Wg, V. 797–800] ([…] so nahm die Kraft des Steines mit süßem Glanz ihren Verdruß hinweg, wenn sie seine Farbe recht erblickte; seine Macht war groß.)
Insbesondere der Farbe des Steines wird an dieser Stelle eine nahezu magische Fähigkeit zugeschrieben, diese korreliert mit der mittelalterlich-christlichen Auffassung vom Rubin als einem Edelstein, der es vermag, mit seinem Leuchten sowohl tatsächliche Dunkelheit zu erhellen, aber auch im übertragenen Sinne Leid, Sünde und Schwermut zu vertreiben.238 Der Erzähler versichert, er habe noch nie eine Dame gesehen, die besseren Schmuck getragen hätte, außer denen, die ebenfalls das Dichterwort geschaffen habe.239 Hier wird erstmals darauf hingewiesen, dass Florie so, wie sie dem Publikum hier vor Augen geführt wird, ein Geschöpf des Dichters ist, ebenso wie die anderen Figuren höfischer Literatur. Der Hinweis auf die Inszeniertheit der Darstellung stellt Florie bereits zu diesem Zeitpunkt in Zusammenhang mit der Eigenschaft geworht [Wg, V. 788] – gewirkt, gearbeitet, geschaffen. Vgl. Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 63: „Als edelste Farben galten offenbar Rot, schon in der Antike Ausweis höchster weltlicher Würde, und Grün.“ 237 gerigen meisterlîche / ein hemde was dar under; / des nam den rîter wunder / daz ez sô rehte lûter was: / als ein liehtez spiegelglas [Wg, V. 759–63] (Ein kunstvoll geschnürtes Hemd trug sie darunter; das verwunderte den Ritter, daß es derart hell blendete; wie ein glänzendes Spiegelglas[.]) 238 Vgl. zur Auslegungstradition des Rubins in der Literatur des Mittelalters Engelen (1978): Edelsteine, S. 324–331 (Karfunkel und Rubin). 239 ichn gesach ir nie deheine – / geworht âne zungen – / diu sô wol bedrungen / mit gezierde wære / als an diesem mære. [Wg, V. 787–90] (Niemals habe ich irgendeine [Jungfrau] gesehen – mit Ausnahme der nur mit [Dichter-]Wort erschaffenen – die derart schön mit Zierart geschmückt war wie in dieser Geschichte.) 236
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Um ihren fremdartigen Charakter noch zu verstärken, schreibt Wirnt Florie einen eigenartigen, mit Seidenstoff überzogenen Pelzmantel auf den Leib. Er ist mit Gold beschlagen und mit Hermelin gefüttert, geschmückt ist er mit Monden und Sternen aus einer bläulich schimmernden Fischhaut (der hâr daz was weitîn, [Wg, V. 810], deren Haare bläulich waren) aus Irland. Die Tasseln sind rot und gelb und mit Edelsteinen, Hyazinthen und Amethysten, versehen. Ein schwarzer Zobelschal, vermischt mit grauem Pelzwerk, rundet den Mantel ab. Das schapel, das die Dame auf dem Kopf trägt, besteht aus blauen, gelben, roten, weißen und brûnen Seidenbändern und ist mit Goldfäden verziert.240 Besondere Beachtung schenkt der Dichter noch einem Schmuckstück am Halsausschnitt in Form einer Amorfigur, geschnitzt aus einem Karfunkel, einem roten Edelstein.241 Auch dieser Edelstein hat magische Eigenschaften: Er leuchtet Florie in der Dunkelheit wie eine Lampe voran. Rote Edelsteine wie der Karfunkel, aber auch der Rubin oder der Sarder, so Meier, werden in der Allegorese über die Feuerähnlichkeit ihrer Farbe häufig in den Zusammenhang mit Wärme, Glühen und Lichtemanation gebracht.242 Besonders dem Karfunkel wird dabei eine endogene Leuchtkraft zugeschrieben.243 Das Leuchten und Funkeln der Edelsteine fasziniert die mittelalterlichen Dichter immer wieder, daher wird einer Beschreibung der Steine oft auch eine Schilderung ihrer Lichtwirkung zur Seite gestellt.244 Diese Leuchtkraft kann unter Umständen von größerem Interesse sein als die eigentliche Farbe, auch aus ihr lassen sich Rückschlüsse auf spirituelle Deutungen ziehen. Die gesamte Kleiderbeschreibung Flories ist überbordend farbig und mit leuchtenden Effekten versehen. Sie folgt keinem erkennbaren Farbschema, ist aber offensichtlich auf eine größtmögliche Prachtentfaltung ausgelegt. Nun folgt die Schönheitsbeschreibung des Figurenkörpers, der der Dichter noch mal fast 100 Verse an Raum bietet. Der Blickverlauf von oben nach unten jedoch wird immer wieder unterbrochen und durch eingeschobene Eindrücke erweitert. Er schweift zuerst Diu maget truoc ein schapel, / daz was weitîn und gel, / rôt, brûn unde wîz; / dar an lac vil grôzer vlîz / von golde und von sîden. [Wg, V. 851–55] (Ein Schapel trug die Jungfrau, blau und gelb, rot, braun und weiß; mit Goldfäden und Seide hatte man große Sorgfalt aufgewendet.) 241 Vgl. Wg, V. 830–850. Die Form des Steins, so Engelen [vgl. Engelen (1978): Edelsteine, S. 122f.], verweise in Kombination mit seinem roten Leuchten auf Flories Liebesbereitschaft. Daher werde er auch nicht zufällig kurz vor der Stelle, an der Gaweins Herz durch das Leuchten der Liebe Flories erhellt wird, erwähnt. Die Bedeutung des Schmuckstücks und seiner Farbe unterstützen sich hier gegenseitig. 242 Vgl. Meier (1977): Gemma Spiritalis, S. 148. 243 Vgl. Meier (1977): Gemma Spiritalis, S. 246ff. Diese Zuschreibung von endogener Leuchtkraft vor allem beim Karfunkel erfolgt, so Meier, erstmals bei Augustinus und Isidor von Sevilla. In der Bibelallegorese wird der leuchtende Stein auf im geistigen Sinne Leuchtendes und Erleuchtung gedeutet, meist im Zusammenhang mit dem durchstrahlten Sündendunkel. Dieses Dunkel ist durch spirituelles Licht aufhebbar. Maria gilt oft als „Karfunkel der Nacht“ (S. 250). Das Karfunkellicht kann auch als Erleuchtung durch die Lehre und Predigt der Evangelisten oder Apostel gedeutet werden, oder als Zeichen von charitas. 244 Häufig wird vom schîn oder dem schînen der Edelsteine gesprochen, ihr Glanz ist plank, kostebære, wünneclich oder lieht. Sie tragen glanz, glast oder glitze. Vgl. Engelen (1978): Edelsteine, S. 77f. 240
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über den Haarschmuck, dann über das Haar selbst, es ist kleine, / goltvar unde reit [Wg, V. 868f.] (fein, goldfarben und gelockt). Außerdem beschreibt der Dichter Flories weißen Scheitel, und etwas später die goldenen Ringellocken, die reide löcke goltvar [Wg, V. 878], die ihre Schläfen umspielen. Der übliche Hinweis auf das goldene Haar ist hier deutlich ausgebaut. Die Haut Flories ist glatt und rein, von rôsen varwe wîze / getempert mit vlîze [Wg, V. 873f.] (rosenfarbig und weiß mit Sorgfalt gemischt) – die bekannte ausgewogene Mischung aus Weiß und Rosenrot. Die Augen sind lûter unde klâr [Wg, V. 878] (hell und rein), die Brauen braun und schmal. Hier verweist Wirnt auch auf den Freude bringenden Anblick der Augen Flories.245 Wird sonst die weiße Haut nur allgemein für den Gesichtsbereich erwähnt, gleitet der Dichterblick zusätzlich zu den Ohren, ebenfalls von liehtvarwe wîze [Wg, V. 887] (weiß wie Licht) und von Gott mit Sorgfalt erschaffen, ebenso wie die Nase. Die Wangen sind rôsenvar [Wg, V. 895] und harmonieren mit dem Teint, der sich als harmonisch gemischt darstellt: diu hiufelîn [wârn ir] rôsenvar, daz antlütze lûter gar von rœte und von wîze, als sie got mit vlîze gemischet hêt begarwe. [Wg, V. 895–99] (Die Wangen [waren] rosig, das Antlitz hell, abwechselnd rot und weiß, als ob Gott die Farben mit Sorgfalt untereinander gemischt hätte.)
Es folgt ein Einwurf des Dichters, dass auch Flories Leib, vom Gesicht abwärts betrachtet, mit alsô liehter varwe [Wg, V. 900] ([…] [mit] ebenso blanker Farbe) geschmückt sei. Der Mund ist minniclîche [Wg, V. 907] (lieblich) und mit rôsenvarwer rœte [Wg, V. 921] (mit rosenfarbener Röte) gefärbt, die Zähne wîz, eben und kleine [Wg, V. 917] (weiß, glatt und fein) – ein Anblick der Verführung und Verheißung. Dieser Mund in seiner Vollkommenheit ist so lieblich, dass er jeden Mann seinen Kummer vergessen lässt, wenn er ihn nur küssen darf. Mehr noch, diesen Effekt hätte er sogar auf denjenigen, dem Florie alle Verwandten getötet und ihn selbst fast zu Tode gebracht hätte [Wg, V. 908–916]. Dies fungiert als Hinweis auf die beinahe hypnotisierende Wirkung des Anblicks der Dame. Die Kehle ist ebenfalls harmwîz [Wg, V. 929] (hermelinweiß), zumindest vermutet dies der Erzähler, denn der Hals ist mit Zobelfell verdeckt, so dass er sich seinem Blick entzieht. Der Ausbau der Beschreibungssequenz geht so weit, dass sogar „unsichtbare“ Details erwähnt werden. So ist es auch mit ihrem übrigen Körper, den der Erzähler mutmaßend – wenn ihn seine Sinne nicht täuschen – unter dem Hemd als wohlgestaltet und makellos zu erkennen glaubt.246 Ernst weist darauf hin, dass besonders die Farbwerte und die Farbskala ez wære wîp oder man, / swen si güetlîche an / mit lachenden ougen sach, / swaz dem leides ie geschach, / das was zehant vergezzen. [Wg, V. 879–83] (Wen immer sie freundlich mit lachenden Augen anblickte, ob Frau oder Mann, was immer dem an Leid widerfahren war, das hatte er sogleich vergessen.) 246 Michn triegen danne die sinne mîn / si möhte wol under ir hemde sîn / ein sô schœne crêatiure, / vil reine und sô gehiure, / von eim sô süezen lîbe / daz ich wæn je von wîbe / reiner lîp würde geborn. 245
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der Haut bei der Figur eine große Aussagekraft zugeschrieben bekommen. Der Dichter erwähnt überraschend viele Hautdetails. Nicht nur die Haut des Gesichts, sondern des gesamten Körpers entspricht den Ansprüchen von Glanz, Weichheit und Ebenheit. Charakteristische Farbdetails wie die „koloristische Spannung zwischen dem rosenfarbenen Mund und den weißen Zähnen (V. 917–921) sowie der hermelinweiße Hals“247 werden gesondert hervorgehoben. Auch dies, so Ernst weiter, unterstütze die Markierung Flories als Kunstwerk: „Durch das pikturale Muster auf der Kleidung und durch die Vorstellung eines göttlichen ,Visagisten‘ betont der Dichter, der alle Register rhetorischer Schönheitsbeschreibungen zieht, den Charakter der Frau als Ikone, als Kunstwerk.“248 Die Schönheitsbeschreibung schließt mit einem Hinweis auf Flories vorzüglichen Charakter, lûter als ein spiegelglas [Wg, V. 949] (klar wie ein Spiegelglas). Daraus ergibt sich das einzige erwartbare Resultat: Gawein verliebt sich augenblicklich in die schöne Frau. Rückblickend betrachtet springt Wirnt in seiner ausführlichen Kleider- und Schönheitsbeschreibung zwischen einzelnen Elementen hin und her, verlässt eines und kommt später wieder darauf zurück. Dies könnte entweder als ein ungeordnetes Vorgehen gewertet werden, das damit die Gestalt der Florie in eine Ansammlung aus einzelnen Teilelementen „zerschneidet“249 – man kann es aber auch als eine Neuordnung innerhalb des vorgegebenen Schemas interpretieren, indem Wirnt zwischenzeitlich vorgreift, um einen Zusammenhang darzustellen. So erwähnt er im Zuge der Beschreibung der wohl gemischten Farbe des Gesichtes auch gleich den weißen Körper, auf den er später noch einmal zurückkommt, oder beschreibt erst Flories Haar, um später erneut im Kontext ihrer Schläfen und Stirn die goldenen Locken zu erwähnen, die diese umspielen. Der Autor bricht damit das klassische Schema der Beschreibung „von oben nach unten“.250 Es erscheint hier, so meine Ansicht, als lasse der Dichter den Blick über eine vollständige Momentaufnahme der Dame gleiten, wobei sich diese passiv und bewegungslos präsen-
[Wg, V. 934–40] (Wenn mich meine Sinne nicht täuschen, so dürfte sie unter ihrem Hemd wohl ein solch herrliches Geschöpf gewesen sein, ganz ohne Fehler und so lieblich, von einer so angenehmen Gestalt, daß niemals [so glaube ich] von einer Frau eine makellosere Person geboren wurde.) 247 Ernst (2007): Haut-Diskurse, S. 190. 248 Ernst (2007): Haut-Diskurse, S. 190. 249 So liest dies beispielsweise Elke Brüggen, die die Beschreibung Flories als Beispiel eines Qualitätsunterschiedes zwischen Kleiderbeschreibungen bei Hartmann, Gottfried oder Wolfram und den späteren Nachfolgern wie Wirnt von Grafenberg heranzieht. Fände man bei den hochhöfischen Autoren präzise und anschauliche, sinnvolle Schilderungen, so seien bei den später anzusiedelnden Dichtern die Beschreibungssequenzen oft ohne Bindung in den Erzählverlauf eingeschoben, ungenau oder handelten nacheinander eine Fülle an Details ab. Dazu Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 41: „Bei vielen Kleiderbeschreibungen hat man den Eindruck, daß sie bei der erstbesten Gelegenheit, etwa bei der erstmaligen Nennung der Figur, in die Dichtung eingefügt werden; ihnen fehlt häufig eine Bindung an das übrigen Geschehen. Mit einem deutlichen Hang zur Vollständigkeit werden möglichst viele Teile der Bekleidung unter der Beteuerung ihrer Einzigartigkeit abgehandelt.“ 250 Ernst (2007): Haut-Diskurse, S. 190, versteht diesen Bruch als eine positiv zu bewertende Auflockerung der schematischen Beschreibungen.
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tiert. Florie erscheint als statische Figur, über die der Blick des Betrachters ungehindert hin und her schweifen kann. Interessant sind an der Beschreibung Flories nicht zuletzt die Erzählereinwürfe, die sie zu einem Kunstobjekt stilisieren. Sie machen deutlich, dass Florie als Bild zum Zwecke der Betrachtung und des sich daran Erfreuens erschaffen worden ist. An drei Stellen finden wir fiktionale Selbstanzeigen des Dichters, die die Kleider Flories und auch ihre Gestalt als fiktional markieren, indem der Erzähler mit (ironischen) Kommentaren zu seiner eigenen Schöpferfunktion darauf aufmerksam macht.251 Der erste dieser Kommentare findet sich bei der Beschreibung ihres Schmuckes: Florie wird von keiner Frau an Pracht übertroffen, mit Ausnahme derer, die ebenfalls mit zungen [Wg, V. 788], das heißt mit Dichterworten, geschaffen wurden. Anschließend verweist die Erwähnung des mære [Wg, V. 791], in dem der gesamte Schönheitspreis anzusiedeln ist, erneut auf die Fiktionalität der Welt, der die Dame angehört. Nach dem Abschluss der Kleiderbeschreibung wirft der Erzähler erneut Hinweise auf die Natur der Figur als literarisches Kunstobjekt ein: Neid auf Flories kostbare Kleidung sei fehl am Platz, denn all dieser Prunk sei nur mit worten [Wg, V. 862] gefertigt252: Neid wäre eine Torheit, weil der Preis imaginärer Schönheit in der realen Welt niemanden herabzusetzen vermag: Letztlich wird Florie mit nichts anderem eingekleidet als mit den Worten des Dichters.253
Zuletzt merkt der Erzähler nach der Schilderung von Mund und Zähnen zur Rechtfertigung der „Detailverliebtheit“ an: daz ich mich nu nœte der gedanke alsô verre, ich wæne ez mir niht werre, wan von gedanken kumt der muot der dem lîbe sanfte tuot. – [Wg, V. 922–26] (Ich glaube, daraus erwächst mir kein Schaden, daß ich mich in der Phantasie so sehr abmühe, denn mit [solchen] Gedanken kommt man in jene Stimmung, die uns ein Wohlgefühl verschafft.)
Seine Beschreibung dient dem Publikumsvergnügen, einem, aus moderner Sicht, ästhetischen Selbstzweck – und damit einem problematischen Anspruch, denn schöne Gegenstände und somit auch schöne Figuren, so haben die einleitenden Ausführungen zum Ästhetikverständnis des Mittelalters gezeigt, sollen neben dem ästhetischen Vergnügen Zur Thematik der „geschriebenen Kleider“ und dem Dichter als Schneider vgl. Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 356–374; speziell zur Florie-Figur S. 373f. 252 Wg, V. 856–62: swer daz nu wolde nîden / daz si sô schône was gekleit, / daz wær ein michel tôrheit, / wand ez ist âne ir aller schaden / swaz ich ûf si mac geladen / von sîden und von borten / und von gezierde, mit worten. (Wer ihr das nun mißgönnen wollte, daß sie so schön gekleidet war, beginge eine große Torheit, denn es schadet niemandem, was immer ich an Seide und Bändern und Schmuck ihr aufbürde – mit Worten.) 253 Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 374. 251
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auch immer andere Funktionen erfüllen, vor allem aber in ihrer Idealität moralische Werte repräsentieren. Das gezierde [Wg, V. 862], das der Figur angelegt wird, ist sowohl als vestimentärer Schmuck zu verstehen, den Florie trägt, als auch, so Kraß, als rhetorischer Schmuck, mit dem der Dichter die Schönheit der Kleider sprachlich entfaltet. Diese Bekenntnisse, dass die Schönheit Flories aus Worten gewirkt ist, unterscheiden zwischen der sichtbaren Welt des Dichters und der imaginären Welt der Literatur. Florie selbst bleibt während des Lobes ihrer Schönheit passiv, nicht eine Bewegung wird ihr „auf den Leib geschrieben“. Während Isolde und Enite interagieren und sich in der Wechselwirkung mit den Betrachtern befinden, sei es durch Blicke, die umherschweifen, sei es durch elegante Bewegungen, Verneigungen oder ein Lächeln oder sei es durch die Emotionen angesichts der plötzlichen Aufmerksamkeit, die sich im Gesicht durch fesselnde Farbwechsel widerspiegeln, ist Florie ein erstarrtes Abbild, an dem der Künstler, der Dichter, sein Werk nach eigenem Gutdünken verrichtet. Sie ist prächtig, bunt, außergewöhnlich schön – und leblos inszeniert. Auf sprachlicher Ebene dient ihre Beschreibung vor allem der Erzeugung von gutem muot beim Publikum, während die Schönheitsbeschreibung im Handlungszusammenhang der Erweckung der Minne Gaweins zu ihr dient, die entstehen muss, um Wigalois’ Geburt herbeizuführen. Die Zweckgebundenheit der Figur zeigt sich auch an Flories Anteil an dem Verlauf der Romanhandlung: Sie heiratet Gawein und erwartet von ihm ein Kind, das sie aber erst zur Welt bringt, als Gawein sie bereits wieder verlassen hat, um zum Artushof zurückzukehren.254 Das halbe Jahr, das die beiden gemeinsam verbringen, wird in wenigen Versen abgehandelt. Später wird sie nochmals in ihrer Rolle als Wigalois’ Mutter und Erzieherin erwähnt, die nach ihrem Mann dann auch den Sohn an seine Abenteuerlust verliert und in Trauer allein zurückbleibt. Florie erhebt in den anfänglichen Szenen vor der Geburt Wigalois’ nur an einer einzigen Stelle selbst das Wort, sonst wird nur über sie und nicht mit ihr gesprochen. Zum Ende des Romans erfährt das Publikum schließlich noch von ihrem Schicksal während der Heldentaten ihres Sohnes und Mannes: Sie ist aufgrund der Sehnsucht nach den beiden vor Trauer gestorben, wie ein Bote berichtet. Auf einem Ring, den sie Wigalois zukommen lässt, findet sich als Inschrift eine letzte Nachricht an Kind und Ehemann: ,owê, geselle und ouch mîn kint! von iu mîn varwe ist worden blint, mîn rôtez golt gar überzint.‘ [Wg, V. 11365–67] („Oh weh, Gelieber und o weh mein Kind! Euretwegen ist meine Farbe verblaßt, mein rotes Gold mit Zinn überzogen.“)
Bei dem Entschluss, Florie zu ehelichen, hält Gawein einen Figurenmonolog, in welchem er die Schönheit der Dame preist und auf die erheiternde, liehte Wirkung hinweist, die sie auf sein herze hat [Wg, V. 964–987]. Die Hochzeit der beiden – bei der Florie bezeichnenderweise die gesamte Zeit über untröstlich weint – wird nur kurz erwähnt.
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Die Trauer um Sohn und Mann, nach denen sie sich in Sehnsucht verzehrt hat, hat letztendlich auch Flories bunte Schönheit ausgelöscht und ihr Leuchten getilgt. Ihr Tod wird mit dem Bild eines Verlöschens ihrer farbigen Schönheit visualisiert. Das Bild Flories, das der Dichter vor den Augen des Betrachters entstehen lässt, ist ein farbenprächtiges: grüene und rôt, wîz und guldîn, weitîn und gêl, swarz, grâ und brûn leuchtet es an ihrer Kleidung, der Schmuck aus Gold, Perlen und (magischen) Edelsteinen funkelt und glänzt. Ihre Haut ist lûter und von rôsen varwe wîze oder harmwîz, das Haar goltvar, die Brauen brûn, die Wangen rôsenvar und auch der Mund von rôsenvarwer rœte. Die Vielfarbigkeit ihrer Bekleidung und ihres Körpers sticht vor allem im Vergleich mit den Figuren Enite und Isolde hervor, die sich durch wenige, aber sorgfältig ausgewählte und mit Blick auf den Kontext der Beschreibung und die innere Verfasstheit der Figur sinnvoll eingesetzte Farben auszeichnen. Die überbordende Lichtwirkung und die Himmelskörpervergleiche, die die beiden Vorgängerinnen auszeichnen, sind zurückgenommen. Was an Flories glänzt und funkelt sind vor allem Gold und Edelsteine, artifizieller Schmuck. Die endogene Lichthaftigkeit zum Beispiel einer Sonnenschönheit Isoldes fehlt bei Florie auf weiten Strecken. Was wir in dieser ausführlichen, beinahe übersteigert ausgebauten Schönheitsbeschreibung vorgeführt bekommen, ist eine Kunstfigur, an der Wirnt sein dichterisches Geschick erprobt. Die Figur selbst aber verblasst mangels Einzigartigkeit unter dem ihr übergestülpten bunten Prachtgewand und wird zum statischen Anschauungsobjekt, dem keine aktiv handlungstragende Rolle zukommt.
2.4.4 Amurfina – Heinrichs von dem Türlîn Diu Crône Das letzte Beispiel dieser Reihe ist die Königin Amurfina aus der Crône Heinrichs von dem Türlîn. In dieser Schönheitsbeschreibung, so meine These, ist die gewünschte Wirkung, auf die hin die Beschreibung angelegt ist, die Verführung eines Mannes durch die Zurschaustellung körperlicher, weiblicher Schönheit. Hier wird versucht, die Harmonie von Schönheit und guter Gesinnung vor allem durch magische Hilfsmittel herzustellen, allerdings bleibt eine Kluft zwischen Innen und Außen, Schönheit und Taten der Figur bestehen, die auch der überaus bunte, glänzende Gesamteindruck von Figur und Kleidung nicht zu überstrahlen vermag. Ebenso wie Florie wird auch Amurfina eine feenhafte, zauberische Natur attribuiert, die bei ihr aber noch deutlicher hervortritt. Ihr Königreich Forei Vert255 ist ein Anderreich mit eigenen Regeln und voller magischer Phänomene, zugleich aber ist diese Ander255
Forey Vert [Kr. V. 7907], darauf verweisen Knapp und Niesner [Heinrich von dem Türlin (2000): Die Krone. (Verse 1–12281). Nach der Handschrift 2779 der Österreichischen Nationalbibliothek nach Vorarbeiten von Alfred Ebenbauer, Klaus Zatloukal und Horst P. Pütz. Hrsg. v. Fritz Peter Knapp und Manuela Niesner. Tübingen: Max Niemeyer (Altdeutsche Textbibliothek, 112), hier S. 250. Im Folgenden markiert mit dem Kürzel Kr], geht zurück auf afrz. forest, forez (Wald), und afrz. vert (grün). Der Wald gilt im Mittelalter als Schauplatz des Abenteuers, als Gegenpol zur Hofsphäre, als Begegnungsort mit dem Fremden, Gefährlichen und auch Magischen. Amurfinas Rolle als Königin
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welt auch überaus höfisch ausgestaltet und von ausdrücklich vielfarbiger Schönheit. Eine kurze Zusammenfassung der betrachteten Szene und ihres Kontexts spiegelt dies deutlich wieder: Eine Gesandte der Königin Amurfina trägt Gawein eine Bitte vor: Amurfinas Vater ist gestorben, er hat seinen beiden Töchtern neben dem Hof und der Landesherrschaft einen magischen Zaum hinterlassen, dessen Besitz sie davor schützen soll, die Herrschaft zu verlieren. Amurfina hat beides – Zaum und Thron – unrechtmäßig an sich gerissen. Sgoydamur256, die jüngere Schwester, ist daraufhin an den Artushof geflohen, um einen Ritter zu suchen, der ihr zum Recht verhilft. Amurfina ihrerseits will Gawein als Streiter gewinnen. Nach der Reise durch eine gefährliche, magisch konnotierte Landschaft gelangt der Artusritter zum Schloss. Dort wird er noch eine Weile hingehalten, bis seine Ungeduld fast ins Unermessliche steigt, dann endlich wird er in ein prachtvolles, glänzend erleuchtetes Gemach geführt, in dem Amurfina auf einem Bett ruht. Sie erhebt sich und begrüßt den Ritter mit Küssen. Gawein kann der verführerischen Schönheit nicht widerstehen, und es kommt zu einer erotischen Annäherung. Der Ritter wird daraufhin jedoch durch ein magisches Schwert angegriffen und gefesselt. Es lässt ihn erst wieder los, als er schwört, Amurfina zu heiraten. Anschließend raubt ihm die Dame durch einen Zaubertrank das Wissen um seine Identität, welches er erst viel später durch Zufall zurückgewinnt, um dann fluchtartig den Feenhof und Amurfina zu verlassen. Voraussetzung der Handlung ist folglich, dass Gawein Amurfina in einem Erbstreit gegen ihre Schwester vertreten soll. Er weiß außerdem, dass die Königin im Unrecht ist, hat sie doch Sgoydamur um ihren Erbteil betrogen.257 Die Szene ist natürlich eine Replik auf den Erbstreit der beiden Schwestern vom Schwarzen Dorn im Iwein Hartmanns.258 Auch dort vertritt Gawein die ältere, betrügerische Schwester, während Iwein für die jüngere, die von der anderen um ihr Erbe gebracht worden ist, kämpft. Um sich trotz der moralischen Zweifelhaftigkeit ihrer Absichten und Taten Gaweins Hilfe zu sichern, setzt Amurfina auf ihre Schönheit und ihren feenhaften Liebreiz als Mittel der Überzeugung. vom Grünen Wald kann somit als weiterer Hinweis auf ihre zauberische, vielleicht auch gefährliche Natur gelesen werden. 256 Sgoydamurs Name wird im Kommentar der Krone-Teilausgabe von Knapp und Niesner (2000) auf das altfranzösische joi d’amour zurückgeführt. (vgl. S. 250) Auch Amurfinas Name scheint auf amour zurückzugehen. Beide Schwestern sind somit bereits im Namen als „Wesen der Liebe“ ausgezeichnet. 257 Amurfinas Verhalten wir auch im Text als starch hochvart [Kr, V. 7932], als üble Anmaßung, bewertet. 258 Iw, V. 5625–7721. Auch hier lässt sich Gawein von der betrügerischen Schwester verpflichten, allerdings unter der Voraussetzung, dass sie es geheim halten soll [Iw, V. 5676f.]. Er tritt in Kampf gegen Iwein inkognito an, mit vremden wâfen also var / daz in dâ niemen ân die maget / erkande: der het erz gesaget. [Iw, V. 6892–94] ([…] mit fremden Waffen und Farben, so daß ihn niemand erkannte außer dem Fräulein, der er es erzählt hatte.) So kann es zu dem Kampf zwischen den beiden Freunden kommen, ohne dass einer den anderen erkennt. Im Anschluss an den unentschiedenen Kampf äußert Gawein auch deutlich, dass die ältere Schwester im Unrecht ist, und er als ihr Vertreter eigentlich im Kampf hätte sterben müssen, da er für einen derartigen Betrug eintritt [Iw, V. 7622–635]. Solch eine Erkenntnis findet sich in der Crône jedoch nirgends.
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Das Schönheitsportrait der Amurfina umfasst fast 140 Verse [Kr, V. 8163–8301] und ist in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Gawein trifft die Dame zum ersten Mal auf einem prächtigen, magischen Bett ruhend an. Bereits dieser Umstand kann als Hinweis auf den Zweck gelesen werden, den das gesamte Portrait verfolgt: die Verführung Gaweins. Noch deutlicher wird ihre Absicht durch den inniglichen Kuss, mit dem sie den Ritter begrüßt: Vnd gab im einen sölhen gruoz, / Da von ein hertz lang muoz / Erzündet vnd geseret wesen. [Kr, V. 8143–45]259 ([U]nd [sie] gab ihm einen Gruß, der ein Herz für lange entzünden und verletzen konnte.)260 Amurfinas Kuss ist so süß und verlockend, dass Gawein glaubt, in ihm gefunden zu haben, was selbst einen Kranken wieder gesunden lassen müsste [Kr, V. 8152f.]. Nach der Begrüßung folgt die Beschreibung zuerst des Gesichts und des Körpers, dann der Kleidung Amurfinas. Heinrich von dem Türlîn zeichnet hier ein detailliertes Bild ihres Gesichts, ihrer schönen Haut und ihres Körpers. Besonderes Gewicht wird dabei auf die Farben der einzelnen Körperteile gelegt. Der Dichter beginnt den Schönheitspreis mit einigen formelhaften Versen, in denen er die gängige Behauptung aufstellt, Amurfina sei die schönste Frau, die die Natur je hervorgebracht habe.261 Hier legt er schon einen besonderen Fokus auf das, was er als ir varwe liehter schein [Kr, V. 8165] bezeichnet, ein von ihr ausgehendes Leuchten ihrer varwe, ihrer Schönheit, das [d]en liehten ir schein benam [Kr, V. 8166], also alle anderen Lichter in den Schatten stellt. Dies ist deshalb bemerkenswert, da Heinrich zuvor große Sorgfalt darauf verwandt hat, die Helligkeit und den Schimmer des mit Gold geschmückten und von Kristallleuchtern erleuchteten Gemachs hervorzuheben, nur um ihn jetzt mit einer einzigen Zeile hinter den Glanz Amurfinas zurücktreten zu lassen. Vom Gesicht der Dame erwähnt der Erzähler zuerst die zarte Vermischung von Rot und Weiß auf ihrer Haut: Sich het an ir gesellet Ein stæt rot in lauter weiz Jn chleinem velle, daz ein fleiz Über marwez vleisch het gedent. [Kr, V. 8177–8180.] (Kräftiges Rot hatte sich an ihr mit edlem Weiß untermischt, auf einer zarten Haut, die mit großer Sorgfalt über lindes Fleisch gezogen war.)
Amurfinas Schönheitsbeschreibung wird hier zitiert nach der jüngeren Crône-Ausgabe von Knapp und Niesner (2000), die sich in diesen Versen deutlich von der Ausgabe von Scholl (1966) unterscheidet. 260 Die nhd. Übersetzung der mhd. Passagen aus der Crône wird hier und im Folgenden zitiert nach: Heinrich von dem Türlin (2012): Die Krone. Unter Mitarbeit von Alfred Ebenbauer ins Neuhochdeutsche übersetzt von Florian Kragl. Berlin/Boston: De Guyter. 261 Die natura wird mehrfach als Schöpferin Amurfinas benannt (Kr, V. 8167 und 8176), während die Schönheit Enites und Flories auf Gott als Schöpferkraft zurückgeführt wird. Haupt (2002): Der schöne Körper, weist darauf hin, dass der Topos der Natur als Bildnerin der Schönheit mit dem Gottes als Bildner variiert. Hartmann und noch strikter Wolfram vermeiden die schöpferische natura zugunsten der Schöpferkraft Gottes, während Heinrich oft auf sie zurückgreift. (vgl. S. 52) 259
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Die Farben kombinieren sich in ihrem Gesicht in perfekter Mischung, eine ausgewogene Menge an Rot tüncht die weiße Haut. Die Augen der Dame bekommen einen grauen Schein zugeschrieben (Jr ougen warn so verwent / Von einem lieht, daz was gra. [Kr, V. 8181f.] [Ihre Augen leuchteten grau.]) und verzücken jeden, der sie betrachtet. Amurfinas graue Augen sind nahezu einzigartig unter den Schönheitsbeschreibungen im höfischen Roman, explizite Farbbezeichnungen sind in diesem Kontext eine Seltenheit.262 Geziert werden die Augen von hohen braunen Brauen, einem nur in den nachklassischen Artusromanen auffindbaren Detail. Dem Mund Amurfinas schenkt Heinrich besonders viel Aufmerksamkeit: Er ist Jn rosen varwe gevar [Kr, V. 8190], schön geschwungen und von perfekter Größe, um ihre Küsse genießen zu können. Dieser Beschreibung, so Pastré, liege eine große Verführungskraft inne, da diese Lippen „zum Küssen auffordern, was Heinrich für Amurfina auch erwähnt, deren Küsse ein Genuß für jene, die ihren Mund berühren, bieten.“263 Die Zähne sind klein, ebenmäßig und lilienfarben; der Farbvergleich mit der Lilie wird sonst nur für das Gesicht bzw. die Haut der Dame verwendet, sonst sind Zähne meist elfenbeinfarben oder schneeweiß. Der Fokus auf den Mund unterstreicht wiederum den verführerischen Ton der Schönheitsbeschreibung.264 Das Haar Amurfinas ist dem üblichen Muster folgend blond und lang. Der Dichter kombiniert hier verschiedene Beschreibungstermini: Er schildert die Haare als Reid, val vnd gel [Kr, V. 8196], also lockig, hell und gelb-blond. Den letzten Teil des Gesichtes beziehungsweise den Übergang zum Körper Amurfinas markieren Kehle und Kinn, beide weiß und schön gerundet. Kinn und Kehle sind Elemente, die vor allem in der früheren Artusliteratur kaum in den Beschreibungssequenzen auftauchen. Dort nennt einzig Gottfried die Kehle in seinem zweiten Portrait der Isolde in der Minnegrotte, wo sie den begehrlichen Blick Markes erregt. Die weiße Kehle erscheint als ein erotisch markiertes Körpermerkmal. Den restlichen (Ober-)Körper bis hinab zu den Händen streift der Blick von oben nach unten: Hals, Schultern und Arme sind weiß, perfekt geformt und offenbar teilweise entblößt, die Hände sind weiß wie Hermelin und zart. Als letztes Detail nennt Heinrich überraschenderweise noch Amurfinas Fingernägel, Begriffen einr varwe, / Spiegel lauter begarbe. [Kr, V. 8211f.] (Ihre Nägel waren alle von derselben Farbe, wie ein glasklarer Spiegel.) Des Weiteren erwähnt der Erzähler noch, dass die Dame unter ihrem Mantel auch von den Brüsten abwärts ohne Tadel gewesen sei [Kr, V. 8213–15]. Bezogen auf die detailreiche Vollständigkeit der Schönheitsbeschreibung fügt der Erzähler ein, dass damit nun dem Verlangen seines Publikums Genüge getan sein muss: Jch will, daz ivch
So auch Ostheeren (1971): Toposforschung, S. 15. Pastré, Jean-Marc (1991): Das Portrait der Amurfina in der Crône Heinrichs von dem Türlîn. In: Von Otfrid vom Weißenburg bis zum 15. Jahrhundert. Proceedings from the 24th International Congress on Medieval Studies, May 4–7, 1989. Ed. by Albrecht Classen. Göppingen. S. 89–102, hier S. 95. 264 Pastré weist darauf hin, dass Wolfram im Parzival eine vergleichbare Beschreibung des Mundes für seine Jeschute-Figur verwendet, die eine herausfordernde Schönheit besitzt und eine „erotische Versuchung“ darstellt, der Parzival erliegt. 262 263
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genüege, / Daz ich von ir gesagt han. [Kr, V. 8216f.] (Es muss euch reichen, was ich von ihr erzählt habe.) Ebenso ausführlich und farbenprächtig ist die anschließende Kleider- und vor allem Schmuckbeschreibung von weiteren 66 Versen. Der Dame auf den Leib geschrieben ist ein auffällig buntes Pfauenkleid aus einem schillernden Stoff mit der varwe als eins phavn gleiz [Kr, V. 8221] (dessen [des Gewands, C.O.] Farbe wie die eines Pfauen schimmerte), leuchtender noch als Gold und Seide.265 Gefüttert ist das Obergewand mit weißem Hermelin, besetzt mit Zobelsaum. Die Tasseln und Schnüre bestehen aus rotem Gold. Weiterhin trägt Amurfina einen goldenen Halsschmuck in Form eines Adlers, der mit einem Rubin versehen ist, welcher ein lieht stivret [Kr, V. 8240], ein endogenes Leuchten ausstrahlt, und weiteren Edelsteinen.266 Ein schappel aus Gold und Juwelen krönt ihr Haar. Besonders diesen Edelsteinen schenkt der Erzähler große Aufmerksamkeit und schreibt jedem von ihnen magische beziehungsweise medizinische Fähigkeiten zu, die Amurfina beschützen sollen267: Vorne ein Smaragd (grün), der die Königin vor Zorn bewahrt und ihr sælicheit [Kr, V. 8252] schenkt, rechterhand ein leuchtender paleis (blasser Rubin, rot)268, der sie vor dem Hass anderer Menschen schützt. Links ist ein Topaz (goldgelb oder blau269) eingearbeitet, der Amurfina vor Zaubern bewahrt, hinten ein Saphir (blau), der sie vor Gift schützt und ihr außerdem gute Gesinnung und Keuschheit (vil süezen muot, Kr, V. 8264) beschert.270 Doch damit nicht genug, außerdem trägt die Königin zwei Das Material, aus dem Amurfinas Kleid gefertigt ist, wird als pavilione [Kr, V. 8220] benannt. Damit, so Knapp und Niesner (2000): Die Krone, S. 259, muss eine Stoffart gemeint sein, auch wenn das Wort in diesem Zusammenhang sonst nicht gebraucht wird. Mit Bezug zum mhd. pawelûn (Pfau) handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen wie ein Pfau schillernden Stoff. 266 Daz werch ein lieht stivret / Von einem rvbin, der da schein. / Swie bei im lak manig stein, / Jr chraft von im ein swein. [Kr, V. 8240–43] (Die Einlegearbeit trieb das Licht eines Rubins hervor, der dort glänzte. Obgleich neben ihm viele weitere Edelsteine lagen, machte er alleine ihre Kraft zunichte.) 267 Daz het illuminieret / Ein samaragd hie vorn, / Der behuot si vor zorn / Vnd chvnd ir sælicheit geben. / Jm lac zeswenhalb enneben / Ein paleis, der was lieht, / Der liez ir gewerren nieht / Deheines übeln leibes neit. / Winsterhalben dirre seit / Ein edel topazi lak, / Der ir vor allem zouber phlak, / Des mag er übel vinden. / An ir houpt lag hinden / Ein saphir vil heiter, / Der behuot si vor eiter / Und gab ir vil süezen muot, / Da vür ist sein kraft guot. [Kr, V. 8249–265] (Vorne illuminierte es ein Smaragd, der die Trägerin vor Zorn schützte und ihr Glücklichkeit spendete. Neben ihm lag rechter Hand ein heller Paleis, der dafür Sorge trug, dass ihr keines Menschen Hass irgend schaden konnte. Auf der linken Seite lag ein edler Topas, der sie vor jeder Zauberei bewahrte; die ist ihm unerträglich. Hinten an ihrem Haupt lag ein ganz klarer Saphir, der sie vor Gift schützte und sie vergnügt machte. Dazu ist seine Kraft gut.) Zu den magischen und medizinischen Fähigkeiten bestimmter Edelsteine vgl. Engelen (1978): Edelsteine, S. 93–98. 268 So Knapp und Niesner (2000): Die Krone, S. 260. Die Bedeutung von paleis lässt sich nicht vollständig erschließen. 269 Nach Engelen (1978): Edelsteine, S. 378–380, wird der Topas in den Steinkundebüchern des Mittelalters sowohl als goldgelb als auch als blau beschrieben, je nach den Auslegungsabsichten des Autors. 270 Der Saphir ist besonders häufig der Schmuckstein der Gottesmutter, in diesem Kontext verweist seine blaue Farbe auf den Status Marias als Himmelskönigin. Die Vorstellung, dass der Saphir Keuschheit
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Armreifen, deren Schnallen aus durchsichtigem, grünem Jaspis (Div ring was ein iaspis / Durchsichtig vnd grüen. Kr, V. 8271f.) bestehen, welcher Frauenleiden lindern soll. Der Gürtel wiederum hat Spangen aus rotem Hyazinth, umfasst wird er von einem weiteren Edelstein (ceraunvis, V. 8280), der die Dame vor Unwettern bewahren soll. Diese Kleiderbeschreibung ist auffällig anders gewichtet als alle zuvor betrachteten. Den Kleidern der Dame wird, außer dem auffälligen Pfauenkleid, keine Aufmerksamkeit zuteil, dafür legt der Dichter größten Wert auf den Schmuck und besonders die eingearbeiteten Steine, die allerlei Fähigkeiten zugesprochen bekommen. Was von dieser Beschreibung bleibt, ist alleine der flirrende, schimmernde Farbenwirbel des Pfauenkleides und das Strahlen und bunte Funkeln der Edelsteine (rot, grün, blau und goldgelb), aber keine konkrete Vorstellung von Form, Schnitt und Material des Gewandes. Nach der Kleiderbeschreibung kehrt Heinrich noch einmal zu Amurfinas Schönheit zurück. In einem imaginären Schönheits-Wettstreit mit Pallas Athene, Juno und sogar Venus obsiegt die höfische Dame; sie ist so liebreizend, dass ein gerechter Richter ihr den goldenen Apfel als Schönheitspreis zugestehen müsste. Damit gewinnt ihre Schönheit noch einen weiteren Aspekt – den des Überirdischen. Im Überblick sehen wir also Amurfina als junge Frau vor uns, mit einem fein gezeichneten Gesicht, weißer Haut mit einem zarten Rotschimmer, leuchtend blondem Haar, strahlend grauen Augen, einen verführerisch rosenfarbenen Mund, leicht geöffnet, um den Blick auf die lilienweißen Zähne zu eröffnen, mit weißer Haut am ganzen Körper und schönen, weißen Händen. Die Kombination von Rot, Weiß, den dunklen Brauen, den hellgrauen Augen und dem blonden Haar ist hell, leuchtend. Dominiert aber wird der Eindruck von dem Rot des Mundes, das in diesem Beispiel eindeutig als verlockende Minnefarbe zu erkennen ist. Der restliche Körper unter ihrem farbenfrohen Pfauenkleid wird nur angedeutet. Das bunte Gewand und der glänzende Schmuck überbieten sich gegenseitig an blendender Buntheit. Die Beschreibung einer höfischen Dame beschränkt sich in ihrer Ausführlichkeit zumeist auf das Gesicht, und auch diese fällt selten so detailreich aus wie bei Heinrich. Indem er aber zusätzlich den Oberkörper beschreibt und den Rest der Körpers in einer Andeutung schemenhaft erahnen lässt, zeichnet der Dichter mit den Elementen, die dem „Ausdruck der Verführung dienen, ein Bild der Amurfina, das ihrer Rolle im Epos entspricht.“271 Dem angestrebten Verführungseffekt ist diese ausführliche Beschreibung dienlich. Gleichzeitig ist aber auffällig, dass Heinrich in seinem langen Portrait nur einmal Amurfinas Charakter erwähnt, wenn er sagt, die Königin sei im Herzen selbstverständlich auch vollkommen [Kr, V. 8171ff.]. Pastré betont, dass sowohl Amurfina als auch Gawein magische Hilfsmittel benötigen, um ihre Tugenden an den Tag zu legen: das Schwert [Kr, V. 8500–8540] als magische huote der Keuschheit Amurfinas, einen Trank, der Gaweins Erinnerung auslöscht, um seine Bindung an die Königin sicherzustellen, und den Saphir in Amurfinas Reif, der ihr Keuschheit zusichert. Diese und Tugend bewahrt, findet sich auch in anderen mittelalterlichen Quellen. Für Belege vgl. Engelen (1978): Edelsteine, S. 238; 357–365. 271 Pastré (1989): Portrait der Amurfina, S. 98f.
Fazit
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Kunstmittel der Verführung und der Kontrolle, die benötigt werden, um die Verbindung der beiden Figuren herzustellen und zu untermauern, lassen Absichten und Gesinnung durchscheinen, die auf beiden Seiten zweifelhaft sind. Selbstverständlich ist Amurfina äußerlich überaus schön, aber ihre auf Verführung ausgelegte Erscheinung und ihr falsches Verhalten ihrer Schwester gegenüber entlarven sie als nicht so tadellos, wie es auf den ersten Blick hin seinen Anschein hat. Hier ist ein Bruch in der Kongruenz des AußenInnen-Verhältnisses, auf das die höfischen Figurenbeschreibungen grundlegend angelegt sind, inszeniert. Der Dichter versucht diesen Bruch durch die magischen Hilfsmittel aufzufangen, die Figurenbeschreibung aber bleibt ein zweideutig zu lesendes Portrait, dessen äußerliche, farbenfrohe Schönheit sich nicht so recht mit den Amurfina zugeschriebenen Handlungen zu decken vermag. Mehr noch als in allen anderen Beispielen wird so bei Amurfina der höfische Vollkommenheitsanspruch stark problematisiert.
2.5 Fazit Die langen Schönheitsbeschreibungen der mittelalterlichen höfischen Artus- und Tristanepik zielen auf ein harmonisches Gesamtbild der beschriebenen Figuren, eine Kongruenz von Innen und Außen (Kalokagathia-Ideal), das sich in der ebenfalls topischen Farbgebung zeigen soll. Dieses Idealbild ist geprägt durch Topoi und Muster, die dem Dichter aus langer literarischer Tradition vorliegen. Diese Tradition speist sich aus theologischen und philosophischen Theorien zur Ästhetik und Schönheit, die von der Antike bis ins Mittelalter tradiert wurden. Ihre deutlichen Spuren finden sich auch in der höfischen Epik wieder. Im Artus- und Tristanroman manifestiert sich diese Ästhetiktradition vor allem in der Einheit von Schönem, Wahrem und Gutem, die repräsentiert wird durch die adelige Frauenfigur, und durch eine intensiv durch Lichtwirkung geprägte Beschreibungstradition, die ihren Ursprung in der Lichtmetaphysik und -theologie hat. Zuweilen finden sich in den an diesem Ideal orientierten Schönheitsbeschreibungen aber auch deutliche Abweichungen von der üblichen Gestaltung in Bezug auf Farbigkeit und Lichtwirkung, die sich, wie die vier Beispiele gezeigt haben, insbesondere in Form von Übersteigerung oder besonders detailliert beschriebenen Farb- und Glanzeffekten äußern. Bei den vier beschriebenen Damen wird der Vollkommenheitsaspekt, den das höfische Ideal verlangt, in Frage gestellt. Keine der Frauenfiguren wird absolut vorbehaltlos als vollkommen inszeniert. Diese Problematik, so hat sich gezeigt, wird besonders über Farb- und Lichteindrücke codiert. Die Schönheitsbeschreibungen der Dichter des klassischen höfischen Romans repräsentieren ein Ideal der Personendarstellung, das weniger Einzelheiten beschreibt, dafür aber mehr auf Expressivität angelegt ist. Die Wirkung auf andere Figuren dominiert das Portrait. Nach den Regeln der mittelalterlichen Ästhetik definiert sich Schönheit über ihre Wirkung, sie weckt die Liebe, schürt aber auch das Verlangen. Enite und Isolde verkörpern diesen Typus einer Schönheitsdarstellung, die sich vor allem durch die Wirkung
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auf ein (männliches) Publikum und die Interaktion der Dame mit ihm auszeichnet. Ihre Schönheitsbeschreibung ist als interaktiv inszeniert, die Figur reagiert auf die Blicke der Umstehenden durch einen äußerlich in Form von Farbigkeit oder Lichtwirkung sichtbaren Effekt, der sich bei Enite vor allem in einem Farbwechsel des Gesichtes, bei Isolde in einem blendend hellen Lichtschein darstellt. Damit liegt der superlativischen Schönheit der Figuren ein individualisierendes Moment inne, welches sie von den anderen Frauenfiguren abhebt und sie in ihrer Besonderheit markiert. Bei Enite verläuft die Bewegung von der Ausnahme der verarmten Adeligen hin zum Idealbild der höfischen Dame, bei Isolde erfolgt ein Bruch in ihrer höfischen Idealität vor allem durch die mit negativen Begriffen versehene Betonung ihres berechnenden, blendenden Effektes (beeinflusst durch die ambivalente Bewertung des Goldes), der sich in der Minnegrottenszene zu einem wahren Trugspiel zuspitzt. Beide Figuren sind in der Bewertung ihrer Außenwirkung ambivalent besetzt: Ihre Schönheit ist sowohl tiurend wie auch wohlgefällig und trägt zur Freude des Hofes bei, aber gleichzeitig besitzt sie eine gefährliche Wirkung auf die Betrachtenden wie auch auf die eng mit den Frauen in Kontakt stehenden männlichen Figuren (Erec, Tristan, Marke). Florie wiederum verkörpert einen anderen Typus der Frauenschönheit – den der objekthaften Schönen, die vom Dichter als Kunstwerk (insofern man nach der eingangs geschilderten Problematik der Definition von Schönheit und Ästhetik überhaupt von einem „Kunstwerk“ sprechen darf) und Zeichen seiner Kunstfertigkeit geformt wird. Die hier entstehenden Licht- und Farbeindrücke sind Ausweis rhetorischer Spielfreude, welche das geworhte Werk Florie erleuchten, sie aber gleichzeitig auch leblos erscheinen lassen. Amurfina schließlich beeindruckt wiederum durch außergewöhnliche Schönheit und herausstechende Farbigkeit – bei ihr aber zeigt sich ein überdeutlicher Bruch in der von den mittelalterlichen Schönheitstheorien geforderten Einheit von Innen und Außen, der auch durch Kunstgriffe des Autors in Form magischer Utensilien nicht aufzuheben ist. Ihre verführerische Schönheit fügt sich nicht ohne Schwierigkeiten mit dem Hintergrund der Figur zusammen, und es entsteht eine Spannung zwischen Ideal und Figur. Amurfina wird hinsichtlich ihrer mangelnden Vollkommenheit zu einer nicht unproblematischen, (vielleicht zu psychologisiert formuliert) zwielichtigen Figur, deren Ambivalenz gerade durch das höfisch bunt gestaltete Äußere und das Übermaß an mit hilfreichen Zaubern versehenen Schmuck nicht aufzuheben ist.
in einer varwe gar swarz: Hässlichkeitsbeschreibungen und ihre Farben
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in einer varwe gar swarz1: Spielarten (genuiner) Hässlichkeitsbeschreibungen und ihre Farben
3.1 Hässlichkeit und ihre Rechtfertigungen im Mittelalter Die Literatur und Kunst des Mittelalters zeichnen sich durch ihre bunte Vielfalt der Figurengestaltung aus, so auch in ihrer Darstellung von Hässlichkeit. Die Hässlichkeit und Entstellung des Körpers nimmt in Text und Bild die verschiedensten Erscheinungsformen an. Betrachtet man die oft formelhaften Schönheitsbeschreibungen der höfischen Literatur, kann es sogar leicht scheinen, als sei das Hässliche in den literarischen Formen des Mittelalters ungleich komplexer dargestellt als das Schöne.2 Trotz ihrer differenzierten Akzentuierungen unterliegen jedoch auch die Darstellungen des Hässlichen einem strengen Kanon, der sich besonders aus der allgemein christlichen wie auch aus der speziell höfischen Ideologie und Idealdarstellung – und vor allem deren Gegenbild – ergibt. Vergleicht man überblicksartig die Hässlichkeitsbeschreibungen des höfischen Artusund Tristanromans mit den Schönheitsbeschreibungen, so fällt eine deutliche Diskrepanz ins Auge: Waren die Schönheitsbeschreibungen ausufernd, prachtvoll, von strahlendheller Farbigkeit und Lichtwirkung geprägt und vor allem in großer Anzahl vorhanden, so sind die Beispiele der Schilderung körperlicher Hässlichkeit eher selten und vereinzelt verstreut aufzufinden – und sie sind, bis auf einzelne Ausnahmebeispiele, von eher gedeckter Farbigkeit, angesiedelt im dunkleren Teil des Farbenspektrums. Mit Fokus auf diese spezifische Farbigkeit des Hässlichen widmet sich nun diese Analyse einer Reihe von Beispielen der Hässlichkeitsbeschreibung im Artus- und Tristanroman. Dabei werden Fälle monströser, wilder Figuren betrachtet, bei denen die äußere Hässlichkeit Ausweis ihrer Gesinnung sein kann, sowie Beispiele strahlend schöner Figuren, deren zeitlich begrenzter „Fall in die Hässlichkeit“ auf eine innere Krise oder Problematik oder einen emotionalen Ausnahmezustand deutet. In beiden Beispielreihen ist die Farbpalette der Darstellung deutlich begrenzter als in den Schönheitsdarstellungen – und doch sind vor allem die verwendeten Farben von hoher Aussagekraft, insbesondere dort, wo der tradierte Kanon der Hässlichkeitsbeschreibung erweitert wird, eine auffällige Farbigkeit zu Wg, V. 6287f. Vgl. Jauß, Hans Robert (1997): Die klassische und die christliche Rechtfertigung des Häßlichen in mittelalterlicher Literatur. In: Ders. (Hg.): Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956–1976. München 1997. S. 143–168, hier S. 148.
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Tage tritt, durch Farbe eine Grenze definiert wird beziehungsweise wo eine Grenzüberschreitung vom Höfischen ins Unhöfische, vom ,Eigenen‘ ins ,Fremde‘, vom Bekannten ins Außergewöhnliche in Form spezifischer Farbigkeit markiert wird. Gemeinsam ist allen in diesem Kapitel behandelten Beispielen der außerhöfische Bezug des Hässlichen. Die Randzonen des Höfischen, als Gegenwelt zur innerhöfischen Sphäre ausgestaltet, bieten Raum für Hässlichkeit. Dieser außerhöfische Kontext mischt sich mit anderen Elementen wie dem Niederständischen, dem Fremden, der niederen Mythologie, dem Exotischen, Bösen, Schuldbehafteten und Sündhaften. Aus der Mischung dieser Bereiche ergeben sich die Darstellungsmuster physischer Hässlichkeit. Trotz des Umstandes, dass die Verhandlung körperlicher Hässlichkeit auch immer verbunden ist mit ethischen Aspekten und einer moralischen Bewertung der hässlichen bzw. entstellten Figuren, interessiert diese Analyse vor allem das Hässliche als visuelles, auch durch Farben definiertes Phänomen, und weniger das ,moralisch Hässliche‘ oder ,Geisthässliche‘3, wie es ebenfalls in der höfischen Literatur auftritt und sich durchaus hinter einer schönen Fassade verbergen kann. Im Folgenden sollen nun zuerst die theoretischen Grundlagen zum Thema der Hässlichkeit und ihrer Stellung im Wertsystem der Philosophie und Theologie des Mittelalters umrissen und anschließend die Formen der Hässlichkeitsdarstellung in der mittelalterlichen höfischen Literatur näher beleuchtet werden. Sodann wird die Funktion des Hässlichen speziell für den Artus- und Tristanroman näher betrachtet. Anschließend werden vier Beispiele genuiner, irreversibler körperlicher Hässlichkeit insbesondere unter Berücksichtigung der Farben ihrer Darstellung näher analysiert. Die in diesem Kapitel ausgeführten theoretischen Grundlagen zur Darstellung von Hässlichkeit im höfischen Roman sollen auch als Basis für das nachfolgende Kapitel dienen, das sich mit entstellter Schönheit beschäftigt und vor allem die Thematik von Selbstverlust sowie Identitäts- und Erkennensproblematik behandelt.
3.1.1 Zum mittelalterlichen Wortfeld von „hässlich“ Bevor näher auf die Erscheinungsformen und vor allem die damit verbundenen Farben des Hässlichen eingegangen werden soll, muss geklärt werden, was der Begriff des Hässlichen im Mittelalter bezeichnet, welche Semantiken mit ihm verbunden sind und auch, welche Beziehung er zum Schönen aufweist. Hässlichkeit wird im Folgenden nicht ausschließlich als ästhetisches Phänomen betrachtet, sondern auch als ein soziales und ethisches, und ebenfalls als ein Phänomen körperlicher Versehrtheit, von Krankheit und zeitweiliger Entstellung eines sonst als höfisch-schön definierten Körpers. Für diese ver-
Näherhin dazu Rosenkranz, Karl (1996): Ästhetik des Häßlichen. Neuausgabe hg. und mit einem Nachwort versehen von Dieter Kliche. 2., überarb. Aufl. Leipzig: Reclam, im Kapitel zum „Geisthässlichen“ (S. 29–35).
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schiedenen Auffassungen und Erscheinungsformen des Hässlichen wird auch unterschiedliches Vokabular verwendet. Betrachtet man die Etymologie des Wortes „hässlich“, so stellt man fest, dass im Mittelhochdeutschen kein einheitlicher Begriff existiert, der den Gegenbegriff zu schœn bildet.4 Hezlich/hazlich trägt die Bedeutung von hassvoll, feindselig, hassenswert und verhasst; es verweist damit auf die Grundbedeutung des mhd. haz. Erst in untergeordneter Bedeutung bezeichnet es eine Person oder ein Objekt als „hässlich“.5 Die uns heute vertraute ästhetische Besetzung des Wortes „hässlich“ erfolgt erst später, im 16. und 17. Jahrhundert schwächt sich die Aussagekraft des Wortes ab, „hässlich“ bedeutet nunmehr vorrangig „widerwärtig“ oder „der Anschauung unangenehm“.6 Im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm wird bei der Bedeutung von häszlich unterschieden zwischen „Hass habend, feindselig und feindlich“ und „hassenswert und Hass erregend“; in zweiter Variante häufig abgeschwächt zur Bezeichnung von etwas, das Widerwillen erregt oder, insbesondere in Bezug auf die körperliche Gestalt, unlieblich aussieht.7 Physisch Hässliches wird demzufolge in der mittelhochdeutschen Literatur nicht mit einem einzelnen Wort als solches benannt. Deshalb wird Unansehnliches, aber auch Unangenehmes oder Schrecken erregendes durch eine Negation seines Gegenstückes (z.B. gevüege – ungevüege) oder durch das das Missfallen bei ihren Anblick begleitende Gefühl (z.B. vreislîch, egeslîch) benannt.8 Zur Umschreibung von Personen und Gegenständen, die u.a. als hässlich, aber auch als furchtbar, schrecklich, wild, gering, gemein, schlecht etc. imaginiert werden, werden, je nach Kontext, Begriffe wie undære9 (unansehnlich, unpassend),
Barbara Seitz [Seitz, Barbara (1967): Die Darstellung häßlicher Menschen in mittelhochdeutscher erzählender Literatur von der Wiener Genesis bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts. Inaugural-Dissertation Tübingen. Tübingen: Fotodruck Präzis.] schlussfolgert aus dem Fehlen eines einheitlichen Wortes für hässlich und dadurch, dass es sich nur durch eine Negation des Positiven fassen lasse, dass auch das Hässliche selbst „in der höfischen Literatur keine eigene Existenz, die aus sich selbst heraus Berechtigung besäße, hat, sondern, wie die negierende Determinierung zeigt, nur als Gegenbild oder Gegentypus zum Höfisch-Schönen in allegorischer oder symbolischer Hinsicht gesehen werden darf.“ (S. 44) Dies erscheint mir zu verallgemeinernd, da sich Hässlichkeit und ihre literarische Darstellung als äußerst komplexe Themen darstellen, die sich sicherlich nicht in der reinen Gegenbildlichkeit zum Schönen erschöpfend deuten lassen, wie die Analyse im Folgenden zeigen wird. 5 Siehe hierzu den Eintrag haz-, hez-, hazze-, hezzelich in: Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.1, Sp. 1197. 6 Michel, Paul (1976): „Formosa deformitas“. Bewältigungsformen des Hässlichen in mittelalterlicher Literatur. 1. Aufl. Bonn: Bouvier (Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik, Bd. 57), hier S. 20f. 7 Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (DWB). 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. Online erfübar unter: http://woerterbuchnetz.de/ DWB/ (Zugriff 19.11.2013), Eintrag häszlich. 8 Durch Bezeichnungen wie ungetan, ungestalt oder ungeschaffen nimmt man das Hässliche sogar begrifflich aus der Schöpfungsgeschichte aus. 9 Vgl. Eintrag undære in: Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.2, Sp. 1775. undære kann unfreundlich, unangenehm, aber auch unansehnlich, schlecht oder schmerzlich bedeuten. 4
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ungevüege (ungeschlacht, grobschlächtig, roh), vreislich10 (schrecklich, Gefahr und Verderben bringend), ungehiure11 (unheimlich, ungeheuerlich), egeslîch (abscheulich) oder bœse12 (schlecht, wertlos, nieder) verwendet. Diese implizieren zum Teil auch eine negative moralische Bewertung.13 Schon die Semantik einiger der Begriffe verweist auf die Verbindung der Worte zu der Vorstellung des ständisch Niederen, Nicht-Höfischen oder Gemeinen. Es ist zu erkennen, dass Hässlichkeit nicht durch ein einzelnes Wort bezeichnet wird, die Bezeichnungen für potentiell Hässliches überschneiden sich mit dem Vokabular des Unangenehmen, Unheimlichen, Ungeheuren oder Schrecken erregenden. Im Umkehrschluss bezeichnen diese Begriffe aber nicht immer zwingend auch körperliche Hässlichkeit. Bei der Beschreibung von Figuren mit entstellter Schönheit oder einem zeitweiligen Schönheitsverlust werden meist zurückhaltende Umschreibungen verwendet, damit keine Abscheu vor der Figur entsteht. Die Formulierungen evozieren vielmehr Trauer und Mitleid über den Verlust der Schönheit. Hier findet man Wendungen wie verdorben, verwandelôt, jâmerlîche gevar, von sînes lîbes schœne komen oder schœne erblichen.14 Mit diesen Formulierungen werden vornehmlich Phänomene temporärer physischer, visuell wahrnehmbarer Hässlichkeit bezeichnet, welche für den höfischen Roman ein nicht zu unterschätztes Konfliktpotential darstellen.
3.1.2 Philosophische und theologische Diskurse des Hässlichen in Spätantike und Mittelalter Jedwede Form von Hässlichkeit einer Figur im höfischen Roman impliziert eine Problematik. Außergewöhnliche Hässlichkeit – genau wie außergewöhnliche Schönheit – fordert eine Begründung, eine Bearbeitung, sie kann nicht unkommentiert im Raum stehen. Eine mögliche Perspektive auf diese Problematik ergibt sich im Hinblick auf ihre Verbindung zum theologischen Diskurs um die Relation von Innen und Außen. Die Figur, die körperliche Erscheinung, ist zuerst etwas Materielles, eine Sache, eine res, etwas, das Vgl. Eintrag vreislich in: Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.3, Sp. 498. vreislich bedeutet: Gefahr und Verderben bringend, Schrecken erregend, furchtbar, schrecklich, wild, grimmig, verwegen, entsetzlich, zornig oder auch zornmütig. 11 ungehiure bezeichnet in adjektivischem Gebrauch etwas, das unlieblich, unheimlich, ungeheuer oder schrecklich ist, kann aber auch als Nomen Ungeheuer, Heiden, einen Waldmann, Drachen oder ein gespenstiges Wesen benennen. (vgl. Eintrag ungehiure in: Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.2, Sp. 1837.) 12 Vgl. Eintrag bœse, bôse in: Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.1, Sp. 330. bœse kann böse, schlecht, gering, wertlos, gemein oder nicht von Adel bedeuten. 13 Vgl. Kasten, Ingrid (1991): Häßliche Frauenfiguren in der Literatur des Mittelalters. In: Lundt, Bea (Hg.): Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter. Fragen, Quellen, Antworten. München: Fink, S. 255–276, hier S. 259. 14 Vgl. Seitz (1967): Darstellung häßlicher Menschen, S. 43. 10
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sich selbst bedeutet, gleichzeitig aber auch ein signum, ein Zeichen, an das Bedeutungen geknüpft sind, die interpretiert werden müssen. Die menschliche Person ist somit eine interpretatorische Aufgabe zwischenmenschlichen Erkennens, sowohl in ihrer individuellen und kollektiv bestimmten Grundstruktur wie auch in der kommunikativen Situation.15 Es darf nicht vereinfacht von einer Gleichsetzung eines hässlichen Äußeren mit einem hässlichen Inneren, mit einer negativen Gesinnung ausgegangen werden. Dies ist (allerdings auch mit Einschränkungen) in anderen Gattungen wie den chansons des geste und auch einigen darauf basierenden volkssprachlichen Romanen der Heldenepik der Fall, die Hässlichkeit steht dort als Negation des Guten und Schönen.16 Die christliche Tradition bricht mit diesem „Kanon des Häßlichen als einer antithetischen Kategorie.“17 Auch Schönes ist verdächtig, Wertvolles kann sich hinter einer abstoßenden Schale verbergen. Die eigentliche Schönheit muss dort erst durch das Äußere hindurch erschlossen werden. Einem jeden Ding liegt, zurückgehend auf Augustinus’ Zeichentheorie, ein ihm innewohnendes Wesen zugrunde wie ein Kern in einer Schale. Das Phänomen, in diesem Falle die hässliche Figur, wird in ein Innen und ein Außen aufgespalten. Das Betrachten des Inneren kann, nach erkenntnistheoretischer Ansicht, eine besondere Leistung des Betrachtenden verlangen – eine Leistung die, insbesondere nach Ansicht des Augustinus, der sündhafte Mensch nicht immer vollbringen kann.18 So kann die Schlechtheit eines vermeintlichen Übels als bloße menschliche Fehleinschätzung entlarvt werden. Wird bei der Betrachtung dieser Dualismus berücksichtigt und die rein äußerlich hässliche Schale durchschaut, kann das Objekt, in diesem Falle die hässliche Figur, anschließend ästhetisch und semantisch umbewertet werden und trotzdem als schön erscheinen. Aus der Kombinatorik der beiden Elemente Innen und Außen ergeben sich nach Michel vier Typen von Figuren19: 1) der Typus außen wie auch innen schön und 2) der Typus außen schön, innen hässlich, welche beide in der folgenden Analyse nicht näher betrachtet werden sollen, Vgl. Hahn (1977): Personenerkenntnis, S. 395. So werden beispielsweise in der Chanson de Roland (und später auch im deutschen Rolandslied) die Heiden als böse gesinnt und am Körper schwarz (swarz unt übel getân, Rolandslied, V. 3765 und 6346) beschrieben, in Wolframs Willehalm (basierend auf der Chanson des Geste Aliscans) wiederum werden die Truppen Gorhants geschildert, die den vorbildlichen christlichen Rittern gegenüberstehen. Sie werden monströs gezeichnet, ihre Haut ist grün leuchtend [luter grüene als ein gras/ ist im hürnin gar sin vel, Willehalm, V. 351,16f.], sie haben keine menschlichen Stimmen, sondern stoßen tierische Laute aus wie Jagdhunde oder Kühe, kämpfen zu Fuß und mit Eisenkeulen bewaffnet [Willehalm, V. 35,14–17.22f; 395,12–24]. Hier zeigt sich deutlich eine Kongruenz von hässlichem Äußerem und böser Gesinnung. Zur Farbigkeit der Heidendarstellung, auch speziell im Kontrast zur Christendarstellung in heldenepischen Texten vgl. Klein, Mareike (2014): Die Farben der Herrschaft. Imagination, Semantik und Poetologie in heldenepischen Texten des deutschen Mittelalters. Berlin: Akademie Verlag. (= Literatur – Theorie – Geschichte. Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik, herausgegeben von Udo Friedrich, Bruno Quast und Monika Schausten, Band 5). 17 Dallapiazza, Michael: Häßlichkeit und Individualität. Ansätze zur Überwindung der Idealität des Schönen in Wolframs von Eschenbach Parzival. In: DVjs 59 (1985), S. 400–421, hier S. 409. 18 Vgl. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 252. 19 Vgl. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 57f. 15 16
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da es um körperliche, äußerlich sichtbare Hässlichkeit gehen soll; 3) der Typus außen wie innen hässlich, in dem äußere Hässlichkeit als innere Verworfenheit ausgelegt werden kann und schließlich 4) der Typus außen hässlich, innen schön, der einen wichtigen Fokus der Betrachtung darstellen soll. Hahn benennt diesen Figurentypus in Anlehnung an das Hohelied [Cant 1,5; nigra sum sed formosa] auch als Nigra-Formosa-Typ.20 Zu Beginn der Analyse von Hässlichkeit und ihrer Farbigkeit im höfischen Roman und vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Vorstellungen von Ästhetik und Schönheit muss man sich die Frage stellen, welchen Stellenwert die Hässlichkeit in diesem Kontext einnimmt. Ist sie bloßes Gegenbild des Schönen, wie es die Betrachtung des etymologischen Hintergrundes vermuten lassen würde, ist sie tatsächlich nur ein Abbild des Negativschönen, oder handelt es sich vielmehr um eine eigenständige Ästhetik des Hässlichen (um mit Rosenkranz zu sprechen), die als gleichwertige Instanz neben dem Schönen existiert und die ihre Grundlage in der Poetik des Christentums, vor allem in der deformitas Christi, findet? Dieser Fragestellung soll sich nun einleitend angenähert werden. Karl Rosenkranz’ „Ästhetik des Häßlichen“, entstanden 1853, ist die erste Kunsttheorie, die sich eigens mit diesem Thema beschäftigt. Rosenkranz versucht, die Formen des Hässlichen in einer gestuften Ordnung zu beschreiben, verlässt dabei aber nicht den Boden der klassischen Tradition der Ästhetik und orientiert sich vorwiegend am traditionellen Begriff des Schönen. Das Hässliche ist für ihn nur als Übergang zum Komischen gerechtfertigt. Mit Rosenkranz muss grundsätzlich darauf hingewiesen werden, dass in der mittelalterlichen Kultur Hässlichkeit nur vor der Folie der Schönheit gedacht werden kann. Er definiert die Begriffe als untrennbar verbunden. Hässlichkeit stehe immer mit der Idee des Schönen in enger Verbindung, denn bereits ein kleines Maß an Zuviel oder Zuwenig in jeder Kategorie der Schönheit könne das Schöne zum Hässlichen werden lassen. „Der Begriff des Häßlichen als des Negativschönen macht also einen Teil der Ästhetik aus.“21 Gleichzeitig kann sich aber auch das Schöne des Hässlichen bedienen, denn die Schönheit strahlt vor der Folie der Hässlichkeit umso heller. Somit lässt sich Hässlichkeit für Rosenkranz nur in Relation zum positiv Schönen erfassen. Das Schöne ist, genau wie das Gute, ein Absolutes, während das Hässliche, genau wie das Böse, nur ein relativer, ein begrenzter Begriff ist. Der Platz der Hässlichkeit in der Metaphysik des Schönen ist für Rosenkranz der der negativen Mitte zwischen den Begriffen des Schönen und des Komischen. In der Entlarvung des Hässlichen als des Negativschönen wird der Widerspruch zwischen beiden Polen aufgehoben und ein Prozess von Parodierung, Ironisierung und damit einer Aufhebung der Gefährdung durch das Hässliche in Gang gesetzt. In den später betrachteten Beispielen zeigt sich diese Parodierungstendenz in den Figuren des Wilden Mannes und vor allem der Wilden Frauen.
Hahn (1977): Personenerkenntnis, S. 407. Hahn arbeitet in ihrem Aufsatz zur Personenerkenntnis mit einer sehr ähnlichen Einteilung wie Michel, sie verwendet zur Bezeichnung die Kategorien bonum/ malum für das, was ich nach Michel als schön/hässlich anführe (S. 425). 21 Rosenkranz (1996): Ästhetik des Häßlichen, S. 5. 20
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Während also der klassische Ästhetikbegriff, auf dessen Grundlage Rosenkranz argumentiert, das Hässliche einzig als Gegenbildlichkeit des Schönen wahrnimmt, stellt Viktor Hugo in Prèface de Cromwell (1827) die Begrenztheit der Kunst auf das Ästhetische und die Autonomie des Schönen in Frage.22 Er verlangt eine Kunsttheorie, die eine Verbindung des Erhabenen mit dem Grotesken beinhaltet.23 Das Hässliche, Groteske und Ungestalte, das erst die kritische Philosophie des Christentums entdecken konnte, soll von der bloßen Gegenbildlichkeit des Schönen losgelöst werden, auf die es in der antiken Kunst beschränkt ist. Das Hässliche soll gleichwertig neben dem Schönen stehen, wie es auch in der gottgeschaffenen Natur der Fall ist. Ihm wird ein nicht-antithetischer, eigenständig ästhetischer Status zugeordnet, der ihm aufgrund des christlichen Schöpfungsdogmas zustehe. Dieser basiere auf der Vielfalt des Individuellen.24 Gerade darin besteht für Hugo der Gegensatz zwischen antiker und christlicher Kunst. Das Groteske und Hässliche erst öffnet den Blick auf die Möglichkeiten der Individualität. Darauf aufbauend weist Jauß darauf hin, dass gerade in der mittelalterlichen Literatur eine deutliche Scheidelinie zwischen dem christlichen und dem klassischen Kanon des Darstellbaren und Darstellungswürdigen erkennbar wird. Beide Sichtweisen existieren parallel: Die, in der das Hässliche noch in seiner klassischen Funktion der Gegenbildlichkeit, als Negation des Schönen dargestellt wird, wie auch jene, in der die Poetik des Christentums den Kanon durchbricht und das Hässliche als Kategorie der historisch-alltäglichen Wirklichkeit darstellt und damit auch „das unideal Individuelle darstellungswürdig“25 macht. Im Folgenden sollen nun die Theorien zweier der einflussreichsten christlichen Theoretiker speziell auf ihre Positionen gegenüber dem Hässlichen hin befragt werden – die des Augustinus und die des Pseudo-Dionysius Areopagita, die beide ein Interesse an den Phänomenen des Hässlichen erkennen lassen, das über die bloße Gegenbildlichkeit zum Schönen hinausreicht. Das Schöne, genau wie das Wahre und das Gute, gehört zu den Transzendentalien, die die scholastische Philosophie als objektive Eigenschaften alles Seienden ansieht. Ein Fehlen oder ein Mangel an Schönheit ist daher problematisch. Somit gehört die Hässlichkeit ins Feld der Theodizee, damit ist in diesem Zusammenhang nach Michel die Dazu ausführlich: Jauß (1997): Rechtfertigung des Häßlichen, S. 143–47. Der Begriff des Grotesken soll im Folgenden als ästhetische Kategorie verstanden werden, und zwar nach Kayser als Unterart des Komischen, und zwar als das rohe, niedere, burleske oder gar geschmacklose Komische. Das Groteske beinhaltet neben dem Spielerisch-Heiteren und Unbeschwert-Fantastischen auch eine Note des Beklemmenden, Unheimlichen, eine Welt, in der die Ordnungen der Wirklichkeit aufgehoben sind. Es verwischt die Grenzen zwischen den Bereichen der Schöpfung, zwischen dem Geräthaften, dem Pflanzlichen, Tierischen, Menschlichen, denen der Statik, der Symmetrie und der natürlichen Größenordnungen. Das wichtigste Kennzeichen des Grotesken ist die Vermischung des Tierischen und Menschlichen, das Monströse. Siehe hierzu vor allem: Kayser, Wolfgang (1957): Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung. Oldenburg/ Hamburg: Gerhard Stalling Verlag. 24 Vgl. Jauß (1997): Rechtfertigung des Häßlichen, S. 145. 25 Jauß (1997): Rechtfertigung des Häßlichen, S. 147. 22 23
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Aufklärung des Widerspruchs gemeint, dass alles Seiende zwar gut, wahr und schön ist, uns aber doch in der Form des Hässlichen, Falschen oder Bösen entgegentreten kann.26 Besonders Augustinus hegte ein Interesse am Hässlichen, es hat einen festen Platz in seiner Schönheitslehre. Der Ansicht, dass alles Seiende gut und wahr ist, steht die Erfahrung des konkreten Übels von Krankheit, Schmerz, körperlicher Entstellung, Krieg und Lastern gegenüber. Nach Augustinus ist der Urheber dieses Übels der sündige Mensch, er ist für das Böse und Hässliche selbst verantwortlich.27 Es dient für ihn als Strafe, Probe und Mahnmal. Über den Begriff der congruentia, dem Verhältnis der einzelnen Teile zueinander, finden sich Schönes und Hässliches zu einem Weltbild zusammen. Über die Proportion und vor allem über den Kontrast fügt sich folglich auch das Hässliche in die Harmonie der Welt ein, es hat einen Existenzgrund innerhalb der göttlichen Schöpfungsordnung. Das Hässliche, Schlechte wird in der göttlichen Ordnung schön, weil aus ihm das Gute entstehen kann und das Gute neben ihm noch leuchtender erscheint. Isoliert betrachtet mag etwas schlecht erscheinen, im Ganzen aber findet sich eine Begründung für seine Unvollkommenheit. Diese Idee der relativen Unvollkommenheit weist allem in der universalen Ordnung einen Zweck, eine Funktion zu, alles besitzt Maß und Symmetrie. „Ein geordnetes Weltganzes bedingt, dass gewisse Dinge weniger vollkommen sind als andere, damit alle Dinge, jedes auf seiner Stufe, sind.“28 Der törichte Mensch aber kann dies nicht durchschauen. Somit existiert in der Theorie des Augustinus kein wirkliches Übel, sondern nur ein relatives und ein solches, das dem Menschen, der blind ist für Gottes Schöpfungsplan, als hässlich erscheint. Im Fall des hässlichen Menschen stützt sich Augustinus’ Theorie auf die oben angesprochene Dichotomie von Leib und Seele. Für den Kirchenvater hat Gott die Seele des Menschen nach seinem Ebenbild gestaltet, der Leib aber ist vergänglich. Die innere, die eigentliche Schönheit, ist unabhängig von der äußerlichen, sie kommt durch äußere Entstellung geradezu noch deutlicher zum Vorschein. Körperliche Schönheit ist nicht hinreichend und auch nicht zwingend notwendig. „Das Ideal bleibt [für Augustinus, C.O.] die Wahrheit im sermo humilis, und entsprechend: die schöne Seele im unscheinbaren Leib.“29 Damit läuft seine Ansicht dem Kalokagathia-Ideal der Antike, der Entsprechung von einem schönen Äußeren mit einem vorbildlichen Inneren, entgegen. Andererseits kann man Augustinus Lehre auch so lesen, dass die seelische Schönheit in der leiblichen durchscheint und so eine Kongruenz von Innen und Außen entsteht. Augustinus lehnt körperliche Schönheit weder ab noch erachtet er sie als wertlos. Er setzt das Hässliche nicht kategorisch mit dem Bösen oder Niederen gleich – diese Sichtweise findet ihren Niederschlag auch in den literarischen Textbeispielen, die im Folgenden analysiert werden sollen, da auch dort äußerliche Hässlichkeit und innere Verfasstheit der Figur divergieren können.
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Vgl. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 31. Vgl. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 35. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 45f. Vgl. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 90.
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Einen weiteren Ansatz zur Erklärung des Hässlichen bieten die Lehren des PseudoDionysius Areopagita, die von der platonisierenden Ästhetik des 12. Jahrhunderts und in der Weiterführung durch Johannes Scotus Eriugena weiterentwickelt wurden: die Theorie des dissimilis similitudo, des unähnlichen Abbildes. Der Theorie des Pseudo-Dionysius zufolge bedient sich Gott einiger „Emporführungsmittel“, verstanden als Erläuterungsstrategien, um dem Menschen in seinem beschränkten Erfassungsvermögen seine Offenbarungen näher zu bringen – die transzendierende Erkenntnis. Diese erfolgt vor allem in den Symbolen der Schrift, die dem Menschen eine sinnliche Anschauung ewiger Dinge ermöglichen. Gott offenbart sich dem Menschen in unähnlichen Abbildern, das heißt in niedrigen, abstoßenden oder hässlichen Bildern. Dies geschieht, damit der Mensch nicht von der Schönheit des Dinges gefesselt ist und dabei verweilt, sondern es auf seinen Sinngehalt hin hinterfragt. „So sind die hässlichen Symbole recht eigentlich ,schöner‘ als die jener Herrlichkeit entfernt ähnlichen, weil sie nämlich im Menschen die Sehnsucht nach dem durch sie nur unvollkommen vergegenwärtigten Urbild wecken und seinen Geist antreiben, in ihrer Betrachtung das Sinnliche zu übersteigen.“30 Pseudo-Dionysius bevorzugt die hässlichen, unähnlichen Abbilder gegenüber den schönen, ansprechenden, da bei den schönen Abbildern der Mensch geneigt ist, das Signifikat selbst als göttlich zu betrachten und dieses immer noch unähnliche Abbild als das Schöne selbst zu interpretieren. Die Erkenntnis über das Symbol des Hässlichen fällt dem Menschen also leichter, da hier diese Gefahr nicht besteht. Die „schockierende Niedrigkeit des Symbols löst dann eine gewisse Ratlosigkeit, Verwirrung, Unrast aus und damit eine forschende Suche nach der verborgenen offenbarten Wahrheit, und diese mündet schließlich in den Aufstieg.“31 Auf der Grundlage dieser mittelalterlichen Anschauungen zu den Phänomenen visueller, physischer Hässlichkeit im philosophischen und theologischen Sinne sollen nun spezieller die Strategien zum Umgang mit ihnen in den Blick genommen werden.
3.1.3 Rechtfertigungs- und Bewältigungsstrategien des Hässlichen Die Hässlichkeitsbeschreibung in der mittelhochdeutschen höfischen Literatur ist Teil einer lebendigen Tradition, sie speist sich aus verschiedenen Quellen unterschiedlicher Provenienz. Sie bedient sich aus einem Kanon an formelhaften Schilderungsmustern, geht aber nicht vollständig in ihnen auf. Diese Verwendung bereits bekannter Motive ließ bei den Zuhörern präzise Erwartungen an die Figur und deren Rolle aufkommen. Eine Quelle dieser Hässlichkeitsbeschreibungen ist die spätantik-mittellateinische Literatur. In deren rhetorisch ausgeformten Personenbeschreibungen korrespondiert Hässlichkeit mit innerer Verwerflichkeit. Sidonius Apollinaris gibt im 5. Jahrhundert mit seinem literarischen Portrait des Gnatho der mittelalterlichen Poetik ein Musterbeispiel des generisch hässlichen Menschen vor, welches später von Matthäus von Vendôme im Portrait der 30 31
Michel (1976): Formosa deformitas, S. 107. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 128.
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Beroe aufgenommen wird.32 Die Beschreibung umfasst nicht nur physische Hässlichkeit, sondern auch negative Charakterzüge, ausgeführt in Aufzählungen und Antithesen zu positiven Eigenschaften. Dieses Muster der Personenbeschreibung greift auch bei hässlichen, verwilderten und tierähnlichen Menschen. Die Stilmuster der spätantik-mittellateinischen Literatur finden sich vor allem in der mittelalterlichen Historiographie wieder. Die dort vorkommenden Hässlichkeitsbeschreibungen sind aus realistischen, menschlichen Details zusammengestellt, die teilweise krankhaften Ursprungs sind.33 Dieses Muster der Darstellung wird in der volkssprachlichen Literatur nur selten verwendet, ein Beispiel hierfür wäre der ackerkneht in der Crône Heinrichs von dem Türlîn. Wesentlich häufiger finden sich theriomorphe Gestaltungsmuster, die Vermischung menschlicher und tierischer Anteile in einer Gestalt.34 Beispiele hierfür sind der Waldmann in Hartmanns Iwein, die Darstellung Wilder Frauen in der Crône und dem Wigalois, oder Cundrîe im Parzival Wolframs. Auf diesen Gestaltungsbereich haben verschiedene Traditionslinien Einfluss gehabt, unter anderem orthodoxe Auslegungen alttestamentarischer Stellen, apokryphes Schrifttum, rabbinische Literatur sowie ikonographisches Material aus der Alexandersage.35 Aber gleich, welche Quelle einer Hässlichkeitsbeschreibung zugrunde liegt, sie deutet auf ein konfliktträchtiges Element, das immer einer Rechtfertigung über die Berufung auf literarische Quellen hinaus bedarf. Dallapiazza stellt in seiner Analyse der Cundrîe-Figur in Wolframs Parzival einleitend fest, dass, „[…] [w]enngleich anti-ästhetische Züge schon in der frühchristlichen Kunst zu beobachten sind, […] doch davon auszugehen sein [wird], daß die Autonomie des Schönen wahrhaft erst im 18. oder 19. Jahrhundert erschüttert wird.“36 Im Mittelalter, so Dallapiazza, gelte vorwiegend die schematische Ansicht „schön entspricht gut, hässlich entsprich böse.“ Genuin hässliche Figuren (verstanden als menschenähnliche Figuren mit beständig hässlichem Äußeren) sind in der arturisch-höfischen Literatur des Mittelalters vergleichsweise selten vertreten, doch wenn sie auftreten, erfüllen sie in ihrer Hässlichkeit einen Zweck im Handlungsablauf. Besonders die Hässlichkeit von weiblichen Figuren muss begründet werden, da das höfische Ideal insbesondere für Frauenfiguren körperliche Schönheit verlangt.37 Das Hässliche wird oftmals als ein Spiegel innerer Vgl. Brandt, Wolfgang (1985): Die Beschreibung häßlicher Menschen in höfischen Romanen. Zur narrativen Integrierung eines Topos. In: Germanisch-romanische Monatsschrift (35), S. 257–278. hier S. 257. 33 Vgl. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 59. 34 Michel (1976): Formosa deformitas, S. 60: „Der volkssprachige mittelalterliche Roman, besonders der arthurische, gebraucht zur Kennzeichnung der Hässlichkeit theriomorphe Gestaltungsmuster oder wenigstens den Vergleich mit Tieren; beides hat mit der mittellateinischen Literatur nichts gemein.“ 35 Vgl. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 62. 36 Dallapiazza (1985): Häßlichkeit und Individualität, S. 400. 37 Dallapiazza analysiert in seinem Aufsatz die Hässlichkeit Cundrîes auf deren Begründung und Wirkung hin und kommt zu dem bemerkenswerten Schluss, dass mit Cundrîe ein historischer Prozess in Gang gesetzt wird, in dem in der positiven Darstellung eines äußerlich hässlichen Menschen Individuelles freigesetzt werden kann. Wolframs Cundrîe, so Dallapiazza, erschüttere die Autonomie des 32
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Unvollkommenheit oder gar als Abbild innerer Mängel und Sündhaftigkeit gelesen. Wie ist es dann aber zu erklären, dass hässliche Figuren in beinahe allen höfischen Artus- und Tristanromanen vorkommen, und das nicht nur als diabolische Gegenspieler der glänzenden Helden? Ein hässliches Objekt bzw. eine hässliche Figur erzeugt einen Widerspruch zu dem auf das gottgeschaffene, äußerlich Schöne ausgerichteten Weltbild im höfischen Roman. Es muss zu einer Vermittlung zwischen diesen beiden gegenläufigen Konzepten kommen. Basierend auf der antiken Vorstellung der Kongruenz von Schönem und Gutem (einer Vorstellung die, wie im Folgenden gezeigt wird, für die mittelalterliche höfische Literatur sicher nicht ausnahmslos gilt), sieht das Mittelalter die Schönheit des Körpers als Spiegel der Güte und Reinheit des Geistes sowie des Adels der Figur. Erst auf der Grundlage dieses „ontologischen Optimismus“ (Michel) kann das Hässliche auffällig thematisch werden.38 Wir erkennen hier deutlich die Parallelität zweier Sichtweisen, auf die auch Jauß39 bereits hingewiesen hat: Die Position, die der theologische Diskurs entwickelt, die steigende Akzeptanz des Hässlichen, die durch christliche Heilsvorstellungen geprägt ist, trifft auf die vom antiken Kalokagathia-Prinzip geprägte Idealvorstellung der höfischen Gesellschaft, in welcher stets die Kongruenz des Schönen und Guten dominiert. Das Mittelalter kennt beide Sichtweisen, und vor allem die höfische Literatur spielt mit den kontrastierenden Auslegungen des Hässlichen, indem sie Figuren auftreten lässt, deren hässliches oder entstelltes Äußeres, basierend auf dem christlichen Dichotomieverständnis von Leib und Seele, Innen und Außen, nicht zwingend auf einen bösen Charakter schließen lässt. Die Kongruenz von Innen und Außen als Idealvorstellung wird beständig verhandelt, grundsätzlich aber wird die Auffassung von Schönheit als Eigenschaft alles von Gott Geschaffenen trotz der konzeptionellen und vor allem literarischen Aufwertung des Hässlichen nie grundlegend in Frage gestellt. Ist eine Auseinandersetzung mit dem Hässlichen nicht möglich, entsteht eine Standpunktlosigkeit und Desorientierung, das Hässliche wird bedrohlich, insbesondere aufgrund seines Widerspruchs zu den Grundkategorien des Schönen – der Einheit, der Begrenztheit und Geschlossenheit der Form. Die Bedrohlichkeit des Hässlichen liegt darin, dass dem Objekt durch den Betrachter kein bekanntes, inneres Gesetz zugeordnet werden kann, es erscheint fremd und ungefügt (amorph), bedarf einer objektivierenden Abwehrreaktion.40 Diese Abwehrreaktion kann in Form einer, wie Michel es nennt, „Verheimatung“41 des Fremden erfolgen, einer Umdeutung des bedrohlichen
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Schönen und erlaube eine Aufnahme des Hässlichen in die poetische Darstellung. Da das Hässliche nicht mehr als bloße Antithese zum Schönen gedeutet werde, werde ihm ein Eigenwert zugestanden. Damit versuche Wolfram, das eingeschränkte Rollenrepertoire der höfischen Menschendarstellung hinter sich zu lassen. Vgl. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 257. Vgl. Jauß (1997): Rechtfertigung des Häßlichen, S. 147. Vgl. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 259. Vgl. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 250.
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,Anderen‘ zum ,Eigenen‘. Dies geschieht qua „Projektion anthropomorpher Kategorien (Sinn, Zweck, Schuld, Systemhaftigkeit) auf die […] von solchen Strukturen freien Erscheinungen.“42 Diese Systeme der Verheimatung, der Angleichung des Fremden an das ,Eigeneʽ über verschiedene gedankliche und literarische Methoden stützen sich vor allem auf die Zuweisung eines Ursprunges der Hässlichkeit. 3.1.3.1 Die deformitas Christi „Die Beschreibungen des Häßlichen deuten im christlichen Epos des Mittelalters oft ausdrücklich auf das Widergöttliche und Diabolische als den latenten Ursprung der Häßlichkeit zurück.“43 Trotzdem kommt seit der christlichen Spätantike dem äußerlich Hässlichen auch eine konzeptionelle und literarische Aufwertung zu. Gleichzeitig entwickelt sich eine Skepsis der (körperlichen) Schönheit gegenüber. Das Schöne ist verdächtig; so kann sich Böses oft im schönen Gewand verbergen, während sich Wertvolles in hässlicher Gestalt präsentiert.44 Die ethische Schönheit oder Hässlichkeit einer Figur muss erst durch die äußerliche Erscheinungsform hindurch erschlossen werden. Dabei bleibt aber immer zu beachten, dass das Schöne selbst als objektive Eigenschaft alles Seienden nie in Frage gestellt wird. Betrachtet man Textbeispiele aus der Hagiographie oder aus Jenseitsvisionen, so stellt man fest, dass sie in einer anderen Tradition der Rechtfertigung begründet sind als Textbeispiele der höfischen Literatur. Ihr Ursprung liegt in der augustinischen De doctrina Christiana, vor allem in der dort begründeten Konzeption des sermo humilis.45 Die Darstellung des Lebens und der Passion des Mensch gewordenen Christus ermöglicht erst die Mischung des Erhabenen mit dem Niedrigen. Die Vorstellung des Gottessohns in Knechtsgestalt ist eine Provokation für die antike, vom Platonismus getragene Idee der Einheit des Guten und Schönen. Das Bild des gemarterten Jesus am Kreuz, der nicht als hässlich imaginiert werden konnte und durfte, die deformitas Christi in dessen Erniedrigung im Kreuzestod ermöglicht erst die Rückkehr des Menschen zur Schönheit des ewigen Heils. Der Gottessohn besitzt eine Schönheit der Seele, die auch in einem entstellten Körper existieren kann. Allerdings ist die deformitas Christi nur ein zeitweiliger Zustand, kein substantieller, bleibender Verlust der Schönheit.46 Somit entsteht ein neuer Zweig in der Auslegungstradition des Hässlichen. Ein äußerlich hässlicher, missgestalteter Mensch kann trotzdem einen schönen Geist besitzen. Gleichzeitig kann aber auch die
Michel (1976): Formosa deformitas, S. 259. Jauß (1997): Rechtfertigung des Häßlichen, S. 152. 44 So ist beispielsweise die Braut des Hohenliedes schwarz, aber doch schön [Cant 1,5], Jobs Leib ist bedeckt von Fäulnis und Eiterbeulen, er aber ist ein Abbild der Gerechtigkeit [Job 7,5]. Vgl. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 17. 45 Vgl. Jauß (1997): Rechtfertigung des Häßlichen, S. 156. 46 Vgl. Jauß (1997): Rechtfertigung des Häßlichen, S. 157. 42 43
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natürliche Schönheit eines Menschen von innen heraus durch das Böse entstellt werden.47 In den Märtyrergeschichten, Heiligenviten und Visionsberichten können die körperlich entstellenden Martern der Figuren in der gloria passionis, dem Leidenstriumph verklärt werden. Das Hässliche löst sich erstmals von den Kategorien des Bösen und Niedrigen. Diese Betonung des Singulären und Unidealen öffnet den Weg für einen Prozess, den Jauß „Freisetzung des Individuellen“ nennt.48 Diese Rechtfertigungsstrategie greift für die Textsorten der Märtyrergeschichten, Heiligenviten und Visionsberichte ebenso wie für Darstellungen der Passion Christi und zum Teil auch für die Darstellung von Einsiedlern, Eremiten oder Pilgern. Aber Dallapiazza weist zu Recht darauf hin, dass sich auf dieses Muster der christlichen Rechtfertigung auch andere poetische Formen des Hässlichen beziehen, wie zum Beispiel die vorübergehende Verunstaltung eines Gregorius oder die verdeckte Schönheit Rennewarts im Willehalm. Auch die trauernde Sigune des Wolframschen Parzival gehört dazu.49 Daneben gibt es weiterhin den Typus des „verkannten Helden“, eine Figur, die sich in einer für sie untypischen, erniedrigenden Situation befindet, zum Beispiel als Narr, Tor oder Wahnsinniger umherstreift (Iwein, Tristan, aber auch Parzival zählen dazu) und trotzdem aber auf dem tiefsten Punkt der Erniedrigung immer noch schön ist.50 3.1.3.2 Ursprungsmythen Die Kontur hässlicher Figuren, die nicht den zuvor genannten Gruppierungen zuzuordnen sind, ergibt sich aus anderen Semantisierungen des Hässlichen. Hierzu zählen das Hässliche als Abbild des Fremden und vor allem des Antihöfischen, die Definition des Höfischen über die Gegenbildlichkeit des Hässlichen und Furchterregenden, Hässliches als Werkzeug sozialer Distinguierung in der Abgrenzung zum Niederständischen sowie als Strategie der Ausgrenzung. Eine Erscheinungsform des Hässlichen, vor allem in den chansons de geste und daran anschließend in den mittelalterlichen Heldenepen, ist die des Heiden. Sie soll hier zumindest kurz erwähnt sein, allerdings auf der Grundlage der Artus- und Tristanromane nicht näher analysiert werden. Die chansons des geste bieten in ihren Heidendarstellungen eine Auswahl an Abstrusem, Furchteinflößendem und Hässlichem. Diese überschneidet sich nur bedingt mit dem Hässlichkeitskatalog der höfischen Epik, ihr Einfluss ist aber unverkennbar in den Darstellungen zu finden. Die Abwehr des Hässlichen verläuft beim Heidnischen über die Markierung als ein Fremdes, das nicht zur eigenen Religion oder Ethnie gehört. Die Heiden sind aus dem Kosmos des Christentums ausgegliedert. „Das Häßliche ist eine Erscheinungsweise des Bösen, die Feinde des christlichen Glaubens 49 50 47 48
Vgl. Rosenkranz (1996): Ästhetik des Häßlichen, S. 30f. Vgl. Jauß (1997): Rechtfertigung des Häßlichen, S. 168. Vgl. Dallapiazza (1985): Häßlichkeit und Individualität, S. 410. Vgl. Jauß (1997): Rechtfertigung des Häßlichen. S. 150.
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sind böse, also muß auch die Häßlichkeit der Gestalt zum typischen Kennzeichen der Heiden werden.“51 Gleichzeitig finden wir in diesen aber auch die hässliche Gestalt, die auf Seiten der Christen kämpft und unter der abstoßenden Schale ein durchaus heldenhaftes Wesen durchscheinen lässt wie beispielsweise bei den zumindest teilweise als wild imaginierten Riesen im König Rother. Weiterhin sind genuin hässliche Figuren oft einem exotischen Ursprung zugeordnet. Diese Gestalten verkörpern Negation, Unvereinbarkeit und kommunikative Unzugänglichkeit gegenüber dem Höfischen par excellence. Sie sind Fremdkörper am Horizont der höfischen Kultur, mehr oder weniger feindlich eingestellt, hässlich-abstoßend, animalisch und aggressiv gefärbt. Vor allem die weiblichen Gestalten scheinen mit dämonischen Mächten im Bunde.52 Das Exotische als Fremdes ist nicht durch ein christliches Weltbild ideologisch funktionalisiert. Dadurch eröffnet sich in ihm ein ästhetischer Freiraum, in dem viele Möglichkeiten zur Gestaltung offen stehen. Der Schrecken über das Monströse verbindet sich im Exotischen mit der Sensationsgier. Die mittelalterlichen Autoren bedienen diese Lust am Monströsen, Seltsamen, Hässlichen.53 Im höfischen Roman wird dieses Muster mit Ausnahme der Figuren Belakane, Cundrîe und Malcrêatiure in Wolframs Parzival nur selten verwendet, im deutlichen Kontrast zum Heldenepos und Antikenroman, in denen dieser Exotentypus häufig auftritt. Hier zeigt sich eine gewisse Gattungsgebundenheit der Muster. Die Typologie des Exotischen ist antiken Ursprungs. Die Überlieferung im Mittelalter ist breit, vertreten nicht nur in deutscher, französischer und provenzalischer Literatur, sondern auch in der bildenden Kunst.54 Eine besondere Rolle spielt hier die Überlieferung der Alexandersage und der darin beschriebenen hässlichen Exotenfiguren. So finden wir auch beispielsweise in der Wiener Genesis, die einen Gesamtkatalog der verfügbaren Typen zu geben versucht, den antiken Exotentypus wieder. Zusätzlich kann seine Hässlichkeit über die Zuweisung von Schuldhaftigkeit in ihrer Abstammungslinie über den Adamskindermythos motiviert sein. Als Beispiele einer Figur mit exotischem Hintergrund sollen hier Cundrîe aus dem Parzival Wolframs von Eschenbach und ihr Bruder Malcrêatiure genannt sein, die in ihrem Ursprung im exotischen Indien verwurzelt sind.55 Wolfram motiviert die Hässlichkeit speziell der Gralsbotin dreifach – erzählmotivisch als Versinnbildlichung der negativen Botschaft, die Cundrîe überbringt, ethnografisch über ihre Herkunft und theologisch über den Adamstöchtermythos. Bei den Geschwistern aber verbindet Wolfram die Hässlichkeit nicht per se mit dem Bösen Jauß (1997): Rechtfertigung des Häßlichen, S. 148. Vgl. Brall, Helmut (1991): Imaginationen des Fremden. Zu Formen und Dynamik kultureller Identitätsfindung in der höfischen Dichtung. In: Kaiser, Gert (Hg.): An den Grenzen höfischer Kultur. Anfechtungen der Lebensordnung in der deutschen Erzähldichtung des hohen Mittelalters. München: Fink (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur, 12), S. 115–165, hier S. 153. 53 Vgl. Schnell, Rüdiger (2005): Ekel und Emotionsforschung. Mediävistische Überlegungen zur ,Aisthetik‘ des Häßlichen. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, H. 79, S. 359–443, hier S. 384ff. 54 Vgl. Seitz (1967): Darstellung häßlicher Menschen, S. 69. 55 Vgl. Dallapiazza (1985): Häßlichkeit und Individualität, S. 419. 51 52
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und Diabolischen, während die Adamstöchter der Wiener Genesis noch des tieveles chint (Wiener Genesis, V. 677.)56 sind. Interessant im Hinblick auf die Farbigkeit der CundrîeFigur erscheint vor allem ihre übergreifende Charakterisierung über das Merkmal der Farbe: Wolfram beginnt seine Beschreibung der Figur mit dem Hinweis si was niht vrouwenlîch gevar [Parzival, V. 312,15].57 Ob er damit eine schwarze Hautfarbe meint, den Umstand, dass Cundrîe nicht dem idealen Farbenbild der höfischen Schönheit (schwarzweiß-rote Farbtrias) entspricht oder dass sie äußerlich nicht wie eine Dame von Stand erscheint, ist nicht genau festzulegen. Zu Beginn der allgemeinen Beschreibung nimmt er aber diese Umschreibung wieder auf: Diu maget witze rîche / was gevar den unglîche / die man dâ heizet bêâ schent. [Parzival, V. 313,1–3]. Wolfram kennzeichnet Cundrîe also eingangs über die Erwähnung der vom idealen Schönheitsbild abweichenden Farbe und verweist damit indirekt auch auf ihre charakterlichen Eigenschaften und intellektuellen Fähigkeiten. [N]iht vrouwenlîch gevar ist nämlich neben Cundrîes Äußerem auch ihr Auftreten und ihre Intellektualität. Insgesamt sei hier darauf verwiesen, dass mit Cundrîe ein besonders komplexer Fall der Hässlichkeitsbeschreibung vorliegt, deren Rolle aber im Umfang dieser Arbeit nicht näher analysiert werden soll.58 Eine weitere Bewältigungsstrategie des Hässlichen über eine Form der Ätiologie, über eine Erklärung der Herkunft oder des Ursprungs des Hässlichen, stellt der Adams- oder Kainskindermythos dar. Hässliche Figuren werden oft mit dem Teuflischen in Verbindung gebracht, vor allem aber mit der Abstammung vom biblischen Kain. Solche Auslegungen ermöglichen es, Riesen, Zwerge, Meerungeheuer, Wundervölker, Waldmenschen und viele mehr als Nachfahren Kains zu verstehen. Die Wiener Genesis berichtet, dass die Töchter Adams während der Schwangerschaft verbotene Kräuter zu sich nehmen und
Die Wiener Genesis wird zitiert nach folgender Ausgabe: Smits, Kathryn (1972): Die frühmittelhochdeutsche Wiener Genesis. Kritische Ausgabe mit einem einleitenden Kommentar zur Überlieferung. Berlin: Erich Schmidt Verlag, hier S. 137. 57 Der Parzival Wolframs von Eschenbach sowie seine Übersetzung werden hier zitiert nach folgenden Ausgaben: Wolfram von Eschenbach (2004): Parzival. Band 1: Buch 1–8. Mittelhochdeutsch/ neuhochdeutsch. Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung und Nachwort von Wolfgang Spiewok. [Nachdr.]. Stuttgart: Reclam, und Wolfram von Eschenbach (2007): Parzival. Band 2: Buch 9–16. Mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch. Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung und Nachwort von Wolfgang Spiewok. [Nachdr.]. Stuttgart: Reclam. 58 Zur Darstellung und Rolle der Cundrîe-Figur siehe auch: Seitz (1967): Darstellung häßlicher Menschen, S. 9–14; Kasten (1991): Häßliche Frauenfiguren; Ridder, Klaus (2002): Gelehrtheit und Häßlichkeit im höfischen Roman. In: Ridder, Klaus; Langer, Otto (Hg.): Körperinszenierungen in mittelalterlicher Literatur. Kolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (18. bis 20. März 1999). 1. Aufl. Berlin: Weidler (Körper, Zeichen, Kultur, 11), S. 75–95; Brandt (1985): Beschreibung häßlicher Menschen, S. 272–274; Dallapiazza (1985): Häßlichkeit und Individualität. Für weitere Literatur speziell zur Cundrîe-Figur vgl. die Fußnoten bei Dallapiazza (1985): Häßlichkeit und Individualität, S. 401. 56
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danach hässliche Nachfahren zur Welt bringen.59 Dieser Exotentypus ist als Verkörperung des Schuldhaften, Sündigen markiert. Auch zeichnet er sich durch eine Vermischung menschlicher und tierischer Züge aus. Des Weiteren zählen die „Mohren“ in der Wiener Genesis zu dieser Gruppe, „durch ihre Affinität zur Höllenfarbe sogar ein besonders hässlicher Typus.“60 So heißt es zu den mit schwarzer Haut geborenen Kindern: Sumeliche flurn begarewe ir scônen varwe: si wurten swarz unt egelîch, den ist nehein liut gelîch. dei ougen in scînent, die zeni glîzent. swenne si si lâzent blecchen sô mahten si jouch den tiufel screchen. die afterchomen an in zeigtun waz ir vorderen garnet hêten: alsolich si wâren innen, solich wurten diese ûzzen. [Wiener Genesis, V. 655–660]61
Hässlichkeit steht in der Wiener Genesis als Symbol für die Sünde der Vorfahren, als Zeichen der Korrespondenz von ,Innen‘ und ,Außen‘. Die Adamstöchter sind die ersten „Schwarzen“ der historisierenden Bibelexegese in der deutschen Literatur. Die Bibel selbst beschreibt sie allerdings nicht; die bösen, ungehorsamen schwarzen Kinder stammen aus antiker Literatur, schon dort gilt die schwarze Hautfarbe als Symbol des Bösen und des Unterweltlich-Dämonischen. Das Bild der Adams-/Kainskinder ist, darauf weist insbesondere Mielke62 hin, keines, das eindeutig dem Typus des Afrikaners/der Afrikanerin zugeschrieben werden kann, es verweist generell auf von Gott gestrafte Figuren, denen aber keine geographische Heimat zugeordnet wird. Das Hässliche realisiert sich in der literarischen Nachkommenschaft Adams oder Kains in drei Merkmalsgruppen: 1) der Tierähnlichkeit und einem Rückfall auf die Stufe des Tierischen, beispielsweise dem Gang auf allen Vieren, dem Verlust der Sprache, 2) einer verkehrten Körperlichkeit, zum Beispiel einer Verdrehtheit von Körperteilen wie den Füßen und 3) der schwarzen Hautfarbe.63 Diese drei Merkmalskomplexe bestimmen die Vorstellung des Hässlichen in der mittelalterlichen Literatur auch da, wo diese nicht explizit auf die Abstammung von den Adams- oder Kainstöchtern zurückgeführt wird.
Kasten (1991): Häßliche Frauenfiguren, weist hier insbesondere darauf hin, dass dieser „zweite Sündenfall“ die gesamte Schuld der Frau anlastet. Sie trägt die alleinige Verantwortung für die Missgestalt der Kinder und damit für die Existenz des Hässlichen in der Welt. 60 Seitz (1967): Darstellung häßlicher Menschen, S. 24. 61 Smits (1972): Die frühmittelhochdeutsche Wiener Genesis, S. 135. 62 Mielke, Andreas (1992): Nigra sum et formosa. Afrikanerinnen in der deutschen Literatur des Mittelalters; Texte und Kontexte zum Bild des Afrikaners in der literarischen Imagologie. Stuttgart: Helfant-Ed. (Helfant-Texte, 11) 63 Vgl. Kasten (1991): Häßliche Frauenfiguren, S. 261f. 59
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Eine weitere Form der Begründung körperlicher Hässlichkeit stellt die Niederständigkeit der Figur dar. Der ständische Ekel, wie Schnell64 ihn bezeichnet, führt zur Diffamierung von Personen der niederen Stände als hässlich, vilan und bäuerlich. Die höfische Gesellschaft grenzt sich damit auch äußerlich von einem Bauernstand ab, den sie als Gegenbild der literarischen Projektion der eigenen, adeligen Identität entwirft. So amüsiert sie sich über die Erscheinung und das Verhalten des Bauern und verachtet ihn als hässlich-schmutzig. Verstärkt wird diese Abgrenzung oft durch den Einsatz von komischen Elementen und Lächerlichkeit (ridiculum). Dies nimmt der Hässlichkeit ihre schockierende Wirkung. Zu dieser Gruppe gehört zum Teil auch die Figur des Toren, Narren und Wahnsinnigen. Das Vilane ist von diesen die negativste Assoziation, die Torenassoziation kommt auch bei einer vorübergehenden Entstellung durch Krankheit vor. Die körperliche Entstellung eigentlich zur höfischen Sphäre gehöriger Figuren, das heißt Fälle entstellter Schönheit, sind wiederum anders motiviert. Bei ihnen spielen weder Faktoren wie ein exotischer Hintergrund oder eine dämonisch konnotierte oder niederständige Abstammung eine Rolle, sondern ihre zeitweilige und reversible Entstellung in Form von Ent- oder Verfärbung des sonst höfischen Körpers kommt durch äußerliche Faktoren wie Krankheit, Flüche, Vergiftung, körperliche Anstrengung und Auszehrung oder emotionale Ausnahmezustände zustande. Insgesamt lässt sich festhalten, dass Hässlichkeit in der mittelalterlichen Literatur und Kultur im Rekurs auf unterschiedliche Diskurse begründet werden kann. Aus diesen ergeben sich äußerlich sichtbare Attribute des Hässlichen, unter anderem in Form von Körperfarben. Im Folgenden soll nun die literarische Darstellung körperlicher Hässlichkeit in der volkssprachlichen höfischen Literatur überblicksartig betrachtet werden, wobei ein besonderer Akzent auf die farbige Kontur der Hässlichkeitsattribute gelegt wird.
3.2 Hässlichkeit und ihre farbigen Limitierungen in der höfischen Literatur In dieser Arbeit wird das Hässliche vor allem in seiner Funktion als körperliches Attribut der menschlichen Figur in der Literatur betrachtet. Hässliche menschliche Figuren oder hässliche Figuren mit zumindest teilweise menschlichen Zügen sind der Fokus der Analyse. Gleichzeitig tritt Hässlichkeit zweifellos auch in vielfältigen anderen Formen und
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Vgl. Schnell (2005): Ekel und Emotionsforschung, S. 383. Schnell versteht das Ekelerregende als Gegenbegriff zum Schönen: Ekel und Freude stehen sich im höfischen Leben diametral gegenüber. Sie bilden die emotionalen Pole der höfischen Gesellschaft. Daher spart die Literatur zur Erzeugung von Freude den Ekel aus. Ekel taucht nur auf, wenn er eine ambivalente Emotion hervorrufen soll: gleichzeitig ausgrenzen, fliehen, vermeiden, und doch genießen. (vgl. S. 432)
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Gestalten auf.65 Das Hässliche im christlich geprägten arturischen Epos ist genauso an den Schönheitskanon der menschlichen Gestalt gebunden wie in der literarischen Tradition der Antike. Das Schöne impliziert ein hässliches Gegenbild mit kontrastierenden Eigenschaften und verzerrten Proportionen, einen verkehrenden Spiegel. Die hässliche Figur stellt geradezu eine „Konteridealisierung“66 dar. Somit scheint in der mittelalterlichen Erzähltradition auch das Hässliche stets an ein zumindest latent vorhandenes Maß an menschlicher Gestalt gebunden zu sein, welches durch die Gottesebenbildlichkeit der menschlichen Gestalt vorgegeben ist. So entsteht innerhalb der Grenzen der menschlichen Form eine Stufenleiter des körperlich Hässlichen, die sich vom einfachen symmetrischen Gegenbild des Schönen über eine groteske Vermischung menschlicher und tierischer Attribute bis zum Umschlag der hyperbolischen Verzerrung ins Komische erstreckt.67 Die Maßbestimmtheit durch die Vorgaben der menschlichen Gestalt gilt sogar dort, wo sich das Hässliche aus tierhaften Zügen zusammensetzt, die in sich selbst nicht hässlich sein müssten, in ihrer Summe aber den Umriss der menschlichen Gestalt verzerren.
3.2.1 Körpermerkmale und die varwe des Hässlichen Betrachten wir die Struktur einer solchen Beschreibung einer hässlichen Figur im Detail: Grundsätzlich sind die Muster von Schönheits- und Hässlichkeitsbeschreibungen ähnlich angelegt.68 Die Hässlichkeitsbeschreibungen werden oft mit zusammenfassenden Äußerungen, die das negativ konnotierte Aussehen deutlich vom Schönheitsbild abgrenzen, eingeleitet – dieser resümierenden Zusammenfassung folgt fast überall ein Hinweis auf die varwe, dann die einzelnen Teile des Kopfes, des Körpers und selten abschließend die Kleidung. Kleidungsbeschreibungen sind in der Darstellung genuiner Hässlichkeit die Ausnahme, die Gewänder werden nur ausführlich geschildert, wenn sie im Gegensatz zum hässlichen Äußeren höfisch und schön sind, beispielsweise bei Cundrîe in Wolframs Parzival. Bei einer alten, überaus hässlichen Frauenfigur aus der ersten Wunderkette der Crône wird ebenfalls darauf verwiesen, dass ihre Kleidung reich geschmückt ist [Cr, V. 14162–66], erst anschließend folgt die Schilderung ihrer körperlich hässli Die Natur birgt Hässliches in vielerlei Formen, so zum Beispiel in der Tierwelt, die aufgrund ihrer großen Formenvielfalt viele Möglichkeiten für hässliche Ausformungen bereithält. Ebenfalls hässlich sind auch nichtmenschliche Ungeheuer wie Drachen oder Riesen, die als Bewährungsprobe für den Helden fungieren. Die nähere Analyse dieser nichtmenschlichen Kreaturen und Phänomene ist allerdings nicht Teil dieser Arbeit. 66 Jauß (1997): Rechtfertigung des Häßlichen, S. 155. 67 Vgl. Jauß (1997): Rechtfertigung des Häßlichen, S. 153. 68 Seitz (1967): Darstellung häßlicher Menschen, S. 47: Die Form der Beschreibung menschlicher Gestalten in mittelalterlicher Literatur geht auf das antike Muster des Eikonismos zurück, einer ausführlichen Aneinanderreihung der Merkmale von Kopf bis Fuß bei relativ fester Folge der zu beschreibenden Teile. Vererbt hat sich diese Beschreibungsform durch die christliche Hagiographie und Geschichtsbücher sowie durch rhetorische Handbücher. Sie gilt in gleicher Weise für Schönheits- wie Häßlichkeitsbeschreibungen. 65
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chen Erscheinung, die im Kontrast zu der höfischen Kleidung steht. Der Erzähler weist nach der Beschreibung des Gesichtes noch einmal darauf hin: Sust was ir vil tiure / Aller lobelîcher aneblic. [Cr, V.14177f.] (Im Übrigen mangelte es ihr an lobenswertem Aussehen.) Der Gegensatz zwischen Kleidung und Körper wird deutlich betont. Es soll an dieser Stelle kein umfassender Katalog der Merkmale körperlicher Hässlichkeit gegeben werden, da grundlegend die Farbigkeit des Körpers für diese Arbeit von Interesse ist. Merkmalsanalysen des Hässlichen sind an anderer Stelle bereits ausführlich durchgeführt worden, so dass ich darauf hier lediglich verweisen möchte.69 Die Attribute lassen sich nach Seitz in verschiedene Kategorien einteilen: 1) objektiv-reale Kennzeichen menschlicher Hässlichkeit wie Runzeln, tiefliegende Augen, borstiges Haar oder Buckel, 2) abstrakte, tiermetaphorische Kennzeichen wie Hundeohren, Eberzähne und Ähnliches, und 3) auf einen Krankheitszustand hinweisende Merkmale wie zum Beispiel entzündete Augen oder Flechten oder auch Symptome, die nicht zur Beschreibung eines realexistenten Krankheitszustandes dienen, sondern nur im Dienst der Hässlichkeitsbeschreibung stehen.70 Zu den objektiv-realen Kennzeichen des Hässlichen gehören die Verwachsenheit des Körpers sowie das Gesicht betreffende Entstellungen wie ein riesenhafter Mund (große Lippen können auch auf etwa Bäuerliches verweisen), eine platte Nase und große Ohren, weiterhin besonders reversible Merkmale, die zeitlich begrenzt auftreten: runzelige, sonnenverbrannte Haut, vor Erschöpfung tief liegende Augen und überlanger Haar- oder Bartwuchs. Zum Teil gehören diese Merkmale auch zur Alterstypologie, die ebenfalls sehr negativ ausfallen kann. Das primäre Attribut dieser Kategorie ist aber die schwarze Hautfarbe, welche einen diametralen Gegenpol zum Schönheitsideal der weißen, makellosen varwe der höfischen Figur darstellt. Zur Gruppe der grotesk-abstrakten Attribute zählen primär die Tiermerkmale. Hier finden sich unter anderem Vergleiche mit Körperteilen von Tieren und tierische Verhaltensweisen der Figuren wie ein unkultiviertes Essverhalten, der Gang auf allen Vieren, eine primitive Lebensweise sowie Sprachverlust oder Sprachveränderung. Während Tierkörperteile nur bei den Beschreibungen genuiner Hässlichkeit eine Rolle spielen, finden sich tierische Verhaltensweisen auch in Fällen entstellter Schönheit, so zum Beispiel bei Hartmanns Iwein-Figur. „Die Tiermetaphorik ist das spezifische Charakteristikum von Beschreibungen genuiner Hässlichkeit, analog der Blumen- und Edelsteinmetaphorik der Schönheitsbeschreibung.“71 Diese Tiermerkmale erfüllen mehrere Aufgaben: Sie sind Zeichen des Teuflischen und Dämonischen, auch Höllenwesen werden zumeist mit
Für eine Auflistung von Hässlichkeitsmerkmalen soll auf den Attributkatalog bei Seitz verwiesen werden: Seitz (1967): Darstellung häßlicher Menschen, S. 29–43, ebenso auf die Ausführungen bei Mennie: Mennie, Duncan M. (1933): Die Personenbeschreibung im höfischen Epos der mhd. Epigonenzeit. Eine Stiluntersuchung. Inaugural-Dissertation Kiel. Kiel: Eduart Klinz Buchdruck-Werkstätten Halle (Saale). 70 Vgl. Seitz (1967): Darstellung häßlicher Menschen, S. 48. 71 Seitz (1967): Darstellung häßlicher Menschen, S. 49. 69
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Tierkörperteilen ausgestattet72; sie sind Metaphern des Hässlichen, und sie deuten wie bei den Wilden Männern und Frauen auf tierische Charakter- und Verhaltenszüge hin, so zum Beispiel auf extreme Aggressivität oder übersteigerte sexuelle Lust. Das häufigste Merkmal sind die Eberzähne, die anderen Merkmale variieren. Die Verwendung von Krankheitsmerkmalen zur Schilderung körperlicher Hässlichkeit – und nicht zur Beschreibung einer tatsächlich vorliegenden Krankheit – tritt in den analysierten Romanen nur bei Heinrichs Crône auf. Der ackerkneht, der in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnliches Exempel mittelalterlicher Hässlichkeitsbeschreibungen ist, wird mit Attributen geschildert, die eindeutig auf eine Krankheitssymptomatik rekurrieren, vor allem in Bezug auf die verunstaltete Haut des Wesens, der Heinrich große Aufmerksamkeit schenkt. Das Attribut, welches im Hinblick auf die Hässlichkeitsbeschreibungen im höfischen Roman am häufigsten Erwähnung findet, ist jedoch die varwe. Die varwe kann die Körperlichkeit einer Figur im Allgemeinen charakterisieren oder aber einzelne Körperteile kennzeichnen. Bereits Mennie erfasst diese besondere Funktion der Farben für die Figurenbeschreibungen und konstatiert: „Die Farbe der beschriebenen Gegenstände spielt im ganzen eine bedeutendere Rolle als ihre Form.“73 Für eine allgemein hässliche Erscheinung spricht ein dunkel gefärbter Körper beziehungsweise eine nicht ihrer natürlichen Farbe entsprechende, verfärbte Hautoberfläche. Schwarz und andere, entsprechend dunkle Kolorierungen spielen dabei die größte Rolle. Zur Schwarzfärbung der Haut können noch (krankhafte) Hautveränderungen und eine tierähnliche Behaarung hinzutreten.74 Auf dieses Beschreibungsmerkmal wird im Exkurs zur schwarzen Hautfarbe unter 3.2.1.1. detailliert eingegangen. Neben dem Schwarzen finden sich im höfischen Roman aber auch noch andere Hautverfärbungen. Heinrich von dem Türlîn ist besonders einfallsreich, wenn es um Körperfarben geht, er benennt außer dem üblichen Schwarz auch noch Grün, gemischt mit Schwarz, als Hautfarbe für den ackerkneht, ebenfalls ein eindeutiges Merkmal des Hässlichen. Ähnlich verhält es sich auch mit einer alten Frau in der ersten Wunderkette der Crône, die auf einem Teufelstier reitet und einen nackten Mohren an einer Leine mit sich führt. Insgesamt ist ihre Erscheinung von faszinierender Zum Erscheinungsbild des Teufels in mittelalterlicher Kunst und Literatur, auch zur Hybridität seiner Beschreibungstradition vgl. Hammer, Andreas (2009): Ordnung durch Un-Ordnung. Der Zusammenschluss von Teufel und Monster in der mittelalterlichen Literatur. In: Geisenhanslüke, Achim; Mein, Georg; Overthun, Rasmus (Hg.): Monströse Ordnungen. Zur Typologie und Ästhetik des Anormalen. Bielefeld: Transcript-Verl. (Literalität und Liminalität, 12), S. 209–256, hier S. 218ff. 73 Mennie (1933): Personenbeschreibung, S. 92. 74 So weist auch Ulrich Ernst [2007: Haut-Diskurse] eine Verfärbung oder Veränderung der Hautoberfläche als zentrales Merkmal des komplexen Phänomens der Hässlichkeit aus: „Wiewohl als eine Privation des Schönen begriffen, erweist sich Hässlichkeit im Mittelalter als ein semiotisch hochkomplexes Phänomen, das in pluraler Weise wahrgenommen und bewertet wird, wobei der Faktor Haut stets eine zentrale Rolle spielt.“ (S. 172) Die Außenseiter der höfischen Welt, so Ernst weiter, werden nicht zuletzt durch die devianten Proprietäten ihrer Haut visuell stigmatisiert und deklassiert. (vgl. S. 176) 72
Hässlichkeit und ihre farbigen Limitierungen in der höfischen Literatur
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Farbigkeit: Sie reitet auf einem gehörnten Tier, dessen Haut grüene als ein gras [Cr, V. 14153] ist. Das Reitzeug des gehörnten Ungetüms ist rôt als ein bluot [Cr, V. 14161]. Die alte Frau selbst ist zwar prachtvoll gekleidet, ihre körperlichen Attribute aber sind unzweifelhaft hässlich. Neben eisgrauem [îsgrâ, Cr, V. 14169], langem, offenem Haar, von einem goldenen schapel gehalten, hat sie eine auffällige Hautfarbe: Undern ougen was sie gel / Und gar tôtlîche getân [Cr, V. 14173f.]. Neben der todesähnlichen (bleichen) Hautfarbe sind ihre Augen brennend und scheinen wie ein Feuer zu glühen. Eine gelbliche beziehungsweise grünliche Hautfarbe erwähnt bereits Wackernagel, für ihn steht sie als Zeichen für Neid, gehässige Leidenschaft, Lust, Seelenängste, Not, Angst, Erschrecken, Fasten, Trauer oder Krankheit.75 Auch bei Heinrich ist die gelbe Hautfarbe ein deutliches Anzeichen für körperliche Hässlichkeit, und in diesem Beispiel wohl auch Indiz der Zugehörigkeit zu einer höllischen Sphäre. Die Wunderketten werden oft als Abbild des höllischen Fegefeuers gelesen76 und diese teuflische Schergin, die den Mohren, den sie mit sich führt, unablässig quält und geißelt, spricht eindeutig für diese Lesart. Bei den Beschreibungen entstellter Schönheit ist ein erblichenes oder farbloses Gesicht die Regel. Das Gesicht kann missevar77 sein, also bunt, verfärbt, entfärbt oder von übler Farbe, wie beispielsweise bei Gauriel78, als er realisiert, dass er seine (Mahrten-)Dame verraten und das Schweigetabu gebrochen hat: Er wird zuerst missevar [Gau, V. 139] und gleich darauf schamerôt [Gau, V. 144]. Eine andere Möglichkeit ist, die Haut als entfärbt darzustellen, wie bei Rual, dessen Gesicht aufgrund seiner langen, anstrengenden Suche nach Tristan an der varwe als abe genam [Tr, V. 3790]. Auch kann die schöne (Haut-) Farbe verbleichen, so zum Beispiel in Heinrichs von Freiberg Tristan-Fortsetzung. Tristan in seiner Narrenverkleidung zeichnet sich durch eine bleiche Gesichtsfarbe aus, der Erzähler merkt an: daz vleisch ist dir entwichen, / die varbe ist dir verblichen [Hein-
Vgl. Wackernagel (1872): Farben- und Blumesprache, S. 148. Vgl. dazu Wyss, Ulrich (1981): Die Wunderketten in der ,Crône‘. In: Alexander Cella und Peter Krämer (Hg.): Die Mittelalterliche Literatur in Kärnten. Vorträge des Symposions in St. Georgen/ Längsee vom 8. bis 13. 9. 1980. Wien: Halosar, S. 269–291: Wyss weist darauf hin, dass vor allem die erste Wunderkette, zu der die totenfarbige Frau gehört, eine starke Affinität zur Todesthematik zeigt und der Weg der ersten Kette bis zu dem rätselhaften Schloss an ihrem Ende ein Weg durch Todesbilder ist. (S. 275, S. 278) Insgesamt, so stellt Wyss fest, ist für die Wunderketten ein Zusammenhang zwischen der Farbigkeit, d.h. der quantitativen Zunahme von Farbnennungen und Farbvaleurs der Szenen und der gesteigerten Komplexität und Handlungsdichte zu erkennen (vgl. S. 274). Zur Farbigkeit u.a. der Wunderketten, aber auch anderer Szenen der Crône vgl. insbesondere Lauer (2011): Bunter Zufall. 77 Vgl. hierzu den Eintrag missevar in: Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.1, Sp. 2173. missevar bedeutet: von verschiedenen Farben, bunt, von übler Farbe, entfärbt, entstellt, fahl oder bleich. 78 Der Gauriel-Roman wird hier zitiert nach folgender Ausgabe: Konrad von Stoffeln (1885): Gauriel von Muntabel. Eine höfische Erzählung aus dem 13. Jahrhunderte, zum ersten Male herausgegeben von Ferdinand Khull. Graz: Leuschner & Lubensky. Im Folgenden werden Zitate aus dem Roman mit dem Kürzel Gau markiert. 75 76
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richs Tristan und Isolde, V. 5103f.].79 Farblosigkeit beziehungsweise das Entweichen der gesunden Hautfarbe ist ein reversibles Merkmal körperlicher Hässlichkeit, das die Figur in ihrer sonst vorherrschenden Schönheit aber nicht bleibend schädigt. Außer dem Gesicht beziehungsweise der Hautfarbe der Figur im Allgemeinen können auch andere Körperteile und Merkmale in ihrer Farbigkeit gesondert benannt werden. Die dort verwendeten Farben stehen oftmals in direktem Kontrast zu den Farben des entsprechenden Körperteils, welche das höfische Schönheitsideal vorgibt. So sind die Haare der hässlichen Figuren nicht blond, glänzend und lockig analog zu den Schönheitsbeschreibungen, sondern lang, verfilzt, zottig, beim Meerwesen in der Crône gleichen sie sogar Fischflossen [har sam vischflozen, Kr, V. 972]. Ihre Farbe kann schwarz, grau und schmutzig oder durch Ruß gefärbt sein. Das Haar von negativ konnotierten Figuren ist mitunter auch rot, was dann meist auf einen aggressiven, falschen oder untreuen Charakter verweist.80 So weist Schausten darauf hin, dass man das rote Haar des roten Ritters Ither in Wolframs Parzival als Hinweis auf eine hinter der höfischen Rüstung verborgene bedrohliche Affektstruktur verstehen kann.81 Das Rot, so Schausten, stehe dort im Verbund mit der Rüstung für Tod und Verhängnis, für mangelnde Affektkontrolle, es stehe für die Eitelkeit desjenigen, der sich seiner bedient, bei Wolfram stehe es aber gleichzeitig auch für den besonders höfischen Status ihres Trägers.82 Auf die einsinnige Deutung, nach der rotes Haar auf einen unredlichen Charakter hindeutet, rekurriert auch der Erzähler im Wigalois. Dort wird über den Grafen Hojir von Mannesvelt, der neben einer gänzlich rot gefärbten Rüstung auch feuerrotes Haar und einen ebenso roten Bart hat, gesagt: Im was der bart und daz hâr beidiu rôt, viurvar. von den selben hœre ich sagen daz si valschiu herze tragen; des gelouben hân ich niht: swie man den getriuwen siht, in swelher varwe er schînet, sîn herze sich doch pînet ûf triuwe und ûf güete. ob ein valscher blüete als ein rôse diu dâ stêt, Heinrichs von Freiberg Tristan-Fortsetzung ist hier zitiert nach folgender Ausgabe: Heinrich von Freiberg (1993): Tristan und Isolde. Fortsetzung des Tristan-Romans Gottfrieds von Straßburg. Originaltext (nach der Florenzer Handschrift ms. B.R.226) von Danielle Buschinger. Versübersetzung von Wolfgang Spiekwok. Greifswald: Reineke-Verlag. 80 Vgl. hierzu bereits Wackernagel (1872): Farben- und Blumensprache, S. 172. Er führt den Ursprung dieser Assoziation auf die Tierfabel zurück, in der dem roten Fuchs die Rolle des Listigen, Untreuen zukommt. Von dort, so Wackernagel, gelangt der Verruf der roten Haare über die Klosterdichtung an den Menschen, dies wird nach 1000, hauptsächlich um 1200 allgemeine Auffassung. 81 Vgl. Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 476. 82 Vgl. Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 478. 79
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ûz im doch niwan valschez gêt. swie sîn hâr ist getân, ist et er ein getriuwer man, diu varwe im niht geschaden kann. [Wg, V. 2841–55] (Sein Bart und Haupthaar waren rot, ja, feuerrot. Über solche Männer höre ich reden, daß sie einen unredlichen Charakter besitzen. Diesen Glauben teile ich nicht: Den Getreuen, in welcher [Haar-]Farbe er sich auch immer zeigt, zwingt sein Herz stets zur Treue und zur Güte. Selbst wenn ein Treuloser wie eine Rose blühen würde, so kommt doch nur Unredliches aus ihm. Wie auch immer sein Haar beschaffen ist, wenn er nur ein getreuer Mann ist, so kann ihm die Haarfarbe keinen Nachteil bringen.)
Hoijr ist eine negativ konnotierte Figur, der rote Ritter ist als Gegenspieler für Wigalois angelegt – aber er wird nie ausdrücklich als hässlich beschrieben. Auch ist er, ähnlich wie der Rote Ritter in Wolframs Parzival, zugleich als überaus höfischer Ritter markiert, der große Ehre im Kampf erworben hat. Hojirs rotes Haar darf mithin nicht als ein untrügliches Zeichen für einen unredlichen Charakter gelesen werden, obwohl man diese Behauptung oft höre, darauf insistiert der Erzähler. Die Szene spielt mit den dem roten Haar zugeordneten Assoziationen von Aggressivität und Unredlichkeit, die offenbar dem Publikum weitläufig bekannt waren. Die Haarfarbe, so der Erzähler, könne den ehrenhaften Mann nicht beeinflussen, er sei treu, egal welche Haarfarbe er habe. Im Gegensatz dazu könne der Treulose schön wie eine Rose sein, und doch stets für Unredlichkeit bürgen. Die Haarfarbe, so die Schlussfolgerung, lasse keine eindeutigen Schlüsse zu. Ähnlich wie mit dem Haar verhält es sich mit Bart und Brauen der Figuren, sie sind ebenfalls übermäßig lang, verfilzt, struppig und zumeist grau. Auch bei den Schönheitsbeschreibungen sind die Augenbrauen meist dunkel, schwarz oder braun, allerdings auch kontrastiv fein gestrichen wie mit einem Pinsel. Das graue Haar der Hässlichkeitsbeschreibungen greift hingegen auf den Kontext der Alterstypologie zurück. Die Augen sind meistens tief liegend, übermäßig groß, manchmal auch rot entzündet. Ihre Farbe wird als Gegensatz zu den strahlenden, lichten Augen des Schönheitsideals als brennend und/oder rot beschrieben. Die Wangen sind nicht hell und rosig, sondern eingefallen, runzelig und können fahl, bleich oder kränklich sein. Der Mund ist oft breit, was wiederum auf die Tiermetaphorik verweist, und bleich, im Gegensatz zum kleinen, rosigen Mund der Schönheitsbeschreibung. Eine besondere Farbigkeit hat der Mund Cundrîes im Parzival: Er wird bei ihrem zweiten Auftritt sogar als veilchenblau [als ein vîol weitîn, Parzival, V. 780,22] beschrieben. Die Zähne sind oft groß, scharf und ähneln Tierzähnen (insbesondere Eberzähnen). Im Gegensatz zur Elfenbeinfarbe der Schönheitsbeschreibung sind sie gelb oder schwarz und schartig.83
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Ein besonders illustres Beispiel der Zahnfarbe bietet wiederum die Crône: Die Zähne des ackerknehts sind rostfarben, schwarz und rot verfärbt. [Cr, V. 19693ff.]
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3.2.1.1 Schwarze Haut als Hässlichkeitsattribut. Ein Exkurs. Eine schwarze Hautfarbe und die dazugehörigen, eine dunkle Kolorierung umschreibenden Farbbezeichnungen wie ,wie ein Mohr‘, ,wie Ruß/Rost‘ oder ,wie Eisen‘ sind ein häufig auftretendes Merkmal in den Schilderungen körperlicher Hässlichkeit im höfischen Roman.84 Es finden sich zahlreiche „schwarze Männer“ und auch „schwarze Frauen“ in der mittelalterlichen volkssprachlichen Literatur. In beinahe jedem größeren Text werden die Adjektive swarz oder morvarn verwendet. Die damit bezeichneten Figuren sind nicht alle als môren zu identifizieren, die „Mohrenschwärze“ ist also zu dieser Zeit kein rein rassistisch konnotiertes Attribut.85 Im arturisch-höfischen Roman scheint das Motiv der schwarzen Hautfarbe generell nur selten an die ethnografische Herkunft einer Figur gebunden zu sein. So sind hier vor allem die Wilden Männer und Frauen, Figuren mit Ursprüngen unter anderem in der keltischen Mythologie, schwarzhäutig. Grundlegend ist eine schwarze Hautfarbe auf drei Ursprungsmöglichkeiten zurückführen: 1) eine Herkunft aus einem exotischen Land, die die Figur als môren und/oder Heiden kennzeichnet, 2) die Schwärze aufgrund von Sündhaftigkeit oder Schuld der Figur, oftmals in Verbindung mit einer Abstammung von einer biblischen Sünderfigur wie den Adamstöchtern oder 3) als Symptom einer körperlichen oder psychischen Krankheit. Die schwarze Hautfarbe ist eine Grenzfarbe par excellence, sie markiert eine Scheidelinie in topographischer Hinsicht (Orient – Okzident, diesseitige Welt – Höllensphäre) sowie in normativer Hinsicht (gesund – krank, kulturell eigen – fremd, gute Gesinnung – böse Gesinnung). Beispielsweise ist eine grauenvolle Bauernfigur aus der ersten Wunderkette der Crône von Kopf bis Fuß Gar swarz als ein ram [Cr, V. 14288] (schwarz wie Ruß). Besonders detailliert geschildert ist die Hautfarbe des fremden Ritters (Meerwesen) zu Beginn der Crône, welcher die Becherprobe initiiert. Der Erzähler stellt das Wesen als an des leibes strach kranch [Cr, V. 948] vor, über seine Hautfarbe wird gesagt: Ein vrömdiv varbe überzoch / Swartz, gra vnd ysenvar / Hend vnd antlütz gar [Cr, V. 975–977] (Eine merkwürdige Farbe überzog schwarz, grau und eisenfarben Hände wie Antlitz). Besonders bei diesem Meerwesen werden, so auch Lauer (2011): Bunter Zufall, S. 445, buntes Äußeres in Form von prachtvoll-höfischer Kleidung und dunkle Körperfarbe kontrastiert. Am Körper des Wesens differenziere sich das monochrome Schwarz der andersweltlichen Figur nochmals in einen Dreiklang schwarzer Farbschattierungen und sei somit signifikant der dunklen Seite der Fortuna zugeordnet. (vgl. S. 445) 85 Zum rassistischen Diskurs in der mittelalterlichen Literatur, insbesondere im Bezug auf schwarze Hautfarbe, vgl. Schausten (2006): Suche nach Identität, S. 89–99. Die Theologen der Spätantike und des Mittelalters interpretieren den antiken Klimadiskurs, nach welchem sich schwarze Hautfarbe unter dem Einfluss großer Hitze entwickle, um, und verstehen die dunkle Haut als Zeichen der Sündhaftigkeit des Menschen, die sich über eine Nachkommenschaft von Noahs Sohn Ham erklärt. Über diese Abkunft werden schwarzhäutigen Menschen negative Eigenschaften zugeschrieben, so etwa sie seien nicht vernunftbegabt, hätten kein Verständnis für Recht und Religion, des Weiteren wird der schwarze Körper animalisiert und sexualisiert, indem er mit dem eines Tieres verglichen wird. (vgl. S. 95) Hier wird der schwarze Körper stereotyp dem weißen als inferior untergeordnet. Diese Aussagen, so Schausten weiter, stehen allerdings in direktem Kontrast zu denen des Augustinus, der alle Menschen in ihrem Ursprung auf Adam zurückführt. 84
Hässlichkeit und ihre farbigen Limitierungen in der höfischen Literatur
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Die Bewertung der schwarzen Haut variiert je nach Textsorte, Quelle und Kontext des Auftretens der schwarzhäutigen Figur. Grundsätzlich ist die Ausgangssituation zur Bewertung der schwarzen Hautfarbe im Mittelalter nach Mielke aber die folgende: Im Mittelalter bestehen mehrere Traditionen der Bibelexegese nebeneinander, die zum Teil ohne nähere Begründung die ästhetische Qualität schwarz mit der ethischen Qualität schlecht oder böse gleichsetzen. Mittelalterliche Auffassungen, nach denen die schwarze Hautfarbe negativ interpretiert wird, gehen auf verschiedenartige exegetische Versuche zurück. In der Bibelexegese werden Afrikaner entweder als Nachkommen Kains (Schwärze als Kainsmal) oder als Nachkommen von Noahs Sohn Ham (Schwärze als Fluch) verstanden.86
Der ikonographischen und literarischen Traditionslinie aus der Antike folgend wird die schwarze Hautfarbe in der mittelalterlichen Literatur zumeist als Ausweis des Bösen und Unterweltlich-Dämonischen gesehen. In der christlichen Tradition wird sie auch mit der Teufelsschwärze gleichgesetzt. Seit etwa dem 3. Jahrhundert gehört die schwarze Farbe in Literatur und bildender Kunst zur Charakterisierung des Teufels, vor allem in Verbindung mit Tierattributen wie scharfen Zähnen und Klauen. Gleichzeitig ist die dunkle Hautfarbe aber auch ein lebensweltlich bekanntes Merkmal, das meist mit einer fremden, räumlich weit entfernten Kultur gleichgesetzt wird. Vor allem in der altfranzösischen Literatur wird dieses Kennzeichen vom jeweiligen Herkunftsland abstrahiert und zu einem Symbol. Die Heiden als Gottesgegner sind schwarz, gleich, aus welchem Land sie stammen. Sie werden über die Schwärze der Sphäre des Bösen zugeordnet, jedoch nicht direkt als Teufel angesehen.87 Die schwarze Haut dient hier vielmehr als ein Mittel zur Unterscheidung, zur Ab- und Ausgrenzung. So auch Ernst: Angesichts der im Mittelalter fast selbstverständlichen binären Identifizierung von hell mit gut auf der einen, dunkel mit böse auf der anderen Seite frappiert es nicht, dass schwarze Haut im Kontext der Hässlichkeit jederzeit zur Diskriminierung von politischen und religiösen Gegnern eingesetzt werden kann […].88
In der Wiener Genesis schließlich werden die Teufelsschwärze, die schwarze Haut als Merkmal des Heiden und die über eine ethnische Zugehörigkeit begründete dunkle Hautfarbe zu einem einzigen Hässlichkeitsmerkmal zusammengeschlossen, das sowohl auf einen negativen Charakter als auch lediglich auf die Herkunft aus einem entfernten Land verweisen kann.89 Das Attribut „schwarze/dunkle Haut“ kann also mit einem ethnographischen Bezug oder ganz ohne einen solchen genutzt werden. 88 89 86 87
Mielke (1992): Nigra sum et formosa, S. 72, Hervorhebungen im Original. Vgl. Seitz (1967): Darstellung häßlicher Menschen, S. 74. Ernst (2007): Haut-Diskurse, S. 170f. „Die Negativität ist keine Erfindung der deutschen Literatur, sondern kommt aus den unterschiedlichsten Quellen. Der Mythos von den Töchtern Adams stammt aus der jüdischen Mythologie, die Geschöpfe der Wiener Genesis in ihrer Variation aus mythologisierender oder wenigstens fabulierender griechischer Landeskunde in der Tradition HERODOTS oder aus der Historia naturalis des Römers GAIUS PLINIUS SECUNDUS [d.Ä.], Schriften und Sehweisen, die durch Kirchenväter wie den spanischen Bischof und etymologisierenden Enzyklopädisten ISIDOR VON SEVILLA im
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Sind so die schwarzhäutigen Figuren auch zumeist negativ konnotiert, finden sich trotzdem Beispiele, in denen die Schwärze der Haut nicht als grundlegend hässliches Körpermerkmal markiert ist, sondern als ein Zeichen kultureller Fremdheit, das unter Umständen auch anziehend und faszinierend wirken kann, als verführerische Schwärze, der eine sexuell-attraktive Note zukommt. Ohne negative Bewertung ihrer schwarzen Hautfarbe erscheint etwa die Braut im Hohelied. Dort heißt es: „Ich bin schwarz aber schön.“ (Nigra sum sed formosa, Cant 1,5).90 Auf der literalen Ebene könnte es sich bei der Braut um eine schwarzhäutige Afrikanerin handeln, doch selten wird Sulamith als solche interpretiert. Die Auslegungstraditionen zur schwarzen Braut sind vielfältig, die meisten Exegeten jedoch nehmen ihre Schwärze nicht wörtlich. Sie wird als Zeichen für Maria, die Kirche oder die Seele ausgedeutet.91 Vor allem die frühen Exegeten Hippolytus und Ambrosius allegorisieren die schwarze Sängerin als die Seele, die durch den Sündenfall geschwärzt ist.92 Trotz aller Versuche, ihre schwarze Hautfarbe abzuwerten oder einzig als allegorisches Symbol, nicht aber als tatsächliche Erscheinung zu lesen, kann man in der Braut des Hoheliedes einen Ansatz zur positiven Anerkennung der schwarzen Schönheit lesen. Bernhard von Clairvaux gesteht ihr eine potentielle innere Schönheit zu, die allerdings nach der Reinigung der Seele vom Schwarzen verlangt. Dies geschieht durch die Taufe.93 Die Schwärze der Braut ist für Bernhard ein Oberflächenphänomen, in ihrem Inneren verbirgt sich Tugend.94 Sulamith – zusammen mit einer Reihe anderer biblischer schwarzhäutiger Frauen – ist weder böse noch hässlich. Vielmehr wird ihr erotisch-sexuelle Anziehungskraft zugeschrieben. Dieser Aspekt wird überdeutlich auch in Wolframs Parzival aufgegriffen. Belakane, die schwarze Königin aus Zazamanc, zeichnet sich durch Nachtschwärze aus, nicht durch das Weiß und Rot aus dem Schönheitskatalog: sie hete wîplîchen sin, / und was aber anders ritterlîch, / der touwegen rôsen ungelîch. / nâch swarzer varwe was ir schîn, (Parzival. V. 24,10f.) (Wohl war sie von fraulichem
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gesamten christlichen Abendland aufgenommen, theologisch ausgestaltet und verbreitet wurden.“ Mielke (1992): Nigra sum et formosa, S. 85, Hervorhebungen im Original. Canticum Canticorum 1,5, in: NOVA VULGATA (1979). BIBLIORUM SACRORUM. EDITIO. SACROS. OECUM. CONSILII VATICANI II RATIONE HABITA, IUSSU PAULI PP VI RECOGNITA AUCTORITATE IOANNIS PAULI PP. II PROMULGATA. Rom: Libreria Ed. Vaticana, hier S. 1061. Laut Ernst ([2007]: Haut-Diskurse, S. 168) identifiziert Alanis ab Insulis die Braut des Hohelieds als Maria. Diese mariologische Exegese erklärt ebenfalls die Aufwertung der schwarzen Hautfarbe, welche sie im religiösen Kontext des Hochmittelalters erfährt, was sich auch im Aufkommen der schwarzen Madonnen zeigt. Vgl. Mielke (1992): Nigra sum et formosa, S. 80. Vgl. Mielke (1992): Nigra sum et formosa, S. 81. Dazu auch Schausten (2006: Suche nach Identität, S. 96ff.): Die schwarze Schönheit ist ein Oxymoron, die äußere, falsche Erscheinung bezeichnet die innere, substantielle Realität. In der Ausdeutung meint das, dass jedem Christen die Sündhaftigkeit seines Erdenlebens äußerlich anhaftet, aber er kann sie erkennen und sich davon abwenden und sich auf die Seele konzentrieren. In Bernhards Identitätskonzept, so Schausten, sei die äußere Erscheinung zweitrangig, sie kann sogar mit der inneren Tugend im Gegensatz stehen.
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Wesen und feingebildet, doch nicht wie die taubenetzte Rose, denn sie war tiefschwarz.) Trotzdem stehen Belakanes Schwärze und ihre Schönheit für Wolfram nicht im Widerspruch.95 Ihre Attraktivität wirkt auf den Ritter Gahmuret in erotisch-sexueller Weise anziehend, aus der Verbindung der beiden entspringt der elsternfarbene, also schwarzweiß gefleckte Feirefiz96, der Anteil an beiden Welten hat. Feirefiz wird ebenfalls nicht als hässlich bezeichnet, obwohl sein Körper teilweise schwarz ist. Vielmehr wird bei seinen Beschreibungen das Wunderbare, Außergewöhnliche seines Aussehens hervorgehoben – er trägt ein vremdiu mâl97 [Parzival, V. 758,5] (ungewöhnliches, wunderbares Zeichen) und waehen schîn98 [Parzival, V. 758,8] (herrliches, wundersames Aussehen).99 Parallel zur Aufwertung des Schwarzen erfolgt auch eine Markierung des Weißen als potentiell trügerisch, wie zum Beispiel im Rolandslied: die Verräterfigur des Genelun ist weißhäutig und doch kein vertrauenswürdiger Alliierter. Diese Diskrepanz zwischen Schönheit, weißer Haut und Treulosigkeit tritt auch in anderen Werken zutage.100 Es gibt also ebenfalls Beispiele, in denen die schwarze Farbe nicht als negatives Attribut gedeutet wird, und ebenso viele, in denen andere Hautfarben Negativität ausdrücken, zum Beispiel bleich, blass, gelb, grau, grün, rosa, rot und weiß, insbesondere dann, wenn das betroffene Körperteil normalerweise anders gefärbt ist. Einseitig davon auszugehen, dass das Mittelalter die schwarze Hautfarbe als negativ bewertet, greift folglich zu kurz. Vielmehr erscheint Schwärze als ein Phänomen, gelagert zwischen religiös geprägter Ablehnung, Faszination des Fremden, Geheimnisvollen und einem erotisch motivierten Interesse, das meist den weiblichen schwarzhäutigen Figuren vorbehalten bleibt und diesen trotz ihrer Schwärze exotische Schönheit zugesteht. Nachdem die Formen, Quellen und die dazugehörigen äußerlichen Attribute der körperlichen Hässlichkeit im Mittelalter und ihre Erscheinungsformen speziell im Hinblick Schausten (2006: Suche nach Identität) weist darauf hin, dass es vor allem der Unterschied zwischen den Hautfarben von Belakane und Gahmuret ist, der die Erotisierung des schwarzen Körpers der Königin hervorruft, nicht die schwarze Haut per se. (vgl. S. 85) Zur Belakane-Figur vgl. auch Martin, Peter (1993): Schwarze Teufel, edle Mohren. Hamburg: Junius, hier S. 26ff. 96 Als ein agelster wart gevar [Parzival, V. 57,27]. 97 Vgl. Eintrag vremde, vremede, vrömde, vrömede in: Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.3, Sp. 500. vremde kann fremd, zu einem anderen gehörend oder nicht eigen (im Gegensatz zu einheimisch) bedeuten, aber auch fern (im Gegensatz zu nahe), auffallend, befremdlich, seltsam, wunderlich, sonder-/wunderbar (im Gegensatz zu vertraut), selten oder nicht vorhanden. 98 Vgl. Eintrag wæhe in: Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.3, Sp. 641. wæhe bedeutet: glänzend, schön, fein, kunstreich, zierlich, kostbar, schmuck, stattlich, sich auf zierliche Arbeit verstehend, gut, angemessen, wert oder lieb. 99 Wolfram, so Ernst, spiele im Parzival verschiedene Facetten der Fremderfahrung über die Wahrnehmung der visuellen Hautoberfläche aus, die hohen Stellenwert einnehme. (2007: Haut-Diskurse, vgl. S. 165) So erweise sich z.B. die schwarze Haut Belakanes als erotischer Faszinator, gleichzeitig sei sie aber auch Repräsentant eines kulturellen Zeichensystems. Wolfram rücke somit vom fixen Modell einer Harmonie von Innen und Außen ab und spiele stattdessen mit der Diskordanz von Haut und Herz. (vgl. S. 172) 100 Vgl. hierzu Mielke (1992): Nigra sum et formosa, S. 97. 95
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auf die Farbigkeit näher betrachtet worden sind, soll nun der Fokus auf die Rolle des Hässlichen im höfischen Artus- und Tristanroman gelegt werden, der ihm einen spezifischen Zweck zuordnet: den der Codierung des Nicht-Höfischen. In der Kontrastierung des Höfisch-Schönen mit dem Nichthöfisch-Hässlichen entsteht für die höfische Gesellschaft die Möglichkeit zur Selbstdefinition über die Ausgrenzung nach außen sowie über die Re-Inklusion zeitweilig hässlicher Figuren, nachdem die Phase der äußerlichen Entstellung durchlaufen worden ist.
3.3 Hässliche Körper im höfischen Artus- und Tristanroman: Eine exemplarische Analyse ihrer Semantiken und Funktionen 3.3.1 Hässlich im Sinne von nicht-höfisch Trotz der konzeptuellen Aufwertung, die das Hässliche vor allem auf der Grundlage theologischer Theorien erfährt, fokussiert der höfische Roman in seinen Personenbeschreibungen das Ideal, die Kongruenz von Innen und Außen. Der höfisch-universelle Blick richtet sich weniger auf das Einmalige oder Besondere, sondern auf die Idealität der Figur, und ideal ist, was schön, gut und höfisch ist. Das Hässliche und Böse, das Deformierte, Disproportionale ist Zeichen des Nicht-Ritterlichen, ist ein Kontrast, im Umgang mit demselbigen wird die courtoise Welt bestätigt. Das Hässliche ist nicht zwingend mit dem Bösen, aber stets mit dem Unhöfischen verknüpft.101 In der ästhetischen Phänomenologie des klassischen Artusromans markieren Schönheit und Hässlichkeit, das menschliche Ebenmaß und sein Gegenbild, grundsätzlich die Grenzen des Höfischen und des Antihöfischen. Das Hässliche als Gegenbild ist dabei dem Schönen aber stets untergeordnet, eine tatsächliche Gleichberechtigung besteht nicht. Dem Gegensatzpaar schön/ hässlich entspricht hier das Wertepaar höfisch/unhöfisch. Das Hässliche ist dabei nicht das Abbild einer völlig aus der Ordnung gelaufenen Wirklichkeit, sondern es bleibt Teil des Prozesses, den der Held zu bewältigen hat. Das Negative erscheint als Funktion des Positiven. Insbesondere die volkssprachlichen Texte um 1200 zeigen ein auffallendes Interesse an den Wundern und Rätseln des Fremden und Außergewöhnlichen: Über die Gattungsgrenzen hinweg ist eine Sensibilität für das Andersartige, ein Interesse am Seltsamen und Abnormen spürbar, und offenkundig machen das ,Unheimliche‘, das ,Schreckliche‘ und ,Ungeheuerliche‘ einen guten Teil der Faszination jener Werke aus. Das Monströse scheint dem elementaren Bedürfnis nach einer Wunschwelt des Geheimnisvollen und der Lust am Dunklen zu entspringen.102 Vgl. Dallapiazza (1985): Häßlichkeit und Individualität, S. 411. Giloy-Hirtz, Petra (1991): Begegnung mit dem Ungeheuer. In: Kaiser, Gert (Hg.): An den Grenzen höfischer Kultur. Anfechtungen der Lebensordnung in der deutschen Erzähldichtung des hohen Mit-
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Besonders die Märchenwesen der Artusromane, die sich vor allem aus Motiven der matière de Bretagne speisen, sind weder allein dem Überlegenheitsgestus der höfisch-ritterlichen Elite ausgesetzt, noch befriedigt ihr Vorkommen in den Romanen eine bloße curiositas des Publikums. Ebenso sind diese Figuren nicht durchweg einer Diffamierung eines mit ihnen assoziierten christlich konnotierten Bösen preisgegeben. Vielmehr definieren diese Abweichungen vom höfischen Muster des Schönen und Guten gerade erst die höfische Norm. Indem am Beispiel der je different konkretisierten Märchenwesen verhandelt und festgelegt wird, was abseits der Norm liegt, wird diese klarer umrissen, denn, sieht man wie Foucault das Monströse als „großes Modell aller kleinen Abweichungen“103, dann hängt die Erscheinung des Monströs-Hässlichen von den jeweils kulturhistorisch variierenden Ordnungen, Normen und Normalitäten ab, von denen es abweicht.104 Das betrifft ästhetische Traditionen und Codes, aber auch übergreifende, diskursive Formationen und deren Regeln. Jede Kultur erschafft so ihre eigenen Monster, Figuren mit hohen semiotischen Energien und einer liminalen Stellung, die als paradigmatische Schwellenfiguren zwischen allen Kategorien, Gattungen, Arten, Individuen und Geschlechtern situiert sind.105 Die Begegnung des arturischen Helden mit den depravierten Formen des Hässlichen gerät zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. Auf der Folie des Verzerrten konturieren sich die höfischen Norm- und Wertvorstellungen. Grenzerfahrungen mit dem Anderen beinhalten daher auch immer ein stückweit Selbsterkenntnis und Weltverstehen. Der Kampf gegen die antihöfische Gegenwelt ermöglicht erst die ritterlich-höfische Gemeinschaft, wie auch der Held im Kampf mit dem Gegenspieler seine eigene Identität gewinnt.106 Grundsätzlich sind der Welt des Artusromans monströse, hässliche Gestalten nicht fremd, sie sind wichtiger Bestandteil der fiktionalen Welt des Artushofes und können sogar als Inventar oder Dekor des Hofes auftreten. Meist aber sind diese ohne Belang für den Handlungsverlauf. „Bedeutungstragende“ Ungeheuer hausen außerhalb des Hofes in der Wildnis, wilde hier verstanden als Bereich des Undomestizierten und Unkultivierten. Sie begegnen dem Helden, wenn er auf Suche nach âventiure im Wald unterwegs ist, erscheinen provokativ am Hof oder bedrohen denselbigen. Sie zeichnen sich aus durch ihre Bereitschaft zu Entführung, Vergewaltigung, körperlicher Züchtigung, unritterlicher telalters. München: Fink (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur, 12), S. 167– 209, hier S. 167. 103 Vgl. zum Foucaultschen Begriff des Monströsen: Overthun, Rasmus (2009): Das Monströse und das Normale. Konstellationen einer Ästhetik des Monströsen. In: Geisenhanslüke, Achim; Mein, Georg; Overthun, Rasmus (Hg.): Monströse Ordnungen. Zur Typologie und Ästhetik des Anormalen. Bielefeld: Transcript-Verl. (Literalität und Liminalität, 12), S. 43–79, hier S. 44. 104 Vgl. dazu White [White, Hayden V. (1986): Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses: Einführung. Stuttgart: Klett-Cotta, v.a. S. 177–215], der diese Bestätigung und Definition der eigenen Werte durch dialektische Antithesen als ein „Verfahren der ostensiven Selbstdefinition durch Negation“ (S. 179) bezeichnet. 105 Vgl. Overthun (2009): Das Monströse, S. 51, 106 Vgl. dazu ausführlich Giloy-Hirtz (1991): Begegnung, S. 167ff.
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Kampftechnik und Gewalt. Die Idealität höfischen Verhaltens gewinnt gegenüber diesem Gebaren kontrastiv an Profil. Damit erfolgt eine Definition der eigenen Werte und Normen über den Kontrast mit dem Gegenbild. Im Gegensatz zur lateinischen Dichtung verzichten die klassischen Artusepen auf die extremen Beschreibungen hässlicher und Ekel erregender Details. Sie überlassen es der Fantasie des Publikums, die Signale des Hässlichen mit konkreten Vorstellungen zu füllen. Im nachklassischen und späten Artusroman hingegen werden „die Erscheinungsmerkmale der Ungeheuer aufmerksam registriert und teilweise lustvoll ausgemalt. Es finden sich hier Superlative des Mißgestalteten, Grauenhaften, Furchterregenden, eine Steigerung der Gestalten ins Monströse.“107 Überblickt man die Genese der Epen von den klassischen Artusromanen über Wirnts Wigalois und die Crône bis hin zu späthöfischen Romanen, so stellt man fest, dass die Zahl der hässlichen Figuren zunimmt und dass die Fantasie der Autoren immer neue, auch neu gefärbte, Varianten der bekannten Schemata hervorbringt. Mit dieser (Über-)Steigerung verlieren Schönheit und Hässlichkeit ihre Position im Strukturschema: Das Schöne wie auch das Hässliche kann undurchsichtigunheimlich werden. Die Gegenwelt des Bösen, die so eröffnet wird, ist nicht mehr nur geschaffen, um bezwungen zu werden. Abwehr, Erlösung oder Integration finden oftmals nicht statt.108 Der ideale, krisenlose Held zieht alle Schönheit auf sich, während das Hässliche ihm gegenüber dämonisiert wird und makaber-groteske Formen annimmt.109 Sehr eindrücklich geschieht dies im Wigalois, wo sich der Held mit dem Höllenknecht Roaz und dessen teuflischen Begleitern konfrontiert sieht, und in den grotesken Wunderketten der Crône, die das Bild einer beinahe an Dantes Inferno gemahnenden Fegefeuerszenerie beschreiben.110 Ihr Grauen bleibt auch nach dem Aufeinandertreffen mit dem Helden Gawein bestehen. Die surreale Bilderwelt lässt den Helden erstarren und zum Beobachter werden. Der Kampf gegen die Monstren bleibt in den Wunderketten aus – Gawein reitet schweigend vorüber. Es setzt eine Faszination des Schreckens ein. Die Autoren schöpfen aus der Einbildungskraft des Menschen. Damit einhergehend, so Haug, ist aber auch ein Verlust an ästhetischer Führung und sinnstiftender Form. Die Gegenseite der spätmittelalterlichen Autonomie des Fiktionalen ist ein Verlust der Reflexion dieser neuen Ein Giloy-Hirtz (1991): Begegnung, S. 175. Vgl. Giloy-Hirtz (1991): Begegnung, S. 206. 109 Zur Krisenlosigkeit des Helden und allgemein zur Ästhetik der nachklassischen und späten Romane vgl. vor allem die Arbeiten von Walter Haug: Haug, Walter (1984): Das Fantastische in der späteren deutschen Artusliteratur. In: Göller, Karl Heinz (Hg.): Spätmittelalterliche Artusliteratur. Ein Symposion der neusprachlichen Philologien auf der Generalversammlung der Görres-Gesellschaft Bonn, 25.–29. September 1982. Paderborn u.A., S. 133–149, S. 144f; ders. (1992): Literaturtheorie im deutschen Mittelalter von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. 2., überarb. und erw. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, v.a. S. 259–287, und ders. (1980): Paradigmatische Poesie. Der späte deutsche Artusroman auf dem Weg zu einer ,nachklassischen‘ Ästhetik. In: DVjs 54, S. 204–231. 110 Zu den Wunderketten insbesondere Wyss (1981): Wunderketten, der diese als einen Weg durch Todesbilder und eine Verhandlung der düsteren Seite der Fortuna charakterisiert. 107 108
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bildungskraft, die die Hässlichkeitsdarstellungen im Roman, so Haug, zu einer „ledernhandwerkliche[n] Kunstübung“111 erstarren lasse. Die Autonomisierung der dämonischen Aventiurewelt im nachklassischen und späthöfischen Artusroman setzt die Sinnzuschreibung der Figuren außer Kraft, sie bleiben trotz all ihres Grauens bedeutungslos und blass. Bereits seit Wirnts von Grafenberg Wigalois gewinnt die Darstellung des Hässlichen aber auch eine komische Komponente. Es entsteht eine Stufenleiter, die sich vom symmetrischen Gegenbild des Schönen über die (groteske) Mischung zwischen Mensch und Tier bis zum Umschlag der Verzerrung ins Komische erstreckt.112
3.3.2 Funktionen des Hässlichen im Artusroman Am Hof sind die menschlichen Emotionen der Leidenschaft und des sexuellen Begehrens durch die zeremoniösen Bahnen der höfischen Minne, die Muster der in die Öffentlichkeit des Hofes eingebundenen Liebe, gebändigt und gleichzeitig eingeschränkt, ebenso wie auch Aggressionen und Gewalt durch Rituale und Regulationen des höfischen Zeremoniells kanalisiert werden.113 Gleichzeitig werden die ungezügelten Emotionen der Begierde, der Gewalt und der sexuellen Lusterfüllung im höfischen Roman nicht vollständig ausgeblendet oder verdrängt. Sie werden als Attribute einer wilden, fremden außerhöfischen Sphäre ausgelagert und so gezähmt. Aber, darauf weist Giloy-Hirtz hin, es genügt nicht, das Fremde auszugliedern, der Held muss es beispielhaft und stellvertretend für die Gesellschaft durchleben. So schildert es auch Haug114, für den die bis zum Äußersten getriebene Grenzerfahrung als „symbolischer Durchgang durch den Tod“115 zu verstehen ist: Der Held muss um der höfischen Idealität willen auf das Antihöfische zugehen, muss sich ihm ausliefern, um es überwinden zu können. Die archaischen, ungezügelten Affekte der außerhöfischen Sphäre, die primitive Bewaffnung, die deformierte Gestalt ordnen die hässlichen Wesen in eine Vorzeitigkeit ein, die als der höfischen Welt vorausgehend imaginiert ist. Sie stehen damit für eine Zeit, in der Kultur und Natur noch nicht getrennt waren. Ein Teil der Dynamik des Artusromans ergibt sich aus dieser Opposition des Wilden zur Kultur. Die Romane erzeugen am Beispiel ihrer Protagonisten Spielversionen der Auseinandersetzung des Höfischen mit dem Wilden, die entweder in der Integration des Fremden oder in dessen Vernichtung
Haug (1984): Das Fantastische, S. 149. Dieser Aspekt des Übergangs vom Hässlichen ins Komische wird bereits bei Rosenkranz erläutert vgl. Rosenkranz (1996): Ästhetik des Häßlichen, S. 49–59. 113 Siehe dazu: Fuchs-Jolie, Stephan (2005): Gewalt – Text – Ritual. Performativität und Literarizität im „König Rother“. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, H. 127, S. 183– 207. 114 Haug (1992): Literaturtheorie, v.a. S. 91–107. 115 Haug (1992): Literaturtheorie, S. 96. 111
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enden, so beispielsweise beim Kampf des Helden mit dem Drachen.116 Die Konfrontation mit dem Archaischen fordert den Ritter zur Selbstdefinition heraus, so eindrucksvoll bei Kalogrenants Begegnung mit dem Waldmann im Iwein, der ihn zu einer Definition seiner Aventiure-Absichten veranlasst. Der Ritter sucht das Abenteuer auch in seinen Konflikten mit den hässlichen Figuren des außerhöfischen Wilden, um dadurch êre zu gewinnen, aber gleichzeitig auch, um damit in der Gestalt des Wilden der Aggression und Triebhaftigkeit, der erotischen Wunscherfüllung und Gewalt zu begegnen, die im Roman als aus der eigenen Sphäre ausgelagerte Phänomene gekennzeichnet sind. Diese Begegnung zwingt ihn schließlich zur (Re-)Definition des eigenen höfischen Kodex. In seiner Funktion als Abbild des Fremden lässt das Hässliche auch Mängel der eigenen Identität erkennen und stellt diese aus.117 Mit der Erkenntnis eines Mangels geht die Akzentuierung des Fremden als Attraktion einher. Die literarischen Überlieferungen und Fantasien, die das Fremde betreffen, erregen und erregten zu allen Zeiten die Neugier und den Wissensdurst des Publikums, indem sie auf die Grenzen der eingespielten Vorstellungen von der (eigenen) Welt verweisen. In der Literatur und Geschichtsschreibung des hohen Mittelalters spielen Phänomene des Fremden sowohl untergründig wie expressis verbis eine gewichtige Rolle, insbesondere wenn es um die Bestimmungen des Eigenen, d.h. der Herkunft, Sitten, Werte und Profile eines Volkes (Stammes), eines Standes, einer Gemeinschaft oder einer Gesellschaft zu tun ist. Neben ätiologischen Traditionen werden offenbar auch Gegenbilder benötigt, um die Konturen eines Selbstbildes festzulegen.118
Vor allem die Artusepik kennt eine ausufernde Gegenbildlichkeit, eine ausgestaltete Gegenwelt des Fremden, Unhöfischen, die dazu dient, die starren Grenzen zwischen einer höfisch-zivilisierten und einer natürlich-archaischen Welt zu verwischen und neu zu definieren, während die Heldenepik dies eher in ihrem Bezug auf die mythische Vorzeit und damit über eine Verbindung zur Vergangenheit tut. Die Gegen- und Zerrbilder des Artusromans geben Aufschluss über Konfliktlagen in den Beziehungen der Geschlechter und Generationen des imaginierten höfischen Lebens.119 Ein Spannungsbogen zwischen Dass dabei die Grenzen zwischen dem Wilden und dem Höfischen auch durchaus verwischt und überschritten werden können, zeigt der Kampf Wigalois’ gegen den Drachen Pfetan [Wg, V. 5004– 5140], nach dem er das Bewusstsein verliert und beim Erwachen – ähnlich wie Iwein, als er aus dem Wahn erwacht – seine eigene Identität verkennt und glaubt, er sei ein Bauer [Wg, V. 5790–5940]. Er ist selbst in den Zustand des Wilden versetzt, wähnt sich in seiner Nacktheit als ungehiure [Wg, V. 5831]. Das wilde-Sein ist gedacht als Existenz am untersten Rande eines hierarchischen Kulturzustands. Aus der Ritterrolle gefallen führt der symbolische Durchgang Wigalois durch den Tod zum Wiedererwachen. Der armman wird dabei gleichgesetzt mit dem wilden. Für den Ritter aber ist dieser nicht-kulturelle Zustand immer ein defizienter Seinsmodus. Vgl. dazu auch Giloy-Hirtz (1991): Begegnung, S. 180. 117 Helmut Brall liest dieses Fremde in Anlehnung an Hegels Verständnis des Fremden als einen „Modus des Mangels“. Vgl. dazu näher Brall (1991): Imaginationen, S. 115–119. 118 Brall (1991): Imaginationen, S. 120. 119 Vgl. Brall (1991): Imaginationen, S. 165. 116
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christlicher Grundeinstellung und der Märchenwelt der matière de Bretagne ist der spezielle Charakter des Artusromans. Die volkssprachliche Epik baut ein neues, verändertes Verhältnis zu dem dargestellten Fremden auf: Der Abwehrcharakter und die feindselige Einfärbung werden schwächer, Ausstoßung und Verteufelung sind nicht mehr die alleinigen Optionen zum Umgang mit dem fremden Hässlichen. Die Beziehungsmuster zwischen höfischer Binnen- und gefährlicher Außenwelt werden vielfältiger – als Beispiel sei hier nur erneut die Begegnung Kalogrenants und später auch Iweins mit dem Waldmann zu nennen, die kein feindseliger Kontakt zwischen Ritter und einem Vertreter des Fremden, Monströsen ist. Es bedarf dieser Fremde, der hoffernen Schauplätze, um soziale Rangordnungskämpfe auszutragen.120
3.3.3 Typologie des Hässlichen Die sich nun anschließenden Analysen von Textbeispielen bedienen sich zweier Modelle zur Gliederung der Hässlichkeitsdarstellung im höfischen Artusroman in Kombination: zum einen der Möglichkeit, nach der Typeneinteilung von Paul Michel (1976)121 zu verfahren und nach der Kongruenz beziehungsweise Inkongruenz von Innen und Außen der Figuren zu unterscheiden, und zum anderen nach der Unterteilung von Barbara Seitz (1967)122, die die hässlichen Figuren in Kategorien von 1) genuiner, irreversibler Hässlichkeit und 2) entstellter Schönheit beziehungsweise reversibler Hässlichkeit einordnet. Beide Vorgehensweisen sind miteinander vereinbar und erscheinen für eine nähere Analyse der Figuren fruchtbar. Somit ergeben sich für die folgende Betrachtung zwei (grobe) Kategorien: Zum einen Beispiele genuiner, irreversibler Hässlichkeit, die damit dem Typus ,außen hässlich, innen hässlich‘ beziehungsweise ,außen hässlich, innen unhöfisch‘ zugeordnet werden können. Diese hässlichen Figuren sind der außerhöfischen Sphäre angehörig oder bewegen sich in Grenzarealen zwischen höfischem und außerhöfischem, niederständischem Bereich. Als Beispiel für diese Gruppe wird der Waldmann aus Hartmanns Iwein untersucht, ebenso wie die beiden Wilden Frauen Rûel aus dem Wigalois Wirnts und die namenlose Wilde aus der Crône, sowie der ackerkneht aus der Crône Heinrichs von dem Türlîn. Die zweite Kategorie ist die der entstellten Schönheit, die dem Typus ,außen hässlich, innen schön‘ (Ingrid Hahns Nigra-Formosa-Typ) zugeordnet werden kann. Sie beschreibt Fälle der zeitweiligen Entstellung bei Figuren, die von ihrer Herkunft, ihrer art und ihrer gesellschaftlichen Positionierung der körperlichen Schönheit zugerechnet werden müssten. Diese Schönheit geht aufgrund von Vernachlässigung, Krankheit, Gift, Fluch, Gefangenschaft, Einsiedlerleben oder Wahnsinn zeitwei Vgl. hierzu vor allem Brall (1991): Imaginationen, S. 134. Auch die wilde Natur als absolutes Gegenbild des Hofes ist ungeeignet für Aventiure. Die nicht-höfischen Aventiure-Schauplätze bedürfen einer immanenten Ordnung, auch wenn diese auf Gewalt und dem Recht des Stärkeren basiert. 121 Michel (1976): Formosa deformitas. 122 Seitz (1967): Darstellung häßlicher Menschen. 120
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lig verloren. Die Hässlichkeit der Figuren ist damit reversibel. Als Beispiele für diese Gruppe werden in Kapitel 4 die Darstellung des vorübergehend schwarzen Iwein in Hartmanns Roman dienen, ebenso wie Tristans zeitweilige Entstellung durch eine Vergiftung im Roman Gottfrieds von Straßburg, sowie Rual, ebenfalls aus dem Tristan Gottfrieds, dessen Äußeres sich aufgrund seiner Suche nach seinem Ziehsohn verändert und vor allem verfärbt.
3.3.4 Semantiken und Funktionen genuiner und irreversibler Hässlichkeit 3.3.4.1 Der Wilde Mann – Hartmanns von Aue Iwein Im Folgenden sollen nun zuerst drei Beispiele Wilder Männer und Frauen im Hinblick auf ihre Relation zum höfischen Ideal vollkommener Schönheit und bezüglich ihrer Funktionalisierung für die Definition des Höfischen über ein Gegenbild näherhin betrachtet werden und das speziell unter Berücksichtigung ihrer farbigen Ausgestaltung. Es soll dabei vor allem um den Kontrast zwischen dem der höfischen Kultur Eigenen und dem ihr Fremden, zwischen Idealdarstellung und Gegenbild und vor allem um die Darstellung von Wildem und Zivilisiertem gehen. Inwieweit stellen diese wilden Figuren das Ideal durch ihre Nicht-Idealität deutlicher heraus, und wo deuten sie in ihrer liminalen Stellung zudem auf die Grenzen zwischen dem ,Eigenen‘ und dem ,Fremden‘ – und welche Rolle spielt in diesen Grenzdiskussionen die Farbe? Die drei auf diese Fragestellung hin untersuchten Figuren gehören zu einem Typus, der als der des ‚Wilden Mannes‘ in der Literatur und Kultur des Mittelalters vorgeprägt ist, die ‚Wilden Frauen‘ stellen diesem gegenüber einen Subtypus dar. Die Wurzeln des Wilden Mannes, so beschreibt es Richard Bernheimer in seiner ausführlichen Arbeit zur Herkunft und Rolle des Wild Man123, reichen weit zurück in der Kulturgeschichte. Die erste Ausprägung des Typus findet sich bereits in der Figur des Enkidu im babylonischen Epos Gilgamesch, der in der Wildnis unter Tieren aufwächst und als Herr über eine Herde wilder Tiere lebt. Auch die klassische Antike kennt Wilde Männer, deren Gebaren und Lebensweise nicht mit den zivilisatorischen Ansprüchen vereinbar sind und die deshalb in abgelegenen Gebieten angesiedelt werden. Man versteht sie als Dämonen oder als prähistorische Menschen mit vollständig behaarten Körpern.124 Herodot lokalisiert die Wilden Männer in Libyen, nach dem Siegesszug Alexanders wird Indien zu dem Ort, an dem man ihre Herkunft vermutet – Indien gilt als eine Art Niemandsland, eine (kulturelle und zivilisatorische) Leerstelle, in der viele wundersame Ethnien vermutet werden. Auch die Geschichten von Wilden Frauen, die sich von Kindern ernähren, sowie menschenähn Bernheimer, Richard (1979): Wild Men in the Middle Ages. A Study in Art, Sentiment, and Demonology. New York: Octagon Books. 124 Beispielhaft dafür sind die Zyklopen und ihr Anführer Polyphemus aus der Odyssee zu nennen. Auch die Figurendarstellung des Charon und der Sibylle haben Einfluss auf die motivische Ausgestaltung. 123
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lichen Meerwesen haben dort ihren Ursprung. Plinius’ Naturalis Historia und Solinus’ De mirabilibus mundis erzählen von den wilden Völkern des Ostens, später auch die Werke von Isidor von Sevilla (Etymologiae) und Hrabanus Maurus (De rerum naturis). Ihre Werke dienen anderen Gelehrten des 12. und 13. Jahrhunderts als Quellenmaterial. Neben diesen antiken und mittelalterlichen naturkundlichen, gelehrten Quellen tragen auch die Gestalten der griechischen und römischen Mythologie zur Ausbildung des Wilden Mann-Typus bei, da hier kleinere Waldgottheiten eine Rolle spielen, die auch als Beschützer von Tieren auftreten. So wie sie zeichnet sich auch der Wilde Mann durch seine Herrschaft über wilde Tiere, aber auch durch eine Art von Kameradschaft mit ihnen aus. Dazu befähigt ihn seine große körperliche Kraft, aber auch die instinktive Anerkennung seiner Überlegenheit durch die Tiere.125 Bei Chretién de Troyes findet man ähnliche Kreaturen in Brocéliande, einem sagenhaften Wald in der Bretagne, in dem mehrere Erzählungen aus dem arturischen Sagenkreis angesiedelt sind – der Wilde Mann in Chrétiens Yvain hält sich ebenfalls in diesem Wald auf, wo er von einem Baumstumpf aus seine Herde hütet. Wisbey126 verweist weiterhin auf walisische Quellen wie den Owein, in dem man auf riesige schwarze Tierhüter trifft, wie auch auf den Hirten in Culhwch und Olwen.127 Beispiele für den Wilder Mann-Typus finden sich somit auch in der keltischen Mythologie. Zusätzlich zu diesem mythologischen Hintergrund existiert noch der Typus des noblen Wilden, zurückgehend auf die klassische Antike. Dieser Typ beinhaltet eine Reminiszenz an das verlorene Paradies und die Unschuld des Menschen. Auf einer primitiven Seinsstufe lebt er ohne die Errungenschaften, aber auch ohne die Bürden der Zivilisation.128 Metallverarbeitung, Kriegskunst sowie Viehzucht sind ihm fremd. Oftmals lebt er als Vegetarier oder von den kargen Erträgen seiner primitiven Jagdtechniken129 – eine Existenzform ähnlich der des Iwein nach seinem Abgleiten in den Wahnsinn. So zeigt die Iwein-Figur einen Bezug zu der des Waldmannes auf, die Darstellung des wilden Waldmenschen präfiguriert bereits Iweins späteren Zustand im Wahn, wie vor allem Le Goff für Chrétiens Yvain überzeugend darstellt.130 Der Typus des Wilden Mannes ist folglich eine Figur mit Ursprüngen in vorchristlicher Zeit. Mit seiner Übernahme in die christliche Kultur verliert er häufig die ihm zuge Vgl. Bernheimer (1979): Wild Men, S. 26. Wisbey, Roy A. (1975): Die Darstellung des Häßlichen im Hoch- und Spätmittelalter. In: Harms, Wolfgang; Johnson, L. Peter (Hg.): Deutsche Literatur des späten Mittelalters. Hamburger Colloquium 1973. Berlin: Erich Schmidt Verlag. 127 Vgl. Wisbey (1975): Darstellung des Häßlichen, S. 20. 128 Ein abgewandelter Aspekt dieses Lebens als nobler Wilder findet sich auch in den Einsiedlern und heiligen Männern, die in Askese ihr Dasein in der relativen Einsamkeit eines Waldes oder Berges verbringen. 129 Vgl. Bernheimer (1979): Wild Men, S. 104. 130 Vgl. Le Goff, Jacques (1990): Lévi-Strauss in Brocéliande: Skizze zur Analyse eines höfischen Romans, in: Jacques Le Goff: Phantasie und Realität des Mittelalters. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 171– 200. Zur Wahnsinnsepisode Iweins ausführlich Kapitel 4.1. 125 126
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schriebenen magischen Kräfte, während sein Verhalten und sein Aussehen – das eines heidnischen Dämonen – erhalten bleiben. Neben seinem mythologischen Ursprung birgt die Figur des Wilden Mannes aus Sicht der christlich geprägten Kultur noch weiteres Konfliktpotential: Er trägt Züge eines Menschen, gleichzeitig aber auch eines Tieres. Sein Platz im Gefüge der universellen Ordnung der Schöpfung ist unklar. Dies alles steht im Widerspruch zur christlichen Heilslehre. Äußerlich schildert Bernheimer den Wilden Mann in der Literatur und Bildenden Kunst als fest vorgeprägten Typus: Er ist üblicherweise eine haarige Gestalt, krude aus Menschen- und Tierkörperteilen zusammengesetzt, ohne dabei auf die Existenzebene eines Affen herabzusinken. Außer der fellartigen Körperbehaarung sind die Wesen meist nackt oder nur mit rudimentärer Kleidung dargestellt, nicht selten sind sie mit einer Keule oder einem Ast bewaffnet. Den Beschreibungen zufolge lebt der Wilde Mann außerhalb menschlicher Siedlungen in abgelegenen, schwerlich zu bereisenden Gegenden des Waldes und der Wildnis. Er besitzt übermenschliche Stärke und ist zumeist der menschlichen Sprache nicht oder nur eingeschränkt mächtig. Diese Kommunikationsbarriere kann auf einen Verlust der Sprachfähigkeit hindeuten oder aber auf intellektuelle Defizienz. Viele Wilde Männer werden als wahnsinnig charakterisiert, Wildheit und Wahnsinn werden oft als austauschbare Bezeichnungen verwendet.131 Die Funktion des Wilden Mannes besteht grundlegend in einer Auslagerung tierischer Urtriebe des Menschen in eine fiktive Gestalt. Im Kontext einer höfisch-disziplinierten Welt fungiert der Wilde Mann als Projektionsfläche für die Möglichkeit einer triebbestimmten Existenz. Somit ist das Bild des Wilden, so auch Hayden White132, immer die Verkörperung von Lust und Angst zugleich. Zu dem Aspekt der ausgelagerten Triebhaftigkeit gehört auch die erotische Konnotation der Figur. Dies zeigt sich vor allem in einer Sub-Spezies des Typus: dem der Wilden Frau, dem wilden wîp.133 Der Wilde Mann, darauf verweist auch Hintz134, ist in der Darstellung des Mittelalters nicht grundsätzlich ein Dämon, ein Wesen, das mit dem Teufel im Bunde ist, er ist nicht geistig korrumpiert, sondern besitzt eine Art Unschuld, die es ihm unmöglich macht, den Zustand seiner Sündhaftigkeit zu erkennen.135 Vorrangig ist der Wilde Mann ein ungezügeltes, sinnliches Naturwesen, eine Naturkraft, die mit der ungebändigten Sinnlichkeit des Tieres auf Vgl. Bernheimer (1979): Wild Men, S. 12. Vgl. White (1986): Auch Klio dichtet, S. 184f. 133 Der Typus des wilden wîbes wird im Folgenden auch als Wilde Frau bezeichnet. Man kann vermuten, dass negative Zuschreibungen, wie sie unter anderem bei diesem Figurentyp erfolgen, auch zu der heute als negativ empfundenen Konnotation des Wortes ,Weib‘ beigetragen haben. 134 Hintz, Ernst Ralf (1998): Der Wilde Mann – ein Mythos vom Andersartigen. In: Ulrich Müller und Werner Wunderlich (Hg.): Dämonen, Monster, Fabelwesen. 1. Aufl.: Uvk (Mittelaltermythen in 7 Bänden, 2), S. 617–626, hier S. 621. 135 Vgl. White (1986): Auch Klio dichtet, S. 199. White beschreibt, wie im 14. und 15. Jh. die wilden Menschen so zum Gegenstand von Neid und Bewunderung wurden, einem Modell des freien Menschseins. Ihre Gestalt wurde verbunden mit Vorstellungsbildern heidnischer, libidinöser und erotischer Freiheit. (vgl. S. 202) In den Mythos vom Wilden Mann wurden Wunschbilder projiziert, die 131 132
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tritt. Grundsätzlich fallen in der Figur des Wilden Mannes zwei gegensätzliche Aspekte zusammen: Zum einen zeichnet sie die Fürsorge für die Tiere des Waldes und, wie im Iwein, die Bereitschaft, Menschen Auskunft zu erteilen, aus, zum anderen eignet ihr eine körperliche Hässlichkeit sowie eine zum Teil unbeherrschte, wilde Art. In ihrer Heimat in der Wildnis zeigen sie überdies eine Affinität zu teuflischen, magischen Kräften. Eine Figur, die auf diesen Typus des Wilden Mannes vielschichtig Bezug nimmt, findet sich im Iwein Hartmanns von Aue in der Gestalt des Waldmannes, der auch als gebûre bezeichnet wird. Dieser Wilde Mann wird allerdings nicht erst beim Aufeinandertreffen mit dem Helden ausführlich beschrieben, sondern bereits zuvor in der Erzählung des Ritters Kalogrenant. Dieser berichtet auf dem Pfingstfest des Artushofes von einer missglückten Aventiure. Im Zuge dieser gelangt er in den Wald von Breziljan (Broceliande). Dort bietet sich ihm ein erschreckendes Schauspiel: Wilde Tiere kämpfen miteinander, Wisente und Auerochsen. Unter ihnen erblickt der Ritter eine menschenähnliche Gestalt, einen Wilden Mann. Das grauenvolle Erscheinungsbild des gebûren erschreckt Kalogrenant, ist er sich doch nicht sicher, ob der Mann ihm wohlgesonnen ist oder ihm feindlich begegnen wird. Der Waldmann tritt dem Artusritter (womöglich nur vordergründig) freundlich und hilfsbereit entgegen. So weist er ihm im Rahmen einer Unterhaltung den Weg zu einem nahe gelegenen Abenteuer bei einer Zauberquelle, obwohl er kein Verständnis für das Aventiurebestreben Kalogrenants aufbringen kann. Sofort bricht der Ritter auf, um die Aventiure zu bestreiten, scheitert aber kläglich. Erst seinem Vetter Iwein wird es gelingen, das Brunnenabenteuer zu bestehen. Bevor Kalogrenant in seiner Erzählung des missglückten Abenteuers auf den Waldmann trifft, schildert er zunächst die Umgebung, in der sich das Zusammentreffen ereignet. Dieser Umstand ist für das Verständnis der Figur des Wilden Mannes nicht unerheblich, zumal er einen Zusatz Hartmanns zur Vorlage Chrétiens darstellt. Der Waldmann und seine Herde wilder Tiere befinden sich auf einem breite[n] geriute [Iw, V. 401], einer Rodung im Wald, die jedoch âne die liute [Iw, V. 402] ist, also menschenleer vor Kalogrenant daliegt. Es ist bezeichnend, dass der Ritter nicht mitten in der tiefsten Wildnis auf den gebûren trifft, sondern auf einem von Menschen bearbeiteten Stück des Waldes.136 Dadurch wird dieser Ort nicht mehr vollständig als der wilde zugehörig, aber auch nicht ganz als der Zivilisation zugeschrieben markiert.137 Er ist ein Stück Zwischenwelt vom Netz der Konvention befreit sind und zugleich Bilder der Bestrafung, die droht, wenn man sich dem Wunsch hingibt. (vgl. S. 208f.) 136 Vgl. zur Topographie des Romans Le Goff (1990): Lévi-Strauss in Brocéliande, der den Wald im Yvain Chrétiens als sehr komplex dargestellten Ort des Wahnsinns liest, als einen Ort, „an dem die Räder der feudalen Hierarchie nicht mehr greifen.“ (S. 175) Auch er lokalisiert zwischen der Welt der Menschen und dem Wald der wilden Tiere einen Zwischenraum. 137 So auch Quast [Quast, Bruno (2001): Das Höfische und das Wilde. Zur Repräsentation kultureller Differenz in Hartmanns Iwein. In: Kellner, Beate; Lieb, Ludger; Strohschneider, Peter (Hg.): Literarische Kommunikation und soziale Interaktion. Studien zur Institutionalität mittelalterlicher Literatur. Frankfurt am Main: Lang (Mikrokosmos, 64), S. 111–128, hier S. 120f.] zur Frage der Raumsemantik im Iwein.
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und als solche präfiguriert er auch seinen Bewohner gleichsam als eine Grenzgestalt, die zwischen beiden Bereichen einzuordnen ist. Als der verängstigte Kalogrenant sich der Gestalt, die er aus der Ferne als menschlich wahrgenommen hat, annähert, erkennt er mit Schrecken, dass diese kein einfacher Hirte, sondern ein Wilder Mann ist: dô ich aber im nâher kam / und ich sîn rehte war genam, / dô vorht ich in alsô sêre / sam diu tier, ode mêre. [Iw, V. 421–24] (Doch als ich mich ihm näherte, und ihn genau sehen konnte, fürchtete ich ihn ebenso sehr wie die Tiere oder gar mehr.) Die Ungestalt des menschenähnlichen Wesens erschreckt den Ritter genauso sehr – wenn nicht noch mehr – wie der Anblick der kämpfenden Tiere. Im Moment der Wahrnehmung der körperlichen Hässlichkeit des Waldmannes schlägt die vorige Erleichterung Kalogrenants in Entsetzen um, denn die Hässlichkeit lässt ihn augenblicklich an der Gesinnung des Wesens zweifeln, und er wähnt sich wieder in Gefahr.138 In dieser Reaktion des Ritters wird hier auf die grundsätzliche Erwartungshaltung im Zuge der Entsprechung ,außen hässlich, innen böse‘ angespielt, die sich aus der Umkehrung des Kalokagathia-Ideals ergibt. Dass diese Gleichsetzung von Innen und Außen bei der Figur des Waldmannes nicht greift, sondern dass ein komplexerer Fall des Auseinanderdriftens der beiden Komponenten ,Erscheinung‘ – ,Gesinnung‘ vorliegt, wird sich erst später zeigen. Im Zuge des Erkennens der äußerlichen Hässlichkeit des Waldmannes erfolgt seine nähere Beschreibung: das menneschlîch bilde [Iw, V. 425], die menschliche Gestalt, die Kalogrenant vor sich zu sehen glaubt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als anders harte wilde [Iw, V. 426].139 Wilde verweist in diesem Zusammenhang auf die gesellschaftsferne Lebensweise des in der Wildnis hausenden Waldmannes, zugleich deutet es aber auch auf die Natur des Fremden, Unbekannten hin, den Charakter des Wunderbaren und Ganz ähnlich ergeht es später auch Iwein, als er die Aventiure seines Vetters nachverfolgt. Obwohl er inzwischen von Kalogrenant erfahren hat, dass der Waldmensch friedlich und wohlgesonnen ist, erschreckt ihn der Anblick des griulîchen Mannes. Er zweifelt daran, dass der Waldmann ein Geschöpf Gottes sein kann, und bekreuzigt sich mehrmals wie beim Anblick eines Dämons: und vor sînem aneblicke / segent er sich vil dicke, / daz got sô ungehiure / deheine crêatiure / geschepfen ie gerouchte. [Iw, V. 983–87] (Vor seinem Anblick bekreuzigte er sich viele Male, daß es Gott eine so ungeheuerliche Kreatur zu erschaffen gefallen hatte.) 139 An dieser Stelle sei explizit auf die Bedeutungsvielfalt des mhd. wilde hingewiesen: wilde bezeichnet sowohl den Status des unbearbeiteten, unbewohnten und wüsten Landes, dämonische, ungezähmte, wahnsinnige und in der Wildnis hausende Wesen, den Zustand des Unsteten, Untreuen und Sittenlosen, aber auch nicht zuletzt den Charakter des Fremden, Unbekannten, Wunderbaren, Seltsamen und Unheimlichen (vgl. Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Eintrag wilde, wilt, Bd.3, Sp. 884f.) Habiger-Tuczay [Habiger-Tuczay, Christa (1998): Wilde Frau. In: Ulrich Müller und Werner Wunderlich (Hg.): Dämonen, Monster, Fabelwesen. St. Gallen: Uvk (Mittelaltermythen in 7 Bänden, 2), S. 603 – 615.] zufolge beschreibt der Begriff wild alles außerhalb der sozialen Ordnung, der Norm. Er umfasst also auch Phänomene der Devianz und Aberration: „Der Begriff klassifizierte also sowohl religiöse (wie heidnisch, damönisch, teuflisch), als auch ethische (wie Sittenlosigkeit, Laster, Unmoral) und anthropologische (halbtierische Waldbewohner) Eigenschaften. Der scharfe Dualismus wilde Welt vs. gezähmte Welt, Wildleute vs. zivilisierte Menschen, Wald vs. Dörfer und Städte bezeichnete unterschiedliche Stadien der Evolution.“ (S. 603)
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auch Unheimlichen, der der Figur anhaftet. Zuerst erkennt der Artusritter diesen Zustand der wilde an der Körperfarbe des Waldmannes: er was einem Môre gelîch, / michel unde als eislîch / daz ez niemen wol geloubet. [Iw, V. 427–29] ([E]r glich einem Mohren, war groß und so schrecklich, daß es ganz unglaublich ist.) Eine schwarze Hautfarbe verweist, wie in Kapitel 3.2.1.1. gezeigt, auf Konzepte von Wildheit, kulturelle Fremdheit, eine potentiell negative Gesinnung und Verbindungen zu einer höllischen bzw. dämonischen Sphäre oder eine Abkunft aus derselbigen und ruft vielfältige semantische Ebenen auf, die über die Erwähnung der Farbe vom Publikum auf den Waldmann appliziert werden können. In diesem Beispiel ist davon auszugehen, dass das Attribut „einem Mohren gleich“ gefärbt zu sein, nichts mit einer geographischen Beheimatung im afrikanischen Raum zu tun hat. Die schwarze Haut speziell des gebûren, so Mielke, sei eher auf einen Ursprung in der keltischen Mythologie zurückzuführen, in der das Schwarz als Farbe des Todes verstanden wurde.140 Hartmann folge in seiner Beschreibung des Waldmannes einer vorwiegend kymrischen Tradition, die auch Rückbezüge auf antike Figuren wie Polyphem erkennen lasse. Der Wilde Mann des Iwein rekurriert, wie so viele Aspekte der Artusliteratur, unter anderem auf Motive der keltischen Mythologie, vor allem auf den Wächter des Totenreiches. Im Gegensatz zu diesem erscheint der Waldmann aber als ein relativ gutmütiges Wesen. Es folgt die Detailbeschreibung der Figur: sein Kopf ist riesenhaft und noch größer als der eines seiner Auerochsen, darauf wächst ragendes hâr ruozvar [Iw, V. 433]. Das rußfarbene Haar widerspricht in Gänze dem höfischen Schönheitsideal. Es ist nicht nur schwarz, sondern wie von Ruß gefärbt, was einen Zustand des Schmutzigen erkennen lässt, gepaart mit einem struppigen Aussehen. Hier bezeichnet Kalogrenant das Wesen erstmalig als gebûren, als Bauern mit den Konnotationen des Rohen, Gemeinen und Ungebildeten. Dass das Niederständische in der höfischen Literatur oftmals als hässlichschmutzig dargestellt wird, erklärt sich nicht zuletzt aus dem Umstand, dass sich der Adel mit seinen ästhetischen Idealbildern davon kontrastiv abgegrenzt wissen wollte. Wie mit dem Haar so verhält es sich auch mit dem Bart des Waldmannes, er ist verwalken zuo der swarte [Iw, V. 435]. Das Gesicht ist runzelig und zerfurcht, die Ohren wie vermoost mit langem Haar und groß wie ein Futtertrog, ähnlich einem walttôren [Iw, V. 440]. Cramer übersetzt walttôr hier mit „Waldschrat“. Mir erscheint es jedoch wichtig, an dieser Stelle die Bezeichnung des Wilden Mannes als tôr, als Wahnsinniger oder Narr zu berücksichtigen, kann diese doch bereits als ein impliziter Hinweis auf Iweins späteres Schicksal gelesen werden, denn auch der Titelheld des Romans wird eine Zeit als Wahnsinniger im Wald verbringen. Zwar ist der Waldmann nicht explizit als wahnsinnig konzipiert, aber trotzdem scheint mir Hartmann an dieser Stelle bereits eine Assoziation zum edelen tôren Iwein anzudeuten. Auf dieser Grundlage ist von einer reziprok aufeinander bezogenen Gestaltung der beiden Figuren auszugehen.141 Bart und Augenbrauen des Mannes sind lanc rûch unde grâ [Iw, V. 446]. Graues und dunkles Haar im Allgemeinen kann als 140 141
Vgl. hierzu Mielke (1992): Nigra sum et formosa, S. 90f. Vgl. Kapitel 4.1. zum schwarzen Iwein und den Implikationen seines wilden Zustandes.
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ständischer Hinweis auf den Status des Bauern oder Unfreien zu lesen sein. Das Grau der Brauen und des Bartes kann aber auch als Zeichen der Sündentrauer und der Buße stehen. Die der Alterstypologie142 entstammende Graufärbung konterkariert das Schwarz oder Braun der Brauen des höfischen Schönheitsideals, welches sonst die Farbtrias des Gesichts, Weiß-Rot-Schwarz, vervollständigt. Die ochsenähnliche Nase des Mannes ist breit und haarig, das Gesicht aber flach und dünn. Die Augen sind rôt und zornvar [Iw, V. 451]. Rot ist in seiner Symbolik eine der polyvalentesten Farben im Mittelalter, ihre vielfältigen Aus- und Bedeutungen können hier nur überblicksartig erfasst werden.143 Die fundamentalsten Assoziationen des Menschen, die mit Rot verknüpft werden, sind Feuer und damit Wärme und Licht, und Blut, damit eng verbunden auch Leben, Fruchtbarkeit, aber auch Gewalt. In vielen Kulturen versinnbildlicht Rot als Paradoxon sowohl Leben als auch Tod, daraus leiten sich breit gefächerte, positiv wie auch negativ besetzte Symbolgehalte ab: Die Auslegung des Roten erstreckt sich von der Auffassung als Farbe des Feuers und der Hitze sowie des Blutes über die als Farbe des Kriegs (so reitet etwa der Krieg in den Offenbarungen des Johannes [Apc 6,4] auf einem roten Pferd), von Herrschaft, Würde und Justiz (hier vor allem in der Erscheinungsform des Purpur), des Mutes und der Kraft, der Liebe und auch der Freude. Zugleich ist Rot Farbe des Zorns, der Reizbarkeit und Aggression, des sanguinischen Temperaments, der Scham und Schamhaftigkeit sowie der Unkeuschheit und Sünde (so ist die Hure Babylon der Bibel [Apc 17,3–4] gekleidet in Purpur und Scharlachrot und reitet auf einem ebenso roten Tier).144 Meier und Suntrup sehen bei der christlichen Farballegorese des Roten vor allem über die Bedeutung als Farbe des Blutes einen Hinweis auf Sündhaftigkeit und weltliches Leid gegeben, aber auch auf Teufel, Hölle und Verdammnis sowie den emotionalen Zustand von Verärgerung und Wut.145 Das Rot der Augen ordnet den Waldmann nicht allein der Schnell (2005): Ekel und Emotionsforschung, weist darauf hin, dass es in Antike und Mittelalter nicht problematisch war, alte Menschen als hässlich darzustellen. Das Alter erfüllte die Menschen mit Grauen und Ekel, daher enthält die Alterstypologie neben dem ergrauten Haar und Bart auch Attribute wie Runzeln, große, krumme Nasen, stinkenden Atem und schlechte Zähne. Das grässliche Aussehen, so Schnell, wird zum Symbol für die Vergänglichkeit alles Irdischen. (vgl. S. 383) 143 Für einen tieferen Einblick in die christliche Auslegungstradition des Roten und die ihm zugewiesenen Farbenbedeutungen sei hier vor allem auf entsprechende Einträge im Lexikon der Farbenbedeutung von Meier und Suntrup (2011) verwiesen, außerdem auf den vorangehend veröffentlichten Probeartikel: Meier/Suntrup (1987): Zum Lexikon der Farbenbedeutungen (Probeartikel ,Rot‘). 144 Zur Symbolwirkung von Rot im Mittelalter auch Lauffer (1948): Farbensymbolik, S. 10ff. 145 Vgl. Meier (2001): Colourful Middle Ages, Tabelle S. 249, Meier (1972): Bedeutung der Farben, S. 270–277, und Meier und Suntrup (2001): Lexikon der Farbenbedeutungen, Art. coccineus, coccinus, coccus (scharlachrot), S. 332–352, Art. ruber, rubeus, S. 640–691, Art. rubicundus S. 692–704, Art. purpureus, purpura, S. 601–628: Neben den positiven Konnotationen der Farbe in der Bibelallegorese wie dem Blut Christi und der Passion, seiner Opferbereitschaft und Liebe, dem Heiligen Geist, dem Feuer Gottes und den Märtyrern, verschiedenen Tugenden, außerdem am häufigsten als Farbe der Liebe (Gottes- und Nächstenliebe) verweist Rot auch auf Sünde, Weltlichkeit, Teufel und Verdammnis, über die Kleidung u.a. der Hure Babylon auf die Eitelkeit des Irdischen, Fleischlichen und den Hochmut (vgl. S. 625). 142
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dämonischen, teuflischen Sphäre zu, durch die Bezeichnung als zornvar146 wird das Rot darüber hinaus als eine „Zornfarbe“ näher bestimmt und weist so besonders auf ein affektgesteuertes Gebaren hin. zornvar stellt ein Kompositum mit einem abstrakten Substantiv als nominalem Erstglied dar. Bei diesen Komposita drückt das Erstglied (hier zorn) aus, wodurch die Farbe hervorgerufen wurde oder welcher Zustand beschrieben wird, hat aber nur einen geringen Bezug zu etwas Gegenständlichem oder einem Farbträger, bezeichnet folglich keine tatsächliche Farbe. Trotzdem lassen sich diese Wörter nicht allein auf die Bedeutung „beschaffen wie“ oder „so aussehen wie“ reduzieren – zornvar wird hier eindeutig auf Rot bezogen.147 Allerdings deckt sich diese Konnotation der roten Farbe nicht mit dem tatsächlichen Verhalten des gebûren Kalogrenant gegenüber. Denn nur auf den ersten Blick erscheint der Wilde Mann Furcht einflößend und unmenschlich, dafür sorgen vor allem auch die vielfältigen Tiervergleiche in seiner Beschreibung. Insgesamt ist der Waldmann verwachsen und verkrüppelt, aber immer noch deutlich als ein dem Menschen verwandtes Wesen zu erkennen. Die Bezüge von Hartmanns Waldmann zum vilain seiner Vorlage, Chrétiens Yvain ou Le Chevalier au lion, sind modifizierender Art. Auch Chrétiens Waldmann ist eine groteske Mischgestalt aus Tier und Mensch, doch bemüht der französische Text deutlich mehr Tiervergleiche als sein deutscher Nachfolger. Auch deutet bereits der französische Autor den Waldmann, ungeachtet seiner mythologisch fundierten Rolle als Hüter der Unterwelt aus den bretonischen Sagen, zum vilain um, zu einem ungeschlachten Bauern, und passt die Figur damit den sozialen Gegebenheiten der Zeit an. Hartmann übernimmt diesen Hinweis auf das Niederständische, erweitert aber seine Vorlage um visuelle Details in der Beschreibung von Augen, Nase, Mund und Kinnpartie148 sowie um die eingehende Bei zornvar handelt es sich um ein eine Farbe näher definierendes Kompositum mit -(ge)var. Speziell mit dieser Wortgruppe beschäftigt sich ein Aufsatz von Herbers und Rheinwald [Herbers, Birgit; Rheinwald, Kristin (2011): Und ir rôsenvarwer rôter munt… der was minneclîch gevar. Über konkrete und unkonkrete Farbbezeichnungen mit -var im Mittelhochdeutschen. In: Ingrid Bennewitz und Andrea Schindler (Hg.): Farbe im Mittelalter. Materialität – Medialität – Semantik. Akten des 13. Symposiums des Mediävistenverbandes vom 1. bis 5. März 2009 in Bamberg, Bd. 1. 2 Bände. Berlin: Akademie Verlag Berlin, S. 419–435.] Diese Bildungen mit -(ge)var haben einen semantisch anderen und wesentlich umfangreicheren Sinngehalt als das NHD -farbig/-farben, sie haben ein „komplexes, dem jeweiligen Kontext immanentes Deutungsspektrum“ (S. 432), dessen Sinngehalt eigens untersucht und durchgespielt werden muss. Das Mittelalter, so Herbers und Rheinwald zusammenfassend, demonstriere bereits in seinem Farbvokabular die polyvalente Natur des Wortfeldes „Farbe“. Zum Farbvokabular des Mittelhochdeutschen sei weiterhin auf den Aufsatz von Oleksandr Oguy (2011) verwiesen: ‚Farbige‘ Mentalität im Mittelalter. Oguy analysiert dort alt- und mittelhochdeutsche Farbadjektive und ihre quantitative Verwendung auf der Grundlage von über 230 Texten. 147 Vgl. Herbers/Rheinwald (2011): Und ir rôsenvarwer rôter munt, S. 422. 148 Siehe dazu auch den Vergleich von Chrétiens und Hartmanns Waldmannfigur bei Paul Salmon (1961): The Wild Man in ,Iwein‘ and Medieval Descriptive Technique. In: Modern Laguage Review, H. 56, S. 520–528, hier S. 521. Salmon verweist darauf, dass Hartmanns Waldmann eine große Nähe zur Beschreibung der Gnatho-Figur bei Sidonius Apollinaris aufweist, besonders Gnathos Gesichtszüge gemahnen ihn an eine Präfiguration des Wilden Mannes. 146
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Szeneneinleitung, den Blick auf den Waldmann aus der Ferne und das Entsetzen Kalogrenants beim Anblick des Mannes. Hartmann schwächt allerdings die Tiervergleiche ab oder lässt sie ganz weg.149 Damit nimmt er dem Waldmann einige der animalischen Züge und betont so die Menschenähnlichkeit der Figur. Bekleidet ist der gebûre mit seltsænen cleit [Iw, V. 465], bestehend aus zwei frisch abgezogenen Fellen. Im Gegensatz zur späteren Nacktheit Iweins sowie zu den im Folgenden analysierten Wilden Frauen scheint der Waldmann auf seiner Entwicklungsstufe der Kultur näher stehend, hat er doch seine Blöße (wenn auch scheinbar erst kürzlich) mit rudimentärer Kleidung bedeckt. Er führt keine ritterliche Bewaffnung, sondern den für den Wilder-Mann-Typus üblichen kolben [Iw, V. 469]. Hier endet die Beschreibung des Äußeren des Waldmannes, als sich dieser erhebt und auf den Ritter zukommt. Die folgende Szene mit dem dazugehörigen Dialog gehört zwar nicht mehr zur Hässlichkeitsbeschreibung des Waldmannes, ist aber von großer Bedeutung für die Einordnung der Figur im Gefüge zwischen Kultur und Natur, Wildnis und Hofumgebung. Die Positionierung des Wilden Mannes in diesem Gefüge wird im Folgenden von besonderem Interesse für das Verständnis der Figur sein. Kalogrenant vermutet in dem Waldmann einen stumbe[n] [Iw, V. 481], einen Stummen, der menschlichen Sprache nicht mächtig, wie es vom Wilder-Mann-Typus zu erwarten wäre. Trotzdem spricht er ihn an und verlangt nach einer klaren Aussage zu seiner Natur, woraufhin der gebûre ihm tatsächlich verständlich antwortet. Offenbar ist der Waldmann, angesiedelt auf der Grenze zwischen höfischem Umkreis und Wildnis, einiger Umgangsformen fähig. Zumindest beherrscht er die menschliche Sprache und erklärt Kalogrenant, er sei demjenigen freundlich gesonnen, der auch ihm nichts Böses tue. Auf die Frage des Artusritters: was crêatiure bistû? [Iw, V. 487], antwortet er unmissverständlich: ,ein man, als dû gesihest nû.‘ [Iw, V. 488] Der Waldmann definiert sich selbst klar erkennbar als Menschen. Nach dieser Auskunft erläutert er Kalogrenant auch noch seine Position als meister unde […] herre[…] [Iw, V. 495] der wilden Tiere auf der Rodung, die er hütet, die ihn gleichzeitig aber auch fürchten [vgl. Iw, V. 506–13]. Dieser Hirtenaspekt, gepaart mit der Herrschaft über Tiere, greift den Typus des Wilden Mannes in den Waldgottheiten der römischen und griechischen Mythologie auf. Der Waldmann hat die Macht, die Tiere soweit zu zähmen, dass sie seinem Wort gehorchen und seinen Zorn fürchten. Indem er sich die wilden Kreaturen untertan macht, demonstriert er Ordnung stiftendes Verhalten. Denn ein wichtiges Kennzeichen der Zivilisation ist die Viehzucht, das Halten von Herden, die vom Wild- zum Nutztier gezähmt werden, anstatt einzelne Exemplare auf der Jagd zum Verspeisen zu erlegen. Insofern lässt sich der Wilde Mann bereits einem zivilisatorischen Muster zuordnen. Kalogrenant gegenüber ist der Waldmann freundlich gesonnen und bittet ihn sogar, ihm das Ziel seiner Reise durch den Wald zu verraten. Kalogrenant antwortet: ich suoche âventiure. [Iw, V. 525] ,âventiure? waz ist daz?‘, entgegnet der Waldmann – einer der Im Gegensatz dazu vervielfacht Wolfram von Eschenbach in seiner Darstellung der Cundrîe im Parzival die Tiervergleiche um ein Vielfaches im Vergleich zu seiner Vorlage bei Chrétien.
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bekanntesten Verse des Iwein-Romans Hartmanns – was den Artusritter zu einer (zweifelhaften150) Definition seines Aventiureverständnisses veranlasst. Dieses Konzept aber ist dem Waldmann trotz seiner Menschennähe weder vertraut noch einsichtig. Dass Kalogrenant bewusst nach Gefahr für Leib und Leben sucht, scheint dem gebûren fremd. Trotzdem ist er bereit, dem aus seiner Sicht unverständlichen, wenn nicht sogar fehlgeleiteten Ansinnen des Ritters nachzukommen und ihm den Weg zu einem nahen Abenteuer an der Zauberquelle zu weisen, an der er sein Leben aufs Spiel setzen kann. Mit den anschließenden Hinweisen zur Brunnenaventiure endet die Begegnung Kalogrenants mit dem Waldmann. Auf den ersten Blick scheint der Waldmann im Iwein ein Paradebeispiel für den Wilden Mann-Typus im höfischen Roman zu sein. Er ist abstoßend hässlich, haarig, sein Körper wird an einigen Stellen mit dem eines Tieres verglichen, er ist mohrenschwarz und seine roten Augen lassen sich als Hinweis auf eine wilde Abkunft und einen zornigen, gewaltbereiten Charakter lesen. Er haust im Wald mit einer Herde wilder Tiere, die er mit starker Hand beherrscht, seine schmutzige Erscheinung, die Bewaffnung mit der Keule und die einfache Kleidung sind primitiv. Insgesamt zeichnen sein Äußeres und die ihm zugeschriebenen Farben (schwarz, grau, rot) den Waldmann als Vertreter des Antihöfischen, Wilden, der Natur aus – und doch ist seine Codierung so einsinnig nicht. Es ist wohl unzweifelhaft festzuhalten, dass der Waldmensch nicht der höfischen Sphäre zugehörig ist. Ihn aber über die Ausdeutung seines Äußeren als primitiven Wilden Mann abzutun ist ebenfalls zu eng gegriffen. Denn so wie der Waldmann sich nicht im tiefsten Wald aufhält, sondern auf einem gerodeten Waldstück151, so ist auch sein Verhalten den Rittern gegenüber nicht ganz das eines als unmenschlich und nahezu teuflisch markierten Wesens. Der gebûre bewegt sich in seiner Art, mit den Rittern umzugehen, auf dem schmalen Grat zwischen Kultur und Natur, auch wenn sein Aussehen noch so wild sein mag. Hier zeigt sich ein Aspekt, den auch Dallapiazza betont: Das Hässliche und Deformierte in der courtoisen Welt des Mittelalters muss nicht zwingend mit dem Bösen verknüpft sein – wohl aber stets mit dem Unhöfischen und Vilainhaften, das in den Randzonen der höfischen Welt zu finden ist.152 Udo Friedrich betont in Bezug auf den Waldmann vor allem seine Mittlerstellung zwischen Mensch und Tier, Kultur und Natur.153 Es bietet sich das Bild einer dreifachen Staffelung zwischen Ritter – Tiermensch – wüster Natur.154 Hartmann zeichnet Räume, die als Schnittstellen von Kultur und Natur fungieren (Rodung, Brunnenwelt), wie er auch Figuren schafft, die diese Doppelnatur aufwei Siehe hierzu Giloy-Hirtz (1991): Begegnung, die den Aventiure-Begriff, wie ihn Kalogrenant an dieser Stelle beschreibt, als oberflächlich und sinnentleert darstellt. Seine (Selbst-)Definition lasse das Ziel des kulturellen Selbstverständnisses des Artusritters als sinnlos erscheinen. (vgl. S. 183) 151 Ein Hinweis darauf, wer den Wald an dieser Stelle gerodet hat, wird im Text nicht explizit gegeben. Somit bleibt offen, ob der Waldmann nicht selbst diesen zivilisatorischen Akt vollbracht hat. 152 Vgl. Dallapiazza (1985): Häßlichkeit und Individualität, S. 411. 153 Friedrich, Udo (2009): Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 358–374. 154 Vgl. Brall (1991): Imaginationen, S. 133. 150
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sen (neben dem Waldmann auch den Löwen, Iweins treuen Begleiter). Während Iwein in seinem vertierten Wahnzustand später zwischen den Räumen wechselt, hat der Waldmann gleichzeitig Anteil an beiden Sphären – der der Tiere und der der Menschen. An dieser Stelle sei auf einen interessanten Aspekt der Darstellung genuiner Hässlichkeit hingewiesen: ihre Gebundenheit an einen außerhöfischen Raum. Zeigt die Schönheitsdarstellung im höfischen Roman, wie im vorangegangenen Kapitel deutlich wurde, stets eine Affinität zur Kleiderbeschreibung, so weist die Hässlichkeitsbeschreibung dagegen eine Affinität zur Raumdarstellung auf. Genuine Hässlichkeitsdarstellungen beinhalten überwiegend keine Kleiderbeschreibung, oft sind die Figuren nackt oder mit nur rudimentärer, häufig schäbiger, ärmlicher Kleidung ohne Hinweise auf ihre farbige Gestaltung dargestellt, die dem Erzähler kaum mehr als ein paar Verse wert ist. Auffällig ist aber hingegen die immer erfolgende Zuordnung zu einem außerhöfischen Raum – einem Ort in der Wildnis oder Einöde, in einem Wald, auf einer Lichtung oder Rodung, nahe einer Höhle, an einem reißenden Fluss oder im Gebirge. Dadurch sind die Figuren bereits durch ihre Lokalisierung als unhöfisch konnotiert, durch ihren Lebensort als der wilde zugehörig markiert. Die Semantisierung des Waldmannes im Iwein im Kontext seiner räumlichen Zuordnung zeigt ihn in seiner Rolle als Tierhüter und gleichzeitig als Beherrscher der wilden Herde, was einen Vorgang der Domestizierung voraussetzt. Der Waldmensch verweist auf die animalische Seite der menschlichen Natur, seine Herrschaft über die ihren Affekten ausgelieferten Tiere offenbart die „Herrschaftsform des Tyrannen, der Recht qua Gewalt und Furcht errichtet.“155 Das höfische Zivilisationsprogramm beruht immer auch auf physischer Gewalt, so sehr dieser Eindruck in den Romanen auch zurückgedrängt wird. Damit liegt der adligen Gesellschaft ein Paradoxon der Gewalt zugrunde: „Adlige Identität beruht auf Gewalt, die sich immer gegen den Adel selbst richtet. Grundlage hierfür ist das Gewaltmonopol einer Gesellschaftselite.“156 Eine weltorientierte adlige Lebensform ist ohne das Paradoxon der Gewalt nicht denkbar. Somit liest sich die tyrannische Herrschaft des Waldmenschen über die Tiere an dieser Stelle auch als ein Hinweis auf einen innergesellschaftlichen Aspekt, eine Konfliktlage in der höfischen Gesellschaft.157 Der Waldmann repräsentiert den Status des Gewaltherrschers, der sich auch im höfischen Gesellschaftssystem findet und kritisiert damit indirekt diesen Herrschaftstypus, ohne den das Höfische aber nicht existieren kann:
Friedrich (2009): Menschentier, S. 364. Neudeck, Otto (1994): Das Stigma des Anfortas. Zum Paradoxon der Gewalt in Wolframs „Parzival“. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Jg. 19. Band, H. 2, S. 52–75, hier S. 65. 157 So auch Brall (1991): Imaginationen, der bei der Herrschaft des Waldmannes über die Tiere von einem Faustrecht spricht, welches durch Gewalt und Tyrannei ausgeübt wird. Es sei ein Bild archaischer Selbstbehauptung, gegen welches sich das höfische Zivilisationsprogramm zur Wehr setze. In diesen Status zurückzufallen wäre ein Sündfall für die höfische Kultur. (vgl. S. 135) 155 156
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Der Abstand zwischen höfisch-kultivierter Idealität und ihren unidealen, nicht sublimierten Begleiterscheinungen ist nicht groß genug, als dass er vergessen machen könnte, dass stets die spontane, ungeordnete Durchsetzbarkeit von Macht die Prämisse für ritualisierte, ordnungsstiftende Höfischkeit ist.158
Die sonst in Form höfischer Rituale gebannte Gewalt ist unterschwellig die Grundbedingung für den Prozess der Zivilisation.159 Der animalisch gekennzeichnete Mensch, hier repräsentiert durch den Waldmann, hat die legitime Herrschaft über die Tiere inne. Seine Mittel, mit denen er diese ausübt, sind Gewalt und Furcht – dies sind auch die unerlässlichen Mittel der Adelsherrschaft. Die Herrschaftsform des Wilden Mannes liest sich somit als „mahnender Spiegel auch für das ritterliche Gewaltethos.“160 Bei Hartmanns gebûre allerdings beruht seine Herrschaft über die Tiere auch auf der Stimme, auf Sprache, die bereits nach antiker Kulturtheorie das entscheidende Kriterium für humanitas darstellt. Der Gewaltaspekt, den Chrétien insinuiert, wird abgeschwächt und durch subtilere Formen von Kommunikation erweitert.161 Neben seiner Grenzstellung zwischen Kultur und Natur erfüllt der hässliche, schwarze Waldmann aber auch noch andere Funktionen im Handlungsablauf des Romans. So kontrastiert Hartmann den primitiven Waldmenschen, der aber gleichzeitig furchtlos ist, mit dem höfischen, aber ängstlichen Kalogrenant. Der hässliche Waldmensch mit seiner primitiven Lebens- und Herrschaftsart erweist sich im Gegensatz zu dem Artusritter als souverän und hilfsbereit, während der Ritter hilflos erscheint. Man könnte daraus auf eine zumindest ansatzweise positive Zeichnung des Archaisch-Naturhaften schließen, wie Giloy-Hirtz162 dies tut, ist der Waldmann der Begegnung mit dem Vertreter der höfischen Kultur doch besser gewachsen als der Ritter. Denn nur letzterer erscheint gefangen in einem wahren Wechselbad der Gefühle (Furcht – kurzzeitige Erleichterung – noch größere Furcht – wiederholtes Aufatmen).163 Die Kontrastierung von mutigem Wildem Mann und furchtsamem Ritter lässt eine gewisse Ironie entstehen, eine lächerliche Situation, die Kalogrenant als Vertreter der höfischen Sphäre nicht im besten Licht dastehen lässt. Fuchs-Jolie (2005): Gewalt, S. 205. So auch ausführlich Fuchs-Jolie (2005): Gewalt, der am Beispiel des „König Rother“ darstellt, dass die höfisch-idealisierte Dimension, die ,moderen‘ Mittel Höfischheit und Vasallismus, auf einem Apriori der Gewalt ruhen, die ihnen erst ausgetrieben werden muss – und dies paradoxerweise gewaltsam. (vgl. S. 187) 160 Friedrich (2009): Menschentier, S. 368. 161 So erklärt der Waldmann Kalogrenant seine Herrschaft über die Tiere wie folgt: er [der Waldmann, C.O.] sprach: ʼmîn zunge und mîn hant, / mîn bete unde mîn drô, / die hânt mirs gemachet sô / daz sî bibende vor mir stânt / und durch mich tuont unde lânt. [Iw, V. 506–510] (Er sagte: ,Mein Wort und meine Hand, mein Befehl und meine Drohung reichen aus, daß sie zitternd vor mir stehen und tun und lassen, was ich will.[‘]) 162 Vgl. Giloy-Hirtz (1991): Begegnung, S. 182. Auch in der Figur des überaus treuen, loyalen und durch bestimmte Verhaltensweisen als nahezu höfisch konnotierten Löwen ist eine Tendenz zur positiven Darstellung des Archaisch-Naturhaften zu lesen. 163 Ähnliche Angstzustände verfolgen Kalogrenant auch in der Aventiure an der Zauberquelle [Iw, V. 666–672] und beim Heranreiten Askalons [Iw, V. 694–702]. 158 159
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Das Wissen des Waldmenschen um die Zauberquelle deutet wiederum auf seine Affinität zum Magischen, Übernatürlichen hin. Dieser Aspekt erweist sich für den Artusritter als hilfreich. Das Wissens des Waldmannes über (und auch vielleicht die Fähigkeit zur) Magie ist ein Relikt, das aus einer Metamorphose stammt, die die Figur über die Zeit hinweg in der Literatur durchlaufen hat: So verweist Wisbey darauf, dass in der Artusforschung inzwischen größtenteils Konsens darüber bestehe, dass der riesige, schwarze Tierhüter in den ursprünglichen Quellen mit dem Hüter des Brunnens (später Askalon/Esclados) identisch war.164 In seiner ursprünglichen Doppelrolle als Tierhüter und Quellenritter würde dem Waldmann daher auch die Fähigkeit, das magische Gewitter der Quelle herbeizurufen, zugeschrieben. Erst später würden aus den beiden Funktionen „Tierhüter/ Waldmann“ und „Quellenritter“ zwei getrennte Figuren, bei Chrétien seien sie bereits voneinander unterschieden. Dies sei wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass der vilainhafte Waldmann keinen ebenbürtigen Gegner für den ritterlichen Zweikampf gegen Iwein darstellt. Daher sei die Funktion des Wächters der Zauberquelle und Ehemann der Laudine auf den Ritter Askalon (bei Chrétien trägt er den Namen Esclados) übertragen worden. Aus dieser Trennung entsteht wiederum die Möglichkeit, den Waldmann tierhafter auszugestalten und ihn körperlich hässlicher zu zeichnen. Von dieser ursprünglich ungeteilten Funktion bleibt dem Waldmann lediglich die Rolle als Tierhüter, der jedoch Beziehungen zur Rolle des Quellenritters unterhält, da er als Wegweiser zum Brunnen fungiert. Das Wegweisen in die Zauberwelt weist ihn außerdem als Torwächter am Eingang derselben aus, was als Reminiszenz an eine seiner ursprünglichen Funktionen als Hüter der Unterwelt gelten kann. Hier bleibt darauf hinzuweisen, dass der Waldmann die beiden Ritter in seiner Funktion als Wegweiser wissentlich ins Verderben schickt, weiß er doch um den Mechanismus der Quelle und die damit unausweichliche Konfrontation mit dem Quellenritter. Beide Vettern werden bei dieser überaus schwierigen Aventiure zu Schaden kommen – Kalogrenant wird im Kampf schmählich besiegt, und Iwein lädt dadurch, dass er den tödlich verwundeten Askalon âne zuht [Iw, V. 1056] jagt, unehrenhaft Schuld auf sich. So positiv der Waldmann auch grundsätzlich gezeichnet sein mag, bleibt seine Rolle doch immer zwiespältig besetzt.165 Neben diesen zuvor genannten Funktionen ist die Figur sicherlich auch ein Faszinosum, eine staunenswerte Kreatur, deren Beschreibung das mittelalterliche Publikum fesselte. Dies zeigt sich unter anderem auch in den Iwein-Fresken auf Schloss Rodenegg (Tirol)166, die den Wilden Mann prominent in die Ikonographie aufnehmen. Seine körperliche Hässlichkeit und Missfärbung spielen dabei eine gewichtige Rolle, bekundet Vgl. Wisbey (1975): Darstellung des Häßlichen, S. 21. Dies steht im Kontrast zur Helferfunktion des Waldmannes, die besonders Le Goff hervorhebt. Vgl. dazu Le Goff (1990): Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 187f. 166 Zu den Iwein-Fresken auf Burg Rodenegg (auch für Abbildungen) siehe: Schupp, Volker (1982): Die Ywain-Erzählung von Schloss Rodenegg. In: Kühebacher, Egon (Hg.): Literatur und Bildende Kunst im Tiroler Mittelalter. Die Iwein-Fresken von Rodenegg und andere Zeugnisse der Wechselwirkung von Literatur und bildender Kunst. Im Auftrag des Südtiroler Kulturinstitutes. Innsbruck: Inst. für Germanistik d. Univ. Innsbruck. S. 1–11, und Schupp, Volker; Szklenar, Hans (1996): Ywain auf 164 165
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die Faszination des Wilden als Gegensatz zum Höfisch-Schönen doch nicht zuletzt ein Interesse an der Darstellung des visuell Schreckenerregenden. Während bei Chrétiens vilain sein Aussehen, seine moralische Indifferenz und Situierung jenseits aller elaborierten Techniken den Waldmann noch zum Inbegriff menschlicher Leidenschaften machen, in dem Begierde, Affekt, Zorn und Gewaltherrschaft als aus der höfischen Gesellschaft ausgelagerte Emotionen verbildlicht sind, so Udo Friedrich167, ist dies für Hartmanns Waldmann nicht mehr vollständig zutreffend. Durch seine nahezu höfisch geprägten Umgangsformen verliert er einen Teil seiner Funktion als Kontrastfolie. Das positiv konnotierte Monstrum ist zwar schwarz, Zorn funkelnd und hässlich, aber Gegenbild alles Höfischen ist es nicht – zumindest nicht in der Art und Weise, wie es die Wilden Frauen als Kontrast zur höfisch-schönen Dame sind. Vielmehr könnte man in ihm ein Abbild der Leib-Seele-Dichotomie lesen, wie sie in Kapitel 3.1.2. erläutert wurde. Im Waldmann zeigt sich ein Auseinanderdriften von Außen und Innen. Ihn Michels viertem Typus „außen hässlich, innen schön“ zuzuordnen, wie es sich für zeitweilig hässliche gewordene höfische Figuren darstellt, ist zu weit gegriffen, doch zeigt der Waldmensch meiner Erkenntnis nach deutliche Anklänge an diesen Typus. Sieht der Betrachter über das hässliche Äußere der Figur hinweg, erkennt er, dass der erste Eindruck eine Fehleinschätzung war. Ein „Durchschauen“ der Hülle verlangt nach erkenntnistheoretischen Vorgaben, wie sie bei Augustinus zu finden sind, eine besondere Leistung des Betrachtenden. Die Figur des Waldmanns ist somit in doppelter Hinsicht ein Aufruf, sowohl an den Aventiureritter als auch an das Publikum, die eigene Haltung zu hinterfragen: zum einen die Aventiuredefinition des höfischen Ritters und zum anderen die Erwartungshaltung der Ritters, wie auch des Publikums an eine äußerlich hässliche Figur.168 Nicht zuletzt hat der Waldmann aber auch einen spezifischen Bezug zum Titelhelden Iwein. Als wiederkehrende Figur vernetzt er durch sein zweimaliges Auftreten die beiden Auszüge Kalogrenants und Iweins; Michel bezeichnet ihn in diesem Zuge als vertextendes Mittel.169 Gleichzeitig aber kann er auch als Präfiguration des wahnsinnigen Iwein gelesen werden, als vorausdeutende Figur, die ein semiotisches Feld eröffnet, auf das später in der Darstellung Iweins zurückgegriffen werden kann.170 Dieser Zusammenhang wird später in dieser Arbeit bei der Analyse des „mohrenschwarzen“ Iwein in Kapitel 4.1. näher ausgeführt. Es soll an dieser Stelle lediglich mit Michel darauf hingewiesen werSchloß Rodenegg: eine Bildergeschichte nach dem „Iwein“ Hartmanns von Aue. Sigmaringen: Thorbecke. S. 73–105. 167 Vgl. Friedrich (2009): Menschentier, S. 364. 168 Ähnlich auch Hammer (2009): Ordnung: „Die Gutmütigkeit des Wesens, das durch seine schwarze Farbe durchaus wieder in den Assoziationsrahmen des Dämonischen rückt, hebt den typischen Eindruck, den auch die Protagonisten des Romans haben, dass nämlich, wer hässlich ist, auch böse sein muss, auf.“ (S. 234) 169 Vgl. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 66. 170 Vgl. zur Präfiguration des wahnsinnigen Iwein durch den Waldmann grundlegend Wehrli [Wehrli, Max (1969): Formen mittelalterlicher Erzählung. Aufsätze. Zürich/ Freiburg: Atlantis-Verlag. S. 177–193.]
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den, dass im Waldmann, der über seine Hirtentätigkeit von Kalogrenant von Weitem als menneschlîch erkannt wird, bereits einen Vorausdeutung auf den Umstand gegeben wird, dass man auch von Iwein erwarten darf, dass er in seinem Wahnsinn und seiner tierhaften Lebensweise nicht gänzlich aus der Schöpfungsordnung fallen wird.171 Abschließend ist festzuhalten, dass der Waldmann in Hartmanns Iwein nicht allein als Abbild eines vorgeprägten, tradierten Typus verstanden werden kann. Bei näherer Analyse wird deutlich, dass der schwarze, hässliche gebûre viel mehr ist als nur schwarz und hässlich – seine Rolle im Roman ist überaus vielfältig ausgestaltet und sicher nicht einfach auf eine Funktion zu reduzieren. Er ist eine Grenzgestalt, überspitzt formuliert verkörpert der Waldmann die Grenze zwischen Kultur und Natur, höfischem Umfeld und Wildnis. Diese Linie verläuft geradezu durch die Figur hindurch – die schwarze, haarige Missgestalt mit den roten Augen auf der einen Seite, und auf der anderen das hilfsbereite Wesen, welches die tradierten Konnotationen des Wilden Mannes sprengt. Die Farbigkeit der Figur in Schwarz, Grau und Rot ergibt sich dabei aus dem ikonographischen Kanon der Darstellung der naturhaften, wilden Sphäre, die vornehmlich über Tierattribute und die erwähnte Farbpalette visualisiert wird. Die dadurch aufgerufene Farbsymbolik, wie sie in der vorangegangenen Analyse aufgezeigt wurde, deckt sich allerdings nicht mit dem dazugehörigen Verhalten – für das Mittelalter eine irritierend uneindeutige Konstellation. Eindeutig in ein Modell wie Michels viergliedriges System einzuordnen ist der Waldmann nicht – und darin liegen auch die Problematik und gleichzeitig die Faszination dieser Figur begründet: in ihrer ambivalenten, liminalen Stellung in Raum-, Schöpfungsund Gesellschaftsordnungen. Die im Waldmann auftretende Inkongruenz von Innen und Außen wird sich in anderer Gewichtung beim wahnsinnigen Iwein wiederholen, so bleibt mit Mielke abschließend zu konstatieren: In beiden metaphorischen Vergleichen des Iwein ist das Äußerliche als Kontrast zu sehen zum Innerlichen. Keiner der beiden ,Wilden‘ [Iwein und Waldmann, C.O.] ist wirklich wild; keiner der beiden Schwarzen ist wirklich ein Mohr. Schein und Sein sind bei HARTMANN nicht identisch.172
3.3.4.2 Wilde Frauen – Wirnts von Grafenberg Wigalois und Heinrichs von dem Türlîn Diu Crône Der Typus der Wilden Frau tritt im Volksglauben in unterschiedlichen Ausprägungen auf.173 Viele der Erscheinungsformen sind, ähnlich wie bei ihrem männlichen Counterpart, erschreckend hässlich und zeichnen sich durch Tier-Mensch-Mischformen, Behaa-
Vgl. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 66. Mielke (1992): Nigra sum et formosa, S. 91f., Hervorhebungen im Original. 173 Vgl. hierzu näher Bernheimer (1979): Wild Men, S. 33 und Habiger-Tuczay (1998): Wilde Frau, S. 603–615. 171 172
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rung des ganzen Körpers und ein schmutzig-dunkelfarbiges Äußeres aus.174 Den meisten von ihnen wird Kannibalismus, vor allem das Verschlingen kleiner Kinder vorgeworfen, womit sie in eine Reihe mit anderen Figurentypen wie Hexen und Dämoninnen treten.175 Wilde Frauen sind zumeist schon im Text dezidiert als Teufelinnen oder Teufelsbräute markiert (des tiuvels trute [Wg, V. 6443], des tiuvels prût [Cr, V. 9347]).176 Sie zeigen unweiblich-deviantes Verhalten, greifen den Helden furchtlos und mit roher Gewalt an und bringen ihn in arge Bedrängnis. Manchmal kämpfen sie mit einem ausgerissenen Baum als Waffe, oder tragen sogar eine Rüstung.177 Trotz ihrer abstoßenden Hässlichkeit wird ihnen eine erotische Attitüde zugeschrieben, gepaart mit großer körperlicher Stärke.178 Sie sehnen sich nach der Liebe sterblicher Männer und entführen diese nicht selten. Damit wird die Gestalt zu einer Bedrohung für die patriarchale Ordnung.179 In der bildlichen Darstellung kann die Wilde Frau aber auch die Funktion eines Fruchtbarkeitssymbols einnehmen.180 Margaret Schleissner weist zurecht darauf hin, dass die Rolle der Andere Erscheinungsformen wie z.B. die Wilden Fräulein können auch durchaus ein ansprechendes Äußeres aufweisen, tragen Züge einer Tierherrin und sind eng mit den Feenfiguren verwandt. (vgl. Habiger-Tuczay (1998): Wilde Frau, S. 606–612.) 175 Eine nahe Verwandte der Wilden Frau ist auch die Meerfrau, deren Typus sich aus dem Vorbild der Sirenen speist. Ein Beispiel dafür findet sich im Wigamur [Wgm, V. 112–333], in der das wilde weyb Lespia den Königssohn Wigamur raubt. Sie wird als merfrawe beschrieben, die mit ihren Töchtern im Meer lebt und deren Brüder als klassische Wilde Männer in einem nahe gelegenen Wald hausen. Ihr Ende findet die Meerfrau, als sie ein merwunder fängt und in ihrem Unterschlupf einsperrt. Das Ungeheuer tötet ihre Töchter und flieht mit Wigamur auf den Meeresgrund. Lespia ersticht sich daraufhin. Überraschenderweise zieht dieses abscheuliche Meerwesen Wigamur liebevoll auf und unterrichtet ihn in allen ritterlichen Künsten. Als die Zeit für die Schwertleite gekommen ist, bringt es den Jungen wohlbehalten an Land – auch hier scheint offenbar die Gleichsetzung von „außen hässlich – innen böse“ nicht vollständig zu greifen. 176 Hammer (2009): Ordnung, S. 233, sieht hingegen keinen Zusammenhang zwischen den Monstren des höfischen Romans und dem Teufel. Laut Hammer mögen die Figuren zwar das Böse oder Chaotische repräsentieren, jedoch nicht in einem christlich-theologischen Sinne. Seien die Figuren mit dämonischen Semantisierungen besetzt, bleibe es bei oberflächlichen Bezügen. Vielmehr charakterisierten die monströsen Figuren das Unhöfische, den wilden, unzivilisierten Gegner, obwohl bestimmte dämonische Konnotationen stets mitschwängen. 177 Vgl. Habiger-Tuczay (1998): Wilde Frau, S. 609. 178 So auch Hintz (1998): Der Wilde Mann, S. 622: „Auch die Wilde Frau war durch sinnliche Gelüste sklavisch getrieben und genauso kampfeslustig wie ihr männliches Gegenstück.“ und ders.: „Es überrascht nicht, daß der Mythos der Wilden Frau ebenso wie die des Wilden Mannes das Thema der sexuellen Kraft und der sinnlich-erotischen Leidenschaft besonders stark betont.“ (S. 622) 179 So auch Schleissner [Schleissner, Margaret (1991): Die wilde Frau in der mittelhochdeutschen Epik. In: Eijiro Iwasaki (Hg.): Begegnung mit dem „Fremden“. Grenzen – Traditionen – Vergleiche; Akten des VIII. Internationalen Germanisten-Kongresses, Tokyo 1990. München: Iudicium-Verl., S. 67–74, hier S. 74]: „Sie [die Wilde Frau, C.O.] verkörpert das anarchische Prinzip der weiblichen Sexualität, das unabhängig und nicht ohne Gefahr für den Mann entsteht. Dieses Prinzip muß eingefügt werden in die patriarchale, höfisch-christliche Gesellschaftsordnung und Kosmologie. Deshalb werden zugleich tierische Triebe und menschenähnliche Attribute […] auf sie projiziert.“ 180 Vgl. Habinger-Tuczay (1998): Wilde Frau, S. 611. 174
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hässlichen Frau im höfischen Roman im Gegensatz zu der des Wilden Mannes bisher nicht differenziert genug betrachtet wurde, sie verweist hier vor allem auf den hässlichen, zugleich aber auch zauberkundigen und gelehrten Frauentypus. Die Wilde Frau bildet in ihrer Darstellung das Gegenbild zur schönen höfischen Dame schlechthin. Ihr Äußeres negiert jeden Schönheitsaspekt von Grunde auf – die weiße Haut, die roten Lippen und Wangen, die leuchtenden Augen, das blonde, lockige Haar und den schlanken, wohlgestalteten Körperbau. Besonders aber die tierischen Attribute in ihrer Gestalt führen zu einem, wie Seitz es nennt, geradezu „minnetötende[n] Entsetzen“181. Hinweise auf die Unmöglichkeit angenehmen sexuellen Kontakts mit den Figuren durchziehen wie ein roter Faden die Hässlichkeitsbeschreibungen. Der Protagonist urteilt über die erotische Attraktivität (oder eben den Mangel an derselbigen) der Wilden Frau.182 Auch die Vergleiche mit herausragenden Beispielen höfisch schöner Damen geben die sonst Grauen erregenden Figuren der Lächerlichkeit preis. Diese Darstellung und Ironisierung vor der Folie der Schönheitsbeschreibungen geschieht nicht zuletzt über die Negierung der Farben höfischer Schönheit, deren bewusste Verkehrung die Wilden Frauen zu einem Zerrbild werden lässt. Wenden wir uns zuerst der wilden Rûel aus dem Wigalois Wirnts von Grafenberg zu. Nach dem Kampf gegen den Drachen Pfetan und einer anschließenden Heilphase bricht Wigalois erneut zur Residenz des Teufelknechts Roaz nach Glois auf. Er kommt in Gedanken vom Weg ab und gelangt mit seinem roten Pferd183 an einen Fluss, der ins Heidenland führt. Als er ein Floß heranziehen will, um ans andere Ufer zu kommen, gelangt er in die Nähe der Höhle der Waldfrau Rûel, die ihn auch sogleich attackiert.184 Der heftige und unerwartete Angriff der Frau überrumpelt Wigalois, so gelingt es Rûel, ihn zu ergreifen und wie einen Sack davon zu schleppen. Der Ritter wagt nicht, sein Schwert gegen sie zu erheben. Solche Bedenken hat Rûel nicht; sie entledigt den Ritter seiner Rüstung, schleift Wigalois an den Haaren zu einem Baumstumpf und will ihn mit dem eigenen Schwert köpfen. Dem Tod schon ins Auge blickend erinnert sich Wigalois allerdings an seine Minnedame Larie – und in diesem Augenblick wendet sich sein Schicksal. Wigalois’ Pferd wiehert laut, und Rûel glaubt, der Drache, den Wigalois erschlagen hat, nähere sich der Höhle. Sofort flieht sie Hals über Kopf und lässt den Ritter zurück. Dessen Fesseln werden von Gott selbst gelockert, so dass er sich befreien und weiter in Richtung Glois reiten kann.185 Seitz (1967): Darstellung häßlicher Menschen, S. 55. Vgl. Habinger-Tuczay (1998): Wilde Frau, S. 609. 183 rehte rôt als ein bluot [Wg, V. 6247]. 184 Man könnte in diesem plötzlichen Angriff auch eine Wächterfunktion Rûels für den Fluss und das umliegende Land lesen. 185 Wennerhold [Wennerhold, Markus (2005): Späte mittelhochdeutsche Artusromane. „Lanzelet“, „Wigalois“, „Daniel von dem Blühenden Tal“, „Diu Crône“; Bilanz der Forschung 1960–2000. Univ. Diss. Würzburg, 2002. Würzburg: Königshausen & Neumann (Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie, 27), hier S. 104f.] merkt an, dass unter anderem aufgrund dieser Szene dem Wigalois von der Forschung eine stärker religiös geprägte Auffassung vom Aventiureglück des Helden zugeschrie181 182
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Betrachten wir die Darstellung der Waldfrau im Detail. Der Erzählerblick gleitet an der Figur hinab, während sie sich dem Ritter in atemberaubender Schnelligkeit nähert. Der erste Aspekt, der gegenüber dem Publikum erwähnt wird, ist weder ihr Name noch ihre Herkunft oder Absicht, sondern ihre Farbe: Das Weib, das Wigalois plötzlich entgegenrennt, ist in einer varwe gar / swarz [Wg, V. 6287f.] (die [Wilde Frau, C.O.] war ganz schwarz). Und damit nicht genug, sie ist auch sogleich rûch als ein ber [Wg, V. 6288], behaart wie ein Bär. Innerhalb von zwei Versen ist die Figur bereits deutlich vorkonturiert: die Schwärze ihrer Gestalt in Kombination mit dem Tiervergleich negiert jeglichen Aspekt höfischer Schönheit und stellt sie in die Tradition des Wilden-Mann-Typus. Nicht nur sieht sie aus wie ein Tier – sie gebärdet sich auch wie eines, ihre archaische, ungezügelte Affektivität lässt ihre tierische Komponente deutlich hervortreten. Das Schwarz ihres Körpers verweist derweil auf die Konnotation des Bösen, Dämonisch-Unterweltlichen, insbesondere in Kombination mit den Tiermerkmalen und dem ihr zugewiesenen Raum, einer Höhle. Rûel wird auch später ausdrücklich als die tiuvelin [Wg, V. 6379] und des tievels trûte [Wg, V. 6443] benannt, ein tatsächlicher Teufelspakt wie bei Roaz besteht allerdings nicht. Nach dem einleitenden Gesamteindruck „schwarz und behaart wie ein Bär“ folgt ein erster Hinweis auf ihr Verhalten: grôziu schœne und guot gebærde [Wg, V. 6289, V. 6290], blendende Schönheit und feines Benehmen, gehören nicht zu ihren Eigenschaften. Es folgt eine recht geordnete Hässlichkeitsbeschreibung der Wilden Frau, die auch – bis auf kleinere Einschübe – durchgehend „musterkonform“ von oben nach unten erfolgt. Allerdings ist sie durchzogen von zwei Kommentierungslinien, die immer wieder im Verlauf der Beschreibung aufgegriffen werden: dem Vergleich mit vorbildlichen höfischen Schönheiten und dem Verweis auf ihre Unfähigkeit, Minne hervorzurufen, beziehungsweise eine angenehme Partnerin für eine Liebesnacht zu sein. Jegliche erotische Qualität wird dem ‚Waldweib‘ abgesprochen, indem nicht nur ihr Körper als abstoßend geschildert, sondern auch jegliche Annäherung an sie mit Hinweisen auf deren verheerende Folgen charakterisiert wird. Die Beschreibung des Äußeren beginnt mit dem Haupt: Die Haare von unbestimmter Farbe sind offen und reichen bis zur Hüfte. Der Kopf ist groß, das Gesicht behaart [ûz grôzer riuhe, Wg, V. 6295], die Nase platt gedrückt. Rûel entspricht nicht dem Ideal des harmonischen Gesamtbildes der mittelalterlichen Ästhetikvorstellungen, ihr Körper scheint aus der Proportion geraten zu sein, alles wirkt zu groß, zu breit, zu gekrümmt und verwachsen. Die Augen, dem höfischen Schönheitsideal entsprechend sonst klar und leuchtend, oft mit einem Himmelskörper verglichen, sind zwar auch bei Rûel von einer ben wird, indem der glückliche Zufall als Gottes Werk ausgelegt wird. Fuchs jedoch [Fuchs, Stephan (1997): Hybride Helden: Gwigalois und Willehalm. Beiträge zum Heldenbild und zur Poetik des Romans im frühen 13. Jahrhundert. Univ. Diss. Frankfurt (Main), 1995. Heidelberg: Winter (Frankfurter Beiträge zur Germanistik, 31)] weist darauf hin, dass dieser religiösen Auffassung bewusst jede ethische Komponente abgeht, dass es eben nicht um Wolfram’sche Religiosität und planvoll eingesetztes, unbeirrtes Gottvertrauen geht, welches Wigalois zu einer Gegenkonstruktion zu Wolframs Parzival ausgestalten würde. (vgl. S. 159ff.)
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Art innerem Licht erleuchtet, allerdings scheinen sie dem Erzähler als zwô kerzen [Wg, V. 6296], also glühend, stechend und möglicherweise auch gelb oder rot. Eine solche Erleuchtung der Augen deutet hier auf einen aggressiven Zustand. Weiterhin sind ihre Brauen, ähnlich wie beim Waldmann im Iwein, lanc unde grâ [Wg, V. 6297]. Die Zähne sind überproportional groß, ebenso wie der weite Mund und die Ohren als ein hunt [Wg, V. 6299]. Hier schließt der Erzähler die Beschreibung von Kopf und Gesicht an, aber nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die schöne Larie, die Minnedame Wigalois’, drei von Rûels Art mit ihrer Schönheit übertroffen hätte [Wg, V. 6301–6303]. Damit wandert der Blick weiter an der Figur hinab. Rûel hat einen gekrümmten Rücken, vorn auf der Brust eine Art Höcker über dem Herzen. Erneut zieht der Erzähler eine höfische Dame zum Vergleich heran: Hartmanns Enite. Rûel könne nur jemand begehren, der nie zuvor Enite erblickt habe.186 Rûel wird mithin im Kontext eines Liebesdiskurses, genauer als mögliches Objekt männlichen Begehrens gekennzeichnet – etwas Ähnliches trifft auf den Waldmann nicht zu. Die Wilde Frau wird über ihre Minneunfähigkeit beziehungsweise ihre mangelnde körperlich-sexuelle Attraktivität bewertet, ein offenbar spezifisch auf weibliche Figuren appliziertes Merkmal. Teil dieser Anspielung auf eine mangelnde Erotik der Figur ist auch der Blick auf die Brüste des Wesens, sie hängen herunter bis um die Hüften gelîch zwein grôzen taschen [Wg, V. 6316]187 (gleich zwei großen Taschen) – eine wenig schmeichelhafte Umschreibung, auffällig besonders, weil bei den Schönheitsbeschreibungen die unter dem Hals befindlichen Körperteile (Arme und Hände ausgenommen) meist zurückhaltend geschildert oder nur angedeutet werden. Rûel hat Klauen wie ein Greif an allen Fingern und harte Handballen wie ein Bär. Rosig (rôt) und weich wie bei den höfischen Damen üblich sind ihre Handflächen nicht. Wer auch immer Rûel seine Minne schenken sollte – auch hier wird erneut die Möglichkeit nicht kategorisch ausgeschlossen – es wäre ihm sicherlich ein sûrez trûten [Wg, V. 6324], eine üble Liebkosung. Jedenfalls sei sie sehr unähnlich der schönen Dame Jeschûte aus Wolframs Parzival, die beiden seien sich gelîch […] reht als ein bin einer geiz. [Wg, V. 6338f.] ([Beide Frauen] glichen einander, […] wie eine Biene einer Geiß.) Die Schönheit Jeschutes habe Wolfram gebührlich gepriesen – Rûel sei hingegen ungehiure, d.h. unheimlich, unlieblich, Abscheu oder Entsetzen erregend.188 Damit kommt die Beschreibung zu ihrem Finale: Rûel ist ganz und gar unsüeze (unlieblich oder unangenehm). Jeder, der eine kurze Minnenacht mit ihr verbringen sollte, würde um Jahre altern, so süß sei ihre Minne. Nun erfahren wir nach rund 70 Versen Hässlichkeitsbeschreibung den Namen der Frau: Man nenne sie diu starke Rûel [Wg, V. 6353]. Ihr Mann sei von einem Ritter hêt iemen von ir hôhen muot / dern sach der vrouwen Ênîten niht [Wg, V. 6307f.] (Nur derjenige konnte sich in sie verlieben, der niemals Frau Enite gesehen hatte[.]). 187 Diese Fokussierung der weiblichen Geschlechtsmerkmale, die als verunstaltet dargestellt werden, gehört laut Schnell (2005): Ekel und Emotionsforschung, S. 407 zum Typus der vetula, der hässlichen alten Frau, bei dem vor allem die Betonung tabuisierter Körperteile und -öffnungen auffällt. Auch zeigen sich Parallelen zum Typus der annincula, des alten Hexenweibes. Diese Darstellungen verdanken sich vor allem misogynen Motiven. 188 Vgl. Eintrag ungehiure in: Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.2, Sp. 1837. 186
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getötet worden, seitdem sinne die Wilde Frau auf Rache. Sie sei so gewandt und schnell, dass kein Tier ihr entrinnen könne. Mit dieser tödlichen Schnelligkeit ergreift sie auch den Ritter Wigalois. Der wagt es nicht, sein Schwert gegen sie zu ziehen, warum genau, ist nicht ganz eindeutig.189 Während der Erzähler die Wilde Frau als vrouwe ungemeit [Wg, V. 6384] (ungemeit hier verstanden als hässlich bzw. scheußlich) bezeichnet, spricht die Figur Wigalois von ihr als crêatiure [Wg, V. 6393]. Seine Kennzeichnung spart somit, anders als die des Erzählers, die Geschlechtsidentität Rûels explizit aus. Sie entledigt den Ritter seiner Rüstung, knebelt und fesselt ihn – Lunete habe den gefangenen Iwein weit besser behandelt. Kraft und Sinne weichen dem jungen Ritter. Mit guoten wîbes minne [Wg, V. 6403] (der Minne einer liebevollen Frau) habe Rûels Liebkosung nichts gemein, führt der Erzähler in einem letzten Minnevergleich aus: sus sint die minne mislîch: / diu eine ist arm, diu ander rîch. [Wg, V. 6404f.] (So ungleich ist die Liebe, die eine bringt Freude, die andere Unbehagen.) Die Hässlichkeitsbeschreibung der tievels trûte Rûel erfolgt mithin überwiegend über die Kontrastierung mit dem höfischen Schönheitsideal. In diesen Zusammenhang gehören auch das Konstatieren ihrer Unfähigkeit, Verlangen und Liebe bei einem Ritter hervorzurufen sowie der Hinweis darauf, dass sie einem Vergleich mit höfischen Schönheiten nicht standhalten würde, denn, so haben wir in der Analyse der Schönheitsbeschreibungen gesehen, beide Aspekte sind integrale Bestandteile des höfischen Frauenideals. Nichts davon trifft auf Rûel zu. Äußerlich ist sie schwarz, haarig und von scheußlichem Aussehen. Für sie gilt nicht das höfische Farbmuster Weiß-Rot-Schwarz als Vorgabe, rosig und weich ist nichts an ihr. Rûels Farben sind das Schwarz, Grau und (implizit) Rot oder Gelb des Teuflischen, Wilden. Im Gegensatz zum Waldmann in Hartmanns Iwein kommuniziert sie nicht verbal mit dem Ritter. Ihre Intention, nämlich die Rache für den Tod ihres Gefährten, und ihre Handlungen sind eindeutig feindselig. Ihre Kleidung, insofern sie denn überhaupt bekleidet ist, wird nicht erwähnt – ein deutlicher Gegensatz auch zu der überaus höfisch ausgestatteten Cundrîe im Parzival. Mit ihren Hundeohren, Greifenklauen, Bärenhänden und ihrem Bärenfell müsste Rûel dem Publikum als Furcht erregende Ungeheuergestalt erscheinen, ähnlich wie der Drache zuvor. Doch nicht auf das beim Publikum zu erregende Grauen zielt die hässliche Kontur der Frauengestalt. Über die für Rûel überaus negativ ausfallenden Vergleiche mit den berühmten Schönhei189
S. und U. Seelbach übersetzen in ihrer Wigalois-Ausgabe (2005), es „schien ihm nicht angemessen, gegen sie sein Schwert zu ziehen, denn höflich war er stets.“ Auch Fasbender [Fasbender, Christoph (2010): Der „Wigalois“ Wirnts von Grafenberg. Eine Einführung. Berlin: de Guyter (De-GruyterStudium)] ist der Ansicht, Wigalois wolle nicht gegen eine Frau kämpfen und zögere deshalb, anzugreifen. Fuchs (1997): Hybride Helden, bezeichnet dieses Verhalten sogar als Zug „ritterlicher Fairneß“ (S. 161), wegen der sich Wigalois auf Schonung verlege, die sich im Nachhinein als völlige Fehleinschätzung der Situation erweise. Der Text allerdings nennt als Grund, Rûel sei des niht wert [Wg, V. 6373], Wigalois’ tugent ließe es nicht zu, das Schwert gegen sie zu erheben. Es ist nicht genau zu erkennen, ob es bei seiner Weigerung des Ritters um einen Höflichkeitsaspekt einer, wenn auch hässlichen, Frau gegenüber handelt, oder um die Tatsache, das Rûel ihm nicht als würdiger Gegner erscheint.
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ten des Artusromans (Enite, Jeschute, Larie und Lunete)190 wird sie der Lächerlichkeit preisgegeben und ihr Schrecken erregendes Aussehen gewinnt eine Note des Abstrusen, Komischen. Die Figur wird ridikulisiert. Man möchte fast lachen über das groteske Wesen, deren Minne den Mann in nur einer Nacht altern lässt. Und auch das Ende der Episode reizt zum Schmunzeln: Innerhalb einer Sekunde wendet sich das Blatt zu Wigalois’ Gunsten. Das Wiehern eines Pferdes allein genügt, um die Wilde Frau in Angst und Schrecken zu versetzen, sie vermutet den hungrigen Drachen dahinter, der auf dem Weg zu ihrem Lager sei, und nimmt Hals über Kopf Reißaus als ir der zagel wær verbrant. [Wg, V. 6447] ([…] als ob ihr Hinterteil in Flammen stünde.) Die Figur der Rûel geht grundlegend auf den Typus des Wilden Mannes zurück. Das Äußere der Figur verweist außerdem auf den Motivstrang des Kainskindermythos. Rûel vereint Anteile aus allen drei großen Merkmalskomplexen, die aus dieser Traditionslinie hervorgehen: Ihr Aussehen ist durchzogen von Tieraspekten, sie verhält sich auch tierähnlich, ist aggressiv, übermäßig gewandt und der menschlichen Sprache nicht mächtig, ihr Körper zeigt zwar keine Verkehrungen einzelner Körperteile, ist aber disproportional gestaltet. Außerdem ist sie schwarz am ganzen Leib. Die Tiermerkmale sind Zeichen des Teuflischen und deuten gleichzeitig auf ihre unkultivierten Verhaltensweisen hin, ihre Gewalt- und Mordbereitschaft und ihre unverhohlene Rachsucht. Gleichzeitig aber, und darauf weist Fasbender hin, trifft auf Rûel eine „Zwiegesichtigkeit“ zu, ebenso wie auf einige weitere Unwesen im Wigalois.191 Sie ist nicht vollständig mit der Formel „außen hässlich, innen hässlich/böse“ zu fassen. Zwar ist sie, nimmt man nur ihr Körperkonzept als Parameter, eine unhöfische Frau mit hässlichem Äußeren, doch gehen die Semantiken dieses Äußeren nicht einsinnig im Hinblick auf ihre Aggressivität und Feindseligkeit auf. So ist sie im Wigalois mehr als nur Abbild eines Figurentyps, erhält sie doch eine eigene Geschichte. Damit erfährt ihre ‚Art‘ eine Begründung: Feroz, ihr Mann, wurde, so der Erzähler, von dem Ritter Flojir von Belamunt getötet. Aus Trauer um ir lieben man [Wg, V. 6361], den sie für immer verloren hat, sinnt sie auf Rache an dem erstbesten Vertreter des Ritterstandes, auf den sie trifft. Rûel ist mehr als nur ein hässliches, böses ‚Waldweib‘ – der Rechtfertigung ihrer Handlungen haftet etwas unverkennbar Emotional-Menschliches, über ihre Geschichte womöglich gar etwas Höfisches an.192 Auch aus diesem Grund, so meine Vermutung bezüglich der Hierarchisierung der Figuren, verliert sie nicht wie der ausschließlich bösartige Drache Pfetan ihr Leben an Wigalois, sondern kommt mit Spott davon. Ihre äußerliche Gestalt aber bleibt ausschließlich negativ konnotiert. Die höfische (Minne-)Dame wird einzig über den Körper definiert, und in diesem Sicherlich, darauf weist auch Fasbender (2010): Der „Wigalois“, S. 89, hin, ist diese Nennung verschiedener Figuren hier auch eine gezielte Evokation der Literaturtradition, der sich Wirnt verdankt. 191 Vgl. Fasbender (2010): Der „Wigalois“, S. 170ff. 192 Ganz anders hierzu Fuchs (1997): Hybride Helden, S. 161: Rûel attackiere Wigalois stellvertretend für die gesamte Ritterschaft als Racheakt für den Tod ihres Mannes. Dies, so Fuchs, markiere sie als Gegnerin, die der Ritterschaft als solcher feind ist, und damit in jeglicher Hinsicht als außerhöfisch, ja sogar außergesellschaftlich und nicht-menschlich. 190
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Fall wird Rûel, wenn man so will, „Opfer eines solchen Körperkultes“193, in dessen Kontext sie einzig zur Spottfigur taugt. Eine der Rûel in ihrer Ausgestaltung verwandte, aber nicht deckungsgleiche Figur ist die der Wilden Frau im Crône-Roman Heinrichs von dem Türlîn, auf die Gawein ebenfalls in einem Wald nahe einem Fluss trifft. Nachdem sich der Held vom Feenhof der Amurfina aus wieder auf Aventiure begeben hat, stößt er auf eine Dame, die von einem Wassermann entführt worden ist. Der Ritter stellt sich dem abscheulichen Wesen entgegen und schlägt ihm einen Arm ab. Auf das Schmerzgeheul des Wassermannes hin (der im Text auch als Wilder Mann [Cr, V. 9255]194 geführt wird) eilt ihm eine ganze Gruppe seiner waltgesellen zur Hilfe, gegen die Gawein sich zum Kampf stellen muss. Gegen sein Schwert und seinen Heldenmut haben die tiuvels kint [Cr, V. 9305] mit ihren Ästen allerdings keine Chance, und der Ritter tötet einige von ihnen, die anderen fliehen. Vom Kampf geschwächt rasten Ritter und Dame unter einem Baum. Doch schon naht das nächste Unheil: Vom Geschrei des Wassermannes angezogen, eilt eine Wilde Frau heran, man hört schon von Weitem ihr grauenvolles Geheul. Das wilde wîp ist zwölf Ellen groß, unsagbar hässlich und übermenschlich stark und packt, ähnlich wie Rûel, den überrumpelten Gawein, um ihn davon zu schleppen und zu töten. Jedoch gelingt es dem Ritter, sein Schwert zu ziehen und ihr ein Bein abzuschlagen, woraufhin die vàlantinne [Cr, V. 9467] in eine Höhle stürzt. Gawein aber kann unversehrt zu der geretteten Jungfrau zurückkehren. Obwohl die Figuren der Rûel und des namenlosen wilden wîps in der Crône offensichtliche Bezüge aufweisen und eine Inspiration Heinrichs durch Wirnts Figur kaum von der Hand zu weisen ist, gibt es doch in der Ausgestaltung der Darstellung und auch im Schicksal der Figur deutliche Unterschiede zu vermerken. Umfasst die Hässlichkeitsbeschreibung Rûels rund 70 Verse sind es bei Heinrich schon fast 100. Seine Ausgestaltung der Figur wartet mit detaillierteren und auch bei Wirnt nicht vorkommenden Hässlichkeitsmerkmalen auf. Das traditionelle Schema der hässlichen (alten) Frau wird stark erweitert und um einige Aspekte ergänzt, die eine humoristische Übertreibung des Mustertypus darstellen.195 Im Gegensatz zu Rûel kündigt sich die Wilde Frau in der Crône bereits von Ferne mit lautem Geheul an. Der Wald hallt wider von ihrer scheußlichen Stimme [Cr, V. 9329–32]. Gawein ist sich nun der nahenden Gefahr bewusst und rüstet sich zum Kampf. Was sich ihm dort nähert, hat er allerdings nicht erwartet: Ein wildez wîp mit einem riesenhaften Körperbau196, dessen gesamter Leib rûch von hâre gar [Cr, V. 9342] ist, welches wie folgt beschrieben wird:
Fasbender (2010): Der „Wigalois“, S. 171. Die Szene des Zusammentreffens Gaweins mit der Wilden Frau wird hier nach der Crône-Ausgabe (Cr) von Scholl (1966) zitiert. 195 Vgl. Wisbey (1975): Darstellung des Häßlichen, S. 33. 196 Die Grenze zwischen Riesin und Wilder Frau verläuft hier, wie auch in anderen Beispielen von Wilden Frauen im höfischen Roman, unscharf. 193 194
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Herte, grôz und swarz var Als swînes porste wol sô lanc, Und hâte nimmer keinen glanc Wan ein wahsiu igels hût [Cr, V. 9343–46] ([D]ie Haare waren hart, groß und tiefschwarz gefärbt, wohl von der Länge von Schweineborsten und so glatt wie die scharfe Haut des Igels.)
Ihre Gestalt ist, wie die Rûels, über und über bedeckt mit schwarzen Haaren – bei Rûel wird nicht expliziert, ob ihre Haut oder die Behaarung schwarz ist, sie ist einfach nur von einer varwe gar swarz. Bei Heinrich sind die Haare des wîbes überdies hart und lang wie Schweineborsten und so glatt und unbiegsam wie die Stacheln eines Igels. Damit wird auch hier die Wilde Frau einleitend als schwarzfarben und tiergleich beschrieben, in diesem Falle ist das Vergleichstier allerdings nicht der Bär, sondern es sind Schwein und Igel, stark negativ konnotierte Tiere. Ähnlich wie Wirnt lässt auch Heinrich immer wieder Erzählerkommentare zu dem nicht vorhandenen Liebreiz der Figur einfließen. An dieser Stelle erwähnt er zum Beispiel, dass die Wilde Frau selbst dem Teufel nicht als Braut gefallen hätte: Und wære sie des tievels prût, / Er het sie widersezzen. [Cr, V. 9347f.] (Wäre sie des Teufels Braut gewesen, hätte selbst der sie gefürchtet.) Nun folgt die detailreiche Beschreibung der Figur, gespickt mit ausgefallenen Tiervergleichen – die Farbgebung bleibt jedoch typisch für die Wilde Frau: dunkel, über den Vergleich mit einem Mohren als schwarz oder dunkelbraun markiert, so hässlich, dass sie das Licht der Sterne ausblendet und erleuchtet nur von dem düsteren Feuerschein der brennenden Augen. Das wilde wîp hat Augen wie ein Strauß (ougen sam ein strûz, Cr, V. 9356), die mit einem inneren Feuerschein brunnen sam ein viure [Cr, V. 9357]. Die Nase ist breit und flach und verströmt einen ungeheuren Gestank, so dass jeder, der ihn riecht, in Ohnmacht fallen muss. Der breite Mund erstreckt sich von Ohr zu Ohr. Ihr schwarzes, gekräuseltes Haupthaar gleicht einem môren / Was swarz unde reit [Cr, V. 9366f.]. Der Vergleich mit dem môren verweist hier auf den oben ausgeführten, zuerst mythologisch und dann christlich fundierten Kontext der höllischen Sphäre und des Schuldbehafteten, Sündigen, welcher mit der schwarzen Farbe aufgerufen wird, und nicht auf eine ethnographische Zuordnung.197 Dafür spricht auch, dass der Erzähler sofort anschließend wieder auf die Tiermetaphorik zurückkommt, die in Kombination mit dem Schwarzen ein klassisches Teufelsattribut darstellt. Ist die ideale Dame Trägerin eines inneren Lichtes, eines Scheins nach außen hin, der ihre Schönheit und ihre moralische Idealität widerspiegelt, ist das wilde wîp deren genaues Gegenteil. Glanzaspekte werden bei den hässlichen Frauenfiguren nicht erwähnt, der Anblick der Wilden Frau löscht hier sogar das Licht der Sterne: Ez wære von ir scheine / Ein lieht stern verswunden / Als er ir het enphunden. [Kr, V. 9372–74]198 (Ihr Glanz hätte einen hellen Stern zunichte gemacht, wenn der sie hätte Siehe hierzu den Exkurs unter 3.2.1.1. An dieser Stelle zitiert nach der Ausgabe von Knapp und Niesner (2000) (Kr), da in dieser Edition eine korrigierte Version der Zeilen vorliegt.
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spüren müssen.) Weiter wandert der Blick über die Wangen und Ohren der Frau, die so hässlich und tierähnlich gestaltet sind, dass es dem Erzähler als ein Wunder erschienen wäre, hätte jemals ein Mann für ihre Minne sein Leben gegeben [Cr, V. 9382f.]. Auch bei dieser Wilden Frau finden wiederum die Brüste Erwähnung, sie sind so übermäßig groß, dass man mit ihnen hätte zwei Blasebälge ausrüsten können. Nun geht Heinrich aber noch einen Schritt weiter als Wirnt und schildert außer den Brüsten der Wilden Frau auch noch ihren Unterleib, der einem Affen gleichkomme. Und was darunter verborgen liege, ähnele sogar einem Pferdegeschirr (Kummet) [Cr, V. 9398–403]. Diese Herabwürdigung der Figur durch ihre entstellten Geschlechtsteile hat einen misogynen Hintergrund. Der restliche Leib hängt an ihr herab wie ein runzeliger Sack, unter der faltigen Haut zeigen sich Adern, dick wie Wagenseile. Selbst der Nabel der Figur, wie auch Beine und Füße, sind missgestaltet. Abschließend zieht der Erzähler ein vernichtendes Fazit: Ungetân und unguot Was sie, daz geloubet, Natûre het sie beroubet Und aller süeze betoubet. [Cr, V. 9422–25] (Hässlich und böse war sie, das könnt ihr glauben. Die Natur hatte an ihr geplündert und jede Süße an ihr gelähmt.)
Die natura desipiens, die schöpferische Natur, ist Urheberin der Hässlichkeit, sie hat die Wilde Frau allen Liebreizes beraubt. Übertroffen wird ihre abstoßende Gestalt nur noch von der Figur des kneht undære, ebenfalls in der Crône zu finden, für den sogar die natura jegliche Verantwortung von sich weist. Ist Rûel bereits von großer Hässlichkeit, so ist das wilde wîp der Crône noch um einiges abstoßender dargestellt. Die im Wigalois auf visuelle Aspekte beschränkte Hässlichkeitsbeschreibung wird zusätzlich durch olfaktorische und auditive Aspekte erweitert. Auch die stark vertretenen Tiervergleiche sowie die Beschreibung des (Unter)Leibes der Kreatur sind Teile einer deutlich übersteigerten Darstellung. Gleichzeitig entbehren diese übertriebenen Schilderungen nicht einer gewissen Komik, welche beim Publikum ein angewidertes Lachen hervorgerufen haben mag. Kasten und auch Habiger-Tuczay199 verweisen für den Ursprung dieser außergewöhnlichen Merkmale auf das bereits in der Antike entwickelte Muster für den Typus der Hure und Kupplerin. Dazu gehören unter anderem der Gestank des Ungepflegten, die herabhängenden Wangen, der schlaffe, faltige Leib, der riesenhafte Wuchs sowie die hängenden Brüste. Das wilde wîp trägt keinerlei Bekleidung, um ihren abstoßenden Körper zu verdecken, und das muss sie auch nicht. Ihr Angriff auf Gawein ist nicht durch sexuelle Interessen motiviert (für Rûel kann das bis zu einem gewissen Punkt noch angenommen werden), sondern geschieht aus reiner Mordlust. Ihre abstoßende Erscheinung kümmert sie nicht – der Dichter inszeniert sie als hässlich um der Hässlichkeit Willen. Neben den misogynen Konnotationen der Figurenbeschreibung fallen auch die vielen Tiervergleiche ins Auge: Igel, Schwein, Jagdhund, 199
Kasten (1991): Häßliche Frauenfiguren. S. 273f. und Habiger-Tuczay (1998): Wilde Frau, S. 610.
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Strauß, Affe, Eber und Löwe werden als Vergleiche bemüht. Dieses Ineinander von Tier und Mensch ruft deutlich den oben beschriebenen Topos abendländischer Hässlichkeitsbeschreibung auf, durchdrungen von Hinweisen auf eine sündige Abstammung, auf die Tier-Mensch-Hybriden auf der Grundlage des Kainskindermythos oftmals zurückweisen. Dieser Rückbezug auf die Abstammung von Kain erscheint in unterschiedlichen Graden in der Darstellung aller in diesem Kapitel analysierten Figuren, die auf dem WildenMann-Typus basieren; des Waldmannes wie auch der Wilden Frauen. Als literarische Schreckensfigur bedient diese Wilde Frau die höfische Lust am Ausgefallenen. Ihre Rolle ist für das Erzählgeschehen des Crône-Romans relativ irrelevant, ihr Angriff bildet nur einen kurzen Zwischenstopp auf dem Aventiureweg Gaweins. Aufgrund dieser narratologischen Unbesetztheit der Figur entfaltet sich in ihrer Darstellung die dichterische Fantasie und sie nimmt groteske, bisher ungekannte Formen an. Dieser Verlust an ästhetischer Führung und sinnstiftender Formgebung, der sich laut Walter Haug in den späthöfischen Romanen häufig findet200, lässt es auch zu, dass sich die emotionale Reaktion des Publikums auf die Figur frei entfalten kann. Die vom Text hervorgerufene Bandbreite emotionaler Reaktionen erstreckt sich vom Ekel, der Freude an der rhetorischen Ausgestaltung der descriptio, dem misogynen Vergnügen an der Verhöhnung des abstoßenden Frauenkörpers über die Lust daran, über tabuisierte Dinge sprechen zu dürfen bis hin zu einem Genuss des heftigen Ekelaffektes (delectatio), da dieser in seiner literarischen Form keine tatsächliche Bedrohung des Höfischen darstellt und so als fiktionaler Aspekt „genossen“ werden darf und kann.201 Solche Beschreibungen evozieren Lust und Ekel, vor allem durch die häufigen sexuellen Anspielungen. Anders als bei Rûel gibt es bei dem wilden wîp keine Rechtfertigung ihres aggressiven, mordlustigen Verhaltens außer der, dass sie dem ebenfalls negativ konnotierten Wassermann zur Hilfe kommt. Sie ist ein Beispiel für eine genuin hässliche Figur, bei der hässliches Äußeres und unhöfisches, böses Inneres in Deckung stehen. Daher ist für sie auch keine Schonung zu erwarten: Gawein, nicht von den Bedenken eines Wigalois geplagt, schlägt ihr schlussendlich ein Bein vom Körper und das grauenvolle wîp stürzt unter lautem Geschrei hinab in ihre Lagerhöhle. Für die válatinne gibt es nur ein angemessenes Ende – den Tod. Welche Funktionen erfüllen nun diese hässlichen, schwarzen Tier-Frauen im höfischen Roman? Ist ihre abstoßende Hässlichkeit nur ein rhetorisches Spiel des Autors, der in der sinnentleerten Figur seine Kunstfertigkeit unter Beweis stellt oder lässt sich eine darüber hinausgehende Funktion der Figuren festmachen, die sich Wigalois und Gawein an dieser Stelle des Aventiurewegs entgegenstellen? Meiner These nach fungieren die Figuren der Rûel und des namenlosen wilden wîbes als ausgelagerte Kontrastfiguren, deren beinahe „liebevolle“ Ausgestaltung mehr ist als nur die Ausstellung eines literarischen Kunstgriffs in den Farbentopf des Hässlichen. Denn gerade der Umstand, dass die Farben der Wilden Frauen bei den sonst nicht mit Buntem geizenden Autoren Wirnt und Heinrich untypisch uniform dunkel bleiben, deutet auf ihre Gegenbildfunktion zum höfischen Ideal. Vgl. Haug (1984): Das Fantastische, S. 148f. Vgl. Schnell (2005): Ekel und Emotionsforschung, S. 419.
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Hingewiesen werden soll in diesem Zusammenhang überdies auf eine weitere Funktion der Figuren, wie sie Hartmut Bleumer202 darstellt: Er sieht in der Figur der Rûel und in der Wilden Frau der Crône die Verkörperung eines Teils der Krise des Helden. Beide Ritter, Wigalois wie auch Gawein, seien in einer (verdeckten) Identitätskrise gefangen, so Bleumer, die als Folge eines unterschiedlich motivierten Selbstverlusts erzählt sei: Bei Gawein als Resultat der Verzauberung durch Amurfina, bei Wigalois als Ergebnis seines Kampfes mit dem Drachen und der anschließenden Ohnmacht, nach der er sich selbst als ungehiure empfindet und seine ritterliche Identität als Traum abtut. In der Begegnung mit den Wilden Frauen treffe der Ritter nun jeweils auf eine Kontrastfigur, die ihn herausfordere, das Gleichgewicht zwischen Innen und Außen wiederherzustellen. Im Kontrast zu Iwein zeige sich diese Krise allerdings nicht in einem Verlust der Schönheit des Helden, sondern manifestiere sich in einer weiblichen, wilden Figur. „Die häßliche Ruel im ,Wigalois‘ ist Teil einer Krise, die dem Helden jetzt ganz als etwas äußerlich Begegnendes bedeutet wird und auf die er im Gegenzug schließlich innerlich zu antworten hat.“203 Auch Schleissner204 sieht die Parallelität der beiden Wilde-Frau-Episoden im vorhergegangenen Identitätsverlust Gaweins/Wigalois’ begründet. Beide erlitten zuvor eine Selbstentfremdung bis hin zur Namensvergessenheit, die, laut Schleissner, Iweins Wahnsinn bei Hartmann gleichkomme. Diese Gleichsetzung erscheint mir aufgrund der Reduktion des Krisenmoments im nachklassischen Artusroman als schwierig. Eine Identitätskrise wie sie im Iwein-Roman dargestellt ist, ist in den beiden hier behandelten Romanen nicht ausgestaltet.205 Doch sind die Beobachtungen von Bleumer und Schleissner auch nicht grundlegend von der Hand zu weisen. Eine Krisensituation des Helden wird in den beiden hier in Rede stehenden Texten in ein äußerliches Element, die Waldfrau, verlagert. Es kommt nicht mehr zum Schönheitsverlust des Helden, eine Vertierung findet nicht statt – diese beiden, für die höfische Idealgestalt des Helden bedrohlichen Elemente werden nun durch die Wilde Frau verkörpert. Wir finden darin eine Verflachung des Motivs, eine Demontierung der Schemastation der Krise, insbesondere in der Crône, in der Gawein mit einer Vielzahl kleinerer Krisenmomente konfrontiert wird. Die Krise
Bleumer, Hartmut (1999): Das wilde wîp. Überlegungen zum Krisenmotiv im Artusroman und im ,Wolfdietrich‘ B. In: Alan Robertshaw, Gerhard Wolf u.a. (Hg.): Natur und Kultur in der deutschen Literatur des Mittelalters: Colloquium Exeter 1997. Tübingen: Niemeyer. S. 77–89. 203 Bleumer (1999): Das wilde wîp, S. 86. 204 Schleissner (1991): Die wilde Frau. 205 So auch Haug (1984): Das Fantastische, S. 143, der die „Wende zum krisenlosen Helden“ als ein konstitutives Element in der Genese der Gattung des Artusromans versteht, auch Cormeau [Cormeau, Christoph (1977): „Wigalois“ und „Diu Crône“. Zwei Kapitel zur Gattungsgeschichte des nachklassischen Aventiureromans. Univ. Habil.-Schr. München. München: Artemis (Müncener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, 57).] liest die Handlung der Crône und des Wigalois als eine „Entwicklung ohne Krise“. Fuchs (1997): Hybride Helden, S. 140f, versteht den Wigalois als von Anfang an auf eine krisenlose Stringenz hin angelegt. Dazu auch ders., S. 149ff. und S. 224ff. 202
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des Ritters bedroht ihn nicht essentiell – die Bedrohung erscheint nun in Gestalt der mörderischen Waldfrau und kann in deren Figur überwunden werden. Des Weiteren dienen die Waldfrauen der Befriedigung des höfischen Interesses am Wunderbaren, dem Verständnis des Fremden als Faszinosum. Auch eine Motivierung der Ausgestaltung über die bei Schnell ausgeführte Lust des Publikums am Ekelobjekt spielt sicherlich eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dazu kommen unbestreitbar misogyne Motive in den Anklängen an Figurentypen wie die vetula, die annincula, die Hure und Kupplerin. In enger Verbindung mit dieser Funktion steht auch der ironisch-verspottende Umgang mit der Frauenfigur, die sich im Ausweis einer Inkompatibilität zwischen erotischer Attitüde einerseits und mangelnder sexueller Attraktivität andererseits dokumentiert. Diese Umkodierung von der Schreckens- zur Witzfigur über den sexuellen Aspekt tritt beim männlichen Vertreter des Typus nicht auf – die Attraktivität des Waldmannes wird im Iwein nicht reflektiert. Es scheint, als würde allein die hässliche Frauenfigur über ihre nicht vorhandene minnefördernde Anreizfunktion für den Ritter bewertet – als explizit erotisch reizlose oder gar abstoßende Frau wird sie zum Spottobjekt. Zusätzlich zu diesem Mangel an schœne findet man bei den Wilden Frauen noch eine große Gewaltbereitschaft. Dies wiederum spricht für die Funktion der Figuren als Projektionsfläche unhöfischer Affekte, eine Funktion, die dem Fremden und Hässlichen im Artusroman oft zukommt. In den Wilden Frauen finden sich Züge wie unbeherrschte Affektivität, Mordlust, Rachsucht und Gewalttätigkeit, gespiegelt in den tierischen Anteilen der Figur – all diese Aspekte gilt es in der höfischen Kultur zu unterdrücken. Abstrahiert man diese vielfältigen Beobachtungen, so lassen sich all diese Funktionen als Möglichkeit fassen, die Opposition von Kultur und Wildnis im fiktionalen erzählenden Diskurs im Rückgriff auf eine Kontrastierung von höfischer Dame und wildem wîp auszugestalten. Und dem entspricht, so die Erkenntnis, auch das Farbschema, das diese Opposition abbildet. Zeichnet sich das höfische Frauenbild durch helle Farben, Lichthaftigkeit und Glanz, durch die Kombinatorik von Weiß, Rot und einem kleinen Anteil Schwarz aus, so steht dem kontrastierend die durchgehend monotone und dunkle Akzentuierung der Wilden Frau entgegen. Es finden sich auch nirgends etwa fantastische Abweichungen von dieser Inversion des höfischen Farbenschemas, wie sie beispielsweise bei Heinrich an anderer Stelle zuhauf auftreten – grünhäutige ackerknehte, gelbgesichtige Teufelinnen und eisenfarbene Meerwesen sollen hier nur kurz erwähnt sein. Was sonst weiß ist, wird nun schwarz.206 Die Haut (oder im Falle der Wilden Frau die Gesichtsbehaarung) wird dunkel, das goldblonde Haar wird verfilzt, gleicht schwarzen Schweineborsten und Igelstacheln, die dunklen, fein gestrichenen Brauen werden grau und lang. Gilt bei der höfischen Dame besonders die glatte Haut als schön, ist sie beim wilden wîp rau und borstig, der Berührung unangenehm. Sogar die leuchtenden Augen erscheinen brennend wie Feuer, stechend in dem dunklen Gesicht. Prächtige höfische Anders beispielsweise im Rennewart Ulrichs von Türheim [Rennewart, V. 30736–30885], in dem eine wilde, hässliche Riesin auftritt, deren Haut grün wie Gras ist, die aber sonst in ihrer Ausgestaltung den Waldfrauen sehr ähnlich ist.
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Kleidung findet sich nicht, das wilde wîp ist nackt und gibt damit den Blick auf ihren ungestalten, abstoßenden Körper frei. Das Idealbild der vrouwe wird in jedem Aspekt der Wilden Frau negiert und ins Gegenteil verkehrt. Über diese Verkehrung tritt das höfische Frauenideal nur noch deutlicher umrissen hervor. Dazu Schleissner: Bewußt wird die wilde Frau der höfischen Dame des klassischen Artusromans Wolframscher Prägung gegenübergestellt. In diesem Gegensatz hat man vielleicht den Schlüssel zu dieser Figur, die als Teil der höfischen Selbstdeutung fungiert. Damit hätte diese Figur, soziologisch gesehen, eine gesellschaftsbildende, sozial integrative Funktion.207
Es kommt zu einer Re-Definition, einer narrativen Konturierung des Ideals über das Gegenbild. Die Wilde Frau in ihrer Hässlichkeit lässt die höfische Dame, auf die sie stets bezogen ist, nur noch schöner erscheinen: im Wigalois in Form der noch kurz zuvor aufgetretenen, überaus schönen Beleare, deren heiltätiges Tun dem zerstörerischen ,Waldweib‘ diametral entgegensteht; in der Crône in der Figur der geretteten schönen Jungfrau, der ebenfalls medizinisches Wissen zugesprochen wird. Die Waldfrau bewegt sich immer im Bereich der Liminalität208, am Rand der Ordnungen gesellschaftlichen Lebens. Sie ist weder Mensch noch wirklich Tier und passt nicht in bestehende Ordnungen, aber eine Grenzfigur im engeren Sinne wie es der Waldmann in Hartmanns Iwein darstellt, ist sie nicht. Damit aber lassen sich gerade im Lichte solcher geschlechterspezifischer Differenzierungen Hierarchisierungen der Figurentypen erkennen, die auf den Typus des Wilden Mannes bezogen sind. 3.3.4.3 Der ackerkneht – Heinrichs von dem Türlîn Diu Crône Ein im Vergleich mit den Wilden Männern und Frauen völlig anders konstruiertes, aber nicht weniger hervorstechendes Beispiel einer Hässlichkeitsbeschreibung im höfischen Roman ist die des kneht undære209 aus der Lohenis von Rahas-Episode im Gawein-Roman Diu Crône [Cr, V. 19618–19786], die aber bisher in der Forschung kaum Beachtung gefunden hat. Der Ritter Lohenis sinnt auf Rache an Gawein aufgrund einer lange zurückliegenden Schmach. Er wartet am Wegesrand mit einer künstlich zugefügten Wunde auf den Ritter. Gawein erkennt den ehemaligen Widersacher nicht und steigt ab, um dem Mann zu helfen. Der behauptet, kurz vor dem Tode zu stehen und will sich Gaweins Pferd ausleihen, um zu einem Einsiedler zu reiten und zum letzten Mal die Kommunion zu empfangen. Als der Ritter dies ablehnt, bittet ihn Lohenis, ihm dann wenigstens das Pferd eines vorüber reitenden Ackerknechts zu beschaffen. Dieser Knecht entpuppt sich von Nahem als eine abscheuliche Missgestalt, dessen mit Krankheiten nur so übersätes Schleissner (1991): Die wilde Frau, S. 68. Vgl. Schleissner (1991): Die wilde Frau, S. 73. 209 Mhd. undære kann neben der Bedeutung von unfreundlich oder unangenehem auch unansehnlich, schlecht oder schmerzlich meinen (Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd. 2, Sp. 1775). 207 208
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Reittier ihm in Hässlichkeit in nichts nachsteht. Der Knecht weigert sich, Gawein das Pferd zu überlassen, und so sieht sich der Ritter gezwungen, ihn vom Sattel zu werfen. Während des Zwiegespräches mit dem hässlichen Knecht aber hat sich Lohenis Gaweins Pferd bemächtigt und jagt mit seiner Geliebten davon. Gawein muss nun wohl oder übel die scheußliche Mähre des Ackerknechts besteigen und damit seinen Weg fortsetzen. Gawein erblickt den an Leib wie auch an Kleidung unansehnlichen Knecht [kneht undære, Cr, V. 19621] auf seiner Mähre schon aus einiger Entfernung. Während der Mann die Straße entlangreitet, beschreibt der Erzähler ihn in allen abscheulichen Einzelheiten. Er beginnt die ausufernde Hässlichkeitsbeschreibung mit dem Hinweis auf die Farbe des Mannes: Sîn varwe was als ein gras, / Grüen und swarz dar under, / Als ein unkunder [Cr, V. 19627–29]. (Seine Hautfarbe war wie Gras, grün und dazwischen immer wieder schwarz, wie ein Ungetüm.) Grün und schwarz stellt sich der Knecht dar, eine Färbung, die der Erzähler auch sogleich dem passenden Typus zuordnet: der Mann gleich einem unkunden210, einem Ungetüm oder Monstrum. Das Grün der Haut kann an dieser Stelle in seinem Symbolwert als Farbe des Fremden, Unbekannten gelesen werden, aber auch ebenfalls als Farbe des Teuflischen. Wackernagel betont auch die Bedeutung des Grünen als Zeichen von Missgunst, Neid und bösem Ansinnen.211 Im speziellen Fall des Ackerknechts kann man die entstellte Hautfarbe aber auch als Zeichen seiner kränklichen Natur und als Krankheitssymptom auffassen. Vermischt ist das Grün mit Schwarz, das hier, wie schon bei den anderen analysierten Hässlichkeitsbeschreibungen, auf den Kontext des Bösen, des Gegenbildes zum Höfisch-Schönen verweist. An diesen ersten Eindruck von der Figur schließt sich nun eine ausführliche, über alle Maßen ausstaffierte Hässlichkeitsbeschreibung an, die über 160 Verse in Anspruch nimmt und von einer ebenso ausführlichen Beschreibung des kranken Reittiers und des dazugehörigen schäbigen Reitzeugs ergänzt wird. Der Erzähler geht dem üblichen Muster der Schönheits- wie auch Hässlichkeitsbeschreibung folgend von oben nach unten vor. Das Haar des Mannes gleicht dem eines swîndahs [Cr, V. 19631] (Schweinsdachs), ist wächsern, hoch aufragend und nass. Hier greift erneut das Motiv des Tiervergleiches, welches den Knecht in Zusammenhang mit dem Primitiven, Sündbehafteten, aber auch Teuflischen stellt. Allerdings treten die Bezüge auf Tierkörperteile in diesem Textbeispiel eher in den Hintergrund. Die Haut des Knechts ist gelblich glänzend, darunter die entzündeten Augen, gelb, dunkel und eitrig: Gelest wæhe was sîn vel; Dar under tunkel unde gel Sîniu ougen beidiu wâren, Diu runnen unde swâren Von warch, und von grouben [Cr, V. 19635–39]
Verwiesen sei hier auch auf die weiteren Bedeutungen von unkunde und unkündec, nämlich unwissend, fremd, unheimlich und seltsam. (vgl. Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.2, Sp. 1904.) 211 Vgl. dazu Wackernagel (1872): Farben- und Blumensprache, S. 239. 210
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(Die Haut strahlte und glänzte. Darunter waren seine beiden Augen, dunkel und gelb, die tränten und mit Eiter verschwollen waren.)
Sind schöne Augen licht und strahlend, so gelten gelbe, dunkle Augen hingegen als ein Hässlichkeitsmerkmal, während die gelbe Farbe Zeichen von Zorn, Hass oder Neid sein kann, in diesem Kontext allerdings eher als Farbe des Kränklichen aufzufassen ist – man denke etwa an einen Überfluss der gelben Galle nach dem Prinzip der Galenschen Viersäftelehre.212 Dafür spricht auch der Verweis auf die entzündliche Natur der Augen. Insgesamt ist die Figur des Ackerknechts durchzogen von Hinweisen auf Krankheiten und Symptome derselben, seien sie nun real-menschlicher oder fiktionaler Natur. Die Krankheitssymptomatik dieser Hässlichkeitsbeschreibung wird als Zeichen der Nähe zur mittellateinischen Dichtung gelesen. Nach den Augen widmet sich der Erzähler den Wangen, Wimpern und dem fleischlosen, eingefallenen Antlitz der Figur. Auf der Stirn erhebt sich ein spitzes, gewundenes Horn, das von schwarzen Adern bedeckt ist. Daneben hat der Ackerknecht die großen Ohren eines Hundes. Insgesamt, so lässt der Erzähler wissen, mangele es ihm sehr an menschlichem Aussehen: Natûre hât an ime gespart / Alle menschlîch art. [Cr, V. 19656f.] (Die Natur hatte bei ihm alles Menschliche ausgespart.) Brauen und Wimpern sind struppig, die Nase ist groß und flach. Auch der Mund ist groß und breit, außerdem läuft dem Wesen beständig Speichel über den spärlichen Bart. Die Zähne sind schartig und abgenagt, vier von ihnen stehen ihm aus dem Mund heraus. Ihre Farbe wird als rostig und schwarz beschrieben, gefärbt wie Harz in einer Mischung aus Rot und Schwarz. Die rostgleiche Farbe deutet hier auf eine detailrealistische Darstellung faulender, schlechter Zähne hin: Die [Zähne, C.O.] wâren rostic unde swarz / Als ein vermischet harz, / Das swarz ist unde rôt [Cr, V. 19693–95]. (Sie waren rostig und schwarz, wie dreckiges Harz, das schwarz und rot ist.) Das Kinn ist lang und schmal, das Haupt an sich groß und der Hals mager. Bis zum Halsbein ist er mit dicken Adern übersät und mit geschwollenen Drüsen verunziert [Cr, V. 19700ff.] Auf Brust und Rücken hat der Ackerknecht zwei Buckel, sein Wanst hängt herab, wie von Wassersucht [wazzersühte, Cr, V. 19714] geblæt und gelûch [Cr, V.19715] (aufgebläht und aufgedunsen). Hier wird erstmals auf eine identifizierbare Krankheit hingewiesen, die zu einer Verunstaltung des Körpers des Knechtes geführt hat. Oberkörper und Arme sind missgebildet, die Hände wirken, als seien sie durch Feuer verkohlt [Sie wâren als zwên brende, / Die ein viure übergangen hât, Cr, V. 19726f.]. Bevor er weiter fortschreitet, fasst der Erzähler das bisher beschriebene Aussehen des Mannes noch einmal übergreifend zusammen: Am ganzen Leib sei der Knecht verrunzelt und auch missevar, verfärbt, entstellt oder von übler Farbe, und aller Schönheit ledig [Cr, V. 19729–31]. Das Wort missevar könnte an dieser Stelle außer der Bedeutung des verfärbten Körpers beziehungsweise der entstellenden Farbigkeit auch durchaus auf einen Zustand des bunten, verschiedenartig gefärbten Körpers hinweisen.213 So ist der Knecht Vgl. hierzu die Ausführungen zur Viersäftelehre im Kapitel 4.1. dieser Arbeit. Vgl. Eintrag missevar in: Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.1, Sp. 2173, sowie Kap. 3.2.1., Fußnote 77.
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doch von grün-schwarzer Gesamterscheinung, hat gelblich glänzende Haut, gelb-dunkle Augen, ein schwarz geädertes Horn, rot-schwarze, rostfarbene Zähne und verkohlte Hände. All dies in Kombination bietet sicherlich einen abstoßenden, unbestreitbar hässlichen, aber auch durchaus vielfarbigen Anblick.214 Noch aber ist die Beschreibung nicht an ihrem Ende angelangt. Hände, Beine und Füße sind missgestaltet und ungepflegt. Die Kleider, so wird zumindest kurz erwähnt, sind bœse genuoc [Cr, V. 19760] und Ûz einer haren gesniten [Cr, V. 19761] (aus Flachstuch geschnitten). Außerdem sind sie durch michel riuwe (vom ständigen Tragen) beschädigt und abgetragen. Die Schuhe sind durchgelaufen und zerfallen dem Mann an den Füßen. Nicht ein Haar hätte man an ihm schönreden können [Cr, V. 19769f.]. Zum Abschluss der Hässlichkeitsbeschreibung widmet sich der Erzähler nochmals dem Ursprung des Ekel erregenden Wesens. Die natûre, so wird gesagt, habe ihn verswachet und zu einem unbilde, einem Ungeheuer gemacht: Si [die natûre, C.O.] was im vil wilde, Dâ sie im sollte wesen gezam; Reht menscheit sie im benam Und worhte in zeinem conterfeit, Dâ mantuom unde menscheit Vil wol mohte kiesen an Der menscheit, doch an gewan Ime der sige ein valscher schîn. [Cr, V. 19775–81] (Wo sie zu ihm hätte zahm sein sollen, war sie wild. Sie raubte ihm die menschliche Art und formte aus ihm deren Zerrbild. Wo man bei menschlichen Geschöpfen Männlichkeit und Menschenart erkennen konnte, da raubte den beiden bei ihm ein trügerischer Schein den Sieg.)
Von diesem misslungenen Werk spricht sich aber nach einem abschließenden Blick sogar die schöpferische Natur frei: Natûre wolt unschuldec sîn An ime, als sie selbe jach, Dô si in von êrste an sach. Ich enworht dich niht, sie dicke sprach. [Cr, V. 19783–86] (Die Natur wollte an ihm nicht schuld sein, wie sie selbst behauptete, als sie ihn zum ersten Mal erblickte. „Ich habe dich nicht geschaffen“, sagte sie nachdrücklich.)
Dem Abschluss der Hässlichkeitsbeschreibung folgt nun noch eine, ebenfalls mit übermäßigem Detailreichtum versehene Beschreibung des Pferdes [Cr, V. 19787–901], einer schmutzig-weißen Mähre, die mit knapp zwanzig Pferdekrankheiten behaftet ist. Darauf liegen ein abgenutzter Sattel und ein ebenso schäbiges Reitzeug [Cr, V. 19901–19948]. Diese als hässlich markierte „Buntheit“ kann z.B. im Sinne Hildegards von Bingen als varietas, varius color, diversus color oder plurimus color und damit als negativ konnotierte Buntheit verstanden werden, die auch der Darstellung der Laster bei Hildegard eignet. Vgl. dazu Meier (1972): Bedeutung der Farben, S. 292.
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Farben werden weder für die Kleidung des Knechtes, noch für seine Ausstattung (Reitzeug, Sattel) erwähnt. Im Anschluss an diese lange Beschreibungssequenz tritt Gawein an den Ackerknecht heran und bittet ihn um sein Pferd für den vermeintlich todwunden Lohenis. Der Knecht aber fühlt sich von diesem Ansinnen belästigt und ist nicht gewillt, zu helfen. Sein Benehmen dem Ritter gegenüber ist boshaft, unhöfisch und unverständig: Mit vil grôzem unsite, Als ein arger schalc tuot, Der bœse ist und unvruot, Er ime antwürten began Und sprach ze ime, waz er dar an In vrâgte, war er wolte? [Cr, V. 19960–65] (Äußerst unhöflich – wie es ein schlimmer Schalk tut, der böse und blöd zugleich ist – fing er an, ihm Antwort zu geben, und sagte zu ihm, was es ihn denn anginge, wo er hin wollte.)
Er beschimpft den Ritter mit üblen scheltworten. Gawein ist nun endlich der ganzen Sache überdrüssig und zerrt den Knecht aus seinem Sattel, woraufhin der laut zeternd im Wald verschwindet [Cr, V. 19974–92]. Die Unsitten des Ackerknechtes decken sich mit seinem hässlichen Äußeren. Außen und Innen der Figur stehen in Einklang, abstoßendes Äußeres paart sich in seiner Gestalt mit bäuerlichem Benehmen und Respektlosigkeit. Heinrich bedient sich in der Beschreibung seines hässlichen Knechts nur am Rande der üblichen Hässlichkeitstopoi der mittelhochdeutschen (und auch altfranzösischen) höfischen Literatur, die uns beispielsweise bei den Wilden Männern und Frauen begegnen. Die Beschreibung enthält nur wenig formelhafte Anteile wie die schwarze Hautfarbe des Mannes (allerdings bereits untypisch mit Grün vermischt), die noch auf die gängigen Hässlichkeitsmerkmale verweist, ebenso wie die Hundeohren und die hervorstehenden Eckzähne, die aber die einzigen Beispiele für Tiermetaphorik sind. Beherrschend für die Darstellung der Hässlichkeit des Ackerknechts sind übertrieben dargestellte menschliche Merkmale, die von einem ungewöhnlichen Detailrealismus beherrscht sind.215 Außer der Form und Fehlfunktion der Glieder wird besonders die Hautoberfläche des Wesens mit all ihren Verunzierungen wie hervorstehenden Adern, entzündeten Geschwüren, geschwollenen Drüsen und die unnatürlich grün-schwarze sowie gelbliche Farbe beschrieben. Auch das Horn auf der Stirn des Mannes ist von einem Netz schwarzer Adern überzogen, die sich bis auf die Stirn erstrecken. Diese Merkmale deuten auf krankhafte Veränderungen der Haut und des Körpers hin, die sich mit dem kränklichen Gesamteindruck der Figur und dem ebenfalls entstellten Restkörper zusammenfinden. Heinrichs Hässlichkeitsbeschreibung des ackerknehts zeigt damit eine Verwandtschaft zur mittellateinischen Dichtung. Sidonius Apollinaris nutzt ebenfalls real-krankhafte Züge in seiner ausführlichen Hässlichkeitsbeschreibung des Gnatho. Durch den Verweis auf die natûra als Schöpferin des hässlichen Knechts anstatt auf Gott, wie es in anderen Quellen erfolgt, beschreibt
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Vgl. hierzu auch Seitz (1967): Darstellung häßlicher Menschen, S. 14f.
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Heinrich den Ackerknecht als ein existentes Faktum der Welt216, das er auch vorwiegend mit realistischen Details versieht, nicht mit symbolisch-irrealen oder mythologisch motivierten. Dafür spricht auch die Bezeichnung des Mannes als ackerkneht [Cr, V. 19603] und kneht undære [Cr, V. 19621], die auf einen niederständischen Aspekt verweisen. Dazu gehören Merkmale wie die flache Nase, der übergroße, geifernde Mund, der mit Gier assoziiert wird, das allgemein schmutzige Äußere und die ärmliche, verwahrloste Kleidung. Das ausgegrenzte Bäuerliche wird somit durch Lächerlichkeit dem Tadel und Spott der Zuhörerschaft preisgegeben. Neben diesem Aspekt der sozialen Aus- und Abgrenzung über Mittel der Hässlichkeit zeigt sich aber auch vor allem in diesem Beispiel die starke Faszination, die das Abstoßende ausübt. Der Ackerknecht ist keine handlungstragende Figur im Roman. Die Beschreibung seiner Hässlichkeit und der seines Pferdes dienen oberflächlich als eine Art Ablenkungsmanöver, welches es Lohenis ermöglicht, Gaweins Pferd zu stehlen, sonst aber erfüllt die Figur keine ersichtliche Funktion im Handlungsablauf, zumindest keine, die eine so ausführliche Behandlung rechtfertigen könnte. Er ist weder teuflisches Ungeheuer noch ernstzunehmender Gegner Gaweins – sein Auftreten muss anderweitig motiviert sein. Durch die Weigerung der natûra, die Verantwortung für ein derart hässliches Geschöpf zu übernehmen, wird die Hässlichkeit des Knechts zu einem Zufall und einem willkürlichen Faktum, für das es keine übernatürliche Erklärung gibt. Dies zieht auch eine neue Form der Darstellung nach sich: Die symbolisch-irrealen Anteile aus den Bereichen des Exotischen und Mythologischen werden durchsetzt und dominiert durch den Detailrealismus der mittellateinischen Hässlichkeitsbeschreibung.217 Dass die personifizierte Natur hier ablehnt, für das Geschöpf des Knechtes verantwortlich zu sein, verleiht der Hässlichkeit eine besondere Intensität und Drastik. Heinrich provoziert mit der Verweigerung der natûra indirekt die Frage nach dem eigentlichen Schöpfer der Figur, und für diese Position kommt laut Schnell nur Heinrich selbst als der Autor in Frage. Er rückt damit den Knecht zusätzlich in Zusammenhang mit der Kunst als Zeugungsinstanz: Der hässliche Knecht ist ein Produkt der literarischen Fantasie des Dichters.218 Es geht an dieser Stelle nicht um die Darstellung metaphysisch motivierter Hässlichkeit, sondern um die Demonstration der dichterischen Kreativität Heinrichs. Da die Figur des Ackerknechts eine Leerstelle darstellt, die keine Bedeutung für den Handlungsfortgang hat, ist es dem Dichter möglich, alle Register der Hässlichkeits-, Krankheits- und Ekeldarstellung zu ziehen. Er schwelgt nahezu in allem, was sonst einer Tabuisierung unterliegt: den verfärbten, verunstalteten Körperteilen, den Körperausscheidungen und vor allem den krankheitsbedingten Symptomen, die den Leib des Knechts bedecken und die im Detail zu beschreiben von den Autoren der klassischen Artusromane gekonnt vermieden worden
Wisbey (1975): Darstellung des Häßlichen, spricht in diesem Zuge von einer „spätmittelalterlich […] anmutenden Realistik“ (S. 33). 217 Vgl. Seitz (1967): Darstellung häßlicher Menschen, S. 67. 218 Vgl. Schnell (2005): Ekel und Emotionsforschung, S. 404f. 216
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ist.219 Bei Heinrich wird das Krankheitsmotiv differenziert und originell eingesetzt, er lässt alle Stereotype von Krankheit hinter sich. Schnell schließt daraus auf eine Lust am Ekel, die Hässlichkeitsdarstellung dient der delectatio des Publikums. Die Hässlichkeitsbeschreibung gewinnt im Beispiel des Ackerknechts einen eigenständigen Charakter ähnlich dem der Schönheitsbeschreibung. Sie überschreitet die Grenze von der Funktion des Hässlichen als Gegenbild der höfischen Idealkultur (und damit auch den üblichen Motivkatalog und die Farbenpalette der Hässlichkeitsdarstellung) in Richtung eines autonomen Kunstwerks. Die Hässlichkeit des Ackerknechts erschöpft sich nicht allein in der dem Schönen entgegengesetzten Bildlichkeit, als die sie Rosenkranz versteht. Sie eröffnet die Möglichkeit für eine eigenständige Ästhetik des Hässlichen, die sich als Lust an der Visualisierung des Erschreckenden manifestiert. Durch die poetisch-rhetorische Ausgestaltung des Hässlichen wirkt es nicht mehr bedrohlich, sondern wird als literarisches Produkt erkenntlich. Dazu dient auch die ausgefeilte, vom üblichen Schema der Hässlichkeitsdarstellung abweichende Farbigkeit der Beschreibung.220 Heinrich von dem Türlîn ist ein Dichter, der, wie bereits in der Schönheitsbeschreibung der Amurfina gesehen, nicht mit Farben geizt. Und das tut er auch hier nicht – ganz anders als in der Beschreibung des wilden wîps, in der die Farbigkeit auf die Gegenbildlichkeit zum höfischen Schönheitsideal beschränkt bleibt. Neben dem vilanen, schmutzigen und teuflischen Schwarz „zieren“ kränkliches Grün, rostiges Rot und glänzendes Gelb den Körper des Knechtes, der damit zu einer zwar nicht strahlend schönen, aber immerhin doch schillernden Kunstfigur ausgestaltet wird, die Gawein so in Erstaunen zu versetzen mag, dass er für einen Moment nichts anderes mehr wahrnehmen kann als die lustvoll ausgemalte Hässlichkeit.
Vergleiche hierzu Tomasek, Tomas (2002): Kranke Körper in der mittelhochdeutschen höfischen Literatur. Eine Skizze zur Krankheitsmotivik. In: Ridder, Klaus; Langer, Otto (Hg.): Körperinszenierungen in mittelalterlicher Literatur. Kolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (18. bis 20. März 1999). Berlin: Weidler (Körper, Zeichen, Kultur, 11), S. 97–115, hier S. 112; sowie Kapitel 4.2., in dem auf die Krankheitssymptome in Gottfrieds TristanRoman eingegangen wird. 220 Ein verwandtes Beispiel, ebenfall mit einer angeschlossenen Reittierbeschreibung, findet sich in der Crône auch in dem „Meerwesen“ [Cr, V. 933–1002], das zu Beginn des Romans am Artushof erscheint und eine Becherprobe initiiert. Auch das Meerwesen zeichnet sich durch eine erstaunliche Farbvielfalt aus, die das tradierte Muster der Hässlichkeitsbeschreibung sprengt. Der Bote ist allerdings sehr wortgewandt, sprachkundig und gebildet, außerdem von seinem Ursprung dem Meerkönig Priure, einem Meister der Nigromantie, zugeordnet, in dessen Dienst er steht, und erhält damit eine mythologische Konnotierung. Außerdem erfüllt er einen für die Handlung förderlichen Zweck, nämlich den der Überbringung des Bechers. 219
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3.4 Fazit In diesem Kapitel stellte sich vor allem die Frage nach der Funktion der Darstellung irreversibel als hässlich imaginierter Figuren für das Höfische. Welche Aussagen lassen sich anhand der Darstellungen für das höfische Ideal vollkommener Schönheit und auch höfischer Verhaltensweisen treffen? Wie stehen die beiden Beschreibungsmuster hässlich/schön in Zusammenhang oder, spezifischer, in welcher Art und Weise definiert das Hässliche in der Darstellung dieser Figuren das Höfisch-Ideale – und welche Rolle spielen dabei die verwendeten Farben? Meinen Erkenntnissen zufolge geschieht diese Definition und Konturierung des Höfisch-Idealen durch die Wilden Männer und Frauen zu einem nicht unerheblichen Teil über die farblich gegensätzliche Ausgestaltung der hässlichen Figuren. Indem die Farben des höfischen Idealbildes invertiert werden, zeigt bereits der äußerliche Blick auf die wilde Figur, dass diese als Gegensatz nicht nur zum höfischen Äußeren, sondern auch zum höfischen „Inneren“, zu Gesinnung, Verhalten und Einstellung gegenüber dem Helden ausgestaltet ist und somit die Kontur des Höfisch-Idealen durch Kontrastierung mit dem Gegenbild definiert wird. Die Figurentypen des Wilden Mannes und der Wilden Frauen diskutieren und definieren die Grenzen des Höfischen allerdings auf unterschiedliche Art und Weise. Beide Figurentypen sind schwarz am ganzen Leib und verweisen somit auch beide auf die oben aufgezeigten, an die schwarze Hautfarbe geknüpften Semantiken von Fremdheit, Wildheit, antihöfischen Verhaltensweisen, negativer Gesinnung und die Zugehörigkeit zu einer höllischen, unterweltlichen Sphäre (beim Waldmann sogar als eine Art Wächter der Totenwelt zu verstehen). Zugleich ist das vieldeutige Zeichen des schwarzen und auch sonst missfarbig gestalteten Körpers jedoch auch Hinweis auf weitere problematische Thematiken der höfischen Gesellschaft, die sich je nach Geschlecht der beschriebenen Figuren unterschiedlich darstellen. Die Wilden Frauen zeichnen sich vor allem durch eine Gegenbildfunktion im Hinblick auf die vorherrschenden Geschlechterordnungen aus. Nicht nur sind sie rein optisch (und auch alle anderen menschlichen Sinne betreffend) dem höfischen Idealbild vollkommener Schönheit diametral entgegengesetzt, sind nackt, schwarzfarbig und schmutzig, sie vereinen auch unweibliche Verhaltensweisen in sich, die einer höfischen Dame eben nicht eignen sollen: Gewaltbereitschaft, Kommunikationsunfähigkeit, Mordlust und Rachsucht. Hier wird bewusst eine Geschlechterrolle in Gänze ins Gegenteil verkehrt und auf eine Figur projiziert, die diese in ihrer äußeren (auch farbigen) Ausgestaltung sowie in ihrem Wesen verkörpert. Anders beim Wilden Mann: Die Geschlechterrolle der Figur wird nicht thematisiert und scheint auch nicht von Interesse zu sein. Der Waldmensch ist immer unbestritten männlich und demonstriert auch die dazugehörige Souveränität. Vielmehr findet sich hier ein Anschluss an die problematische Thematik der Gewaltherrschaft und eine Diskussion des Gewaltaspektes, der der höfischen Gesellschaft eignet. Gewalt ist in einer Gesellschaft, die sich durch sie definiert, prinzipiell nicht domestizierbar – daher wird sie in einer Figur wie dem Waldmann abgebildet und diskutiert. Die Hässlichkeit
Fazit
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und Schwärze des Waldmannes ist als ein visuelles Zeichen einer als unhöfisch markierten Herrschafts- und Lebensweise zu verstehen. Die Problematik liegt folglich nicht so sehr in seiner faktischen, visuellen Hässlichkeit begründet wie bei den Wilden Frauen, sondern in dem Lebens- und Herrschaftsstil, den er abbildet und der der höfischen Gesellschaft aufgrund des Paradoxons der Gewalt221, in der sie existiert, immer anhaftet. Die Unterschiede in der Auslegung der körperlichen Hässlichkeit und der Dunkelfarbigkeit des Wilden Mannes und der Wilden Frauen lassen sich also, so die Erkenntnis, grundlegend auf eine Geschlechterdifferenz zurückführen. Der Wilde Mann im Iwein ist eine bewegliche Figur222, die an beiden Welten, der höfischen wie auch der wilden, Anteil hat. Sie ist auf der Grenze anzusiedeln und zeigt Elemente des Unzivilisierten, Unhöfischen (Aussehen, Herrschaftstypus, räumliche Zuordnung zur Wildnis, Magieaffinität), aber auch des Höfischen (Kommunikationsfähigkeit, Domestizierung der Herde, Auskunftsbereitschaft den Rittern gegenüber). Der Wilde Mann ist nicht ausschließlich einer der beiden kontrastierenden Sphären höfisch/wild zuzuordnen, er bewegt sich auf der Grenze und zu beiden Seiten darüber hinaus. Die Semantik des Typus „außen hässlich, innen hässlich“, wie ihn Michel beschreibt, greift bei der Figur nicht, sie ist ambivalent konnotiert und in ihrer Position nicht eindeutig festzulegen. Trotz seines hässlichen, schwarzen Äußeren kann der Waldmann nicht einzig als Repräsentant des Wilden, Fremden, Unhöfischen gedeutet werden – Außen und Innen divergieren in der Figur in komplexer Art und Weise. Die Wilden Frauen hingegen sind unbeweglich der antihöfischen, unzivilisierten Sphäre zuzuordnen. In ihrer Gegenbildfunktion zum höfischen (Schönheits-)Ideal stehen die Wilden Frauen als Abbild des Unhöfischen in jeglicher Ausprägung stets jenseits der Grenze und bleiben auch dort verankert. Die Wilde Frau balanciert nicht auf dem Vgl. Neudeck (1994): Stigma des Anfortas, S. 65. Juri Lotman [Lotman, Jurij M. (1993): Die Struktur literarischer Texte. 4., unveränd. Aufl. München: Fink.] prägte die Begriffe der „beweglichen“ und der „unbeweglichen“ Figur. Ein literarisches Ereignis, so Lotman, definiert sich über die Versetzung einer Figur über die Grenze eines semantischen Feldes hinweg. In künstlerischen oder mythologischen Texten liege meist eine binäre semantische Organisation der Textelemente zugrunde: die Welt ist eingeteilt in arm – reich, eigen – fremd, gläubig – ketzerisch, gebildet – ungebildet, Naturmensch – Gesellschaftsmensch, Feind – Freund etc. Im Text erhalten diese Welten meist eine räumliche Realisierung. (Zum künstlerischen Raum vgl. ebenfalls Lotman, S. 312–330.) Die klassifikatorische Grenze zwischen diesen kontrastierenden Welten erhält die Form einer Linie im Raum. Eine unüberschreitbare Grenze trennt die beiden Teile. Der sujethaltige Text hält diese Grenze für alle Figuren aufrecht, schafft aber eine bestimmte Figur oder Figurengruppe, die diesem Verbot nicht unterliegt. (vgl. S. 338). Somit ergeben sich zwei Gruppen an Figuren: beweglich und unbewegliche. „Die Unbeweglichen sind der Struktur des allgemeinen sujetlosen Typs unterworfen. Sie gehören zur Klassifikation und dienen selbst als deren Bestätigung. Die Grenzüberschreitung ist für sie verboten. Eine bewegliche Figur ist eine, die das Recht hat, die Grenze zu überschreiten.“ (S. 338) Die Grenzüberschreitung einer solchen beweglichen Figur ist immer ein revolutionäres Element im Verhältnis zum gesamtheitlichen Weltbild. (vgl. S. 339) In Bezug auf die hier betrachteten Figuren könnte man, so meine Sicht, den Wilden Mann im Iwein als beweglichen Figurentyp betrachten, währen die Wilden Frauen als unbeweglich gestaltet sind.
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schmalen Grat zwischen Höfischem und Nicht-Höfischem, Eigenem und Fremdem, eine Überschneidung der Sphären tritt nicht auf. Somit trifft bei diesen Figuren die Semantik des Typus „außen hässlich, innen hässlich“ überwiegend zu (Rûel scheint durch ihre Leidensgeschichte zumindest einen kleinen Anteil menschlich-höfischer Gesinnung zugesprochen zu bekommen – gerade diese Multidimensionalität spiegelt deutlich die Problematik der höfischen Geschlechterordnung wider). Die unbewegliche, weibliche Figur dient der Definition des Ideals von jenseits der Grenze aus, spiegelbildlich dem höfischen Ideal gegenübergestellt, das zeigt auch ihre sonst unbedeutende Stellung im Hinblick auf den Handlungsablauf. Der Typus der Wilden Frau definiert geradezu scharf die Konturen des Höfischen über die Negation desselben, damit eignet ihrer Hässlichkeit und invertierten Farbigkeit eine für die höfische Kultur identitätsbestätigende Funktion. Der Ackerknecht Heinrichs von dem Türlîn zeigt wiederum eine völlig anders gestaltete und durch eine andere Zielsetzung motivierte farbige Ausgestaltung. Seine Figur erfüllt im Vergleich mit den Wilden Männern und Frauen keine identitäts- oder kulturdefinierende Funktion. Seine Einordnung in das Gefüge von Natur und Kultur, Höfischem und Wildem spielt in seiner Darstellung keine Rolle, daher bleiben auch die Farben seines Körpers nicht auf eine Inversion des höfischen Farbschemas beschränkt. In dem Schwarz, Grün, dem Rostrot und Gelb seines Leibes können wir vielmehr eine Überschreitung der Funktionalisierung des Hässlichen im Artus- und Tristanroman hin zu einer Autonomisierung der Darstellung beobachten. Das Hässliche gewinnt an Eigenwert. Die detailreiche, „farbenfrohe“ Ausstaffierung spricht für eine künstlerische Lust an der Ausgestaltung des Abstoßenden, die den Zweck der spiegelbildlichen Konterkarierung des höfischen Schönheitsideals weit überschreitet. Was wir im kneht undære der Crône beobachten können, ist ein weiterer Schritt in der Genese des höfischen Romans, eine Freisetzung der Fantasie des Autors, eine Hässlichkeit, die ihren ursprünglichen Platz im Modell der Markierung des Höfischen und des Antihöfischen verlassen und überschritten hat. Es entsteht, so erläutert vor allem Haug, eine neue fiktive Wirklichkeit, die der moderne Begriff des Fantastischen bezeichnet.223 Diese Fantastik zeigt sich nicht zuletzt auch in der innovativen Farbgebung der Figurengestaltung. Die grausig-faszinierende Qualität der Beschreibung, die sich auch in den illustren (und ebenfalls überaus eindringlich in Rot, Schwarz und Weiß gefärbten) Wunderketten der Crône224 wiederfindet, wie auch in Ähnliche (wenn auch nicht so extreme) Formen dieser Fantastik trifft man laut Haug auch in anderen Artusromanen wie in der Monsterschau am Schluss des Gauriel von Muntabel und in bestimmten Szenen im Wigalois. [Haug (1984): Das Fantastische, S. 146] 224 Zur Ausdeutung der Wunderketten vgl. Wyss (1981): Wunderketten. Beim Überblick vor allem über die erste Wunderkette der Crône fällt auf, wie stark die Szenen von Farben durchzogen sind. Vor allem Weiß, Rot und Schwarz dominieren den Farbeindruck, erweitert durch Details in Blau (Panier an der Stange, auf dem der der Kopf eines toten Ritters aufgespießt ist) und Braun (Fahne an der Spitze eines Speers, der im Herzen eines schwarzen Ritters steckt [Rosenau-Szene]). Des Weiteren sind Lichteindrücke wie Glänzen, Funkeln (Kristallschloss), Kerzenlicht und Feuerschein zuhauf zu finden. Überhaupt spielt Feuer eine entscheidende Rolle. Weiß und Rot, vor allem in Kombination, darauf weist Wyss hin, sind im höfischen Kontext zumeist Farben, die Schönheit und Idealität 223
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der überaus farbenfrohen, an Glanz- und Lichterscheinungen sowie weiteren Details (vor allem farbigen Edelsteinen) schier überbordenden Beschreibung des Palastes der zweigesichtigen vrouwe sælde [Cr, V. 15660–15869], nutzt die Einbildungskraft des Menschen und illustriert einen Schritt in die Richtung der Autonomie des Fiktionalen.225 Dass eine außergewöhnliche Farbigkeit in der Figurendarstellung dabei eine Rolle spielt, überrascht wenig, können doch vor allem Farben, polyvalent in ihrer Symbolhaftigkeit, neben ihrer Funktion als Ausweis von höfischer Kultur auch Ausweis des Fantastischen, Wundersamen und doch Fremden, Beängstigenden sein.
markieren – in der ersten Wunderkette zieren sie aber vorrangig tote und geisterhafte Figuren. (vgl. S. 274) Von größter Komplexität ist in diesem Zusammenhang vor allem die Szene auf der Rosenau. Schwarz, Weiß und Rot sind, laut Claudia Lauer (2011: Bunter Zufall?), auch die Farben der Gralswelt, welche sich Gawein in einem ambivalenten Wechsel von Licht und Finsternis präsentiert. Sie treten auf als Proprietäten der Gralspferde, der Kleidung der Gralsgemeinschaft und an den Gralssymbolen Schwert, blutende Lanze, blutgefüllte Schale und Reliquiengefäß. Diese drei Farben, so Lauer, bestimmten auch die Farbsemantiken der weiteren Abenteuer Gaweins. (Vgl. S. 449.) 225 Vgl. zur Entwicklung der Fiktionalität im Artusroman allgemein Haug (1984): Das Fantastische, ders. (1980): Paradigmatische Poesie, und ders. (1992): Literaturtheorie.
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missevar: Farbiges Verkennen und farbiger Selbstverlust
4.1 Iwein – Hartmanns von Aue Iwein Iweins Wahnsinn ist eine der am meisten beachteten Szenen des Iwein-Romans Hartmanns von Aue, die bereits in vielfältigen Arbeiten aus verschiedensten Blickwinkeln analysiert worden ist. Ich möchte mich im Folgenden vor allem dem Aspekt der schwarzen Hautfarbe des Helden widmen, daher verweise ich an den jeweiligen Stellen lediglich auf die ausführlichen Vorarbeiten zur Thematik der hirnsühte Iweins, ihrer Implikationen und Lesarten.1 Die Szene des in einen Zustand von Wahnsinn und Selbstvergessenheit verfallenden Iwein soll hier zuerst inhaltlich umrissen werden: Iweins Verfall in den Wahnsinn, die hirnsühte [Iw, V. 3427], als die die Herrin von Narison die Krankheit des Ritters später identifiziert, ist Folge eines Prozesses: Sie tritt nicht von einem Moment zum anderen Zur verschiedenartigen Ausdeutung von Iweins Wahnsinn sei verwiesen auf: Friedrich (2009): Menschentier, S. 358–374; Schmitt, Wolfram (1985): Der ,Wahnsinn‘ in der Literatur des Mittelalters am Beispiel des ,Iwein‘ Hartmanns von Aue. In: Kühnel, Jürgen; Mück, Hans-Dieter; Müller, Ursula; Müller, Ulrich (Hg.): Psychologie in der Mediävistik. Gesammelte Beiträge des Steinheimer Symposions. Göppingen: Kümmerle, S. 197–214; Schmitz, Heinz-Günter (1986): Iweins zorn und tobesuht. Psychologie und Physiologie in mittelhochdeutscher Literatur. In: Debus, Friedhelm; Dittmer, Ernst; Bach, Heinrich (Hg.): Sandbjerg 85. Dem Andenken von Heinrich Bach gewidmet. Neumünster: Wachholtz (Kieler Beiträge zur deutschen Sprachgeschichte, Bd. 10), S. 87–112; Wehrli, Max (1969): Iweins Erwachen. In: Ders. (Hg.): Formen mittelalterlicher Erzählung. Aufsätze. Zürich/ Freiburg: Atlantis, S. 177–193; Waldmann, Bernhard (1983): Natur und Kultur im höfischen Roman um 1200. Überlegung zu politischen, ethischen und ästhetischen Fragen epischer Literatur des Hochmittelalters. Erlangen: Palm und Enke; Graf, Michael (1989): Liebe – Zorn – Trauer – Adel. Die Pathologie in Hartmanns von Aue ,Iwein‘. Eine Interpretation auf medizinhistorischer Basis. Univ. Diss. Zürich, 1989. Bern: Lang (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700, 7); Mohr, Wolfgang (1971): Iweins Wahnsinn. Die Aventüre und ihr „Sinn“. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur. Jg. 100 (1971). S. 73–94; Groebner, Valentin (2003): Haben Hautfarben eine Geschichte? Personenbeschreibungen und ihre Kategorien zwischen dem 13. und dem 16. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Historische Forschung, Jg. 30, H. 1/4, S. 1–17. (zum Thema der Hautfarbe im Bezug auf die Viersäftelehre), vor allem aber auf die umfassende Analyse der Szene in: Matejovski, Dirk (1996): Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
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ein, sondern entsteht der Darstellung zufolge erst allmählich. Auch die markante wilde, das heißt hier schwarze, Farbe tritt nicht plötzlich auf, sondern erst nach einiger Zeit, die der Held im Wald gelebt hat. Der Krankheitsverlauf beginnt bereits in dem Augenblick, in dem Iwein am Artushof urplötzlich von einem seneden gedanc [Iw, V. 3083], einem Sehnen, erfasst wird: Er realisiert, dass er seine Frau zu lange hat warten lassen und damit ihr Gebot übertreten hat. Er wird von schmerzlicher Liebe ergriffen, die einen derartigen Kummer in dem Ritter auslöst, dass er sich selbst vergisst (daz er sîn selbes vergaz [Iw, V. 3091]). Iweins Selbstvergessen geht zunächst mit einem Rückzug aus der kommunikativen Situation einher, in der er sich gerade befindet. Er sitzt schweigend unter den Rittern, sieht und hört nichts mehr, als sei er von Sinnen. Hier taucht bereits zum ersten Mal die Bezeichnung als tôr2 auf, als jemand, der von Irrsinn befallen ist. Nun tritt Lunete, Botin von Iweins Ehefrau Laudine, vor den Hofstaat. Sie stigmatisiert Iwein vor den Augen und Ohren des gesamten Hofes als verrâtære [Iw, V. 3118] und berichtet über seine Verfehlungen seiner Frau gegenüber [Iw, V. 3170f.]. Iwein, so statuiert Lunete abschließend, sei triuwelôs [Iw, V. 3183], und sie fordert den Ring zurück, den der Ritter von Laudine empfangen hat. Von herzeleide [Iw, V. 3197] übermannt lässt Iwein sich das Liebespfand abnehmen. Von diesem Moment an gewinnt sein Abgleiten in den Wahn an Intensität und Geschwindigkeit. Iwein hat Gut, Ehefrau und seine gesellschaftliche Anerkennung verloren. Diese Erkenntnis gepaart mit der Sehnsucht nach Laudine raubt ihm endgültig den Verstand: die benâmen sînem lîbe / vil gar vreude und den sin [Iw, V. 3214f.]. ([D]as alles raubte ihm Frohsinn und Verstand.) Der Sinnesverlust geht einher mit einem starken Verlangen nach Isolation und paart sich mit Selbsthass.3 So gedemütigt schleicht sich der Ritter vom Hof davon, bis er auf das freie Feld gelangt. Dort vollzieht sich der finale Schritt des Übergangs in den Wahnsinn: Vor Schmerz schießen Iwein zorn und tobesuht [Iw, V. 3233] ins Hirn, er vergisst jegliche Erziehung und Sitte, reißt sich die Kleider vom Leib und rennt nackt über das Feld hinaus in die Wildnis [Iw, V. 3231–38]. Es sei nur Gottes Gnade zuzuschreiben, so der Erzähler, dass Iwein einem Knappen Pfeil und Bogen abnehmen kann, um sich Nahrung zu jagen. Sonst hätte er auf primitive Waffen wie eine Keule zurückgreifen müssen – aber auf diese Stufe, die der eines Wilden Mannes sehr nahe käme, sinkt er nicht hinab.4 Trotzdem ist sein Waldleben karg, unhöfisch und voller Entbehrungen. Es verbessert sich erst, als Iwein die Hütte eines Einsiedlers findet, die sich bezeichnenderweise auf einer niuweriute [Iw, V. 3285] als er ein tôre wære [Iw, V. 3095]. tôre/tôr kann als Tor, Irrsinniger oder auch Narr übersetzt werden. [Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Art. tôre, tôr, Bd.2, Sp. 1464] Matejovski (1996): Motiv des Wahnsinns, verweist auf die unpräzise Terminologie, mit der Hartmann Iweins Wahnsinn charakterisiert. Der Begriff tôr werde undifferenziert und vieldeutig verwendet und gleichsam für alle Stationen des Wahnsinns gebraucht. (S. 123) 3 Er verlôs sîn selbes hulde: / wan ern mohte die schulde / ûf niemen anders gesagen: / in hete sîn selbes swert erslagen. [Iw, V. 3221–24] (Er begann, sich selbst zu hassen, denn er konnte die Schuld auf niemand sonst schieben. Sein eigenes Schwert hatte ihn erschlagen.) 4 Zur Thematik des Bogens als unritterliche Waffe des Jägers in Chrétiens Yvain vgl. Le Goff (1990): Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 176–179.
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befindet, einer neuen Rodung – bezeichnend deshalb, weil auch der Waldmann zuvor auf einer Rodung anzutreffen war, die als Zwischenwelt zwischen Zivilisation und Wildnis zu lesen ist. Die Rodung als Handlungsschauplatz, so Graf, ist ein Ort des Übergangs, der Vermittlung, eine Schleuse zwischen Kultur und Natur, die der Held passiert.5 Über die Ähnlichkeiten der Topographie, in der sie agieren, verweisen Iwein und der Waldmensch reziprok aufeinander, der Waldmann ist als eine Präfiguration der wahnsinnigen IweinFigur zu erkennen.6 Der Einsiedler auf der Rodung ist für Iwein in seinem vertierten, wilden Status der erste Kontakt mit der menschlichen Zivilisation seit langer Zeit. Wie Kalogrenant den Wilden Mann, so fürchtet auch der Einsiedler Iwein zuerst, denn der selbe sach im daz wol an / daz er niht rehtes sinnes was. [Iw, V.3288f.] (Dieser sah ihm genau an, daß er nicht bei Verstande war.) Sukzessive entwickelt sich eine Tauschgemeinschaft zwischen dem Ritter und dem Eremiten. Erst an diesem Punkt verändert sich auch Iweins Äußeres, eine Veränderung, die als ein mit der nun eingespielten Gewohnheit des Waldlebens auftretendes visuelles Phänomen imaginiert wird: Am ganzen Leib wird er schwarz und einem Mohren gleich. Sus twelte der unwîse ze walde mit der spîse, unz daz der edele tôre wart gelîch einem môre an allem sînem lîbe. [Iw, V. 3345–49] (So blieb der Irrsinnige im Walde mit dieser Art Nahrung, bis der edle Narr am ganzen Leibe einem Mohren gleich wurde.)
Erst mit dieser markanten Farbverwandlung ist Iweins Genese zum selbstverlorenen Waldtoren wirklich abgeschlossen. Die schwarze Farbe markiert deutlich den Punkt einer abgeschlossenen Destruktion höfischer Identität. Iwein ist nun äußerlich wie innerlich ein anderer, ohne sich aber dessen bewusst zu sein – der äußerste Grad des Wahns und der Selbstentfremdung ist erreicht.7 Seine ritterlichen Taten sind ihm fremd, und nicht nur das – sie sind ihm auch nicht mehr äußerlich anzusehen [Iw, V. 3358]. Anders als beispielsweise Wigalois im Roman Wirnts von Grafenberg oder Gawein aus der Crône, Graf (1989): Liebe, Zorn, Trauer, Adel, S. 102, und ders.: „Auch die Schauplätze der Handlung bilden die innere Reise des Organismus ab. So bezeichnen ‚hove‘, ‚gevilde‘, ‚geriute‘, ‚niuweriute‘, ‚bloeze‘, ‚walt‘ und ‚wilde‘ symbolische Bühnenbilder zwischen Kultur und Natur, zwischen Humanem und Animalischem.“ (S. 101) 6 Siehe auch Graf (1989): Liebe, Zorn, Trauer, Adel, S. 16: „[…] [Hartmann] gibt eine in der Literatur ausserordentlich genaue Beschreibung des wilden Mannes, der bezüglich Lebensweise und mythologischem Aspekt eindeutig auf den Waldtoren bezogen ist.“ 7 Vgl. Schmitt (1985): Der ,Wahnsinn‘, S. 204. Mit Graf (1989): Liebe, Zorn, Trauer, Adel, sei allerdings an dieser Stelle auf die Problematik der Beschreibung der Vorgänge als „Selbstentfremdung“ bzw. „Entfremdung“ hingewiesen. Der Terminus, so Graf, werde in der Forschung oft ohne theoretische Grundlage und unhinterfragt verwendet. „Der Ausdruck […] setzt einen modernen, transzendenzlosen individualistischen Begriff des Selbst voraus.“ (S. 14) Dies sieht Graf im Iwein-Roman nicht als Voraussetzung gegeben. 5
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die beide ebenfalls zeitweilig sich selbst vergessen, bleibt Iweins höfische Schönheit nicht unverändert erhalten.8 So bedarf es auch eines äußeren Zeichens, damit die drei Damen, die eines Tages den schlafenden Iwein nahe an einer Landstraße entdecken, ihn identifizieren können: Er hat eine markante wunde, eine Narbe [Iw, V. 3380f.]. An diesem Ausweis seiner Identität ist er als der verschwundene Ritter Iwein zu erkennen. Sein Zustand in den schanden [Iw, V. 3394] betrübt die Damen sehr, und eine stellt auch gleich die Diagnose: ,vrouwe, ir muget wol schouwen / daz er den sin hât verlorn.[‘] [Iw, V.3398f.] (Herrin, Ihr könnt deutlich sehen, daß er den Verstand verloren hat.) Entweder, so schlussfolgert sie, geschah dies durch eine Vergiftung, oder ez ist von minnen komen [Iw, V. 3405] ([…] die Minne hat es angerichtet). Glücklicherweise hat die Herrin von Narison für hirnsühte ein Heilmittel parat, eine Salbe der Feimorgan, und so gelingt es einem der Fräulein, Iwein durch (übermäßig) gründliches Einreiben mit der Zaubersalbe aus seinem Wahnzustand zu erlösen.9 Als Iwein wieder zu Sinnen kommt [Iw, V. 3504], zweifelt er zuallererst durch den Anblick seines schwarz verfärbten, griulichen Körpers mit den Worten ,bistûz Îwein, ode wer? / hân ich geslâfen unze her?[‘] [Iw, V. 3509f.] (Bist du Iwein oder wer sonst? Habe ich bis jetzt geschlafen?) an seiner eigenen Identität. Von dem Anblick des veränderten Körperbildes ausgehend wähnt Iwein sein ganzes bisheriges Leben als Artusritter als einen Traum, er hält sich für einen Toren [V. 3555], einen swachen, armen Mann, einen gebûre [Iw, V. 3557] – ein weiterer, hier terminologischer Rückbezug auf den Waldmann, der ebenfalls als gebûre bezeichnet wird. Eine Erinnerung an die Zeit im Wald scheint nicht zu bestehen. Interessant ist an dieser Stelle besonders, dass Iwein die fälschlichen Rückschlüsse auf sein Leben vor allem durch sein Aussehen bestätigt sieht, ist er doch rûch wie ein Bauer. Und doch steht seine Gesinnung dieser Annahme entgegen: der troum hât mir mîn reht benomen: swie gar ich ein gebûre bin, ez turnieret al mîn sin. mîn herze ist mînem lîbe unglîch: mîn lîp ist arm, daz herze rîch. [Iw, V. 3572–76] Im Wigalois ist es sogar genau diese körperliche Schönheit, die die Fischersfrau davon abhält, den bewusstlosen Wigalois zu töten [Wg, V. 5433–5469]. 9 Zu den sexuellen Implikationen der Ganzkörperbehandlung mit der Zaubersalbe vgl. Schmitt (1985): Der ,Wahnsinn‘, S. 205; und auch Graf (1989): Liebe, Zorn, Trauer, Adel, „Das erotische Moment in der Konstellation nackter Mann – junge Frau – Wald ist evident.“ (S. 54). Wehrli hingegen (1969): Formen mittelalterlicher Erzählung, nimmt eine eher religiös-christologische Perspektive ein und erkennt in den drei Frauen mit dem Salbengefäß einen Bezug zu den drei Marien der Osterszene in der Bibel. Daraus zieht er den Schluss: „Iweins Erwachen erhält österlichen Sinn, und es ist nicht zu kühn, wenn nun Iwein, der Gesalbte, im folgenden als eine Erlösergestalt gesehen werden kann, nicht viel anders als Parzival oder andere Artusritter, die den Geboten des christlichen Ritterstandes nachleben.“ (S. 179) Mit Graf (1989) lässt sich bezüglich dieser Salbungsszene schlussfolgern: Es wird ein episches Grundmotiv „mit christlichen Bezügen und erotischen Andeutungen zu einem eigenartigen Konglomerat vermischt, dessen Intention vielleicht gerade auch die Ermöglichung sowohl einer klerikalen wie auch einer profanen Deutung war.“ (S. 55) 8
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(Der Traum hat mich meinem Stande entfremdet: wenn ich auch gänzlich ein Bauer bin, ich habe nur Gedanken fürs Turnier. Mein Herz paßt nicht zu meinem Äußeren. Äußerlich bin ich arm, aber mein Herz ist reich.)
Die Iwein-Figur ist in zwei Aspekte auseinander gefallen, die sie selbst nicht in Übereinstimmung bringen kann: Körper und Aussehen decken sich nicht mit der ritterlichen Gesinnung und dem Verlangen nach höfischem Leben. Sein Wissen um die Konventionen der höfischen Welt sagt Iwein, dass ein Ritter nicht schwarz, struppig und nackt sein kann – und doch verspürt er zugleich den Wunsch nach höfischer Lebensart. Das Resultat dieses Auseinanderdriftens von Innen und Außen, dem äußerlichen Verlust von Schönheit, ist ein ständisch geprägter Selbstzweifel Iweins, der ihn sich selbst fremd werden lässt: Er ist sîn selbes gast [Iw, V. 3563]. Iweins (Selbst-)Krise ist also trotz der Behandlung mit der Zaubersalbe noch lange nicht beendet, vielmehr stürzt ihn das Erwachen aus dem „bewusstlosen“ Wahn in eine noch viel tiefer gehende Krise.10 Der schwarze Iwein ist nicht mehr der Ritter Iwein – und gleichzeitig ist er es doch. Einen Ausweg aus diesem selbstverlorenen Zustand kann nur die erneute Angleichung seines Äußeren an die höfische Gesinnung bieten. Eine Möglichkeit dafür ergibt sich sofort, denn das Fräulein hat für Iwein rîch gewant [Iw, V. 3593] bereit gelegt, und obwohl er sich nicht sicher ist, ob die Kleider für ihn gedacht sind, legt er sie an. Iweins Zweifel an dieser Stelle sind ständisch geprägt, sie zeigen deutlich, wie weit der Ritter noch von einer vollständigen Rückkehr zu seinem alten Selbst entfernt ist. Das Anlegen der höfischen Bekleidung ist allerdings bereits ein wichtiger Schritt. So ist es der Jungfrau nach der Einkleidung möglich, Iwein zur Herrin von Narison zu bringen, die daraufhin eine weiterführende Therapie11 veranlasst: Der Ritter erhält nochmals frische Kleider, reichliche Speisen und ein Bad [Iw, V. 3648–51]. Schwarz am ganzen Leibe bleibt der Held allerdings immer noch, somit ist die Schwärze des Ritterkörpers hier deutlich als eine Schwarzfärbung der Haut und nicht nur als Schmutzschicht ausgewiesen, diese wäre durch das Bad bereits abgewaschen worden. Erst nach einiger Zeit verschwindet diu wilde varwe und er wird wieder ein schœne man wie zuvor [Iw, V. 3696f.]. Cramer übersetzt die wilde varwe als „das ungepflegte Äußere“, jedoch erscheint es mir essentiell, dass an dieser Stelle dezidiert auf die Farbe verwiesen wird, die Iwein als wild markiert hat, und die als letztes visuelles Symbol seines wahnsinnigen Status bis zu diesem Moment erhalten geblieben ist. Die wilde varwe, expressis verbis mit dem Zustand des Wilden verbunden, verliert sich erst spät. Das Vorhandensein des unhöfischen Schwarz verwehrte Iwein bis zu diesem Zeitpunkt noch die vollständige Rückverwandlung, ist die Schwärze verschwunden, Zur Selbstkrise, vor allem zu dem Konflikt zwischen der Evidenz des Körpers und dem „TraumIch“ Iweins vgl. Schnyder, Mireille (2005): Ich-Geschichten. Die (Er)findung des Selbst. In: Martin Baisch (u.a.) (Hg.): Inszenierungen von Subjektivität in der Literatur des Mittelalters. Königstein: U. Helmer, S. 75–90. 11 Zur diätetischen, pharmazeutischen und chirurgischen Therapie des Wahnsinns als Ergebnis eines Säfteungleichgewichts vergleiche Schmitt (1985): Der ,Wahnsinn‘, und Matejovski (1996): Motiv des Wahnsinns, S. 37. Eine Behandlung erfolgt zumeist entlang der sex res non naturales und umfasst Bäder, Musik, Leibesübungen, Aderlass, Purgieren, Koitus und medikamentöse Behandlung. 10
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ist er wieder schœn und seinen ritterlichen Pflichten gewachsen, was er auch sogleich im Kampf gegen Aliers unter Beweis stellen darf. Kurz nach seinem Sieg und dem Aufbruch von Narison folgt das Zusammentreffen Iweins mit dem Löwen, der den Ritter von da an ständig begleiten wird.12 Der Weg Iweins zurück zu seinem ursprünglichen Platz in der höfischen Gesellschaft ist damit aber noch lange nicht abgeschlossen13, seine vollständige Rehabilitation erfolgt erst mit der erneuten Zusammenführung mit Laudine am Schluss des Romans. Diese Textabschnitte sollen im Umfang der vorliegenden Arbeit nicht mehr betrachtet werden. Wie Michel treffend feststellt, ist Hässlichkeit bzw. Entstellung, die den Helden selbst betrifft, besonders bedeutsam und schwerwiegend. Sie hat einen hohen Symbolgehalt. Im Iwein ist die schwarze Verfärbung, die mit dem Wahnsinn des Helden einhergeht, strukturell gesehen am wichtigsten Dreh- und Angelpunkt der Handlung, der Schemastation der Krise, platziert und erhält damit besonderes Gewicht. Iweins Fall in den Wahnsinn wird in der Szene mit zwei äußerlich sichtbaren Merkmalen charakterisiert: Er ist nacket [Iw, V. 3238]14 und gelîch einem môre / an allem sînem lîbe [Iw, V. 3348f.], hat also einen swarzen lîch [Iw, V. 3595].15 Warum aber wird Iwein schwarz, warum gerade diese wilde varwe? Die schwarze Hautfarbe Iweins ist ein polyvalentes Zeichen für eine Vielzahl von Semantiken und dient als Anschlusspunkt für verschiedenste Diskurse.16 Diese Vielfältigkeit der Diskurse lässt sich daher vor allem aus dem Blickwinkel der Farbe besonders deutlich erschließen. Die Schwärze, die Iweins Körper während der Wahnsinnsepisode annimmt, dient, so meine These, als Bindeglied und als umfassendes, übergeordnetes Element, das alle sich in dieser komplexen Szene eröffnenden Diskurse einschließt. Der Schwärze der Haut ist dabei nicht, wie in der Forschung häufig verkürzt geschehen, eine Die Figur des Löwen mit seinen anthropomorphen Zügen ist ein vielschichtiges Symbol mit semantischer Ambiguität, das von der Forschung vor allem als liminales Element, anzusiedeln zwischen Höfischem und Wildem, oszillierend zwischen den Bedeutungswelten gelesen wird, so beispielsweise bei Quast (2001): Das Höfische. Er gilt aber auch als Christussymbol, heraldisches Zeichen, Zeichen von Adel und Herrschaft, triuwe-Symbol und Zeichen der Animalität des Menschen [vgl. dazu Friedrich (2009): Menschentier]. Der Löwe verschwindet erst mit dem vollständigen Wiedereintritt des Ritters in die höfische Gemeinschaft. 13 Dieser Umstand der unvollständigen Rehabilitation lässt sich gut erkennen, als Iwein kurz nach dem Zusammentreffen mit dem Löwen zufällig erneut zur Zauberquelle des Laudine-Reiches gelangt und bei der Erinnerung an das verlorene Liebesglück kurz davor steht, erneut dem Wahn zu verfallen: des wart sô riuwec sîn lîp, / von jâmer wart im alsô wê, / daz er vil nâch als ê / von sînem sinne was komen, [Iw, V. 3936–39] (Das schmerzte ihn so sehr, vor Jammer wurde ihm so weh, daß er fast wie vorher den Verstand verloren hätte[.]) 14 Zum Thema der Nacktheit des Ritters vergleiche Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 220–224, der in Iweins Unbekleidetheit die „Inszenierung einer Identitätskrise als Devestitur“ (S. 220) liest. 15 Zur Bedeutung von mdh. lîch vgl. Kap. 2.4.1., Fußnote 168. 16 Es kann im Umfang dieser Arbeit nicht auf jeden dieser Diskurse eingegangen werden, somit werde ich die Verbindungen nur überblicksartig aufzeigen und mich speziell auf Aspekte der Farbigkeit konzentrieren. 12
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singuläre, statische Funktion zuzuweisen, vielmehr zeigt sich im Motiv der Schwärze des Ritterkörpers eine vom Autor bewusst gesetzte semantische Unschärfe, die es ermöglicht, unterschiedlichste Fragestellungen über das Zeichen der Schwärze zu verhandeln und zu verknüpfen. Diese semantische Unschärfe des Zeichens, so stellt es sich mir unter Berücksichtigung der Farbsymbolik dar, kann auf die grundlegend polyvalente Auslegung der Farbe Schwarz zurückgreifen. Pastoureau widmet dieser ein ganzes Buch: Black (2009).17 Um seine Erkenntnisse knapp zusammenzufassen: Schwarz stellt sich im Rahmen der westlichen Gesellschaften als eine zwiespältige Farbe dar, die je nach zeitlichem Kontext verteufelt oder bevorzugt wird. Als Farbe von Dunkelheit, Nacht, des Unterirdischen und des Todes markiert sie in der christlichen Kultur, wie auch in vielen Mythologien, den negativen Gegenpol zu Licht und Leben.18 Gleichzeitig kann Schwarz auch Fruchtbarkeit und Wiedergeburt signalisieren, da, wo sie als Farbe der Erde semantisiert ist.19 In der christlichen Symbolwelt markiert Schwarz zumeist das Böse, Sündige und Teuflische, ist doch Gott das absolute Licht. Zugleich kann die Farbe aber auch für Demut und Mäßigung, Trauer und Buße stehen – so avanciert sie auch zur Farbe der Mönchskleidung als Zeichen weltlicher Abkehr.20 Erst das Aufkommen der Wappen und die neutrale Verwendung des Schwarzen in ihnen löst die Farbe – zumindest im Kontext feudaladeliger Repräsentation – aus dem Bereich des Diabolischen und ermöglicht somit zum Ende des Mittelalters hin den Aufstieg des Schwarzen zur luxuriösen Modefarbe, zu einem Zeichen von Würde, Integrität, Rechtssprechung und schließlich sogar zu einer der Farben des Königtums.21 Gleichzeitig aber ist die schwarze Hautfarbe wiederum ein eigenständiges Phänomen, widmet doch das Mittelalter den Farben des Körpers besondere Aufmerksamkeit. Eine dunkle Hautfarbe ist in der Blütezeit des Mittelalters meist (aber durchaus nicht immer) ein negatives Zeichen, assoziiert mit den Außenseitern der moralischen, sozialen und religiösen Ordnung. Dunkle Haut, so Pastoureau zusammenfassend, findet sich in vielen literarischen und bildlichen Darstellungen des Mittelalters, 2008 im französischen Original bei Editions du Seuil erschienen als Noir, histoire d’une couleur. Zur Auslegung von Schwarz in der christlichen Allegorese vgl. Meier/Suntrup (2011): Lexikon der Farbenbedeutungen, Art. niger, S. 511–550. Niger steht als Hauptbezeichnung für alles Dunkle, Finstere und Lichtlose als Gegenpol zu albus und candidus – Weiß und Licht. Die christliche Farbauslegung begreift Schwarz zumeist ästhetisch und substantiell als negativ, „Weiß und Schwarz stehen in Opposition wie Gerechtes und Ungerechtes, Gutes und Schlechtes, Nützliches und Unnützes, Reinheit und Unkeuschheit, Liebe und Hass“ (S. 511). Dementsprechend negativ gedeutet verweist Schwarz auf den Teufel und das Dunkle, Tod, Sünde, Versuchung, Leid, Unglaube, Häresie, und schlechte Verhaltensweisen des Menschen. Es kann aber auch positiv gedeutet werden im Sinne der Tugenden und Einstellungen des Christen, mit denen dieser auf die Versuchungen des Teufels reagiert. In diesem Sinne verstanden ist Schwarz Farbe der Selbst- und Weltverachtung, der Demut, des Sündenbewusstseins, der Buße und Reue und des Bewusstseins der vanitas der Welt. Als Zeichen innerer Schönheit, verborgen unter hässlichem Äußeren, wird Schwarz vor allem anhand der Braut des Hohelieds gedeutet. Vgl. dazu Kapitel 3.2.1.1. 19 Vgl. Pastoureau (2009): Black, S. 22. 20 Vgl. Pastoureau (2009): Black, S. 65. 21 Vgl. Pastoureau (2009): Black, S. 78. 17 18
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die meisten davon zeigen negativ konnotierte Figuren wie Teufel und Dämonen, Verräter und Betrüger, Kriminelle, oder auch Individuen, die unmoralische Tätigkeiten ausüben so wie Henker, Prostituierte, Wucherer, Hexen, Fälscher, und ebenfalls Leprakranke, Bettler und Krüppel.22 Somit ist und bleibt die schwarze Haut ein Phänomen der Randzonen der mittelalterlichen Gesellschaft, Zeichen des Außenseitertums, unabhängig von der Akzeptanz der Farbe in anderen Gesellschaftsbereichen. Vor allem die Verwendung des Schwarzen als Zeichen von sozialem, moralischem und topographischem Außenseitertum, mithin auch als Ausweis von Wildheit, greift für die Verfärbung der Haut des Helden Iwein, aber auch die Semantisierung des Schwarzen als Trauerfarbe (Trauer um den Verlust von Ehre und Dame) und ebenso als konzeptueller Verweis auf eine mögliche Bußfunktion der Wahnsinnsepisode für Iwein in Bezug auf zuvor begangenes Unrecht (Mord an Askalon) finden sich in der Szene. Diese vielfältige semantische Besetzung des Zeichens der schwarzen Hautfarbe erscheint besonders auffällig, betrachtet man die spärliche und bewusst gesetzte Verwendung von Farben, insbesondere der Farbe Schwarz, im Iwein Hartmanns. Die Farbpalette des Romans ist verhältnismäßig beschränkt, vergleicht man sie mit jüngeren Werken wie dem Wigalois oder der Crône. Neben mehrfachen Nennungen der Farben Rot, Gold und Weiß wird Schwarz (und neben swarz auch damit verbundene Farbwörter und -umschreibungen wie einem môre gelîch [Iw, V. 427] oder ruozvar [Iw, V. 433]), nur an sechs Textstellen genannt.23 Davon zählen zwei zur Beschreibung des Waldmannes, drei zur Schilderung Iweins in der Wahnsinnsepisode und eine findet sich in einer Szene, in der gefangene Ritter geschildert werden, deren Bekleidung aus einem zerrissenen Hemd aus schwarzem Sacktuch besteht. Ansonsten sind ihre Körper an Armen und Beinen nackt [Iw, V. 4928–31]. Hier verweist die schwarze Farbe der Kleidung auf einen erniedrigenden Zustand, den die Ritter, ihrer die höfische Identität repräsentierenden Kleidung beraubt, erdulden müssen, kombiniert mit dem Element der Nacktheit.24 Auffällig ist bei der Verwendung des Schwarzen im Iwein vor allem die Parallele zwischen dem schwarzhäutigen Waldmann und dem schwarzhäutigen Iwein. Darüber hinaus tritt Schwarz im Roman ausschließlich im Kontext und topographischen Raum der Wildnis, des Waldes auf, nie in höfisch konnotierten Räumen, es steht in Kontrast zu den Kolorierun Vgl. Pastoureau (2009): Black, S. 81. Zählt man auch das „abgeschwächte Schwarz“ Grau dazu, sind es acht Nennungen. Grau wird dabei als Farbe der Augenbrauen und des Bartes des Waldmenschen genannt [Iw, V. 445f.] und als Färbung grauen Pelzwerks, das zu Iweins Kleidung gehört, die er am Laudine-Hof erhält [Iw, V. 2193]. Das Grau/Schwarz des Pelzes, so Raudszus (1985): Zeichensprache, sei aber im Gegensatz zu den Farben der Kleidungsstoffe nicht mit einer Ausdeutungskomponente versehen (vgl. S.224). 24 So auch Raudszus (1985): Zeichensprache, S. 98: Kleidung werde im Iwein im Vergleich mit anderen höfischen Epen immer nur kurz geschildert und sei insbesondere ein Kennzeichen von Figuren mit antihöfischen Existenzstadien. Dies zeige sich in Figuren wie Iwein im Wahn, dem Waldmann, Laudine als Trauernde, Lunete als Verurteilte, aber auch in den gefangenen Rittern und den dreihundert weiblichen Geiseln. Die Kleiderbeschreibung, so Raudszus, diene an diesen Stellen der Demontage einer stilisierten Artuswelt. 22 23
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gen des Weißen, Goldenen und Roten, die die höfischen Passagen des Iwein dominieren. Neben der sehr bewusst gewählten Platzierung des Schwarzen ist auch das Vokabular, das zu seiner Schilderung verwendet wird, aufschlussreich: Neben dem Adjektiv swarz [Iw, V. 3595] verwendet Hartmann in der Wahnsinns-Episode auch die vergleichende Umschreibung gelîch einem môre [Iw, V. 3348] und schließlich diu wilde varwe [Iw, V. 3696] zur Beschreibung der schwarzen Körperfarbe. Der Hinweis auf die „Mohrenfarbe“ Iweins verweist direkt zurück zur Beschreibung des Waldmannes, der ebenfalls einem Môre gelîch [Iw, V. 327] gefärbt ist. Die Mohrenschwärze ist weiterhin Verweis auf den mittelalterlichen Fremdheitsdiskurs25 und vereinigt damit Aspekte des Beängstigenden, Sündhaften und Heidnischen mit exotischer Anziehungskraft. Iwein wird nicht nur schwarz, er wird auch gleichzeitig als fremd und furchterregend, der eigenen Kultur nicht zugehörig codiert. Weiterhin ordnet ihn der Hinweis auf die wilde Natur der Farbe, die sein Körper annimmt, bereits deutlich dem Wildheitsdiskurs zu, der die gesamte Szene überspannt. Wild/wilde umfasst, wie bereits zuvor gezeigt (Kap. 3.3.4.1., Fußnote 139), eine breite Spanne an Konnotationen, unter anderem das Ungezähmte, Untreue und Dämonische wie auch erneut das Fremde, Unbekannte, Wunderbare und Unheimliche. Die schwarze Farbe an dieser Stelle dezidiert als wilde Farbe zu bezeichnen ermöglicht es Hartmann, Iwein außer einem schwarzen Körper auch eine Vielzahl anderer Eigenschaften zuzuordnen, die wie die Schwärze des Leibes nicht mit einem Bad entfernt werden können, sondern sich erst nach und nach beim Aufenthalt in der höfischen Sphäre wieder verlieren. Wilde und swarz werden hier nicht synonym verwendet, ihre Semantiken ergänzen sich vielmehr zu einem Bild des schwarzen, sich selbst fremden Iwein, die schwarze Wildheit affiziert nicht nur seinen äußerlichen Leib, sie hat auch Auswirkungen auf seine Selbstwahrnehmung und seinen Platz innerhalb des Geflechtes von Wildnis und höfischer Sphäre. Mit der geringen Frequenz des Schwarzen geht also eine Überdeterminierung der Farbe, eine wahre Überfrachtung an Bedeutungen, einher. Trotz der über die Perspektive der Farbigkeit bereits offensichtlich werdenden Polyvalenz des Zeichens und der Vielzahl der Bedeutungsebenen, welche die schwarze Hautfarbe Iweins aufruft, hat die Forschung bisher die Wahnsinnsepisode in Hartmanns Roman zumeist ausschließlich in Bezug auf einige wenige Diskurse hin analysiert. Ein Großteil der Forschungsansätze geht dabei von der Raumordnung aus, und daran anknüpfend von der Dichotomie Kultur/Natur, Höfisches/Wildes und dem Status des Schwarzen als Zeichen des Wilden und Unhöfischen. Des Weiteren wird die schwarze Haut häufig im Zuge des Medizindiskurses als Zeichen eines Säfteungleichgewichts im Sinne der Humoralpathologie des Mittelalters gelesen, damit stellt sich auch die Frage nach dem Melancholiker-Status und einer Minnekrankheit Iweins. Diese in der Forschung herausgearbeiteten Diskurse, die nachfolgend dargestellt werden sollen, werden in meine Überlegungen miteinbezogen, die sich indes nicht auf eines der Konzepte beschränken. Die Zuordnung von Schwarz zu lediglich einem Diskurs erweist sich aus dem Blickwin25
Schnyder (2005): Ich-Geschichten, S. 89, merkt dazu an: „Der Vergleich mit dem Mohren macht Iwein zu dem Fremden par excellence.“
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kel der Farbigkeit als zu kurz gegriffen, als zu statisch. In einer Analyse der komplexen Szene aus der Farbenperspektive werde ich vielmehr zu zeigen suchen, dass aufgrund der Polyvalenz der schwarzen Farbe vielfältige interferierende Diskurse angespielt werden. Betrachten wir aber zuerst die Diskurszuordnung der Szene, wie sie sich bisher in der Forschung darstellt. Der Medizindiskurs des Mittelalters kennt eine Schwarzfärbung der Haut (nicht verstanden als ein natürlich-dunkler Hautton) aus der Säftelehre des Galenos von Pergamon (Galen).26 Im Hochmittelalter aus arabischen Quellen entnommen dominiert das Modell der Viersäftelehre bis ins 18. Jahrhundert die abendländische Medizin. Alle lebenden Körper sind nach diesem Konzept aus Flüssigkeiten (Schleim [phlegma], Blut [sanguis], schwarzer Galle [atra bilis oder melancholia] und gelber Galle [flava bilis oder cholera]) zusammengesetzt, die sich in Farbe, Dichte und Grundqualitäten (kalt, warm, feucht, trocken) unterscheiden. So gilt Blut als warm und feucht, die schwarze Galle – der schlechteste Saft – hingegen als kalt und trocken. In diesem Modell liegt der Begriff der complexio begründet, der verschiedene Qualitäten und Mischungen dieser Flüssigkeiten definiert.27 Die complexio eines Menschen kann eine Kombination physischer Eigenschaften oder eine dominante Körperflüssigkeit bezeichnen. Sie gibt Auskunft über eine individuelle Veranlagung, das Temperament eines Menschen, über einen zeitbegrenzten Zustand oder eine physische Reaktion. Auch Geschlecht, Alter und Gemütszustände haben Einfluss auf die complexio, ebenso wie die Elemente, Sternenkonstellationen und Planeten. Das Äußere des Menschen verweist diesem Konzept zufolge auf sein Inneres, seine körperliche Verfasstheit, seine Gesinnung und seinen emotionalen Zustand. Farben spielen im System der Viersäftelehre eine herausragende Rolle. Hier geht es in erster Linie um Körperfarben, die nicht von der geographischen und ethnographischen Herkunft eines Menschen bestimmt sind. Die Körperfarbe verweist auf individuelle Eigenschaften als Resultat verschiedener Säftemischungen. Das System ist anhand der drei Farben Rot, Schwarz und Weiß organisiert, der Farbentrias der Antike. Diese drei Farben gelten allerdings als die extremsten Ausprägungen, die äußersten Pole der Körperfarbenskala. Ihr unvermischtes Auftreten steht immer für einen Überfluss, ein Übermaß einer Substanz und damit für ein Ungleichgewicht. „Ideal war im Galenschen System also keine möglichst helle Haut, sondern ein ausgeglichener Zwischenzustand als die beste aller comlexiones.“28 Analog zum biblischen Bild des Königs David heißt das eine colore candidus et rubicundus, weiß und rot vermischt, ein Aspekt, der sich auch in den Schönheitsbeschreibungen der höfischen Literatur wiederfindet. Auf der Grundlage dieses Diskurses operieren unter anderem die Arbeiten von Schmitt (1985), Schmitz (1986), Graf (1989) und auch Matejovski (1996), der die medizinhistorischen Voraussetzungen als Grundlage seiner Argumentation nutzt, dann aber zu einer Diskussion der Raumordnung übergeht. 27 Ausführlich zum Begriff der complexio und zu Galens Viersäftelehre siehe: Groebner (2003): Hautfarben. 28 Groebner (2003): Hautfarben, S. 8. 26
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So wie die Gesundheit des Menschen auf das richtige Mischungsverhältnis der Kardinalsäfte zurückzuführen ist, entsteht Krankheit aus einem Ungleichgewicht derselbigen. Die Humoralpathologie tendiert dazu, auch Geisteskrankheiten nicht als Besessenheit und Sündenstrafe zu sehen, sondern als Resultat eines Säfteungleichgewichts. Matejovski benennt als die vier Haupttypen des durch humoralpathologische Aspekte begründeten Wahnsinns Phrenitis, Mania, Epilepsia und Melancholia. Vor allem die Melancholia hat sich als traditionsbildend erwiesen.29 Ihre Ursache ist ein Überfluss an schwarzer Galle. Die Vorgänge bei der Entstehung der Krankheit stellte man sich wie folgt vor: Die schwarze Galle vermehrt sich gefährlich, entzündet und erhitzt sich, wobei sie rußige Dämpfe absondert, die zu Kopf steigen und die Sinne und den Verstand eintrüben und verwirren. Dies kann zu verschiedenen Symptomen führen wie Angst, Depression, Traurigkeit, welt- und menschenverachtender Missmut bis hin zur Todessehnsucht, aber auch manische, aggressive und paranoide Zustände, Appetitverlust oder übermäßiges Essen, raue und harte Haut, mitunter auch als dunkel oder schwarz beschrieben.30 Constantinus Africanus weist weiterführend darauf hin, dass die Krankheit auch mit einer Veränderung der Lebensgewohnheiten einhergeht, mit sozialer Entfremdung und Isolation. Besonders interessant für die Auslegung des Iweinschen Wahns erscheint der Forschung die Verbindung von Melancholia und Liebeskrankheit.31 Viele mittelalterliche Ärzte definieren morbus amatorius oder amor hereos als eine Form der Melancholie.32 Bei einigen Autoren sind die signa der Liebeskrankheit mit denen der Melancholie fast identisch. Iweins Zurückweisung durch seine Ehefrau und die plötzliche Realisierung der verlorenen Liebe könnten also nach mittelalterlichem Verständnis durchaus Ursache eines melancholischen Zustands sein, der sich in den Symptomen äußert, wie Hartmanns Erzähler sie aufzählt: im Wunsch nach Isolation, in der Traurigkeit, dem Selbsthass, der Veränderung der Lebensgewohnheiten und, über das Übermaß an schwarzer Galle, auch in der allmählichen Schwarzfärbung der Haut, wie sie bereits bei Rufus und Avicenna Das Melancholia-Konzept des Mittelalters geht weit über das heutige Verständnis der Melancholie hinaus. Es bezeichnet melancholia als Krankheit, beschreibt depressive bis erregte und tobsüchtige Affektentgleisung, zusammen mit Wahn mit verschiedensten Inhalten, Sinnestäuschungen, mannigfachen Störungen des Verhältnisses zur Realität und erheblichen Verhaltensauffälligkeiten. Vgl. Schmitt (1985): Der ,Wahnsinn‘, S. 209. 30 Vgl. Matejovski (1996): Motiv des Wahnsinns, S. 42ff. 31 Mit Matejovski (1996) muss an dieser Stelle auf die schwer zu rekonstruierenden Überschneidungsbereiche von Medizin, Literatur und Theologie verwiesen werden, auf das Nebeneinander von rationalen und magischen Verständnismustern, das die mittelalterliche Vorstellungswelt beherrscht. (Vgl. S. 61f) 32 Hier sei vor allem auf die ausführliche Analyse bei Graf (1989) verwiesen. Er versteht den Liebesexzess als Wesenskern des Heldischen im höfischen Roman, der dem Publikum Hartmanns als Topos wohlbekannt gewesen sein muss. Eine Verbindung von Melancholie und Liebeskrankheit im Iwein erscheint ihm plausibel: „Iwein leidet an der Melancholie oder am amor hereos oder an beidem.“ (Liebe, Zorn, Trauer, Adel, S. 138) Auch Ernst (2007): Haut-Diskurse, konstatiert: „Dass der Protagonist in der Tat vom amor hereos ergriffen ist, zeigen neben dem Farbwechsel auch sein Sinnieren und sein Suizidverlagen, die ebenfalls zum Syndrom der Krankheit gehören.“ (S. 163) 29
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belegt ist.33 Die Frage, ob Iwein tatsächlich dem Melancholiker-Typus zuzuordnen ist, ist in der Forschung vielfach diskutiert worden, und dies mit unterschiedlichsten Ergebnissen. Schmitt beispielsweise liest die Wahnsinnsdarstellung als meisterhafte und psychologisch stimmige Darstellung einer psychischen Erkrankung, geschildert mitsamt Ursachen, Entwicklung, Symptomatologie, Phänomenologie und Heilung34, und geht so von einer Analogie der fiktionalen Darstellung zum melancholia-Konzept aus. Chrétien beschreibt den Zustand des wahnsinnigen Yvain mit rage, Hartmann benutzt die Worte zorn und tobesuht. Diese Begriffe, so auch Schmitz35, wiesen als eindeutiges Symptom auf eine melancholische Erkrankung hin. Auch die Therapie der hirnsühte, die Hartmann schildere, spreche für eine Interpretation des Wahnsinns als melancholia. Spezielle Nahrung, Bäder und auch das Einreiben mit Salben, Ölen und Milch gehören zu den üblichen Therapiemaßnahmen – Ähnliches wird Iwein bei seinem Aufenthalt bei der Herrin von Narison verabreicht. Vor allem beachte man hier auch, dass das Auftreten der schwarzen Hautfarbe in direkter Verbindung zu der eingeschränkten, einfachen Nahrung Iweins im Wald erfolgt. Es gibt medizinische Theorien, die einen Zusammenhang zwischen bestimmten Nahrungsmitteln und der schwarzen Galle als Auslöser für Melancholie herstellen (z.B. bei Diokles von Karystos, 4. Jh. v. Chr.). Der bei Hartmann indizierte Zusammenhang zwischen dem Auftreten der schwarzen Hautfarbe und der Nahrungssituation Iweins lässt vermuten, dass Hartman um diese Theorien gewusst hat. Matejovski hingegen versteht die Wahnsinnsszene des Iwein als unpsychiatrisch geschildert: Medizinische Genauigkeit oder eine Rückberufung auf solche Konzepte wie die der Galenschen Humoralpathologie seien nicht festzustellen. Hartmann tilge sogar den Begriff der melancolie, der bei Chrétien noch zur Schilderung des Zustandes Yvains genutzt wurde, aus seiner Szene.36 Insgesamt ist wohl nicht eindeutig festzustellen, ob und inwiefern Hartmann die Iwein-Figur tatsächlich als melancholicus ausgestaltet beziehungsweise sich implizit auf Konzepte der Viersäftelehre beruft. Parallelen zur Humoralpathologie sind jedoch nicht von der Hand zu weisen, und eine Interpretation des wahnsinnigen Iwein in Anlehnung an den Melancholiker-Typus bietet aufschlussreiche Erkenntnismöglichkeiten bezüglich dieser Episode und erklärt auch unter anderem das Auftreten der schwarzen Hautfarbe.37 Hartmann selbst nennt zur Begründung des Wahnsinns im Iwein gleich einen ganzen Vgl. Schmitz (1986): Iweins zorn, S. 100f. Schmitz verweist auf zahlreiche Belege aus der altfranzösischen Literatur, in denen der Körper schwarz wird, u.a. auch als Folge bestimmter Affekte – dort gibt es aber keinen Zusammenhang mit der Säftelehre. 34 Vgl. Schmitt (1985): Der ,Wahnsinn‘, S. 201. 35 Vgl. Schmitz (1986): Iweins zorn, S. 99. 36 Vgl. Matejovski (1996): Motiv des Wahnsinns, S. 126. 37 Graf ([1996]: Liebe, Zorn, Trauer, Adel) stellt zu diesem Thema abschließend fest: „Die polykausale Aetiologie der Erkrankung wird im humoralpathologischen Vorstellungshorizont vom literarischen Werk exakt nachvollzogen. Klima, Jahreszeit, falsche Ernährung und traumatische Auslösesituation fügen sich zu einem Gesamtbild der existenziellen Gefährdung, das alles andere als ein Ausdruck stereotyper Stilisierung ist. Das Melancholie-Konzept bringt einen ganz elementaren, hochintensiven Weltbezug des Helden zum Ausdruck.“ (S. 183). 33
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Katalog an Ursachen, fokussiert dann aber als entscheidendes Moment die Minne zu Laudine. Es ist die vrou Minne [Iw, V. 3254], die erwirkt, dass Iwein aus Sehnsucht nach seine Frau den Verstand verliert.38 Die höfische Literatur rekurriert häufig auf eine Verschränkung von Liebeskrankheit und Melancholie. Hier wird der kultivierte und sublimierte Affekt der Minne immer wieder, wohl auch in antiker literarischer Tradition39, in seiner physiologischen Symptomatik beschrieben. Für diesen zeitweiligen Übergang in einen Status des wahnsinnigen Wilden gibt es zahlreiche literarische Beispiele, so neben Iwein vor allem auch Lancelot, der aufgrund seiner Sehnsucht nach Ginover mehrmals dem Wahnsinn verfällt.40 In diesen Fällen des Wahnsinns aufgrund von Minnekrankheit sind die äußerlichen Anzeichen deutlich von denen des klassischen Wilder-Mann-Typus zu unterscheiden, vor allem die Tiervergleiche werden ausgespart. Die wahnsinnigen Ritter bleiben immer Mensch und damit heilsfähig.41 Aufgrund der literarischen Tradition rückt auch die Minnekrankheit als möglicher Auslöser des Iweinschen Wahnsinns in den Blickpunkt, viele Forschungsarbeiten interpretieren sie unhinterfragt als alleinigen Auslöser des Geisteszustands des Helden, ohne aber wirklich den Zusammenhang zwischen Liebe und Wahn näher zu präzisieren. Die Motivierung des Wahnsinns über die Minnekrankheit, so jedoch Matejvoski, sei eine bloße Vereinfachung der komplizierten Sachlage und erscheine nicht ausreichend motiviert, da die Minne lange Zeit über völlig unerwähnt bleibe und von Sehnsucht oder Liebesschmerz in der Torenphase nie die Rede sei.42 Es ist besonders das Element der Sprachlosigkeit, das die Darstellung von Iweins Wahnsinn von vertrauten Formen der Minnekrankheit unterscheidet, die meist mit ausgefeilter Rhetorik in Figurenmonologen zum Ausdruck gebracht werden. Demgegenüber bleibt Graf widmet der Diagnose „von minnen“ ein ausführliches Kapitel in seiner Arbeit zur Pathologie in Hartmanns Iwein [Liebe, Zorn, Trauer, Adel, S. 76–181], daher sei an dieser Stelle für eine eingehende Betrachtung der (vor allem medizinischen) Zusammenhänge auf Grafs Ausführungen verwiesen. 39 Vgl. zu antiken Einflüssen auf die mittelalterliche Epik Rüdiger Schnell: Ovids ars amatoria und die höfische Minnetheorie. In: Euphorion 69 (1975), S. 132–159, und Katharina Philipowski (2003): Minne als Krankheit. In: Neophilologus (87), S. 411–433. 40 Le Goff (1990): Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 174, verweist auch auf die berühmte Episode des Wahnsinns Merlins aus Gottfried von Monmouth’ Vita Merlini. Merlin degeneriere zu einem wahnsinnigen Waldmenschen, gewinne aber gerade dadurch prophetische Macht. 41 So ist es über die Zuschreibung des Wahnsinns zu psychologischen Phänomenen zu erklären, dass ein Mitglied der höfischen Gesellschaft für einen beschränkten Zeitraum diesem Zustand anheim fallen kann, ohne dadurch bezüglich seines Platzes in der Schöpfungsordnung in einen Konflikt zu geraten. Wildheit ist kein bleibendes Stigma. (Vgl. dazu Bernheimer [1979]: Wild Men, S. 8) Iweins Wahnsinn wird im weiteren Verlauf des Romans nie wieder Erwähnung finden. Der Eintritt in den wilden Status ist umkehrbar, nach der Heilung von den Ursachen des Verfalls in den wilden Zustand kann der Mensch erneut in das soziale Gefüge eingegliedert werden, ohne von seinem zeitweiligen Verfall auf Dauer gezeichnet zu sein. „Für das Mittelalter ist der Wahnsinn ein Phänomen der Außenseite, affiziert primär die pragmatische Kompetenz. Er betrifft […] nicht das innere Sein, mindert nicht a priori die Qualität des Kranken.“ (Graf [1989]: Liebe, Zorn, Trauer, Adel, S. 37.) 42 Vgl. Matejovski (1996): Motiv des Wahnsinns, S. 123. 38
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Iwein auffällig stumm. Minnekrankheit als zumindest alleinigen Auslöser des Wahnsinns aufzufassen, scheint mir somit zu kurz gegriffen – trotzdem darf der von Hartmann selbst benannte Grund von minnen [Iw, V. 3405] (auch die drei Damen von Narison identifizieren den kranken Iwein als einen an der Minnekrankheit leidenden Wahnsinnigen) nicht außer Acht gelassen werden. Es erscheint mir vielmehr so, als werde das dem mittelalterlichen Publikum bekannte Konzept der Minnekrankheit von Hartmann aufgegriffen und als Grundlage und ausschlaggebender Faktor für Iweins Wahn verwendet, ohne aber im Detail die körperlichen und psychologischen Auswirkungen derselbigen zu schildern (wie es etwas Gottfried im Tristan tut, nachdem seine Protagonisten vom Liebestrank getrunken haben). Damit erzeugt Hartmann auf der Grundlage der Konzeption des amor hereos eine semantische Leerstelle, die er mit Hinweisen auf einen anderen Diskurs auffüllt: Den des Verhältnisses von Kultur und Natur, der hier mit der für den Roman grundlegenden Frage nach dem Konstitutionsprozess höfischer Zivilisation einhergeht.43 Neben dem Verständnis der schwarzen Verfärbung der Haut als Konsequenz eines Säfteungleichgewichts muss die Schwarzfärbung des Helden folglich auch im Hinblick auf einen weiteren diskursiven bzw. mythischen Kontext betrachtet werden: Dem Symbolcharakter des Schwarzen als Farbe des Wilden, Unhöfischen, wie er bereits für den Wilden Mann und korrespondierend für die Wilden Frauen ausgeführt wurde. Es ist schwerlich zu übersehen, dass Iwein sich äußerlich dem Wilden Mann aus der vorhergegangenen Romanhandlung annähert, während er vertiert im Wald haust. Die reziproken Verweise der Figuren aufeinander sind an den jeweiligen Stellen schon zuvor aufgezeigt worden. Iwein wird zum Gegenbild seiner einstigen Höfischheit. Sein Äußeres ist dabei als Symptom seiner inneren Verfasstheit zu lesen.44 Iweins Abgleiten in den Wahn, der sich durch die Verwandlung seines Äußeren ebenso zeigt wie durch die Veränderung seines Verhaltens, ruft unweigerlich Assoziationen an den wilden Tierhüter in seiner an einen Menschen und gleichzeitig an ein Tier gemahnenden Körperlichkeit und Verhaltensweise hervor. Auch Wehrli sieht den Zustand Iweins als bereits in der Figur des Waldmannes vordisponiert an: Die phantastischen Artuslandschaften haben zwar ihre relative Schlüssigkeit in sich, aber sie sind doch zugleich immer wieder die Projektion innerer Vorgänge; einfacher gesagt: im Abenteuer begegnet der Held jeweils genau jenen Figuren und Ereignissen, die ihm entsprechen und somit als Zeichen seines jeweiligen inneren Zustandes aufgefaßt werden können.45
Der Wilde Mann ist demzufolge bereits als Hinweis auf einen späteren Zustand des Helden zu verstehen. Ist im Falle des Waldmannes das Verhältnis von Innen und Außen ein unstimmiges, so ist in Iweins Fall das schwarze Äußere ein Zeichen seiner inneren Orientierungslosigkeit, seiner zeitweiligen Defizienz.46 Schwarz am ganzen Leib sind beide Figuren, beide sind – zumindest zeitweilig – der Wildnis und dem Unhöfischen 45 46 43 44
Dies wird von Quast (2001: Das Höfische) als Grundfrage des Iwein-Romans identifiziert. Vgl. Michel (1976): Formosa deformitas, S. 67. Wehrli (1969): Formen mittelalterlicher Erzählung, S. 188. So auch Bleumer (1999): Das wilde wîp, S. 81.
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zuzuordnen, jedoch wird die wilde varwe, wie gesehen, bei ihnen grundlegend anders codiert. Vor allem ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass Iwein trotz seiner schwarzen Hautfarbe nie mit dem Teuflischen in Verbindung gebracht wird, wie es für den Wilden Mann, vor allem aber für die Wilden Frauen, aufgezeigt wurde. Das Mittelalter begründet die wilde eines Menschen vorrangig mit psychologischen oder soziologischen Faktoren, es gibt laut Matejovski kein „Primat theologisch-dämonischer Konzepte im Zusammenhang mit dem Problem des Wahnsinns“47, dies sei eine historische Fehlinterpretation. Somit ist der wahnsinnige Iwein nicht als dämonisch konnotiert zu lesen – seine Schwärze ist sicherlich kein Teufelsattribut des Sündhaften. Hier zeigt sich deutlich eine Grenze der Darstellbarkeit: Der höfische Roman kann einen Ritter nicht als dämonisch imaginieren. Iwein sinkt nie unter den Status als Gottesgeschöpf hinab. Die Forschung hat den Aspekt der Schwärze als Ausweis der Wildheit Iweins zumeist ausgehend von der Raumordnung der Szene beziehungsweise des gesamten Romans bearbeitet. Iweins Aufenthalt in der wilden Sphäre ermöglicht einen kritischen Außenblick auf das Höfische. Der Wald als Handlungsort der Szene ist als Gegenwelt zum Hof ausgestaltet.48 Bei Iweins Flucht in denselbigen legt er alle Zeichen seines sozialen Status ab (Kleidung, Waffen, aber auch seine Kommunikationsfähigkeit) und wird zum nackten, stummen Wilden. Es erfolgt eine rigorose Umkehrung seiner höfischen art, die im Aspekt seiner Sprachlosigkeit noch über den Zustand des wilden Mannes hinausreicht.49 Damit öffne die Erzählung, so vor allem Matejovski (1996) und Waldmann (1983), aber auch Quast (2001), den Blick der Rezipierenden für das Verhältnis von Natur und Kultur, von höfischer Zivilisation und undomestizierter Wildheit, von Urzustand und Vergesellschaftung. Iwein wird zum Repräsentanten eines vorkulturellen Stadiums50, was sich bereits in der Begegnung des Protagonisten mit dem Wilden Mann ankündigt. Matejovski spricht von einer Welt, die, konträr zur Artuswelt, nicht durch „Kategorien von regelgeleiteter Aggression, Konkurrenz, Abgrenzung von Animalität und zerstörerischer Naturbeherrschung“51 geprägt ist, und die deshalb für den höfischen Menschen eine Provokation darstellt, die verhandelt werden muss. Der Waldmann in seiner ahistorischen Matejovski (1996): Motiv des Wahnsinns, S. 38. Zum Thema des künstlerischen Raumes, v.a. der Ausgestaltung offener/geschlossener und eigener/ fremder Räume vgl. Lotman (1993): Struktur literarischer Texte, S. 311–329. 49 ob im von guotem wîbe / ie dehein guot geschach, / ob er ie hundert sper zerbrach, / gesluoc er viur ûz helme ie, / ob er mit manheit ie begie / deheinen lobelîchen prîs, / wart er ie hövesch unde wîs, / wart er ie edel unde rîch, / dem ist er nû vil ungelîch. [Iw, V. 3350–58] (Wenn ihm von schönen Frauen je Freundlichkeit entgegengebracht worden war, wenn er je Hunderte von Lanzen verstochen hatte, wenn er je Funken aus Helmen geschlagen hatte, wenn er je mit Tapferkeit hohen Ruhm erlangt hatte, wenn er je höfisch und klug war, wenn er je edel und reich war, so war ihm das jetzt nicht mehr anzusehen.) 50 So Waldmann (1983): Natur und Kultur, S. 64: „Die geistige und soziale Absenz des Yvain/Iwein entspricht dem Urzustand der Menschheit. Wilder Wald steht für einen Naturzusammenhang vor gewonnener Ich-Gewißheit des Subjektes, Iweines [sic!] Wahnsinn steht für die terroristische Einheit von Subjekt und Objekt, wie sie vor aller Kultur war.“ 51 Matejovski (1996): Motiv des Wahnsinns, S. 133. 47 48
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Autarkie verkörpere das vorkulturelle Prinzip, und das von Iwein vertretene Prinzip der Zivilisation müsse sich damit auseinandersetzen – dies, so Matejovski, geschehe in mimetischer Angleichung über die Semantik von „Wahnsinn“ und „Leere“. Iweins Wahn entziehe sich einer einfachen, intentionalen Bestimmung und werde damit zum Zentrum einer ganzen Reihe an Diskursen.52 Iweins existentielle Krise sei ein Übergangsritus53, er erlebe das Stadium der vorkulturellen Subjektlosigkeit und Nicht-Vergesellschaftung am eigenen Leib.54 Der Held habe als Außenseiter und unter Beachtung der Raumgrenzen von Hof, Wald und Aventiure-Raum (man denke an die Rodung) die Bedrohung der vorkulturellen Naturhaftigkeit überwunden. Matejovskis Lesart basiert, aufbauend auf Waldmann55, auf der These, dass Hartmann eine klare Trennung der Räume von Natur und Kultur, Wahnsinn und Vernunft vorgenommen habe. Diese Insistenz auf einer
Hierzu zählt Matejovski neben der Spannung von Kultur und Natur auch Probleme der ständischen Selbstvergewisserung, Regression und radikale Reflexion. Die Wahnsinnsthematik habe die Funktion, Grenzen zu bestimmen, Demarkationslinien zu ziehen und das vom Artusroman gezeichnete Gesellschaftsmodell zu unterstützen. (vgl. ebd., S. 143) 53 Bruno Quast [(2001): Das Höfische, S. 117f., und ders. (2002): Victor Turner und das Mittelalter. Chancen und Grenzen einer Anthropologisierung des klassischen Artusromans. In: Peter Wiesinger (Hg.): Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000 ,Zeitenwende – Die Germanistik auf dem Weg vom 20. ins 21. Jahrhundert‘. Bd. 5: Mediävistik und Kulturwissenschaften. Bern u.a.: Peter Lang Verlag (Jahrbuch für internationale Germanistik), S. 133–139] liest die Wahnsinnsszene Iweins nach dem Muster des „sozialen Dramas“ von Victor Turner [Turner, Victor W. (1989): Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels. Frankfurt (Main)/New York: Ed. Qumran im Campus-Verl.; und ders. (1989): Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur. Frankfurt/ Main [u.a.]: Campus-Verl., v.a. S. 94–127], der im Anschluss an Arnold van Gennep (1909) feststellt, dass menschliche Erfahrungen in Prozessen verlaufen. Er gliedert diese Prozesse in vier Phasen: 1) Konflikt und Bruch mit den gesellschaftlichen Elementen, 2) Krise, 3) Bewältigung der Krise und 4) Reintegration in die soziale Struktur. Im Modell des sozialen Dramas lässt sich, so Quast, in gewisser Weise das Strukturschema des klassischen Artusromans wiedererkennen. In der Bewältigungsphase, dem liminalen Stadium (von lat. limen = Schwelle), gibt es Momente der Aufhebung üblicher Rollen und Regeln, die es ermöglichen, die sozialen Regeln zu verstehen. Indikatoren dieser liminalen Schwellenphase können laut Turner die folgenden sein: Verlust von Kleidung, Aberkennung des Namens, andere Nahrung bzw. Nichtessen bestimmter Speisen, Nachlässigkeit bezüglich des äußeren Erscheinens, das Tragen uniformer Kleidung (vgl. S. 38). Des Weiteren ist die Schwellenphase oft mit einem Raumwechsel und einer physischen Trennung vom Rest der Gesellschaft verbunden. Diesen Übergangsritus stellt Iweins Wahnsinn dar. Besonders interessant im Hinblick auf die Szene im Iwein erscheint auch Turners Hinweis auf bestimmte Gesellschaften, in denen die Initianden, d.h. Personen, die einen sozialen Statuswechsel vollziehen, in dieser Umwandlungsphase als „schwarz und unsichtbar“ gelten (S.38) Man beraubt sie ihrer Kleidung und ihres Namens, bestreicht ihre Körper mit Erde, so dass man sie nicht mehr von Tieren unterscheiden kann. Um „wiedergeboren“ werden zu können, müssen sie zuerst einen „sozialen Tod“ sterben. (vgl. S. 38) 54 Vgl. Matejovski (1996): Motiv des Wahnsinns, S. 134f. 55 Vgl. dazu Waldmann (1983): Natur und Kultur, S. 66: „Der Bruch zwischen Natur und Kultur ist vollständig. Aber gerade die Vollständigkeit dieses Bruches ist bedeutsam in Hinblick auf die mythische Unfähigkeit, einen solchen Bruch – Ausdruck der Einsicht in die Geschiedenheit von Natur und Kultur – zu sehen.“ 52
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deutlich erkennbaren Grenzziehung zwischen den Sphären ist notwendig, will man den Wahnsinn des Helden als ausgelagerte Auseinandersetzung mit dem Mythos verstehen: Angesichts der Radikalität, mit der der mittelalterliche Held sich dem Anderen der höfischen Kultur angleicht, ist es verständlich, daß der Roman scharfe Grenzen zieht, daß er keine Überschneidung von Wahnsinn und Vernunft duldet. Dies zeigt sich an der bewußt mechanischäußerlichen Heilungsprozedur, die in striktem Gegensatz zu jeder prozessual-psychologistischen Therapie steht.56
Erst dieser deutlich markierte topographische Gegensatz in der Erzählung plausibilisiert die Befreiung der ritterlichen Gesellschaft von Wildheit und Wahnsinn. So sehr diesen Überlegungen auf der Ebene der Raumordnung grundsätzlich zuzustimmen ist, so deutlich fällt doch auf, dass sich mit Blick auf die Farbgestaltung der Episode noch eine andere Lektüre der Szene im Rahmen der Natur-Kultur-Thematik ergibt. Der Farbgebrauch innerhalb der Szene erfolgt nämlich gerade nicht analog zur topographischen Differenzierung von Wildnis und höfischer Welt. Der Held wechselt in seinem Fall in den Wahn zwischen zwei Räumen, von der höfischen Umgebung in die Wildnis, und so gleicht sich auch seine Körperfarbe diesem Wechsel an. Jedoch geschieht dies nicht abrupt im Moment der Grenzüberschreitung, sondern erst nach einiger Zeit im Wald. Genauso verhält es sich bei der Rückverwandlung seiner Körperfarbe: Zwar erfolgt die Heilung vom Wahn durch den Auftrag der Zaubersalbe plötzlich und scheinbar innerhalb von Minuten als ein klarer Bruch, die Wiederherstellung seiner höfischen Identität aber braucht länger, die wilde varwe begleitet Iwein noch einige Zeit. Die Wechsel zwischen den von Hartmann eröffneten und definierten Räumen Hof und Wildnis und die Wechsel zwischen dem Status des Höfischen und Wilden sind offenbar eng verknüpft, aber nicht gleichzusetzen.57 Die Wechsel zwischen den Räumen erfolgen plötzlich und sprunghaft, aber die Raumwechsel indizieren keineswegs abrupt die vollständige Restitution bzw. Destruktion einer den Räumen entsprechenden Identität. Destruktion und Restitution heldischer Identität sind vielmehr als Konsequenzen eines Prozesses geschildert, sie sind Folgen einer graduellen Abstufung. Und eben diese Prozesshaftigkeit wird im Rekurs auf die Farbigkeit des heldischen Körpers signifiziert. Während der Übergangsphasen, in denen Iwein weißhäutig, aber schon wahnsinnig, beziehungsweise noch schwarzhäutig, aber schon wieder bei Verstand ist, verschwimmen die Grenzen des Höfischen und des Wilden und durchdringen sich gegenseitig. Wir erkennen mit Blick auf die der Erzählung sorgfältig inserierte Farbsymbolik, dass die Welt des Artusromans nicht im Dualismus von Hof und Wildnis, Ordnung und Chaos, Weiß und Schwarz aufgehen kann. Auch die Hofsphäre ist zwiespältig und widersprüchlich, und die undomestizierte Wildnis kann Teil des höfischen Lebens sein. Das formuliert auch Quast, der Iweins Wahnsinn als geradezu unerlässlichen Faktor für den Prozess der Akkulturation versteht:
56 57
Matejovski (1996): Motiv des Wahnsinns, S. 137. Auch Friedrich (2009): Menschentier, weist darauf hin, dass die Räume, die Iwein durchschreitet, zwar in Konkurrenz stehen, sich aber doch Übergangzonen erkennen lassen. (vgl. S. 360).
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Wildheit in Hartmanns Iwein ist weit davon entfernt, allein ein Gegenbild höfischer Kultur zu spiegeln. Sie figuriert aber auch nicht schlicht das Andere höfischer Rationalität, das in mimetischer Angleichung in Form von Iweins Wahnsinn als abgestufter Regression in den vorzivilisatorischen Naturzustand auszugrenzen sei, sondern spezifischer als konstitutive Bedingung, als integrativer Faktor höfischer Kultur.58
Somit sind die räumliche Ausgrenzung des Anderen und die darin begründete Überwindung des Mythos nicht so absolut, wie es die Forschung oft darstellt. Iweins Wahnsinn wird häufig als zeitweilige Phase der Angleichung an die wilde, fremde Sphäre und deren Überwindung gelesen, die der Held stellvertretend für die höfische Gesellschaft durchlaufen muss. Diese zeitlich begrenzte Assimilation der wilden Lebensart zeigt sich meiner Ansicht nach auch in der Angleichung des Äußeren an das Unhöfische. Die primitive Seinsstufe, auf die Iwein zurückfällt, ist aber nicht bloß die des kulturlosen Wilden. Sein Waldleben ist friedvoll, scheinbar konfliktlos und selbstgenügsam, was wiederum die positive Konnotierung der höfischen Lebensweise indirekt in Frage zu stellen vermag.59 Iwein ist nicht der gewaltbereite, verstandeslose Wilde, der sich von rohem Fleisch der erjagten Tiere ernährt – er ist auch der edele tôr, ein höfischer Wilder, wenn man so will. Er ist kein Tier, sondern ein vertierter Mensch (Udo Friedrich beschreibt ihn als ein „nacktes Mängelwesen“60, explizit als Mensch gekennzeichnet, nicht als Tier), der aber nie ganz seiner grundlegenden, menschlichen Würde beraubt wird.61 Iwein durchläuft in seinem Wahnsinn stellvertretend für die höfische Gesellschaft einen symbolischen Durchgang durch den gesellschaftlichen Tod62 (im Erec war es noch ein tatsächlicher Scheintod), ist doch das Schwarz (neben dem Gelb) seit der Antike und auch in der keltischen Mythologie nicht zuletzt auch die Farbe des Todes. Er stellt sich damit der Gefahr, die das Wilde für die höfische Gesellschaftsordnung darstellt, assimiliert das Wilde und schafft gleichzeitig eine Distanz dazu: Nicht genügt es, das Monströse auszulagern, es muß erfahren werden. Der Held muß stellvertretend für seine Gemeinschaft durch das Böse hindurch – und dies nicht allein um der eigenen Bewährung willen. Die Erfahrung der Gegenwelt wird zur Bedingung der Möglichkeit einer
Quast (2001): Das Höfische, S. 121. So auch Mohr (1971): Iweins Wahnsinn, S. 76, der darauf hinweist, dass die Wildnis nahezu idyllische Züge annehmen und sakral-utopische Orte (wie bspw. die Minnegrotte in Gottfrieds Tristan) beherbergen kann, sobald das gesellschaftliche Leben am Hof nicht mehr als fraglos guot und erstrebenswert erscheint. 60 Friedrich (2009): Menschentier, S. 367. 61 Anders dazu Haug (1984): Das Fantastische, S. 137, für den Iwein als radikal verzerrtes Bild eines arturischen Ritters „ins Untermenschliche“ herabsinkt. Im Bann der Liebe, so Haug, verliere Iwein nicht nur seine höfische Idealität und seine Vernunft, sondern auch sein Menschsein. 62 Vgl. so auch Mohr (1971): Iweins Wahnsinn, S. 84. Dieser sieht im Erwachen Iweins einen Tod und eine anschließende Auferstehung. Dabei, so Mohr, müsse man die spezifisch christlichen Gehalte dieser Motivik ausklammern, da der höfische Typus sich als Antitypus des biblischen darstelle, aber das Urphänomen von Tod und neuem Leben sei im Iwein deutlich zu erkennen. 58 59
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idealen ritterlich-höfischen Ordnung. Diese Erfahrung ist Grenzerfahrung, bis zum Äußersten getrieben, im symbolischen Durchgang durch den Tod.63
Aber Iwein bewältigt damit nicht grundlegend das mythische Wilde, das die Zivilisation von außen bedroht. Ein solch rigoroses Oppositionsverhältnis von Kultur und Natur gibt es im mittelalterlichen Vorstellungsraum nicht. Bei Hartmann, so auch Friedrich, stellen beides, „Kultur und Natur, Ethik und Animalität konstitutive Faktoren ritterlicher Existenz“64 dar. Iweins Wahn und die diesen signifizierende Farbigkeit verweisen auf die Überschneidungen dieser Faktoren, die Anteile des Fremden im Eigenen, exemplarisch verarbeitet, aber nicht besiegt, durch den Helden. Nach der Heilung vom Wahn wird die tierhafte Seite des Ritters ausgelagert und tritt in Form des Iwein begleitenden Löwen wieder in die Handlung ein.65 Schwarz als Farbe des Wilden, des Nicht-Höfischen, so zeigt es sich bei genauer Betrachtung, ist in der mittelalterlichen Literatur ein tief verwurzelter Topos – es ist in diesem Kontext dezidiert eine wilde varwe. Über die Verwendung genau dieser Farbe, so meine Erkenntnis, verdeutlicht Hartmann, dass Wildheit und Höfischheit, Natur und Kultur vielmehr ein Kontinuum darstellen als zwei rigoros voneinander getrennte Sphären. Beides, Höfisches und Wildes, und ihre Überschneidungen, so zeigt uns der Blick auf die Farbe, sind konstitutive Elemente ritterlicher Existenz. Ein weiterer Aspekt ritterlicher Existenz ist auch angemessene, höfische Kleidung, und so lenkt die Analyse der Wahnsinnsepisode aus dem Blickwinkel der Farbe schließlich den Fokus der Betrachtung über die schwarze Hautfarbe des Helden hinaus auch noch auf einen weiteren farbigen Aspekt, den Hartmann bewusst im Moment des Erwachens Iweins aus dem Wahn platziert hat: Die Farbe der Kleidung, welche das Fräulein bereitgelegt hat. Dass Kleidung in der höfischen Gesellschaft eine hohe repräsentative und auch symbolische Signalfunktion für die adelige Selbstwahrnehmung besitzt, ist unbestritten.66 Für Iwein markiert das Anlegen der ritterlichen Kleidung den Moment, in dem er rein äußerlich wieder dem ihm angestammten sozialen Status angeglichen wird: alsus cleiter sich sich zehant. als er bedahte die swarzen lîch, dô wart er einem rîter glîch. [Iw, V. 3594–6] (So kleidete er sich gleich an. Als er seinen schwarzen Leib bedeckt hatte, sah er wieder aus wie ein Ritter.)
Die Unsicherheit bezüglich seines Status wird aufgehoben: „Der Ausweg aus jener existentiellen Statusunsicherheit erfolgt von außen über die höfische Kleidung, die Präsenz dieser Kleidung stellt das biographische Kontinuum wieder her.“67 Die Gewänder, die 65 66
Giloy-Hirtz (1991): Begegnung, S. 178. Friedrich (2009): Menschentier, S. 372. Zum Thema des Löwen als liminale Figur siehe auch Friedrich (2009): Menschentier, S. 372. Vgl. zum Thema der repräsentativen Natur höfischer Kleidung Kapitel 2.3., in dem auf die höfische Kleidung, ihre Symbolhaftigkeit und ihre Farben eingegangen wird. 67 Matejovski (1996): Motiv des Wahnsinns, S. 141. 63 64
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das Mädchen für Iwein bereitgelegt hat, sind vrischiu kleider, seit von gran / und cleiner lînwæte zwei, / schuohe unde hosen von sei. [Iw, V. 3454–56] ([…] frische Kleider […], eins aus roter Wolle, eins aus feiner Leinwand, Schuhe und wollene Hosen.) Ein Gewand besteht aus Wolle und ist mit Gran, einem scharlachroten Färbestoff, eingefärbt, das andere ist aus feinem, weißem Leinenzeug gefertigt, dazu Hosen (Beinlinge) aus Wollstoff und ein paar Schuhe. Die Kleidung, mit der Iwein die swarzen lîch bedeckt, ist in Rot und Weiß gehalten, Farben, die im Iwein-Roman eindeutig die höfische Kultur ausweisen. Rot ist beispielsweise Kalogrenants Mantel (ein scharlaches mäntelîn, Iw, V. 326), den die Tochter des Burgherren im Wald von Breziljan dem Ritter vor seinem Aufbruch zur Quellenaventiure umlegt. Rot als Kleiderfarbe gilt im Mittelalter als besonders edel und damit repräsentativ für einen hohen Status des Trägers, vor allem Purpurrot ist eine Macht- und Imperialfarbe, auch aufgrund des materiellen Wertes des Farbstoffes, es symbolisiert maiestas und potestas.68 Weiß wiederum ist die Kleidung Iweins, mit der er in der Burg neu eingekleidet wird, in der die 300 Damen zur Arbeit gezwungen werden. Die Tochter des Burgherren bringt ihm wîze lînwât reine, / geridiert harte cleine, / und ein samîtes mantellîn: / dar under was härmîn, / als ez ob hemde wol stât. [Iw, V. 6483–87] ([Danach bekleidete sie ihn mit] weißer, fein gefältelter Leinwand und mit einem samtenen Schulterumhang, der mit Hermelin gefüttert war, wie es über dem Hemd gut aussieht.) Das Leinengewand ist weiß, ebenso wie das Hermelinfutter des Umhangs. Weiß steht als Kleiderfarbe in Verbindung mit der Symbolik des Reinen, Lichten, Göttlichen, Ungetrübten; oftmals korrespondiert es mit Begriffen des Leuchtenden und Glänzenden. Bezeichnenderweise werden die Ritter in allen Beispielen von Damen mit der überaus höfischen, prachtvollen Kleidung versorgt, und jedes Mal ist sie rot und/ oder weiß. Beide Farben stellen sich als Symbol des Höfischen, des Zivilisierten dar.69 Andreas Kraß sieht in der Investitur Iweins mit den Ritterkleidern nach seinem Erwachen eine Taufszene angedeutet, die mit weiteren geistlichen Anklängen einhergeht.70 Die Vgl. Brüggen (1989): Kleidung und Mode, S. 63 und Raudszus (1985): Zeichensprache, S. 222. Im Gegenzug dazu weist Raudszus (1985): Zeichensprache, auf eine ärmliche Materialität der Kleidung hin. Die Beschreibung der Kleider sei spärlich, das rote Material sei ein grobes, aus Ziegenhaaren gewebtes Tuch, das purpurn gefärbt ist, das weiße Material ein Wollgewebe. Die Kleidung sei schlicht und entspreche eher dem Sonntagsstaat eines Bauern anstatt der Standesgarderobe eines Ritters. „Die neuen Kleider gliedern ihn [Iwein, C.O.] symbolisch zwar wieder ein in die Gesellschaft, aber ihre Schlichtheit und Einfachheit sind Zeichen und Mahnung dafür, daß er noch etwas zu überwinden hat, steht er doch am Beginn einer neuen Aventiurefahrt, deren Episoden ohne Ausnahme ,helfe- und dienest-aventiuren‘ sind, in denen er sich weiter läutern muß.“ (S. 97.) Im Text selbst findet sich allerdings kein Hinweis auf eine Unstandesmäßigkeit der Kleidung. 70 Es gibt eine Reihe geistlicher Bezüge in Iweins Erwachen aus dem Wahn. Dabei, so Kraß, handele es sich vor allem um ein spielerisches Bezugnehmen auf geistliche Motive, Strukturen und Ideen. Der Artusroman operiere dabei nicht mit direktem, unvermittelten Anleihen, sondern adaptiere geistliche Denk- und Erzählmuster in Sinne einer Analogiebildung vor einem höfischen, laikalen, poetischen Horizont. (vgl. dazu Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 118) „Was Chrétien und Hartmann bieten, ist nicht Parodie, sondern Kontrafaktur. Sie profanieren ein geistliches Modell, nicht um es zu karnevalisieren, sondern um seine Struktur und Metaphorik für die Inszenierung einer spezifisch 68 69
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Kombination aus vorhergegangener Salbung, Einkleidung und Selbstbefragung verweise auf das Paradigma der Taufe. „Es gibt eine Investitur, aber nicht mit dem Gnadenkleid der Taufe, sondern dem feinen Tuch der höfischen Mode.“71 Die höfische Profanisierung des christlichen Sakraments werde später durch ein Bad vervollständigt. Nach dem Verlust der schwarzen Hautfarbe, so Kraß, sei der Taufprozess abgeschlossen: „Es liegt nahe, daß die Transformation von Schwärze in Schönheit auf die symbolische Reinigung der Seele im liturgischen Akt der Taufe anspielt.“72 Kraß argumentiert hier, der Blickrichtung seiner Analyse gemäß, allein auf der Kleiderebene, und aus diesem Blickwinkel heraus sind seine Erkenntnisse durchaus folgerichtig. Von der Farbebene aus betrachtet zeigt sich allerdings ein Problem dieser Lesart: Die Schwärze des Ritterkörpers wird durch das „Taufbad“ Iweins nicht abgewaschen, da es sich nicht um eine rein äußerliche Farbschicht handelt. Hier muss die Szene im Hinblick auf die Farbebene differenzierter betrachtet werden. Die Kleider, so auch Schnyder, sind nicht der Abschluss des Prozesses der Selbstkonstitution. Neben der neuen Kleidung muss auch noch der höfische Körper wiederhergestellt werden. Durch die Kleider wird Iwein wieder „wie ein Ritter“, darunter aber bleibt ein geschwärzter Körper, der noch nicht zwingend dem Ritterstand zuzuordnen ist. Iwein, so Schnyder weiter, passe nicht den Selbstentwurf (die Geschichte) dem Sein (dem Körper) an, sondern der Körper werde mithilfe der höfischen Kleider in die innere Geschichte eingefügt: „Der über den Blick der Anderen identifizierte und individualisierte sowie in der Erinnerung (dem Traum) subjektivierte Körper wird über die höfischen Kleider in die vertraute Zeichenordnung und die auf ihn bezogene Erzählung eingegliedert.“73 Die wilde varwe des Körpers bleibt weiterhin bestehen, sie wird aber durch die Einkleidung rein äußerlich verdeckt, was als optische Farbveränderung nahezu augenblicklich Auswirkungen auf Iweins Selbstwahrnehmung hat: Nach dem Anlegen der Gewänder wird nicht mehr gesagt, dass sich der Ritter für einen Bauern halte, Standeszweifel werden nicht mehr erwähnt. Die Jungfrau adressiert Iwein nun mit rîter [Iw, V. 3637], und dieser widerspricht nicht. Zwar bleibt er noch für eine Weile verfärbt, aber das Bedecken seiner Nacktheit – und damit seiner Wildheit – und das partielle Verstecken des Schwarzen machen Iwein unlasterlîch [Iw, V. 3598] und damit präsentabel für einen erneuten Kontakt mit der höfischen Sphäre auf Burg Narison. Somit wird in dieser Szene das unhöfische, wilde Schwarz des Ritterkörpers mit den Farben des Höfischen, Reinen überdeckt und damit bereits ein Teil der Differenz zwischen Außen und Innen aufgelöst. Diese Passage verdeutlicht, dass das höfische Ideal der Übereinstimmung von Innen und Außen, Körper, Kleidung und Gesinnung stets restituiert werden muss.
höfisch-laikalen Identitätskonstruktion zu nutzen. Daß dabei die Geltung des christlichen Horizonts unangetastet bleibt, geht aus der Vielzahl ungebrochener Berufungen auf den christlichen Gott und Glauben hervor.“ (Kraß (2006), S. 121) 71 Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 119. 72 Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 120. 73 Schnyder (2005): Ich-Geschichten, S. 79.
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Gemäß der Polyvalenz des Schwarzen ist noch ein weiterer Aspekt bedeutsam: Über die Semantisierung des Schwarzen als Farbe des Todes und der Unterwelt fügt sich schlussendlich auch die Interpretation des Wahnsinns Iweins als eine Art Buß- und Höllenfahrt, wie sie vor allem von Wehrli und Michel verstanden wird, in die Ausdeutungstradition der Szene ein. Neben ihrer Funktion für die Konstitution und Definition höfischer Existenz ist Iweins Wahnsinn auch eine entscheidende Station auf dem Weg zu sich selbst. Michel liest Iweins Schwarzfärbung während seines Zustands sozialer Selbstauflösung als einen notwendigen Schritt auf dem Weg zur Individuation, den Hartmann als eine wahre „Höllenfahrt der Selbsterkenntnis“74 ausgestalte. Auch Wehrli versteht Iweins Wahnsinn als die entscheidende Station auf dem Weg zur Selbsterkenntnis75, mehr noch, er sieht den Schicksalsweg Iweins sogar als „eine Art Passion oder Höllenfahrt […], die der Auferstehung vorangehen müssen.“76 Sein Waldleben sei notwendiger Teil des Abenteuerweges, deutlich mehr als nur moralische Station der Buße und Strafe. Vielmehr sei Iweins Wahn eine Fahrt ins Totenreich: Es ist gewiß eine Höllenfahrt, ein Decensus, was Iwein durchzumachen hat, aber das würde weniger mit einer Nachfolge Christi zusammenhangen [sic!] als mit den Fahrten ins Totenreich, in die Jenseitswelt überhaupt, für welche die Mythologie der Völker, und insbesondere die keltische, zahlreiche Beispiele liefert.77
Darauf deutet auch die Figur des Waldmenschen hin, der in seiner ursprünglichen Rolle als Wächter der keltischen Unterwelt den Wegweiser in dieselbe darstellt. Und Schwarz, dies wurde bereits mehrfach erwähnt, ist seit Urzeiten die Farbe des Todes, des Totenreiches und der in ihm lebenden Kreaturen. Somit ist auch die Interpretation des Schwarzen als äußerliches Zeichen für eine Bußfahrt Iweins in eine wie auch immer gestaltete Höllen- bzw. Jenseitswelt lediglich eine der möglichen, gleichwohl plausiblen, über die Polyvalenz des Schwarzen inserierten Ausdeutungsversionen des körperlichen Zeichens der schwarzen Hautfarbe. Das Schwarz als Bindeglied vereint all die zuvor dargelegten Aspekte und Ausdeutungsvarianten in Form eines farbigen Zeichens und bildet somit die Grundlage einer intensiven Diskussion, die sich in dieser Form nur über die Farbperspektive eröffnet.78
Michel (1976): Formosa deformitas, S. 67. Matejovski (1996) hingegen sieht in der Wahnsinnsszene keine Besprechung des Problemkreises der Subjektivität, Individualität und Identität. Er erkennt vielmehr eine Diskussion des Verhältnisses von Aufklärung und Mythos, höfischem Sozialentwurf und Gegenwelt. Hartmann nutze das Motiv der Selbstvergessenheit, um eine radikale gesellschaftliche Selbstreflexion zu lizenzieren. (vgl. S. 125f.) 76 Wehrli (1969): Formen mittelalterlicher Erzählung, S. 180. 77 Wehrli (1969): Formen mittelalterlicher Erzählung, S. 180. 78 Für einen zusammenfassenden Überblick und einen Vergleich der farbsemantischen Polyvalenz des schwarzen Körpers im Iwein mit den Implikationen des verfärbten Körpers bei Tristan und Rual sh. das Fazit dieses Kapitels. 74 75
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4.2 Tristan – Gottfrieds von Straßburg Tristan Die Entstellung eines höfischen Körpers kann, wie am Beispiel Iweins bereits gezeigt, als eine Verfärbung der Körperoberfläche oder eine zeitweilige Verdeckung derselbigen durch eine verfärbende Hülle in Erscheinung treten. Hierbei muss es sich nicht zwingend um eine dezidiert mit einem Farbwort bzw. mit einem Farbabstraktum79 beschriebene Veränderung handeln, es genügt bereits der Hinweis auf eine Fehl- oder Missfärbung, um über die verfärbte Körperoberfläche die Störung einer bestehenden Ordnung zu signifizieren. Im Folgenden soll anhand zweier Beispiele aus Gottfrieds von Straßburg Tristan verdeutlicht werden, wie auch vorübergehende Entstellungen eines sonst als ideal charakterisierten höfischen Körpers als Ausweis solcher Störungen dienen können. Die zeitweilige Entstellung Tristans und Ruals ist kein bleibender Zustand, somit sind die Schilderungen ihrer körperlichen Veränderungen und vor allem Verfärbungen auch keine klassischen, genuinen Hässlichkeitsbeschreibungen und konvergieren auch nur bedingt mit den in Kapitel 3.2.1. beschriebenen Attributen und Darstellungsformen des Hässlichen im höfischen Roman. Vielmehr handelt es sich um Fälle entstellter Schönheit80, bei denen das veränderte Äußere nur bedingt Rückschlüsse auf das Wesen und die Gesinnung der Figur zulässt. Die Hässlichkeit ist reversibel, die entstellten Figuren bleiben in ihrem Inneren von der äußerlichen Veränderung weitgehend unbeeinflusst. Farbe, insbesondere die Verfärbung des Körpers, wird an diesen Stellen, so meine These, vielmehr zur Codierung einer Identitätsproblematik verwendet, welche sich auf die soziale Positionierung der Figur im Kontext unterschiedlicher Hofgesellschaften bezieht. Die zeitweilige Hässlichkeit wird hierbei vor allem im Kontext der Ausgliederung aus und der Eingliederung in höfische Gesellschaften instrumentalisiert, da sie diese ermöglicht oder auch erzwingt. Die Verfärbung des höfischen Körpers wird an diesen Stellen als ein ambivalent zu bewertendes und, wie sich zeigen wird, hierarchisch strukturiertes Motiv deutlich. Tristans Schönheit wird im Roman Gottfrieds von Straßburg an zahlreichen Stellen thematisch. Schon in der Schilderung seiner außergewöhnlich umfangreichen Ausbildung wird erwähnt, dass er schöner sei als jedes Kind, das je von einer Frau geboren wurde.81 Auffallendstes Kennzeichen von Tristans Schönheit ist ihre Wirkung auf seine Betrachter. So entführen die norwegischen Kaufleute ihn unter anderem aufgrund seiner Schönheit82 und Vgl. zum mittelhochdeutschen Farbvokabular: Herbers/Rheinwald (2011): Und ir rôsenvarwer rôter munt. 80 Vgl. dazu Seitz (1967): Darstellung häßlicher Menschen, S. 57ff. Seitz zählt zu den Fällen entstellter Schönheit auch den Fall einer „Entstellung der Kleidung“, d.h. unstandesgemäße, beschädigte oder verschmutzte Kleidung, die eine Inkongruenz von Gewand und Figur ausweist, so z.B. bei Enites erstem Auftreten im Erec-Roman Hartmanns. (Vgl. S. 61) 81 ouch was er an dem lîbe, / daz jungelinc von wîbe / nie saeleclîcher wart geborn. [Tr, V. 2123–25] (Auch war er so schön, daß niemals von einer Frau ein liebreizenderes Kind geboren wurde.) 82 nun gedûhte sî nie jungelinc / sô saeliclîche sîn getân / noch alsô schoene site hân. [Tr, V. 2240–42] (Noch niemals glaubten sie einen Jüngling gesehen zu haben, der so schön war und so feines Benehmen hatte.) 79
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die Jagdgesellschaft des Marke-Hofes ist nicht allein von Tristans fremdartigen Jagdkünsten fasziniert, sondern zugleich auch von seinem makellosen Äußeren.83 Seine leuchtend schöne Gestalt zeichnet sich, hier am Beispiel der Beschreibung Tristans bei seiner Ankunft am Marke-Hof, auch durch eine besonders angemessene und dem höfischen Ideal in allen Punkten entsprechende Farbigkeit aus, wie sie in den Ausführungen zu den topischen Schönheitsbeschreibungen der höfischen Epik dargelegt wurde84 – weißer Leib, rosenroter Mund, ein helles, strahlendes Gesicht mit leuchtenden Augen und braunes, gelocktes Haar: dar zuo was ime der lîp getân, als ez diu Minne gebôt. sîn munt was rehte rôsenrôt, sîn varwe lieht, sîn ougen clâr. brûnreideloht was ime daz hâr, gecrûspet bî dem ende. sîn arme und sîne hende wol gestellet unde blanc. sîn lîp ze guoter mâze lanc. sîne vüeze und sîniu bein, dar an sîn schoene almeistic schein, die stuoneden sô ze prîse wol, als man’z an manne prîsen sol. [Tr, V. 3332–44] (Außerdem war er so schön, wie die Liebe selbst es sich wünschen könnte. Sein Mund war von vollem Rosenrot, seine Haut hell, seine Augen leuchtend. Sein Haar war braungelockt und ganz und gar gekräuselt. Seine Arme und Hände waren wohlgeformt und weiß. Er hatte die richtige Körpergröße. Seine Füße und Beine, an denen seine Schönheit sich am deutlichsten zeigte, verdienten so viel Lob, wie man einem Manne spenden kann.)
Tristans körperliche Schönheit entspricht seiner höfischen Gesinnung, ihm ist innerthalp der muot / sô reine g’artet und sô guot [Tr, V. 6717f.] wie sein Äußeres es vermuten lässt. Innen und Außen entsprechen sich in der Figur in perfekter Übereinstimmung. Vor der Folie dieser außergewöhnlichen Schönheit, die der Erzähler nicht müde wird zu preisen, wird der körperliche Verfall des Protagonisten als Folge des Moroldkampfes umso mehr als entstellender, identitätsgefährdender Aspekt hervorgehoben. Über die Verfärbung des Körpers Tristans wird hier die Thematik der Aus- und Eingliederung in höfische Gesellschaften jedoch veruneindeutigend diskutiert, indem die körperliche Entstellung des Helden nicht nur als Ausweis eines Störfalles fungiert, sondern auch als Mittel zum Eintritt in die irische Gesellschaft dient. Im Kampf gegen Morold wird Tristan durch das vergiftete Schwert seines Gegners am Schenkel verletzt. Markes Ärzte vermögen den Helden nicht zu heilen. Wie von Morold angekündigt, hat alleine die Königin von Irland die Macht, das Gift aus der Wunde zu und in ir herze jâhen, /sîn dinc waere allez edelîch, / sîniu cleider vremede unde rîch, / sîn lîp ze wunsche getân. [Tr, V. 2856–59] (Sie waren überzeugt, daß er durch und durch vornehm war, seine Kleider fremdartig und prächtig, sein Körper makellos.) 84 Vgl. dazu das Kapitel 2.2. 83
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entfernen. Tristan erkrankt schwer an der Vergiftung, die seinen ganzen Körper in Mitleidenschaft zieht. Seine exzeptionelle Schönheit vergeht unter der Einwirkung der schwärenden Verletzung. daz gelüppe was alsô getân, daz sî’z mit nihte kunden gescheiden von der wunden, und ez im al den lîp ergienc und eine varwe gevienc sô jaemerlîcher hande, daz man in kûme erkande. [Tr, V. 7268–74] (Das Gift war so beschaffen, daß sie nicht vermochten, es aus der Wunde zu entfernen, bis es seinen ganzen Körper durchdrang und er sich verfärbte so schrecklich, daß man ihn kaum noch erkannte.)
Die Wirkung des Giftes auf Tristans Körper wird hier vor allem im Hinweis auf eine signifikante Farbveränderung beschrieben. Es ist davon auszugehen, dass es sich dabei um eine dunkle Verfärbung des Körpers handelt, da später im Text darauf hingewiesen wird, dass sich Tristans Körperfarbe wieder lûtert, also heller wird. Die Entstellung wird ohne Rückgriff auf spezifisches Farbvokabular beschrieben, eine direkte Farbzuweisung unterbleibt (anders als beispielsweise im Iwein), die Hautfarbe wird nur allgemein als jaemerlîch und entstellend charakterisiert. Diese Farbveränderung beraubt den höfischen Ritter der Möglichkeit, von anderen erkannt und damit „gelesen“, eingeordnet zu werden. Er wird nahezu unkenntlich. Körperfarbe und das Erkennen bzw. Wiedererkennen einer Figur werden hier in direkten Zusammenhang gestellt, (Körper)Farbe wird damit als konstitutives Identifikationsmerkmal ausgewiesen. Erst nach der Farbveränderung folgen die weiteren Symptome der Vergiftung: Die Wunde verströmt einen sô griulîchen smac [Tr, V. 7276], einen so scheußlichen Geruch, dass Tristan von einem Ekel gegen den eigenen Körper befallen wird, daz ime daz leben swârte, / sîn eigen lîp unmârte [Tr, V. 7277f.]. In seiner Verzweiflung über den unerträglichen Zustand kommt Tristan zu dem Schluss, Königin Isolde sei seine einzige Möglichkeit zur Rettung vor dem qualvollen Tod. Mit einem Schiff auf dem Weg zu der heiltätigen Königin tarnt sich Tristan als Spielmann, der von Piraten überfallen wurde. Er behält allein seine Harfe an Bord. Als irische Seefahrer das Boot ansteuern, sind sie bezaubert von den Klängen der Harfe. Was die Seemänner im Boot erblicken, ist jedoch ein todkranker Mann, in sô jaemerlîche var [Tr, V. 7548] (var hier verstanden nicht nur als Farbe, sondern auch als Aussehen allgemein und als Beschaffenheit seines Aufzugs85), dass sie erstaunt sind, wie gut er musizieren kann. Die Verfärbung und der elende Zustand haben Tristans höfisches Äußeres vollständig überdeckt, er ist nicht mehr als Ritter – und schon gar nicht als der bewundernswert schöne Tristan – zu erkennen. Er muss sich auf seine Stimme und sein Saitenspiel verlassen, um an den irischen Königshof
85
Vgl. zur Bedeutung des mdh. varwe/var Kapitel 1.6, Fußnote 105.
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zu gelangen.86 Dieser Umstand der äußeren Unkenntlichkeit eröffnet ihm aber auch den Freiraum, sich eine neue Identität zu verleihen – und so schlüpft der „Trickster“ Tristan in die Rolle des Spielmannes Tantris. Der Held gelangt unter Vorspielung einer falschen Identität nach Dublin. Diese fingierte Identität als Spielmann ist nur eine der Rollen, die Tristan im Verlauf des Romans annimmt, nur eines der „Fallbeispiele souveräner Selbstbehauptung durch Nichtidentifizierbarkeit“87, so Wenzel, die im Roman Gottfrieds zu finden sind. Die Möglichkeit dieser Identitätsfingierung eröffnet sich über die körpergebundene Farbveränderung, die hier die Grundlage für Tristans Spiel mit den Rollen darstellt. Es ist also an dieser Stelle, im Gegensatz zu seinem Eintritt in den cornischen Hof, gerade nicht Tristans außergewöhnliche Schönheit, die ihm Einlass in die irische Hofgesellschaft gewährt, sondern es sind seine Fähigkeiten als Spielmann, seine Kunstfertigkeit.88 Durch Anraten eines Priesters (und Musikliebhabers) bringt man Tristan zur Königin, die auch auf den ersten Blick eine Diagnose stellen kann: die wunden und ir varwe [Tr, V. 7770] deuten für Isolde untrüglich auf Gift hin: ,ach armer spilman‘ sprach si sâ / ,dû bist mit gelüppe wunt.‘ [Tr, V. 7771f.] (Sie sagte: „Ach, armer Spielmann, du bist vergiftet.“) Bevor sie aber den vermeintlichen Spielmann, der sich ihr gegenüber als Tantris identifiziert hat89, heilt, bittet die Königin um eine Kostprobe seiner Kunst, zu der man auch die junge Prinzessin Isolde herbei holt. Das erste Aufeinandertreffen Tristans mit der blonden Isolde findet folglich unter außergewöhnlichen Umständen statt: Es ist nicht Tristans äußere Erscheinung, die Isolde fasziniert, zumal er immer noch durch das Gift verfärbt Todesqualen leidet und die Wunde so grässlich stinkt, dass niemand es auch nur eine Stunde in seiner Nähe aushalten kann, sondern es ist sein Spiel auf der Harfe, das ihm ihre hulde zuträgt.90 Schon in diesem entstellten Zustand wird ihm angetragen, nach seiner Genesung die Königstochter zu unterrichten. Die Verfärbung seines Körpers und Gesichtes machen es für die Königin Isolde unmöglich, ihren Todfeind Tristan zu erken Die Situation Tristans an dieser Stelle ist, genau wie bei seiner Ankunft in Cornwall, geprägt durch Orientierungslosigkeit und Hilfsbedürftigkeit, so Sosna, bietet ihm aber wiederum Gelegenheit, seine intellektuellen und künstlerischen Fähigkeiten einzusetzen. Vgl. dazu Sosna (2003): Fiktionale Identität, S. 249. Weiterhin zu Tristans Identitätsmodifikation an dieser Stelle dies., S. 249–56. 87 Wenzel, Horst (2004): Der unfeste Held. Wechselnde oder mehrfache Identitäten. In: Peter von Moos (Hg.): Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft. Köln: Böhlau (Norm und Struktur, Bd. 23), S. 163–183, hier S. 176. 88 Zur Macht und Ohnmacht der Musik und zur Tristan-Figur als Musiker, Held und Künstler siehe Stein (1980): Musik, hier vor allem die S. 590–601. 89 Zur Bedeutung der biographischen und autobiographischen Figurenrede im Tristan Gottfrieds siehe Schausten, Monika (2001): Ich bin, alse ich hân vernomen, ze wunderlîchen maeren komen. Zur Funktion biographischer und autobiographischer Figurenrede für die narrative Konstitution von Identität in Gottfrieds von Straßburg „Tristan“. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) 2001 (123), S. 24–48. Besonders bei Gottfried, so Schausten, finden sich solche „in der autobiographischen Figurenrede sich realisierende Listen der Selbst-Verstellung“ (S. 31) häufig. Diese bewussten Biographie-Verstellungen haben für den Protagonisten in manchen Fällen, wie auch in diesem Beispiel, lebenserhaltende Funktion. 90 Vgl. auch Stein (1980): Musik, S. 599. 86
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nen: sine erkande ir vîndes niht. [Tr, V. 7926] Der Held unterstützt dieses Verkennen seiner Identität durch besonders bedächtiges Verhalten, das im Roman als sinnebaere / und vorbesihtic [Tr, V. 7909f.], als besonnen und vorsichtig, charakterisiert wird. So pflegt die Königin ihn mit all ihrem heiltätigen Wissen gesund.91 Einen ausführlichen Bericht über die Heilung Tristans verweigert der Erzähler jedoch explizit, wenn er vermutet, dies wolle sicherlich keiner seiner Zuhörer hören. Das medizinische Vokabular ûz der bühsen [Tr, V. 7944] (des Apothekers) sei den ôren missehage [Tr, V. 7948] und verletze den guten Geschmack. Zuviel Gerede über Krankheit und Heilung sei unlîdic unde unsenfte [Tr, V. 7953], unliebsam und unangenhem, und außerdem rede, die niht des hôves [Tr, V. 7954] würdig sei. Somit fasst er sich kurz und merkt nur an, dass die Königin es vollbracht hätte, innerhalb von zwanzig Tagen Tristan soweit zu heilen, dass ihn niemand mehr der Verletzung wegen meiden muss und der Unterricht der jungen Isolde aufgenommen werden kann. Die einzige Information, die der Leser über Tristans abschließende Heilung erhält, ist, daz ime lîch unde varwe / wider lûteren begunde [Tr, V.8144f.], sich also sein Leib und seine Hautfarbe wieder aufhellen. Es ist die Körperfarbe, die beides, Verwundung und Heilung, indiziert. Alles Weitere, der Gestank der Wunde, die entkräftete Erscheinung, wird im Hinweis auf die strahlende Farbe des Helden als überwundener Zustand kenntlich. Seine Hautfarbe wird wieder heller – „frischer“ übersetzt Krohn – und Tristan gewinnt sein gutes Aussehen zurück. Mit dem schönen Leib und der gesunden Farbe kehrt aber auch seine Angst zurück, daz in eteswer erkande [Tr, V. 81447]. So verlässt er schließlich gegen den Wunsch der Königin und erneut unter Vorspielung falscher Tatsachen unerkannt den irischen Königshof. Tristans entstellter Körper hat folglich großen Anteil daran, dass er und Isolde erstmals in Kontakt treten können, und dieser Kontakt ist, anders als in den meisten höfischen Romanen, zumindest von Isoldes Seite keine Folge visueller Anziehung. Die kranke Farbe und die Tatsache, dass Tristan klugerweise nach dem Kampf gegen Morold die Wunde vor den Augen der irischen Gesandtschaft verborgen hatte, tarnen ihn ausgezeichnet vor einem Erkennen durch Angehörige des Königshofes.92 Die Krankheit und die damit einhergehende Verfärbung sind Wegbereiter für das Zusammentreffen der beiden Protagonisten und gleichzeitig Auslöser für eine Art von geistiger Verbindung über die Kunst, die nicht auf körperlicher Attraktivität basiert. Die Unkenntlichkeit der TristanFigur am irischen Königshof wird mithin im Kontext von Krankheit und Versehrung mit Blick auf die äußerliche Entstellung des Leibes durch Verfärbung inszeniert. Ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts gewinnen die Motive des erkrankten Körpers in der mittelhochdeutschen höfischen Literatur mehr und mehr an Gewicht und werden,
Die Heilfähigkeiten der Königin Isolde werden als eine Art von Kunstfertigkeit stilisiert. Der vrouwen meisterschaft [Tr, V. 7937] der arzenîe [Tr, V. 7939], der gesamte Medizindiskurs, wird hier in den Begriffsbereich der Kunst gerückt und somit Tristans musikalischen Fähigkeiten gleichgestellt. 92 Vgl. zur gewollten Nichtidentifizierbarkeit durch Körperzeichen Wenzel (2004): Der unfeste Held, S. 178. 91
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so Tomasek, zu „Schnittstellen komplexer Erzählstrategien“93, zu bedeutungsträchtigen Elementen, die eng mit dem Schicksal der betroffenen Figur verknüpft sind. Die Krankheit als ein allgemein-menschliches Phänomen kann alle Geschlechter und Altersgruppen betreffen – auch den höfischen Helden selbst.94 Krankheiten, ob real oder fingiert, können in der höfischen Literatur nicht schematisch interpretiert werden. Sie sind, wie Tomasek es beschreibt, Ausdruck einer individuellen Krisenlage95, sie verändern sich je nach der Konfiguration der Motivreihen, auf denen sie aufbauen. Der kranke Körper wird zu einer komplexen Deutungsaufgabe. Auch die Krankheit Tristans lässt sich eindeutig als wichtige Schnittstelle innerhalb der Romanhandlung erkennen. Die Symptome der Krankheitsmotivik an dieser Stelle lassen sich nicht einfach unter das topische Verfahren der Hässlichkeitsdarstellung subsumieren, sie stehen ihm aber nahe.96 Besonders die Wirkung des körperlichen Leidens auf Tristans Gemüt scheint für Gottfried von großem Belang. Die Abscheu vor dem eigenen Körper, die Hilflosigkeit und die Sorge, den Freunden zu sehr zur Last zu fallen, erlauben einen fast schon introspektiven Blick auf das Innenleben der Figur. Die Tristan-Figur wird durch den Zustand ihres Körpers zeitweilig sozial marginalisiert, da sich niemand in ihrer Nähe aufhalten kann.97 Dies, so Anette Sosna, treffe Tristan an seiner empfindlichsten Stelle, definiere sich die Tristan-Figur im ersten Teil des Romans doch insbesondere über ihr soziales Ansehen.98 Die Isolation, die aus der Verletzung resultiert, übt großen Druck auf den Helden aus, da dieser immer mehr an den Rand der höfischen Gesellschaft gerät. Hier, so Sosna weiter, werde „der Zusammenhang zwischen Tristans Schönheit und seiner sozialen Stellung akzentuiert.“99 Über die physisch entstellende Wunde verliert sich seine Tomasek (2002): Kranke Körper, S. 98f. Die Minnekrankheit, die nach der Auffassung der Antike, der griechisch-arabischen Medizin und auch des Mittelalters als körperliche Krankheit, als Pathologie mit Symptomen wir Erröten und Erbleichen, Kälte- und Hitzewellen, Fieber, Geistesabwesenheit, Schwermut, Sprachverlust, Appetit- und Schlaflosigkeit auftreten kann und welche im schlimmsten Fall zum Tod oder Suizid führt, kann hier aus Gründen des Umfang dieser Arbeit nicht näher thematisiert werden. Verweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auf den Aufsatz von Katharina Philipowski ([2003]: Minne als Krankheit), die sich eingehend mit der Thematik der Minne als Krankheit und deren Symptomen auseinandersetzt und den Weg des Topos bis hinein in die höfische volkssprachliche Literatur verfolgt. Sie kommt zu dem Schluss, dass „der Topos der Liebeskrankheit nicht nur in der Medizin, der Theologie und der Philosophie des 12. Jahrhunderts verbreitet ist, sondern dass auch die höfische Dichtung sich seiner bedient. minne weist – nicht in allen Fällen, aber sehr häufig – die klassischen Symptome der Liebeskrankheit aus.“ (S. 418). Des Weiteren sei auf die umfangreiche Bibliographie des Aufsatzes verwiesen. 95 Vgl. Tomasek (2002): Kranke Körper, S. 112. 96 Vgl. Tomasek (2002): Kranke Körper, S. 103. 97 Vgl. hierzu auch Kellermann, die von einer (zunächst) negativen Individualisierung der Figur durch die körperliche Entstellung spricht, welche zu Vereinzelung und Vereinsamung führt. [Kellermann (1999): Entstellt, S. 55]. 98 Vgl. Sosna (2003): Fiktionale Identität, S. 241. Die Gesellschaft der höfischen Welt und ihre Anerkennung sind für Tristan unentbehrlich. 99 Sosna (2003): Fiktionale Identität, S. 248. 93 94
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Schönheit und damit seine Anerkennung und soziale Einbettung.100 Die Figur löst sich infolge dieses „sozialen Todes“ zeitweilig von der Hofgesellschaft des Marke-Hofes ab und wird damit gleichzeitig frei für den neuen Kontakt mit dem irischen Hof.101 Dass Gottfried, wie oben bereits erwähnt, auf eine detaillierte Schilderung des kränklichen Äußeren Tristans verzichtet und auch Einzelheiten seiner Behandlung und Heilung unerwähnt lässt, setzt ein medizinisches Wissen der höfischen Zuhörerschaft voraus. Medizinisch-fachsprachliches Vokabular gehöre nicht in die höfische Dichtersprache102 und man wolle davon auch nichts hören103 – eine Ansicht, die von Dichtern wie Heinrich von dem Türlîn nicht mehr geteilt zu werden scheint, man denke nur an die Figur des Ackerknechts mit ihrer durch Krankheitsmotivik geprägten Ausgestaltung.104 Rüdiger Schnell führt diese Ausklammerung der expliziten Darstellung von Krankheitssymptomen auf eine Vermeidung eines Ekelgefühls beim Zuhörer zurück. Ekel, mehr noch als Hässlichkeit, beinhalte ein virtuelles Bedrohungspotential für die höfische Gesellschaft.105 Was nach der Vermeidung der Ekel erregenden Details des Krankheits- und Heilungsverlaufes darstellbar bleibt, ist die Farbveränderung. Auf der Grundlage dieser Farbveränderung, so meine These, werden die Diskurse von höfischer Schönheit und ihrer Entstellung und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Positionierung der Figur in der höfischen Gesellschaft diskutiert. Die Farbveränderung ermöglicht und erzwingt zugleich den Rollenwechsel Tristans und wird damit handlungsauslösend. Der mit der Verfärbung einhergehende Mangel an körperlicher Schönheit wird durch die Kunstfertigkeit der Figur im musikalischen Bereich zeitweilig aufgefangen.
Sosna zufolge sind beide Irlandfahrten gekennzeichnet durch eine vorausgegangene Störung der Interaktion mit der Hofgesellschaft; in beiden Fällen ist die drohende soziale Isolation ausschlaggebende Motivation für die Reise. Tristan sei durch den instabilen Interaktionsrahmen der höfischen Gesellschaft darauf angewiesen, die Tarnidentität Tantris anzunehmen, um sein Leben zu retten. [Vgl. Sosna (2003): Fiktionale Identität, S. 256.] 101 Mit Rückgriff auf Wenzel [Horst Wenzel: Gottfried von Straßburg, in: U. Liebertz-Grün (Hg.): Aus der Mündlichkeit in die Schriftlichkeit: Höfische und andere Literatur 750–1320, Reinbek bei Hamburg 1988 (Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte 1), S. 250–263] kann man an dieser Stelle die Loslösung vom Marke-Hof aufgrund der schweren Vergiftung als einen „sozialen Tod“ verstehen. Der Durchgang durch den (wie auch immer definierten) Tod ermöglicht „die Neukonstituierung in höfischer Vorbildlichkeit als steigernde Reprise.“ (S. 253). So wird auch die vergiftete Wunde später zur Voraussetzung des Neubeginns. Vgl. dazu auch Schausten (2001): Ich bin, alse ich hân vernomen, S. 33. 102 Ganz im Gegensatz zum Fachjargon der Jagd, bei welchem sich Gottfried ausführlich bedient und nahezu darin schwelgt [Jagdszene, Tr, V. 2759–3080]. Zum Jagdjargon und seiner Instrumentalisierung bei Gottfried siehe Schausten, Monika (2011): „dâ hovet ir iuch selben mite“. Höfische Jagdkunst im Spiegel klerikaler Kritik am Beispiel des Tristan Gottfrieds von Straßburg. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi) 41 (161), S. 139–163. 103 Tr, V. 7935–7961 104 Vgl. dazu Kapitel 3.3.4.3. 105 Siehe dazu und im Folgenden: Schnell (2005): Ekel und Emotionsforschung, S. 360. 100
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Ein weiteres Beispiel eines durch siechtuom verfärbten Heldenkörpers begegnet uns im Gauriel von Muntabel Konrads von Stoffeln (entstanden um 1250), hier jedoch wird die Störung durch die Entstellung des Ritters unter völlig anderen Vorzeichen verhandelt, als dies im Tristan geschieht. Auch der Held Gauriel wird siech: nû nam der tugenthafte man / sich grôzen siechtuomes an, Gau, V. 247f. (nun befiel den tugendhaften Mann schwere Krankheit), in seinem Fall allerdings aufgrund eines Fluchzaubers, den seine (Mahrten-) Minnedame ihm aufbürdet, da er das von ihr über die Beziehung gelegte Schweigegebot gebrochen hat. Die Mahrte kündigt Gauriel an, ihm als Strafe seine körperliche Schönheit zu nehmen und ihn gar ungestalt und wilde [Gau, V. 238] (ganz verunstaltet und wild/ fremdartig) werden zu lassen, während sie ihm aber ausdrücklich seine Körperkraft, seinen mannhaften Charakter und auch seinen Verstand lässt.106 Dieser Zustand wir so lange andauern, bis Gauriel die Gunst der Dame zurückerlangt hat. Die körperliche Entstellung ist als visuelles Symbol des Vertrauensbruchs zu lesen, den der Ritter an seiner Dame begangen hat und kann nur durch den Beweis seiner Treue und seines Dienstes aufgehoben werden. Dies dient über weite Strecken als Handlungsmotivation für den weiteren Verlauf der Heldenreise. Beschrieben wird die krankhafte Veränderung des Äußeren Gauriels durch einen Hinweis auf die üble Farbe107, die seinen Körper entstellt: sîn leit begunt sich mêren, wan sich muost verkêren beidiu varbe unt sprâche. durch sîner vrowen râche mit ir zornes gewalt er wart sô übele gestalt, daz ich es niht gesagen kann, sô schiuzlich wart er getân. [Gau, V. 261–68]
sehet rehte: swie ir sît / gewesen iwer beste zît / an dem lîbe volllekomen, / diu schœne wirt iu gar benomen / unt wert ein sölh bilde / gar ungestalt unt wilde, / iu belîbet aber inne / kraft unde sinne / unt iwer manlicher muot. [Gau, V. 233–241] (Hört gut zu: Wie vollkommen Ihr an Eurem Körper auch immer während Eurer besten Jahre gewesen seid – diese Schönheit wird Euch jetzt ganz genommen, und Ihr werdet ein ganz verunstaltetes und wildes/fremdartiges Aussehen annehmen. Euch bleiben aber Eure Körperstärke, Euer Verstand und Euer mannhafter Charakter.) 107 Den Begriff der varbe [Gau, V. 263], den der Autor des Gauriel verwendet, um die äußere Entstellung des Helden zu umschreiben, deute ich als eine faktische Veränderung der Körperfarbe, obwohl das Wort auch generell für das gesamte Aussehen oder die Schönheit einer Figur stehen kann. Die Entstellung des Helden wird unter Rückgriff auf die Wahnsinns-Episode in Hartmanns Iwein gestaltet. Dies zeigt sowohl der Hinweis auf die Charakterisierung des Zustandes Gauriels als wilde [Gau, V. 238] und die Beschreibung des Knappen, Gauriel sehe aus wie der dunkelfarbige Waldmann im Iwein, und weiterhin in den vielfachen (auch ironisierenden) Bezügen der Romanhandlung auf den Iwein (z.B. die Ausgestaltung Gauriels als „der Ritter mit dem Bock“, die Zaubersalbe etc.). Das auffälligste Merkmal der zeitweiligen Entstellung Iweins ist seine schwarze Hautfarbe und auf eine solche Verfärbung, so mein Verständnis der Szene, deutet auch der Hinweis auf die entstellte varbe Gauriels. 106
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(Sein Leid vergrößerte sich, als sich beides, seine Farbe und seine Sprache, verkehrten. Durch die Rache seiner Dame und durch die Macht ihres Zorns wurde er so hässlich, dass ich es nicht beschreiben kann – so scheußlich war er anzusehen.)
Der Erzähler sieht sich außer Stande, in Worte zu fassen, wie scheußlich Gauriels Anblick ist – nur die Verkehrung der Farbe und der Sprache als wichtiges Kulturgut und Menschenfähigkeit erwähnt er. Als jedoch wenig später ein Knappe am Hof von Karidol Artus von seinem Zusammentreffen mit dem entstellten Ritter berichtet, beschreibt er ihn als eine kreâtiure [Gau, V. 631], die nur mit dem Waldmann aus Hartmanns Iwein vergleichbar sei [Gau, V. 630–637]. Von diesem Zeitpunkt an wird Gauriel nur noch als „der Ritter mit dem Bock“ geführt, der vor allem durch sein Wappen- und Begleittier, einen großen Ziegenbock, identifiziert wird.108 Die Rückverwandlung des Äußeren des Helden erfolgt erst spät in der Romanhandlung und vollzieht sich, wieder ähnlich wie bei Iwein, durch den Auftrag einer Zaubersalbe. Gauriels Minnedame sendet sie ihm mit der Auftragsanleitung: ,bestrîch in allenthalben ainnerlich unt begarwe, so verwandelt sich sîn varwe unt wirt ein man als ich in sach, dô ich ze jungest wider in sprach.[‘] [Gau, V. 2765–69] („Bestreiche ihn auf allen Seiten sanft und vollständig [mit der Zaubersalbe], dann verwandelt sich seine Farbe/sein Aussehen und er wird wieder zu dem Menschen, den ich gesehen habe, als ich zuletzt zu ihm sprach.[“])
Und tatsächlich, sofort nach dem Auftrag der Salbe verschwindet die Verfärbung und Gauriel wird schön wie zuvor [Gau, V. 2799–2803].109 Der Umstand, dass der Held des Romans den Großteil seiner Abenteuer entstellt verbringt, deutet darauf, dass der Verfärbung des Körpers keine tiefgreifenden Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit des Helden und seinen Umgang mit anderen Figuren zugeschrieben werden. Die körperliche Entstellung wird in ihren Auswirkungen nicht auf der Handlungsebene umgesetzt. Auch eine tatsächliche Verkehrung der Sprache, die Gauriel durch die Fee angekündigt wurde, bleibt aus. Der Held bleibt stets kommunikations- und interaktionsfähig. Das Motiv der farblichen Veränderung der Figurenkomplexion bleibt hier, im Vergleich mit der tiefgreifenden Farb- und damit einhergehenden Identitätsveränderung eines Iwein und auch im Vergleich mit der sozialen Funktion, die Gottfried der Verfärbung von Tristans Körper für seine Aufnahme am irischen Hof zuschreibt, auf der Handlungsebene blind. Was sich im Gauriel von Muntabel an dieser Stelle abzeichnet, ist vielmehr eine ironische, Dies ist als Karikatur des „Ritters mit dem Löwen“, Iwein, zu lesen. Der Bock besiegt auch in einem späteren Kampf Gauriels gegen Iwein dessen Löwen [Gau, V. 1721–1903], beide Tiere werden getötet. Gauriel geht als Sieger aus dem Zweikampf hervor. 109 zir aller angesihte entweich / sîn antlutze griwelich, / hie verwandelte er sich / unde wart der schœneste man / des man kunde ie gewan. [Gau, V. 2799–2803] (Vor ihrer aller Augen verschwand sein gräulicher Anblick, er verwandelte sich und wurde der schönste Mann, von dem man je gehört hatte.) 108
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poetologische Replik auf die Topik von Verstandesverlust und Wahnsinn, codiert über die Farbveränderung des Heldenkörpers, unter Rückgriff auf Handlung und Personal des Iwein-Romans Hartmanns, was aber hier ohne Konsequenz für den Handlungsverlauf bleibt. Diese Ironisierung verweist auf die Bekanntheit des Motivs der Verfärbung, der Rekurs spielt mit der Erwartungshaltung des Publikums bezüglich der Auswirkungen der Entstellung des Helden. Die Farbe des Körpers selbst bleibt hier allerdings zweitrangig. Der Hinweis auf eine Verfärbung allein scheint für das mittelalterliche Publikum bereits genügt zu haben, um einen höchst problematischen Körperzustand auszuweisen. Das spricht wiederum für den zentralen Status, den die (Haut-)Farbe in der Weltordnung der mittelalterlichen höfischen Literatur und Kultur innehat. Eine Verkehrung oder Veränderung der varwe (im Sinne der Komplexion) einer Figur, eine Störung im höfischen Schönheitsideal, ist, so mein Verständnis des Aspekts, auch Ausweis einer Störung der sozialen Identität. Gleichzeitig markiert sie im Tristan aber auch den Anfang eines neuen, für den Roman unentbehrlichen Handlungsstranges, ermöglicht sie doch erst das Zusammentreffen von Tristan und Isolde. Bei der körperlichen Versehrtheit Tristans, die hier zuerst durch den Aspekt der Hautverfärbung und den grässlichen Gestank geschildert wird, geht es folglich nicht allein um Ekelvermeidung, wie Schnell vermutet. Vielmehr zeigt sich eine zwiespältige Sicht auf das Krankheitsmotiv. Krankheit als etwas grundlegend Unhöfisches muss von der höfischen Öffentlichkeit ferngehalten werden; gleichzeitig ermöglicht es die Krankheit, dass Tristan Einlass in die Feindgesellschaft findet. Der Hinweis auf eine üble, verkehrte Farbe und die daraus resultierende Entstellung ist folglich nicht allein Auslöser sozialer Isolation, wie Sosna und Kellermann feststellen, sondern auch Mittel der handlungsrelevanten Eingliederung in einen anderen Hof unter umgekehrten Vorzeichen. Über die Verfärbung des Körpers Tristans wird die Thematik der Aus- und Eingliederung in die höfische Gesellschaft ambivalent diskutiert. Die Entstellung ist nicht allein Grund der Isolation, sondern Voraussetzung der Integration und gleichzeitig Werkzeug des listenreichen Tristan, der damit nicht nur geheilt wird, sondern auch soziale Verbindungen knüpft, die für das Fortschreiten der Romanhandlung unverzichtbar sind. Damit wird aber zugleich auf das Potential Tristans als Unterwanderer und potentieller Störfaktor der höfischen Ordnungen hingewiesen, was sich destruktiv auf die höfische Gesellschaft auswirken kann – auch nach der Beseitigung der Missfärbung bleibt diese Problematik unaufgelöst bestehen.
4.3 Rual – Gottfrieds von Straßburg Tristan Ein weiteres Beispiel für eine Problematisierung sozialer Identität einer Figur über eine Verfärbung ihres Äußeren findet sich ebenfalls in Gottfrieds Roman in Rual, Ziehvater Tristans. Nach Tristans Entführung begibt sich Rual auf eine beschwerliche Suche nach dem verschollenen Ziehsohn, auf der seine Vorräte und seine Geldmittel immer weiter abnehmen, so dass er, ganz unritterlich, zu Fuß und ohne Gefolgschaft in größter Not
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zurückbleibt. Diese lange, verzweifelte Suche führt zu einer äußerlichen Veränderung der Figur, die als Verlust der Schönheit und als (Ent-)Färbung gekennzeichnet wird, was dazu führt, so der Erzähler, dass man Rual nicht mehr als hêrre, als Mann von Stand erkennen kann: biz daz er alsô sêre von sînes lîbes schoene kam und an der varwe als abe genam: swer in dô haete gesehen dern haete niemer gejehen, daz er ie hêrre würde. die schamelîchen bürde die truoc der werde dan Rûalt gelîche alsam ein art ribalt, [Tr, V. 3788–96] ([…] bis er so sehr seine Schönheit verloren hatte und seine Hautfarbe so grau geworden war, daß niemand, der ihn gesehen hätte, hätte sagen können, daß er ein vornehmer Herr war. Diese demütigende Last trug der würdige Herr Rual, als wäre er ein Landstreicher.)
Diese standesbezogene Unkenntlichkeit der Figur äußert sich auch in der Figurenrede Ruals, als er im vierten Jahr seiner Suche endlich nach Cornwall gelangt. Vor dem Zusammentreffen mit Tristan wird Ruals desolater äußerer Zustand erneut betont, indem dieser selbst die Befürchtung äußert, dass er sich äußerlich stark von der cornischen Hofgesellschaft unterscheidet und dass diese ihm möglicherweise keine Auskunft erteilen wird, weil er so unhöfisch aussieht.110 Die ärmliche Lebensweise (als armer vuore, Tr, V. 3896) hat Rual äußerlich so entstellt, dass ihn die Hofgesellschaft von Cornwall nicht mehr als Standesgleichen wahrnehmen kann. Was daraus resultiert, ist eine zeitweilige gesellschaftliche Ausgrenzung der Figur, da sie nicht mehr der ihr zustehenden sozialen Gruppe zugeordnet wird. Diese Ausgrenzung basiert vor allem auf einer Überdeckung des höfischen Äußeren, insbesondere der weißen Hautfarbe, durch eine Farbveränderung. Krohn interpretiert diese in seiner Übersetzung als „graue Hautfarbe“, eine durch Witterung und Entbehrung veränderte Komplexion. Eine solche ist, je nach Kontext, nicht uneingeschränkt als „hässlich“ zu bewerten, da sie durch die Pilgerassoziation nicht negativ besetzt sein muss. Bereits hier zeigt sich ein Unterschied zu den eindeutig negativ besetzen Verfärbungen bei Iwein und Tristan. Die im Folgenden geschilderte Begegnung Tristans mit dem Ziehvater ist stark durch die körperliche Entstellung Ruals geprägt. Da er weiß, welchen Eindruck sein Äußeres auf die cornische Hofgesellschaft machen muss, geht Rual zuerst auf diese Erwartungshaltung ein und lässt sich Tristan als ein armer man [Tr, V. 3930] aus seiner Heimat ankündigen. Tristan jedoch erkennt den Ziehvater trotz des Umstandes, dass dieser von ,diz volc ist alle baz dan ich. / Swen ich mit rede bevâhe, / Ich vürhte, ez in versmâhe, / Daz er mir gebe antwürte umbe in, / sît ich als armer vuore bin.[‘] [Tr, V. 3892–96] („Diese Leute sehen alle besser aus als ich. Wenn ich jemanden anspreche, fürchte ich, daß es ihm mißfällt, mir Auskunft über ihn zu geben, weil ich so abgerissen wirke.[“])
110
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Hunger, Kälte, dem langen Fußmarsch und den Jahren, denen er Wind, Wetter und Sonne ausgesetzt war, äußerlich verändert worden ist, sofort, begrüßt ihn überschwänglich und küsst ihn.111 Dies beurteilt der Erzähler auch positiv als billîch unde wol [Tr, V. 3946], denn: er was sîn vater und er [Tristan, C.O.] sîn kint. [Tr, V. 3947] Was sich hier deutlich zeigt, ist eine erneute Diskussion der Problematik einer Kongruenz bzw. Inkongruenz von Außen und Innen, wie sie zuvor bereits mehrfach ausgeführt wurde, ebenso wie eine Thematisierung des Stellenwertes der äußeren Erscheinung gegenüber den inneren Werten. Besteht eine Divergenz zwischen Kleidung und der Körperfarbe und dem Stand bzw. der Gesinnung, ist vom Betrachter ein besonders scharfes Auge verlangt, ein verstärkter Blick auf das Wesentliche, die innere art der Figur. Es wird auf ein Manko der cornischen Hofgesellschaft verwiesen, die Rual erst später in standesgemäßer Tracht korrekt zu „lesen“ weiß.112 Tristan aber kann den Ziehvater auch in seiner unfreiwilligen Unkenntlichkeit identifizieren. Gabriele Raudszus liest in diesem Erkennen eine besondere Befähigung Tristans, die sie dem Umstand zuschreibt, dass er selbst mit den Vorgängen der Verkleidung und Verstellung wohl vertraut ist: Im Unterschied zu den Hofleuten besitzt Tristan selbst den schärferen Blick für das wahre Wesen einer Person, ist er doch oft genug selbst derjenige, der das Spiel mit der Kleidung und Verkleidung zur Täuschung und zur Erreichung der eigentlichen Ziele benutzt.113
Die Diskrepanz zwischen Kleid, Körper und höfischer Identität muss überwunden werden. Obwohl es durchaus möglich ist, das Innere einer Figur durch ein entstelltes, verfärbtes Äußeres hindurch zu erschließen, wie es Tristan hier demonstriert, erfordert schlussendlich die höfische Gesellschaft immer eine Rückführung zur Korrespondenz der höfischen art mit der entsprechenden Kleidung und einem ebensolchen äußeren Erscheinungsbild. Die Restitution dieser Korrespondenz erfolgt unweigerlich am Ende der Phase der entstellten Schönheit einer höfischen Figur. Trotz der Erkenntnis, dass der Schein trügen kann, führt diese nicht zu einer Überholung oder Korrektur der grundlegenden Maxime „innen schön – außen schön“. Die körperliche Entstellung Ruals eröffnet eine Diskussion seiner Hoffähigkeit. Tristans Frage: dîn schoener lîp war ist der komen? [Tr, V. 3973] (Was ist aus deinem guten Aussehen geworden?) ist als Ausweis der Bewusstheit der höfischen Gesellschaft für den schönen Leib zu lesen. Der Kontrast zwischen höfischer Natur und Ruals jetzigem Aussehen ist augenscheinlich und sowohl dem Betrachter als auch dem Betroffenen selbst deutlich bewusst, ein Kontrast, der korrigiert werden muss, denn Rual empfindet sich als niht hovebaere [Tr, V. 3980] (nicht dem Hof angemessen) – ein Zustand, der für eine höfische Figur längerfristig nicht akzeptabel ist. Seine momentane ärmliche Erscheinung interpretiert Rual als nacketage [Tr, V. 3985], als Nacktheit, einen vorübergehenden Zustand bar jeder höfischen Zier und Pracht, als Fehlen aller Symbole seiner ständischen Identität. Zum Motiv der Identifizierbarkeit trotz äußerlicher Entstellung siehe: Wenzel (2004): Der unfeste Held, hier vor allem S. 180, und Hahn (1977): Theorie der Personenerkenntnis, S. 443. 112 Vgl. Raudszus (1985): Zeichensprache, S. 152. 113 Raudszus (1985): Zeichensprache, S. 153. 111
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Trotzdem wird diese Nacktheit, so vermutet er, Marke als vil schoene erscheinen114, wenn er erst die bedeutsame Nachricht vernimmt, dass Tristan sein Neffe ist, und so lässt er sich schließlich doch zum König geleiten, obwohl sein äußerer Zustand nicht hofwürdig ist. Der Erzähler nimmt dies als Anstoß, um eine ausführlichere Beschreibung des Äußeren der Rual-Figur zu geben: Sein vil armez rockelîn ist beschaben und verslizzen / wâ unde wâ zerizzen [Tr, V. 3997f.] (ein ärmlicher Rock, schäbig und zerschlissen, an mehreren Stellen zerrissen). Die Unterkleider sind ebenfalls armeclîch genuoc, / vernozzen und verselwet gâr [Tr, V. 4003f.] (sehr armselig, abgenutzt und schmutzig). Die Farbe der Kleidung findet hier wie in fast allen der wenigen Kleiderbeschreibungen in den Darstellungen genuiner wie auch reversibler Hässlichkeit keine Erwähnung. Dann wendet sich der Erzähler der körperlichen Erscheinung zu: Haar und Bart Ruals sind verwalken alsô harte, / als ob er wilde waere. [Tr, V. 4006f.] (so verfilzt, als ob er ein Wilder wäre). Seine Beine und Füße sind nackt. Diese Umschreibung rekurriert auf den Pilger- und Eremitentypus, impliziert über das Wort wilde aber auch einen Hinweis auf einen sich außerhalb der Gesellschaft befindlichen Status des Fremden, Unzivilisierten, ein weiterer Verweis auf den Status einer sozialen Außenseiterposition. Die Gesamterscheinung Ruals wird weiterhin als wetervar115 bezeichnet. Krohn interpretiert dies in seiner Übertragung als „vom Wetter gezeichnet“, was bedeutet, dass Rual seiner adeligen Hautfarbe beraubt wurde, der Leib und das Äußere haben die Farben der rauen Witterung angenommen: dar zuo was er sô wetervar, als alle die von rehte sint, den hunger, vrost, sunne unde wint ir varwe und ir lîch hât benomen. [Tr, V. 4010–13] (Außerdem war er vom Wetter gezeichnet wie mit Recht alle, denen Hunger, Frost, Sonne und Wind die gesunde Farbe geraubt haben.)
Jedoch, darauf insistiert der Erzähler, sind Ruals edle Gestalt und sein tadelloses Benehmen durch die Verfärbung hindurch zu erkennen: Auch wenn seine Kleidung nicht höfisch angemessen ist, so ist Rual doch an lîbe und an gebâre / vollekomen unde rîch. / er was des lîbes edelîch, [Tr, V. 4032–34], an Aussehen und Benehmen makellos und prächtig. swenne ich im alle mîne tat / von anegene her gesage, / ez wirt vil schoene, daz ich trage. [Tr, V. 3990–92] ([„]Wenn ich ihm alles erzähle, was ich getan habe, von Anfang an erzähle, dann wird ihm prächtig erscheinen, was ich jetzt trage.“ 115 wetervar gehört zur Gruppe der Komposita mit der Endung -(ge)var, ähnlich wie das von Hartmann im Iwein verwendete zornvar (vgl. dazu Kapitel 3.3.4.1., Fußnote 146). Das nominale Erstglied, in diesem Falle weter, drückt aus, wodurch die Farbe hervorgerufen wurde. Diese Gruppe der (ge)var-Bildungen mit abstraktem Erstglied zeigt keinen oder nur geringen Bezug auf etwas Gegenständliches oder einen Farbträger, bezeichnet folglich keine tatsächliche festlegbare Farbe. Trotzdem, darauf weisen Herbers und Rheinwald (2011) hin, lassen sich die Wörter nicht nur auf eine Bedeutung von „beschaffen wie“ oder „so aussehen wie“ reduzieren. Diese Komposita sind vielmehr sehr polyvalente Farbbezeichnungen, die auf die komplexeren Sinnebenen der höfischen Denkmuster hinweisen. Vgl. Herbers/Rheinwald (2011): rôsenvarwer rôter munt, S. 422, und auch Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Eintrag wetervar, Bd.3, Sp. 807. 114
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Wenzel differenziert bei der Identifizierbarkeit und Nichtidentifizierbarkeit der episodischen Identitäten einer Figur nach Faktoren von Charisma, Körperzeichen, Kleidung und Sprache, Rollendifferenzierung und einer Identifizierung durch Gott.116 Bei Rual sind es vor allem sein Charisma, der als adelig und privilegiert zu erkennende Körperbau und seine Verhaltensweise und Sprache, die trotz einer Entstellung der äußeren Hülle ein Erkennen der Figur ermöglichen. Er kann so nie vollständig unkenntlich werden. Vielmehr zieht die offensichtliche Diskrepanz von Innen und Außen die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich, michel rûnen [Tr, V. 4051] erhebt sich, und die Identität Ruals wie infolgedessen auch Tristans wird Diskussionsgegenstand der cornischen Hofgesellschaft. Die Missfärbung des höfischen Körpers wird hier zum Gegenstand des Anstoßes einer Identitätsdiskussion der Protagonisten, weist sie doch offensichtlich auf eine Störung des bekannten Schemas der Kongruenz von Innen und Außen hin. Über Ruals Auftritt, so auch Sosna117, wird somit die Identitätsproblematik in Gottfrieds Tristan offenkundig, eine Problematik, die sich im anschließenden Fortgang der Handlung auf eine Frage zuspitzen wird: […] wer ist Tristan? [Tr, V. 4170]. Im Falle Ruals wird die unhöfische Hülle jedoch schnell wieder an das Innere angeglichen. Was Gottfried hier am Beispiel Ruals beschreibt, ist ein Prozess der geglückten Restitution höfischer Identität. Er wird gebadet, was implizit eine Rückfärbung zur weißen Haut suggerieren könnte118, und neu gekleidet. Nun loben die Angehörigen des Marke-Hofes und Marke selbst seinen Anblick, vor allem aber die Verwandlung, die Rual durchlaufen hat: ,nu kieset, wie schiere edeliu wât den man ze lobe gestellet hât! diu cleider stânt den koufman wol unde lobelîchen an. ouch ist er selbe hêrlîch. wer weiz, ern sî vil tugende rîch.[ʼ] [Tr, V. 4079–84] („Seht nur, wie schnell die feinen Kleider den Mann lobenswert verändert haben! Die Kleider stehen dem Kaufmann gut und rühmenswert. Aber auch er selbst ist vornehm. Wer weiß, er ist vielleicht ein feiner Mann.[“])
Die Angleichung von äußerlicher Erscheinung und Gesinnung, dem guten Benehmen und der tugent Ruals machen ihn für die Hofgesellschaft identifizierbar.119 Beim gemeinsa Vgl. Wenzel (2004): Der unfeste Held S. 176–180. Vgl. Sosna (2003): Fiktionale Identität, S. 238. 118 Dies scheint der Fall zu sein, da nie wieder von der „Wetterfarbe“ Ruals gesprochen wird, obwohl diese faktisch nicht abgewaschen werden kann, da es sich in diesem Fall um eine Pigmentveränderung durch Sonneneinstrahlung handeln müsste. 119 Noch aber hält die cornische Hofgesellschaft Rual aufgrund von Tristans fingierter Abstammungsgeschichte für einen Kaufmann, dies jedoch intensiviert das Staunen der Hofleute über seine untadelige Haltung noch mehr, da er für einen koufman überaus höfisch erscheint. Tristans erzählte (fiktive) Identitäten rufen immer wieder Erstaunen und auch Misstrauen unter den Beobachtern hervor. 116 117
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men Mahl eröffnet Rual schließlich die Wahrheit über Tristans Herkunft und die tragische Geschichte seiner Abstammung. Nun kann er auch offen seine wahre Identität preisgeben – die als Marschall Rûal li Foitenant, einem Mann von adeliger Abstammung. Die ständische Identität Ruals ist somit durch die Übereinstimmung von Innen und Außen abschließend restituiert worden. Die wetterfarbene Körperoberfläche, von unangemessener Lebensführung, Wettereinflüssen und den Entbehrungen einer vierjährigen Wanderschaft entstellt, wird in dieser Textstelle als ein rein äußerliches Phänomen kenntlich. Unter der bloß oberflächlichen Hülle ist die unverändert höfisch-schöne Leiblichkeit verborgen. Die zeitweilige Hässlichkeit bewirkt keine Veränderung der Substanz oder inneren Disposition der Figur, so war es Tristan auch möglich, Rual ohne zu zögern als seinen Vater zu erkennen. Die Verfärbung und Entstellung Ruals, und hier schließe ich mich den Beobachtungen Sosnas an, führen in ihrer Differenz zwischen Außen und Innen die „für die Erzählung zentrale Schein-Sein-Problematik, wie sie bereits an der Figur Tristans erkennbar wurde, weiter.“120 Rual tritt an dieser Stelle auf als eine Figur, an der die Thematiken von sozialer Standortbestimmung, Hofzugehörigkeit, Abstammung und der nicht in Deckung zu bringenden Erwartungshaltung der Hofgesellschaft mit der tatsächlichen Identität beispielhaft verkörpert werden. All die hier diskutierten Aspekte werden auch für den Protagonisten Tristan immer wieder thematisch – und diese Identitätsproblematik kann im Verlauf des Romans nie vollständig aufgelöst werden.121 Im Anschluss an diese Szene erhält Tristan die erschütternde Nachricht, dass der Mann, den er bisher für seinen Vater hielt, dies nicht ist und dass sein wirklicher Vater wie auch seine Mutter bereits verstorben sind. Infolgedessen entsteht für Tristan eine Unsicherheit in Bezug auf seine Identität.122 Im Anschluss an diese Szenenfolge kündigt sich durch die Schwertleite ein völlig neuer Abschnitt des Lebensweges Tristans an. Dieser Komplex an identitätsbezogenen Entscheidungen und Enthüllungen wird an dieser Stelle über das Motiv der Farbveränderung des Figurenkörpers Ruals in der übergreifenden Thematik von Schein und Sein, Außen und Innen und falscher Wahrnehmung bereits aufgerufen und somit thematisch vorgeprägt. Ruals äußer-
Sosna (2003): Fiktionale Identität, S. 238. Diese grundlegenden Themen, so auch Schausten (2001): Ich bin, alse ich hân vernomen, durchziehen den gesamten Roman. Dem Helden Tristan selbst eignet eine „spezifische Ortlosigkeit“. (S. 45) „Das Problem des ungesicherten biographischen Ortes wird so zum Kernproblem der erzählten Identität des Helden.“ (S. 46) Tristan wird erkennbar als ein Typus, der keinen eigenen Ort in der erzählten Gesellschaft findet, und somit letztlich für sich selbst und in der Welt stets ein Fremder bleibt. (Vgl. S. 48) 122 Die ordnungsstiftende Funktion, die Ruals öffentliche Erzählung der Biographie Tristans für Marke und den Marke-Hof hat, stellt sich für den Helden selbst nicht ein, so betont Schausten (2001): Ich bin, alse ich hân vernomen, S. 35–38. Tristan wirkt vielmehr befremdet von der eigenen Geschichte. Für ihn überwiegen die negativen Aspekte, er versteht seine Biographie als Geschichte eines zweifachen Vaterverlustes und stellt sein bisheriges Leben, seinen biographischen Ort und seine biographische Zeit in Frage. 120 121
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liche Entstellung durch die Farbveränderung hat an dieser Stelle eine wichtige Funktion bezogen auf den Verlauf der Identitätsmodifikation Tristans.
4.4 Fazit In der vorangegangenen Betrachtung der drei Beispiele entstellter, körperlicher Schönheit (beziehungsweise reversibler Hässlichkeit) hat sich erneut gezeigt, wie breit sich das Feld der über die Farben des Körpers und deren Veränderungen aufgerufenen Diskurse im Artus- und Tristanroman darstellt. So eröffnet der Blick auf die Farbebene in den bearbeiteten Textstellen völlig unterschiedliche Fragestellungen: In Hartmanns Iwein, so hat sich in der Betrachtung der diskursiven Mehrfachcodierung des Zeichens der veränderten Hautfarbe gezeigt, markiert die schwarze Farbe das räumliche wie auch gesellschaftliche Außenseitertum des Helden: Schwarz geworden und im wilden Wald hausend ist er der höfischen Gesellschaft zeitweilig nicht zugehörig. Aus dieser Position heraus ist Iwein prädestiniert dafür, eine der grundlegendsten Fragen des Romans zu stellen: „Was ist das Eigene, was das Andere, was macht die eigene Kultur im Innersten aus, wo liegt die Grenze zum Anderen, wie läßt sich das konstitutiv Andere der eigenen Kultur denken?“123 Hartmann verbindet im Iwein die Frage nach der Alterität der höfischen Kultur mit einem Identitätsdiskurs auf der Figurenebene: „Ohne das oder den Anderen als integrativen Faktor ist Identität, sei es die der höfischen Kultur oder die des narrativen Selbst, nicht herzustellen“.124 Die höfische Kultur definiert sich immer von ihren Rändern her, durch Grenzziehung nach außen und nach innen, Inklusion und Exklusion – und der schwarze Iwein als „Wanderer zwischen den Welten“ vollzieht, stellvertretend für die gesamte Gesellschaft, diese Prozesse des Einschließens und Ausschließens nach. Er ist eine bewegliche Grenzgängerfigur, zeitweilig bedacht mit dem Schwarz als „Grenzfarbe“, die – zwar schwerlich, aber doch erfolgreich – nach dem Abschluss des Prozesses des sozialen Dramas wieder weißhäutig in die höfische Gesellschaft eingegliedert werden kann. Neben diesen sich über die Raumebene eröffnenden Aspekten verweist der Dichter in dieser überaus komplexen Szene zusätzlich aber auch auf den oft zitierten Medizindiskurs. Hartman rekurriert hier (zumindest implizit) auf das System der Viersäftelehre, das zeigt sich vor allem in dem medizinischen Wissen, das er in der Schilderung des Wahns und der anschließenden Diagnose und Behandlung anklingen lässt. Über diesen Komplex ermöglicht sich auch ein Anschluss an die Frage nach dem Status des Helden als melancholicus und einer möglichen Minnekrankheit Iweins, die Hartmann ebenfalls durch Hinweise im Text andeutet. Jedoch verzichtet er bewusst auf eine detaillierte Schilderung der zugehörigen Symptome um, wie oben gezeigt, eine semantische Leerstelle zu schaffen, die er mit Hinweisen auf den Kultur-Natur-Diskurs auffüllt. Nach diesen Einblicken Quast (2001): Das Höfische, S. 127. Quast (2001): Das Höfische, S. 127.
123 124
Fazit
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in die verschiedenen, weit gestreuten Ausdeutungsmöglichkeiten des Schwarzen in der Wahnsinnsszene des Iwein bleibt doch das grundlegende Forschungsproblem bestehen, nämlich die Frage, worin die Bedeutung der schwarzen Farbe des Helden an dieser Stelle besteht. Die Funktion der Schwarzhäutigkeit, so die Erkenntnis, lässt sich nur im Hinblick auf die Polyvalenz erschließen, die ihr in der Erzählung Hartmanns eignet. Die Farbe signifiziert an dieser Stelle die Prozesshaftigkeit von Destruktion und anschließender Restitution heldischer Identität auf vielerlei Ebenen, und verweist dazu auf die Gleichzeitigkeit verschiedener diskursiver Konzepte, wie sie im Analyseteil aufgezeigt worden sind. Die Farbe als Bindeglied all dieser Diskurse und als übergreifendes Element schließt Melancholie, Minnekrankheit, Natur-Kultur-Diskurs, Höfisches und Wildes, Höllenfahrt und Tod in spezifischer Art und Weise zusammen, und lässt sich somit sicherlich nicht auf nur eine Ausdeutungsvariante reduzieren. Diese Polyvalenz des Zeichens und die Komplexität der Szene als Ganzes lassen sich aus der Farbenperspektive heraus besonders deutlich zeigen. So verstehe ich an dieser Stelle die Verfärbung Iweins als ein Zeichen, das es aufgrund seiner potentiell vieldeutigen Semantiken dem Dichter erlaubt, bewusst in dieser Polyvalenz und Unschärfe eingesetzt zu werden. Damit bietet das Farbzeichen interpretatorischen Ansätzen Raum, die nicht als Alternativen zu denken sind, sondern vielmehr alle im Zeichen des schwarzen Ritterkörpers implizit anklingen. In den beiden Beispielen aus Gottfrieds Tristan wiederum knüpfen sich an den Zustand der äußerlichen Missfärbung vor allem Diskurse des Wahrnehmens und Deutens, des Erkennens, Verkennens und der Überschreitung von Grenzen im kulturellen wie sozialen Sinne, zwischen Ländern, Ständen und auch Identitäten. Von diesen dynamischen Prozessen, diesen Phasen, die in Aufstieg und Fall, Irrtum und Korrektur, Fehler und Wiedergutmachung, Verblendung und Erkenntnis divergieren, lebt die Artus- und Tristanepik, so auch Raudszus. Die Phasen kennzeichnen sich durch verschiedene Konstellationen von Innen und Außen, wobei die Spannungen zwischen den äußeren Lebensumständen und den geistigen Bewusstseinskonstellationen die Handlung vorantreiben.125 Diese Lebensphasen lassen sich auch am Erscheinungsbild ablesen. Die Figur trotz ihrer äußerlichen Entstellung, Verfärbung oder Tarnung zu erkennen wird zur handlungsfördernden Aufgabe.126 So sind Ruals Wetterfarbe und Tristans krankheitsbedingte Missfarbigkeit als treibende Aspekte zu verstehen, Missfärbung oder Falschfarbigkeit haben eine Signalfunktion, die vor allem auf der Handlungsebene des höfischen Romans zum Tragen kommt. Was sich in der Analyse der zeitweiligen Missfärbung Tristans und Ruals zeigt, ist folglich erneut die große Komplexität des Motivs der Verfärbung, die mit der Polyvalenz von (Körper-)Farben im Allgemeinen konvergiert. Dass das Motiv der Entstellung durch Verfärbung weithin bekannt war, ist belegt durch den Umstand, dass späthöfische Dichter 125 126
Vgl. Raudszus (1985): Zeichensprache, S. 202. So nochmals Raudszus: Besteht eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, kommt ein Entwicklungsprozess in Gang. Die Diskordanz wird zum handlungstreibenden Aspekt, dynamische Prozesse werden in Gang gesetzt und dienen oft der „Demaskierung einer Gesellschaft“ (S. 230) als oberflächlich.
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missevar: Farbiges Verkennen und farbiger Selbstverlust
wie der Verfasser des Gauriel von Muntabel, darauf zurückgreifen, damit spielen und es ironisch einsetzen. Die mittelalterlichen Autoren nutzen die Bekanntheit des Motivs und seine unterschiedlichen Lesarten. Ver- beziehungsweise Missfärbung sind im höfischen Roman als Ausweis einer Störung zu verstehen, und zwar sowohl auf der individuellen, figurenbezogenen wie auch der gesellschaftlichen Ebene. Die Autoren variieren diese Motivik bewusst, wie die Analyse der vorangegangenen Beispiele zeigen konnte. Dabei ist die Ausprägung und Wirkung der Verfärbung eng an die Auslöser derselbigen gebunden, die wiederum in ihrer Problematik unterschiedlich gewichtet sind. Es zeigt sich eine Hierarchisierung der betrachteten Beispiele, die vollständig über den Zustand der Verfärbung funktioniert: So wird über die Beschreibung des Äußeren Ruals der grundsätzlich positiv konnotierte Pilgertypus aufgerufen, wetervar ist bei Weitem nicht so negativ konnotiert wie etwa die wilde varwe Iweins oder die jaemerlîche Verfärbung aufgrund der Vergiftungserscheinung bei Tristan. Die loyale Suche Ruals nach dem Ziehsohn ist, anders als Vergiftung und Wahnsinn, grundlegend positiv bewertet. Aufgrund dessen ist diese Entstellung bei Tristans Ziehvater auch relativ schnell zu korrigieren: Ein Bad und ein paar neue Kleider, und Rual ist wieder hêrlîch [Tr, V. 4072] wie zuvor. Am Ende der Phase körperlicher Entstellung durch Farbe steht letztlich immer die Restitution der Kongruenz von Innen und Außen. Das Ideal höfischer Körperschönheit muss abschließend wiederhergestellt werden – eine bleibende Verfärbung der Figuren ist nicht akzeptabel. Somit endet die bekannte Thematik der sozialen Isolation aufgrund von Ent- und Missfärbung nicht (nur) in einer Ausgliederung aus der Hofgesellschaft, sondern verlangt und bietet auch gleichzeitig die Option zur Wiedereingliederung. Die durch die Verfärbung angezeigte Störung bleibt aber gleichzeitig bestehen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Farben der entstellten Schönheit nur wenige sind, im dunklen Teil des Farbenspektrums anzusiedeln, und im Vergleich zu den Farben höfischer Schönheit eher „unbunt“ gehalten, gleichzeitig aber ebenso komplex besetzt und weiterhin in ihrer Gewichtung hierarchisch strukturiert.
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der vremde helt1: Farbe als Werkzeug – Täuschung, Tarnung und Verstellung
In den vorangegangenen Kapiteln ist bereits gezeigt worden, dass (Körper-)Farben und dem Körper in Form von Kleidung und Schmuck angelegte Farben in der Literatur konstitutive Bestandteile höfischer Existenz und Ausweis von Identität mit hoher Sinnbildund Symbolfunktion sind und dass es zugleich wiederum die Farben sind, deren Verkehrung oder Veränderung eine Figur im höfischen Kontext als ,hässlich‘ ausweisen, und mit denen diese Figuren in vielfältiger Art und Weise als unhöfisch und problematisch markiert werden können. Es wurde ebenfalls gezeigt, wie sich infolgedessen die Entstellung und Veränderung der höfischen Körperfarbe einer Figur als identitätsgefährdender Aspekt und Ausdruck einer Krisenlage verstehen lässt. Das folgende Kapitel soll sich nun abschließend mit zwei Fällen einer Veränderung des Äußeren durch Farbe beschäftigen, bei denen diese Veränderung jedoch von den Helden willentlich und zielgerichtet als Werkzeug der Tarnung und Verstellung eingesetzt wird, um ihre jeweilige Identität zeitweilig zu verbergen oder zu modifizieren. Als Beispiele sollen hierfür (1) die Pilgerverkleidung Tristrants aus dem Roman Eilharts von Oberg und (2) die wechselnden Rüstungsfarben Lanzelets aus dem Roman Ulrichs von Zatzikhoven dienen.2
Lanzelet V. 2886. Der Lanzelet und seine Übersetzung werden zitiert nach folgender Ausgabe: Ulrich von Zatzikhoven (2009): Lanzelet. Text – Übersetzung – Kommentar. Studienausgabe. Herausgegeben von Florian Kragl. Berlin/New York: de Guyter (De-Gruyter-Texte). Im Folgenden werden Zitate aus dem Lanzelet durch das Kürzel La gekennzeichnet. 2 In beiden Fällen sind es die Farben von Kleidern bzw. Rüstungen, die zur Verschleierung der Identität des Ritters dienen, und weniger die Körperfarben als solche. Ein Beispiel für die Unkenntlichkeit des Helden aufgrund einer veränderten Körperfarbe wurde bereits am Tristan aus dem Roman Gottfrieds von Straßburg in Kapitel 4.2. bearbeitet. Auch hier fungiert die Farbveränderung letztlich als Mittel der Identitätsverschleierung Tristans am irischen Königshof, sie wird aber durch eine vergiftete Kampfwunde ausgelöst und stellt folglich nur in zweiter Instanz ein willentliches „Versteck-Spiel“ mithilfe von Farben dar. 1
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5.1 Tristrant – Eilharts von Oberg Tristrant Die ritterlich-höfische Gesellschaft bedient sich, wie bereits in Kapitel 2.3. ausgeführt, des Zeichensystems der Kleidung, um ihre Identität zu modellieren.3 Diese Bedeutung ist auch für die höfische Literatur zu konstatieren. Kleidung dient als visuelles Zeichen von Identität, da sie sowohl als Substitut als auch als Maske einer Person fungieren kann. Im Umkehrschluss ist es daher möglich, mit bewusst unangemessener oder tarnender Kleidung die eigene Identität zu verschleiern, sich unkenntlich zu machen oder sich als jemand anderes auszugeben. Das vestimentäre Dispositiv der Verkleidung4, so die These, verhandelt dadurch unmittelbar eine Identitätsproblematik, die im höfischen Roman in Form eines Farbwechsels realisiert bzw. über einen solchen visualisiert werden kann. Farbe wird an diesen Stellen zum visuell wahrnehmbaren Ausdruck eines Identitätskonflikts. Ingrid Hahn beschreibt in ihrem Aufsatz zur Theorie der Personenerkenntnis die menschliche Person (und damit auch die literarische Figur) als interpretatorische Aufgabe zwischenmenschlichen Erkennens.5 Das Mittelalter, so Hahn, schätze die Möglichkeit, sich den Augen eines Gegenübers über sichtbare Zeichen an Körper und Kleidung mitzuteilen, bzw. das Wesen einer Person durch charakteristische, sichtbare Zeichen darzustellen, als Mittel der Kommunikation. Die physische Gestalt eines Menschen, dessen Kleidung und sonstige Ausstattung, die Art seiner Haltung und Bewegung haben folglich hohes Zeichenpotential und dienen der Identifikation einer Person.6 Nun sind diese Zeichen aber nicht immer eindeutig zu lesen und zu verstehen, denn sie können – ob wissentlich oder ungewollt – durch ein Missverhältnis von Außen und Innen, einer Opposition von Zeichen und Inhalt, zu falschen Annahmen führen. Bei der bewussten Opposition von Außen und Innen werden, so Hahn, die die Imponderabilien des Personenganzen systematisierenden Innen-Außen-Bezüge vom Sinn her in ihr Gegenteil verkehrt, und das durch die bewusste Verdeckung des Seins zum Zwecke einer Täuschung.7 Körper und Kleid wie auch Ausdrucksgebärde, sonst Anhaltspunkte für sicheres Erkennen einer Person, – insofern man ihren Zeichenwert kennt – werden im Falle der Täuschung und
So auch Peter von Moos: Kleidung repräsentiere nicht nur Identität, sie sei vielmehr Identität. Insofern sie auf den Träger einwirke, Haltung und Gang modelliere, sei sie mehr als nur Schmuck oder Dekor, sie sei eine zweite Haut, oder der „Körper des Körpers“. (Vgl. Peter von Moos: (2004): Das mittelalterliche Kleid als Identitätssymbol und Identifikationsmittel. In: Peter von Moos (Hg.): Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft. Köln: Böhlau (Norm und Struktur, Bd. 23), S. 123–146, hier S. 135.) 4 Vgl. Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 25. Kraß unterscheidet zwischen drei Typen der Verkleidung: Maskerade (Spiel mit der ständischen Identität), Travestie (Spiel mit geschlechtlicher Identität) und Kleidertausch (Spiel mit der personalen Identität). 5 Hahn (1977): Theorie der Personenerkenntnis, S. 395ff. 6 Zum Kleid als Identifikationsmittel Peter von Moos: (2004): Das mittelalterliche Kleid, S. 130ff. 7 Vgl. Hahn (1977), Personenerkenntnis, S. 407. 3
Tristrant – Eilharts von Oberg Tristrant
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Verkleidung bewusst verfälscht, was ein Spiel mit der sozialen Identität ermöglicht.8 Dieses Spiel, so Edith Feistner, habe ambivalenten Charakter: „Verkleidung ist ein Spiel mit zwei Gesichtern: Sie kann Realitätszwänge aufheben und befreiend wirken, andererseits aber auch eine Doppelbödigkeit von Sein und Schein inszenieren, die zutiefst irritiert.“9 Diese für die höfische Welt durchaus gefährliche Doppelbödigkeit entsteht mitunter über eine Veränderung der den jeweiligen Figuren zugeordneten Farben an Kleidung und Rüstung. Solche Fälle werden in der höfischen Literatur häufig dargestellt, ein Paradebeispiel für das Spiel mit Verkleidungen und der Vortäuschung verschiedener Identitäten stellen die höfischen Tristanromane und auch der Tristrant-Roman dar. Gottfrieds Tristan und Eilharts Tristrant thematisieren, so Kraß, den Zusammenhang von Identität und Maskerade besonders intensiv.10 Beide Autoren „verknüpfen die Frage nach der Identität Tristans eng mit dem Wesen der Tristanliebe, die sich nur unter der Bedingung der Maskerade zu verwirklichen vermag.“11 Die Maskerade ist somit vornehmliches Zeichen der Tristanidentität.12 Tristan/Tristrant und auch seine Begleiter nehmen mehrfach Verkleidungsrollen an, in denen es ihnen ermöglicht wird, „ihre ständische Bindung vorübergehend außer Kraft [zu] setzen, um Ziele zu erreichen, die im Rahmen der gegebenen Gesellschaftsordnung nicht oder nicht ohne Komplikationen realisierbar sind.“13 Im Tristan/Tristrant-Roman tritt Verkleidung als List auf, welche auch gegen den Widerstand der Hofgesellschaft die ehebrecherische Liebe ermöglicht. Dabei bedienen sich die Romane literarisch stereotyp vorgeprägter sozialer Rollen wie die des Aussätzigen, des Narren, des Pilgers, des Kaufmanns oder des Spielmanns.14 Diese typischen Verkleidungsrollen, so Kraß, zeich In allen Bereichen, bei Gestalt, Kleid und Gebärde können die Zeichen aber auch ohne Täuschungsvorhaben fehlgedeutet werden. Vgl. Hahn (1977): Personenerkenntnis, S. 432. 9 Feistner, Edith (1996): Rollenspiel und Figurenidentität. Zum Motiv der Verkleidung in der mittelalterlichen Literatur. In: GRM (46), S. 257–269, hier S. 257. Auch Wenzel (2004: Der unfeste Held) verweist auf die Chancen, aber auch die Gefährdungen, die durch eine Täuschung, eine nicht mehr bestehende Korrespondenz zwischen Schein und Sein, innerer Qualität und äußerer Erscheinungsform, entstehen, und die „eine zentrale Unsicherheit der erzählenden Dichtung ebenso wie der eher explizierenden, didaktischen Literatur“ darstellen. (S. 182) 10 Auch die beiden Fortsetzungen des Tristan-Romans Gottfrieds, verfasst von Ulrich von Türheim und Heinrich von Freiberg, beschreiben Verkleidungsepisoden, in denen Tristan sich mithilfe von Kleidung in spezifisch beschriebener Farbigkeit und auch durch eine Veränderung seiner Hautfarbe durch eine Zaubersalbe als Narr und Aussätziger tarnt, um Isolde aufsuchen zu können. 11 Kraß (2006) Geschriebene Kleider, S. 243. 12 Vgl. Kraß (2006) Geschriebene Kleider, S. 253. Auch Horst Wenzel (2004): Der unfeste Held, S. 176ff.; nennt Tristan als einen Helden, der sich in allen europäischen Versionen des Stoffes als großer Verwandlungskünstler erweist und sich durch die gewollte Nicht-Identifizierbarkeit immer wieder souverän selbst behauptet. Dies mache Tristan zu einem „unfesten Helden“, was positive wie auch negative Folgen nach sich ziehe. 13 Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 253. 14 „Das Repertoire der in der höfischen Epik begegnenden Verkleidungsrollen ist begrenzt. Wenn sich ein Ritter verkleidet, wahrt er die fixen Standesgrenzen zum Kleriker und zum Bauern.“ [Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 237]. 8
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nen sich vor allem durch soziale Mobilität und soziale Marginalität aus, was bestimmte Handlungsoptionen eröffnet.15 Weiterhin werden diese Rollen bereits durch einfach zu fingierende Körper- und Kleidungsmerkmale ausgewiesen. Wichtiger Teil dieser die Rollen ausweisenden Merkmale sind die Farben, die den jeweiligen Gruppen üblicherweise zugewiesen werden und derer sich die Helden bedienen, um in die Verkleidungsrollen zu schlüpfen, so zum Beispiel das typische Grau des Pilgergewandes oder die Rot-GelbKombination der Spielmannskleidung. Diese Farbigkeit erweist sich dabei als ein nicht unproblematischer Faktor, denn sie ist ein machtvolles Merkmal sozialer und personaler Identifikation. Ich werde mich im Folgenden exemplarisch auf die Pilgerverkleidung im Tristrant Eilharts von Oberg beziehen, an der besonders deutlich wird, welchen Stellenwert die Farbe im Spiel mit den Identitäten einnimmt und die nur im Werk Eilharts in dieser Ausgestaltung zu finden ist.16 Tristrant tritt in den Rückkehrabenteuern in vier verschiedenen Verkleidungen auf: als Aussätziger, Pilger, Spielmann und Narr.17 Nachdem er in der Verkleidung als Aussätziger von Isalde aufgrund einer Verwechslung zurückgewiesen wurde, hat er sie erzürnt über ein Jahr lang gemieden. Nun aber zeigt Isalde Reue, und Tristrant beschließt, seine Geliebte erneut aufzusuchen. Dafür wählt er für sich und seinen Begleiter Kurneval die Kraß verweist darauf, dass in der Forschung vor allem durch Jan-Dirk Müller diese ständisch degradierenden Verkleidungen als Zeichen einer fortschreitenden Dekonstruktion des Helden gelesen werden. Diese Position ist allerdings umstritten. [Vgl. dazu Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 244.]. 16 Auch im Tristan Gottfrieds von Straßburg nutzt der Held die Verkleidung als Pilger, jedoch unter völlig anderen Vorzeichen, nämlich um Isolde bei der Täuschung beim Gottesurteil zu helfen. Diese Pilgertarnung zeichnet sich bei Gottfried nicht nur durch veränderte Kleidung aus, sondern auch durch eine Entstellung und Verfärbung des Gesichts: Nu diz geschach. Tristan kam dar / in pilgerînes waete. / sîn antlütze er haete / misseverwet unde geswellet, / lîp unde wât verstellet. [Tr, V. 15560– 15564] (Das geschah. Tristan kam dorthin im Gewand eines Pilgers. Sein Gesicht hatte er verfärbt und aufgedunsen, sein Aussehen und seine Kleidung verändert.) Ein Spiel mit den Kleidungsfarben und die Gefahr der Enttarnung über ein farbiges Zeichen bestehen hier nicht. Das verfärbte Gesicht wiederum gehört bei Eilhart nicht zur Pilgerverkleidung, hier ist es alleine das Gewand, über welches die Rolle angenommen wird. Insgesamt, darauf weist Anette Sosna hin [Sosna (2003): Fiktionale Identität], sind zwar auch in Gottfrieds Tristan vorgetäuschte Rollen und Identitätswechsel ein dominantes Merkmal der Figurenidentität des Protagonisten, jedoch entsprächen Verkleidungen im Sinne von Kostümierung wie im Falle des Pilgers nicht den üblichen „verbalen Masken“ Tristans, den vorrangig über Worte erzeugten Verstellungen z.B. als Kaufmann oder Spielmann. Vielmehr sei diese von Isolde erdachte List für den Zweck des Gottesurteils „zwar pragmatisch, verglichen mit Tristans früherem Täuschungsverhalten jedoch atypisch.“ (S. 265) 17 Diese Verkleidungsepisoden zählen zu den Rückkehrabenteuern nach dem Nachlassen der Wirkung des Liebestrankes und treten in schneller Abfolge hintereinander auf. Vor dem Liebestrank sind zwei weitere Verkleidungsepisoden situiert, die aber völlig anders motiviert sind: sie gehören zum literarischen Schema der gefährlichen Brautwerbung (vgl. Feistner [1996]: Rollenspiel, S. 258). Im Moment des Einsetzens des Liebestrankes, so Feistner, werde aber das Brautwerbungsschema im Tristrant invertiert, da Tristrant nun dem eigenen Hof in Form des feindlichen Liebhabers gegenüber stehe, ihm aber zugleich eng verbunden bleibe. Die Verkleidungsepisoden dienen im Folgenden dazu, seine Liebe zu Isalde ausleben zu können. 15
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Maskerade des armen Pilgers: Er zieht graw claider [TI, V. 7685] (graue Kleider) und främde schuoch [TI, V. 7686] (ungewohnte Schuhe) an, greift zu Pilgerstab und Wandertasche.18 Es gelingt Tristrant so auch, in Cornwall ein Stelldichein mit Isalde zu verabreden. Als der Ritter schließlich wieder in Pilgerverkleidung heimlich verschwinden will, gerät er aber auf den Lagerplatz des Markegefolges, wo Turnierspiele stattfinden. Ein befreundeter Ritter nötigt Tristrant, nachdem er ihn erkannt hat (woran wird nicht spezifiziert), am Turnier teilzunehmen. Es entsteht eine gefährliche Situation für den getarnten Ritter, denn mehrfach ist es speziell der Aspekt der Farbe, der ihn zu verraten droht. Es ist vor allem die Inkongruenz von Außen und Innen, vom unhöfischen Äußeren des vermeintlichen Pilgers und den ritterlichen Fähigkeiten des Mannes, die Aufsehen erregt; es kommt zu einer Situation, in der „personale Identität und gesellschaftliche Erwartung konfligieren, anstatt einander wechselseitig zu repräsentieren.“19 Dieser Widerspruch wird durch einen intensiven Farbeffekt inszeniert und noch verstärkt: Beim Sprung über einen Graben zerreißt die Hose von Tristrants Pilgergewand und darunter blitzt Scharlachrot hervor: dz im zuo der zÿt dú graw hoß zerbrach und man im dar durch sach scharlach an haben. [TI, V. 8037–40] ([…] daß seine graue Hose zerriß und man sehen konnte, daß er darunter scharlachrote Kleidung trug.)
Und als sei dies in seiner farbigen Signalwirkung noch nicht irritierend genug, wird der Vorfall von Eilhart symbolträchtig gedoppelt: Beim anschließenden Steinwurf zerreißt diesmal der graue Rock und lässt erneut die Scharlachfarbe aufblitzen: von unglück aber kam daß im der graw rock zerraÿß, dar durch man aber, got wol waist, sach scharlach schinen. [TI, V. 8049–52] (Unglücklicherweise zerriß dabei sein grauer Rock, so daß man dazwischen erneut – Gott weiß es wohl! – Scharlach hindurchleuchten sah.)
Die Farbe, die hier metonymisch für ein scharlachrotes, höfisches Gewand verwendet ist, wird zum verräterischen Indiz.20 Und obwohl niemand aus dem Publikum den Fremden so schier do der maӱ kam, / Trӱstrant graw claider nam / an sich und främde schuoch, / stab und täsch dar zuo, / alß ob er wär ain bilgerin. / ouch klaite sich der knabe sin / Kurnewal im wol geliche. [TI, V. 7684–90] (Sobald der Mai gekommen war, zog Tristrant graue Kleider und ungewohnte Schuhe an. Auch griff er zu Stab und Ranzen, als sei er ein Pilgersmann. Sein Knappe Kurneval kleidete sich genauso wie sein Herr.) 19 Feistner (1996): Rollenspiel, S. 257. 20 So auch Peter von Moos: „Das Zeichen Kleid kann entweder als Ausdruck oder Verkündung einer mehr oder weniger bewußten Botschaft über personale Identität benützt werden, oder aber es zeigt, 18
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bezüglich seiner Identität befragt, brennt sich der Vorfall – und vor allem die Farbe – in ihr Gedächtnis ein. So sind es wohl gleichwertig die Erzählungen von den überraschenden Fähigkeiten des Pilgers wie auch von der auffälligen scharlachroten Färbung der golddurchwirkten Unterkleider21, die König Marke später rückblickend seinen Rivalen Tristrant enttarnen lassen: an Trӱstranden er gedavcht / und sprach: „Trӱstrand havt eß getavn“ [TI, V. 8075f.] (Sogleich kam ihm Tristrant in den Sinn, und er sprach „Das hat Tristrant getan!“) Das Scharlachrot, mit dem die Monochromie der grauen Pilgerverkleidung durchbrochen wird, ist, wie bereits im Abschnitt zur höfischen Kleidung ausgeführt, eine der bevorzugten Farben der adeligen Gesellschaft und somit Zeichen gesellschaftlicher Auszeichnung. Intensiv rot gefärbter Kleiderstoff, hier sogar noch golddurchwoben, ist kostspielig und so Ausweis eines gewissen Wohlhabens. Die Farbe Rot dient an dieser Stelle als unübersehbarer Hinweis und Symbol für Tristrants höfische Abkunft, in ihrer Zeichenfunktion weist sie einen Umstand, den der Held zu verbergen sucht, trotz aller Bemühungen deutlich nach außen hin aus und wird zu einem irritierenden Faktor, den die Betrachter auch als solchen verstehen. Die Farbe Rot erfüllt mithin ihre soziale, ordnungsstiftende Funktion trotz aller Gegenbemühungen. Tristrant werde damit, so Feistner, in Bezug auf die Relation zwischen Figurenidentität und der durch die Verkleidung adaptierten Rolle kenntlich als Vertreter des Typus der Rollendistanz.22 Seine tatsächliche Figurenidentität werde gerade durch den Kontrast zur Verkleidung besonders markant konturiert, insbesondere an den Stellen, an denen er seine spezifische Identität als Liebender gegen die eigene Gesellschaft zu wahren suche. Der Kontrast zwischen der Verkleidung und der Figurenidentität wird in Form eines Farbeffekts durch das Aufblitzen des Rots, welches hier Tristrants höfische Identität repräsentiert, durch die Askese- und bzw. verrät sich eine Identität nolens volens durch das Indiz Kleid.“ (von Moos (2004): Das mittelalterliche Kleid, S. 127.) Der Aspekt der Verkleidung, so von Moos weiter, ziehe als episodisch geheime Kodierung Aufmerksamkeit auf sich und rufe so die Signalfunktion der Bekleidung erst recht ins Bewusstsein. (Vgl. S. 133) 21 deß aubenß do der künig kam / und daß mär vernam / waß da wunderß wz geschechen / wie der bilgrin waß gesenchen, / der eß getan habt, / und man im ovch sagt, / daß man sech schinen / durch den gravwen rock sinen / scharlach durchhovwen [TI, V. 8062–8070] (Als am Abend der König eintraf, vernahm er, was für wunderbare Taten von einem Pilger vollbracht worden waren. Ferner wurde ihm berichtet, man hätte durch seinen grauen Rock scharlachrote, golddurchwirkte Kleider schimmern sehen.) 22 Feistner unterscheidet zwischen drei Typen dieser Relation: 1) Typ der Rollendistanz, 2) Typ der Rollenassimilation und 3) Typ der Rollenidentifikation. [Vgl. Feister (1996): Rollenspiel, S. 262] Sie versteht Tristrant in seiner Rollendistanz als Versinnbildlichung des modernen, „selbstbewussten“ (in Sinne von Sich-seiner-Selbst-bewussten) Menschen, einer Figur, die sich der Schematisierung anhand des inklusiven Individualitätsbegriffs, den Niklas Luhmann für das Mittelalter annimmt, entzieht, indem er sich von der Gesellschaft distanziert. Vgl. Feister (1996): Rollenspiel, S. 262; zum inklusiven Individualitätsbegriff Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur, hier das Kapitel „Individuum, Individualität, Individualismus, S. 149–258; zum Begriff der Rollendistanz auch Jauß (1979): Soziologischer und ästhetischer Rollenbegriff und Luckmann (1979): Persönliche Identität.
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Demutsfarbe Grau23 hindurch hervorgehoben. Über den sozialen Ausweisfaktor hinaus aber steht Rot, so die These, in der Farbsymbolik des Romans Eilharts vorrangig für den höfischen Tristrant in seiner Rolle als Liebender. Tristrant wird nach dem Drachenkampf von Isalde mit Gewändern aus rotem Samt ausgestattet: sú [Isalde, C.O.] hieß nun dar tragen núw claider von sämit rovt – Brangenen sú dem helden bovt – und befalch in in ir huot. [TI, V. 2056–59] (Sie ließ für Tristrant neue Gewänder aus purpurnem Samt herbeibringen, und nachdem Brangene sie ihm überreicht hatte, befahl sie ihn ihrer Obhut an.)
Dies sind die ersten Gewänder Tristrants, die erwähnt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden sonst nur seine Ausstattungsgegenstände näher beschrieben. Die Signalfarbe Rot der kostbaren Gewänder darf hier als Farbe der Vorausdeutung auf die aufflammende Liebe Tristrants und Isaldes verstanden werden.24 Eilhart, so die Erkenntnis Andreas Kraß’, setze hier nicht einsinnig die Farbsymbolik „Rot steht für Liebe“ ein, sondern er bereite einen komplexeren Farbencode vor, der in den Verkleidungsepisoden immer wieder aufgegriffen wird und als Hinweis auf die verbotene und verdeckte Liebe Tristrants und Isaldes fungiert: Eilhart inszeniert die Rückgewinnung der Gunst Isaldes in den Rückkehrabenteuern „mit den semiotischen Mitteln der Raum- und Farbsymbolik.“25 Zwar verliert Tristrant die ihm von Isalde überreichten Kleider nach der Waldlebenepisode, doch wird gerade die rote Kleidung später wieder als Rekurs und als unleugbarer Hinweis auf die verbotene Liebesbeziehung in den Rückkehrabenteuern eingesetzt. Über die Farbe wird Tristrants Anspruch auf Isalde sichtbar zum Ausdruck gebracht. „Jede Maskerade Tristrants ist eine Lüge, denn sie täuscht eine falsche soziale Identität vor; zugleich birgt jede Verkleidung insofern eine Wahrheit, als sie den jeweiligen Status seiner Liebe, des Zentrums seiner Identität sichtbar macht.“26 Das aufscheinende Rot der Scharlachkleider Grau ist eine übliche Farbe für Pilgerkleidung. Angelehnt ist sie an die Farbe der Mönchskleidung, welche entweder schwarz, was aufgrund der eingeschränkten Färbeverfahren aber tatsächlich eher grau, braun oder bläulich war, oder auch weiß sein konnte. [Vgl. dazu Pastoureau (2009): Black, S. 65] Grau gilt, wie mitunter auch Schwarz, als Zeichen der Abwendung von der Welt, von Demut, Askese, Buße oder Trauer. [Dazu: Pleij (2004): Colors Demonic and Divine, S. 6. und Meier/Suntrup (2011): Lexikon der Farbendeutungen, Art. lividus/livor, S. 495–500] Weiterhin repräsentiert Grau den Aspekt des Ärmlichen, Einfachen, wird es als Kleiderfarbe sonst doch den nicht-adeligen Bevölkerungsteilen zugewiesen. Damit ist Grau zwar eine mindere, aber keine verwerfliche Farbe. [Vgl. auch Wackernagel (1872): Farben- und Blumensprache, S. 240] Gleichzeitig kann Grau, ad malam partem ausgedeutet, auch auf Betrug oder Täuschung, auf Falschheit verweisen [vgl. Meier/Suntrup (2011): Lexikon der Farbendeutungen, Art. griseus/subgriseus, S. 447f.] Das Altersgrau canus wiederum hat überwiegend positive Konnotationen wie Weisheit und Reife, kann aber auch den Verlust von Jugendlichkeit bedeuten. [Dies., Art. canus, S. 323–325] 24 So auch Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 245f. 25 Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 249. 26 Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 250f. 23
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unter dem grauen Pilgergewand, so die Schlussfolgerung, ist somit nicht allein Ausweis der wahren sozialen Identität Tristrants, es ist ebenfalls Zeichen der unverloschenen und weiterhin die höfische Gesellschaft gefährdenden Liebe zu Isalde, das hier in einem irritierenden Farbeffekt aufscheint.27 Auch in der darauffolgenden Verkleidungsepisode mit Tristrant als Spielmann28 bedient sich der Held der farbigen Kleidung, um seine Identität zu verschleiern, und erneut ist es das symbolträchtige Rot in seiner Funktion als Liebesausweis29, das zum Einsatz kommt, diesmal gepaart mit intensivem Gelb, einer Farbe, die an Kleidung vorrangig negativ ausgelegt wird, unter anderem mit der Bedeutung von Kummer, Begehrlichkeit, Hunger und Tod, Neid und Zorn, aber auch der Täuschung, Verleumdung und List30, in der Systematik der Minnefarben aber vor allem die Bedeutung von erfüllter, gewährter Liebe trägt.31 Diese Kombination von Rot und Gelb identifiziert Mertens als übliches Farbmuster zum Ausweis eines fahrenden Spielmannes. Die Farbkombination weise auf ein „Ausgesondertsein aus aller bestehenden ständischen Gliederung“32 hin – einen Status, Auf den ambivalenten Charakter des Rot weisen auch die damit verknüpften bibelallgeorischen Auslegungstraditionen, so kann Rot ad malam partem auf Sünde, Weltlichkeit, Teufel und Verdammnis, über die Kleidung u.a. der Hure Babylon auf die Eitelkeit des Irdischen, Fleischlichen und den Hochmut verweisen [Vgl. Meier/Suntrup (2011): Lexikon der Farbenbedeutungen, S. 625]. 28 do schuoffen die junglinge / mit all irem gebärn / und mit claidern, alß ob sye wern / zwen varend knaben. / zwo rott kurz kappen / truogen die garzöne. / in wavren die schapperune / gefüttert mit gelben friczale. [TI, V. 8453–8460] (Die beiden Jünglinge hielten sich nach Benehmen und Kleidung so, als seien sie zwei fahrende Leute. Die beiden Knappen trugen zwei kurze [rote, C.O.], mit Kapuzen versehenen [sic!] Mäntel, die mit kostbarem gelbem Stoff gefüttert waren.) Die rotgelben Kapuzenmäntel werden hier besonders deutlich als Identifikationsmerkmale Tristrants und Kurnevals genutzt, indem Isalde später zwei Männer mit gleich aussehenden Mänteln ausstattet [TI, V. 8646–8651, V. 8703–8706], die sich an Tristrants Statt von Markes Männern gefangen nehmen lassen und somit dem Helden erneut die Flucht ermöglichen. Aufgrund der gleich gefärbten Mäntel werden die beiden Männer auch ohne Probleme als Tristrant und Kurneval wahrgenommen: und [Antret zu Marke, C.O.] sagt: „die knaben / truogen zwo sölich kappen / die zwen, die ich jagte; / do sӱe die flucht hapten, / do wond ich, eß wär Trӱstrand.“ [TI, V. 8770–8774] (Und er fügte hinzu: „Die Burschen trugen dieselben Mäntel wie jene zwei, die ich gejagt habe. Als sie sich zur Flucht wandten, meinte ich, es wäre Tristrant.“) Die Verkleidung erweist sich als sehr effektiv. 29 Rot steht im höfischen Minnefarbensystem vorrangig für die brennende Liebe, oder auch negativ konnotiert für das Leiden an der Liebe. Vgl. dazu Brügel (2008): Farben in mittelalterlichen Minnereden. 30 Vgl. Pleij (2004): Colors Demonic and Divine, S. 77. „In literature, the color yellow is used to typify ugliness, untrustworthiness, and betrayal.” (S. 79), weiterhin Mertens (1983): Mi-Parti, S. 58, und Wackernagel (1872): Farben- und Blumensprache, S. 167; S. 239 sowie Meier/Suntrup (2011): Lexikon der Farbenbedeutungen, S. 500: Blasses Gelb (luridus) verweise als allegorisches Zeichen auf Neid, während Safrangelb (croceus, crocinus) hauptsächlich positiv ausgelegt wird (S. 374–378). 31 Vgl. Brügel (2008): Farben in mittelalterlichen Minnereden. Gelb stehe in den Minnereden für die gewährte Liebe, deren Zeichen aufgrund der Geheimhaltung der Liebe nicht nach außen sichtbar getragen werden soll. Vor dem Tragen gelber Kleidung wird daher ausdrücklich gewarnt. 32 Mertens (1983): Mi-Parti, S. 12. Die Spielmannkleidung, so Mertens weiter, stehe auch in engem Zusammenhang mit dem Narrenkostüm, bei welchem die Farben Gelb, Rot und Grün überaus häufig 27
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den sich Tristrant mithilfe der Verkleidungsrolle zeitweilig aneignet. Deutlich verweist sie an dieser Stelle des Romans aber auch über die Bedeutungen im Minnefarbensystem auf die immer noch bestehende, glühende und auch körperlich erfüllte Liebe der beiden Protagonisten, die in ihrer ehebrecherischen Natur einen gefährdenden, destabilisierenden Effekt auf die höfische Gesellschaft ausübt. Man erkennt rückblickend entlang der Verkleidungsepisoden deutlich ein sich in seiner Intensität steigerndes Farbschema, welches sich vor allem im Gebrauch von Rot manifestiert. Bei Tristrant, so stellt auch Kraß fest, tritt seine Identität als Liebender vor allem in dieser Farbe, die ihn seit der Einkleidung durch Isalde auszeichnet, immer wieder visuell hervor33: Als Aussätziger trägt er nur eine zerrissene Kutte, als Pilger unter der grauen, unritterlichen Verkleidung bereits ein rotes Gewand, das immer wieder sichtbar wird, gegen seinen Willen hervorbricht, als Spielmann schließlich Kleider in den auffälligen und bezüglich der Minnesymbolik eindeutig besetzten Signalfarben Rot und Gelb, eine offensichtliche Herausforderung. Die im Anschluss an die Spielmann-Episode gewählte Narrenverkleidung zeichnet sich hingegen vor allem durch spektakuläre Hässlichkeit aus34, hier wird das Spiel mit den Farben abschließend zugunsten eines Wandels ins Monströse aufgegeben.35 In dieser Tristrants höfische Schönheit destruierenden Verkleidung, die vor allem auf den Auswirkungen einer beinahe tödlichen Verletzung basiert, wird bereits das tragische Ende der Liebenden vorausgedeutet. Die Kleidung und ihre Farben scheinen den auftreten. Im Falle des Narren weisen Rot und Gelb in Kombination auf eine nicht-ehrenhafte Natur des Trägers hin. Auch diese Konnotation kann bis zu einem gewissen Grad auf Tristrant übertragen werden, macht er sich in der Spielmannsverkleidung doch erneut des Ehebruchs mit Isalde schuldig. 33 Vgl. Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 249. 34 Mit geschorenem Kopf und durch Krankheit entstelltem Gesicht ist Tristrant nahezu unkenntlich geworden: sin schön hett er verlorn / und hett ain sölich gestelnuß / daß dz waß gewӱß, / deß in wenig jeman kant. [TI, V. 8881–84] (All seine Mannesschönheit hatte er eingebüßt, und seine Gestalt war völlig verändert. Man konnte sicher sein, daß niemand ihn wiedererkennen würde.) Diesen Umstand nutzend verkleidet er sich mit Kapuzenrock und Keule als Narr und kann so unerkannt an den Hof von Tintajol gelangen. Farben werden in dieser Verkleidungsepisode nicht erwähnt. Anders hingegen bei den beiden Fortsetzern des Tristan-Romans Gottfrieds: Heinrich von Freiberg [Heinrich von Freiberg (1993): Tristan und Isolde] beschreibt die Narrenverkleidung mit einem Verblassen der Gesichtsfarbe [Heinrichs Tristan, V. 5104] und einem bleichen, hageren Antlitz [Heinrichs Tristan, V. 5110], sowie Narrenkleidung aus grauem Tuch, besetzt mit roten Narrenbildern [Heinrichs Tristan, V. 5133–39]. Ulrich von Türheim [hier zitiert nach: Ulrich von Türheim (1994): Tristan und Isolde. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch (Fortsetzung des Tristan-Romans Gottfrieds von Straßburg). Hrsg. v. Wolfgang Spiewok in Zusammenarbeit mit Danielle Buschinger. Originaltext nach der Heidelberger Hs. Pal. Germ. 360, Versübersetzung und Einleitung. Greifswald: Reineke-Verlag.] schildert eine Tarnung als Aussätziger mithilfe einer Salbe, die Tristans Gesichtsfarbe auslöscht [Ulrichs Tristan, V. 2235–37], dazu einen Knappenrock in Rot [Ulrichs Tristan, V. 2286–88]; später erwähnt er noch eine Narrenverkleidung mit einem grauen Rock [Ulrichs Tristan, V. 2507–2513]. Die Verkleidungsvariationen bei beiden Autoren sind dominiert von Rot und Grau in Kontrast oder Kombination. 35 Vgl. Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 252. Gerade diese Narrenverkleidung dient in der Forschung immer wieder als Ausweis für die allmähliche Dekonstruktion der Heldenidentität Tristrants.
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Entwicklungsprozess der Liebesbeziehung in einzelnen Stadien zu repräsentieren: Die Verkleidung als Aussätziger steht für das Verkennen der Liebe und die zeitweilige Entzweiung nach dem Nachlassen des Minnetrankes, die Pilgerverkleidung für die immer präsente Gefahr der Enttarnung. Die farbenfrohe Spielmannsverkleidung erinnert mit ihren Reminiszenzen an eine Existenz außerhalb der höfischen Gesellschaft an das entbehrungsreiche, aber doch erfüllende Waldleben der Liebenden. Die entstellende Narrenverkleidung schlussendlich deutet bereits auf den Tod der Protagonisten hin. Damit spiegelt die Verwendung der Farben, insbesondere des Rots an der Kleidung Tristrants in ihren Abstufungen und ihrem endgültigen Verschwinden auch den Handlungsverlauf des Romans wieder.
5.2 Lanzelet – Ulrichs von Zatzikhoven Lanzelet Wie über die Farben der Kleidung kann aber auch über die Rüstung eines Ritters Identität vermittelt und kommuniziert werden.36 Farben spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Beschreibungen von Waffen, Rüstungen und Reitzeug sind in der höfischen Literatur ebenso häufig und können ebenso ausschweifend sein wie die der Kleidung und des Schmucks.37 Obwohl die Rüstung in erster Linie den Schutz des Körpers im Kampf gewährleisten soll, finden sich auch an ihr Schmuckanteile wie die Helmzier (zimierde), die Bemalung des Schildes, das Verzieren von Waffenrock und Pferdedecke und das Anbringen bunter Wimpel (baniere) an den Lanzen, die in ihrer Farbenpracht die Funktion von Waffen und Rüstung als eine ebenso repräsentative, gesellschaftliche wie auch eine militärische erkennen lassen.38 Den Farben der Ausrüstung und den Wappen kommt bei der Identifikation eines Ritters große Bedeutung zu, insbesondere, wenn dieser voll gerüstet ist und somit sein Gesicht durch die Gesichtsblende des Helms zum Teil verborgen wird. Vor allem der Helm ist, zusammen mit dem Schild, Träger heraldischer Zeichen, wobei der Helmschmuck oft das Wappenzeichen und dessen Farben wiederholt.39 Auch die Schilde werden als außen und innen bunt bemalt beschrieben. Ab der Mitte des 12. Jahrhunderts entsteht so allmählich das Erkennungszeichen des Ritters auf Schild Zu den einzelnen Bestandteilen der höfischen Rüstung und der Pferdeausstattung sei hier auf Bumke (1986): Höfische Kultur, S. 210–240 und Lehmann-Langholz (1985): Kleiderkritik, S. 55–67 verwiesen. 37 Kraß (2006: Geschriebene Kleider) spricht in Bezug auf die nachklassischen Artusromane, insbesondere auf den Wigalois, von einer Akzentverschiebung von der Kleidung auf die Rüstung des Protagonisten, was für eine zunehmende Geschlechterdifferenzierung spreche. Kleidung und Einkleidungsszenen würden weiblich codiert und somit zu Domäne der Frau erhoben, die Rüstung hingegen bleibe den Männern vorbehalten. (Vgl. S. 138). 38 Vgl. Bumke (1986): Höfische Kultur, S. 222. 39 Neben dem Glanz der Helme, den die Dichter immer wieder betonen, und Verzierungen mit Edelsteinen, Gold und farbigen Tüchern sticht besonders die figürliche Helmzier heraus, die of bunt bemalt oder vergoldet ist. Erec z.B. trägt als Helmzier eine goldene Krone mit einem Engel darin [Er, V. 2336–2338], auf Wigalois’ Helm ist ein goldenes Rad dargestellt [Wg, V. 1862–1869]. 36
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und Helm und leitet die Entwicklung der Heraldik, des Wappenwesens, ein. Das Wappen als visuelles Zeichen einer Identität im feudalen System repräsentiert diese über eine Kombination aus Wappenzeichen und Farben, die nach bestimmten Regeln kombiniert werden können.40 Ab etwa 1200 findet man eine gesteigerte Buntheit in den Ritterbeschreibungen.41 Der Gesamteindruck wird noch farbiger, als zum Schmuck von Schild und Helm, Satteldecke und Lanzenfähnlein nun mit Waffenrock und der Pferdedecke (kovertiure) weitere bunte Elemente dazukommen. Der Waffenrock, meist aus farbiger Seide gefertigt, hat eine repräsentative Funktion, genau wie die ebenso bunten und mit Stickereien, Schmuckelementen und Wappendarstellungen versehenen Pferdedecken.42 Auf den Ritterbildern des 13. Jahrhunderts ist das Metall der Rüstung fast vollständig unter buntem Stoff verschwunden. Einen besonders intensiven Effekt hat es, wenn die verschiedenen Teile der Kleidung und Ausrüstung farblich und auch im Bildschmuck aufeinander abgestimmt sind. Entweder werden alle textilen Teile gleichfarbig gehalten oder das Wappenzeichen auf Schild, Waffenrock, Kovertiure und Zimierde wiederholt.43 Den prächtigen Farben der Rüstung und Ausrüstung kommt eine die Identität des Ritters ausweisende Funktion zu. Folgt man Pastoureau44, so werden mit der farbigen Ausstattung des Ritters aber auch zugleich Informationen über seine Absichten, seine Gesinnung und den erwartbaren weiteren Handlungsverlauf insinuiert.45 Die Farbsemantik der Rüstung in Form eines Farbencodes produziert beim textexternen Publikum wie auch bei den Figuren Erwartbarkeiten über den Handlungsverlauf.46 So steht laut Pastou Vgl. zu den heraldischen Farben und den Regeln ihrer Kombinationen: Pastoureau (2009): Black, S. 68–71, speziell zur Wappenkunst als „Bild- und Farbenspenderin für die literarische Darstellung“ (S. 87) und als Leitdisziplin der visuellen Künste: Wandhoff (2000): Der Schild als Bild-Schirm. 41 Neben der allgemeinen Buntheit der Erscheinung eines gewappneten Ritters sticht auch der Glanz der Rüstung hervor. Die Metallteile sollen so poliert sein, dass sie glänzen und leuchtend hell (wîze) erscheinen. Die Rüstungsbeschreibungen werden dominiert vom Eindruck des strahlenden, gleißenden Lichtes, das die Figuren mit einer Art leuchtender Aura umgibt. 42 Vgl. Bumke (1986): Höfische Kultur, S. 223. Ein Paradebeispiel für eine detaillierte Pferdebeschreibung inklusive Reitzeug und Sattel findet sich in Hartmanns Erec bei der Schilderung von Enites Reitpferd [Er, V. 7290–7766]. 43 Beispiele für eine solche farbliche Abstimmung finden sich etwa bei Hartmann bei dem Roten Ritter Mabonagrin [Er, V. 9015–9020], bei dem Roten Ritter Ither im Parzival Wolframs [Parzival, V. 145,15 – 146,3] oder in dem weißen Minneritter Gasozein in der Crône Heinrichs, hier jedoch in abgeschwächter Form, da das Weiß von Hemd, Schild, Lanzenfähnlein und Pferd mit roten und gelben Akzenten kombiniert wird [Kr, V. 3406–3423; V. 3699–3714]. 44 Pastoureau (2009): Black, S. 72ff, ders.: Blue (2001), S. 58ff. 45 „The color of these arms was used by medieval authors to suggest the character of the stranger and to heighten anticipation about the outcome of the battle. A predictable response could be expected from the reader because a chivalric color code recurs in Arthurian romances of the twelfth and thirteenth centuries.“ (Pastoureau: Blue (2001), S. 59.) 46 Vgl. Quast, Bruno (2012): Monochrome Ritter. Über Farbe und Ordnung in höfischen Erzähltexten des Mittelalters. In: Schausten, Monika (Hg.) (2012): Die Farben imaginierter Welten. Zur Kulturgeschichte ihrer Codierung in Literatur und Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Berlin: Akademie Verlag. S. 169–182, hier S. 170. 40
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reau der schwarze Ritter mit einfarbigem Schild für den Unbekannten, der seine Identität zu verbergen sucht. Eine Begegnung mit ihm bedeutet meist Spannung und Abenteuer. Hinter dem schwarzen Ritter verbergen sich oft gut gesinnte Helden von großer Bedeutung, die sich zeitweilig im Turnier oder Zweikampf tarnen wollen. Der schwarze Ritter trägt somit die Konnotation des Geheimnisvollen. Währenddessen sind rote Ritter, so Pastoureau weiter, oft feindselig, böse gesinnt, können dämonische Aspekte beinhalten oder Abgesandte einer anderen Welt sein.47 Ein weißer Ritter ist meistens gut und freundschaftlich gesinnt, eine ältere Figur, ein Vertrauter oder Beschützer des Helden. Ein grüner Ritter ist jung, frisch ernannt, zeigt anmaßendes oder freches Verhalten, er sorgt für Unordnung und kann gut oder feindselig gesinnt sein. Gelbe oder goldene Ritter sind sehr selten, blaue Ritter treten bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts noch nicht auf.48 Allen einfarbigen Rittern gemeinsam ist der Wunsch, nicht erkannt zu werden, nach dem Inkognito.49 Dieses System einer Farbensemantik50, dieser chivalric color code, welchen Pastoureau für die arturischen Romane des 12. und 13. Jahrhunderts annimmt, ist grundlegend nachweisbar, scheint jedoch in dieser einfachen Zuordnung angesichts der Befunde in den Texten zu eng gegriffen. Eine tatsächliche Eindeutigkeit der Farbcodierung, so stellt auch Quast fest51, wird nur in den seltensten Fällen erreicht, wie das folgende Beispiel aus dem Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven zeigt. Vielmehr werden nämlich in diesem Beispiel über das Spiel mit den wechselnden Rüstungsfarben zielgerichtet Unsicherheiten hinsichtlich der Identität und den Absichten des Ritters erzeugt, und zugleich auch bestehende, tiefgreifende identitätsbezogene Unsicherheiten mithilfe des Farbencodes abge Pastoureau unterscheidet weiterhin zwischen verschiedenen Rotvariationen, die zuweilen noch differenziertere Auskunft über die Erwartungen an den jeweiligen „roten Ritter“ geben können: „a vermeil (vermilion) knight is thus of high birth (even while remaining a disturbing character); an affoué (from the Latin affocatus) knight is quick-tempered; a sanglant (bloody) knight is cruel and brings death; a roux (auburn) knight is treacherous and hypocritical.” (Pastoureau (2009): Black, S. 199) 48 Vgl. Pastoureau (2009): Black, S. 73, und ders. (2001): Blue. S. 59. 49 Brault [Brault, Gerard J. (1972): Early Blazon. Heraldic terminology in the twelfth and thirteenth centuries with special reference to Arthurian Literature. Oxford: Oxford University Press]: „Plain arms thereafter became a favourite device in Arthurian literature used whenever an author needs to disguise a character or involve him in a case of mistaken identity.“ (S. 30) 50 Brault (1972): Early Blazon, hier S. 29–35, geht in seiner Arbeit zur heraldischen Terminologie auch auf die Bedeutung des einfarbigen Wappens bzw. der einfarbigen Ausrüstung ein. Brault verweist vor allem auf das Vorkommen des Motivs des einfarbigen, wechselnden Wappens als Werkzeug der Identitätsverschleierung bei Chrétien de Troyes (vgl. S. 30). Während einfarbige Wappen durchaus noch ohne eine implizite Farbsymbolik vorkommen könnten, seien ganz in eine Farbe gekleidete und gewappnete Ritter hingegen immer mit einem Kommentar versehen. Die Kommentierung anhand der Rüstungsfarben erfolge auf der Grundlage von keltischer oder christlicher Farbensymbolik. (vgl. S. 31) Brault erstellt im Folgenden eine Auflistung des Auftretens von schwarzen, grünen, roten, blauen (extrem selten) und goldenen (gelben) Rittern, außerdem von Rittern, die die Schilde und Rüstungen von anderen bekannten Rittern tragen, allerdings nur in Bezug auf französische und englische Quellenliteratur (S. 31–35). 51 Vgl. Quast (2012): Monochrome Ritter, S. 170, und S. 181: „Farben können täuschen. Auf sich aufdrängende Semantisierungen sollte man sich nicht verlassen.“ 47
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bildet. Lanzelet wird von seiner Erzieherin, einer Meerfee, mit einer prunkvoll verzierten Rüstung aus schwanenweißem Stahl, einem Waffenrock, Schwert und einem geschmückten Schild ausgestattet [La, V. 357–374]. Weiterhin erhält er ein Pferd und passendes Reitzeug. Diese Ausrüstung behält der Ritter lange Zeit bei, eine weitere Einkleidung wird nicht erwähnt. Hierin, so Kraß, zeige sich bei Ulrich eine geschlechterspezifische Akzentverschiebung von der Kleidung auf die Rüstung des Protagonisten.52 Lanzelet bekommt keine Einkleidungsszene und keine Kleidungsbeschreibung gewidmet, aber im Verlauf der Handlung mehrere Rüstungsbeschreibungen. Dies verweist bereits auf die besondere Funktion, die der Rüstung im Hinblick auf die Identitätskonstruktion des Helden zukommt, der an dieser Stelle selbst noch über seinen eigenen Namen und seine Identität im Unklaren ist. Die wechselnden Rüstungen und Rüstungsfarben, so mein Verständnis der Szene, begleiten den Helden auf dem Weg der Selbstfindung. In seiner ersten Rüstung kämpft Lanzelet im Zweikampf gegen Walwein, der auf der Suche nach dem hochgelobten, aber namentlich unbekannten Ritter ist [La, V. 2374– 2595]. Da Walwein nun Lanzelets Ausstattung bekannt ist, würde er ihn über diese wiedererkennen. Als der junge Ritter am Turnier von Djofle teilnehmen will, an dem unter anderem auch Artus und seine Ritter beteiligt sind, versucht er daher, ein Wiedererkennen anhand der Rüstung zu verhindern, indem er sich in andere Farben kleidet. Aus farbigen Samtbahnen lässt er Lanzenfähnlein und Decken für sein Pferd fertigen. Weiterhin führt er Schilde in den jeweils passenden Farben und gefärbte Lanzen. So tritt er nacheinander als grüner, weißer und schließlich roter Ritter auf dem Turnier auf. Die Farbwahl fällt zuerst auf Grün: Die Ausstattung umfasst ein Banner aus grünem samît [La, V. 2868] und eine ebensolche Schabracke [La, V. 2870f.], eine Lanze mit grünem Schaft [La, V. 2974] sowie einen grünen kramschilt [La, V. 2872]. Der Erzähler weist das Anlegen dieser Ausstattung als eindeutig durch di unkünde [La, V. 2873] inspiriert aus – Lanzelet will unerkannt bleiben. Er ist nun der vremde helt [La, V. 2886]. In dieser Aufmachung provoziert er das Zusammentreffen mit den Artusrittern. Aus der Beobachterperspektive greift hier auch der von Pastoureau geschilderte Farbencode: Anhand der grünen Rüstung identifiziert Kei (Keie) den fremden Herausforderer als einen gouch [La, V. 2892], einen Tor oder Narr, und einen tumben [La, V. 2897], was Kragl als einen „Dummen“ übersetzt.53 Die grüne Rüstung weist den Fremdling in der Erfahrungswelt der Figuren als Narren, dumm und unerfahren aus, was auch die Erwartungshaltung ihm gegenüber prägt.54 Daher ist man erstaunt, als der grüene ritter [La, V. 2978] Kei und Vgl. Kraß (2006): Geschriebene Kleider, S. 138. Spiewok übersetzt den tumben in der Lanzelet-Ausgabe von 1997 [Ulrich von Zatzikhoven (1997): Lanzelet. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch von Wolfgang Spiewok. Greifswald: Reineke-Verlag.] mit „diesem Milchbart“, was deutlicher auf den Aspekt des jungen und unerfahrenen Ritters verweist. 54 Auf die Auslegung von Grün (viridis) als Wachsendens und Heranreifendes und damit als Jugend in Anlehnung an das Grün der Vegetation verweisen auch Meier/Suntrup (2011): Lexikon der Farbenbedeutungen Art. viridis, S. 802–857. Auch in der Bibelallegorese steht Grün mitunter für Unerfahrenheit, Unreife und einen Zustand des Nicht-Belastbar-Seins. (v.a. S. 812). 52 53
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mehrere andere renommierte Helden vom Pferd sticht. Die über den Farbencode der Rüstung generierten Erwartbarkeiten bezüglich des Handlungsverlaufs haben sich als falsch erwiesen: Die Beobachter stellen fest, dass der grüne Ritter zweifellos die beste Leistung des Tages erbracht hat und niht sô swach [La, V. 2981]55 ist, wie Kei ihn auf der Grundlage seiner Rüstungsfarbe eingeschätzt hat. Das farbensemantische Identifikationsystem, der color code, so die Erkenntnis, wird bewusst eingesetzt, nur um es sofort wieder zu durchkreuzen: Die erwartbare Identifikation ist durch die von Lanzelet sorgfältig über die Farbe inszenierte Täuschung zu seinen Gunsten unterlaufen und ausgenutzt worden. Erst Walwein gelingt es, dem grünen Fremden zumindest teilweise eine Identität zuzuordnen, indem er ihn rückblickend als den Ritter identifiziert, dem er zuvor bereits begegnet ist [La, V. 3018–22]. Der grüne Ritter wird nun mit dem namenlosen Helden gleichgesetzt. Lanzelet aber ändert erneut seine Rüstungsfarbe zu Weiß.56 Der Held, nun der wîze ritter [La, V. 3095], ist sich der Funktionalität seiner Verkleidungen durchaus bewusst und spielt mit den sich daran knüpfenden Erwartungen.57 Der weiße Ritter übertrumpft den grünen noch: Lanzelet wächst „über sich selbst hinaus“ – der wîze ritter dô niht enbeit, / er nam dem grüenen gar daz wort [La, V. 3108f.]. Er schließt sich dem Grafen Ritschart von Tumange an, der große Verluste im Kampf erlitten hat. Mit Lanzelets freundschaftlicher Hilfe gewinnen sie bald die Oberhand. War der grüne Ritter ein Einzelkämpfer, der sich im Zweikampf mit ausgewählten Helden misst, so ist der weiße ein hilfsbereiter Ritter, der sich zugunsten anderer im Kampf an ihrer Seite verpflichtet.58 Somit entspricht Lanzelets Verhalten in der weißen Rüstung erneut dem von Pastoureau beschriebenen Farbenschema, demgemäß der weiße Ritter ein wohlgesonnener, freundschaftlich gestimmter Held ist. Der Autor inszeniert das Verhalten Lanzelets im Turnier und Kampf gemäß der Erwartungshaltung gegenüber der Farbe der Rüstung, er bedient sich hier der impliziten Farbsemantiken. Die Veränderung der Rüstungsfarben hat mithin Einfluss auf das Verhalten des Ritters. Mit dem Erfolg vergrößert sich aber auch das Begehren der anderen Ritter, die Identität des Fremden zu ergründen. Lanzelet vertröstet sie mit vagen Versprechungen.59 Den dritten Turniertag bestreitet Lanzelet abschließend in roter Rüstung.60 Erneut an der Seite Ritscharts und eines weiteren Fürsten wird er in Massenkämpfe verstrickt, die Spiewok übersetzt hier erneut kontextgemäß swach als „unerfahren“. Er nutzt dafür einen schilt wîz [La, V. 3081], ein banier wîz von sîden [La, V. 3083] und einen gleichsam weißen Waffenrock [La, V. 3085], ebenso wie eine weiße Schabracke. 57 „sît nieman weiz, wer ich bin, / sô ist daz harte wol mîn sin, / daz ich mînen gewerp nieman sage.“ [La, V. 3077–79] („Da niemand weiß, wer ich bin, so ist das mein wichtigstes Anliegen, dass ich niemandem mein Vorhaben sage.[“]) 58 ,welt irs iuch niht behêren, / sô lânt mich iuwern gesellen sîn. / ich ziuhe ez ûf die sele mîn, / daz ich iu gern will gestân. / got lâz ez uns ze heil ergân!‘ [La, V. 3160–3163] („Wenn ihr euch dazu nicht zu gut seid, dann lasst mich euer Geselle sein. Ich schwöre bei meiner Seele, dass ich euch gerne beistehen will. Gott möge uns Glück schenken!“) 59 La, V. 3216–3223. 60 Er führt ein banier und einen schilt rôt [La, V. 3270], Schabracke und Waffenrock sind aus mit Gold geschmücktem, rotem Stoff gefertigt [La, V. 3272f.]. Der Erzähler fasst die Farbwechsel der vor55 56
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im Vergleich zu den vorherigen Tagen mit deutlich gesteigerten Kampfschilderungen aufwarten. Die Haltung der Ritter wird mit nît [La, V. 3356] charakterisiert, mit Hass, Kampfgrimm, feindseliger Gesinnung und dem Verlangen, dem Feind im Kampf Schaden zuzufügen.61 Zum ersten Mal wird auch in den Kampfbeschreibungen Farbe außer der der Rüstungen erwähnt: Lanzelets Kampfeswut lässt so viel Blut fließen, dass Gegner und Pferde völlig rot werden [dô wart von bluote harte rôt / manic ros und man. La, V. 3396f.] Seine Opfer tüncht er ebenso in Rot wie seine Rüstung. Sein Kampfstil als roter Ritter wird als freislîch [La, V. 3399] beschrieben, und er verletzt so viele Kämpfer schwer, dass das Turnier im Anschluss abgebrochen werden muss, obwohl es eigentlich noch eine Woche lang hätte andauern sollen [La, V. 3418–3423] Erneut lässt sich eine Änderung in Lanzelets Verhalten feststellen, die gemäß der durch seine Rüstungsfarbe generierten Erwartungen ausgestaltet ist: Er ist mutig, angriffslustig bis beinahe hin zur Blutrünstigkeit. Der Erzähler vergleicht ihn mit einem arn [La, V. 3305], einem Greifvogel, der sich in eine Schar kleiner, hilfloser Vögel stürzt, welche panisch fliehen und sich verkriechen. Zugleich bleibt er aber den Freunden gegenüber loyal und hilfsbereit [La, V. 3308f.]. Lanzelet wird vom Autor als Figur inszeniert, die, wie gezeigt, auf die mit den farbigen Rüstungen verbundenen Assoziationen eingeht. Sein Verhalten im Turnier ist an die Erwartungen des Publikums und der anderen Ritter angepasst. Der Erzähler bezeichnet ihn in den jeweiligen Passagen auch durchgängig mit der passenden Farbbezeichnung: als der grüene ritter [La, V. 2978]62, der wîze ritter [La, V. 3095]63 und der rôte ritter [La, V. 3282]64. Trotz der inzwischen eingetretenen Erkenntnis der Zuschauer, dass die drei unbekannten Ritter in Grün, Weiß und Rot ein und dieselbe Person sein müssen [La, V. 3346–49], bleibt Lanzelet über das Turnier hinaus standhaft: Er verweigert jegliche Auskunft und lässt sich auch nicht überreden, Artus zu dessen Hof zu folgen. Der Held bleibt bis zum Schluss der Episode der vremde jungelinc. Ulrich begründet die Tarnungsabsichten Lanzelets neben dem Wunsch nach Unkenntlichkeit und der sich damit eröffnenden Möglichkeit, sich immer wieder neu zu beweisen, auch mit der schande [La, V. 3227], die der junge Ritter verspürt, da er seinen eigenen Namen und seine Herkunft bisher nicht kennt und diese deshalb auch nicht mitteilen kann.65 Lanzelet ist, wie einige andere höfische Romanhelden, anfänglich ein Ritter ohne
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angegangenen Tage noch einmal überblicksartig zusammen: der von dem uns ist geseit, / des schilt gester wîz was / und dâ vor grüene als ein gras. / der fuorte hiut, als er gebôt, / ein banier und einen schilt rôt […] [La, V. 3266–3270]. ([Der] von dem uns erzählt wurde, dessen Schild gestern weiß und davor grün wie Gras war. Der führte heute nach seinem Befehl einen roten Banner und ein rotes Schild [sic!] […].) Vgl. Lexer (1872): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Eintrag nît, Bd.2, Sp. 86f. Neben den oben genannten Bedeutungen meint nît mitunter auch Groll, Eifersucht, Missgunst, Arg und Neid. La, V. 2961, 2978, 2990 und 3010. La, V. 3095, 3118, 3182, 3199, 3207, 3217 und 3255. La, V. 3282, 3291, 3334 und 3381. wan daz in dûhte ein schande, / daz er sîn selbes niht erkande. [La, V. 3227f.] ([…] sondern weil er es für eine Schande hielt, dass er sich selbst nicht kannte)
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konkretes Wissen um seine Herkunft, seinen sozialen Rang und seinen Namen. Er wächst unter der Obhut einer Meerfee in einem magischen Reich auf, die ihn zwar vortrefflich erzieht, ihm aber weder Wissen um seine Abkunft noch über ritterliches Waffenhandwerk vermittelt [La, V. 241–299]. In die Welt entlassen muss er sich als unerfahrener, tölpelhafter Jüngling durchschlagen, bis er im Schnellverfahren eine Ausbildung in den ritterlichen Künsten erhält. Er erringt im Anschluss die Landesherrschaft über drei Reiche und auch die Minne dreier Damen. Auch zur Zeit des Turniers mit den wechselnden Rüstungsfarben ist Lanzelet so sein eigener Name unbekannt. Er wird ihm erst später von einer Abgesandten der Meerfee offenbart66: ir sint geheizen Lanzelet, / von gebürt sælic und grôz. [La, V. 4706f.] (Ihr werdet Lanzelet genannt, von Geburt mit Glück überhäuft und herrlich.) Diese Auskunft stellt die Mitte der Romanhandlung dar.67 Bis zu diesem Zeitpunkt sind die beherrschenden Fragen des Geschehens die nach der Identität und dem Namen des Helden, die ihn selbst beständig umtreiben: wan ich enweiz, wer ich bin [La, V. 315] ([D]enn ich weiß nicht, wer ich bin.) – ich en weiz niht mînes namen. [La, V. 318] (Ich weiß meinen Namen nicht.) Das Spiel mit den wechselnden Rüstungen ist somit durchaus Teil einer willentlichen Tarnung und ist doch gleichzeitig der Verzweiflung des Helden darüber geschuldet, dass ihm die eigene Identität noch nicht eröffnet worden ist. Er will und kann sie nicht preisgeben. Die unsteten Farben der Rüstungen, so lässt sich dieser Befund lesen, stehen gleichsam für eine noch unsichere Identität. Zugleich ist Lanzelet über die Polychromie der wechselnden Rüstungsfarben bereits eine adelige Konnotation, ein impliziter Hinweis auf seine hochadelige Abkunft eingeschrieben: Grün, Weiß und Rot, zentrale Farben des höfischen Farbkanons, erscheinen als eine Abbreviatur der die höfische Welt auszeichnenden Polychromie, die den jungen Ritter bereits eindeutig der höfischen Sphäre zuordnen. Aber nicht nur die Wechsel der Farben und damit die ausgewiesene Instabilität der Identität, auch der Aspekt der Monochromie der Ausstattung der, wie bereits Schausten68 und Quast69 dargestellt haben, problematisch ist, erscheint hier bedeutsam. Der Umstand der Einfarbigkeit ist Indikator einer La, V. 4700–4737. Lanzelet erfährt an dieser Stelle seinen Namen und erlagt Wissen über das Geschlecht, aus dem er stammt: König Pant von Genewis war sein Vater, die Königin Klarine seine Mutter. 67 Vgl. zur Struktur des Lanzelet: Wennerhold (2005): Späte mittelhochdeutsche Artusromane, S. 28ff. 68 Schausten (2008): Fall in die Farbe. Schausten widmet sich in ihrem Aufsatz dem roten Ritter Ither in Wolframs Parzival und den Problematiken, die sich im Roman an die höfische Signalfarbe Rot knüpfen. Die vollständig rote Ausstattung Ithers, so Schausten, verweise in ihrer außergewöhnlichen Monochromie neben der üblichen Ausweisfunktion von adeliger Abkunft auch auf Maßlosigkeit und Hochmut und stehe in Verbindung mit der bedrohlichen Affektstruktur von Ithers Persönlichkeit. Erst nach dem Tod des roten Ritters überdeckt die Vielfarbigkeit des Höfischen wenigstens einen Teil des als problematisch gekennzeichneten Monochromen. (Vgl. S. 478) Auch für Parzival bedeutet das Anlegen der roten Rüstung einen Abstieg in die Einfarbigkeit, es steht zugleich für gesellschaftliche Auszeichnung und moralische Verfehlung. (Vgl. S. 479) Die Erzählung vom roten Ritter beschreibt laut Schausten einen „Fall in die Farbe“, ein Phänomen des Niederganges, eine einseitige Fixierung. 69 Quast (2012): Monochrome Ritter. Quast entfaltet in seinem Aufsatz, wie über die Farbgebung, insbesondere über Vielfarbigkeit und Einfarbigkeit, eine Unifizierung, eine Entgrenzung von Kultur 66
Lanzelet – Ulrichs von Zatzikhoven Lanzelet
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Ordnungsstörung.70 Die höfische Welt, insbesondere in Umgebung des Artushofes, ist bunt, polychrom gestaltet. Farbenpracht kennzeichnet die höfische Sphäre, ist Chiffre der Artuswelt.71 Vielfarbigkeit fungiert grundlegend als Signum der höfischen Idealität. Aufgrund dessen ruft Einfarbigkeit, wie auch immer geartet, Irritation hervor.72 Wenn Vielfarbigkeit und Farbdifferenzierung programmatisch für höfische Pracht stehen, kann auffällige Monochromie als Ausweis einer die Ordnung destabilisierenden Haltung gelesen werden. Es besteht folglich in Bezug auf die Einfarbigkeit der Ausstattung eines Ritters ein konstitutiver Zusammenhang zwischen Farb- und Ordnungsdiskurs; auf der Farbebene werden gesellschaftliche Ordnungsprinzipien narrativ verhandelt.73 Die Problematik von Lanzelets wechselnden Rüstungsfarben liegt somit in der Unsicherheit bezüglich seiner Identität begründet, was auch die durch die Monochromie der Rüstungen angezeigte Ordnungsstörung darstellt. Denn ein Ritter, der sich selbst nicht kennt und sich auch nicht kenntlich zu machen vermag, stellt ein verstörendes Element für die höfische Gesellschaft dar. Zugleich aber ist Lanzelet nur bedingt als monochrom dargestellter Ritter zu verstehen, wechselt er doch, im Gegensatz zu den meisten einfarbigen Rittern der höfischen Romane, seine monochromen Rüstungen aus, was die Unsicherheit bezüglich seiner Identität anzeigt, ihn aber gleichzeitig über eine rudimentäre Polychromie von Grün, Weiß und Rot bereits der höfischen Sphäre zuordnet. In der Darstellung Lanzelets in den wechselnden Rüstungsfarben fallen folglich Elemente der Polychromie und der Monochromie zusammen. Das Farbenspiel impliziert bereits, dass Lanzelet immer schon Mitglied und Repräsentant der höfischen Gesellschaft ist. Das grundlegende Problem der Identitätsunsicherheit kann allerdings erst dadurch aufgelöst werden, dass Lanzelet sein Name und seine Genealogie eröffnet werden. Nicht zufällig, so scheint es mir, findet diese Einsetzung höfischer Identität durch die Botin der Meerfee in einer von überwältigendem Farbreichtum geprägten Szenerie statt: Der locus ameonus74, in welchem die „Namensgebung“ stattfindet, sowie das Zelt75, das die Fee als Geschenk überreicht, sind von überbordender Buntheit. Dies bestätigt erneut die These, dass sich höfische Idealität
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und Natur vorangetrieben wird. Dies exemplifiziert er an den Beispielen des roten Mabonagrin aus Hartmanns Erec und dem grünen Ritter aus Sir Gawain and the Green Knight. Vgl. Quast (2012): Monochrome Ritter, S. 171. Vgl. Schausten (2008): Fall in die Farbe, S. 473. Zu Beispielen verstörender Einfarbigkeit wie z.B. den vollständig schwarz gekleideten achtzig Witwen in Hartmanns Erec vgl. Quast (2012): Monochrome Ritter. S. 171f. Hartmann, so Quast, nutze in seiner Poetik Farben dazu, um vor allem auf Burg Brandigan Ordnung und Ordnungsstörungen zu signifizieren. Vgl. Quast (2012): Monochrome Ritter, S. 174ff. ez waz ein wunderlich stat, / dâ si wârn gesezzen; / Diu heide was von bluomen gar / rôt, wîz, weitvar, / brûn, grüen und gel, /swarz, mervar, wolkenhel, / tûsenvêch, trûbelblâ, / stahelbleich, îsengrâ, / purpurbrûn, sîtval. [La, V. 4746–4755] (Es war eine wunderbare Stätte, wo sie gesessen waren; darauf wollen wir nicht vergessen: Die Heide war von Blumen ganz rot, weiß, bläulich, braun, grün und gelb, schwarz, meerfarben, wolkenhell, gelbbunt, graublau, bleich wie Stahl, grau wie Eisen, purpurbraun, safrangelb.) Zeltbeschreibung: La V. 4760–4911.
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der vremde helt: Farbe als Werkzeug – Täuschung, Tarnung und Verstellung
durch Buntheit auszeichnet und darstellen lässt. Die Identität Lanzelets wird im polychromen Setting der höfischen Idealwelt vervollständigt. Damit wird auch abschließend der durch die monochromen Rüstungen repräsentierte Störfaktor getilgt. Die Farben der Rüstungen sind im Lanzelet, so meine Erkenntnis, ganz im Gegensatz zu Pastoureaus Annahmen gerade nicht als ordnungsstiftendes, farbsemantisches System, als deutlich lesbarer color code zu verstehen, auch wenn mehrfach auf diesen Code angespielt wird. Vielmehr ist der Farbwechsel Ausdruck einer grundlegenden Unsicherheit und Inkonstanz, die den jungen Helden ausmacht. Das mangelnde Wissen um die Identität und den Namen, und somit um seinen Platz in der gesellschaftlichen Ordnung, machen es Lanzelet unmöglich, sich vor anderen Figuren zu identifizieren, was zu der Notwendigkeit einer Tarnung führt. Gleichzeitig weist die visuelle Natur dieser Tarnung in der Repräsentation über die wechselnden Farben und dem jeweils angepassten Verhalten zugleich die Unsicherheiten seiner Existenz sichtbar aus. Über das Spiel mit den Farben und den daran geknüpften Erwartungshaltungen der Figur gegenüber nutzt Ulrich den Farbencode der Rüstung, um der Problematik von Lanzelets Unwissen über sich selbst Ausdruck zu verleihen. Ein farbsemantisches System, das eigentlich Sicherheiten und Erwartbarkeiten schaffen soll, wird hier zum Ausweis des Unsicheren und damit des Problemhaften, was auch über die im höfischen Farbdiskurs negativ bewertete Monochromie der Rüstungen deutlich gemacht wird. Diese durch partielle Monochromie ausgewiesene Ordnungsstörung löst sich abschließend in der Polychromie der höfischen Idealwelt auf.
5.3 Fazit Beide der zuvor analysierten Szenen ereignen sich auf Turnieren bzw. in Wettstreitsituationen, einer höfischen Szenerie, die eng mit Repräsentation und Selbstbeweis, der Demonstration von êre und ritterlichem Vermögen verknüpft ist und nicht zuletzt vor höfischem Publikum mit großer Öffentlichkeitswirkung stattfindet. Gleichzeitig ist es aber auch eine gefährliche beziehungsweise problematische Situation für den Helden, da sowohl Tristrant wie auch Lanzelet das Turnier unerkannt bestreiten wollen oder müssen. Es entsteht eine prekäre Handlungssituation, die die Helden zum Anlegen einer Verkleidung zwingt, welche sich durch eine spezifische Farbigkeit auszeichnet. Das Turnier bietet so eine Bühne für das über Farben inszenierte Spiel mit den Identitäten. Die Farbe beziehungsweise der Wechsel und das Anlegen „fremder Farben“ in Form von Verkleidungen und Rüstungen dient in beiden Romanpassagen als visueller Ausweis eines Konflikts, der auf der Identitätsebene anzusiedeln ist: Bei Tristrant in Bezug auf sein Identität als Liebender, die verborgen werden soll, immer wieder aber als farbiges Signal hervorbricht und als irritierender Faktor von der Hofgesellschaft aufgenommen wird, bei Lanzelet in Bezug auf seine gesamte personale und soziale Identität, die sich ihm noch in weiten Teilen entzieht und ihn somit zur Nicht-Identifizierbarkeit zwingt. In beiden
Fazit
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Fällen werden diese an die Identität des Helden geknüpften Konflikte auch mithilfe von Farben aufgelöst beziehungsweise auf ihr tragisches Ende hin zugespitzt: Im Tristrant durch die Aufgabe des Spiels mit der Farbe Rot in Form der unfarbigen, entstellenden Narrenverkleidung in Vorausdeutung auf den Tod der Protagonisten; im Lanzelet in dem Moment der Eröffnung und Einsetzung seiner Identität als Königssohn mit zugehörigem Namen und Genealogie in der Form eines Aufgehens der instabilen Monochromie der wechselnden Rüstungen in einem ihn umschließenden Raum höfisch-idealer Polychromie.
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Der höfische Artus- und Tristanroman entfaltet sich vor dem inneren Auge des Publikums in einer überwältigenden Farbigkeit, die das gesamte, dem Mittelalter zu dieser Zeit bekannte Farbspektrum umfasst und ausschöpft, sowie stellenweise noch erweitert. Farbe erscheint dabei als eine eigenständige, mit Sinn besetzte Qualität, die den verschiedenen Elementen der höfischen Welt zugeschrieben wird. Sie stellt sich weiterhin als komplexer Gegenstand dar, der nur unter Berücksichtigung aller Semantiken, die daran geknüpft sind, sowie aller Aspekte, die zur Deutung ausschlaggebend sind, ausreichend betrachtet werden kann. Diese Betrachtung muss sowohl den Kontrast als auch zugleich das Nebeneinander von höfisch-weltlicher Chromophilie und geistlich-religiös geprägten Zweifeln (vor allem an der Vielfarbigkeit) berücksichtigen, eine Ambivalenz, durch welche sich die Farbe als Forschungsgegenstand einer eindeutigen Bestimmung immer wieder entzieht. Dies deckt sich mit dem von der mediävistischen Forschung bereits zuvor konstatierten Umstand, dass Farben und Farbsemantiken in der höfischen Kultur des Mittelalters stets uneindeutig, genauer gesagt mehrdeutig, polyvalent besetzt seien. Dies lässt sich nach der Betrachtung der literarischen Farb-, Licht- und Glanzevokationen in den Artus- und Tristanromanen des 12. und 13. Jahrhunderts auch für die höfische Epik bestätigen. Die volkssprachlichen höfischen Romane partizipieren in ihrer eindringlichen und nicht zuletzt farbigen Bildhaftigkeit sowohl an den chromophilen wie auch den zum Teil chromophoben Zügen der mittelalterlich-höfischen Kultur. Farbe erscheint in ihnen als Signum für Auszeichnung, Macht und deren Repräsentationsformen in der materiellen höfischen Kultur, kann aber zugleich auch als visueller Hinweis auf bestehende Problematiken und Irritationen sowie deren Bearbeitung und Verhandlung innerhalb der höfischen Welt fungieren. Auf der Grundlage dieser Ambivalenz der Farbe in der höfischen Epik war es die Zielsetzung dieser Arbeit, zu zeigen, inwiefern der Komplex der sprachlich imaginierten Farben und der daran geknüpften polyvalenten Semantiken und Diskursivierungen insbesondere in den für die höfische Literatur bezeichnenden descriptiones, den Figurenbeschreibungen, eingesetzt wird, um über einen rein ästhetischen Effekt hinaus die Identitätskonstruktion einer Figur im Roman zu signifizieren. Dabei ist es gerade die Inszenierung des Figurenkörpers, der in der so sehr an Aspekten des Materiellen und den Körpern interessierten Literatur des Mittelalters ein großes personales wie kollektives Identifikations- und Differenzierungspotential zugeschrieben wird. Dies
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geschieht, so wurde in der Betrachtung der ausgewählten Textbeispiele deutlich, für die Beschreibungssequenzen körperlicher Schönheit, genuiner und reversibler Hässlichkeit sowie für Beispiele der Verkleidung und Täuschung in unterschiedlicher Art und Weise und unter Rückgriff auf unterschiedliche Farbpaletten. In den Beschreibungen körperlicher Schönheit orientiert sich die farbige Darstellung grundlegend an den traditionellen topischen Mustern der Schönheitsdarstellung, wobei die Palette hier von einer harmonisch ausgestalteten Farbgebung bis zu pfauengleich buntem Glanz variiert. Über die Variation, den Ausbau und die Übersteigerung eben dieser Schemata wird speziell über die Farbe und die Lichtwirkung des Figurenkörpers und der Kleidung eine Diskussion des Vollkommenheitsanspruches der Figur initiiert. Über den visuellen Aspekt der Farbe werden dort gezielt problematische Aspekte des Verhältnisses von Innen und Außen, der vom höfischen Ideal geforderten Kongruenz der körperlichen Schönheit und einer tadellosen adeligen Grundhaltung, diskutiert und auf der Spiegelfläche des Körpers dargestellt. Dazu gehören auch Aspekte der Gewanddarstellung, da insbesondere das Zeichensystem der Kleidung in der ritterlich-höfischen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts genutzt wird, um Identität zu modellieren. Die Darstellung körperlicher Schönheit wird in den betrachteten Beispielen unterschiedlich ausgestaltet, um den (in dieser Analyse weiblichen) Figuren Kontur zu verleihen, sie gleichzeitig aber auch zu problematisieren: Bei Enite und Isolde zeigt sich der Typus einer Schönheitsdarstellung, der sich vor allem durch Außenwirkung auf ein (männliches) Publikum und die Interaktion der Damen mit ihm auszeichnet. Die dabei beschriebenen Farb- und Lichteindrücke (hier vor allem Isoldes blendender, gleißender Goldschein) markieren jedoch die Figuren in der Bewertung ihrer Wirkung auf Andere als ambivalent – ihre Schönheit ist sowohl erhebend als auch gefährlich und birgt ein Gefährdungspotential für die höfische Gesellschaft. Dahingegen erweist sich Florie als ein zwar farbenfrohes, aber zugleich „lebloses“ Anschauungsobjekt der rhetorischen Spielfreude des Autors, während die Darstellung der Amurfina schließlich die unüberbrückbare Kluft zwischen Außen und Innen, zwischen farblich übersteigerter Schönheit und zugleich irritierendem, charakterlichem Fehlverhalten darstellt. Die farbigen Variationen der topischen Darstellungsformen körperlicher Schönheit geben folglich Aufschluss über eine bestehende Problematik bezüglich des Anspruches an die Einheit von Gutem, Schönem und Wahrem, welchen die mittelalterliche Ästhetiktheorie einfordert, den die Figuren aber (noch) nicht zu verkörpern vermögen. In der Darstellung genuiner Hässlichkeit hingegen finden wir eine wesentlich gedecktere und quantitativ reduzierte Farbigkeit vor. Zugleich aber werden diese wenigen, in ihrer Palette eingeschränkten Farbimaginationen in ihrer Applikation auf die Darstellung außerhöfischer, wilder und erschreckender Figuren überraschend vielschichtig verwendet und polyvalent besetzt. Vor allem das unhöfische Schwarz erweist sich als eine mit ambivalenten Konnotationen nahezu überfrachtete Farbe. Körperliche Hässlichkeit ist in der höfischen Literatur Ausweis eines Problems, einer Irritation, zumeist auch Spiegel innerer Unvollkommenheit. In den betrachteten Beispielen dient sie vor allem der Verkörperung des Kontrasts zwischen dem der höfischen Kultur ,Eigenen‘ und dem ihr ,Fremden‘,
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zwischen Idealdarstellung und Gegenbild und vor allem der Darstellung von Wildem und Zivilisiertem. Die Positionierung der hässlichen Figuren auf und jenseits der Grenzen von ,Eigenem‘ und ,Fremdem‘ wird auch anhand der Körperfarben deutlich gemacht: Die dunkelfarbige, glanzlose Darstellung der Wilden Männer und Frauen verdeutlicht ihre Gegenbildfunktion zum höfischen Ideal, ihren Status als Kontrastfiguren. Im Vergleich mit ihnen konturiert sich das höfische Ideal noch deutlicher. Die Opposition von Natur und Kultur, ,Eigenem‘ und ,Fremdem‘ wird auf der Körperoberfläche in ebenso oppositionellen Farbverwendungen sichtbar gemacht. Dies geschieht jedoch, auch das hat die Analyse gezeigt, auf differenzierende Art und Weise: Während die Wilden Frauen sich vor allem durch eine Gegenbildfunktion im Hinblick auf die vorherrschenden Geschlechterordnungen auszeichnen, stellen die Hässlichkeit und Schwärze des Waldmannes in Hartmanns Iwein vielmehr ein visuelles Zeichen einer als unhöfisch markierten Herrschafts- und Lebensweise dar, die über ihre Zuordnung zu einer körperlich hässlichen Figur negativ konnotiert wird. Dies entspricht auch der allgemeinen Funktion genuin hässlicher Figuren, aus der höfischen Gesellschaft ausgelagerte und verdrängte Aspekte zu verkörpern, die in der Konfrontation dieser Figuren mit dem Helden von diesem stellvertretend für die gesamte Gesellschaft überwunden werden müssen. Völlig anders verhält sich wiederum die Darstellung des hässlichen Ackerknechts in Heinrichs von dem Türlîn Diu Crône: Hier findet eine Autonomisierung des Hässlichen statt, wie sie in den späthöfischen Romanen auftritt. Dies zeigt sich in einer innovativen Farbgebung – das Hässliche gewinnt an eigenständiger Kontur, was sich anhand einer gesteigerten Farbigkeit auf dem Figurenkörper ablesen lässt. Die Darstellung reversibler, dass heißt zeitlich begrenzter körperlicher Hässlichkeit eigentlich als höfisch-schön markierter Figuren operiert mit wieder anderen Darstellungsmustern. Auch bei ihr sind die Farben als dunkel kenntlich gemacht, hier aber dezidiert als Verfärbung, Veränderung, als revidierbarer Zustand markiert. Die Restitution körperlicher Schönheit und damit korrespondierender Farbigkeit steht immer am Ende der Phase zeitweiliger Hässlichkeit. Bei Iwein erweist sich der schwarze Figurenkörper der Wahnsinnsepisode als Anknüpfungspunkt verschiedenster Diskurse, die sich aus dem Blickwinkel der Farbigkeit besonders deutlich herausstellen lassen. Schwarz als Farbe des sozialen wie topographischen Außenseitertums erweist sich in diesem Kontext als Zeichen bewusst vielfältig und interferierend ausgestalteter Aspekte, die sich vor allem auf den Natur-Kultur-Diskurs beziehen. Bei Tristan und Rual aus Gottfrieds von Straßburg Tristan-Roman hingegen diskutiert der Autor anhand der Verfärbung und Entstellung der Figurenkörper eine Identitätsproblematik, die sich nicht auf der Ebene von Selbstvergessenheit und Wildheit abspielt, sondern vielmehr die soziale Positionierung einer Figur und die Diskurse von Erkennen und Verkennen betrifft. Die Entstellung des Figurenkörpers in Form einer Verfärbung zeigt sich hier als ein ambivalent bewertetes und hierarchisch strukturiertes Phänomen, das einen identitätsgefährdenden Aspekt birgt, werden doch Körperfarbe und das Erkennen beziehungsweise Wiedererkennen einer Figur in direkten Zusammenhang gestellt. (Körper-)Farbe wird damit als konstitutives Identifikationsmerkmal ausgewiesen und eröffnet die Diskussion einer den Roman aus-
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zeichnenden Schein-Sein-Problematik. Alle Beispiele enden mit der Rückkehr der Figuren zu ihrer angestammt idealen Körperfarbe. Destruktion und anschließende Restitution höfischer Identität und Idealität als Prozess werden hier auf der Grundlage des Figurenkörpers und der ihm zugeordneten Farben dargestellt. Das Motiv der (zeitweiligen) Identitätsmodifikation durch Verkleidung wiederum bedient sich der gesamten Farbpalette der höfischen Welt. Über das Anlegen von täuschender Kleidung oder bewusst anonym gehaltener, monochromer Rüstung (mit passenden Wappenzeichen) werden die für das Identifizieren einer Figur wichtigen Körper- und Kleidungszeichen überdeckt beziehungsweise verfälscht. Dies lässt sich als visuell sichtbares Zeichen eines Konfliktes verstehen, der sich durch eine Inkongruenz zwischen Erscheinungsbild und der sich dahinter verbergenden Figurenidentität darstellt. Farbe erscheint hier durch ihre bewusste Veränderung im Umkehrschluss einmal mehr als machtvoller Ausweis von Identität. Im Falle Tristrants und der auf ihn bezogenen Verkleidungsepisoden erweist sich insbesondere das Rot, welches immer wieder in unterschiedlicher Intensität in seinen Verkleidungen auftaucht, als farbiges Zeichen seiner Identität sowie als Zeichen seiner die höfische Gesellschaft gefährdenden Liebe zu Isalde. Die wechselnden Rüstungsfarben Lanzelets wiederum, die den eigentlich der Identifizierung eines Ritters dienenden Farbencode zur Täuschung der Betrachter unterlaufen, verweisen auf eine noch unsichere ritterliche Identität des jungen Helden. Die impliziten Farbsemantiken werden hier bewusst gegen die Erwartungen der Betrachter ausgespielt. Die negativ bewertete Monochromie der tarnenden Rüstungen wird schließlich bei der in höfisch-idealer Polychromie stattfindenden Identitätskonstitution aufgelöst. (Körper-)Farben und dem Körper in Form von Kleidung und Schmuck angelegte Farben haben sich folglich in der höfischen Literatur des Mittelalters als konstitutive Bestandteile höfischer Existenz und als Mittel zum Ausweis von Identität mit hoher Sinnbild- und Symbolfunktion erwiesen. Die Analyse der auf den ersten Blick so eindeutig durch literarische Schönheits- und Hässlichkeitstopoi geprägt erscheinenden Farben des höfischen Körpers hat über die polyvalente Sinnbesetzung jener Farben den Blick auf die komplexen Sinnebenen höfischer Idealvorstellungen eröffnet, die sich hinter ihnen verbergen und sich in ihnen manifestieren, sowie auf deren literarische Verhandlung. Ähnlich wie in mittelalterlichen allegorischen Bedeutungslehren gewinnen auch die Farben in höfischer Epik zeichenhaften Charakter. An sie sind vieldeutige Sinnstrukturen gekoppelt und über ihre Darstellung und Verwendung wird im Hinblick auf gesellschaftlich relevante Diskurse Sinn vermittelt. Dabei implementieren die Farben der Figuren und damit des Körpers, der Kleidung und des Schmucks eine eigenständige Semantik, einen Farbdiskurs höfischer Idealität. Sie schreiben über die Zeichenfunktion der Farben der Figur Sinn zu, können ordnungsstiftendes wie auch irritierendes Element sein. Die höfischen (Körper-)Farben entfalten einen Freiraum möglicher, bewusst polyvalent gehaltener Assoziationen und Lesarten, der immer wieder dazu herausfordert, die den Farben inhärente sinnstiftende Funktion und die über sie implementierte Poetologie zu hinterfragen und zu erkennen.
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Die Analyse der Farben im höfischen Artus- und Tristanroman des 12. und 13. Jahrhunderts muss an dieser Stelle aufgrund des Umfangs des Quellenmaterials und der Komplexität des Gegenstands gezwungenermaßen unvollständig bleiben. Es ergeben sich daher im Anschluss an diese Arbeit eine Reihe weiterer Aspekte des übergeordneten Themenbereichs von Farb-, Licht- und Glanzeindrücken und ihren Semantisierungen in der mittelalterlich-höfischen Literatur, die ebenfalls näherhin zu beleuchten wären. Dazu zählt vor allem eine Analyse, die sich spezifisch mit der Darstellung männlicher Figuren und den ihnen zugeschriebenen Rüstungen, Schilden und Pferdeausrüstungen, insbesondere im Kontext der Heraldik und den zugehörigen Farbsystemen auseinandersetzt, welche aufgrund der Fokussierung dieser Arbeit weitestgehend nicht betrachtet werden konnten. Ebenfalls einer noch intensiveren Betrachtung bedarf der Bereich der (farbigen) Figurendarstellung im nachklassischen und späten Artusroman, dessen Bearbeitung nach wie vor ein Forschungsdesiderat darstellt. Weiterhin erschiene auch eine vergleichende Analyse zwischen den Gattungen des Artus- und Tristanromans und den Heldenepen beziehungsweise den Antiken- und Orientromanen der Zeit fruchtbar, hat sich doch bereits in der hier vorliegenden Arbeit wie auch bei der Betrachtung der Farbsemantiken in Werken der Heldenepik1 deutlich gezeigt, dass die literarisch imaginierte Verwendung von Farb-, Licht- und Glanzevokationen auch auf gattungsgebundenen Schreibweisen beruht und dementsprechend differenziert betrachtet werden muss. Weiterführende Forschungen könnten auch die über die Farben implementierte Symbolwelt einzelner Romane detailliert untersuchen. Diese knappen Überlegungen sollen hier als Denkanstoss genügen, um deutlich zu machen, dass das Phänomen „Farbe“ in der volkssprachlichen Literatur des Mittelalters auch weiterhin ein aussichtsreiches Forschungsfeld für die Mediävistik darstellt.
Ebenfalls im Rahmen des DFG-Forschungsprojektes „Polychrome Entwürfe höfischer Welten. Farben und ihre Semantiken in erzählender Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts“, in dessen Rahmen diese Arbeit verfasst wurde, entstand hierzu die Arbeit von Mareike Klein (2014): Die Farben der Herrschaft, welche sich mit Farbimaginationen und -semantiken in heldenepischen Texten der Zeit mit Fokus insbesondere auf der Darstellung von Herrschaft beschäftigt.
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Danksagung
Die vorliegende Arbeit entstand im Kontext des altgermanistischen DFG-Forschungsprojektes Polychrome Entwürfe höfischer Welten: Farben und ihre Semantiken in erzählender Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts. Sie wurde im Sommersemester 2012 von der Fakultät I der Universität Siegen als Dissertation angenommen und für den Druck leicht überarbeitet. Das Zustandekommen der vorliegenden Arbeit wäre nicht möglich gewesen ohne vielfältige Hilfe und Unterstützung. Frau Prof. Dr. Monika Schausten, die sowohl als Leiterin des Forschungsprojektes als auch als Doktormutter das Entstehen dieser Arbeit tatkräftig begleitet hat, gilt mein herzlichster Dank. Sie unterstützte und inspirierte meine Arbeit mit wertvollen Anregungen sowie kritischen Denkanstößen, mit großem Engagement und einem stets offenen Ohr für Probleme und Fragen. Ohne ihre Unterstützung wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Frau PD Dr. Heike Sahm danke ich ebenfalls für ihre Anregungen und Hilfestellungen. Meiner Kollegin und Freundin Mareike Klein bin ich nicht nur für die Diskussion inhaltlicher und organisatorischer Aspekte sowie die Korrektur der Arbeit zu Dank verpflichtet, sondern ebenso für Rat, Tat und Unterstützung in unseren gemeinsamen Bürostunden. Ebenfalls nicht vergessen möchte ich meine Kollegin Sarah Jancigaj, auf deren Unterstützung ich stets zählen konnte, wie auch Julia Stiebritz, Maria Moser, Stefanie Würde und Anna Lena Jung, denen für ihre tatkräftige Hilfe mein Dank gebührt. Den Teilnehmern des mediävistischen Forschungskolloquiums der Universität Siegen sowie des Köln-Bonn-Münster-Siegen-Doktorandenkolloquiums danke ich für fachkundigen Austausch und konstruktive Kritik. Dank gebührt auch der DFG für die finanzielle Unterstützung im Rahmen des Forschungsprojekts sowie den Herausgebern der Reihe Literatur – Theorie – Geschichte im Akademie Verlag bzw. im Verlag De Gruyter, ebenso wie Katja Leuchtenberger und Maria Zucker, die die Veröffentlichung dieser Arbeit betreut haben. Widmen möchte ich dieses Buch meiner Mutter, deren Verständnis, Ermutigung und Rückhalt mich während aller Höhen und Tiefen des Entstehens dieser Arbeit begleitet haben.
Siegen, im März 2014 Carolin Oster